Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Auf der Tribüne hat soeben Parlamentspräsident
Radi aus Marokko mit seiner Delegation Platz genom-
men. Wir begrüßen Sie sehr herzlich.
Wir hoffen, dass Sie einen aufschlussreichen, wenn auch
kurzen Eindruck unserer parlamentarischen Arbeit ge-
winnen können. Für Ihren Aufenthalt heute in unserem
Hause kurz vor Ihrer Rückreise und für Ihr weiteres
parlamentarisches Wirken begleiten Sie unsere besten
Wünsche.
Zunächst möchte ich dem Kollegen Robert Leidinger,
der am 3. Juli seinen 60. Geburtstag feierte, sowie dem
Kollegen Wolfgang Zeitlmann, der heute seinen 60. Ge-
burtstag feiert, die besten Glückwünsche des Hauses aus-
sprechen.
Sodann teile ich mit, dass über die Beratung des Ta-
gesordnungspunktes 6 embryonale Stammzellen , der
in der gedruckten Tagesordnung noch mit einer Fußnote
versehen ist, Einvernehmen erzielt wurde.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen
vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Flach,
Cornelia Pieper, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der F.D.P.: Ressortforschung über-
prüfen Effizienz der Forschung steigern Drucksache
14/5329
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, der
CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ein-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung
des Wahlstatistikgesetzes Drucksache 14/6538
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Übereinkommen Nr. 182 der Internationalen
Arbeitsorganisation vom 17. Juni 1999 über das Verbot
und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der
schlimmsten Formen der Kinderarbeit Drucksache
14/6107
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ar-
beit und Sozialordnung Drucksache
14/6574
Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Weiß
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-
Ostrowski, Heidemarie Ehlert, Dr. Barbara Höll, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Vorlage einer Ver-
ordnung zur Umsetzung des § 6 a des Zweiten Gesetzes
zur Änderung des Altschuldenhilfe-Gesetzes Drucksa-
chen 14/4399, 14/4692
Berichterstattung:
Abgeordneter Norbert Otto
c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschus-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sammelübersicht 285 zu Petitionen
Drucksache 14/6556
d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschus-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sammelübersicht 286 zu Petitionen
Drucksache 14/6557
e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschus-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sammelübersicht 287 zu Petitionen
Drucksache 14/6558
f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses
: Sammelübersicht 288 zu Petitionen
Drucksache 14/6559
g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschus-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sammelübersicht 289 zu Petitionen
Drucksache 14/6560
17865
182. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Beginn: 9.00 Uhr
h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschus-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sammelübersicht 290 zu Petitionen
Drucksache 14/6561
i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses
: Sammelübersicht 291 zu Petitionen
Drucksache 14/6562
4. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Haltung der Bundesregierung zur steigenden Arbeitslosig-
keit im vierten Monat in Folge
5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger,
Marita Sehn, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der F.D.P.: Initiative Deutschlands für einen Durch-
bruch beim internationalen Klimaschutz Drucksache
14/6547
6. Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter,
Dr. Winfried Wolf, Rolf Kutzmutz, Ursula Lötzer und der Frak-
tion der PDS: Klimapolitik international und national auf
eine neue Grundlage stellen Drucksache 14/6570
7. Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN: Für eine sorgfältige und umfas-
sende Prüfung des Imports und der Forschung mit em-
bryonalen Stammzellen Drucksache 14/6551
8. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia
Pieper, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der F.D.P.: Kein Verbot und kein Memorandum für den
Import embryonaler Stammzellen Drucksache 14/6550
9. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-
Gerhard Jüttemann, Rolf Kutzmutz, weiterer Abgeordneter und
Fraktion der PDS: Maßnahme-Programm zum wohnungs-
wirtschaftlichen Strukturwandel in den neuen Ländern
vorlegen Drucksachen 14/6051, 14/6565
Berichterstattung:
Abgeordneter Norbert Otto
10. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia
Pieper, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der F.D.P.: 6. Forschungsrahmenprogramm 20022006
Transparenter und unbürokratischer gestalten
KMU besser einbeziehen Europäische Energiefor-
schung weiter ausbauen Drucksache 14/6549
11. Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach
Art. 77 des Grundgesetzes zu dem
Gesetz zur Organisationsreform in der landwirtschaft-
lichen Sozialversicherung Drucksachen
14/5314, 14/5928, 14/6177, 14/6495, 14/6545
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Brandner
12. Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU,
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.: Effizi-
enz in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung verbes-
sern Versichertennähe stärken Drucksache 14/6585
13. Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Aktuelle Ent-
wicklung in Südosteuropa und Lage in Mazedonien
14. Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Heinrich L.
Kolb, Hildebrecht Braun , Rainer Brüderle, weite-
ren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung betrieblicher Bünd-
nisse für Arbeit Drucksache 14/6548
15. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dieter Thomae,
Detlef Parr, Dr. Irmgard Schwaetzer, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der F.D.P.: Zur Abschaffung der Liste ver-
ordnungsfähiger Arzneimittel Drucksache 14/6571
16. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung der
Strafprozessordnung Drucksache 14/5166
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jörg
van Essen, Rainer Funke, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, weite-
ren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Pressefreiheit
Drucksache 14/1602
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
Drucksache 14/6576
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Meyer
Ronald Pofalla
Hans-Christian Ströbele
Jörg van Essen
Dr. Evelyn Kenzler
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll so-
weit erforderlich abgewichen werden.
Außerdem wurde die Absetzung folgender Punkte
vereinbart: Tagesordnungspunkt 7 Große Anfrage zur
Zukunft von Kindern und Jugendlichen , Tages-
ordnungspunkt 24 Situation der Prostituierten , Tages-
ordnungspunkt 27 Grundstücksrechtsbereinigungs-
gesetz und Tagesordnungspunkt 30 i Internationaler
Strafgerichtshof. Die Beratung der Beschlussempfehlung
zu Anträgen die deutsche Binnenschifffahrt betreffend soll
bereits nach Tagesordnungspunkt 6 und die zweite und
dritte Beratung zum Magnetschwebebahnbedarfs-
gesetz nach Tagesordnungspunkt 9 vorgenommen werden.
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes über verfassungskonkretisierende allgemeine
Maßstäbe für die Verteilung des Umsatzsteuer-
aufkommens, für den Finanzausgleich unter den
Ländern sowie für die Gewährung von Bun-
Drucksachen 14/5951, 14/5971
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Son-
derausschusses Maßstäbe-/Finanzausgleichs-
gesetz
Drucksache 14/6533
Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Schild
Heinz Seiffert
Oswald Metzger
Gisela Frick
Dr. Barbara Höll
Drucksache 14/6535
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Volker Kröning
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Uwe-Jens Rössel
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Präsident Wolfgang Thierse
17866
b) Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
Verlässliche Perspektiven für Ostdeutschland
und auch für die westdeutschen Steuerzah-
lenden sichern
Drucksache 14/6492
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Haushaltsausschuss
Zum Entwurf des Maßstäbegesetzes liegen ein Än-
derungsantrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU
und des Bündnisses 90/Die Grünen und je ein Ent-
schließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bünd-
nisses 90/Die Grünen sowie der Fraktion der F.D.P. vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache zwei Stunden vorgesehen. Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesmi-
nister der Finanzen, Hans Eichel, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Prä-
sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach ei-
nem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die kla-
genden Länder Bayern, Baden-Württemberg und Hessen
erstritten hatten, war es notwendig, den bundesstaatlichen
Finanzausgleich neu zu ordnen, und zwar in zwei Stufen:
mit einem Maßstäbegesetz, das die abstrakten Grund-
lagen für den Finanzausgleich legt, und zwar bis zum
31. Dezember 2002, und einem neuen Finanzausgleich,
aufbauend auf dem Maßstäbegesetz mit Wirkung spätes-
tens zum 1. Januar 2005. Gleichzeitig war ein neuer Soli-
darpakt für den Aufbau Ost abzuschließen, da der Soli-
darpakt I, der 1993 vereinbart worden war und 1995 in
Kraft getreten ist, am 31. Dezember 2004 ausläuft.
Deswegen hatten wir ein komplexes Thema vor uns.
Die Länder und der Bund hatten verabredet dies war ur-
sprünglich der Wunsch der Länder , in dieser Wahlpe-
riode nicht nur, wie vom Verfassungsgericht vorgesehen,
das Maßstäbegesetz zu verabschieden, sondern auch den
Solidarpakt II und den bundesstaatlichen Finanzaus-
gleich zu regeln.
Der Zeitplan dafür, den Bund und Länder vereinbart
hatten, sah erstens die Verabschiedung des Maßstäbe-
gesetzes und zweitens eine grundsätzliche Verständi-
gung über die Neuordnung des bundesstaatlichen Finanz-
ausgleichs und den Solidarpakt II vor der Sommerpause
dieses Jahres vor. Ich stelle fest, dass dieser Zeitplan, wie
ihn Bund und Länder verabredet hatten, eingehalten wer-
den konnte, wenngleich es das möchte ich ausdrücklich
sagen in der Zwischenzeit auch geknirscht hat. Aber ich
halte es für ein ganz beachtliches Zeichen der Fähigkeit
der Länder, sich untereinander zu einigen, und der Fähig-
keit des Bundes, sich mit den Ländern zu verständigen,
dass ein so grundlegendes Problem, das im Übrigen zu
tief greifenden Auseinandersetzungen zwischen Bund
und Ländern sowie der Länder untereinander geführt hat,
im Wege einer allgemeinen Einigung vor der Sommer-
pause dieses Jahres gelöst werden konnte.
Für den Bund sage ich ausdrücklich: Auch wir hatten
einen Fahrplan. Dieser sah vor, dass wir unsererseits, be-
vor wir die Einigung mit den Ländern über den Solidar-
pakt II und den Finanzausgleich suchen, nicht nur den
Haushaltsplanentwurf für das Jahr 2002, sondern auch die
mittelfristige Finanzplanung, die bis einschließlich 2005
gilt, verabschieden; denn für mich war ganz entscheidend,
dass sich die Einigung mit den Ländern im Rahmen des
Konsolidierungskurses bewegt, den wir im Sommer 1999
eingeschlagen haben. Ich kann feststellen: Auch dies ist
eingehalten worden.
Nun komme ich auf die Lösung zu sprechen. Wir kön-
nen jetzt das ist meine herzliche Bitte an Sie das Maß-
stäbegesetz vor der Sommerpause, so wie es geplant war,
verabschieden. Wir haben Klarheit über den Finanzaus-
gleich und den Solidarpakt II. Das ist eine grundlegende
Weichenstellung für die nächsten 20 Jahre.
Ich möchte dabei deutlich machen: Wir streben lang-
fristige Linien und Klarheit in der Finanzpolitik an, und
zwar nicht nur bei der Haushaltskonsolidierung und der
Steuerpolitik wir haben bereits Steuersenkungen für
zwei Wahlperioden gesetzlich festgeschrieben , sondern
auch beim Aufbau Ost sowie bei den Finanzbeziehungen
zwischen Bund und Ländern und der Länder unterei-
nander; denn Stabilität im System macht Flexibilität und
auch den Wettbewerb der Ideen erst möglich. Deshalb
halte ich es ich sage das, weil ich weiß, dass es darüber
Diskussionen gegeben hat auch für vernünftig die zeit-
liche Begrenzung gibt der Solidarpakt II vor , dass
Deutschland dann so haben wir es verabredet , wenn
seine innere Einheit im Jahr 2020 hergestellt ist, noch ein-
mal die Chance hat, das föderale System und die Finanz-
beziehungen grundlegend auf den Prüfstand zu stellen und
entsprechend, wenn das dann gewollt wird, zu reformieren.
Es war ohnehin klar, dass der Solidarpakt II auf
15 Jahre angelegt wird. Es ist vernünftig, dass alle Revi-
sionsklauseln, über die zwischendurch debattiert worden
ist, für den Finanzausgleich auch vor dem Hintergrund
aufgegeben worden sind, dass 2020 ein neuer Finanzaus-
gleich in Kraft treten wird, der definitiv die ostdeutschen
Länder mit allen Rechten und Pflichten in das gesamt-
deutsche System hineinnehmen wird. Das bedeutet selbst-
verständlich nicht, dass 2020 mit der Förderung der ost-
deutschen Länder Schluss wäre. Vielmehr wird dann in
Deutschland nicht mehr zwischen Ost und West, sondern
schlicht nach gleichen und ungleichen Lebensverhält-
nissen unterschieden werden. Das heißt selbstverständ-
lich, dass es weiterhin einen Finanzausgleich, in dessen
Rahmen die Stärkeren für die Schwächeren einzustehen
haben, geben wird und dass der Bund weiterhin eine
Strukturpolitik betreiben wird, die auf die unterschied-
lichen Situationen in den Ländern mit der Zielsetzung
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Präsident Wolfgang Thierse
17867
einwirkt, wertgleiche Lebensbedingungen in allen Regio-
nen unseres Landes, wie es im Grundgesetz festgelegt ist,
herzustellen.
Entscheidend ist aber: Wir haben für eine halbe Gene-
ration Klarheit geschaffen.
Das heißt auch das muss man sich klarmachen , dass
die Herstellung der inneren Einheit Deutschlands ich
möchte gar nicht kritisch zurückblicken; ich sage das für
uns alle länger dauern wird, nämlich eine Generation,
als wir es ursprünglich im ersten Überschwang gedacht
hatten. Wir brauchen eine Generation und noch viel Geld
für den Aufbau Ost, damit die ostdeutschen Länder die
Chance haben, zu den westdeutschen Ländern aufzu-
schließen.
Dass wir das geschafft haben, auch mit dieser Perspek-
tive, zeigt, dass der Föderalismus in Deutschland reform-
fähig ist. Ich sage aber auch ausdrücklich: Es gibt auch
Reformnotwendigkeiten. Es gibt nicht erst Reformnot-
wendigkeiten im Jahr 2020, wenn angesichts der inneren
Einheit Deutschlands, die dann hergestellt sein wird, alles
neu auf den Prüfstand kommt, sondern es gibt bereits
vorher Reformnotwendigkeiten. Das finden Sie übrigens
in unseren Verabredungen. Nachdem wir für den Solidar-
pakt II Klarheit geschaffen haben, wollen wir, dass künf-
tig die ostdeutschen Länder, nachdem die Mittel für das
Schließen der Infrastrukturlücke klar sind, die Verant-
wortung selbst übernehmen und selbst dokumentieren,
was sie mit dem Geld tun. Das ist der Sinn der Fort-
schrittsberichte, die von den ostdeutschen Ländern das
war deren eigene Vorstellung jedes Jahr vorgelegt wer-
den. Wir alle hantieren ja mit dem Geld der Steuerzah-
lerinnen und Steuerzahler dieses Landes. Deswegen sind
wir ihnen rechenschaftspflichtig.
Wir geben den ostdeutschen Ländern aber auch Selbst-
ständigkeit. Das heißt, die Mittel werden nicht mehr
aufgespalten in ungebundene Sonderbundesergänzungs-
zuweisungen und gebundene Investitionsfördermittel
nach dem Investitionsfördergesetz, sondern die Mittel
nach dem Investitionsfördergesetz werden in ungebun-
dene Mittel umgewandelt und in den Finanzausgleich
integriert. Ich halte das für einen großen Fortschritt.
Ich weiß aber auch, dass es immer mehr darauf an-
kommt das wird Diskussionen auslösen; das wissen aber
auch die ostdeutschen Länder , die etwas altertümliche
Unterscheidung zwischen konsumtiven und investiven
Ausgaben aufzugeben konsumtive Ausgaben senken
und investive Ausgaben erhöhen und vielmehr zu-
kunftsbezogene Ausgaben zu stärken. So sind zum Bei-
spiel die Ausgaben für Bildung und Forschung keine In-
vestitionen im klassischen Sinne, sondern konsumtive
Ausgaben; aber es sind Ausgaben, die helfen, künftigen
Wohlstand zu erzeugen. Da wird es noch Diskussionen in
den ostdeutschen Ländern selbst darüber geben, was sie
mit der zusätzlich gewonnenen Verantwortung und Frei-
heit machen. Das finde ich aber auch richtig. Das ist ge-
lebter Föderalismus.
Außerdem werden wir in der Zwischenzeit an das
Thema der Mischfinanzierung herangehen. Ich bin sehr
gespannt, wie die Position der Länder am Schluss wirk-
lich sein wird. Die Bundesregierung steht dieser Diskus-
sion nicht nur aufgeschlossen gegenüber; sie bereitet sich
systematisch darauf vor und wird auch ihren Beitrag dazu
leisten.
Lassen Sie mich in aller Freundschaft eines sagen, weil
ich das eine oder andere aus den Ländern gehört habe: Die
Abschaffung der Mischfinanzierungstatbestände wird
nicht so laufen, dass der Bund alles Geld herübergibt, also
weiter finanziert, und die Länder entscheiden, sondern die
Abschaffung der Mischfinanzierungstatbestände wird
vernünftigerweise so vor sich gehen, dass man sich Auf-
gabe für Aufgabe ansieht, dann entscheidet, wer welche
Aufgabe besser erfüllen kann, die Länder oder der Bund,
und die Finanzen dementsprechend aufteilt. Erst danach
folgt die Auflösung der Mischfinanzierungstatbestände.
Die Auflösung der Mischfinanzierungstatbestände
das will ich mit aller Klarheit sagen muss dann auch
ausgabenneutral erfolgen. Das ist keine Gelegenheit, im
Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern Geld hin-
und herzuschieben und insgesamt zu höheren Ausgaben
zu kommen. Das kann nicht das Ziel der Veranstaltung
sein, im Gegenteil: Wenn wir mehr Klarheit über die Aus-
gabenverantwortung haben, was ich für sehr wünschens-
wert halte, dann müsste es doch auch die Chance geben,
mit denselben Mitteln mehr zu machen, sie effizienter ein-
zusetzen oder aber auch mit etwas weniger Mitteln aus-
zukommen. Beides muss möglich sein. So müssen wir die
Diskussion um die Auflösung der Mischfinanzierungs-
tatbestände anlegen.
Das also sind Wege zur weiteren Reform des Föde-
ralismus, die am vorvergangenen Wochenende zwischen
Bund und Ländern einvernehmlich so diskutiert und in
den Beschlüssen auch niedergelegt worden sind.
Heute geht es um das Maßstäbegesetz. Dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts folgend hat die Bundesregie-
rung im Frühjahr den Entwurf eines Maßstäbegesetzes
vorgelegt. Sie haben gesehen, dass dies auch prägend auf
die Diskussion eingewirkt hat.
Nun will ich etwas sagen, weil ich ja auch kritische
Diskussionen führe: Ich halte das nicht für Schacherei und
anderes wie es von einigen bezeichnet wird , sondern
ich sehe das wie folgt. Die Länder nehmen ihre Interessen
in Deutschland wahr, genauso wie wir als Deutsche un-
sere Interessen in Europa wahrnehmen. Das sind demo-
kratisch gewählte Regierungen, die die Interessen ihrer
Länder wahrnehmen.
Die Regierungschefs der Länder und der Stadtstaaten
hatten zuvor einvernehmlich festgestellt das war die
Grundlage , dass die Länderneugliederung in diesem
Zusammenhang keine Rolle spiele. Das bedeutet auch,
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Bundesminister Hans Eichel
17868
dass man einen Finanzausgleich durchführen muss, der
allen Mitgliedern der bundesstaatlichen Gemeinschaft
eine auskömmliche Finanzierungsgrundlage sichert. Es
macht keinen Sinn, einen Finanzausgleich zu schaffen,
der einzelne Länder in eine Haushaltsnotlage bringt. Das
wäre von vornherein falsch. Wer etwas anderes anstrebt,
der muss sagen, dass er eine Länderneugliederung will.
Alle Länder haben dezidiert gesagt, das sei für sie im Zu-
sammenhang mit dem Finanzausgleich kein Thema.
Hinter dem Maßstäbegesetz stehen die Gedanken einer
auskömmlichen Finanzausstattung für alle und einer be-
sonderen Solidarität mit den ostdeutschen Ländern
während einer halben Generation, also in den nächsten
15 Jahren das haben wir am Wochenende gemeinsam
beschlossen , um den Aufbau Ost weiterhin möglich zu
machen. Die Bundesregierung hat in genauer Verfolgung
des Urteils des Bundesverfassungsgerichts darauf ge-
drungen, dass das System einfacher und transparenter
wird, dass es eine breitere Ausgleichsbasis erhält und dass
auf dieser breiteren Ausgleichsbasis ein flacherer Tarif-
verlauf möglich wird, der viele Sondertatbestände inte-
griert. Schließlich steht hinter dem Maßstäbegesetz der
Gedanke, dass die Anreizwirkungen im System zugunsten
derjenigen gestaltet sind, die in überproportionalem
Maße das sind nicht immer die Wohlhabenden steuer-
lich belastet werden. Sie sollen mehr von dem behalten
können, was sie überproportional bekommen haben.
All diese Elemente finden sich das will ich aus-
drücklich einräumen im Gesetzentwurf, wenn man ihn
mit unserem ursprünglichen Entwurf vergleicht, nicht in
Reinkultur wieder. Dieser Gesetzentwurf ist ein Ergebnis
der Verabredungen der Länder untereinander und der
Länder mit dem Bund.
Das Problem des Deckungsquotenverfahrens zwi-
schen Bund und Ländern diesbezüglich gibt es im Maß-
stäbegesetz Lösungsansätze ist noch zu lösen. Diese
Frage ist, solange es die Bundesrepublik Deutschland
gibt, nicht beantwortet. Ich halte es für unbefriedigend,
dass die Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern in
Wirklichkeit immer nur über politisches Armdrücken
statt über nachvollziehbare Kriterien geregelt wird.
Auch wenn wir dieses Problem bisher noch nicht gelöst
haben, halte ich es für einen großen Fortschritt, dass sich
die Länder bereit gefunden haben, dieses Thema anzuge-
hen, und zwar mit der Zielsetzung, noch in dieser Wahl-
periode zu einem Ergebnis zu kommen.
Ich will aber ebenso deutlich sagen: Für mich hängt
diese Frage mit dem Ziel zusammen dieses Thema ist
hier ebenfalls zu behandeln; ich habe in dieser Hinsicht
schon klare Vorschläge gemacht , den Europäischen
Stabilitäts- und Wachstumspakt in innerdeutsches
Recht umzusetzen. Die Finanzverteilung zwischen Bund
und Ländern sie wird im Übrigen immer Grund für po-
litischen Streit sein, unabhängig vom Verfahren, das man
findet ist dann nicht mehr von besonderer Bedeutung,
wenn wir uns alle auf den Weg der Haushaltskonsolidie-
rung begeben und sich die Frage, was passiert, wenn je-
mand über die Stränge schlägt, überhaupt nicht mehr
stellt. Meine Zielsetzung war es, auf diese Frage eine Ant-
wort zu finden.
Nach allen Diskussionen, die wir geführt haben die
Länder brauchen noch ein bisschen Zeit , glaube ich,
dass wir eine Chance haben, gemeinsam in diese Richtung
zu gehen. Ich sage ausdrücklich: Aus meiner Sicht muss
die Regelung des Deckungsquotenverfahrens mit der Im-
plantierung des Europäischen Stabilitäts- und Wachstums-
paktes in das innerdeutsche Recht verbunden werden.
Wir wollen einer Einigung in dieser Angelegenheit
nicht im Wege stehen. Ich glaube, dass dieser Tag auf-
grund dessen, was wir am Wochenende beschlossen ha-
ben, ein großer Tag für den Föderalismus und für seine
Reformfähigkeit ist.
Sie müssen einmal aufpassen!
Ich habe nicht Ihr Manuskript, Herr Koppelin. Sie kön-
nen Ihre Rede gleich hier abliefern; das ist wohl wahr. Sie
müssen sich einmal entscheiden. Zwar sind Sie zurzeit nur
in wenigen Ländern an der Regierung beteiligt; doch dort,
wo dies der Fall ist, tragen Sie diese Politik natürlich mit.
Deswegen muss auch Ihre Partei einmal zu einer einheit-
lichen Strategie kommen.
Es geht nicht an, dass Sie in Mainz, in Wiesbaden und in
Stuttgart kräftig mitregieren, aber im Deutschen Bundes-
tag sagen: Wir verabschieden uns von all dem, was unsere
Parteifreunde in den Ländern machen.
Ich weiß, dass das der Bundestag ist. Sehr verehrter Herr
Westerwelle, Sie müssen versuchen, eine einheitliche
liberale Antwort auf die bundespolitischen und auf die
länderpolitischen Fragen zu finden.
Wenn das nicht möglich wäre, dann gäbe es keine Eini-
gung. Sie machen es sich ein bisschen leicht. Ich vertrete
hier massiv die Bundesinteressen. Wenn das während der
Zeit, als Sie an der Bundesregierung beteiligt waren, auch
immer so gewesen wäre, wäre für den Bund vielleicht
manches ein bisschen leichter.
Verehrter Herr Westerwelle, Ihre Partei wird nicht um-
hin kommen das werden Sie mit Herrn Braukhage,
Herrn Brüderle und vielen anderen ausmachen müssen ,
zu einer gemeinsamen Position zu kommen. Wenn Sie die
nicht finden, ist Ihre Partei für den Föderalismus leider ein
Ausfall.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Bundesminister Hans Eichel
17869
Nur die Parteien, die am Schluss zu einer einheitlichen Li-
nie zwischen Bund und Ländern finden, können dieses
Problem lösen.
Deshalb sage ich hier mit aller Klarheit: Die Bundes-
regierung wollte eine Regelung bezüglich der Frage, was
passiert, wenn Haushaltsnotlagen entstehen, ins Gesetz
schreiben; sie findet sich im jetzigen Gesetz nicht wieder.
Die Rechtsposition des Bundes hat sich aber in keiner
Weise geändert. Solange ich Bundesfinanzminister bin,
werde ich alles daran setzen, die entsprechende Regelung
durchzusetzen, falls der Fall jemals auftritt. Es ist eine ge-
meinsame Sache von Bund und Ländern, einem unver-
schuldet in Not geratenen Land bzw. einem Mitglied der
bundesstaatlichen Gemeinschaft zu helfen. Damit es völ-
lig klar ist das werde ich auch am nächsten Freitag im
Bundesrat so sagen : Das ist nicht alleinige Aufgabe des
Bundes.
Fazit: Wir haben in der Tat ganz klare Linien gezogen,
und zwar gemeinsam, trotz allen Streites, den es im Vor-
feld gegeben hat und den es immer geben wird, wenn es
um Geld geht. Ich wiederhole: Verehrter Herr Koppelin,
das ist Föderalismus. Dem Föderalismus sind wir alle ver-
pflichtet. Bundestreue ist eine wechselseitige Verpflich-
tung. Falls das nicht klar sein sollte, sage ich es Ihnen: Der
Deutsche Bundestag hat die föderalen Belange genauso
zu achten, wie die Länder diese im Bundesrat zu achten
haben.
Der Bundestag und der Bundesrat sind die Gesetzgebungs-
organe des Bundes und der Bund besteht aus den Ländern.
So muss das verstanden werden.
Ich lege großen Wert darauf festzustellen, dass wir
große Schritte vorangekommen sind.
Vor allen Dingen haben wir die Finanzpolitik langfristig
klar angelegt. Ich nenne nur den Weg der Haushaltskon-
solidierung, der aus dem Schuldenstaat herausführt, die
langfristig angelegte Steuerpolitik und die langfristig an-
gelegten Regelungen für den Aufbau Ost sowie für die Fi-
nanzverteilung zwischen Bund und Ländern.
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für Ihre
Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Heinz Seiffert, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Das Maßstäbegesetz, das wir
heute beschließen, ist Teil der Einigung der Ministerprä-
sidenten vom 23. Juni dieses Jahres. Ich will diese Eini-
gung bestimmt nicht kleinreden, sondern ausdrücklich
würdigen. Der Euphorie und dem Jubel aber, den der Bun-
deskanzler und einige Ministerpräsidenten sowie jetzt am
Schluss auch Herr Eichel verbreitet haben, kann ich mich
beim besten Willen nicht anschließen.
Das war kein großer Tag. Dieser Kompromiss war keine
Sternstunde für den Föderalismus, sondern hart errungen
und mit ganz erheblichen Schönheitsfehlern behaftet.
Die 16 Ministerpräsidenten waren sich mit der Bun-
desregierung einig, dass der Finanzausgleich nicht grund-
legend reformiert, sondern so weiter geführt wird, dass
alle der Bund und die Länder profitieren. Möglich
wurde dies nur durch die Einbeziehung des Fonds Deut-
sche Einheit in den Finanzausgleich. Dieses Vorgehen
verschaffte die notwendige Manövriermasse, andere sa-
gen: das nötige Spielgeld. Bund und Länder waren sich ei-
nig, in den Jahren 2002 bis 2004 die Tilgung im Fonds
Deutsche Einheit fast vollkommen auszusetzen. Von
2005 bis 2019 übernimmt der Bund die Zins- und
Tilgungslasten. Er lässt sich den Aufwand teilweise durch
eine Vorwegentnahme aus dem Umsatzsteuertopf entgel-
ten und vermindert seine Tilgungsleistungen weiter.
Diese scheinbar elegante Lösung hat einen entschei-
denden Nachteil: Die Tilgungsstreckung geht voll zulas-
ten derer, die nicht am Verhandlungstisch gesessen haben,
nämlich zulasten der kommenden Generationen, der
künftigen Steuerzahler und übrigens auch der künftigen
Regierungen.
Herrn Finanzminister Eichel wird diese Liquiditäts-
schöpfung im Wahljahr helfen, seine Haushaltsprobleme
zu bewältigen. Er hat durch diese Aktion bis 2004 deut-
lich über 4 Milliarden DM an Tilgungsausgaben vermie-
den und damit Liquidität geschöpft. Auch den Ländern
kommt diese Tilgungsstreckung durchaus gelegen. Das ist
ein sehr bequemer Weg, der da gemeinsam beschritten
wird. Aber richtig ist das nicht.
Ich kann es nicht unterlassen, bei dieser Gelegenheit
ins Jahr 1997 zurückzublenden. Damals hat die alte Re-
gierung den Tilgungsbetrag für 1998 bis 2000 um je
3 Milliarden DM gekürzt. Das ist wahr. Dies war jedoch
damals problemlos möglich, weil unter Theo Waigel zu
diesem Zeitpunkt der Tilgungsplan übererfüllt war. Da-
mals haben Veräußerungserlöse zur überplanmäßigen
Schuldentilgung im Fonds Deutsche Einheit beigetra-
gen und diese sind auch dafür verwendet worden. Von ei-
nem ursprünglichen Gesamtvolumen des Fonds in Höhe
von 160 Milliarden DM ist bis zum Regierungswechsel
1998 von Bund und Ländern gemeinsam fast die Hälfte
getilgt und finanziert worden.
Es war somit völlig klar, dass die Tilgung des Fonds bis
2016, also innerhalb einer Generation, wie dies immer ge-
plant war, abgeschlossen werden kann. Heute aber streitet
man sich, wer der Bund oder die Länder den Betrag
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Bundesminister Hans Eichel
17870
zahlt, der nach 2019 noch immer zu tilgen ist. Das ist der
Unterschied zwischen der damaligen Situation und heute.
Trotzdem ist Theo Waigel für eine damalige maßvolle
und sehr wohl begründete Tilgungsstreckung von der
seinerzeitigen Opposition scharf angegriffen worden.
Herr Kollege Spiller hat ich zitiere das Protokoll vom
9. Oktober 1997 der damaligen Regierung Buchhalter-
tricks und Bilanzkosmetik vorgeworfen. Der Kollege
Oswald Metzger auch ihn darf ich zitieren hat das da-
mals als eine Politik des Nach uns die Sintflut bezeich-
net. So ändern sich also die Zeiten.
Jetzt bin ich einmal gespannt. Sie haben ja gleich Gele-
genheit, einmal darzustellen, wie Sie es heute beurteilen.
Tatsache ist und bleibt: Der Griff in den Fonds Deut-
sche Einheit hat vom Zwang entbunden, eine wirkliche
Reform des Finanzausgleichs vorzunehmen. Nur so war
es möglich, zulasten künftiger Steuerzahler einen Mini-
malkonsens zu finden, der letztendlich alle Beteiligten als
Sieger erscheinen lässt.
Das Maßstäbegesetz, das Grundlage für den neuen Fi-
nanzausgleich und den Solidarpakt sein soll, erfüllt leider
in vielen Punkten nicht unsere Vorstellungen und wohl
auch nicht die des Bundesverfassungsgerichts: Durch den
jetzt eingeschlagenen Weg wird der Finanzausgleich nicht
einfacher und transparenter, sondern teilweise noch kom-
plizierter und noch unverständlicher. Zu den zahllosen
Rechenschritten, die notwendig sind, kommen weitere
hinzu. Das bringt ein Mehr an Rechenaufwand und damit
ein Weniger an Verständlichkeit und Transparenz.
Praktisch alle Sonderregelungen bleiben erhalten und
neue kommen hinzu. Wenn ich das Urteil des Bundesver-
fassungsgerichts richtig verstanden habe, dann hätten
diese Sondertatbestände auf ihre Berechtigung und Ratio-
nalität hin überprüft werden sollen; dann hätten Maßstäbe
beschrieben und Kosten nachgewiesen werden müssen;
dann hätten Grundsätze und Fakten konkret benannt wer-
den müssen.
Dies alles ist leider ziemlich unterblieben. Von Maß-
stäben habe ich wenig gehört, hat der Ausschussvorsit-
zende Kröning dem Spiegel berichtet.
Leider waren sachfremde Erwägungen und Zusagen des
Herrn Bundeskanzlers, die er im Zusammenhang mit der
Steuerreform gemacht hat, wichtiger und entscheidender.
So haben wir also künftig wohl bis 2019 die Stadt-
staatenregelung mit einer Einwohnergewichtung von
135 Prozent wie bisher, unabhängig von der unterschied-
lichen Größenordnung. Wir bekommen neuerdings eine
stärkere Einwohnergewichtung für dünn besiedelte Ost-
länder. Zur Deckung der Kosten für die politische
Führung in den kleinen Ländern werden auch künftig
zwar um ein Drittel verringert weiter Bundesergän-
zungszuweisungen gewährt. Auch die Hafenlasten sind
zwar gekürzt, aber nicht ganz vergessen worden. Für
Rheinland-Pfalz sollen, damit man auch dort einen Re-
formgewinn vermelden kann, noch 20 Millionen DM pro
Jahr draufgesattelt werden.
Damit ich nicht missverstanden werde: Ich gönne je-
dem einzelnen Land seine Zuweisungen und Vorteile. Al-
lerdings hätte ich in dem Maßstäbegesetz gern ihre Be-
rechtigung nachgewiesen gehabt.
Dasselbe gilt für die Einbeziehung der kommunalen
Finanzkraft in das Ausgleichssystem. Hier wurde ein
höherer Ansatz gewählt statt seither 50 Prozent künftig
64 Prozent , unabhängig davon, ob nun die Finanzauto-
nomie der Kommunen seit der letzten Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts von 1992 zugenommen hat
oder kleiner geworden ist. Die Erhöhung von 50 auf
64 Prozent war das Ergebnis mehr eines Kuhhandels als
eine Prüfung der Fakten.
Dies sind alles Kritikpunkte, die nach meiner Über-
zeugung mehr sind als Schönheitsfehler. Wenn die
CDU/CSU-Fraktion dem Gesetz, das richtigerweise bis
Ende 2019 befristet wird, dennoch zustimmen wird, so hat
dies folgende Gründe:
Der Finanzausgleich wird durch das neue Gesetz für
Zahler- und Empfängerländer ein Stück weit gerechter. Es
ist gelungen, die Anreizwirkung im System deutlich zu
verbessern, ohne dadurch dem Wettbewerbsföderalismus
zu sehr zu huldigen. Wir halten es für richtig, dass durch
die Abflachung der Ausgleichstarife Geber- wie Empfän-
gerländer für erfolgreiches Wirtschaften künftig besser
belohnt werden.
Auch das Prämienmodell, das ab 2005 einen verbes-
serten Selbstbehalt bringt, ist ohne Vorbehalt zu befür-
worten. Für wichtig halte ich ebenso, dass durch diesen
Anreiz auch die Empfängerländer profitieren.
Schließlich ist es voll berechtigt, bei 72,5 Prozent eine
Abschöpfungsobergrenze einzuziehen. Da durch dieses
verbesserte Anreizsystem künftig auch die Finanzkraft-
reihenfolge im Länderfinanzausgleich wohl ehere einge-
halten wird, erscheint eine wichtige Forderung des Bun-
desverfassungsgerichts in diesem Punkt erfüllt.
Dass sich die Ministerpräsidenten auf diese sicher erst
langfristig wirkende Verbesserung der Anreizwirkung
verständigen konnten, ist hoch einzuschätzen. Dies ist ein
wichtiger Beitrag für das gutnachbarschaftliche Miteinan-
der in unserem föderalen Staatsaufbau.
Eindeutig positiv sehe ich auch die Einigung der Mi-
nisterpräsidenten auf die Fortführung des Solidar-
pakts II. Ich sehe darin ein Stück verwirklichter Soli-
darität der Länder, auch der Geberländer, sowie des
Bundes.
Eines will ich aber zu dem, was in der Öffentlichkeit
als großer Segen für die neuen Bundesländer verkauft
worden ist teilweise ist vermeldet worden, das sei mehr,
als sie gewollt hätten , klar sagen: Das ist deutlich
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Heinz Seiffert
17871
weniger, als bisher gewährt wurde, und es ist deutlich we-
niger als das, was die neuen Bundesländer berechtigter-
weise verlangt und durch Gutachten als gerechtfertigte
Forderung nachgewiesen haben.
Immerhin sollen die neuen Länder über das Geld aber
nun frei verfügen können, ohne besondere Zweckbin-
dung. Das begrüßen wir ausdrücklich, weil dies ein Stück
mehr Gestaltungsmöglichkeit und Autonomie für die
Länder schafft. Allerdings übernehmen die Länder damit
auch mehr Verantwortung und sie werden sich künftig
jährlich in einem Fortschrittsbericht an den Erfolgen mes-
sen lassen müssen.
Es ist auch ausdrücklich zu begrüßen, dass die neuen
Länder durch den Kompromiss zum Länderfinanzaus-
gleich und zum Solidarpakt II bis zum Jahr 2019 Pla-
nungssicherheit erhalten. Das halte ich für wichtig, weil
damit auch ein Stück Unabhängigkeit verbunden ist.
Wenn wir diese Unabhängigkeit und das Vertrauen der
Kommunen langfristig sichern wollen, muss der Bund
alsbald die Kraft aufbringen, eine Neuordnung und Mo-
dernisierung der bundesstaatlichen Ordnung in Gang zu
setzen.
Zu dieser Föderalismusreform gehört auch eine um-
fassende Gemeindefinanzreform.
Wenn die Länder jetzt eine Entflechtung von Gemein-
schaftsaufgaben und Mischfinanzierung anmahnen, so
sollte der Bund die Chance ergreifen und alsbald auf die-
ses Verhandlungsangebot eingehen. Mit so genannter ru-
higer Hand oder durch Aussitzen kann die Regierung die-
ses drängende Problem nicht lösen.
In 19 Sitzungen hat sich der Sonderausschuss seit No-
vember 2000 mit dem komplizierten Thema Maßstäbe-
gesetz und Länderfinanzausgleich befasst. Über viele
Monate hatten die Sitzungen den Charakter gehobener
Volkshochschulfortbildungskurse.
Nach der Einigung der Ministerpräsidenten vor elf Tagen
musste dann aber alles hoppla hopp gehen. In anderthalb
Wochen wurde das Maßstäbegesetz durchgepaukt. Dieses
überstürzte Vorgehen und der wahnsinnige Zeitdruck ge-
hen ganz sicher zulasten der Qualität des Gesetzes.
Aber das kennen wir von dieser Regierung ja schon.
Wenn ein Umdruck über einen Vorschlag zur Ände-
rung der vertikalen Umsatzsteuerverteilung, also kompli-
zierte Sachverhalte, erst am Morgen eines Sitzungstages
als Vorlage auf den Tisch gelegt wird, dann kann man
beim besten Willen nicht von einem geregelten und ord-
nungsgemäßen Verfahren sprechen.
Viele Kolleginnen und Kollegen von der Opposition ha-
ben sich durch dieses chaotische Verfahren ganz erheblich
in ihren Mitwirkungsrechten beeinträchtigt gefühlt. Diese
Kritik kann ich Ihnen nicht ersparen. Gleichwohl darf ich
anerkennen, dass die Regierungskoalition bereit war, ei-
nige Änderungsvorschläge von uns zu akzeptieren und zu
unterstützen; das kommt leider selten genug vor.
