Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Die Fraktion der FDP schlägt als Nachfolger für den
ehemaligen Kollegen Dr. Rainer Ortleb den Kollegen
Klaus Haupt als ordentliches Mitglied im Stiftungsrat
der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur vor. Die
Stellvertretung soll wie bisher durch die Kollegin Ina
Albowitz wahrgenommen werden. Sind Sie damit einver-
standen? Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist der
Kollege Haupt als ordentliches Mitglied in den Stiftungs-
rat gewählt.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die
verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte
sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufge-
führt:
ZP 4 Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Verbesserung der grenzüberschreiten-
den Arbeitsförderung im Rahmen des SGB III
Drucksache 14/5013
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
ZP 5 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses
Sammelübersicht 292 zu Petitionen
Drucksache 14/6983
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses
Sammelübersicht 293 zu Petitionen
Drucksache 14/6984
c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses
Sammelübersicht 294 zu Petitionen
Drucksache 14/6985
d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses
Sammelübersicht 295 zu Petitionen
Drucksache 14/6986
e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses
Sammelübersicht 296 zu Petitionen
Drucksache 14/6987
f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses
Sammelübersicht 297 zu Petitionen
Drucksache 14/6988
Weiterhin wurde vereinbart, den bisher ohne Aussprache
vorgesehenen Tagesordnungspunkt 9 l eisenbahnrecht-
liche Vorschriften zusammen mit dem Einzelplan 12
Verkehr zu beraten. Sind Sie damit einverstanden? Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich will darauf hinweisen damit wir uns alle darauf
einstellen können , dass, wenn ich es richtig gehört habe,
um circa 10.45 Uhr Fraktionssondersitzungen vorgesehen
sind. Der weitere Ablauf des Tages hängt dann von den
Ergebnissen dieser Fraktionssondersitzungen ab.
Wir setzen nunmehr die Haushaltsberatungen Tages-
ordnungspunkt 2 fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Fest-
stellung des Bundeshaushaltsplans für das Haus-
haltsjahr 2002
Drucksache 14/6800
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Finanzplan des Bundes 2001 bis 2005
Drucksache 14/6801
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
18505
190. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Beginn: 9.00 Uhr
Ich erinnere daran, dass wir gestern für die heutige
Aussprache insgesamt sechs Stunden beschlossen haben.
Wir beginnen mit den Geschäftsbereichen des Bun-
desministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Ein-
zelplan 11, des Bundesministeriums für Wirtschaft
und Technologie, Einzelplan 9, und des Bundesmi-
nisteriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen,
Einzelplan 12.
Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 f
und 9 l sowie die Zusatzpunkte 2 und 4 auf:
6 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform
Drucksache 14/6944
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Schnieber-Jastram, Dirk Fischer , Volker
Rühe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen effektiv
und transparent gestalten Aus den Hamburger
Vorfällen Lehren für eine Reform des SGB III
ziehen
Drucksache 14/6636
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Seehofer, Karl-Josef Laumann, Birgit Schnieber-
Jastram, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Arbeitsplätze schaffen statt Arbeitslosigkeit
verwalten Reformen für einen besseren Ar-
beitsmarkt
Drucksache 14/6888
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Heinrich L. Kolb, Dirk Niebel, Dr. Irmgard
Schwaetzer, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDP
Für eine Reintegration von Sozialhilfeempfän-
gern in den Arbeitsmarkt Anreize für die
Rückkehr in das Erwerbsleben erhöhen
Drucksache 14/5982
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk
Niebel, Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Heinrich L.
Kolb, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Für eine sinnvolle Zusammenfassung von
Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe
Drucksache 14/5983
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk
Niebel, Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Heinrich L.
Kolb, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Für eine wirksame und effiziente Arbeitsmarkt-
politik
Drucksache 14/6621
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus
9 1) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften
Drucksache 14/6929
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Irmgard
Schwaetzer, Dr. Heinrich L. Kolb, Dirk Niebel, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für eine beschäftigungsorientierte und aktivie-
rende Sozialpolitik Sozialhilfe und Arbeits-
marktpolitik grundlegend reformieren
Drucksache 14/6951
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 4 Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der
grenzüberschreitenden Arbeitsförderung im
Rahmen des SGB III
Drucksache 14/5013
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Präsident Wolfgang Thierse
18506
Das Wort hat ich schaue lieber nach, damit ich es
nicht wieder falsch mache; er ist anwesend
Bundesminister Walter Riester, dem ich zu seinem heuti-
gen Geburtstag herzlich gratulieren möchte.
Was gibt es Schöneres, als seinen Geburtstag mit einer
Rede im Plenum zu begehen!
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Herzlichen Dank, Herr Präsident. Was gibt
es Schöneres, als an seinem Geburtstag eine Rede im Ple-
num zu halten? Ich erinnere mich, dass wir vor drei Jah-
ren am 27. September Wahltag in Deutschland hatten:
Auch das war kein schlechter Tag.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Es geht heute um den Einzelplan 11, um den Haus-
haltsplan des Arbeits- und Sozialministeriums, der ein Vo-
lumen von gut 173 Milliarden DM hat. Das ist der größte
Einzelplan des Bundeshaushalts und dies nicht ohne
Grund: Die Bundesregierung unterstreicht mit diesem
Haushalt ihre zentralen innenpolitischen Ziele, nämlich
die Verbesserung der Erwerbsarbeit, den Abbau der viel
zu hohen Arbeitslosigkeit und die Sicherung unserer So-
zialsysteme. Denn mehr soziale Gerechtigkeit und ein
sozialer Ausgleich zwischen den Generationen ist Vo-
raussetzung für die Bereitschaft zum Wandel, ist die
Voraussetzung dafür, dass die Menschen die Sicherheit
haben, die notwendig ist, um diese Reformpolitik mitma-
chen zu können. Deshalb ist dies ein ganz wichtiger Bei-
trag zur sozialen Gestaltung unseres Landes.
Die größten Blöcke in diesem Einzelhaushalt sind die
Mittel, die wir für den Arbeitsmarkt einsetzen. Dies sind
insgesamt über 23 Milliarden DM. Dazu kommen die
Ausgaben für die sozialen Sicherungssysteme: Renten-
versicherung über 141 Milliarden DM und für die Kriegs-
opfer 7,4 Milliarden DM.
Was verbirgt sich für die Bürgerinnen und Bürger hin-
ter diesen Zahlen? Was wird mit diesem Geld gemacht?
Ich möchte bewusst mit einem Bereich beginnen, der mir
sehr am Herzen liegt und der viele Menschen in diesem
Lande betrifft, Menschen, die allein vom Wirtschafts-
wachstum, allein von den Steuerungen des Marktes her zu
wenig Chancen haben. Das sind Menschen mit Behinde-
rungen.
Das Grundgesetz gibt uns den Auftrag, Menschen mit
Behinderungen in der Arbeit und im gesellschaftlichen
Leben gleichzustellen. Deswegen haben wir in diesem
Jahr das Sozialgesetzbuch IX verabschiedet. In diesem
Neunten Sozialgesetzbuch ist das Recht auf Unterstüt-
zung und Teilhabe behinderter Menschen in unserem
Lande wesentlich weiterentwickelt worden. Dieses Sozi-
algesetzbuch verbessert die Lebenssituation behinderter
Menschen. Und, was mich besonders gefreut hat, diese
Reform hat der Bundestag gemeinsam gemacht. Dafür
möchte ich mich bei allen bedanken, insbesondere auch
bei der Opposition.
Wir haben aber in diesem Bereich auch andere wich-
tige Schritte getan. Wir haben das Gesetz zur Bekämpfung
der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter verabschiedet
und einmalig mit diesem Gesetz die Vereinbarung
zwischen Wirtschaft, Gewerkschaft und Behindertenver-
bänden verbunden, in dieser Legislaturperiode die Zahl
der arbeitslosen Schwerbehinderten um 50 000 zu senken.
Meine Damen und Herren, hinter dieser Zahl verbirgt
sich eine Herausforderung, die enorm ist, da Wirtschafts-
wachstum allein die Eingliederung arbeitsloser schwerbe-
hinderter Menschen eben nicht automatisch bewirkt, son-
dern gezielt mit Maßnahmen eingegriffen werden muss.
Hier müssen wir Unterstützung geben. Deswegen freue
ich mich besonders, dass wir schon nach den August-
zahlen rund 21 300 schwerbehinderte Menschen in den
Arbeitsmarkt gebracht haben.
Ich bin überzeugt: Wenn wir so weitermachen, und
zwar alle in der Wirtschaft, bei den Arbeitnehmerver-
tretungen, bei den Behindertenverbänden, in den Ar-
beitsämtern , haben wir gute Chancen, im nächsten Jahr
die Reduzierung der Zahl arbeitsloser Schwerbehinderter
um 50 000 zu schaffen.
Das dritte große Reformprojekt wird das Gleichstel-
lungsgesetz für behinderte Menschen sein. Kernstück
des Gesetzes ist der barrierefreie Zugang zu allen Le-
bensbereichen. Behinderte Menschen sollen zu allen
Lebensbereichen einen umfassenden Zugang haben. Sie
sollen sie uneingeschränkt nutzen können. Von großer Be-
deutung ist das Instrument der Zielvereinbarung, das wir
vorsehen, nämlich dass behinderte Menschen selbststän-
dig und in eigener Verantwortung Vereinbarungen im
Wirtschaftsbereich treffen können, um Barrierefreiheit
herbeizuführen.
Herr Minister, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert von der
PDS-Fraktion?
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Ja.
Bitte schön.
Herr Minister, ich freue mich
sehr, dass Sie die Situation von schwerbehinderten Men-
schen an den Anfang Ihrer Rede stellen. Dafür danke ich
Ihnen. Dennoch erlauben Sie mir bitte zwei Fragen.
Erstens. Wie viele von den knapp 25 000 Menschen,
die Sie jetzt nannten, sind denn tatsächlich auf dem ersten
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Präsident Wolfgang Thierse
18507
Arbeitsmarkt und wie viele sind inzwischen herausgefal-
len? Das ist der Statistik leider nie zu entnehmen.
Zweitens. Was verändert sich beim Gleichstellungs-
gesetz in Bezug auf die Zielvereinbarungen? Was könnten
Behindertenorganisationen und Unternehmerverbände im
Vorfeld der Verabschiedung des Gesetzes jetzt schon ver-
einbaren und tun?
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Zum Ersten, Herr Abgeordneter Seifert: Ich
kann Ihnen jetzt nicht detailliert, mit Zahlen, sagen, wie
viele behinderte Menschen im ersten und wie viele im öf-
fentlich geförderten Arbeitsmarkt tätig sind. Ich will das
aber gern nachholen und Ihnen dann mitteilen. Aber un-
ser Hauptziel und unsere Hauptaufgabe ist die Integration
in den ersten Arbeitsmarkt.
Ihre Fragen zum Gleichstellungsgesetz, das wir noch
im November in das Parlament einbringen wollen, bitte
ich Sie dann zu stellen. Ich habe es gerade angesprochen:
Das Hauptziel sind eigenständige Zielvereinbarungen,
um Barrierefreiheit in allen Lebensbereichen für behin-
derte Menschen herbeizuführen.
Meine Damen und Herren, dieses dritte große Gesetz,
mit dem wir die Lebenssituation behinderter Menschen
deutlich verbessern wollen, werden wir noch in diesem
Jahr einbringen. Die Kabinettsentscheidung und die erste
Lesung sind im November dieses Jahres geplant. Ich
würde mich besonders freuen, wenn wir auch dieses Ge-
setz mit einer breiten Übereinstimmung im Deutschen
Bundestag verabschieden würden.
Das zweite wichtige Ziel, das wir mit diesem Haushalt
erreichen wollen, ist, das Rentenversicherungssystem
weiter zu stabilisieren. Wir haben in den vergangenen
zwölf Monaten durch einen enormen Kraftakt eine der
größten Sozialreformen der deutschen Nachkriegsge-
schichte verwirklicht. Ich erinnere mich noch gut, wie wir
vor einem Jahr über den Kurs in der Rentenpolitik disku-
tiert haben. Zwischenzeitlich haben wir ein neues Kapitel
in der Sozialgeschichte aufgeschlagen. Die Rentenreform
ist beschlossen. Wir haben das bewährte System der soli-
darischen gesetzlichen Rentenversicherung auf eine sta-
bile Basis gestellt. Wir haben erhebliche Steuermittel ein-
gesetzt, um damit versicherungsfremde Leistungen zu
finanzieren. Es gelang, den Beitrag zur Rentenversiche-
rung zu senken und das ist für mich ein viel wichtigerer
Schritt ihn vor allem langfristig zu stabilisieren.
Damit haben wir die Rentenversicherung auf die He-
rausforderungen, die sich in den nächsten Jahren und
Jahrzehnten stellen werden, gut vorbereitet. Der entschei-
dende, innovative Schritt ist aber der ergänzende Aufbau
einer zusätzlichen Altersvorsorge für die Menschen in
diesem Lande. Ich freue mich insbesondere, dass zuneh-
mend auch tarifliche Rahmenbedingungen dafür gesetzt
werden. In den letzten Wochen und Monaten wurden Ta-
rifverträge für 8,7 Millionen Menschen abgeschlossen,
die die Basis dafür bieten, dass es zu einer Renaissance
die es so noch nie gegeben hat der betrieblichen Alters-
vorsorge kommen kann. Sie wissen, dass die betrieblichen
Altersvorsorgesysteme zunehmend rückläufig waren. Ich
verspreche mir einen gewaltigen Schub, wenn wir hier zu
einer Renaissance der betrieblichen Altersvorsorge kom-
men. Man muss deutlich sagen, dass dies insbesondere für
die mittlere und jüngere Generation ich wäre froh, wenn
dieser Schritt schon vor 15 Jahren eingeläutet worden
wäre die Chance bedeutet, eine ergänzende Altersvor-
sorge aufzubauen.
Ich komme nun zum großen Bereich der Beschäfti-
gungs- und Arbeitsmarktpolitik, über die in diesem
Lande zu Recht intensiv diskutiert wird. Sie wissen: Die
Bundesregierung hat von Anfang an gesagt, dass sie sich
daran messen lassen wird, mit welcher Wirksamkeit sie
die Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik vorangetrie-
ben hat.
Wer sich messen lassen will, muss auch die Ausgangs-
position beziffern: Von 1981 bis 1998 stieg die Arbeits-
losenzahl in Deutschland, und zwar kontinuierlich, um
3,5 Millionen auf den Höchststand von 4,823 Millionen
im Januar 1998.
Es wurde die Frage gestellt, ob es dafür ein historisches
Datum gibt: Ja. Der deutsche Einigungsprozess hat zu
einer Umschichtung von 10 Millionen nicht wettbe-
werbsfähigen Arbeitsplätzen zu mittlerweile 6 Millionen
wettbewerbsfähigen Arbeitsplätzen geführt. Herr Abge-
ordneter Niebel, die stark ansteigende Arbeitslosigkeit er-
streckt sich das könnte ich Ihnen aufzeigen auch auf
die westlichen Bundesländer. Auch hier ist von 1981 bis
1998 ein ganz gravierender Anstieg der Arbeitslosigkeit
zu verzeichnen. Dafür gibt es viele Gründe, auf die ich im
Rahmen dieser Haushaltsdebatte nicht im Einzelnen ein-
gehen kann.
Wichtig ist mir, dass 39 Monate hintereinander bis
einschließlich Juli dieses Jahres ein Sinken der Arbeits-
losenzahl bezogen auf den Vorjahresmonat erreicht
wurde.
Ich habe mein Haus nachprüfen lassen, wann es das zum
letzten Mal gab.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Dr. Ilja Seifert
18508
Ich kann es Ihnen sagen: Das gab es noch nie. Die letzte
lange Phase, in der Arbeitslosigkeit abgebaut worden ist,
war von 1978 bis 1980.
26 Monate hintereinander. Man fragt sich natürlich, ob es
ein Zufall ist, dass auch damals die Regierung von den
Sozialdemokraten gestellt wurde.
Über 39 Monate hinweg ist die Arbeitslosigkeit un-
unterbrochen gesunken und was mich fast noch mehr
freut in zwei Jahren ist die Beschäftigung um 1 Million
Menschen aufgebaut worden. Wir haben einen Beschäfti-
gungsstand, den es in dieser Höhe in Deutschland noch
nie gab.
Herr Minister, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Meckelburg,
CDU/CSU-Fraktion?
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Ja.
Herr Minister,
bevor Sie sich in einen Rausch hineinreden, bitte ich Sie,
mir zu bestätigen, dass zwar im Januar 1998 4,8 Millionen
Menschen arbeitslos waren, dass wir aber bereits zum
Zeitpunkt des Regierungswechsels zwischen 3,8 und
3,9 Millionen Arbeitslose hatten.
Würden Sie mir bestätigen, dass wir zurzeit wieder etwa
den gleichen Stand haben? Welche Leistung haben Sie da
eigentlich erbracht?
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Herr Meckelburg, ich will Ihnen die Zahlen
gern bestätigen und will Ihnen gleichzeitig sagen, warum
die Zahlen so waren. Wir hatten zu Beginn des Jahres
1998 4,8 Millionen Arbeitslose und dann begann eine
unsägliche
ABM-Wahlkampfmasche.
Ich will Ihnen die Zahlen nennen: Innerhalb von sieben
Monaten sind 270 000 Menschen zusätzlich in den
öffentlich geförderten Arbeitsmarkt gebracht worden.
So wurde nur die Arbeitslosenstatistik abgebaut.
520 000 Menschen waren im Oktober 1998 im öffentlich
geförderten Arbeitsmarkt. Wir haben dies korrigiert. Das
war ein ganz schwieriges Feld. Sie haben Menschen in
eine ABM-Zukunft geschickt, nur um die Statistik zu kor-
rigieren. Dies wird es mit mir nicht geben.
Herr Minister, gestat-
ten Sie zwei weitere Zwischenfragen, und zwar zunächst
des Kollegen Schemken und dann des Kollegen Niebel?
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Gerne.
Bitte schön.
Herr Minister,
während Sie heute Morgen Ihr Hauptanliegen offenbar
mithilfe von Zahlenarithmetik darstellen, ist es uns nach
wie vor ein Anliegen, das Einzelschicksal jedes Arbeitslo-
sen zu sehen. Das kann man mit Zahlen nicht wegbringen.
Können Sie mir bestätigen, dass seit drei, vier Jahren
die geburtenstarken Jahrgänge das sind die 30er-Jahr-
gänge mit erhöhten Zahlen von 250 000 jährlich in
Rente gehen und dass dies zur Senkung der Arbeitslosen-
zahlen, insbesondere bei den Langzeitarbeitslosen,
beiträgt?
Können Sie mir bestätigen, dass Sie auch die 630-
Mark-Arbeitsverhältnisse in die von Ihnen als erfreulich
bezeichnete Zunahme an Arbeitsplätzen einrechnen?
Können Sie mir bestätigen von Ihnen wurden die
Wahl-ABM angeführt , dass Sie alleine mit dem JUMP-
Programm zwischen 250 000 und 300 000 Jugendliche in
Arbeit gebracht haben und dass diese Arbeitsmarktmaß-
nahme aus der Statistik herauszurechnen ist?
Können Sie mir bestätigen, dass diese Statistik also in-
folge staatlicher Programme und der demographischen
Entwicklung so freundlich aussieht und dass sich im ers-
ten Arbeitsmarkt schlechthin nichts geändert hat? Im Ge-
genteil: Wir haben einen erhöhten Anstieg der Arbeitslo-
senzahlen saisonbereinigt sogar im Frühjahr und die
Sommerzahlen 2001 sind dramatisch , die Sie nach
Ihrem Gusto besser darzustellen versuchen.
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Herr Schemken, alle Ihre Fragen kann ich
nicht bestätigen. Zu Ihrem ersten Punkt: Wir haben min-
destens bis zum Jahr 2004 eine steigende Zahl von Schul-
abgängern. Es gibt also eine weitere Belastung, mit der
wir fertig werden müssen. Ich finde es gut, dass wir eine
steigende Zahl von Schulabgängern haben. Aber dies be-
wirkt keine Entlastung des Arbeitsmarktes.
Zu Ihrer zweiten Frage: Wir hatten in der Arbeitsmarkt-
entwicklung 1 Million zusätzliche Beschäftigungsverhält-
nisse. Davon waren 600 000 sozialversicherungspflichtig.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Bundesminister Walter Riester
18509
In die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeits-
verhältnisse gehen die 630-Mark-Arbeitsverhältnisse in
aller Regel nicht ein. Sie gehen nur dann ein, wenn der ein-
zelne Beschäftigte sein 630-Mark-Arbeitsverhältnis mit
Zusatzzahlungen sozialversicherungspflichtig macht. Das
ist aber kaum der Fall. 600 000 sozialversicherungs-
pflichtige Arbeitsverhältnisse zusätzlich hat es in einem so
kurzem Zeitraum noch nicht gegeben.
Ihre letzte Frage kann ich Ihnen ebenfalls nicht be-
stätigen. Die insgesamt 330 000 Jugendlichen, die wir
nicht mit einem alten, sondern einem neuen Programm,
dem JUMP-Programm, gefördert haben, sind zu über
75 Prozent in Arbeit oder Ausbildung gekommen. Genau
das war das Ziel des Programms.
Herr Schemken, las-
sen Sie bitte erst einmal den Kollegen Niebel fragen.
Wenn es Sie danach noch drängt, können Sie eine weitere
Frage stellen damit wir ein Wechselspiel haben. Kollege
Niebel.
Herr Minister, wie versprochen,
will ich keine Rede halten, sondern eine Frage stellen. Sie
haben festgestellt: Die Tatsache, dass im Januar 1998 die
Arbeitslosenzahl bei ungefähr 4,8 Millionen lag und sich
die Zahl bei Ihrer Regierungsübernahme ungefähr auf
dem jetzigen Niveau befand, schreiben Sie einzig und al-
lein dem Umstand zu, dass wir als alte Regierung im
Wahljahr außerordentlich viele AB-Maßnahmen, also ak-
tive Arbeitsmarktpolitik, aufgelegt haben.
Meine Frage: Können Sie mir zustimmen, dass Sie im
Haushalt 2000, als die Arbeitslosenzahlen unter anderem
aufgrund der demographischen Entwicklung gesunken
sind, dennoch 2 Milliarden DM mehr für aktive Arbeits-
marktpolitik ausgegeben haben als im Jahr davor? Trotz
sinkender Arbeitslosenzahlen haben Sie mehr Geld für
aktive Arbeitsmarktpolitik aufgewendet, ohne den Effekt
geringerer Arbeitslosigkeit als zuzeiten Ihrer Regie-
rungsübernahme zu erreichen. Ist das nicht vielleicht ein
Beweis dafür, dass die aktive Arbeitsmarktpolitik insge-
samt, wie sie bisher konzipiert ist, nicht zielführend ist?
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Herr Niebel, wir müssen zwischen den Be-
griffen aktive Arbeitsmarktpolitik und öffentlich geför-
derter Arbeitsmarkt unterscheiden. Wir sprachen gerade
über den öffentlich geförderten Arbeitsmarkt. Hierzu
kann ich Ihnen sagen: Auf diesem Gebiet gehen unsere
Maßnahmen zurück, weil wir den ersten Arbeitsmarkt in
den Vordergrund stellen wollen. Wir haben 2 Milliar-
den DM da haben Sie Recht in 1999, 2000 und 2001
für die Integration junger Menschen in den Arbeitsmarkt
zusätzlich zur Verfügung gestellt. Was dort läuft, ist her-
vorragend. Das habe ich gerade gesagt. Von 330 000 jun-
gen Menschen haben über 75 Prozent Arbeit oder Ausbil-
dung gefunden. Hier werden wir weiterhin investieren,
weil dies eine gute Investition ist.
Wir haben unsere Maßnahmen im öffentlich geförder-
ten Arbeitsmarkt, also ABM und SAM Sie wissen das
sicherlich, weil Sie aus der Arbeitsverwaltung kommen ,
sehr stark eingeschränkt. Wir haben nicht vor, sie im
Wahljahr auszuweiten.
Jetzt hat der Kollege
Schemken zu einer weiteren Frage das Wort. Danach wol-
len wir aber den Minister in seiner Rede fortfahren lassen.
Ich kann verstehen,
dass Ihnen meine Fragen unangenehm sind.
Kollege Schemken,
bitte stellen Sie eine Frage und reagieren Sie nicht auf Zu-
rufe im Saal!
Ich gebe auch jenen
eine Antwort, die in Chören antreten.
Die drei Fragen, die ich Ihnen gestellt habe, haben Sie
teilweise so beantwortet, dass Sie, die Regierung, gute
ABM machen, dass es bei der CDU/CSU aber schlechte
ABM gewesen sein sollen.
Ich habe eine weitere Frage, bezogen auf die Ausbil-
dungsplätze: Können Sie mir bestätigen, dass in den 80er-
Jahren in den alten Bundesländern zwischen 690 000 und
700 000 junge Menschen die Schule verließen und dass
jetzt, nach der Wiedervereinigung, insgesamt nicht einmal
600 000 junge Menschen die Schule verlassen, sodass
Ihre Feststellung, dass sich die Zahl von Schulabgängern
erhöht, nicht zutrifft?
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Ich kann Ihnen dies nicht bestätigen; denn
mir liegt das Zahlenmaterial dazu nicht vor. Ich kann Ih-
nen aber bestätigen, dass Ihre weitere Annahme, die Zahl
der Schulabgänger sinke, falsch ist: Mindestens zum
Jahr 2004 steigt die Zahl der Schulabgänger. Darüber
freue ich mich; denn diese jungen Menschen brauchen wir
dringend.
Damit bricht aber natürlich das immer wieder kultivierte
Argument, wir hätten eine demographische Entlastung, in
sich zusammen.
Wir konnten die Zahl der Menschen, die in den Ar-
beitsmarkt eintreten, insgesamt sehr stark anheben, und
zwar stärker, als wir die Arbeitslosenzahl reduzieren
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Bundesminister Walter Riester
18510
konnten. Damit ist die Beschäftigungsquote in Deutsch-
land gestiegen, was gut ist. Insbesondere bedeutet dies ei-
nen stärkeren Anstieg der Erwerbstätigkeit bei Frauen.
Darüber dürfen wir uns wirklich freuen.
Wir freuen uns aber nicht darüber auch das muss ich
klar sagen , dass wir im Moment ein geringes Wachstum
haben. Damit können Impulse, die wir gegeben haben,
nicht im entsprechenden Maß zur Geltung kommen. Ich
darf aber insbesondere mit Blick auf die Opposition
auf eines hinweisen: In den letzten sieben Jahren der Vor-
gängerregierung betrug das durchschnittliche reale
Wachstum 1,2 Prozent, und zwar trotz hoher Verschul-
dung, umfangreichen Programmen im Bausektor und ei-
nes starken Wachstums in Nordamerika. In den letzten
beiden Jahren hatten wir ein doppelt so hohes Wachstum.
Ich bin davon überzeugt, dass wir trotz des schwachen
Wachstums in diesem Jahr und den Gefahren, die uns im
nächsten Jahr drohen, in den Jahren 2001 und 2002 immer
noch über dem durchschnittlichen Wachstum der letzten
sieben Jahre Ihrer Regierungszeit liegen werden.
Da Beschäftigungspolitik mehr ist als Arbeitsmarktpo-
litik, nämlich das Setzen eines politischen Rahmens, ha-
ben wir intensiv dafür gekämpft, eine Haushaltskonsoli-
dierung zu erreichen und die Steuer- und Rentenreform
durchzubekommen. Damit haben wir die gewünschten
Impulse ausgelöst. Aber auch die Arbeitsmarktpolitik ist
ein wichtiger Faktor. Deswegen haben wir das JUMP-
Programm als Angebot zur Integration für 330 000 junge
Menschen sowie ein Programm für schwerbehinderte
Menschen, das eine Integration von über 20 000 Betrof-
fenen in einer relativ kurzen Zeit ermöglicht, aufgelegt.
Jetzt erfolgt die Fortsetzung unserer Maßnahmen durch
das Job-Aqtiv-Gesetz.
Herr Minister, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hinsken?
Mir ist signalisiert worden, dass die Geschäftsführer ver-
abredet haben, angesichts der gedrängten Tagesordnung
und der Fülle der Punkte, die heute zu behandeln sind,
nicht zu viele Zwischenfragen zuzulassen. Ich bin in die-
sem Punkt ganz frei.
Herr Repnik, findet das Ihre Zustimmung? Können wir
uns dann darauf verständigen, den Minister zu Ende spre-
chen zu lassen?
Ich kann nichts dafür, dass Sie Ihr Mikrofon technisch
nicht beherrschen.
Herr Präsident, ich kann
das Mikro erst nutzen, wenn Sie mir die notwendige Lei-
tung schalten. Ich bitte Sie, darauf hinweisen zu dürfen.
Ich möchte Ihre Behauptung, ich sei nicht in der Lage,
mein Mikro technisch zu beherrschen, zurückweisen und
an Sie diese Frage richten.
Ich darf Ihnen wider-
sprechen. Ich habe keine Möglichkeit, Ihr Mikro an- oder
auszuschalten.
Aber die Angehörigen
der Verwaltung, die hinter Ihnen sitzen.
Herr Minister Riester, Sie haben eben das derzeitige
Wirtschaftswachstum angesprochen und mit der Situation
in früheren Jahren verglichen. Worauf führen Sie den
Umstand zurück, dass wir zum Beispiel in den Ländern
Bayern, Baden-Württemberg, Hessen oder Saarland um
nur einige zu nennen , also in den südlichen Ländern, ein
Wirtschaftswachstum zu verzeichnen haben, das noch ein
klein wenig befriedigen kann, während in den norddeut-
schen und ostdeutschen Ländern das Wirtschaftswachs-
tum unzureichend ist?
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Das hat verschiedenste Gründe, die ich nicht
so breit erläutern kann. Ich will aber auf einen wichtigen
Punkt eingehen. In Baden-Württemberg zum Beispiel
ich war lange dort tätig ist die Investitionsgüterindus-
trie, also der Maschinenbau und der Fahrzeugbau, stark
vertreten. Diese Branche ist stark exportorientiert, hat
noch eine Vielzahl an Aufträgen und ermöglicht daher
große Schübe im Wirtschaftswachstum. In Bayern gibt es
ähnliche Strukturen. In den einzelnen Bundesländern be-
stehen unterschiedliche strukturelle Voraussetzungen. Ich
würde daher nicht die einzelnen Bundesländer hinsicht-
lich ihrer Entwicklung vergleichen.
Ich komme nun zum Job-Aqtiv-Gesetz. Da gestern
der Fraktionsvorsitzende der Union erklärt hat, er wisse
nicht, warum das Job Aqtiv heißt und warum es mit Q
geschrieben wird, möchte ich das kurz erläutern: Es geht
um die Zusammenfassung von Aktivieren, Qualifizieren
mit Q , Trainieren, Investieren und Vermitteln. Ver-
mittlung ist das Hauptinstrument, nicht ABM oder SAM;
darauf muss immer wieder hingewiesen werden. Es geht
um Vermitteln, also darum, den Menschen schnell und
passgenau die Chance zu geben, aus Arbeitslosigkeit in
Beschäftigung zu kommen.
Dieser schnellen, passgenauen Vermittlung kommt in
der neuen Reform deswegen die größte Bedeutung zu.
Wir möchten zukünftig, dass jeder Arbeitslose, jeder
Kunde im Arbeitsamt sofort darüber aufgeklärt wird, wo
die Chancen und wo die Risiken der Vermittlung liegen.
Wir möchten, dass eine Eingliederungsvereinbarung
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Bundesminister Walter Riester
18511
gemacht wird, die er auch gegenzeichnet ich komme
noch auf Fördern und Fordern , sodass wir einen Ver-
mittlungsprozess bekommen, der wesentlich schneller
verläuft.
Dieser Ansatz ist in einigen Arbeitsämtern in Deutsch-
land schon sehr, sehr erfolgreich praktiziert worden. Wir
möchten, dass er auf eine breite gesetzliche Basis gestellt
wird. Ich freue mich darüber, dass die Bundesanstalt für
Arbeit signalisiert hat, sie würde voll mitziehen. Sie be-
reitet sich schon jetzt vor, ab dem 1. Januar 2002 voll in
einen neu ausgerichteten Vermittlungsprozess einzustei-
gen, der die Chance eröffnet, die Dauer der Arbeitslosig-
keit deutlich zu reduzieren.
Wir werden als Zweites die Qualifizierung verbes-
sern; die mit Q. Hier ist das erfolgreiche Instrument der
Jobrotation zu nennen. Für beschäftigte Menschen, die in
Weiterbildung gehen, sollen arbeitslose Menschen die
mitfinanzierte Chance erhalten, den vorübergehend freien
Arbeitsplatz zu besetzen. Wir werden Lohnkostenzu-
schüsse in Höhe von mindestens 50 Prozent leisten, wenn
arbeitslose Menschen auf diesen Arbeitsplätzen beschäf-
tigt werden.
Wir gehen aber noch ein Stück weiter, und das ist ein
Paradigmenwechsel: Wir möchten, dass gerade ältere
Menschen, insbesondere in Klein- und Mittelbetrieben
Herr Hinsken, ich spreche hier den Mittelstand an , die
Chance bekommen, ihre Qualifikation zu erhalten. Des-
wegen werden wir Betriebe mit bis zu 100 Beschäftigten
dahin gehend finanziell unterstützen, dass diese Qualifi-
zierung durchgeführt werden kann. Wir möchten die Äl-
teren im Arbeitsprozess halten und wollen, dass Men-
schen mit Risiken leider ist Alter am Arbeitsmarkt ein
Beschäftigungsrisiko alle Instrumente sofort nutzen
können.
Ich möchte deshalb, dass eine Perversion der arbeits-
marktpolitischen Instrumente beendet wird, dass nämlich
eine bestimmte Dauer der Arbeitslosigkeit Voraussetzung
dafür ist, ein qualifiziertes Angebot an Fördermaßnahmen
zu bekommen.
Mein Gott, was hat man sich damals überlegt, dass Men-
schen erst einmal zwölf Monate arbeitslos sein müssen,
um mit dem Stigma der Langzeitarbeitslosigkeit dann be-
stimmte Angebote zu bekommen! Nein, ich möchte, dass
diese Menschen diese Angebote sofort bekommen kön-
nen, wenn klar ist, dass es schwierig ist, sie zu vermitteln.
Wir werden aber auch die Situation der Frauen ver-
bessern, indem wir eine bessere Wiedereingliederung in
den Arbeitsprozess nach der Kindererziehungszeit er-
möglichen. Hier werden wir die Förderung auch bei der
Qualifizierung ansetzen.
Auch bei der Zeitarbeit werden wir Veränderungen
vornehmen; denn wir sehen, dass für bestimmte Men-
schen über die Zeitarbeit Zugangschancen zum Arbeits-
markt bestehen. Die Zeitarbeitsfirmen haben kritisiert,
dass eine Verleihdauer über ein Jahr hinaus nicht möglich
ist. Wir öffnen dies jetzt und verdoppeln den Zeitraum auf
zwei Jahre.
Herr Meckelburg, Sie hätten das in Ihrer Regierungszeit
machen können.
Damals haben Sie es nicht gemacht. Wir machen es jetzt.
Wir legen aber gleichzeitig fest, dass Leiharbeitnehmer
ab dem 13. Beschäftigungsmonat zu den Bedingungen
des Entleihbetriebes bezahlt werden. Damit möchten wir
beiden Seiten gerecht werden.
Meine Damen und Herren, mit dem Job-Aqtiv-Gesetz
werden wir die Reform der Arbeitsmarktpolitik nach der
Steuerreform und der Rentenreform noch in diesem Jahr
nicht nur aktiv angehen, sondern zum Abschluss bringen.
Ich habe gestern im Einstieg der Rede des Fraktions-
vorsitzenden der Union gehört: Man werde das Job-
Aqtiv-Gesetz ablehnen. Ich würde das sehr bedauern.
Denn: Die Steuerreform konnten wir nur gegen den
Widerstand der Opposition durchbekommen. Die Renten-
reform konnten wir nur gegen ihren Widerstand durchbe-
kommen. Ich möchte, dass zumindest bei der Arbeits-
marktreform das ganze Haus mitzieht.
Denn ich möchte nie mehr eine Situation wie im Jahr 1998
erleben, als das Wort des Jahres Reformstau lautete.
Meine Damen und Herren, dieser Einzelplan mit gut
173 Milliarden DM wird ein Haushalt für die sozialen Be-
lange der Menschen in diesem Lande sein. Er ist gleich-
zeitig ein Haushalt, der die Reformvorhaben weiter vo-
ranbringt. Denn Sicherheit einerseits und reformerische
Gestaltung andererseits sind die zwei Elemente, die in
diesem Land so bitter notwendig sind.
Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Horst Seehofer, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zuerst im
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Bundesminister Walter Riester
18512
Namen meiner Fraktion dem Arbeitsminister zu seinem
heutigen Geburtstag gratulieren, ihm persönlich nur
Wohlergehen wünschen und politisch so viel Erfolg aber
auch nur so viel , dass wir uns nicht darüber ärgern müs-
sen.
Meine Damen und Herren, der Spiegel hat diese Wo-
che bemerkenswerte Umfragen veröffentlicht. 67 Prozent
der deutschen Bevölkerung sind mit der Arbeitsmarktpo-
litik dieser Bundesregierung unzufrieden. Es gibt nur ei-
nen einzigen Politikbereich, wo die Rate der Unzufrie-
denheit noch höher ist: Das ist die Gesundheitspolitik
dieser Bundesregierung. Wenn über zwei Drittel der Deut-
schen von Herrn Riesters Arbeitsmarktpolitik enttäuscht
sind, weil er kein beschäftigungspolitisches Ziel erreicht
hat, dann ist das beredter als alle statistischen Aussagen,
die er hier abgeliefert hat.
Herr Riester, wenn ich Sie höre, habe ich manchmal
den Eindruck, Sie wären besser Bundesminister für Sta-
tistik als für Arbeit. Denn Sie jonglieren mit Statistiken.
Ich habe mir gerade Zahlen zu der Frage des Kollegen
Schemken kommen lassen, wie es mit Arbeitsbeschaf-
fungsmaßnahmen, Strukturanpassungsmaßnahmen und
der Entlastung des Arbeitsmarktes 1998 war und heute ist
die Quelle ist die Bundesanstalt für Arbeit, nicht die Op-
position : Senkung der Arbeitslosenzahl durch Beschäf-
tigungsmaßnahmen im Jahre 1998 um 962 000, im Jahre
2001 um 962 000. Die Behauptung, wir hätten 1998 die
Dinge künstlich hochgefahren, um die Arbeitslosenstatis-
tik zu schönen, ist eine glatte Unwahrheit.
Herr Riester, Sie können sagen, was Sie wollen: Nichts
ist so überzeugend wie die Realität. Die Arbeitslosenzahl
im August des Jahres 2001 ist höher als die Arbeitslosen-
zahl ein Jahr zuvor und die Zahl der Erwerbstätigen im
August ist niedriger als ein Jahr zuvor. Deshalb ist die
These richtig, dass Sie Ihre beschäftigungspolitischen
Ziele verfehlt haben.
Jetzt kommen Sie immer mit dem Vergleich der letzten
Jahre mit 1998. Auch Herr Struck hat diesen Vergleich
gestern angestellt. Herr Riester, die Senkung der
Arbeitslosenzahl ist ausschließlich auf die Tatsache
zurückzuführen, dass seit 1998 aufgrund der Altersstruk-
tur unserer Bevölkerung jährlich über 200 000 Menschen
mehr aus dem Arbeitsleben ausscheiden als Jüngere
nachrücken.
Die Zahl der Erwerbstätigen seit 1998, die Sie angeben,
ist entscheidend durch die Neuregelung der Sozialversi-
cherungspflicht im Bereich der geringfügigen Beschäfti-
gung beeinflusst. Deshalb, Herr Riester, sind Sie mit Ihrer
Beschäftigungspolitik gescheitert. Sie haben versagt. Sie
haben keines der arbeitsmarktpolitischen Ziele, deren Er-
reichung Sie der Bevölkerung im Bundestagswahlkampf
1998 versprochen haben, auch nur annähernd erreicht.
Das ist die Tatsache.
Dafür gibt es Kronzeugen. Ausgerechnet das ehema-
lige Vorzeigeprojekt dieser Regierung, das Bündnis für
Arbeit, hat die härteste Kritik an der Arbeitsmarktpolitik
dieser Regierung vorgetragen. Sie wissen, dass das Bünd-
nis für Arbeit eine Arbeitsgruppe Benchmarking ein-
setzt hat, die die Arbeitsmarktpolitik in 18 Industrienatio-
nen miteinander verglichen hat. Ich lese Ihnen einmal die
Zusammenfassung dieses internationalen Vergleichs vor
das stammt vom 10. September 2001 :
In kaum einem anderen Land gibt die Regierung so
viel Geld für Arbeitslosenhilfe, Qualifizierung und
Beschäftigungsprogramme aus und in kaum einem
anderen fallen die Ergebnisse so dürftig aus. Wer
schlecht ausgebildet ist, alt oder schon längere Zeit
als arbeitslos gemeldet, hat in der Bundesrepublik
denkbar schlechte Chancen auf einen neuen Job, weit
schlechtere jedenfalls als in allen anderen Teilen der
industrialisierten Welt.
Meine Damen und Herren, das ist die Beurkundung des
Offenbarungseids deutscher Arbeitsmarktpolitik.
Die Verlierer Ihrer Politik, Herr Riester, sind die Lang-
zeitarbeitslosen, die Frauen, die Arbeitslosen mit Handi-
caps und die Arbeitslosen mit geringer Qualifikation. Sie
sind aber mit dem Ziel angetreten, genau diesen
Personengruppen zu helfen, und Sie haben dieses Ziel
hoffnungslos verfehlt.
Nun kommen Sie mit dem Job-Aqtiv-Gesetz. Wenn
Sie tatsächlich von der Wirkung des Gesetzes überzeugt
wären, dann würden Sie dem Parlament und der Öffent-
lichkeit mitteilen, welchen Effekt Sie mit diesem Gesetz
erreichen wollen. Das ist immer eigenartig; es ist ähnlich
wie beim Innenminister und der Zuwanderung. Da wird
ein Gesetz mit anspruchsvollen Begriffen vorgelegt, aber
die Begriffe werden dem Inhalt nicht gerecht. Sie haben
bisher mit keiner Silbe gesagt, welchen Beschäftigungs-
effekt Sie mit diesem Job-Aqtiv-Gesetz erreichen wollen.
Wollen Sie damit 50 000, 100 000, 150 000 oder
200 000 Menschen in Arbeit bringen? Sie sagen dazu gar
nichts, weil Sie genau wissen, dass dieses Gesetz nur sehr,
sehr bescheidene quantitative Folgen haben wird.
Dieses Gesetz beinhaltet im Wesentlichen Selbstver-
ständlichkeiten. Ich nenne als Beispiel dafür den Einglie-
derungsvertrag. Zu unserer Zeit hieß das Meldepflicht
für Arbeitslose.
Diese Meldepflicht haben Sie abgeschafft. Weil Sie sehen,
dass das ein Fehler war, wollen Sie die Meldepflicht nicht
unter dem gleichen Begriff wieder einführen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Horst Seehofer
18513
Jetzt nennen Sie es Eingliederungsvertrag. Er bedeutet
aber im Grunde nichts anderes, als dass der Arbeitslose
wieder regelmäßig zum Arbeitsamt kommen muss.
Sie lehnen auf der einen Seite Konjunkturprogramme
ab. Auf der anderen Seite fördern Sie jetzt über dieses
Job-Aqtiv-Gesetz Infrastrukturprogramme, die nichts an-
deres als Beschäftigungsprogramme sind. Nun sind Be-
schäftigungsprogramme immer mit Strohfeuereffekten
verbunden, aber die größte Ungerechtigkeit liegt darin,
dass Sie jetzt die Solidargemeinschaft der Arbeitslosen-
versicherung mit einer unsinnigen Politik belasten. Sie
sollen nämlich mit ihren Beiträgen die Beschäftigungs-
programme finanzieren.
Herr Riester, alles andere, was Sie im Gesetz vorsehen,
ist im Grunde Bürokratie. Ich habe vor einigen Monaten
gesagt, Sie haben offensichtlich ein erotisches Verhältnis
zu Paragraphen. Sie schaffen mit diesem Job-Aqtiv-Ge-
setz keine Beschäftigung, sondern Sie blähen nur die
Bürokratie der Arbeitsverwaltung auf.
Sie haben nach der Bundestagswahl viele Fehler ge-
macht. Das ist genau das, was die genannte Arbeitsgruppe
des Bündnisses für Arbeit kritisiert. Mit der Rücknahme
vieler Maßnahmen, die wir in der Regierung Kohl getrof-
fen haben, verstärken Sie geradezu noch die starren Re-
geln, die starren Strukturen unseres Arbeitsmarktes.
Ich kann Ihnen vorlesen, was die Sachverständigen auch
die von Gewerkschaften in diesem Vergleich geschrie-
ben haben. Die Wissenschaftler listen eine Reihe nachah-
menswerter Beispiele aus anderen Ländern auf. So habe
Frankreich dadurch Erfolg gehabt, dass es Geringverdie-
ner von Sozialabgaben entlastet habe. Ich werde dazu
gleich einen Vorschlag machen, den wir seit Monaten in
der Bundesrepublik Deutschland machen. Die Wissen-
schaftler schreiben: Die Verschärfung der 630-DM-Jobs
hat für die Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutsch-
land eine künstliche Grenze geschaffen und die Teilzeit-
stellen unattraktiv gemacht. Dies schreiben nicht Wissen-
schaftler der Arbeitgeber, sondern Wissenschaftler der
Gewerkschaften, Wissenschaftler, die der Bundeskanzler
als unabhängige Wissenschaftler in die Benchmarking-
Gruppe berufen hat.
Sie haben die starren Regeln des deutschen Arbeits-
marktes noch mehr verkrustet, meine Damen und Herren,
als sie es ohnehin schon waren. Sie haben nicht Beschäfti-
gung geschaffen, sondern Sie haben mit diesen politischen
Maßnahmen vom Betriebsverfassungsgesetz über 630-
DM-Arbeitsverhältnisse und Scheinselbstständigkeit bis
hin zum Rechtsanspruch auf Teilzeit Beschäftigung in
der Bundesrepublik Deutschland buchstäblich vernichtet.
Nun, Sie dürfen sich nicht wundern, wenn Sie bei allen
Wahlen dort am wenigsten Stimmen bekommen, wo die
Arbeitnehmer zu Hause sind. Schauen Sie sich einmal die
Wahlergebnisse in Hamburg an!
In den Arbeitervierteln hat die Sozialdemokratie die größ-
ten Verluste zu verzeichnen, weil gerade die Arbeitneh-
mer von der Sozialpolitik dieser Regierung enttäuscht
sind.
Für das Bedenklichste halte ich nun, Herr Riester, dass
Sie offensichtlich nicht nur Ihr Ziel 3,5 Millionen Ar-
beitslose nicht erreichen, sondern dass Sie auch ein wei-
teres Ziel verfehlen, das nach wie vor ein wichtiges ge-
sellschaftliches Projekt sein sollte, nämlich das Ziel
Arbeit für alle. Sie haben offensichtlich das Ziel aufge-
geben, sich gerade jenen Menschen zuzuwenden, die län-
ger als ein Jahr arbeitslos sind, die wegen besonderer Han-
dicaps wenig Chancen haben, Arbeit zu finden.
Die Überwindung von Langzeitarbeitslosigkeit, meine
Damen und Herren,
müsste eigentlich in der Prioritätenskala an erster Stelle
stehen,
denn Langzeitarbeitslosigkeit bedeutet die Gefahr des
Verlustes von sozialer Kompetenz und beruflicher Quali-
fikation.
Deshalb möchte ich Ihnen, Herr Riester, heute für die
CDU/CSU erneut einen Vorschlag machen, der geeignet
ist, dieser Personengruppe gerecht zu werden. Da geht es
immerhin um 1,3 Millionen oder 1,5 Millionen Menschen
in Deutschland, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, und
es geht um 1 Million Menschen, die arbeitsfähig sind,
aber Sozialhilfe beziehen. Das ist also keine zu vernach-
lässigende Personengruppe. Für diese Menschen bringt
Ihr Eingliederungsvertrag, bringen Paragraphen, bringen
bürokratische Regeln überhaupt keinen Fortschritt. Sie
verbessern mit Ihrem Job-Aqtiv-Gesetz die Lebenschan-
cen für diese Personengruppe überhaupt nicht. Für diese
Personengruppe brauchen wir eine Generalrevision der
deutschen Arbeitsmarktpolitik. Wir müssen ein Problem
lösen, das auch nach Meinung der Benchmarking-Gruppe
die Hauptursache dafür ist, dass Langzeitarbeitslose im
deutschen Arbeitsmarkt keine Verwendung finden, ob-
wohl die Deutschen auf der anderen Seite über 1 Million
Arbeitserlaubnisse im Jahr an ausländische Arbeitskräfte
ausstellen, weil die Arbeitsplätze angeblich nicht mit
deutschen Arbeitskräften zu besetzen sind.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Horst Seehofer
18514
Diese Problematik liegt in der eigenartigen Erschei-
nung in Deutschland, dass wir 4 bis 5 Millionen Arbeits-
verhältnisse mit 630 DM haben, aber so gut wie keine Ar-
beitsverhältnisse zwischen 630 DM und 1 600 DM netto;
das entspricht 2 400 DM brutto. Das liegt daran, dass auf-
grund der hohen Steuer- und Abgabenlast jemand, der ei-
nen Job über 1 500 DM oder 1 600 DM annehmen soll,
den gleichen Betrag auch von der Sozialhilfe erhielte und
deshalb die Einsicht, eine Arbeit anzunehmen, wenn man
von der Sozialhilfe genauso viel oder mehr bekommt,
nicht vorhanden ist.
Deshalb müssen wir den Teufelskreis durchbrechen,
dass jemand, der Sozialhilfe oder Arbeitslosenhilfe be-
zieht, in nicht wenigen Fällen genauso viel bekommen
kann, als wenn er berufstätig ist. Wenn wir diesen Teu-
felskreis nicht durchbrechen, Herr Riester, dann sieht nie-
mand mehr ein, dass er eine Arbeit im Niedriglohnbereich
aufnehmen soll, für die er Steuern und Abgaben bezahlt,
während derjenige, der das nicht tut, über öffentliche
Transfers genauso viel hat.
Herr Riester, die Benchmarking-Gruppe und alle wis-
senschaftlichen Institute geben die Empfehlung, die vor-
handenen Arbeitsmarktinstrumente, insbesondere die Ar-
beitsbeschaffungsmaßnahmen, auf den Prüfstand zu
stellen. Das kann ich nur dick unterstreichen.
Wenn man sich einmal die Erfolgsquote bei der Arbeits-
vermittlung nach Beendigung einer Arbeitsbeschaffungs-
maßnahme in den letzten Jahren ansieht, dann kommt
man zu dem ernüchternden Ergebnis, dass nicht einmal je-
der zweite, der in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme
war, anschließend in den regulären Arbeitsmarkt vermit-
telt wird. Das ist eine große Ineffizienz. Wir schmeißen
viele Milliarden D-Mark zum Fenster hinaus, ohne dass
wir die betroffenen Arbeitslosen wirklich in Arbeit brin-
gen, meine Damen und Herren.
Deshalb machen wir heute erneut den Vorschlag, dass
wir Mittel hin zu einer Lohnsubvention, zu unserem Kom-
bilohnmodell umschichten. Wir wollen den Arbeitsäm-
tern und den Sozialämtern drei Instrumente an die Hand
geben, die wir den Sozialämtern übrigens schon mit un-
serer Sozialhilfereform 1995 mit großem Erfolg an die
Hand gegeben haben.
Wir wollen das hat die Sozialdemokratie damals im
Bundesrat weitgehend verhindert , dass jemand, wenn er
Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe bezieht und im
Niedriglohnbereich eine Arbeit annimmt, eine Zulage
von bis zu 20 Prozent bekommt.
Wir wollen, dass jemand, der Sozialhilfe bezieht, wenn
er eine Arbeit aufnimmt, nicht die Erfahrung macht, dass
sofort jede Mark, die über den Freibetrag hinausgeht, auf
die Sozialhilfe angerechnet wird. Und wir wollen, dass im
Niedriglohnbereich auch Zulagen und Zuschüsse zu den
Sozialversicherungsabgaben gezahlt werden, damit wir
aus dem Teufelskreis herauskommen, dass zwischen
630 DM und 1 600 DM netto keine Arbeitsverhältnisse
eingegangen werden.
Das rechnet sich, Herr Riester, denn es ist besser, man
gibt einem Langzeitarbeitslosen, der im Niedriglohnbe-
reich eine Arbeit aufnimmt, eine Zulage, als dass man das
volle Arbeitslosengeld bezahlt. Das rechnet sich für die öf-
fentliche Hand, und es ist besser für die betroffenen Men-
schen, denn es ist humaner, wenn man die Arbeit unter-
stützt, anstatt grenzenlos Arbeitslosigkeit zu finanzieren.
Nun sagen alle, das haben wir schon, das wird doch in
der Sozialhilfe schon gemacht. Ich hätte mir gewünscht,
dass wir im Jahr 1995 im Vermittlungsausschuss nicht auf
die Blockade durch Herrn Dreßler gestoßen wären. Wir
hätten gerne mehr gemacht, aber wir waren mit dem zu-
frieden, was in der Sozialhilfe möglich war.
Wir brauchen auch keine Modellprojekte. Wir haben
nach unserer Sozialhilfereform ein wunderbares Modell-
projekt in der gesamten Bundesrepublik Deutschland. Da-
mals gab es viele Bedenken. Die Kommunen haben uns
gesagt, wir sind nicht die Ersatzarbeitsämter, wir können
es nicht, wir haben die Menschen nicht, wir haben die Lo-
gistik nicht. Damals gab es gerade einmal 80 000 Sozial-
hilfeempfänger, die Hilfe zur Arbeit bezogen. Dann haben
wir diese Sozialhilfereform durchgeführt. Jetzt ist die
Hälfte aller arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger in Pro-
jekten der Hilfe zur Arbeit und anschließend auch im re-
gulären Arbeitsmarkt.
Aus 80 000 wurden 400 000 Sozialhilfeempfänger, die
Hilfe zur Arbeit bezogen.
Jetzt kommt der springende Punkt, den wir ändern
müssen. Wenn wir auf der einen Seite den Menschen ei-
nen Arbeitsplatz anbieten, ihnen Hilfe über Zuschüsse
zum Lohn oder zum Sozialversicherungsbeitrag anbieten,
dann ist es auch gerechtfertigt, meine Damen und Herren,
dass man eine Sanktion vorsieht, wenn der Hilfeempfän-
ger dieses Angebot ablehnt.
Deshalb sage ich eindeutig: Wir müssen unser Recht so
ändern, dass für jene Menschen, die arbeiten können, aber
nicht arbeiten wollen, die einen Arbeitsplatz angeboten
bekommen, die finanzielle Hilfe angeboten bekommen,
dies aber ablehnen, der Sozialhilfeanspruch total entfällt
und die Beweislast umgekehrt wird.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Horst Seehofer
18515
Der Hilfeempfänger hat zu beweisen, dass er sich um Ar-
beit bemüht hat, nicht das Arbeitsamt oder das Sozialamt,
dass er das nicht getan hat.
Herr Kollege
Seehofer, Sie liegen schon deutlich außerhalb der ange-
meldeten Redezeit.
Ich habe auch alles ge-
sagt, was ich sagen wollte, Herr Präsident. Herr Riester,
Sie schreiben in Ihrem eigenen Gesetzentwurf, je später
und je zögerlicher man auf dem Arbeitsmarkt handelt,
desto teurer wird es für alle Beteiligten.
Sie haben drei Jahre vertrödelt. Das, was Sie jetzt vorse-
hen, ist in der Richtung wieder falsch. Deshalb appelliere
ich an Sie, dass Sie jetzt eine Kurskorrektur vornehmen im
Interesse der Arbeitslosen.
Ich erteile das Wort
der Kollegin Thea Dückert vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Seehofer, Sie haben eben gesagt, Sie hätten
den Eindruck, der Minister habe ein erotisches Verhältnis
zu Paragraphen. Ich weiß zwar nicht, wozu Sie, Herr
Seehofer, ein erotisches Verhältnis haben. Ich weiß aber,
es kann gewiss nicht zur Realität bestehen.
Es ist schon erstaunlich, wie Sie an dieser Stelle versu-
chen, uns vergessen zu machen, was Sie uns hinterlassen
haben, nämlich 4 Millionen Arbeitslose. Das ist ein Teil
der Realität. Sie haben des Weiteren behauptet, wir hätten
in den letzten Jahren nichts anderes als Arbeitsplatzver-
nichtung betrieben. Herr Seehofer, ich möchte Ihnen nur
zwei Zahlen nennen: Seit 1999 gibt es 1,2 Millionen Be-
schäftigte mehr und die Zahl der Arbeitslosen ist um
460 000 zurückgegangen. Das macht doch eines deutlich,
selbst wenn man eine Milchmädchenrechnung aufmacht:
Die Zahl der Beschäftigten ist stärker gestiegen, als es
beispielsweise die demographische Entwicklung hätte
vermuten lassen. Wir haben in den letzten Jahren das ist
ein Riesenfortschritt erreicht, dass auch Menschen aus
der stillen Reserve, also diejenigen, die schon mutlos wa-
ren, neben dem Arbeitsmarkt standen, den Weg zurück in
den Arbeitsmarkt gefunden haben.
Der andere Punkt, der Ihr Verhältnis zur Realität als ein
Unverhältnis beschreibt, ist das, was Sie gerade zur Kri-
tik der Benchmarking-Gruppe gesagt haben. Die Daten-
basis, auf deren Grundlage die Benchmarking-Gruppe
ihre Kritik an der Arbeitsmarktpolitik formuliert hat, be-
zieht sich auf den Zeitraum von 1995 bis 1999. Wenn
ich mich richtig erinnere, dann hatten Sie in diesem Zeit-
raum noch etwas mit der Arbeitsmarktpolitik zu tun. Das,
was Sie hier vorgetragen haben, war also eher eine Selbst-
anklage. Sie müssen schon aufpassen, wenn Sie mit Ihrem
Zeigefinger auf jemanden zeigen; denn viele Finger zei-
gen auf Sie zurück.
Wir haben es in der Sozialpolitik mit großen Heraus-
forderungen zu tun, nicht nur mit der Bewältigung der Ver-
gangenheit und mit dem Berg an Arbeitslosen, den Sie uns
hinterlassen haben, sondern zum Beispiel auch mit der Be-
wältigung der Folgen der demographischen Entwicklung,
das heißt einer alternden Gesellschaft, in der es immer we-
niger junge Menschen gibt, und deren Auswirkungen auf
den Arbeitsmarkt. Das sind zwei zentrale Herausforderun-
gen. Es ist absolut klar die Bundesregierung hat das
schon deutlich gemacht , dass wir ohne Strukturreformen
die Probleme der demographischen Entwicklung und des
Arbeitsmarktes nicht bewältigen werden können. Wir wer-
den und müssen Strukturreformen machen.
An einer Stelle das hat der Minister schon vorhin vor-
getragen haben wir bereits einen sehr weiten Weg
zurückgelegt. Ich meine die Reform der Rentenversi-
cherung. Wir haben in diesem Jahr die kapitalgedeckte
Rentenversicherung eingeführt. Das ist ein Meilenstein
nicht nur für die zukünftige Stabilität des Altersvorsorge-
systems. Dieser Meilenstein macht auch deutlich, dass wir
mit unserer Politik mutig an die Wahrheiten und die Rea-
lität herangehen und den Mut zur Veränderung aufbringen.
Genau das haben wir in der Rentenpolitik gezeigt.
Die Riester-Rente zeichnet sich durch mehrere Ele-
mente aus: Sie hat für mehr Generationengerechtigkeit
gesorgt, weil wir mithilfe der Ökosteuer und der Struktur-
reformen die Beiträge in der Zukunft stabilisieren können.
Sie hat gleichzeitig mit dem Aufbau der privaten Vorsorge
das Fundament für etwas sehr Zentrales geschaffen, näm-
lich dafür, dass diejenigen Menschen in unserer Gesell-
schaft, die kleine Einkommen haben und die Schwierig-
keiten haben, eine eigene private Vorsorge für die Zukunft
aufzubauen, Hilfe bekommen. Dies ist ein Beispiel dafür,
wie man eine moderne Strukturreform sozial gerecht und
zukunftsorientiert gestalten kann.
Ich sage Ihnen eines: Mit der gleichen Entschlossen-
heit, die wir bei der Rentenreform an den Tag gelegt ha-
ben, gehen wir auch an die Herausforderung der Massen-
erwerbslosigkeit heran. Die Massenerwerbslosigkeit in
unserer Gesellschaft ist noch immer eine ungelöste Ge-
rechtigkeitsfrage. Das ist so, obwohl wir in den letzten
Jahren ich habe die Daten eben schon genannt durch
die Politik der Bundesregierung Steuerreform, Senkung
der Steuern und der Abgaben, Arbeitsmarktreform er-
reicht haben, dass die Arbeitslosigkeit bis zu diesem Som-
mer Monat für Monat in kleinen Schritten zurückgegan-
gen ist.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Horst Seehofer
18516
Wir haben es jetzt aufgrund weltpolitischer Zusam-
menhänge mit einer Stagnation zu tun. Wir ruhen uns in
dieser Situation nicht aus. Seit einem Jahr bereiten wir
sehr konzentriert das vor, was ich Strukturreform am
Arbeitsmarkt nenne, nämlich das Job-Aqtiv-Gesetz.
Sie sagen mini. Sie haben 16 Jahre lang regiert und
uns eine Arbeitsmarktpolitik hinterlassen, die völlig un-
flexibel war,
die Langzeitarbeitslosigkeit hat entstehen lassen, die
Frauen aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzt hat und die Ju-
gendarbeitslosigkeit wirklich zu einem Skandal hat wer-
den lassen.
Im Hinblick auf die Struktur der Arbeitslosigkeit, wie
wir sie vorgefunden haben, gibt es zwei zentrale Pro-
bleme.
Das erste Problem gleichzeitig das schlimmste ist
die Langzeitarbeitslosigkeit.
Aufgabe des Job-Aqtiv-Gesetzes ist es deswegen, den Ab-
bau der Langzeitarbeitslosigkeit in das Zentrum zu stellen.
Das zweite ebenfalls große Problem besteht darin,
dass sich die Arbeitsmärkte abschotten. Es gibt nicht nur
einen Arbeitsmarkt, sondern viele Arbeitsmärkte. Bei-
spielsweise bestehen für gering Qualifizierte, für Ältere
das ist übrigens eine Folge Ihrer Frühverrentungspoli-
tik und für Frauen große Hürden, in den Arbeitsmarkt zu
kommen. Das Ziel ist nicht nur, die Langzeitarbeitslosig-
keit abzubauen, sondern vor allen Dingen, für all die so-
eben genannten Gruppen die Integration in den ersten
Arbeitsmarkt ins Zentrum zu stellen.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang zunächst einmal
die Vermittlungstätigkeit. Herr Seehofer, es tut mir
furchtbar Leid: Sie sind nicht in der Lage, einen Unter-
schied zu machen zwischen Vereinbarungen zwischen Ar-
beitsämtern und Arbeitslosen, die in den Arbeitsmarkt
zurückgeführt werden sollen es geht um ganz konkrete
Pläne für zu erbringende Hilfen und Leistungen , und ei-
ner bürokratischen Hinterlassenschaft, nämlich der Mel-
depflicht. Ich weiß nicht, wovon Sie reden.
Wer nicht zwischen einer Hilfe für Arbeitslose, in den ers-
ten Arbeitsmarkt zurückzukommen, und Meldepflichten
unterscheiden kann, der sollte bei der Beurteilung des
Job-Aqtiv-Gesetzes ganz still sein.
Der Eingliederungsvertrag wird für die Arbeitsämter zur
Pflicht. Wenn sie das nicht leisten können, dann werden
die Maßnahmen zur Eingliederung an Dritte weitergege-
ben. Herr Niebel, Sie sollten lieber nicht so viel auf die
Vergangenheit verweisen; denn genau das, was wir jetzt
auf den Weg bringen und was beispielsweise in Nachbar-
ländern zu vielen Erfolgen geführt hat, haben Sie nicht ge-
leistet.
Sie haben uns Ungerechtigkeiten auf dem Arbeits-
markt hinterlassen. Ich sagte das schon im Hinblick auf
die Frauen. Auch diese Lücke werden wir schließen. Wir
wollen nicht, dass erwerbstätige Frauen auf dem Arbeits-
markt benachteiligt werden, weil sie ein Kind bekommen.
Vieles in diesem Gesetz wird zu einem Paradigmen-
wechsel in der Arbeitsmarktpolitik führen, zum Bei-
spiel beim Umgang mit Älteren, die am Arbeitsmarkt
durch entsprechende Qualifizierungen gehalten werden
sollen.
Ich sage Ihnen auch: Es gibt in der Arbeitsmarktpolitik
keinen Königsweg. Es gibt ganz unterschiedliche Pro-
blembereiche. Ich bin der Ansicht, dass wir eine Art Ar-
beitsmarktpolitik plus brauchen. Was die Beschäftigungs-
politik angeht, müssen wir im nächsten Jahr weitergehen;
deswegen haben wir in die Debatte neue Vorschläge ein-
gebracht.
Ein Vorschlag lautet, dafür zu sorgen, dass Sozialhil-
feempfänger über den bisherigen Freibetrag hinaus
jede zweite Mark, die sie dazuverdienen, behalten kön-
nen. Darin besteht eine Möglichkeit, für eine weitere
Gruppe wohlgemerkt, es geht um einen kleinen Teil der
Betroffenen, der heute sehr stark ausgegrenzt ist eine
Brücke in den Arbeitsmarkt zu bauen.
Sie rufen: Dann stimmen Sie uns doch zu! Das ist ja
wunderbar.
Was Sie in dem Bereich der aktiven Beschäftigungs-
politik vorschlagen in diesem Punkt gibt es nämlich
einen fundamentalen Unterschied , ist eine Kopplung
von Zuverdienstmöglichkeiten mit gleichzeitigem Kahl-
schlag in der Sozialhilfe.
Zum Beispiel hat Herr Merz im Frühjahr vorgeschlagen,
die Sozialhilfe ganz zu streichen. Herr Seehofer hat vor-
hin erneut davon gesprochen und hat sogar die Ausgabe
von Essenmarken angeführt.
Herr Koch hat an dieser Stelle den gleichen Vorschlag ge-
macht. Gleichzeitig beruhigt er uns, indem er sagt: Wer-
den Sie nicht unruhig! Wenn wir an die Sozialhilfe heran-
gehen, wird noch jeder ein Dach über dem Kopf haben
und nicht frieren müssen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Dr. Thea Dückert
18517
Das ist genau die Form der Arbeitsmarktpolitik, die
letzten Endes zum Ziel hat, die working poor einzu-
führen. Das wollen wir nicht.
Sie wollen den Niedriglohnsektor einführen. Das wollen
wir nicht.
Mit unseren Vorschlägen für zeitlich begrenzte Maßnah-
men im Bereich Sozialhilfe und für ausgewählte Perso-
nengruppen wollen wir die Möglichkeiten für den Ein-
stieg in den Arbeitsmarkt verbessern. Darüber wollen wir
reden.
Das Gleiche gilt für die Teilzeitmauer, die es zu über-
winden gilt. Was Sie in diesem Bereich vorschlagen, ist
eine Subventionierung von Lohnnebenkosten. Aber
gleichzeitig wollen Sie die Sozialversicherungspflicht
hinsichtlich der 630-Mark-Jobs abschaffen. Das heißt,
auch an dieser Stelle wollen Sie eine Kombination von zu-
sätzlichen Leistungen und weniger sozialer Sicherheit für
diejenigen, die sich in schwierigen Beschäftigungslagen
befinden. Wenn wir Ihren Vorschlägen folgen würden,
würden wir eine Vielzahl von sozial nicht abgesicherten
Arbeitsverhältnissen bekommen. Wir wollen aber errei-
chen, dass den Menschen in schwieriger Beschäftigungs-
situation der Weg in den Arbeitsmarkt erleichtert wird.
Es geht im Kern darum, in der Arbeitsmarktpolitik den
veränderten Bedingungen Rechnung zu tragen. Das heißt,
wir müssen die Flexibilisierung, die am Arbeitsmarkt
stattfindet, mit Hilfsangeboten für Arbeitslose begleiten.
Aber es geht auch darum, dieses auf dem Fundament der
sozialen Sicherung zu tun. Wir müssen also Flexibilisie-
rung und soziale Sicherheit verbinden. Was uns die Op-
position an verschiedenen Stellen vorschlägt, ist eine Fle-
xibilisierung ohne soziale Sicherheit. Das wollen wir
nicht.
Wir müssen die Arbeitsmarktpolitik und die Beschäfti-
gungspolitik in einen gesamtpolitischen Kontext einbet-
ten. Wir müssen den Weg weitergehen, den wir beschrit-
ten haben. Dazu gehört das möchte ich abschließend
betonen auch die Senkung der Lohnnebenkosten, die
ökonomisch geboten ist. In diesem Punkt schätze ich die
Situation anders ein als viele hier: Ich glaube, dass eine
Senkung auch im nächsten Jahr möglich sein wird, und
zwar ohne Neuverschuldung, ohne Steuererhöhungen und
ohne Streichung der Mittel für die aktive Arbeitsmarktpo-
litik, allein aufgrund eines zukünftig weiter entspannten
Arbeitsmarkts, einer Reduzierung der Langzeitarbeits-
losigkeit und der zusätzlichen Steigerungen bei den Löh-
nen. Wir können dann die sich in der Arbeitslosen-
versicherung ergebenden Spielräume nutzen. Wir sind der
Ansicht, dass diese Spielräume zu einer Entlastung der
Beitragszahlerinnen und Beitragszahler führen sollen.
Die Arbeitsmarktpolitik ist ein weites Feld. Wir haben
gerade mit den Reformen angefangen. Unsere Struktur-
reform, die wir vorgelegt haben, ist sehr wichtig. Ange-
sichts der hohen Arbeitslosigkeit, der Verfestigung der
Arbeitsmärkte und des Ausschlusses vieler Personengrup-
pen vom Arbeitsmarkt glaube ich, dass wir noch einen
Schritt weitergehen müssen und noch viel zu tun haben.
Ich danke Ihnen.
Ich erteile der Kolle-
gin Irmgard Schwaetzer, FDP-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal, Herr
Riester, möchte ich Ihnen im Namen der FDP-Fraktion
sehr herzlich zu Ihrem heutigen Geburtstag gratulieren.
Für den Haushalt, den Sie hier vorgelegt haben, kann
ich Ihnen leider keine Blumen überreichen. Er ist zwar mit
174 Milliarden DM der mit Abstand größte Einzelplan des
Bundeshaushaltes; er wächst auch sehr viel stärker als
der Gesamthaushalt, nämlich mit 2,5 Prozent gegenüber
1,6 Prozent. Aber wie kaum ein anderer Haushalt, der hier
in den letzten Jahren vorgelegt worden ist, basiert er auf
Wunschdenken und auf Fantasie.
Das will ich an ein paar Zahlen deutlich machen.
Sie gehen im Jahre 2002 von einer durchschnittlichen
Arbeitslosenzahl von 3,48 Millionen und einem Wirt-
schaftswachstum von 2,25 Prozent aus. Das war schon
vor den Terroranschlägen Illusion. Alle ernst zu nehmen-
den Wirtschaftsforschungsinstitute haben Ihnen gesagt,
dass die Arbeitslosenzahl im Jahresdurchschnitt 2002 bei
mindestens 3,8 Millionen liegen wird. Und nach der wirt-
schaftlichen Entwicklung, die jetzt eingetreten ist, sind
alle Aussagen zum Wirtschaftswachstum im Moment so-
wieso Spekulation. Deshalb werden Sie im nächsten Jahr
mit Mehrausgaben von mindestens 9 Milliarden DM über
dem Haushaltsansatz für die Bundesanstalt für Arbeit
rechnen müssen. Von daher frage ich Sie, Herr Riester:
Wollen Sie nun die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung
erhöhen, um das zu finanzieren? Oder wollen Sie, Herr
Eichel, zusätzliche Schulden machen? Oder wollen Sie
noch einmal die Steuern erhöhen? Die freudsche Fehlleis-
tung des Bundeskanzlers von gestern war ja schon sehr
eindrücklich: Er konnte gar nicht aufhören, davon zu spre-
chen, dass die Steuererhöhung vorgezogen werden sollte.
Wollen Sie das wirklich machen?
Zu einem, meine Damen und Herren, fehlt Ihnen of-
fensichtlich wirklich der Mut: Sie können nicht sparen.
Sie haben die Konsolidierung des Haushalts wirklich auf-
gegeben.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Dr. Thea Dückert
18518
Wer nicht einmal 3 Milliarden DM zusätzlich aus diesem
Haushalt herausholen kann
für die jetzt notwendig gewordenen zusätzlichen Ausga-
ben, der wird auch nicht in der Lage sein, den Haushalt zu
konsolidieren, um Arbeitslosigkeit tatsächlich abzubauen.
Es ist völlig klar: Sie, Herr Riester, haben in der Ar-
beitsmarktpolitik versagt. Sie werden Ihre Ziele nicht er-
reichen. Deshalb kann ich Ihnen nur sagen: Wachen Sie
auf!
Geben Sie endlich den Schmusekurs mit den Gewerk-
schaften auf. Er hat katastrophale Folgen für die Arbeits-
losen gehabt.
Sie haben seit drei Jahren eine umfassende Reform des
arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums angekündigt.
Herausgekommen ist ein Job-Aqtiv-Gesetz, das mehr
Probleme offen lässt, als es denn löst. Es gibt auch ein
paar positive Ansätze. Das will ich ausdrücklich sagen.
Dazu gehört zum Beispiel, dass Frauen durch Erzie-
hungszeiten einen Anspruch auf Arbeitslosengeld erwer-
ben. Aber trotz ein paar positiver Ansätze kann man das
Gesetz so zusammenfassen: Die Weiterbildungskosten
werden sozialisiert, die Sozialversicherung wird zusätz-
lich belastet und der zweite Arbeitsmarkt verfestigt. Ent-
gegen Ihren Behauptungen ist schon heute klar, dass die
Verbesserung des Wiedereinstiegs in den ersten Arbeits-
markt eben nicht erreicht werden wird. Dazu müssten Sie
andere Maßnahmen auflegen.
Ich kann Ihnen nur sagen, meine Damen und Herren: Wir
brauchen nicht mehr öffentlich geförderte Beschäftigung,
sondern Beitragssatzsenkungen, damit der erste Arbeits-
markt wieder in Schwung kommt.
Die Fülle der ungelösten Probleme, auf die Sie keine
Antwort haben, kann ich nur ganz kurz skizzieren. Es muss
aber trotzdem sein, damit Sie wissen, was wirklich noch
gemacht werden müsste, wenn Sie den Mut dazu hätten.
Erstens. Warum sind Sie nicht bereit, deutlichere öko-
nomische Anreize für die Rückkehr in das Erwerbsleben
und für mehr Eigenverantwortung der Arbeitslosen durch
eine Umgestaltung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu
setzen?
Wir haben vorgeschlagen, dass von jeder zusätzlich ver-
dienten Mark für eine begrenzte Zeit nur 50 Prozent auf
die Sozialleistungen angerechnet werden. Das wäre ein
richtiger ökonomischer Anreiz. Herr Seehofer, Sie haben
ja eben in die gleiche Richtung argumentiert; stimmen Sie
deshalb unserem Antrag zu.
Zweitens. Warum machen Sie Ihre Ankündigung nicht
wahr, die Arbeitslosenhilfe vollständig mit der Sozialhilfe
zu einem System mit einer Leistung, mit klaren Zustän-
digkeiten, mit eingleisigen Verfahren und schlankerer
Verwaltung zusammenzufassen? Sie finden unsere Vor-
schläge dazu in dem Antragspaket. Nehmen Sie sie end-
lich an. Sie haben drei Jahre vertan.
Drittens. Warum setzen Sie sich nicht für die Bildung
gemeinsamer Anlaufstellen für Arbeitslose und Sozialhil-
feempfänger ein, um die Vermittlung in den ersten Ar-
beitsmarkt zu verbessern und Doppelarbeiten zu vermei-
den? Hierdurch könnten Spielräume gewonnen werden
und es wäre nicht mehr notwendig, zu drei, vier oder fünf
verschiedenen Stellen zu laufen, sondern eine Stelle allein
wäre zuständig. Die Stadt Köln hat damit hervorragende
Erfolge erzielt. Ein entsprechender FDP-Vorschlag liegt
vor. Das, was in Köln in diesem Bereich getan wird, ginge
überall.
Viertens. Es gibt ein Gerechtigkeitsprinzip: Keine
Leistung ohne grundsätzliche Bereitschaft zur Gegenleis-
tung! Warum bringen Sie das nicht stärker zur Geltung?
Sie haben Angst davor. Aber wenn Sie die Beweislastum-
kehr so ändern würden, dass der Arbeitslose tatsächlich
nachweisen muss, aus welchem wichtigen Grund er eine
angebotene Stelle nicht annimmt, dann könnten Sie wirk-
lich davon sprechen, dass in Ihrem Job-Aqtiv-Gesetz ein
Ansatz zu mehr Beschäftigung enthalten ist. So, wie es
jetzt vorgesehen ist, können Sie das nicht.
Fünftens. Warum weigern Sie sich, arbeitsmarktpoli-
tische Maßnahmen auf ihre Effizienz zu überprüfen?
Die Strukturanpassungsmaßnahmen und die ABM för-
dern in großen Bereichen Mitnahmeeffekte und gehören
deswegen auf den Prüfstand. Tun Sie das endlich!
Im Gegenteil!
Sechstens. Sie weiten durch Arbeitsbeschaffungsmaß-
nahmen und Strukturanpassungsmaßnahmen die öffent-
lich subventionierte, unfaire Konkurrenz für mittelständi-
sche Unternehmen und Existenzgründer sogar noch aus,
obwohl Sie wissen, dass dies die geringsten Wiederein-
gliederungserfolge überhaupt hat. Ich frage Sie: Warum
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Dr. Irmgard Schwaetzer
18519
wollen Sie das jetzt mit diesem Job-Aqtiv-Gesetz weiter
ausbauen? Dies ist ein ungeeignetes Mittel.
Siebtens. Warum erkennen Sie nicht an, dass für die
meisten Arbeitnehmer ein geringerer Lohn im Zweifels-
fall günstiger ist, als ihren Arbeitsplatz zu verlieren?
Das wären echte strukturelle Reformen. Sie versagen in
der Arbeitsmarktpolitik. Für die Arbeitslosen ist das be-
dauerlich.
Lassen Sie mich zum Schluss noch eine Bemerkung
zur Entwicklung der Rentenversicherung machen: Sie
haben in den letzten drei Jahren die Finanzierung der Ren-
tenversicherung durch Steuern deutlich in die Höhe ge-
schraubt, und zwar auf insgesamt über 30 Prozent der Ge-
samtausgaben.
Sie haben die Beitragssätze nicht wirklich gesenkt; dazu
hätten Sie Strukturreformen durchführen müssen. Sie ha-
ben die Notwendigkeit von Strukturreformen vielmehr
verschleiert, indem Sie die Finanzierung der Rentenversi-
cherung durch Steuern erhöht haben.
Sie haben so viele Millionen D-Mark für Fehldrucke,
Falschinformationen und falsche Kampagnen verschleu-
dert, dass es dringend erforderlich ist, Ihnen einen großen
Teil dieses Etats zu streichen.
Herr Riester, ziehen Sie diesen Haushalt zurück! Er ist
Makulatur. Haben Sie den Mut zum Neuanfang!
Danke.
Ich erteile dem Kolle-
gen Klaus Grehn, PDS-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Während der Diskussion, die
hier in den letzten Beiträgen über die Zahl der Arbeits-
losen geführt worden ist, habe ich mich gefragt: Was hilft
das den Arbeitslosen? Wir haben zurzeit offiziell über
3,7 Millionen Arbeitslose. Es geht darum, diesen Men-
schen zu helfen, sich nicht gegenseitig die Schuld zuzu-
schieben und Antworten darauf zu finden, was man tun
muss.
Wenn Sie dies aber nicht tun und sich stattdessen mit Zah-
len bombardieren, dann muss man sagen: Das Problem
auf dem Arbeitsmarkt ist wesentlich größer, als es in den
Zahlen der Arbeitslosen sichtbar wird.
Herr Riester, wenn Sie von Arbeitslosigkeit sprechen,
dann betrachten Sie doch einmal, welche Situation im Be-
reich der prekären Beschäftigung besteht: Mir vorlie-
gende aktuelle Zahlen besagen, dass zum Beispiel die
Zahl der Teilzeitarbeiter von 4,1 auf 7,7 Millionen ange-
stiegen ist und das bei Senkung der durchschnittlichen
Arbeitszeit der Teilzeitbeschäftigten. Ich sage das auch
deshalb, weil der ursprünglich in Ihrem Job-Aqtiv-Gesetz
anvisierte Ansatz darin lag, unterwertige Beschäftigung
zu vermeiden.
Unterwertige Beschäftigung ist zum großen Teil der Tat-
sache geschuldet, dass es keine Vollzeitarbeitsplätze gibt.
Es gibt ein Defizit an Arbeitszeit auf dem Arbeitsmarkt;
dem haben wir uns zu stellen. Letztlich sind die Leidtra-
genden dessen die Kommunen, weil in diesem Bereich sehr
wesentlich ergänzende Sozialhilfe gezahlt wird.
Ich habe das, was Sie vorgelegt haben, und auch Ihre
Rede, Herr Minister, mit dem im Vorjahr Dargelegten ver-
glichen und habe mich an die Auseinandersetzungen, Herr
Andres, die wir über den Zuschuss zur Bundesanstalt für
Arbeit geführt haben, erinnert. Sie haben betont, dass Sie
sich nicht auf Spekulationen einlassen. Wir hatten Ihnen
damals gesagt, die Zahl der Arbeitslosen werde um über
100 000 höher sein, als Sie sie eingeschätzt haben. Dies-
mal sagen wir: Sie wird um über 300 000 höher sein, als
Sie sie in Ansatz gebracht haben.
Sie haben ein zweites Mal verkündet, Herr Minister,
dass die Bundesanstalt fürArbeit nun das erste Mal wie-
der ohne einen Zuschuss auskommen werde. Dies wird
nicht der Fall sein. Sie werden irgendwann wieder ent-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Dr. Irmgard Schwaetzer
18520
scheiden müssen, einen Zuschuss zu zahlen, auch ange-
sichts der Tatsache, dass Sie im Moment sicher darüber
nachdenken, wie Sie das weitere Defizit der Bundesan-
stalt für Arbeit ausgleichen können. Die vorgesehenen
1,2 Milliarden DM reichen ja nicht, Sie werden mindes-
tens weitere 2 Milliarden DM drauflegen müssen.
Sie haben in der Vergangenheit immer wieder gesagt,
Sie wollten die Arbeitsmarktpolitik auf hohem Niveau
verfestigen. Sie haben sich diesem Ziel auch mit dem
Haushalt gewidmet. Ich muss dabei anerkennen, dass der
Haushalt trotz der Sparpolitik gleich geblieben und nicht
gesenkt worden ist. Aber, meine Damen und Herren, es
sind in den letzten Monaten allein in den neuen Bundes-
ländern über 50 000 Menschen weniger im zweiten
Arbeitsmarkt beschäftigt, als anvisiert waren. Das Geld,
das Sie im kommenden Haushaltsjahr für den zweiten Ar-
beitsmarkt vorsehen, wird zum großen Teil eingesetzt, um
Arbeitslosigkeit zu verhindern. Dagegen hat ja niemand
etwas. Aber wenn Sie beispielsweise Löhne von Arbeit-
nehmern, die von Arbeitslosigkeit gefährdet sind, aus
Versicherungsmitteln fördern, geht dies den Arbeitslosen
verloren. Das muss man mit allem Nachdruck sagen.
Dem kann man nicht zustimmen.
Fragen Sie einmal bei den Arbeitsämtern nach, Frau
Nahles. Die Arbeitsämter, die Vermittler erzählen Ihnen,
dass die Unternehmen so lange Leute einstellen, die ge-
fördert werden, wie sie Fördermittel erhalten. Danach
werden sie entlassen. Das sagen Ihnen die Arbeitsämter,
nicht etwa die PDS-Fraktion. Das sind die Mitnahmeef-
fekte. Diese Mitnahmeeffekte werden jetzt noch einmal
gestärkt.
Ein weiteres Problem: Es ist völlig akzeptabel, Herr
Minister, dass Sie die über 50-Jährigen erwähnen. Sie
gehören neben den Jugendlichen zu der Gruppe, die am
meisten betroffen ist. Wenn Sie jetzt die Qualifizierung
der Menschen über 50 fördern wollen, müssen Sie einmal
sagen, wen Sie eigentlich durch die vorbeugende Arbeits-
marktpolitik tatsächlich fördern. Vermeldet ist, dass
60 Prozent der Unternehmen zurzeit keine über 50-Jähri-
gen mehr beschäftigt haben.
Wir brauchen also Anreize, die sich darauf konzentrie-
ren, dass Arbeitsplätze geschaffen werden. Wir brauchen
keine Maßnahmen das sage ich auch in Richtung von
Frau Schwaetzer , die sich darauf richten, mit weiterer
Schärfe gegen die Arbeitslosen vorzugehen.
Ich halte dies für den Grundfehler in dem gesamten An-
satz. Ich verhehle nicht, dass es arbeitsunwillige Men-
schen gibt. Aber auch von den Arbeitenden laufen nicht
alle Schweiß abwischend durch die Gänge. Widmen Sie
sich denen, die arbeiten wollen und arbeiten können, und
schaffen Sie für sie Möglichkeiten. Diese Möglichkeiten
werden nicht dadurch gestärkt, dass Sie weitere Maßnah-
men einleiten, die den Druck erhöhen, die Privatisierun-
gen vorsehen oder Sperrfristen einführen. Es ist ein Irr-
tum, zu glauben, man bekomme die Arbeitslosen dadurch
in Arbeit. Wo keine Arbeitsplätze sind, können Sie Druck
ausüben, womit Sie wollen. Wo nichts ist, hat der Kaiser
sein Recht verloren. Einem nackten Mann kann man nicht
in die Tasche greifen. Schaffen Sie also Arbeitsplätze,
dann bringen Sie Menschen in Arbeit.
Ich erteile dem Kolle-
gen Franz Thönnes, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Es ist ein schöner Tag für
Walter Riester, weil er heute ein Jahr älter wird. Herzli-
chen Glückwunsch auch im Namen der SPD-Fraktion. Es
ist auch ein schöner Tag, weil wir ein gutes Gesetz in den
Deutschen Bundestag einbringen, das Job-Aqtiv-Gesetz.
Mich wundert es schon, mit welcher Unverfrorenheit
Herr Seehofer sich heute Morgen hier hingestellt hat. Sie
waren damals Kabinettsmitglied die FDP stand auch in
der Regierungsverantwortung und wollen uns heute
weismachen, wie unwirksam ABM und SAM angeblich
sind.
Ich nenne Ihnen vier Zahlen, damit Sie sich auch wie-
der an Ihre Vergangenheit erinnern: Im Januar 1998 gab
es 131 000 Menschen, die in einer ABM waren, im
August 1998 waren es 262 000. Im Januar 1998 gab
104 000 Menschen, die in einer SAM waren, im Au-
gust 1998 waren es 205 000. Es gibt keinen besseren Be-
leg dafür, dass Sie diese Menschen einzig und allein aus
Wahlkampfgründen eingestellt haben.
Sie stellen sich heute hier hin und singen das Hohelied,
wie wichtig es Ihnen sei, sich um die Menschen zu küm-
mern, die Sozialhilfe empfangen. Auch dazu will ich Ih-
nen einige Zahlen nennen. 1995 stieg die Zahl der
Sozialhilfeempfänger um 258 000,
1996 um 173 000 und 1997 um 204 000. Seit dem Regie-
rungswechsel im Jahre 1998 ist die Zahl sukzessive um
14 000, 87 000 und 102 000 gesunken. Die Beschäfti-
gungsquote ist um 38 Prozent gestiegen. Das war nach
dem Regierungswechsel und ist ein Ergebnis unserer Poli-
tik.
Es ist deswegen völlig klar, dass es für uns überhaupt
keinen Grund gibt, von diesem Kurs einer geradlinig auf
Ziele ausgerichteten Arbeitsmarktpolitik abzuweichen.
Wir halten weiterhin am Abbau der Arbeitslosigkeit fest.
Wir wollen mehr Qualifikation als Prävention vor dem
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Dr. Klaus Grehn
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Jobverlust und eine effektive Nutzung der finanziellen
und personellen Ressourcen in der Arbeitsmarktför-
derung.
Ich glaube, dass die arbeitsmarktpolitischen Instru-
mente mit dem Job-Aqtiv-Gesetz optimiert werden. Wir
bauen jetzt neue und bessere Brücken in die Beschäfti-
gung, damit die Menschen schnell Arbeit finden. Die
Vermittlung wird beschleunigt, Qualifikation wird als
Prävention in den Vordergrund gestellt und die Arbeits-
marktpolitik wird entbürokratisiert.
Ihre Politik des Kürzens und überzogenen Kontrollierens
ist gescheitert. Jetzt kommt es darauf an, zu fördern und
zu fordern. Das machen wir mit unserem Gesetz.
Das Beste an diesem Gesetz ist, dass damit die Voraus-
setzungen für eine schnelle Vermittlung von Menschen in
Arbeit geschaffen werden. Wenn es allein gelingt, die Ver-
weildauer in der Arbeitslosigkeit um eine Woche zu ver-
kürzen, ergibt sich ein eingesparter Betrag von 2 Milliar-
den DM, den wir für die aktive Arbeitsmarktpolitik
einsetzen können. Genau das ist unser Ziel. Wir werden
wie es die Benchmarking-Gruppe empfiehlt, Herr Kol-
lege Seehofer Eingliederungsvereinbarungen zu ei-
nem integralen Bestandteil des Vermittlungsprozesses
machen, damit für beide Seiten für die Menschen, die
Arbeit suchen, und für diejenigen, die Arbeit vermitteln
die Pflichten und die einzelnen Aktivitäten vernünftig
aufgelistet werden und damit im Zweifel auch da, wo es
notwendig ist sanktioniert werden kann.
Wir stellen Menschen, die Arbeit suchen, nicht unter
den Generalverdacht, dass sie eigentlich gar keine Arbeit
wollten, sodass sie von morgens bis abends zu kontrollie-
ren seien. Das wird mit uns nicht zu machen sein.
Der wichtigste Punkt ihn muss ich erwähnen, weil
der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU gestern danach
gefragt hat, was das Q im Job Aqtiv zu bedeuten habe; es
hat nichts mit Sahne, Milch oder Käse zu tun
ist, dass es um Qualifikation geht. Es ist notwendig, dies
zu erwähnen. Wir haben nämlich heute Morgen an Ihren
Zwischenfragen gemerkt, dass sich diese Sitzung zu ei-
nem Weiterbildungsseminar für die CDU/CSU gewandelt
hat.
Qualifikation ist die wesentliche Voraussetzung für die
Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und am Leben in
der Arbeitswelt. Deswegen werden wir die Jobrotation als
Regelinstrument in die aktive Arbeitsmarktpolitik ein-
führen. Von der Jobrotation haben eigentlich alle Vorteile;
es gibt nur Gewinner: Die Unternehmen heben ihr be-
triebliches Qualifikationsniveau, stärken ihre Wettbe-
werbsfähigkeit und wirken einem Fachkräftemangel ent-
gegen. Die Beschäftigten erhöhen ihre individuelle
Qualifikation und ihre Wertigkeit auf dem Arbeitsmarkt.
Die Stellvertreter haben die Möglichkeit, erneute Berufs-
praxis zu gewinnen und wieder am gesellschaftlichen Le-
ben teilzunehmen. Auch für die Arbeitsämter rechnet sich
dies, denn wir wissen aus den Erfahrungen in Dänemark
und auch aus den Modellprojekten in Deutschland:
60 Prozent der Stellvertreter finden anschließend einen
Job im ersten Arbeitsmarkt, was unser wichtigstes Ziel ist.
Deswegen wird Jobrotation eine erfolgreiche Brücke aus
der Arbeitslosigkeit in die Beschäftigung sein.
Aber man muss auch deutlich sagen: Wir wissen, wenn
wir dies fördern wir wollen das Stellvertretergehalt zu
50 bis 100 Prozent fördern, damit es für das Unternehmen
und für den Beschäftigten attraktiv wird , ganz genau, dass
es ein komplexes Instrument ist. Es bedarf eines genauen
Personalmanagements von Serviceagenturen, der betriebli-
chen Akteure, derjenigen, die daran teilhaben. So kann man
im doppelten Sinne sagen: Jobrotation macht Arbeit.
Kollege Grehn hat nach Maßnahmen für die älteren
Arbeitnehmer gefragt. Uns sind die älteren Arbeitneh-
mer in diesem Land viel wert. Ich konnte nie verstehen,
warum in den letzten Jahren ein Prozess eingesetzt hat, bei
dem der Ältere den Eindruck haben muss, dass er in un-
serem Wirtschaftssystem zum alten Eisen gehört. Das war
eine unsinnige Vergeudung von Ressourcen.
Wir sind auf diese Menschen angewiesen und wir müssen
ihnen helfen, ihr Qualifikationsniveau hoch zu halten.
Deswegen werden wir die älteren Beschäftigten fördern.
Wie es das Bündnis für Arbeit verabredet hat, wird die Ar-
beitsverwaltung die Kosten für die Weiterbildung über-
nehmen.
Letzten Endes geht es auch um die vielen an- und un-
gelernten Arbeitnehmer. Es geht um diejenigen, die
keine Abschlüsse haben. Man kann darüber streiten, wer
die Maßnahmen finanziert, aber wenn die Betriebe es
nicht tun, ist die Allgemeinheit gefordert, hier zu fördern.
Dies wird die Arbeitsverwaltung machen. An- und unge-
lernte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden in
Zukunft gefördert, wenn es darum geht, aus den Betrieben
heraus in eine Weiterbildungsmaßnahme zu gehen.
Wenn wir diese Qualifikationsoffensive um die Mög-
lichkeiten ergänzen, die das Betriebsverfassungsgesetz in
den §§ 96 und 97
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
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den Betriebsparteien beiderseitig zur Förderung der Qua-
lifikation der Beschäftigten gibt, wenn wir also dies mit
den Fördermöglichkeiten der Arbeitsverwaltung zusam-
menbringen, entsteht daraus da bin ich mir ganz sicher
eine gute Dynamik im Bildungsmarkt und im Beschäfti-
gungssystem.
Am Ende werden wir dann alle Gewinner sein.
Einfach, fair und maßgeschneidert, fördern und for-
dern das steht für Fairplay auf dem Arbeitsmarkt. Dafür
steht unser Job-Aqtiv-Gesetz.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Karl-Josef Laumann, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Drei Jahre nach dem
Amtsantritt dieser Bundesregierung und ein Jahr vor der
Bundestagswahl haben wir in der Sozialpolitik in
Deutschland eine Besorgnis erregende Situation.
Gehen wir zum ersten Thema, der Rente: Herr Riester,
Ihr neues Rentengesetz steht gerade einige Wochen im
Bundesgesetzblatt und schon stimmt es nicht. Wir werden
nämlich im Januar erleben, dass Sie die Ökosteuer um
weitere 6,5 Pfennige erhöhen Stichwort Tanken für die
Rente. Aber wir werden im Januar zum ersten Mal das
steht heute schon fest trotz Erhöhung der Ökosteuer den
Rentenversicherungsbeitrag nicht senken können.
Damit ist ein wesentlicher Aspekt Ihres Gesetzes, nämlich
die Beiträge durch die Ökosteuer abzusenken, und Ihre
ganze Idee, die Ökosteuer zu erhöhen, um die menschli-
che Arbeit billiger zu machen, gescheitert.
Hier stehen Sie vor den Scherben Ihrer eigenen Politik.
Dies liegt daran, dass Sie während der gesamten Ren-
tenreformen mit den Zahlen getäuscht und getrickst ha-
ben. Immer dann, wenn Geld fehlte, erhöhten Sie zum
Beispiel ein bisschen die Zuwanderung, damit die Rech-
nung mit dem Rechenschieber wieder stimmte. Eine sol-
che Politik steht auf kurzen Beinen und wird deswegen
auch nicht weit kommen.
Die Menschen verstehen, dass die Rentenreform bei
der Förderung der privaten Vorsorge zu kompliziert, zu
bürokratisch ist und an ihren Bedürfnissen Stichwort
Eigenheimförderung vorbeigeht. Zudem wirft sie
schlechte Renditen ab; denn Sie können in allen Fach-
zeitschriften der Lebensversicherer lesen, wie schlecht
die Renditen für die Riester-Rente sein werden, wenn sie
Ihre Zertifizierungskriterien erfüllen. Sie werden auch mit
dieser Sache eine Bauchlandung machen.
Nehmen wir den Arbeitsmarkt. Dass Sie die Arbeits-
losigkeit nicht senken konnten, das weiß in Deutschland
mittlerweile jedes Schulkind.
Dass der Arbeitsmarkt in Deutschland nicht in Ordnung
ist, hat sich mittlerweile ebenfalls herumgesprochen. Die
Faulenzerdebatte ist vom SPD-Bundeskanzler losgetreten
worden, nicht von der CDU/CSU.
Ihr Verteidigungsminister hat sich je, wenn er zwischen
Swimmingpool und Bundeswehr Zeit hatte, ebenfalls
dazu geäußert.
Jetzt schauen wir uns einmal objektiv die Zahlen an.
Die Bundesanstalt für Arbeit hat die Zahl von 1,6 Milli-
onen offenen Stellen genannt. Davon sollen nach Aus-
kunft der Bundesanstalt für Arbeit etwa 600 000 Stellen
für ungelernte Arbeitskräfte sein. Wir alle wissen, dass
50 Prozent der Langzeitarbeitslosen in Deutschland ohne
Berufsausbildung sind. Die Arbeitsämter erklären uns je-
doch immer wieder, dass Saisonarbeiter aus Osteuropa zu
uns kommen müssen, um Arbeiten zu verrichten, die kein
Deutscher tun will. Hier besteht offensichtlich ein Pro-
blem. Dies hat es auch zu unserer Regierungszeit gege-
ben, aber heute besteht es weiterhin.
Die Sozial- und Arbeitslosenhilfe wirkt wie eine Lohn-
grenze. Deswegen finden wir keine Arbeitslosen, die un-
gelernte Jobs annehmen wollen. Das ist offenkundig. Das
können wir uns in Zukunft nicht mehr erlauben.
Deswegen ist unser Vorschlag Horst Seehofer hat es hier
erklärt , vor allen Dingen die unteren Lohngruppen at-
traktiver zu machen, indem wir die Spanne zwischen
Brutto- und Nettolohn zugunsten des Nettolohns verklei-
nern, richtig.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Franz Thönnes
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Ich will ein Beispiel nennen: Wenn jemand dieses
Problem gilt auch für Berlin: die Stadt steht beim Ar-
beitsmarkt unter großem Druck für 10 DM in der Stunde
arbeitet, dann bekommt er brutto 1 680 DM. Die Degres-
sion bei der Steuer und der Freibetrag sind nicht das Pro-
blem. Aber für die Sozialversicherung gehen 336 DM ab.
Dann bleiben ihm noch 1 344 DM. In vielen Fällen kann
er es kommt auf seine familiäre Situation an genauso
gut Stütze beziehen, anstatt diese Arbeit zu verrichten.
Deswegen müssen wir hier etwas ändern, egal ob
Kombilohn oder degressive Gestaltung der Sozialversi-
cherungsbeiträge, um den Anreiz zur Aufnahme einer Ar-
beit durch einen besseren Nettolohn zu erhöhen.
Auf dieses Strukturproblem geben Sie mit Ihrem Job-
Aqtiv-Gesetz überhaupt keine Antwort.
Sie versuchen mit den Mitteln der Administration, das
Problem auf dem Arbeitsmarkt zu lösen. Ich sage Ihnen:
Dieses Gesetz wird außer vielen Reden und heißem
Dampf auf dem Arbeitsmarkt am Ende nichts bewegen.
Verwirklichen Sie mit uns unsere Vorschläge zum
Kombilohn und zur degressiven Gestaltung der Sozial-
versicherungsbeiträge. Ich freue mich, dass die FDP un-
sere Idee, im Sozialhilferecht die Beweislast umzukehren,
in ihrem Antrag aufgegriffen hat.
Langsam kommen wir voran. Machen Sie mit, dann wer-
den wir einiges erreichen!
Jetzt komme ich zum Arbeitsrecht. Die SPD hat zu ver-
schiedenen Instrumenten ein völlig gestörtes Verhältnis.
Gestern Abend habe ich im Parteiprogramm der SPD ge-
blättert, das Sie 1990 verabschiedet haben.
Darin steht der Satz: Zeitarbeit muss verboten werden.
Es ist die gültige Beschlusslage der Sozialdemokratischen
Partei Deutschlands, dass man Zeitarbeit verbieten muss.
Wie ist die Lage? Wir wissen genau, dass die Zeitarbeit
für viele eine gute Brücke in den ersten Arbeitsmarkt ist.
Wir haben 1999 einen Gesetzentwurf eingebracht, das
AÜG teilweise einzuschränken, um die Zeitarbeit in
Deutschland auf eine breitere Grundlage zu stellen. Die-
sen Entwurf haben Sie abgelehnt. Jetzt machen Sie im
Job-Aqtiv-Gesetz einen halbherzigen Vorschlag in diese
Richtung. Ich kann nicht begreifen, warum auf der einen
Seite die Verleihdauer verlängert wird und auf der ande-
ren Seite nach zwölf Monaten für den Zeitarbeitnehmer
die Standards des Entleihbetriebes gelten sollen. Damit
werden Sie meiner Meinung nach in diesem Bereich
überhaupt nichts bewegen.
Wahr ist auch, dass Sie mit dem Betriebsverfassungs-
gesetz ein falsches Zeichen gesetzt haben. Lassen Sie uns
über dieses Thema in aller Ruhe reden. Es ist nicht gelun-
gen, im Betriebsverfassungsgesetz eine Regelung zu ver-
ankern, die die Betriebsvertragsparteien dazu verpflichtet,
unter besonderer Berücksichtung der individuellen Be-
schäftigungsaussichten das Element der Beschäftigunssi-
cherung mit im Auge zu haben. Das ist ein schwerer Feh-
ler. Wir brauchen stärkere betriebliche Bündnisse und
Flexibilität, um Beschäftigung zu sichern. Daran führt
kein Weg vorbei.
Wir brauchen auch keine größeren Betriebsräte. Die
mit Ihrer Mehrheit beschlossene gesetzliche Regelung
wird den Mittelstand nicht gerade dazu veranlassen, mehr
Arbeitnehmer einzustellen. Sie wissen auch, dass von
praktizierenden Betriebsräten, bevor Sie die Diskussion
über dieses Thema losgetreten haben, so gut wie nie der
Wunsch nach größeren Gremien geäußert wurde.
Ich möchte Ihnen sagen: Nutzen Sie die Beratungen
und Anhörungen über das Job-Aqtiv-Gesetz zu einer
grundsätzlichen Auseinandersetzung mit uns und der Wis-
senschaft über die Arbeitsmarktpolitik der Zukunft, wie
wir sie in einem modernen Industriestaat, der sich immer
mehr zu einer Dienstleistungsgesellschaft entwickelt,
brauchen.
Der Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit ist unter-
finanziert; das weiß jeder. Ich frage mich, was kommen
wird. Nachdem Sie Tanken für die Rente durchgesetzt
haben und jetzt dabei sind, Rauchen für die innere Si-
cherheit einzuführen, warte ich darauf, welchen genialen
Vorschlag Sie machen werden, um die Arbeitslosenversi-
cherung mit einem Bundeszuschuss auszustatten. Wir
werden sicherlich noch Trinken für den Arbeitsmarkt
erleben.
Schönen Dank.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich unterbreche die Sitzung für die Frakti-
onssitzungen für circa eine Stunde. Der Wiederbeginn der
Sitzung wird durch Klingelzeichen bekannt gegeben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Karl-Josef Laumann
18524
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige
Tagesordnung um folgenden Zusatzpunkt 6 zu erweitern:
ZP 6 Beratung des Antrags der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an dem NATO-geführten Einsatz auf mazedoni-
schem Territorium zum Schutz von Beobachtern
internationaler Organisationen im Rahmen der
weiteren Implementierung des politischen Rah-
menabkommens vom 13. August 2001 auf der
Grundlage der Einladung des mazedonischen
Präsidenten Trajkovski vom 18. September 2001
und der Resolution Nr. 1371(2001) des Sicher-
heitsrats der Vereinten Nationen vom 26. Sep-
tember 2001
Drucksache 14/6970
Sind Sie damit einverstanden? Ich sehe, das ist der
Fall.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Antrag auf
Drucksache 14/6970 jetzt ohne Aussprache zur feder-
führenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuss und
zur Mitberatung an den Rechtsausschuss, den Ver-
teidigungsausschuss, den Ausschuss für Menschenrechte
und humanitäre Hilfe, den Ausschuss für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung, den Ausschuss für die
Angelegenheiten der Europäischen Union und an den
Haushaltsausschuss, mitberatend und gemäß § 96 der Ge-
schäftsordnung, zu überweisen. Gibt es dazu anderwei-
tige Vorschläge? Das ist offensichtlich nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Die abschließende Beratung mit namentlicher Abstim-
mung ist für heute Nachmittag vorgesehen.
Wir setzen jetzt unmittelbar die Haushaltsberatungen
fort.
Die drei restlichen Reden zum Einzelplan 11, Bun-
desministerium für Arbeit und Sozialordnung, der Kolle-
gin Andrea Nahles und der Kollegen Günter Nooke und
Klaus Brandner werden zu Protokoll gegeben.1) Ich
sehe Einverständnis im gesamten Hause.
Wir kommen jetzt zur Debatte über den Einzelplan 9.
Zur Einführung in diesen Einzelplan erteile ich dem
Bundeswirtschaftsminister Dr. Werner Müller das Wort.
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Vor dem auch heute letztlich noch unfassbaren
Terroranschlag des 11. September in den USA habe ich
wiederholt gesagt, dass wir mit Optimismus und Zuver-
sicht in die wirtschaftliche Zukunft blicken können und
das nicht grundlos: Der Export, bereits letztes Jahr um
16 Prozent gewachsen, legt in diesem Jahr nochmals um
8 bis 10 Prozent zu. Die deutsche Automobilindustrie
kündigte ein Umsatzwachstum in der Größenordnung von
50 Milliarden DM an, also weit mehr als 10 Prozent. Das
bestellte Inseratenaufkommen für die Monate November
und Dezember ist deutlich gestiegen. Der Ifo-Stimmungs-
test liefert wieder leicht bessere Werte. Die Internationale
Funkausstellung schloss mit einem unerwartet hohen
Bestellvolumen. Statt weiterer solcher positiven Meldun-
gen zitiere ich den DIHK-Präsidenten Herrn Braun: Die
Lage ist besser als die Stimmung.
Die gesamtwirtschaftlichen Rahmendaten sind
ebenfalls nicht ungünstig. Die Inflationsrate sinkt deutlich
und wird bis Ende Dezember eine Eins vor dem Komma
haben. Die Steuerreform entfaltet ihre Wirkung. Monat-
lich werden die Personenunternehmen von rund 1 Mil-
liarde DM Steuerbelastung befreit,
die privaten Haushalte von rund 2 Milliarden DM Steuer-
belastung monatlich. Die Energiepreise, namentlich die
Benzinpreise, sind gegenüber den Rekordpreisen des
Frühjahrs gesunken. Ich erwarte, dass die heutigen, sehr
niedrigen Rohölkosten an die Verbraucher weitergegeben
werden. Die Investitionen aus dem Ausland entwickeln
sich erfreulich. Kurz und gut: Es hat genügend Gründe ge-
geben, die Stimmung für Konsum und Investitionen nach
der Wachstumsschwäche des zweiten und dritten Quar-
tals, auf die ich ja frühzeitig hingewiesen hatte, wieder zu-
versichtlich zu sehen.
Dann kam der 11. September. In welcher Gesellschaft
würden wir leben, wenn nicht tiefe Betroffenheit, Sorgen,
auch Angst die Gemüter der Menschen bewegen würden?
Dieses im Sinn möchte ich zwei Dinge sagen dürfen: Ers-
tens. Die wirtschaftliche Zukunft hängt entscheidend
auch davon ab, wie wir über sie reden.
Zweitens. Pessimismus und Zukunftsangst dürfen nicht
die Oberhand gewinnen.
Ich war in dieser Woche in der Absicht beim BDI-Prä-
sidium, über diese zwei Punkte zu sprechen. Ich hörte
nach diesem Gespräch, man habe im BDI-Präsidium er-
wartet, ich würde ein Programm zur Vorverlegung der
Steuerreform, zur Abschaffung der Ökosteuer, zur Er-
leichterung des Kündigungsschutzes und zur Abschaf-
fung des Betriebsverfassungsgesetzes verkünden.
Meine Damen und Herren, der 11. September wirft ge-
wiss viele Fragen auf, aber nicht die Frage der Erleichte-
rung des Kündigungsschutzes.
Bezüglich des Themas Regulierung des Arbeits-
marktes habe ich übrigens mit Herrn Riester bereits vor
dem 11. September besprochen, dass wir hierzu einen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Vizepräsidentin Petra Bläss
18525
1) Anlage 9
Dialog mit der Wirtschaft beginnen wollen. Ausgangs-
punkt sind einerseits Forderungen der Wirtschaft und an-
dererseits die Tatsache, dass vieles davon bereits gesetz-
lich geregelt bzw. tarifvertraglich möglich ist. Mit
anderen Worten: Wir, die Wirtschaft und die Politik, müs-
sen die Frage erörtern, warum so viele wichtige arbeits-
rechtliche und tarifvertragliche Möglichkeiten, die zu
größerer Flexibilität führen, nicht wahrgenommen wer-
den.
Der 11. September 2001 stellt gewiss nicht die Frage
der Rückkehr zu einem ausufernden Schuldenstaat. Ich
will Ihnen ein Beispiel dafür nennen, welche Fragen der
11. September tatsächlich stellt: Ist es noch richtig, wenn
bei investiven Maßnahmen im Rahmen von Genehmi-
gungsverfahren dies schließt auch die Auslegung und
die öffentliche Erörterung ein sämtliche sensiblen De-
tails der Produktionsanlagen allgemein bekannt gemacht
werden? Ich möchte das hier nicht vertiefen, sondern
nochmals betonen: Die Grundsätze einer soliden Haus-
halts- und Finanzpolitik werden durch den 11. September
nicht infrage gestellt.
Zu dieser Politik leistet mein Haushalt einen wesentli-
chen Beitrag. Wie allgemein bekannt, gibt es wohl kaum je-
manden, der nicht den Abbau von Subventionen fordert.
Zu Anfang meiner Amtszeit habe ich gesagt, dass ich diese
Forderung auch umsetzen werde. Dazu muss man wissen,
dass der Haushalt des Bundeswirtschaftsministers von
dem kleinen Teil für Verwaltungskosten abgesehen über-
wiegend aus Subventionen an die Wirtschaft besteht.
In dem vierten BMWi-Haushaltsentwurf kann man er-
kennen, dass ich seit dem Jahre 1999 jedes Jahr im Durch-
schnitt 1 Milliarde DM an Subventionen aus meinem
Haushalt gestrichen habe.
Dies bedeutet konkret: Das Haushaltsvolumen des BMWi
betrug 1999 8,3 Milliarden Euro. Es beträgt 2002 rund
6,4 Milliarden Euro. Die größten Kürzungen 2002 gegen-
über dem Vorjahr erfolgen im Steinkohlebergbau. Alle an-
deren Subventionen werden im Durchschnitt um rund
5 Prozent gekürzt.
Zu einzelnen Positionen kurze Angaben: Die Kürzung
der Steinkohlehilfen um etwa 20 Prozent auf rund 3 Mil-
liarden Euro erfüllt auf Punkt und Komma den Vertrag mit
dem Bergbau. Denn das habe ich zu jedem von mir
vorgelegten Haushalt gesagt wir sind die erste Bundes-
regierung, die die Verträge mit dem Bergbau einhält.
Aber ich füge in Richtung Bergbau hinzu, dass auch er
diese Verträge beachten muss, zum Beispiel hinsichtlich
der Entwicklung der Förderkosten.
Die Investitionsförderung in den neuen Ländern im
Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der re-
gionalen Wirtschaftsstruktur wird auf hohem Niveau
fortgesetzt. Für 2002 ist erneut eine Verpflichtungser-
mächtigung von 751 Millionen Euro für den Zeitraum von
2003 bis 2005 vorgesehen. Zusammen mit den 50-pro-
zentigen Komplementärfinanzierungen der Länder und
den zu erwartenden EFRE-Mitteln der EU steht damit ein
Bewilligungsrahmen von annähernd 2,2 Milliarden Euro
für neue Investitionsprojekte zur Verfügung. Dadurch
wird ein Investitionsvolumen von insgesamt über 6 Milli-
arden Euro angeschoben.
Die Förderung von Forschung und Entwicklung er-
neuerbarer Energien sowie deren Markteinführung ist
weiterhin ein zentrales energiepolitisches Anliegen und
wird mit 233 Millionen Euro unterstützt. Kritik hat insbe-
sondere die Tatsache gefunden, dass wir das Marktein-
führungsprogramm nicht mit 150 Millionen Euro fortge-
setzt haben.
Wir mussten sogar am 24. Juli des laufenden Jahres
nach Rücksprache mit den Führungen der Regierungs-
fraktionen die spezifischen Fördersätze kürzen. Hinter-
grund ist ein unerwartet hohes Antragsvolumen. Von Ja-
nuar 2001 bis zum 24. Juli 2001 sind 76 672 Anträge
eingegangen, vom 25. Juli bis zum 21. September 2001,
also innerhalb von acht Wochen, bereits wieder
19 302 Anträge. Die Kürzung der Fördersätze im Juli hat
an der Zahl von rund 2 500 Antragseingängen je Woche
nichts geändert. Um überhaupt all diese Anträge positiv
bescheiden zu können, sollte man eine Aufstockung der
Markteinführungshilfen erwägen.
Der Bereich Forschung, Entwicklung und Innova-
tion ist weiterhin ein Schwerpunkt der Aufgabenstellung
meines Hauses. Neben der Unterstützung von technolo-
gieorientierten Unternehmen in der Bildung innovativer
Netzwerke wird auch die Förderung im Bereich Multime-
dia weiter ausgebaut.
Die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit kleiner und
mittlerer Unternehmen wird auch im Haushalt 2002 an-
gemessen gefördert. Wichtig ist mir insbesondere, dass
die Novellierung des Meister-BAföG gemeinsam mit
meiner Kollegin Bulmahn erfolgreich auf den Weg ge-
bracht werden konnte.
Die Förderung der Außenwirtschaft wird mit
105 Millionen Euro dotiert. Davon erhält die Bundes-
agentur für Außenwirtschaft, die neben den Auslands-
handelskammern eine tragende Säule unserer Außenwirt-
schaftspolitik ist, mit 20,5 Millionen Euro für ihre
Neuausrichtung mehr Mittel als im Vorjahr.
Im Bereich der Tourismuspolitik konzentriert sich die
Förderung auf die Deutsche Zentrale für Tourismus, für
die mit 24,2 Millionen Euro ein gegenüber 2001 immer-
hin um rund 4 Prozent verstärkter Mitteleinsatz bereitge-
stellt werden kann.
Die insgesamt erfreuliche Entwicklung im Bereich des
Fremdenverkehrs und die positive Darstellung des Reise-
landes Deutschland sollen weiter ausgebaut werden.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Bundesminister Dr. Werner Müller
18526
Hinweisen will ich auch auf die äußerst geringe globale
Minderausgabe, die die haushaltswirtschaftlichen Spiel-
räume meines Hauses erhöht.
Schließlich sei betont, dass auch die Entwicklung des
Airbus A 380 gefördert werden wird und dass produkti-
onsbezogene Schiffbauhilfen durch EU-Beschluss wieder
möglich werden könnten, wofür aber noch keine Vorsorge
getroffen wurde.
Alles in allem habe ich einen Haushalt aufgestellt, der
den wirtschaftspolitischen Zielen gut dient, einschließlich
des Zieles Subventionsabbau. Aber Sie glauben gar nicht,
wie viele Verbände und Unternehmen mir meist wenig
freundliche Briefe schreiben, wie ich eigentlich zu Sub-
ventionskürzungen käme,
Verbände übrigens, die natürlich gleichzeitig laut nach
Steuersenkungen und nach sparsamer Haushaltsführung
rufen.
Eines sollte klar sein: Subventionen, auch wenn sie in
den 30 Jahren FDP-geführter Wirtschaftspolitik immer
dicker ausgeteilt wurden,
gehören gewiss nicht zum Besitzstand der Wirtschaft.
Selbstredend bekomme ich auch oftmals Post von den Ab-
geordneten, natürlich auch sehr viel Post von CDU- und
CSU-Abgeordneten mit der Bitte, diese oder jene Sub-
vention nicht zu kürzen. So viel nur zum Thema Finan-
zierung neuer Aufgaben durch Umschichtung.
Gerade erst heute Morgen bekam ich einen langen Brief
von einem Vorstandsmitglied der CDU/CSU-Bundestags-
fraktion, in dem es heißt, ich solle doch die Mittel für die
Außenwirtschaft erhöhen. Außenwirtschaftsförderung
besteht ja nicht nur aus Subventionen. Ich will nur ein
kleines Beispiel nennen. Wir haben am letzten Freitag
das sage ich einmal sehr bewusst rund
800 Millionen DM Hermesbürgschaften für Projekte im
Iran bewilligt.
Lassen Sie mich mit einer Wiederholung schließen:
Die Zukunft unserer Volkswirtschaft hängt entschei-
dend auch davon ab, wie wir über sie reden. Ich betei-
lige mich nicht an dem Herbeireden von Zukunftsangst
und Pessimismus, weil ich dafür keine belastbaren
Gründe kenne.
Im Klartext: Eine Wirtschaftskrise ist nicht zu befürchten.
Ob die künftigen Wachstumsraten aber größer oder klei-
ner sind, hängt davon ab, welche Stimmung in diesem
Land verbreitet wird. In Amerika kommt die Grundein-
stellung Jetzt erst recht durch. Wir sollten uns das zum
Beispiel nehmen.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die Fraktion der
CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Gunnar Uldall.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Herr Minister Müller, ich stimme Ih-
nen in einem Punkt zu: Auch nach den Terroranschlägen
in New York und Washington können wir mit Optimismus
hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung nach vorn
sehen,
allerdings unter einer Voraussetzung, nämlich dass wir in
Deutschland auch eine gute Wirtschaftspolitik betreiben,
Herr Müller.
Darauf kommt es in den nächsten Wochen besonders an.
Denn die Regierung darf jetzt nicht der Versuchung erlie-
gen, dass sie alle wirtschaftlichen Probleme, die in den
kommenden Monaten auf uns zukommen werden, damit
entschuldigt, dass sie sagt: Das alles liegt daran, dass es
diese fürchterlichen Ereignisse in den USA gegeben hat.
Herr Minister, diesen Weg dürfen Sie nicht gehen.
Sie müssen zu einer nach vorn gerichteten, gezielten Wirt-
schaftspolitik, die wir in den vergangenen drei Jahren in
Deutschland leider vermissen mussten, zurückkehren.
Herr Minister, die Bilanz, die Sie jetzt ich meine vor
den Anschlägen in Amerika , nach drei Jahren Wirt-
schaftspolitik durch Sie und Bundeskanzler Schröder und
ein Jahr vor den nächsten Wahlen und dem Ende der
Legislaturperiode, vorzulegen haben, ist die schlechteste
wirtschaftspolitische Bilanz, die man sich überhaupt
vorstellen kann.
Ich kann nicht ein einziges Feld der Wirtschaftspoli-
tik herausgreifen, in dem Sie eine gute Bilanz vorlegen
können. Ich werde dies gleich auch im Einzelnen Punkt
für Punkt zeigen. Der Bundeskanzler hat immer gesagt,
dass er nicht alles anders, aber vieles besser machen
wollte.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Bundesminister Dr. Werner Müller
18527
Das ist ein wunderbarer Satz für die Fernsehkameras. Die
Realität hinter den Fernsehkameras zeigt nach drei Jahren
Schröder-Politik allerdings das genaue Gegenteil.
Vieles ist anders, aber kaum etwas ist besser geworden.
Ich werde Ihnen das jetzt im Einzelnen wie in einer Bilanz
aufzeigen. Ich beginne mit dem Bündnis für Arbeit: Es
sollte ein neuer Politikstil eingeführt werden. Maßnah-
men sollten am Parlament vorbei besprochen werden.
Quasi als Ersatz für das politische Handeln durch die Re-
gierung sollten die Verbände das Notwendige miteinander
besprechen. Der Bundeskanzler würde dann als großer
Verkünder des Konsenses vor die Kameras treten und da-
rüber berichten. Wie sieht die Realität heute aus? Dieses
Bündnis für Arbeit, dieser Wunderzirkel, ist sanft ent-
schlummert, ohne dass es in Deutschland jemand so rich-
tig bemerkt hat.
Herr Minister, es gibt kein peinlicheres Ergebnis für die
Politik, die von Ihnen damals mit großen Ankündigungen
eingeleitet wurde.
Will man eine Überprüfung der wirtschaftspolitischen
Ergebnisse vornehmen, wird man sich zunächst einmal
fragen, woran man die Güte einer Politik eigentlich mes-
sen kann. Ich sage: Das Beste ist, dass man in das Stabi-
litätsgesetz hineinschaut; hier sind die Ziele genau vorge-
geben. Sie heißen: angemessenes Wirtschaftswachstum,
Preisstabilität, hoher Beschäftigungsstand, außenwirt-
schaftliches Gleichgewicht. Abgesehen von dem letzten
Punkt außenwirtschaftliches Gleichgewicht ist keine
der Zielvorgaben auch nur annähernd erreicht worden.
Die Wachstumsraten sind so niedrig, dass mir nicht ein-
mal ein SPD-Redner widersprechen würde, wenn ich
sagte, dass sie nicht angemessen sind.
Sie sagten eben mit Stolz, dass die Preissteigerungsrate
wieder sinkt. Für diesen Stolz habe ich überhaupt kein Ver-
ständnis; denn die Preissteigerungsrate betrug im August
2,6 Prozent. Ich finde es vornehm ausgedrückt etwas
unpassend, dass Sie jubeln und sich freuen, wenn sie jetzt
wieder etwas heruntergeht.
Noch schlechter fällt die Bilanz auf dem Arbeitsmarkt
aus. An den Erfolgen der Beschäftigungspolitik wollte
sich der Kanzler messen lassen. Er hatte deutliche Ver-
besserungen angekündigt. Jetzt hat er das Ziel auf 3,5 Mil-
lionen Arbeitslose festgelegt; das ist marginal unter den
3,8 Millionen, die wir im Oktober 1998 erreicht hatten. Es
ist noch nicht einmal sicher, ob er diese besonders niedrig
gelegte Hürde überhaupt überspringen wird. Nichts zeigt
das Versagen der Wirtschaftspolitik deutlicher als die Ent-
wicklung auf dem Arbeitsmarkt.
Ich kann noch einige weitere Punkte nennen, die Sie
angekündigt und sich vorgenommen hatten: Senkung der
Lohnzusatzkosten Fehlanzeige; Steuerreform zur An-
kurbelung der Konjunktur Fehlanzeige; Lenkungswir-
kung der Ökosteuer, um ganz neue Wege zu gehen Fehl-
anzeige;
Annäherung des wirtschaftlichen Niveaus in Ostdeutsch-
land an das Niveau in Westdeutschland Fehlanzeige. Ich
sehe keinen Bereich, in dem diese Regierung einen wirt-
schaftspolitisch großen Erfolg vorlegen kann.
Ich stimme Ihnen zu, dass die Terroranschläge in New
York und Washington die Weltwirtschaft vor neue, zu-
sätzliche Probleme stellen werden. Es ist aber festzuhal-
ten: Die absolut unzureichende wirtschaftspolitische Bi-
lanz der letzten drei Jahre stand schon vor diesen
grausamen Attentaten fest.
Schon in der Woche davor hatte ein Wochenmagazin mit
der Titelgeschichte aufgemacht: Kanzler in der Krise.
Meine Damen und Herren, Kanzler in der Krise, nicht
Deutschland in der Krise;
denn nach meiner Einschätzung ist unsere Volkswirt-
schaft in ihrem Kern immer noch so gesund, dass wir bei
einer richtigen Wirtschaftspolitik unsere wirtschaftspoli-
tischen Probleme wieder in den Griff bekommen könnten.
Deswegen sehe ich durchaus die Chance für uns, etwas zu
tun, allerdings unter der Voraussetzung, dass wir uns jetzt
um eine gesunde, nach vorne gerichtete Wirtschaftspoli-
tik bemühen.
Dazu brauchen wir kein Konjunkturprogramm. Darin
stimmen wir über die Fraktionen hinweg überein.
Nein, es gibt keinen Unionspolitiker, der bisher ein Kon-
junkturprogramm gefordert hat.
Erstaunlich ist, dass Sie auch gestern Bundeskanzler
Schröder in seiner Rede hier immer einen Pappkamera-
den aufbauen, den es gar nicht gibt, auf den Sie aber los-
dreschen. Wir sagen: Konjunkturprogramme sind Stroh-
feuer, die wollen wir nicht. Aber was wir dringend
brauchen, sind Korrekturen an den Strukturen, meine
Damen und Herren, an den wachstums- und beschäfti-
gungshemmenden Strukturen.
Hierzu haben wir mit unserem Zehnpunktepro-
gramm einen sehr guten Vorschlag unterbreitet, von dem
ich die wichtigsten Punkte noch einmal nennen möchte:
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Gunnar Uldall
18528
Stärkung der Kaufkraft der Konsumenten und Stärkung
der Investitionskraft der mittelständischen Betriebe, und
zwar durch Vorziehen der Steuerreform,
Stärkung des Anreizes zur Aufnahme von Arbeit durch
Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe,
Beseitigung der Hürden für die Einstellung neuer Mit-
arbeiter, wie zum Beispiel Teilzeitarbeitsgesetz, Schein-
selbstständigengesetz, und Beseitigung der falschen
630-Mark-Regelung.
Dazu gehört auch die Schaffung einer neuen Betriebs-
verfassung, die den Betriebsräten und den Unterneh-
mensleitungen die Möglichkeit eröffnet, gemeinsam auf
Probleme zum Beispiel in der Auslastung der Unterneh-
men zu reagieren.
Dass in Deutschland 5 000 Arbeitslose zu 5 000 DM Mo-
natsgehalt erst nach langen Verhandlungen eingestellt
werden, hat in der ganzen Welt nicht einmal mehr ein
Kopfschütteln, sondern nur ein hämisches Lächeln her-
vorgerufen, Herr Minister. Dies ist für so manche Ent-
wicklung in unserer Volkwirtschaft bezeichnend.
Die Finanzierung des Zehnpunkteprogramms ist
machbar. Nur die wenigsten Maßnahmen, die wir jetzt er-
greifen müssen, werden den Haushalt belasten. Ich habe
in einer Modellrechnung einmal ermittelt, wie hoch die
Belastungen für die mittelfristige Finanzplanung sein
werden. Da kommen wir in dem Zeitraum der nächsten
fünf Jahre nicht zu einer Belastung des Haushaltes, son-
dern zu einer Entlastung des Haushaltes um 29 Milliar-
den DM.
Insofern kann ich wirklich nur sagen: Dass Sie gegen
dieses Programm sind, ist ein Zeichen dafür, dass Sie
nicht mehr die Kraft haben, jetzt die wichtigen Maßnah-
men zur Verbesserung unserer wirtschaftspolitischen Si-
tuation zu ergreifen, die gerade nach den Attentaten vom
11. September notwendig sind.
Steuererhöhungen, die Sie jetzt wieder vorgesehen
haben das ist das einfachste Mittel, zu dem Sie immer
gern greifen , sind genau das Falsche.
In den USA gibt es eine nationale Solidaritäts- und Auf-
bruchstimmung. In Deutschland werden die Zigaretten-
preise erhöht, meine Damen und Herren, nein, nicht, wie
behauptet, zur Finanzierung zusätzlicher Sicherheitsaus-
gaben, sondern auch zur Beschaffung zusätzlicher Ein-
nahmen, um den ganz normalen Haushalt auszugleichen.
3 Milliarden DM wollen Sie zusätzlich ausgeben, aber die
Steuern erhöhen Sie um 6 Milliarden DM. Eine höhere
Tabaksteuer und eine höhere Versicherungsteuer sind Gift
für die schwächelnde Konjunktur bei uns in Deutschland.
Statt eines Kommentars hierzu möchte ich nur auf die
Überschrift von zwei Artikeln im Handelsblatt verwei-
sen, und zwar von Peter Thelen und Ruth Berschens. Sie
schreiben in den Überschriften ihrer sehr treffenden Arti-
kel: Mit Steuer- und Abgabenerhöhungen würgt Rot-
Grün die schwache Konjunktur ab und Die Partner
wundern sich über Deutschland.
Diesen Urteilen habe ich nichts hinzuzufügen. Herr
Minister, Sie haben in dieser Legislaturperiode noch
zwölf Monate Zeit. Handeln Sie jetzt, damit die Wirt-
schaftspolitik in Deutschland einen guten Weg nimmt!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Werner
Schulz.
Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es
wäre sicherlich besser gewesen, angesichts der Ereignisse
in den USA und der angespannten politischen Lage sowie
der Turbulenzen, die wir heute im Haus haben, nach der
Einbringung des Haushaltes auf die heutige Einzelplan-
diskussion, auf diese Klein-Klein-Debatte zu verzichten,
die Sie gerade wieder vorgeführt haben, Herr Uldall.
Sie bestärken mich in meiner Haltung, weil Sie entgegen
dieser Einmütigkeit und der Allianz der Entschlossenheit
Herr Merz, Sie scheinen sich angesprochen zu fühlen
in diese altbekannte Litanei und diese Endlosschleife von
Vorwürfen verfallen sind. Das tut mir wirklich Leid.
Es ist wirklich schwierig, Kollege Hinsken, die wirt-
schaftliche Lage und vor allen Dingen die Konjunktur-
erwartungen im Moment genau einzuschätzen. Selbst
die großen Forschungsinstitute, die uns vor der Sommer-
pause im Tagesrhythmus mit Tatarenmeldungen auf Trab
gehalten haben, hüllen sich momentan in Schweigen.
Der Kollaps konnte vermieden werden. Das kann man
deutlich sehen. Der Wachstumstrend wird sich verlangsa-
men. Aber an die Adresse des Kollegen Brüderle sage ich:
Sie werden nicht müde, Gespenster an die Wand zu ma-
len. Vor dem Sommer sprachen Sie von der Stagflation.
Jetzt kündigen Sie eine Rezession an. Sie wissen immer
schon vorher, was im Einzelnen kommt. Aber es trifft
dann nicht immer genau ein.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Gunnar Uldall
18529
Wir sollten all diesen Versuchungen zu vorschnellem
Handeln widerstehen. Eines ist klar: Die Weltwirtschaft
steht nicht am Abgrund, es droht keine Weltwirtschafts-
krise, auch keine allgemeine Rezession. Die Wirtschaft ist
und bleibt stabil. Sie hat sich als stärker als der Terroris-
mus erwiesen. Das muss man deutlich sagen. Es ist den
Terroristen zwar gelungen, das Welthandelszentrum zum
Einsturz zu bringen, aber die Handelsströme der Welt-
wirtschaft haben sie nicht zum Erliegen gebracht.
Die Wirtschaft der USA ist stabil. Die Finanzmärkte
sind kaum erschüttert worden. Selbst die Turbulenzen auf
dem Ölmarkt halten sich in Grenzen. Die Reaktionen der
Fed und der EZB waren vernünftig und richtig: Sie haben
die Liquidität erhöht und die Betriebe mit Kapital ausge-
stattet bzw. den Zugang dazu verbessert. Das alles sind
richtige Maßnahmen gewesen, die ergriffen werden muss-
ten und einmütig umgesetzt wurden.
Ich weiß nicht, ob der 11. September dieses Jahres, wie
es immer wieder behauptet wird, die Welt verändert hat.
Was sich offensichtlich nicht verändert hat, sind die For-
derungen der Opposition. Das muss man wirklich sagen.
Es sind die altvertrauten und bekannten Forderungen: das
Vorziehen der Steuerreform, das Aussetzen der Ökosteuer
und mehr Flexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt.
Ich habe diese Forderungen nur wiederholt.
Was Sie offensichtlich nicht registrieren, ist, dass sich
einiges verändert hat. Über die Flexibilisierung des Ar-
beitsmarktes haben wir gerade beim vorangegangenen
Tagesordnungspunkt geredet. Ein Vorziehen der Steuer-
reform in der jetzigen Situation ist nicht sinnvoll; denn
bei Angst und Verunsicherung wird eine Kaufkrafter-
höhung nicht zum privaten Konsum genutzt, sondern er-
höht eher die Sparquote. Das wissen wir aus der Ver-
brauchsforschung. Daran zeigt sich, dass es im Grunde
genommen unsinnig ist, was Sie momentan fordern. Es ist
sogar kontraproduktiv.
Natürlich liegt das nahe. Wir wissen, dass in den USA
und auch bei uns das Wachstum des Bruttoinlandspro-
duktes sehr stark mit dem Verbrauchervertrauen zusam-
menhängt. In den USA liegt dieses Vertrauen bei 68 Pro-
zent, bei uns sind es etwa zwei Drittel. Schauen wir uns
das einmal im eigenen Land an: Das Konsumverhalten
ist in diesem Quartal gegenüber dem vorherigen Quartal
um 5 Prozent gestiegen. Gegenüber dem Vergleichsquar-
tal im letzten Jahr hat es um 3,5 Prozent zugenommen.
Das sind die Auswirkungen der Steuerreform. Die 45 Mil-
liarden DM Entlastung spiegeln sich im privaten Kauf-
verhalten wider.
Daher sind auch die 3 Milliarden DM zu verschmer-
zen, die wir für den höheren Sicherheitsaufwand benöti-
gen. Ich will hier nichts gegenrechnen, aber Sie haben
sich in der Zeit des Golfkriegs viel dreister verhalten. Sie
haben den Solidaritätsbeitrag eingeführt und mit der deut-
schen Einheit begründet, aber das Geld wurde für den
Golfkrieg eingesetzt. Das waren Taschenspielertricks.
Die Wirtschaftswissenschaftler sagen uns: Es kommt
jetzt darauf an, Vertrauen zu schaffen und nicht in hekti-
schen Aktionismus zu verfallen. Man darf nicht in Blitz-
programme à la Brüderle verfallen, sondern die Politik der
ruhigen Hand muss mit einem kühlen Kopf, nicht mit ei-
nem Hitzkopf, fortgesetzt werden.
Ich kann das auch leiser machen, wenn Sie nicht dazwi-
schen rufen. Ich gönne Ihnen aber gerne noch ein bisschen
von meinen Worten.
Sehr wichtig erscheint mir im Moment, die Besonnen-
heit, die es im Augenblick bei der Terrorismusbekämp-
fung gibt, bei der Wirtschaftspolitik im eigenen Land fort-
zusetzen.
Schauen wir uns an, was die Bundesregierung getan
hat. Es ist ja nicht so, als ob nichts passiert wäre und wir
nicht die Wirtschaftsdynamik in Gang bringen würden.
Ich nenne als Beispiele die Reinvestitionsrücklage, die im
Sommer eingeführt worden ist, oder die Steuerfreistel-
lung von Veräußerungsgewinnen, die im nächsten Jahr
wirksam wird. Diese Vorhaben werden in der Wirtschaft
durch Entflechtungen und Neustrukturierungen ohne
Frage Dynamik freisetzen.
Ich nenne als weiteres Beispiel das Stadtumbauprogramm
Ost, das für die angeschlagene Bauindustrie im Osten so-
gar als Konjunkturprogramm wirken wird. Alle diese
Maßnahmen hat die jetzige Bundesregierung beschlossen.
Ich glaube Herr Minister Müller hat es angespro-
chen , dass uns der 11. September noch vor große
Herausforderungen stellen wird. Es werden aber andere
Probleme auftreten als die, die Sie, Herr Uldall, genannt
haben. Uns wird die Frage einer Neubewertung der Glo-
balisierung, vor allen Dingen aber der Globalisierung ei-
ner ökologisch-sozialen Marktwirtschaft beschäftigen.
Das Neue an der sozialen Marktwirtschaft könnte sein,
dass sie ökologisch wird. Das Neue an der sozialen Markt-
wirschaft wird nicht das sein, was ich an Programmati-
schem zurzeit bei Ihnen lese. Aber auch die Globalisie-
rung von Demokratie und sozialer Gerechtigkeit sind
Fragen, mit denen wir uns stärker beschäftigen müssen.
Ich glaube auch, wir dürfen nicht so tun, als ob wir auf all
diese Fragen schon Antworten hätten. Ich denke, wir ha-
ben manche Probleme noch gar nicht erkannt. Das ist die
Situation.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht für die
FDP-Fraktion der Kollege Rainer Brüderle.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Werner Schulz
18530
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Die feigen Morde vom 11. September
haben in der Tat die Welt verändert. Der Terrorismus
wollte auch den freien Welthandel treffen. Deshalb ist es
wichtig, dass sich die Bundesregierung engagiert dafür
einsetzt, die WTO-Konferenz in Katar zu einem Erfolg
werden zu lassen. Die Antwort auf den Anschlag auf den
freien Welthandel muss sein, diesen konsequent weiter
auszubauen. Wir müssen eine internationale Ordnungspo-
litik mit klaren Regeln und fairen Chancen bekommen.
Der Chef der WTO, Herr Moore, hat ausdrücklich darum
gebeten, sich auf Kernprobleme zu konzentrieren und
nicht mit vielen Zusatzpunkten die ohnehin schwierigen
Verhandlungen zu verkomplizieren. Deshalb ist die Bun-
desregierung in einer hohen Verantwortung, ihren Beitrag
dazu zu leisten, dass diese Bemühungen gerade vor dem
Hintergrund des Anschlags in Manhattan erfolgreich
sein werden.
Trotz dieser schrecklichen Ereignisse, oder gerade we-
gen dieser schrecklichen Ereignisse, muss eine vernünf-
tige Politik gemacht werden. Das ist die richtige Antwort
auf die schlimmen Taten, die begangen worden sind. Wir
schaffen kein Vertrauen in die zukünftige Entwicklung,
wenn wir nur Grimms Märchenstunde veranstalten. Ver-
trauen kann man nur schaffen, indem man in einer Stunde
der Wahrheit die Fakten anspricht und darauf Vertrauen
aufbaut. Wenn Sie meinten, dass Sie diese Ereignisse als
Alibi missbrauchen können, um weiterhin nichts zu tun,
wäre das schändlich.
Die Redner der Opposition Herr Westerwelle, Herr
Merz haben gestern deutlich gemacht, dass sich die Re-
gierung in sicherheits- und außenpolitischen Fragen mehr
auf die Opposition als auf die Koalitionsfraktionen ver-
lassen kann.
Auch auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik muss in aller
Klarheit und Deutlichkeit eine Debatte um unsere Zu-
kunftsperspektive und die richtigen Weichenstellungen
geführt werden, damit wieder mehr Arbeit in Deutschland
entsteht. Gerade weil die Menschen aufgewühlter und
sensibler sind, ist Ehrlichkeit und Offenheit notwendig.
Es nützt nichts, über die Probleme hinwegzureden.
Herr Müller, Sie haben heute, wie Herr Eichel, gesagt,
Sie wollten die Konsolidierung nicht gefährden.
Die will keiner gefährden. Aber Sie gefährden sie de
facto: Weil Sie nicht handeln, haben wir die Einbrüche
beim Wachstum zu verzeichnen. Weil Sie nicht handeln,
steigt die Arbeitslosigkeit. Sie gefährden die Konsolidie-
rung des Haushalts. Wir werden Steuerlöcher bekom-
men, weil Sie mit unrealistischen Zahlen, etwa mit einer
Arbeitslosenzahl von 3,4 Millionen, operieren. Dass Sie
diese Zahl mit den Wachstumsraten, von denen kein
Mensch glaubt, dass sie realistisch sind, erreichen, daran
glauben Sie, Herr Müller, doch selbst nicht mehr.
Der IWF das ist keine Unterabteilung der Naumann-
Stiftung oder der FDP spricht von einem weiteren Rück-
gang des Wachstums auch in Deutschland von 0,8 Prozent
und davon, dass in den USA die Rezession nicht mehr ab-
zuwenden sei. Ich will das nicht. Aber ich will auch nicht,
dass Sie die Versäumnisse weiter ins Land ziehen lassen,
indem Sie nicht handeln, indem Sie durch Ihre Unfähig-
keit und Unwilligkeit zu handeln sowohl die Konsolidie-
rung des Haushalts wie auch die zukünftige Entwicklung
in Deutschland ernsthaft gefährden. Das tun Sie.
Was man machen muss, ist relativ einfach: Das Blitz-
programm, das Sie und andere schon angesprochen
haben, ist kein Konjunkturprogramm, kein schuldenfi-
nanziertes Ausgabenprogramm, sondern ist ein Hand-
lungskonzept mit Vorschlägen, wie wir aus der Ecke he-
rauskommen.
Herr Müller, Sie, wie auch gestern der Bundeskanzler,
haben angesprochen, dass die Amerikaner handeln. Die
Amerikaner haben aber auch eine Regierung, die handelt:
Sie haben die Steuerentlastung vorgezogen durch Steu-
ergutscheine Entlastung: 40 Milliarden ; sie arbeiten
daran, mit einem kurzfristig aufgelegten weiteren Blitz-
programm durch weitere steuerliche Entlastungen die
Wirtschaft anzukurbeln. Geben Sie durch eine bessere Po-
litik den Menschen in diesem Land doch auch eine solche
Chance, wie die Amerikaner sie haben!
Dass Ihnen das nicht passt und dass Sie versuchen,
durch Stören von den Fakten abzulenken, ist nachvoll-
ziehbar, aber etwas primitiv. Es ist, wenn Sie die Wirt-
schaft in Gang kriegen wollen, den Anstieg der Arbeitslo-
sigkeit bremsen wollen und die Arbeitslosigkeit wieder
abbauen wollen, in der Tat unverzichtbar, die steuerlichen
Entlastungen und die nächsten Schritte der Steuerreform
vorzuziehen, damit sie Wirkung entfalten.
Sie sagen zu Recht, ein Großteil der Wirtschaftspolitik
sei Psychologie. Die Menschen, die verunsichert sind, be-
kommen von Ihnen nicht durch Entlastung eine Chance;
Sie knallen vielmehr neue Steuern drauf. Mehr Steuern zu
verlangen und abzukassieren ist das Verkehrteste, was Sie
in der jetzigen Situation psychologisch machen können.
Von Psychologie ist da nichts zu spüren.
Wenn jemand bei 500 Milliarden DM 3 Milliarden DM
nicht umstrukturieren kann, dann kann er es wirklich
nicht. Sie sind der Hauptverlierer bei dieser Etatrunde:
minus 12 Prozent in Ihrem Haushalt. Dass Sie die Sub-
ventionen bei der Steinkohle abbauen, finde ich gut. Aber
dass Sie daraus nicht Mittel freisetzen, um Existenzgrün-
dern und Mittelstandsunternehmen, die am ehesten in der
Lage sind, Arbeitsplätze zu schaffen, eine neue Chance zu
eröffnen, ist fundamental falsch.
Was machen Sie? Wir reden von sozialer Marktwirt-
schaft, die sehr ernst genommen wird, von Ordnungspo-
litik und davon, ob sie national wie international durch-
gesetzt wird. Aber Sie verlängern das Briefmonopol. Das
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001 18531
ist Ordnungspolitik. Der Staat begünstigt sich selbst. Herr
Diller und Herr Eichel verwalten die 80 Prozent Anteil an
der Post AG. Sie selbst setzen Rahmenbedingungen, die
Sie begünstigen. Sie sind Eigentümer und Mitspieler am
Markt. Wenn beim Fußball einer mitspielt und gleichzei-
tig Schiedsrichter ist, dann fliegt er vom Platz. Bei Ihnen
geht das aber.
Ihr Stöhnen ist angebracht, denn das ist in der Tat
schlimm.
Das gleiche gilt für die Liberalisierung des Strom-
marktes. Sie packen drauf, etwa bei der Kraft-Wärme-
Kopplung oder mit Ökoauflagen. Bei der Telekom, letzte
Meile: von Liberalisierung nichts zu spüren. Der Mono-
polist mit 40 Prozent ist der Bund Eigentümer soll wei-
ter begünstigt werden. Das ist Ihre Strategie. Was hat das
mit Ordnungspolitik und Marktwirtschaft zu tun?