Ich hoffe sehr, dass dies beim Finanzausgleichsgesetz,
das wir richtigerweise noch in dieser Legislaturperiode
verabschieden wollen, besser wird. Der Entschließungs-
antrag, den SPD, Grüne und PDS heute vorlegen, ist
ebenso wie das Maßstäbegesetz mit heißer Nadel ge-
strickt worden. In verschiedenen Punkten war eine Über-
prüfung und Abstimmung mit den Landesministern
schlichtweg nicht mehr möglich. Noch gestern sind am
späten Nachmittag in diesem Entschließungsantrag Än-
derungen und Nachbesserungen vorgenommen worden.
Ich fühle mich daher einfach nicht in der Lage, meiner
Fraktion auf dieser unsicheren Basis eine Zustimmung zu
diesem Entschließungsantrag zu empfehlen. Wir sollten
uns im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens noch ein-
mal in Ruhe und mit Sorgfalt mit all den Themen, die Sie
jetzt in diesem Entschließungsantrag ansprechen, befas-
sen. Wir werden uns deshalb bei der Abstimmung über
den Entschließungsantrag der Stimme enthalten.
Dem Maßstäbegesetz und dem Änderungsantrag, in
dem die Befristung des Gesetzes bis Ende 2019 geregelt
wird, stimmen wir nach reiflicher Abwägung zu.
Ich hoffe sehr, dass dieses Gesetz langfristig die Basis für
einen gerechteren Finanzausgleich, der aber äußerst kom-
pliziert ist, sein wird.
Vielen Dank.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, zwischendurch möchte ich mitteilen, dass
die F.D.P. im Rahmen der Schlussabstimmung zu Tages-
ordnungspunkt 3 namentliche Abstimmung beantragt hat,
die um etwa 11.30 Uhr stattfinden wird.
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Oswald
Metzger, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man fühlt sich
schon ein wenig zwiespältig bei einem Ge-
setzgebungsverfahren, von dem man genau weiß, dass
viele Absprachen und Abstimmungen, was sowohl die
CDU- und CSU-regierten als auch die SPD-geführten
Länder betraf, buchstäblich in Nachtsitzungen getroffen
wurden und dass das grüne Licht für die jeweiligen Ver-
handlungspartner der Fraktionen erst am nächsten Vor-
mittag kam. Nachdem wir am letzten Freitag hier im Ple-
num in diesem Zusammenhang eine große Messe
gesungen haben das betrifft alle, die zu diesem Thema
gesprochen haben, auch einen CDU-Ministerpräsidenten,
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Heinz Seiffert
17872
Herr Kollege Seiffert , ist das Nachtarocken auf der Ar-
beitsebene, das in den letzten Tagen erfolgte, ziemlich er-
bärmlich. Das muss ich einfach loswerden; denn wenn
man etwas von der Sache versteht, dann findet man das
umso schlimmer.
Andererseits ist es beruhigend, zu wissen, dass dieser
Streit die breite Masse der Bevölkerung kaum erreicht.
Denn dieses Thema interessiert den Normalbürger in der
Tat fast gar nicht, obwohl es ihn interessieren müsste, weil
es um extrem viel Geld geht, nämlich um 60 Milliar-
den DM Ausgleichsmasse pro Jahr. Wir sprechen hier
über einen Zeitrahmen von 19 Jahren. Gesetze mit einer
solch umfassenden und langfristigen Finanzwirkung ver-
abschiedet der Bundestag extrem selten. Die öffentliche
Aufmerksamkeit steht also in keinem Verhältnis zur Sub-
stanz, die in Gestalt der entsprechenden Finanzmasse vor-
liegt.
Nun zu dem Thema die F.D.P. hat dies behauptet;
aber auch der Kollege Seiffert hat es in seinem Redebei-
trag besonders herausgekehrt , der Bund bzw. der Bun-
desfinanzminister verschiebe durch das Maßstäbegesetz
und die parallel vorgesehene Einbeziehung des Fonds
Deutsche Einheit Lasten auf die Zukunft. Ich kann dies
nicht bestätigen. Solange öffentliche Haushalte in dieser
Republik ständig neue Schulden machen, ist zu hinterfra-
gen das soll mir, bitte schön, einmal jemand beantwor-
ten , wer die Tilgung von Sondervermögen bezahlt.
Die bezahlt man mit Krediten, also doch zulasten der heu-
tigen Generation. Wie kann eine kreditfinanzierte Tilgung
tatsächlich eine Entlastung der Steuerzahler sein? Über-
haupt nicht! Das war es auch zu Ihrer Regierungszeit
nicht. Deshalb haben wir dies damals kritisiert. Wir woll-
ten es seriöser machen.
Schauen Sie sich einmal den Bundeshaushalt dieses
Jahres, den von 2001, an: Die Regierungskoalition hat im
letzten Herbst den Effekt der Tilgungsstreckung beim
Fonds Deutsche Einheit, der auf Druck der Bundeslän-
der zustande kam, dazu genutzt, die Neuverschuldung im
laufenden Jahr im Vergleich zum Regierungsentwurf des
Bundesfinanzministers vom Mai letzten Jahres um
1,2 Milliarden DM abzusenken. Wir haben solide und se-
riös gehandelt. Sie können sich darauf verlassen, dass wir
im Herbst dieses Jahres im parlamentarischen Verfahren
den Betrag von 740 Millionen DM, der sich jetzt durch die
Tilgungsstreckung für das Jahr 2002 ergibt, dazu verwen-
den werden, die Neuverschuldung gegenüber dem Regie-
rungsentwurf zu reduzieren. Wenn die gleiche Solidität
auf der Länderseite ob schwarz, ob rot oder ob bunt ge-
mischt regiert an den Tag gelegt würde, dann würde der
deutsche Steuerzahler in der Tat profitieren. Er profitiert
aber nicht davon, dass man einfach nur die Backen auf-
bläst.
Ein zweiter Gesichtspunkt. Man muss natürlich auf-
grund des diffizilen Verhältnisses zwischen Bund und
Ländern diese Erfahrung macht jede Regierung dieser
Republik, egal wer gerade regiert die Interessen genau
austarieren. Wenn ein so großes Misstrauen besteht es
bestand jetzt über viele Monate zwischen Bund und Län-
dern, zwischen Ost- und Westdeutschland, weil jede Seite
Angst hatte, bei diesem riesigen Reformpaket, bei dem es
um viel Masse geht, von der jeweils anderen Seite über
den Tisch gezogen zu werden , führt das faktisch zu ei-
ner Lähmung der föderalen Politik in unserem Land. An-
gesichts der Tatsache, dass man jetzt wenn auch nur
marginal eine Veränderung im Maßstäbegesetz erreicht
hat, die beiden Seiten, den Geberländern wie den Neh-
merländern, und vor allem dem Osten über den Solidar-
pakt Planungssicherheit gibt und die Verlässlichkeit in
Bezug auf die Rahmenbedingungen schafft, komme ich
zu der Überzeugung, dass dieses Gesetz für den Föde-
ralismus in unserem Land gut ist, auch wenn noch nicht
das große Rad einer echten Finanzverfassungsreform ge-
dreht wurde.
Es ist daher kein Wunder, dass diesem Maßstäbegesetz
auch die größte Oppositionsfraktion im Bundestag zu-
stimmt. Es gibt einen Grundkonsens, der darauf basiert,
dass man in diesem Bereich wieder rational handeln und
zwischen Bund und Ländern eine Geschäftsgrundlage für
die Gesetzgebung schaffen will. Das ist gut und richtig.
Richtig ist auch, dass wir Signale ausgesandt haben,
die auch die Entscheidung des Bundesverfassungs-
gerichts von 1999 aufgreifen. Wir wollen nämlich die
Bundesergänzungszuweisungen, die praktisch eine Art
Sahnehäubchen im Finanzausgleich sein sollten, die aber
inzwischen auf rund 20 Milliarden DM pro Jahr ange-
wachsen sind, langfristig zurückführen. Dazu muss man
den Topf des Finanzausgleichsgesetzes vergrößern und
die Bemessungsgrundlage verbreitern, indem man die Fi-
nanzkraft der Kommunen stärker einbezieht als in der
Vergangenheit. Das ist ein Fortschritt, um den gekämpft
wurde. Wir hätten gerne einen größeren Anteil als 64 Pro-
zent erreicht. Aber 64 Prozent sind mehr als die bisheri-
gen 50 Prozent.
Diese Regelung nutzt langfristig vor allem dem Osten die-
ser Republik, weil gerade die Armenhäuser in Deutsch-
land davon profitieren, dass der Finanzausgleich auf lange
Sicht mehr Masse hat. Das ist gut so.
Richtig ist auch, dass Anreize in das Maßstäbegesetz
aufgenommen werden: das Prämiensystem von Herrn
Seiffert zu Recht positiv erwähnt oder der größere
Selbstbehalt der Länder bei den Steuereinnahmen. Das
sind positive Effekte, die durchaus dazu führen können,
dass künftig mehr Effizienz in das binnenstaatliche Han-
deln kommt.
Ich will noch einmal sagen da bin ich Realist genug :
Es sind kleine Schritte auf dem Weg zu einer Reform. Es
kann nicht darum gehen, im großen Stil Wasser in den
Wein zu gießen. Mehr war zu diesem Zeitpunkt einfach
nicht möglich. Das muss man auch als grüner Finanzpoli-
tiker anerkennen.
In dieser Debatte ist natürlich ein weiterer Gesichts-
punkt zu beachten: Wenn wir mit einer großen Finanz-
verfassungsreform wirklich Ernst machen wollen es
sind sich alle hier im Hause darüber im Klaren, dass sie
auf der Agenda steht , dann werden wir in der nächsten
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Oswald Metzger
17873
Legislaturperiode in der Tat über mehr Verantwortung der
verschiedenen staatlichen Ebenen für die Einnahmen und
Ausgaben diskutieren müssen. Wir werden natürlich auch
über das Konnexitätsprinzip diskutieren müssen, das man
als Kommunalpolitiker auf den Nenner bringen kann: Wer
bestellt, bezahlt.
Wenn Aufgaben an untere staatliche Ebenen übertra-
gen werden, dann hat die jeweils übertragende Stelle auch
für eine entsprechende Finanzausstattung zu sorgen.
In diesem Kontext muss eine große Reformagenda in der
nächsten Legislaturperiode angegangen werden. Wir sind
dazu bereit. Ich hoffe, dass dann, wenn es konkret wird,
weniger interessengeleitet diskutiert wird als in den letz-
ten Wochen.
Jetzt komme ich zu dem Punkt, der für mich persönlich
auch nicht gerade alltäglich ist. Ich bekenne heute als
Redner meiner Fraktion, die überwiegend zu einem Än-
derungsantrag steht, zu dem auch die CDU/CSU, aber
auch die SPD stehen: Ich persönlich finde es falsch, das
Maßstäbegesetz, über das wir heute abstimmen, zu be-
fristen.
Ich sage auch, warum. Wir können nicht ein Maßstä-
begesetz befristen, zu dem das Bundesverfassungsgericht
in seiner Entscheidung von 1999 gesagt hat, dass es dazu
dient, die unbestimmten Rechtsbegriffe in Art. 106 und
107 des Grundgesetzes zu konkretisieren.
Wir konkretisieren unbestimmte Rechtsbegriffe eines
unbestimmt geltenden Grundgesetzes. Wie man Grund-
rechtsnormen im Maßstäbegesetz befristen kann, er-
schließt sich mir nicht.
Befristet hingegen ist das Finanzausgleichsgesetz, das
im Prinzip vom Maßstäbegesetz abgeleitet wird. Das Fi-
nanzausgleichsgesetz wird man immer wieder je nach
Entwicklung der Finanzströme zwischen den staatlichen
Ebenen überarbeiten müssen. Das gilt jedoch nicht für
das Maßstäbegesetz. Jedenfalls darf es nicht ein verabre-
detes Verfallsdatum haben.
Daher werde ich nachher gegen den Passus, durch den das
Maßstäbegesetz befristet wird, stimmen.
Ich möchte eine weitere Anmerkung machen. Die Art
und Weise der Auseinandersetzung im Sonderausschuss
war eigentlich auf Rationalität angelegt. Ich gucke auch
den Vorsitzenden, Volker Kröning, an, der hier im Saal
sitzt. Sein Appell, das Gesetzgebungsverfahren so zu or-
ganisieren, dass es auch Verfassungsgerichtsmaßstäben
genügt, und eine Diskussion über Maßstabsbildungen zu-
zulassen, bei der nicht jeder sofort zum Taschenrechner
greift, war aller Ehren wert.
In der Praxis hat es nicht funktioniert das wissen wir ,
weil offensichtlich sämtliche Fraktionen des Deutschen
Bundestages mit Ausnahme der Grünen darauf gewartet
haben, was ihre Ländervertreter ihnen sozusagen ins Ge-
setzbuch schreiben. Nur unsere Fraktion hatte eine eigen-
ständige Positionierung zum Maßstäbegesetz.
Wir haben diesen Entwurf schon im letzten Jahr einge-
bracht, bevor der Bundesfinanzminister seinen Regie-
rungsentwurf vorgestellt hat. Was wahr ist, muss wahr
bleiben.
Lieber Fraktionsvorsitzender Struck, wenn unsere Frak-
tionsvorsitzende bei der Verabredung im Kanzleramt, an
der Sie teilgenommen haben, dabei gewesen wäre, würde
ich sagen: Okay. Sie war aber nicht dabei.
Aus diesem Grunde sage ich: Wir sind zwar an Lan-
desregierungen beteiligt, aber die Prokura hatten die Fi-
nanzminister, die in den entsprechenden Regierungen alle
das SPD-Parteibuch haben.
Was die Runde im Kanzleramt angeht, so muss ich das
schon sagen. Kleine Neckereien angesichts dessen, was in
den letzten Tagen gelaufen ist, müssen erlaubt sein. Ich
bin davon überzeugt, dass wir das hat man jetzt auch
gemerkt tatsächlich eine finanzpolitische Grundlinie
hinbekommen und dass wir in den nächsten Monaten
durch das Maßstäbegesetz ein besseres Klima zwischen
Bund und Ländern haben werden. Ich hoffe, dass wir die
Kraft haben, bei dem Finanzausgleichsgesetz in dieser
Legislaturperiode ein ordentliches Ergebnis zu erzielen.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Günter Rexrodt, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Es war einmal eine rot-grüne Koali-
tion. Sie war angetreten, den Reformstau in Deutschland
aufzulösen.
Den gab es; den gibt es. Er hat viele Gründe. Ich sage ein-
mal unabhängig vom täglichen politischen Schlagab-
tausch : Er besteht, weil gesellschaftliche Gruppierun-
gen, Institutionen, Bundesländer und Kommunen sich mit
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Oswald Metzger
17874
aller Macht an ihre Besitzstände und Privilegien klam-
mern. Sie verteidigen diese mit Klauen und Zähnen.
Reformen kommen in diesem Land oft nur schwer oder
gar nicht in Gang, weil es zur Normalität geworden ist,
nicht nur Besitzstände zu verteidigen, sondern immer
noch mehr haben zu wollen. Die Institutionen und auch
die Bundesländer lassen sich daran messen, ob sie noch
etwas über das Normale hinaus bekommen haben. So
wird Politik gemacht: Die Parteien nehmen diese Interes-
sen mehr oder weniger auf und in welcher Gruppierung
auch immer.
Vor diesem Hintergrund haben wir in der alten Koali-
tion manches geschafft und manches auch nicht. Gut wa-
ren wir beispielsweise bei der Deregulierung im Bereich
der Telekom und der Energiewirtschaft. Es war uns jedoch
verwehrt, eine Steuerreform zu machen. Das hatte viele
Gründe: Es lag zum Teil an Ihnen, zum Teil aber auch an
uns. Auch wir haben Fehler gemacht.
Sie haben bei der Steuerreform einen eigentlich gar
nicht verdienten Punktsieg errungen. Den Mittelstand ha-
ben Sie verprellt.
Sie haben enormen Schaden angerichtet, so beispiels-
weise beim Arbeitsrecht und bei der Ausweitung der Mit-
bestimmung. So ist das nun einmal.
Man kann dies nicht mit zwei Sätzen abtun, aber so ist nun
einmal das politische Geschäft.
Aber nie war eine Regierung aus fadenscheinigen
Gründen so zaghaft und feige wie Sie bei diesem Re-
formwerk, das wir unter der Überschrift Maßstäbege-
setz diskutieren.
Hier geht es um die Verteilung von Steuergeldern in einer
Höhe von Hunderten von Milliarden, also von Mitteln, für
die viele Millionen Menschen in Deutschland über Jahr-
zehnte hinweg arbeiten. Diese Reform war Ihnen vom
Bundesverfassungsgericht vorgegeben. Ihren Gesetzes-
text präsentieren Sie jetzt quasi handstreichartig.
Dieser Gesetzestext enthält Allgemeinplätze und
Sprechblasen, die das Bundesverfassungsgericht gerade
aus der Welt schaffen wollte. Das Bundesverfassungs-
gericht wollte geklärt haben, welches laufende und wel-
ches notwendige Ausgaben, was Sonderlasten sind und
was ein billiger Ausgleich ist. Karlsruhe wollte Klarheit
bei den Prinzipien für die Verteilung der Mittel zwischen
Bund und Ländern sowie den Ländern untereinander ha-
ben. Das alles ist von Ihnen mit Sprechblasen und weite-
ren Allgemeinplätzen umschifft worden.
Sie sind dabei einem einfachen Kalkül gefolgt, wel-
ches für die Regierung Schröder typisch ist: Was interes-
sieren uns Grundsätze und Prinzipien? Die Hauptsache
ist, gut auszusehen. Um das, was später kommt, werden
wir uns später kümmern.
So kann man vielleicht die 17. Änderung der Binnen-
wasserstraßenverordnung
oder die 9. Änderung der Gemeinschaftsaufgabe zur Ver-
besserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes an-
gehen.
Nicht einmal das; völlig richtig.
Dies geht aber nicht bei einem Gesetzeswerk, welches
die Verteilung unserer wirtschaftlichen Ressourcen über
Generationen hinweg betrifft. Sie sind nach dem Muster
vorgegangen: Wir haben bei der Steuerreform und der un-
seligen Ökosteuer genug Unruhe gehabt. Wir haben Un-
ruhe und Ärger bei der Rentenreform gehabt. Wir haben
auch immer noch Unruhe im Zusammenhang mit der Ge-
sundheitsreform; nun bloß keinen Ärger mit den Ländern.
Sie sagen also: Wir nehmen Geld in die Hand
und dann dürfen die Geberländer ein bisschen mehr be-
halten und die Nehmerländer bekommen ein bisschen
mehr. Für den Osten müssen wir sowieso bezahlen. Da-
mit das nicht missverstanden wird: Das ist auch richtig
und wir stehen dazu,
eine entsprechende Sicherheit zu geben. Das ist gut für die
Menschen und schafft eine Perspektive für die Investoren.
Aber Ihr Muster war: Wir nehmen Geld in die Hand,
denn der Bundesminister hat aufgrund von Einmalereig-
nissen ein bisschen mehr als sonst. Um das, was später
kommt, kümmern wir uns dann, wenn es so weit ist.
Wo ist da die für die Schaffung von Prinzipien not-
wendige Moral? Wer Geld hat, vergisst die Moral. Das
wissen wir alles.
Sie haben ein wichtiges Reformwerk, das Ihnen das
Verfassungsgericht aufgegeben hat, nicht umgesetzt. Sie
sind von hinten herumgegangen, haben Geld in die Hand
genommen, und zwar da ein Stück und dort ein Stück, und
beschwichtigt. Dann ist Ruhe. Den Kollegen von der
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Dr. Günter Rexrodt
17875
Union sage ich: Von Ihnen kommt eine pflaumenweiche
Stellungnahme, weil Sie die Länder, in denen Sie regie-
ren, haben gut bedienen können.
Deshalb gehen Sie nicht auf das ein, worauf es ankommt,
nämlich auf die Klärung von Grundsätzen. Sie haben sich
herausgemogelt. Ich sage Ihnen das ganz klar.
Wo sind denn im Rahmen dieser Föderalismusdebatte
die Fragen nach dem Anreiz für die Erfolgreichen oder
dem Ausgleich für die Schwächeren geklärt worden?
Genauso unbeantwortet blieb die Frage, was uns die
Hauptstadt wert ist und warum uns die Hauptstadt etwas
wert ist.
Wo sind bei den Fragen der Degression und des Aus-
laufens von Fördermitteln Grundsätze erkennbar? Es sind
keine erkennbar. Ebenso ist im Hinblick auf die ausste-
hende Reform der Finanzverfassung eine schlechte
Vorarbeit geleistet worden. Sie haben zu diesem Thema
nichts gesagt, sondern mit diesem Gesetzentwurf oppor-
tunistisch und feige gehandelt. In Ihren Reihen ist eine
Diskussion aufgekommen, die dazu geführt hat, dass der
Kollege Kröning aufgrund der bestehenden Unklarheiten
seinen Vorsitz im Sonderausschuss gestern Abend oder
heute Morgen niedergelegt hat. Das ist Ausdruck Ihrer
Zerrissenheit, Ihres schlechten Gewissens und Ihrer Un-
fähigkeit, mit diesem Problem umzugehen.
Lassen Sie mich als Letztes sagen: Sie haben Tagespo-
litik gemacht, obwohl es um Werte und um eine voraus-
schauende Verantwortung geht. Ihr Handeln ist ein Fehl-
schlag. Über die Tatsache, dass Sie in einer wichtigen
prinzipiellen Frage versagt haben, wird Ihre Mehrheit bei
der heutigen Abstimmung nicht hinwegtäuschen können.
Das wird Ihnen, auch über diese Legislaturperiode hinaus,
anhängen.
Ich erteile der Kolle-
gin Barbara Höll, PDS-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Herr Rexrodt, so ist das nun einmal: Von
18 Prozent träumen und Inhalte nicht einmal von 0,8 Pro-
zent.
Schauen Sie einmal in Ihren Entschließungsantrag un-
ter Nr. 2. Sie wollen im Sinne von mehr Wettbewerb-
föderalismus eine Überarbeitung. Sie würden vielleicht
besser daran tun, in das Grundgesetz zu schauen. Dort
steht eindeutig, dass wir einen solidarischen Föderalis-
mus haben. Es geht um eine Angleichung der Lebensver-
hältnisse um eine Gleichwertigkeit der Lebensverhält-
nisse. Solange Sie nicht entsprechend den Zielen des
Grundgesetzes agieren können, sollten Sie aufhören, sich
bei der SPD anzudienen, nachdem Sie heute so ge-
schimpft haben und am liebsten dort ins Bett kriechen
würden.
Ich muss andererseits sagen: Für mich ist diese Rede
ein gewisses Novum, denn es ist meine erste Rede es
wird sicher die einzige bleiben , in der ich mich in so
großer Übereinstimmung mit dem Bundesfinanzminister
befinde. Ich denke, dass das Ergebnis, das wir vereinbart
haben und das heute im Bundestag verabschiedet werden
soll, ein Erfolg im Sinne des Föderalismus ist. Es ist auch
ein Erfolg gegenüber dem Ansinnen eines der Grundprin-
zipien des Grundgesetzes, den solidarischen Föderalis-
mus, aufbrechen oder gar beseitigen zu wollen. Dieser
Versuch wurde abgewehrt und deshalb signalisieren wir
ganz klar unsere Zustimmung zu dem Gesetzentwurf, der
heute verabschiedet werden soll.
Es gibt sicher eine Reihe von Kritikpunkten, die man
anführen kann; es wurde dazu auch schon einiges gesagt.
Mit dem Entwurf wurde die Zielstellung des Bundes-
verfassungsgerichtes, mehr Transparenz und Überschau-
barkeit für die Bürgerinnen und Bürger, nicht erreicht.
Meines Erachtens sind die Maßstäbe, mit denen die ange-
strebte Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse erreicht
werden soll, nicht klargestellt. Trotz allem meinen wir:
Mit dem gefundenen Kompromiss ist eine sehr gute
Grundlage dafür geschaffen worden, dass der Föderalis-
mus gestärkt in die nächsten Jahrzehnte gehen kann.
Ein besonderer Diskussionspunkt hier im Hause war
die Befristung der Vorschriften. Lassen Sie mich dazu
kurz bemerken: Das Gesetz sieht nun Regelungen für fast
20 Jahre vor. Wir meinen, dass man mit einer Befristung
leben kann, vor allem angesichts der Tatsache, dass die
letzten Vereinbarungen zum Länderfinanzausgleich nicht
einmal den vereinbarten Zeitraum überlebt haben und am
Ende der Befristung sowieso eine grundlegende Neuord-
nung stehen muss, da der Solidarpakt II dann ausläuft.
Lassen Sie mich noch einmal besonders hervorheben,
dass wir als PDS in die Beratungen des Ausschusses Än-
derungsanträge eingebracht haben, mit denen wir vor-
geschlagen haben, den Finanzausgleich zweistufig zu
gliedern. In der ersten Phase sollte eine Angleichung der
Finanzkraft der Länder vorgenommen und in der zweiten
eine Angleichung der Lebensverhältnisse im Wege von
Bundesergänzungszuweisungen realisiert werden. Dieser
Vorschlag wurde von der Mehrheit im Ausschuss nicht
getragen. Aber es sollte eine Möglichkeit bleiben, über die
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Dr. Günter Rexrodt
17876
wir weiter nachdenken, auch bei der Beratung des Finanz-
ausgleichsgesetzes, das uns ja als nächstes ins Haus steht.
Das, was bezüglich des Fonds Deutsche Einheit
vereinbart wurde, ist ein Kompromiss, mit dem, so glaube
ich, alle leben können. Das Bedürfnis der alten Bundes-
länder, eine gewisse Tilgungsstreckung vorzunehmen,
können wir verstehen; wir werden uns dem nicht versper-
ren. Die Kritik von Herrn Seiffert bezüglich der Regelung,
die festschreibt, wie diese Tilgungsstreckung realisiert
wird, kann ich allerdings nicht teilen. Er sagt, dies gehe
zulasten der zukünftigen Generationen. Aber wenn ich
mich recht erinnere, war es Theo Waigel, der als Bundes-
finanzminister 1995
die Möglichkeiten, die er mit der Einstellung der zusätz-
lichen Bundesbankgewinne hatte, eben nicht genutzt hat.
Er hätte mit der Tilgung durchaus vorankommen können,
hat die sich bietenden Möglichkeiten aber nicht genutzt,
sondern extra noch das Gesetz geändert. Deshalb sollten
Sie an dieser Stelle in Ihrer Kritik wirklich etwas zurück-
haltend sein.
Die Vereinbarungen für die neuen Bundesländer be-
züglich des Solidarpaktes schaffen tatsächlich mehr Pla-
nungssicherheit. Das ist das Entscheidende für politische
Handlungsfähigkeit. Dass gleichzeitig ein größerer Frei-
raum zur politischen Gestaltung und damit mehr Eigen-
verantwortung vereinbart wurde, kann ja nur im Sinne
von uns allen sein, da damit die Zielstellung verbunden
ist, den Föderalismus tatsächlich zu stärken. Ich glaube,
das ist ein wichtiger, sehr guter Schritt. Kein Land wird
Schwierigkeiten haben, im Fortschrittsbericht nachzu-
weisen, dass die Gelder sinnvoll eingesetzt wurden.
Lassen Sie mich noch etwas zur Frage der Einbezie-
hung der kommunalen Finanzkraft bemerken. Auch wir
hätten uns eine stärkere Einbeziehung vorstellen können,
zumal wir schon mehrmals im Bundestag betont haben,
dass eine grundlegende Finanzreform notwendig ist. Ei-
gentlich, so muss ich sagen, bin ich diesbezüglich auch
etwas enttäuscht, Herr Metzger; denn dieses Ziel war be-
reits im Koalitionsvertrag vereinbart und sollte in dieser
Legislaturperiode angegangen werden. Beides, eine
grundlegende Prüfung und eine Stärkung der kommuna-
len Finanzkraft, ist nicht erfolgt, sodass Sie hier in der
Bringschuld sind. Ich bin aber optimistisch, dass wir das
gemeinsam angehen können.
Die PDS wird die Befristung also mittragen und unter-
stützt auch den Entschließungsantrag zur Neugestaltung
des Solidarpaktes. Ich glaube, es ist gut, dass wir das
schon heute verabschieden, auch wenn wir das noch nicht
unbedingt gemusst hätten. So herrscht Klarheit, auch für
die Öffentlichkeit, dass Solidarität mit den neuen Bun-
desländern angesagt ist und dass alle Bundesländer bereit
sind, diese Solidarität zu üben.
Ich bedanke mich.
Ich erteile dem Ersten
Bürgermeister der Stadt Hamburg, Ortwin Runde, das
Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der Ver-
abschiedung der Finanzreform im Bundesrat am
9. Mai 1969 hat Herbert Weichmann, Bundesratspräsident
und Hamburger Bürgermeister, Folgendes gesagt:
Die Materie der Finanzreform zeichnet sich nicht
eben durch Sex-Appeal aus.
Stimmt bis heute! Die Länderfinanzreform ist tatsächlich
ein richtig schwerer Brocken. Man merkt ja auch immer,
wie wenige wirklich etwas davon verstehen; manchmal
schimmert das bei den Reden durch.
Wir haben aber diesen schweren Brocken bewegt, und
zwar in die richtige Richtung. Das waren in der Tat zähe
und äußerst mühselige Verhandlungen; darüber könnte
ich einiges berichten.
Die Einigung, die wir am Ende erzielt haben, ist ein Er-
folg für alle.
Vor allem ist es aber ein Erfolg für die Menschen. Der
Länderfinanzausgleich hat nicht nur etwas damit zu tun,
wie sich die Länder untereinander und mit dem Bund
streiten, sondern am Ende sind die von der Finanzverfas-
sung Betroffenen die Bürgerinnen und Bürger in allen
Ländern dieser Republik, die froh sind, dass wir dies end-
lich hinbekommen haben.
Der Bundeskanzler hat mit Recht davon gesprochen,
dass unser Land gewonnen hat. Es hat in dreifacher Hin-
sicht gewonnen: Erstens. Die Eigenständigkeit aller Län-
der und das föderale System sind gesichert. Zweitens. Das
Solidarprinzip im Föderalismus wird gestärkt, weil es ei-
nen fairen Ausgleich zwischen Empfänger- und Geber-
länderinteressen gibt, was gerade für die neuen Länder
wichtig ist. Drittens. Intelligente Anreizsysteme kommen
allen Ländern zugute. Und das ist auch gut so.
In der nun laufenden Diskussion sind wir kritisch ge-
fragt worden, wo denn nun die Schönheitsfehler seien.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Dr. Barbara Höll
17877
Daraufhin habe ich mir natürlich die Mühe gemacht, mir
die Architektur dieses Maßstäbegesetzes anzusehen. Ich
muss sagen, der zweifach geknickte linear-progressive
Tarif in symmetrischer Ausgestaltung für Zahler- und
Nehmerländer ist im Vergleich zum bestehenden wirklich
viel schöner.
Oder schauen Sie sich einmal die Sache mit dem
Selbstbehalt kirchhofscher Prägung an. Dazu hat Herr
Kollege Rexrodt etwas Richtiges gesagt: Wer Geld hat,
vergisst die Moral.
Deswegen hat Kirchhof immer gesagt, der Selbstbehalt
gelte nur für die Erfolgreichen. Jetzt haben wir im Maß-
stäbegesetz eine wirklich neue moralische Qualität: Der
Selbstbehalt in Höhe von 12 Prozent dessen, was jährlich
über dem Durchschnitt der Mehreinnahmen liegt, gilt
nicht nur für Reiche, sondern auch für die Armen. Das ist
doch ein großer Erfolg. Ich verstehe nicht, dass die F.D.P.
da nicht mitmachen will.
Beim Fonds Deutsche Einheit haben wir, nachdem
das von der Finanziererseite immer ein bisschen gequält
zurückkam, wenn wir ein wenig vorangekommen waren,
am Ende eine einfache und faire Lösung gefunden, die
richtig gut ist.
Nimmt man das ganze Verfahren vom Streit vor dem
Verfassungsgericht bis heute, dann muss man feststellen,
dass zwei Schulen gegeneinander gestanden haben: die
Schule der Staatsrechtler mit Böckenförde und die Schule
derjenigen, die das eher neoliberal-ökonomisch angehen
wollten. Das, worauf wir uns verständigt haben, stellt ei-
nen Sieg für die staatsrechtliche Schule dar. Dass die an-
dere Schule das nicht so akzeptiert, ist recht klar, da sie
eben nicht recht zum Zuge gekommen ist. Aber wir woll-
ten eben keinen Wettbewerbsföderalismus.
Die Einigung über den Länderfinanzausgleich und
über den Solidarpakt II ist ein wichtiger Beitrag zu einem
modernisierten Föderalismus und zugleich ein Beitrag zur
Vollendung der inneren Einheit. Dieser Meinung sind alle
16 Ministerpräsidenten, selbst diejenigen, die mit der
F.D.P. in einer Koalition zu sein das Glück oder Unglück
haben.
Genau genommen muss man, wie Kurt Biedenkopf es ge-
tan hat, von einem 17:0-Sieg sprechen; denn die Einigung
schließt auch den Bund ein.
Wichtig ist, dass die Regelungen den Anforderungen
des Bundesverfassungsgerichts gerecht werden.
Ganz einfach sind diese Anforderungen ja auch nicht.
Manchmal hatte man den Eindruck, dass man das Stufen-
prinzip von Maßstäbegesetz, Länderfinanzausgleich und
Solidarpakt entwickelt hat, um das Ganze justiziabel zu
machen, weil es sich in seiner Komplexität der richterli-
chen Rechtsprechung ein bisschen entzogen hat. Wir sol-
len also den Verfassungsrechtlern und dem Verfassungs-
gericht die Arbeit für die Zukunft ein wenig erleichtern.
Meine Damen und Herren, damit eine Einigung mög-
lich wurde, musste mancher von Illusionen Abschied neh-
men. Zu ihnen gehörte zum einen die Illusion, sich zulas-
ten der anderen bereichern zu können. Dazu gehört aber
auch die Illusion, über den Länderfinanzausgleich eine
Länderneugliederung herbeiführen zu können. Mancher
hatte da wohl insbesondere die Stadtstaaten ins Auge ge-
fasst. Dies hätte aber weder dem Grundgesetz noch dem
Urteil des Verfassungsgerichts entsprochen.
Ich glaube umgekehrt, dass das erzielte Ergebnis viel
von der Kreativität des Föderalismus widerspiegelt. Im
Lösungsmodell gibt es einen Anreizmechanismus, der im
Saarland entwickelt wurde, einen Tarif, der in Sachsen-
Anhalt konstruiert und in Süddeutschland verfeinert
wurde, einen Deckel für die Abschöpfung bei den Zahler-
ländern aus Hessen und ein Modell für den Fonds Deut-
sche Einheit aus Hamburg. Das, was wir entwickelt ha-
ben, ist also ein kreatives Gesamtkunstwerk.
Meine Damen und Herren, die Zielsetzung muss es
doch sein, für die Zeit bis 2019 Frieden zu haben. Jeder,
dem es an den Kragen gehen sollte, weiß, was Krieg be-
deutet. Jeder, der dann hätte Verluste fürchten müssen,
weiß, was es bedeutet, wenn 16 Länder und der Bund mit-
einander eine Finanzverfassung verabreden, die friedliche
Zeiten und damit auch Planbarkeit für den Zeitraum bis
2019 beinhaltet.
Dass wir den Knoten durchschlagen konnten, ist auch
dem Bund zu verdanken, der wenn auch nicht mit fri-
schem Geld den Ländern dauerhaft wirksam jährlich
1,5 Milliarden DM zur Verfügung gestellt hat. In diesem
Punkt gilt dem Bund in der Tat mein Dank. Das hat wirk-
lich als Erleichterung der Konsensfindung gewirkt. Mein
Dank gilt insbesondere Herrn Eichel und dem Kollegen
Koch, der für die CDU-geführten Länder eine sehr kon-
struktive Rolle gespielt hat. Ich muss sagen, meine Damen
und Herren von der CDU/CSU, Ihre Ministerpräsidenten
waren sehr viel entscheidungsfreudiger, sehr viel konse-
quenter, als ich das heute von Ihnen hier gehört habe.
Meine Damen und Herren, dass beim Hamburger Bür-
germeister sämtliche Alarmglocken schrillen, wenn man
unsere Eigenständigkeit infrage stellt, werden Sie sicher
verstehen. In dieser Situation waren wir ja. Die große Be-
deutung der Stadtstaaten im föderalen Verbund wurde
von allen akzeptiert. Konsequenterweise ist dann auch die
Einwohnerwertung ohne Wenn und Aber auf 135 Prozent
festgelegt worden.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Ortwin Runde, Erster Bürgermeister
17878
Herr Rexrodt, ich habe gehört, dass Sie hier in Berlin
zukunftsorientiert eine politische Rolle spielen wollen.
Daher hat mich Ihre Position zum Maßstäbegesetz und
zum Finanzausgleich etwas erstaunt; denn das ist natür-
lich etwas, was für die Berliner von zentraler Bedeutung
ist. Sie hätten sich diesbezüglich vielleicht mit den Berli-
ner Kollegen verständigen sollen.
Die Hauptstadtregelung ins Maßstäbegesetz einfügen zu
wollen, das zeigt in voller Klarheit die moralische Posi-
tion, die Sie dazu haben. Darüber war ich etwas verwun-
dert.
Meine Damen und Herren, das, was der Sonderaus-
schuss nach sicher nicht einfachen Verhandlungen auf den
Tisch gelegt hat, ist Grundlage für die kontinuierliche
Weiterentwicklung in den 16 Ländern. Es ist auch ökono-
misch von großer Bedeutung, für einen so langen Zeit-
raum Planungssicherheit zu haben. Es wird den neuen
Ländern nicht unerheblich helfen, dass die Mittel im Be-
reich des Solidarpaktes II jetzt sehr viel flexibler einge-
setzt werden können. Das sind meines Erachtens sehr po-
sitive Regelungen. Zwei Jahrzehnte haben wir nun Zeit:
die neuen Länder zum Aufholen, jedes Bundesland für die
Weiterentwicklung spezifischer Stärken und der Föde-
ralismus für seine Fortentwicklung. Für mich stärkt dieser
Kompromiss den Föderalismus und macht den Kopf für
neue Aufgaben angesichts der deutschen Einheit, der
zunehmenden Europäisierung und Internationalisierung
frei.
So gesehen: Die Beschlüsse zum Länderfinanzaus-
gleich und zum Solidarpakt II sind wichtige, man kann sie
mit einigem Recht auch historische Beschlüsse nennen.
Der Föderalismus hat die Zukunft und das Solidarprin-
zip gestärkt.
Wer sich mit dem Begriff historisch etwas schwer tut,
der könnte auch, frei nach Herbert Weichmann, meinem
berühmten Vorgänger allerdings muss man darauf hin-
weisen: Bei uns in Hamburg sind alle Vorgänger berühmt,
das habe ich mit Herrn Stoiber gemein , sagen: Die Lö-
sung, die wir gefunden haben, hat durchaus Sex-
Appeal.
Ich erteile dem Kolle-
gen Bartholomäus Kalb, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der heute zu
beschließende Änderungsantrag hat innerhalb der Koali-
tionsfraktionen zu erheblichen Spannungen geführt. Ich
bin aber sehr froh, dass es zu diesem Änderungsantrag ge-
kommen ist und er beschlossen wird, weil ich ihn für not-
wendig halte. Es muss wieder der Zwang zu einer grund-
legenden Neuordnung des Länderfinanzausgleichs und
der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern vor-
handen sein.
Dieses Mal war es so, dass wir vom Bundesverfas-
sungsgericht praktisch dazu gezwungen worden sind.
Die Länder Bayern, Baden-Württemberg und Hessen ha-
ben mit ihrem Gang nach Karlsruhe im Grunde die Ent-
scheidung und damit auch diese Situation herbeigeführt.
Der Gesetzgeber wäre nicht frei, die Dinge grundsätzlich
und grundlegend neu zu ordnen, wenn das Maßstäbege-
setz fortbestehen würde. Ich möchte hier gerne einige
Stichworte anführen. Ich denke an die Bestimmungen im
Maßstäbegesetzentwurf zur vertikalen Umsatzsteuer-
verteilung, zur Einwohnerwertung, zur Einbeziehung
der kommunalen Finanzkraft, der Eigenbehalte, des De-
ckungsquotenverfahrens und die Bundesergänzungszu-
weisung für die neuen Länder. Ich könnte mir vorstellen:
Sie wären sehr froh, wenn diese Bestimmungen im Maß-
stäbegesetz entgegen der Vereinbarung über das Jahr 2019
hinaus fortbestehen würden.
Der Kollege Metzger ich sehe ihn im Moment nicht
hat heute sehr gemäßigt gesprochen. Gestern hat er aber
sehr vollmundig harte Kritik geübt. Heute steht im Han-
delsblatt etwas von ihm zu lesen. Ich zitiere:
Wir lassen uns nicht von den finanzstarken Südlän-
dern vorführen.
Das hat doch nichts mit den finanzstarken Südländern zu
tun. Es war die Vereinbarung aller, die sich darauf ver-
ständigt haben. So steht es auch im Protokoll über die Ta-
gung der Ministerpräsidenten.
Oswald Metzger hat noch letzte Woche, ausweislich
des Protokolls, auf eine Zwischenfrage Folgendes geant-
wortet:
Eines dürfen Sie
nicht vergessen: Wir gehen als
Koalition davon aus, dass die Reform der Finanzver-
fassung in Deutschland damit nicht zu Ende ist. Auch
die Regierung weiß, dass wir eine Finanzverfas-
sungsreform größeren Umfangs brauchen, mehr Ver-
antwortung auf Länder und Gemeinden übertragen
müssen
Deswegen verstehe ich seine Reaktion überhaupt nicht.
Ein wesentlicher Bestandteil dieser Einigung ist die
Fortführung des Solidarpaktes, der Solidarpakt II. Für
uns, für die CDU/CSU, aber auch für die CDU- bzw.
CSU-geführten Länder war von vornherein klar, dass die
Hilfe für die neuen Länder fortgeführt werden muss. Der
Widerstand und die Bedenken kamen doch ganz überwie-
gend aus den Reihen der Bundesregierung und der SPD-
geführten Bundesländer. Von ihnen kamen die Vorbehalte
und Widerstände.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Ortwin Runde, Erster Bürgermeister
17879
Die Südländer haben nie einen Zweifel daran gelassen,
dass sie bereit sind, Solidarität zu üben. Das haben sie so-
wohl vor dem Bundesverfassungsgericht als auch bei je-
der Äußerung zu diesem Thema immer wieder zum Aus-
druck gebracht. Es ist jetzt vorgesehen, 306 Milliar-
den DM im Rahmen des Solidarpaktes II, der bis ein-
schließlich 2019 gilt, zur Verfügung zu stellen. Diese
Summe ist notwendig, weil es unendlich schwierig ist, die
Schäden, die Sozialismus und Kommunismus in 40 Jah-
ren im Osten Deutschlands angerichtet haben, zu behe-
ben.
Heute hat der Bundesfinanzminister ausgeführt, dass
die neuen Länder länger als zunächst gedacht Unter-
stützung bräuchten. Das wussten wir von vornherein. Die
neuen Länder brauchten auch in den zurückliegenden
zehn Jahren unsere starke Unterstützung. Wenn ich die
Zahl richtig in Erinnerung habe, dann sind bereits mehr
als 1 Billion DM in den Aufbau der neuen Länder inves-
tiert worden. Ihnen ist diesbezüglich nichts anderes ein-
gefallen, als uns den Schuldenberg vorzuwerfen. Kollege
Metzger hat noch letzte Woche von Verprassen des Gel-
des gesprochen. Ich sage: Wir haben sinnvoller- und not-
wendigerweise in die Behebung der Schäden von Sozia-
lismus und Kommunismus sowie in den Aufbau der neuen
Länder in den letzten zehn Jahren investiert.
Wenn heute gesagt wird, es sei ein wichtiges Ziel, zu
einem ausgeglichenen Bundeshaushalt zu kommen, dann
kann ich nur sagen: Wir hätten die Nettokreditaufnahme
schon im Jahre 1991 vermeiden können, wenn es die Wie-
dervereinigung nicht gegeben hätte. Trotzdem sage ich
wie viele Menschen in diesem Lande: Gott sei Dank kam
es zur Wiedervereinigung. Wir müssen uns jetzt all den
Herausforderungen stellen, die damit zusammenhängen.
Wir stellen uns diesen Herausforderungen sehr gern.
Der Bundesfinanzminister hat am letzten Donnerstag
im Zusammenhang mit einem anderen Thema nebenbei
bemerkt: Ich weise nur darauf hin, dass Japan zweiein-
halbmal höher verschuldet ist als Deutschland. Und das
ohne Wiedervereinigung! Mir ist jedenfalls nicht bekannt,
dass Japan oder irgendein anderes Land die Lasten einer
Wiedervereinigung zu tragen gehabt hätte. Das heißt, es
spricht noch im Nachhinein für die Politik von Kohl und
Waigel, wenn die Staatsverschuldung in Deutschland
zweieinhalbmal niedriger als in Japan ist.
Der Solidarpakt II, so ist es vereinbart worden und so
steht es im Finanztableau, wird ab 2006 degressiv gestal-
tet, das heißt auch, dass der Solidaritätszuschlag spätes-
tens ab diesem Zeitpunkt abgesenkt werden muss. Frau
Staatssekretärin Hendricks hat im Sonderausschuss zuge-
sagt, dass dies möglich und beabsichtigt sei. Wir werden
die Bundesregierung beim Wort nehmen. Es muss im Zu-
sammenhang mit dem noch zu beschließenden Finanz-
ausgleichsgesetz die Absenkung und Abschaffung des So-
lidaritätszuschlages fixiert werden; denn sonst besteht die
Gefahr, dass der Solidaritätszuschlag ein Ewigkeitszu-
schlag bleibt.
Es ist auch sehr wichtig deswegen bin ich froh, dass
jetzt eine Einigung darüber erzielt worden ist , die Ei-
genverantwortung der Länder zu stärken und die Über-
nivellierung zu beseitigen. Es ist wichtig, dass ein Bun-
desland von seinen eigenen besonderen Anstrengungen
profitieren wird. Ich zitiere den Ministerpräsidenten von
Nordrhein-Westfalen, Herrn Clement, der laut Handels-
blatt am 18. Juni vor der Ministerpräsidentenrunde sagte:
Für den neuen Finanzausgleich, bei dem es am Sams-
tag bei BK Schröder zu einer Einigung kom-
men soll, müsse gelten, dass sich gute Politik für die
Länder künftig wieder lohne. Das bisherige System
ist nicht wettbewerbsfähig, sondern zu einem
Hemmschuh im Wettbewerb der Regionen um Inves-
titionen und Arbeitsplätze geworden. Von steuerli-
chen Mehreinnahmen muss deshalb den Ländern
das gilt für Zahler wie für Empfänger künftig ein
größerer Eigenanteil bleiben.
Das war die Forderung der allermeisten Länder, die
sich darum bemüht haben. Darum kann ich dies auch nur
unterstreichen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bedauere
sehr, dass es um den Entschließungsantrag so viele Dis-
kussionen gegeben hat und geben musste, weil man of-
fensichtlich nicht in der Lage war, in den verschiedenen
Ausschüssen Klarheit darüber herzustellen, wie sich der
Fonds Deutsche Einheit in Abfinanzierung und Ver-
zinsung darstellt. Einmal wird von einer Restschuld von
12,8 Milliarden DM gesprochen, ein anderes Mal wird
schon jetzt unterstellt, es seien 7,8 Milliarden DM mehr
zu bedienen. Die verschiedenen Staatssekretärinnen und
Staatssekretäre haben in den Ausschüssen zum Teil nicht
deckungsgleiche Auskünfte gegeben. Das macht es na-
türlich schwer, zu klaren Ergebnissen zu kommen. Das
macht es auch uns von der Union unmöglich, jetzt zuzu-
stimmen, was wir sonst gern getan hätten. Mir muss ein-
mal jemand erklären, wieso man auf eine Zahl von
12,8 Milliarden DM kommt, wenn man gleichzeitig schon
weiß das findet sich in einem anderen Papier , dass
diese Zahl um 7,8 Milliarden DM überschritten werden
wird.
Mehr Offenheit, mehr Transparenz, mehr Klarheit,
bessere Information hätten hier sicherlich sehr gut getan.
Sicherlich wäre es auch gut gewesen, wenn wir denn et-
was mehr Zeit gehabt hätten. Vielleicht wäre es auch ganz
gut gewesen diese Kritik kann ich mir nicht ersparen ,
wenn sich Bundesminister Eichel auch persönlich in die-
ser Woche noch etwas stärker in dem einen oder anderen
Gespräch mit einem Ministerpräsidenten engagiert hätte.
Vielleicht hätte dann manche Unklarheit gegenüber dem
Parlament ausgeräumt werden können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, unser Aus-
schussvorsitzender, Kollege Kröning, hat mir vorhin den
Entwurf eines für ihn, für uns alle bedeutsamen Schrei-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Bartholomäus Kalb
17880
bens gezeigt. Unabhängig davon darf ich Ihnen, lieber
Herr Kröning, sehr herzlich für die Arbeit danken, die Sie
an der Spitze unseres Ausschusses bis jetzt geleistet ha-
ben.
Wir haben eine sehr intensive Vorberatung durchgeführt.
Manche haben das auch etwas ironisch kommentiert.
Wenn wir diese intensive Vorarbeit aber nicht gehabt hät-
ten, wären wir mit Sicherheit nicht in der Lage gewesen,
das, was letztes Wochenende vereinbart worden ist, so
schnell, innerhalb einer Woche, umzusetzen und, wie ich
denke, in eine einigermaßen passable Gesetzesform zu
gießen. Herzlichen Dank, Herr Kollege Kröning, an Sie,
an Ihre Mitarbeiter im Sekretariat, an die Mitarbeiter der
beteiligten Häuser und Fraktionen.
Ich hoffe, dass wir nach der Sommerpause ein Finanz-
ausgleichsgesetz hinbekommen, das den Ansprüchen und
den Anforderungen genügt.
Ich danke Ihnen.
Ich erteile der Kolle-
gin Antje Hermenau, Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim Geld hört
bekanntlich die Freundschaft auf. Um einen Klassiker zu
bemühen: Shakespeare ließ im Hamlet sagen: Man kann
lächeln und lächeln und doch ein Schurke sein. Ich sage
das etwas spöttisch, wie Sie merken, meine Kollegen und
Kolleginnen.
Man hat gemerkt, Herr Runde das muss man deutlich
sagen , dass bei Ihnen die Anspannung abgefallen ist. Sie
haben hier ein paar heitere Anekdötchen dargeboten. Das
legt uns allen nahe: Es war ein harter, ein fast verzweifel-
ter Kampf. Er ist in sehr großer Anspannung verlaufen.
Das wird nach außen zwar nicht so deutlich, aber man
merkt es nachher bei den Abschlussreden, wenn die ganze
Anspannung abfällt und sich viele in Anekdoten und hei-
teren Anmerkungen ergehen.
Ganz so heiter ist die Bilanz nicht, die ich ziehe; das
sage ich ganz deutlich. Die Bilanz ist durchwachsen, wie
es einem gut erkämpften Kompromiss auch wohl anste-
hen mag. Ich möchte auf zwei Punkte eingehen, von de-
nen ich denke, dass wir sie noch einmal genau anschauen
müssen, um zu verstehen, warum die Bilanz so durch-
wachsen ist. Ich möchte etwas zur Investitionskraft der
Kommunen, die in sämtlichen Verhandlungen absolut
keine Rolle gespielt hat, und etwas zum Verfahren sagen.
Dem Ergebnis ist deutlich anzumerken, dass die Kom-
munen nicht am Tisch gesessen haben. Obwohl alle, die
in Ländern und Kommunen regieren, wissen, dass Län-
der und Kommunen eigentlich eine Art finanzielle
Schicksalsgemeinschaft sind und dass man eigentlich im-
mer den Standpunkt der Kommunen mitdenken muss, ist
dem Ergebnis deutlich anzumerken das werde ich gleich
erläutern , dass die Landesoberhäupter ohne die Vertre-
ter der Kommunen verhandelt haben.
Ich mache das zum einen am Problem der Anrechnung
der kommunalen Finanzkraft fest. Sie wurde bisher zu
50 Prozent angerechnet, um herauszufinden, wie finanz-
stark ein Land eigentlich ist. Auf diese Weise wurde die
Finanzkraft finanzstarker Länder ein bisschen herunter-
gerechnet, sodass sie etwas mehr Geld bekamen, und die
Finanzkraft finanzschwacher Länder wurde ein wenig
heraufgerechnet, sodass sie weniger Geld bekamen. Ei-
nige Länder sind sogar mit der Forderung aufgetreten, die
kommunale Finanzkraft auf 0 Prozent herunterzurechnen,
weil die Kommunen in diesem Zusammenhang keine
Rolle zu spielen hätten. Dazu gehört schon eine gewisse
Chuzpe. Vor dem Hintergrund der finanziellen Schick-
salsgemeinschaft zwischen Kommunen und Land ist das
politisch unanständig.
Diese Länder haben sich nicht durchgesetzt. Einzelne
Vertreter der Südländer Bayern und Baden-Württemberg
haben immer wieder gefordert, 0 Prozent anzurechnen.
Ich habe hier schon einmal zum Besten gegeben, dass
mein Studium der historischen Debatten über die Finanz-
politik der alten Bundesrepublik Deutschland ergeben
hat, dass der damals sehr berühmte Finanzpolitiker Franz
Josef Strauß einmal sagte, als es dem Lande Bayern noch
sehr schlecht ging und es vom Föderalismus sehr abhän-
gig war, er wünsche die 100-prozentige Anrechnung der
kommunalen Finanzkraft, damit der Aufbau Süd gelinge.
Ich bitte herzlich darum, den ostdeutschen Ländern nicht
irgendetwas Frivoles vorzuwerfen, nur weil sie im Hin-
blick auf den Aufbau Ost das gleiche Ansinnen hegen.
Wenn jemand sagt, der Sprung von 50 Prozent auf
100 Prozent sei nicht in einem einzigen Schritt zu schaffen,
dann kann ich damit irgendwie leben. Wir hätten allerdings
einen Korridor von 70 Prozent bis 80 Prozent erreichen
müssen, um den realen Verhältnissen einigermaßen ge-
recht zu werden. Das ist nicht gelungen. Die Runde, die
aus dem Finanzminister, dem Kanzler und den Minister-
präsidenten bestand, hat 64 Prozent erbracht. Dieses Er-
gebnis ist sogar noch ein bisschen magerer als der Anteil
von zwei Dritteln, von denen zunächst die Rede war. Man
bedenke, dass es sich auch bei einem Unterschied von nur
ungefähr 2 Prozentpunkten um reales Geld handelt.
Ich muss sagen: Ich kann mir gut vorstellen, dass auch
die Haushaltssituation der Länder nicht leicht ist. Es
wurde sogar vereinbart die konkrete Ausarbeitung
bleibt abzuwarten , dass sich auch die Landeshaushalte
am Maastricht-Kriterium orientieren und ihre Verschul-
dung herunterfahren sollen. Das ist völlig korrekt und
nachdem der Bund nach harten Kämpfen in dieser Frage
schon mit gutem Beispiel vorangegangen ist, kann man
es erwarten.
Man kann den ostdeutschen Ländern, deren Haushalte
mehr als klamm sind, Geld über den Solidarpakt II auf
die Summe komme ich gleich zu sprechen zukommen
lassen. Dabei kann man zum Beispiel das Investitionsför-
derungsgesetz, das bisher ein Teil des Solidarpakts I
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Bartholomäus Kalb
17881
gewesen ist, nicht anwenden und auf diese Weise die
Zweckbindung bestimmter Gelder an die Kommunen
wegfallen lassen. Diese Gelder kann man denjenigen Län-
dern zukommen lassen, deren Haushalte schwach sind.
Das würde bedeuten: Zwar haben sowohl Kommunen als
auch Länder schwache Haushalte; aber den Hebel, das
Problem zu beheben, bekommen ausschließlich die Län-
der. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine solche Politik
auf Dauer tragfähig ist. Ich bin damit nicht zufrieden.
Das Land Sachsen hat damals völlig zu Recht; ich
habe mich dieser Meinung angeschlossen gesagt, es sei
sinnvoll, den Sockel des Investitionsförderungsgesetzes
zu erhalten und es nicht degressiv zu gestalten, das heißt,
die entsprechenden Gelder nicht abzuschmelzen; wer
Teile des Solidarpakts abschmelzen wolle, der solle bei
den Sonderbundesergänzungszuweisungen ansetzen,
aber nicht bei denjenigen Geldern, die direkt in die Kom-
munen flössen und dort zweckgebunden ausgegeben wer-
den sollten. Dieses Ziel haben wir nicht erreicht.
Kollegin Hermenau,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wer möchte denn gerne eine Zwischenfrage stellen?
Der Kollege Rössel
von der PDS.
Ach Gott, der Herr Rössel.
Liebe Kollegin
Hermenau, ich teile Ihre Einschätzung in weiten Teilen.
Ich möchte Sie fragen: Ist die von Ihnen vorgetragene Kri-
tik nicht ein Anlass dafür, über den Bundeshaushalt recht
schnell eine kommunale Investitionspauschale des
Bundes zu verankern?
Denn dann Sie beklagen, dass das nicht so ist können
die Kommunen selbst entscheiden und die Länder können
nicht sozusagen hineinregieren. Nennen Sie einmal Ihre
Argumente!
Herr Rössel, ich finde es nett, dass Sie versuchen, jede
Chance zu nutzen, ein Kind, das Sie jahrelang gehegt und
gepflegt haben, hier immer wieder an den Tropf zu hän-
gen. Aber davon wird es auch nicht kräftiger. Gestatten
Sie, dass ich beim Thema bleibe und nicht auf Ihre Aus-
flüchte eingehe.
Ich komme auf die Frage zurück, die ich gerade aufge-
worfen habe. Die Länder bekommen im Rahmen des So-
lidarpakts II ein Extrageld. Die Finanzkraft ihrer Kom-
munen wird nicht angerechnet. Das ist das Kernproblem.
Dieses Extrageld ist im Prinzip das sage ich hier ganz
deutlich eine Art Entschuldigungssumme. Es ist im
Prinzip die Wiedergutmachung dafür, dass es nicht gelun-
gen ist, die alten Bundesländer davon zu überzeugen, dass
die Finanzkraft der Kommunen stärker angerechnet wer-
den muss. So empfinde ich das politisch. Ich geniere mich
überhaupt nicht dafür, dass die ostdeutschen Länder auf-
grund des Solidarpaktes jetzt 20 Milliarden DM im Jahr
bekommen. Dieser Betrag wird ja degressiv abgeschmol-
zen und nicht ewig weiter gezahlt. Ich bin überhaupt nicht
bereit, mich dafür zu genieren. Schämen müssen sich für
dieses Verhandlungsergebnis andere.
Ich finde es gut, dass der Bund an ihm ist es wieder
hängen geblieben versucht hat, bestimmte Entwicklun-
gen zu mildern, die schon absehbar waren. Das Steuer-
aufkommen der ostdeutschen Länder wird in den
nächsten Jahren stagnieren, jedenfalls nicht deutlich an-
wachsen. Das ist ganz klar. Die Einkommensteuerreform
wirkt sich im Osten aufgrund der Tatsache, dass viele Ein-
kommen, die jetzt gerade so mit Ach und Krach über der
Grenze liegen, aus der Steuerpflicht herausfallen werden,
massiv aus. Natürlich spielt auch eine Rolle, dass die EU-
Fördermittel im Jahre 2006 auslaufen. Das heißt also, die
Einnahmen der ostdeutschen Länder aus vielen verschie-
denen Bereichen werden ungefähr zum gleichen Zeit-
punkt zurückgehen. Ich bin dankbar, dass die im Soli-
darpakt II vereinbarte Degression erst im Jahre 2008
greift, sodass man sich in einer Übergangsphase auf diese
Verhältnisse einstellen kann. Der Bund hat hier eine soli-
darische Haltung eingenommen, die gemäß meinem Ver-
ständnis der Dinge eigentlich die Länder hätten überneh-
men müssen.
Nun noch ein Wort zum Verfahren: All die Dinge, die
ich jetzt geschildert habe, zeigen, dass es eine durch-
wachsene Bilanz war, um die wir hart gerungen haben.
Dieser Kompromiss ist, weil Kompromisse eben so sind,
nicht erotisch,
aber man kann damit leben; so hätte ich dem auch gut zu-
stimmen können. Liebe Frau Frick, ich hätte mir ge-
wünscht, Sie hätten gleich zu Anfang für die F.D.P. ge-
sprochen und die ganze Redezeit verbraucht; dann wäre
uns Herr Rexrodt erspart geblieben. Sie haben nämlich in
einem Punkt immer sehr klar Stellung bezogen. Ich
stimme in diesem Punkt mit Ihnen völlig überein.
Hierbei geht es um die Tatsache, dass politische Ent-
scheidungen in letzter Sekunde am Parlament vorbei ge-
troffen werden, wo doch dem Parlament eigentlich die
Aufgabe zukommt, diese Entscheidungen zu treffen. Ich
finde, es ist völlig korrekt, diese Kritik anzubringen. Ich
weiß auch, dass eine Reihe von Kollegen, nicht nur aus
der Opposition, diese Auffassung teilt. Ich finde es doch
erstaunlich, dass in letzter Sekunde dieses Maßstäbe-
gesetz befristet werden soll,
das eigentlich ganz allgemeine Regeln festlegen soll. Mir
scheint, dass man dem Frieden nicht traut: Erst einigen
sich alle am Parlament vorbei, dann traut man seinen ei-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Antje Hermenau
17882
genen Regelungen nicht und führt eine Befristung ein,
damit aufgrund von formellen Fehlern im Zweifel die
Möglichkeit zur Klage besteht. Ich halte es für unanstän-
dig, die Arbeit des Parlaments auf diese Weise zu konter-
karieren. Ich bin damit nicht einverstanden und stimme
dem auch nicht zu.
Ganz zum Schluss möchte ich dem Kollegen Kröning
für die inhaltliche Tiefe und die umfassende und über-
sichtliche Art und Weise, wie er den Ausschuss geleitet
und uns allen die Möglichkeit gegeben hat, dieses Pro-
blem vernünftig zu beurteilen, danken. Ich füge einen
letzten Satz hinzu: Ich glaube nicht, dass die Sachkunde
der Ministerpräsidenten in der Runde, in der alles aus-
gekaspert worden ist, höher war als die des Ausschusses.
Wir hatten nämlich einige Ministerpräsidenten zu Be-
such; deren Statements waren qualitativ ausgesprochen
unterschiedlich.
Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort
Kollegin Gisela Frick, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Frau Hermenau, ich bedanke mich. Es
kommt ja nicht oft vor, dass von Kollegen nicht nur die
Person des Redners, sondern gleich auch die Inhalte sei-
ner Rede angekündigt werden. Ich werde natürlich diese
starke Stellungnahme, die ich jeweils in den Sitzungen
des Sonderausschusses abgegeben habe, hier weiter ver-
tiefen. Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich bei der
Einbringung dieses Gesetzes meine Begrüßung um die
Mitglieder des Bundesrates erweitert. Heute begrüße
ich Sie, Herr Runde, natürlich sehr herzlich; damals war
aber die Bank voller. Ich möchte das hier jetzt gerne ein-
mal öffentlich sagen, weil das natürlich auch ein Hinweis
darauf ist, wie hoch der Respekt vor dem Parlament ist.
Sie haben jetzt aus Ihrer Sicht alles in trockenen
Tüchern und brauchen sich um das Parlament nicht mehr
sehr zu scheren, so sage ich einmal etwas scharf. Das war
bei der Einbringung noch anders; da haben wir ganz an-
dere Präsenzen gesehen. Nichtsdestotrotz freue ich mich,
auch wenn ich gewisse Zweifel habe, ob Sie hier wären,
wenn nicht gerade im September Wahlen in Hamburg
wären.
Herr Rexrodt ist Haushälter.
Wir haben heute hier eine Debatte über das, was die
Regierung Sternstunde des Föderalismus genannt hat.
Dies ist mitnichten eine Sternstunde des Föderalismus,
sondern es ist eine rabenschwarze Stunde für den Parla-
mentarismus, rabenschwarz!
Ich glaube, dass ich das für die meisten Kollegen im Aus-
schuss sagen kann. Ich selbst bin nur so konsequent, dann
auch die richtigen Folgerungen daraus zu ziehen, nämlich
Nein dazu zu sagen. Denn vieles von dem, was wir bei-
spielsweise von Herrn Seiffert oder von Herrn Metzger
gehört haben, hätte eigentlich ein Nein als Endergebnis,
als Conclusio nahe gelegt.
Es kam aber erstaunlicherweise ein wenn auch sehr be-
drücktes Ja dabei heraus.
Wir sagen also Nein zu diesem Maßstäbegesetz, und
zwar deshalb, weil es vom Verfahren her eine unmögli-
che Situation war, dass wir im Ausschuss mehr oder we-
niger auf die Entscheidung der Ministerpräsidenten
gewartet haben. Das ist insbesondere deshalb besonders
ärgerlich, weil die Ministerpräsidenten noch nicht einmal
das Tempo beschleunigt haben, obwohl sie unseren Zeit-
plan kannten. Sie haben ihre ganz normalen Sitzungster-
mine eingehalten, und dann war nun einmal leider der
23. Juni der nächste ordentliche Sitzungstermin. Insofern
waren wir weitgehend gehindert.
Frau Hermenau, wenn Sie eben gesagt haben, dass die
Kommunen nicht mit am Tisch saßen, dann stimmt das
zwar. Aber wer auch nicht mit am Tisch saß und wo es
sehr viel schmerzhafter ist: Auch die Steuerzahler und
die künftigen Generationen saßen nicht mit am Tisch
und genau so sieht die Regelung dann auch aus.
Kollegin Frick, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kröning?
Gern, aber nicht, ohne mich
auch gleichzeitig bei ihm für die Führung des Sonderaus-
schusses zu bedanken.
Das ist nett; aber Sie wissen,
Frau Kollegin, dass ich Ihrem Charme nur begrenzt
erliege.
Ich frage Sie, Frau Kollegin Frick, ob Ihre Absicht, sich
an der Veranstaltung gar nicht zu beteiligen, vielleicht
schon von vornherein feststand und welche Erklärung Sie
dafür haben, dass Sie sich heute total anders einlassen als
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Antje Hermenau
17883
Ihr Kollege Funke in der ersten Lesung des Gesetzes. Dort
hatte er nämlich eine konstruktive Mitwirkung am Ge-
setzgebungsverfahren angekündigt. Wie erklären Sie sich,
dass das im Ausschuss völlig ausgeblieben ist?
Erstens freue ich mich natürlich
immer, Herr Kröning, wenn Sie meinen Charme loben.
Aber ich lege mehr Wert auf Sach- und Fachkenntnis und
möchte auch gern, dass das hier respektiert wird.
Das Zweite. Wir waren von Anfang an zu einer kon-
struktiven Mitarbeit bereit, aber im Rahmen der Vorga-
ben des Bundesverfassungsgerichts.
Das Bundesverfassungsgericht hat uns eine ganz be-
stimmte Stufenfolge aufgegeben. Diese Stufenfolge hätte
bedeutet, dass wir zunächst einmal abstrakt und ganz all-
gemein die Kriterien für die Verteilung der Finanzen zwi-
schen Bund und Ländern und, am Rande betrachtet, auch
noch für die Kommunen und erst danach, in einer zweiten
Stufe, die konkreten Zahlungsströme und in diesem Zu-
sammenhang insbesondere auch den Solidarpakt II be-
handeln.
Dass das politisch sehr schwierig war, ist zugegeben.
Das ist gar keine Frage. Was wir aber gemacht haben, ist
ja, genau dieses angeforderte Verfahren auf den Kopf zu
stellen und damit erst einmal die konkreten Finanzströme
festzusetzen deshalb mussten wir ja angeblich auf die
Ministerpräsidenten warten und im Nachhinein das
theoretische Übergebäude in der Hoffnung darüber zu
stülpen, dass es halbwegs passt.
Was die Sache noch auf die Spitze treibt darin stimme
ich Herrn Metzger ausdrücklich zu , ist die Befristung
dieser ganzen Veranstaltung. Das zeigt mehr als deutlich
deutlicher kann man es gar nicht zeigen , was davon zu
halten ist. Ein Maßstäbegesetz mit objektiven Kriterien
und gleichzeitig mit Verfalldatum wie ein Joghurt oder
wie ein Quark ist doch unmöglich. Ich halte es sogar für
verfassungswidrig, wenn wir hier eine Beschränkung vor-
nehmen.
Ich bin allerdings das muss ich zugeben deswegen
etwas hin- und hergerissen, weil ich die Veranstaltung für
so schlecht halte, dass ich an sich ganz froh wäre, wenn
sie nicht ewig weiterginge.
Aber es ist ja ein einfaches Gesetz, das man mit den
entsprechenden parlamentarischen Mehrheiten jederzeit
ändern kann. Ich bin auf gar keinen Fall aber das ist, wie
gesagt, bei meiner Einstellung und der Einstellung meiner
Fraktion nur eine Randerwägung dafür, hier noch eine
Befristung einzuführen.
Kollegin Frick, ge-
statten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen
Kröning?
Ja.
Frau Kollegin, ich folge Ihrer
Sach- und Rechtskunde ausgesprochen gerne. Wie erklä-
ren Sie sich denn wenn Sie schon meine erste Frage
nicht beantworten, dann beantworten Sie doch bitte meine
zweite Frage , dass der Wirtschaftsminister des Landes
Baden-Württemberg bereits vor Verabschiedung des
Maßstäbegesetzes erklärt hat, dass die Gesetze, die wir
jetzt beschließen, in zwei, drei Jahren ohnehin wieder auf
den Prüfstand kommen müssen? Was haben Sie, um das
einmal ganz spitz zu sagen, dazu beigetragen, ein wenn
schon nicht im Vermittlungsausschuss landendes Gesetz
zu machen, das wenigstens Rechtsfrieden für möglichst
lange Zeit schafft?
Herr Döring kannte natürlich
meine Einstellung bzw. die meiner Fraktion im Aus-
schuss. Aber ansonsten bin ich für die Äußerungen von
Herrn Döring nicht verantwortlich; es tut mir Leid. Dass
Sie mich jetzt dafür in die Pflicht nehmen wollen, finde
ich verständlich, aber ich finde es nicht gut; das sage ich
ganz ehrlich. Wir haben hier und heute das parlamenta-
rische Verfahren über das Maßstäbegesetz abzuschließen.
Wir haben hier nicht eine Versammlung von Länderregie-
rungen. Sie sehen ja die Besetzung auf der Bundesrats-
bank; ich habe zu Beginn darauf hingewiesen. Das heißt,
es können nicht alle einzeln in die Pflicht genommen wer-
den. Das hat übrigens auch Herr Eichel eben versucht, in-
dem er die Haltung der Fraktion hier im Bundestag gegen
die Haltung der Länder bei der Abmachung der Minister-
präsidenten ausspielen wollte.
Wenn die Länder alle dabei sind ich habe mir berich-
ten lassen, dass das Verfahren an dem Wochenende von
Drohungen und Erpressungen nur so gestrotzt habe ,
dann muss man natürlich mitmachen das gehört noch zu
der Beantwortung der Frage; darauf lege ich wegen der
Zeit Wert , damit man hinterher nicht, wie letztens von
Rezzo Schlauch, den Vorwurf bekommt, man habe
schlecht verhandelt, weil man nicht so viel wie möglich
für sein eigenes Land herausgepresst hat, sondern statt-
dessen versucht hat, nach der Vorgabe des Bundes-
verfassungsgerichts tatsächlich nach objektiven Maßstä-
ben zu suchen. Es ist legitim, dass sich die Länder diese
Vorwürfe auf der eigenen Länderebene nicht einhandeln
wollen.
Wir hier im Parlament sind aber der Gesetzgeber, und
zwar der eigentlich zuständige Gesetzgeber,
Jörg van Essen [F.D.P.]: So ist es!)
zugegebenermaßen mit Zustimmung des Bundesrates,
und haben deshalb die Aufgabe, hier eigenständig zu ent-
scheiden.
Herr Eichel, wenn Sie die Bundestreue anmahnen,
dann frage ich mich, was Sie unter Bundestreue verste-
hen. Offensichtlich verstehen Sie darunter, dass man
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Volker Kröning
17884
erst als Letzter auf ein Klageverfahren gegen den
Länderfinanzausgleich aufspringt. Das haben Sie damals
bei der Einbringung hier gesagt: Ich war dabei, aber als
Letzter. Wenn das Bundestreue ist, dann können wir uns
dazu unsere eigenen Gedanken machen.
Wir verhalten uns bundestreu. Aber gerade für ein bun-
destreues Verhalten braucht man eine entsprechende
Grundlage. Diese sollte durch das Maßstäbegesetz ge-
schaffen werden. Aber sie ist nicht geschaffen worden.
Das Maßstäbegesetz ist einerseits zu allgemein, weil es
mehr oder weniger nur die Formulierungen des Grund-
gesetzes abschreibt, und andererseits ist es zu speziell,
weil es ganz bestimmte Regelungen enthält wie beispiels-
weise die Berücksichtigung der kommunalen Finanz-
kraft. Beides ist nicht in Ordnung. Wir hätten uns hier
wirklich um allgemeine Grundsätze bemühen müssen.
Da das nicht passiert ist, habe ich nicht etwa meine
konstruktive Mitarbeit verweigert das geht noch ein-
mal ganz besonders an Sie, Herr Kröning , sondern ich
habe mich insbesondere dieser Art des Verfahrens ver-
weigert. Es ist ziemlich einfach und billig, dann zu sagen:
Ihr habt nie mitgemacht, ihr habt euch verweigert. Ich
habe mich nicht verweigert. Ich habe immer wieder fest-
gestellt, dass das nicht in Ordnung ist. Aber wir haben nun
einmal noch nicht die entsprechenden parlamentarischen
Mehrheiten. Wir arbeiten daran, wie Sie wissen, und wir
sind dabei sogar relativ erfolgreich. Aber noch ist es nicht
so weit und so lange müssen wir deshalb noch warten.
Das ist zu dem gewissen Widerspruch, der zwischen dem
Verhalten der Länder und dem unserer Bundestagsfrak-
tion besteht, zu sagen.
Ich möchte ganz klar betonen, dass das nicht bedeutet,
dass wir alle Abmachungen im Einzelnen ablehnen, ins-
besondere die nicht, die die Solidarität mit den neuen
Ländern, also den Solidarpakt II, betreffen. Das ist hier
gerade nicht das Thema. Es ist ganz selbstverständlich,
dass immer wieder versucht wird, das in dieser Form um-
zumünzen. Dagegen möchte ich mich hier ausdrücklich
verwahren. Wir stehen zur Solidarität mit den neuen Län-
dern; das ist bekannt. Wir wissen und unterstützen, dass
weiterhin Finanzleistungen in die neuen Länder fließen.
Wir geißeln nur das Verfahren, das uns von diesen ganzen
Entwicklungen ausgesprochen ausgrenzt. Deshalb sagen
wir heute Nein.
Nachdem gestern die unsägliche Diskussion über das
Verfallsdatum des Maßstäbegesetzes hinzugekommen
ist, fühle ich mich in dieser Haltung sehr viel wohler. Ein
solches Verfallsdatum können wir nun wirklich nicht ein-
führen. Aber dies hätte dem Maßstäbegesetz natürlich ei-
nen deutlichen Stempel dahin gehend aufgedrückt, zu zei-
gen, was es eigentlich ist, nämlich genau das Gegenteil
von dem, was das Bundesverfassungsgericht angemahnt
hat.
Wir sagen also zu diesem Maßstäbegesetz Nein. Wir
haben dazu eine namentliche Abstimmung beantragt.
Zum Schluss möchte ich in den Dank, den ich schon
dem Ausschussvorsitzenden anlässlich einer Zwischen-
frage ausgesprochen habe, natürlich auch das Sekretariat
und die Vertreter der Länder ausdrücklich einbeziehen,
die sehr viel Arbeit hatten, wenn sie auch leider zu einem
falschen Ergebnis geführt hat.
Danke schön.
Ich erteile das Wort
der Kollegin Christa Luft, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kol-
leginnen und Kollegen! Der Länderfinanzausgleich, der
Solidarpakt II und das Maßstäbegesetz sind in diesem
Hause überwiegend positiv beurteilt worden. Auch meine
Fraktion hat sich diesem Urteil angeschlossen, weil ein
gewisser verlässlicher Rahmen geschaffen worden ist.
Dennoch das ist mein Plädoyer darf hier heute nicht
der Eindruck bestehen bleiben, als seien die genannten
Vereinbarungen eine Art Garantieurkunde dafür, dass
zwischen 2005 und 2019 der selbsttragende Aufschwung
in den neuen Bundesländern geschafft werden würde und
dann das Problem Ostdeutschland aus der Welt sei. Das
wäre zwar wünschenswert, aber als gesetzt kann das nicht
gelten.
Auch angesichts nun fixierter Finanzsummen darf sich
die Politik weder auf der Bundes- noch auf der Länder-
ebene zurücklehnen und sich sozusagen auf den Selbst-
lauf verlassen. Denn dann würden die Transfers wie bis-
her zu einem ganz großen Teil zu Konjunkturprogrammen
für die Wirtschaft und für Unternehmen außerhalb der
neuen Bundesländer werden. Herr Kollege Kalb, mit Ver-
laub, Sie hätten, bevor Sie, wie Sie es gerade getan haben,
auf Kommunisten und Sozialisten herumdreschen, viel-
leicht zur Kenntnis nehmen sollen, dass die Transfers des
letzten Jahrzehnts in Höhe von 1,4 Billionen DM zu ei-
nem Konjunkturprogramm für die Wirtschaft in den alten
Bundesländern, aber auch für die in einigen anderen eu-
ropäischen Ländern geworden sind.
Warum kann sich die Politik nicht zurücklehnen? Ers-
tens sind die vereinbarten Transfers weitaus geringer als
im vorangegangenen Zeitraum. Zweitens entwickeln sie
sich ab 2008 degressiv. Drittens das ist für mich das
Wichtigste würde der Osten, wenn fördertechnisch und
haushaltsmäßig alles beim Alten bliebe, im Jahre 2005,
wenn die genannten neuen Vereinbarungen wirksam wer-
den, mit der gleichen wirtschaftlichen und sozialen Kluft
zum Westen starten, wie wir sie aktuell festzustellen ha-
ben und die zu der berühmten Diskussion, ob der Osten
auf der Kippe stehe, geführt hat.
Die PDS-Fraktion fordert daher mit dem heute vorge-
legten Antrag von der Bundesregierung, die vielen Mini-
programme, die es gibt, unverzüglich, also schon bis
2005, zu bündeln und sie zielgenau auf Schwerpunkte in
den Bereichen Forschung, Technologieentwicklung und
regionale Vernetzung zu konzentrieren.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Gisela Frick
17885
Wir fordern weiterhin, den Zugang zu den Program-
men insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen
zu erleichtern. Sie haben bisher die größten Hürden zu
überwinden, an diesen Programmen teilzuhaben. Auf
diese Weise könnte mit gleichen Geldern schon bis zum
Jahre 2005 ein größerer wirtschaftlicher und sozialer
Effekt erzielt werden. Der Start der neuen Bundesländer
wäre mit den genannten Vereinbarungen ab 2005 günsti-
ger.
Das ist insofern besonders wichtig, als sich die neuen
Länder in den kommenden zwei, drei Jahren ganz be-
sonderen Herausforderungen gegenübersehen. Die
schwächelnde Konjunktur trifft sie stärker als die alten
Bundesländer. Auch die Osterweiterung der Europä-
ischen Union stellt eine riesige Herausforderung dar.
Ebenso ist der Bevölkerungsrückgang ein Problem für
die künftige wirtschaftliche Entwicklung.
Wir fordern daher erstens fördertechnische Verände-
rungen, damit mit gleichen Geldern ein größerer Effekt
erzielt werden kann. Wir fordern zweitens, beginnend mit
dem Haushalt 2002, ein dreijähriges Wirtschaftspro-
gramm aufzulegen, das die Mittel und Instrumente für
eine Investitions-, Innovations- und Gründungsoffensive
in Ostdeutschland mit adäquaten Maßnahmen der Markt-
erschließung und der Marktrückgewinnung bereitstellt.
Wir fordern eine kommunale Infrastrukturpau-
schale, weil gerade in den Kommunen die größten struk-
turellen Defizite vorhanden sind, weil man mit einer sol-
chen Pauschale Spielräume für öffentliche Vorhaben
schaffen könnte und weil man den kleinen und mittleren
territorialen Unternehmen neue Aufträge verschaffen
kann. Es reicht nicht, den Mund zu spitzen, Frau Kollegin
Hermenau. Wir sind uns darüber völlig einig,
dass die Rolle der Kommunen in Bezug auf die Finanzen
gestärkt werden muss. Wenn man das aber will, muss man
ein entsprechendes Instrument einführen.
Wir plädieren für ein Maßnahmebündel, das die ost-
deutsche Landwirtschaft in die Lage versetzt, einen
wirksamen Beitrag zu regionalen wirtschaftlichen Kreis-
läufen zu leisten. Wir werden uns energisch dagegen zur
Wehr setzen, dass mit bloßen Umschichtungen im Haus-
halt in den kommenden zwei, drei Jahren der Eindruck er-
weckt werden soll, es würde dem dringenden Hand-
lungsbedarf im Osten entsprochen.