Zum Arbeitsmarkt: Dazu haben wir schon eine
Stunde der Märchen hinter uns. Alle Fachleute, ob Bun-
desbank, OECD oder die Wirtschaftsforschungsinstitute,
sagen Ihnen: Wenn Sie am Arbeitsmarkt nicht mehr Fle-
xibilität zulassen, kommen Sie beim Abbau der Arbeits-
losigkeit nicht voran.
Dasselbe gilt für das Tarifvertragsrecht Helmut
Schmidt hat dazu in der Zeit deutliche Worte gefun-
den , das nicht mehr in unsere Welt hineinpasst. Sie müs-
sen es ändern, aber Ihre Gewerkschaftsnähe hindert Sie
daran, etwas zu tun, damit die Situation für diejenigen, die
nicht im Closed Shop sind, weniger schrecklich wird. Die
Arbeitsplatzbesitzer müssen ein bisschen mehr Flexibi-
lität ertragen, damit die anderen auch eine Chance haben.
Angesichts von 4 Millionen Arbeitslosen wenn Sie
die in ABM Befindlichen hinzuzählen, brauchen wir
5 oder 5,5 Millionen Arbeitsplätze ist Ihre Verweigerung
von Reformen unverständlich. Diese Verweigerungshal-
tung stellt eine der entscheidenden Ursachen dafür dar,
dass Sie beim Abbau der Arbeitslosigkeit nicht voran-
kommen. Die Arbeitslosigkeit steigt in Deutschland seit
Monaten. Dies ist keine Feststellung von mir oder der
FDP, sondern von der Arbeitsverwaltung, die bekanntlich
unter Ihrer Regie tätig ist.
Nutzen Sie daher die Chance! Jeder Tag, an dem Sie
nicht handeln, beschädigt unsere Volkswirtschaft und
nimmt den Menschen Hoffnungen und Perspektiven.
Handeln Sie und lassen Sie sich nicht davon lähmen, dass
in zwölf Monaten Bundestagswahl sein wird. Die Men-
schen haben es verdient, dass zuvor Veränderungen ein-
treten, nicht erst aufgrund der Wahl. Wenn es aber nicht
anders geht, muss die Veränderung durch die Wahl her-
beigeführt werden. Ihr Eid auf die Verfassung dieses Lan-
des, in dem von Pflichterfüllung die Rede ist, sollte Ihnen
Anlass genug sein, endlich zu handeln, anstatt weiterhin
durch Nichthandeln sehenden Auges die Misere sich fort-
entwickeln zu lassen.
International gibt es viele Fragezeichen hinsichtlich
der Entwicklung in Deutschland. Weltweit gibt es drei be-
deutende Wirtschaftszentren. Japan und der asiatische
Raum befinden sich in der Rezession, Amerika steht kurz
davor oder ist womöglich schon drin, wie der IWF sagt.
In Europa tut sich nichts, weil das größte Land, das früher
die Lokomotive war, zum Schlusslicht geworden ist. Wir
sind ganz hinten: im Schlafwagen, nicht auf der Lokomo-
tive. Es wird Zeit, dass wir die Lokomotive wieder unter
Dampf setzen, damit es vorangeht.
Herr Schulz, Sie sind ja ein netter Mensch, wenn Sie
nicht über Ökonomie reden oder wenn man mit Ihnen ein
Glas Bier trinkt.
Was Sie jedoch an Plattitüden verbreiten, ist kaum zu
überbieten. Ich weiß, dass Sie einen anderen Weg hinter
sich haben das ist kein Vorwurf ; aber Sie haben sich
offensichtlich intellektuell geweigert, die Zusammen-
hänge einer Marktwirtschaft zu verstehen. Das ist schade,
aber vielleicht holen Sie es irgendwann noch nach.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Rolf Kutzmutz.
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Wenn wir es mit der Aussage ernst mei-
nen, dass die Welt seit dem 11. September anders sei, dann
muss auch die Wirtschaftspolitik nach neuen, nach ande-
ren Ansätzen suchen. Dabei geht es um die Stärkung der
Zivilgesellschaft. Alte Rezepte hier gebe ich Herrn
Schulz Recht werden keine tauglichen Antworten brin-
gen. Wirtschaftliche Zukunft hat ganz sicher damit zu tun,
wie wir darüber reden, aber eben auch damit, welche
Handlungen wir daraus ableiten.
Herr Minister, Sie haben die Problematik der Veröf-
fentlichung von gefährlichen Daten im Zusammenhang
mit Genehmigungsverfahren angesprochen. Das mag im
Detail richtig sein. Dann muss ich aber auch die Frage
stellen, ob es tatsächlich richtig ist, alles zu produzieren
und alles zu bauen, wozu wir technologisch in der Lage
sind. Aus bestimmten Entscheidungen, die wir treffen, lei-
ten sich Gefahren ab, die wir nicht verkennen dürfen.
Bei allem, was wir tun, geht es stets um mehr als um
nackte Wirtschaftsdaten. Es geht um Menschen, darum,
ob sie das Gefühl haben, einbezogen zu werden oder aus-
geschlossen zu sein. Letztlich muss sich die Politik an
dem Anspruch messen lassen, der gestern von Herrn
Eichel mit den Worten ... Zukunftsaufgaben
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Rainer Brüderle
18532
wieder ein größeres Gewicht erhalten beschrieben
wurde. Aus meiner Sicht spiegelt sich das im Haushalts-
entwurf des Wirtschaftsministers bisher nicht wider.
Ich möchte dazu einige Anmerkungen machen. Regio-
nales Wirtschaften war bisher eine Art Kampfbegriff.
Für mich nicht! Ich meine damit eine Politik, die auf die
Entwicklung dezentraler Strukturen setzt, die ja auch
machbar und nicht einmal sonderlich teuer sind. Nehmen
wir die Energiepolitik: Hier droht mit dem jetzigen An-
satz im Haushaltsentwurf eine Blockade beim Ausbau der
alternativen Stromerzeugung von der Kraft-Wärme-
Kopplung bis hin zu diversen erneuerbaren Energien. Das
beginnt bei unzureichenden Forschungsmitteln und endet
mit indiskutablen Kürzungen beim dazu aufgelegten
Marktanreizprogramm.
Über den konkreten Hintergrund im gegenwärtigen
Verfahrensablauf haben Sie, Herr Minister, gesprochen.
Sie haben auch gesagt, eine Erhöhung sollte erwogen wer-
den. Ich sage für unsere Fraktion: Wir werden eine ent-
sprechende Forderung in die Berichterstattergespräche
einbringen, zumal an dieser Stelle das Kostenargument
nun wirklich nicht zieht. Schließlich waren die Einnahmen
aus der Stromsteuer auf erneuerbare Energieträger dafür
reserviert. Mindestens 200 Millionen Euro werden dort
nächstes Jahr eingenommen, aber nur 100 Millionen Euro
sollen bisher zur Förderung ausgegeben werden.
Ein forcierter Umstieg von atomarer in umweltverträg-
liche und angstfreie Energieversorgung bedeutet weder
einen Rückfall in die technologische Steinzeit noch einen
Verlust an Arbeitsplätzen. Im Gegenteil: Dezentrale
Kraft-Wärme-Kopplung, Anlagen auf Basis erneuerbarer
Energie, die dank moderner Informationstechnik zu virtu-
ellen Großkraftwerken vernetzt werden, bieten dieselbe
Versorgungssicherheit, und das mit gleichen Klima-
schutzeffekten, aber ohne Verstrahlungsgefahr und mit
viel mehr Arbeitsplätzen.
Dazu kommt eine geringere Verletzlichkeit gegenüber
Stromsystemen aus herkömmlichen Großkraftwerken.
Die Beispiele für neue Überlegungen ließen sich fort-
setzen: dezentrale Wasserversorgungs- und Abwassersys-
teme statt großer Ringleitungen und neuer Talsperren,
aber auch völlig neue Technologien und Produkte in an-
deren Bereichen, die wir Politiker im Detail vielleicht
noch nicht kennen, deren Idee es vielleicht schon gibt und
für deren Umsetzung nur das nötige Geld fehlt.
Auch insofern ist es fatal, dass die Mittelstands- und
Innovationsförderung gegenüber dem laufenden Jahr
bisher um 50 Millionen Euro gekürzt werden soll. Da geht
es nicht um eine Subventionsmentalität. Da geht es da-
rum, dass wir das, was wir immer beschwören, nämlich
Mittelstand und Innovation zu fördern, tatsächlich auch
mit dem nötigen Geld ausstatten. Deshalb bitte ich darum,
das dann auch zu tun.
Neue Produkte und Dienstleistungen bedeuten häufig
auch neue Märkte. Diese zu organisieren dürfte die ein-
zige Chance für Ostdeutschland sein, wenn es nicht end-
gültig den Anschluss verlieren soll, zumal Wunsch und
Wirklichkeit bei der Bewertung der Situation in Ost-
deutschland wie der jüngste Bericht der Bundesregie-
rung und die nahezu zeitgleich veröffentlichten Daten des
Wirtschaftsforschungsinstitutes Halle zeigen noch im-
mer weit auseinander liegen. Es muss schon einen Grund
dafür geben, dass selbst Herr Schwanitz als Mitglied der
Bundesregierung bei der Sitzung des Ost-Ausschusses
Sie wissen, ich meine den Ausschuss für Angelegenhei-
ten der neuen Länder nicht einmal auf diese Sache Be-
zug nimmt, sondern einfach darüber hinweggeht.
Die Karten für die Weltwirtschaft werden neu ge-
mischt, war in einer volkswirtschaftlichen Prognose zu
lesen. Sie sollten nicht nur neu gemischt werden; es müs-
sen auch neue Karten zum Einsatz kommen. Am Geld
sollte das jedenfalls nicht scheitern wenn ich nur an die
179 Millionen Euro denke, die Niedersachsen nachträg-
lich für die EXPO 2000 erhalten soll. Wenn die Koalition
schon meint, solche Geschenke verteilen zu können oder
verteilen zu müssen, dann doch bitte nicht aus dem oh-
nehin schon arg gebeutelten Wirtschaftshaushalt.
Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht der Kol-
lege Dr. Ditmar Staffelt für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich
zunächst auf den Anlass zurückkommen, den wir hier
heute miteinander zu debattieren haben, nämlich auf den
Haushalt. Ich möchte doch noch einmal darauf verweisen,
welches die Grundphilosophie ist, von der wir ausgehen.
Ich meine, es sollte von allen Wirtschaftspolitikern hier
ausdrücklich gelobt werden, dass insbesondere der
Wirtschaftsminister an der Spitze derer steht, die dazu
beitragen, dass die Nettokreditaufnahme weiter abgesenkt
wird, und die dazu beitragen, dass insbesondere auch Sub-
ventionstatbestände zunehmend und sehr dynamisch über
die letzten Jahre abgebaut worden sind.
Dies ist eine alte Forderung, die Sie übrigens früher erho-
ben haben. Sie haben allerdings sehr viel weniger auf die-
sem Felde getan, als dies in den letzten drei Haushalten
geschehen ist. Das bleibt hier festzuhalten.
Es bleibt für uns in dem Zusammenhang dabei: Wir ha-
ben klare Ziele. Die Verbesserung der Rahmenbedingun-
gen für Existenzgründer und mittelständische Unterneh-
men ist durch den Haushalt gesichert, Herr Uldall. Wir
wollen die Förderung neuer und zukunftsweisender Ener-
giekonzepte. Auch dies wird von uns sogar verstärkt
im nächsten Jahr und über den Tag hinaus durch diesen
Haushalt sichergestellt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Rolf Kutzmutz
18533
Wir bekennen uns dazu, die Innovationskraft und die In-
novationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft weiter zu
unterstützen direkt aus dem Haushalt, aber auch über In-
strumente wie die Deutsche Ausgleichsbank. Auch hier ist
die Politik der Bundesregierung nicht nur von Reden, son-
dern auch von Handeln geprägt.
Schließlich gilt auch das Bekenntnis der Bundesregie-
rung zur Kontinuität des Aufbaus Ost. Auch dies ist ein
Thema, dem wir uns weiterhin verpflichtet fühlen.
Dies dürfen Sie hier in der Debatte nicht verschweigen.
Wir wollen eine Politik der Stabilität und der Verläss-
lichkeit das ist übrigens eine Forderung, die insbeson-
dere von der Wirtschaft immer wieder formuliert worden
ist , verlässliche Rahmendaten und nicht hektischer Ak-
tionismus, wie er hier immer wieder gefordert worden ist.
Ziel ist ein dauerhafter Wachstumspfad und nicht nur ein
kurzfristiges Reagieren auf konjunkturelle Schwankun-
gen, auf Dellen, wie sie der Konjunkturverlauf in diesem
Jahr aufwies. Darüber sind sich übrigens die allermeisten
Fachleute einig.
Ihre Vorschläge, Herr Uldall, die ich in Ihrem Zehn-
punkteprogramm gelesen habe, beruhen erstens auf ei-
ner veralteten Datenbasis und zweitens gibt es dafür kei-
nerlei Gegenfinanzierung. Darüber ist mehrfach geredet
worden. Sie werfen einfach einmal den Betrag von
14 Milliarden DM in die Debatte, und niemand sagt, wo-
her das Geld kommt. Das ist nicht verantwortungs-
bewusst, Herr Uldall.
Dann müssen wir sicherlich auch noch einmal über die
Zielgenauigkeit Ihres Vorschlags reden. Ich sage Ihnen:
Das ist nichts weiter als der Versuch, Schaumschlägerei
zu betreiben. Was Sie vorgeschlagen haben, nützt der
Ökonomie in Deutschland jedenfalls überhaupt nicht.
Auch die Kommentierungen in Bezug auf die Versuche,
eine neue soziale Marktwirtschaft zu definieren, waren
ganz eindeutig negativ, insbesondere von Ihrem CSU-
Partner aus Bayern. Das sollten Sie vielleicht ebenfalls
zur Kenntnis nehmen.
Neben den großen Reformvorhaben, nämlich der
Steuerreform und der Rentenreform, ist Weiteres geplant.
Bei der Steuerreform müssen Sie berücksichtigen, dass
sie einen Verlauf von fünf Jahren hat. Sie gewinnt zuneh-
mend an Dynamik. Vorhin ist von dem Kollegen Schulz
schon darauf verwiesen worden, dass im nächsten Jahr
insbesondere Teile der Unternehmensteuerreform reali-
siert werden. Dann wird es noch einmal einen dynami-
schen Anschub geben.
Ich meine im Übrigen, dass sich die Rahmenbedingun-
gen, die die Bundesregierung in den letzten Jahren ge-
schaffen hat, sehen lassen können. Ich nenne hier noch
einmal, damit die Öffentlichkeit es immer wieder zur
Kenntnis nehmen kann: Das Meister-BAföG haben wir
realisiert,
Rabattgesetz und Zugabeverordnung abgeschafft, den So-
lidarpakt neu aufgelegt, Herr Uldall.
Wir haben die Reinvestitionsrücklage für Personengesell-
schaften geschaffen, wir haben das Stadtumbauprogramm
für Ostdeutschland geschaffen und wir haben im Übrigen
das sage ich hier auch sehr selbstbewusst ein vernünf-
tiges Betriebsverfassungsgesetz in Kraft gesetzt. Das
sollte man nicht verschweigen, wenn wir hier debattieren.
Weiteres ist in der Pipeline, meine Damen und Herren:
Eine Regelung für die öffentliche Auftragsvergabe
kommt; Modernisierung des Schuldrechts kommt; Ge-
setz zur Kraft-Wärme-Kopplung kommt; nationales
Übernahmegesetz kommt.
Die Wirtschaftspolitik, die wir in dieser Koalition betrei-
ben, ist sehr dynamisch und stellt sich den Herausforde-
rungen moderner Volkswirtschaften, wie wir sie benö-
tigen.
Ich habe manchmal den Eindruck übrigens auch in
der letzten Wirtschaftsausschusssitzung, dass Sie so rich-
tig Lust am Niedergang haben.
Sie steigern sich in einen Pessimismus hinein. Das ist
übrigens sehr unverantwortlich, denn wir müssen gerade
in schwieriger Zeit optimistisch in die Zukunft blicken.
An dieser Stelle möchte ich Ihnen nur ein paar Zitate
zu den Stichworten Krisensituation, Tabaksteuer, Versi-
cherungsteuer bringen. Dazu lese ich von Herrn Börner,
dem Präsidenten des Bundesverbandes des Deutschen
Groß- und Außenhandels, eine Rezession im Euroraum
werde es nicht geben; die Pläne der Bundesregierung, zur
Finanzierung der Anti-Terror-Maßnahmen die Tabak- und
Versicherungsteuer zu erhöhen, würden sich in Deutsch-
land nicht nennenswert auswirken. Das ist ein Volumen,
das die deutsche Volkswirtschaft verkraften kann. Soweit
der Präsident des Groß- und Außenhandelsverbandes,
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Dr. Ditmar Staffelt
18534
nicht unbedingt ein Mitglied der Sozialdemokratischen
Partei Deutschlands, um das noch hinzuzufügen.
Ich sage Ihnen noch eines auch das sollten Sie be-
denken, wenn es hier um Aktionismus geht : Es gibt ei-
nen hochinteressanten Artikel, geschrieben von Thomas
Straubhaar, dem Präsidenten des Hamburger Weltwirt-
schaftsarchivs. Er sagt auf die Frage, was die Politik in
Deutschland jetzt nach diesem furchtbaren Anschlag tun
muss: Für die Politiker in Europa gilt es erstens, einer
stark verunsicherten Öffentlichkeit klar zu machen, dass
die Weltwirtschaft nicht in Gefahr ist. Ich glaube, es ist
wesentlich, das festzuhalten. Zweitens müssen die Wirt-
schaftspolitiker auf jeglichen überstürzten Aktionismus
verzichten, Herr Uldall. Drittens so schrecklich das auch
sein mag soll und kann wirtschaftspolitisch nichts getan
werden. Die Reaktionen der Märkte werden die Weltwirt-
schaft rascher und zuverlässiger stabilisieren als jede
noch so gut gemeinte konjunkturpolitische Maßnahme.
Das sei dem Marktwirtschaftler Uldall ins Stammbuch ge-
schrieben. Das ist ein guter Artikel, den Sie vielleicht
noch einmal gesondert zur Kenntnis nehmen sollten.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, dass wir mit
diesem Haushalt und der wirtschaftlichen Lage in
Deutschland auf einem ordentlichen Weg sind. Wir wer-
den weiterhin dort handeln, wo es erforderlich erscheint.
Aber wir sagen noch einmal in aller Klarheit und Deut-
lichkeit: Wir werden nichts unternehmen, was nur auf
kurzfristige Effekthascherei aus ist. Alles, was wir tun,
wird von Solidität getragen sein. Diesbezüglich kann das
Parlament den Wirtschaftsminister hinsichtlich seiner bis-
herigen Leistungen nur ausdrücklich bestätigen. Er hat
eine solide Arbeit geleistet, die sich sehen lassen kann und
die den notwendigen Rahmen für das Wohlergehen unse-
rer Volkswirtschaft geschaffen hat.
Nun erteile
ich zu einer Kurzintervention der Kollegin Andrea
Fischer das Wort.
Andrea Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Der Kollege Rainer Brüderle hat am Ende seiner
Rede gesagt, dass der Kollege Werner Schulz zwar nichts
für sein Herkommen könne, sich aber doch offensichtlich
dem Verständnis der Marktwirtschaft intellektuell ver-
weigert habe.
Herr Kollege Brüderle, ich weiß, dass wir uns in die-
sem Hause nichts schenken und man so etwas sportlich
nehmen muss. Aber ich finde, damit sind Sie definitiv zu
weit gegangen.
Das war nicht nur ein Angriff gegen den Kollegen Schulz,
von dem man sagen kann, er verletze die Grenzen des
guten Geschmacks. Das war auch ein Angriff gegen die
Bürgerinnen und Bürger in Ostdeutschland. Ich finde,
dafür haben Sie sich bei dem Kollegen Schulz und bei den
Bürgerinnen und Bürgern in Ostdeutschland zu entschul-
digen.
Ich erteile
dem Kollegen Dr. Heinz Riesenhuber das Wort. Er spricht
für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Staffelt
hat eine wunderbare und leidenschaftliche Rede gehalten,
ungefähr so wunderbar und leidenschaftlich wie der Herr
Wirtschaftsminister, der mit seinem Feuer die ganze deut-
sche Wirtschaft zum Optimismus hinreißt. Was Sie hier
dargestellt haben, lieber Herr Staffelt, ist ein wunderbares
Szenario. Das Schlimme ist nur, außerhalb der Koalition
merkt niemand etwas davon.
Die Lage, die Sie beschreiben, scheint von der Wirtschaft
nicht zur Kenntnis genommen zu werden. Die Zahl der
Arbeitsplätze scheint davon völlig unberührt zu sein. In
jeder Hinsicht hinken wir mit unserer Entwicklung in
Deutschland hinter den anderen in Europa her. Die Wirt-
schaft ist aber nicht in den wunderbaren Szenarien zu
Hause, die unsere hochverehrte Koalition entwickelt. Sie
muss sich vielmehr an den Märkten schlagen.
Nun fordert hier jeder Optimismus ein. In schwierigen
Zeiten, sagt Sir Karl Popper, ist Optimismus Pflicht. Ja-
wohl! Es ist aber keine Schwarzmalerei, wenn wir sagen,
dass wir im europäischen Vergleich bei allen wesentlichen
Zahlen hinten liegen.
Es gibt ein Zeichen der Hoffnung. Und warum?
Wenn unsere Lage nur von der Weltkonjunktur abhängt,
dann haben wir wirklich ein Problem, das wir nicht lösen
können. Unser Einfluss auf die Weltkonjunktur ist be-
grenzt. Wenn das Problem aber bei uns liegt, können wir
etwas dagegen tun. Insofern erbringen wir dann, wenn wir
darüber sprechen, was im Land alles schlecht ist, eine
Dienstleistung für die hochverehrte Bundesregierung, da-
mit diese dafür sorgen kann, dass Deutschland nicht mehr
der Klotz am Bein des voranschreitenden Europas ist,
sondern den Laden kraftvoll voranzieht. Das ist die Lage.
Nun hat der Wirtschaftsminister, wie Sie in anschau-
licher und überzeugender Weise dargestellt haben, ganz
unterschiedliche und hervorragende Eigenschaften. Er ist
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Dr. Ditmar Staffelt
18535
zum Beispiel Subventionsminister. Einen solchen Titel
hat noch kein Wirtschaftsminister geliebt. Trotzdem ist er
es. Herr Müller, wenn Ihr Haushalt um knapp 13 Prozent
schrumpft, weil Sie Subventionen abbauen, dann haben
Sie die herzliche und leidenschaftliche Unterstützung der
Opposition.
Nur, eines muss ich Ihnen sagen: Ein intelligenter Wirt-
schaftsminister sollte zwischen Erhaltungssubventionen
für eine alte Welt, die langsam stirbt, und den Maßnah-
men, die er als Zukunftsminister zu veranlassen hat,
unterscheiden können. Visionen zu entwickeln und mit
zukunftsweisenden Ideen Neues anzuregen sollte für den
Wirtschaftsminister angesichts seiner feurig voranstür-
menden Art kein Problem sein. Wir streiten uns mit Ihnen
nicht dort, wo Sie in einer werkgetreuen Art das weiter-
führen, was die alte Regierung auf den Weg gebracht hat,
also nicht über die Liberalisierung der Energiemärkte
wir streiten hier zwar über einzelne Punkte; aber die
Grundlinie stimmt, denn schließlich haben wir sie ange-
legt , nicht über die Liberalisierung des Telekommuni-
kationsmarktes auch diese haben wir auf den Weg ge-
bracht und auch nicht über die Kohlesubvention, zu der
schon das Notwendige gesagt worden ist.
Dort aber, wo der Wirtschaftsminister eigentlich als
Zukunftsminister agieren sollte, wird es interessant. Die
Mittel für die Luftfahrtforschung um 40 Prozent kürzen
zu wollen ist eine interessante Idee.
Herr Kol-
lege Riesenhuber, bleiben Sie bitte am Rednerpult stehen!
Ich bitte um
Nachsicht, Herr Präsident.
Die Kom-
militonen sitzen direkt vor Ihnen.
Ich kann leider
keinen Dialog mit dem Präsidenten führen. Die Ehrfurcht
vor deinem Amt, lieber Rudi, hindert mich daran.
Wir dürfen trotz der ERP-Mittel das Gesamtkonzept
für die Luftfahrtforschung nicht aus den Augen verlieren.
Man kann über die Streichung der Mittel für die erneu-
erbaren Energien der Rückgang beträgt 30 Prozent und
betrifft Forschung und Entwicklung, Investitionen sowie
die Bereiche neue Energiequellen und rationelle Energie-
versorgung erst dann diskutieren, wenn es ein Gesamt-
konzept gibt. Aber es liegt noch nicht einmal ein Gesamt-
konzept zur Energieentwicklung vor.
Eine der glanzvollen Managementleistungen des Wirt-
schaftsministers war die Organisation des Ausstiegs aus
der Kernenergie. Dass dieser Arbeitsplätze schafft, ist
nicht unmittelbar zu erkennen. Dass dieser dabei hilft, die
Klimaziele in Deutschland zu erreichen, ist nicht für jeden
einsichtig. Handwerklich war das zwar gut gemacht, nur
es bringt Deutschland nicht voran.
Ihre Antwort auf die Frage, wo Sie einsteigen wollen,
wenn Sie aussteigen wollen, interessiert uns. Sie sollten
erst einmal ein umfassendes Konzept zur Energiepolitik
vorlegen, aus dem ersichtlich werden muss, welche Mit-
tel für welche Programme Sie kürzen oder erhöhen wol-
len. Das wäre eine intellektuelle Glanzleistung, die noch
dazu hilfreich wäre.
Meine lieben Freunde, der Wirtschaftsminister setzt in
seiner Eigenschaft als Zukunftsminister aufgrund der
Überlegenheit seiner Vernunft auf den innovativen Mit-
telstand. Dass der Mittelstand nicht nur die volkswirt-
schaftliche Quelle für Innovationen ist, sondern auch
Arbeitsplätze schafft, haben wir bereits während unserer
Regierungszeit erkannt. In den angeblich schrecklichen
80er-Jahren, die Eichel in seiner gestrigen Rede so
schwarz gemalt hat, war es tatsächlich so: 1982 sagten uns
kluge Leute, wenn ihr euch anstrengt, dann könnt ihr viel-
leicht 1,1 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen. Aber der
Mittelstand ist in höchster Gefahr.
Was ist geschehen? In den 90er-Jahren sind in den al-
ten Bundesländern 3,2 Millionen neue Arbeitsplätze ent-
standen, und zwar zu 80 Prozent im Mittelstand. Der Mit-
telstand hat in den 90er-Jahren Arbeitsplätze geschaffen,
als die großen Unternehmen Arbeitsplätze abgebaut ha-
ben. Der Mittelstand hat umso mehr aufbauen können, je
stärker er neue Techniken einsetzen, Innovationen umset-
zen konnte und Zugang zur Wissenschaft gefunden hat.
Zu der Tatsache, dass Sie jetzt die mittelstandsfördernden
Programme systematisch streichen, kann ich Ihnen nur sa-
gen: Das ist in einer Zeit, in der beim Mittelstand ich for-
muliere es behutsam eine gewisse Tendenz besteht, die
Forschungsmittel von sich aus herunterzufahren, nicht
hilfreich. Das ist gefährlich. Das wird auf die Märkte
durchschlagen.
Ich könnte die Programme hier im Einzelnen auf-
zählen. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass zum Bei-
spiel die Mittel für die Auslandsmessen von 36 Millionen
Euro auf 29,5 Millionen Euro gekürzt werden sollen. Das
ist gefährlich. Der Mittelstand will sich doch auf den in-
ternationalen Märkten präsentieren können. Wenn die
Consugerma stirbt, dann wird es für den Mittelstand noch
schwieriger werden, in den japanischen Markt hineinzu-
kommen. Aber in Japan gibt es Hochpreise. Fragen Sie
einmal die Miederwarenfabrikanten ich will keine
Firma nennen , die jetzt in Japan ein glänzendes Geschäft
machen.
Es stellt sich die Frage, wie man gezielt aufbaut. Sie
dagegen kürzen überall: bei den Auslandsmessen, bei der
industriellen Gemeinschaftsforschung dort hilft der
Mittelstand sich selbst , bei der Förderung der Wettbe-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Dr. Heinz Riesenhuber
18536
werbsfähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen,
bei Fortbildungseinrichtungen für das Handwerk und bei
Forschung und Entwicklung in den neuen Bundesländern.
Da kürzen Sie die Mittel von 123 Millionen DM auf
102 Millionen DM, also um mehr als 20 Millionen DM.
Man kann sagen, dass das vernünftig ist, weil man der
Auffassung ist, dass die neuen Länder in die Gemein-
schaft aller Länder integriert werden sollen. Wenn dem so
ist, dann darf nicht überall gekürzt werden. Das gilt erst
recht für die neuen Länder, bei denen sogar noch mehr
gekürzt wird. Das ist nicht gut für die Entwicklung in den
neuen Ländern, wo Schwung und Aufbruch beibehalten
werden müssen, damit sie sich auf den internationalen
Märkten durchsetzen können.
BTU, also das Kapital für die Beteiligung am Risiko
von Technologieunternehmen, ist fast das Einzige, was
wächst. Das eröffnet aber keine neuen Chancen. Es läuft
ganz einfach darauf hinaus das ist in Ordnung , dass
Sie die Konkurse bezahlen und die Kreditausfälle finan-
zieren müssen. Daraus entsteht nichts Neues.
Für die Zeit, in der es eine entsprechende Dynamik
gab, war es ein vorzügliches Programm, sehr verehrter
Herr Minister. Es ist merkwürdig, dass die Anzahl der
Gründer Jahr für Jahr abnimmt, seitdem Sie im Amt sind.
Warum denn wohl? Zuvor ist über einen Zeitraum von
15 Jahren die Anzahl der Gründer Jahr für Jahr angestie-
gen: In den alten Ländern hat die Zahl der Selbstständigen
von 6,9 Prozent auf 9,4 Prozent zugenommen. Ich brau-
che hier nicht die großartige Arbeit in den neuen Bundes-
ländern zu beschreiben. Dort hat man die Wirtschaft wirk-
lich vorangebracht und in einer kritischen Situation
Arbeitsplätze geschaffen. Dort verlangt man kein Geld
von Ihnen. Man ist selbstlos. Man mag Bürokratie nicht
so gerne; denn das bedeutet, dass man lange Anträge stel-
len muss.
Es gibt ein völlig anderes Problem. Es ist nicht gut, die
Leute dadurch zu verschrecken, dass für die business an-
gels die Wesentlichkeitsgrenze im Hinblick auf Beteili-
gungen von 10 Prozent auf 1 Prozent gesenkt wird.
Ich hoffe, die geniale und innovative Idee des Finanzmi-
nisters, die Gewerbesteuer auf vermögensverwaltende
Fonds zu erheben, ist vom Tisch. Damit würden diese
Fonds aus Deutschland vertrieben. Dadurch würde das
entsprechende Geld international angelegt und unsere
Unternehmen bekämen es nicht.
Ich hoffe, dass Sie, was Ihre großartige Idee im Hin-
blick auf Aktienoptionen betrifft die Ihre tüchtige
Staatssekretärin immer wieder mit Leidenschaft vorgetra-
gen hat , jetzt endlich einmal zu Potte kommen. Die
Kaufkurse am Aktienmarkt waren noch nie so niedrig.
Aufgrund der Konkurrenz ist es für junge Unternehmen
schwierig, von Großunternehmen, die sehr viel höhere
Gehälter zahlen können, erstklassige Mitarbeiter abzu-
werben. Um einen vernünftigen Einstieg zu finden, bedarf
es einer überlegenen Strategie.
Dieser Haushalt ist so reich, dass ich nicht alles mit ge-
bührender Deutlichkeit kommentieren kann. Ich möchte
respektvoll sagen, dass der Wirtschaftsminister neben
allem anderen, was er ist Sprecher der Wirtschaft in der
Bundesregierung ist.
Der forschende Mittelstand fühlt sich zurzeit ein bisschen
durch Liebesentzug bestraft. Herr Minister, die Liebe
bringt Gefahr, wenn sie erkaltet. Sie müssen davon aus-
gehen, dass wir uns in folgender Situation befinden: Die
Neue Mitte hat begriffen, dass es zwar großartige Über-
schriften gab, dass aber darüber hinaus nichts passierte; es
gab zwar prächtige Ankündigungen wie die von der For-
schungsmilliarde und von der Verdoppelung der Höhe der
Forschungsinvestitionen innerhalb von fünf Jahren, den-
noch ist es zu nichts dergleichen gekommen.
Der Forschungshaushalt des Wirtschaftsministers ist
heute kleiner als der letzte entsprechende Haushalt unter
dem Finanzminister Theo Waigel. Theo Waigel war als Fi-
nanzminister ein harter Knochen und für einen For-
schungsminister schwer zu ertragen.
Es geht darum, Möglichkeiten zu schaffen, damit et-
was Neues entstehen kann. Nicht große Ankündigungen,
nicht wunderbare Beschreibungen von optimistischen
Szenarien verändern die Welt, sondern allein die Arbeit
gibt den Leuten die Chance, das zu tun, was sie wollen.
Die Regierung vollbringt schon eine glanzvolle Leistung,
wenn sie die Leute nicht mehr als nötig bei der Arbeit
stört. Das hat nicht jede Regierung von Anfang an begrif-
fen.
Gunnar Uldall hat hier in sehr anschaulicher Weise be-
schrieben, wie Sie mit wunderbaren Ideen wie dem 630-
Mark-Gesetz und der Scheinselbstständigkeit die Gründer
so lange beschäftigen können, bis sie nicht mehr gründen
wollen, weil sie mit dem bürokratischen Aufwand schon
ausgelastet wären.
Hochverehrter Herr Bundesminister, nach einer neuen
Umfrage der Wirtschaftsjunioren glaubt nur noch ein
Siebtel der Deutschen, dass unsere Steuersysteme und
unsere Sozialsysteme Leistungsanreize sind. Diese Nach-
richt muss für den Bundesminister unangenehm sein. Hier
müssen Sie herangehen. Konjunkturprogramme sind
nicht erforderlich und haben wir auch nicht erfunden. Der
Sachverständigenrat, die Institute, die OECD und die
Bundesbank sagen alle das Gleiche; sie erläutern Ihnen
mit einfachen Worten, wo Sie die Arbeitsmärkte deregu-
lieren müssen, dass Sie die Leute nicht mit Bürokratie be-
schäftigen dürfen, sondern entlasten müssen.
Sie sagen, dass das Zurückhängen Deutschlands im inter-
nationalen Vergleich im Wesentlichen daran liegt, dass
Deutschland nicht dereguliert hat, sondern sich auf sei-
nem Hintern ausruht.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Dr. Heinz Riesenhuber
18537
Herr Kol-
lege Riesenhuber, es gibt sicher ein interfraktionelles In-
teresse daran, dass Sie noch länger reden.
Aber Sie haben Ihre Redezeit schon um zwei Minuten
überzogen.
Ich bitte sehr
um Nachsicht, Herr Präsident. Dies ist ein anregendes
Thema und ein intimer Kreis, in dem man das darstellen
kann.
Ich möchte nur noch eine Schlussbemerkung machen.
Hochverehrter Herr Minister, wir alle versuchen, Ihnen so
gut zu helfen, wie wir können.
Der Kollege Uldall hat hier mit großer Nachdrücklichkeit
gefordert, dass Ihr Ministerium wieder so stark wird, wie
es sein muss und wie es war, und dass die entsprechenden
Abteilungen wieder dazugehören. Wir helfen Ihnen, wo
wir können.
Aber wir freuen uns auch darauf, einen Minister zu se-
hen, der im letzten Jahr seiner Amtsperiode für seine
Haushalte kämpft, wo sie strategische Bedeutung haben,
einen Minister, der glanzvoll und mit Überzeugungskraft
charismatische Visionen entwickelt, einen Minister, der
mit ordnungspolitischer Festigkeit Bürokratien abbaut
und sich da auch gegen den Finanzminister durchsetzt,
wenn der großartige Ideen hat. Wir wollen einen Minister,
der sein Haus glänzend in Ordnung hat und so prachtvoll
führt, dass wir es im Herbst nächsten Jahres, also ziemlich
genau in einem Jahr, gerne und fröhlich aus Ihrer Hand
übernehmen können, um es in eine erfolgreiche Zukunft
führen zu können.
Nun gebe
ich das Wort der Kollegin Dagmar Wöhrl. Sie spricht
ebenfalls für die CDU/CSU.
Sehr geehrter Herr Prä-
sident! Meine Damen und Herren! Sie glauben mir, wenn
ich sage, dass es sehr schwer ist, nach dem Kollegen
Riesenhuber zu reden,
der uns mit seiner Rhetorik jedes Mal erfreut, unabhängig
von den guten Inhalten seiner Reden.
Wir sprechen heute über einen Etatplan, aus dem der
Minister eigentlich nur noch Papierflieger machen kann.
Denn diesem Etat liegen Wachstumsprognosen, von de-
nen heute jeder weiß, dass sie nicht mehr realisierbar sein
werden, und Arbeitslosenzahlen zugrunde, von denen je-
der weiß, dass sie eine Utopie sind, nur noch ein haltloses
Versprechen des Kanzlers. Wir wissen, dass dieser Etat-
plan eigentlich in den Papierkorb und nirgendwo sonst
hingehört.
Mich erinnert dieser unbegründete Optimismus unse-
res Finanzministers an einen Mann, der, ohne einen Pfen-
nig in der Tasche zu haben, Austern bestellt, in der Hoff-
nung, eine Perle zu finden, um seine Rechnung bezahlen
zu können. Herr Eichel, Sie werden keine Perle finden
nicht wegen der allgemeinen wirtschaftlichen Erschütte-
rungen nach den furchtbaren Terrorangriffen, sondern
vielmehr wegen der vielen hausgemachten Probleme.
Was haben Sie als Regierung nicht alles versprochen:
weniger Arbeitslosigkeit, Sozialversicherungsbeiträge
unter 40 Prozent, mehr Geld in den Taschen der Bürger.
Wie sieht die Bilanz nach drei Jahren Rot-Grün aus? Die
Steuern steigen, die Abgaben steigen, die Arbeitslosigkeit
steigt. Jetzt rächen sich die Fehler, die Sie in den letzten
drei Jahren gemacht haben, doppelt. Es rächt sich, dass es
vom Kanzler versäumt worden ist, in einer guten und
wachstumsstarken Zeit die notwendigen Reformen anzu-
gehen und die Binnenkonjunktur zu stärken.
Noch vor wenigen Jahren war unsere Ökonomie die
Konjunkturlokomotive Europas. Wo stehen wir jetzt?
Jetzt sind wir international abgeschlagen, wir stehen in-
ternational an letzter Stelle. Man fragt sich natürlich,
warum wir so anfällig sind. Liegt es an unserem Außen-
handelsanteil, wie es immer wieder, auch von dieser Re-
gierung, behauptet wird? Es verhält sich nicht so. Ver-
gleichen wir uns mit Irland: Irland hat heute eine
Exportquote von über 90 Prozent, unsere liegt bei
33,4 Prozent. Wie verhält es sich dort mit der Wachstums-
prognose? Sie wurde um 13 Prozent revidiert, bei uns aber
um 39 Prozent. An diesen Zahlen kann man erkennen,
dass wir eine hausgemachte Wirtschaftsschwäche ha-
ben.
Mit dieser Auffassung stehen wir als Opposition nicht al-
lein; alle Experten beweisen das mit ihren Ausführungen.
Gründe sind die verfehlte Wirtschaftspolitik, die 630-
Mark-Gesetze, der Anspruch auf Teilzeitarbeit, das geän-
derte Betriebsverfassungsgesetz usw. Sie haben ein mit-
telstandsfeindliches Gesetz nach dem anderen auf den
Weg gebracht. Leider habe ich nicht ausreichend Rede-
zeit, Herr Staffelt, um alle mittelstandsfeindlichen Ge-
setze aufzuführen, die Sie in den letzten drei Jahren auf
den Weg gebracht haben.
In der jetzigen Situation ist es gerade diese Schwäche,
die so gefährlich ist. Deswegen müssen wir noch mehr als
in der Vergangenheit auf wirtschaftliche Stabilität drän-
gen. Eine ruhige Hand, wie Sie sie immer propagieren, ist
bei stürmischer See nicht angebracht. Sie müssen das Ru-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 200118538
der herumreißen; Sie müssen endlich Ballast über Bord
schmeißen. Sie müssen schauen, dass Sie endlich die
Steuern senken. Sie müssen schauen, dass Sie die Unter-
nehmer und die Bürger entlasten.
Gehen Sie endlich notwendige Reformen an. Sorgen
Sie endlich dafür, dass wir zu einem echten Bündnis für
Arbeit kommen, in dem endlich auch über eine Flexibi-
lisierung der Arbeitsmärkte gesprochen werden kann.
Wenn ich daran denke, dass die Ökosteuer im Januar noch
einmal um 7 Pfennig erhöht wird, dann komme ich zu
dem Schluss, dass Sie eine unverantwortliche Politik be-
treiben.
Was macht man auf einem sinkenden Schiff? Man wirft
Ballast über Bord. Was machen Sie? Sie laden immer
noch mehr Ballast drauf.
Das gilt, auch wenn Sie heute davon reden, dass die Ta-
baksteuer und die Versicherungsteuern unbedeutende
Steuern seien, ihre Erhöhung keine Nebenwirkungen
habe und nur eine Kleinigkeit darstelle, einen Mücken-
stich für die Konjunktur bedeute. Dann behaupten Sie
noch, es würden 2 Milliarden DM durch die Erhöhung der
Tabaksteuer eingenommen. Jede Berechnung ergibt, dass
Sie 6 Milliarden DM einnehmen werden. Von daher wäre
es sehr interessant zu erfahren, ob Sie den Differenzbetrag
auch für die Sicherheit verwenden. Oder wo fließt dieses
Geld hin?
Sie müssen sehen: Gerade in einer Zeit, in der die Bin-
nenkonjunktur sowieso schon schwach ist, sind Steuerer-
höhungen Gift für die Konjunktur. Das Statistische Bun-
desamt hat festgestellt, dass allein durch diese
Steuererhöhungen ich rede jetzt nicht von der Ökosteu-
er die Inflationsrate noch einmal um 0,4 Prozentpunkte
steigen wird.
Frau Kolle-
gin Wöhrl, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte, ja.
Sehr verehrte Frau Kollegin
Wöhrl, könnten Sie mir einmal vorrechnen, wie viel Steu-
ern Sie im Golfkrieg 1991 mit der Erhöhung der Tabak-
steuer, der Versicherungsteuer, der Mineralölsteuer sowie
der Einführung des Solidaritätszuschlages eingenommen
haben und in welchem Verhältnis dieser Betrag zu dem
steht, den wir jetzt notwendigerweise für das Programm
gegen den Terror aufbringen?
Ich kann Ihnen dazu sa-
gen, dass wir damals Kosten von 18 Milliarden DM zu
bewältigen hatten.
Der jetzige Haushalt von Minister Eichel umfasst
485 Milliarden DM. Es geht hier um eine Ausgabe in der
Höhe von 0,6 Prozent des Gesamtbetrages, also lächerli-
che 3 Milliarden DM. Ein Minister, der es nicht schafft, in
so einer Situation eine Umschichtung vorzunehmen
Moment einmal, Sie müssen in Ihrer Politik schon Pri-
oritäten setzen und dürfen nicht auch noch zukünftig ideo-
logisch den zweiten Arbeitsmarkt subventionieren, anstatt
den ersten Arbeitsmarkt zu stärken. Das ist das Problem
und das sollten Sie zukünftig angehen.
Wenn Ihnen nichts weiter einfällt, als in einer solchen
Situation den Bürgern das Geld aus der Tasche zu ziehen,
ohne Fantasie walten zu lassen und darüber nachzuden-
ken, was diese Steuererhöhung für die Binnenkonjunktur
bedeutet, dann muss ich sagen: Es sind nicht die richtigen
Minister im Amt.
Man kann auch sagen: Ist der Ruf erst ruiniert, erhöht
es sich völlig ungeniert.
Deswegen bin ich mir nicht sicher, ob Sie es in Zukunft
bei diesen Steuererhöhungen belassen werden. Sie wer-
den bei jeder Gelegenheit, bei der irgendwelche Ausgaben
notwendig werden, versuchen, diese nicht durch Um-
schichtung im Haushalt zu finanzieren, sondern diese
Ausgaben durch Steuererhöhungen auszugleichen.
Frau Kolle-
gin Wöhrl, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme sofort zum
Schluss.
Wir wissen nicht, wie sich die Weltwirtschaft entwickeln
wird. Es gibt dazu von den Ökonomen verschiedene Aussa-
gen. Wir sollten uns aber einig sein, dass wir auch in unse-
rer Wirtschaftspolitik die Abwehrkräfte stärken müssen.
Um dies zu erreichen, brauchen wir endlich eine rasche und
grundlegende Wende in der Wirtschaftspolitik.
Vielen Dank.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Dagmar Wöhrl
18539
Ich gebe
nunmehr dem Bundesminister für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen, Kurt Bodewig, das Wort.
Kurt Bodewig, Bundesminister für Verkehr, Bau- und
nen und Kollegen! Lassen Sie mich, bevor ich auf den
Einzelplan 12 zu sprechen komme, angesichts der
schrecklichen Ereignisse in den USA zunächst auf das
Thema Flugsicherheit eingehen. Diese Ereignisse haben
deutlich gemacht, dass unsere Verkehrssysteme verwund-
bar sind. Der Einsatz von Flugzeugen als Waffe war für
uns nicht vorstellbar. Das ist eine neue Bedrohungssitua-
tion. Wir entsprechen dem durch konkretes und schnelles
Handeln.
Wir haben direkt mit der Luftverkehrswirtschaft und
den Sicherheitsdiensten Schlussfolgerungen gezogen und
ein Maßnahmenpaket vereinbart, das jetzt zügig umge-
setzt wird. Ich kann den Menschen in Deutschland versi-
chern, dass an deutschen Flughäfen ein Höchstmaß an
Sicherheit hergestellt wird und dass wir diesen Prozess
kontinuierlich verfolgen werden.
Ich komme jetzt auf den Einzelplan 12 und unsere Pla-
nung für das kommende Jahr zu sprechen. Dieser Einzel-
plan ist von 48 Milliarden auf 51 Milliarden DM gestiegen.
Das Wichtigste ist: Er ist der größte Investitionshaushalt
der Bundesregierung. Im Jahre 2002 werden wir 26 Mil-
liarden DM investiv umsetzen. Damit machen wir deut-
lich: Wir schaffen Arbeitsplätze, eine funktionierende
Infrastruktur und Mobilität.
Das ist die Voraussetzung für eine gute Stadtentwick-
lung. Das in diesem Zusammenhang bestehende Gesamt-
konzept besteht aus drei Instrumenten: erstens die klas-
sische Städtebauförderung, zweitens das Programm
Soziale Stadt und drittens das neue Stadtumbaupro-
gramm Ost. Von 2002 bis 2009 wird die Bundesregierung
2,2 Milliarden DM allein in das Stadtumbauprogramm
Ost investieren. Das ist ein neues und wirkungsvolles Pro-
gramm.
Ich möchte den Ländern und Kommunen meinen Dank
aussprechen; denn sie haben sich in diesen Prozess sehr
produktiv eingebracht. Insgesamt werden wir in diesem
Programmzeitraum über 5 Milliarden DM mobilisieren.
Das führt zur Revitalisierung der Innenstädte in den neuen
Bundesländern.
Nach diesen Bemerkungen zum Programm zur Ver-
besserung des Standortes Ostdeutschland nun zum Thema
Verkehrsinfrastruktur. Ich möchte hier zwei Punkte be-
sonders hervorheben. Erstens. Der Straßenbauhaushalt ist
jetzt auf Rekordhöhe. Er beträgt im kommenden Jahr
10,8 Milliarden DM. Hinzu kommen 400 Millionen DM
aus EFRE-Programm-Mitteln. Man kann also sehen: Wir
nehmen unsere Verpflichtung, Mobilität zu gewährleis-
ten, auch in diesem Programm ernst. 9 Milliarden DM
werden hier investiert.
Zweitens das ist mir genauso wichtig : Wir haben die
Investitionen in das deutsche Schienennetz deutlich er-
höht. Die Angleichung an das Niveau der Straße mit einem
Investitionsvolumen von annähernd 9 Milliarden DM
macht dies deutlich. Es ist notwendig, weil gerade in Ihrer
Regierungszeit diese Investitionen massiv heruntergefah-
ren worden sind. Wir müssen jetzt endlich die notwen-
digen Investitionen realisieren. Ich meine, das ist nicht
hoch genug zu schätzen.
Ich will aber auch deutlich machen, dass wir die Um-
setzung dieser Mittel sehr genau verfolgen. Wir wissen,
dass es bei den Planungskapazitäten der Bahn Nachholbe-
darf gibt. Deswegen wollen wir jetzt der Bahn entgegen-
kommen. Wir werden in diesem Bereich den Aufbau von
Planungsreserven finanziell unterstützen. Nach meiner
Meinung ist es eine wichtige und entscheidende Voraus-
setzung für die Umsetzung von Investitionen.
Aber ich will auch etwas anderes sagen. Das Geld ist nur
ein Punkt. Ich glaube, die Zahlen des Bundeshaushalts für
unseren Einzelplan können sich sehen lassen. Es sind Spit-
zenzahlen. Das ist gut so, weil dieses Geld gebraucht wird.
Verkehrspolitik bedeutet aber auch eine Weichenstellung,
die sich auf den Haushalt gründen muss. Deshalb komme
ich jetzt zur Verkehrsreform.
Wir stellen mit diesem Haushalt die Weichen für diese
Verkehrsreform. Hierzu nenne ich drei Punkte.
Ich komme zunächst auf die Bahnreform zu sprechen.
Teil der Verkehrsreform ist die Herstellung des fairen
Wettbewerbs auf der Schiene. Das geht nur mit der Unab-
hängigkeit von Netz und Transport und der Sicherstellung
des diskriminierungsfreien Zugangs.
Die zentralen Schlüsselelemente sind Trassenvergabe
und Trassenpreisfestsetzung. Nicht über das Ob dieser
Unabhängigkeit war zu beraten und zu entscheiden, son-
dern über das Wie und Wann.
Mit diesem Ziel und diesem Auftrag habe ich die Task-
force-Schiene eingesetzt. Sie sollte ergebnisoffen arbeiten
und die unterschiedlichen Organisationsmodelle prüfen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 200118540
Gestern Abend hat die Taskforce ihren abschließenden
Bericht vorgelegt und wir haben Entscheidungen gefällt.
Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, Sie, die Abge-
ordneten, heute direkt zu informieren. Der Bericht geht
Ihnen schriftlich zu. Herr Kollege Oswald, natürlich
komme ich gern in den Ausschuss, um über diese Ergeb-
nisse auch gemeinsam mit allen Mitgliedern des Aus-
schusses zu diskutieren.
Ich will in diesem Zusammenhang die folgenden
Punkte nennen:
Erstes Stichwort: Unabhängigkeit. Trassenpreisfest-
setzung und -vergabe werden künftig unabhängig von der
Holding getroffen. Weisungen und Vorgaben des Kon-
zernvorstands wird es künftig nicht mehr geben. Satzung
und Geschäftsordnung werden entsprechend den europä-
ischen Vorgaben angepasst. Ich meine, das ist Entherr-
schung der Netz AG bei Trassenvergabe und -preisfest-
setzung. Das ist notwendig.
Zweites Stichwort: Prozesskontrolle. Wir werden
außerhalb der DB AG eine unabhängige Trassenagentur
beim Eisenbahn-Bundesamt einrichten. Diese Agentur ist
zuständig für die Diskriminierungsfreiheit von Trassen-
preissystem und -vergabe. Das erfolgt in einer sehr massi-
ven Weise. Sie begleitet die Fahrplanerstellung, sie garan-
tiert die Diskriminierungsfreiheit des Netzfahrplans und
stellt die Diskriminierungsfreiheit für die Trassenvergabe
sicher. Diese Trassenagentur ist meinem Hause gegenüber
berichtspflichtig. Damit wird ein ganz wirkungsvolles und
effizientes Steuermittel geschaffen.
Drittes Stichwort: Transparenz. Künftig wird eine
Reihe anderer Dinge transparent gemacht. Dazu gehören
Leistungsbeziehungen im Konzern, konzerninterne Leis-
tungsverrechnungen und die Preisfindungsmechanismen.
Die Netz AG wird zukünftig eine eigene Bilanz veröf-
fentlichen. Auch das hat es bisher nicht gegeben. Alle
diese Maßnahmen sind mehr als notwendig und sie wer-
den jetzt realisiert.
Viertes Stichwort: Maßnahmen bei Diskriminie-
rung. Es wird festgelegt, dass Eisenbahn-Bundesamt und
Bundeskartellamt die Einhaltung von Eisenbahnrecht und
Wettbewerbsrecht sicherstellen. Hiermit werden der
diskriminierungsfreie Zugang zum Netz und die Unab-
hängigkeit der Entscheidungen über Trassenvergabe und
Trassenpreisfestsetzung gewährleistet.
Dies ist das Ergebnis einer beharrlichen Arbeit. Ich
sage beharrlich, weil eine Vielzahl von Prüfungen vor-
genommen worden ist, die jetzt zu einem positiven Er-
gebnis geführt wurden, einem Ergebnis, das den diskri-
minierungsfreien Zugang und den Wettbewerb über diese
Stellschrauben wirkungsvoll sicherstellt: Unabhängig-
keit, Prozesskontrolle, Transparenz und Wettbewerbskon-
trolle. Ich sage Ihnen: Jetzt wird es ernst, jetzt kommt
Wettbewerb auf die Schiene.
Lassen Sie mich kurz die anderen beiden Vorhaben der
Verkehrsreform ansprechen. Ich komme zunächst zur
LKW-Maut. Sie ist ein ganz zentrales Steuerungsmittel
zur Vermeidung und Verlagerung von Verkehr, das einen
wirtschaftlichen Vergleich ermöglicht. Ich nenne Ihnen zu
diesem Bereich fünf Punkte.
Erstens. Mit der Maut wird der LKW-Verkehr endlich
mit seinen Wegekosten belastet.
Zweitens. Die Maut verbessert den intermodalen Wett-
bewerb zwischen Schiene und Straße.
Drittens. Die Mittel fließen zurück in die Infrastruktur.
Viertens. Die Maut schafft Fairness im Wettbewerb.
Sozialdumping und Billigangebote wird es nicht mehr ge-
ben. Es wird endlich eine faire Anlastung der Wegekosten
geben. Das ist der entscheidende Punkt.
Über die LKW-Maut. Herr Goldmann, all das, was Sie
nicht auf die Reihe bekommen haben, müssen Sie jetzt
nicht kritisieren. Lassen Sie uns zusammenarbeiten!
Fünftens. Die zur Erhebung der Maut nötige Technolo-
gie dieser Punkt ist mir auch wichtig wird dazu bei-
tragen, die Exportchancen Deutschlands zu erhöhen. Ich
sage dies, weil die Interessenten bei uns vor der Tür ste-
hen. Mit dieser technologischen Innovation sind wir Vor-
reiter in Europa. Sie ist wichtig, weil sie nicht in den Ver-
kehrsfluss eingreift.
Es ist eine wichtige Strukturentscheidung, die LKW-
Maut zu erheben. Hierfür gibt es übrigens eine grundsätz-
liche Zustimmung aus Wirtschaft und Speditionsgewerbe.
Es gibt einen Dissenzpunkt; diesen möchte ich aus-
drücklich benennen: Es geht um die Querfinanzierung an-
derer Verkehrsträger.
Ich sage Ihnen: Diese wollen wir, weil jeder LKW, der
nicht mehr fährt und dessen Ladung sich auf der Schiene
befindet, die Mobilität insgesamt erhöht. Ich glaube, alle
Verkehrsträger haben etwas davon, dass wir eine inte-
grierte Verkehrspolitik machen.
Lassen Sie mich anfügen: Der ADAC hat gestern er-
klärt, dass er diese Konzeption, einschließlich der Querfi-
nanzierung, mitträgt. Auch das ist, so denke ich, außeror-
dentlich zu begrüßen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Bundesminister Kurt Bodewig
18541
Schließlich werden wir mit der Finanzierungsgesell-
schaft für Verkehrsinfrastruktur erreichen, dass die zu-
sätzlichen Einnahmen aus der Maut in die Verkehrsinfra-
struktur reinvestiert werden.
Das ist der entscheidende Punkt. Der Entwurf zu diesem
Gesetz wird zurzeit erarbeitet. Er wird noch in diesem
Jahr in das Bundeskabinett und in dieses Haus einge-
bracht. Da können Sie sicher sein.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Ich glaube, der
Haushalt 2002 kann sich sehen lassen. Wir packen struk-
turelle Reformen an. Wir haben eine Spitzenausstattung
bei den Mitteln für die Verkehrsinvestition. Das gab es bei
Ihnen in den letzten fünf Jahren nicht mehr.
Wir haben einen Rekordhaushalt. Ich denke, dass dies die
Konsequenz unserer Arbeit zeigt. Wir werden weiterma-
chen.
Vielen Dank.
Ich gebe das
Wort nunmehr dem Kollegen Eduard Oswald für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Ereignisse des 11. Sep-
tember haben natürlich dazu geführt, dass viele Sicher-
heitsfragen im Bereich der Luftfahrt neu gestellt werden
müssen. Herr Bundesminister, wir stimmen Ihnen zu, dass
wir alles nur Denkbare tun müssen, um dafür zu sorgen,
dass für die Flugzeuge und die Flugpassagiere die höchst-
möglichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden.
Sicherheit muss auch im deutschen Flugverkehr das zen-
trale Thema sein. Was irgend möglich ist, muss für die Si-
cherheit getan werden.
Wenn wir uns vorstellen, dass in unserem Lande rund
600 000 Arbeitsplätze vom Luftverkehr anhängen, wird
uns die Bedeutung für den Arbeitsmarkt deutlich.
Wir dürfen unsere Fluggesellschaften mit ihren Plänen
jetzt nicht allein lassen; denn wenn sie im Wettbewerb un-
terliegen, wird dies auch nachhaltige Auswirkungen auf
die Arbeitsplätze im gesamten Luftverkehrsbereich ha-
ben. Ich gehe davon aus, dass Sie das auch bei Ihrem Be-
such im Ausschuss ansprechen werden.
Dabei dürfen wir auch die anderen Probleme, die uns
bewegen, nicht aus den Augen verlieren. Die tatsächliche
Lage in der Bauwirtschaft und im Wohnungswesen sowie
in den verschiedenen Verkehrsbereichen ist
ernster, als Sie es wahrhaben wollen und als Sie es heute
dargestellt haben.
Sie haben heute an manchen Fragen vorbeigeredet:
Die Einbrüche in der Bauwirtschaft haben zu einer stei-
genden Arbeitslosigkeit geführt; die Investitionsquote im
Bundeshaushalt 2002 ist abgerutscht; es besteht ein zu-
nehmender Mangel an preiswerten Wohnungen für Ein-
kommensschwache; investitionsfeindliche Rahmenbe-
dingungen hemmen den Wohnungsbau.
Der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur gerät immer
mehr ins Stocken. Staus auf unseren Straßen führen jähr-
lich zu volkswirtschaftlichen Verlusten in dreistelliger
Milliardenhöhe. Je unruhiger es auf Ihrer Seite wird,
umso mehr habe ich Recht.
Die Bahnreform kommt nicht voran, trotz allem, was
Sie hier gesagt haben. Denn bei der Diskussion über die
Trennung von Netz und Betrieb hat sich der Bahnchef
durchgesetzt. Das, was Sie hier vorgetragen haben, ist
eine klare Absage an die Punkte, die Sie ursprünglich vor-
gehabt haben. Das ist doch die Wahrheit.
Die Schließung von Bahnwerken, die Stilllegung von
Strecken und der Rückzug aus der Flächenbedienung ha-
ben zu einem Imageverlust der Bahn geführt und die At-
traktivität des Schienenverkehrs beschädigt. Die Bundes-
regierung lässt in dieser Frage Führung vermissen.
Sie sind der zuständige Bundesminister und nicht Herr
Mehdorn.
Die Diskussion um die Höhe der LKW-Maut verunsi-
chert das Straßengüterverkehrsgewerbe. Dies sind alles
Punkte, für die man eine Politik benötigt, die anpackt,
führt und gestaltet.
In den ersten sechs Monaten dieses Jahres hat sich der
konjunkturelle Abschwung im deutschen Bauhauptge-
werbe drastisch verschärft. Der reale Auftragseingang ist
von Januar bis Juni um 5 Prozent zurückgegangen, im
Wohnungsbau um 15,1 Prozent, im Wirtschaftsbau um
2,7 Prozent, im öffentlichen Bau um 0,7 Prozent. Die
deutsche Bauindustrie erwartet einen weiteren Rückgang
der Umsätze im deutschen Bauhauptgewerbe im zwei-
stelligen Bereich sowie einen Abbau der Beschäftigung
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Bundesminister Kurt Bodewig
18542
von bis zu 100 000 Stellen. Das ist dramatisch. Dazu muss
man in diesem Hause Stellung nehmen.
Wer im konjunkturellen Abschwung Steuerausfälle
durch Investitionskürzungen auffangen will, verschärft
nur den Abwärtstrend und produziert neue Haushalts-
löcher. Sie dürfen doch nicht übersehen, dass sich Bauin-
vestitionen zu zwei Dritteln selbst finanzieren, und zwar
über Steuermehreinnahmen, höhere Sozialversicherungs-
beiträge und weniger Arbeitslosenunterstützung. Auch
dies gehört hier auf den Tisch.
Auch im Wohnungsbau haben Sie die falschen Si-
gnale gesetzt. Durch das Absenken der Einkommensgren-
zen bei der Eigenheimzulage haben Sie für einen Ein-
bruch der Genehmigungszahlen bei Einfamilienhäusern
gesorgt. Sie haben die Rahmenbedingungen für den frei
finanzierten Mietwohnungsbau erheblich verschlechtert,
indem Sie den Vorsteuerabzug gestrichen, die Spekulati-
onsfrist verlängert und die Begrenzung der Verlustrech-
nung zwischen den Einkunftsarten vorgenommen haben.
Ihr Mietrecht ist ebenfalls eine Wohnungsbaubremse. Ihre
wohnungsbaupolitischen Signale stehen auf Halt und Ihre
Politik wird den Abschwung im Wohnungsbau weiter ver-
schärfen. Sie müssen sich gegenüber dem nicht anwesen-
den Finanzminister durchsetzen. Das ist Ihre Aufgabe.
Nicht viel anders sieht es in der Verkehrspolitik aus.
Die Defizite sind offenkundig. Wir brauchen eine zu-
kunftsorientierte Verkehrspolitik, die den steigenden An-
forderungen an die Mobilität der Bürgerinnen und Bürger
und der Wirtschaft gerecht wird.
Eine Politik, die nur auf Verkehrsvermeidung ausgerich-
tet wäre, würde zwangsläufig in die Sackgasse führen.
Tatsache ist, dass trotz zunehmenden Staus auf der
Straße kaum Verkehre auf Schienen- oder Wasserwege
abwandern. Dies ist leider Realität. Die CDU/CSU-Frak-
tion hat immer wieder deutlich gemacht, dass es uns nicht
um die Bevorzugung des einen oder die Benachteiligung
des anderen Verkehrsträgers geht. Jeder muss seine artei-
genen Stärken einbringen, dies aber zu fairen Wettbe-
werbsbedingungen.
Die CDU/CSU bleibt bei ihrer Forderung, die
streckenbezogene, elektronisch erhobene LKW-Maut als
zielgenaues, gerechtes Instrument zur Erhebung der We-
gekosten schnellstmöglich einzuführen,
allerdings unter klaren Grundbedingungen wir haben
sehr wohl gehört, was Sie heute gesagt haben : Wir brau-
chen erstens eine ausreichende Entlastung für das deut-
sche Güterverkehrsgewerbe an anderer Stelle
und zweitens eine Zweckbindung der Mauteinnahmen für
die Infrastruktur. Wir sind außerdem entschieden gegen
eine überhöhte Bemautung, so wie Sie sich das vorstellen.
Das Mautaufkommen muss voll für die Straßeninfra-
struktur zur Verfügung stehen. Eine LKW-Maut, die nur
ein weiteres Mittel zum Abkassieren sein soll, ist mit uns
nicht zu machen.
Mit Ihrem Modell werden Sie Verkehre statt auf die
Schiene auf Lastkraftwagen aus EU-Mitgliedstaaten und
dem osteuropäischen Raum verlagern. Diese werden die
zur Aufgabe gezwungenen deutschen LKWs sofort erset-
zen. Dies darf nicht sein.
Wir sagen Ihnen: Vertrösten Sie das LKW-Gewerbe
nicht von Monat zu Monat und möglicherweise bis über
die Wahl hinaus. Wir wollen in den nächsten Wochen die
Dinge klipp und klar auf dem Tisch liegen haben. Wer
jetzt nicht nachhaltig und stetig in die Infrastruktur inves-
tiert, setzt den Wirtschaftsstandort, Beschäftigung, Öko-
logie und Verkehrssicherheit aufs Spiel. Stellen Sie Geld
zur Verfügung und schließen Sie Ihre Schlaglöcher.
Das ist Ihre Aufgabe.
Wir wollen mehr Verkehre auf die Schiene bringen.
Dafür brauchen wir neuen Schwung für das System
Schiene und keinesfalls einen Rückzug der Bahn aus der
Fläche. Wir wollen eine Bahn, die auch die ländlichen
Räume bedient. Das ist unser Ziel.
Uns geht es um ein optimales Schienennetz, um eine
Leistungssteigerung im Personen- und Güterverkehr, um
die wirtschaftliche Stabilität des Unternehmens Deutsche
Bahn AG und um die Schaffung der Voraussetzung für
Wettbewerb auf der Schiene. Die notwendige Trennung
von Netz und Betrieb trotz oder gerade wegen Ihrer
Worte von vorhin kann ich das nur wiederholen ist Ih-
nen, Herr Bundesminister, leider gänzlich misslungen.
Eine halbherzige Lösung werden jedenfalls wir nicht mit-
tragen können.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Eduard Oswald
18543
Sie haben uns in Deutschland in den letzten Jahren eine
nie da gewesene Programmvielfalt bei den Investitionen
beschert und damit den Eindruck vermittelt, es bewege
sich etwas. Ich muss sagen: Das erkenne ich an. Diese Pro-
gramme sind aber nicht in der Haushaltsabteilung, sondern
in der PR-Abteilung Ihres Hauses gemacht worden.
Tatsache ist, dass mit den Investitionsprogrammen von
1999 bis 2002 eine Fülle von Straßenbaumaßnahmen mit
rund 18 Milliarden DM lediglich anfinanziert werden.
Der größere Teil fällt mit rund 22 Milliarden DM erst ab
2003 an. Wenn es bei den Haushaltsansätzen bleibt, hat
dies zur Folge, dass durch die Mittelbindung in einem der-
artigen Umfang auf absehbare Zeit kaum eine neue Maß-
nahme begonnen werden kann.
Wir wollen eine Mobilitätsoffensive für den Standort
Deutschland. Wir wollen eine möglichst sichere und eine
möglichst umweltgerechte Mobilität für unsere Bürgerin-
nen und Bürger erhalten und verbessern. Wir wollen nicht,
dass Deutschland auf unseren Straßen im Stau steht. Un-
sere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Sie brauchen nur
zuzustimmen.
Ein zukunftsfähiges Infrastruktursystem muss indivi-
duelle Mobilität garantieren, die Attraktivität des Wirt-
schaftsstandortes Deutschland sichern und zugleich den
wachsenden Anforderungen an die Schonung der Umwelt
vor Lärm- und Schadstoffemissionen Rechnung tragen.
Schließlich muss es in der Lage sein, auch zukünftige Ver-
kehrszuwächse gerade durch die EU-Erweiterung so rei-
bungslos, sicher und umweltschonend wie möglich zu be-
wältigen. Das sind unsere Positionen. Wir werden Sie
daran messen. Aber Sie müssen mehr auf den Tisch legen,
als Sie es heute getan haben.
Vielen Dank.
Für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht nun der
Kollege Albert Schmidt.
Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Der Haushalt des Einzelplans 12, Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen, garantiert zum wiederholten
Male das muss man sagen ein sehr hohes Investi-
tionsniveau. Das an sich ist schon eine Leistung.
Die eigentliche Leistung aber besteht darin, dass dieses
hohe Investitionsniveau zusammen mit einer Steuer-
reform, mit Steuersenkungen und Haushaltssanierung er-
zielt wird. Das ist der eigentliche Wert dieser Leistung.
Ich möchte versuchen, auf folgende Fragen zu antwor-
ten: Was ist an diesem Haushaltsplan im Bereich Verkehr
neu? Was hebt sich von der früheren Investitionspolitik
ab?
Ich fange einmal mit der Bahn an, weil Sie wissen,
dass sie mir besonders am Herzen liegt. Die Investitionen
für die Bahn sind erstmals auf fast 9 Milliarden DM ge-
steigert worden. Dies ist neuerdings bindend in einer tri-
lateralen Vereinbarung in einem Dreijahresvertrag festge-
legt worden, der neben dem Jahr 2001 auch die Folgejahre
umfasst. Das heißt, dem Unternehmen stehen über
27 Milliarden DM für die Erneuerung des Netzes zur Ver-
fügung. Das ist eine Größenordnung, auf die man sich
verlassen kann.
Zum ersten Mal wird der Schwerpunkt auf die Verbes-
serung und Modernisierung des Bestandsnetzes gelegt.
Das heißt, die Erneuerung des Bestandsnetzes hat Vorrang
vor überteuerten Großprojekten. Auch das ist neu, richtig
und bitter notwendig; denn das Bestandsnetz wurde über
die Jahre schrecklich vernachlässigt.
Außerdem werden zum ersten Mal die Bundesmittel
nicht mehr als zinslose Darlehen, die später wieder
zurückgezahlt werden müssen, sondern zu 90 Prozent als
Baukostenzuschuss gewährt. Allein diese Zuschussfinan-
zierung entlastet die Bilanz des Unternehmens in den
nächsten Jahren in Milliardenhöhe.
Zum wiederholten Male das ist nicht neu werden
100 Millionen DM für die Lärmsanierung an Schienen-
strecken eingesetzt. Auch das ist dringend notwendig; wir
begrüßen das sehr.
Ich fasse zusammen: Seit der Regierungsübernahme
im Jahre 1998 hat diese Bundesregierung die Investitio-
nen im Bahnbereich um über 50 Prozent gesteigert.
Das heißt, der Sanierungsprozess ist damit für die
nächsten Jahre gesichert. Ich verspreche Ihnen, dass wir
uns genauso nachhaltig und intensiv dafür einsetzen wer-
den, auch nach dem Jahre 2003 Investitionen auf hohem
Niveau zu gewährleisten; denn der Sanierungsprozess
wird mit Sicherheit bis zum Jahre 2005 dauern.
Mit den gewährten Bundesmitteln gewinnt auch das
Unternehmen Deutsche Bahn AG einen neuen finanziel-
len Handlungspielraum, den es bisher nicht hatte. Es kann
nun in seiner mittelfristigen Finanzplanung in diesen und
in den nächsten vier Jahren insgesamt 80 Milliarden DM
aufwenden, und zwar nicht nur für die Erneuerung des
Netzes, sondern auch für neue Züge, neue Bahnhöfe und
die gesamte Infrastruktur. Das gesamte System Bahn wird
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Eduard Oswald
18544
in den nächsten Jahren runderneuert und die Fahrgäste
werden das in den nächsten Jahren buchstäblich Zug um
Zug erfahren können. Das ist der eigentliche Wert dieser
Anstrengungen; denn letztlich geht es um die Fahrgäste.
Aber auch im konsumtiven Bereich haben wir seit der
Regierungsübernahme die Mittel an die Bundesländer zur
Bestellung von Nahverkehrszügen dreimal gesteigert,
und zwar von ursprünglich 12 Milliarden DM auf jetzt
13,4 Milliarden DM. Wir werden uns bei den anstehenden
Verhandlungen mit den Bundesländern dafür einsetzen,
dass auch künftig eine ordentliche und faire Ausstattung
an finanziellen Mitteln für die Bestellung von Nahver-
kehrszügen zur Verfügung steht.