Ich nenne ein Beispiel: Es ist zu begrüßen, dass das
Städteumbauprogramm im Jahr 2002 und dann auch in
den kommenden zwei Jahren mit 300 Millionen DM pro
Jahr in den Haushalt eingestellt werden soll. Wenn man
aber genau hinschaut, dann muss man feststellen, dass das
keine zusätzlichen Mittel, sondern Umschichtungen sind.
Diese Umschichtungen gehen vor allen Dingen zulasten
der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur. Das kann unsere Zustimmung nicht
finden. Wir dürfen nicht versuchen, die Probleme in den
neuen Bundesländern mit Haushaltstricks zu lösen. Wir
brauchen vielmehr substanzielle Entscheidungen, die
dann eben auch Geld kosten.
Ein letzten Satz.
Kollegin Luft, Sie
müssen zum Ende kommen.
Ja. Wir unterstützen das
wissen Sie den Abbau der Neuverschuldung. Das ist
keine Frage. Wir sind aber schon der Meinung, dass die-
ser Abbau bis zum Jahre 2006 so lange nicht festgemau-
ert werden darf, solange noch die Gefahr besteht, dass der
Osten im Zustand der Rückständigkeit verharrt.
Danke.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Horst Schild, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Lassen Sie mich vorab einige Sätze zu dem
Verfahren und zu den Klagen, die dazu heute Morgen hier
vorgetragen wurden, sagen. Meine Erfahrung ist, dass
sich ein Ausschuss noch nie so intensiv mit der Materie ei-
nes Gesetzentwurfs befasst hat wie dieser Sonderaus-
schuss.
Wir haben den Entwurf zumindest ein knappes Jahr ge-
kannt.
Wir haben uns im Ausschuss sehr intensiv mit all den vom
Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Problemstel-
lungen befasst. Wir wussten alle, dass sich die Entschei-
dung letztendlich auf einige wenige Kernfragen konzen-
trieren würde. Niemand kann also überrascht gewesen
sein, weil auch dort die Interessenlagen zu einem relativ
frühen Zeitpunkt bekannt waren.
In der Tat, es war ein Kraftakt; das gestehe ich zu. Ich
teile auch die Bedenken, die dagegen geäußert worden
sind, dass letztlich innerhalb weniger Tage, nachdem
durch die Vereinbarung des Bundeskanzlers mit den Mi-
nisterpräsidenten grünes Licht gegeben worden ist, die
letzten entscheidenden Weichenstellungen im Maßstäbe-
gesetz vorgenommen worden sind.
Ich möchte mich bei allen Fraktionen dieses Hauses
ich nehme Sie da ein bisschen aus, Frau Kollegin Frick
ausdrücklich für die konstruktive Arbeit im Ausschuss be-
danken; denn sonst hätten wir das in diesen wenigen Ta-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Dr. Christa Luft
17886
gen nicht hinbekommen und letzte Woche nicht abschlie-
ßen können.
Das Urteil vom 11. November 1999 hat den Gesetz-
geber in der Tat vor eine außergewöhnlich schwierige
Aufgabe gestellt. Um Missverständnisse auszuräumen,
Frau Kollegin Frick: Der Auftrag zur Schaffung des zwi-
schen der Finanzverfassung und dem Finanzausgleichs-
gesetz einzufügenden Maßstäbegesetzes war eigentlich
nie als Pflicht zur Gesetzgebung im Blindflug zu inter-
pretieren.
Was die in Ihrem Antrag unter Nr. I zum Ausdruck
kommende Moral angeht auf die anderen Punkte kom-
me ich noch zu sprechen , so war das ein Missverständ-
nis. Das ist auch in der Anhörung des Sonderausschusses
deutlich geworden. Wir sind bei der Verabschiedung des
Maßstäbegesetzes hier im Deutschen Bundestag in der
Verantwortung, uns über die finanziellen und ökonomi-
schen Folgen unserer Gesetzgebungsarbeit für Bund und
Länder Klarheit zu verschaffen.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinen philoso-
phischen Ausführungen über einen Schleier des Nicht-
wissens, hinter dem die Entscheidungen zum Maßstäbe-
gesetz zu treffen seien, den Anlass dafür gegeben, dass in
der öffentlichen Debatte eine erhebliche Verwirrung ent-
standen ist. Ich möchte aus der Anhörung des Sonderaus-
schusses den Verfassungsrechtler Professor Wieland
zitieren. Das sage ich insbesondere in Ihre Richtung; denn
das muss aufgeklärt werden. Professor Wieland hat uns in
der Anhörung gesagt:
Der Gedanke, man könnte zunächst abstrakte Maß-
stäbe festlegen und dann, völlig getrennt davon, da-
rauf schauen, was konkret daraus folgt, scheint
mir und das würde ich in aller Deutlichkeit und bei
allem Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht
sagen die Aufgabe des Parlaments zu verkennen.
Der Beifall gebührt allerdings nicht mir, sondern
Professor Wieland.
Er sagt weiter:
Ich verstehe parlamentarische Arbeit vielmehr so,
dass Sie
wir als Parlament
Ihre Entscheidungen so treffen sollen, dass Sie das
Ergebnis verantworten können. Und das Ergebnis
können Sie nur verantworten, wenn Sie um es sa-
lopp zu sagen wissen, was hinten rauskommt, und
die Folgen kennen.
Meine Damen und Herren, die Regelungsmaterien des
Maßstäbegesetzes und des Finanzausgleichsgesetzes sind
also nicht vollkommen getrennt zu behandeln, nach dem
Motto: die Worte im Maßstäbegesetz und die Zahlen im
FAG.
Die entscheidende Vorgabe des Gerichts das ist si-
cherlich unstrittig für das Verfahren haben wir erfüllt,
nämlich den zeitlichen Vorrang des Maßstäbegesetzes vor
dem neuen Finanzausgleichsgesetz.
Wir haben mit diesem Gesetz die Grundprinzipien der Fi-
nanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern sowie un-
ter den Ländern in abstrakter Form festgelegt. Diese abs-
trakten Maßstäbe sind langfristig angelegt und weisen den
Weg für das Finanzausgleichsgesetz, das die konkreten fi-
nanziellen Ausgleichsergebnisse hervorbringt.
Ich möchte einige Anmerkungen zur Befristung ma-
chen. In der Tat, sie ist strittig. Aber wir haben dem Ge-
setz eine langfristige Geltung verschafft. Mit Ablauf des
Jahres 2019 sollen nach übereinstimmender Auffassung
von Bund und Ländern der Solidarpakt, das neue Finanz-
ausgleichsgesetz und gleichzeitig das Maßstäbegesetz
auslaufen. Wir gehen davon aus, dass bis zu diesem Zeit-
punkt die wirtschaftliche Integration der neuen Länder
30 Jahre nach ihrem Beitritt vollzogen ist. Das ist ein
Zeitpunkt, zu dem man erneut über Maßstäbe im Finanz-
ausgleich nachdenken muss.
Wir sind unserer Verantwortung für die finanziellen
Folgen nachgekommen. Das Ergebnis ist bekannt. Es ist
im Entschließungsantrag festgelegt worden.
Ich möchte noch einmal auf den Antrag der F.D.P.-
Fraktion zu sprechen kommen. Es wäre konstruktiv ge-
wesen, wenn die im Antrag enthaltenen Überlegungen
auch in die Beratungen des Sonderausschusses einge-
bracht worden wären. Ich möchte dies kurz klassifizieren:
Im ersten Abschnitt des Entschließungsantrages geht es
um die Moral. Darin wird auf das Bundesverfassungs-
gericht verwiesen. Dazu habe ich eben schon etwas ge-
sagt. Es wäre unverantwortlich gewesen, wenn man in
diesem Haus den Maßstab ohne Kenntnis der finanziellen
und ökonomischen Folgen festgelegt hätte.
Nein. Das wollte das Gericht nicht, das war ein Miss-
verständnis.
Dann kommt ein weiterer Abschnitt, in dem es um den
Wettbewerbsföderalismus geht. Auch hierzu gab es ein
Missverständnis. Dem Bundesverfassungsgericht ging es
nicht darum, den Wettbewerbsföderalismus im Finanz-
ausgleichs- und Maßstäbegesetz zu installieren. Es ging
vielmehr darum, dem Bund und allen Bundesländern auch
weiterhin auf der Grundlage eines solidarischen Finanz-
ausgleichs zu erlauben, seine verfassungsmäßigen Aufga-
ben wahrzunehmen.
Ich möchte noch auf einen anderen Punkt zu sprechen
kommen. Dazu hat auch der Berliner Wahlkämpfer, der
Kollege Rexrodt, gesprochen. Er sollte die Folgen dessen,
was er vorschlägt, bedenken, wie wir es beim Maßstäbe-
gesetz auch getan haben. In dem Entschließungsantrag
der F.D.P. wird vorgeschlagen:
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Horst Schild
17887
Bei der Bestimmung der Finanzkraft der Länder sind
die kommunalen Einnahmen aus Realsteuern und
steuerähnlichen Abgaben nicht mehr zu berücksich-
tigen. Bei den ausgleichsverpflichteten Ländern sind
die Leistungen aus dem Finanzausgleich jeweils auf
50 % des Betrages zu begrenzen, um den deren Fi-
nanzkraft die durchschnittliche Finanzkraft aller
Länder übersteigt.
Ich befürchte, der Kollege Rexrodt hat nicht errechnet,
was dies für das Land Berlin bedeutet. Dieser Antrag ist
ein klassisches Eigentor.
Aber vielleicht sagen ihm dazu die Berliner Kolleginnen
und Kollegen noch einiges.
Wir haben im laufenden Gesetzgebungsverfahren das
erfüllt, was uns das Bundesverfassungsgericht in seinen
Leitsätzen aufgegeben hat. Darin heißt es:
Das Finanzausgleichsgesetz bestimmt die in Art. 106
und 107 GG für die gesetzliche Ausgestaltung der
Finanzverfassung vorgegebenen Maßstäbe nicht mit
hinreichender Deutlichkeit und ist deshalb nur noch
als Übergangsrecht anwendbar... Das Grundgesetz
beauftragt den Gesetzgeber, die verfassungsrechtli-
chen Maßstäbe zu konkretisieren und zu ergänzen.
Meine Damen und Herren, mit dem vorgelegten Maßstä-
begesetzentwurf haben wir diesen Auftrag erfüllt.
Ich danke Ihnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer Kurz-
intervention erteile ich der Kollegin Antje Hermenau,
Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Ich beziehe mich auf die Rede von Frau Professor Luft.
Sie haben hier wieder versucht, eine Schimäre von der
kommunalen Investitionspauschale aufzubauen. Wenn
Sie § 2 aufmerksam gelesen hätten, müsste Ihnen bewusst
sein, dass erhebliche Mittel pro Jahr für diesen Zweck,
nämlich den Ausgleich der unterproportionalen kommu-
nalen Finanzkraft, vorgesehen sind. Insofern ist dem An-
liegen nach meinem Verständnis im Kern Rechnung ge-
tragen worden.
Was ich aber kritisiere, ist, dass der Ausgleich der kom-
munalen Finanzkraft nicht in ein bestehendes, grundge-
setzlich verankertes System, nämlich den Länderfinanz-
ausgleich, eingefügt worden ist. Diesen Gedanken wollen
Sie nicht verstehen, weil Sie wieder zentralstaatlich den-
ken. Das ist der Punkt. Sie wollen gemäß Ihrem alten Den-
ken, dass der Zentralstaat alles regelt und Bundesgelder in
den Ausgleich hineinsteckt. Das widerspricht aber der
Idee des Föderalismus.
Jetzt habe ich Sie erwischt. Das erkennt man daran, dass
Sie der Befristung zustimmen. Sie stimmen zu, dem Län-
derfinanzausgleichsgesetz eine Befristung zu verpassen.
Das tun Sie, weil Sie denken und sich innerlich darauf
vorbereiten, dass Sie in den ostdeutschen Ländern mitre-
gieren werden. Der Punkt aber ist der, dass Ihre Basis das
noch nicht weiß.
Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur Erwiderung Frau
Kollegin Dr. Christa Luft.
Kollegin Hermenau, dieses
Thema schon zu einem Wahlkampfauftritt zu nutzen,
hatte ich nicht beabsichtigt.
Die Regelungen zum Länderfinanzausgleich, zum So-
lidarpakt II, auf die Sie sich beziehen, gelten ab dem Jahr
2005. Das ist der erste Punkt. Unser Vorschlag bezieht
sich auf die Zeit zwischen dem Jahr 2002 und dem Jahr
2005.
Im Übrigen könnte die kommunale Investitionspau-
schale sofort wieder abgeschafft werden, wenn es mög-
lich wäre, die Vermögensteuer wieder zu erheben; die
Vermögensteuer ginge in die Haushalte der Länder und
die Länder hätten auf diese Weise Geld, um ihren Kom-
munen in stärkerem Maße unter die Arme zu greifen.
Zweitens: Eine kommunale Investitionspauschale
hat es 1991 und 1993 gegeben. Es wird immer wieder be-
hauptet, sie sei verfassungswidrig. Das Argument der
Grundgesetzwidrigkeit benutzen jene, denen die kommu-
nale Investitionspauschale sowieso nie gepasst hat. Ich
kenne kein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die
Unzulässigkeit dieser Pauschale zum Ergebnis gehabt
hätte.
Außerdem sind Bundesfinanzzuweisungen in prekären
Situationen nicht nur zulässig, sondern auch praxisge-
recht. Dass wir es in den ostdeutschen und in nicht weni-
gen westdeutschen strukturschwachen Kommunen mit
einer prekären Finanzsituation zu tun haben, dürfte unbe-
stritten sein. Es gehört auch zum Prinzip der kommunalen
Selbstverwaltung, dass die Kommunen über ein gewisses
Maß an Finanzmitteln verfügen, mit dem sie Schwer-
punkte setzen können, da vor Ort eine hohe Kompetenz
vorhanden ist.
Es wäre sinnvoll, wenn Geld, das den Kommunen zur
Verfügung gestellt wird, nicht mit allzu viel Rahmenvor-
gaben in Bezug auf den Mitteleinsatz versehen wird.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Horst Schild
17888
Dann würde auch Demokratie in den Kommunen wieder
einen größeren Sinn machen.
Wenn Kommunen keinen Spielraum haben, ist es am Ende
egal, welche Partei regiert, Frau Kollegin Hermenau, denn
keine Partei kann in einem solchen Fall viel machen.
Die Gefahr, dass die Grünen im Osten eine große Rolle
spielen werden, ist ohnehin nicht sehr groß.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Bun-
desminister der Finanzen, Hans Eichel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Prä-
sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich
möchte gegen Ende der Debatte noch zwei Bemerkungen
machen.
Erstens zur Sache: Es wurde eingewandt, die Steuer-
zahlerinnen und Steuerzahler hätten nicht mit am Tisch
gesessen und müssten deswegen die Rechnung zahlen.
Das ist falsch. Ich habe darauf geachtet, dass das nicht ge-
schieht, und deswegen haben wir die mittelfristige Fi-
nanzplanung auch vorher beschlossen. Wichtig ist, dass
das, was wir beim Finanzausgleich und beim Solidarpakt
beschließen, in die Konsolidierungsstrategie hineinpasst.
Sie machen Ihre Behauptung an der Regelung zum
Fonds Deutsche Einheit fest. Der Fonds Deutsche
Einheit muss das will das Verfassungsgericht einbe-
zogen werden. Eine Tilgung von Schulden hat es bis heute
nicht gegeben. Das hat aber überhaupt nichts mit der
Regelung zum Fonds Deutsche Einheit zu tun. Solange
Sie defizitäre Haushalte haben, tun Sie bei der so genann-
ten Tilgung beim Fonds Deutsche Einheit nichts ande-
res, als Schulden des Fonds Deutsche Einheit zu Schul-
den der Länderhaushalte oder des Bundeshaushaltes zu
machen. Die Frage, ob getilgt wird oder nicht, entscheidet
sich an dem Umstand, wann wir zum ersten Mal zu einem
ausgeglichenen Haushalt und zu Überschüssen kommen.
Infolgedessen hat Ihr Einwand mit dieser Regelung über-
haupt nichts zu tun. Die entscheidende Frage ist, ob wir
die Konsolidierungsstrategie ernst nehmen oder nicht.
Ich habe in diesem Punkt, gerade in den letzten Tagen,
Zweifel an der Opposition anmelden müssen, nachdem
ich gehört habe, was Sie alles vorgeschlagen haben.
Zweitens zum Verfahren: Ich kann zum Teil verstehen,
was hier eingewandt worden ist. Ich will deswegen
zunächst dem Sonderausschuss für seine intensive Arbeit
herzlichen Dank sagen. Es ist eingewandt worden, der
Sonderausschuss habe in der letzten Phase unter einem
ungeheuren Zeitdruck arbeiten müssen. Das ist wahr,
aber die Redlichkeit gebietet es, auch etwas anderes zu sa-
gen: Glaubt jemand, dass wir die Probleme bei Finanz-
ausgleich und Solidarpakt im Vermittlungsverfahren zwi-
schen Bundestag und Bundesrat das wäre die
Alternative gewesen hätten lösen können? Nein!
Das hätte vor allem nicht mit der Zielsetzung funktio-
niert, dass alle 16 Länder und der Bund zustimmen soll-
ten. Bei einer solchen Zielsetzung haben Sie keine andere
Chance, als zunächst unter den Ländern den Versuch zu
machen, zu einer Einigung zu kommen. Eine solche wäre
nicht gelungen, wenn der Bund nicht dazu bereit gewesen
wäre, noch etwas dazuzutun. Dies ist mir sehr schwer ge-
fallen und hat sich daher auch sehr in Grenzen gehalten;
darauf habe ich geachtet.
Das Verfahren, das eine Zumutung für den Ausschuss
gewesen ist, konnte nur in dieser Weise durchgeführt wer-
den. Deswegen sage ich dem Ausschuss ausdrücklich
Dank dafür, dass er diese erschwerten Bedingungen ak-
zeptiert hat, weil es eine realistische Alternative nicht ge-
geben hat. Auch ein längeres Hinziehen der Verhandlun-
gen hätte es nicht besser gemacht.
Deswegen sage ich zum einen Dank an den Bundestag
insbesondere an den Ausschuss , zum anderen aber
auch ausdrücklich Dank an die Länder.
Wahr ist auch in der Tat war das 1993 genauso :
Nach einer solchen Mammutkonferenz gibt es immer
noch einzelne offene Fragen, weil eben nicht alles geklärt
ist. Dies hätte auch ich mir anders gewünscht. Dennoch
will ich ausdrücklich den Ministerpräsidenten und den Fi-
nanzministern für ihre sehr konstruktive, wenn auch zu-
weilen äußerst kontroverse Arbeit Dank sagen, die wir zu-
sammen bewältigt haben. Zwei Ministerpräsidenten
möchte ich in diesem Zusammenhang namentlich erwäh-
nen, die es uns ermöglicht haben, alle wesentlichen Ein-
zelfragen zum Schluss zu klären, und die zu einem Zu-
sammenführen besonders beigetragen haben. Damit meine
ich Herrn Bürgermeister Runde und den hessischen Mi-
nisterpräsidenten Koch. Beide haben als Verhandlungs-
führer der A- und B-Länder dafür gesorgt, dass wir
auch in Details zu vernünftigen Konditionen einig gewor-
den sind.
Deswegen: Wenn man sich entschließt, das nicht im
Vermittlungsausschuss zu regeln, gibt es keine Alterna-
tive zu diesem Verfahren. Dann muss man auch dankbar
sein für das erreichte Ergebnis.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Günter Nooke.
Frau Präsidentin! Sehr
verehrte Damen und Herren! Ich will gleich eingangs
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Dr. Christa Luft
17889
feststellen: Auch wir begrüßen die Einigung über die Neu-
regelung des Finanzausgleichs und die Einigung zum
Solidarpakt II, die damit eingeschlossen ist. Damit wird
der Weg frei für das vorliegende Maßstäbegesetz, das den
künftigen Länderfinanzausgleich regelt.
Mit den Kollegen meiner Fraktion aus den neuen Bun-
desländern bin ich froh und dankbar für die Einigung und
weiß die Solidarität von Bund und alten Ländern gegen-
über den neuen Ländern zu schätzen. Wir wissen auch:
Ohne das selbstbewusste Verhandeln der Ministerpräsi-
denten, ihrer Staatskanzleien und der Finanzminister aus
den neuen Bundesländern und ohne den erklärten politi-
schen Willen der Geberländer zur Solidarität wäre diese
Einigung beim Solidarpakt II in dieser Legislaturperiode
wohl nicht zustande gekommen. Übrigens hat ich merke
das einmal an der für die neuen Länder zuständige
Staatsminister auch in dieser Frage keine gute Rolle ge-
spielt, genauer gesagt: Er hat sogar versucht, dem Bun-
desfinanzminister den Rücken zu decken, indem er
50 Milliarden DM weniger gefordert hat, als hinterher he-
rauskam.
Für die neuen Länder ist mit der Neuregelung des Fi-
nanzausgleichs ein großer Schritt in Richtung Planungs-
sicherheit getan. Ich erwähne das deshalb ausdrücklich,
weil Planungssicherheit ein nicht zu unterschätzender
Vorteil für die neuen Länder ist, insbesondere für deren
Haushalte und deren Gestaltungswillen beim weiteren
Aufbau Ost. Für uns alle aber ist wichtig, dass das Thema
Aufbau Ost eine nationale Herausforderung bleibt, der
wir uns nicht nur zu stellen haben, sondern die wir weiter
meistern müssen.
Der Solidarpakt II und das Maßstäbegesetz regeln
diese nationale Herausforderung natürlich nur bedingt.
Wir haben noch eine ganze Menge zu tun. Es ist kein Ge-
heimnis ich will das auch für unsere Fraktion noch ein-
mal sagen , dass die kommunale Finanzkraft aus Sicht
der ostdeutschen Länder stärker hätte berücksichtigt wer-
den sollen. Aus ostdeutscher Perspektive rechnen sich
nach dem gegenwärtigen Verfahren die reichen Länder
sehr wohl ärmer und erhöhen somit ihren Selbstbehalt
beim Länderfinanzausgleich. Bekanntermaßen gibt es
dazu unterschiedliche Meinungen, und eine Änderung
war politisch nicht durchsetzbar. Dies kann ich, für meine
Fraktion wie für die ostdeutschen Länder, so feststellen.
Darüber, ob aus ostdeutscher Perspektive die eher dürf-
tigen Regelungen, die das Maßstäbegesetz jetzt enthält,
hinreichend sind und ob das alles bestimmt genug ist,
kann man ebenfalls streiten. Auf jeden Fall haben die
neuen Länder jetzt mehr Möglichkeiten der eigenen Ge-
staltung und können eher eigene Wege gehen, eigene
Schwerpunkte setzen. Ich glaube, dass wir uns davor an-
gesichts der bisherigen Entwicklung in Sachsen und
Thüringen nicht fürchten müssen. Vielmehr kommt uns zu-
gute, dass man sieht, wo gute Regierungen sind: Dort, wo
gute Politik gemacht wird, geht es den Menschen besser.
Meine Damen und Herren, wir werden also auch künf-
tig in diesem Hause den Diskurs zum Aufbau Ost führen.
Auch künftig wird es so manchen Streit über Wünsche
und Notwendigkeiten beim Aufbau Ost geben. Ich halte
diesen Diskurs auch für richtig; denn wir dürfen unter der
Überschrift Aufbau Ost nicht nur über finanzielle Leis-
tungen sprechen, auch wenn es in diesem Zusammenhang
notwendig war. Wir müssen uns wieder stärker über Ziele
und Prioritäten unterhalten.
Bei dem Stichwort Ziele und Prioritäten drängt sich
noch eines auf: die Taktiererei der Bundesregierung und
ihre Bestrebungen, Entwicklungen und Verhandlungen
zum Solidarpakt II durch Vorabtreffen der SPD-Strategen
zu präjudizieren. Ich sage hier in aller Deutlichkeit: Das
hier verschiedentlich im Umgang mit den Ländern prak-
tizierte Verfahren hatte mit Verlässlichkeit und Berechen-
barkeit, mit einem fairen und transparenten Miteinander
nicht viel zu tun. Noch im Frühjahr dieses Jahres haben
wir an dieser Stelle über die wirtschaftliche Entwicklung
in den neuen Bundesländern und die Tatsache diskutiert,
dass die Schere zwischen Ost und West auseinander geht.
Die Einschätzung der Sachverständigen, wonach Ost-
deutschland von einer selbsttragenden Entwicklung noch
weit entfernt sei, wurde wieder und wieder durchde-
kliniert. Niemand zog in Zweifel, dass die Schließung der
Infrastrukturlücke die Voraussetzung für die weitere öko-
nomische Entwicklung in den neuen Bundesländern dar-
stellt.
Mittlerweile haben sich die gesamtwirtschaftlichen
Aussichten weiter extrem verdüstert: Die Inflationsrate
hat dramatisch zugenommen. Der Bundeswirtschaftsmi-
nister selbst hat quasi ein Nullwachstum prognostiziert.
Das trifft die fragilen Wirtschaftsstrukturen in den neuen
Bundesländern besonders hart. Hier lässt die Zahl der Un-
ternehmensgründungen nach, es gibt eine wachsende
Zahl von Insolvenzen. Die Folge sind fehlende Investiti-
onsmöglichkeiten der kleinen und Kleinstbetriebe.
Zum heutigen Thema muss noch Folgendes gesagt
werden: Die neuen Länder haben keine Angst vor Wett-
bewerb und vor einem wie ihn Herr Westerwelle gefor-
dert hat wettbewerblichen Föderalismus. Aber es
sollte klar sein, dass eine solche Idee eine Zukunftsvision
darstellt. Gegenwärtig sind die neuen Länder nicht fit ge-
nug und auf Gehhilfen angewiesen. Ein zu schneller
Verzicht auf diese Hilfen, wie jetzt manchmal von einigen
Grünen gefordert, könnte aus Rekonvaleszenten Dauer-
patienten machen. Das können wir nicht wirklich wollen.
Beim Solidarpakt II gab es übrigens einen Konsens,
was diese Hilfen angeht: Fortführen für mindestens zehn
Jahre auf hohem Niveau. Die Forderung der ostdeutschen
Rede von: Unbekanntinfo_outline
auf bisherigem Niveau.
Unstrittig war, dass der Solidarpakt II an der Notwendig-
keit zur Überwindung dieser teilungsbedingten Lasten
und an der Deckung der Infrastrukturlücke in Höhe der
genannten 300 Milliarden DM festgemacht wird. Diese
Zahl wurde im Übrigen nicht aus der Luft gegriffen und
auch nicht in irgendwelchen Hinterzimmern ausgekun-
gelt, sondern im Jahre 2000 durch ein Gemeinschaftsgut-
achten der fünf führenden Wirtschaftsforschungsinstitute
dieses Landes ermittelt und belegt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Günter Nooke
17890
An diesem Punkt muss ich auf ein öffentlich geworde-
nes Missverständnis aufmerksam machen, das am vor-
letzten Wochenende die Medien bewegte. Es beginnt da-
mit, dass der Chefsachenkanzler von vornherein die
Parole ausgegeben hat, mehr als 20,6 Milliarden DM gebe
es für den Solidarpakt II pro Jahr und für die Dauer von
zehn Jahren nicht. Das ergab die Summe von 206 Milli-
arden DM. Der Finanzminister ist dann sogar mit einer
Summe von 157 Milliarden DM in die Verhandlungen ge-
gangen und hat versucht, in der öffentlichen Wahrneh-
mung den Eindruck zu manifestieren, der Nachholbedarf
im Osten sei bei weitem nicht so dringlich wie der Zwang
zur Haushaltskonsolidierung und sein Image als Spar-
kommissar. Als Alibi wurde noch ein ansonsten renom-
miertes Forschungsinstitut bemüht, das die Infrastruktur-
lücke schnell einmal auf die Hälfte saldiert hat. Über die
Zweckzuweisung die 10 Milliarden DM für zehn Jahre,
also insgesamt 100 Milliarden DM wurde am Anfang
gar nicht gesprochen. Am Ende hörte man in der Öffent-
lichkeit, es sei allein über die 300 Milliarden DM für
die Beseitung der Infrastrukturlücke gesprochen worden.
Im Gesamtergebnis kamen aber für 15 Jahre lediglich
306 Milliarden DM heraus.
Das wurde als Erfolg gefeiert und bejubelt. Die angeb-
liche Summe von 306 Milliarden DM bedeutet zwar eine
ganze Menge Planungssicherheit, aber verteilt sich eben
auf den Zeitraum bis 2019. Die erwähnte und ansonsten
nicht unbedingt für Regierungsverlautbarungen bekannte
Sonntagszeitung titelte nun: Deutsche müssen weitere
15 Jahre für den Osten zahlen. Dies stimmt schlichtweg
so nicht. Die 100 Milliarden DM, die noch zugesichert
werden, unterliegen der Evaluierung und müssen durch
jährlich von den Ländern anzufertigende Fortschrittsbe-
richte für den Aufbau Ost belegt werden. Sie sind also Teil
jährlicher Haushaltsverhandlungen und damit keineswegs
rechtlich abgesichert.
Ich habe nichts gegen Fortschrittsberichte, aber
manchmal sollten wir darüber nachdenken, ob diese nur
für die neuen Bundesländer und nur an dieser Stelle oder
nicht ebenfalls für andere öffentliche Mittel notwendig
wären, über die wir im Bundestag beschließen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehen Sie es mir
nach, wenn ich sarkastisch sage: Wenn die Planungssicher-
heit für den Osten bis 2050 hergestellt worden wäre und
man dann bejubelt hätte, dass die 306 Milliarden DM auf
45 Jahre aufgeteilt wurden, hätte es das wohl nicht sein
können.
Insofern bleibt die nüchterne Bilanz: 1998 hatten wir
Transferzahlungen in Höhe von etwa 40 Milliarden DM.
Für die nächsten 15 Jahre, also für den Zeitraum von 2005
bis 2019, betragen diese Zahlungen im Durchschnitt
20 Milliarden DM. Das ist ungefähr die Hälfte. Also soll-
ten wir nicht sagen, hier sei etwas Schlimmes geschehen,
weil mehr Zahlungen für den Osten vereinbart worden
seien. Das stimmt so nicht.
Ein paar positive Aspekte des Gesetzes will ich noch
nennen. Die pauschalen statt der zweckgebundenen Zu-
weisungen aus dem Investitionsförderungsgesetz werden
von uns ausdrücklich begrüßt. Wir stellen uns dem Wett-
bewerb. Wir sind auch für Anreize zur Erhöhung der ei-
genen Steuerkraft durch höheren Selbstbehalt bei über-
durchschnittlichen Zuwachsraten. Ich habe die Hoffnung,
dass die neuen Länder bei Chancengleichheit durchaus
wieder in der Lage sein könnten, überdurchschnittliche
Zuwachsraten zu erreichen, allen voran vielleicht sogar
diese Stadt Berlin. Dafür müsste man sich hier natürlich
für die Zukunft und nicht für die Vergangenheit entschei-
den.
Die Beibehaltung der bisherigen Einwohnerwertung
für Stadtstaaten, ebenso die neue Einwohnerwertung für
dünn besiedelte Länder Mecklenburg-Vorpommern,
Brandenburg und Sachsen-Anhalt profitieren davon , die
Berücksichtigung der besonderen Leistungsschwäche der
neuen Bundesländer und Berlins bei der Deckung von
Sonderlasten und beim Ausgleich unterproportionaler Fi-
nanzkraft das alles können wir positiv vermerken.
Ich spreche aber auch noch die kritischen und proble-
matischen Punkte an. Die mit der Neuregelung im Finanz-
ausgleich verbundene Hoffnung einer Föderalismus-
reform ist unerfüllt geblieben. Ich will es ganz deutlich
sagen: Darauf warten wir weiter. Föderalismus findet
noch nicht statt, wenn sich 16 Bundesländer zulasten Drit-
ter einigen.
Frau Professor Frick, ich stimme mit dem Bundes-
finanzminister überein: Wenn wir das Ganze pragmatisch
sehen, können wir auch nicht erwarten, über ein so kom-
pliziertes Gesetz im Vermittlungsausschuss verhandeln zu
können. Wir werden die Föderalismusreform, wenn wir
sie überhaupt realisieren wollen, hier im Bundestag in An-
griff nehmen müssen, oder wir werden immer wieder ein
kompliziertes Verfahren haben. Diese Problematik halte
ich nicht für im Vermittlungsausschuss lösbar.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Nooke,
jetzt muss ich Sie für einen Moment unterbrechen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist klar, dass vor
einer namentlichen Abstimmung der Lärmpegel im Saal
steigt. Aber ich bitte doch darum, dem Kollegen Nooke
noch angemessen zuzuhören. Es gibt danach auch noch
einen weiteren Redner in dieser Debatte. Alle Kollegin-
nen und Kollegen haben verdient, dass ihnen zugehört
wird.
Frau Präsidentin, die
Materie ist kompliziert, aber ein paar Fakten müssen ein-
fach aufgezeigt werden. Lassen Sie mich deshalb bitte
noch meine Ausführungen beenden.
Der Versuch, die neuen Länder ins Finanzausgleichs-
system zu integrieren, hat sich mit dem Beharrungsver-
mögen, bei den alten Besitzständen zu bleiben, überlagert.
Insofern spreche ich das Thema Geltungsdauer an, Herr
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Günter Nooke
17891
Kollege Metzger. Wir sprechen doch sonst auch bei Ge-
setzen mit Verfallsdatum davon, dass diese Aufgabe eines
Tages beendet sein wird. Es kann doch eigentlich nicht so
schlimm sein, dass wir uns der Aufgabe, noch einmal über
eine Föderalismusreform und eine Regelung zu diskutie-
ren, bei der nicht nur zehn Länder auf Beinen und sechs
Länder auf Krücken stehen, sondern mit der wir ein Sys-
tem erreichen, das wirklich passt und dem Föderalismus
in Deutschland gerecht wird, in 15 Jahren noch einmal un-
terziehen müssen.
Der Fonds Deutsche Einheit wird nicht wie vorge-
sehen getilgt. Die Tilgungsstreckung verzögert den Schul-
denabbau und geht zulasten der nachkommenden Gene-
rationen. Auch hier, Herr Kollege Metzger, wollen wir
erst einmal sehen, ob wir es wirklich schaffen, im nächs-
ten Bundeshaushalt die von Ihnen genannten 740 Milli-
onen DM einzusparen.
Daraus resultieren übrigens die Liquiditätsgewinne für
die alten Bundesländer; denn die neuen Bundesländer wa-
ren an der Tilgung des Fonds Deutsche Einheit nicht be-
teiligt.
Auch haben wir die Degression der Finanzmittel im
Rahmen des Soli II festgeschrieben. Aber wir haben noch
nichts dazu gesagt, was nach dem Wegfall der Ziel-1-För-
dermittel nach 2006 bei der EU-Osterweiterung, die bald
ansteht, passiert. Eine Kompensation ist nicht vorgese-
hen.
Bei der Mittelfestschreibung für den Solidarpakt II gilt
das Nominalprinzip. Das ist bei Preissteigerungen, wach-
sender Inflation und Kaufkraftverlust nachteilig. Alle wis-
sen: In 20 Jahren ist das Geld, das wir heute festschreiben,
nur noch die Hälfte wert, wenn wir die Inflationsrate von
heute annehmen. Machen Sie sich klar: Auch hier wird
eine große Menge Geld weniger vorhanden sein.
Meine Damen und Herren, liebe Freunde, eingangs
sagte ich, dass wir als ostdeutsche Abgeordnete über die
Einigung zur Neufestlegung des Länderfinanzausgleichs
froh sind. Dazu stehe ich. Aber erwarten Sie nach dem,
was hier zu sagen war, nicht, dass die Ostdeutschen jetzt
vor Dankbarkeit auf den Knien rutschen. Dazu besteht
kein Anlass.
Ich fasse deshalb zusammen: Die Liquiditätsgewinne
für die alten Länder aus der Tilgungsstreckung beim
Fonds Deutsche Einheit werden durch Einsparungen in
den neuen Ländern erwirtschaftet. Ich sage für die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion: Wir haben das gemerkt,
Herr Bundesfinanzminister, liebe Ländervertreter, meine
Damen und Herren. Auch das gehört zum Protokollari-
schen bei diesem Gesetz. Ich schließe aber mit einem Be-
kenntnis zum Pragmatismus. Auch uns ist natürlich der
Spatz in der Hand lieber als die Taube auf dem Dach.
Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Carsten Schneider für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Maßstäbegesetz er-
füllen wir die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts,
ein Fundament zu bauen, auf das wir später, wie beim
Hausbau, die staatlichen Finanzbeziehungen mit dem Fi-
nanzausgleichsgesetz setzen. Auf die Schwierigkeit, ein
Fundament zu bauen, ohne zu wissen, wie groß und wie
schwer das Haus sein wird, hat der Kollege Schild schon
hingewiesen. Ich denke, dass wir eine Lösung gefunden
haben, die dem Prinzip der Solidarität, das die Grund-
lage unseres Gemeinwesens bildet, gerecht wird und
gleichzeitig denjenigen Ländern, die heute noch Nehmer-
länder sind, genügend Ansporn bietet, auch weiterhin
Fortschritte zu erzielen.
Sowohl das Maßstäbegesetz als auch der Ent-
schließungsantrag erfüllen drei Ansprüche, die ich für
sehr wichtig und nicht selbstverständlich halte:
Erstens. Wir haben durch die uns vorliegenden Rege-
lungen langfristige und planbare Perspektiven, insbeson-
dere für die neuen Länder, geschaffen. Das ist aus meiner
Sicht allemal wichtiger und vernünftiger als Sofortpro-
gramme, wie sie von Frau Merkel oder Herrn Vogel per-
manent gefordert werden. Uns ist es darauf angekommen,
bezahlbare und die Solidarität nicht gefährdende Rege-
lungen zu finden. Das, was Herr Vogel unentwegt fordert,
ist verantwortungslos. Er schürt Hoffnungen, die ohne
höhere Staatsverschuldung oder Steuererhöhungen nicht
finanziert werden können.
Mit uns Sozialdemokraten wird es jedoch weder zu Steu-
ererhöhungen noch zur Erhöhung der Staatsverschuldung
kommen.
Vom heutigen Tag wird das Signal ausgehen, dass der
Osten mehr denn je Zukunft hat
und dass vor allem den jungen Menschen in den neuen
Ländern Perspektiven geboten werden. Der neue Länder-
finanzausgleich und das Maßstäbegesetz schaffen die
Voraussetzungen für weitere Investitionen in den neuen
Bundesländern. Sie bieten daher gerade jungen Men-
schen große Chancen, die genutzt werden wollen und ge-
nutzt werden müssen.
Ich habe eingangs vom Prinzip der Solidarität gespro-
chen. Wir in den neuen Ländern wissen diese Form der
Solidarität zu schätzen. Die Menschen dort wissen, dass
der Bundeskanzler diese Solidarität erst möglich ge-
macht hat. Die Bürgerinnen und Bürger in den Ländern
wissen auch, wer diese Solidarität in Karlsruhe infrage
gestellt hat. Ich kann daher den Vertretern des ehema-
ligen Nehmerlandes Bayern nur sagen: Mein Ziel als
Thüringer ist es, dass Thüringen es schafft, selbst Geber-
land zu werden.
Das geht nicht von heute auf morgen. Das hat auch bei Ih-
nen in Bayern eine Weile gedauert. Aber ich bin zuver-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Günter Nooke
17892
sichtlich, dass wir in Thüringen dies aus eigenen
Anstrengungen sowie durch die Solidarität des Bundes
und der anderen Länder schaffen können.
Der zweite für mich wichtige Anspruch, den das Maß-
stäbegesetz und der Entschließungsantrag erfüllen, ist der,
dass der in Deutschland erfolgreiche kooperative Fö-
deralismus in seinen Grundfesten bestehen bleibt. Damit
ist der von den Südländern so vehement geforderte Wett-
bewerbsföderalismus, der die Solidarität aufgekündigt
hätte, vom Tisch. Bezeichnenderweise hat ihn das Bun-
desverfassungsgericht in seinem Urteil von 1999 nicht
einmal mit einem Wort erwähnt. Ich sage es ganz deutlich:
Ich bin zwar nicht gegen Wettbewerb. Wettbewerb ist gut
und wünschenswert. Aber wer fair spielen will, der achtet
auch darauf, dass die Ausgangspositionen einigermaßen
gleich sind. Aber das sind sie nun einmal nicht. Daher ist
die vereinbarte Lösung mit ihren Anreizmechanismen aus
meiner Sicht gerade noch vertretbar. Mir persönlich wäre
es lieber gewesen, sie wären gar nicht hineingekommen.
Ich bin gespannt, wie sie sich in den nächsten fünf bis sie-
ben Jahren auswirken werden und ob es nicht noch Hand-
lungsbedarf für uns geben wird.
Der dritte Punkt, den ich ausdrücklich begrüße und ge-
gen den sich anfangs alle Länder gewehrt haben, ist die
Aufnahme des Europäischen Stabilitäts- und Wachs-
tumspaktes in das Maßstäbegesetz. Jedes Land hat für
sich und die Solidargemeinschaft Verantwortung zu tra-
gen. Eine gemeinsame Ausgabenlinie zur Begrenzung des
gesamtstaatlichen Defizits war daher längst überfällig.
Die Aufnahme dieser Regelung in das Maßstäbegesetz
trägt die Handschrift der SPD-Bundestagsfraktion, die für
eine solide Finanzpolitik steht.
Die am 23. Juni ausgehandelten Regelungen sind ein-
deutig ein Kompromiss. Darauf ist schon vielfach hinge-
wiesen worden. Ich gebe gern zu, dass ich mir eine um-
fassendere Maßstabsbildung, wie sie zum Beispiel auch
vom Bundesverfassungsgericht gefordert wurde, ge-
wünscht habe.
Der ursprüngliche Gesetzentwurf der Bundesregierung
war in dieser Beziehung viel weitergehender und genauer
als die mit den ich möchte es einmal so formulieren
beharrungswütigen Ländern letztendlich erreichte Lö-
sung. Zu nennen wäre hier zum Beispiel die 100-prozen-
tige Einbeziehung der kommunalen Steuereinnahmen,
die ich für ausgesprochen wichtig und richtig halte. Ich
hoffe, dass wir es irgendwann einmal schaffen werden, sie
in das Maßstäbegesetz hineinzuschreiben.
Ein wichtiger Punkt ist die auch exaktere Maßgabe der
vertikalen Steuerverteilung. Ich muss ehrlicherweise
zugeben: Wenn man sich das Gesetz genau anschaut, dann
stellt man fest, dass es dazu fast nichts enthält. Das birgt
sehr viel Potenzial an Konflikten zwischen den Ländern
und dem Bund in den nächsten Jahren. Das hätten wir
zwar ausräumen können. Aber das haben wir durch die In-
tervention der Länder leider nicht geschafft.
Wir Sozialdemokraten nehmen das Prinzip der Solida-
rität sehr ernst.
Das gilt zwar nicht nur für den Aufbau Ost, aber gerade
dort gilt es, solidarisch zu sein. Ob mit dem Altschulden-
hilfe-Gesetz, dem Investitionsprogramm Verkehr oder
dem Inno-Regio-Projekt die Liste ließe sich beliebig
fortsetzen , wir räumen dem Aufbau Ost höchste Priorität
ein,
und zwar nicht nur um seiner selbst willen, sondern des-
halb, weil wir über unseren nationalen Tellerrand hi-
nausschauen und die europäische Einigung nie aus dem
Blick verlieren. Wir haben das hat auch die Debatte in
der letzten Woche gezeigt schon einen guten Teil des
Weges zurückgelegt, vor allen Dingen dank der uner-
müdlichen Bereitschaft der Ostdeutschen, sich den
neuen Bedingungen anzupassen und ihr Schicksal
selbst in die Hand zu nehmen, aber auch dank des soli-
darischen Verhaltens der Menschen in den alten Bun-
desländern.
Insgesamt 306 Milliarden DM die Zustimmung der
beiden Häuser vorausgesetzt werden in den nächsten
Jahren in die neuen Länder fließen. Auch wenn die Bun-
desergänzungszuweisungen nominal und degressiv aus-
gestaltet sind, ist dies eine angemessene Summe, die wir
in den neuen Ländern sehr zu schätzen wissen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Herr
Koch wurde von Ihnen heute schon mehrmals gelobt.
Ich wäre an Ihrer Stelle ein bisschen vorsichtiger. Seine
Äußerungen in Richtung Berlin und Koalition halte ich
für sehr bedenklich; denn jede Drohung gegenüber den
Wählerinnen und Wählern in Ostdeutschland ist meines
Erachtens ein Anschlag auf die gesamtstaatliche Solida-
rität.
Im Übrigen brauchen wir uns von niemandem Nach-
hilfeunterricht in Sachen Demokratie geben zu lassen. Die
jeweilige Farbe einer Landesregierung ist kein Maßstab
für die Finanzbeziehungen der Länder,
auch wenn es Ihnen, liebe Kollegen von der Union die
F.D.P. erwähne ich gar nicht , nicht schmeckt, dass Sie
im Osten in der nächsten Zeit keinen Fuß mehr auf die
Erde bekommen werden.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Carsten Schneider
17893
Über das Auslaufen des Investitionsfördergesetzes ist
bereits berichtet worden. Die neuen Bundesländer erhal-
ten durch die Sonderbedarfsergänzungszuweisungen
eine höhere Flexibilität. Mir ist an dieser Stelle daran
gelegen, an die Länder zu appellieren, diese Mittel auch
wirklich investiv einzusetzen. Auf uns als Bundestagsab-
geordnete wird die Pflicht zukommen, die Berichte, die
erstellt werden, genau zu prüfen.
Ich möchte hier aber noch Folgendes sagen: Wer auf
der einen Seite die Entflechtung der Finanzbeziehungen
zwischen Bund und Ländern fordert das ist oftmals an-
gesprochen worden , der darf auf der anderen Seite nicht
bei jedem sich stellenden kleinen Problem nach dem
Bund rufen und schreien, dass ihm der Bund doch bitte
helfen möge.
Die Länder sind jetzt in die Lage versetzt, sich selbst zu
helfen und etwas aus ihrem Potenzial zu machen. Wir ha-
ben mit diesem Maßstäbegesetz für die nächsten Jahre die
Grundlagen dafür gelegt.
Ich bin gespannt, ob das bis 2019 hält. Ich halte diese
Maßgabe der Befristung für sehr kritisch, aber ich stimme
letztlich zu, weil mir das übergeordnete Interesse daran,
dass dieses Gesetz durchgeht und dass der Aufbau Ost So-
lidität und langfristige Perspektiven erhält, viel wichtiger
ist. Deshalb bitte ich auch Sie um Zustimmung zu diesem
Gesetzentwurf.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Maßstäbege-
setzes in der Ausschussfassung. Es handelt sich um die
Drucksachen 14/5951 und 14/6533. Wir stimmen zu-
nächst über den Änderungsantrag der Fraktionen von
SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 14/6581 ab. Zu dieser Abstimmung gibt es vom
Kollegen Volker Kröning eine schriftliche Erklärung
gemäß § 31 der Geschäftsordnung.1) Wer stimmt für die-
sen Änderungsantrag? Wer stimmt dagegen? Stimm-
enthaltungen? Der Änderungsantrag ist gegen die Stim-
men der F.D.P.-Fraktion und einige Stimmen aus der
SPD-Fraktion angenommen.
Ein Kollege aus der SPD-Fraktion hat sich der Stimme
enthalten.
Ich bitte nun diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung mit der so-
eben beschlossenen Änderung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. Wer stimmt dagegen? Stimmenthal-
tungen? Der Gesetzentwurf ist damit in dieser Fassung
in zweiter Beratung gegen die Stimmen der F.D.P.-Frak-
tion angenommen.
Ich möchte noch bekannt geben, dass der Kollege
Jochen-Konrad Fromme gemäß § 31 der Geschäftsord-
nung ebenfalls eine schriftliche Erklärung zu seinem Ab-
stimmungsverhalten abgegeben hat.2)
Interfraktionell ist vereinbart worden, trotz Annahme
eines Änderungsantrags in zweiter Beratung jetzt unmit-
telbar in die dritte Beratung einzutreten. Ich sehe, Sie
sind damit einverstanden.
Deshalb kommen wir jetzt zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Die Fraktion der F.D.P. verlangt
namentliche Abstimmung. Ich möchte bekannt geben,
dass im Anschluss an die namentliche Abstimmung noch
zwei einfache Abstimmungen stattfinden. Ich bitte jetzt
die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehe-
nen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? Das
ist der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das
Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt ge-
geben3). Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, die
Plätze recht schnell wieder einzunehmen, da wir noch
zwei einfache Abstimmungen durchführen müssen.
Ich möchte bekannt geben, dass es bei der Abstimmung
über den Änderungsantrag auf Drucksache 14/6581 drei
Gegenstimmen aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
gegeben hat.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktionen der SPD, des Bündnis-
ses 90/Die Grünen und der PDS auf Drucksache 14/6577.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? Gegen-
probe! Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist
gegen die Stimmen der F.D.P.-Fraktion bei Enthaltung der
CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den
Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Druck-
sache 14/6555. Wer stimmt für diesen Entschließungs-
antrag? Gegenprobe! Enthaltungen? Der Entschlie-
ßungsantrag ist gegen die Stimmen der F.D.P.- Fraktion
abgelehnt.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/6492 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind offensicht-
lich alle damit einverstanden. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c auf:
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Carsten Schneider
17894
1) Anlage 2
2) Anlage 3
3) Seite 17900
4 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
Bosbach, Norbert Geis, Erwin Marschewski,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Kriminalität wirksamer bekämpfen Innere
Sicherheit gewährleisten
Drucksache 14/6539
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Norbert Geis, Roland Pofalla, Wolfgang
Bosbach, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Verbesserung der gesetzlichen
Maßnahmen gegenüber Kinder- und Jugend-
delinquenz
Drucksache 14/3189
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses
Drucksache 14/6546
Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Simm
Norbert Geis
Volker Beck
Jörg van Essen
Sabine Jünger
c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Zu-
ständigkeit für die Anordnung einer DNA-
Untersuchung bei Spuren
Drucksache 14/5264
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Innenausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Bevor ich dem ersten Redner das Wort erteile, möchte
ich im Namen aller Mitglieder des Hauses den peruani-
schen Staatspräsidenten Dr. Alejandro Toledo auf der
Besuchertribüne recht herzlich begrüßen. Wir bedanken
uns für die Aufmerksamkeit, die uns hier zuteil wird.
Erster Redner in dieser Debatte ist für die Bundesre-
gierung der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf
Körper.
F
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Die Bundesregierung misst der inneren
Sicherheit und damit der Verbrechensbekämpfung und
Verbrechensverhütung einen hohen Stellenwert bei.
Erfreulicherweise zeigt die polizeiliche Kriminalstatis-
tik ein eindeutiges Bild:
Wir können einen Rückgang der Kriminalität bei einer
steigenden Aufklärungsquote, die beispielsweise im Jahr
2000 über 53 Prozent betrug, feststellen. Hierzu haben der
Bund und alle Länder einen erfolgreichen Beitrag geleis-
tet. Das sollte auch hier Erwähnung finden.
Deutschland ist im internationalen Vergleich eines der
sichersten Länder. Das kann man mit Fug und Recht be-
haupten.
Meine Damen und Herren, lieber Kollege Geis, dieser Be-
fund korrespondiert natürlich mit einer deutlichen Ver-
besserung des subjektiven Sicherheitsempfindens der
Bevölkerung. Dieses Ergebnis ist nicht zuletzt Resultat
der engagierten, zuverlässigen und häufig risikobehafte-
ten Arbeit der Beamtinnen und Beamten aller Sicher-
heitsbehörden. Auch ihnen gebührt an dieser Stelle ein
herzliches Dankeschön für ihre engagierte Arbeit.
Auch unser Bundesgrenzschutz hat durch seine her-
vorragende Arbeit dazu beigetragen, dass die Krimina-
litätsentwicklung weiter rückläufig ist. Hinzu kommen
die zahlreichen Sicherheitspartnerschaften zwischen
dem Bundesgrenzschutz auf der einen und den Landespo-
lizeien auf der anderen Seite, die sich außerordentlich gut
bewährt haben. Damit erhöht sich zugleich die Präsenz
von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in der Öffent-
lichkeit. Ich sage: Bei der Herstellung von innerer Sicher-
heit ist für Eifersüchteleien und Kompetenzfragen kein
Platz. Das ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund und
Ländern.
Unser Bundeshaushalt betont die Bedeutung der inne-
ren Sicherheit eindeutig. Wir wissen, dass die Haushalts-
situation nicht einfach ist. Welche Verpflichtungen wir
übernehmen mussten ich denke insbesondere an die
Zinslasten , ist bekannt. Im laufenden Jahr werden aber
die Ausgaben für den Sicherheitsbereich dazu gehören
insbesondere die Ausgaben für Aufgaben des Bundeskri-
minalamtes, des Bundesgrenzschutzes, des Bundesamtes
für Verfassungsschutz sowie des Bundesamtes für die
Sicherheit in der Informationstechnik auf einem hohen
Niveau gehalten und gegenüber dem Vorjahr sogar um
100 Millionen DM erhöht. Ich glaube, das ist in Anbe-
tracht der Haushaltssituation ein sehr bemerkenswerter
Beitrag.
Meine Damen und Herren, wir haben es heute auch mit
einem Antrag der Union zu tun. Auch wenn er erst eine re-
lativ kurze Zeit vorliegt, konnte man doch feststellen, dass
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Vizepräsidentin Petra Bläss
17895
er sowohl im Bereich der Justiz- als auch beispielsweise
im Bereich der Innenpolitik nicht viel überraschend
Neues enthält.
Die Aufgabe, innere Sicherheit herzustellen, ist eine Auf-
gabe, deren Lösung nicht davon abhängt, wie viele Ge-
setzentwürfe vorgelegt werden,
sondern es ist auch ganz entscheidend, wie der Gesetzes-
vollzug gewährleistet wird.
Diese Bundesregierung hat eine eindeutige Strategie:
Kriminalität dort zu bekämpfen, wo sie entsteht. Wir kön-
nen dafür viele Beispiele anführen: Diese Bundesregie-
rung hat es geschafft, wesentliche so genannte OK-Ab-
kommen mit Staaten Osteuropas, mit der Russischen
Föderation oder den baltischen Staaten, abzuschließen.
Ja, lieber Herr Geis, auch wenn Sie das zum Teil vorbe-
reitet haben, haben Sie es aber nicht zum Abschluss
und insbesondere nicht zum Laufen gebracht.
Wir sind sehr froh, dass uns das gelungen ist; denn wir
wissen, dass die organisierte Kriminalität internationale
Bezüge hat. Deswegen darf die Bekämpfung organisierter
Kriminalität an nationalen Grenzen nicht Halt machen.
Aus diesen Gründen ist diese Strategie ganz wichtig. Ich
bin dankbar, dass es uns gelungen ist, hier tätig zu werden
und, wie ich glaube, auch gute Regelungen zu finden.
Ich bin auch sehr dankbar, dass die Union in ihrem An-
trag erkannt hat, dass es bei einer wirksamen Krimina-
litätsbekämpfung nicht ausschließlich auf Repression an-
kommt, sondern dass auch die Prävention ein wichtiger
Bestandteil ist.
Deswegen bin ich froh, dass es uns gelungen ist, das Deut-
sche Forum für Kriminalitätsprävention nicht nur zu
gründen, sondern auch in Gang zu setzen. Denn ich bin
der Auffassung: Prävention ist ein ganz wichtiger Schlüs-
sel bei der Bekämpfung von Kriminalität.
Dankbar bin ich dafür, dass das offensichtlich erkannt
worden ist.
Ich empfehle Ihnen auch den Periodischen Sicher-
heitsbericht, den wir in den nächsten Tagen vorlegen wer-
den, der sich auch sehr differenziert mit Jugendgewalt und
Jugendkriminalität auseinander setzt und unter anderem
untersucht, wie ein bestimmtes Sanktionssystem auf
junge Leute wirkt. Ich sage einmal ein bisschen über-
spitzt: Ihre Forderung Jugend in den Knast halte ich ein-
fach für zu kurz gesprungen.
Lieber Herr Geis, das wollte ich Ihnen auch nicht in die-
ser Verkürzung unterstellt haben; aber Sie wissen, worauf
ich hinaus will. Ich denke, da sind wir auf einem guten
Wege.
Ich sage ganz unumwunden: Wir werden Ihren Antrag
sehr sorgfältig prüfen und schauen, wo Kreativität und
gute Anregungen vorhanden sind.
So werden wir diesen Antrag behandeln.
Es geht aber nicht und das soll meine letzte Bemer-
kung sein , etwa zu versuchen, Länder auseinander zu
treiben. Denn was das Herstellen von innerer Sicherheit
anbelangt, so sind die Länder ganz entscheidend gefor-
dert. Da kann man sie nicht an den Pranger stellen, son-
dern das geht nur mit ihnen.
Die Erfolgsquote hängt nicht unbedingt davon ab, wel-
che Farbe die jeweilige Landesregierung hat. Dafür ist
dieses Thema viel zu vielschichtig und zu schwierig.
Ich denke, wir sind auf einem guten Weg.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Wolfgang Bosbach.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Vor kurzem wurde die poli-
zeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2000 vorgestellt.
Sie gibt Auskunft über das Kriminalitätsgeschehen ge-
nauer gesagt: über das der Polizei bekannt gewordene
Kriminalitätsgeschehen und soll Erkenntnisse über vor-
beugende und verfolgende Verbrechensbekämpfung lie-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper
17896
fern, um daraus die notwendigen kriminalpolitischen
Maßnahmen zu entwickeln.
Es reicht nicht aus, der Öffentlichkeit nur diese Statis-
tik zu präsentieren. Viel wichtiger ist es, so schnell wie
möglich diejenigen gesetzlichen Konsequenzen zu zie-
hen, die dringend geboten und zum Teil längst überfällig
sind, um Kriminalität wirksamer bekämpfen zu können.
Erfreulich ist, dass wir seit 1995 einen leichten, aber
doch kontinuierlichen Rückgang von registrierten Strafta-
ten von ehemals 6,8 Millionen auf heute 6,2 Millionen zu
verzeichnen haben und dass gleichzeitig seit 1993 die
Aufklärungsquote ansteigt und jetzt bei über 50 Prozent
liegt.
CDU und CSU danken all jenen, insbesondere den vor
Ort tätigen, Polizistinnen und Polizisten, die durch ihren
oft lebensgefährlichen persönlichen Einsatz Straftaten
verhindern, verfolgen und aufklären.
Wer Polizeibeamte beschimpft, beleidigt, bedroht oder
gar tätlich attackiert, greift nicht nur schlimm genug
den einzelnen Polizisten an, sondern auch unseren frei-
heitlichen Rechtsstaat insgesamt.
Herr Kollege Körper, in der Tat ist das Kriminalitäts-
geschehen bundesweit nicht gleichmäßig verteilt. Aber
das kann nicht zur Folge haben, dass man nicht über die
Unterschiede sprechen darf. Dass die Kriminalitätsbelas-
tung in den Ballungszentren größer ist als in ländlichen
Gebieten, ist keine Überraschung. Aber es gibt auch in
den Flächenländern erhebliche Unterschiede.
Die Stagnation der Kriminalität auf einem zu hohen
Niveau ist kein unabänderliches Naturgesetz; sie ist oft
eine Folge verfehlter Kriminalitäts- und Sicherheitspoli-
tik. Mit Abstand am sichersten lebt man in Baden-Würt-
temberg, in Bayern und im Saarland,
allesamt unionsgeführte Bundesländer.
Am problematischsten ist die Lage in Hamburg. Wer dort
seit Jahrzehnten die politische Verantwortung trägt, ist be-
kannt.
Besorgnis erregend sind die große Zahl der straffälli-
gen Kinder und Jugendlichen sowie der Umstand, dass
bei der Gruppe der Heranwachsenden, also der zwischen
18- und 21-Jährigen, erneut ein Anstieg zu verzeichnen
ist.
Eine besondere Problemgruppe bilden die jugendli-
chen Intensivtäter, sodass es dringend geboten ist, das ju-
gendstrafrechtliche Instrumentarium auszubauen, damit
die Richter die Möglichkeit haben, im Rahmen eines
Strafverfahrens sachgerecht, gezielt, aber auch zügig zu
reagieren.
Bedenklich ist aber auch, dass die Bereitschaft, Gewalt
anzuwenden, stetig steigt. Typisch für diese Entwicklung
ist der erneute Anstieg von gefährlicher und schwerer
Körperverletzung. Wir geben uns mit der Meldung, die
Zahl der registrierten Straftaten sei leicht gesunken, nicht
zufrieden, zumal die Kriminalitätsbelastung heute dop-
pelt so hoch ist wie Anfang der 70er-Jahre. 6 Millionen
Straftaten sind exakt 6 Millionen Straftaten zu viel. Des-
wegen bringen wir heute neben einem Gesetz zur besse-
ren Bekämpfung der Kinder- und Jugendkriminalität ei-
nen Antrag ein, der ein ganzes Bündel von Maßnahmen
vorsieht, um Straftaten besser als bislang verhindern oder
verfolgen zu können.
Von überragender Bedeutung ist in der Tat da gebe
ich dem Kollegen Körper Recht eine wirksame Krimi-
nalprävention. So kann beispielsweise eine gezielte Vi-
deoüberwachung von Kriminalitätsschwerpunkten Straf-
taten bewiesenermaßen wirkungsvoll verhindern und
auch das Sicherheitsgefühl der Menschen stärken.
Bevor sich nunmehr die Empörung organisiert, darf ich
ausdrücklich auf Folgendes hinweisen: Nein, wir wollen
keine flächendeckende Videoüberwachung zwischen
Flensburg und Mittenwald, wir wollen auch nicht ganze
Städte und Gemeinden mit Video überwachen. Es geht
ausschließlich und ausdrücklich um die Überwachung
von Kriminalitätsbrennpunkten. Die Städte und Gemein-
den und die dort tätigen Polizisten wissen ganz genau, wo
der Einsatz dieser Technik notwendig und sinnvoll ist und
wo nicht. Die Überwachung muss auf sicherer Rechts-
grundlage und offen erfolgen, nicht etwa verdeckt und ge-
heim. Wenn die so gewonnenen Informationen, Daten und
Bilder für Strafverfolgungsmaßnahmen nicht mehr
benötigt werden, dann müssen sie gelöscht werden.
Die Ergebnisse von Pilotprojekten, beispielsweise in
Sachsen, sind überzeugend. So hat es auf dem Bahnhofs-
vorplatz in Leipzig im Jahre 1997 noch 566 Diebstähle
von oder aus Kraftfahrzeugen gegeben 566 auf einem
einzigen Platz. Nach Einsatz der Videoüberwachung ist
diese Zahl im ersten Halbjahr 2000 auf 98 zurückgegan-
gen. In den Monaten Juli und August wurden nur ganze
acht Delikte gezählt.
Auch die Ergebnisse anderer Pilotprojekte sind über-
zeugend. Dort konnte ebenfalls ein deutlicher Rückgang
an Straftaten registriert werden, ohne dass ein Verdrän-
gungseffekt erzielt wurde.
Eine besondere Herausforderung ist der Kampf gegen
die organisierte Kriminalität. Wir brauchen wieder eine
effektive Kronzeugenregelung. Es war ein kapitaler Feh-
ler dieser Regierung, die alte zeitlich befristete Rege-
lung auslaufen zu lassen, ohne sie durch eine Nachfolge-
regelung zu ersetzen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Wolfgang Bosbach
17897
Wenn Sie uns nicht glauben, dann glauben Sie wenigs-
tens den erfahrenen Ermittlern und Richtern. Nach einer
Studie des Kriminologischen Forschungsinstitutes Nie-
dersachsen der Leiter ist vor kurzem Justizminister in
Niedersachsen geworden
haben sich über 90 Prozent der befragten Polizeibeamten,
Staatsanwälte und Strafrichter für eine neue Kronzeugen-
regelung ausgesprochen. Tatverdächtige höherer Hierar-
chiestufen in kriminellen Netzwerken seien ohne die Ge-
währung von Vergünstigungen für selbst in kriminelle
Machenschaften verstrickte Zeugen angesichts des damit
für sie verbundenen Risikos kaum zu überführen, so die
Experten.
Die Erfahrungen mit den existierenden bereichsspezi-
fischen Regelungen, insbesondere mit § 31 Betäubungs-
mittelgesetz niemand denkt daran, die in diesem Bereich
bestehende Kronzeugenregelung abzuschaffen , zeigen,
dass diese Regelungen ein effektives Mittel zur Verbre-
chensbekämpfung sein können.
Wenn wir in den Kernbereich der organisierten Krimina-
lität vordringen wollen, brauchen wir wieder eine effek-
tive Kronzeugenregelung,
und zwar nicht nur, um Straftaten aufzuklären und Straftä-
ter zu überführen, sondern auch um neue, schwere und
schwerste Straftaten zu verhindern. Wer sich dieser Ein-
sicht verschließt, handelt unverantwortlich.
Wir brauchen eine bessere Abschöpfung von Verbre-
chensgewinnen und wollen das so gewonnene Geld un-
mittelbar zur Entschädigung von Opfern und für eine bes-
sere Bekämpfung der Kriminalität einsetzen.
Wir wollen eine konsequentere Anwendung der DNA-
Analyse.
Die Auswertung des genetischen Fingerabdrucks ist eine
äußerst wirksame Methode bei der Aufklärung von
Straftaten und der Überführung von Straftätern. Sie hat
sich hervorragend bewährt. Dabei geht es nicht, wie ge-
legentlich kolportiert, um die Erlangung von irgendwel-
chen Erbinformationen mutmaßlicher Täter, sondern
ausdrücklich und ausschließlich um die Feststellung der
Identität.
War der Verdächtige am Tatort oder nicht? Stammen
die Spuren am Opfer von dem Verdächtigen oder von ei-
ner anderen Person? Wieso sollen wir diese Methode nur
bei Straftaten von erheblicher Bedeutung einsetzen?
75 Prozent aller Vergewaltiger waren vorbestraft, aber
nicht alle wegen einer Straftat von erheblicher Bedeu-
tung. 25 Prozent aller Vergewaltiger haben ihre krimi-
nelle Karriere als Spanner oder Exhibitionist begonnen.
Was spricht eigentlich dagegen, von Spannern oder Ex-
hibitionisten die Abgabe eines genetischen Fingerab-
drucks zu verlangen ein Haar genügt , zumal dieser
Eingriff in die körperliche Integrität wesentlich geringer
ist als die Abgabe einer Blutprobe nach einer Trunken-
heitsfahrt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Bosbach,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, heute aus
zeitlichen Gründen nicht. Sonst immer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber diese Zeit wird
Ihnen doch nicht auf Ihre Redezeit angerechnet. Die Uhr
wird angehalten.
Ich muss gleich
zur Bundespressekonferenz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Alles klar.
Gerade wenn wir
Sexualstraftaten wirkungsvoller bekämpfen wollen und
das ist dringend nötig , müssen wir die Möglichkeiten
der DNA-Analyse besser nutzen.
Kritiker mögen bedenken, dass die DNA-Analyse auch
dazu dienen kann, Verdächtige zu entlasten. Vor kurzem
wurde in den USA ein Mann nach 17 Jahren Strafhaft ent-
lassen, weil dessen Unschuld erst durch eine DNA-Ana-
lyse herausgefunden werden konnte.
Wir brauchen einen besseren Schutz der Bevölkerung
vor nicht resozialisierbaren Schwerkriminellen. Nach gel-
tendem Recht kann Sicherungsverwahrung nur zum
Zeitpunkt der Aburteilung angeordnet werden, nicht je-
doch danach und auch dann nicht, wenn sich erst in der
Haft herausstellt, dass nach der Entlassung die Gefahr
weiterer schwerer Straftaten besteht. Wenn sich Schwer-
kriminelle entgegen der Erwartung des Gerichtes als nicht
resozialisierbar und hochgefährlich erweisen, dann dür-
fen sie nicht in die Freiheit entlassen werden. Für diese
Fälle muss die Möglichkeit geschaffen werden, dass ein
Gericht auch nachträglich Sicherungsverwahrung anord-
nen kann.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Wolfgang Bosbach
17898
Auch dieser Vorschlag wird natürlich Kritiker finden.
Sie werden sagen, dass eine solche Maßnahme echt
hart sei. Richtig, eine solche Maßnahme ist sogar
äußerst hart und das soll sie ja auch sein. Im Mittelpunkt
unserer Politik steht nämlich nicht das Wohlergehen des
Täters, sondern der Schutz der Bevölkerung vor Krimi-
nellen.
Die heutige Debatte sollte noch einmal Anlass geben,
grundsätzlich darüber zu sprechen, wie wir Recht und
Gesetz besser Geltung verschaffen können. Was wäre ei-
gentlich in unserem Lande los gewesen, wenn am
vergangenen Montag mitten in Berlin nicht Linksradi-
kale die Redner der Union, sondern wenn Rechtsradikale
die Redner von SPD und PDS angegriffen hätten? Ein
massiver Polizeieinsatz hätte sofort jeden Angriff unter-
bunden und die Veranstaltung geschützt. Ein Aufschrei
der Empörung wäre durch unser Land gegangen. Das
Fernsehen hätte Sondersendungen geschaltet und der
Aufstand der Anständigen, Teil zwei, wäre sofort organi-
siert worden.
Aber so wurden ja nur die führenden Repräsentanten
von CDU und CSU angegriffen. Was macht das schon?
Wer Radikale von rechts oder von links wüten lässt
oder ihnen mit klammheimlicher Freude zusieht, ist als
Sachwalter für Recht und Ordnung ungeeignet.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich jetzt dem Kollegen Alfred Hartenbach
das Wort.
Verehrter Herr Kollege
Bosbach, ich habe gar nicht gewusst, dass Sie am Red-
nerpult so ängstlich sind, eine ganz harmlose Zwi-
schenfrage von mir zu beantworten. Wo ist er eigentlich
jetzt?
Das macht er merkwürdigerweise immer so, wenn ich
ihn etwas fragen will.
Könnten Sie ihn vielleicht bitten, hier zu bleiben, Frau
Präsidentin?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Hartenbach, der Kollege Bosbach hat mir Bescheid gege-
ben, dass er zur Bundespressekonferenz gehen muss. Das
muss man zur Kenntnis nehmen.
Wenn ihm das wichtiger
ist, als in vernünftiger Form mit Kollegen zu diskutieren,
dann offenbart das seine Schwäche.
Lassen Sie mich, verehrte Frau Präsidentin, zu dem
Thema DNA-Analyse, das er angesprochen hat, an die-
ser Stelle trotzdem etwas sagen; denn seine Äußerungen,
die nicht unwidersprochen bleiben dürften, können
leicht in Vergessenheit geraten, bis ein Redner darauf
eingeht.
Wir sind natürlich alle der Überzeugung, dass die
DNA-Analyse sehr geeignet ist, Straftaten aufzuklären.
Deswegen unterstützen wir entsprechende Maßnahmen.
Aber wir meinen, dass die Verhältnismäßigkeit immer ge-
wahrt bleiben muss, wenn man Menschen eine DNA-
Probe entnimmt. Wenn Herr Bosbach die Spanner an-
spricht, dann zeigt dies, welches Wissen er über die
Schwere von Straftaten hat. Wenn er schon Spanner an-
spricht, dann muss er auch die betrunkenen Autofahrer an-
sprechen, die sehr viel gewaltbereiter sind. Er muss
ebenso die Raser erwähnen. Da könnte er möglicherweise
selbst in Gefahr geraten, dass man ihm eine DNA-Probe
entnimmt.
Ich bitte doch sehr darum, dass wir bei diesem Punkt
auf dem rechtsstaatlichen Boden bleiben und sagen: Eine
DNA-Probe darf nur denen entnommen werden, bei de-
nen eine Straftat von erheblichem Gewicht vorliegt.
Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bevor ich dem nächs-
ten Redner das Wort erteile, gebe ich jetzt das von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb-
nis der namentlichen Schlussabstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ge-
setzes über verfassungskonkretisierende allgemeine
Maßstäbe für die Verteilung des Umsatzsteueraufkom-
mens, für den Finanzausgleich unter den Ländern sowie
für die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen,
also über das Maßstäbegesetz, in der Ausschussfassung
bekannt. Es handelt sich um die Drucksachen 14/5951
sowie 14/6533. Abgegebene Stimmen 568. Mit Ja haben
533 Abgeordnete gestimmt, mit Nein haben 33 Abgeord-
nete gestimmt, enthalten haben sich 2 Kolleginnen und
Kollegen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Wolfgang Bosbach
17899
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 568;
davon
ja: 532
nein: 34
enthalten: 2
Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel
Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann
Bernhard Brinkmann
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Lilo Friedrich
Harald Friese
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf
Angelika Graf
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller
Stephan Hilsberg
Jelena Hoffmann
Walter Hoffmann
Iris Hoffmann
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Johannes Kahrs
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Brigitte Lange
Christian Lange
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dieter Maaß
Winfried Mante
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller
Jutta Müller
Christian Müller
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Gerhard Neumann
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel Riemann-
Hanewinckel
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Michael Roth
Birgit Roth
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Dr. Frank Schmidt
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
Brigitte Schulte
Volkmar Schultz
Ewald Schurer
Dietmar Schütz
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Vizepräsidentin Petra Bläss
17900
Jürgen Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf
Waltraud Wolff
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Norbert Blüm
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Paul Breuer
Klaus Bühler
Hartmut Büttner
Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Manfred Carstens
Peter H. Carstensen
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Renate Diemers
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Ilse Falk
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer
Axel E. Fischer
Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt
Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Klaus Hofbauer
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann
Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß
Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Elmar Müller
Bernd Neumann
Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard
Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch
Dr. Klaus Rose
Adolf Roth
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Dr. Gerhard Scheu
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Wolfgang Schulhoff
Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-
Schilling
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Hans-Peter Uhl
Gunnar Uldall
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Dr. Theodor Waigel
Peter Weiß
Gerald Weiß
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese
Hans-Otto Wilhelm
Bernd Wilz
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
Wolfgang Zöller
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann
Marieluise Beck
Volker Beck
Angelika Beer
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer
Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Winfried Hermann
Kristin Heyne
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Kerstin Müller
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt
Werner Schulz
Christian Simmert
Christian Sterzing
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm
PDS
Monika Balt
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Vizepräsidentin Petra Bläss
17901
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Manfred Müller
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf
Nein
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Antje Hermenau
Oswald Metzger
Christine Scheel
F.D.P.
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
Detlef Parr
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Enthalten
CDU/CSU
Dietrich Austermann
Susanne Jaffke
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Vizepräsidentin Petra Bläss
17902
Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
Jetzt erteile ich das Wort dem Justizsenator der Stadt
Berlin, Wolfgang Wieland.
Wolfgang Wieland, Senator (von Abgeord-
neten des Bündnisses 90/Die Grünen und der SPD mit
Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Die CDU/CSU-Fraktion hat die Leitlinien ihres
Bundesvorstandes, unter der Federführung meines Kolle-
gen Schönbohm erarbeitet, nun als Antrag heute hier vor-
gelegt. Wir freuen uns zunächst, dass einige grobe Un-
richtigkeiten weggefallen sind. Dazu zählen zum Beispiel
die Forderung, dass Kinder, die ja nicht strafmündig sind,
vor Gericht zur Verantwortung gezogen werden, oder die
Selbstverständlichkeit, dass der Schutz der öffentlichen
Ordnung in die Polizeigesetze der Länder aufgenommen
werden soll, wo er seit jeher in der Generalklausel steht.
Es bleibt aber auch mit diesem Antrag bestehen, was
der Vorsitzende der GdP so formuliert hat: Dies ist ein
Strauß aus Unmöglichem und Selbstverständlichem. Vor
allem: Man spürt die Wahlkampfabsicht und man ist ver-
stimmt.
Ich sage gerne etwas zu den Eierwürfen, die hier ange-
sprochen worden sind. Alle Parteien in Berlin haben diese
Eierwürfe scharf verurteilt. Aber es ist auch richtig, dass
die CDU einen Straßenwahlkampf mit einem Stand ange-
meldet hatte, sodass das Ausmaß der Kundgebung der Po-
lizei vorher nicht bekannt war. Es gibt eine Pflicht des
Veranstalters zur Kooperation. Das hätte die CDU vorher
klarstellen müssen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Justizsenator, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Günter
Nooke?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Des Kollegen
Nooke immer sehr gern.
Sehr geehrter Herr Se-
nator Wieland, ist Ihnen, wenn Kooperation von Ihnen an-
gemahnt wird, bewusst, dass selbst fünf oder zehn Polizis-
ten, die sich ungefähr 100 bis 150 Meter vom Geschehen
entfernt aufhalten, nach den ersten Eierwürfen zumindest
ein paar Schritte näher kommen sollten und dass ich,
wenn ich jemanden, den wir dingfest gemacht haben, weil
er eine Flasche geworfen hat, die durchaus zu gefährli-
chen Verletzungen hätte führen können, den Polizisten
entgegenführe, erwarten kann, dass die Polizisten die An-
weisung erhalten, mir ein Stück entgegenzukommen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Nooke, die Berliner Polizei soll nicht auf Anweisungen
warten, sondern sie soll von sich aus aktiv und einsatz-
freudig sein. Da sind wir uns ja wohl einig.
Aber es war bisher so, dass im Wahlkampf der Kontakt
zu den Bürgern gesucht wurde. Wenn jetzt gefordert wird,
da umzuschalten, dann bitte ich zu überlegen, ob wir das
alle so wollen.
Ich möchte in meiner Rede fortfahren.
Geschätzter Herr Kollege, es ist klargestellt, dass Wahl-
veranstaltungen in Zukunft stärker geschützt werden. Aus
diesen Eierwürfen ist gelernt worden. Aber das hat auch
eine sehr unerfreuliche Seite; das will ich hier deutlich sa-
gen.
Was uns in diesem Antrag der CDU/CSU-Fraktion
empfohlen wird, ist in der Tat der alte konservative Drei-
klang, nämlich mehr Polizei, schärfere Gesetze, härtere
Strafen, als ob dies irgendwo auf der Welt zu einer Ein-
dämmung der Kriminalität geführt hätte.
Sie selber sagen in Ihrem Antrag, dass die Statistik zu
Dramatisierungen keinerlei Anlass biete. Der Berliner
Leiter des Landeskriminalamts hat erst vor wenigen Ta-
gen gesagt, dass es einen erheblichen Rückgang der Kri-
minalität bei Jugendlichen und Heranwachsenden, denen
Sie Ihre besondere Aufmerksamkeit widmen, gibt.
Ja, ich sage etwas zum Innensenator. Wir hatten den
Höchststand bei der Jugenddelinquenz im Jahre 1997;
seitdem sind die Zahlen stark rückläufig. Zu dieser Zeit
war der geschätzte Kollege Schönbohm Innensenator in
Berlin. Wir haben diese Parallele niemals gezogen. Wir
haben niemals gesagt, dass das die Schuld von Herrn
Schönbohm ist. Sie sind es, die sich hier hinstellen und die
Farbe von Landesregierungen mit der Höhe der Krimina-
litätsbelastung gleichsetzen. Das ist billig und albern.
Vor allem sollten Politiker Ängste in der Bevölkerung
vor Kriminalität ernst nehmen. Das sagen wir auch. Aber
sie dürfen sie niemals instrumentalisieren, schon gar nicht
in Wahlkampfsituationen.
Angst ist ein schlechter Ratgeber. Angst lähmt. Davon
sollten Sie Abstand nehmen. Hören Sie auf, zu glauben, in
dieser Art und Weise im Wahlkampf punkten zu können!
Ich komme zu Ihren Vorschlägen im Einzelnen. Sie
wollen nicht nur die akustische Raumüberwachung, vulgo
den großen Lauschangriff ausdehnen. Sie sagen nicht,
wohin; ich nehme an, auf Redaktionen, auf Anwaltskanz-
leien, auf ärztliche Praxen.
Sie wollen auch gleich die Videoüberwachung des
Wohnraumes, wollen also mit einen großen Spähangriff
in das, wie das Bundesverfassungsgericht es genannt hat,
letzte Refugium des Privaten eindringen. Dazu kann man
nur sagen: Das haben wir alles schon gehabt. Orwell lässt
schön grüßen. Das sind Ihre Vorschläge.
Ihre Vorschläge sind unerträglich. Das sind Ihre Vor-
schläge,
die ich hier nur ausbreite. Das werden Sie sich anhören
müssen. Das ist die Übersetzung dessen, was Sie vorge-
schlagen haben.
Herr Kollege Geis, ich bin Justizsenator dieses Landes.
Möglicherweise für Sie, für die Berlinerinnen und Ber-
liner nicht.
Stehen Sie doch zu Ihrem Vorschlag der Videoüberwa-
chung des Wohnraumes und kneifen Sie nicht! Man wird
doch noch sagen dürfen, welche Konsequenzen das hat,
insbesondere bezogen auf die Jugendstrafe. Das wurde
hier in Abrede gestellt.
Sie wollen das Höchstmaß der Jugendstrafe auf
15 Jahre anheben. Damit wäre das Jugendstrafrecht mit
dem Erwachsenenstrafrecht gleichgesetzt. Dann gäbe es
keinen Unterschied mehr. Wo bleibt denn dann der Erzie-
hungsgedanke?
Sie behaupten, es werde ich zitiere aus Ihrem An-
trag selbst bei schweren und schwersten Straftaten viel-
fach schematisch und ohne nähere Prüfung auf Heran-
wachsende das Jugendstrafrecht angewandt. Sie
betreiben hiermit eine pauschale Richterschelte ohne jeg-
liche Beweise. Da hat Ihnen offenbar ein gewisser Herr
Schill einen Textbaustein geliefert.