Summa summarum werden für Investitionen und Re-
gionalisierungsmittel weit über 20 Milliarden DM aufge-
wendet. Das ist ich sage es noch einmal angesichts der
Steuersenkungen und der Haushaltskonsolidierung eine
stolze Leistung.
Ich möchte aber nicht den Eindruck erwecken, als
handle es sich um eine einfache Gleichung, nach der mehr
Geld mehr Nutzen für die Bahn bringt. Man muss im Ge-
genteil genau aufpassen, wohin das Geld fließt und dass
es an der richtigen Stelle ausgegeben wird. Deswegen ist
der zweite Punkt, den Sie, Herr Minister angesprochen
haben, mindestens ebenso wichtig: Investition plus Inno-
vation. Um diese Begriffe geht es.
Dieser zweite Punkt betrifft Herr Kollege Goldmann,
hier sind wir einer Meinung die strukturelle Weiterent-
wicklung im Rahmen der Bahnreform. Was Sie heute hin-
sichtlich des vermutlichen Inhalts des Abschlussberichts
der Taskforce gesagt haben, geht genau in diese Richtung.
Was bringt der Vorschlag der Taskforce? Er bringt eine
transparente Bilanzierung. Das heißt, sowohl die Innen-
als auch die Außengeschäfte der Holding werden nach-
vollziehbar dargestellt, sodass jeder Einblick nehmen
kann.
Weiter garantiert der Vorschlag die Unabhängigkeit bei
der Trassenpreisbildung und -vergabe. Das heißt, es
wird keine Weisungsbefugnis der Muttergesellschaft, der
Holding, an ihre Tochter, die Netz AG, geben; dieser Punkt
lässt sich über einen Teilentherrschungsvertrag regeln.
Eine unabhängige Trassenagentur soll durch ihre Aufsicht
sicherstellen, dass Trassen korrekt vergeben werden und
die Trassenpreisbildung korrekt vorgenommen wird. Das
bedeutet eine doppelte Kontrolle, und zwar zum einen
durch das Eisenbahn-Bundesamt das ist die eisenbahn-
technische Seite und zum anderen durch das Bundes-
kartellamt das ist die wettbewerbsrechtliche Seite. All
das wird zu mehr Fairness und Unabhängigkeit bei der
Trassenvergabe führen.
Ich will aber auch hinzufügen, dass wir diese Maßnah-
men nur als Zwischenschritt betrachten.
Dieser Zwischenschritt geht in die richtige Richtung. Er
ist sinnvoll und notwendig und bestimmt die Logik für
den weiteren Prozess. Damit ist natürlich die Richtung hin
zu einer konsequenten unternehmerischen Entflechtung
von Infrastruktur und Verkehrsbetrieben vorgezeichnet.
Denn spätestens dann, wenn es um die Kapitalmarkt-
fähigkeit, also um den Börsengang des Bereiches Infra-
struktur und sei es im Rahmen einer Holding geht, ist
es doch eine alberne Vorstellung anzunehmen, dass wir,
die Steuerzahler und das Parlament, 10 Milliarden DM
zur Verfügung stellen und die privaten Shareholder nach-
her 8 Prozent Rendite bekommen. Das ist eine lächerliche
Vorstellung. So funktioniert Marktwirtschaft und Börse
nicht. Spätestens dann ist der Zeitpunkt gekommen, an
dem man konsequent festhalten muss: Infrastruktur ist öf-
fentliche Daseinsvorsorge, sie darf nicht ausschließlich
dem Diktat von Rendite unterworfen werden, sondern
muss zum Großteil öffentlich finanziert werden. Mit In-
frastruktur lässt sich in dem Sinne kein Geld verdienen,
mit Verkehrsbetrieben schon. Deshalb werden wir das
versichere ich Ihnen dieses Ziel nicht aus den Augen
verlieren. Es liegt in der Logik der Sache ich halte das
für einen Selbstläufer , dass sich diese Einsicht letztlich
allerorts durchsetzen wird.
Ich möchte nun ein paar Worte zum Straßenbau sagen.
In diesem Bereich werden Rekordzahlen genannt. Ich
möchte hier aber auf die Struktur der Straßenbaumittel zu
sprechen kommen: Von den 9 Milliarden DM an Investi-
tionen, die, in ähnlicher Höhe wie für die Schiene, auch
für die Straße aufgewendet werden sollen, ist inzwischen
rund die Hälfte, also 4,6 Milliarden DM, nur für Erhal-
tungsinvestitionen und Ortsumfahrungen vorgesehen.
Das heißt, der Aufwand für den schieren Erhalt unseres
dichten Straßennetzes wird von Jahr zu Jahr größer. In Zu-
kunft werden wir uns das ist meine persönliche Ein-
schätzung nicht mehr den Traum teurer, völlig neuer
Achsen quer durch die Landschaft leisten können, son-
dern werden unser Geld dafür aufwenden müssen, um das
vorhandene Netz zu sanieren, zu erhalten und dort, wo es
nötig ist, zu modernisieren. Beim Straßenbau erfahren wir
also eine neue Schwerpunktsetzung. Das zeichnet sich
von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr immer deutlicher ab.
Ich möchte nun einen weiteren Punkt ansprechen. Die
Diskussion um die LKW-Maut ist nicht, wie manche den
Eindruck zu erwecken versuchen, die Suche nach einer
neuen Einnahmequelle, sondern zeigt einen Paradigmen-
wechsel: Zum ersten Mal im Verkehrswegebau geht es
weg von einer reinen Steuerfinanzierung hin zu einer
Kombination aus Steuer- und Nutzerfinanzierung. Das ist
richtig und notwendig. Das Weißbuch der Europäischen
Kommission, am 12. September vorgestellt, gibt uns in
dieser Politik ausdrücklich Recht. Es ist eben keine Quer-
subventionierung und kein Sakrileg, wenn man Einnah-
men aus der LKW-Maut zum Beispiel in den Ausbau von
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Albert Schmidt
18545
Schiene und Wasserstraße steckt, was wir mit dem Anti-
Stau-Programm machen. Das ist eine sinnvolle Maß-
nahme zur Verkehrslenkung in einem integrierten Ge-
samtsystem, das wir im Auge haben.
Das Weißbuch der EU-Kommission zeigt also ganz klar
den Weg: Kostenwahrheit plus integrierte Mittelverwen-
dung. Das ist der Weg, den wir gehen müssen und werden.
Dies ist die erste Verkehrsdebatte, in der das Wort Öko-
steuer noch nicht gefallen ist. Ich möchte fast sagen: Das
ist ein Fortschritt. Sie ist inzwischen selbstverständlich.
Allerdings, die FDP hat noch nicht gesprochen, vielleicht
wird die Ökosteuer doch noch erwähnt. Seit Einführung
der Ökosteuer hat sich der Benzinverbrauch Herr Kol-
lege Brüderle, hören Sie genau zu
auf Deutschlands Straßen um 12 Prozent reduziert. Die
Deutschen fahren weniger und sparsamer Auto, dafür aber
auch das ist nachweisbar mehr Bahn. Im Fahrverhal-
ten und beim Kauf des neuen Autos achten sie auf niedri-
gen Spritverbrauch. Genau das ist der ökologische Len-
kungseffekt, den wir erreichen wollten. Diesen haben Sie
in der Vergangenheit immer bestritten.
Ich möchte noch etwas zu den Wasserwegen sagen.
Was wir bei der Elbe erlebt haben, nämlich eine dramati-
sche Reduzierung der Verkehrsprognosen, muss zu einem
Umdenken führen. Wir müssen uns die Frage stellen, ob
wir Natur und Landschaft nicht überzogenen Phantom-
prognosen zu opfern drohen. Ich plädiere sehr für ein
sorgfältiges Prüfen, ein nochmaliges Sich-Zusammenset-
zen und für einen maßvollen, angepassten Ausbau. Das-
selbe gilt für die Donau. Die Variante A, ohne Staustufe,
ist die Variante, die nicht nur am billigsten und mit dem
höchsten Kosten-Nutzen-Faktor von 8,3 auch am renta-
belsten ist, sondern auch die umweltverträglichste.
Das ist deshalb die Variante, die wir eindeutig bevorzu-
gen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Schluss. Was der Minister zum Städtebau gesagt hat,
könnte ich jetzt eigentlich nur noch wiederholen. Hier
halte ich die Anstrengungen im Osten für den eigentlichen
Wert dieses Haushaltsentwurfs. Zählt man die Finanzmit-
tel aus der Härtefallregelung im Rahmen des Altschul-
denhilfe-Gesetzes dazu, fließen in den nächsten Jahren
5 Milliarden DM in die Städte Ostdeutschlands. Das be-
deutet Vitalisierung von Städten und Verbesserung von
Lebensqualität.
Summa summarum: Dieser Haushalt findet das rich-
tige Maß von Investition und Innovation. Insoweit freue
ich mich auf Ihre unterstützenden Worte, Herr Kollege
Goldmann.
Das Wort, Herr
Kollege Goldmann, ist Ihnen bereits erteilt worden. Sie
sprechen für die FDP-Fraktion, bitte schön.
Sehr geehrter Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst
bringe ich deutlich zum Ausdruck, dass ich es im Gegen-
satz zum Kollegen Schulz für richtig halte, dass wir heute
über die Thematik sprechen, die im Bereich Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen anliegt. Herr Bodewig hat das in
seinem Beitrag zur Flugsicherung eben auch schon deut-
lich gemacht. Hierzu muss ich allerdings sagen, dass es
nicht schlecht gewesen wäre, Herr Bodewig, wenn Sie am
Mittwoch bei der Information des Ausschusses dabei ge-
wesen wären. Das hätte deutlich gemacht, wie sehr uns al-
len dieses Thema auf den Nägeln brennt.
Wir haben dieses Thema gestern Abend am Rande ei-
ner Veranstaltung des Nautischen Vereins besprochen, auf
der es um Schiffssicherheit ging. Es wurde deutlich, dass
es hier nicht mehr um Safety, sondern um Security geht.
Angesichts der Szenarien, die sich dort entwickeln, wird
man sicherlich neue Wege gehen müssen. Hierfür bieten
wir ausdrücklich unsere Zusammenarbeit an.
Dasselbe wünsche ich mir beim Seeunfalluntersu-
chungsgesetz. Ich halte es für schlichtweg absurd, hier auf
den Sachverstand derer verzichten zu wollen, die mit die-
sem Thema besonders vertraut sind. Hier sollten wir ge-
meinsam zu einer anderen Lösung kommen.
Lassen Sie mich auf das Kernthema zu sprechen kom-
men: Es geht um Mobilität, um die Beweglichkeit unserer
Gesellschaft, aber auch um Wohnqualität. Ferner geht es
um Investitionen und um Innovation. Diesbezüglich bin
ich mit dem Kollegen Schmidt völlig einer Meinung,
stelle im Gegensatz zu ihm aber fest, dass die Investitio-
nen im Verkehrsbereich trotz zusätzlicher Einnahmen aus
den UMTS-Erlösen um 100 Millionen DM sinken.
Das ist Fakt.
Zweitens muss ich feststellen, dass Herr Minister
Bodewig in zwei Bereichen zentraler Innovation, die Sie
angesprochen haben, mit meiner Meinung nach nicht
falschen Vorstellungen schlicht und ergreifend gescheitert
ist. Ich denke hier an die Infrastrukturmitfinanzierung
über LKW-Maut und die Eisenbahnreform.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Albert Schmidt
18546
Sie sagen, das sei falsch. Ich kann dazu nur Folgendes
sagen: Herr Bodewig hat seinerzeit auf dem Parteitag von
Bündnis 90/Die Grünen gesagt, es müsse zu einer Tren-
nung von Netz und Betrieb kommen, um fairen Wettbe-
werb zu ermöglichen. Nach dem Modell, das Herr
Bodewig eben vorgestellt hat, wird das Gegenteil erreicht
werden:
Sie haben wieder eine massive Vernetzung mit der Kon-
zernmutter Bahn; so drücke ich es einmal platt aus. Diese
Vernetzung führt dazu, dass sich Wettbewerb auf der
Schiene nicht einstellt und dass der diskriminierungsfreie
Zugang, den es heute schon geben sollte, auch in Zukunft
nicht gesichert ist.
Herr Kollege Weis, hier sollte man etwas ehrlicher sein.
Derjenige, der weiß, was zum Beispiel Mora C für den
ländlichen Raum bedeutet, und der auch weiß, dass die
ländlichen Räume eigentlich schon seit Jahren bei der
Bahn keinen Ansprechpartner mehr haben, kann doch
nicht ernsthaft auf ein Konzept setzen, das sowohl die
Städte als eben auch die ländlichen Räume infrastruktu-
rell über die Bahn verbindet. Das kann doch überhaupt
nicht die Lösung sein; das, was die Taskforce auf den
Tisch gelegt hat, kann keine Lösung für die Infrastruktur-
probleme speziell im ländlichen Raum sein. Es ist keine
Lösung für alle diejenigen, die jetzt versuchen werden,
Ersatzkonzepte für den ländlichen Raum zu entwickeln.
Lassen Sie mich noch etwas zur LKW-Maut sagen,
Herr Bodewig: In Ihrem Entwurf ich habe ihn dabei
ist nicht sichergestellt, dass die Einnahmen in die Straße
investiert werden.
In Ihrem Gesetz steht nicht die Zusage, die Sie dem BGL
zur Harmonisierung durch Umfinanzierung gegeben ha-
ben.
Nur wegen dieser Zusage hat es die Bereitschaft gegeben,
die LKW-Maut mitzutragen. Wenn Sie diese Zusage nicht
einhalten, wird es in diesem Bereich eine Vernichtung von
Arbeitsplätzen geben, wie wir sie bisher noch nicht erlebt
haben.
Sie wissen genau, dass diesem Gewerbe das Wasser
nicht mehr nur bis zum Hals, sondern bis zur Oberkante
Unterlippe steht. Damit muss man ehrlich umgehen.
Herr Schmidt, wir können uns ja darüber unterhalten, ob
die LKW-Maut vernünftig ist. Das sagen wir ja auch.
Über eines kann man sich aber nicht unterhalten: Die
LKW-Maut muss, was die Infrastruktur speziell bei der
Straße betrifft, gesetzlich geregelt sein und es muss eine
Harmonisierung durch Umfinanzierung kommen. Ansons-
ten werden Sie wieder eine Diskussion über die Ökosteuer
bekommen,
Er ist dann nämlich wirklich Schicht im Schacht, wenn
das im nächsten Jahr noch auf die Betroffenen zukommt.
Lassen Sie mich noch etwas zur Binnenschifffahrt sa-
gen, Herr Kollege Schmidt. Variante A ist dummes Zeug,
das wissen Sie ganz genau.
Die Variante A kann doch nicht dazu beitragen, den Gü-
terverkehr auf die Donau zu verlagern. Sie brauchen eine
Abladetiefe von 2,5 Metern, das wissen Sie genau so gut
wie ich.
Deswegen sollten Sie hier nicht irgendwelche Maßnah-
men konstruieren, die vor der Realität nicht standhalten.
Lassen Sie mich noch ein Wort zum Bausektor sagen.
Der Baurundblick das ist ein vernünftiges Informati-
onsinstrument, lesen Sie es schreibt über rückläufige In-
vestitionen und sinkende Bauausgaben. Ich finde es gut,
dass Sie jetzt endlich ein Programm auflegen, um den
Umbau im Osten sicherzustellen. Der Umbau im Osten
kommt aber doch nicht zustande, wenn Sie nicht zum Bei-
spiel die Wohnungsbaugenossenschaften wesentlich mehr
entlasten. Im Bereich der Mittelbereitstellung und Entlas-
tung der Wohnungsunternehmen nach dem Altschulden-
hilfe-Gesetz
Sie wissen das ganz genau, Frau Gleicke gehen Sie
von 60 Millionen DM auf 49 Millionen DM zurück.
Ich empfehle Ihnen WI 34/2001; da können Sie es nach-
lesen: Banken kritisieren das Stadtumbauprogramm Ost,
weil sie nicht bereit sind, auf Kredite, die sie in diesem
Bereich gegeben haben, zu verzichten.
Ihr Haushalt, den Sie vorlegen, wird dem Ansatz von In-
vestitionsnotwendigkeit im Bereich von Infrastruktur und
Bau und dem notwendigen Ansatz von Innovation nach
unserer Auffassung im Kern nicht gerecht. Wir werden
Anträge stellen, die genau das beinhalten: Investitions-
notwendigkeit zur Sicherung von Arbeitsplätzen und
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Hans-Michael Goldmann
18547
Innovationsnotwendigkeit, um zu einem wirklich ge-
glückten Verkehrskonzept und einer verbesserten Situa-
tion in der Bauwirtschaft zu kommen.
Herzlichen Dank.
Für die
PDS-Fraktion spricht der Kollege Dr. Winfried Wolf.
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Werte Kolleginnen! Werte Kollegen! Von außen ge-
sehen kann man sagen, dass der Bau- und Verkehrsetat ein
Etat der Superlative ist. Er ist der zweitgrößte Etat und ist
gegen den Trend mit einem Wachstum verbunden.
Man kann glauben, dass dabei scheinbar die Koalitions-
vereinbarung im Blick war, die sagt:
Die Investitionen in Verkehrwege sind zur Umset-
zung der ökonomischen und ökologischen Ziele in
ein umfassendes Verkehrskonzept zu integrieren, das
die Voraussetzungen schafft für die Verlagerung
möglichst hoher Anteile des Straßen- und Luftver-
kehrs auf Schienen- und auf Wasserwege.
So lautete es in Ihrer Koalitionsvereinbarung Ende 1998.
Das war, wie gesagt, Ihr Master- oder Drei-Minister-
Plan, der vorgelegt wurde. Die Tatsachen sind aber leider
andere. Tatsache ist, dass die Anteile der Schiene weiter
gesunken sind. Tatsache ist, dass die Anteile der Straße
beim LKW-Verkehr eindeutig gestiegen sind. Auch im
Luftverkehr wurden die Anteile wesentlich erhöht. Das
wird in Ihrem Verkehrsbericht, Herr Bodewig, für das
Jahr 2000 festgehalten.
Die Frage ist daher: Was sind die Gründe dafür, dass
Anspruch und Wirklichkeit auseinander klaffen? Ich
glaube, ein Grund dafür ist sicherlich, dass die Straßen-
bauinvestitionen man muss sich wundern, dass SPD und
Grüne sich dafür rühmen auf Rekordniveau erhöht wur-
den
bzw. gehalten worden sind. Das liegt vor allem daran, dass
inhaltlich immanent einiges von diesem Zahlenwert nicht
stimmt. Sie reden zum Beispiel von einer 50:50-Gleich-
berechtigung von Straße und Schiene die alte Leier ,
wissen aber genau, dass dabei ein Teil der Darlehen für die
Schiene gegeben wird und auch nicht berücksichtigt ist,
dass Straßenbau auch auf Länder- und auf kommunaler
Ebene stattfindet, wodurch die Bilanz erheblich anders
aussieht.
Ja, aber wir haben auf diesen anderen zwei Ebenen
keine Schieneninvestitionen.
Das Problem ist aber, dass die Qualität sowie die Art
und Weise der Investitionen nicht mit der Quantität mit-
halten kann. Nehmen Sie das heutige Zugunglück in En-
zeisweiler mit 100 Verletzten: Dieses Unglück passierte
auf einer internationalen Strecke, ZürichLindauMün-
chen, die in diesem Bereich eingleisig ist. Die Bahn sagt
seit fünf Jahren: Der Inselbahnhof in Lindau muss ge-
schlossen werden, damit wir ein paar Minuten von Zürich
nach München gewinnen, ist aber nicht in der Lage, die-
sen eingleisigen Bereich über den jahrzehntelang gesagt
wurde, er würde ausgebaut auszubauen. Die Folge ist
jetzt, dass dort zwei Züge aufeinander rasen.
Man muss wohl feststellen, dass wir gerade im Bereich
der Schiene eine Konzentration auf zum Teil verkehrlich
problematische Großprojekte erleben, aber gleichzeitig
elementare Ausbaustandards und grundlegende Sicher-
heitsinvestitionen nicht realisiert werden.
Oder lassen Sie mich das Beispiel des Flugverkehrs
nennen. Sie wissen, dass sich momentan aus den bekann-
ten Gründen der internationale Flugverkehr in einer Kri-
sensituation befindet. Wir erleben in den USA derzeit eine
Debatte, von der Personen-Schienengesellschaft Amtrak
angestoßen, welche Sonderinvestitionen eingesetzt wer-
den könnten, um den Verkehr von der Luft auf die Schiene
zu verlagern. Sicherlich spricht in den USA sehr viel
dafür, dass Binnenflugverkehr stattfindet, aber in
Deutschland spricht viel dafür, dass Binnenflugverkehr
auf die Schiene verlagert werden könnte. Die reale Bilanz
zeigt jedoch, dass die Zahl von 6 Milliarden Personenki-
lometern bei Binnenflügen nicht bei den internationa-
len! im Jahre 1990 um 60 Prozent auf jetzt 10 Milliar-
den Personenkilometer gesteigert wurde und dass auch in
der Zeit dieser Regierungskoalition, seit 1998, eine Stei-
gerung der Zahl der Binnenflugkilometer um 20 Prozent
stattgefunden hat.
Hier im Berliner Raum führen wir eine Debatte, in der
es einerseits eine schöne große Koalition von Stolpe und
Gysi gibt, die fordern: Kein Größt-Flughafen, kein Dreh-
kreuz, in der andererseits aber SPD und CDU hier am Ort
in Berlin sagen: Wann kommen wir von 15 Millionen
Fluggästen in Berlin auf 25 Millionen, um einen
Großflughafen zu ermöglichen? Wenn wir jetzt die Struk-
tur der Fluggäste untersuchen und feststellen, dass es in
Berlin zu 60 Prozent Fluggäste mit Flügen im Bereich bis
450 Kilometer sind, dann sagen wir: Das ist ein riesiges
Potenzial für eine Verlagerung, die aber real nicht in An-
griff genommen wird.
Zum Schluss, Herr Bodewig, noch eine Bemerkung.
Ich glaube, dass Sie nicht in erster Linie daran gemessen
werden, ob Sie Debatten über Fahrwege und Betrieb an-
gestoßen haben, nicht daran, ob Sie ein Verhältnis von
50:50 in Ihren formalen Etats haben, sondern dass Sie
konkret an dem gemessen werden, was wie es Herr Kohl
ausgedrückt hat hinten rauskommt. In Ihrer Koaliti-
onsperiode wird hinten rauskommen, dass nach vier
Jahren 800 Kilometer neue Fernstraßen gebaut wurden,
dass in vier Jahren 1 200 Kilometer Schiene abgebaut
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Hans-Michael Goldmann
18548
wurden, dass sechs neue Regionalflughäfen kamen, dass
drei neue Landebahnen kamen und dass insgesamt bei den
Binnenwasserstraßen im falschen Bereich Projekt 17
und andere investiert wurde.
Das logische Resultat einer solchen Verkehrspolitik ist
eben genau die falsche Entwicklung der Verkehrsanteile
entgegen Ihrer Koalitionsvereinbarung.
Danke schön.
Für die
SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Annette Faße.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Die Kritik, die hier am Verkehrshaushalt
geäußert worden ist, weise ich als inhaltlich falsch, als un-
angemessen und teilweise als dreist zurück.
Ich weise auch die Kritik an Minister Bodewig zurück,
was seine Präsenz in der letzten Ausschussberatung an-
geht, als es um die Flugsicherungsfragen ging. Ich weise
dies nachdrücklich zurück. Wir sind sachkundig und fach-
kundig unterrichtet worden, und ich meine, dass wir da-
mit auch dem Thema gerecht geworden sind.
Wir sichern mit diesem großen Investitionshaushalt
des Bundes die Mobilität in unserem Lande. Wir sichern
die Investitionen
und damit Arbeitsplätze auch in der sehr wohl geplagten
Bauindustrie.
Wir investieren mit unserem Haushalt ganz klar und deut-
lich in die Zukunft.
Wenn ich mir einmal anschaue, was wir wieder begra-
digen müssen ich drücke es einmal mit diesem Begriff
aus; man kann auch davon reden, dass Schlaglöcher wie-
der aufzufüllen sind , dann muss ich ganz deutlich sagen:
Die für den Erhalt erforderlichen Gelder sind gestiegen.
Das hat aber nicht diese Regierung zu verantworten, son-
dern die Regierung vorher.
Tausende von Langsamfahrstellen gilt es zu beseitigen.
Das war Ihre Verkehrspolitik. Wir werden das ändern.
Es ist ja wohl eindeutig, dass der Bundesverkehrswege-
plan überarbeitet werden muss. Dies ist keine leichte Auf-
gabe, wenn man bedenkt, dass von den Ländern 1 700 Maß-
nahmen angemeldet worden sind. Wir stellen uns dieser
schwierigen Aufgabe und wir werden diese Aufgabe mit
Bravour erfüllen.
Es ist richtig, dass wir in die Straße investieren müssen.
Es ist richtig, dass wir in die Schiene investieren müssen.
Beides machen wir sehr konsequent.
An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass es
uns gelungen ist, von den UMTS-Mitteln 2 Milliar-
den DM für die Schiene zu bekommen. Dies ist ein großer
Schritt voran und weist in eine positive Richtung für un-
sere Schieneninfrastruktur.
Es ist richtig, dass es in den ländlichen Regionen die
Sorge gibt, dass die DB AG sie nicht mehr adäquat be-
dient. Wir müssen aber einmal betrachten, was die Ziele
der Bahnreform gewesen sind. Da heißt es unter ande-
rem: Wir wollen Wettbewerb. Diesen Wettbewerb werden
wir auch erreichen.
Über das Wie kann man sich streiten. Aber es ist nicht so,
dass das nicht geklärt ist. Dass Sie damit nicht einver-
standen sind, kann ich mir auch vorstellen. Einem Minis-
ter einen solchen Erfolg zu gönnen, das wäre eine große
Geste, die sachlich auch begründet wäre. Aber das hat
heute keiner hinbekommen.
Das, was mit den Vorschlägen der Taskforce erreicht
worden ist, wird ganz konsequent umgesetzt werden. Herr
Goldmann, vielleicht sollten Sie die Ergebnisse erst ein-
mal lesen, bevor Sie hier kritisieren.
Wenn Sie gelesen hätten, könnten Sie sicherlich viele Ih-
rer Sorgen und Nöte hintanstellen.
Das, was hier auf den Weg gebracht worden ist, be-
deutet ganz klar und eindeutig: erstens Transparenz.
Transparenz brauchen wir. Die Netz AG wird in Zukunft
eine eigene Bilanz aufstellen. Sie ist auch nicht mehr der
Holding verantwortlich. Die Holding wird auch keinen
Durchgriff auf die Netz AG mehr haben.
Zweitens das Stichwort Unabhängigkeit. Wir wollen,
dass die Netz AG unabhängig ist.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Dr. Winfried Wolf
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Es ist klar: Zur Transparenz gehört die Unabhängigkeit
und sie ist gewährleistet.
Der dritte Punkt ist die Kontrolle. Wir haben das EBA.
Das übt heute schon Kontrolle aus und wird dazu noch in
größerem Umfang befugt werden. Wir haben das Kartell-
amt. Vor dem EBA angesiedelt haben wir dann eine Tras-
senagentur. Diese hat ganz andere Möglichkeiten als bis-
her das EBA und das Kartellamt. Diese Trassenagentur
hat jederzeit die Möglichkeit des Eingriffs in die Gestal-
tung von Preisen und in die Trassenvergabe. Das geht so
weit, dass sie mit am Tisch sitzt, wenn ein Fahrplan auf-
gestellt wird. Wenn dann noch jemand sagt, das sei keine
Kontrollmöglichkeit, kann ich das nicht verstehen.
In der AEG-Novelle und in weiteren Verordnungen
werden wir die Vorschläge konsequent umsetzen. In der
AEG-Novelle wird auch ein besseres Verfahren für die
Stilllegung von Strecken festgelegt werden.
Meine Damen und Herren, in ganz Europa gibt es so-
mit nicht so viel Wettbewerb auf der Schiene wie bei
uns. Deutschland hat das Maximum an Diskriminierungs-
freiheit und Wettbewerb auf der Schiene. Das sollen uns
die anderen erst einmal nachmachen.
Aber der Wettbewerb das sage ich an dieser Stelle ganz
deutlich wird bei uns nicht zulasten der Beschäftigten
gehen. Wir werden die Begriffe fairer Wettbewerb, Tarif-
treue und Vorruhestandsregelungen mit Leben erfüllen.
Ich sage heute nichts zur Binnenschifffahrt, aber noch
einen Satz zur Seeschifffahrt. Sie hat keiner erwähnt.
Man hat mich gefragt, ob ich etwas zum kleinen oder zum
großen Matrosen sagen will. Ich sage heute etwas zum
großen Matrosen. Die Seeschifffahrt wird Unterstützung
bekommen, um die Sicherheit der Arbeitsplätze an Bord
zu erhalten und den deutschen Seeleuten eine Chance zu
geben. Dafür 60 Millionen auf den Tisch zu packen, ist ein
klares Zeichen für die Länder und die Menschen an der
Küste.
Danke schön.
Ich gebe
nunmehr das Wort dem Kollegen Dieter Maaß, ebenfalls
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Auch im Jahre 2002 werden wir So-
zialdemokraten die Maßnahmen der Bundesregierung zur
Sanierung des Bundeshaushaltes unterstützen;
denn hierfür finden wir bei den Menschen in unserem
Land breite Zustimmung. Ich möchte darstellen, wie wir
im Einzelplan 12 für den Bereich Wohnungswesen und
Städtebau Schuldenabbau und effizienten Einsatz von Fi-
nanzmitteln auf der Ausgabenseite in Einklang bringen.
Insgesamt geben wir für Wohnungswesen und Städte-
bau 2,3 Milliarden Euro aus. Dabei belaufen sich die An-
sätze für Investitionen auf rund 1,94 Milliarden Euro. Für
die Förderung des Städtebaus stellen wir Bundes-
finanzmittel in Höhe von insgesamt 476 Millionen Euro
zur Verfügung. Mit dieser Förderung lösen wir Investitio-
nen von mehr als 4 Milliarden Euro aus.
Dies ist ein wichtiger Beitrag zur Konjunkturstützung.
Arbeitsplätze am Bau werden dadurch gesichert.
Wir alle haben seit Jahrzehnten eine Stadt- und Woh-
nungspolitik betrieben, die immer auf Expansion ausge-
legt war. Jetzt gibt es Wohnungsleerstände. Die alte
Bundesregierung hat diese Mengenexpansion nicht recht-
zeitig korrigiert. Die neue Bundesregierung hat nun das
Programm Städteumbau Ost vorgelegt. Damit wollen
wir den Gebäudeverfall stoppen und der sozialen Erosion
in den Städten entgegenwirken.
Der Wohnungsleerstand beziffert sich in den neuen
Bundesländern auf circa 1 Million Wohnungseinheiten
das sind 13 Prozent des Bestandes und bedroht die
wirtschaftliche Grundlage vieler Wohnungsunternehmen.
Deshalb sind die Förderinstrumente neu auszurichten. Ich
kann Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposi-
tion, nur raten: Beschäftigen Sie sich intensiv mit diesem
Programm.
Bei der Bewertung des vorliegenden Haushaltsent-
wurfs darf nicht unerwähnt bleiben, was wir mit der Über-
schrift Soziale Stadt bezeichnen. Dieses Programm,
das wir auf den Weg gebracht haben, ist ein Erfolg.
Die geförderten Projekte zeigen ihre positive Wirkung. In
den Beratungen für das laufende Haushaltsjahr 2001 ist es
uns gelungen, die Finanzmittel für das Programm So-
ziale Stadt von 50 Millionen Euro auf 75 Millionen Euro
aufzustocken. Dies geschieht auch im Jahre 2002.
Aufstocken werden wir auch die Mittel für das Programm
Städtebau West. Hierfür werden wir Mittel in Höhe von
90 Millionen Euro einstellen.
Das Thema Altschuldenhilfe wird uns noch einige
Jahre begleiten. Die Koalitionsfraktionen haben sich die-
ses Problems angenommen, um die Unzulänglichkeiten
des geltenden Gesetzes abzumildern. Ohne auf die
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Annette Faße
18550
Einzelheiten der Änderungen in § 6 a des Altschulden-
hilfe-Gesetzes einzugehen, möchte ich dazu nur so viel
sagen: Insgesamt steht ein Finanzvolumen in Höhe von
358 Millionen Euro zur Verfügung, verteilt auf zehn
Jahre. 2002 werden die ersten 25 Millionen Euro fällig.
Auch dies ist ein Beispiel für eine Finanzpolitik, die ziel-
orientiert für Problemlösungen sorgt.
Gleiches gilt für unser CO2-Gebäudesanierungspro-
gramm, das übrigens ebenfalls ein Erfolgsmodell ist. Mit
dem Zukunftsinvestitionsprogramm werden ab 2001 jähr-
lich rund 200 Millionen Euro über fünf Jahre für den Be-
reich Gebäudesanierung zur Verfügung gestellt.
Für den sozialen Wohnungsbau beträgt der Verpflich-
tungsrahmen 2002 230 Millionen Euro. Durch unsere Re-
form des Wohnbaurechts haben Länder und Kommunen
die Möglichkeit, diese Mittel zielgenau einzusetzen.
Positive Auswirkungen hat die Wohngeldnovelle, die
wir 1999 verabschiedet haben. Sie führt zu deutlichen
Leistungsverbesserungen, vor allem zugunsten der Tabel-
lenwohngeldempfänger.
Große Familien profitieren mit überdurchschnittlichen
Verbesserungen von fast 61 Euro pro Monat, und zusätz-
lich sind 420 000 Haushalte, die bisher kein Wohngeld er-
halten konnten, wohngeldberechtigt.
Zum Schluss noch zwei Anmerkungen. Erstens. Für die
Zahlung der Wohnungsbauprämien weist der Haushaltsent-
wurf einen Betrag von 500 Millionen Euro aus.
Zweitens. Die Kosten für den Umzug von Bonn nach
Berlin reduzieren sich es geht um einen Wert von
0,42 Milliarden Euro deutlich. Die Maßnahmen sind
weitgehend abgeschlossen. Der festgelegte Kostenrah-
men für die Verlegung des Parlamentssitzes in Höhe von
10,3 Milliarden Euro wird eingehalten. Die Bundesregie-
rung hält die finanzielle Zusage, die der Region Bonn
1994 gemacht wurde.
In 2002 ist eine Summe von 0,16 Milliarden Euro als Aus-
gleichsmaßnahme veranschlagt.
So weit ein kurzer Abriss über die Schwerpunkte des
Haushaltsentwurfs 2002 für das Bau- und Wohnungswe-
sen. Wir werden einige dieser Punkte in den Beratungen
des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
vertiefen. Ich freue mich auf die Diskussion.
Interfraktio-
nell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksa-
chen 14/6944, 14/6636, 14/6888, 14/5982, 14/5983,
14/6621, 14/6951, 14/5013 und 14/6929 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Die Vorlage auf Drucksache 14/6888 soll zusätzlich an
den Ausschuss für Tourismus überwiesen werden. Das
Haus ist damit einverstanden. Dann sind die Überweisun-
gen so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werde die Sitzung
gleich für circa eine Dreiviertelstunde zur Durchführung
von Fraktionssitzungen unterbrechen. Im Anschluss an
die Unterbrechung werden wir mit der Beratung der
Beschlussempfehlung zum Antrag der Bundesregierung
über den Mazedonien-Einsatz fortfahren. Anschließend er-
folgen die Beratungen ohne Aussprache. Danach folgt die
Aussprache über den Einzelplan 16, Umwelt, und über den
Einzelplan 30, Bildung. Der Wiederbeginn der unterbro-
chenen Sitzung wird durch Klingelzeichen angekündigt
werden. Ich wünsche den Fraktionen eine gute Beratung.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Die unterbro-
chene Sitzung ist wieder eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Ihnen et-
was bekannt geben: Mit Bestürzung haben wir die Nach-
richtenmeldung vernommen, nach der heute Morgen ein
als Polizist getarnter Mann im Regionalparlament von
Zug in der Schweiz 14 Menschen erschossen hat.
Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind
empört und erschrocken über diesen Anschlag auf ihre
Parlamentarierkollegen. Sie trauern um die Opfer und
drücken den Angehörigen der Opfer und der Schweizer
Bevölkerung ihr tiefes Mitgefühl aus. Dazu haben Sie sich
spontan erhoben. Ich danke Ihnen dafür.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 k und 9 m
bis 9 s sowie die Zusatzpunkte 3 a und 3 b auf:
9 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Mo-
dernisierung des Schuldrechts
Drucksache 14/6857
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Um-
stellung von Vorschriften aus den Bereichen des
Verkehrs-, Bau- und Wohnungswesens sowie der
Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf
Drucksache 14/6810
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Dieter Maaß
18551
c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Übertragung
von Rechtspflegeraufgaben auf den Urkunds-
beamten der Geschäftsstelle
Drucksache 14/6457
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung
der für die Kostengesetze nach dem Einigungs-
vertrag geltenden Ermäßigungssätze für den
Teil des Landes Berlin, in dem das Grundgesetz
Drucksache 14/6477
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 15. Juni 2000 zwischen der Re-
gierung der Bundesrepublik Deutschland und
der Regierung der Republik Singapur über
die Seeschifffahrt
Drucksache 14/6523
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Rechtsausschuss
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neure-
gelung des Rechts des Naturschutzes und der
Landschaftspflege und zur Anpassung ande-
rer Rechtsvorschriften
Drucksache 14/6878
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus
g) Erste Beratung des von den Abgeordneten Hans-
Michael Goldmann, Rainer Funke, Hildebrecht
Braun , weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs ei-
nes Seeunfalluntersuchungsgesetzes
Drucksache 14/6892
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
h) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ablö-
Drucksache 14/6880
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
i) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Berei-
nigung des als Bundesrecht fortgeltenden
Rechts der Deutschen Demokratischen Repu-
blik
Drucksache 14/6811
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
j) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-
zung von Rechtsakten der Europäischen Gemein-
schaften auf dem Gebiet der Energieeinsparung
Drucksache 14/6813
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
k) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
elektronische Register und Justizkosten für
Telekommunikation ERJuKoG
Drucksache 14/6855
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
m) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Dr. Heinrich Fink, Heidemarie
Ehlert, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Einkommensbesteuerung von ausländi-
schen Künstlerinnen und Künstlern
Drucksache 14/6111
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien
n) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Marita Sehn, Ulrich Heinrich, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Schutz der Wale dauerhaft sicherstellen
Drucksache 14/5989
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Rechtsausschuss
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
18552
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
o) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Cornelia Pieper, Ulrike Flach, Ernst Burgbacher,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Mit einem individuellen Ausbildungspass
durchs Leben für ein liberales, duales
und modulares Berufsausbildungssystem in
Deutschland
Drucksache 14/5984
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
p) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Christine Ostrowski, Maritta Böttcher, Dr. Ruth
Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der PDS
Vorschläge der Bund-Länder-Arbeitsgruppe
Wohnungsleerstand Ost sachgerecht modifi-
zieren und umsetzen
Drucksache 14/6848
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
q) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Christine Ostrowski, Maritta Böttcher, Dr. Ruth
Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der PDS
Altschuldenbefreiung für abzureißende bzw.
rückzubauende Wohnungen
Drucksache 14/6849
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
r) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Sabine Jünger, Carsten Hübner, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Einrichtung einer unabhängigen internatio-
nalen Untersuchungskommission zur Auf-
klärung der Übergriffe gegen Globalisie-
rungskritiker beim G-8-Gipfel in Genua
Drucksache 14/6896
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
s) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Gerhard Friedrich , Thomas
Rachel, Ilse Aigner, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Mit dem 6. EU-Forschungsrahmenprogramm
2002 bis 2006 den europäischen Forschungs-
raum stärken
Drucksache 14/6948
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 3 a) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Basel II Fairen Wettbewerb sichern Neu-
fassung der Basler Eigenkapitalvereinbarung
und Überarbeitung der Eigenkapitalvor-
schriften für Kreditinstitute und Wertpapier-
firmen
Drucksache 14/6953
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Norbert Otto , Dirk Fischer (Hamburg),
Dr.-Ing. Dietmar Kansy, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Planungs- und Finanzsicherheit für Ver-
kehrsprojekt Deutsche Einheit 8.1 ICE-
Strecke NürnbergErfurt schaffen
Drucksache 14/6947
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Haushaltsausschuss
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten
Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Der Gesetzentwurf auf Drucksache
14/6892 Tagesordnungspunkt 9 g soll zusätzlich an
den Ausschuss für Tourismus, die Vorlage auf Drucksache
14/6896 Tagesordnungspunkt 9 r soll, abweichend von
der Tagesordnung, nicht an den Ausschuss für wirtschaft-
liche Zusammenarbeit und Entwicklung überwiesen wer-
den. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a bis 10 f und die
Zusatzpunkte 5 a bis 5 f auf. Eine Aussprache ist hier
ebenfalls nicht vorgesehen.
Tagesordnungspunkt 10 a:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu den Änderungen von 1995 und
1998 des Basler Übereinkommens vom 22. März
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
18553
1989 über die Kontrolle der grenzüberschreiten-
den Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer
Drucksache 14/5854
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit
Drucksache 14/6627
Berichterstattung:
Abgeordnete Rainer Brinkmann
Werner Wittlich
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit empfiehlt auf Drucksache 14/6627, den Ge-
setzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer
stimmt dagegen? Enthaltungen? Der Gesetzentwurf
ist damit einstimmig angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 10 b:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Abkommen vom 11. Okto-
ber 1999 über Handel, Entwicklung und Zu-
sammenarbeit zwischen der Europäischen
Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einer-
seits und der Republik Südafrika andererseits
Drucksache 14/5713
Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärti-
gen Ausschusses
Drucksache 14/6674
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Büttner
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Christian Sterzing
Ulrich Irmer
Wolfgang Gehrke
Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt auf Drucksache
14/6674 die Annahme des Gesetzentwurfs. Ich bitte die-
jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich
zu erheben. Gegenstimmen? Gibt es Enthaltungen?
Das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist damit eben-
falls einstimmig angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 10 c:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit
zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung
Sofortprogramm der Bundesregierung zur
Verminderung der Ozonbelastung
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Peter
Paziorek, Cajus Caesar, Marie-Luise Dött,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Reduzierung von Ozonvorläufersubstanzen
zur Bekämpfung des so genannten Som-
mersmogs
Drucksachen 14/3609, 14/3671, 14/4667
Berichterstattung:
Abgeordnete Rainer Brinkmann
Marie-Luise Dött
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter
Der Ausschuss empfiehlt in Kenntnis der Unterrich-
tung durch die Bundesregierung, den Antrag auf Druck-
sache 14/3671 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? Gegenstimmen? Enthaltungen?
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und
FDP bei Enthaltung der PDS angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 10 d:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung.
Vorschlag für eine Verordnung des Rates über
die gemeinsame Marktorganisation für Ethyl-
alkohol landwirtschaftlichen Ursprungs
KOM 101 endg.; Ratsdok. 06586/01
Drucksachen 14/6026 Nr. 2.15, 14/6262
Berichterstattung:
Abgeordnete Annette Widmann-Mauz
Der Ausschuss empfiehlt in Kenntnis der Unterrich-
tung durch die Bundesregierung die Annahme einer Ent-
schließung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?
Gegenstimmen? Enthaltungen? Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses bei Enthal-
tung der PDS angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 10 e:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses zu
dem Antrag der Präsidentin des Bundesrechnungs-
hofes
Rechnung des Bundesrechnungshofes für das
Haushaltsjahr 2000 Einzelplan 20
Drucksachen 14/5888, 14/6522
Berichterstattung:
Abgeordnete Ewald Schurer
Josef Hollerith
Oswald Metzger
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gibt es
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
18554
Gegenstimmen? Enthaltungen? Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen des gesamten Hauses an-
genommen worden.
Tagesordnungspunkt 10 f:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit zu dem An-
trag der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia
Pieper, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Satellitengestütztes Umwelt-Monitoring als In-
strument einer nachhaltigen Politik
Drucksachen 14/3696, 14/6685
Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrich Kelber
Dr. Christian Ruck
Winfried Hermann
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/3696 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung des Ausschusses? Gegenstimmen? Ent-
haltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen worden.
Wir kommen nun unter Zusatzpunkt 5 a bis 5 f zu den
Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Zusatzpunkt 5 a:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 292 zu Petitionen
Drucksache 14/6983
Wer stimmt dafür? Gegenstimmen? Enthaltungen?
Sammelübersicht 292 ist mit den Stimmen des ganzen
Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen worden.
Zusatzpunkt 5 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 293 zu Petitionen
Drucksache 14/6984
Wer stimmt dafür? Gegenstimmen? Enthaltungen?
Sammelübersicht 293 ist ebenfalls mit den Stimmen des
ganzen Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen
worden.
Zusatzpunkt 5 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 294 zu Petitionen
Drucksache 14/6985
Wer stimmt dafür? Gegenstimmen? Enthaltun-
gen? Die Sammelübersicht 294 ist mit demselben Stim-
menverhältnis Zustimmung des ganzen Hauses und Ent-
haltung der PDS angenommen worden.
Zusatzpunkt 5 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 295 zu Petitionen
Drucksache 14/6986
Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? Enthal-
tungen? Die Sammelübersicht 295 ist mit den Stimmen
des ganzen Hauses angenommen worden, nur die
CDU/CSU hat dagegen gestimmt, keine Enthaltungen.
Das Wort nur bezog sich auf das Abstimmungsver-
halten mit Blick auf vorherige Abstimmungen. Ich bitte
darum, dies so zu bewerten.
Zusatzpunkt 5 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 296 zu Petitionen
Drucksache 14/6987
Wer stimmt dafür? Gegenstimmen? Enthaltun-
gen? Die Sammelübersicht 296 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen worden.
Zusatzpunkt 5 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 297 zu Petitionen
Drucksache 14/6988
Wer stimmt dafür? Gegenstimmen? Enthaltun-
gen? Die Sammelübersicht 297 ist mit den Stimmen des
Hauses angenommen worden, die PDS hat dagegen ge-
stimmt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Ta-
gesordnung um die Zusatzpunkte 7 a und 7 b zu erweitern:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an dem NATO-geführten Einsatz auf mazedo-
nischem Territorium zum Schutz von Beobach-
tern internationaler Organisationen im Rah-
men der weiteren Implementierung des
politischen Rahmenabkommens vom 13. Au-
gust 2001 auf der Grundlage der Einladung des
mazedonischen Präsidenten Trajkovski vom
18. September 2001 und der Resolution
Nr. 1371 des Sicherheitsrats der Verein-
ten Nationen vom 26. September 2001
Drucksachen 14/6970, 14/6991
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
18555
Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen
Karl Lamers
Dr. Helmut Lippelt
Ulrich Irmer
Wolfgang Gehrcke
b) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 14/6992
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Uwe-Jens Rössel
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Über die
Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregie-
rung werden wir nach der Aussprache namentlich abstim-
men.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. Kein Widerspruch.
Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Gernot Erler.
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Gestern ist die Mission Essential
Harvest erfolgreich abgeschlossen worden. 4 500 Sol-
daten aus 17 verschiedenen Nationen haben 3 870 Waffen
einsammeln können. Nach Auffassung des Generalse-
kretärs der westlichen Allianz waren davon 90 Prozent ge-
brauchsfähig. Der Anteil an schweren Waffen war so, wie
vorher vermutet worden war.
Ich finde, das ist für uns ein Anlass zur Genugtuung
und zu vorsichtigem Optimismus,
zumal parallel der politische Prozess der in der zweiten
Lesung mit großer Mehrheit angenommenen Verfas-
sungsänderungen und der verabredeten Gesetze vorange-
gangen ist. Natürlich warten wir alle mit großem
Optimismus auf den 4. Oktober 2001, an dem die ent-
scheidende dritte Lesung der Verfassungsänderungen
stattfindet. Erst dann sind die Bedingungen des
Friedensabkommens vom 13. August erfüllt.
Es ist gut, dass all die Befürchtungen, die bei einem
Teil dieses Hauses verbreitet waren, nicht eingetreten
sind.
Es hat sich keine Erweiterung der Mission ergeben. Auch
kam es zu keinen Komplikationen. Es ist kein neuer Krieg
und auch kein langfristiges Protektorat auf dem Balkan in
Sicht. Die verringerte Zahl der Waffen ist ein Stück mehr
Sicherheit, weil dahinter ein Bekenntnis beider Konflikt-
parteien zum Friedensprozess steckt.
Immer vorausgesetzt, dass jetzt auch der politische
Prozess zum Abschluss kommt, bedeutet dies für die Zu-
kunft Mazedoniens Folgendes: In Zukunft wird sich nie-
mand mehr, der eine Waffe in die Hand nimmt, mit nach-
vollziehbaren Rechten einer Minderheit legitimieren
können. In Zukunft wird es so sein, dass die mazedoni-
schen Sicherheitskräfte wieder das alleinige Recht auf of-
fizielle Gewaltanwendung haben werden, die dann auch
albanische Elemente in sich haben werden. Das ist die
Grundlage für eine dauerhafte Stabilisierung in diesem
Land, zu der jetzt ein wichtiger Schritt vollzogen worden
ist.
Wir reden heute hier im Parlament über eine An-
schlussmission, die offiziell Amber Fox genannt wird.
Daher müssen wir erklären, warum es jetzt überhaupt den
Bedarf für zivile Beobachter der EU und der OSZE gibt
und wieso diese eine Schutzkomponente brauchen. Wir
befinden uns jetzt in der Umsetzungsphase des Friedens-
abkommens. Diese Phase findet in einer Situation statt, in
der es immer noch eine gewisse Vertrauenslücke zwi-
schen beiden Konfliktparteien gibt. Es sind insbesondere
drei Fälle, in denen internationale Beobachter eine unver-
zichtbare Rolle spielen können.
Der eine ist: Bis die Sicherheitsorgane Mazedoniens
tatsächlich ausgewogen besetzt sind, wird es immer noch
dazu kommen, dass sich die Ordnungskräfte, in denen
noch keine gemischte Nationalität vorhanden ist, legi-
timieren müssen. Die Frage ist, ob ihre Autorität aner-
kannt wird. In dieser Situation können die internationalen
Beobachter helfen. Sie können erklären und sie können
vor allen Dingen immer dann, wenn diese Autoritätsfra-
gen zu einem Problem werden, die politische Seite infor-
mieren, damit sie eingreifen kann.
Zweitens. Es besteht auch das Problem der Rückkehr
der mazedonischen Ordnungskräfte in die Gebiete, die im
Augenblick noch von den Albanern kontrolliert werden.
Vor dieser Rückkehr haben beide Seiten Angst, weil man
nicht weiß, wie die mazedonischen Sicherheitskräfte auf-
treten werden, und weil man nicht weiß, ob die Albaner,
die die entsprechenden Gebiete kontrollieren, freiwillig
den Rückzug antreten werden. Nur internationale Be-
obachter können dafür sorgen, dass bei jeder Komplika-
tion, die eintritt, sofort die Möglichkeit besteht, die poli-
tische Seite und, wenn nötig, auch die internationale Seite
einzuschalten.
Der dritte Fall ist die Flüchtlingsrückkehr. Wir alle wis-
sen auch aus der Erfahrung in anderen Regionen :
Flüchtlingsrückkehr ist ein kompliziertes Geschäft; denn
häufig sind die Orte und Anwesen, die verlassen worden
sind, inzwischen von anderen in Beschlag genommen
worden. Dann gibt es Auseinandersetzungen, wenn
Flüchtlinge zurückkehren. Hier brauchen wir die interna-
tionalen Beobachter, die wieder genau das Gleiche tun
können, nämlich rechtzeitig die Ordnungskräfte einschal-
ten, wenn es zu Komplikationen kommt.
Das bedeutet insgesamt: Die internationalen Beobach-
ter bieten die Chance der Eskalationsprävention und der
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
18556
Eskalationsunterbrechung, wenn kritische Situationen
kommen. Sie sind also Teil eines Friedenskonzeptes für
diese Region. Natürlich haben sie ein Anrecht darauf, ge-
schützt zu werden.
Wir können niemandem zumuten, diese schwierigen Auf-
gaben zu übernehmen, wenn wir nicht für eine Schutz-
komponente sorgen. Es darf doch nicht sein, dass sich ein-
zelne Provokateure wir können gar nicht ausschließen,
dass es diese immer noch in der Region gibt das Recht
nehmen, den ganzen Prozess durch Einzelangriffe auf Be-
obachter zum Stoppen zu bringen. Deswegen ist es not-
wendig, mit Amber Fox eine Schutzkomponente für die
internationalen Monitore einzurichten.
In dem Zusammenhang war die Frage, wie viele das
sein sollen, auch nicht etwa eine optische Frage, sondern
eine friedens- und sicherheitspolitische Frage. Diese
Kräfte müssen ausreichend groß sein, damit genau die
Chance, dass einzelne Provokateure den Prozess unter-
brechen, nicht besteht. Wir sind zufrieden über das Zu-
standekommen dieser Mission. Wir bedanken uns für den
Erfolg, dass ein Kompromiss mit der mazedonischen
Seite auch wenn das schwierig genug war gefunden
werden konnte.
Aus diesen Aufgaben, die ich beschrieben habe, ergibt
sich auch etwas für die Mandatsdauer. Aus dem Frie-
densvertrag, aus dem Abkommen vom 13. August, ergibt
sich, dass bis Mitte 2002 die oben genannte Mischung der
Ordnungskräfte erreicht werden soll, zu diesem Zeitpunkt
sollen also auch albanische Fachleute und Sicherheits-
kräfte eingebunden worden sein. Logischerweise ist das
der Zeitraum, für den wir die internationalen Beobachter
brauchen. Auch hier hat es einen Kompromiss gegeben.
Besser wäre es vielleicht gewesen, sich auf einen etwas
längeren Zeitraum zu einigen. Wir müssen aber anerken-
nen, dass die mazedonische Seite eigene Interessen hat.
Wir gehen nunmehr von drei Monaten mit Verlänge-
rungsoption aus. Das ist zu akzeptieren.
An dieser Stelle möchte ich um ein bisschen Verständ-
nis für die Schwierigkeiten, denen wir immer wieder be-
gegnen, werben. Am 13. August haben in Mazedonien die
vier wichtigsten Parteiführer, die unterschiedliche Interes-
sen und Gruppen vertreten, völkerrechtlich verbindlich ein
Abkommen unterschrieben. Damit haben sie zum Aus-
druck gebracht: Wir werden es schaffen, unsere Fraktionen
dazu zu bewegen, auch den politischen Teil umzusetzen.
Wir alle auf beiden Seiten des Hauses wissen aus un-
serer Arbeit nicht zuletzt vor dem Hintergrund der jüngs-
ten Debatten , dass es für einen Fraktionsvorsitzenden gar
nicht so einfach ist, alle Kolleginnen und Kollegen, die
sich in anderen Diskussionszusammenhängen befinden,
zusammenzubekommen. Das gleiche Problem haben un-
sere mazedonischen Kollegen Herr Georgievski, Herr
Imeri, Herr Xhaferi und Herr Crvenkovski mit den vier
großen Fraktionen. Sie müssen ihre Kollegen, die noch
dazu im Wahlkampf stehen, davon überzeugen, dass sie
die internationalen Verpflichtungen zu erfüllen haben.
Ich muss zugeben: Wir haben Respekt davor, dass sie es
geschafft haben auch wenn es schwierig war , die zweite
Lesung zu erreichen und wir haben Vertrauen darauf, dass
sie auch die dritte Lesung als wichtigen Schlussstein zu-
stande bringen.
Wir unterstützen nachhaltig die Bemühungen der in-
ternationalen Vermittler, die immer wieder versucht ha-
ben, diesen Prozess vernünftig zu begleiten. Es könnte
sich einmal herausstellen, dass das gemeinsame Vorgehen
die erste gelungene Krisenbewältigung der Europäischen
Union ist, die nicht auf Gewaltandrohung, sondern ein-
deutig auf einen Verhandlungsprozess setzt.
Das ist ein Grund dafür, warum es uns leicht fällt, in die-
ser Stunde zu sagen: Wir finden es gut, dass die Bundes-
republik bei einem derartig charakterisierten Präzedenz-
fall einer Konfliktbewältigung eine Führungsrolle
übernimmt.
Außerdem finden wir es gut, dass wir gerade in der jet-
zigen Situation, in der die ganze westliche Welt und auch
die NATO nichts weniger gebrauchen können als eine
Baustelle politischer Unsicherheit auf dem Balkan, dazu
beitragen können, einen Zustand der Unsicherheit zu ver-
meiden. Wir hoffen, dass mit Amber Fox der Friedens-
prozess hoffentlich zum Abschluss gebracht werden kann.
Abschließend möchte ich sagen: Wir wissen genau,
dass Amber Fox nicht der Schlussstein für den Frie-
densprozess sein kann. Entscheidend ist die Einbettung in
eine politische Gesamtstrategie. Aus der Sicht meiner
Fraktion sind sowohl Essential Harvest als auch Am-
ber Fox militärische Elemente eines Friedensprozesses,
der nur dann gelingen wird, wenn im Zuge einer politi-
schen Gesamtstrategie genügend Anstrengungen zur Sta-
bilisierung der gesamten Region unternommen werden.
Wir sind froh, dass auf den 15. Oktober eine interna-
tionale Geberkonferenz für Mazedonien terminiert ist.
Wir sind auch froh, beobachten zu können, dass die Bun-
desregierung große Anstrengungen unternimmt, unsere
Entschließung für ein politisches Gesamtkonzept für die
ganze Region, die wir am 29. August verabschiedet
haben, Zug um Zug umzusetzen, und zwar einschließlich
einer Finanzierung für die Fortsetzung des Stabilitätspak-
tes, begleitet von neuen Bemühungen um ein Regional-
konzept, das vielleicht eine Regionalkonferenz über eine
grenzüberschreitende Zusammenarbeit in dieser Region
einschließt.
Nur eine Einbettung dieser Mission in ein politisches
Gesamtkonzept gibt uns die Überzeugung, auf dem rich-
tigen Weg zu sein. Deswegen wird meine Fraktion dem
Antrag des Ausschusses zustimmen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Gernot Erler
18557
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Volker Rühe.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich drei Vorbe-
merkungen machen, bevor ich auf die Lage in Mazedo-
nien zu sprechen komme.
Erstens. Das Entscheidungsverfahren des Bundestages
und der Bundesregierung heute ist ganz ungewöhnlich
schnell. Das wird sicherlich nicht die Regel sein können.
Aber in dieser internationalen Situation dazu bekenne
ich mich ausdrücklich, auch für meine Fraktion zeigt es
die Handlungsfähigkeit unseres Landes, der Regierung
und des Parlaments. Und das ist gut so.
Wir wollten keine mandatlose Zeit über mehrere Tage
hinweg. Unseren Soldaten, die ohne ein Mandat vor Ort
sind, schulden wir so schnell wie möglich Klarheit über
ihre Zukunft dort vor Ort.
Die Führungsfunktion, die wir ausüben werden, ist nur
denkbar, wenn wir im Unterschied zu Essential Har-
vest als Erste vor Ort sind.
Wir haben aber auch eine Bitte: Das Mandat geht bis
zum 27. Dezember. Unsere Kollegen im Rechtsausschuss
haben deutlich gemacht, dass aufgrund des Urteils des
Verfassungsgerichts die Entscheidung über eine Verlän-
gerung vom Parlament unverzüglich getroffen werden
muss. Da man das nicht erst Mitte Januar machen kann,
erwarten wir, dass wir in der letzten Sitzungswoche im
Dezember einen Bericht der Bundesregierung bekommen
und möglicherweise eine Entscheidung treffen.
Zweitens. Es hat in den letzten Tagen Stimmen aus der
rot-grünen Koalition gegeben, die versucht haben, den
Mazedonieneinsatz hochzustilisieren und hinsichtlich
der Entscheidungen im Kampf gegen internationalen
Terrorismus, die anstehen, überzustrapazieren. Frau
Müller, Sie haben das heute ja zurückgenommen. Ich
glaube, das war richtig. Wir dürfen das nicht hochstili-
sieren. Richtig ist aber auch das sage ich in aller Klar-
heit : Wenn wir den Einsatz nicht durchführen würden
und es zu einer Zuspitzung der Situation in Mazedonien
käme, dann würde das die Handlungsfähigkeit und die
Ressourcen der Allianz im Kampf gegen den internatio-
nalen Terrorismus belasten. Ich glaube, so sind die Dinge
richtig eingeordnet.
Drittens möchte ich, wie ich hoffe, auch unpolemisch,
auf den Zusammenhang zwischen der drastischen Unter-
finanzierung der Bundeswehr und den neuen Aufgaben,
die auf uns zukommen, eingehen.
Wir haben am Beispiel von Mazedonien gesehen, wie
schnell neue Aufgaben auf uns zukommen. Es werden
mehr Soldaten für eine längere Zeit gebraucht. Dafür wer-
den wir in die im Kosovo und in Bosnien stationierten
Truppen Lücken reißen müssen. Ich sage Ihnen voraus:
Bei der Erklärung der amerikanischen Regierung bei
Amtsantritt, sie wolle auf dem Balkan das volle Engage-
ment beibehalten, wird es nicht bleiben. Die Amerikaner
werden ihre Ressourcen neu ordnen. Sie werden von uns
Europäern auf dem Balkan entlastet werden müssen. Es
werden, unabhängig vom direkten Engagement, neue
Aufgaben auf Deutschland zukommen, auf dem Balkan,
aber vielleicht auch an anderer Stelle. Ich sage deswegen
mit Nachdruck: Wir müssen uns darüber klar werden
das ist keine Entscheidung des Finanzministers, sondern
eine gesamtpolitische Entscheidung , welche Aufgaben
wir als Bundesrepublik Deutschland für die Landesver-
teidigung, für das Bündnis, für Europa und für die inter-
nationale Solidarität übernehmen wollen und müssen.
Das ist die eigentliche gesamtpolitische Entscheidung.
Daraus folgt die notwendige Finanzierung. Hierauf müs-
sen wir uns vorbereiten, sonst verlieren wir unsere strate-
gische Handlungsfähigkeit.
Wie ist die Lage in Mazedonien? Ich will versuchen,
auch sie möglichst objektiv zu schildern:
Erstens. Richtig ist, die NATO hat mit den Rebellen
vereinbart, dass eine bestimmte Anzahl von Waffen frei-
willig abgegeben wird. Das ist geschehen. Die Bundesre-
gierung hat in ihrem Antrag aber auch Recht daran getan,
nicht den Eindruck zu erwecken, als ob dieses eine grund-
legende Veränderung der militärpolitischen Situation oder
eine Veränderung der Sicherheitslage gebracht hätte. Sie
hat zu Recht nur davon gesprochen, dass dies einen posi-
tiven Einfluss auf den politischen Prozess in Mazedonien
gehabt hat. Herr Erler, wir dürfen uns keine Illusionen ma-
chen: Beide Seiten verfügen noch über sehr viele Waffen
und über die Fähigkeit, sie beliebig zu ergänzen. Die mi-
litärische Situation hat sich nicht grundlegend geändert.
Zweitens. Es ist richtig das ist auch ein Erfolg , dass
in diesen 30 Tagen der Bürgerkrieg nicht wieder aufge-
flammt ist. Ich hoffe, dass es dabei bleibt.
Drittens. Der politische Prozess, das heißt die Umset-
zung der Verträge von Ohrid im Parlament, ist teilweise
erfolgt, nicht abschließend, wie das ursprünglich vorgese-
hen war. Es gibt noch große Schwierigkeiten, zum Bei-
spiel die Zweidrittelentscheidung in der Dritten Lesung
oder die Frage eines Referendums. Niemand kann heute
hier sagen, ob es dort wirklich zu einem erfolgreichen Ab-
schluss des politischen Prozesses kommt, der natürlich er-
hebliche Auswirkungen auf die Wirkungsmöglichkeiten
der Monitoren und auch der Soldaten hätte.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 200118558
Im Auge behalten müssen wir Folgendes deswegen
war Ihre Schilderung, Herr Erler, ein bisschen zu optimis-
tisch, wenn ich das sagen darf : Es gibt in Mazedonien
immer noch zu wenig innerliche Akzeptanz der Verän-
derungen, zu wenig Werbung der politisch Verantwortli-
chen für den Neuanfang, für Versöhnung und Frieden aus
dem Inneren heraus, zu wenig selbsttragende Stabilität
und die Gefahr, dass dieser Prozess zu stark als ein Diktat
von außen empfunden wird. Auch dies gehört zu einer
realistischen Analyse der Situation in Mazedonien.
Selbstverständlich müssen wir das ermutigen.
Die Bundesregierung hat in ihrem Antrag formuliert,
der Präsident Mazedoniens habe die NATO um eine mi-
litärische Präsenz gebeten. Ich möchte hier etwas freier
formulieren: Die NATO hat den Präsidenten Mazedoniens
massiv gebeten, sie zu bitten, militärisch in Mazedonien
präsent zu sein.
Natürlich, daran gibt es keinen Zweifel, wenn man sich
die Diskussionen der letzten Tage anschaut.
Das Verhältnis zwischen äußerem Druck, den es auch
geben muss ich komme ja nicht aus einer anderen
Welt , und der inneren Bereitschaft zum Wandel im
Lande selbst stimmt in Mazedonien noch nicht. Das müs-
sen wir im Auge behalten, wenn wir einen Erfolg des po-
litischen Prozesses wollen.
Richtig ist auch, dass es immer noch sehr unterschied-
liche Erwartungen im Hinblick auf die militärische Prä-
senz in Mazedonien gibt. Formal dient sie nur dem
Schutz von 200 Monitoren. In Wirklichkeit sollen die
Wirkungen natürlich sehr viel weiter reichen. Die Albaner
erwarten einen Schutz ihrer Menschen in den Gebieten, in
denen sie vor allem leben, und eine Begleitung des politi-
schen Prozesses, damit er Erfolg hat. Die Mazedonier se-
hen der Präsenz eher widerwillig entgegen. Auch dafür
habe ich ein gewisses Verständnis, denn Mazedonien ist
ein souveräner Staat; insofern unterscheidet sich die Si-
tuation von der in anderen Ländern. Ansonsten erwarten
sie Hilfe für die Rückkehr der Flüchtlinge und der eige-
nen Sicherheitskräfte in die Regionen, aus denen sie ver-
drängt worden sind. Insoweit müssen wir im Auge behal-
ten, dass es hier einen Konflikt gibt.
Ausdrücklich begrüße ich das haben wir im August
durchgesetzt , dass die deutschen Soldaten jederzeit das
Recht haben, bewaffnete Nothilfe zugunsten von jeder-
mann auszuüben. Damit verhindern wir, dass es in Ge-
genwart unserer Soldaten Übergriffe auf die Bevölkerung
gibt. Das ist ganz wichtig.
Als problematisch sind die geringe Dauer deswegen
hat die NATO völlig zu Recht um eine längere Ein-
satzdauer gekämpft und die geringe Truppenstärke an-
zusehen. Heute sind es 700 Soldaten; hinzu kommt eine
kleine Zahl von Soldaten, die schon vor Ohrid zum
Zwecke der logistischen Versorgung der NATO vor Ort
gewesen sind. Ich weiß, dass die Bundesregierung selbst
Vorstellungen über eine Präsenz von 2 000 bis 3 000 Sol-
daten entwickelt hatte.
Essential Harvest hatte ein Entgegennehmen von
Waffen zum Ziel, die freiwillig abgegeben werden. Wir
alle haben die Szenen gesehen: Zum Teil wurden die Waf-
fen singend übergeben. Das war vielleicht die leichtere
Mission. Für sie standen aber 5 000 Soldaten bereit. Für
eine Mission, die sehr viel schwieriger werden kann, wer-
den es jetzt nur 700 Soldaten sein. Daher haben sowohl
die Bundesregierung als auch die NATO zu Recht den
Versuch unternommen, eine massivere Vertretung durch-
zusetzen. Das Ganze konnte aber nur mit Rücksicht auf
die Souveränität Mazedoniens vereinbart werden.
Richtig ist ferner, dass man vermeidet, die Kräfte an
den Konfliktlinien zu stationieren, da man damit die Ge-
fahr einginge, dass es zu einer Kantonisierung Mazedoni-
ens kommt.
Zusammenfassend sage ich: Es ist nicht sicher, dass
durch diese militärische Präsenz der politische Prozess zu
einem erfolgreichen Ende geführt wird. Aber ohne die
Entscheidung, die wir jetzt treffen, wären die Chancen
noch sehr viel geringer, dass der politische Prozess zu ei-
nem Erfolg wird. Deswegen wird meine Fraktion dem
vorgelegten Antrag zustimmen. Wie Herr Erler sage auch
ich: Letztlich müssen wir den politischen Prozess im
Auge behalten; der ist notwendig, um langfristig zu einer
Friedenssicherung zu kommen. Dies wird bis hin zu der
Geberkonferenz reichen, die sich den Entscheidungen an-
schließen wird, die in Mazedonien getroffen werden.
Im Übrigen glaube ich, dass jetzt das gilt, was auch
nach der Entscheidung über Essential Harvest gegolten
hat: In dem Moment, in dem die Soldaten in den Einsatz
gehen dieses Mandat werden sie jetzt erhalten , sollen
sie auch spüren, dass das ganze Parlament, aber auch die
Bevölkerung hinter ihrem Einsatz steht. Gleichwohl müs-
sen die Bedenken, Schwierigkeiten und Probleme vorge-
tragen werden. Das gehört zu einem realistischen Bild.
Nur dann, wenn wir uns daran orientieren, werden wir
auch Erfolg haben. Wir alle hier sollten heute noch einmal
zum Ausdruck bringen, dass wir hinter dieser Mission ste-
hen und unseren Soldaten bei dieser wichtigen neuen und
schwierigen Aufgabe Erfolg wünschen.
Vielen Dank.
Das Wort hat
jetzt der Bundesaußenminister Joschka Fischer.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Volker Rühe
18559
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie
mich zu Beginn meiner Rede die Gelegenheit nutzen, na-
mens der Bundesregierung allen Fraktionen hier im
Hause und auch den Damen und Herren Fraktions- und
Parteivorsitzenden für die gute Kooperation bei der Vor-
bereitung dieses Mandates recht herzlich zu danken.
Wir wissen, das jetzige Vorgehen war keine Selbstver-
ständlichkeit und soll nicht die Regel werden. Allerdings
war dies den konkreten Umständen geschuldet, in denen
wir uns befinden. Alle Seiten haben sich dabei überaus
verständnisvoll und kooperativ gezeigt; deshalb gilt ihnen
unser herzlicher Dank.
Lassen Sie mich zunächst die Frage, die Sie, Herr Kol-
lege Rühe, mit Blick auf das Ende des Mandates am
27. Dezember angesprochen haben, direkt beantworten
der Bundeskanzler hat es heute Morgen im Gespräch
mit den Partei- und Fraktionsvorsitzenden bereits gesagt;
ich will es hier, damit es im Protokoll steht, für die Bun-
desregierung nochmals offiziell tun : Sollte sich unseres
Erachtens in der Perspektive eine Verlängerung des
Mandates als notwendig erweisen, werden wir rechtzei-
tig vor Eintritt des Bundestages in die Weihnachtspause
das Gespräch mit den Fraktions- und Parteivorsitzenden
über das weitere Verfahren suchen und dann im Konsens
mit dem, was dort verabredet werden wird, verfahren, da
wir keinerlei Interesse an einem Verfahrensproblem ha-
ben. Die Erfahrungen der letzten Tage haben gezeigt, dass
diese Zusage der Bundesregierung steht. In diesem Geiste
wollen wir, so sich dieses Problem stellt, weiter vorgehen.
Meine Damen und Herren, Kollege Erler und Kollege
Rühe haben eine Vielzahl von praktischen Problemen be-
nannt. Ich stimme ihnen, was die Problemanalyse be-
trifft, in weiten Teilen zu. Wenn ich allerdings an den
Europäischen Rat in Göteborg zurückdenke, als Javier
Solana, direkt aus Skopje kommend, uns berichtete
Colin Powell und Präsident Bush waren damals eben-
falls Gast beim Europäischen Rat , wenn ich an die Bil-
der des beginnenden Bürgerkriegs und die bewaffnete
Auseinandersetzung vor allem in den nördlichen Teilen
Mazedoniens denke, wenn ich die hier im Hause geführte
Debatte, als wir das Mandat von Essential Harvest be-
schlossen haben, und die Befürchtungen und Ängste, die
damals artikuliert wurden, Revue passieren lasse, dann,
Kollege Rühe, komme ich bei aller Zustimmung zur Pro-
blemanalyse Sie haben völlig zu Recht beschrieben,
dass die Frage der inneren Versöhnung Kern des Problems
ist und nach wie vor einer Lösung harrt , zu der Feststel-
lung, dass ohne Engagement von außen diese innere Ver-
söhnung heute nicht an dem jetzt erreichten Punkt ange-
kommen wäre.