Die DNA-Analyse ist wichtig. Man sollte sie aber
zielgerichtet einsetzen. Sie jedoch wollen eine breite
Anwendung und die DNA-Analyse quasi genauso wie
den Fingerabdruck einsetzen. Sie wollen nicht zur
Kenntnis nehmen, welche Anforderungen das Bundes-
verfassungsgericht zu Recht an eine Gefährlichkeit-
sprognose gestellt hat. Sie denken, man könne einfach
sagen: Das ist völlig harmlos, ein bagatellhafter Ein-
griff. Das Bundesverfassungsgericht sieht dies anders.
Es hält die DNA-Analyse für einen schwerwiegenden
Eingriff und will eine präzise Einzelfallprognose. Das
werden Sie doch bitte schön zur Kenntnis genommen
haben.
Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt aus Ihren Vorschlä-
gen. Damit Sie sich jetzt richtig aufregen können, zitiere
ich dazu Ingo Müller, der gesagt hat: Das sind alles
Leckerbissen von der Speisekarte reaktionärer Fein-
schmecker.
Wer die innere Sicherheit tatsächlich verbessern will,
der muss den Bürger zum Partner machen und darf ihn
nicht als Sicherheitsrisiko betrachten. Kriminalpräventive
Räte, Sicherheitspartnerschaften das ist der Weg, um
Kriminalitätsangst in produktive Mitarbeit, in sinnvolle
Aktivitäten umzuwandeln.
Auf jugendliche Normabweichung muss vor allem
eine schnelle Reaktion erfolgen, muss die erfolgreiche
Diversionsarbeit fortgesetzt werden, muss der Täter-
Opfer-Ausgleich zum Wirken kommen. Das gilt auch
für den Bereich Graffiti; das sage ich ausdrücklich. Die
Strafbarkeit solcher Taten ins Unermessliche zu erwei-
tern, indem ich von dem Erscheinungsbild der Sache
ausgehe und jede Veränderung gegen den Willen der
Berechtigten unter Strafe stelle, nützt gar nichts. Gerade
in diesem Bereich ist eine Gesamtkonzeption notwen-
dig.
Gerade hier muss man die Jugendlichen insgesamt an-
sprechen und ihnen Möglichkeiten geben, legale Graffiti
zu machen.
Das versäumen Sie. Sie setzen an diesem Punkt wieder
einmal ausschließlich auf Bestrafung, an dem sie erfah-
rungsgemäß überhaupt nichts bringt, wo sie zu kurz greift.
Als Berliner Justizsenator fällt mir natürlich auf, welch
geringen Stellenwert die Wirtschafts- und die Korruptions-
kriminalität in Ihren Leitlinien einnehmen. Das Rechtsbe-
wusstsein der Bürger besonders der in Berlin ist gerade
an dieser Stelle in Mitleidenschaft gezogen worden. Aber
das beachtet die CDU nicht oder sie fühlt sich hier mögli-
cherweise zu sehr befangen.
Abschließend möchte ich sagen: Zu Ihren Vorschlägen
fällt mir nach wie vor nur der Satz von Benjamin Franklin
ein er gilt uneingeschränkt :
Der Mensch, der seine Freiheit aufgibt, um Sicher-
heit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.
Sorgen wir dafür, dass es dazu nicht kommt!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die F.D.P.-Frak-
tion spricht jetzt der Kollege Rainer Funke.
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Kaum eine Frage bewegt den Bürger
mehr als die innere Sicherheit. Wenn ich in meinem Wahl-
kreis, zum Beispiel in meiner Eigenschaft als Bürgerver-
einsvorsitzender, mit älteren Mitbürgern spreche, werde
ich sehr häufig auf dieses Thema angesprochen. Ältere
Menschen haben Angst vor Einbrüchen und Überfällen
auf offener Straße. Wenn man sie fragt, warum sie nicht
mehr zu den abendlichen Veranstaltungen zum Beispiel
der Kirche oder der Gewerkschaften kommen, dann sa-
gen sie sehr häufig:
Ich wage mich abends nicht mehr auf die Straße.
In einem ländlichen Bezirk mag ja alles noch in Ord-
nung sein, aber Hamburg ist nicht umsonst als Hauptstadt
des Verbrechens bezeichnet worden. Ich bedaure sehr,
dass es der Bürgermeister von Hamburg, der bei den
schlichten fiskalischen Fragen noch anwesend war und
gesprochen hat, nicht nötig hat, bei der Frage der Krimi-
nalitätsbekämpfung im Bundestag anwesend zu sein.
Also, das hält sich bei Herrn Runde in Grenzen. Nicht
umsonst musste er seinen Innensenator Wrocklage entlas-
sen. So toll war es offensichtlich nicht, wie er seine Haus-
aufgaben erledigt hatte.
Die Kriminalitätsentwicklung führt zu einer bedrohli-
chen Situation für die gesamte Gesellschaft. Gerade wir
Liberalen setzen uns dafür ein, dass in einem freiheitli-
chen Staat jeder von Furcht vor Verbrechen und Krimi-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Wolfgang Wieland, Senator
17904
nalität frei sein muss. Hier ist der Rechtsstaat und damit
die Demokratie besonders gefordert. Meines Erachtens
hilft uns auch der Ruf nach immer mehr und schärferen
Gesetzen nicht so sehr weiter; wir müssen vielmehr dafür
Sorge tragen, dass die Gesetze konsequent umgesetzt
werden.
Das Sprichwort: Wer schnell gibt, gibt doppelt gilt
analog auch für den Rechtsstaat.
Wer auf frischer Tat ertappt wird, muss schnell verurteilt
werden; das gilt für alle Tätergruppen. Wenn zum Beispiel
in meiner Heimatstadt Hamburg Untersuchungshäftlinge
nach sechs Monaten entlassen werden müssen, weil die
Anklageschrift von der Staatsanwaltschaft nicht rechtzei-
tig gefertigt werden konnte,
ist das in der Tat ein Skandal, der dem Rechtsstaat scha-
det und den Bürger an der Rechtsordnung zweifeln lässt.
Justiz und innere Sicherheit sind Kernaufgaben des
Staates. Polizei und Justiz müssten einen Haushalt vor-
finden, der ihnen die Arbeit ermöglicht. Stattdessen wer-
den Justiz und Polizei bei wachsenden Kriminalitätszah-
len in Sparkonzepte eingeschnürt, die nicht sehr
fantasiereich sind.
Ein solches Vorgehen führt zu Zweifeln am Rechtsstaat
und unterminiert damit unsere Demokratie.
So sind zum Beispiel in meiner Heimatstadt Hamburg
bei der Staatsanwaltschaft in den letzten vier Jahren zehn
Dezernatsstellen und 30 Dienstposten, die nicht dem
höheren Dienst zugerechnet werden, abgebaut worden.
Dies führt zu einer Überlastung der Staatsanwaltschaften
und damit zu verspäteten Anklagen und stärkt somit nicht
die Leistungsfähigkeit der Staatsanwaltschaften.
Dasselbe gilt für den Bereich der Gerichte. Sie werden
gelesen haben, dass sich fast alle Richter in Hamburg an
die Justizsenatorin gewandt haben, um auf ihre besondere
Situation aufmerksam zu machen. Sie haben darauf hin-
gewiesen, dass sie nicht mehr in der Lage sind, ordnungs-
gemäß Urteile zu fertigen, weil die Gerichte durch Stellen-
kürzungen unterbesetzt sind.
Ich räume ein, dass die Justizsenatorin in Hamburg in-
zwischen einige Stellen neu geschaffen hat. Das geschieht
aber nur im Hinblick auf den Wahlkampf.
Offensichtlich will man das Stellenkürzungsprogramm
fortsetzen, denn die mittelfristige Finanzplanung, in die
ich gelegentlich schaue, sieht das vor. An diese mittelfris-
tige Finanzplanung ist natürlich auch die Justizsenatorin
gebunden.
Was also nötig ist, ist, so glaube ich, ziemlich klar:
Erstens. Die Präsenz der Polizei vor Ort muss gestärkt
werden. Die Gerichte müssen personell und organisato-
risch besser ausgestattet werden, um so schneller Recht
sprechen zu können.
Zweitens. Das Augenschließen vor so genannter Klein-
kriminalität und Sachbeschädigungen wie Graffiti-
schmierereien muss ein Ende haben. Mit anderen Wor-
ten: Die Alltagskriminalität muss schnell und effektiv
bekämpft werden.
Drittens. Wir müssen zur Bekämpfung insbesondere
der organisierten Kriminalität die Abschöpfung von Ver-
brechungsgewinnen endlich so verschärfen, dass durch
den Entzug von Finanzmitteln diese Kriminalität im Mark
getroffen wird.
Lassen Sie mich, viertens, auf einen Punkt aufmerksam
machen, der in den Anträgen der CDU/CSU nicht enthal-
ten ist, auf den aber der Herr Justizsenator bereits hinge-
wiesen hat wir sind ja froh, dass wir in Berlin wieder ei-
nen Justizsenator haben; wenn er auch nicht von Ihrer
Partei sein musste : Ich meine die zunehmende Korrup-
tion, insbesondere in unseren Ballungszentren. Hier muss
die Verwaltung intern durch geeignetere Maßnahmen
präventiv tätig werden, zum Beispiel durch Jobrotation.
Zudem müssen die Ermittlungstätigkeiten, beispielsweise
durch ein Controlling, intensiviert und verbessert werden.
Denn die Korruption ist ein schleichendes Gift und unter-
gräbt das Vertrauen des Bürgers in den Staat.
Ich hoffe, die heutige Debatte führt dazu, dass wir
überparteilich der Kriminalitätsbekämpfung eine et-
was größere Bedeutung beimessen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Kol-
legin Petra Pau für die PDS-Fraktion.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Der vorliegende Antrag der
CDU/CSU-Fraktion beginnt mit einer Bitte:
Der Bundestag wolle beschließen: ...
Freiheit und Sicherheit sind elementare Grundbe-
dürfnisse der Menschen.
Ginge es nur um diesen Satz, die Stimmen der PDS-Frak-
tion wären Ihnen komplett sicher. Aber dann folgen
20 Seiten mit sehr konkreten Vorstellungen zur Verbre-
chungsbekämpfung, zu Strafmaßen und Polizeibefugnis-
sen.
Ich habe mich gefragt, ob der Anspruch auf Freiheit
und Sicherheit damit besser befriedigt werden kann, und
muss Ihnen sagen: Nein. Denn nahezu alles, was Sie in
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Rainer Funke
17905
Namen der Sicherheit vorschlagen, läuft auf eine Ein-
schränkung der Freiheit hinaus.
Aus aktuellem Anlass sage ich: Es ist so eine Sache mit
dem Verfassungsschutz; wir haben gestern darüber de-
battiert. Ich habe den Eindruck: Gegen Ihren Antrag zu
sprechen, gegen diesen Antrag zu stimmen, das ist aktiver
Verfassungsschutz.
Ich habe in der vergangenen Woche in einem Kom-
mentar der Süddeutschen Zeitung vom 28. Juni eine
treffliche Beschreibung Ihres Antrages gefunden. Der
Kommentator meinte: Was in der Metzgerei der Presssack
sei, sei in der Politik das Diskussionspapier. Er meinte
das von den Herren Schönbohm und Bosbach vorgestellte
CDU/CSU-Papier, das uns nun als Antrag vorliegt. Im
Presssack lande all das, was beim Kehren des Schlacht-
hauses so zusammenkomme, meinte der Kommentator,
ganz wie beim vorliegenden Antrag. Denn es handle sich
hier ich zitiere um die Wiederaufbereitung der rechts-
politischen Schlachtabfälle der vergangenen 20 Jahre.
All dies wurde schon vielfach gewogen und der Befund
lautete stets: Unbrauchbar, aber kreuzgefährlich.
Sie wollen mit diesem Antrag den ohnehin viel zu
großen Lauschangriff noch erweitern. Sie wollen das
Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten aufwei-
chen.
Sie wollen die Versammlungs- und Demonstrations-
freiheit beschneiden. Ja, Sie wollen sogar die Beweislast
umdrehen, sodass künftig nicht mehr den Bürgerinnen
und Bürgern Schuld nachzuweisen ist, sondern diese ge-
fälligst selbst die Belege für ihre Unschuld abliefern. Das
alles unter die Überschrift Freiheit und Sicherheit zu
stellen ist schon ein starkes Stück und obendrein ich
wiederhole mich grundgesetzwidrig.
Über die zahlreichen von Ihnen vorgeschlagenen Straf-
verschärfungen werden wir sicherlich noch ausführlich
debattieren können. In aller Regel folgen sie dem Grund-
satz: Je mehr, schneller und länger weggesperrt wird,
desto besser. Sie werden ahnen, dass dies nicht unser An-
satz ist.
Ich gehe heute nur auf einen Ihrer Vorschläge noch et-
was genauer ein, der landauf, landab medial debattiert
wird. Sie wollen Straftäter, insbesondere Jugendliche mit
einem ich zitiere aus Ihrem Antrag Fahrverbot als
Zuchtmittel abstrafen, und zwar auch dann, wenn es sich
nicht um ein Verkehrsdelikt handelt. Ich habe gelesen,
dass die Kontrolle dieser Sanktion einigen Aufwand er-
fordern könne. Aber ich habe auch gelesen, dass sich Herr
Bosbach
mit dem schönen Satz zitieren lässt:
Nichts ist uncooler, als wenn man am Wochenende
mit dem Linienbus zur Disco fahren muss.
Ich müsste jetzt eigentlich den anwesenden Justizsena-
tor der Stadt Berlin fragen, ob er den Erlass des Kollegen
Werthebach schon aufgehoben hat, sodass Politikerinnen
und Politiker aller Parteien in dieser Stadt wieder englisch
reden dürfen. Dies zu verbieten war ja eine seiner letzten
Amtshandlungen.
Aber zurück zur Sache: Bei uns gibt es in ganzen Land-
strichen gar keine Linienbusse mehr, die Jugendliche zur
Disco hin- oder von ihr wegbringen.
Außerdem fallen mir eine ganze Menge Dinge ein, die Ju-
gendliche und nicht nur Jugendliche cool finden. Wenn
Sie sie auch noch verbieten wollen und dieses Verbot kon-
trollieren wollen, dann habe ich endlich den Sinn Ihrer
Vorschläge zur Ausweitung des Lauschangriffes verstan-
den, warum Sie also auch noch Wohn- und Schlafräume
optisch und akustisch überwachen wollen.
Ich habe das Gefühl, Ihnen ist überhaupt nicht aufge-
fallen, dass in der umfangreichen Liste krimineller De-
likte, die Sie zurückdrängen wollen, eine Kategorie, die
uns nicht nur im Land Berlin besonders bewegt, einfach
fehlt:
die Wirtschaftskriminalität. Ich wage gar nicht daran zu
denken, was hier ein Fahrverbot als Zuchtmittel bewir-
ken würde
und welche Auswirkungen das auf die Autoindustrie
hätte, einem Industriezweig, der unserem Kanzler ja be-
sonders am Herzen liegt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit wir uns hier
nicht missverstehen: Auch wir nehmen die Kriminalitäts-
entwicklung sehr ernst. Die Bürgerinnen und Bürger ha-
ben nicht nur ein elementares Bedürfnis, sondern auch
Anspruch darauf, dass sie ihr Leben in Freiheit und Si-
cherheit gestalten können. Nur ist der Antrag der
CDU/CSU, der hier heute verhandelt wird, dazu schlicht
ungeeignet. Ich hoffe sehr, dass die anderen Fraktionen
dieses Hauses mit mir zumindest darin übereinstimmen,
dass Freiheit nicht dadurch gemehrt werden kann, dass
Bürgerrechte eingeschränkt werden.
Wir jedenfalls wenden uns gegen die dem Antrag zu-
grunde liegende Sicherheitsphilosophie, dass jeder und
jede grundsätzlich verdächtig sei, Straftaten zu begehen
und entsprechend zu behandeln sei. Liberale wie auch so-
zialistische Politik hat ein anderes Menschenbild und
muss anderen Prämissen folgen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Petra Pau
17906
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Günter Graf.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zumindest eines hat der
Debattenbeitrag der Union deutlich gemacht: Die Union
steckt in einem ganz tiefen Dilemma.
Sie hat massive Personalprobleme
und auch viele andere Probleme. Um diese zu kaschieren
und von ihnen abzulenken, sucht man sich ein Thema.
Wenn Landtagswahlen, wie jetzt in Hamburg und Ber-
lin, anstehen, dann schaut man, welches Thema für den
Wahlkampf gut geeignet ist, und bringt immer wieder es
ist über die Jahrzehnte hinweg stets dieselbe Leier ein
Sammelsurium von Vorschlägen auf den Tisch, die sich
mit der inneren Sicherheit beschäftigen und im Grunde
genommen nichts anderes bewirken sollen, als von den ei-
genen Problemen abzulenken und der Öffentlichkeit in
Deutschland vorzugaukeln, man könne mit Repressionen
die Probleme in unserem Lande in den Griff bekommen.
In Wahrheit ist dies nicht so und das wissen die Kollegin-
nen und Kollegen von der Union ganz genau.
Nun ist es sicherlich nicht unehrenhaft, aus wahltakti-
schen und parteitaktischen Gründen bestimmte Dinge zu
tun oder auch nicht zu tun. Aber ich finde es in höchstem
Maße bedenklich, wenn man gerade Themenbereiche auf-
greift, die geeignet sind, die Ängste der Menschen im
Lande zu schüren und Szenarien aufzubauen, die diese
Ängste noch verstärken. Dazu gehört sicherlich der Be-
reich der Kriminalitätsbekämpfung mit seinen vielen Fa-
cetten. Dies ist ein ganz bedenklicher Vorgang. Er dient
nicht dazu, das Empfinden, dass bei uns innere Sicherheit
herrscht, zu verstärken. Es führt im Gegenteil allenfalls
dazu, für ein verstärktes subjektives Empfinden von Un-
sicherheit in der Bevölkerung zu sorgen. Ich bin dem Kol-
legen Funke dankbar, dass er dies angesprochen hat.
Ich will es ganz deutlich sagen: Die Themen innere Si-
cherheit und Kriminalität sind keine Themen, die sich für
Parteienstreit eignen.
Es geht um die Menschen in unserem Land. Es geht da-
rum, dass die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land das
Gefühl haben, sich frei bewegen zu können, ohne Angst
vor Kriminalität zu haben.
Auch Sie von der Union wissen: Die Ergebnisse
der Umfragen von vor Jahren besagten, dass sich 75 bis
80 Prozent der Bevölkerung subjektiv unsicher fühlten.
Das heißt, dass dieser Anteil der Bürgerinnen und Bürger
das Gefühl hatte, Opfer einer Straftat werden zu können.
Betrachten Sie heute die Ergebnisse der Befragungen, so
sind diese Zahlen deutlich gesunken und das ist gut so.
Das ist das Ergebnis von Politik.
Auch in der vergangenen Wahlperiode sind von der da-
maligen Koalition die gesetzgeberisch notwendigen
Dinge auf den Weg gebracht worden, die diesen Trend si-
cherlich begünstigt haben, wobei ich allerdings auch deut-
lich sagen will, dass wir dies seitens der SPD-Bundes-
tagsfraktion unterstützt haben. Das sollte so fortgeführt
werden; denn nur durch gemeinsames Handeln auf die-
sem Gebiet kommen wir ein Stück weiter und dienen den
Interessen der Menschen.
Hier ist auch die Öffentlichkeit vertreten. Daher will
ich ein Weiteres sagen, weil das oftmals gar nicht so recht
deutlich wird. Wer sind eigentlich diejenigen, die die in-
nere Sicherheit in unserem Land zu gewährleisten haben?
Das sind die Hunderttausende Polizisten, die Tag für Tag,
Nacht für Nacht auf der Straße stehen und dafür sorgen,
dass die Menschen in unserem Land Sicherheit empfin-
den. Darauf haben Kollege Körper und wohl auch Kollege
Bosbach hingewiesen.
Es ist unbestritten, dass man immer mehr machen
kann. Es gibt allerdings viele Ursachen dafür, dass nicht
alles, was wünschenswert ist, auch machbar ist. Es ist aber
eine gute Sache, sich darum zu bemühen, dass noch mehr
getan wird.
Im Übrigen will ich darauf hinweisen: Soweit der Bund
die Zuständigkeit im Bereich der inneren Sicherheit hat
sowohl hinsichtlich der Gesetzgebung als auch hin-
sichtlich des BKA als Serviceunternehmen für die Bun-
desländer oder des Bundesgrenzschutzes , wird das ge-
leistet, was leistbar ist, und zwar erst seit einiger Zeit. Ich
darf noch einmal das Stichwort Kooperation des BGS mit
den Länderpolizeien und gemeinsame Streifengänge auf-
greifen. Das ist sicherlich ein geeignetes Mittel; hierbei
bringt sich der Bund in hervorragender Weise ein.
An unserem Bemühen, Schuldenabbau zu betreiben,
werden wir festhalten. Jedem hier muss klar sein man
sollte auch nach außen nichts anderes verkünden , dass
bereits bei den Kürzungen im Haushalt 2001 der Bereich
Polizei und innere Sicherheit ausgeklammert worden war.
Vielmehr wurden die Mittel für diesen Bereich schon im
letzten Haushalt aufgestockt. Auch in dem jetzt vorlie-
genden Haushaltsentwurf für das Jahr 2002 werden wir
100 Millionen DM zusätzlich bereitstellen. Trotz aller
Sparbemühungen dieser Regierung, die wir für richtig
und notwendig halten, klammern wir die Bereiche aus, bei
denen es um die Sicherheit der Menschen in unserem
Land geht. Auch diesen Kurs werden wir fortsetzen, da-
mit einmal mit dem Vorurteil aufgeräumt wird: Die Sozis
und die Grünen machen alles kaputt.
Was hat denn Rot-Grün in den letzten Jahren alles be-
wirkt und auf den Weg gebracht? Was hat man im Vorfeld
der letzten Wahl nach außen alles verkündet, wo die Rei-
se hingehen werde? Nun muss man feststellen das ist
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001 17907
natürlich besonders für Sie von der Union enttäuschend :
Wir haben alles im Griff, wir sind auf einem guten Wege.
Ich sage Ihnen: Wir werden diesen Weg fortsetzen.
Generell noch ein Wort zu etwas, was mir ein bisschen
Sorge bereitet, weil dies seit Jahrzehnten die Art und
Weise Ihrer Politik ist: Sie reden über innere Sicherheit
und meinen im Grunde genommen immer nur Repres-
sion, Strafverschärfung, neue Gesetze und dergleichen
mehr.
Herr Kollege Geis, Sie wissen genau, was ich meine.
Wir haben uns auch schon einmal privat über diese Dinge
unterhalten.
Nun kann ich mich noch an unsere Zeit in der Opposi-
tion erinnern, weil sie so lange noch nicht zurückliegt.
Herr Geis, Sie selber haben damals eine Strafverschär-
fung im Bereich des einfachen und schweren Landfrie-
densbruchs gefordert, um ein Beispiel zu nennen. Sei-
nerzeit habe ich eine Anfrage an Ihre Regierung gestellt.
Meine Frage war: In wie vielen Fällen wurde das Höchst-
maß von zehn Jahren bei schwerem Landfriedensbruch
und von fünf Jahren bei einfachem Landfriedensbruch
wenn ich das noch richtig im Kopf habe verhängt? Die
Antwort war, dass es im Bereich des einfachen Landfrie-
densbruchs in einem Jahr in der Bundesrepublik Deutsch-
land zu einer oder zwei Verurteilungen gekommen ist, bei
denen das Höchstmaß von fünf Jahren verhängt wurde,
und dass im Bereich des schweren Landfriedensbruchs im
selben Zeitraum in der Bundesrepublik Deutschland nicht
in einem einzigen Fall das Höchstmaß von zehn Jahren
verhängt wurde.
Die Frage ist dann sicherlich berechtigt: Was sollen
Strafverschärfungen bringen, wenn das geltende Recht
nicht zügig angewandt wird? Das ist ein Appell an all die-
jenigen, die damit umzugehen haben, insbesondere auch
an die Länder, die Instrumente, die wir haben es ist
schon mehrfach angeklungen , in entsprechender Weise
anzuwenden. Wenn uns dies gelingt daran müssen wir
alle ein Interesse haben , dann befinden wir uns auf ei-
nem guten Weg. Wenn wir dann feststellen, dass dies al-
les nicht reicht, kann man auch über andere Dinge nach-
denken. Aber wir dürfen nicht den zweiten Schritt vor
dem ersten tun. Das ist mein Appell an Sie.
Ich denke, wir werden dies im Laufe der weiteren Be-
ratungen in den Ausschüssen, in denen wir etwas sachli-
cher miteinander umgehen, vertiefen und vielleicht das
ist meine stille Hoffnung zu besseren Lösungen kom-
men, als sie von Ihnen vorgeschlagen worden sind; denn
die sind völlig untauglich.
Ich danke Ihnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht der In-
nenminister des Landes Brandenburg, Jörg Schönbohm.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau
Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Freiheit und Sicherheit sind elementare Grundbedürf-
nisse des Menschen darin sind wir uns wohl einig. Es
geht also um die Frage, wie wir gleichzeitig Freiheit und
Sicherheit gewährleisten und den Anspruch des Staates
auf das Gewaltmonopol umsetzen können. Daraus resul-
tiert die Verpflichtung, Freiheit und innere Sicherheit zu
gewährleisten.
Um es gleich von vornherein klarzumachen: Wir ha-
ben Sorge vor zu viel Straftätern und nicht vor zu viel Po-
lizei.
Nur der starke, demokratisch kontrollierte Rechtsstaat
kann die Freiheitsrechte aller Bürger garantieren. Hier ist
er gefordert. Um diese Frage geht es. Was ich hier gehört
habe, legt den Verdacht nahe, dass einige die Papiere gar
nicht gelesen haben, sondern sich im Rahmen einer Ro-
sinenpickerei einige Dinge herausgesucht haben.
Ich komme gleich darauf, Herr Graf.
Innere Sicherheit ist unteilbar. Sie gilt für alle, egal ob
arm, ob reich, ob Stadt- oder Landbevölkerung, ob Deut-
sche oder Nichtdeutsche. Das heißt also: Sicherheit ist den
jeweiligen Herausforderungen anzupassen. Stillstand in
diesem Bereich ist Rückschritt.
Innere Sicherheit braucht einen klaren Standpunkt und ein
klares und festes Wertfundament.
Ich möchte nur anmerken: Die Zusammenarbeit zwi-
schen dem Bund und den Ländern ist von Herrn Kanther
eingeleitet und von Herr Schily abgeschlossen worden.
Innere Sicherheit ist nicht das Ergebnis von Beliebigkeit,
Laisser-faire oder Prinzipienlosigkeit, wie manche ange-
nommen haben.
Frau Pau, wenn Sie sagen, für uns sei jeder verdächtig,
dann muss ich feststellen: Das ist falsch. Aber wer eine
Straftat begangen hat, wird von uns verdächtigt; denn wir
wollen jede Straftat aufklären.
Das können Sie nachlesen. Aber Sie müssen alles lesen.
Die Menschen sind der schönen Verheißungen der süf-
figen Werbebotschaften längst überdrüssig. Dabei sind
die Probleme in unserem Land auch auf dem Gebiet der
inneren Sicherheit längst offenbar. Die Aufklärungs-
quote hat sich allerdings verbessert. Die Bundesregie-
rung, SPD und Grüne sagen: Es ist alles gut. Ein anderer
hat gesagt: Und das ist auch gut so!
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Günter Graf
17908
Ich habe nirgendwo gehört, dass jemand von Ihnen gesagt
hat: Wir wollen etwas verändern. Sie haben das nicht ge-
sagt, weil nach Ihrer Ansicht alles gut ist.
Herr Wieland möchte die grünen Männchen oder ganz
genau weiß ich es nicht den grünen Menschen erschaf-
fen. Daher fordere ich Sie auf: Sehen Sie die Wirklichkeit
doch bitte so, wie sie ist.
Ich weiß, Sie wollen stören. Das können Sie ruhig tun.
Ich möchte Ihnen ganz kurz nur ein paar Punkte in
Erinnerung rufen. 15 834 Tatverdächtige waren unter
14 Jahren. Rund 295 000 Tatverdächtige waren zwischen
14 und 18 Jahren. Diese Jugendlichen stellen damit einen
Anteil von 12,9 Prozent aller Tatverdächtigen, obwohl ihr
Anteil an der Bevölkerung nur 4,4 Prozent beträgt. Das ist
doch wohl ein Problem. Oder wollen Sie behaupten, dass
dies kein Problem sei, und deshalb darüber hinweggehen?
Es muss weiter festgestellt werden, dass rund 247 000 Tat-
verdächtige zwischen 18 und 21 Jahre alt sind. Das ist ein
Anteil von 10,8 Prozent aller Tatverdächtigen, obwohl
diese Gruppe nur einen Anteil von 3,4 Prozent an der
Gesamtbevölkerung hat.
Wenn man sich diese Zahlen vor Augen führt, dann
muss man feststellen, dass diese Gruppe dreimal so viele
Tatverdächtige stellt wie jede andere Bevölkerungs-
gruppe. Damit müssen wir uns auseinander setzen. Diese
Zahlen müssen uns wachrütteln. Vor diesem Hintergrund
können Sie doch nicht sagen, es sei alles gut.
700 000 Kinder und Jugendliche werden straffällig, bevor
sie erwachsen werden. Es geht um die Frage, wie das ver-
mieden werden kann.
Darauf komme ich gleich zu sprechen.
Ich hätte es gerne gesehen, wenn jemand auf die Frage
der Erziehung eingegangen wäre. In dem Antrag der
CDU/CSU-Fraktion steht, dass die Vermittlung von Wer-
ten und Normen in den Schulen das erwarten wir wie-
der stärker hervorgehoben wird, dass das Sozialverhalten
der Jugendlichen und die Erziehung zu Gewaltfreiheit
stärker gefördert werden.
Wenn Sie dem zustimmen, dann fordere ich Sie auf, da-
mit dort zu beginnen, wo Sie die politische Verantwortung
haben.
Wir haben außerdem etwas zum Thema Prävention
gesagt. Auch damit haben Sie sich nicht auseinander ge-
setzt. Es ist vollkommen klar: Erziehung allein reicht
nicht, gute Worte schon gar nicht. Wir brauchen leider
auch Korrekturen durch den Gesetzgeber. Hierfür werden
Vorschläge gemacht.
Wer den Jugendlichen rechtzeitig den Ernst der Lage
unmissverständlich deutlich macht, indem er bei der
Strafaussetzung zur Bewährung gleichzeitig Jugendarrest
anordnet, der erspart manchem Jugendlichen ein späteres
Wiedersehen vor Gericht. Darüber gibt es Untersuchun-
gen. Die Jugendlichen müssen begreifen, wo der Spaß en-
det und wo der Ernst beginnt.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf das
Drogenproblem hinweisen wahrscheinlich werden Sie
noch fröhlicher werden : Ich meine, das, was im Bereich
der Drogenkriminalität geschehen ist, ist besorgniserre-
gend. Im letzten Jahr gab es 2 030 Drogentote. Das ist eine
Zahl, die uns nicht gleichgültig lassen kann.
Darum ist es entscheidend, glaube ich, dass Sie mit der
Diskussion über die Freigabe von Drogen Schluss ma-
chen. Die Einschränkung der Verfügbarkeit von Drogen
ist die beste Prävention. Die Duldung einer offenen
Drogenszene ist dem Bürger nicht zumutbar.
Davon gehen Unsicherheit und Gefährdung gerade auch
für unsere Jugend aus.
In diesen Zusammenhang gehört auch die entschie-
dene Bekämpfung der Alltagskriminalität, die von
manchen Ideologen als Bagatellkriminalität verniedlicht
wird. Ich sage ganz klar: Es gibt keine Bagatellstraftaten
oder Bagatelldelikte. Darüber müssen wir uns einig wer-
den.
Das Rechtsbewusstsein unserer Bürger muss doch Scha-
den nehmen, wenn sie feststellen, dass Vandalismus und
Schmierereien keine Folgen haben.
Dafür können Sie, Herr Wieland, und jeder Bürger in Ber-
lin doch sehr gute Beispiele sehen. Darüber müssen wir
gar nicht diskutieren. Wir verunsichern die Bürger nicht.
Die Bürger selber sind doch intelligent genug, die Wirk-
lichkeit, in der sie leben, zu begreifen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Jörg Schönbohm, Minister
17909
Wenn die Bürger sagen, dass sie sich abends nicht mehr
auf die Straße trauten, dann können Sie doch nicht sagen,
dass sie blöd seien. Das ist nun einmal so. Wenn die Bür-
ger fragen, warum ihre Stadt so verhunzt und verschmiert
sei, dann müssen Sie sich damit auseinander setzen. Er-
klären Sie doch einmal einem Bürger, warum Graffiti-
schmierereien keine Sachbeschädigungen sind.
Ich kann es nicht erklären; denn ich bin kein Jurist. Hier
hätte schon längst etwas geändert werden müssen. Sie
wissen doch, dass der rot-grüne Senat in Berlin entspre-
chende gesetzliche Änderungen zurückgezogen hat.
Ich finde es ja gut, dass hier wenigstens ein Intelligen-
ter anwesend ist, Herr Abgeordneter. Es ist gut. Aber ich
wusste gar nicht, dass Sie so lebhaft werden können. Das
ist übrigens ein gutes Zeichen. Immer dann, wenn jemand
lebhaft wird, ist er getroffen.
Wenn Sie der Auffassung sind, dass hier in Berlin oder
auch in Hamburg hinsichtlich Graffiti alles in Ordnung
ist, dann sagen Sie es doch!
Vergehen ist Vergehen. Verbrechen ist Verbrechen. Da-
rüber brauchen wir uns gar nicht auseinander zu setzen.
Innere Sicherheit hat auch viel mit dem Sicherheits-
gefühl zu tun. Ständig geht es um das Thema Präsenz der
Polizei und um das Thema Videoüberwachung.
Gehen Sie einmal über einige Plätze in Berlin und gucken
Sie sich das an! Wenn Sie mir dann sagen, dass dort die
Videoüberwachung keinen Erfolg hat, dann können wir
darüber diskutieren.
Diskutieren Sie das doch einmal am ganz konkreten Bei-
spiel!
Ja, am Breitscheidplatz. Fragen Sie einmal Herrn
Wieland! Das ist doch Ihr Koalitionspartner. Die haben es
doch verhindert.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister
Schönbohm, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Wiefelspütz?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine
Zeit ist fast um, aber gern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Zeit läuft dann
nicht weiter; ich halte sie an.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sind Sie
hier Zeitnehmer oder Schiedsrichter?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Noch wache ich hier
oben über die Zeit, Herr Kollege Hartenbach.
Verehrter Herr Minister,
können Sie der geneigten Öffentlichkeit und dem interes-
sierten Parlament vielleicht einmal erläutern, wer in Ber-
lin im Bereich der inneren Sicherheit in den letzten Jah-
ren bis vor vier Wochen etwa als Innensenator die
Verantwortung hatte? Ich wäre sehr interessiert, das von
Ihnen zu hören. Wir nehmen solche Belehrungen immer
sehr gern entgegen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Darüber
freue ich mich. Habe ich noch Redezeit?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir haben die Spiel-
regel ich glaube, sie gilt auch im Landtag , dass die Re-
dezeit in diesem Fall angehalten wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ihre Kol-
legen aus Berlin, wenn welche hier anwesend sind, wer-
den Ihnen sagen können, dass alle Ansätze der Union, in
diesem Bereich vorwärts zu kommen, an der SPD im
Land Berlin gescheitert sind.
Ganz eindeutig! Alle Gesetzentwürfe sind daran ge-
scheitert.
Der frühere Regierende Bürgermeister wollte die Große
Koalition an diesem Thema nicht auseinander brechen
lassen nicht ahnend, dass Sie in Berlin gemeinsam mit
der PDS ins Bett gehen würden; das war da noch gar nicht
zu erkennen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Jörg Schönbohm, Minister
17910
Wir hatten die Verantwortung. Ich habe die Anträge ge-
stellt. Sie sind abgeschmettert worden. Nun können Sie es
gemeinsam auch so weitermachen. Vielen Dank für die
Frage.
Zum Thema der organisierten Kriminalität ist einiges
gesagt worden, auch, was vermisst wurde. Wirtschafts-
kriminalität das ist, glaube ich, einigen von Ihnen klar
ist ein Teil der organisierten Kriminalität. Einige Antwor-
ten, die ich gehört habe, waren ich möchte es so sagen
scheuklappenbewehrt. Es wäre gut, wenn wir einmal fest-
stellten, wie die Herausforderungen sind und wie wir sie
gemeinsam angehen wollen. Da können wir, glaube ich,
einiges bewegen.
Polizei und Justiz haben diese Herausforderungen ins-
gesamt angenommen. Jetzt geht es darum, wie wir das
gesetzliche Instrumentarium verbessern, damit diese He-
rausforderungen besser angenommen werden können.
Der Gesetzgeber das ist unsere Position ist in diesem
Bereich gefordert. Die Hydra der organisierten Krimina-
lität hat viele Köpfe und sie spricht auch viele Sprachen.
Meine Damen und Herren, auch wenn ich nur einige
Aspekte des Gesamtkomplexes ansprechen kann, so
möchte ich auf einen Aspekt unbedingt eingehen, und
zwar auf den Opferschutz. Angesichts von mehr als
6 Millionen registrierten Straftaten, ihrer Verfolgung und
Ahndung meine ich, dass der Opferschutz mehr in den
Vordergrund unserer Überlegungen gerückt werden muss.
Wir haben uns zu lange zu wenig mit den Folgen für die
Opfer bis hin zur Traumatisierung befasst. Was soll ich
einer älteren Frau sagen, die auf dem Rückweg von der
Bank überfallen wurde, der die Tasche geraubt wurde und
die nun sagt, sie traue sich nicht mehr auf die Straße, weil
sie Angst habe? Diesen Aufgaben müssen wir uns stel-
len; besonders die Unsicherheit der älteren Mitbürger
muss mit berücksichtigt werden.
Darum ist das Thema Täter-Opfer-Ausgleich in unse-
rem Vorschlag enthalten. Vergessen wir nicht: Es sind
nicht nur die Opfer von Gewaltverbrechen; es sind zum
Teil auch die Opfer von Alterskriminalität, die dadurch
verunsichert sind.
Der Antrag der CDU/CSU bietet, wie man gesehen hat,
eine gute Grundlage für die Diskussion, aber auch, meine
ich, für Entscheidungen, um die Herausforderungen für
die innere Sicherheit anzunehmen. Lassen Sie Taten fol-
gen! Es ist Zeit. Es muss sich etwas verbessern.
Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner ist
der Kollege Volker Beck für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man
Kriminalität bekämpfen will und wenn man den Bürgern
die Kriminalitätsängste nehmen will oder darauf jeden-
falls angemessen reagieren will, ist es entscheidend,
zunächst einmal die Tatsachen richtig festzustellen. Inso-
fern ist Ihre dramatisierende Tonlage unangemessen;
denn die Kriminalität ist im letzten Jahr zurückgegangen;
die Aufklärungsquote ist gestiegen. Also: Wir sind da
auf einem richtigen Weg, den wir aber natürlich energisch
fortsetzen müssen.
Selbstverständlich ist die Kriminalitätsbekämpfung
eine vordringliche Aufgabe der Politik. Rot-grüne Krimi-
nalpolitik setzt nicht allein auf Repression, wie das in
Ihrem Antrag formuliert wird, sondern auf eine Trias von
Prävention, Repression und Resozialisierung der Täter.
Wir wollen die Ursachen der Kriminalität bekämpfen und
auf Kriminalität deutlich und angemessen reagieren.
Sie haben gefragt, was wir ändern wollen: Wir sind da-
bei, eine ganze Menge auf den Weg zu bringen. All das ge-
fällt Ihnen nicht und Ihre Kollegen im Rechtsausschuss
stöhnen schon, weil sie bei diesem Reformtempo gar nicht
hinterherkommen. Die Koalition hat gesagt: Ein Schwer-
punkt muss auf der Prävention liegen. Wir haben deshalb
das Forum für Kriminalprävention gegründet, um eine
wissenschaftlich fundierte Begleitung durchzuführen und
diesen Teil der Kriminalpolitik, der 16 Jahre lang brach-
lag, zu intensivieren.
Wir haben auch dafür gesorgt, dass Gewalt in der Fa-
milie nicht mehr als Erziehungsmittel legitimiert ist. Das
ist für die Prävention ganz entscheidend, weil das wis-
sen wir Straftäter als Kinder und Jugendliche in ihrer Fa-
milie häufig Gewalt erlebt haben. Überproportional viele,
die als Kinder und Jugendliche derartige Erfahrungen ge-
macht haben, werden später Gewalttäter.
Mit dem so genannten Gewaltschutzgesetz, das wir auf
den Weg gebracht haben, haben wir dafür gesorgt, dass
Opfer von Gewalt in der Familie und in der näheren Um-
gebung künftig besser geschützt werden und dass der Po-
lizei als Partner der Bürgerinnen und Bürger, die bedroht
werden, neue, konkrete Aufgaben zugewiesen werden.
Aufgrund dieses Gesetzes können sich die Bürgerinnen
und Bürger gegen Gewalttaten, gegen sexuelle Belästi-
gung und gegen Bedrohungen wehren. Das wird die All-
tagserfahrung der Menschen ganz entscheidend beein-
flussen, weil sie sehen, dass ihre Umwelt sicherer wird
und dass sie die Polizei rufen können, wenn sie sich ernst-
haft bedroht fühlen.
Wir sind dabei, durch eine Reform des Sanktionen-
rechts dafür zu sorgen, dass das Gericht auf die Täter-
persönlichkeit und auf den sozialen Hintergrund besser
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Jörg Schönbohm, Minister
17911
eingehen kann. In Deutschland sind die Gefängnisse über-
belegt. Die Qualität des Strafvollzugs, der auch Behand-
lungsvollzug sein soll, leidet darunter. Wir haben deshalb
mit der Sanktionenreform ein Programm vorgelegt, das
Abhilfe schafft, und wir werden eine entsprechende Vor-
lage im Bundestag verabschieden.
Meine Damen und Herren von der Union, das
JUMP-Programm, das der Bundesminister für Arbeit auf
den Weg gebracht hat, hat mehr zur Bekämpfung von Kin-
der- und Jugendkriminalität beigetragen als jeder einzelne
Ihrer Vorschläge, die Sie hier machen.
Wir beraten heute eine eindimensionale Strategie der
Union, gegen Kriminalität vorzugehen: Repression, mög-
lichst frühes Wegsperren, Strafrecht als Prima Ratio und
Eingriffe in die Bürgerrechte. Man erkennt die Hand-
schrift von Herrn Schönbohm, der der CDU/CSU-Frak-
tion mangels eigenem Sachverstand offensichtlich die Fe-
der geführt hat. Man spürt aber auch, dass Herr Kanther,
der sich als Law-and-Order-Politiker verdient gemacht
hat seine eigene Biografie spricht allerdings ein biss-
chen gegen seine Glaubwürdigkeit , und Herr Schill, der
offensichtlich ein geistiger Bruder der Union ist, die geis-
tigen Väter dieser Strategie sind.
Sie haben in Ihren Papieren eine Art Window-Dres-
sing versucht. Sie können mittlerweile das Wort
Prävention buchstabieren. Das ist zwar schön; aber an-
sonsten liest man dieselben alten Forderungen. Wir wer-
den Ihren Gesetzentwurf zur Verbesserung der Bekämp-
fung der Jugendkriminalität ablehnen; denn wir sind der
Auffassung, dass das Jugendstrafrecht ein angemessenes
erzieherisches Einwirken auf problematische Jugendliche
ermöglicht. Daran wollen wir festhalten. Die Anhörung
im Rechtsausschuss hat uns darin bestätigt.
Die Grundthese Ihres Antrags eine Besorgnis erre-
gende Kriminalitätsentwicklung in diesem Bereich lässt
sich zumindest nicht anhand der Zahlen dokumentieren;
sie ist schlichtweg falsch. Im Vergleich zu 1998 ist im
Jahre 1999 der Anteil der registrierten tatverdächtigen Ju-
gendlichen erneut zurückgegangen. Aber Sie von der
Union können Fakten offensichtlich sowieso nicht beein-
drucken.
Auch alles das, was Sie im Hinblick auf Drogenkrimi-
nalität und Drogenpolitik vorschlagen, ist Mumpitz. Es ist
problematisch, dass der Bundestag in einem Antrag auf-
gefordert werden soll, eine Diskussion zu beenden. In ei-
ner Demokratie ist es eigentlich unüblich, dass Parlamen-
tarier sagen, bestimmte Diskussionen dürfe man nicht
führen.
Was die Drogenpolitik angeht, ist es an der Zeit, dass
wir zwischen Drogen, die zu Abhängigkeit führen, und
Drogen, für die das nicht gilt, differenzieren. Unsere Auf-
forderungen zur Prävention sind nicht glaubwürdig, wenn
wir weiche Drogen wie Cannabis mit Heroin, Crack und
anderen gefährlichen Drogen gleichstellen. Richtige Bot-
schaften von jemandem, der so offensichtlich un-
glaubwürdige Botschaften aussendet, werden dann nicht
mehr gehört. Das ist ein entscheidendes Problem bei der
Drogenpolitik. Wir müssen weiter darüber diskutieren,
wie wir zu einem angemesseneren Umgang kommen kön-
nen. Wir müssen die Diskussion über die Freigabe von
Cannabis mit dem Ziel führen, zu einem Ergebnis zu kom-
men. Da liegt aber noch ein weiter Weg vor uns, weil wir
in diesem Parlament noch nicht so weit sind, die entspre-
chenden Schritte gehen zu können.
Noch ein Punkt zum Schluss: Sie nehmen sich der
Computerkriminalität an. In der Tat werden die neuen
technischen Möglichkeiten eine der neuen Herausforde-
rungen in der Sicherheitspolitik sein. Man muss da ent-
sprechend kriminalpolitisch reagieren. Ihr Vorschlag,
dass die Polizei ohne richterliche Anordnung nur auf-
grund eines Tatvorwurfs zu jedem gehen kann und die Da-
ten und Netzstruktur herunterladen darf, ist wirklich haar-
sträubend. Das hat zu Recht den breiten Protest der
Datenschützer hergerufen. Das ist ja mittlerweile ohnehin
zum Regelfall geworden, wenn die Union in Wahlkampf-
zeiten ihr kriminalpolitisches Horrorkabinett ausbreitet.
Solche Vorschläge haben bei dieser Koalition, die auf
Prävention und angemessenes Reagieren auf Kriminalität
setzt, keine Chance.
Ich erteile
das Wort dem Kollegen Jörg van Essen für die F.D.P.-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Wer die Debatte bisher verfolgt
hat, wird erlebt haben, dass es im Plenum insbesondere
bei den Zuhörern ganz erhebliche Emotionen gegeben hat
und der eine oder andere erfolgte Zuruf nicht unbedingt
sachlich war.
Von daher hat mich der sachliche Ton, den der Kollege
Graf angeschlagen hat, ganz außerordentlich gefreut. Ich
glaube nämlich, dass alle Menschen erwarten, dass wir
uns hier nicht wie die Kesselflicker streiten, sondern ver-
nünftige Argumente darüber austauschen, wie man die in-
nere Sicherheit in diesem Lande verbessern kann.
Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie darauf hingewiesen ha-
ben, dass wir uns über diese Fragen nicht immer nur ge-
stritten haben, sondern sie in den vergangenen Jahren ent-
gegen dem, was von den Grünen behauptet wurde, in
Zusammenarbeit aller Fraktionen dieses Hauses angegan-
gen sind und Dinge auf den Weg gebracht haben, durch
die die innere Sicherheit in diesem Land vorangebracht
wurde.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Volker Beck
17912
Ich denke, dass wir dazu verpflichtet sind die F.D.P.
steht zu dieser Verpflichtung , bei diesem Wettstreit um
die besten Ideen zu einer Verbesserung der inneren Si-
cherheit beizutragen. Deshalb ganz herzlichen Dank für
Ihren Beitrag. Ich denke, von diesem Klima muss die De-
batte bestimmt werden.
Sie werden deshalb jetzt von mir nicht hören, was ich
an den anderen Beiträgen schlecht finde. Das haben Sie
gerade bei Volker Beck erlebt, der alle anderen angegrif-
fen,
aber nicht gesagt hat, warum beispielsweise die Grünen
zu Fragen der Betäubungsmittelkriminalität bisher keine
Vorschläge gemacht haben. Er hat gesagt: Wir werden sie
vorlegen. Ich hätte gerne einmal gehört, was denn da
vorgelegt wird und wie die Überlegungen aussehen.
Der Schwerpunkt der F.D.P. liegt ganz eindeutig beim
Opferschutz. Zwei Redner, leider nur zwei, haben diesen
Aspekt angesprochen. Ich glaube aber, dass das der wich-
tigste Punkt ist. Alle Verbesserungen im Bereich der in-
neren Sicherheit müssen wir aus der Sicht des Opfers vor-
nehmen.
Ich bin froh, dass sich bei der Sichtweise, die insbeson-
dere in den 70er-Jahren ausschließlich täterbezogenen ge-
prägt war, indem bei Diskussionen um die innere Sicher-
heit immer vom Vorleben des Täters gesprochen wurde
dass das wichtig ist, wissen wir natürlich alle und das
Opfer schlicht vergessen wurde, etwas geändert hat.
Ich denke, dass diese neue Sicht auch ein wichtiger Fak-
tor bei jeder Debatte zur inneren Sicherheit sein muss. Wir
haben einige wichtige Dinge erreicht, beispielsweise die
Einführung eines Opferanwaltes, wir müssen aber auch
darüber diskutieren, ob wir das weiter ausbauen.
Das Thema Jugendkriminalität steht heute auch auf
der Tagesordnung. Ich will für die F.D.P. sagen, dass wir
dafür offen sind, die Tätigkeit des Opferanwaltes ebenso
wie die Ermöglichung einer Nebenklage auf den Bereich
des Jugendstrafrechts auszudehnen.
Denn ich finde, dass auch im Prozess gegen Jugendliche
die Aspekte des Opferschutzes, die Interessen des Opfers
beachtet werden müssen. Für uns ist ganz wichtig, dass
die zivilrechtlichen Ansprüche des Opfers, beispielsweise
der Schadensersatz, gleich im Strafprozess mit entschie-
den werden,
damit das Opfer dann auch seine Ansprüche schnell gel-
tend machen kann, weil auch das etwas ist, bei dem der
Täter merkt, dass seine Tat Konsequenzen gehabt hat,
dass das Opfer leidet, dass es Schäden davongetragen hat
und dass der Täter dafür einstehen muss. Ich glaube, dass
das eine ganz wichtige Botschaft ist.
Wenn wir schon über Opferschutz reden, müssen wir
auch über einen Aspekt sprechen, der uns bislang nicht be-
schäftigt hat, nämlich die Nachwirkungen von Taten. Ge-
rade in diesen Tagen erleben wir ja, dass wahrscheinlich
wieder zwei Mädchen ermordet worden sind. Wer erlebt,
welche Auswirkungen das auf die Familien hat, der weiß,
dass Familien danach sehr häufig Betreuung brauchen. Bis-
her haben wir keinerlei Regelungen im Opferentschädi-
gungsgesetz, dass das auch finanziert wird. Deshalb schlägt
die F.D.P. vor, dass wir hier zu einer Verbesserung kom-
men, damit Familien, die unter den Folgen einer Tat leiden,
in Zukunft auch von staatlicher Seite unterstützt werden.
Das alles macht deutlich, dass das, was hier angespro-
chen worden ist das eine ist gut, das andere ist
schlecht , nicht richtig ist. Es ist im Interesse unserer
Menschen noch etwas zu tun. Wir sollten nicht dem einen
oder anderen Argument schon von vornherein abspre-
chen, dass es gut ist. Wer gute Gegenargumente hat, soll
sie vortragen, aber in einem vernünftigen Ton. Ich glaube,
dass das die Bürger zu Recht von uns erwarten. Wir als
F.D.P. werden uns so in die Diskussion einbringen.
Vielen Dank.
Für das
Bundesjustizministerium gebe ich nunmehr Herrn Profes-
sor Dr. Eckhart Pick das Wort.
D
Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Ich bin Herrn van Essen ausgesprochen dankbar,
dass er das Thema Opferschutz heute erwähnt hat. Die-
ses Thema hat einen Stellenwert, der gelegentlich nicht
richtig eingeschätzt wird.
Ich bin dem Hause auch dankbar, dass es vor kurzem
eine Verbesserung des Opferschutzes insoweit beschlos-
sen hat, dass der Opferschutzgedanke in allen Stadien ei-
nes Verfahrens berücksichtigt werden muss. Ich denke,
dass dies ein ganz wichtiger Schritt gewesen ist.
Meine Damen und Herren, wir beschäftigen uns heute
mit Anträgen der CDU/CSU-Fraktion und des Bundesra-
tes. Ich will ausdrücklich sagen, dass jeder, der die Kri-
minalität wirksam bekämpfen will, die Bundesregierung
an seiner Seite hat. Trotzdem muss es erlaubt sein, zu den
einzelnen Vorschlägen Stellung zu nehmen. Es ist sicher-
lich kein Geheimnis, dass wir nicht allen Vorschlägen zu-
stimmen können, die heute auf dem Tisch liegen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Jörg van Essen
17913
Ich will kurz das Thema Delinquenz junger Men-
schen ansprechen und auf die Anhörung des Rechtsaus-
schusses im Mai dieses Jahres verweisen. Dort ist bereits
sehr kritisch über diesen Entwurf debattiert worden. Die
Vorschläge sind zu einem großen Teil ungeeignet, manche
sogar schädlich und einige auch überflüssig. Der vorlie-
gende Gesetzentwurf ist eine Zusammenfassung von An-
trägen, die Bayern im Bundesrat durchzubringen versucht
hat und die, wie wir alle wissen, bereits im Jahre 1999 dort
keine Mehrheit gefunden haben. Insofern kann man sa-
gen: Es sind olle Kamellen, die in der Sache keine Lö-
sungen darstellen.
Nun zum Bundesratsentwurf, zur Regelung der Zu-
ständigkeit für die Anordnung der DNA-Untersu-
chung: Man muss sich darüber im Klaren sein, dass die
Anordnung einer solchen Untersuchung, also einer Un-
tersuchung von Spurenmaterial eines Menschen, einen
tiefen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht eines Men-
schen darstellt. Wir sind deshalb der Meinung, dass eine
solche Anordnung nur auf einer richterlichen Grundlage
ergehen kann. Deswegen werden wir die Anordnungs-
kompetenz für die Staatsanwaltschaft und ihre Hilfs-
beamten, die vom Bundesrat vorgeschlagen wird, nicht
unterstützen können.
Wir wissen, dass diese Auffassung bei einzelnen Ge-
richten offenbar zweifelhaft ist. Deswegen werden wir in
Kürze einen Regierungsentwurf vorlegen, der dies aus-
drücklich klarstellt. Der Entwurf wird in einer der nächs-
ten Kabinettssitzungen verabschiedet werden.
Ich komme nun zu einigen Vorschlägen der
CDU/CSU-Fraktion; hinter manchen stehen durchaus
richtige Ideen.
Ich möchte etwas zur Frage der Sanktion Fahrverbot
sagen. Auch wir haben zunächst daran gedacht, das Fahr-
verbot völlig vom Bezug auf ein Verkehrsvergehen zu lö-
sen und auf alle Straftaten anzuwenden, also auch auf sol-
che Straftaten, die keinerlei Zusammenhang mit dem
Straßenverkehr haben. Letztendlich sind wir aber doch
nicht für diese Lösung. Die Begründung liegt zum einen
darin, dass viele Menschen ein allgemeines Fahrverbot
eher als eine Art Denkzettelstrafe empfinden würden. Das
zweite Argument ist, dass ein solches Fahrverbot von
Behörden und Polizei kaum wirksam überwacht werden
könnte. Man muss sich nur einmal selbst fragen, wann
man eigentlich zuletzt in eine Fahrzeugkontrolle gekom-
men ist. Bei mir ist das ungefähr drei, vier Jahre her.
Aber selbst im weinfrohen Rheinhessen oder im Rhein-
gau kommt das nur alle Jubeljahre vor.
Eine Sanktion, die nicht glaubwürdig überprüft und
durchgesetzt werden kann, steht letztlich nur auf dem Pa-
pier und ist damit wertlos.
Wir planen allerdings einen anderen Einsatz des Fahr-
verbotes. Wir wollen das Fahrverbot in unserem Gesetz-
entwurf zum Sanktionensystem aufwerten, indem wir es
zu einer Hauptstrafe machen. Es soll dann nicht mehr wie
bisher nur neben, sondern auch anstelle einer Geldstrafe
verhängt werden können.
Wir wollen zum Zweiten die Höchststrafe von drei
Monaten auf sechs Monate erweitern. Damit das Fahrver-
bot in der Praxis häufiger verhängt wird, wollen wir eine
Regelvorschrift schaffen: Wird ein Kraftfahrzeug als Tat-
mittel eingesetzt, dann soll in der Regel ein Fahrverbot
verhängt werden. Ich denke, das ist ein besserer Schutz
der Menschen vor Kriminalität.
Ich will noch eine Bemerkung zu den Forderungen hin-
sichtlich der Bekämpfung von Sexualdelikten machen.
Es wird gefordert, den Grundtatbestand des sexuellen
Missbrauchs von Kindern als Verbrechen einzustufen.
Das Bundesministerium der Justiz prüft in der Tat, ob es
sich empfiehlt, die Strafdrohung der §§ 176 und 179 StGB
das betrifft neben dem sexuellen Missbrauch von Kin-
dern auch den sexuellen Missbrauch widerstandsunfähi-
ger Personen an die Strafdrohung des § 177 StGB, se-
xuelle Nötigung oder Vergewaltigung, anzupassen. Das
würde bedeuten, dass man auch die Grundtatbestände der
§§ 176 und 179 als Verbrechen einstuft.
Hier sind wir durchaus einer Meinung, dass man darü-
ber nachdenken muss. Denn wir müssen die Frage der se-
xuellen Selbstbestimmung von Kindern und Widerstands-
unfähigen sehr, sehr ernst nehmen.
Eine abschließende Bemerkung betrifft die Präven-
tion; sie ist bereits häufig angesprochen worden. In der
Tat: Es ist wichtiger, Straftaten zu verhindern, als sie spä-
ter zu sanktionieren, und sei es auch durch eine noch so
konsequente Strafverfolgung. Wir müssen nachdrückli-
cher als bisher auf die Ursachen der Kriminalität einge-
hen. Hier sind alle aufgerufen: Familie, Kindergarten,
Schule, Kirchen, Medienverbände und natürlich auch
Bund, Länder und Kommunen. Herr Kollege Körper hat
schon darauf hingewiesen: Die Bundesregierung sieht in
der Errichtung der Stiftung Deutsches Forum für Krimi-
nalprävention einen Schritt, um die vielfältigen Initiati-
ven auf kommunaler und Länderebene miteinander zu
verknüpfen und einen entsprechenden Erfahrungsaus-
tausch zu ermöglichen.
Hiermit wird übrigens eine Zusage aus der Koalitionsver-
einbarung eingelöst.
Der Kriminalitätsentwicklung kann man also nicht mit
einer einzigen Maßnahme, nämlich mit höheren Strafen,
begegnen, sondern nur mit einem Bündel von Maßnah-
men. Dazu gehört in besonderer Weise die Prävention.
Vielen Dank.
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht nunmehr der Kollege Norbert
Geis.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Es hat keinen Sinn, auf
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Parl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick
17914
die Rede des Herrn Wieland einzugehen. Das war unters-
te Schublade. Es war widerlicher, kaltschnäuziger Zynis-
mus, was wir hier erlebt haben.
Das darf und sollte sich in einem solchen Hause nicht er-
eignen.
Wir sind dazu aufgefordert, in Vernunft miteinander zu
sprechen und einander nicht zynisch gegenüberzustehen.
Das war reiner und billiger Zynismus; das sollte einmal
deutlich gesagt werden.
Wir haben in unserem Antrag den Vorschlag gemacht,
die Kronzeugenregelung wieder einzuführen. Ich habe
weder vonseiten der Regierung noch vonseiten der Re-
gierungsparteien ein Wort dazu gehört. Ich halte es für
dringend erforderlich, dass wir dieses Thema wieder auf-
greifen. Wir wissen, dass die Kronzeugenregelung im
Ausland, insbesondere in Italien, bei der Kriminali-
tätsbekämpfung beste Wirkung erzielt hat. Wir haben sie
in unseren Antrag aufgenommen und die Forderung da-
nach wiederholt gestellt.
Ich bitte Sie sehr herzlich, sich mit dieser Frage ausei-
nander zu setzen. Ich weiß, dass es bei der SPD genügend
Kolleginnen und Kollegen gibt, die der gleichen Meinung
sind. Dass dies am Widerstand der Grünen scheitert, weiß
auch ich. Der Innenminister befürwortet diese Regelung.
Ich bin sicher, dass die Justizministerin nicht viel dagegen
einzuwenden hätte. Sie sollten in Ihren eigenen Reihen,
zwischen den Regierungsparteien, endlich eine Diskus-
sion darüber führen; denn wir brauchen die Kronzeugen-
regelung wieder.
Auch das Problem der nachträglichen Sicherungs-
verwahrung ist hier nicht weiter erörtert worden. Es gibt
Sexualstraftäter, bei deren Verurteilung nicht erkennbar
ist, ob bei ihm die Therapie anschlägt oder nicht, ob es
also angezeigt ist, nach Ablauf seiner Strafe Sicherungs-
verwahrung anzuordnen. Bislang kann dies nur im Zu-
sammenhang mit dem Urteil beschlossen werden. Der er-
kennende Richter muss die Sicherungsverwahrung
aussprechen. Es ist aber ohne weiteres denkbar, dass sich
im Laufe des Strafvollzugs gerade im Zusammenhang mit
den Therapiemaßnahmen, die nicht greifen, herausstellt,
dass es sich hier um einen Wiederholungstäter handeln
kann, der erneut straffällig werden kann, und dass die Si-
tuation die gleiche sein kann wie bei dem, der gleichzei-
tig mit dem Urteil zur Sicherungsverwahrung verurteilt
worden ist.
Deswegen schlagen wir die nachträgliche Sicherungs-
verwahrung vor. Auch hier bitte ich darum, dieses Thema
aufzugreifen. Wir halten dies für dringend notwendig.
Leider hat dieser Vorschlag in dieser Debatte bislang
keine Antwort gefunden.
Zur Videoüberwachung. Hier ist ja mit Orwell argu-
mentiert worden. Das sind abgegriffene, dümmliche Ar-
gumente; die brauchen wir doch hier nicht vorzubringen.
Keiner von uns will den orwellschen Staat haben. Aber
wir wissen doch aus anderen Ländern, zum Beispiel aus
den USA, aus Frankreich und aus England, und sogar von
dem präventiven Einsatz unserer Polizei, dass Videoüber-
wachungen in Wohnungen von allergrößter Bedeutung
sein können. Deswegen muss dies nach unserer Auffas-
sung nach wie vor diskutiert werden; wir können darauf
nicht verzichten.
Wir verabschieden heute das Gesetz zur Jugenddelin-
quenz. Herr Graf, das ist im Übrigen ein Gesetzentwurf,
der im April 2000 eingebracht worden ist. Dass dieser Ge-
setzentwurf endlich einmal zur Verabschiedung kommt,
ist richtig. Die Gelegenheit heute bietet sich dafür an.
Ich glaube, dass bei der Jugenddelinquenz zunächst
einmal darauf zu achten ist, dass wir insbesondere bei der
Jugendgewaltkriminalität nach wie vor eine dramati-
sche Situation haben. Wir kennen die Zahlen. Wir wissen
auch, dass 95 Prozent dieser gesamten Gewaltkriminalität
von Jugendlichen ausgeführt wird, die eher gesellschaft-
lich randständig sind. Jugendliche, die solche Gewalttaten
verüben, kommen aus Randgruppen. Dazu gehören natür-
lich deutsche Jugendliche. Wir wissen aber auch, dass
viele ausländische Jugendliche dazu zählen. Dies kön-
nen wir den Verurteilungsstatistiken und der polizeilichen
Kriminalstatistik entnehmen.
Auch das muss uns durch den Kopf gehen: Wir wissen,
dass viele ausländische Jugendliche keinen Arbeitsplatz
finden. Überhaupt haben es die Ausländer bei uns schwer,
einen Arbeitsplatz zu finden.
Wir haben eine hohe Arbeitslosenquote, für deren Ab-
nahme meiner Ansicht nach zu wenig getan wird. Wir ha-
ben 3,7 Millionen Arbeitslose in der Bundesrepublik
Deutschland. Damit können wir uns nicht zufrieden ge-
ben. Auch das ist eine Frage, mit der man sich im Zusam-
menhang mit der Bekämpfung der Kriminalität beschäfti-
gen muss.
Wir wissen, dass die ausländischen Jugendlichen oft
nicht die gleiche Bildung haben wie deutsche Jugendli-
che. Deshalb kommen sie auch nicht so schnell an einen
Arbeitsplatz. Wir wissen weiterhin, dass bei ausländi-
schen Jugendlichen die Bindung an die Eltern und an das
persönliche Umfeld mit dem Älterwerden schwächer
wird. Aber es gelingt ihnen nicht, in eine allgemeine So-
zialisation einzutreten. Sie bleiben vielmehr in Gruppen
unter sich. Man kann eine Art Gettobildung bei ausländi-
schen Jugendlichen feststellen. Die Auffassung, die So-
zialisation geschieht in ich will nicht sagen: Banden
fast völlig separierten Gruppen, in denen es leicht mög-
lich ist, in die Kriminalität abzurutschen, ist meiner Mei-
nung nach richtig. Auch das ist ein Thema, dessen wir uns
dringend annehmen müssen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Norbert Geis
17915
Natürlich wissen wir, dass es keine Patentrezepte gibt.
Ich weiß natürlich auch, dass man diese Entwicklung
nicht mit Repressionen stoppen kann. Hier ist in der Tat
die Prävention gefordert. Man muss den größten Wert da-
rauf legen, dass bei uns die ausländischen Jugendlichen
die gleiche Schulbildung wie die deutschen Jugendlichen
durchlaufen, dass ihnen Arbeitsplätze angeboten werden
und dass sie an unserem Vereinsleben teilnehmen. Nichts
wirkt integrierender, als beispielsweise in einer Fußball-
mannschaft mitzuspielen. Jede Integration in unsere Ge-
sellschaft verhindert neue Kriminalität. Deswegen sind
wir der Meinung, dass dies ein wichtiger Punkt bei der
Frage der Jugenddelinquenz ist.
Wir haben den Gedanken der Prävention auch in unse-
rem Gesetzentwurf aufgegriffen. Es geht darum, Frau
Simm, dass wir den Familiengerichten eine größere
Möglichkeit einräumen wollen, bereits dann auf Kinder
unter 14 Jahren einzuwirken, wenn die Erziehungskraft
der Eltern nicht mehr ausreicht oder wenn die Eltern die
Erziehung schon aufgegeben haben. Hier muss das Ge-
richt schneller als bisher in der Lage sein, einzugreifen.
Wir können die Kinder nicht einfach ihrem Schicksal
überlassen. Wenn die Kinder straffällig werden, weil sie
beispielsweise in Diebesbanden organisiert sind, und
wenn die Eltern versagen, müssen wir dafür Sorge tragen,
dass der zuständige Richter am Familiengericht wenigs-
tens die Möglichkeit hat, darauf hinzuwirken, dass der Ju-
gendliche in einer bestimmten Gruppe nicht mehr so oft
verkehrt.
Der Täter-Opfer-Ausgleich ist zwar erst nach einer
Straftat möglich; ein unter 14-Jähriger kann bekanntlich
noch keine Straftat begehen, weil er strafunmündig ist.
Vielleicht gelingt es durch die Vermittlung des Rich-
ters aber doch, dass der Jugendliche eine Art Täter-Op-
fer-Ausgleich leistet, damit er erkennt, in welche Rich-
tung seine Karriere unter Umständen laufen kann.
Herr Pick hat die anderen Punkte schon angesprochen.
Er hat dies in einer sachlichen Form getan, wofür ich mich
ausdrücklich bedanke, weil das heute nicht immer der Fall
gewesen ist. Ich glaube, dass das Fahrverbot, das wir als
Repression gegenüber Jugendlichen vorsehen, einen Sinn
hat, auch wenn keine Straftat vorliegt, die mit einem Fahr-
zeug begangen wurde. Das Fahrverbot muss als selbst-
ständige Strafsanktion und nicht nur als eine Nebenstrafe
angewendet werden. Ich bin sehr wohl dafür, dass wir da-
rüber ernsthaft diskutieren. Sie werden zwar heute unse-
ren Gesetzentwurf ablehnen. Aber trotzdem bitte ich, ein-
mal ernsthaft darüber nachzudenken, ob ein Fahrverbot
nicht mehr Eindruck auf den Jugendlichen macht, weil er
für eine gewisse Zeit seine Mobilität verliert, als eine
Geldstrafe, die unter Umständen doch nur von der
Großmutter gezahlt wird.
Wir wollen auch den Einstiegsarrest. Ich halte diese
Maßnahme deshalb für richtig, weil der Jugendliche, der
aus dem Gerichtssaal mit einer Gefängnisstrafe auf Be-
währung herausgeht, das Gefühl hat, er sei freigesprochen
worden. Wenn der Jugendliche das Geld nicht hat, zahlt er
die Geldbuße sowieso nicht. Sie wird dann von der Fami-
lie gezahlt. Ich meine, ein Einstiegsarrest ist für einen sol-
chen Jugendlichen in der Tat wirksam. Deswegen bitte
ich, darüber nachzudenken, auch wenn Sie heute Nein
dazu sagen.
Ich will noch einen letzten Punkt erwähnen. Es ist
wahr, Herr Graf, für die Heranwachsenden, also die
18- bis 21-Jährigen, wollen wir stärker das Erwachse-
nenstrafrecht vorsehen. Wir wissen, dass 18-Jährige alle
Geschäfte tätigen können. Sie können Gesellschaften
gründen. Sie werden im Geschäftsleben als Erwachsene
behandelt. Angesichts dessen ist es nicht ganz logisch,
wenn man sie dann, wenn sie straffällig geworden sind,
als Jugendliche behandelt.
Vor allem gibt es das ist der eigentliche Grund, wes-
halb wir da ansetzen ein Gefälle zwischen Nord und
Süd. Wir haben im Norden eine stärkere Anwendung des
Jugendstrafrechtes und im Süden eine stärkere Anwen-
dung des Erwachsenenstrafrechtes. Das halte ich nicht für
gut. Es müssen einheitliche Regelungen getroffen wer-
den. Das sieht unser Gesetzentwurf vor.
Danke schön.
Zu einer
Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Günter Graf von
der SPD-Fraktion das Wort.
Ich möchte mich an
den Kollegen Geis wenden, der eben das Thema der
Jugendkriminalität in besonderer Weise angesprochen
hat. Ich sage hier in aller Deutlichkeit weil ich es so
nicht erwartet habe : Dass Sie hier bemerkt haben, dass
in diesem Bereich mit Repression wenig zu erreichen ist,
sondern dass die Prävention im Vordergrund stehen
muss, macht mich ein Stück hoffnungsfroh, dass wir in
den Beratungen in den Ausschüssen sachlich mit diesem
Thema umgehen werden.
Ich denke, es sollte Einvernehmen in diesem Haus da-
rüber bestehen, dass wir die gesellschaftspolitischen Rah-
menbedingungen, das Werteverbinden in dieser Gesell-
schaft ein Stück weit stärker in den Vordergrund stellen
und bei allem, was wir tun, auch berücksichtigen, welche
Wirkungen es in dieser Gesellschaft erzeugt.
Die Bundesregierung das will ich hier positiv ver-
merken; ich habe es vorhin verschwitzt zu sagen hat
durch das JUMP-Programm arbeitslose Jugendliche in
Ausbildungsberufe, in Fortbildungsmaßnahmen ge-
bracht; davon waren Hunderttausende betroffen. Das ist
ein Baustein, um dieser Thematik durch Prävention zu be-
gegnen. Wenn wir diesen Weg in vielen anderen Feldern
weitergehen, dann, glaube ich, kann es uns gemeinsam
gelingen, hier zu deutlich sichtbaren Erfolgen zu kom-
men.
Danke.
Nun spricht
für die SPD-Fraktion der Kollege Professor Dr. Jürgen
Meyer.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Norbert Geis
17916
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe allen Re-
debeiträgen aufmerksam zugehört. Es ist gewiss schwie-
rig, in der vielleicht 30. Debatte über innere Sicherheit in
den letzten Jahren neue Gedanken vorzutragen. Aber
einige der Beiträge, insbesondere der von Herrn
Schönbohm, der jetzt leider nicht mehr hier ist, veranlas-
sen mich dazu, drei Anregungen für die Fortführung der
Debatte, nicht zuletzt an die Adresse der CDU/CSU-Frak-
tion, vorzutragen.
Die erste Anregung knüpft an die Intervention des Kol-
legen Graf an. Ich meine, wir sollten in künftigen Debat-
ten gemeinsam sehr deutlich machen, dass wir in der Bun-
desrepublik Deutschland und darüber hinaus in Europa
nicht nur in einer gemeinsamen Wirtschaftsordnung le-
ben, sondern auch eine gemeinsame von uns allen bejahte
Werteordnung haben.
Jede Straftat ist neben der Verletzung des durch den je-
weiligen Straftatbestand geschützten Rechtsguts auch
eine Verletzung von Solidarität. Der Täter setzt sich rück-
sichtslos im eigenen Interesse über die Interessen anderer
hinweg. Ich meine, dass fast jede Straftat auch eine Ver-
letzung von Menschenwürde ist, und zwar nicht nur des
Opfers, was außerordentlich wichtig ist, sondern auch des
Täters selbst.
Ich erinnere daran, dass wir in der Grundrechte-Charta
der Europäischen Union den aus unserer Verfassung be-
kannten Satz: Die Würde des Menschen ist unantastbar
um den Satz ergänzt haben: Sie ist zu achten und zu
schützen. Das verpflichtet nicht nur den Staat mit seinen
Machtinstrumenten, sondern auch uns alle zum Tätigwer-
den, so zum Beispiel auch dazu, nicht wegzuschauen,
wenn Straftaten begangen werden.
Im Zusammenhang mit der Solidarität erlaube ich mir
die Bitte, die speziell aus München kommenden Vorbe-
halte gegen die Rechtsverbindlichkeit der Charta, die die-
sen Rechtsgrundsatz konkretisiert, zurückzustellen.
Denn wenn man sagt, Solidarität sei zu teuer, muss man
sich fragen, ob man das Bekenntnis zu ihr wirklich ernst
nimmt.
Meine zweite Anregung geht dahin, dass bitte auch die
Opposition zur Kenntnis nimmt und akzeptiert, dass es in
der Kriminalpolitik seit dem Regierungswechsel eine Ak-
zentverschiebung gegeben hat; man könnte sogar von ei-
nem Paradigmenwechsel sprechen. Wir sind der Auffas-
sung, dass in der Debatte über innere Sicherheit nur sehr
wenig über Strafrecht und Machtinstrumente und viel
mehr über die uns allen bekannten Ursachen der Krimi-
nalität gesprochen werden sollte.
Herr Kollege Geis, Sie haben das Thema vorhin ange-
sprochen. Ich hoffe, wir sind uns einig darüber, dass wir
in der Bundesrepublik im Kampf gegen Jugendarbeitslo-
sigkeit in den letzten Jahren im europaweiten Vergleich
außerordentlich erfolgreich gewesen sind. Ich nenne auch
die Familienpolitik, die um nur zwei Stichworte zu nen-
nen durch Kindergelderhöhung und die Anrechnung von
Erziehungszeiten die Chancen für die Familien verbes-
sern muss, ihren Erziehungsauftrag zu erfüllen.
Ich erinnere daran, dass in den landespolitischen Aus-
einandersetzungen über Bildungspolitik zuletzt vor we-
nigen Monaten in Baden-Württemberg das Thema Bil-
dung eine viel stärkere Rolle als das Thema innere
Sicherheit gespielt hat. Warum? Es geht doch nicht nur
vordergründig um ausfallende Unterrichtszeiten oder um
mehr oder weniger Lehrerstellen, sondern es geht darum,
jungen Menschen Zukunftschancen zu eröffnen. Wir wis-
sen alle, dass fehlende Zukunftschancen eine ganz we-
sentliche Kriminalitätsursache sind.
Ich möchte schließlich mit einer dritten Anregung da-
rauf hinweisen, dass es an der Zeit ist, Vorschläge, die wir
in den letzten zehn Jahren immer wieder von der
CDU/CSU-Fraktion gehört haben, nicht ständig und im-
mer wieder jetzt mit der Einleitung durch Statistiken, die
eher ein Zurückweichen staatlichen Strafrechts signalisie-
ren könnten zu wiederholen.
Es sollte Ihnen zu denken geben, dass die Fachwelt,
also nicht etwa nur die Experten auf dem Jugendgerichts-
tag, sondern auch Verbände sowie vor wenigen Wochen
die Experten auf der Strafrechtslehrertagung in Passau,
Ihr kriminalpolitisches Programm als nicht überzeugend
verworfen hat. Sie sollten sich mit diesen Argumenten
auseinander setzen und nicht das Programm im Wege ei-
ner wortwörtlichen Übernahme in Form eines Antrags
hier im Bundestag einbringen. Er hat wie Sie selbst se-
hen wenig Erfolgschancen.
Wenn Sie jetzt sagen, Sie hätten sich überlegt, was ge-
tan werden muss, müssen Sie sich die Frage gefallen las-
sen, ob Sie nicht die Vorschläge, die Sie jetzt mit großem
Nachdruck machen, in den vergangenen 16 Jahren hätten
durchsetzen können. Warum kommen Sie jetzt damit,
warum haben Sie das nicht früher durchgesetzt? Zu Ihrer
Bemerkung, das habe die F.D.P. verhindert,
kann ich nur sagen: Damit machen Sie deutlich, dass Sie
hier im Bundestag mit Ihrem einseitigen Setzen auf sehr
viel mehr jedenfalls mehr als bisher Repression alleine
stehen. Dann sollten Sie den Menschen auch sagen, dass
Sie hier Vorschläge machen, die keine Chance auf Ver-
wirklichung haben. Das gehört dann auch zur Ehrlichkeit
der Debatte.
Weil Herr Kollege Pick das eben angesprochen hat,
möchte ich in Richtung Bundesrat sagen, dass der Vor-
schlag, den genetischen Fingerabdruck in Verfahren, in
denen ein Beschuldigter noch nicht bekannt ist, durch
Staatsanwaltschaft oder Hilfsbeamte der Staatsanwalt-
schaft anordnen zu lassen, im Bundestag keine Chance
hat. Unserer Meinung nach stellt die DNA-Analyse ei-
nen Grundrechtseingriff dar. Wer dies nicht akzeptiert,
sollte mindestens sehen, dass die anschließende Spei-
cherung der Analyseergebnisse in der DNA-Analyseda-
tei des Bundeskriminalamtes unzweifelhaft einen starken
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001 17917
Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbe-
stimmung darstellt.
Aus diesem Grunde sagen wir: Das müssen die Richter
machen; denn sie sind für die Kontrolle der manchmal un-
vermeidbaren Eingriffe in Grundrechte zuständig. Eine
letzte Bemerkung, weil in Ihrem Papier von organisierter
Kriminalität und Gewinnabschöpfung die Rede ist: Ge-
ben Sie bitte Ihren Widerstand auf, der dazu führt, dass
Geldwäsche bisher nicht wirkungsvoll verfolgt werden
kann. Wir alle wissen, dass organisierte Kriminelle große
Gewinne machen, die sie aber, obwohl sie dazu wegen der
Wertneutralität des Steuerrechts verpflichtet wären, nicht
beim Finanzamt angeben. Deshalb schlagen wir vor, die
schwere Steuerhinterziehung also die Steuerhinterzie-
hung, bei der es um Millionenbeträge geht, die übrigens
anlässlich der Währungsumstellung ans Licht kommen
als Vortat der Geldwäsche ausdrücklich anzuerkennen.
Ein solches Vorgehen wäre ein Warnschuss auch an das
Kreditgewerbe, denen, die auf unredliche Weise Gelder
angesammelt haben, nicht durch Geldwäsche zu helfen.
Helfen Sie uns dabei, dann machen wir eine vernünftige
Kriminalpolitik.
Danke schön.
Als letzter
Rednerin in dieser Debatte gebe ich der Kollegin Erika
Simm, ebenfalls SPD-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war etwas verblüfft,
als ich die heutige Tagesordnung sah, in der der Punkt,
über den wir jetzt reden, aufgeführt ist. Es ist der Gesetz-
entwurf der CDU/CSU zur Bekämpfung der Kinder- und
Jugendkriminalität, der in zweiter und dritter Lesung be-
handelt werden soll, sowie ein Antrag zur Kriminalitäts-
bekämpfung enthalten, der ganz aktuell er war zumindest
bis gestern ohne Drucksachennummer aufgeführt ist.