Ich gebe zu, dass die Situation tatsächlich noch immer
prekär ist: Die Waffen schweigen, aber der politische Pro-
zess, der verfassungsgebende Prozess ist noch nicht ab-
geschlossen. Er würde aber ohne das Engagement von
außen aus meiner Sicht nur sehr schwer vorankommen.
Wenn ich das alles als Bezugsgröße nehme, dann kann
man wie Kollege Erler feststellen: Bei allen Schwierig-
keiten und bei allen großen Aufgaben, die wir noch vor
uns haben, haben wir unter dem Gesichtspunkt der
Konfliktprävention, der Abwendung eines bewaffneten
Konflikts, eines Bürgerkrieges, doch auch sehr viel er-
reicht.
Wichtig wird es jetzt sein, dass wir den Verfassungs-
prozess zu Ende bringen. Das wird alles andere als ein-
fach. Ein Wahljahr ist nicht nur bei uns, sondern auch in
Mazedonien ein besonders schwieriges Jahr. Ich habe
dafür volles Verständnis und unterstreiche auch die Legi-
timität der Schwierigkeiten, die daraus erwachsen. Ge-
rade wir, die immer für die Demokratie eintreten, müssen
dafür Verständnis haben, dass es eine besonders kompli-
zierte Situation für jedes Parlament, für alle politischen
Parteien darstellt. Dennoch wird es jetzt ganz entschei-
dend darauf ankommen, international koordiniert mit
NATO, mit Europäischer Union, mit allen unseren Part-
nern unter Einschluss Russlands weiterzumachen, so-
dass es zu den Verfassungsänderungen und zur Imple-
mentierung der Verfassungsänderungen kommt; denn das
ist eine Voraussetzung dafür, in die nächste Stufe eintre-
ten zu können, das heißt, eine neue Verfassungswirklich-
keit zu schaffen.
Besonders wichtig war für uns in der Gestaltung des
neuen Mandats, dass wir auch die Unterstützung der Ver-
einten Nationen bekommen. Deutschland hat hier un-
terstützt von zahlreichen EU-Partnern die Initiative er-
griffen. Ich darf mich besonders darüber freuen, dass es
gelungen ist, tatsächlich eine Unterstützungsresolution in
starker Sprache die Resolution 1371 vom gestri-
gen Abend zu erhalten. Es ist eine Resolution des Si-
cherheitsrats, die hier immer wieder von weiten Teilen
des Hauses gefordert wurde.
Ich möchte an dieser Stelle auch nochmals unterstreichen,
dass Russland es ist ja quer durch die Fraktionen
hindurch auch immer wieder eine Forderung gewesen,
Russland mit einzubeziehen oder, wie es hieß, ins Boot
zu holen zu den Miteinbringern dieser Sicherheitsrats-
resolution gehört. Auch das ist wenn man sich die Ver-
gangenheit ansieht alles andere als selbstverständlich.
Jetzt ist der entscheidende Punkt ein politischer Punkt.
Herr Kollege Rühe, ich stimme dem, was Sie heute gesagt
haben, in vieler Hinsicht zu. Was den Balkan angeht, so
kann es sein, dass dort nochmals militärische Komponen-
ten zum Tragen kommen müssen ich hoffe es nicht ;
nur, sehr viel mehr werden wir jetzt, wenn schon über mi-
litärische Komponenten, dann über stützende und schüt-
zende Komponenten für einen politischen Prozess reden
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 200118560
müssen. Das heißt, die Hauptleistung des jetzigen Man-
dats, das wir diskutieren, ist gar nicht so sehr der militäri-
sche Teil, über den wir heute aufgrund der verfassungs-
rechtlichen Realität in Deutschland entscheiden müssen,
sondern die Tatsache, dass es jetzt um zivile Implemen-
tierung und Überwachung geht. Der Kern des heutigen
Mandats ist der Schutz der internationalen Beobachter bei
der zivilen Implementierung. Auch da möchte ich
nochmals an alle Kolleginnen und Kollegen, die sich mit
ihrer Zustimmung schwer tun, appellieren und sie bitten,
zu erkennen, dass dies der Kern des Ganzen ist.
Das wollte ich ansprechen, Herr Kollege Rühe. Eine Mi-
litärdebatte möchte ich heute nicht führen; auch Sie haben
ja gesagt, dass wir eine solche Debatte heute nicht führen
sollten.
Wir werden uns im Balkan in Zukunft verstärkt poli-
tisch und ökonomisch zu engagieren haben. Das ist ein
ganz entscheidender Gesichtspunkt.
Wenn es nicht gelingt, eine wirtschaftliche Perspektive,
wenn es nicht gelingt, die soziale Perspektive für alle be-
teiligten Bevölkerungsgruppen, wenn es nicht gelingt, die
nach wie vor sehr abstrakte Perspektive auf Europa, wenn
es nicht gelingt, eine konkrete Perspektive in Form von
Arbeitsplätzen, von Ausbildungsplätzen, von Wiederauf-
bau, kurz, eine Perspektive, die die Menschen in ihrem
Alltag als europäische Perspektive begreifen, zu vermit-
teln, dann wird es sehr schwer sein, den gefährlichen Si-
renengesängen des Nationalismus, die dort von unverant-
wortlichen Kräften in der Politik nach wie vor gesungen
werden, zu widerstehen.
Deswegen wird es ganz entscheidend darauf ankommen,
dass wir auch und gerade diese Elemente stärken. Nur ist
eben die Voraussetzung dafür da stimme ich meinen
Vorrednern voll zu , dass wir mit diesem Mandat jetzt in
der Tat vorankommen, so schwierig es ist. Es wird noch
viel zu tun sein. Das setzt aber voraus, dass wir uns hier
auch entsprechend beim militärischen Schutz für die zivi-
len Beobachter engagieren.
Wichtig ist auch das ist die Position der Bundesre-
gierung; ich möchte das nochmals unterstreichen : Es
gibt nicht nur ein Nothilferecht, sondern ich behaupte,
auch eine Nothilfepflicht.
Schweren Menschenrechtsverletzungen muss Einhalt ge-
boten werden, wenn man die Möglichkeiten dazu hat.
Dass dies in dem Antrag expressis verbis steht, findet un-
sere volle Unterstützung.
Meine Damen und Herren, vor uns liegt eine schwie-
rige Etappe: die Implementierung, vor allen Dingen die
Rückkehr der Streitkräfte, der Zentralregierung und der
Polizei wie auch die Flüchtlingsrückkehr, die von überra-
gender Bedeutung ist, weil wir ethnische Säuberungen,
egal von welcher Seite, genauso wenig wie neue Tren-
nungslinien akzeptieren dürfen. Deswegen gibt es auch
keine Demarkationslinien, an denen die Soldaten positio-
niert werden. Es wird in der Anfangsphase alles andere als
ungefährlich sein. Insofern ist auch hierbei eine breite Un-
terstützung für die Soldaten sehr wichtig. Gleichzeitig ha-
ben wir mit diesem Mandat die Chance, den politischen
Prozess zusammen mit unseren Partnern voranzubringen.
Abschließend möchte ich noch einmal betonen: Dies
ist wirklich ein konfliktpräventives Mandat, das das Land
weg vom Bürgerkrieg hin zur inneren Versöhnung, zum
Erhalt seiner Grenzen und seines multiethnischen Cha-
rakters und zum Erhalt der Demokratie führt.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Klaus Kinkel.
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Die FDP-Bundestagsfraktion
wird dem Antrag der Bundesregierung zustimmen. Wir
stehen zu unseren Soldaten. Wir danken ihnen in ganz
besonderer Weise für ihren bisherigen Einsatz. Wir wün-
schen ihnen für den neuen Einsatz ebenfalls alles Gute
und gehen davon aus, dass Koalition und Bundesre-
gierung sie so ausstatten werden, wie sie es verdienen und
wie es notwendig ist.
Unsere Zustimmung ist konsequent, nachdem wir
schon dem Mandat für Essential Harvest zugestimmt
haben und damit als Opposition das darf man nicht bei-
seite schieben der Bundesregierung vor einem Monat
eine ziemliche Blamage erspart haben.
Wir als Liberale waren von Beginn an der Meinung,
dass wir Mazedonien in dieser schwierigen Situation
nicht allein lassen dürfen. Das Land nimmt auf dem Bal-
kan eine Schlüsselrolle ein. Mazedonien galt im Übrigen
sehr lange zu Recht als ein Beispiel für eine erfolgreiche
friedliche Herauslösung eines Staates aus dem ehemali-
gen Jugoslawien. Die aktuelle Entwicklung hat jedoch ge-
zeigt, dass leider Gottes auch für Mazedonien gilt, was für
die gesamte Region gilt: Unter einer Eisdecke waren vor
allem viele ethnische Konflikte verborgen, die nach dem
Schmelzen der Eisdecke aufgebrochen sind und zum Teil
zu furchtbaren Ergebnissen geführt haben.
Man darf auch nicht vergessen, dass Mazedonien die
NATO und die Bundeswehr in schwierigster Zeit massivst
und vorbildlich unterstützt hat. Die Kosovo-Operation
wäre ohne Mazedonien nicht möglich gewesen. Vor allem
darf man nicht vergessen, dass Mazedonien in ganz
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Bundesminister Joseph Fischer
18561
besonderer Weise unter den damals verhängten UN-Sank-
tionen wirtschaftlich zu leiden hatte und aufgrund dessen
auch heute noch große Probleme hat. Deshalb verdient
Mazedonien unsere Unterstützung.
Das ist aber nicht nur eine Frage der Dankbarkeit, son-
dern es liegt auch in unserem ureigensten Interesse. Denn
eine Eskalation des Konflikts in Mazedonien, eine weitere
Destabilisierung oder gar Spaltung des Landes hätte
schlimme Konsequenzen für den gesamten Friedens- und
Stabilierungsprozess auf dem Balkan.
Hinzu kommt das erscheint mir insbesondere nach
den Ereignissen des 11. September in den USA das Ent-
scheidende zu sein , dass der Balkankonflikt kein Re-
gionalkonflikt ist. Spätestens die schrecklichen Ereig-
nisse in Amerika haben uns allen drastisch gezeigt, dass
es auf dieser Welt praktisch überhaupt keine auf eine Re-
gion begrenzten Konfliktsituationen mehr gibt. Die Welt
wächst im Zeitalter der Globalisierung zusammen, leider
auch mit Problemen, mit Konflikten und Sicherheitsbe-
drohungen.
Die FDP hatte das wollen wir nicht leugnen Bauch-
schmerzen mit der Form und der Art des Zustandekom-
mens des Essential Harvest-Mandats. Ich will nicht
kleinkariert nachkarten, aber doch deutlich und klar sa-
gen, dass auch nach meiner persönlichen Meinung vor ei-
nem Monat anders hätte argumentiert und agiert werden
können. Ich sage sogar: hätte argumentiert und agiert wer-
den müssen.
Denn es war abzusehen, dass das Mandat nicht ausreicht.
Jetzt hat die UCK die vereinbarte Menge Waffen abgelie-
fert. Die mazedonische Regierung hat schleppend und,
wie vorher erwähnt, nach massivem Druck von außen
der für meine Begriffe berechtigt war mit dem, was
von ihr erwartet wurde, nachgezogen und ihre Gegenleis-
tung erbracht.
Der ganze Prozess ist sehr fragil und kann natürlich auf
vielfältige Weise gestört werden. Ich erinnere nur an das
geplante Referendum. Natürlich wäre es schlimm, wenn
es käme. Die Flüchtlingsproblematik ist bereits von mei-
nen Vorrednern, vom Außenminister und von Herrn Rühe,
angesprochen worden. Es gibt außerdem das Problem
neuer Waffenkäufe. Es ist ja nicht so, dass nichts nachge-
liefert wird bzw. nachgeliefert werden könnte. Darüber
müssen wir reden.
Wir müssen den Mazedoniern auch das ist ein Pro-
blem deutlich sagen, dass ihre Medienlandschaft ver-
heerend ist. Wenn man so hetzt, wie es die mazedonischen
Medien tun, dann kann man nicht hoffen, dass die Ethnien
wieder zusammenfinden. Deshalb muss auch im Bundes-
tag deutlich gesagt werden: Mazedonische Medien, bitte
verhaltet euch anders. Sonst wird es kompliziert und
schwierig!
Wir werden jetzt bis zu 700 Soldaten nach Mazedonien
schicken. Das ist meines Erachtens richtig und notwen-
dig. Ich bin auch der Überzeugung, dass es richtig ist, dass
Deutschland die leading position bei diesem Einsatz
übernimmt. Man kann sich nicht immer hinter anderen
verstecken und drücken. Die Bundeswehr kann die jetzt
gestellte Aufgabe erfüllen und sollte es daher auch tun.
Dazu sollten wir stehen und nicht in kleinkarierter Weise
daran herummeckern.
Mazedonien ist ein junger souveräner Staat, der darauf
bedacht ist, die Präsenz der NATO möglichst begrenzt zu
halten, und zwar sowohl im Umfang als auch in der
Dauer. Natürlich hat das Land Angst, dass es zu einem
Dauerprotektorat wird und dass es die gerade mühsam ge-
wonnene Souveränität und Identität verlieren könnte. Wir
verstehen das. Aber wir müssen, glaube ich, den Mazedo-
niern, für die wir in den zurückliegenden Jahren auch ei-
niges getan haben, klar und deutlich sagen: Ihr werdet es
allein auf absehbare Zeit leider Gottes nicht schaffen.
Deshalb braucht ihr die Hilfe von außen. Akzeptiert sie in
der jetzt angebotenen Form; denn die ist vernünftig.
Ich glaube, es liegt in unserem Interesse, dass der jetzt
geplante Einsatz auf drei Monate begrenzt ist. Es bleibt
der Parlamentscharakter der Bundeswehr gewahrt. Die
Bundeswehr ist und bleibt eine Parlamentsarmee. Da-
rauf legt die Fraktion der FDP im Deutschen Bundestag
ganz besonderen Wert.
Die Bundesregierung hat sich bereit erklärt, bei der
Operation Amber Fox die Rolle der leading nation zu
übernehmen. Ich wiederhole: Ich halte das für richtig und
notwendig. Wir sollten schon darauf achten, dass nicht die
Hoffnung aufkeimt, dass der Mazedonieneinsatz den er-
sehnten Ausweg aus möglicherweise bald anstehenden
anderen Entscheidungen bieten könnte. Wenn sich dies
hinter ein paar Dingen, die im Augenblick ablaufen, ver-
bergen sollte, dann kann ich dazu nur sagen: Das wird
nicht gehen. Deutschland wird international mehr Verant-
wortung übernehmen müssen, leider das muss ich klar
und deutlich hinzufügen auch militärisch.
Zugleich müssen wir darauf achten für die entspre-
chenden Hinweise meiner Vorredner bin ich dankbar ,
dass wir in vorderster Front derjenigen stehen, die immer
auch auf politische Lösungen drängen.
Es wird nicht ausreichen, allein Repressionen auszuüben.
Das gilt genauso für einen anderen Sachverhalt, mit dem
wir im Augenblick umzugehen haben. Es wird entschei-
dend sein, politische Lösungen anzubieten. Ich finde, die
entscheidende Lehre aus den Ereignissen vom 11. Sep-
tember ist: Prävention, Armutsbekämpfung, interkulturel-
ler Dialog und Engagement bei der Lösung vermeintli-
cher Regionalkonflikte.
Wenn Amber Fox ein Erfolg wird das hoffen wir
und das wünschen wir alle uns von Herzen , dann wird
der Mazedonienkonflikt eines der leider ganz wenigen
Beispiele dafür sein, bei dem frühzeitiges Engagement
von außen tatsächlich geholfen hat, Schlimmeres zu ver-
hindern.
Vielen Dank.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Dr. Klaus Kinkel
18562
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Wolfgang Gehrcke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Als wir vor einigen Wochen
im Bundestag das Mandat für die deutsche Beteiligung an
der Operation Bedeutende Ernte in Mazedonien erteilt
haben, wussten fast alle, dass entweder ein Folgemandat,
eine Verlängerung oder ein neues Mandat fällig sein
würde, was die Regierung zum damaligen Zeitpunkt al-
lerdings verneinte und worüber sie auch nicht bereit war
nachzudenken.
Wir sind sehr erleichtert das möchte ich für die Frak-
tion der PDS sagen , dass nach dem tragischen Tod des
britischen Soldaten in Mazedonien keine weiteren Men-
schen zu Schaden gekommen sind. Wir registrieren natür-
lich auch, dass der Umfang der gewaltsamen Auseinan-
dersetzungen zurückgegangen ist. Lieber Kollege Erler,
dass unsere damaligen Befürchtungen nicht eingetreten
sind, heißt aber nicht, dass sie nicht begründet waren.
Diese Befürchtungen waren nicht aus der Luft gegriffen;
vielmehr waren die Bedenken, die im Parlament geäußert
wurden, begründet.
Ich will diese Gelegenheit nutzen ein PDS-Vertreter
macht das nicht so häufig , mich direkt an diejenigen
deutschen Soldaten zu wenden, die von diesem Einsatz
tangiert sind. Ich möchte ihnen sagen: Dass wir Auslands-
einsätzen bislang nicht zugestimmt haben wir werden
ihnen auch nicht zustimmen , geschah ohne den Gestus
und die Absicht, deutsche Soldaten im Regen stehen zu
lassen.
Wir sind vielmehr der Auffassung, dass man Fehler der
Politik nicht auf dem Rücken von Soldaten austragen darf.
Das möchte ich den deutschen Soldaten ganz direkt sagen.
Wir sind ebenfalls sehr erleichtert darüber, dass über
3 000 Waffen eingesammelt wurden und vernichtet wer-
den.
Was kann das Herz eines Demokratischen Sozialisten
höher schlagen lassen als die Tatsache, dass 3 000 Waffen
vernichtet werden? Das sollte man uns doch abnehmen!
Jede Waffe in einer Bürgerkriegssituation ist eine Waffe
zu viel. Ich sage das auch deswegen, weil wir wissen das
wissen alle hier , dass die Aktion Bedeutende Ernte
eine Art von Kollekte natürlich keine vollständige Ent-
waffnung gebracht hat, dass die mit dem Vorhandensein
von Waffen verbundenen Probleme nach wie vor nicht
gelöst sind und dass bestimmte Strukturen ich denke an
diejenigen, die die Waffen benutzt haben weiterhin exis-
tieren.
Ich mache Sie ausdrücklich darauf aufmerksam, dass
in der entsprechenden UNO-Resolution noch einmal fest-
gehalten worden ist, dass die KFOR an den Grenzen zum
Kosovo den Neuzufluss von Waffen zu unterbinden hat,
dass die Entwaffnung der UCK und anderer Verbände im
Kosovo eine wichtige Aufgabe der KFOR ist und durch-
gesetzt werden muss.
Wenn wir nunmehr über ein neues Mandat entschei-
den, dann sollten wir auch bedenken, dass allein in dieser
Legislaturperiode vom Bundestag fünf Mandate für
Auslandseinsätze erteilt worden sind. Das muss uns doch
nachdenklich stimmen, und zwar unabhängig davon, wie
man die eine oder andere Frage beurteilt.
Ich freue mich das will ich deutlich sagen , dass die
Bundesregierung die Parlamentsrechte gewahrt hat. Wir
haben sehr darauf gedrungen. Im Vorfeld haben uns viele
Töne nicht gefallen. Die völkerrechtliche Grundlage ist,
was eine Empfehlung nach Kap. VI der Charta der Ver-
einten Nationen angeht, dichter als bisher. Das beweist
nur, Kollege Weisskirchen, dass ich mit meiner Mahnung,
es sei beim vorherigen Mandat nicht so gewesen, nicht so
sehr Unrecht gehabt habe, wie Sie angenommen haben.
Damit es zu keinen Verwechslungen kommt: Es ist keine
Blauhelmmission. Man muss darüber nachdenken, ob es zu
den Aufgaben der Vereinten Nationen gehört, das, was die
NATO vorher beschlossen hat, politisch nachzuvollziehen.
In diesem Punkt hatten wir unsere Bedenken und das bleibt
auch so.
Abschließend möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Wir
sollten gemeinsam darüber nachdenken, ob es richtig ist,
anderen Ländern das aufzudrängen, was wir für richtig
halten.
Man kann doch nicht übersehen, dass die Probleme, die in
Mazedonien eingetreten sind, keine technischen waren.
Die mazedonische Regierung wollte weniger Soldaten für
einen kürzeren Zeitraum und viele wollten keine
NATO-Soldaten in dem Land. Wir dürfen nicht den Ein-
druck erwecken, als ob diejenigen Entscheidungen in Ma-
zedonien, die einig gefällt werden, von den EU- und von
den NATO-Beratern getroffen werden.
Dass wir jetzt Leitnation sind, hat sicherlich etwas da-
mit zu tun, dass das britische Kontingent andere Aufgaben
übernimmt. Ich empfehle allen, ihre Freude darüber, dass
wir einmal leiten dürfen, nicht allzu stark zum Ausdruck
zu bringen; man sollte stattdessen sehr zurückhaltend
sein. Nach seinen Äußerungen, etwa gestern beim
NATO-Rat, im Hinblick auf eine andere Entscheidung
nach Art. 5 des Nordatlantikvertrages sollte der Verteidi-
gungsminister einmal etwas in sich gehen. Wer groß tönt,
der blamiert sich auch.
Ich fasse zusammen: Unsere Argumente, die Pro-
bleme, die wir sehen, sind nicht ausgeräumt. Wir müssen
in Raum und Zeit entscheiden. Es gilt, wiederum ein Si-
gnal zu setzen, dass wir weniger Militär wollen. Deswe-
gen werden wir nicht zustimmen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001 18563
Das Wort hat
jetzt der Herr Bundesverteidigungsminister, Rudolf
Scharping.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte
zunächst dem Deutschen Bundestag für die sich abzeich-
nende breite Unterstützung für die Soldaten danken.
Ich glaube, es
müsste ein bisschen lauter gestellt werden.
Für die Technik bin jedenfalls ich nicht zuständig.
Das war auch
nicht so gemeint.
Ich wollte Ihnen sagen, dass ich mich namens der Bun-
desregierung ausdrücklich für die breite Unterstützung
bedanke, die sich im Deutschen Bundestag für die Solda-
ten und den Einsatz abzeichnet, der jetzt vor ihnen steht.
Ich muss jetzt,
obwohl eben protestiert worden ist, doch noch einmal ein-
greifen. Auch ich habe den Eindruck, dass etliche Abge-
ordnete nicht hören können. Das ist eine Anfrage an die
Technik.
Sie könnten hören, wenn die Technik funktionieren
würde. Ich bitte, das einmal zu überprüfen,
und bitte Sie, vielleicht etwas ruhiger zu sein; dann wer-
den wir das hinkriegen.
Ich bitte, dass das nicht auf meine Redezeit angerechnet
wird.
Ich wollte zunächst für die Bundesregierung ausdrück-
lich sagen, dass die breite sich abzeichnende Unterstüt-
zung für die Soldaten auch in diesem neuen Einsatz außer-
ordentlich wichtig ist. Sie ist deshalb wichtig, weil dieser
Einsatz unter Bedingungen mandatiert wird, die wir uns
nicht ausgesucht haben und die die Ausnahme bleiben
müssen. Sie ist vor allen Dingen aber deshalb wichtig,
weil dieser Einsatz auf der einen Seite eine friedensstabi-
lisierende, die friedliche Entwicklung fördernde Kompo-
nente hat, dieser Prozess aber auf der anderen Seite natür-
lich auch mit Risiken behaftet ist.
Bevor ich dazu komme, will ich noch einmal unter-
streichen, dass Essential Harvest nicht alleine eine
Waffensammelaktion war. Es war eine Aktion, die des-
halb von Mitgliedstaaten der NATO ausgeführt werden
musste, weil die beiden Ethnien in Mazedonien nicht das
Vertrauen zueinander hatten, sich gewissermaßen in die
Hand des jeweils anderen zu begeben, und deshalb eines
neutralen, allerdings auch kräftigen Dritten bedurften.
Es ist Gott sei Dank keine der Befürchtungen ein-
getreten, die bei der Mandatierung für Essential Harvest
geäußert worden sind; mehr will ich dazu nicht sagen.
Aber dieses Vertrauen, das in Mazedonien nicht mehr
oder noch nicht vorhanden ist, kann auch das will ich
hier sehr deutlich sagen auf Dauer nicht von außen ge-
währleistet werden. Es muss im Lande selbst wachsen.
Dazu kann man beitragen. Man kann es aber nicht erset-
zen.
In dieser Situation reden wir vom Schutz unbewaff-
neter Beobachter der OSZE und der Europäischen
Union. Damit ist man unmittelbar bei den Fragen nach
den Risiken. Gäbe es sie nicht, dann wäre eine Schutz-
komponente überhaupt nicht erklärbar, dann könnte man
nicht begründen, warum sie notwendig ist. Deshalb will
ich hier in aller Deutlichkeit darauf hinweisen, dass die
Sorgen politisch: man richte ein Protektorat ein; tatsäch-
lich: man plane einen militärischen Einsatz; da schwingt
immer mit: einen kriegerischen Einsatz und die Risiken
im Zweifel größer sein werden, als sie bei Essential Har-
vest waren. Das muss man sehr deutlich, nüchtern und
realistisch feststellen. Eine Rolle spielt das ist hier zu-
treffend von mehreren gesagt worden die Stimmung in
Mazedonien: der Wahlkampf, das Verhalten der Medien,
die Gewaltbereitschaft unter den beiden Ethnien.
Vor diesem Hintergrund ist nicht etwa der mazedoni-
schen Regierung aufgedrängt worden, sie möge interna-
tionale Unterstützung und Hilfe beanspruchen. Vielmehr
ergibt es sich aus dem Willen der mazedonischen Regie-
rung, sich in Europa zu integrieren und in längerer Per-
spektive auch der NATO anzugehören. Wer das will,
muss die Standards akzeptieren und folglich die Zusam-
menarbeit gewährleisten, die zur Verwirklichung dieser
Standards unverzichtbar ist.
Jeder, der sagt, das jetzige Mandat sei aufgedrängt worden,
argumentiert falsch und aus einem ideologischen Muster
heraus ich bin das von Herrn Gehrcke gewöhnt , das uns
im Hinblick auf die in der Gegenwart und in der Zukunft
anstehenden Aufgaben keine Lösung finden lässt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 200118564
Richtig ist, dass die für den jetzigen Einsatz vorgese-
henen drei Monate kurz erscheinen und dass wir uns vor
dem Hintergrund der Ausführungen, die mein Kollege
Fischer im Zusammenhang mit einer möglicherweise not-
wendigen Verlängerung gemacht hat, schon heute mit die-
sem Gedanken beschäftigen müssen. Genauso richtig ist
auch das hat nichts mit einem Aufdrängen von außen zu
tun, sondern mit Kooperation, die notwendig ist, um das
gemeinsame Ziel zu erreichen , dass man die Parteien,
die Regierung, das Parlament und den Staatspräsidenten
in Mazedonien darauf aufmerksam macht, dass es kein
Zufall ist, dass sich eine bestimmte Reihenfolge politi-
scher Schritte ergibt: Reform der Verfassung, Verabschie-
dung des Vereinbarten mit der erforderlichen Zweidrittel-
mehrheit, Durchführung einer Geberkonferenz und
andere Schritte, die miteinander verzahnt sind. Die maze-
donische Seite, die mazedonischen Parteien müssen wis-
sen: Sie haben es in der Hand, ob diese Schrittfolge erfolg-
reich gegangen wird oder ob sie den Prozess erneut zum
Scheitern verurteilen, was hoffentlich nicht geschieht. Zu
diesem Prozess wollen viele NATO-Staaten mit dem jet-
zigen Engagement unter Führung der Bundeswehr, deren
Einsatz mit der dankenswert breiten Unterstützung durch
den Deutschen Bundestag erfolgt, beitragen.
Vielen Dank.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Christian Schmidt.
Frau Präsi-
dentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
Das Mandat, das wir heute zu verabschieden haben, ist ein
Mandat, über das die Bundesregierung im NATO-Rat ver-
handelt hat und für das insofern in erster Linie die Bun-
desregierung die Verantwortung trägt. Ich weise darauf
hin, weil wir als Parlament unsere Aufgabe, die uns die
Verfassung zuweist, selbstverständlich wahrnehmen. Wir
tun dies gerne.
Aber wir müssen festhalten, dass wir einen Antrag der
Bundesregierung nur mit Ja oder Nein bescheiden können
und dass es deswegen für uns selbst und für alle anderen,
die sich damit beschäftigen, wichtig ist, zu erkennen, wo
die Verantwortung liegt. Ich sage das nicht, um unsere
Verantwortung zu schmälern, sondern um darauf hinzu-
weisen, dass die eigentlichen Entscheidungen natürlich
im Bündnis fallen. Deswegen kommt es umso mehr da-
rauf an, darauf vertrauen zu können, dass die Bundes-
regierung diese Verantwortung allein an den Maßstäben
unserer außenpolitischen Interessen und an den Notwen-
digkeiten in der betroffenen Region und nicht an innen-
politischen Erwägungen ausrichtet.
Ich möchte in diesem Zusammenhang einen Artikel in
der Welt über das vorhergehende Mandat, über Essen-
tial Harvest, zitieren, den sicherlich viele heute gelesen
haben. Da wird beschrieben, was in Brüssel missbilligend
zur Kenntnis genommen wird:
Etwa das Hü und Hott der Bundesregierung, als es
um den NATO-Einsatz in Mazedonien ging:
Zunächst wollte sich Deutschland an der Mission gar
nicht beteiligen,
wir haben den Bundeskanzler noch im Ohr
dann forderte die Regierung in Berlin ein robusteres
Mandat,
wir haben den Bundeskanzler noch im Ohr
und schließlich musste sie die französischen Verbün-
deten überreden, in ihrem Kontingent Platz zu ma-
chen ...
Wir wissen, was der Verteidigungsminister damals ge-
sagt hat.
Das bezog sich auf das vorhergehende Mandat. Ich ge-
stehe zu, dass die Entwicklung beim jetzigen Mandat
besser verlaufen ist. Die Bundesregierung hat versucht,
ein robustes Mandat durchzusetzen, das mit insgesamt
wenn ich das recht verstanden habe weit über die jetzt
angekündigten 1 000 Soldaten hinaus ausgestattet werden
soll. Wir nehmen das zur Kenntnis und ermuntern Sie,
sich auch in Zukunft nicht an den koalitionspolitischen
Erwägungen festzuhalten, die Sie vielleicht daran hin-
dern, die Wahrheit über das zu sagen, was notwendig ist.
Im Rückblick ist Essential Harvest gut gelaufen. Es
war von der Kollekte die Rede. Das erinnert mich da-
ran, dass auch im Klingelbeutel in der Kirche viel Geld
zusammenkommt, aber das meiste doch im Portemonnaie
bleibt. So wird es sich wohl auch bei der Abgabe der Waf-
fen in Mazedonien in Bezug auf das, was noch bei der
UCK bleibt, verhalten.
Es ist eine gute Sache, wenn die Nachricht stimmt, die
uns vor wenigen Minuten aus Sipkovica erreichte: Die
UCK hat durch einen Sprecher mitteilen lassen, dass sie
sich in Mazedonien heute auflösen will. Ich hoffe, dass
sich das bestätigt und dass das ein Zeichen dafür ist, dass
weitere Waffen abgegeben werden, dass sie nicht in der
jetzigen Situation verschwinden und später zum Schaden
des Landes wieder benutzt werden können.
Zur Befindlichkeit in Mazedonien sollte noch ein Wort
gesagt werden. Kollege Rühe hat zur inneren Situation im
Lande gesprochen. Wir alle hier im Hause haben auf ver-
schiedensten Ebenen, in verschiedenen Gesprächen und
Verhandlungen versucht, beide Streitparteien zu einer Ei-
nigung zu bringen. Es wurde davon geredet, dass Maze-
donien kein Protektorat sei. Es gibt sehr vieles, was alle
Mazedonier und insbesondere die Slawomazedonier als
sehr ungerecht empfinden. Im Sicherheitsratbeschluss
von heute ist nicht von Mazedonien die Rede, sondern
von FYROM, der früheren Jugoslawischen Republik
Mazedonien. Das mag uns als eine Petitesse erscheinen.
Aber ich erinnere an Begrifflichkeiten, an Buchstaben-
kombinationen, die für uns früher eine Botschaft beinhal-
teten. Es gab zum Beispiel diejenigen, die die Abkürzung
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Bundesminister Rudolf Scharping
18565
BRD gebraucht und das übernommen haben, was vor
30 Jahren auf der anderen Seite des Brandenburger Tores
gesprochen worden ist.
FYROM ist ein Symbol dafür, dass manche ihren Frie-
den mit der Unabhängigkeit der Republik Mazedonien
noch nicht gemacht haben. Ich appelliere an uns, an die
Bundesregierung und an die Völkergemeinschaft, Maze-
donien seinen Platz in der Völkergemeinschaft, bei den
Vereinten Nationen und auch in den Beziehungen zur Eu-
ropäischen Union in vollem Umfang zukommen zu las-
sen. Wir haben auch eine Bringschuld des Respekts die-
sem Land gegenüber.
Wir brauchen einen politischen Prozess. Es wurde von
regionaler Kooperation gesprochen. Wir hatten vonseiten
der CSU Balkankonferenz als Begriff eingebracht. Ich
glaube, er umschreibt genau das, was notwendig ist, näm-
lich zu erkennen, dass die Region insgesamt in eine ge-
meinsame Zukunft gehen muss. Es gibt verschiedene wei-
tere Entwürfe. Auch unsere Fraktion wird in Kürze eine
Vorlage einbringen. Es gibt schon intensive Gespräche.
Das ist deshalb notwendig, weil das bisherige Konzept der
Bundesregierung, der Stabilitätspakt, nicht ausreicht. Der
politische Wille, den politischen und ökonomischen Dia-
log vor das Militärische zu stellen, ist zwar in den Worten
zu hören, aber in den Taten nicht zu erkennen Die Nach-
richt hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.
Am 15. Oktober soll eine Geberkonferenz einberufen
werden. Der Außenkommissar der Europäischen Union,
Patten, erwartet zusätzliche Mittel für die Gestaltung der
regionalen Kooperation. Wir haben jetzt eine Chance,
nachdem der beste Mann von der Fahne geht, dies noch
einmal neu zu gestalten. Der Blick in den Bundeshaushalt
2002 ergibt aber: Fehlanzeige bei weiteren Mitteln. Wer
den Mund spitzt, muss auch pfeifen.
Herr Bundesminister Fischer, das heißt, dass Sie bis
zur Verabschiedung des Haushaltes 2002 im November
die Aufgabe haben, diese Mittel auch im Sinne dessen,
was Sie selbst gesagt haben, zur Verfügung zu stellen. Sie
haben jetzt außerplanmäßig einen Betrag von 76 Milli-
onen DM für diese Operation zusammengekratzt. Die
Bundeswehrproblematik bleibt nach wie vor bestehen.
Ich hoffe, dass die guten Rechner im Verteidigungsminis-
terium die eine oder andere Mark zur Materialerhaltung,
die dringend notwendig ist, im Haushalt untergebracht ha-
ben. Ausreichen wird das aber nicht.
Ich nenne ein Beispiel, damit klar wird, um was es
geht: In Mazedonien sollen Polizeikräfte albanisch-
mazedonischer Herkunft ausgebildet werden. Das ist
ein wesentliches Element der Vereinbarungen von Ohrid
und der Gesetzesänderungen. Bisher wurde über die Poli-
zeiausbildung der Albaner, die ganz wichtig ist, überhaupt
nichts gesagt. Die internationale Gemeinschaft hat auch
noch keinerlei Angebot vorgelegt, aus dem hervorgeht,
wie sie dies unterstützt. Allein werden es die Mazedonier
nicht schaffen.
Wir werden aus einer größeren Verantwortung heraus,
die wir alle spüren, diesem Mandat zustimmen, weil wir
auch hoffen, damit einen Beitrag zu leisten, dass bei den
großen Konflikten, die wir gegenwärtig gemeinsam zu
bewältigen haben ich nenne das Stichwort Antiterror-
koalition , keine Windschatten- und Trittbrettfahrer ihr
Glück suchen, wie das weiland ein Herr Milosevic mit
einem gewissen Erfolg probiert hat. Insofern stimmen
wir also zu; es bleibt aber dabei, dass die Bundesregierung
ihrer Verpflichtung, die sie sich selbst auferlegt hat, bis-
her nicht gerecht geworden ist. Dafür sind Änderungen im
Bundeshaushalt 2002 nötig.
Den Soldaten, die nun in den Einsatz gehen oder in Ma-
zedonien bleiben, wünschen wir alles Gute und viel
Glück. Wir werden die Fürsorgepflicht so, wie wir das
tun müssen für sie ausüben.
Jetzt hat der Ab-
geordnete Helmut Lippelt das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ge-
gen Schluss bleibt mir noch zu sagen, dass meine Fraktion
bei wenigen Enthaltungen diesen Antrag mitträgt und be-
grüßt.
Wir sprechen und beschließen über die deutsche Betei-
ligung an einer ganz wichtigen Phase der Pazifizierung,
des Übergangs vom Bürgerkrieg in ein friedliches
Zusammenleben. Die politischen Parteien im Kosovo
haben den wichtigsten Teil geleistet, indem sie das Ohrid-
Abkommen miteinander ausgehandelt haben. Die NATO
hat den schwierigsten Teil geleistet, indem sie die Waffen
entgegengenommen hat, die natürlich nicht dem Bürger-
kriegsgegner, sondern nur einer Organisation wie der
NATO übergeben werden konnten.
Jetzt kommt es zu einer Reihe von Folgeprozessen. Die
Implementierung des Verabredeten wird durch Beobach-
ter von OSZE und EU begleitet. Ich erkenne keinen
Grund, warum jemand dem nicht zustimmen kann und
meint, einen solchen Prozess, der von der UN per Sicher-
heitsratsresolution empfohlen wird, ablehnen zu müssen.
Ich möchte noch eine Bemerkung machen, weil einige
Kollegen aus der CDU/CSU auf die politischen Schwie-
rigkeiten hingewiesen haben, vor denen jetzt die Mitpar-
lamentarier in Skopje in Mazedonien stehen. Sie müssen
so, wie es vereinbart wurde die Verfassung ändern. Bei
dieser Verfassungsänderung geht es im Kern darum, die
Definition des Staates, der bisher in der Verfassung als
Nationalstaat der Mazedonier mit einigen gleichberech-
tigten Mitbürgern aus anderen Minderheiten definiert
war, in Staat der Bürger der Republik Mazedoniens um-
zuändern. Dazu gehören die Minderheiten automatisch.
Dass dieses für einige Abgeordnete ein Problem ist, kann
so glaube ich jeder nachvollziehen. Wir sollten uns in
diesem Parlament deshalb darin einig sein, dass wir un-
sere Mitparlamentarier in Mazedonien auffordern, über
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Christian Schmidt
18566
diese Hürde zu springen; denn es geht um eine moderne
Definition des multiethnischen Mazedoniens, das in ein
multiethnisches Europa will. Ich habe gerade aus Ihrer
Ecke gehört, dass Sie verständlicherweise diese Probleme
gut kennen, denn: wenn überhaupt, betrifft das Ihre Kor-
respondenzpartei. Gerade deshalb sollten wir alles tun,
um die mazedonischen Mitparlamentarier zu ermuntern,
den Schritt nach vorn zu tun, der sie letztlich nach Europa
führt.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Gert Weisskirchen.
Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Christian
Schmidt hat uns allen hier vorhin eine ganz wichtige
Nachricht mitgeteilt. Ich finde, sie sollte noch einmal un-
terstrichen werden: Die UCK hat heute beschlossen, dass
sie sich selbst militärisch auflöst. Was wollen wir nach
dieser Information denn eigentlich anderes tun, als den
Kollegen dort zu danken, dass sie dem folgen, was die in-
ternationale Staatengemeinschaft von ihnen erwartet,
nämlich dass sie politisch die Richtung einschlagen, die
sie jetzt eingeschlagen haben. Ich finde, das ist ein wun-
derbares, sehr schönes Zeichen dafür. Es zeigt, dass wir
gemeinsam auf dem richtigen Weg sind.
Das, was uns jetzt gemeinsam bevorsteht, Mazedonien
und der internationalen Staatengemeinschaft, ist ein ganz
schwieriger Weg, ja wird vielleicht sogar noch ein Hür-
denlauf, denn die Kolleginnen und Kollegen müssen auf
ihr bisheriges Verständnis nationaler Orientierung, wie es
in der Verfassung niedergelegt ist, verzichten. Es ist eine
ungeheure Hürde, die sie jetzt nehmen.
Ich wünschte mir, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass
wir denjenigen, die jetzt in Mazedonien diesen Schritt
vollziehen und diese Hürde nehmen, unseren Respekt
zollen und sie bitten, diesen Schritt zu tun, denn sie tun ihn
in ein gemeinsames Europa.
Ich schließe da-
mit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag
der Bundesregierung zur Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an dem NATO-geführten Einsatz in Ma-
zedonien zum Schutz von Beobachtern internationaler
Organisationen.
Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/6970 anzunehmen. Es ist namentliche Ab-
stimmung verlangt. Ich möchte Ihnen aber vorher bekannt
geben, dass nach § 31 unserer Geschäftsordnung einige
Abgeordnete eine schriftliche Erklärung abgeben wollen.
Es handelt sich um die Abgeordneten Friese und andere,
den Abgeordneten Koppelin, die Abgeordneten Simmert,
Lemke und Schewe-Gerigk, den Abgeordneten Röspel,
den Abgeordneten Meister sowie die Abgeordneten
Buntenbach, Ströbele, Hermann, Knoche und Voß.
Bei der Stimmabgabe bitte ich alle Kolleginnen und
Kollegen noch einmal, sorgfältig darauf zu achten, dass
die Stimmkarten ihren Namen tragen. Die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer haben die vorgesehenen Plätze
bereits eingenommen. Sind alle Urnen besetzt? Das ist
der Fall.
Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentli-
chen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1)
Wir setzen die Beratungen fort und kommen nun zum
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit, Einzelplan 16.
Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b
auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur geordneten
Beendigung der Kernenergienutzung zur ge-
werblichen Erzeugung von Elektrizität
Drucksache 14/6890
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter
Paziorek, Kurt-Dieter Grill, Cajus Caesar, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Kernenergieausstieg ohne Konzept für Ener-
giepolitik und Entsorgung
Drucksache 14/6886
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Bun-
desminister Jürgen Trittin.
Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ich stehe hier und freue mich, dass
man meinen Haushalt überdurchschnittlich gekürzt hat,
nämlich um 3,4 Prozent.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Dr. Helmut Lippelt
18567
1) Ergebnis Seite 18569 D
Ich freue mich deswegen darüber, weil die wesentliche
Ursache für den Ausgabenrückgang im BMU-Haushalt
erfreulich ist, nämlich der Baustopp in Gorleben, wo wir
mit der verfehlten Entsorgungspolitik sichtbar Schluss ge-
macht haben. Insofern ist diese Einsparung ein Plus für
die Umwelt.
Insgesamt allerdings sind die Ausgaben der Bundesre-
gierung und des Bundeshaushaltes für Umwelt gestiegen:
quer durch den Haushalt auf 4,3 Milliarden Euro. Um-
weltpolitik ist damit zu einer Querschnittsaufgabe ge-
worden. Wir haben unter Rot-Grün schlicht und ergrei-
fend das geschafft, was Sie nie erreicht haben: Wir haben
die Umweltpolitik aus der Aschenputtelrolle, in der sie
unter Angela Merkel war, geholt.
Energiewende, Klimaschutz und Naturschutz sind die
großen Projekte. Der Klimaschutz wird das Thema der
nächsten Jahrzehnte.
Einen Moment.
Ich glaube, die Debattierklübchen sollten sich nach
draußen bewegen, damit wir zuhören können. Danke
schön.
Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit: Danke, Frau Präsidentin.
Ich sage mit allem Nachdruck: Man kann Klimaschutz
weder predigen noch verkaufen. Vielmehr müssen wir mit
den Fortschritten im Klimaschutz, die wir hier machen,
andere Länder davon überzeugen, den gleichen Weg zu
gehen. Deswegen war es gut, dass das Umweltministe-
rium es geschafft hat, im nationalen Klimaschutz-
programm auch die anderen Ressorts anzuhalten, nun-
mehr ihre klimapolitischen Hausaufgaben zu machen.
Deutschland ist Spitzenreiter im Klimaschutz. Wir al-
lein haben zwei Drittel der CO2-Einsparungen für die
gesamte EU geschafft; das sind 180 Millionen Tonnen
CO2.
Diese Leistung der Bundesrepublik Deutschland hat
uns überhaupt in die Rolle gebracht, dass wir in Bonn end-
lich erreichen konnten, dass das Kioto-Protokoll ratifi-
zierbar wird. Wir als Bundesregierung haben die Absicht,
dieses Protokoll noch in diesem Jahr dem Bundestag zu-
zuführen. Ich hoffe auf eine parteiübergreifende Zustim-
mung.
Lassen Sie uns den Konsens im Klimaschutz auch wei-
terhin nach außen deutlich machen. Ich will mich bei der
Gelegenheit bei allen Kolleginnen und Kollegen aller
Fraktionen für die bisher für diesen Kurs geleistete Un-
terstützung ausdrücklich bedanken.
Wir haben bei der Energiepolitik wirklich eine Wende
erreicht. Innerhalb weniger Jahre, seit diese Koalition re-
giert, haben wir den Anteil des Windstroms auf 7 000 Me-
gawatt installierter Leistung mehr als verdoppelt. Heute
wird ein Drittel des Windstroms der Welt in der relativ
kleinen Bundesrepublik Deutschland produziert. Einnah-
men aus der Ökosteuer fließen in das Markteinführungs-
programm für Biomasse und Solarenergie.
Ich sage das, damit Sie sehen: Die Ökosteuer entlastet
nicht nur die deutsche Wirtschaft in einer Größenordnung
von 2 Milliarden Euro in diesem Jahr. Nein, Aufwendun-
gen aus der Ökosteuer kommen in diesem Haushalt tat-
sächlich ökologischen Projekten zugute.
Die Umweltpolitik von heute beschäftigt sich nicht
mehr in erster Linie mit Filtern. Die Ära des nachsorgen-
den, des technischen Umweltschutzes geht ein Stück weit
zu Ende. Umweltpolitik muss heute vorsorgend sein; sie
muss gesamtgesellschaftlich sein.
Sie muss Naturräume für kommende Generationen si-
chern. Sie muss ihren Beitrag zur ökologischen Moderni-
sierung der Wirtschaft leisten. Sie muss dies im Dialog
mit den Bürgerinnen und Bürgern tun. Sie muss dies in
globaler Verantwortung tun; das heißt, sie kann das auch
nur international organisieren. Deswegen ist für uns die
Frage der Teilhabe der Menschen eine besondere Heraus-
forderung für die Umweltpolitik. Das ist der Grund,
warum wir in diesem Haushalt erneut mehr Geld für Um-
weltverbände, für diejenigen, die ehrenamtlich im Natur-
schutz tätig sind, bereitstellen. Ohne diese Ehrenamtli-
chen gäbe es einen derartigen Naturschutz in Deutschland
nicht.
Deswegen stärken wir auch die Rechtsstellung dieser Ver-
bände. Wir geben ihnen auch in Bayern und Baden-Würt-
temberg die Rechte, die in rot-grünen Ländern heute
selbstverständlich sind, dass nämlich die Verbände gegen
naturzerstörerische Projekte klagen und sich an Planver-
fahren beteiligen können.
Ich sage ausdrücklich: Das ist keine Politik, die an den
Grenzen der Bundesrepublik Halt macht. Wir hätten das
Verhandlungsergebnis, das wir in Bonn erreicht haben,
ohne die enge Kooperation mit WWF und mit Greenpeace
und ohne die Kooperation mit bestimmten Wirtschaftsun-
ternehmen, wie etwa der Unternehmensinitiative E-Mis-
sion 55, an der Gerling, Deutsche Telekom und andere
beteiligt waren, nie erreicht.
Lassen Sie mich weil das in dieser Debatte ja ver-
knüpft ist noch einmal zum Thema der Energiewende
zurückkehren. Neben dem erfolgreichen Einstieg in er-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Bundesminister Jürgen Trittin
18568
neuerbare Energien, in Energiesparen und in Energieeffi-
zienz ist für uns der Ausstieg aus der Atomenergie das
dritte wichtige Feld der Energiewende. Mit dem Terror-
anschlag von New York hat die Frage der Nutzung der
Atomenergie leider beängstigend an Aktualität gewon-
nen. Nach dem 11. September dieses Jahres wird hoffent-
lich nie wieder jemand den Absturz eines Flugzeugs auf
ein Atomkraftwerk als Restrisiko verniedlichen.
Auch wird wohl nie wieder jemand dieses Restrisiko als
auch so ein Wort aus der Vergangenheit vernachläs-
sigbar und hinnehmbar bezeichnen.
Der 11. September stellt uns vor die Frage: Wie sollen
wir mit Technologien umgehen, die Fakten für Tausende
von Generationen schaffen? Das Grundmodell der Demo-
kratie ist doch, dass man für einen begrenzten Zeitraum
und einen begrenzten Raum Entscheidungen demokra-
tisch mit Mehrheit trifft, dass aber diese Entscheidungen
prinzipiell revidierbar sind. Der Einstieg in die Atom-
energie hat genau dieses demokratische Grundprinzip
verletzt.
Wir können mit dem Ausstieg das Ende der Energie-
erzeugung aus Atomkraft beschließen. Wir müssen die
Kernkraftwerke abbauen. Aber wir werden noch Tau-
sende von Jahren mit Atommüll zu tun haben; wir müssen
Endlager bauen, sichern und bewachen. Das bedeutet:
Generationen nach uns werden noch mit diesen Sicher-
heitsrisiken zu leben haben. Deswegen war der Einstieg
in die Atomenergie ein Sündenfall, der eine Rückkehr
schlicht und ergreifend für immer versperrt.
Vor diesem Hintergrund haben wir mit der Atomge-
setznovelle das Risiko dieser Technologie neu bewertet.
Wir sagen: Der unbefristete Betrieb solcher Anlagen ist
nicht länger hinzunehmen. Deswegen verkehren wir mit
dem hier vorgelegten Gesetzentwurf den Zweck des
Atomgesetzes in sein Gegenteil. Das alte Atomgesetz
diente dem unbefristeten Betrieb der entsprechenden An-
lagen. Das neue Atomgesetz dient der geordneten Been-
digung der Nutzung dieser Anlagen.
Wir verhindern die Errichtung neuer Kernkraftwerke
und verkürzen die unbefristeten Betriebserlaubnisse auf
32 Jahre nach Inbetriebnahme. Das heißt, im Jahre 2010
wird die Hälfte der bestehenden Anlagen vom Netz ge-
gangen sein und im Jahre 2020 hoffen wir, das Problem
endgültig gelöst zu haben. Bis zu diesem Zeitpunkt er-
höhen wir die Sicherheit der Anlagen durch regelmäßige
Sicherheitsüberprüfungen nach dem sich dynamisch ent-
wickelnden Stand von Wissenschaft und Technik.
Mit dem Konzept der direkten Endlagerung in tiefen
geologischen Formationen und der dezentralen Zwi-
schenlagerung vermeiden wir Atomtransporte so weit wie
möglich. Mit diesem Konzept entlasten wir ich sage das
vor dem Hintergrund vieler Aufregungen und Diskus-
sionen in dem Landkreis, aus dem Herr Grill kommt
Gorleben und Ahaus um etwa 70 Prozent des Atommülls.
Auch das führt zu einer Risikoverminderung.
Atomstrom außer Herrn Stoiber, Herrn Koch und
Herrn Teufel haben das alle begriffen
ist ein Auslaufmodell. Die Atomindustrie selbst, die dem
Atomkonsens zugestimmt hat, hat begriffen, was Bundes-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es
gibt auch Arbeitsplätze, die man nicht erhalten kann, weil
die, die Kapital investiert haben, damit lediglich Altlasten
produziert haben.
Ich will es aber nicht bei dieser pessimistischen Be-
merkung belassen. Die Energiewende mit Ausstieg und
Einstieg, so wie wir sie auf den Weg gebracht haben,
schafft neue Arbeitsplätze. Im Bereich der erneuerba-
ren Energien sind heute schon mehr als 70 000 Men-
schen mehr als in der Atomindustrie beschäftigt. Al-
lein 30 000 Menschen arbeiten in der Windbranche.
Klimaschutz und Energiewende werden wenn wir unse-
ren Weg weitergehen bis zum Jahre 2020 200 000 zu-
sätzliche Jobs entstehen lassen.
Daraus folgt: Die ökologische Modernisierung der
Bundesrepublik Deutschland ist nicht nur ein Plus für die
Umwelt, sondern auch ein gewaltiges Plus für die Be-
schäftigung in diesem Lande.
Ich komme zu
Zusatzpunkt 7 zurück und gebe Ihnen das von den Schrift-
führerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der
namentlichen Abstimmung bekannt: Abgegebene Stim-
men: 578. Mit Ja haben gestimmt: 528. Mit Nein haben
gestimmt: 40. Es gab 10 Enthaltungen. Die Beschlussemp-
fehlung ist damit angenommen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Bundesminister Jürgen Trittin
18569
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 578;
davon
ja: 528
nein: 40
enthalten: 10
Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel
Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Lothar Binding
Kurt Bodewig
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
18570
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann
Bernhard Brinkmann
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Lilo Friedrich
Harald Friese
Anke Fuchs
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf
Angelika Graf
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Walter Hoffmann
Iris Hoffmann
Frank Hofmann
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
Erika Lotz
Dieter Maaß
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller
Jutta Müller
Christian Müller
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Dr. Carola Reimann
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel Riemann-
Hanewinckel
Reinhold Robbe
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth
Birgit Roth
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Horst Schmidbauer
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Dr. Frank Schmidt
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
Brigitte Schulte
Reinhard Schultz
Volkmar Schultz
Ewald Schurer
Dietmar Schütz
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese
Brigitte Wimmer
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Verena Wohlleben
Hanna Wolf
Waltraud Wolff
Heidemarie Wright
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Peter Bleser
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
18571
Dr. Norbert Blüm
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Hartmut Büttner
Cajus Caesar
Peter H. Carstensen
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer
Dr. Hans-Peter Friedrich
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Manfred Grund
Horst Günther
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser
Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Hartmut Koschyk
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann
Dr. Michael Luther
Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller
Elmar Müller
Bernd Neumann
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard
Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Heinz Schemken
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt
Andreas Schmidt
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Gerhard Schulz
Diethard Schütze
Clemens Schwalbe
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl
Dr. Rita Süssmuth
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Dr. Theodor Waigel
Peter Weiß
Gerald Weiß
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese
Hans-Otto Wilhelm
Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zöller
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck
Volker Beck
Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer
Joseph Fischer
Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt
Werner Schulz
Christian Simmert
Christian Sterzing
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Helmut Wilhelm
FDP
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun
Rainer Brüderle
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Detlef Parr
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Dr. Guido Westerwelle
Nein
CDU/CSU
Dr. Wolf Bauer
Wolfgang Börnsen
Wir fahren nun in der Debatte fort. Ich erteile das Wort
dem Abgeordneten Jochen Borchert.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Ich finde es schon erstaunlich,
dass der Bundesminister hier erklärt, er freue sich über die
Kürzung seines Etats. Die Entwicklung des Einzel-
plans 16 in diesem Jahr wie auch in den zurückliegenden
Jahren spiegelt wider, wie gering die Bedeutung der Um-
weltpolitik und des Bundesumweltministers in dieser Ko-
alition ist:
Während der Gesamthaushalt, so wie er heute im Entwurf
vorliegt, um 1,6 Prozent steigt, sinkt der Haushalt des
Umweltministers um 6,9 Prozent.
Im Vergleich zum Jahr 2001 stehen im Einzelplan 16 da-
mit 40,5 Millionen Euro weniger zur Verfügung.
Ich will hier nicht darüber debattieren, zu welchen Ver-
änderungen die Beratungen über den Bundeshaushalt in
den Ausschüssen bis zur zweiten Lesung noch führen. Si-
cher ist nur, dass einerseits die wirtschaftlichen Annah-
men, die dem Haushalt zugrunde liegen, nichts mehr mit
der wirtschaftlichen Realität zu tun haben und dass ande-
rerseits die notwendigen Ausgaben für die innere und die
äußere Sicherheit ganz sicher zu weiteren Veränderungen
führen werden. Davon wird möglicherweise auch der Ein-
zelplan 16 betroffen sein.
Die ganze Dramatik der Haushaltsentwicklung des Bun-
desumweltministeriums wird deutlich, wenn man die Ent-
wicklungen des Bundeshaushaltes und des Einzelplans 16
von 1998 bis zu dem Entwurf für das Jahr 2002 vergleicht:
Der Umfang des Gesamthaushalts ist in dieser Zeit um
knapp 30 Milliarden DM bzw. um über 6 Prozent gestiegen,
während der des Einzelplans 16 um über 150 Millionen DM
das sind über 12 Prozent gesunken ist.
Das sind Fakten. Wenn Sie zu anderen Rechnungen
kommen, dann sollten Sie das kleine Einmaleins noch ein-
mal lernen.
Der Bedeutungsverlust des Bundesumweltministeri-
ums zeigt sich aber auch daran, dass ein immer größerer
Teil der Ausgaben für den Umweltschutz in anderen Ein-
zelplänen und nicht im Umweltministerium etatisiert ist.
Im Bundeshaushalt 2002 sind für Umweltschutzaufgaben
insgesamt rund 4,3 Milliarden Euro vorgesehen, davon
nur 542 Millionen Euro bzw. 12,6 Prozent im Bundesum-
weltministerium. Die umweltschutzrelevanten Ausgaben
sind in anderen Ressorts zum Teil deutlich höher als im
Umweltministerium.
Von den schon niedrigen Ansätzen des Haushaltes des
Bundesumweltministers wird gleichzeitig ein immer
größerer Teil für die Verwaltung benötigt. Damit stellt
sich doch die Frage, ob es nicht sinnvoller wäre, die Um-
weltschutzausgaben stärker in den Ressorts zu bündeln,
die schon heute den Hauptanteil der Umweltausgaben eta-
tisiert haben.
Dabei wäre es dann auch möglich, im Bereich der Ver-
waltung Synergieeffekte zu nutzen, Verwaltungsausgaben
zu sparen, um mehr Mittel für den Umweltschutz einset-
zen zu können. Es kann meiner Meinung nach nicht sinn-
voll sein, dass Jahr für Jahr ein immer größerer Anteil des
Einzelplans 16 für die Verwaltung ausgegeben wird. Für
das Jahr 2002 werden rund 52 Prozent für die Verwaltung
und nur noch 48 Prozent für Umweltschutzmaßnahmen
eingesetzt; das heißt, von jedem Euro, der hier für das
nächste Jahr angesetzt ist, fließen 52 Cent in die Verwal-
tung und nur noch 48 Cent in Umweltausgaben.
Betroffen von dieser Entwicklung sind alle Bereiche
des Umweltschutzes. Gekürzt wird bei den Naturschutz-
projekten. Für den Vertragsnaturschutz, eines der ent-
scheidenden Instrumente bei der Durchsetzung umwelt-
politischer Maßnahmen, stehen keine Mittel mehr zur
Verfügung.
Herr Bundesminister, Sie haben gerade noch einmal
darauf hingewiesen, welche Risiken Sie vor allen Din-
gen nach dem 11. September in Kernkraftwerken se-
hen. Wäre Ihnen die Sicherheit von Kernkraftwerken
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
18572
Manfred Carstens
Leo Dautzenberg
Willy Wimmer
PDS
Monika Balt
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf
Enthalten
SPD
Gudrun Roos
René Röspel
CDU/CSU
Susanne Jaffke
Norbert Otto
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Annelie Buntenbach
Winfried Hermann
Monika Knoche
Hans-Christian Ströbele
Sylvia Voß
PDS
Manfred Müller
wirklich so wichtig, dann hätten Sie doch wohl kaum so
gravierende Kürzungen bei den Ausgaben für Reaktorsi-
cherheit und Strahlenschutz vorgenommen.
Im Haushalt 2002 sinken die Ausgaben für Reaktorsi-
cherheit und Strahlenschutz um zusammen rund eine Mil-
liarde Euro.
Wie wenig durchdacht Ihr Konzept für erneuerbare
Energien ist, wird bei der Erzeugung von Strom aus Bio-
masse besonders deutlich. Hier haben Sie im vergangenen
Jahr mit neuen Programmen wesentliche Anstöße zu ge-
ben versucht, um einen stärkeren Einstieg in diesen Be-
reich zu erreichen. Die bevorstehende Änderung der
Richtlinie und die Kürzung der dringend notwendigen
Zuschüsse stellen aber einen gravierenden Rückschritt für
den Klimaschutz dar.
Viele Landwirte investierten in der Vergangenheit in
den neuen Energiemarkt und erzeugen umweltfreundliche
Energien. Insbesondere Landwirte, die in die Nutzung der
regenerativen Energien investieren möchten und dazu von
dieser Bundesregierung ermuntert wurden, sind von den
Änderungen hart betroffen. Statt Ausbau bedeutet dieser
Etat Abbau. Viele der gerade in jüngster Zeit geschaffenen
Arbeitsplätze etwa im Biogasbereich sind durch die neuen
Richtlinien direkt bedroht.
Ein weiterer Systemfehler ist die Belastung von Strom
aus erneuerbaren Energiequellen durch die so genannte
Ökosteuer. In diesem Jahr besteuern Sie Strom aus erneu-
erbaren Energien mit rund 480 Millionen DM; im Jahre
2003 werden es rund 750 Millionen DM sein. Sie wollen
Strom aus erneuerbaren Energien und belegen ihn gleich-
zeitig mit einer Strafsteuer.
Zwar werden Sie im kommenden Jahr zum dritten Mal
die Ökostrafsteuer erhöhen, aber Sie kürzen im Etat des
Wirtschaftsministers die Mittel für Programme für For-
schung und Entwicklung erneuerbarer Energien sowie die
Haushaltsansätze für die Markteinführung.
Wenn Sie hier auf die Querschnittsaufgabe Umwelt-
schutz hinweisen der Minister selbst hat darauf hinge-
wiesen , dann muss man auch deutlich machen dürfen,
was in anderen Einzelplänen geschieht.
Sie können die Kritik doch nicht damit vom Tisch krie-
gen, indem Sie sagen, über den Wirtschaftsetat hätten wir
heute Morgen beraten und es sei Aufgabe der Regierung
und der Koalition, auf die Querschnittsaufgabe Umwelt-
schutz hinzuweisen, während die Opposition dazu zu
schweigen habe. Wir werden schon darauf hinweisen, wie
gravierend die Mittel für Umweltmaßnahmen in anderen
Etats gekürzt worden sind.
Meine Damen und Herren, führt man sich diesen Ein-
zeletat einmal vor Augen, dann erkennt man, dass die Um-
weltschutzpolitik der rot-grünen Koalition in den vergan-
genen Jahren gescheitert ist und dass diese erfolglose
Politik fortgesetzt wird. Statt Fortschritte und Innovatio-
nen in der Umweltpolitik gibt es mit diesem Etat nur
Rückschritt. Wir werden bei den Beratungen versuchen,
Verbesserungen durchzusetzen. Aber dieser Etat zeigt,
Herr Bundesminister, dass Sie mit Ihrer Umweltpolitik
gescheitert sind.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Kol-
legin Waltraud Lehn für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Borchert, Ihre Rede war stellvertretend für die Unfähigkeit
der CDU/CSU zu einer nach vorne gerichteten Politik.
Wo Visionen gefragt sind, setzen Sie antiquierte Buchhal-
tung dagegen.
Wo Kreativität und Vernetzung erforderlich sind, verhar-
ren Sie in kleinkariertem Ressortdenken.
So etwas war vielleicht früher einmal in; heute ist es out.
Statt zu verbinden, grenzen Sie aus und ab. So lässt sich
Zukunft nicht gestalten. Solange Sie als Person und Sie
als CDU/CSU so starr und unbeweglich sind, solange Sie
sich weigern, über den Tellerrand hinauszusehen, haben
Sie es nicht nur nicht verdient, Wahlen zu gewinnen, son-
dern Sie werden sie auch nicht gewinnen.
Die Bundesregierung setzt auch im Umweltbereich
ihre erfolgreiche Politik der Nachrangigkeit fort.
Für den Umweltschutz stehen im Bundeshaushalt für
das kommende Jahr der Minister führte es bereits aus
4,3 Milliarden Euro zur Verfügung.
Sehen Sie, das ist symptomatisch. Sie fragen, ob diese
Mittel brutto oder netto zur Verfügung stehen. Seien Sie
doch lieber ruhig, wenn Sie keine anderen, keine geschei-
ten Fragen haben.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Jochen Borchert
18573
Allein im Haushalt des Wirtschaftsministeriums sind
693 Millionen Euro veranschlagt. Das sehr erfolgreiche
Marktanreizprogramm zur Förderung erneuerbarer Ener-
gien wird weitergeführt; es ist ein großer Erfolg. Die
Koalitionsfraktionen beabsichtigen außerdem, die Mittel
für dieses Förderprogramm im nächsten Jahr noch deut-
lich aufzustocken.
Auch das erfolgreiche 100 000-Dächer-Solarstrom-Pro-
gramm
das finde ich nicht zum Lachen ist symptomatisch für
den Erfolg dieser Bundesregierung.
Im Haushalt des Finanzministers das würde man dort
gar nicht vermuten sind allein 516 Millionen Euro für
die Altlastsanierung im Braunkohlebergbau Ostdeutsch-
lands veranschlagt; auch dies ist ein wichtiger Beitrag.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung
stellt 581 Millionen Euro für die Grundlagenforschung
zum Umweltschutz zur Verfügung. Das Bundesminis-
terium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung unterstützt Länder der Dritten Welt mit über 720 Mil-
lionen Euro bei Umweltschutzprojekten und bei Projek-
ten zu einer nachhaltigen Entwicklung.
Reden Sie doch nicht so einen Unsinn.
Ich bitte Sie.Unwahrheiten kann man nicht durch Zwi-
schenrufe heilen.
Diese Zahlen unterstreichen die Bedeutung, die dem
Umweltschutz als Querschnittsaufgabe im Haushalt 2002
beigemessen wird.
Trotz aller positiven Akzentsetzungen und der Verstär-
kung der Mittel sowohl für den Umwelt- als auch für den
Naturschutz sinkt das Volumen des Haushalt auf
542,6 Millionen Euro. Damit leistet richtigerweise auch
das Umweltministerium einen Beitrag zur Konsolidie-
rung des Haushalts, zum Abbau des gigantischen Schul-
denberges, den Sie uns vor die Tür gekippt haben.
Die Reduzierung im Haushalt des Umweltministeri-
ums für das Jahr 2002 betrifft, wie bereits gesagt, zum
größten Teil die Endlagerung. Darüber kann man sich in
der Tat freuen. Für die Projekte Schacht Konrad und Gor-
leben werden jetzt nur noch die Mittel für den Offenhal-
tungsbetrieb bereitgestellt. Nach dem erfolgreichen Ab-
schluss der Konsensgespräche zum Atomausstieg und der
Vorlage des Gesetzes zur geordneten Beendigung der
Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von
Elektrizität, über das wir heute in erster Lesung beraten,
unterstreicht dies den Willen der Bundesregierung, aus ei-
ner wirklich überholten Energiepolitik auszusteigen.
Trotz der unbestrittenen Notwendigkeit, den Sparkurs
von Bundesfinanzminister Eichel auch vonseiten dieses
Ressorts weiter aktiv zu unterstützen, ist es mit dem vor-
liegenden Haushalt gelungen, durch Umschichtung zu-
sätzliche Mittel für umweltpolitisch wichtige Bereiche
bereitzustellen. So werden zum Beispiel die Projektför-
dermittel für die Umwelt- und Naturschutzverbände er-
neut erhöht. Im Vergleich zum Haushalt 1998 das ist an
Ihre Adresse gerichtet ist das eine Steigerung um mehr
als 60 Prozent.
Die Verbände haben damit Möglichkeiten zur Projekt-
finanzierung, wie sie sie noch nie zuvor hatten. Das
unterstreicht auch eindrucksvoll ihren gestiegenen Stel-
lenwert bei der ökologischen Erneuerung in vielen Le-
bensbereichen.
Ein weiteres Beispiel sind die 256 000 Euro für Pro-
jekte der Deutschen Energie-Agentur. Diese Mittel wer-
den im Haushalt des Umweltministeriums zusätzlich zu
den Mitteln zur Verfügung gestellt, die das Wirt-
schaftsministerium als Hauptfinanzier bereitstellt. Damit
werden Beratungs- und Informationsaktivitäten zur Nut-
zung erneuerbarer Energien unterstützt, die die Deutsche
Energie-Agentur durchführt. Sie werden zur Information
und Aufklärung der Bevölkerung in Fragen des Klima-
schutzes eingesetzt und sind unverzichtbar. Ich sage Ihnen
bereits jetzt: Es zeichnet sich ab, dass die Koalitionsfrak-
tionen diese Mittel im Laufe der Etatberatungen weiter
aufstocken werden.
Auf die Bedeutung des Umweltschutzes als wichtige
Querschnittsaufgabe habe ich bereits hingewiesen. Dem
Umweltministerium kommt in diesem Zusammenhang
die Aufgabe zu, die Leitlinien der Umweltpolitik weiter-
zuentwickeln und durch gute Gesetze die Rahmenbedin-
gungen festzulegen. Wenn man das als Aufblähung der
Verwaltung bezeichnet, Herr Borchert, dann hat man
überhaupt nicht wahrgenommen, welche inhaltliche Ver-
änderung hier in den letzten zwei Jahren vollzogen wurde.
Das Ministerium braucht dafür qualifizierte Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter
sowie Projektmittel, um Ressortforschungen zu finanzie-
ren, um Entwicklungen anzustoßen, um Rahmen herzu-
stellen, in denen sich Umweltschutz und Umweltpolitik in
diesem Land gut entwickeln können.
Darüber hinaus gilt natürlich unverändert das Verur-
sacherprinzip, denn es kann nicht sein, dass die Kosten
für den Umweltschutz vom Steuerzahler und nicht von
den Verursachern der Umweltbelastungen getragen wer-
den. An diesem Prinzip werden wir ebenfalls festhalten.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Waltraud Lehn
18574
Es ist ein Irrglaube anzunehmen, dass der Staat als Ak-
teur in der Lage sei, die Umweltproblematik allein in den
Griff zu bekommen.
Der Staat wäre nicht nur überfordert, nein, es wäre auch
falsch, wenn zum Beispiel die Unternehmen aus ihrer
Verantwortung entlassen würden.
Stattdessen muss die Politik den Rahmen vorgeben und
sie tut dies auch , innerhalb dessen die Unternehmen ge-
nauso wie Privatpersonen als autonome Akteure ihre
Ziele verfolgen können.
Lange Zeit waren die Ansätze der Umweltpolitik vor-
rangig reaktiv auf die Abwehr akuter Gefahren und Be-
einträchtigungen ausgerichtet. Wir wissen heute, dass ein
präventiver Umweltschutz die Schlüsselaufgabe einer
modernen Umweltpolitik ist, die die Verursacher vorran-
gig einbezieht, aber auch um die Zustimmung der Gesell-
schaft insgesamt werben muss. Dies ist ebenso effektiv
wie wenn man das Geld betrachtet sparsam, also sehr
wirtschaftlich.
Neben einem präventiven Umweltschutz gehört zu ei-
ner guten Umweltpolitik auch eine umfassende Nachhal-
tigkeitsstrategie. Ich habe bereits darauf hingewiesen,
dass sich die Nachhaltigkeitspolitik der Bundesregierung
wie ein roter Faden durch den gesamten Haushaltsentwurf
2002 zieht. In wichtigen Bereichen wie dem Ausstieg aus
der Atomenergie, wie der neuen Energiepolitik, wie dem
Klimaschutz, wie der Konsolidierung der Staatsfinanzen
haben wir die Weichen bereits gestellt. Aber dabei belas-
sen wir es nicht. Vor allem bei der Energieversorgung
müssen wir den bereits eingeschlagenen Weg konsequent
weitergehen.
Es muss auch unser Ziel sein, die Abhängigkeit vom Öl
zu beenden, denn die Zeit des billigen und einfach zu för-
dernden Erdöls wird in absehbarer Zeit zu Ende gehen,
und sie ist wie uns gerade im Moment immer wieder
deutlich vor Augen steht mit erheblichen Risiken ver-
bunden.
Der Weg der Bundesregierung, eine nachhaltige Ener-
giepolitik zu betreiben, ist oft kritisiert worden. Aber die
schrecklichen Ereignisse vom 11. September in den USA
lassen diese Politik jetzt auch bei vielen Kritikern in
einem anderen Licht erscheinen. Auch ohne ein
Schreckenszenario an die Wand zu malen: Über das Ge-
fahrenpotenzial von Atomanlagen ist neu nachzudenken,
von der Politik wie von den Betreibern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben eine Ener-
giepolitik entwickelt, die auf drei Säulen ruht: der konse-
quenten Energieeinsparung, der Steigerung der Energie-
effizienz und der Entwicklung alternativer Energien.
Damit werden die natürlichen Ressourcen geschont, Kli-
maschäden zumindest gemindert und die Sicherheit er-
höht.
Die Zahlen des Haushalts spiegeln, wie ich finde, die
Wende, die wir vorgenommen haben, eindrucksvoll
wider. Auf diesem Weg werden wir im Sinne einer nach-
haltigen Umweltpolitik weitergehen. Der Haushalt 2002
ist dazu ein gelungener Beitrag.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Kol-
legin Birgit Homburger für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Terroranschläge vom
11. September fordern auch in dieser Debatte ihren Tribut.
Die Ängste und Befürchtungen der Bevölkerung beim
Blick auf deutsche Kernkraftwerke sind verständlich.
Sorgenvolle Fragen sind berechtigt. Es wäre nichts fahr-
lässiger, als bestehende Risiken zu leugnen.
Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes haben
aber nicht nur ein Recht darauf, dass ihre Ängste im Deut-
schen Bundestag Gehör und Antwort finden. Sie haben
auch ein Recht darauf, dass politische Entscheidungen
von so großer Tragweite, wie etwa zur Nutzung der Kern-
energie in Deutschland, im Parlament und nicht in Kaf-
feekränzchen am runden Tisch getroffen werden.
Die Bürger haben des Weiteren einen Anspruch darauf,
dass diese Entscheidungen von Vernunft und Sachlichkeit
geleitet werden.
Angst ist ein schlechter Ratgeber. Ohne eine klare al-
ternative Konzeption zur Versorgung des Landes mit
Energie gibt es zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Mög-
lichkeit, in Deutschland auf die Kernenergie als Über-
gangsenergie zu verzichten.
Im Übrigen möchte ich all denjenigen, die versuchen,
das Thema nach diesen Ereignissen wieder hochzuziehen,
sagen, dass ein Ausstieg aus der Kernenergie das Problem
nicht lösen würde. Was sollen wir denn in Deutschland
mit den chemischen und industriellen Produktionsanlagen
machen? Sollen wir die aus Angst vor Terroristen stillle-
gen? Sollen wir darauf verzichten, Messezentren und
Bürohochhäuser zu errichten? Wir dürfen uns keinesfalls
einschüchtern oder dazu hinreißen lassen, unbesonnen zu
sein oder in Aktionismus zu verfallen. Das wäre ein Tri-
umpf des Terrors über Freiheit und Vernunft.
Deshalb ist klar: Wir müssen uns über die Sicherheit
von Kernkraftwerken unterhalten. Bestehende Kernkraft-
werke müssen so gut wie möglich gegen mögliche Ge-
fahren gewappnet sein. Deshalb wird die FDP die Bun-
desregierung bei allen Anstrengungen unterstützen, die
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Waltraud Lehn
18575
die Sicherheit deutscher Kernkraftwerke weiter verbes-
sern.
Es geht aber nicht allein um passive Sicherheit. Es gilt
auch das international vorbildliche Niveau Deutschlands
bei der Kernkraftsicherheitstechnik beim Betrieb von
Atomanlagen zu erhalten und weiterzuentwickeln. Genau
an dieser Stelle, Herr Minister, zeigt sich die gedanken-
lose Kurzsichtigkeit Ihrer Umweltpolitik.
Deutschland war bei der Weiterentwicklung der Kern-
technik und ihrer Sicherheit über Jahrzehnte international
führend. Deutsche Kernkraftwerke sind noch immer die
sichersten der Welt. Sie sagen jetzt, wir werden bis 2010
soundso viele und bis 2020 alle stillgelegt haben; bis da-
hin würden wir die Sicherheit analog zur sich dynamisch
entwickelnden Technik erhöhen. Dazu kann ich Ihnen nur
sagen: So dynamisch wird sie sich nicht mehr entwickeln,
nachdem Sie für Deutschland den Ausstieg beschlossen
haben und ihn durchführen wollen. An den deutschen
Hochschulen wird es in diesem für uns so wichtigen Be-
reich eine dynamische Weiterentwicklung nicht geben.
Sie werden vielmehr eine Wüstenlandschaft erzeugen.
Wir werden dann nicht nur in Deutschland, sondern da-
rüber hinaus das ist noch schlimmer auch auf interna-
tionaler Ebene keinen Beitrag mehr zur Sicherheit von
Kernkraftwerken leisten können. Das kann uns nicht egal
sein.
Außerdem hat die Bundesregierung nach wie vor kein
Entsorgungskonzept für radioaktiven Abfall. Wie steht es
denn dann wenn Sie sich schon über die Sicherheit deut-
scher Kernkraftwerke Sorgen machen um die Sicherheit
standortnaher Zwischenlager? Das müssen Sie sich
schon fragen lassen. Anstatt Atommüll unzugänglich und
tief in der Erde zu lagern, erzwingen Sie Provisorien auf
der grünen Wiese ohne Rücksicht auf riskante Langzeit-
folgen. Sie opfern damit die dringend erforderliche Ent-
sorgung von Atommüll tagespolitischem Opportunismus.
Sie haben ja gerade gesagt, dass Sie die Zahl der Trans-
porte verringern werden. Aber damit ist das Problem noch
lange nicht gelöst. Dezentrale Zwischenlager für Atom-
müll das haben Sie gerade wiederholt seien angesichts
einer eventuellen terroristischen Bedrohung besser als
zentrale Lösungen. Aber dass durch die Zwischenlager
die schiere Anzahl möglicher Angriffspunkte drastisch er-
höht wird, scheint in Ihren Überlegungen, Herr Trittin,
keine Rolle zu spielen. Das, was Sie hier machen, ist
allenfalls zynisch.
Die Suche nach fragwürdigen Alternativen zu den
Endlagerprojekten Schacht Konrad und Gorleben ist
eine groteske Verschwendung von Geld, das an anderer
Stelle dringend benötigt wird. Aber das hindert Sie nicht,
sich darüber zu freuen, dass aufgrund der Verringerung
der Ausgaben für den Endlagerbereich der Umwelthaus-
halt im Vergleich zum Vorjahr um fast 7 Prozent gesunken
ist. Als hätte sich das Problem der Endlagerung plötzlich
in Luft aufgelöst! Herr Trittin, die Wählerinnen und
Wähler sind bei weitem nicht so dumm, wie Sie glauben.
Welchen Stellenwert die Umweltpolitik bei dieser Re-
gierung hat, hat Frau Lehn vorhin eindrucksvoll deutlich
gemacht, als sie sagte, diese Regierung habe ihre erfolg-
reiche Politik der Nachrangigkeit fortgesetzt. Genau so
ist das.
Bei den Grünen setzt sich die Engstirnigkeit des Den-
kens auch dann fort, wenn es um umweltpolitische He-
rausforderungen auf globaler Ebene geht. Will man den
Ausstoß von Treibhausgasen wirklich verringern, dann
braucht man ein schlüssiges Energiekonzept. Die zentrale
Frage, Herr Trittin, lautet dann: Wie kann man auf Kern-
energie verzichten, ohne die Atmosphäre durch verstärk-
ten Einsatz von Kohle und Öl zusätzlich zu belasten, und
zwar nicht nur langfristig, sondern auch kurzfristig, so-
dass es auch zu Ihrem Konzept passt? Sie wissen auf diese
Frage keinerlei Antwort. Der CO2-Ausstoß in Deutsch-
land ist im letzten Jahr gestiegen. Sie selber haben das da-
mit erklärt, dass zwischenzeitlich mehr Kohle verbrannt
worden sei.
Ein Ausstieg aus der Kernenergie zum gegenwärtigen
Zeitpunkt ohne Energiekonzept ist deswegen auch ein
Bärendienst für den Klimaschutz. Deswegen sage ich Ih-
nen: Legen Sie endlich ein klares Energiekonzept vor!
Bemühen Sie sich wenigstens einmal um die Erarbeitung
einer Konzeption! Noch nicht einmal das machen Sie! Es
reicht einfach nicht aus, in der ideologischen Begrenztheit
grüner Programmatik zu verharren. Die Menschen in die-
sem Land haben einen Anspruch auf zukunftsfähige Ant-
worten.
Im Übrigen hat die FDP Sie schon unzählige Male auf-
gefordert und dies im Deutschen Bundestag beantragt
den Klimaschutz auch auf europäischer Ebene konstruk-
tiv voranzubringen und sich international für die Ratifi-
zierung des Kioto-Protokolls einzusetzen. Man kann seit
der Klimakonferenz in Bonn sagen, dass Sie in diesem
Bereich kaum etwas getan haben. Vorher musste man
sagen, dass Sie nichts getan haben. Seither haben Sie we-
nigstens etwas getan. Ich kann Ihnen nur sagen: Für
Deutschland fehlt noch immer ein klimapolitisches Ge-
samtkonzept. Die flexiblen Mechanismen des Kioto-Pro-
tokolls bleiben in Deutschland nach wie vor ungenutzt.
Wir haben hier längst den Anschluss an unsere europä-
ischen Partnerländer verloren. Alle Forderungen, die wir
im Bundestag immer wieder aufgestellt haben, haben Sie
scheinbar übernommen. In Interviews erklären Sie der
Öffentlichkeit zwar, dass Sie das Kioto-Protokoll ratifi-
zieren wollen. Aber am Vorabend der Konferenz in Bonn
haben Sie es im Bundestag noch abgelehnt. Herr Trittin,
alles, was wir in der Umweltpolitik erleben, sind Still-
stand und die Arroganz der Macht.
Als Sie das Umweltministerium vor drei Jahren über-
nahmen, dachten Ihre Wähler, dass Sie bald Konzepte für
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Birgit Homburger
18576
eine so haben Sie das formuliert tragfähige, umfas-
sende und konsistente Umweltpolitik vorlegen würden.
Das Gegenteil ist der Fall. Von wegen die Umweltpolitik
aus der Aschenputtelrolle herausgeholt! Ausgerechnet ei-
nem grünen Minister fällt zur Umweltpolitik seit Jahren
nichts anderes als verstaubte Konzepte ein.
Ich nenne als Beispiel nur die ökologisch völlig wir-
kungslose Ökosteuer. Sie haben behauptet, es würden so-
undso viel Mittel aus dem Aufkommen der Ökosteuer in
die Förderung regenerativer Energien laufen. Sie ver-
schweigen dabei, dass der größte Teil dieses Aufkommens
in die Rentenversicherung und nicht in irgendwelche Um-
weltschutzprojekte fließt. Seien Sie doch endlich ehrlich!
Sie erheben die Ökosteuer doch nicht, um etwas für die
Ökologie zu tun, sondern weil Sie mit den Problemen in
der Rentenversicherung auf Dauer nicht fertig werden.
In der Chemikalienpolitik dominiert Dirigismus, in der
Abfallwirtschaft bestehen verkrustete Monopole und bei
der Verpackungsverordnung kennzeichnet Sie, Herr
Minister, ein störrisches Festhalten an Instrumenten von
gestern,
an Instrumenten, die zu einem Zeitpunkt gewählt wurden,
an dem spätere Entwicklungen noch nicht klar waren.
Diese Instrumente waren seinerzeit, also als wir sie be-
schlossen haben, richtig, Herr Kelber.
Die Entwicklung ist vorangeschritten. Der Minister
selbst hat anerkannt, dass mittlerweile bestimmte Ein-
wegverpackungen den Mehrwegverpackungen gleich-
wertig sind. Wer eine solche Feststellung trifft, der muss
auch so konsequent sein und sagen: Wir müssen die neuen
Erkenntnisse bei den rechtlichen Regelungen berücksich-
tigen. Wir fordern noch einmal eine völlige Überarbeitung
der Verpackungsverordnung.
Für all die Felder, die ich gerade angesprochen habe,
hat die FDP-Fraktion eindeutige Vorschläge vorgelegt.
Herr Trittin, ich fordere Sie auf: Legen Sie endlich Ant-
worten auf die drängenden Fragen der nationalen und der
internationalen Umweltpolitik vor. Glaubwürdige und
verantwortliche Politik lässt keinen Raum für Ideologie.
Es geht stattdessen um die Bereitschaft und vor allen Din-
gen um die Fähigkeit, politische Verantwortung zu über-
nehmen. Dass Sie das können, haben Sie in den letzten
drei Jahren nicht bewiesen. Sie haben noch ein knappes
Jahr Zeit. Wir werden sehen, was die Wählerinnen und
Wähler dazu sagen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Kol-
legin Eva Bulling-Schröter für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das zentrale umwelt-
politische Projekt von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
sollten der Atomausstieg und die Energiewende sein. Ge-
rade in dieser Hinsicht haben Sie unserer Meinung nach
versagt.
Das zeigt sich insbesondere im Entwurf für das so genann-
te Atomausstiegsgesetz. Diese Novelle ist lediglich eine
Atomstromverstromungsgarantie für die EVUs. Diese
Verstromungsgarantie gilt für Jahrzehnte; von Ausstieg
kann deshalb keine Rede sein.
Im Mai hat das der Chef des Deutschen Atomforums,
Gerd Maichel, in der Financial Times Deutschland un-
gewollt bestätigt. Unter der Überschrift Atomwirtschaft
rechnet mit neuen Meilern konnte man lesen, dass das
Ganze nach der Auffassung des RWE-Atommanagers der
Branche lediglich dazu diene, den Bestand der 19 lau-
fenden Reaktoren in Deutschland zu sichern. Haben Sie
zugehört? Den Bestand zu sichern!
Wozu zu sichern, Herr Kubatschka? In Deutschland
werde es, so Maichel, in wenigen Jahren zu einer Neu-
bewertung der Kernenergie mit dem Ergebnis einer wei-
teren Nutzung kommen. So viel zur Substanz des
rot-grünen Atomausstiegs. Die Herrschaften hier verfol-
gen das wir können das beobachten sehr penetrant.
Man könnte natürlich meinen, dass sich nach Manhat-
tan und Washington einiges in den Köpfen bewegt hat
leider Fehlanzeige. Die Bundesregierung wehrt sich auch
angesichts der neuen Sicherheitslage, Änderungen an der
Atomgesetznovelle vorzunehmen. Obgleich kein AKW
für Abstürze oder Angriffe von Flugzeugen mit einem
Gewicht von mehr als 20 Tonnen ausgelegt ist die Flug-
zeuge in New York wogen über 150 Tonnen und ob-
gleich die Gefahr einer Kernschmelze nicht ausgeschlos-
sen werden kann, legen Sie diesen Entwurf heute
unverändert vor. Das muss man einfach so sagen. Obwohl
nach vorläufigen Sicherheitsanalysen des Bundesinnen-
ministeriums zwar keine konkrete, dafür aber eine hohe
abstrakte Gefahr für gezielte Anschläge auf AKWs be-
steht, sieht Rot-Grün keinen Änderungsbedarf. Der Be-
völkerung werden noch Laufzeiten von mehreren Jahr-
zehnten zugemutet. Wollen Sie so lange den Atomstaat
einführen, wie ihn einst Robert Jungk beschrieb: Flaks an
den Meilern und Überwachung total?
Solche Gedanken gibt es schon.
Die CDU/CSU hat im Verteidigungsausschuss Flug-
abwehrraketen rund um die AKWs gefordert.
Wenn Jürgen Trittin im Ausschuss selbst feststellt, es gebe
wohl niemanden mehr, der einen Flugzeugabsturz auf ein
AKW als Restrisiko, geschweige denn als vertretbares
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Birgit Homburger
18577
Restrisiko ansehe, so ist das unerschütterliche Festhalten
an diesen langen Laufzeiten für uns einfach verantwor-
tungslos.
Wir meinen, ein schneller Atomausstieg muss nun un-
verzüglich auf der Tagesordnung stehen. Im Übrigen mei-
nen das nicht nur wir. Wenn man sich die Presse anschaut,
stellt man fest, dass auch die Bürgerinitiativen das for-
dern; auch in den letzten Fernsehsendungen gab es sehr
viel Übereinstimmung. Denn das Grundproblem, die po-
tenzielle Verwundbarkeit von Atomkraftwerken in Ver-
bindung mit der extremen Gefährdung bei Zerstörung ei-
nes Reaktors ist keine Hysterie, sondern Realität. Das
haben gerade Sie von den Grünen so gesehen, und zwar
lange vor New York und lange vor Washington. Aber Sie
haben es vergessen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer eine tatsächliche
Energiewende will, müsste sie auch fördern. Die dafür
von der Bundesregierung bereitgestellten Mittel sinken
aber laut Entwurf, und zwar von 370 auf 280 Milli-
onen Euro.
Darauf komme ich noch, Herr Kollege. Nun sollen sie
wohl doch angehoben werden, wie ich gehört habe wir
loben das , allerdings unter Terrorismusvorbehalt. Die-
ser Vorbehalt müsste aber gerade zu einer Erhöhung der
Mittel für regenerative Energien führen; denn dezentrale
Anlagen ohne gefährliche Betriebsstoffe oder -verfahren,
übrigens nicht nur im Energiebereich, können Risiken mi-
nimieren.
Auch im Forschungsbereich lässt ein Umsteuern auf
sich warten. Die Kernspaltungs- und Kernfusionsfor-
schung wird fortgesetzt. Eine Beschlussfassung zum Bau
des Fusionsreaktors ITER wird in den kommenden zwei
bis drei Jahren erwartet. Während also im atomaren Be-
reich in der Größenordnung von Milliardenbeträgen ge-
plant wird, führen regenerative und konventionelle Tech-
nologien im Haushalt weiter ein Schattendasein.
Die Erforschung und Entwicklung umweltschonender,
nicht nuklearer Energieformen darunter Schwerpunkte
wie Brennstoffzellentechnik, geothermische Anlagen,
Altbausanierung sowie Offshore-Windenergie teilen
sich magere 41 Millionen Euro.
Der Titel Forschungs- und Entwicklungsvorhaben
für erneuerbare Energien, rationelle Energieverwen-
dung, Umwandlungs- und Verbrennungstechnik fiel
seit 2000 von 70 Millionen auf jetzt nur noch 46 Milli-
onen Euro ab.
Die Energieforschung im Bereich konventioneller
Kraftwerkstechnik, die immerhin zwei Drittel der Strom-
produktion ausmacht, wird mit geschätzten 30 Millionen
Euro nur symbolisch gefördert. Wir meinen, ohne Fort-
entwicklung der konventionellen Energietechnik wird
Deutschland keinen klimapolitischen Beitrag zu effizien-
teren Kohleumwandlungstechniken leisten können. Die
braucht man eben noch für eine bestimmte Zeit.
Jetzt können Sie sagen: Wir haben den Regierungs-
entwurf für das KWK-Ausbau-Gesetz. Richtig. Doch
leider verdient es diesen Titel überhaupt nicht. Es sichert
lediglich den Bestand vorhandener Anlagen. Auf die kli-
mapolitisch dringend erforderliche Erschließung neuer
Potenziale für die Kraft-Wärme-Kopplung wird verzich-
tet.
Wir warten ja darauf. Es wäre ja gut, wenn etwas Posi-
tives beschlossen würde.
Auch Wirkungsgrade spielen bei den zuschlagsberech-
tigten Anlagen keine Rolle. Damit hat sich dieses Gesetz
von einem umweltpolitischen Bezug völlig verabschie-
det. Somit dürften die Industriesubventionen der
Bundesregierung übrigens auch in Brüssel Probleme be-
reiten.
Im Finanzbericht der Bundesregierung sind Ausgaben
der Bundesressorts für den Umweltschutz aufgelistet.
Diese Aufstellung quer durch die Haushalte der Ministe-
rien hat in der Summe einen bemerkenswerten Trend:
nach unten. Zwar sind es lediglich 70 Millionen Euro we-
niger als im laufenden Jahr, doch immerhin fast eine halbe
Milliarde DM weniger als 1999, im Amtsantrittsjahr von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Für eine nachhaltige
rot-grüne Wende ist das ein Armutszeugnis.
Der Umwelthaushalt selbst sinkt um fast 7 Prozent.
Rechnerisch geht das nahezu vollständig auf das Konto
für die Lager in Gorleben und Morsleben, für die weniger
Geld ausgegeben werden soll. Wir sagen: Gut so! Den-
noch werden wiederum Programmtitel, wie zum Beispiel
die Investitionen zur Verminderung von Umweltbelastun-
gen, die Zuschüsse für Erprobungs- und Entwicklungs-
vorhaben oder die Förderung von Naturschutzgroß-
projekten, drastisch beschnitten.
Die frei werdenden Mittel fließen in die Finanzierung des
Umzugs des Umweltbundesamtes, in Baumaßnahmen
und in neue Stellen des Bundesamtes für Naturschutz. So-
sehr ich das ist klar anständige Arbeitsbedingungen in
den Ämtern befürworte: Es kann nicht der richtige Weg
sein, die Lasten über diese frei werdenden Mittel zu fi-
nanzieren und keine weiteren Gelder zur Verfügung zu
stellen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Eva Bulling-Schröter
18578
Zum Schluss kann ich nur sagen: Von einer der Nach-
haltigkeit verpflichteten Politikwende ist die Bundesre-
gierung noch meilenweit entfernt. Wir fordern Zugabe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin
Michaele Hustedt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Borchert, wer Krokodilstränen darüber vergießt, dass die
Mittel für Programme zur Förderung von Biomassean-
lagen abgebaut werden,
und gleichzeitig, so wie Ihre Fraktion das tut, das Gesetz
zur Förderung erneuerbarer Energien bekämpft, den kann
ich nur als scheinheilig bezeichnen.
Wahr ist: Das Gesetz zur Förderung erneuerbarer Ener-
gien war der Anschub dazu, dass es jetzt im Bereich der
Biomasseanlagen boomt.
Im Übrigen werden wir die Mittel für dieses Programm
darauf wurde schon hingewiesen; Sie können sich da-
rauf verlassen deutlich aufstocken.
Plustern Sie sich hier also nicht als Freund der Biomasse-
anlagen auf. Das glaubt man Ihnen sowieso nicht.
Frau Bulling-Schröter, nun zu Ihnen: Wir haben die
weltweit beste Förderung von erneuerbaren Energien.
Das Ergebnis ist: Es boomt in Deutschland in allen Berei-
chen der erneuerbaren Energien, bei der Solar- und Wind-
energie und bei der Verfeuerung von Biomasse, wie das
noch nie der Fall war.
Ich weiß nicht, was es da zu meckern gibt. Wir sind sehr
stolz auf dieses Gesetz. Die rot-grüne Bundesregierung
hat den Einstieg in das Solarzeitalter wirklich geschafft.
Ich möchte kurz in die Geschichte zurückgehen: 1961
ist in Kahl das erste AKW ans Netz gegangen, 1972 wei-
tere in Stade und Würgassen. 1975 hat die in Wyhl aktive
BI unter dem Motto AKW nee! den ersten Bauplatz be-
setzt. Danach haben viele Demonstrationen in Brokdorf,
Grohnde, Wackersdorf und in Krümmel stattgefunden.
1979 wurde dann die Freie Republik Wendland ausge-
rufen und 1980 wurde die Partei der Grünen gegründet.
Sie sehen, der Ausstieg aus der Atomkraft ist ein Grün-
dungsthema der grünen Partei.
Dieses Thema lag uns deswegen immer sehr am Herzen.
Am Anfang befanden wir uns in der gesellschaftlichen
Minderheit. Da hat die Mehrheit die Atomkraft noch ak-
zeptiert. Aber nach der Katastrophe von Tschernobyl
hat die SPD gelernt, dass die Atomkraft unverantwortbar
ist, und hat den Beschluss gefasst, innerhalb von zehn Jah-
ren auszusteigen.
Ab diesem Zeitpunkt fand sich für den Atomausstieg eine
gesellschaftliche Mehrheit.
Heute findet die erste Lesung zum Entwurf eines
Atomausstiegsgesetzes statt. Dazu kann ich nur sagen:
Langer Atem zahlt sich aus; der Ausstieg hat begonnen.
Frau Kollegin Bulling-Schröter, aus der Opposition he-
raus ist es leicht, Sprüche zu klopfen. Ich glaube nicht,
dass die PDS es erreicht hätte, auch nur ein Atomkraft-
werk zu schließen.
Es gibt Ihrerseits lediglich Ankündigungen. Wird der
jetzt vorliegende Gesetzentwurf verabschiedet, geht es in
den nächsten Jahren Schlag auf Schlag. In zwölf Jahren
wird die Hälfte aller AKWs vom Netz sein. In 20 Jahren
ist in Deutschland Schluss mit der Atomkraft.
Immer wieder stellt die Opposition, die CDU/CSU und
die FDP, das Thema Atomkraft und Versorgungssicher-
heit zur Diskussion. Auch in dem CDU/CSU-Antrag, der
uns allen vorliegt, wird die Mär, dass die Atomkraft die
Versorgungssicherheit erhöht, wiederholt. Ich wüsste
nicht, dass es in Deutschland Uranabbau gibt. Auch die
Primärenergie für das Betreiben von Atomkraftwerken
muss nach Deutschland eingeführt werden. Von daher be-
steht hier keine Unabhängigkeit vom Export im Hinblick
auf die Energieversorgung.
Viel schlimmer ist wir sehen das aktuell und er-
schrecken darüber : Wenn Terroristen bereit sind, Flug-
zeuge, in denen sich Hunderte von Menschen befinden, zu
Bomben umzufunktionieren, um damit 6 000 und mehr
unschuldige Menschen zu töten, dann ist es durchaus auch
denkbar und möglich, dass sie einen Anschlag auf ein
AKW ausüben.
Jürgen Trittin hat eine sehr genaue Prüfung in Auftrag
gegeben. Wir haben im Ausschuss begonnen, zu diskutie-
ren, welche sicherheitspolitischen Konsequenzen daraus
zu ziehen sind. Ich greife einmal vor. Meine persönliche
Einschätzung ist: Es gibt keinen absoluten Schutz vor
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Eva Bulling-Schröter
18579
solcher Art von Angriffen; es bleibt das Risiko, dass ein
solcher Angriff geschieht. Daraus ergäben sich dramati-
sche Folgen für Deutschland.
Wir können das Risiko nicht vollständig beseitigen,
aber wir können es Schritt für Schritt in den nächsten Jahr-
zehnten mindern, wenn wir die Zukunft der Energiever-
sorgung auf dezentrale Strukturen aufbauen, wenn wir
uns importunabhängig von Erdöl aus einer Krisenregion
und von Erdgas, dessen Leitungen angreifbar sind, ma-
chen und wenn wir viel stärker auf Solarenergie, erneuer-
bare Energien und Energieeinsparung setzen. Das ist die
Zukunft der Energieversorgung.
Das ist auch unser Konzept, das wir schon lange ver-
folgen: weg von der Atomkraft, hin zur Energieein-
sparung durch ein Altbausanierungsprogramm, durch die
Energieeinsparverordnung, die wir beide auf den Weg ge-
bracht haben, hin zur Förderung der erneuerbaren Ener-
gien, wie sie weltweit in keinem anderen Land geschieht.
In kurzer Zeit ich bin mir sicher, schon vor dem Jahr
2010 werden wir eine Verdoppelung des Anteils der er-
neuerbaren Energien erreicht haben. Weiterhin wollen wir
die dezentralen Strukturen stärken durch die Förderung
der Brennstoffzelle und der Kraft-Wärme-Koppelung, die
zu virtuellen Kraftwerken zusammengeschaltet werden.
Das schafft eine sichere, eine wirtschaftliche und auch
eine umweltverträgliche Energieversorgung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Paziorek.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Frau Lehn, Sie haben sich zu
Beginn Ihrer Rede sehr lange mit Ihrer persönlichen Ein-
schätzung über den zukünftigen Wahlausgang befasst.
Seien Sie versichert: Der Haushaltsplan, den wir heute be-
raten, wird für lange Zeit der letzte Haushaltsplan sein,
den eine rot-grüne Regierungskoalition zu verantworten
hat.
Sie werden Ende des nächsten Jahres nicht mehr in der
Regierungsverantwortung stehen.
Ob Sie das glauben oder nicht, Frau Lehn: Für die Um-
weltpolitik wäre das sogar eine sehr gute Sache; denn zu
kläglich ist einfach Ihre Bilanz seit 1998.
Frau Lehn, schauen Sie sich doch an, was Sie alles in
der Koalitionsvereinbarung 1998 versprochen haben.
Dazu komme ich jetzt, danke für das Stichwort. Sie
wollten eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie mit kon-
kreten Zielen erarbeiten. Sie wollten das zersplitterte Um-
weltrecht in einem neuen Umweltgesetzbuch zusammen-
führen.
Jetzt kommt schon eine Aussage, woran das gescheitert
ist. Danke Frau Hustedt.
Sie wollten mit Ihrer Industriepolitik die ökologische
Modernisierung voranbringen;
Sie wollten das Bodenschutzgesetz fortschreiben; Sie
wollten die Sommersmogverordnung novellieren; Sie
wollten tatsächlich neue Strukturen im Abfallrecht ein-
führen und Sie wollen die Verpackungsverordnung umge-
stalten. Wo sind denn die Ergebnisse, bezogen auf diese
Ankündigungen?
Es gibt keine Ergebnisse für die Punkte, die Sie ange-
sprochen haben. Das alles waren leere Absichtserklärun-
gen. In der Realität sind Sie mit diesen umweltpolitischen
Projekten völlig gescheitert. Die Umweltpolitik das
muss man leider aus Sicht der Ökologie sagen ist zu ei-
nem negativen Markenzeichen dieser rot-grünen Bundes-
regierung geworden;
denn Sie haben den Menschen den ökologischen Fort-
schritt versprochen, aber Sie haben bei weitem nicht das
umweltpolitische Niveau der Vorgängerregierung erreicht.
Das ist die Realität.
Schauen wir uns doch einmal einige Punkte im Detail
an. Sie haben zwei Jahre gebraucht, um die Nachhaltig-
keitsstrategie von Frau Merkel zu stoppen und auf die
Idee zu kommen, einen Nachhaltigkeitsrat einzusetzen.
Das war Ihr großer geistiger Durchbruch. Frau Lehn, Sie
haben von einem roten Faden gesprochen. Aber die Nach-
haltigkeit zieht sich nur wie ein ganz dünner roter Faden
durch die anderen Haushaltspläne. Wir können an ande-
ren Stellen tatsächlich nicht die Berücksichtigung dieses
wichtigen Grundsatzes finden. Das war bei Ihnen ganz
einfach nur Deklamation. Inhaltlich wird das überhaupt
nicht gestützt.
Frau Lehn, Sie haben beispielsweise davon gesprochen,
dass Sie jetzt endlich einen präventiven Umweltschutz
betreiben. Anfang der 90er-Jahre waren Sie in der
Umweltpolitik noch nicht dabei.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Michaele Hustedt
18580
Die Abkehr vom alten Denken hinsichtlich des Abfalls
und die Verabschiedung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes
sind bereits 1995 erfolgt.
Wissen Sie, mit wem es erreicht wurde? Mit einer Mehr-
heit aus CDU/CSU und FDP und nicht mit Ihrer Unter-
stützung. Das ist doch die Realität. Wir haben die ersten
Prinzipien der präventiven Umweltpolitik und das erste
bahnbrechende Gesetz eingeführt. Heute begehen Sie
geistigen Diebstahl und behaupten, Sie würden einen
präventiven Umweltschutz betreiben.
Sie haben bei Ihrer aktuellen Umweltpolitik ein großes
Problem. Bis heute haben Sie nämlich noch nicht begrif-
fen, dass ökologische Ziele nicht mehr isoliert gesehen
werden können, sondern dass diese Ziele immer unter
Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Auswirkungen
gestaltet werden müssen. Das bedeutet keine Zurückset-
zung des Umweltschutzes. Nachhaltigkeit besagt näm-
lich, dass ökologische, soziale und ökonomische Krite-
rien berücksichtigt werden müssen.
Das ist die Schwierigkeit, vor der wir heute stehen. Auf-
grund dieser Schwierigkeit haben Sie letztlich keinen Erfolg
erzielt. In dieser Frage sind Sie bis heute leider gescheitert.
Schauen Sie sich nur die Umsetzung der IVU- und der
UVP-Richtlinien, also das Umweltvorsorgegesetz und
das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung an.
Ohne Rücksicht auf europapolitische Vorgaben haben
Sie diesen gesamten Bereich nach folgendem Motto ver-
schärft: Wir in Deutschland setzen im Gegensatz zu an-
deren europäischen Staaten nicht 1:1, sondern 2:1 um; soll
die deutsche Wirtschaft doch zusehen, wie sie mit den
Problemen fertig wird. Wir haben davor gewarnt. Alle ha-
ben gesagt, dass es sich um eine gefährliche Entwicklung
handelt. Ich kann Ihnen nur sagen: Sie schaden langfris-
tig der Umweltpolitik, wenn Sie so tun, als ob Umwelt-
politik keine wirtschaftspolitischen Auswirkungen hätte.
Die Kunst der Umweltpolitik besteht heute gerade darin,
Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik zusammenzu-
führen. Das schaffen Sie geistig nicht.
Sie sagen zwar, Sie wollen mit der Vorgängerregierung
umweltpolitisch nicht so viel zu tun haben. Trotzdem er-
klären Sie immer wieder, dass Sie das klimapolitische
Ziel der Kohl-Regierung, den CO2-Ausstoß in Deutsch-
land bis zum Jahre 2005 um 25 Prozent zu reduzieren,
aufrechterhalten.
Ich finde es gut, dass Sie an dieser Stelle sagen: Das war
ein wichtiges Ziel und daran halten wir fest. Mit einem
modernen Spruch würde ich sagen: Das ist auch gut so.
Was machen Sie aber im Grunde genommen? Im Au-
genblick gibt es nur Kabinettsbeschlüsse. Sie erklären
überall, dass Sie neue Instrumente entwickeln wollen. Sa-
gen Sie mir einmal, in welchen Bereichen Sie die
Kabinettsbeschlüsse zur CO2-Reduktion momentan um-
setzen.
In der Beziehung passiert bei Ihnen gar nichts. Sie können
immer wieder Presseerklärungen herausgeben, in denen
Sie erklären, dass Sie in vielen Bereichen neue Instru-
mente erfinden. Es kommt aber nicht darauf an, dass dies
nur zu Papier gebracht wird. Sie müssen es auch umset-
zen. Daran scheitern Sie bei Ihrer Arbeit.
Was ist das große Problem Ihrer augenblicklichen Um-
weltpolitik? Im Bereich der Verpackungsverordnung und
der Kreislaufwirtschaft sind Sie dickfellig und wollen mit
dem Kopf durch die Wand. Sie arbeiten mit Androhun-
gen und Verordnungen. Ich sage es ganz deutlich: Ihre
Umweltpolitik ist durch völlig veraltete Instrumente ge-
prägt. Das ist das Hauptproblem. Sie brauchen sich nur
die Diskussion zum generellen Zwangspfand, zum Natur-
schutzrecht und zur Ökosteuer anzuschauen. Überall in
der Umweltpolitik gibt es eine Diskussion über Ihre ver-
alteten Instrumente. Sie sind nicht in der Lage, vernetzt zu
denken und darüber nachzudenken so wie es in anderen
Staaten erfolgt , wie man durch das Zusammenwirken
von Wirtschafts- und Umweltpolitik sowohl modernisie-
ren, als auch umweltpolitisch vorangehen kann.
Umweltpolitik wird heute durch die Prinzipien der Ko-
operation und der Mitsprache geprägt, also von Prinzi-
pien, die Sie hier immer hochhalten. Sie sprechen ja von
Prinzipien der Bürgergesellschaft. Deshalb ist es die
Hauptaufgabe eines Umweltministers, nicht nur Verord-
nungen anzudrohen, sondern er muss überzeugen. Ein
Umweltminister muss gesellschaftlich werben. Er muss
dafür sorgen, dass auch für harte umweltpolitische Ziele
eine gesellschaftliche Mehrheit vorhanden ist.
Herr Minister Trittin, wir müssen Ihnen leider beschei-
nigen, dass Sie das nicht tun und vielleicht auch nicht
können. In dieser Frage das müssen wir ganz klar und
deutlich sagen haben Sie ein gewaltiges politisches De-
fizit.
Sie gehen an die Lösung aktueller umweltpolitischer Pro-
bleme völlig falsch heran. Es stellt sich damit auch die
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Dr. Peter Paziorek
18581
Frage nach Ihrer Durchsetzungsfähigkeit im Kabinett.
Denken Sie nur an das Stichwort Fluglärmschutzgesetz!
Sie haben in Ihren Ankündigungen erklärt, dass es
kommt. Jetzt sind Sie nicht nur beim Verkehrsminister
Bodewig, sondern vielleicht auch bei der SPD-Fraktion
aufgelaufen.
Vielleicht merken einige bei den Grünen noch gar
nicht, wie Sie in vielen anderen Fragen von der SPD-Bun-
destagsfraktion in der Umweltpolitik manchmal abge-
blockt werden. Wenn man sich den Haushaltsplan an-
schaut dazu hat Kollege Borchert schon einige Punkte
vorgetragen , sieht man, dass Sie nicht nur bei Verkehrs-
minister Bodewig, sondern auch bei Finanzminister
Eichel aufgelaufen sind.
Schauen Sie sich die Zahlen doch an: Beim Naturschutz
gibt es eine Kürzung von 25 Prozent. Bei der Reak-
torsicherheit da waren Sie gerade ganz stolz verzeich-
nen wir ein Minus von 2,4 Prozent. Bei Naturschutzpro-
jekten beträgt die Kürzung 16,1 Prozent. Das ist die
Realität dieses Haushaltsplans. In diesen Fragen, die für
die Naturschutz- und Umweltschutzpolitik vor Ort wichtig
sind, sind Sie kläglich gescheitert, weil Sie bei Eichel
keine Unterstützung in dieser Frage gefunden haben.
Mit anderen Worten: Im Haushalt 2002 haben wir
6,9 Prozent weniger Mittel als im Haushalt 2001. Es gab
also eine Kürzung um 6,9 Prozent. Deshalb kann man sa-
gen: Ihre freudige Einlassung zu Beginn Ihrer Rede, Herr
Minister Trittin, kann man nur als Propaganda bewerten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Paziorek, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Bei der abschlie-
ßenden Bewertung Ihres Haushaltsentwurfs kann man nur
feststellen: Der Haushalt von Rot-Grün ist Ausdruck Ihrer
Unfähigkeit, letztlich auch Positionen der Umweltpolitik
konkret beim Finanzminister durchzusetzen. Damit steht
fest: Mit diesem Haushalt wird die Umweltpolitik in
Deutschland Schaden nehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht für die
SPD-Fraktion der Kollege Horst Kubatschka.
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf die Vorred-
ner möchte ich ganz kurz eingehen.
Herr Paziorek, der erste Teil Ihrer Rede war sehr witzig;
Sie konnten einen großen Lacherfolg bei uns verzeichnen.
Zu dem zweiten Teil Ihrer Rede muss ich fragen: Was
wollen Sie jetzt? Machen wir zu viel Umweltschutz oder
machen wir zu wenig? Sind wir Vorreiter in Europa oder
sind wir es nicht?
Irgendwann müssen Sie sich einmal entscheiden, was wir
sind.
Frau Homburger, am Anfang habe ich gehofft, dass bei
Ihnen nun einmal etwas Neues kommt, weil Sie sich an
alte Zeiten erinnert haben und von der Kernenergie als
Übergangsenergie gesprochen haben.
Aber dann kamen wie immer dieselben Schlagworte. Sie
müssen einmal den Begriff der Übergangsenergie mit
Ihren Schlagworten in Übereinstimmung bringen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich mit
der 10. Novelle des Atomgesetzes auseinander setzen, die
wir heute als wichtiges Reformwerk der rot-grünen Ko-
alition in die parlamentarischen Beratungen einbringen.
Mit dieser Novelle erfolgt ein radikaler Wechsel in der
Atompolitik. Wir vollführen eine 180-Grad-Drehung.
Beim Entstehen des Atomgesetzes im Jahr 1959 stand die
Förderung der Kernenergie im Mittelpunkt. Ein Atom-
minister, nämlich Franz Josef Strauß, hat die Atomenergie
gefördert. Damals sprach niemand von Endlagerung.
Bis in die 70er-Jahre wurden große Hoffnungen in die
Kernenergie gesetzt. Die Energiefrage schien weltweit
gelöst. Unendliche Energien schienen zur Verfügung zu
stehen. In Deutschland verbreitete man die Hoffnung und
das Märchen, dass die Stromzähler in den Wohnungen
ausgebaut würden, da die Zählerkosten höher als die
Energiekosten seien. Diese Visionen haben sich in Luft
aufgelöst.
Anfang der 70er-Jahre begann in breitem Maße die kri-
tische Auseinandersetzung mit der Kernenergie. Durch
unsere Gesellschaft ging ein Riss; sie war gespalten. Als
Wegmarken kann man Wyhl und Wackersdorf nennen.
Jetzt, nach 42 Jahren, stellen wir die Förderung der
Kernenergie ein. Im Jahre 2001 vollziehen wir den ge-
setzlichen Ausstieg aus der Kernenergie.
In der juristischen Formulierung heißt dies: Gesetz zur ge-
ordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur ge-
werblichen Erzeugung von Elektrizität.
Die rot-grüne Koalition wird die Atomenergienutzung
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Dr. Peter Paziorek
18582
mittelfristig beenden.
Auch wir Sozialdemokraten sind, beginnend in den
50er-Jahren, den Irrweg der Kernenergie mitgegangen.
Aber bereits kurz vor Tschernobyl darauf lege ich gro-
ßen Wert haben wir den Ausstieg beschlossen. Nach
Tschernobyl gab es ein grausames Erwachen. Das
Restrisiko wurde sichtbar. Damals sprachen selbst
CDU/CSU samt FDP von der Kernenergie als Ersatz-
energie.
CDU/CSU und FDP wollten aussteigen;
gesprochen wurde nur über das Tempo des Ausstiegs. Das
hat die Opposition heute völlig vergessen.
Vor der letzten Bundestagswahl haben wir den Wäh-
lerinnen und Wählern klar gesagt, dass wir aus der Kern-
energie im Konsens und entschädigungsfrei aussteigen.
Rot-Grün schrieb in den Koalitionsvereinbarungen fest,
dass die Regierung mit den verantwortlichen EVUs eine
Konsenslösung erarbeiten soll. Diesen Auftrag aus dem
Koalitionsvertrag hat die Regierung in langwierigen
Verhandlungen umgesetzt. Sie hat einen Konsens er-
reicht.
Dafür möchte ich der Bundesregierung ausdrücklich dan-
ken.
Die gesetzgeberische Arbeit muss heute aber von uns
im Parlament geleistet werden. Konsens bedeutet auch
Kompromiss. Kompromiss bedeutet, dass jeder von sei-
nen Maximalforderungen ablässt. Für mich persönlich
wäre ein Ausstieg nach 25 Kalenderjahren erstrebenswert
gewesen. Das war sozusagen meine persönliche Maxi-
malforderung. Auch die EVUs hatten Maximal-
forderungen. Sie verlangten 35 Jahre Volllastjahre. Im
Endeffekt wären das 42 Kalenderjahre gewesen. Die
CDU/CSU hat von Laufzeiten von 60 Jahren gesprochen.
Der Ausgangspunkt bei den Verhandlungen war eine un-
befristete Erlaubnis für Kernkraftwerke. Unter diesem
Gesichtspunkt war der Kompromiss mit einer durch-
schnittlichen Laufzeit von 32 Kalenderjahren ein trag-
fähiger Kompromiss. Wenn wir Sozialdemokraten aus
der Kernenergie aussteigen wollen, hat das nichts mit
Ideologie, sondern mit harten Tatsachen zu tun.
Das Restrisiko ist nicht wegzudiskutieren. Nach den
schrecklichen Terroranschlägen vom 11. September die-
ses Jahres müssen wir das Restrisiko neu definieren. Die
Terroranschläge von New York und Washington waren für
uns alle undenkbar, nicht vorstellbar. Dieses Undenkbare
konnte damals in die Sicherheitsüberlegungen der 70er-
Jahre nicht eingeschlossen werden.
Deswegen steht für mich nach ausführlichen Ge-
sprächen fest: Für einen solchen Terroranschlag sind un-
sere Atomanlagen nicht ausgelegt.
Die Bundesregierung und das Bundesumweltministerium
haben umgehend auf den Vorfall reagiert. Am gleichen
Tag wurde ein Lagezentrum eingerichtet. Die Reaktorsi-
cherheitskommission ist umgehend eingeschaltet worden.
Erste Einschätzungen liegen vor. Es wird noch einige Zeit
vergehen, bis seriöse Ergebnisse vorliegen werden.
Es gibt aber noch weitere Gründe, aus der Kernenergie
auszusteigen. Die Entsorgungsfrage ist nicht gelöst. Die
Kernenergie ist weltweit nicht einsetzbar. Bei der Strom-
erzeugung entsteht waffenfähiges Material. Die Uranvor-
kommen sind endlich.
Mit der Ausstiegsnovelle setzen wir unsere Energie-
konzeption konsequent um. Vor dem Ausstieg haben wir
den Einstieg in die erneuerbaren Energien verstärkt. Das
Erneuerbare-Energien-Gesetz ist eine der großen Erfolgs-
storys der rot-grünen Koalition.
Dazu zählt auch unser 100 000-Dächer-Programm
für die Photovoltaik. Wir sind Weltmeister bei der Wind-
energie. Die Windenergie ist ein nachhaltiger Export-
schlager und ein Arbeitsplatzbeschaffungsprogramm. Die
Markteinführungsprogramme sind ein Renner. Sie sind so
erfolgreich, dass die Finanzpolitiker ins Schwitzen gera-
ten. Die Koalition hat voll auf den Dreiklang Energiespa-
ren, rationelle Energieverwendung und erneuerbare Ener-
gien gesetzt. Diese neuen Energien muss der Markt
aufnehmen. Deswegen muss die Kernenergie Schritt für
Schritt aus dem Markt genommen werden.
Ich betone noch einmal: Die Novelle des Atomgesetzes
beruht auf einem Kompromiss. Ich habe deswegen durch-
aus Verständnis dafür, dass die Umweltverbände mit der
Novelle nicht in allen Punkten zufrieden sind. Kein Ver-
ständnis habe ich jedoch für die Umweltverbände, die
diese Gesetzesnovelle in Bausch und Bogen ablehnen.
Wir sind mit diesen Verbänden lange gemeinsam den Aus-
stiegsweg gegangen. Jetzt, wo das Ziel sichtbar ist, ver-
weigern sie sich einem gangbaren Kompromiss. Ihre For-
derung nach dem Sofortausstieg ist nicht umsetzbar. Dies
wissen sie. Damit kommen wir dem Ausstieg keinen Mil-
limeter näher. Den Umweltverbänden müssten doch ei-
gentlich ihre neuen Verbündeten zu denken geben. Sie ste-
hen plötzlich in einer Reihe mit der CDU/CSU und der
FDP, die gegen den Kernenergieausstieg ankämpfen und
sogar für eine längere Nutzung sind.
Für die CDU/CSU müssen Sie aber auch Folgendes
noch erklären: Wie können Sie für die Nutzung der Kern-
energie, also für Kernkraftwerke, eintreten, gleichzeitig
aber dezentrale Zwischenlager ablehnen? Die Gefahr ei-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Horst Kubatschka
18583
nes GAU geht vom Kernkraftwerk aus, nicht von den
Zwischenlagern. Auch bei terroristischen Anschlägen ist
die Gefahr, die von Kernkraftwerken ausgeht, wesentlich
größer. Wer also ein so glühender Verfechter der Kern-
energie wie die CDU/CSU ist, der muss sich auch mit de-
zentralen Zwischenlagern abfinden.
Solange wir kein Endlager für den Atommüll haben, brau-
chen wir Zwischenlager.
Die vorhandenen Lager in Ahaus und Gorleben reichen
nicht aus. Dies war allen Ministerpräsidenten der Länder
schon 1980 klar, als sie ein Entsorgungskonzept verein-
barten. Wenn uns heute die CDU/CSU vorwirft, wir kün-
digten die seinerzeitige Entsorgungsvereinbarung auf,
dann ist das politisch unredlich und Sankt-Florians-Prin-
zip in Reinkultur.
Da steht drin, dass wir dezentrale Anlagen brauchen.
Seit mehr als 20 Jahren ist klar, dass wir weitere Zwi-
schenlager brauchen. Nur die alte Bundesregierung hat
18 Jahre lang nichts getan, um solche Zwischenlager zu
errichten. Das ist das Problem. Es ist also kein Problem
unserer rot-grünen Ausstiegsideologie, wie es vom
bayerischen Umweltminister Schnappauf
immer wieder gesagt wird. Dezentrale Zwischenlager
sind notwendig, um zu einer Minimierung der Transport-
wege zu kommen. Vor Ort werden diese Zwischenlager
abgelehnt, es geht die Angst um. Diese Angst wird von der
CSU zum Beispiel bei mir im Wahlkreis geschürt, indem
man wider besseres Wissen von Endlagern spricht.
Die Wahrheit ist: Die Zwischenlager wurden für 40 Jahre
beantragt und werden auf 40 Jahre befristet. Außerdem ist
sichergestellt, dass nur Brennstäbe zwischengelagert wer-
den, die aus dem eigenen Kernkraftwerk stammen. Damit
ist auch die Größe der Zwischenlager begrenzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Novellierungs-
entwurf für das Atomgesetz geht jetzt in die parlamenta-
rischen Beratungen.
Wir in der SPD-Fraktion werden diesen Entwurf sorgfäl-
tig prüfen.
Dabei ist für uns ganz klar: Oberste Priorität hat der
Schutz der Bevölkerung vor Risiken für Leben und Ge-
sundheit.
Zum Schluss möchte ich zusammenfassen: Mit der
10. Novelle des Atomgesetzes wird das Atomgesetz nach
42 Jahren radikal verändert. Von einer Förderung kom-
men wir zu einem Ausstieg.
Damit ist der Ausstieg aus der Kernenergie auf den Weg
gebracht.
Ich danke fürs Zuhören.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner ist
der Kollege Dr. Christian Ruck für die CDU/CSU-Frak-
tion.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Es hat irgendwie Symbolcha-
rakter für die rot-grüne Umweltpolitik dieser Legislatur-
periode, dass die Debatte zum Umwelthaushalt 2002 mit
der ersten Lesung zum Atomausstiegsgesetz verknüpft
wird; denn vor den eigentlichen Umweltproblemen dieser
Zeit dem Klimawandel, der Zerstörung der Arten-
vielfalt, der Verwüstung des Planeten betreiben Sie eine
Politik der Halbherzigkeiten und der Flickschusterei.
Sie haben Ihre personellen und politischen Kapazitäten
vor allem auf den Ausstieg aus der Kernenergie gerichtet.
Dies ist und bleibt für uns aber ein falsches Ziel. Wir leh-
nen die Atomausstiegsnovelle ab.
Ich fasse noch einmal die wichtigsten Argumente zu-
sammen:
Erstens. Die Stromerzeugung durch Kernkraft, Herr
Kubatschka, weist im Vergleich zu anderen Arten der
Stromproduktion auch für die Zukunft die niedrigsten Ge-
stehungskosten auf.
Ich habe das gesagt, damit Sie einmal die Zahlen ken-
nen.
Ein Ausstieg treibt die Energiepreise weiter nach
oben Preise, die von Rot-Grün ohnehin bereits künstlich
aufgeblasen sind. Ihre Politik provoziert für unser Land
bereits jetzt eine Mehrbelastung von rund 50 Milliar-
den DM pro Jahr. Ein Ausstieg aus der Kernkraft wird
diese Situation noch verschärfen. Das ist schlecht für den
Wirtschaftsstandort Deutschland und schlecht für das
Portemonnaie der Bürger.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Horst Kubatschka
18584
Zweitens. Zehntausende von hoch qualifizierten Ar-
beitsplätzen im Kernenergiesektor sowie noch mehr in
den stromintensiven Industriebranchen in Deutschland
werden wegfallen.
Ich halte es wirklich für falsch und unredlich, die Arbeits-
plätze im regenerativen Bereich gegen die aus der Kern-
energie auszuspielen.
Auch wir wollen eine Verdoppelung des Einsatzes von re-
generativen Energiequellen erreichen. Frau Hustedt, das
Stromeinspeisungsgesetz Stichwort Peter Ramsauer
stammt von uns und nicht von Ihnen. Dieses Gesetz hat
die Grundlage für den Erfolg gelegt, den wir alle wollten.
Wir wollen aber nicht, dass Arbeitsplätze gegeneinander
ausgespielt werden, wir wollen vielmehr auch die Arbeits-
plätze im Energiesektor erhalten.
Drittens. Der Ausstieg aus der Kernenergie erfolgt ins
Blaue. Die Bundesregierung hat bis heute kein schlüssi-
ges Konzept, wie die mit dem Ausstieg verbundene Ener-
gieversorgungslücke geschlossen werden soll.
Kanzler Schröder und Umweltminister Trittin setzen ganz
offiziell auf den verstärkten Einsatz von Importkohle. Ein
solches Vorgehen wird unsere ohnehin kritische hohe na-
tionale Abhängigkeit von möglicherweise problemati-
schen Energiebezugsquellen noch einmal um 13 Prozent
erhöhen. Wir werden in 10 bis 15 Jahren innerhalb der EU
bei einer Abhängigkeitsquote von 70 Prozent sein.
Das ist schlecht für unsere Versorgungssicherheit.
Der anvisierte Ausstieg wirft den nationalen Klima-
schutzbeitrag mittel- bis langfristig weit zurück. Sie ha-
ben bis heute noch nicht annähernd darlegen können, wie
Sie die 160 Millionen Tonnen CO2, die die deutsche
Kernkraft derzeit pro Jahr im Vergleich zu fossilen Ener-
gieträgern einspart, hereinholen wollen.
Über dieses Problem redet auch Wirtschaftsminister
Müller in aller Öffentlichkeit. Das ist schlecht für den Kli-
maschutz.
Vor allem darauf hat Frau Homburger schon zu Recht
hingewiesen : Das rot-grüne Ausstiegsgesetz gefährdet
schon sehr rasch technologische Innovationen und die
Weiterentwicklung in Deutschland, sei es bei der Ent-
wicklung neuer Reaktortypen durch das Neubauverbot
oder neuer Verfahren zur Behandlung radioaktiver Ab-
fälle durch das Verbot der Wiederaufbereitung. Der ei-
gentliche Wahnsinn für mich ist: Während derzeit auf der
Erde rund 90 Reaktoren geplant oder im Bau sind
in den USA , so auch in zahlreichen Entwicklungs-,
Schwellen- und Transformationsländern, während um uns
herum eine Renaissance der Kernkraft stattfindet, pro-
vozieren Sie einen technologischen Fadenriss, und zwar
ausgerechnet in einem Land, das anerkannterweise den
höchsten Sicherheitsstandard der Welt hat. Sie nehmen in
Kauf, dass die Sicherheitssituation auf der ganzen Erde
verschlechtert wird, und das zu einem Zeitpunkt, in dem,
auch unter Beteiligung deutscher Wissenschaftler, neue,
sicherere Reaktortypen zum Greifen nahe sind. Dabei ist
es reiner Zynismus in Kauf zu nehmen, dass die Versor-
gung Deutschlands verstärkt durch Importstrom aus weit
weniger sicheren Kernkraftwerken im Ausland erfolgt.
Ich möchte ganz deutlich sagen: Ich würde jedem
vehement widersprechen, der behauptet, die friedliche
Nutzung der Kernenergie sei risikolos und verlange nicht
höchste Aufmerksamkeit und Vorsorge. Ich trete auch
ohne Wenn und Aber dafür ein, kein Risiko unter den Tep-
pich zu kehren, auch nicht das Risiko eines Terroran-
schlags. Diese Gefahr ist nach Aussage von Experten und
auch nach Aussagen Ihrer Spitzenpolitiker vor allem
Herrn Schilys derzeit nicht akut. Wir sollten aber die
Sorge ernst nehmen und nüchtern sowie entschlossen prü-
fen lassen, wie die Lage wirklich einzuschätzen ist.
Ich möchte aber auch daran erinnern, was ein für die-
sen Sektor zuständiger Beamter des BMU auf der letzten
Sitzung des Umweltausschusses in Ihrem Beisein, Herr
Trittin, über die Sicherheitsvorteile des HTR, des Kugel-
haufenreaktors, ausführte. Aber genau solche Innovatio-
nen brechen Sie mit Ihrem Atomausstiegsgesetz ab.
Sie selbst stellen in Ihrem Gesetz fest, dass die deut-
schen Kernkraftwerke auch im internationalen Maßstab
einen hervorragend hohen Sicherheitsstandard aufweisen.
Es gibt überhaupt nur eine einzige offene Flanke, die
Frage der Endlagerung. Jeder weiß, dass dieses Problem
mit einer Entscheidung für Gorleben kurz vor der Lösung
stünde. Genau diese Lösung wird von Ihnen mutwillig
torpediert, und zwar auf Kosten zukünftiger Genera-
tionen.
Zynisch ist auch, Herr Trittin, wie Sie mit dem Parla-
ment und den Bundesländern umgehen. Mit Ihrem Vorge-
hen degradieren Sie alle Abgeordneten, vor allem die der
rot-grünen Koalition, zu reinen Abnickautomaten. Sie ha-
ben in einer Frage von nationaler Bedeutung, die eigent-
lich nur im Konsens mit den Bundesländern zu regeln ist,
Ihre Pflicht zur Bundestreue in eklatanter Weise verletzt.
Sie schüren mit dem Moratorium und dem Zwischenla-
gergebot Unruhe an den Standorten und im ganzen Land.
Zusammenfassend komme ich zu dem Schluss, dass
die rot-grüne Kernenergiepolitik nicht nur unlogisch und
voller Ungereimtheiten ist, ökonomisch und ökologisch
ein Rückschlag ist und mittel- und langfristig national und
international das nukleare Sicherheitsrisiko erhöht, son-
dern auch mit undemokratischen Mitteln durchgesetzt
werden soll und die Menschen in unserem Land spaltet
und verunsichert, und zwar unter dem Deckmantel der
Umweltpolitik.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Dr. Christian Ruck
18585
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Ruck,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Jawohl. Eine sol-
che Umweltpolitik ist langfristig eine Politik gegen die
Umwelt. Ausgerechnet mit Rot-Grün ist die deutsche Um-
weltpolitik in der Sackgasse und mit Trittin kommt sie da
auch nicht mehr heraus.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht der Kol-
lege Winfried Hermann für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Ich habe in der Kürze der Zeit nicht die Möglichkei-
ten, gegen all das zu argumentieren, was Sie aufgetischt
haben.
Ich muss mich auf einige wenige Punkte konzentrieren.
Ich fange erst einmal grundsätzlich und allgemein an.
Was ich anfangs amüsant fand, später dann aber doch eher
entsetzlich bis ärgerlich, war, dass Herr Paziorek oder
Frau Homburger hier auftreten wie die radikal-ökologi-
schen Heißsporne,
denen es nicht radikal und schnell genug geht. Gleichzei-
tig kenne ich Sie aus dem Ausschuss: Immer wenn ein Ge-
setz zur ökologischen Modernisierung vorliegt, sind Sie
die Bedenkenträger und die Wahrer von Interessen ver-
schiedener Gruppen, die dagegen halten.
Nun wäre das nicht schlimm, wenn Sie nur verbal da-
gegenhalten würden.
Darüber kann man mit einer Mehrheit ja hinweggehen.
Das Problem ist, dass gerade im Umweltbereich zahlrei-
che gesetzliche Regelungen nicht ohne die Zustimmung
des Bundesrates erfolgen können.
Gerade die Länder, die Sie regieren, sind die Allerersten,
die blockieren: bei der Verpackungsverordnung und dem
Dosenpfand Baden-Württemberg mit Schwarz-Gelb.
Nehmen wir das Fluglärmgesetz. Da haben Sie gesagt, es
gebe Gegner. Fragen Sie einmal bei Ihren Regierungen
an: Die größten Gegner hocken in Ihren Reihen. Jede
ökologische Verbesserung wird auf Landesebene
blockiert.
Ich komme nun zurück zum Haushalt. In den unter-
schiedlichsten Varianten wurde uns, auch von der PDS,
vorgeworfen, das Volumen dieses Haushaltes zeige keine
großen Sprünge, es sei nicht groß genug. Als wäre es
heutzutage ein Maßstab, dass man an den Mark- und Eu-
robeträgen des Umwelthaushaltes ablesen könnte, wie
viel Umweltpolitik eine Regierung macht!
Herr Borchert hat diesmal immerhin zur Kenntnis ge-
nommen, dass nur noch 12 Prozent der Umweltausgaben
direkt im Umweltministerium ressortieren und dass der
große andere Teil in all den anderen Bereichen, im Wirt-
schaftsministerium, im Forschungsministerium sowie im
Ernährungs- und Landwirtschaftsministerium, ausgege-
ben wird. Das ist eine moderne Form von Umweltpolitik.
Das ist das europäische Prinzip der Integration von Um-
welt in alle Bereiche.
Eine fortschrittliche Debatte zum Haushalt in dieser Frage
wäre an sich eine Querschnittsdebatte, an der alle Res-
sorts beteiligt sind und bei der deutlich wird, was ökolo-
gisch insgesamt gemacht wird und wo es Fortschritte gibt.
Wir stehen gut da, zum Beispiel bei der Energie- oder der
Agrarwende.
Wenn Sie das in allen Bereichen nachlesen, dann würden
Sie sehen, wie viel wir ausgeben. 4,3 Milliarden Euro ist
keine Summe, mit der man sich genieren muss. Das hat es
zusammengerechnet noch nie in einem Haushalt gegeben.
Sie beklagen, dass der Umwelthaushalt in manchen
Bereichen stark zurückgeht.
In einem Bereich ist das aber ein Erfolg. Natürlich geht er
dort zurück, wo Kosten für die Endlagerung nicht mehr
entstehen, weil wir einen anderen Weg gehen. Das muss
man doch nicht beklagen.
Dann hat der Kollege Borchert ausgeführt, es sei
furchtbar, dass der Verwaltungsanteil im Umwelthaus-
halt so hoch sei. Welche Vorstellung haben Sie eigentlich
von einer Administration? Sind denn etwa die Experten,
die Jürgen Trittin bei Klimaschutzverhandlungen beraten,
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 200118586
Verwaltungsbeamte oder sind das Leute, die im Sinne der
Ökologie produktiv und kreativ an der Politik teilneh-
men?
Hier kann man doch nicht so tun, als stellten deren Kos-
ten irgendwelche miesen Verwaltungsausgaben dar. So
kann man das nicht kritisieren; das ist ziemlich billig.
Sie werfen uns vor, wir hätten kein Umweltgesetz-
buch erarbeitet. Wer hat denn das Umweltgesetzbuch auf
Länderebene verhindert?
Das waren doch die CDU-regierten Länder. Außerdem hat
die CDU das in den zehn Jahren zuvor nicht zustande ge-
bracht.
Sie kritisieren, dass wir noch keine Naturschutz-
gesetznovelle durchgebracht haben. Wer hat denn in den
zehn Jahren zuvor gar nichts durchgebracht? Das waren
doch Sie! Wir hingegen arbeiten Ihre Altlasten ab und das
dauert leider einige Zeit.
Wir arbeiten am Konzept der Modernisierung
des Umweltrechts mit der Umsetzung aller moder-
nen europäischen Umweltschutzrichtlinien, die Sie
nicht umgesetzt haben. Das reicht von der Umwelt-
verträglichkeitsprüfung bis hin zur Anlagengenehmi-
gung. Das haben wir jetzt durchbekommen, und zwar
mit großem Erfolg.
Dabei ging es übrigens nicht darum, immer noch drauf-
zusatteln, Herr Kollege Paziorek. Wir haben uns bemüht,
wenigstens das Minimum der EU-Regelungen durchzu-
setzen. Aber selbst dabei haben Sie oft nicht mitziehen
können.
Wir haben im Haushalt einige neue Akzente gesetzt.
Einige hat der Herr Minister bereits angesprochen. Ich
möchte noch einen Akzent hinzufügen: Ich halte es für
begrüßenswert, dass sich im Haushalt jetzt auch die EU-
Osterweiterung widerspiegelt. Es wird also Geld für Be-
ratungstätigkeiten ausgegeben, damit sich diese Länder in
die europäischen Regelungen einarbeiten können. Ferner
gibt es neue Stellen für die Vorbereitung der Nachhaltig-
keitsstrategie. Sie haben bei diesem Thema nur geklagt,
aber ich habe von Ihnen bisher kein einziges Papier zur
nachhaltigen Entwicklung gesehen.
Bei uns ist es anders: In den Koalitionsfraktionen wird an
einem Konzept gearbeitet, die Regierung arbeitet an einer
Strategie, der Nachhaltigkeitsrat arbeitet an Strategien.
Wir haben in vielen Bereichen des Haushalts, vor allem
im Forschungsbereich, so gut zugelegt, dass die nachhal-
tige Entwicklung im Zusammenhang mit dem Rio-Pro-
zess, aber auch in unserem Land vorbereitet werden kann.
Hier ist mir nicht bange, denn wir haben zu vielen The-
men gute Konzepte und wir haben viel Geld zur Verfü-
gung gestellt, damit eine Nachhaltigkeitsstrategie recht-
zeitig zustande kommt.
Ich komme zum Schluss, da das rote Licht schon leuch-
tet.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das müssen Sie wirk-
lich.
Ich schließe mit einer aktuellen Meldung aus der Schweiz.
Gestern haben sich in der Schweiz die Wirtschaftsver-
bände auf UN-Ebene zur Vorbereitung der Johannesburg-
Konferenz Zehn Jahre Rio getroffen. In seinem
Grußwort hat der Schweizer Außenminister etwas gesagt,
was ich hier zitieren möchte: Die umweltverträgliche, dau-
erhafte, ja die nachhaltige Entwicklung, die den Völkern
sowohl Gleichheit als auch Gerechtigkeit bringt, das ist die
eigentliche Zukunft; dafür müssen wir stehen. Und: Wer
dies befördert und vorantreibt, der entzieht dem Terroris-
mus die Wurzeln und sorgt dafür, dass sich langfristig Ge-
walt und Ungerechtigkeit nicht durchsetzen können.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Kurt-Dieter Grill.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Rede des
Kollegen Hermann war von einer Gedächtnislücke ge-
prägt, die etwa von 1983 bis 1998 reicht. Lieber Kollege
Hermann, ich lasse einmal Revue passieren, was wir in
den 80er- und 90er-Jahren im Bereich des Umwelt-
schutzes durchgesetzt haben. Fritz Zimmermann hat mit
der Großfeuerungsanlagen-Verordnung angefangen; wir
haben sie durchgesetzt, weil die SPD vorher die FDP we-
gen der Braunkohleförderung in Nordrhein-Westfalen da-
ran gehindert hat. Ohne uns gäbe es das Katalysatorauto
nicht. Wir haben mit der Luftreinhaltepolitik, der Che-
miepolitik, der Wasserpolitik begonnen; ich könnte belie-
big viele andere Bereiche aufzählen. Das Kreislaufwirt-
schaftsgesetz stammt von Klaus Töpfer und nicht
von Jürgen Trittin. Auch die Bundesstiftung Umwelt ist
von uns eingerichtet worden. Die Umweltpolitik in der
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Winfried Hermann
18587
Bundesrepublik Deutschland hat 1983 einen gewaltigen
Sprung nach vorne gemacht.
Herr Kubatschka, wenn Sie Franz Josef Strauß mit ei-
ner Äußerung von 1959 zitieren, müssen Sie diese schon
vollständig zitieren.
Sie haben auf die Mitwirkung von Strauß hingewiesen.
Ich kann Ihnen nur sagen: Franz Josef Strauß hat in seiner
Rede bereits über die Endlagerung gesprochen und danach
taten dies auch die Wissenschaftler. Sie irren oder wollen es
möglicherweise nicht wissen, dass das schon viel länger
angedacht war.
Im Übrigen hat Frau Hustedt in ihrem Beitrag darauf
hingewiesen, wie die grüne Bewegung entstanden ist.
Eine der Ursachen war die Tatsache, dass die Sozialde-
mokraten bis hin zu Erhard Eppler in den 60er-Jahren eine
Politik des unbegrenzten Wachstums und des unbegrenz-
ten Wohlstandes vertraten. Dazu gehörte der schnelle
Brüter, den ein Mann wie Erhard Eppler in den 60er- und
70er-Jahren befürwortete. Gorleben ist die Folge einer
großindustriellen Planung unter Helmut Schmidt
und nicht unter Helmut Kohl.
Das können Sie alles nachlesen, denn die direkte Endla-
gerung, auf die sich Herr Trittin heute bezogen hat, ist eine
Folge der Ablehnung des 1 500-Tonnen-Wiederaufarbei-
tungskonzepts der Regierung Helmut Schmidt,
das wir 1980 als Alternative entwickelt haben und das
nicht etwa 1998 entwickelt worden ist. Sie können heute
diese Anlagen überhaupt nur in Ihre Kalkulation auf-
nehmen, weil 1980, 1982 und 1983 mit der Arbeit an ent-
sprechenden Konzepten begonnen wurde. Sie ernten
Früchte aus einer visionären und in die Zukunft gerich-
teten Politik einer CDU/CSU/FDP-Koalition und nicht
einer rot-grünen Koalition.
Lassen Sie mich etwas zur Frage des Risikos sagen.
Ich finde es schon recht interessant, dass Sie sich der Ver-
suchung nicht widersetzen können, die Ereignisse des
11. September im Hinblick auf die Kernenergie zu
instrumentalisieren.
Die Wahrheit ist, meine Damen und Herren, dass diese In-
dustriegesellschaft westlicher Prägung nicht nur ein Lin-
denblatt des Siegfrieds hat, sondern mehrere.
Sie ist an vielen Stellen verletzbar. Ich will, weil ich nicht
das eine Risiko gegen das andere ausspielen will,
darauf verzichten, Ihnen vorzuführen, an welchen Stellen
diese Industriegesellschaft mit solchen Flugzeugangrif-
fen, wie wir sie erlebt haben, auf eine geradezu widerliche
Art verletzbar wäre.
Sie haben hier wieder einmal im Grunde genommen das
vorgeführt, was wir in den letzten 20 Jahren an vielen
Standorten erlebt haben.
Weil durchaus zu vermuten war, an welchen Stellen
das Ganze ansetzt, habe ich für die Frage des Kern-
energieausstiegs noch einmal für mich persönlich deutlich
zu machen versucht, dass die ethisch-moralische Frage, die
Sie als Gutmenschen immer für sich in Anspruch nehmen,
mit diesem Atomgesetz jedenfalls nicht zu Ihren Gunsten
entschieden wird, denn den Beweis, dass die Kernenergie
unverantwortlich ist, bleiben Sie im Gesetzeswerk selbst
schuldig. Sie belegen den in den ersten trittinschen Ent-
würfen des Atomgesetzes von 1998 und 1999 erhobenen
Vorwurf nicht, dass es sich um ein neues Risiko handele,
daher eine Neubewertung vorzunehmen sei und man zu
dem Schluss kommen müsse, dass das Risiko nicht zu
verantworten sei. Sie attestieren in diesem Gesetz den
deutschen Kernkraftwerken den international höchsten
Sicherheitsstandard.
Deswegen kann ich nur sagen: Herr Kubatschka hat
hier auch wieder vergessen der einzige, der das hier ein-
mal intellektuell ganz sauber zugegeben hat, war Otto
Schily in der letzten Debatte über den Castortransport ,
dass 80 Prozent der Kernkraftwerke unter sozialdemo-
kratischen Regierungen genehmigt worden sind.
Sie bauen genauso wie die Grünen im Grunde genommen
wieder das Verhetzungspotenzial auf. Ich könnte Ihnen
auch heute noch viele Standorte zeigen, in denen mit der
Angst vor der Kernenergie Politik gemacht wird.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Kurt-Dieter Grill
18588
Hier auf dieser Regierungsbank sitzen eine ganze Reihe
von Menschen, die sagen, Angst darf kein Mittel der Po-
litik sein.
Dann lassen Sie das auch gegenüber sich selber gelten.
Ich könnte Ihnen an manchen Standorten nachweisen,
dass Sie im Grunde genommen diese Ängste der Bevöl-
kerung als ein Vehikel zur Macht benutzt haben.
Nichts anderes haben Sie getan.
Deswegen sage ich Ihnen mit allem Nachdruck: Sie
haben weder die Moral noch die Ethik für sich allein ge-
pachtet,
wenn Sie einen Ausstieg aus der Kernenergie propagie-
ren, meine Damen und Herren.
Sie tun nur immer so.
Ein weiterer Punkt: Schauen wir uns doch einmal an,
was für eine Antwort uns diese Bundesregierung in der
Energiepolitik auf die Frage gibt, was stattdessen kom-
men soll. Niemand anders als der Bundeswirtschaftsminis-
ter hat vor seinem Amtsantritt gesagt: Wer aussteigt, muss
auch sagen, wo er einsteigt!
Sie haben überhaupt nichts nachgewiesen!
Dann kann ich nur sagen: Lesen Sie den nicht veröf-
fentlichten Bericht des Bundeswirtschaftsministers; aus
ihm geht das hervor, was wir Ihnen sozusagen als zentra-
len Punkt vorwerfen, nämlich dass Sie uns bis heute den
klimaverträglichen Ersatz der Kernenergie nicht nach-
gewiesen haben.
Das ist das Zitat des Bundeswirtschaftsministers, meine
Damen und Herren. Herr Bundeswirtschaftsminister
Müller ich brauche hier gar nicht meine eigenen Worte
zu benutzen hat gesagt:
Mit dem Atomausstieg bis 2020 wird die CO2-Ein-
sparung von minus 40 Prozent bis 2020 kaum mög-
lich.
Das ist die Realität. Ich kann Ihnen nur sagen, meine Da-
men und Herren: Sowohl im Energiedialog als auch in
dem jetzigen Bericht des Bundeswirtschaftsministers
wird die zentrale Frage, wie der Ausstieg aus der Kern-
energie energiepolitisch verantwortet wird, nicht einmal
ansatzweise beantwortet.
Ich habe heute nur gehört das ist geradezu eine Fata
Morgana, die da von Frau Hustedt vermittelt worden ist ,
man wolle sich von dem Import von Öl und Gas vollstän-
dig unabhängig machen. Dies ist eine Politik, die
Deutschland als Industriestandort nicht nur ökologisch,
sondern auch ökonomisch und bezüglich der Arbeits-
plätze gegen die Wand fährt.
Hinsichtlich dessen, was uns diese Bundesregierung
als Ersatz für Kernkraftwerke anbietet, darf ich Ihren
Bundeskanzler vom 7. November 2000 zitieren; er sagt
nämlich, dass man mit dem Solarzeitalter noch eine Weile
warten müsse. Wörtlich heißt es:
Neben kleinen dezentralen Kraftwerken, die in
Kraft-Wärme-Kopplung produzieren, haben auch
große Anlagen für Stein- und Braunkohle weiterhin
Platz.
Ich will das gar nicht in Zweifel ziehen. Nur ein Bundes-
kanzler, der Kernenergie durch Kohlekraftwerke ersetzen
will, macht keine Klimapolitik, sondern macht eine Anti-
klimapolitik.
Dann sage ich nur: Geben Sie uns doch eine Antwort
auf die These von Herrn Bundeswirtschaftsminister
Müller: Wer aussteigt, muss auch sagen, wo er einsteigt.
Sie haben keine Perspektiven, die diese Frage beantwor-
ten.
Ach, wissen Sie, gegen Sie bin ich geradezu ein Hellse-
her, Frau Ganseforth.
In der Entsorgung nutzen Sie alles, was Sie bisher als
falsch, als gescheitert beschrieben haben, alles, nur nicht
eines damit verlängern Sie die Landebahn, die Sie sonst
immer eingefordert haben : die Erkundung des Endla-
gers Gorleben.
Meine Damen und Herren, Sie wissen genau, woher
ich komme. Wir haben verschiedentlich darüber disku-
tiert. Herr Minister Trittin, was ich jetzt sage, gilt für Sie
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Kurt-Dieter Grill
18589
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe in der Zeit, in der wir
Verantwortung gehabt haben, immer darauf hingewiesen,
dass der Castorbehälter keine parteipolitischen Farben
hat. Ihre Parteifreunde und die Sozialdemokraten vor Ort
haben ein Verhetzungspotenzial gegen Frau Merkel und
gegen Klaus Töpfer immer genutzt, um Politik zu ma-
chen. Sie haben sich um 180 Grad gedreht das ist heute
hier gerade gesagt worden , aber diese 180-Grad-Wende
bedeutet, dass der Castorbehälter nach Ihrer Auffassung
jetzt sicher ist und dass er sozusagen verantwortbar in-
ternationale Verträge müssen jetzt eingehalten werden!
transportiert werden kann. Wie war das noch? Krimi-
nelle Abfallschieberei haben Sie das einmal genannt.
Ich fordere Sie und den Bundeskanzler auf, endlich
dorthin zu gehen, wo die Leute merken, dass der Castor-
behälter wirklich keine Parteifarbe hat, sondern nur sicher
wird, weil Sie und der Bundeskanzler auf der Lok sitzen.
Gehen Sie endlich nach Lüchow-Dannenberg, entschuldi-
gen Sie sich bei den Menschen für das, was Sie in den letz-
ten Jahren getan haben, und erläutern Sie endlich einmal
vor Ort, warum jetzt alles sicher ist, was früher bis zur Re-
gierungswende von Ihnen und Ihren Parteifreunden als
unverantwortlich und lebensgefährdend dargestellt wor-
den ist!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzter Redner zum
Einzelplan 16 ist der Kollege Michael Müller für die SPD-
Fraktion.
Meine Damen
und Herren! Herr Grill, Sie haben Recht. Natürlich erhe-
ben wir nicht den Anspruch, Moral und Ethik gepachtet zu
haben. Aber wir haben wenigstens eine. Das ist auch
schon viel wert.
Nach dieser Rede fällt mir wirklich nichts anderes mehr
ein. Es tut mir Leid.
Das ist richtig. Darüber sollten manche nachdenken.
Es gab zwei spektakuläre Ereignisse in der letzten Zeit,
die sich in das kollektive Bewusstsein eingeprägt haben.
Sie haben sehr viel mit dieser Debatte zu tun. Das ist zum
einen das, was in Genua passiert ist. Von dort haben wir
aus meiner Sicht ein sehr alarmierendes Signal bekom-
men: dass wir die Welt sozusagen als Ganzes sehen müs-
sen und nicht nur die Interessen weniger Teile. Und da ist
zum anderen das Signal von New York und Washington,
das uns zeigt, wie verwundbar wir sind.
Diese Ereignisse hängen eng mit unserem Thema zu-
sammen. Wir dürfen nämlich in unserer Politik nicht mehr
diesen verengten Blick haben, der zwar die Probleme
kennt und benennt, der aber letztlich keine Konsequenzen
zieht. Das ist aus meiner Sicht das eigentliche Signal, das
aus beiden Ereignissen deutlich geworden ist.
Herr Präsident Putin hat hier gesagt, er stelle sich die
Frage, ob wir das, was in der modernen Welt passiert, in-
tellektuell wirklich schon verarbeitet haben. Diese Frage
müssen wir uns alle stellen. Ich meine, sie ist vor dem
Hintergrund zweier zentraler Kennzeichen einer moder-
nen Gesellschaft eine berechtigte Frage.
Dabei handelt es sich erstens um den Umstand, dass die
moderne Gesellschaft wie noch nie ineinander verfloch-
ten ist. Es ist so, dass die Politik mehr denn je über die
Wirkungen ihrer Handlungen nachdenken muss. Sie muss
sich aus ihrer isolierten Betrachtung von Teilbereichen lö-
sen.
Zweitens müssen wir erkennen, welche Fernwirkun-
gen die Komplexität unseres Handelns hat.
Dies beides erfordert vor allem eines, nämlich Lern-
fähigkeit. Ich persönlich halte es für völlig müßig, ja für
langweilig und für ein antiquiertes Politikverständnis,
wenn man die Positionen, die man vielleicht vor 20 Jah-
ren vertreten hat, auf die aktuelle Situation bezieht und
nicht begreift, was in den letzten 20 Jahren passiert ist.
Wer das nicht sieht, ist vor allem zu einem nicht fähig: zur
Lernfähigkeit. Das ist eine der wichtigsten Fähigkeiten in
einer modernen Gesellschaft.
Der nächste Punkt, den man sehen muss, ist, dass wir
mit unserem alten Politikmodell in der heutigen Zeit an
Grenzen stoßen. Besonders deutlich ist das in der Ener-
giepolitik. Wenn Sie jetzt beispielsweise über die Ener-
giepolitik reden, müssen Sie natürlich auch erwähnen,
dass mit der Atomenergie wie mit kaum einem anderen
Energieträger die Themen Energiewachstum und extensi-
ver Energieverbrauch verbunden sind.
Wer glaubt denn im Ernst, mit der Fortschreibung der heu-
tigen hohen Energiewachstumsraten könnte er in eine
friedliche Zukunft gehen? Wer glaubt das denn im Ernst
nach den Erkenntnissen, die wir haben?
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Kurt-Dieter Grill
18590
Es ist doch, Herr Grill, einer der entscheidenden
Punkte der Kritik an der Atomenergie, dass dies ein abso-
lutes ineffizientes System mit einem äußerst geringen
Wirkungsgrad und einer antiquierten Logik ist, die einer
Logik der Minimierung des Energieverbrauchs völlig wi-
derspricht.
Sie müssen doch erkennen: Es ist die Philosophie des letz-
ten Jahrhunderts, große Kraftwerke und große Netzsys-
teme zu haben und an die Verbraucher heranzutreten. Die
moderne Energiepolitik muss flexibel, dezentral und am
Bedarf orientiert sein. Das können Sie mit dieser Dino-
sauriertechnologie nicht. Das ist doch einer der entschei-
denden Punkte, den Sie bis heute nicht begriffen haben.
Eine moderne Energiepolitik verbindet intelligent ef-
fiziente Techniken, Einspartechniken, Solartechniken
miteinander. Sie setzt eben nicht mehr auf immer größere
Großkraftwerke mit all den Konsequenzen, die damit ver-
bunden sind. Sie müssen doch einmal begreifen, dass dies
eine höchst moderne Philosophie ist, wenngleich dies
vielleicht ein bisschen zu schwer ist für jemanden, der zu
sehr den alten Strukturen verhaftet ist. Aber wir müssen
aus diesen alten Strukturen heraus, weil wir sonst die
Energieprobleme der Welt nicht mehr lösen können. Das
ist doch die entscheidende Frage, die sich in diesem Zu-
sammenhang stellt.
Wenn Sie dies einsehen, dann werden Sie feststellen, dass
Europa eine besondere Verantwortung hat.
Ich habe mich in den letzten Monaten sehr intensiv mit
der aus meiner Sicht zentralen Antwort auf die globalen
Herausforderungen beschäftigt und mich deshalb über
den Stand der Diskussion über die Nachhaltigkeit in an-
deren Ländern kundig gemacht. Das, was Sie als moderne
Instrumente bezeichnen, ist in fast allen Ländern im
Rückgang begriffen. Fast alle Länder betreiben inzwi-
schen wieder eine eher auf verbindliche Regelungen aus-
gerichtete Umweltpolitik. Das ist das Gegenteil von dem,
was Sie fordern. Wenn Sie sich selber einmal kundig ma-
chen, dann werden Sie feststellen, dass in fast allen Län-
dern folgende Elemente zentral für die Umweltpolitik
sind: Ökosteuer die bekämpfen Sie; ökologischer Um-
bau der Landwirtschaft den bekämpfen Sie; Energie-
wende auch die bekämpfen Sie. Sie haben sich mit Ihren
antiquierten umweltpolitischen Positionen isoliert. Das ist
die eigentliche Wahrheit. Wir sind in Europa längst viel
weiter.
Ich sage dies auch vor dem Hintergrund des Atomaus-
stiegs, der für uns besonders wichtig ist. Ich kann nicht
nachvollziehen ich möchte wirklich nicht dramatisieren ,
dass man beispielsweise die Ereignisse von New York und
Wash-ington nicht auch als ein potenzielles Szenario im
Hinblick auf Atomkraftwerke betrachtet.
Ich möchte Ihnen das an Folgendem deutlich machen: Die
besseren Atomanlagen in der Bundesrepublik sind für den
Absturz eines Militärflugzeugs mit 5 Tonnen Kerosin aus-
gelegt. Ein Langstreckenairbus hat 300 Tonnen Kerosin
an Bord. Die Atomkraftwerke in Deutschland sind also
für ganz andere Gefahrenszenarien konzipiert worden.
Ich möchte den Teufel nicht an die Wand malen.
Entschuldigung, aber ich muss diese Szenarien doch
nennen dürfen. Das tun Sie doch selbst.
Ich streite gar nicht ab, dass nicht auch Chemiefabri-
ken und Staudämme Ziel von Anschlägen werden können.
Natürlich gibt es keine moderne Gesellschaft ohne Risiko.
Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied: Atom-
energie muss nicht notwendigerweise genutzt werden.
Wir können das Risiko also minimieren. Zur politischen
Verantwortung gehört es, Risiken zu minimieren, wo es
nur geht. Das ist der entscheidende Punkt.
Wir haben die große Chance, mithilfe unserer Energiepo-
litik solche Risiken zu minimieren. Das ist kein antiquier-
tes Denken. Das ist leider in brutaler Weise bestätigt wor-
den.
Ich bin der Auffassung, dass die Diskussion über die
Atomenergie eine Diskussion von gestern ist. Wenn die
Sicherheitsauflagen des Atomgesetzes von 1993 ernst ge-
nommen werden, dann wird in der Bundesrepublik schon
aus ökonomischen Gründen kein Atomkraftwerk mehr
gebaut werden können; denn sowohl die Investitionskos-
ten als auch die Gestehungskosten eines solchen Kraft-
werks wären viel zu hoch. Wenn Sie das nicht glauben,
dann rate ich Ihnen, sich beispielsweise die Unterlagen
von Framatom und Siemens anzuschauen. Die Wirtschaft
ist viel rationaler als Sie. Aber der für mich viel wichti-
gere Grund, warum es keine neuen Atomkraftwerke mehr
geben wird, ist: Wir müssen in Europa eine neue Energie-
politik betreiben das ist unsere Verantwortung , weil
wir wissen, dass eine die Atomkraft fördernde Energiepo-
litik in Zeiten der Globalisierung nicht mehr haltbar ist.
Wir brauchen eine auf Effizienz und Solarenergie ausge-
richtete Energiepolitik.
Ich glaube, dass die heutige Debatte über die Umwelt-
politik da hat der Umweltminister Recht nicht mehr
mit den Denkweisen und Ansätzen der 70er- und 80er-
Jahre geführt werden kann. Heute ist die Ökologie zu
einem zentralen inhaltlichen Punkt gesellschaftlicher
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Michael Müller
18591
Reformen geworden. Früher haben wir um die Anerken-
nung der Ökologie gekämpft. Aber jetzt das ist ein ge-
waltiger Unterschied ist die Ökologie zumindest unter
dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit die große Chance
für eine Welt der Vielfalt, der sozialen Gerechtigkeit und
der ökologischen Verträglichkeit.
Sie können noch so viel reden. Wir werden diesen Weg
weitergehen, weil wir von ihm überzeugt sind. Deshalb
werden wir unsere Politik fortsetzen.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Kurt-
Dieter Grill.
Frau Präsidentin! Herr
Kollege Müller, ich will drei Dinge sagen.
Erstens. Sie haben hier den Eindruck erweckt, die
Energiepolitik der Union, auch die, die ich persönlich ge-
plant habe, sei nur von der Kernenergie beherrscht. Das
ist vollkommen falsch. Sie haben die Kernenergie für
nicht vorhandene Effizienzsteigerungen in Haft genom-
men. Das ist ebenfalls vollkommen falsch. Sie wissen ge-
nauso gut wie ich, dass der Energiekoeffizient in Deutsch-
land in den letzten 20 Jahren in dieser Zeit haben
größtenteils wir regiert von 1,2 auf etwa 0,7 gesunken
ist. In den letzten zehn Jahren hat das DIW eine Energie-
effizienzsteigerung von jährlich 2 Prozent attestiert.
Strengen Sie sich einmal an, wenn Sie unsere Effizienz-
steigerungsraten erzielen wollen!
Zweitens. Sie sprechen, genauso wie der Kollege
Hermann, über das Internationale, das Globale. Warum
streichen Sie die Mittel für die Solarforschung zusam-
men? Warum streichen Sie die Mittel für die Entwick-
lungshilfe zusammen? Sie sind doch für eine Politik mit-
verantwortlich, die die internationalen Geschehnisse, die
diesen Bereich betreffen, nicht mehr wahrnimmt.
Drittens. Sie haben sich auch diesmal wieder das ma-
chen Sie jedes Mal sozusagen durch die Hintertür zum
besseren Menschen erklärt. Ich sage Ihnen: Die intellek-
tuelle Arroganz, die Sie heute wieder an den Tag gelegt
haben, lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Wir denken
nicht nur über die Zukunft Deutschlands und Europas,
sondern auch über die der ganzen Welt nach. An ent-
scheidenden Stellen sitzen Vertreter unserer Partei, zum
Beispiel Klaus Töpfer, weil wir das schon immer getan
haben. Ich möchte an dieser Stelle einen Satz von Odo
Marquard zitieren der passt vielleicht zu Ihnen :
Je besser es den Menschen geht, umso weniger
wollen sie mit den Dingen zu tun haben, die die
Grundlage ihres Wohlstandes sind.
Über diesen Satz sollten Sie einmal nachdenken, nach-
dem Sie heute so getan haben, als lägen fehlende Verant-
wortung und Risikodenken nur auf der Seite der Union
und auf meiner Seite. Ich weise das, was Sie hier wieder
versucht haben, mit aller Schärfe zurück.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur Erwiderung Herr
Kollege Müller, bitte.
Ich bin gern be-
reit, diese Diskussion zu führen allerdings mit der CDU
und nicht mit Herrn Grill.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldun-
gen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit liegen nicht
vor.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/6890 und 14/6886 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Dazu gibt es keine anderweitigen Vorschläge. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Bildung und Forschung, Einzel-
plan 30. Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte 8 a
bis 8 c auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur
Änderung des Hochschulrahmengesetzes und
anderer Vorschriften
Drucksache 14/6853
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform
Drucksache 14/6852
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Pieper, Hans-Joachim Otto , Ina Albo-
witz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Kulturstiftung der Bundesrepublik Deutsch-
land Konzeption eines integrativen Ein-Säu-
len-Modells
Drucksache 14/6629
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
Rechtsausschuss
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Michael Müller
18592
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Tourismus
Zur Einführung des Einzelplans 30 des Bundeshaus-
halts erteile ich jetzt der Bundesministerin für Bildung
und Forschung, Edelgard Bulmahn, das Wort.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lie-
ben Kollegen und Kolleginnen! Es gibt in diesen Tagen
Themen, die uns mehr als der Haushalt 2002 beschäfti-
gen. Wir haben noch immer die Bilder von den Terroran-
schlägen auf das World Trade Center und das Pentagon
vor Augen. Wir alle suchen gemeinsam nach Wegen, wie
wir den weltweiten Terrorismus wirksam bekämpfen und
wie wir mehr Sicherheit erreichen können. Diese Fragen
stehen im Augenblick im Vordergrund der politischen De-
batte. Wir müssen schnelle und klare Entscheidungen tref-
fen und das tun wir auch.
Wir dürfen uns aber von den terroristischen Gewaltak-
ten nicht davon abhalten lassen, an wichtigen Zukunfts-
fragen weiterzuarbeiten. Das wäre jetzt ein falsches Si-
gnal. Eine gute Bildung und eine gute Ausbildung
entscheiden darüber, ob unsere jungen Menschen den
Herausforderungen in der Welt von morgen gewachsen
sind. Es handelt sich um eine Welt, die wir zwar noch
nicht kennen, weil es sie noch nicht gibt, deren Umrisse
wir aber erahnen können.
Die wachsende Internationalisierung, die Vielfalt der
Kulturen, die manchmal aufeinander prallen, der unge-
heure Zuwachs an Wissen, neue Technologien und eine
veränderte Arbeitsorganisation, das sind die Umrisse, die
klar erkennbar sind. Das sind gleichzeitig die Anforderun-
gen, auf die wir uns einstellen müssen, mit denen wir kon-
frontiert sind. Um diese Anforderungen zu bewältigen,
brauchen wir mehr Bildung. Dafür brauchen wir auch Fle-
xibilität und Mobilität, im Denken wie im Handeln.
Gut ausgebildete Menschen und eine starke Forschung,
das sind die Antworten der Bundesregierung auf diese
Herausforderungen. Die Prioritäten sind deshalb klar: Die
Bundesregierung erhöht zum vierten Mal in Folge den
Etat für Bildung und Forschung.
Der Haushalt des Ministeriums steigt im Jahre 2002 auf
rund 16,4 Milliarden DM. Das ist der größte Etat für Bil-
dung und Forschung, den es in der Bundesrepublik
Deutschland je gegeben hat.
Das sind knapp 3 Prozent mehr als im laufenden Jahr. Im
Vergleich zu 1998, dem letzten Jahr Ihrer Regierungsver-
antwortung, meine Damen und Herren von der Opposi-
tion, sind es rund 15,5 Prozent mehr.
Mit diesem Geld investieren wir in die Köpfe der Men-
schen. Wir investieren in die Hochschulen. Wir investie-
ren in unsere Forschungseinrichtungen, in die beruflichen
Ausbildungsstätten. Deshalb sind Studierende, Auszubil-
dende, Menschen, die lernen, die lehren, die forschen, die
Gewinner dieser Politik.
Nachwuchswissenschaftler werden besser gefördert.
Ein Studium hängt in Zukunft nicht mehr vom Geldbeu-
tel der Eltern ab. Alle jungen Menschen, die arbeiten kön-
nen und arbeiten wollen, erhalten einen Ausbildungsplatz.
Wir modernisieren die berufliche Bildung und sorgen
dafür, dass jeder, der qualifiziert und interessiert ist, sei-
nen Meister machen kann. Wir investieren in unsere Bil-
dungs- und Forschungseinrichtungen und fördern deren
Leistungsfähigkeit und Internationalisierung.
Bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit hat
die Doppelstrategie der Bundesregierung, die wir hier von
Anfang an verfolgt haben, nämlich das Sofortprogramm
JUMP und die kontinuierliche und sehr tatkräftige Mo-
dernisierung, der Ausbildungsberufe gegriffen. Über
300 000 Jugendliche haben eine zweite Chance erhalten
und sie haben diese Chance genutzt.
Die aktuellen Daten zeigen auch das ist sehr erfreu-
lich weiterhin einen positiven Trend am Ausbildungs-
markt. Die Zahl der Ausbildungsplätze in den Betrieben
nimmt zu. Vor allen Dingen nimmt die Zahl in den wich-
tigen zukunftsträchtigen Berufen zu. Deshalb werden wir
diesen Kurs konsequent fortsetzen. Diese Anstrengungen
werden wir im Übrigen besonders in den neuen Bundes-
ländern fortsetzen, wo es in der beruflichen Ausbildung
noch eine ganze Menge zu tun gibt.
Der Sicherstellung der Qualität der beruflichen Aus-
bildung dient im Übrigen auch das Programm, mit dem
wir unsere Berufsschulen mit modernster IuK-Technolo-
gie ausstatten, die wir aus den UMTS-Mitteln finanzieren.
Das ist wichtig, damit die Jugendlichen eine wirklich her-
vorragende Ausbildung erhalten und anschließend gute
Beschäftigungschancen haben.
Die Reform des Meister-BAföGs gibt allen berufstäti-
gen Menschen, die qualifiziert und interessiert sind, die
Chance, sich fortzubilden und den Meister zu machen.
Auch das ist in unserer Welt zwingend notwendig.
Unsere Hochschulen stehen heute in einem immer
schärfer werdenden internationalen Wettbewerb um die
besten Köpfe der Welt. Die Bundesregierung stärkt die
Hochschulen in diesem Wettbewerb mit erheblich mehr
Mitteln. Wir verteilen diese Mittel aber nicht einfach nur
so.
Vielmehr setzen wir sie zielgerichtet ein, zum einen um
eine erhebliche Verbesserung der Leistungsfähigkeit der
Hochschulen zu erreichen und moderne Strukturen zu
schaffen, zum anderen um zu gewährleisten, dass junge
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Vizepräsidentin Petra Bläss
18593
Menschen nicht aus finanziellen Gründen aufs Studium
verzichten müssen, und um den Nachwuchs zu stärken.
Wir setzen die Mittel also strategisch ein. Wir setzen sie
nicht als Kompensation für fehlende Mittel der Länder
ein.
Aufgrund des Eindrucks, den ich durch die Debatte im
Ausschuss gewonnen habe, möchte ich eines klar sagen:
Bundesforschungspolitik kann und soll keine Lücken-
büßerfunktion einnehmen.
Die Forschungs- bzw. Wissenschaftspolitik des Bundes
muss vielmehr die Aufgabe haben, genau diese wichtigen
Weichen zu stellen. Es darf nicht dazu kommen, dass sich
andere auf dem ausruhen, was hierdurch geleistet wird.
Deshalb reicht es auch nicht aus, zu sagen: Wir kompen-
sieren das, was dort gemacht wird. Das wäre aus meiner
Sicht der falsche Ansatz.
Wir nutzen die aus den UMTS-Zinsersparnissen ge-
wonnenen Mittel in Höhe von 1 Milliarde DM dafür wir
setzen diese zusätzlich zu den im Hochschulbereich be-
stehenden Aufgaben für die Zukunftsinitiative Hoch-
schule ein , die Internationalisierung unserer Hoch-
schulen voranzutreiben. Das ist zwingend notwendig,
weil wir hier erhebliche Defizite haben. Wir nutzen diese
Mittel für den Aufbau moderner Strukturen, wie zum Bei-
spiel für den Aufbau virtueller Universitäten oder für die
Ausweitung der Zahl der Onlinebibliotheken. Mit diesen
Mitteln fördern wir den Export deutscher Studienange-
bote ins Ausland. Denn wir wollen diesen Markt nicht län-
ger englischen, amerikanischen und australischen Hoch-
schulen überlassen.
Deutschland ist also längst kein weißer Fleck mehr auf
der internationalen Hochschullandkarte, wie es noch vor
drei Jahren der Fall war. Wir haben uns inzwischen auf
dieser Landkarte positioniert.
Wir werden diese Position weiter ausbauen und stärken.
Mit dem neuen BAföG können wir endlich wieder
mehr jungen Menschen die Chance geben, sich für ein
Studium zu entscheiden.
80 000 Jugendliche und Schüler aus Familien mit gerin-
gem oder mittlerem Einkommen erhalten durch die
BAföG-Reform die Chance zu einer qualifizierten Aus-
bildung. Dafür mobilisieren wir Jahr für Jahr mehr als
1 Milliarde DM zusätzlich zu den Mitteln, die bereits vor-
gesehen sind. Mit dem neuen Bildungskredit bieten wir
für bestimmte Studiensituationen, zum Beispiel für ein
Studium im Ausland, besondere Unterstützung.
Meine sehr geehrten Herren und Damen, auch in Zu-
kunft werden wir Jahr für Jahr rund 1,4 Milliarden DM in
den wissenschaftlichen Nachwuchs investieren. Mit die-
sen Mitteln fördern wir die Besten. Das ist im wahrsten
Sinne des Wortes Eliteförderung.
Wir tun ein Zweites für den wissenschaftlichen Nach-
wuchs: Mit der Dienstrechtsreform, die wir auf den Weg
gebracht haben und von der ich hoffe, dass sie in diesem
Parlament von allen unterstützt wird denn sie muss ein
gemeinsames Anliegen sein , brechen wir verkrustete
Strukturen auf und schaffen für Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler in Deutschland attraktive Arbeitsplätze
an unseren Hochschulen. Genau das ist notwendig; genau
das müssen wir erreichen.
Mit der Einführung der Juniorprofessur will ich er-
reichen, dass junge Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftler in der kreativsten Phase ihres Lebens, nämlich
mit Ende 20/Anfang 30, selbstständig und unabhängig
forschen und lehren können.
Damit dies zügig geschieht und dies nicht auf die lange
Bank geschoben wird, finanzieren wir die Ausstattung der
Juniorprofessur in den nächsten Jahren mit rund 360 Mil-
lionen DM. Lassen Sie mich eines ganz klar sagen:
Selbstverständlich müssen diese Stellen auch auf interna-
tionaler Ebene ausgeschrieben werden; das ist die Vo-
raussetzung für eine Förderung.
Ich appelliere an Sie ich spreche dabei alle Fraktio-
nen an; ich weiß, dass ich mich in diesem Bereich auf die
Koalitionsfraktionen verlassen kann;
ich hoffe aber auch auf die anderen : Zeigen Sie in die-
ser Frage Courage! Lassen Sie uns den alten Zopf der Ha-
bilitation abschneiden!
Das Habilitationsverfahren ist langwierig. Es verkrustet
und zementiert hierarchische Strukturen. Was wir vor-
schlagen, bedeutet, dass künftig für die Berufung auf eine
Professur ausschließlich die wissenschaftliche und fachli-
che Leistung gewertet werden soll. Das ist ein entschei-
dender Punkt.
Ein anderer Punkt spricht dafür, Courage zu zeigen: Mit
dem neuen Dienstrecht soll eine weitere wesentliche Er-
neuerung herbeigeführt werden, nämlich ein Besoldungs-
system, das Leistung in Lehre und Forschung honoriert.
Ein Besoldungssystem, das vor allem nach dem Dienstalter
besoldet, passt nicht mehr in unsere heutige Wissenschafts-
landschaft und auch nicht mehr in unsere heutige Welt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Bundesministerin Edelgard Bulmahn
18594
Wie in der Wirtschaft soll sich in Zukunft das Gehalt aus
einem Mindestbetrag und zusätzlichen variablen Gehalts-
bestandteilen zusammensetzen. Was dabei dann zählt,
sind herausragende Leistungen in Forschung und Lehre,
die Übernahme besonderer Funktionen oder Aufgaben,
Engagement bei der Betreuung des wissenschaftlichen
Nachwuchses bzw. der Studierenden oder auch Erfolge
beim Technologietransfer.
Wir geben mit dieser Dienstrechtsreform den Hoch-
schulen die Möglichkeit, Spitzenkräfte, die auch von der
Wirtschaft oder von ausländischen Hochschulen umwor-
ben werden, für sich zu gewinnen. Damit werden unsere
Hochschulen dann endlich konkurrenzfähig gegenüber
Hochschulen in anderen Ländern oder gegenüber der
Wirtschaft.
Also, meine Damen und Herren, nochmals der Appell:
Lassen Sie uns gemeinsam unsere Hochschulen aus dem
starren Korsett des Dienstrechtes, das aus dem vorletzten
Jahrhundert stammt, befreien.
Ein weiterer wichtiger strategischer Bereich ist die
Neuordnung der Forschungslandschaft. Seit der Staat
wieder mehr in Forschung und Entwicklung investiert,
sind im Übrigen auch die Ausgaben der Wirtschaft wieder
gestiegen. Es geht aber nicht allein um mehr Geld, es geht
vor allem um intelligente Strategien.
Mit der Reform von Institutionen, wie wir sie bei der
größten deutschen Forschungsorganisation, den Helm-
holtz-Zentren, gerade auf den Weg gebracht haben, sorgen
wir für mehr Wettbewerb zwischen unseren Forschungs-
einrichtungen. Wir sorgen gleichzeitig auch für mehr
Eigenverantwortung. Damit will ich mehr Raum für Krea-
tivität und Eigenverantwortung, mehr Qualität und Effi-
zienz in unserem Wissenschaftssystem geben. Das ist die
Zielsetzung.
Ein zentraler Dreh- und Angelpunkt ist im Übrigen die
Stärkung der Projektförderung, um genau diese Zielset-
zung zu erreichen. Die Mittel für die Projektförderung
sind unter dieser Bundesregierung um 42,7 Prozent ge-
stiegen. Das ist ein enormer qualitativer Fortschritt.
Bei den Forschungsschwerpunkten steht bei uns der
Mensch im Vordergrund. Mit dem neuen Gesund-
heitsforschungsprogramm setzt die Bundesregierung
ein deutliches Signal für ein leistungsfähiges und bezahl-
bares Gesundheitswesen, für mehr Ursachenforschung,
eine bessere Vorbeugung gegen Krankheiten und für neue
Therapie- und Behandlungsmöglichkeiten.
Die zusätzlichen Mittel aus den UMTS-Zinsersparnis-
sen investieren wir in den Aufbau eines nationalen Ge-
nomforschungsnetzes. Mit diesem Forschungsnetz nut-
zen wir die neuen Chancen der Genomforschung zur
ursächlichen Behandlung von Krankheiten wie Krebs,
Alzheimer oder schweren Infektionskrankheiten. Die kli-
nischen Ergebnisse dieser Forschung werden unmittelbar
in die funktionelle Genomforschung einfließen und um-
gekehrt. Neue Forschungsergebnisse in der Medizin kön-
nen so wesentlich schneller den Weg in die Klinik und in
die Arztpraxis finden. Damit schaffen wir auch dauerhaft
neue Strukturen, die wir gerade in der Gesundheitsversor-
gung dringend benötigen.
Wie entscheidend exzellente Forschung für wirtschaft-
liches Wachstum und Beschäftigung ist, zeigt sich gerade
in der biotechnologischen Branche. Deutschland hat in-
zwischen einen Spitzenplatz bei der Anzahl der Unter-
nehmen. Wir haben erreicht, dass allein im letzten Jahr ge-
genüber dem Vorjahr die Zahl der Arbeitsplätze in dieser
Branche um 31 Prozent gestiegen ist. Das alles wäre ohne
eine starke Forschung nicht möglich. Das macht auch
deutlich, wie wichtig eine starke Forschung für die Schaf-
fung und Sicherung von Arbeitsplätzen in unserem Land
ist.
Das Gleiche kann ich für die Informations- und
Kommunikationstechnologien sagen. Deshalb haben
wir auch hier einen Schwerpunkt gesetzt, besonders auf
die Weiterentwicklung der mobilen Kommunikationssys-
teme, die für alle Bereiche eine erhebliche Rolle spielen.
Auch die Forschungsausgaben für die Umwelt, für eine
nachhaltige Entwicklung, über die gerade diskutiert wor-
den ist, haben wir seit dem Regierungswechsel um sage
und schreibe 22 Prozent erhöht.
Nachhaltigkeit heißt, dass man gerade in der Forschung
die richtigen Lösungen erarbeitet, weil sonst eine Nach-
haltigkeitspolitik nicht erreichbar ist. Das gilt für alle Be-
reiche.
Last, but not least haben uns die Terroranschläge vor
zwei Wochen eines ganz deutlich gezeigt: wie wichtig und
notwendig es war, im vergangenen Jahr die Deutsche
Stiftung für Friedensforschung ins Leben zu rufen.
Ihre Aufgabe ist es, Strategien zu entwickeln, um solche
gewalttätigen Terrorakte nach Möglichkeit in Zukunft
von vornherein zu verhindern. Auch dafür brauchen wir
gut ausgebildete Menschen und eine starke Forschung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben ein
enormes Tempo vorgelegt.
Wir haben aber noch sehr viele Ideen und auch noch eine
Menge Kraft. Deshalb wird Bildung und Forschung auch
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Bundesministerin Edelgard Bulmahn
18595
weiterhin das Zukunftsprogramm für Deutschland blei-
ben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die CDU/CSU
spricht jetzt der Kollege Thomas Rachel.
Sehr geehrte Frau Prä-
sidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte
zur Dienstrechtsreform Stellung nehmen. Meine Kollegin
Bärbel Sothmann wird sich nachher Ihren Haushaltsent-
wurf vornehmen. Darauf dürfen Sie sich jetzt schon
freuen.
Die vorgelegte Dienstrechtsreform baut auf der No-
velle des Hochschulrahmengesetzes der früheren Bundes-
regierung auf. Diese schuf wesentliche Grundlagen für
mehr Leistungsorientierung und Wettbewerb an den
Hochschulen. Nun geht es erstens um eine leistungsori-
entiertere Besoldung der Hochschullehrer und zweitens
um eine Verkürzung der Qualifizierungszeit des wissen-
schaftlichen Nachwuchses.
Beide Vorhaben werden von uns Christdemokraten
grundsätzlich begrüßt. Sie entsprechen der Grundorien-
tierung christdemokratischer Hochschulpolitik. Es gilt
jetzt, die Chance des stattfindenden Generationswechsels
an den Hochschulen für grundlegende Veränderungen zu
nutzen.
Sehr geehrte Frau Ministerin Bulmahn, Bund und Län-
der übrigens einschließlich der Union waren auf dem
Weg zu einem guten Kompromiss.
Ich frage Sie: Warum haben Sie, als Bundesbildungsmi-
nisterin, diesen Weg verlassen und sind auf Konfrontati-
onskurs gegangen, wie es mir die Wissenschaftsminister
von CDU und CSU bestätigt haben?
Von Ihnen ist diese Dienstrechtsreform als die
wichtigste Reform Ihrer Amtszeit bezeichnet worden.
Wie kann es dann sein, dass die Bundesregierung bei
der Beratung der Dienstrechtssreform im Bundesrat am
13. Juli dieses Jahres nicht vertreten war? Keine Ministe-
rin und kein Staatssekretär hat sich sehen lassen.
Das ist, gelinde gesagt, eine Frechheit.
Die Wissenschaftsminister der Bundesländer haben diese
unverfrorene Sprache verstanden. Diesen Politikstil ak-
zeptieren auch wir nicht.
Wenn man die Äußerungen von Rot-Grün zu den vor-
gelegten Gesetzentwürfen betrachtet, dann hat man das
Gefühl, als sei der Stein der Weisen gefunden worden.
Die Realität ist aber ernüchternd. Bei der Anhörung im
Bildungsausschuss am Montag sind die vorgelegten Ge-
setzentwürfe von den Sachverständigen massiv kritisiert
und zum Teil verrissen worden.
Selten haben wir so viele Briefe aus den Hochschulen er-
halten. Keine einzige Stellungnahme zu Ihren Gesetzent-
würfen ist durchgängig positiv. Im Gegenteil: In einer
Pressemitteilung vom 24. September fordert der Hoch-
schullehrerbund, der die Fachhochschulen vertritt, die
Bundesregierung auf, diesen unausgegorenen Reform-
vorschlag zur Dienstrechtsreform zurückzuziehen.
Der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes,
Schiedermair, der die Universitätsprofessoren vertritt,
nennt Ihren Gesetzentwurf einen Torso.
Es handele sich um ein knackiges Spargesetz, das die
Attraktivität des Hochschullehrerberufes nicht fördere.
Das Max-Planck-Institut für Meteorologie befürchtet,
dass
noch mehr international anerkannte Wissenschaftle-
rinnen und Wissenschaftler Deutschland verlassen.
Dies müsste in Ihren Ohren klingeln, Frau Bulmahn. Der
Juristische Fakultätentag befürchtet durch die jetzt vorlie-
genden Gesetze der rot-grünen Bundesregierung de-
saströse Auswirkungen auf die deutschen Universitäten.
Er bezeichnet die Abschaffung der Habilitation, die Sie
beabsichtigen, als verfassungswidrig und äußert
sein Unverständnis über die autoritäre Vorgehens-
weise, die nicht auf einen Wettbewerb der Systeme
setzt, sondern auf Verbot und Zwang.
Das ist die Realität der von Ihnen zu verantwortenden
Gesetzentwürfe, meine Damen und Herren.
Wir unterstützen die Einführung der Juniorprofessur.
Sie kann einen wichtigen Beitrag zur Verkürzung des
Qualifizierungsweges an den Hochschulen leisten.
Die Juniorprofessur hat eine Reihe von Vorteilen: Erstens.
Sie ermöglicht es, an der gleichen Hochschule aus der be-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Bundesministerin Edelgard Bulmahn
18596
fristeten Professur in eine unbefristete Professur zu ge-
langen.
Zweitens. Der Nachweis der Forschungsbefähigung
kann durch eine Reihe von Forschungsarbeiten erfolgen,
die nicht thematisch zusammenhängen müssen.
Drittens. Die Lehrbefähigung des künftig unbefristet
bestellten Professors kann vor der endgültigen Berufung
des Professors über einen gewissen Zeitraum von Kolle-
gen und Studenten beobachtet und bewertet werden.
Viertens. In den Ingenieurwissenschaften, in denen die
Habilitation heute de facto kaum noch eine Rolle spielt,
wird sich die Juniorprofessur durchsetzen.
Aber sie hat auch Nachteile. In einer Reihe von akade-
mischen Disziplinen wie den Rechts- und Geisteswissen-
schaften ist und bleibt die größere, thematisch geschlos-
sene Untersuchung, das so genannte zweite Buch, der
geeignetere Nachweis besonderer wissenschaftlicher
Leistungsfähigkeit.
Die Juniorprofessur ist notwendigerweise an eine ein-
zige Hochschule gebunden. Sie ist strukturell inflexibel.
Sie wird dem wissenschaftlichen Nachwuchs an den
außeruniversitären Forschungseinrichtungen den Weg zur
Professur verbauen oder jedenfalls außerordentlich er-
schweren.
Rot-Grün will ein privilegiertes Monopol für die Juni-
orprofessur. Dies verringert drastisch die Möglichkeiten
für junge Menschen, sich wissenschaftlich besonders zu
qualifizieren. Im Prinzip soll sich in Zukunft nur derjenige
qualifizieren können, der eine Hochschulstelle hat.
Sehr geehrte Damen und Herren, die von Rot-Grün
vorgesehene Regelung von § 44 des Hochschulrahmen-
gesetzes bedeutet de facto ein Habilitationsverbot in
Deutschland. Denn wenn künftig bei der Einstellung ei-
nes Professors nicht mehr nach den Leistungen in der Ha-
bilitation gefragt werden darf, wird natürlich die Habili-
tation als Qualifizierungsweg für eine Professur total
entwertet und überflüssig.
Das ist aber nicht gerecht, denn die Habilitation hat sich
in über 150 Jahren als überaus hervorragender Qualifika-
tionsnachweis in Deutschland bewährt.
Herr Tauss, es wäre schön, wenn Sie sich an den Rea-
litäten der Hochschulen orientieren würden.
Die Habilitation ist praktisch die akademische Meister-
prüfung an den Hochschulen. Insofern sollte sie auch wei-
terhin sehr wohl ihren Stellenwert haben.
Frau Bulmahn, es sollte Ihnen zu denken geben, dass
auch der Präsident der Deutschen Forschungsgemein-
schaft, Professor Winnacker, sagt:
Es bestehen erhebliche Bedenken, die Juniorprofes-
sur als alleinige Voraussetzung für die Lebenszeit-
professur festzuschreiben.
Dies ist die eindeutige Stellungnahme des Präsidenten der
DFG. Er kritisiert, dass sie im Ergebnis dazu führen
würde, dass
die im Rahmen von Exzellenzprogrammen, wie etwa
dem Emmy-Noether-Programm, Geförderten spür-
bare Nachteile bei der späteren Bewerbung um eine
Lebenszeitprofessur hinnehmen müssen.
Die Exzellenzprogramme, so die Deutsche Forschungs-
gemeinschaft, würden in ihrer Bedeutung entwertet und
alle Bemühungen, einem qualifizierten Nachwuchs Per-
spektiven an den deutschen Hochschulen zu eröffnen, zu-
nichte gemacht. So hat Professor Winnacker in seiner
Stellungnahme eindeutig geschrieben. Sie sollten es sich
hinter die Ohren schreiben, Frau Bulmahn.
Tatsächlich werden auch die sich extern habilitieren-
den Spitzenkräfte aus der Max-Planck-Gesellschaft be-
nachteiligt und ihr Weg in die Professorenstellen der
Hochschulen gefährdet. Dementsprechend hat sich auch
die Max-Planck-Gesellschaft gegen die vorgesehene Dis-
kriminierung und Abschaffung der Habilitation ausge-
sprochen.
Anstatt mit dem Vorschlaghammer die bewährte Habi-
litation kaputt zu schlagen, sollte man den unterschiedli-
chen Fächerkulturen Rechnung tragen. Statt eines Mono-
pols sollte es Vielfalt und Wettbewerb geben.
Deshalb unterstützen wir die Juniorprofessur als weiteren
Weg zum Amt des Hochschullehrers.
Juniorprofessur, Habilitation oder andere besondere wis-
senschaftliche Leistungen alle diese Wege sollen mög-
lich sein. Was die Bundesregierung vorschlägt, bedeutet
jedoch weniger Wettbewerb. Wir brauchen aber Vielfalt
und nicht Einfalt.
Es gibt noch weitere Probleme, die bisher von Ihnen
nicht beantwortet wurden: Erstens. Kann es richtig sein,
dass die Privatdozentur und der außerplanmäßige Profes-
sor ebenfalls abgeschafft werden?
Zweitens. Was passiert mit denjenigen, die zwar nach
Ende der Juniorprofessor positiv evaluiert worden sind,
für die allerdings eine Hochschulstelle fehlt? Sie sind
ohne Titel und Rang und werden es extrem schwer haben,
im normalen Berufsleben Fuß zu fassen. Drittens. Es
fehlen ausreichende Übergangsregelungen für die
derzeitigen Habilitanden. Wie hier mit dem Schicksal der
leistungsbereiten wissenschaftlichen Nachwuchskräfte
umgegangen wird, ist besorgniserregend und skandalös.
Wir unterstützen die im Gesetzentwurf vorgesehene
Abschaffung der Dienstaltersstufen. Es macht Sinn
hier haben Sie unsere Unterstützung , stattdessen Leis-
tungszulagen einzuführen. Nicht das Älterwerden soll im
Gehalt des Hochschullehrers prämiert werden, sondern es
soll eine Belohnung für besonderen Einsatz in Forschung
und Lehre geben.
Nicht einverstanden sind wir allerdings mit den von Ih-
nen, Frau Bulmahn, vorgesehenen Grundgehältern in
Höhe von 7 000 DM für die Besoldungsstufe W 2 und
8 500 für W 3. Diese Mindestbeträge sind definitiv zu
niedrig. Professor Schiedermair vom Deutschen Hoch-
schulverband hat das vorgesehene Besoldungsniveau für
die Hochschulen ich zitiere als organisiertes Mittel-
maß kritisiert. Ganz Unrecht hat er damit nicht.
Wenn man den Vergleich mit Gehältern aus der Wirtschaft
zieht, wird die Realitätsferne Ihrer Vorschläge deutlich.
So soll nach Ihrem Gesetz ein Juraprofessor mit der Be-
soldungsstufe W 3 an einer Universität 8 500 DM erhal-
ten.
Exzellente Juristen fangen heute in Kanzleien aber bereits
mit einem Jahresgehalt von 120 000 DM und mehr an. So
werden Sie nicht die besten Köpfe für unsere deutschen
Hochschulen gewinnen. Wir fordern eine Erhöhung der
Grundgehälter.
Auf starke Kritik stößt auch Ihre Vorgabe einer Kos-
tenneutralität der Reform. Darin sind sich alle Sachver-
ständigen einig gewesen. Baden-Württembergs Wissen-
schaftsminister Frankenberg von der CDU hat Folgendes
gesagt:
Wer bei dieser Reform Kostenneutralität verlangt,
verordnet unseren Hochschulen ein einschneidendes
Finanzkorsett und gefährdet dadurch ihre Wettbe-
werbsfähigkeit auf den nationalen und internationa-
len Bildungsmärkten. Gute Hochschullehrer sind in
der Konkurrenz der Hochschulen untereinander und
gegenüber Unternehmen nur durch gute Bezahlung
zu bekommen.
Recht hat der baden-württembergische Wissenschaftsmi-
nister.
Ihrem Gesetzentwurf zufolge sind künftig nur diejeni-
gen Leistungsbezüge von Hochschullehrern ruhegehalts-
fähig, die innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren vor
Eintritt in den Ruhestand erfolgt sind. Diese Regelung ist
zutiefst leistungsfeindlich. Sie wird dazu führen, dass es
eine Art inneren Ausgleich an den Fakultäten gibt. Dieser
bewirkt, dass die überwiegende Zahl der Professoren zu-
fälligerweise gerade in den letzten fünf Jahren angeblich
ihre besten Forschungs- und Lehrleistungen erbringen
und insofern Leistungszulagen erhalten, die sich dann ru-
hegehaltssteigernd auswirken.
Sie glauben doch selber nicht, dass die Professoren ihren
älteren Kollegen in seinen letzten fünf Dienstjahren hän-
gen lassen und ihm bei der Evaluation die Leistungszu-
lagen und damit die spätere Ruhegehaltsfähigkeit
verweigern.
Wissen Sie, woran mich das erinnert? Dies erinnert
mich an die Situation in der Sowjetunion.
In der Sowjetunion haben damals die Fakultäten ent-
schieden, ob jemand emeritiert wird. Das Ergebnis war:
Es wurde keiner emeritiert. Die Folge war, dass noch
80-jährige Professoren Institutsleiter waren.
Die gleiche Kollegenhilfe wird bei Ihrem Pensionsmodell
der Anerkennung von Leistungszulagen stattfinden. Das
ist nicht leistungsorientiert und auch nicht akzeptabel.
Im Übrigen muss beim Vergleich der alten Regelung
mit Ihrer vorgeschlagenen Neuregelung natürlich das je-
weilige Lebenseinkommen miteinander verglichen wer-
den. Die von Ihnen vorgesehene Neuregelung führt zu
einer erheblichen Absenkung des Lebenseinkommens der
Professoren in Deutschland. Wenn Sie so weitermachen,
ist der Hochschullehrerberuf bald nicht mehr attraktiv und
wettbewerbsfähig.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Thomas Rachel
18598
Wir sind nicht grundsätzlich gegen diese Dienstrechts-
reform, wir haben aber nachhaltige Kritik in substanziel-
len Punkten anzumelden. Diese Kritikpunkte der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion werden überwiegend von den
großen Hochschulverbänden und den Wissenschaftsorga-
nisationen geteilt. Wenn Sie, Frau Bulmahn, diese Dienst-
rechtsreform mit unserer Unterstützung durchbekommen
wollen, müssen Sie erhebliche Korrekturen vornehmen.
Von der Qualität Ihrer Vorschläge wird unser Abstim-
mungsverhalten als CDU/CSU-Bundestagsfraktion ab-
hängen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht der
Kollege Dr. Reinhard Loske für die Fraktion von Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
will es so machen wie der Kollege Rachel und will nicht
zum Haushalt reden. Die Ministerin hat das Notwendige
gesagt und auch mein Kollege Fell wird noch dazu spre-
chen. Ich will mich auf die Dienstrechtsreform konzen-
trieren.
Was uns bewogen hat, diese Dienstrechtsreform
durchzuführen, sind im Wesentlichen drei Punkte, in de-
nen wir uns auch weitgehend einig sind. Einmal haben wir
zu lange Qualifikationszeiten beim wissenschaftlichen
Nachwuchs. Zum Zweiten haben wir im internationalen
Vergleich eine unzureichende Selbstständigkeit der Post-
doktoranden. Zum Dritten haben wir ein zu hohes Erstbe-
rufungsalter bei Professoren.
Zunächst einmal zu der zu langen Qualifikations-
dauer: In Deutschland muss man heute, um Professor
werden zu können, 13 Jahre zur Schule gegangen sein,
dann in der Regel sechs Jahre studiert haben, dann vier bis
fünf Jahre promoviert haben und dann fünf bis sechs Jahre
habilitiert haben. Wenn man dann noch Phasen der Orien-
tierung, der Erwerbstätigkeit und andere Phasen bei-
spielsweise der Mittelakquisition für Projekte dazu-
zählt, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass man in
Deutschland im Schnitt über 40 Jahre alt ist, bevor man in
den Vorolymp derjenigen aufgenommen wird, die eventu-
ell einmal Professor werden könnten. Wenn das wirklich
zeitgemäß sein soll, dann muss ich sagen: gute Nacht.
Zweiter Punkt ist die im internationalen Bereich zu
geringe Selbstständigkeit unserer Postdoktoranden.
Ich bin der Letzte, der die Habilitation irgendwie diskri-
miniert; ich habe mich selber durch diese Prozedur
wenn auch nebenberuflich gequält. Man muss auch
nicht so weit gehen, wie das manche scharfe Kritiker tun,
die sagen, dass die Habilitation quasi ein Stadium künst-
licher Infantilität ist.
So weit würde ich nie gehen. Wenn ich aber Herrn
Schiedermair zuhöre den Sie hier als Kronzeugen auf-
geführt haben und der dauernd von Meisterprüfungen re-
det , dann habe ich das Gefühl, dass er Angst hat, seiner
Gesellen verlustig zu gehen. Das kann nicht unsere Linie
sein.
Ihnen, Herr Rachel, würde ich raten, sich bei der ganzen
Diskussion nicht an den letzten 150 Jahren zu orientieren,
sondern an den nächsten 20 Jahren. Das wäre, glaube ich,
zeitgemäß.
Der dritte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist das zu
hohe Erstberufungsalter von Professoren. Es liegt in
Deutschland bei 42 Jahren. Ich gehöre nicht zu denen, die
das durch den Kakao ziehen. Ich würde sagen: Es mag
Disziplinen geben, wo die wissenschaftliche Produkti-
vität jenseits von 40 Jahren am höchsten ist. Das kann in
bestimmten Geistes- und Kulturwissenschaften ja der Fall
sein. Es geht hier auch nicht darum, irgendeinem Jugend-
kult zu huldigen und Jugendlichkeit als besonders prä-
mierungsbedürftig darzustellen. Erfahrung ist und bleibt,
gerade in der Lehre, ein hohes Gut. Ich glaube aber, dass
eigenständiges Arbeiten mit allen Rechten und Pflichten
eines Professors bei Anfang bis Mitte dreißig beginnen
kann und sollte. Das geht anderswo. Warum soll das nicht
in Deutschland gehen? Ich finde, wir sollten das tun. Das
wäre ein großer Fortschritt.
Jenseits der materiellen Anreize über die muss man
auch reden, gar keine Frage ist die Universität doch auch
ein Ort unglaublicher Freiheit. Junge Leute, die im Alter
von 30 Jahren die Möglichkeit haben, eigenständig zu leh-
ren, zu forschen, zu experimentieren, gehen doch mit ganz
anderer Motivation an die Sache heran als diejenigen, die
mit 42, 43 oder gar 45 Jahren Professor werden und dann
die nächsten 20 Jahre gesichert vor sich haben. Ich glaube,
wir verstärken die Motivation und geben größere Anreize
als heute, wenn wir in diese Richtung gehen.
Der tragende Gedanke der Reform ist, junge Menschen
eher in verantwortliche Positionen zu bringen; sie sollen
eigenständig forschen und lehren können. Deshalb wollen
und werden wir Sie unterstützen das ja auch an unse-
ren Universitäten Juniorprofessuren einführen. Die
Juniorprofessur soll der Regelweg zur Erlangung einer
Vollprofessur sein, wobei diese Phase insgesamt sechs
Jahre dauern soll, und zwar unterteilt in zwei Abschnitte
von je drei Jahren. Nach den ersten drei Jahren wird es eine
Evaluation geben und während des zweiten Abschnitts
kann sich der Betroffene selbstverständlich schon auf Voll-
professuren bewerben; man sollte dies auch tun und die
guten Leute werden es auch tun. Insofern verspreche ich
mir von unserem Vorhaben eine große Dynamik.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Thomas Rachel
18599
Wenn Sie, Herr Rachel Sie sind ein sehr angenehmer
und diskussionsfreudiger Kollege, aber in diesem Punkt
muss ich Ihnen widersprechen , sagen, wir würden an-
dere Wege als die Juniorprofessur versperren, haben Sie
den Gesetzentwurf nicht gelesen. Wir wollen, dass neben
dem Regelweg der Juniorprofessur weitere Qualifikatio-
nen in der wunderbaren Abbildung zur Begründung des
Gesetzentwurfs ist dies schön aufgezeichnet wie sons-
tige wissenschaftliche Tätigkeiten an der Hochschule,
Tätigkeiten an außeruniversitären Forschungseinrichtun-
gen, Forschungstätigkeiten im Ausland, die wir alle wol-
len, sowie weitere berufliche Tätigkeiten in der Wirtschaft
und auch in der Gesellschaft berücksichtigt werden. Das
bedeutet: Mit unserem Gesetzentwurf unterstützen wir
eine Weiterung der Zugangswege. Wir fördern eine Kul-
tur des Wechsels und eine Kultur des Quereinstiegs. Da-
von haben wir in Deutschland bisher viel zu wenig. Wir
wollen, dass sich auch Erfahrungen aus anderen Lebens-
bereichen in den Universitäten niederschlagen. Das be-
kommen wir mit diesem Gesetzentwurf hin.
Wichtig ist auch das wurde bereits positiv bemerkt ,
dass die Bundesregierung wegen der Umstellungsschwie-
rigkeiten 360 Millionen DM über einen Zeitraum von
mehreren Jahren zur Verfügung stellt; das Geld ist not-
wendig, um den gleichzeitigen sukzessiven Abbau von
C 1- und C 2-Stellen und den Aufbau von Juniorprofessu-
ren finanzieren zu können. Das ist eine wichtige Unter-
stützungsmaßnahme. Ich finde auch den Vorschlag rich-
tig, dies an eine internationale Ausschreibung der Stellen
zu koppeln.
Zu klären bleibt die Frage der Habilitation. Zunächst ein-
mal möchte ich über diejenigen reden, die Furcht
haben, Verlierer dieser Reform zu sein, also diejenigen, die
bereits habilitiert sind oder gerade dabei sind, sich zu habi-
litieren. Im Gesetzentwurf ist eine sehr großzügige Über-
gangsfrist bis zum Jahre 2009 vorgesehen. Bis zu diesem
Zeitpunkt gibt es keine Benachteiligung der Habilitierten,
denn vor 2007, 2008 oder 2009 werden wir keine fertigen
Juniorprofessoren haben. Auf diese Weise kann es in diesem
Zeitraum keinen Wettbewerbsnachteil geben. Ich würde
diejenigen, die sich heute als lost generation bezeichnen,
bitten einzusehen, dass sie keine Verlierer dieser Reform
sind. Das Fenster der Möglichkeiten für neue Professuren
war nie so weit auf; zwischen 2002 und 2009 werden
50 Prozent der noch tätigen Professoren in Pension gehen.
Man muss diese Chance nutzen und nicht darüber klagen.
Langfristig wird auch das wurde angeführt; ich stehe
voll und ganz dahinter die Habilitation an Gewicht ver-
lieren. Das ist überhaupt keine Frage; und ich füge hinzu:
Das ist auch so gewollt. Wir wollen, dass nicht die abge-
bende, sondern die aufnehmende Institution darüber ent-
scheidet, ob jemand qualifiziert ist. Die Universität soll
selbst prüfen, wer für eine Vollprofessur geeignet ist. Nie-
mand hat etwas dagegen, wenn jemand ein zweites Buch
schreibt gute Wissenschaftler schreiben in ihrem Leben
nicht nur zwei, sondern drei, vier oder fünf gute Bücher ,
aber das ist nur ein Ausweis wissenschaftlicher Qualifi-
kation und keine Einstellungsvoraussetzung. Das, was Sie
wollen, ist nicht mehr zeitgemäß.
Hinzu kommt noch ein weiterer Punkt: Wir machen sol-
che Qualifikationen deshalb nicht zur alleinigen Einstel-
lungsvoraussetzung, weil wir unsere Hochschulen viel stär-
ker als heute internationalisieren müssen. Wir wollen
ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als
Hochschullehrer haben und die Abwanderung exzellenter
junger Wissenschaftler ins Ausland verhindern bzw. abge-
wanderte zurückholen. Wir wollen, dass unsere Universitä-
ten international attraktiver und anschlussfähiger werden.
Dazu leistet unser Gesetzentwurf einen guten Beitrag.
Zu den Leistungszulagen will ich insgesamt nicht viel
sagen. Ich will nur kurz auf die Einführung von Leis-
tungskomponenten neben einem Grundgehalt eingehen.
Sie haben nur das Grundgehalt genannt, haben sich also
widersprochen. Sie haben von einem Verdienst von
120 000 DM in einer guten Anwaltskanzlei gesprochen
und dies mit einem Grundgehalt von 8500 DM für eine
W 3-Professur verglichen. Dazu kommen aber Leistungs-
zulagen, sodass man einen ähnlich hohen Verdienst er-
zielt, und zwar mit Stellengarantie.
Insofern bauen Sie einen Popanz auf, den es so gar nicht
gibt.
Aus meiner eigenen Erfahrung will ich noch sagen,
dass wir bei der Evaluation von Leistungen darauf auf-
passen müssen, dass wir den einzelnen Disziplinen ge-
recht werden. Man kann das nicht überall über einen
Kamm scheren; das ist gar keine Frage. Wir dürfen aber
auch nicht Heerscharen von Evaluationskommitees im
Monatsrhythmus durch die Universitäten jagen. Das muss
klar und transparent sein. Vor allen Dingen müssen be-
sondere Leistungen in Lehre und Forschung sowie in der
Betreuung von Studentinnen und Studenten honoriert
werden. Das ist ganz besonders wichtig.
Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft
die Promovierenden. Diese Gruppe ist bislang noch gar
nicht angesprochen worden. Es ist ein ganz großer Fort-
schritt gegenüber dem Status quo, dass den Promovieren-
den durch dieses Gesetz ein eigener Status eingeräumt
wird. Heute sind, mit Ausnahme an den Graduiertenkol-
legs, die Rechte und Pflichten der Doktoranden überhaupt
nicht definiert. In dieser Hinsicht macht das Gesetz einen
großen Schritt nach vorn. Das sagen übrigens auch die
Verbände. Die Promotionsphase soll besser strukturiert
werden, sodass man die Promotion in der Regel in drei
Jahren schaffen kann. Die Betreuung der Promovierenden
soll besser werden, unter anderem auch deshalb, weil wir
sie als Kriterium für die Erteilung der Leistungszulagen
heranziehen. Schließlich wollen wir den Promovierenden
andere akademische Schlüsselqualifikationen ermögli-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Dr. Reinhard Loske
18600
chen. Summa summarum ist dieser Gesetzentwurf für die
Doktorandinnen und Doktoranden ein großer Schritt in
die richtige Richtung.
Ich komme zum Schluss. Ich glaube, dass dieser Ge-
setzentwurf eine sehr gute Beratungsgrundlage darstellt.
Auch in den Koalitionsfraktionen haben wir noch den ei-
nen oder anderen Punkt, den wir in die Beratungen ein-
bringen wollen. Insgesamt ist dies eine große Reform, die
diesen Namen auch verdient. Sie muss in ein größeres
Ganzes eingebettet werden, um unseren Universitäten
mehr Autonomie und mehr Gestaltungshoheit zu geben.
Das wird sie auch; sie ist nämlich Bestandteil eines größe-
ren Reformvorhabens.
Ich würde mich freuen, wenn die Union, die ja in vie-
len Punkten mit uns übereinstimmt, in dieser Angelegen-
heit mit uns an einem Strang ziehen würde.
Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die FDP-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Ulrike Flach.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Frau Bulmahn, der Umfang des Bildungs-
und Forschungshaushalts 2002 steigt um 2,7 Prozent auf
rund 16 Milliarden DM. Das ist gegenüber dem Haushalt
von 1998 ein Anstieg um 15,5 Prozent. Das haben Sie
eben betont. Die FDP begrüßt dies selbstverständlich.
Nur, das ist das Eingeständnis von Ihnen, dass Sie Ihr
selbst gestecktes Ziel einer Verdoppelung der Investitio-
nen in Bildung und Forschung in dieser Legislaturperiode
nicht mehr erreichen.
Auch dieser Anstieg ist nur ein Bündnis auf Zeit.
Es sind die UMTS-Zinserlöse, die Sie aus der finanziellen
Zwickmühle befreit haben.
Sozusagen wie Merlin mit dem Zauberstaub konnten Sie
Vorhaben anfinanzieren wie zum Beispiel die Zukunfts-
initiative Hochschule, das Genomforschungsnetz, die IT-
Akademie oder die bessere Ausstattung von Berufsschulen.
Wie haben wir diesen Geldsegen nun zu beurteilen?
Schaden, lieber Herr Tauss, tut Geld nur selten. Was
aber haben Sie für die deutsche Bildungs- und For-
schungslandschaft erreicht? Ist es Ihnen gelungen, Bil-
dung Made in Germany erneut zu einem Markenzei-
chen zu machen?
Haben Sie den Hochschulbau anstoßen können? Ist es Ih-
nen gelungen, Wissenschaftsnetze vor allen Dingen im
Osten aufzubauen? Strömen Wissenschaftler und Studen-
ten aus der ganzen Welt nach Deutschland?
Alle diese Fragen, Frau Bulmahn, sind mit einem klaren
Nein zu beantworten.
Stattdessen häufen sich die Aussagen, dass viele dieser Vor-
haben keine sich selbst tragenden Strukturen geschaffen ha-
ben. Sie haben vielmehr eine gute alte deutsche Untugend
erneut zum Leben erweckt, nämlich den Hang, das Geld erst
einmal mitzunehmen, Hauptsache, Vater Staat zahlt.
Frau Ministerin Bulmahn, Sie haben Strohfeuer ent-
zündet. Wenn 2003/2004 der Geldsegen am Ende ist, ste-
hen Sie da, wie Andersens Sterntalermädchen: mit leerer
Schürze, ansonsten nackt.
Sie haben von der größten Reform der deutschen For-
schungslandschaft gesprochen, die Sie angepackt hätten.
Meinen Sie damit die mehr schlecht als recht umgesetzte
Fusion der GMD und FhG? Meinen Sie damit die unge-
schickte Umsetzung der programmorientierten Förderung
bei den Helmholtzzentren, die bei den Mitgliedsinstituten
Verunsicherung und Demotivation ausgelöst haben? Der
HGF haben Sie mit einem Plus von 1,8 Prozent noch nicht
einmal einen Inflationsausgleich zugestanden.
Oder meinen Sie damit den nach wie vor unerledigten
großen Brocken der Ressortforschung der Ministerien,
die circa 3 Milliarden DM ausmacht? Reform, Frau
Bulmahn, heißt nach Ansicht der FDP, auch vor dem ei-
genen Hause Flagge zu zeigen. Ressortforschung muss
denselben Bedingungen unterworfen werden, die auch
außerhalb des schützenden Hafens von Vater Staat gelten:
gründliche Evaluation, Transparenz und vor allem Effizi-
enz. Ich bin sicher, dass eine Evaluation deutliche Ein-
sparmöglichkeiten aufzeigen wird.
Damit sind wir schon bei Ihrem Vorwurf, die FDP ma-
che es sich zu leicht, wenn sie massive Mittelerhöhungen
bei Bildung und Forschung fordert.
Frau Bulmahn, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU, wir machen es uns damit nicht leicht, wir ma-
chen es besser.
Natürlich müssen wir bestehende Systeme reformieren.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Dr. Reinhard Loske
18601
Wir brauchen mehr Effizienz und mehr Wettbewerb bei
Forschungs- und Bildungsträgern. Aber gleichzeitig muss
endlich klar werden, dass Bildungspolitik ohne Geld reine
Flickschusterei ist. Wer will, dass dieses Land eine Zu-
kunft hat, muss investieren. Bildung ist nicht zum Nullta-
rif zu haben.
Die FDP steht zu dieser Forderung. Wir wollen viel,
sehr viel Geld für die Bildung ausgeben: 3,4 Milliar-
den DM mehr.
Dazu gehört ein neues Hochschulsonderprogramm zur Ver-
besserung des Studienstandortes. Es ist gut, Studenten aus
dem Ausland anzuwerben, Frau Bulmahn; nur müssen wir
auch dafür sorgen, dass die Leute gerne kommen. Wir wol-
len die Bibliotheken mit einem 122-Millionen-DM-Pro-
gramm modernisieren. Online, wie Sie es eben so schön ge-
sagt haben, reicht nicht, wenn das Geld für die Lizenzen
fehlt. Die Bibliotheken brauchen die Gelder jetzt und nicht
in einer fernen Zukunft. Für den Hochschulbau wollen wir
900 Millionen DM mehr ausgeben, und zwar dergestalt,
dass die finanzschwachen Bundesländer eine Möglichkeit
der Vorfinanzierung durch den Bund erhalten. Es kann
nicht sein, dass Gelder für den Hochschulbau zurückgege-
ben werden und dass hier in Berlin zurzeit Institute ge-
schlossen werden, weil die Kofinanzierung nicht klappt.
Diese Forderungen sind nicht unseriös. Sie sind auch
nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Bildungsinves-
titionen sind für uns Zukunftsinvestitionen. Ich bin si-
cher, dass die meisten Menschen außerhalb dieses Hauses
dies absolut nachvollziehen können.
Wir wollen diese Investitionen durch einen Abbau der
Steinkohlesubventionen diese machen in diesem Jahr
fast 6 Milliarden DM aus; dieser Subventionsabbau fällt
mir als Nordrhein-Westfälin bekanntermaßen besonders
schwer , durch Privatisierung der Bundesbeteiligungen
allein an den Flughäfen in Frankfurt und München ist
der Bund mit 640 Millionen DM beteiligt und durch den
Abbau von Zuschüssen wie die an die Bundesmonopol-
verwaltung für Branntwein finanzieren. 15,6 Milli-
arden DM zahlt der Bund im Jahre 2002 an Subventionen.
Angesichts dessen muss es doch möglich sein, weniger als
ein Viertel davon für das größte Potenzial abzuzweigen,
das wir haben: die Bildung und Ausbildung unserer Kin-
der und Jugendlichen.
Meine Damen und Herren, Nachwuchsförderung ist
übrigens auch der Schlüsselbegriff für die Reform des
Hochschuldienstrechtes. Frau Ministerin, ich bin heute
wie meistens von dieser Stelle aus nicht so ganz
freundlich mit Ihnen umgegangen. Nichtsdestotrotz kann
ich für die FDP sagen, dass wir es ausdrücklich begrüßen,
dass Sie diese Reform angehen.
Auch in der Ausgestaltung der Reform gehen wir an ei-
nigen Stellen
keine Angst, Frau Volquartz mit Ihnen konform. So
wollen wir die Einführung der Juniorprofessoren; frühe
Selbstständigkeit und eigene Forschung sind uns wichtig.
Richtig ist auch die fällige Angleichung der Besoldung
von Professoren an Unis und FHs. Begrüßenswert sind die
leistungsorientierte Besoldung und der Wegfall der Ober-
grenzen, damit wir Spitzenkräfte auch spitzenmäßig be-
zahlen können.
Trotzdem hat Ihr Entwurf deutliche Schwächen. Das
hat am Montag nicht nur Herr Schiedermair, sondern das
haben alle Experten bis auf einen bestätigt.
Die Deckelung des Gesamtbesoldungsrahmens behindert
den Wettbewerb um die besten Köpfe. Die 6 000 Stellen für
die neuen Juniorprofessoren werden nur durch den Abbau
der Zahl von wissenschaftlichen Assistenten und Oberassis-
tenten möglich. Wir brauchen aber selbstverständlich wei-
terhin befristete und unbefristete Arbeitsverhältnisse im
Mittelbau. Die Qualifikationsphase bis zum Juniorprofes-
sor ist nicht eindeutig definiert. Sie sollte unserer Meinung
nach bis zum 29. Lebensjahr abgeschlossen sein. Da sind
wir übrigens auch mit Herrn Schiedermair einer Meinung.
Das ließe sich noch senken das erspare ich Ihnen an die-
ser Stelle nicht , wenn das Abitur endlich nach zwölf
Schuljahren erreicht
und die Wehrpflicht abgeschafft würde.
Wäre diese Professur auf fünf Jahre angelegt wie es
der Wissenschaftsrat vorgeschlagen hat , könnte die Zeit
bis zur ersten Berufung weiter verkürzt werden. Dabei ist
es aus unserer Sicht unverzichtbar das sage ich ganz be-
wusst , dass Frauen nicht benachteiligt werden. Das Feh-
len einer Babypause in Ihren Vorschlägen ist so augenfäl-
lig, dass es keinen Einzigen im Saale gab, der dadurch
nicht sehr irritiert war.
Die Abschaffung der Habilitation ist ein Irrweg. Las-
sen Sie die Hochschulen doch selbst entscheiden, Frau
Bulmahn,
wie sie es mit ihrem akademischen Nachwuchs halten
wollen, statt hier von alten Zöpfen zu reden. Es ist kein al-
ter Zopf, sondern es ist eine von vielen Möglichkeiten.
Völlig unzureichend ist auch die Regelung für aus-
scheidende Juniorprofessoren. Welchen Status sie gegen-
über der Hochschule haben, bleibt für uns und für die Ex-
perten unklar.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Ulrike Flach
18602
Wir sind nach wie vor der Meinung, dass das Thema Pri-
vatdozent auf der Tagesordnung bleiben muss.
Ihr Gesetzentwurf ist ein eklatanter Eingriff in die per-
sönliche Lebensplanung der zum jetzigen Zeitpunkt Pro-
movierenden und Habilitierenden. Ich kann Herrn Loskes
Meinung an dieser Stelle nicht teilen. Es kann nicht sein,
dass ihnen aus Altersgründen der Weg zum Juniorprofes-
sor versperrt wird. Da helfen auch die Übergangsfristen
nicht. An diesem Punkt brauchen wir wesentlich bessere
Übergangsregelungen.
Sie sind nicht bereit, am Beamtenstatus von Hoch-
schulangehörigen zu rütteln.
Ich weiß, dass Sie das gern möchten.
Ja, aber Sie setzen sich bei den Ländern nicht durch,
Frau Bulmahn.
Hochschulausbildung ist nach Meinung der FDP eine
enorm wichtige, aber keine hoheitliche Aufgabe. Wir wol-
len genauso wie an den Schulen ein Auslaufen des Beam-
tenstatus an den Hochschulen.
Bei diesen massiven Defiziten in Ihrem Entwurf haben
wir ernsthafte Zweifel, ob die Reform einen Schub für
mehr Leistung, Wettbewerb und Internationalität bringen
wird.
Diese Zweifel werden von den meisten Experten geteilt;
das hat die Anhörung am Montag eindeutig bewiesen. An
dieser Stelle muss ich mein Bedauern ausdrücken, dass
sich der Innenausschuss an ihr nicht beteiligt hat. Ich sage
es wirklich ganz deutlich und hoffe, dass Sie das noch tun
werden.
Frau Bulmahn, noch ist es Zeit, Verbesserungen vorzu-
nehmen. Sie können sich vorstellen, dass auch wir mit den
Landesregierungen, an denen wir als FDP beteiligt sind,
sprechen werden. Wenn Sie unsere Unterstützung brau-
chen, werden Sie sie an dieser Stelle bekommen. Lassen
Sie bitte die Chance einer ordentlichen Reform nicht an
sehr einseitigen Länderinteressen scheitern.
Lassen Sie mich zum Schluss meine Kollegin Conny
Pieper kann heute leider nicht bei uns sein
noch kurz auf den zukunftsweisenden Antrag zur Kultur-
stiftung der Bundesrepublik Deutschland eingehen.
Diese Idee stammt von Günter Grass. Die FDP bittet Sie
sehr um Unterstützung dieses Antrages. Wir hätten damit
endlich ein kulturpolitisches Instrument, mit dem Bund
und Länder gesamtstaatliche Kulturpolitik für die ge-
meinsame gute Zukunft aller Deutschen gestalten können.
Im Gegensatz zum Staatsminister für Kultur wollen wir
eine Stiftung bürgerlichen Rechts, die mit einem Stif-
tungskapital von 2 Milliarden Euro
aus den Gold- und Devisenreserven der Deutschen Bun-
desbank zuhören, Herr Tauss! ihren Aufgaben zur
Pflege des nationalen Kulturerbes auch gerecht werden
könnte. Gerade jetzt, in politisch und wirtschaftlich
schwierigen Zeiten, verkörpert die Bundeskulturstiftung
ein identitätsstiftendes Band, das dafür sorgt, dass wir
Deutschen die Herausforderungen der Globalisierung
meistern werden. Ich bitte um Ihre Unterstützung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Maritta Böttcher.
Sehr geehrte Frau Präsiden-
tin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Bisher ist
viel über Zahlen geredet worden. Lassen Sie mich also zu
Beginn auf den vorliegenden Entwurf für eine Änderung
des Hochschulrahmengesetzes eingehen.
Vieles von dem, was Sie, Frau Ministerin, sagten, ver-
misse ich im vorliegenden Gesetzentwurf. Ich habe zum
Beispiel im Gesetzentwurf nach zweierlei vergeblich ge-
sucht: Wo ist das von SPD und Grünen versprochene
Studiengebührenverbot? Wo bleibt die Absicherung der
Politik- und Meinungsfreiheit der Studierendenvertretun-
gen?
Frau Ministerin, drei Jahre lang haben wir guten Wil-
len gezeigt und gehofft, dass Sie an der Umsetzung dieser
Ziele arbeiten. Heute müssen wir die Lage neu beurteilen;
denn in diesem Sommer haben Sie erstmals die von CDU
und FDP in Baden-Württemberg eingeführten Studienge-
bühren politisch verteidigt. Gebühren für so genannte
Langzeitstudenten werden von Ihnen nicht mehr be-
kämpft, sondern offensiv gerechtfertigt.
Rot-Grün hat das Vertrauen der Studierenden verspielt,
urteilten diese daraufhin
ja, ich habe auch mit denen Kaffee getrunken, Herr
Tauss und forderten Sie in einem offenen Brief zum
Rücktritt auf. Der Brief vom Sommer liegt ja nun vor.
Ich halte dies für bemerkenswert und hoffe sehr,
dass wenigstens dieser Protest Sie zum Nachdenken
bringt. Immerhin haben Sie heute, Herr Tauss und Herr
Loske tun Sie doch nicht so! , eine Presseerklärung
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Ulrike Flach
18603
herausgegeben. Zumindest haben Sie eilig erklärt, dass
Sie die verfasste Studierendenschaft absichern wollen,
nachdem die Kritik der PDS seit Jahren nicht gehört wird.
Ich hoffe nur, es bleibt keine leere Versprechung.
Anzuerkennen ist, dass die Bundesregierung in ihrem
Gesetzentwurf das heiße Eisen des Hochschuldienst-
rechts angepackt hat. Das will ich ausdrücklich sagen. Im
Mittelpunkt steht die Neuordnung der Hochschullehrer-
laufbahn durch die Einrichtung von Juniorprofessuren.
Dazu ist sehr viel gesagt worden. Allerdings verzichtet der
Gesetzentwurf das möchte ich hier noch einmal für die
Fraktion der PDS eindeutig sagen auf eine verbindliche
Abschaffung der Habilitation. Auf uns können Sie sich
dabei aber schon verlassen.
Beim Problem der Professorenbesoldung kritisiert die
PDS vor allem, dass die Bundesregierung nach wie vor
das Grundrecht der Tarifautonomie im Wissenschafts-
bereich missachtet. Das heißt, die Arbeitsbedingungen
des wissenschaftlichen Personals werden nicht, wie in an-
deren Branchen, kollektivvertraglich durch Arbeitgeber
und Gewerkschaften geregelt, sondern einseitig staatlich
oktroyiert. Wir fordern daher: Weg mit dem Beamtensta-
tus für Professoren,
weg mit den Paragraphen 57 a bis 75 f im Hochschulrah-
mengesetz! Ich freue mich ganz besonders, Frau Flach,
dass da auch die FDP auf einem guten Weg ist.
Meine Damen und Herren von der Koalition, an dieser
Stelle möchte ich noch einmal sagen, dass Sie natürlich
auch an dem Erbe, das Sie beim Einzelplan 30 übernom-
men haben, schwer zu tragen haben, das sehen auch wir.
Der Bildungs- und Forschungshaushalt des Bundes soll
im kommenden Jahr um 2,7 Prozent steigen. Ich respek-
tiere diesen Zuwachs. Dennoch weise ich auf Folgendes
hin: Die Bundesregierung hat zur Verbesserung der so ge-
nannten inneren und äußeren Sicherheit eine Aufstockung
der Ausgaben des Bundes um 3 Milliarden DM angekün-
digt. Der Bundeshaushalt wird also nicht mehr nur um
1,6 Prozent, sondern um 2,2 Prozent anwachsen. Die
Steigerung der Bildungs- und Forschungsausgaben
liegt demnach kaum mehr über dem Wachstum des Ge-
samthaushalts, ganz zu schweigen von der Ankündigung,
die Bildungs- und Forschungsausgaben innerhalb von
fünf Jahren zu verdoppeln.
Von einer Prioritätensetzung der Bundesregierung für
Bildung und Forschung ist in diesem Haushalt eben nicht
sehr viel zu erkennen, wenn sie in der Lage ist, von heute
auf morgen rund 1,5 Milliarden DM allein für die Bun-
deswehr zu mobilisieren, auf der anderen Seite aber im-
mer noch nicht in der Lage ist, Bildung als die soziale
Frage des 21. Jahrhunderts zu begreifen, die sie nach
Überzeugung der PDS längst geworden ist.
Die Investitionen der Bundesregierung in Bildung und
Forschung sind vor allem Investitionen in Forschung und
Technologie und nur zu einem Bruchteil Investitionen in
Bildung. Die Bildungsausgaben des Bundes entwickeln
sich teilweise sogar rückläufig. Das Sonderprogramm zur
Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze in den neuen
Ländern wird um 10 Prozent gekürzt. In der Berufsbil-
dungspolitik baut die Bundesregierung namentlich ge-
genüber Ostdeutschland unerschütterlich auf drei Größen:
erstens auf den guten Willen der Unternehmer, zweitens
auf zukünftige geburtenschwache Jahrgänge bei den Aus-
bildungsplatzsuchenden und drittens schließlich auf die
Abwanderung eines Teils der Jugendlichen von Ost nach
West. Aktive Berufsbildungspolitik kann man das wahr-
lich nicht nennen!
Das Ergebnis dieser Politik sieht so aus: Bis Ende Au-
gust 2001 also bis kurz vor Beginn des neuen Ausbil-
dungsjahres gab es für das laufende Bewerbungsjahr im
Osten nur halb so viele Ausbildungsstellen wie Bewerbe-
rinnen und Bewerber und das Verhältnis von Ausbil-
dungsplatzsuchenden zu unbesetzten Stellen belief sich
zu diesem Zeitpunkt auf 5:1. Vor diesem Hintergrund
halte ich die im Haushaltsentwurf vorgesehene Rück-
führung des Sonderprogramms für zusätzliche Ausbil-
dungsplätze im Osten für lebensfremd.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen:
Auch wir sind für den Abbau der vielen einzelnen Son-
derprogramme und Ersatzmaßnahmen auf Kosten der
Steuerzahler, allerdings unter zwei Bedingungen. Erstens.
Die gesamte Unternehmerschaft und besonders die
großen Konzerne werden endlich verbindlich dazu ange-
halten, ihre Schuldigkeit zu tun. Verabredungen im Bünd-
nis für Arbeit haben das lehren die Erfahrungen
diesen notwendigen Grad von Verbindlichkeit nicht.
Die Zahlen sprechen eine andere Sprache, Herr Tauss.
Zweitens. Die verbleibenden und wahrscheinlich an
Zahl zunehmenden Ausbildungsgänge außerhalb einer
klassischen dualen Ausbildung werden in ein plurales
Ausbildungssystem integriert, dessen Markenzeichen die
Gleichwertigkeit aller Ausbildungsformen ist.
Solange die Bundesregierung sich nicht in diese Rich-
tung bewegt, halten wir nichts von theoretischer Prinzi-
pienreiterei auf dem Rücken der Jugendlichen. Wir werden
deshalb die Reduzierung dieses Lehrstellenprogramms
nicht einfach hinnehmen.
Frau Ministerin, auch in Sachen Ausbildungsförderung
gibt es für Sie keinen Grund zum Jubeln. Die BAföG-Re-
form der Bundesregierung auch das möchte ich wie-
derholen ist zwar nicht nichts. Sie ist aber im laufenden
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Maritta Böttcher
18604
Haushaltsjahr, 2001, nur zu 75 Prozent haushaltswirksam
geworden. Die BAföG-Ausgaben des Bundes sollen im
Jahr 2002 nur um 6 Prozent steigen. Damit ist belegt, dass
die BAföG-Novelle von SPD und Grünen nicht in nen-
nenswertem Umfang zusätzliche Mittel für die Studien-
finanzierung mobilisieren kann.
Was die von mir kritisierte Technologielastigkeit des
Bildungs- und Forschungshaushalts angeht, so will ich
zunächst betonen, dass die PDS selbstverständlich nichts
gegen Forschung und Technologieförderung hat. Wir kri-
tisieren allerdings mit Nachdruck, dass sich SPD und
Grüne auf die Förderung von Risikotechnologien kon-
zentrieren, deren Nutzen für Wissenschaft, Gesellschaft
und Wirtschaft äußerst fragwürdig ist. Ich denke dabei
insbesondere an die Genomforschung, die Raumfahrtfor-
schung Herr Tauss, hier haben wir sie wieder und die
Kernfusionsforschung.
Diese Forschungsschwerpunkte sind Fässer ohne Boden.
Sie bedürfen teilweise einer jahrzehntelangen milliarden-
schweren Förderung, ohne dass ein konkreter gesell-
schaftlicher Nutzen zu erwarten ist. Auf eine sozialöko-
logische Umorientierung der Forschungspolitik warten
wir nach drei Jahren Rot-Grün immer noch vergeblich.
Anstatt die Gesundheitsforschung ganzheitlich anzu-
gehen Frau Ministerin, wir lesen anderes aus dem Haus-
halt, als ich in der Rede hören konnte , wird fast nur noch
genorientierte Forschung gefördert.
Mehrere Hundert Millionen Euro werden für Prestige-
objekte wie die internationale Raumstation, Ariane-Rake-
ten und Satellitensysteme im Weltraum verpulvert. Auch
nach dem 11. September wendet die Regierung keinen zu-
sätzlichen Euro für die Friedens- und Konfliktforschung
auf.
In diesem Zusammenhang stelle ich schon die Frage: Was
soll die Ankündigung aus Ihrer Rede?
Wäre der Haushaltsplanentwurf 2002 nicht mit den
Namen Schröder und Eichel unterzeichnet, müsste man in
den Zahlen lange nach einem Anhaltspunkt suchen, der
auf eine rot-grüne Regierung hindeutet.
Die Prioritätensetzung im Bildungs- und Forschungs-
haushalt trägt in großen Teilen leider noch die Handschrift
ihrer Vorgänger. Der Regierungswechsel ist Geschichte.
Der Politikwechsel ist zu großen Teilen in diesem Bereich
leider noch Zukunftsmusik.
Ich bitte Sie, ernsthaft über unsere Vorschläge zu dis-
kutieren und ganz in Ihrem Sinne gemeinsam alle
Kräfte aufzuwenden, um das, was Sie im Stillen wollen,
auch durchzusetzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt hat der Kollege
Jörg Tauss endlich einmal die Gelegenheit, für die SPD-
Fraktion von hier vorn zu sprechen und nicht nur von
der Bank.
Sie merken, Frau Präsidentin und
liebe Kollegen, es geht einem manchmal wirklich schlecht,
wenn man unserer Opposition zuhört. Aber so sind sie halt.
Die PDS wirft uns vor, die Habilitation nicht zu verbieten.
Die CDU wirft uns vor, die Habilitation zu verbieten. Die
FDP Frau Kollegin Flach, ich bedanke mich sagt, dass
wir auf dem richtigen Weg sind.
Sie haben zumindest erkannt, dass wir uns in der Mitte
von dem befinden, was uns von den verschiedenen Seiten
unterstellt wird. Insofern können wir das, glaube ich, mit
Gelassenheit sehen.
Was die Kulturstiftung angeht, sehr geehrte Frau Flach:
Sie ist auf dem Weg. Wie beim Stiftungsrecht rennen Sie
hierbei den Verhandlungen, die der Staatsminister bereits
führt, hinterher. Seien Sie optimistisch! Wir diskutieren
darüber im Ausschuss. Ich möchte es heute Abend nicht
allzu umfassend tun.
Ich möchte einiges zum Einzelplan 30 sagen. Frau
Ministerin, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen
Sie sind stolz darauf; wir sind stolz darauf : Der Haus-
halt 2002 ist auf über 16 Milliarden geklettert. Er hat eine
Rekordhöhe erreicht. Er liegt jetzt endlich bei dem, was
andere Nationen im Mittelfeld auch erreicht haben. Wir
haben die Laterne des Schlusslichts abgegeben, die Sie
uns hinterlassen haben. Diesen Weg, werden wir weiter
beschreiten. Das sind die Fakten.
An die FDP gerichtet, liebe Frau Kollegin Flach: Im
Gegensatz zur FDP halten wir unsere Versprechen. Wir
haben gesagt: Wir erhöhen die Ausgaben für Bildung und
Forschung.
Dort, wo Sie regieren, sind Sie den Beweis schuldig ge-
blieben. Ich lese nur einmal vor, was sich im Moment in
Hessen tut. Dort regiert die Wissenschaftsministerin Frau
Wagner. Die Personalausgaben für die Hochschulen
werden dort in den nächsten Jahren um 8 Millionen
gekürzt. Das ist die Bildungspolitik der FDP. Wir erhöhen
die Mittel; Sie senken sie. Das nennen Sie dann moderne
Bildungspolitik. Wir können also Ihrer Kritik mit Ge-
lassenheit begegnen.
Stimmt nicht? Lieber Herr Rachel, ich verlasse mich auf
das, was Frau Wagner sagt. Sie will die Tarifsteigerungen
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Maritta Böttcher
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nicht weitergeben und bei den Personalausgaben für 2002
und 2003 je 8 Millionen DM einsparen. 2004 und 2005
sollen es jeweils 5 Millionen DM sein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Tauss?
Ja?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich muss Sie in Ihrem
Redefluss bremsen, weil die Kollegin Flach eine Zwi-
schenfrage stellen möchte. Lassen Sie sie zu?
Bitte schön, liebe Frau Kollegin
Flach.
Natürlich geht es um den Bildungshaushalt. Wir halten
unsere Versprechen.
Bitte schön, Frau Kollegin Flach.
Ich danke Ihnen, Herr Kollege
Tauss, dass Sie mir die Möglichkeit geben, darauf hinzu-
weisen, dass Frau Wagner so erfolgreich bei der Perso-
nalanwerbung war, dass sich die anderen Bundesländer
neue Rezepte einfallen lassen mussten, damit Lehrer
überhaupt dort bleiben.
Des Weiteren möchte ich darauf hinweisen, dass das
Land Hessen den Hochschulen bis 2005 zusätzlich
60 Millionen DM für Sach- und Investitionsausgaben zur
Verfügung stellt
Ohne Personal!
und außerdem eine Zukunfts-
initiative Hochschule startet, in deren Rahmen zusätzlich
120 Millionen DM bereitgestellt werden.
Herr Tauss, es wäre schön gewesen, wenn Sie sich auch
darüber informiert hätten und nicht bei irgendwelchen
merkwürdigen Zahlen über die Personalausgaben hängen
geblieben wären.
Sie kommen aus Hessen? Gut.
Frau Kollegin Flach, ich gebe Ihnen Recht. In der Tat
haben sich sehr viele Lehrerinnen und Lehrer an hessi-
schen und rheinland-pfälzischen Schulen beworben. In
beiden Bundesländern regieren Sie mit. Das ist gar nicht
schlecht. Aber alle Bewerbungen kamen aus Baden-Würt-
temberg, wo Sie ebenfalls mitregieren.
Das war jetzt eher ein Schlag gegen das Land Baden-
Württemberg. Ich möchte jetzt mit meiner Rede fort-
fahren.
Unsere Bildungs- und Forschungspolitik hat die
Grundlagen im materiellen Bereich verbessert. Wir haben
die Rahmenbedingungen verbessert und verbessern sie
weiter. Wir stellen Chancengleichheit her. Wir fördern die
Kreativität durch Eigenverantwortung. Wir stärken die
Forschung zugunsten von Menschen und nachhaltigem
Wachstum. Wir werden die 150 Jahre alten Strukturen, die
Sie, Herr Rachel, so lieben und an denen sich nichts ver-
ändern soll, aufbrechen, flexibilisieren und damit den Bil-
dungs- und Forschungsstandort Deutschland fit machen.
Ich möchte noch kurz auf drei zentrale Bereiche zu
sprechen kommen, nämlich erstens den Ausbau von For-
schung und Entwicklung in Schlüsseltechnologie-
bereichen, zweitens die Attraktivität der Hochschulen und
drittens die Modernisierung der Infrastruktur.
Zunächst zu den Schlüsseltechnologien: Wir wollen,
dass Deutschland in der Informationstechnik eine inter-
nationale Spitzenstellung erreicht. Ich hoffe, darüber sind
wir uns einig. Im Bereich der Informationstechnik wurden
die Fördermittel ich sage das, weil Sie so gerne über
Zahlen reden um 15 Prozent erhöht. Das können Sie
nicht bestreiten. Es gibt vieles, das zum Bereich der Zu-
kunftstechnologien gehört, zum Beispiel optische und
drahtlose Netze sowie Internetanwendungen. Deren Zahl
ist seit 1998 die Ministerin hat darauf hingewiesen um
15 Prozent gestiegen. Ich glaube, das sagt schon alles.
Was heißt nicht wie versprochen? Was haben Sie denn
versprochen? Wir wollten über Bildung reden und Sie ha-
ben gekürzt. Wir haben nicht gekürzt, sondern den Etat
zum vierten Mal hintereinander erhöht. Das haben wir
versprochen und das haben wir gehalten. Deutschland ist
jetzt im europäischen Vergleich nicht mehr Schlusslicht.
Wir werden uns natürlich überlegen müssen das ha-
ben Sie angesprochen , wie wir im Bereich der Sicher-
heit vorankommen wollen. Das ist ausgesprochen wich-
tig; denn eine im Kommunikationsbereich immer stärker
vernetzte Gesellschaft wird immer anfälliger für Angriffe.
Im Sicherheitsbereich werden wir neue Schwerpunkte
setzen. Man stelle sich einmal vor, es gelänge Terroristin-
nen und Terroristen, in die Datennetze des Frankfurter
Flughafens einzudringen. Dann gäbe es eine ganz andere
Form des Terrors; denn die Terroristen müssten ihr Leben
nicht mehr opfern, um ein Flugzeug zum Absturz zu brin-
gen. Sie könnten vielmehr vom Boden aus Massen-
abstürze herbeiführen. Ich sage das nicht, um irgendwel-
che Horrorszenarien an die Wand zu malen, sondern um
deutlich zu machen, dass wir die Befürchtungen, die vor-
hin auch in der Umweltdebatte zum Ausdruck kamen,
ernst genommen haben und die Frage, wie mit kritischen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Jörg Tauss
18606
Infrastrukturen umgegangen werden soll, aufgegriffen
haben.
Auch die Genomforschung ist vorhin angesprochen
worden. Ich halte sie nicht für Teufelswerk, liebe Kollegin
Böttcher. Es ist falsch, wenn Sie gewisse Technologien wie
zum Beispiel auch die Raumfahrt verteufeln. Wir werden
darüber in einem angemessenen Rahmen diskutieren. Wir
werden die Mittel darüber haben wir schon in der gestri-
gen Ausschusssitzung diskutiert moderat aufstocken. Es
war immer ein menschliches Ziel, Grenzen zu überwin-
den. Das war auch bei den ersten Seefahrern und Raum-
fahrern so. Selbstverständlich ist die Raumfahrt auch ein
kultureller Auftrag. Wir haben die Akzente hier völlig rich-
tig gesetzt. Ich glaube, dass wir auch an diesem Punkt nicht
polemisieren sollten. Man hat früher ich habe es vorhin
gesagt in der DDR den Fliegerkosmonauten im offenen
Wagen durch die Gegend gefahren nicht? und jetzt
wollen Sie in diesem Bereich alles kürzen. Man sollte in
dieser Angelegenheit den Mittelweg beschreiten.
Jetzt kommen wir zur Attraktivität der Hochschulen.
Herr Kollege Rachel, das, was Sie im Hinblick auf die
Strukturen der letzten 150 Jahre gesagt haben, zeigt ei-
gentlich, dass Konservative schlechthin Probleme mit der
Zukunft haben. Ich habe zumindest den Verdacht Frau
Präsidentin, ich hoffe, Sie rügen mich jetzt nicht schon
wieder, wie es mir gestern passiert ist , dass Sie auch ein
wenig Probleme mit der Wahrheit haben. Es ist einfach
nicht korrekt, wie Sie das mit dem Verbot der Habi-
litation dargestellt haben. Das wissen Sie.
Herr Rachel, Sie orientieren sich an den letzten 150 Jah-
ren. Ich empfehle Ihnen: Orientieren Sie sich doch einfach
einmal an dem Leitbild Wissenschaft 2010. Es handelt
sich dabei um ein Papier, das Frau Schipanski, die einer
CDU/CSU-geführten Landesregierung angehört, vorgelegt
hat. Das, was in diesem Papier für das Jahr 2010 verlangt
wird, erledigen wir jetzt mit der Dienstrechtsreform 2001.
Schauen Sie sich dieses Papier an. Ihre Polemik wird hier
nicht weiterführen.
An Ihnen ärgert mich gelegentlich, dass Sie hier Dinge
behaupten, die schlichtweg nicht zutreffen, obwohl Ihnen
die entsprechenden Texte vorliegen. Das ist übrigens auch
gegenüber denjenigen, die zu vorgerückter Stunde noch
auf der Tribüne sitzen, unfair. Sie wissen ganz genau, dass
das, was Herr Loske gesagt hat, richtig ist.
Was heißt hier Lautstärke ersetzt nicht Qualität!? Ich
versuche, Ihnen auch zu vorgerückter Stunde die Dinge
ein wenig nahe zu bringen. Wenn mir das durch Laut-
stärke gelänge, dann wäre ich darüber froh.
Es wäre wichtig, dass Sie einmal den Gesetzentwurf lesen
und erst danach darüber reden. Wenn das geschieht, dann
hätten wir etwas erreicht.
Frau Flach, was Sie zu der Bund-Länder-Gemein-
schaftsaufgabe Hochschulen gesagt haben, verstehe ich
nicht recht. Die Zahl von 1,1 Milliarden Euro allein im
Hochschulbereich im Jahr 2002 ist sensationell. Aufgrund
der BaföG-Reform Sie wissen das doch alles; machen
Sie nicht Opposition um der Opposition willen! ist die
Anzahl der geförderten Studenten auf einem Höchststand.
Unsere Reformen im Hochschulbereich können sich alle
sehen lassen.
Natürlich haben wir nicht all das gemacht, was wir
wollten. Natürlich will ich viel mehr. Warten Sie einmal
ab! Die Bundestagswahlen nächstes Jahr werden wir ge-
winnen und dann werden wir Jahr für Jahr, wie von Be-
ginn unserer Regierungszeit an, eine gute Politik ma-
chen.
Wie gesagt, dass wir eine gute Politik gemacht haben,
können wir beweisen. Wir haben da kein Problem.
Herr Rachel, Herr Glos hat in dieser Debatte schade,
dass Herr Friedrich heute nicht da ist im Zusammenhang
mit Ausländern eine unglaubliche Stimmungsmache be-
trieben. Ich hielte es für sehr fatal und für eine ganz
schlimme Entwicklung, wenn wegen der Terroristen in
Hamburg das Ziel der Internationalisierung unserer
Hochschulen gefährdet würde.
Sie tragen eine große Verantwortung. Aufgrund dessen,
was Sie zu Herrn Schilys Entwurf gesagt haben, habe ich
zu Herrn Glos gesagt, es werde hier gehetzt, weswegen
ich vom Präsidenten gerügt wurde. Aus diesem Grunde
möchte ich meine Äußerung nicht wiederholen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich hier oben bin ganz
unschuldig.
Vielen Dank. Ich will es nicht wie-
derholen.
Ich möchte Herrn Henkel, den früheren BDI-Vorsit-
zenden er steht uns nicht so ganz nahe , zitieren.
Zu dem, was Herr Glos und Sie gestern hier abgeliefert
haben, hat Herr Henkel gesagt, er sei entsetzt und ange-
widert. Ich nehme meine Äußerung Hetze zurück;
aber ich bin mit dem ehemaligen Präsidenten des BDI im
Hinblick auf das, was Sie hier abliefern, solidarisch;
genauso wie er bin ich angewidert. Das will ich Ihnen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Jörg Tauss
18607
deutlich sagen. Mit dieser Zündelei fügen Sie dem
Wissenschaftsstandort Deutschland im Kampf um die bes-
ten Köpfe einen schweren Schaden zu. Hören Sie damit
auf!
Der dritte Punkt betrifft die Strukturreform der
Forschungseinrichtungen, die Modernisierung der wis-
senschaftlichen Infrastruktur. Wir haben die Stellen-
pläne in den Haushalten flexibilisiert. Wer hätte das ge-
dacht? Unter Finanzminister Waigel sind wir nicht
weitergekommen. Als er Finanzminister war, hatten Stel-
lenpläne sozusagen Verfassungsrang.
Mit der Dienstrechtsreform und mit Reformen der
Großforschungseinrichtungen haben wir Wesentliches
auf den Weg gebracht. Wir werden noch die Reform des
Gesetzes über Arbeitnehmererfindungen Stichwort:
Hochschullehrerprivileg auf den Weg bringen. Auf
diese Art und Weise werden wir den Hochschulen Ein-
nahmen aus Patenten, also zusätzliches Geld, vermitteln.
Das ist intelligenter als die Einführung von Studienge-
bühren. Die Forderung danach wird von Teilen Ihrer
Fraktion Herr Kollege Mayer hat sich beim letzten Mal
leidenschaftlich dafür ausgesprochen gelegentlich er-
hoben.
In dieser Woche haben wir im Ausschuss über die Ver-
besserung von ein paar Punkten diskutiert. Wir haben et-
was mehr Gewicht auf die Nachhaltigkeit gelegt. Auch
dies ist ein außerordentlich wichtiger Punkt.
Wir haben die Förderung innovativer Dienstleistun-
gen verstärkt und verbessert. Diese Programme haben Sie
aus welchen ideologischen Verbohrungen auch immer
in der Vergangenheit stets bekämpft. Dies zeigt zumindest
ein gestörtes Verhältnis zu modernen Formen des Ar-
beitslebens, lieber Herr Rachel. Aber hier werden wir die
Konturen ebenfalls verbessern.
Auf die anderen Fragen wird mein Kollege Rossmann
noch eingehen.
Ich will deswegen abschließen und der Bundesmi-
nisterin Bulmahn und dem Ministerium für die geleistete
Arbeit danken. Der Etat 2002 ist ein neues Highlight für
Bildung und Forschung in unserem Land. Wer daran he-
rummäkelt, hat diesen Haushaltsentwurf und das, was
diese rot-grüne Regierung auf den Weg gebracht hat, ent-
weder nicht gelesen oder nicht begriffen oder was noch
schlimmer wäre will es nicht begreifen. Aber ich glaube,
auch damit könnten wir leben.
Schönen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Thomas
Rachel.
Frau Präsidentin!
Liebe Kollegen! Der Kollege Tauss meinte äußern zu
müssen, dass ich die Unwahrheit gesagt hätte,
als ich von einer Diskriminierung der Habilitation ge-
sprochen habe. Ich meine, Sie sollten sich jetzt etwas
zügeln, Herr Kollege Tauss.
Faktum ist, dass die Habilitation diskriminiert wird. In
der Anhörung des Deutschen Bundestages am Montag
haben mehrere Vertreter gesagt, dass dies de facto auf ein
Habilitationsverbot hinausläuft.
Ich verweise darauf, dass die Hochschulrektorenkon-
ferenz in ihrer Stellungnahme für die Anhörung zum vor-
liegenden Gesetzentwurf gesagt hat:
Die Hochschulrektorenkonferenz lehnt die gesetz-
liche Abschaffung der Habilitation ab.
Darüber hinaus hat die Deutsche Forschungsgemein-
schaft in ihrer Stellungnahme ganz klar gesagt ich zi-
tiere Professor Winnacker :
Ich habe erhebliche Bedenken, die Juniorprofessur
als alleinige Voraussetzung für die Lebenszeit-
professur festzuschreiben.
Ebenfalls hat sich die Max-Planck-Gesellschaft ein-
deutig dagegen ausgesprochen, die Habilitation auszuhe-
beln und zu diskriminieren.
Ich bitte Sie insofern, von solchen Unterstellungen in
Zukunft Abstand zu nehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur Erwiderung Herr
Kollege Tauss, bitte.
Ich kann es kürzer machen. Die
Hochschulrektorenkonferenz lehnt das Verbot der Habili-
tation ab. Weil nicht nur die Hochschulrektorenkonferenz
es ablehnt, sondern auch andere, werden wir kein Verbot
der Habilitation vornehmen. So einfach ist das.
Es wird den Wettbewerb geben.
Die Juniorprofessur werden wir allerdings auch nicht
dadurch kaputt machen lassen, dass wir allen die Wahl-
freiheit geben. Die Juniorprofessur wird der Regelfall
werden.
Herr Rachel, ich bin bereit, Ihnen heute Abend vor dem
ganzen Publikum eine Wette über Flaschen besten Spät-
burgunders aus meinem Wahlkreis anzubieten: In den Na-
turwissenschaften werden wir über kurz oder lang er-
leben, dass die Juniorprofessur der Regelfall wird ohne
Verbot der Habilitation. Denn die Leute erkennen, dass
man so schneller wissenschaftliche Karriere macht.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Jörg Tauss
18608
Das wollen wir erreichen: dass junge Leute schneller wis-
senschaftliche Karriere machen.
Dazu brauchen wir kein Verbot der Habilitation, sondern
die Juniorprofessur und eine vernünftige Ausstattung;
auch diese haben wir vorgenommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt geht es aber in
der Debatte weiter. Die nächste Rednerin ist die Kollegin
Bärbel Sothmann für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn
Otto-Normalverbraucher nicht wirtschaften kann, wird er
zur Schuldenberatung geschickt. Wenn ein Unternehmer
nicht wirtschaften kann, dann geht er bankrott. Wenn
Bundeskanzler Schröder, Bundesfinanzminister Eichel
und Bundeswirtschaftsminister Müller das ganze Land
herunterwirtschaften,
dann ja, was passiert eigentlich dann?
Meine Damen und Herren, die Beweise für Ihre Un-
fähigkeit liegen auf dem Tisch. Die Konjunkturaussichten
werden immer schlechter. Die Wirtschaft stagniert. Die
Arbeitslosenzahlen steigen. Die Steuerreform war halb-
herzig und mutlos. Immer neue Steuern und Steuererhö-
hungen belasten Bürger und Unternehmen. Doch statt
dass Sie gegensteuern, steigen die Ausgaben im Haushalt
2002 um fast 8 Milliarden DM. Die Nettokreditaufnahme
sinkt nur minimal. In wichtigen Bereichen, vor allem bei
Investitionen, wird gespart. Die Investitionsquote sinkt
damit auf einen Negativrekord, nämlich auf 10,3 Prozent.
Das muss man sich einmal vergegenwärtigen.
Das gefährdet wiederum die Konjunktur. Die Steuerein-
nahmen werden absinken. Die Spirale dreht sich weiter
abwärts. Das bedeutet auch: Der Haushalt ist unsolide fi-
nanziert.
Das Haushaltsloch wird bis zu 12 Milliarden DM betragen.
Auch der hier vorgelegte Haushalt für Bildung und
Forschung, Herr Tauss, ist keine Antwort auf die großen
Herausforderungen, die sich uns stellen. Liebe Frau Mi-
nisterin, mit diesem Haushalt haben Sie keine politische
Durchsetzungskraft bewiesen.
Nicht nur im Bildungsbereich sind deutliche Defizite vor-
handen. Das haben wir bereits gehört; mein Kollege
Thomas Rachel hat es eingehend ausgeführt.
Gerade die Förderung von Forschung und Innovatio-
nen behandelt diese Bundesregierung entgegen ihren ei-
genen Versprechungen sehr, sehr stiefmütterlich.
Ein klares Konzept für die Ziele und Instrumente der
Forschungspolitik der Bundesregierung ist immer noch
nicht erkennbar.
Zwar steigt der Etat nach dem Entwurf um insgesamt
2,7 Prozent Herr Tauss, ich weiß, dass ich Sie mit die-
sen Worten sehr erfreue ;
doch das ist selbst den Regierungsfraktionen zu wenig.
Sie haben in der letzten Ausschusssitzung gesagt, dass Sie
eine weitere Steigerung um 72 Millionen DM durchsetzen
wollen. Können Sie sich daran erinnern?
Zwar stehen auch in diesem Jahr aufgrund der UMTS-
Zinsersparnisse Mittel in Höhe von 600 Millionen DM für
verschiedene Projekte zur Verfügung; doch bieten diese
keine Planungssicherheit. Denn was passiert mit diesen
Projekten nach 2003?
Was das betrifft, wäre ich inzwischen sehr vorsichtig.
Zwar erhalten die Großforschungseinrichtungen einen
Mittelaufwuchs von im Durchschnitt über 4 Prozent; doch
das geht zulasten der Projektförderung. Der Zuwachs bei
der Projektförderung im Forschungs- und Innovations-
bereich dies beinhaltet nicht den Bildungsbereich be-
trägt nur 1,4 Prozent.
Das ist weit unterhalb der Inflationsrate.
Welche Inflationsrate haben wir zurzeit? 2,6 Prozent.
Was hat gestern der Bundeskanzler gesagt? Wir kommen
auf 2,1 Prozent. Ich meine, die Differenz zwischen 1,4
und 2,1 Prozent ist immer noch ziemlich erheblich. Sie
betreiben damit die Abkehr von der bisherigen For-
schungspolitik, die folgende Ziele verfolgte: mehr Pro-
jektförderung und weniger Grundlagenforschung.
Die müssen Sie mir zeigen!
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Jörg Tauss
18609
Bei den Spitzentechnologien werden wir bald den in-
ternationalen Anschluss verpassen; denn unser Hightech-
kurs verlangsamt sich. Die Ausgaben für wichtige Schlüs-
seltechnologien, zum Beispiel für Produktionstechnik, für
die Herstellung neuer Materialien und auch für die Bio-
technologie, steigen das haben Sie vorhin ganz anders
dargestellt, Herr Tauss wirklich nur minimal. Das ent-
spricht nicht den Erfordernissen. Dabei ist der direkte Zu-
sammenhang zwischen Innovation, technologischem
Fortschritt und Wirtschaftswachstum doch seit langem
bekannt. Aber die Bundesregierung handelt nicht danach.
Das besondere Anliegen von Rot-Grün war immer die
stärkere Förderung der umweltgerechten, nachhaltigen
Entwicklung.
Aber ist ein neues Polarforschungsschiff dafür wirklich
der richtige Weg? Denn die Mittelsteigerung beruht fast
allein auf dieser Neuanschaffung.
In wichtigen Bereichen gehen dagegen die Investitionen
um 17 Prozent zurück.
Bei der Durchsetzung der Chancengleichheit von
Frauen in Bildung, Forschung und Lehre versagt unsere
Ministerin im eigenen Hause. Dort gibt es sage und
schreibe nur eine Frau als Abteilungsleiterin und keine
einzige Unterabteilungsleiterin.
Liebe Frau Ministerin Bulmahn, ich weiß, dass Sie sich
um die Frauen bemühen und sich sehr für deren Belange
einsetzen. Aber Sie sollten in diesem Bereich auch etwas
durchsetzen und ein bisschen mehr kämpfen.
Auch die politisch motivierte Verlagerung von
Forschungszuständigkeiten zum Wirtschaftsministe-
rium erweist sich mit der Vorlage dieses Haushalts erneut
als ein Flop: Das BMWi wird seiner neuen Rolle als Tech-
nologie- und Innovationsförderer in keiner Weise gerecht.
Denn die Ausgaben der Wirtschaft für Forschung und Ent-
wicklung in Deutschland sind im internationalen Ver-
gleich nach wie vor zu gering.
Aber unserer Forschungsministerin fehlt ganz offenbar
die politische Kraft, diese Verlagerung, diese Fehlent-
scheidung rückgängig zu machen.
Die drastischen Kürzungen im Haushalt des Wirt-
schaftsministers auf dem Gebiet der Energieforschung
sind alarmierend. Das haben wir hier heute schon an an-
derer Stelle gehört. Bezeichnend ist, dass gerade die Mit-
tel zur Erforschung, Entwicklung und Markteinführung
erneuerbarer und umweltschonender Energien und zur
Förderung rationeller Energienutzung um insgesamt
27 Prozent gekürzt werden.
Sie liegen damit unter der Förderung von 1998. Das führt
zu einem eklatanten Know-how-Verlust. Daher muss man
die Frage stellen: Was ist eigentlich mit den Einnahmen
aus der Ökosteuer passiert, die hier eingesetzt werden
sollten?
Ja, richtig, sie sind weg.
Wie wollen Sie auf diese Art Ihr Ziel erreichen, den An-
teil der erneuerbaren Energien bis 2010 zu verdoppeln?
Sie werden das Ziel so jedenfalls nicht erreichen.
Bereits in diesem Jahr gab es eine plötzliche Mittel-
kürzung zum Beispiel für den Bau von Solar- und Biogas-
anlagen um fast ein Drittel. Auch das klang schon heute
Vormittag in der Debatte an.
Ich bin auch nicht, damit wir uns da nicht falsch ver-
stehen, für die Zementierung von Subventionen.
Aber Verabredungen, Herr Tauss, muss man einfach ein-
halten.
Jetzt fehlt nämlich für die betroffenen Unternehmen jeg-
liche Planungssicherheit.
Ich finde dieses Handeln unverantwortlich, denn es hat
ganz drastische Folgen. Ich habe dies in meinem Wahl-
kreis beim Besuch eines Unternehmens, das sich auf So-
lartechnik spezialisiert hat, erfahren. Sie glauben gar
nicht, wie schwierig die Situation für diese Unternehmen
ist.
Außerdem: Was bedeutet das aktuelle Versprechen des
Bundeskanzlers, die deutsche Luft- und Raumfahrt zu
stärken, wenn zeitgleich die Ausgaben für die nationale
Weltraumforschung stagnieren und die für die Luftfahrt-
forschung sinken?
Nicht genug damit, dass diese Bundesregierung die
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die mittelstän-
dischen Unternehmen immer weiter verschlechtert;
vergessen Sie doch bitte nicht, dass diese Unternehmen
den Großteil ihrer Forschung und Entwicklung selbst fi-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Bärbel Sothmann
18610
nanzieren und damit die meisten Arbeitsplätze in unserem
Land schaffen.
Aber gerade hier kürzen Sie die staatlichen Fördermittel
für mittelstandsbezogene Forschungs- und Entwicklungs-
projekte um rund 5 Prozent. Die Arbeitsgemeinschaft
industrieller Forschungsvereinigungen, in der 13 000 mit-
telständische Unternehmen zusammengeschlossen sind,
kritisiert das ganz massiv. Die Kürzungen betreffen vor
allem die Programme zur Förderung der Forschungs-
zusammenarbeit, der Innovationskompetenz und der in-
dustriellen Gemeinschaftsforschung sowie die FuE-För-
derung in den neuen Bundesländern.
Meine Damen und Herren, nach 2003, das heißt nach
Auslaufen der UMTS-Mittel von insgesamt 150 Milli-
onen DM für die Förderung von Wachstumskernen in den
neuen Bundesländern im Forschungshaushalt, wird sich
die Situation dort zusätzlich verschlechtern. Das ist ein
deutlicher Einbruch. Das bedroht die Innovationsdyna-
mik, besonders in den neuen Bundesländern, wo sich jetzt
der Aufschwung langsam abzeichnet. Auch die Studie des
DIW, die Sie sicherlich kennen, kommt zu dem Schluss,
dass die ostdeutsche Industrieforschung noch auf lange
Sicht unterstützt werden muss.
Die Kürzungen in diesem Bereich sind also wirklich ab-
surd und gefährden unseren Wirtschaftsstandort.
Von der Forschung, Einzelplan 30 und ein Teil Einzel-
plan 09, soweit er uns hier betrifft.
Alle diese Beispiele beweisen eindeutig: Weder die
Forschungsministerin noch der Wirtschaftsminister kön-
nen eine ausreichende Innovationsförderung in unserem
Land und damit unsere internationale Konkurrenzfähig-
keit gewährleisten.
Ich weiß, dass Sie das nicht gerne hören, aber es ist leider
so.
Wir fordern deshalb innovationsfreundliche wirtschaft-
liche Rahmenbedingungen und deutliche Korrekturen des
Haushaltsentwurfs zugunsten von Forschung und Innova-
tionen. Wir fordern insbesondere die Rücknahme der Kür-
zungen im Bereich erneuerbare Energien und rationelle
Energienutzung und endlich ein umfassendes Energiefor-
schungsprogramm. Wir fordern einen stärkeren Mittelauf-
wuchs für die Schlüsseltechnologien der Zukunft. Wir for-
dern eine Erhöhung der FuE-Förderung für die industrielle
Gemeinschaftsforschung um mindestens 4 Prozent wie bei
den Großforschungseinrichtungen. In dieses Forschungs-
netzwerk sind das muss man wissen über 50 000 Un-
ternehmen eingebunden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin
Sothmann, es gibt eine Frage des Kollegen Tauss. Lassen
Sie sie zu?
Nein, ich möchte
meine Rede zu Ende bringen. Ich bin gleich fertig.
Wir fordern verlässliche, langfristige, kalkulierbare
und sachgerecht koordinierte Mittelzuweisungen für die
Projektförderung ohne Haushaltssprünge und politisch
motivierte ineffiziente Miniförderprogramme. Wie lange
sollen wir eigentlich noch auf das mehrfach angemahnte
Gesamtkonzept der Bundesregierung zur Innovationsför-
derung kleiner und mittelständischer Unternehmen und
auf die von ihr selbst angekündigte Innovationspolitik aus
einem Guss warten?
Wir fordern auch einen vernünftigen Ablauf der ge-
planten Strukturreformen in der deutschen Forschungs-
landschaft und wir fordern die Bundesministerin, Frau
Bulmahn, auf, sich die Kompetenzen für die Tech-
nologieförderung aus dem Wirtschaftsressort zurückzu-
holen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin
Sothmann, jetzt muss ich Sie wirklich bremsen; denn Ihre
Redezeit ist bereits abgelaufen.
Dafür müssen Sie,
Frau Bulmahn, kämpfen; denn für ein hohes Niveau und
eine hohe Effizienz muss die Förderung von Forschung
und Innovation in einer Hand liegen.
Ich danke Ihnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht für die
SPD-Fraktion der Kollege Ernst Dieter Rossmann.
Sehr geehrte
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Haushaltsberatungen sind die Stunde des Parlaments. Ich
möchte mich deshalb durchaus mit den Anträgen der
verschiedenen Oppositionsparteien auseinander setzen.
Ich darf mich der PDS zuwenden. Frau Böttcher, Ihr
Haushaltsantrag enthält immerhin einen Haushaltsaus-
gleich. Bei Ihren Bemerkungen haben Sie vor allem kriti-
siert, dass diese Regierung besonders viel im Bereich der
Bio- und Gentechnologie täte. Nun, wo nichts ist, muss
viel aufwachsen. Deshalb setzen wir dort sicherlich eine
der Prioritäten. Wenn Sie aber die Haushaltsansätze fair
bewerten und sich die ganze Breite der Forschungspolitik
ansehen, dann wissen Sie, um nur ein paar Beispiele zu
nennen, dass die Verkehrsforschung, wenn sie auf dem
jetzigen, relativ hohen Niveau bleibt, ganz neue Chancen
eröffnet, weil sie sich nicht mehr ausschließlich auf den
Transrapid konzentriert.
Sie wissen dann auch, dass erstmals eine Bau- und Woh-
nungsforschung, die eine angemessene Summe zur Ver-
fügung hat, eingeführt wird und dass wir die Umwelt-
forschung um über 20 Prozent steigern.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Bärbel Sothmann
18611
Sie fragen nach der Strategie. Wenn Sie sich die ge-
nannten Maßnahmen anschauen, erkennen Sie, dass die
Regierung damit die Balance über alle Bereiche hinweg
herstellt. Dies geschieht nicht nur über die großen
Haushaltsansätze, sondern auch im Detail. Man kann zum
Beispiel bei der Gesundheitsforschung nachfragen, ob
dort angemessen auf die zukünftigen Anforderungen rea-
giert wird. Wir meinen ja. Deshalb gibt es ja nicht nur
um ein Beispiel zu nennen neue Initiativen für den Be-
reich der Schmerzforschung, sondern auch in einem so
kleinen Bereich wie der Pflegeforschung. Sie sind ja red-
lich genug, zuzugeben, dass dafür ein Sonderprogramm
aufgelegt worden ist.
Ihre Kritik bekräftigt, dass diese Regierung eine Ba-
lance in der Breite, die in einer Gesellschaft, die in einer
Volkswirtschaft gebraucht wird, herbeigeführt hat und die
Forschung, die sich auf einem sehr hohem Niveau befin-
det, weiter stimuliert, um dieses Niveau noch weiter zu
steigern.
Ich komme zu meiner zweiten Bemerkung: Sie haben
anklingen lassen, dass die neuen Bundesländer zu wenig
berücksichtigt würden. Ich denke, es gebietet die Fairness
auch, weil wir hier Publikum haben , zu sagen, dass die
Regierung im Ausschuss eine breite Anerkennung für
Inno-Regio ein sehr gut angenommenes und erfolgrei-
ches Programm
und für die Wachstumskerne in den neuen Bundesländern
erhalten hat. Es freut uns, dass Ihre Partei das anerkennt.
Wir können sagen: Über 3 Milliarden DM aus dem
Haushalt für Bildung und Forschung gehen in die neuen
Bundesländer. Das ist keine kleine Summe.
Wir meinen deshalb, dass die PDS durchaus nicht nach-
lassen sollte, uns mit kritischen Fragen in eine noch bes-
sere Balance zu bringen, obwohl diese Balance eigentlich
schon sehr gut ist.
An die CDU/CSU gerichtet: Frau Sothmann, uns hat es
gewundert, dass Sie hier nicht in erster Linie über den
Haushalt der Bildungs- und Forschungsministerin ge-
sprochen haben, sondern über andere Haushalte. Das
spricht eher dafür, dass Sie diesen Haushalt in sich als gut,
sehr gut ansehen.
Sie sind zumindest so konsequent, dass sich dies auch in
Ihren Anträgen ausdrückt, denn das sind eher oppositi-
onsübliche Anträge. Bei den Forschungsprogrammen, die
wir an den Fachhochschulen eingeführt haben und för-
dern, legen Sie noch etwas drauf. Beim internationalen
Stipendiatenwesen, wofür wir die Mittel vervielfacht ha-
ben, legen Sie noch etwas obendrauf, um nur zwei Bei-
spiele zu nennen.
Ihr größter Antrag neben dem zum Hochschulbau
bezieht sich auf die Stiftung Bildungstest. Sie wollen in
fünf Jahren 250 Millionen DM als Stiftungskapital mobi-
lisieren. Ich sage Ihnen ehrlich: Wir prüfen auch ganz
intensiv, ob man mit einer solchen Stiftung den Weiterbil-
dungsbereich, dessen Förderung sich bei dieser Regie-
rung im Übrigen auf 200 Millionen DM verdoppelt hat,
optimieren kann.
Aber ich möchte die Frage an Sie zurückgeben: Wel-
che geistige Konsistenz gibt es zwischen Ihren Anträgen
und dem, was Sie haushaltsmäßig fordern? In der letzten
Sitzung des Bildungsausschusses mussten wir von Ihrem
Sprecher hören, dass die Zukunft durch das informelle
Lernen bestimmt werde. Aber Ihre Stiftung Bildungstest
soll vor allen Dingen die Qualität von institutionellen An-
geboten prüfen. Dürfen wir zurückfragen, ob es nicht
auch ein Widerspruch sein kann, das institutionelle Ler-
nen, das Lernen in Gruppen für überständig, für ver-
braucht zu erklären und gleichzeitig eine Stiftung einzu-
richten, die dies noch optimieren soll? Wir finden, dass
der Opposition, der CDU, mehr Präzision in ihren Kon-
zepten und auch mehr Zuhören im Ausschuss angestan-
den hätte.
Denn das Wachstum der Projektfördermittel um über
4
Rede von: Unbekanntinfo_outline
In Bezug auf die For-
schung wachsen diese Mittel um über 16 Prozent, nicht
um 1,2 Prozent oder anderes. Sie haben dies offensicht-
lich nicht aufgenommen.
Die Situation ist auch evident, wenn man sich die Stei-
gerungsraten im Haushalt anschaut, wo seit 1998 über
2 Milliarden DM an Haushaltsmitteln dazugekommen
sind. Hier gibt es einen Aufwuchs an Programmansätzen,
der von 20 oder 30 Prozent bis zu 100 Prozent reicht. Das
hat alles einen Niederschlag in entsprechenden Projekt-
fördermitteln gefunden.
Sie sagen das klang auch bei der FDP durch , dass
sich die Erfolge noch nicht zeigen. Ich werbe sehr dafür,
dass wir uns gerade in der Bildungspolitik und in der For-
schungspolitik von dem Glauben verabschieden, man
müsse nur den Schalter umdrehen und schon sei der Er-
folg da. Das sind vielmehr Strukturen, die sich kontinu-
ierlich aufbauen. Wir wissen doch alle zusammen, dass es
lange dauert, bis sich bestimmte Bildungsdispositionen
von Menschen ändern, bis sich bestimmte Institutionen zu
voller Leistungsfähigkeit entwickelt haben. Entsprechend
ist es auch hier: Fortschritt braucht Zeit.
An dieser Stelle könnten wir gleichwohl über die Er-
folge sprechen, die sich schon eingestellt haben. Wir den-
ken hier an den Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit, wir
denken an das Wachstum in der ganzen Bio- und Gen-
technologie. Aber wir wissen natürlich auch, dass andere
Strukturen länger brauchen.
Das ist zumindest aus der Erfahrung mit den neuen
Bundesländern offensichtlich. Frau Sothmann, Sie haben
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Dr. Ernst Dieter Rossmann
18612
auch gesagt, dass sich in den neuen Bundesländern
schon so viel entwickelt hat. Können wir dann nicht zu-
sammen feststellen, dass sich dies auch durch eine konti-
nuierliche Politik entwickelt hat und dass Inno-Regio und
Wachstumskerne sowie insbesondere Forschungs- und
Wirtschaftsförderung in dieser Kombination dazu beige-
tragen haben?
Wenn dort aber etwas in Bewegung gekommen ist,
kommt auch der Punkt, an dem sich der Staat aus der För-
derung verabschieden kann. Wenn wir die Förderung im-
mer weiter fortführten, würden wir von CDU und FDP
dafür kritisiert werden und zu hören bekommen: Dauer-
subventionen wollen wir nicht, das ist doch veralteter So-
zialismus, wie wir ihn in Deutschland mit einer schlech-
ten Struktur hatten.
Deshalb ist es in Ordnung, wenn Programme befristet
sind, wenn man klar sagt, dass wir etwas anschieben wol-
len, das dann von selbst laufen soll. Uns hat deshalb ins-
besondere auch gewundert, dass Sie jetzt schon darüber
reden, was im Jahr 2003 alles fehlt. Wir sind jetzt im Jahr
2001. Es geht auch bei der Verwendung der UMTS-Mil-
liarden um das erste Jahr. Zwei Jahre kommen noch.
In diesen Jahren entwickelt sich doch auch etwas, weil
diese Regierung so viele Mittel hierfür bereitgestellt hat.
Wir empfinden es schon fast als Ausflucht, dass Sie jetzt
über das reden, was im Jahr 2004 ansteht, weil Sie nicht
darüber reden wollen, was im Jahr 2001 gemacht wird.
Ein Wort zur FDP: Sie sind in der geringsten Beset-
zung hier, spucken aber die größten Töne, wenn ich das so
sagen darf.
1,7 Milliarden DM mehr möchte die FDP freihändig mo-
bilisieren. Man tut der CDU sicherlich kein Unrecht sie
hat immer in Treue fest zur FDP gestanden , wenn man
sagt, dass dies selbst ihr zu viel war. Selbst Sie als CDU
fanden es unangemessen, dass die FDP frei von jeder Bin-
dung an Realitäten in Haushalten, in den Ländern und
Kommunen und der Situation an den Hochschulen ein-
fach sagt: Wir sprengen dies alles. Fast schon von dem
Wahlziel 18 Prozent besoffen, fordert sie auch beim Bil-
dungshaushalt mal eben 20 oder 30 Prozent mehr.
Ich möchte Ihnen deshalb mich hat das gestern bei
Herrn Westerwelle sehr stark beeindruckt dessen rheto-
rische Figur entgegenhalten: Herr Westerwelle wollte sich
zwischen SPD und Grüne drängen, indem er immer das
Wollen und Können in einer Koalition thematisiert hat.
Wir sagen Ihnen: Sie haben keine große BAföG-Reform
gewollt und auch keine gekonnt. Das haben wir, SPD und
Grüne, gemacht.
Sie haben kein großes Meister-BAföG gewollt und auch
nicht gekonnt.
Das machen wir. Sie haben die Dienstrechtsreform nicht
gewollt und nicht gekonnt. Das machen wir. In Bezug auf
den Haushalt haben Sie eines gekonnt und auch gewollt:
Sie haben nämlich den Haushalt um 800 Millionen DM
gekürzt. SPD und Grüne können und wollen diesen Haus-
halt deutlich steigern, nämlich um 2 Milliarden DM. Von
daher machen uns diese 1,7 Milliarden DM wirklich keine
große Angst.
Noch weniger machen uns aber um dies als Aperçu zu
bringen Ihre detaillierten Haushaltsanträge Angst. Beim
Inno-Regio fordern Sie 25 Millionen DM mehr, weil die
Mittel angeblich nicht übertragen werden können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Rossmann,
für die Details bleibt jetzt nicht mehr viel Zeit; denn Ihre
Redezeit ist leider schon abgelaufen.
Deshalb gönne
ich mir nur noch diese zwei Aperçus.
Sie haben nicht im Haushalt gelesen, dass dort die
Übertragbarkeit dick und fett steht. Bei der Stammzellen-
forschung fordern Sie uns im Text auf, 767 Millionen DM
zusätzlich zur Verfügung zu stellen. In Zahlen sind dies
nur 0,767 Millionen DM. Lesen Sie eigentlich Ihre eige-
nen Vorlagen? Wie sollen wir damit umgehen?
Zum guten Schluss: Diese Regierung zeigt in der poli-
tischen Ideenfindung und Finanzierung, dass sie immer
etwas zusammenhält. Sie hält zusammen, Bildung für
Akademiker und Berufsbildung und wissenschaftliche
Exzellenz zu fördern. Sie hält sie zusammen, Wissen-
schaft in Wachstumsbereichen und in traditionellen Be-
reichen zu fördern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Rossmann, jetzt muss ich Sie aber wirklich bitten, zum
Ende zu kommen.
Entschuldigen
Sie, Frau Präsidentin.
Vor allen Dingen hält sie zusammen, dass es mehr Geld
und mehr Ideen für Bildung und Forschung gibt. Beides
hat bei Ihnen leider gefehlt.
Danke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt hat der Kollege
Hans-Josef Fell für die Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen das Wort.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Dr. Ernst Dieter Rossmann
18613
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe
Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Tribüne zu später
Stunde!
Frau Sothmann, wer im Schuldenglashaus der alten
Regierung saß, sollte nicht mit solchen Steinen werfen,
wie Sie das getan haben. Immerhin hat diese Regierung
die Nettoneuverschuldung
die Sie zum Schluss auf 80 Milliarden DM anwachsen
ließen, in diesem Haushalt auf 20 Milliarden Euro ge-
senkt.
Das ist eine hervorragende Leistung.
Die Wahlversprechen von Bündnis 90/Die Grünen
werden eingehalten. Wir in der Bundestagsfraktion hatten
uns für eine Erhöhung der Mittel für Bildung und For-
schung um mindestens 2 Milliarden DM ausgesprochen.
Dieses Versprechen haben wir längst eingehalten.
Erlauben Sie mir noch einen kurzen Blick zurück:
1998, im letzten schwarz-gelben Regierungshaushalts-
plan, gab das BMBF 10 Milliarden DM für die Forschung
aus. Dies entsprach dem Betrag von 1993. Das war eine
Stagnation über fünf Jahre.
Vier Jahre und einen Regierungswechsel später werden
die Forschungsmittel unter Rot-Grün nun bei über 12 Mil-
liarden DM liegen. Hinzu kommen natürlich die Mittel in
Höhe von fast 1 Milliarde DM, die seit dem Regie-
rungswechsel im Bundeswirtschaftsministerium liegen.
Auf die Schwierigkeiten dabei gehe ich noch ein.
Die Bildungsmittel, Frau Böttcher, stiegen im gleichen
Zeitraum sogar um 24 Prozent auf fast 5,5 Milliarden DM.
Das, und nicht Ihre Aussage, ist die Wahrheit. Ich gebe zu:
Die FDP hat einen noch stärkeren Aufwuchs gefordert:
Die Summe sollte bei mehr als 10 Prozent des jetzigen
Haushaltsentwurfs liegen. Eigentlich hätten Sie natürlich
schon von 1979 bis 1998 genug Zeit dafür gehabt. Schade
finde ich aber, dass Ihr Gegenvorschlag zur Finanzierung
unseriös ist. Ich hätte das Frau Flach sie hat sich bei mir
persönlich für ihre Abwesenheit entschuldigt sehr gerne
selber gesagt;
denn den Vorschlag mit den Kohlesubventionen müssen
wir einmal näher beleuchten. Der FDP-Wirtschaftsminis-
ter der letzten Regierung hat die Kohlesubventionen ver-
traglich festgelegt.
Jetzt kommen Sie daher und sagen, wir von Rot-Grün
sollten Ihre Verträge brechen, indem wir die Kohlesub-
ventionen ablösen, um mehr Bildung zu finanzieren. Das
geht mir nicht in den Sinn; das ist schlichtweg unseriös.
Daher gehen wir unseren Weg weiter und lassen uns
von der Opposition durch solche Luftschlösser à la FDP
nicht irremachen. Wir werden weiterhin die Mittel für
Bildung und Forschung erhöhen, obwohl wir eine Sen-
kung der Schuldenaufnahme leisten ganz im Gegensatz
zu Ihrer Regierung.
Angesichts der weltpolitischen Lage möchte ich auch
unsere Anstrengungen für die Friedensforschung her-
vorheben. Es wurde bereits von mehreren Rednern die
Neugründung der Friedensstiftung genannt. Ich möchte
noch etwas anfügen: Seit dem 11. September so wurde
es hier auch vielfach dargestellt hat sich die weltpoliti-
sche Lage von Grund auf geändert. Die Bundesregierung
hat bereits reagiert und
stellt 3 Milliarden DM zur Terrorbekämpfung bereit. Ei-
nen Teil dieser Summe wollen wir von unserer Fraktion
auch der Friedensforschung zugute kommen lassen. Ich
schlage vor, dass wir in den nächsten vier Jahren insge-
samt 100 Millionen DM zusätzlich in die anwendungs-
orientierte Friedensforschung fließen lassen. Im Vorder-
grund sollten Konzepte für die Krisenprävention und die
Krisenlösung stehen.
Insgesamt gab es, Frau Böttcher, in den letzten Jahren
sehr wohl einen Zuwachs bei den Mitteln für die sozial-
ökologische Forschung. Deutliche Zuwächse haben wir
zum Beispiel in der letzten Ausschusssitzung beschlos-
sen. Da wundert es mich, dass Frau Sothmann in diesem
Bereich etwas anmahnt, die Anträge von uns aber abge-
lehnt hat. Wir haben beispielsweise beschlossen, 10 Mil-
lionen DM mehr für die Nachhaltigkeitsforschung, 6 Mil-
lionen DM mehr für die Grundlagenforschung bei der
energetischen Nutzung von Biomasse, 4 Millionen DM
mehr für umweltverträgliche Mobilität und 3 Millionen
DM mehr für die Null-Emissions-Stadt bereitzustellen.
Sie haben das alles abgelehnt; deswegen wundert es mich,
dass Sie diese Technologien so stark herausheben.
Ich möchte noch ein Beispiel anführen, das den Unter-
schied zwischen Regierung und neuer Regierung ver-
deutlicht. Sie haben die Kürzung der Mittel für die
Markteinführung erneuerbarer Energien kritisiert.
Soll ich Ihnen einmal sagen, wie Ihr einziges entspre-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 200118614
chendes Programm Markteinführung erneuerbare Ener-
gien 1998 ausgestattet war? Mit 20 Millionen DM! Wir
haben für die verschiedenen, jetzt neu aufgelegten Markt-
einführungsprogramme über 500 Millionen DM einge-
stellt. Das ist die Wahrheit über die Einführung erneuer-
barer Energien durch Rot-Grün.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Fell, ich
muss auch Sie an die Redezeit erinnern.
Ich
teile allerdings Ihre Kritik am Haushaltsentwurf für das
Bundeswirtschaftsministerium. Die Kürzung der Mittel
für Energieforschung, die dort beschlossen werden soll,
wollen wir nicht mittragen.
Wir werden mit unserer Fraktion daran arbeiten, dass
diese Kürzungen rückgängig gemacht werden.
Aufgrund der Kürze der Zeit, die mir noch oder ei-
gentlich nicht mehr verbleibt
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wirklich nicht mehr.
Ich war schon relativ großzügig, aber Ihre Redezeit ist
wirklich abgelaufen.
Da-
her, Frau Präsidentin, werde ich meine Ausführungen zu
den wirklich großen Schwerpunkten in der Bildungspoli-
tik nicht mehr machen können. Frau Ministerin Bulmahn,
Reinhard Loske und auch andere Redner haben diese Be-
reiche bereits herausgehoben.
Ich will zum Abschluss nur noch sagen: Der Unter-
schied in der Bildungs- und Forschungspolitik zwischen
Rot-Grün und Ihnen ist:
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Fell, es
gibt keine zusätzliche Redezeit für die Koalition. Es
kommt auch noch ein Redner nach Ihnen.
Wir
reden nicht nur, wir handeln auch.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Als letztem Redner in
dieser Debatte erteile ich dem Kollegen Peter Enders das
Wort. Ich bitte ihn um die Einhaltung der Redezeit.
Verehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lassen Sie mich
noch ein paar Worte zum Hochschuldienstrecht sagen.
Wir packen diese Reform es wurde bereits angespro-
chen an. Nach der vorgelegten Konstruktion überlassen
wir es den Ländern, ob sie beamtete oder angestellte Pro-
fessoren einstellen. Dies sollte hier entsprechend ge-
würdigt werden.
Lassen Sie mich ein paar Grundsätze, die in den Aus-
schussberatungen noch vertieft zu behandeln sind, fest-
halten:
Erste Bemerkung: Wir haben zunächst den Juniorpro-
fessor als Beamten auf Zeit. Dies ist ein Instrumentarium,
das es schon immer gegeben hat. Insoweit wird es keine
Probleme geben. Des Weiteren wird es auf dem Weg zur
Professur Seiteneinsteiger geben; auch das ist nach dem
Beamtenrecht möglich. Insofern sehe ich auch hier keine
Probleme auf uns zukommen.
Herr Rachel sagte vorhin, die Abschaffung der Habili-
tation sei verfassungswidrig. Über diesen Punkt müssen
wir uns im Detail unterhalten, aber ich glaube das nicht.
Warten wir erst einmal ab. Ich sage Ihnen jetzt schon:
Das ist nicht verfassungswidrig und ich sehe dem Aus-
gang eines möglichen Verfahrens in Karlsruhe gelassen
entgegen.
Zweite Bemerkung: Der Gesetzentwurf sieht ein Sys-
tem von Grundbezügen und variablen Leistungsbezügen
vor. Dieser Schritt führt in die richtige Richtung. Wir ha-
ben bereits 1997 versucht, diesen Weg zu gehen, indem
wir dem Vorhaben der alten Regierung, im Rahmen der
Dienstrechtsreform Leistungszulagen einzuführen, zuge-
stimmt haben. Auf diesem Weg gehen wir konsequent
voran. Die W-Besoldung ist insofern etwas Besonderes,
als es um Forschung und Nachwuchsförderung geht. Sie
ist nur bedingt in der Lehre mit der Besoldung für Lehrer,
die in der A-Besoldung sind, zu vergleichen. Auch damit
gehen wir in die richtige Richtung.
Dritte Bemerkung: Im Gesetzentwurf ist hinsichtlich
der Bewertung von Leistungen sehr umfangreich auf die
Länder verwiesen worden. Die Länder werden mit diesem
Spielraum in Bezug auf Vergabeverfahren, Kompetenzen
und Vergabekriterien mit Sicherheit sehr verantwortungs-
bewusst umgehen. In verfassungsmäßiger Hinsicht das
ist sehr wichtig und wird auch den Innenausschuss be-
schäftigen sehe ich im Zusammenhang mit Art. 5
Grundgesetz, der Freiheit von Wissenschaft, bei der ge-
planten Evaluierung überhaupt keine Probleme. Auch hier
können Verfahren gefunden werden, die im Einklang mit
dem Grundgesetz stehen.
Vierte Bemerkung: Ich will noch ein paar Worte zu den
Besoldungsgruppen sagen. Es ist richtig, dass man ab-
gesehen von der Juniorprofessur, die eine Besoldungs-
gruppe umfasst die Zahl der Besoldungsgruppen von
bisher drei, C 2 bis C 4, auf nunmehr zwei, W 2 und W 3,
zusammenstreicht. Ich könnte mir in diesem Punkt eine
noch größere Reduzierung vorstellen, aber das sehe ich
nur als Angebot an die Länder. Lassen Sie mich aber ei-
nes sagen: Zum ersten Mal haben wir die Chance das ist
ein riesiger Fortschritt , die Fachhochschulen in ihrer Be-
deutung den Universitäten gleichzustellen. Bisher werden
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 190. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2001
Hans-Josef Fell
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die Fachhochschulen meines Erachtens leider Gottes bei
der Besoldung unterbewertet.
Fünfte Bemerkung: Es ist vorgesehen, dass die bishe-
rige Obergrenze von B 10 für Berufungs- und Bleibever-
handlungen wegfallen soll. Im Vorfeld gab es Kritik,
durch den Zuwachs bei der Besoldung für Spitzenleute
könnte anderen etwas genommen werden. Dies ist rein
rechnerisch so nicht richtig, denn die im Gesetzentwurf
vorgesehene Steigerungsgrenze liegt bei 2 Prozent des
Gesamtvolumens. Das bedeutet schlicht und ergreifend,
dass rund 80 Millionen DM zur Verfügung stehen. Mit
dieser Summe lassen sich eine ganze Menge Spitzenleute
finanzieren.
Insoweit ist sowohl den Spitzenleuten als auch den sons-
tigen Professoren gedient. Aus diesem Grunde hält der
Gesetzentwurf der Kritik stand.
Ich weise außerdem auf eine Besonderheit hin wir ha-
ben das bisher noch nicht gehabt, aber ich muss es sehr lo-
ben : In den Gesetzentwurf wurde eine Vorschrift aufge-
nommen, die es verhindert, dass auf Länderebene ein
Gesetz zum Spargesetz gemacht wird. Das ist eine relativ
komplizierte Vorschrift; sie enthält aber das, was im Be-
amtenbereich möglich ist.
Eine letzte Bemerkung: Die Ruhegehaltsfähigkeit
wurde vorhin schon angesprochen. Hierzu liegen ein Ent-
wurf der Bundesregierung und die Äußerung des Bundes-
rates vor. Die Bundesregierung hat in ihrer Gegenäuße-
rung darauf hingewiesen, dass sie dem entgegenkommen
wird. In der Tat haben wir hierzu im Innenausschuss noch
Beratungsbedarf. Ich glaube aber, dass der Grundsatz, bei
der Berechnung des Ruhegehalts von den letzten Bezügen
auszugehen, mit der Verfassung übereinstimmt. Ihre
Schwarzmalerei, nämlich dass dann lediglich kurz vor
Eintritt in den Ruhestand und nicht schon vorher die
großen Forschungsleistungen erbracht werden, entspricht
einfach nicht der Lebenswirklichkeit.
Abschließend möchte ich sagen: Der Gesetzentwurf ist
rundherum gelungen. Möglicherweise wird es, wie immer
bei parlamentarischen Beratungen, die eine oder andere
Änderung geben. Die Bundesregierung ist aber mit die-
sem Gesetzentwurf das kann ich sagen auf dem rich-
tigen Weg.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/6800 und 14/6801 sowie auf den
Drucksachen 14/6853, 14/6852 und 14/6629 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Ich sehe Einverständnis im ganzen Hause. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 10. Oktober 2001, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.