Nachdem ich mir die Drucksachen angesehen habe,
habe ich festgestellt, dass in dem Antrag zur Krimina-
litätsbekämpfung unter dem Kapitel zur Jugendkrimina-
lität exakt das Gleiche steht, das in dem Gesetzentwurf
enthalten ist, den wir am Mittwoch im Ausschuss ab-
schließend behandelt und zu dem wir am 9. Mai eine, wie
ich meine, recht aufschlussreiche und interessante An-
hörung durchgeführt haben.
Erstaunlich ist aber, dass von dem Ergebnis der An-
hörung nichts in diesen Entschließungsantrag eingeflos-
sen ist. Ich habe mir überlegt: Warum macht man so
etwas? Ich bin zu dem Ergebnis gekommen Sie werden
mir verzeihen , dass man hier nach dem Prinzip verfährt:
Stelle Forderungen auf, bringe einen Antrag ein, lass ihn
dir ablehnen und dann hast du ein Thema im Wahlkampf,
mit dem du die rot-grüne Regierungskoalition vorführen
kannst, weil sie nicht bereit ist, etwas zur Bekämpfung der
Jugendkriminalität zu tun.
Ich denke, dass wir Herr Beck hat es schon ange-
sprochen einiges Gewaltschutzgesetz, Gesetz zur ge-
waltfreien Erziehung, Programm zur Bekämpfung der Ju-
gendarbeitslosigkeit aufzuweisen haben, und zwar in
einem Kontext, den Sie selber für das Entstehen von Ju-
gendkriminalität, speziell Gewaltkriminalität bei Kindern
und Jugendlichen, als bedeutsam aufgeführt haben.
Ich meine, wenn man mit dem Thema so umgeht, wie
Sie das im Augenblick tun, wird man der Problematik
nicht gerecht. Das Problem der Kinder- und Jugendkrimi-
nalität hat es verdient, etwas seriöser angefasst zu werden.
Das vermisse ich in der gegenwärtigen Situation aufseiten
der Opposition.
Ich habe doch einiges angesprochen, das wir in der Ver-
gangenheit bereits gemacht haben.
Lassen Sie mich noch etwas zur Kriminalstatistik sa-
gen. Man erlebt selten, dass Statistiken so nach Belieben
interpretiert werden wie die Kriminalstatistik. Ich traue
mir zu, das zu sagen, weil ich mir über viele Jahre die Kri-
minalstatistik sehr genau angesehen habe. Ich schaue mir
auch die Verurteiltenstatistik an, die den Nachteil hat, dass
sie immer mit einem Nachklapp von mehreren Jahren
kommt, und bei der man das Problem hat, keine direkten
Bezüge herstellen zu können. Ich frage mich aber schon,
welchen Erkenntnisgewinn man aus der Tatsache zieht,
dass im Verhältnis zu 1999 im Jahre 2000 der Anteil der
tatbeteiligten Kinder um 0,3 Prozent zurückgegangen ist,
bei den Jugendlichen den 14- bis 18-Jährigen ein
Rückgang um 0,2 Prozent zu vermerken ist, während bei
den Heranwachsenden ein Anstieg von 0,2 Prozent fest-
zustellen ist.
Sie argumentieren so steht es in Ihrem Antrag; ich
habe das gelesen mit dem 30-prozentigen Anteil der un-
ter 21-Jährigen an den Straftätern. Ich habe meine Zwei-
fel, dass das eine geeignete Grundlage für konkrete Ge-
setzesinitiativen sein kann. Richtig ist, dass man sich die
Details anschauen muss. Im Bereich der Gewaltkrimina-
lität zum Beispiel sind Tendenzen ablesbar, die uns zur
Sorge Anlass geben müssen. Aber das habe ich bereits
gesagt gerade bei der Gewaltkriminalität ist die Präven-
tion von besonderer Bedeutung. Auch meine langjährige
Erfahrung als Jugendrichterin hat mir gezeigt, dass Kin-
der und Jugendliche, die durch Gewalttätigkeit auffallen,
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Dr. Jürgen Meyer
17918
sehr häufig aus Familien kommen, in denen sie Gewalt als
ständiges Mittel der Konfliktbewältigung erfahren haben,
und keine Gelegenheit hatten, andere Möglichkeiten der
Konfliktbewältigung zu erlernen.
Deswegen noch einmal: Wenn wir versuchen, geeig-
nete Maßnahmen gegen Gewalt im häuslichen Nahbe-
reich zu finden und das Prinzip der gewaltfreien Erzie-
hung im Gesetz zu verankern ich habe im Hinterkopf,
dass wir dazu von der Union zumindest keine rückhaltlose
Unterstützung erfahren haben , dann hat das als Präven-
tionsmaßnahme einen hohen Stellenwert.
Sie haben uns vorgeworfen, wir hätten ansonsten keine
konkreten Vorschläge gemacht. Wir haben keine in Form
von Gesetzesänderung gemacht aus gutem Grund: Ein
wesentliches Ergebnis der Anhörung im Mai, die wir im
Rechtsausschuss durchgeführt haben, war doch, dass es
im Jugendstrafrecht, im Familienrecht, im Zivilrecht, im
Jugendhilferecht eine ganze Menge von Instrumenten
gibt, mit denen wir auf abweichendes Verhalten von Kin-
dern und Jugendlichen sachgerecht und individuell rea-
gieren können,
und dass allenfalls ein Defizit bei der Umsetzung, bei der
Anwendung dieser Instrumentarien besteht. Viele der
Diskussionen, die wir geführt haben, waren wohl auch
deshalb nötig, weil diese Instrumentarien nicht allen in
den Reihen der Union bekannt waren. Herr Geis, ich habe
mir noch einmal Ihre Rede durchgelesen, die wir bei der
ersten Lesung des Gesetzentwurfes zu Protokoll gegeben
haben. Ich hatte den Eindruck, Sie wüssten nicht, dass
man schon im normalen Jugendstrafverfahren einen Vor-
führbefehl erlassen kann, wenn der Jugendliche nicht er-
scheint. Das gibt es. Machen wir Gebrauch davon, wenn
es notwendig ist, dann werden wir eine Beschleunigung
des Verfahrens erreichen! Machen wir Gebrauch davon,
dass der Familienrichter das Erziehungsgespräch das
Sie fordern, aber das er längst führen kann tatsächlich
auch führt! Dann, so denke ich, werden wir bei der
Bekämpfung von Ursachen der Jugendkriminalität effek-
tiver sein, im Sinne von besserer Prävention. Wirken Sie
in diesem Zusammenhang mit! Dann tun wir mehr für die
Jugendlichen und für die Opfer, die es zu schützen gilt.
Ich schließe
die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der
Vorlage auf Drucksache 14/6539 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU/CSU zur Verbesserung der gesetz-
lichen Maßnahmen gegenüber Kinder- und Jugenddelin-
quenz auf Drucksache 14/3189. Der Rechtsausschuss
empfiehlt auf Drucksache 14/6546, den Gesetzentwurf
abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenprobe!
Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera-
tung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen
und PDS bei Enthaltung der F.D.P. gegen die Stimmen
von CDU/CSU abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei-
tere Beratung.
Tagesordnungspunkt 4 c: Interfraktionell wird Über-
weisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/5264 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Andere Vorschläge liegen nicht vor. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 e
sowie die Zusatzpunkte 2 a und 2 b es handelt sich
um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne De-
batte auf:
29 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Be-
reinigung des Rechtsmittelrechts im Verwal-
tungsprozess
Drucksache 14/6393
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur An-
passung bilanzrechtlicher Bestimmungen an die
Einführung des Euro, zur Erleichterung der Pu-
blizität für Zweigniederlassungen ausländischer
Unternehmen sowie zur Einführung einer Qua-
litätskontrolle für genossenschaftliche Prüfungs-
verbände
Drucksache 14/6456
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ein-
führung des Euro im Berufsrecht der Rechts-
pflege, in Rechtspflegegesetzen der ordentli-
chen Gerichtsbarkeit und in Gesetzen des
Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts
Drucksache 14/6371
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss(f)
Innenausschuss
Finanzausschuss
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neu-
ordnung der Statistik über die Beherbergung im
Drucksache 14/6392
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus
Innenausschuss
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Erika Simm
17919
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rudolf
Bindig, Angelika Graf, Hanna Wolf ,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Kerstin Müller ,
Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜND-
NISSES 90/ DIE GRÜNEN
Prävention und Bekämpfung von Frauen-
handel
Drucksache 14/6540
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung
ZP 2 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Flach, Cornelia Pieper, Ernst Burgbacher, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Ressortforschung überprüfen Effizienz der
Forschung steigern
Drucksache 14/5329
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD,
der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Wahlstatistik-
gesetzes
Drucksache 14/6538
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Auch mit diesem Vorschlag ist das Haus
einverstanden. Dann ist so beschlossen.
Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 30 a
bis 30 h und 30 j bis 30 p sowie den Zusatzpunkten 3 a bis
3 i. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen,
zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 30 a:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Europäischen Überein-
kommen vom 25. Januar 1996 über die Aus-
übung von Kinderrechten
Drucksache 14/5438
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses
Drucksache 14/6526
Berichterstattung:
Abgeordnete Margot von Renesse
Ronald Pofalla
Volker Beck
Rainer Funke
Sabine Jünger
Der Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/6526,
den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen.
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? Enthaltun-
gen? Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 b:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Haager Übereinkommen
vom 29. Mai 1993 über den Schutz von Kindern
und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der
internationalen Adoption
Drucksache 14/5437
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Regelung von Rechtsfragen auf dem Gebiet
der internationalen Adoption und zur Weiter-
entwicklung des Adoptionsvermittlungsrechts
Drucksache 14/6011
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses
Drucksache 14/6583
Berichterstattung:
Abgeordnete Margot von Renesse
Ronald Pofalla
Volker Beck
Rainer Funke
Sabine Jünger
Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/6583, den
Gesetzentwurf anzunehmen.
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer
stimmt dagegen? Enthaltungen? Der Gesetzentwurf
ist einstimmig angenommen.
Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/6583, den
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
17920
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen möchten, um das Handzeichen.
Gegenprobe! Enthaltungen? Einstimmig in zweiter
Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zu-
stimmen möchte, den bitte ich, sich zu erheben. Keine
Gegenstimmen, keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf
ist damit einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 c:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses zu
dem Antrag der Abgeordneten Norbert Geis, Maria
Eichhorn, Renate Diemers, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Ratifizierung des Haager Adoptionsabkommens
Drucksachen 14/4932, 14/6583
Berichterstattung:
Abgeordnete Margot von Renesse
Ronald Pofalla
Volker Beck
Rainer Funke
Sabine Jünger
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Be-
schlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 14/4932
für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? Gegenprobe! Enthaltungen? Die Be-
schlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 d:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Vertrag zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Tschechi-
schen Republik vom 2. Februar 2000 zur wei-
teren Erleichterung des Rechtshilfeverkehrs
Drucksache 14/6101
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses
Drucksache 14/6534
Berichterstattung:
Abgeordnete Joachim Stünker
Dr. Susanne Tiemann
Volker Beck
Der Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/6534,
den Gesetzentwurf anzunehmen.
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer
stimmt dagegen? Enthaltungen? Der Gesetzentwurf
ist einstimmig angenommen.
Möchte sich die Regierung auch erheben?
Es tut mir Leid, dass Sie um die Mittagszeit so in An-
spruch genommen werden, aber das ist dann die richtige
Einstimmung für die nachfolgende Aktuelle Stunde.
Tagesordnungspunkt 30 e:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS einge-
brachten Entwurfs eines Dreiundzwanzigsten
Gesetzes zur Änderung des Abgeordneten-
gesetzes
Drucksache 14/6311
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung
Drucksache 14/6507
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Uwe Küster
Eckart von Klaeden
Steffi Lemke
Jörg van Essen
Dr. Heidi Knake-Werner
Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung empfiehlt auf Drucksache 14/6507, den
Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? Keine
Gegenstimmen, keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Der
Gesetzentwurf ist, da keine Gegenstimmen und keine Ent-
haltungen vorliegen, einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 f:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umstellung von Vorschriften des Dienst-, all-
gemeinen Verwaltungs-, Sicherheits-, Ausländer-
Drucksache 14/6096
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses
Drucksache 14/6536
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Hagemann
Meinrad Belle
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Petra Pau
Wer dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-
stimmen will, der hebe bitte die Hand. Gegenstim-
men? Enthaltungen? Bei Enthaltung von CDU/CSU
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
17921
und PDS, Ablehnung durch die F.D.P.-Fraktion und Zu-
stimmung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ist dieser
Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte um Ihr Votum. Wer
stimmt zu? Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? Der
Gesetzentwurf ist mit der gleichen Stimmenmehrheit wie
in der zweiten Beratung angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 g:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umstellung von Gesetzen und Verordungen im
Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums
für Wirtschaft und Technologie sowie des Bundes-
ministeriums für Bildung und Forschung auf Euro
Drucksache 14/5937
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie
Drucksache 14/6552
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Ditmar Staffelt
Wer zustimmen möchte, hebe bitte die Hand. Gegen-
probe! Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit mit
den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der PDS in zwei-
ter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Wer stimmt zu? Gegenstim-
men? Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist mit der
gleichen Stimmenmehrheit wie in der zweiten Beratung
angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 h:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Abkommen vom 22. September 2000 zwi-
schen der Bundesrepublik Deutschland und
dem Großherzogtum Luxemburg über Zusam-
menarbeit im Bereich der Insolvenzsicherung
betrieblicher Altersversorgung
Drucksache 14/5439
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Sozialordnung
Drucksache 14/6447
Berichterstattung:
Abgeordnete Dorothea Störr-Ritter
Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung emp-
fiehlt auf Drucksache 14/6447, den Gesetzentwurf an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen möchten, um das Handzeichen. Keine Ge-
genstimmen, keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer zustimmen möchte, den
bitte ich, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? Ent-
haltungen? Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange-
nommen.
Tagesordnungspunkt 30 j:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie zu dem Antrag der Abge-
ordneten Rolf Kutzmutz, Gerhard Jüttemann,
Dr. Christa Luft, Dr. Dietmar Bartsch und der
Fraktion der PDS
Fertigung des Airbus A 3xx struktur- und
umweltpolitisch sinnvoll organisieren
Drucksachen 14/3677, 14/4690
Berichterstattung:
Abgeordnete Gudrun Kopp
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksa-
che 14/3677 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? Gegenprobe! Enthaltungen?
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hau-
ses gegen die Stimmen der PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Rechts-
ausschusses
Übersicht 9
über die dem Deutschen Bundestag zugeleite-
ten Streitsachen vor dem Bundesverfassungs-
gericht
Drucksache 14/6494
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer
stimmt dagegen? Enthaltungen? Es gibt keine Gegen-
stimmen und keine Enthaltungen. Die Beschlussempfeh-
lung ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Peti-
tionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 30 l:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 280 zu Petitionen
Drucksache 14/6471
Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? Enthal-
tungen? Die Sammelübersicht 280 ist mit den Stimmen
des Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 m:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 281 zu Petitionen
Drucksache 14/6472
Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? Enthal-
tungen? Die Sammelübersicht 281 ist mit den Stimmen
des Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
17922
Tagesordnungspunkt 30 n:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 282 zu Petitionen
Drucksache 14/6474
Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? Enthal-
tungen? Die Sammelübersicht 282 ist mit den Stimmen
des Hauses bei erneuter Enthaltung der PDS angenom-
men.
Tagesordnungspunkt 30 o:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 283 zu Petitionen
Drucksache 14/6475
Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? Enthal-
tungen? Die Sammelübersicht 283 ist bei Enthaltung der
F.D.P. und Gegenstimmen der CDU/CSU mit den Stim-
men der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der
PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 p:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 284 zu Petitionen
Drucksache 14/6476
Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? Enthal-
tungen? Mit den Stimmen des Hauses bei Gegenstim-
men der PDS-Fraktion ist die Sammelübersicht 284 ange-
nommen.
Zusatzpunkt 3 a:
Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-
sprache
a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkom-
men Nr. 182 der Internationalen Arbeitsor-
ganisation vom 17. Juni 1999 über das
Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur
Beseitigung der schlimmsten Formen der
Kinderarbeit
Drucksache 14/6107
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Arbeit und Sozialordnung
Drucksache 14/6574
Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Weiß
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Der Ausschuss für Arbeit und
Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 14/6574, den
Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen möchten, sich zu erheben. Es
gibt keine Gegenstimmen und keine Enthaltungen. Der
Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Zusatzpunkt 3 b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen zu dem Antrag der
Abgeordneten Christine Ostrowski, Heidemarie
Ehlert, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der PDS
Vorlage einer Verordnung zur Umsetzung des
§ 6 a des Zweiten Gesetzes zur Änderung des
Altschuldenhilfe-Gesetzes
Drucksachen 14/4399, 14/4692
Berichterstattung:
Abgeordneter Norbert Otto
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksa-
che 14/4399 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? Gegenstimmen? Enthaltungen? Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses ge-
gen die Stimmen der PDS angenommen.
Wir kommen zu weiteren Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses. Zunächst zum Zusatzpunkt 3 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 285 zu Petitionen
Drucksache 14/6556
Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? Die PDS
enthält sich, die anderen Fraktionen haben zugestimmt.
Die Sammelübersicht 285 ist angenommen.
Zusatzpunkt 3 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 286 zu Petitionen
Drucksache 14/6557
Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? Enthal-
tungen? Die Sammelübersicht 286 ist mit den Stimmen
des Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen.
Zusatzpunkt 3 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 287 zu Petitionen
Drucksache 14/6558
Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? Enthal-
tungen? Die Sammelübersicht 287 ist einstimmig ange-
nommen.
Zusatzpunkt 3 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 288 zu Petitionen
Drucksache 14/6559
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
17923
Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? Enthal-
tungen? Auch diese Sammelübersicht ist einstimmig an-
genommen.
Zusatzpunkt 3 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 289 zu Petitionen
Drucksache 14/6560
Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? Enthal-
tungen? Die Sammelübersicht 289 ist mit den Stimmen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen
der übrigen Fraktionen angenommen.
Zusatzpunkt 3 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 290 zu Petitionen
Drucksache 14/6561
Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? Enthal-
tungen? Diese Sammelübersicht ist mit den Stimmen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen
von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS ange-
nommen.
Zusatzpunkt 3 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 291 zu Petitionen
Drucksache 14/6562
Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? Enthal-
tungen? Gegen die Stimmen der PDS ist die Sammel-
übersicht 291 mit den Stimmen des Hauses angenommen.
Ich bedanke mich.
Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt 4 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Haltung der Bundesregierung zur steigenden
Arbeitslosigkei im vierten Monat in Folge
Ich eröffne die Aussprache und gebe für die Antrag-
stellerin zunächst dem Kollegen Hansjürgen Doss das
Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen! Meine Herren! Liebe Kollegen! Die Unions-
fraktion hat diese Aktuelle Stunde beantragt, um die Bun-
desregierung an ihre Pflichten zu erinnern.
Vielleicht teilt dies irgendjemand einmal der Bundes-
regierung mit.
Die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist Besorgnis
erregend. Keine Woche vergeht, ohne dass ein namhaftes
Wirtschaftsinstitut seine Wachstumsprognosen nach unten
korrigiert. Europaweit trägt Deutschland die rote Laterne
bei Wachstum und Beschäftigung. Übrigens: Bundes-
kanzler Schröder wollte sich am Rückgang der Arbeitslo-
sigkeit messen lassen. Das wird ein trauriges Spiel.
Sein Ziel, die Zahl der Arbeitslosen auf 3,5 Millionen
zurückzuführen, rückt in weite Ferne. Seit Januar steigt
die Arbeitslosigkeit saisonbereinigt jeden Monat an: im
Januar um rund 10 000, im Februar um 5 000, im März um
12 000, im April um 6 000, im Mai um 18 000 und im Juni
um 22 000. Keine Reaktion von Müller und Schröder.
Hören Sie doch einmal zu. Dann können Sie etwas
lernen.
Damit nicht genug: Die Inflation ist nach Deutschland
zurückgekehrt. Bei den Erzeugerpreisen ist der Anstieg
mit fast 5 Prozent so hoch wie seit 18 Jahren nicht mehr.
Schlichtweg das muss einmal gesagt werden und ich
rede die Wirtschaft damit nicht herunter : Die Wirt-
schaftslage in Deutschland ist ein einziges Desaster.
Was macht die Bundesregierung? Sie verweist auf ihre
ruhige Hand. Wirtschaftsminister Müller ignoriert die
dramatische Lage in der Bauwirtschaft und produziert
mittelstandspolitische Sprechblasen. Die Beschäftigungs-
situation beim Bau war noch nie so schlecht wie heute:
1995 gab es im Baugewerbe 1,4 Millionen Beschäftigte.
Heute sind es nur noch 940 000. Die Tendenz ist weiter
fallend.
Bei den Baugenehmigungen gibt es seit den 80er-Jahren
einen drastischen Einbruch. Der Umfang der Auftragsbe-
stände im Bau ist so niedrig wie seit der Wiedervereini-
gung nicht mehr. Umsätze und Investitionen sind stark
rückläufig.
In Deutschland blüht nur eines, nämlich die Schwarz-
arbeit. Letztes Jahr wurde in diesem Bereich ein Umsatz
von 658 Milliarden DM erzielt. Im Vergleich zur legalen
Wirtschaft wächst die Schattenwirtschaft dreimal so
schnell. Dreistellige Milliardenbeträge gehen an den öf-
fentlichen Kassen vorbei. Die dramatische Situation der
Bauwirtschaft strahlt natürlich auf die Gesamtwirtschaft
aus. Der arbeitslose Bauarbeiter oder der arbeitslose Elek-
troinstallateur kauft keinen Kühlschrank und kein Auto.
Die negative Entwicklung ist im Wesentlichen auf die
falsche Politik der Bundesregierung zurückzuführen.
Sie sollten nur dann schreien, wenn Sie eine Mindest-
ahnung von dem Thema haben. Das würde Ihren Beitrag
interessanter machen.
Das Niveau der im Bundeshaushalt vorgesehenen In-
vestitionen bewegt sich auf einem Nachkriegsrekordtief.
2005 sind nur noch 10,3 Prozent der Gesamtausgaben für
Investitionen vorgesehen. 1998 betrug der Anteil noch
12,5 Prozent, was wenig genug war. Die aus den UMTS-
Erlösen finanzierten Infrastrukturmaßnahmen sind nur
ein Tropfen auf den heißen Stein.
Private Finanzierungsmodelle kommen nicht voran.
Bei uns in Nierstein zum Beispiel gäbe es die Möglich-
keit, den Bau einer Brücke privat zu finanzieren. Das In-
vestitionsvolumen ist beachtlich. Aber das ist nicht mög-
lich.
Die Industrienation Deutschland lebt bei den Infrastruktur-
investitionen von der Substanz. Alleine der kommunale
Investitionsbedarf erreicht fast 1 000 Milliarden DM.
Lohndumping, Wettbewerbsverzerrungen und das Unter-
laufen der VOB
interessieren die Bundesregierung einfach nicht. Sie
nimmt es mit ruhiger Hand zur Kenntnis. Des Weiteren ist
die Verschärfung des Mietrechts eine eindeutige Maß-
nahme gegen eine Belebung des Wohnungsbaus.
Die Hauptursache der wirtschaftlichen Misere in
Deutschland liegt darin: Die Arbeitnehmer verdienen
netto zu wenig und kosten brutto zu viel.
Das treibt die Menschen in die Schwarzarbeit. Legale Ar-
beit muss wieder bezahlbar werden. Die Fakten beweisen:
Sie sind auf dem Holzweg. Große Aktiengesellschaften
werden steuerlich massiv entlastet. Aber Arbeitnehmer
und Mittelstand werden vertröstet. Die neuen Abschrei-
bungstabellen sind Gift für die Investitionstätigkeit. Fehl-
anzeige bei der versprochenen Senkung des Anteils der
Sozialversicherungsbeiträge am Bruttolohn auf unter
40 Prozent! Des Weiteren werden mit der Ökosteuer nicht
die Lohnnebenkosten gesenkt. Vielmehr wird nur umfi-
nanziert. Sie muss weg.
Deswegen meine ich: Hören Sie auf, das Falsche
schnell und das Richtige spät oder gar nicht zu tun. Un-
sere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Statt sie abzuleh-
nen, handeln Sie danach!
Für die
SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Klaus Brandner.
Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in
der Rede von Herrn Doss, der seit fast sechs Wahlperi-
oden in diesem Parlament tätig ist, nichts von einem
schlechten Gewissen gehört. Er hat nur angeklagt. Aber
Sie, Herr Doss, sollten sich daran erinnern: Wer in 16 Jah-
ren die Arbeitslosigkeit von 2 Millionen auf über 4 Milli-
onen getrieben hat, der sollte eine solch scheinheilige
Rede, wie Sie sie gehalten haben, nicht halten.
Interessant ist im Übrigen, dass der CDU/CSU wieder
einmal nichts Besseres eingefallen ist und sie inhaltlich
scheinbar nichts anderes zu bieten hat, als schlecht zu re-
den und mies zu machen. Die gerade gehaltene Rede hat
das wieder einmal deutlich gemacht. Ich frage mich: Wo
bleibt Ihr Patriotismus für dieses Land, indem Sie das,
was positiv geschaffen worden ist, auch einmal anerken-
nen?
Meine Damen und Herren, ich will es ja nicht schönre-
den. Die Arbeitsmarktzahlen sind kein Grund zum Jubeln,
aber erst recht sind sie kein Grund für die Schwarzmale-
rei der Opposition.
Es ist zwar Ihr gutes Recht, so zu handeln, aber Sie tun da-
mit der deutschen Wirtschaft keinen Gefallen. Sie wissen
selbst doch nur zu gut, dass die Erwartungen der Men-
schen in diesem Lande Einfluss auf die wirtschaftliche
Entwicklung haben. Mit übertriebenem parteitaktisch
motiviertem Pessimismus verschrecken Sie Konsumen-
ten und Investoren gleichermaßen. Damit leisten Sie
nichts Positives für diese Gesellschaft.
Zu den Zahlen. Die Arbeitslosigkeit geht weiter zu-
rück, nicht nur gegenüber dem Vormonat Mai, sondern
auch gegenüber dem Monat Juni 2000.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Hansjürgen Doss
17925
Nur der Abstand hat sich verringert. Der Zug fährt in die
richtige Richtung, wie Sie wissen, nicht rückwärts, wie
bei Ihnen, sondern vorwärts,
nur eben das ist richtig etwas langsamer als in den ver-
gangenen Monaten.
In Ihrer Regierungszeit, also in der der CDU/CSU und der
F.D.P., ist er aber in die völlig falsche Richtung gefahren.
Meine Damen und Herren, Sie werden ja noch ein paar
Beispiele verfolgen können. Stellen Sie sich einmal vor:
Ein Auto fährt mit 100 Stundenkilometern nun einmal
schneller als mit 90 Stundenkilometern, auch wenn es
vorher einmal 110 Stundenkilometer gefahren ist. Ge-
nau das ist die Situation, die Sie ansprechen.
Da können Sie mit Ihren rein abstrakten saisonbereinigten
Zahlen nicht überzeugen.
Noch wichtiger übrigens ist: Die Zahl der Arbeitsplätze
nimmt deutlich zu.
Sie wollen doch der Statistik hier nicht Lüge unterstel-
len, Herr Niebel.
Wir zählen derzeit 38,5 Millionen Erwerbstätige. Das sind
235 000 mehr als vor einem Jahr. Diese Männer und
Frauen freuen sich über den neuen Job. Das können Sie
mit Zahlenspielereien, wie Sie, Herr Doss, es heute vor-
getragen haben, nicht wegdrücken.
Wir werden unsere ganze Kraft voll darauf konzentrie-
ren, die konjunkturelle Delle, in der wir uns befinden, zu
überwinden und die Geschwindigkeit im doppelten Sinne
wieder zu erhöhen, das heißt, den Abbau der Arbeitslo-
sigkeit und den Aufbau der Beschäftigung zu beschleuni-
gen. Ein unverdächtiger Zeuge hat dafür gerade ein klares
Signal gegeben. Die OECD sagt für Deutschland einen
Rückgang der Arbeitslosenquote von 7,3 Prozent in die-
sem Jahr auf 6,8 Prozent im nächsten Jahr voraus.
Wir bleiben bei unserer gemischten Strategie der Kanz-
ler hat das, wie Sie wissen, die ruhige Hand genannt aus
Angebots- und Nachfolgepolitik; die ist richtig und not-
wendig.
Mit der kräftigen Erhöhung des Kindergeldes 6 Mil-
liarden DM im nächsten Jahr werden wir die Familien
entlasten und damit einen deutlichen Schub für die Kauf-
kraft breiter Arbeitnehmerschichten in diesem Lande
auslösen.
Eine solche Kindergelderhöhung haben Sie in Ihren
16 Jahren nicht hinbekommen.
Meine Damen und Herren, die Grundlagen für eine
dauerhafte Verbesserung am Arbeitsmarkt sind gelegt.
Dazukommen soll aber noch eine Reform der arbeits-
marktpolitischen Instrumente. Mit dem Job-Aqtiv-Gesetz
werden wir einen weiteren Impuls für den Arbeitsmarkt
geben,
und zwar ohne auf ein kurzfristiges Aufblähen von Be-
schäftigungsmaßnahmen zu setzen, wie Sie es mit Wahl-
kampf-ABM vor der letzten Bundestagswahl getan ha-
ben.
Die Arbeitsämter setzen, wie Sie wissen, bereits heute
verstärkt auf Lohnkostenzuschüsse und Qualifizierung
und weniger auf ABM und SAM. Was manche Wissen-
schaftler heute vorschlagen, ist schon längst Realität und
wird von uns mit einem guten Programm bestätigt und be-
schleunigt.
Wir setzen bei unserer Reform der Arbeitsmarktpolitik
im Betrieb an, um Arbeitslosigkeit erst gar nicht entstehen
zu lassen. Durch Qualifizierung gerade der Älteren und
der Un- und Angelernten, die Sie völlig vergessen haben,
wird der präventive Schutz vor Arbeitslosigkeit erhöht.
Dies nenne ich eine nachhaltige und in die Zukunft ge-
richtete Politik. Diese werden wir systematisch weiter
verfolgen.
Für uns bleibt es dabei, dass die Bekämpfung der Ar-
beitslosigkeit unsere Hauptaufgabe ist. Rund 60 Prozent
der Bevölkerung sehen das genauso. Für sie ist Beschäfti-
gungspolitik das Wichtigste in diesem Land und die dring-
lichste Aufgabe. 43 Prozent halten die SPD für die kompe-
tenteste Partei in dieser Angelegenheit, meinen also, dass
die SPD das am ehesten schafft. Den Christdemokraten
trauen dies nur 28 Prozent der Bürger zu, meine Damen und
Herren, und das mit abnehmender Tendenz.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Klaus Brandner
17926
Die heutige Debatte dessen bin ich mir sicher dürfte
diese abnehmende Tendenz deshalb noch beschleunigen.
Für die
F.D.P.-Fraktion spricht der Kollege Dirk Niebel.
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde ist
keine glückliche Stunde;
denn seit sechs Monaten steigt die Zahl der Arbeitslosen
saisonbereinigt wieder an. Allein in diesem Monat ist die
Arbeitslosenzahl saisonbereinigt um 22 000 gestiegen.
Sie haben gesagt, dass Sie sich an Ihrem Erfolg im Hin-
blick auf den Abbau der Arbeitslosigkeit jederzeit messen
lassen wollen. Offenkundig ist es notwendig, das hier jede
Woche wieder zu tun, weil Sie tatsächlich nichts tun, um
die Arbeitslosen in Beschäftigung zu bringen.
Die Arbeitsmarktpolitik dieser Regierung ist seit fast
drei Jahren zum Spielball rückwärts gewandter Gewerk-
schaftsideologien geworden. Es ging mit den so genann-
ten Reformgesetzen los. Sie haben den Kündigungsschutz
verschärft, was dazu geführt hat, dass Einstellungen in
kleinen und mittleren Betrieben viel schwieriger gewor-
den sind.
Es ging mit den 630-Mark-Jobs, mit den so genannten
Scheinselbstständigen oder mit dem Teilzeitpflichtgesetz
weiter,
das nur dazu führt, dass gerade junge Frauen nicht mehr
eingestellt werden und weiterhin in der Arbeitslosigkeit
verharren.
VW hat gezeigt, dass die rückwärts gewandte Gewerk-
schaftsideologie in diesem Land Arbeitsplätze vernichtet
und verhindert. 5 000 Arbeitslose weniger würden für die
Bundesanstalt für Arbeit und damit für den Staatssäckel
Mehreinnahmen bzw. Minderausgaben in Höhe von
150 Millionen DM bedeuten. Dass es dazu nicht gekom-
men ist, ist Ihr Verdienst.
Die Ideologien von Rot-Grün führen dazu, dass immer
mehr verregelt, verwaltet und verriestert wird. Die
strukturellen Schwächen des Arbeitsmarktes werden nicht
angegangen.
Die Liberalen haben hier konkrete Vorschläge einge-
bracht. Wir brauchen eine Deregulierung des Tarifver-
tragsrechts, damit mehr Rechte in die Betriebe verlagert
werden; denn diejenigen, die im Betrieb arbeiten, wissen
besser als irgendwelche Verbandsfuzzis in irgendwelchen
Gewerkschafts- oder Arbeitgeberverbandszentralen,
wie sie ihre Arbeitsplätze sichern.
Wir brauchen für die Menschen, die sich in diesem
Land aufhalten dürfen, eine vernünftige Regelung für den
Zugang zum Arbeitsmarkt. Wer sich in diesem Land auf-
halten darf, der muss für die Dauer des erlaubten Aufent-
halts auch für seinen Lebensunterhalt selbst arbeiten dür-
fen. Dass das nicht so ist, haben Sie, die Roten, die Grünen
und die Schwarzen, verhindert.
Wir machen uns über eine vernünftige Zuwanderungs-
regelung Gedanken. Das ist richtig, notwendig und wich-
tig. Wir müssen uns darüber hinaus auch über diejenigen
Menschen Gedanken machen, die schon in diesem Land
sind.
Auch wenn Sie noch so sehr schreien, werden Sie in der
zukünftigen Diskussion nicht an einer Regelung dieses
Sachverhalts vorbeikommen.
Wir brauchen eine strukturelle Veränderung der Bun-
desanstalt für Arbeit. Von 83 000 Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern sind sage und schreibe 10 000 im Bereich der
Arbeitsvermittlung beschäftigt. Wo sind wir denn hier?
Geht es nur darum, zu alimentieren und die Menschen am
Transfertropf zu halten, oder geht es darum, den Arbeits-
marktausgleich zu stärken?
Sie weigern sich strikt, unsere Vorschläge aufzuneh-
men, zumindest eine höhere Deckungsfähigkeit im Hin-
blick auf die arbeitsmarktpolitischen Leistungen ein-
zuführen und langfristig zu einem Globalhaushalt zu
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Klaus Brandner
17927
kommen, der selbstverständlich auch dazu führt, dass der
Personalhaushalt in diesem Globalhaushalt eingeführt
wird.
Ein solches Vorgehen sorgt dafür, dass man vor Ort ent-
scheiden kann, ob es vielleicht sinnvoller ist, in Eckern-
förde eine ABM für 150 000 DM einzurichten oder einen
zusätzlichen Arbeitsvermittler einzustellen. Das kann in
Calw ganz anders gesehen werden. Da herrscht bei einer
Arbeitslosenquote von 3,5 Prozent übrigens fast Vollbe-
schäftigung. Das hat seine Gründe: Es liegt an den von der
Politik gesetzten Rahmenbedingungen. Sie haben die
Weichen immer exakt in die falsche Richtung gestellt.
Wir brauchen in diesem Land wieder ein Klima, das
dazu führt, dass es Spaß macht, Arbeitsplätze zu schaffen.
Ihre Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vergiftet
dieses Klima und sorgt dafür, dass die Menschen ihr Geld
lieber in Aktien investieren, ins Ausland tragen und auf je-
den Fall nicht in Arbeit investieren. Wenn man so etwas
wie das erleben muss, was die IG Metall in Wolfsburg ge-
macht hat, dann wundert es einen beim besten Willen
nicht, dass in Ihrer Fraktion mittlerweile wieder die alte
Linke 243 Angehörige Ihrer Fraktion sind Gewerk-
schaftsmitglieder und nicht die Neue Mitte das Sagen
hat.
VW hat gezeigt, dass die Ideologien der alten Linken
dazu führen, dass Arbeitsplätze vernichtet oder nicht ge-
schaffen werden. Die Öffentlichkeit erkennt, dass die
F.D.P. die Partei der sozialen Verantwortung ist und das,
meine Damen und Herren, ist auch gut so.
Vielen Dank.
Ich gebe der
Kollegin Dr. Thea Dückert für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber
Herr Niebel, wir brauchen in diesem Land nicht das
Klima, das Sie uns aufgrund von Rekordverschuldung
und Rekordarbeitslosigkeit hinterlassen haben.
Lassen Sie mich mit einer Bemerkung frei nach Karl
Valentin beginnen: Herr Doss, was Sie hier gesagt haben,
war Stuss.
Herr Doss, was Sie uns hier vorgetragen haben, hat mit
der Realität nichts zu tun.
Sie beschreiben eine Situation, bei der von einem Wachs-
tum von ungefähr 1,4 Prozent ausgegangen wird. Wir dis-
kutieren also in einer Zeit, in der wir eine Wachstumsdelle
haben, dabei ist die Wachstumsrate vergleichbar hoch mit
der durchschnittlichen der 90er-Jahre. Alle Wissenschaft-
ler und Prognosen sagen uns heute, dass wir allein in die-
sem Jahr über die von Ihnen so beklagte Wachstumsrate
hinauskommen werden.
Sie haben uns hier beispielhaft vorgeführt, dass Sie
Meister im Kaputtreden sind; Sie setzen sich jedoch nicht
ernsthaft mit der jetzigen Situation auseinander.
Sie behaupten, wir seien untätig. Was schlagen Sie uns
vor?
Sie schlagen uns zum Beispiel ein Konjunkturprogramm
auf Pump vor. Was bedeutet das?
Das bedeutet, dass weiterhin ungedeckte Schecks ausge-
stellt werden, die auch in Zukunft nicht gedeckt werden
können. Das bedeutet weiterhin eine Verschuldungspoli-
tik, wie Sie sie in der Vergangenheit betrieben haben. Das
wollen wir nicht. Das bedeutet auch Sie ignorieren übri-
gens die weltwirtschaftlichen Zusammenhänge , dass
Sie auf eine Strohfeuerpolitik setzen, die uns überhaupt
nicht weiterhelfen wird.
Was schlagen Sie weiter vor? Als Beispiel nenne ich
die Abschaffung der Ökosteuer. Was bedeutet das? Das
bedeutet zum Beispiel eine Steigerung des Beitrags zur
Rentenversicherung um 2 Prozentpunkte. Unterm
Strich reden Sie weiteren Lohnnebenkostensteigerun-
gen das Wort. Das ist genau das, was Sie in der Vergan-
genheit bereits praktiziert haben. Gerade das wollen wir
nicht.
Wir haben bereits in den letzten zwei Jahren die Lohn-
nebenkosten gesenkt und wollen diesen Kurs weiter fort-
führen. Allen, die Bedenken haben, sage ich: Wir wollen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Dirk Niebel
17928
die weitere Senkung der Lohnnebenkosten nicht zulasten
der aktiven Arbeitsmarktpolitik durchführen.
Die Spielräume, die sich in diesem und dem nächsten
Jahr ergeben, wollen wir nutzen, um eine entsprechende
Senkung der Lohnnebenkosten zu erreichen. Diese Spiel-
räume ergeben sich zum Beispiel dann, wenn die Be-
schäftigtenzahlen weiter steigen. Eine Steigerung um
1 Prozentpunkt bringt bereits eine zusätzliche Einnahme
in Höhe von 1 Milliarde DM.
Eine vorsichtig geschätzte 2-prozentige Lohnsteigerung
positiv geschätzt würde zusätzliche Einnahmen von
fast 2 Milliarden DM bringen. Allein die Senkung der Ar-
beitslosenzahlen auf etwa 3,5 Millionen würde weitere
Einsparungen in der Arbeitslosenversicherung bringen.
Wenn wir das werden wir tun am 1. Januar nächs-
ten Jahres unser Job-Aqtiv-Gesetz in Kraft setzen, haben
wir gute Hebel, um die durchschnittliche Dauer der Ar-
beitslosigkeit, die heute noch bei 35 Wochen liegt, zu sen-
ken.
Die Senkung der durchschnittlichen Dauer der Arbeits-
losigkeit wir wollen vor allen Dingen die Langzeitar-
beitslosigkeit reduzieren um eine Woche bringt bereits
1 bis 2 Milliarden DM.
Diese Spielräume wollen wir nutzen.
Sie schlagen uns eine Politik vor, die letzten Endes auf
Kosten der Systeme der sozialen Sicherung geht.
Zum Beispiel wollen Sie die Regelung der 630-Mark-
Jobs abschaffen. Diese Politik würde dazu führen auch
das schlagen Sie in Ihren Papieren vor; lesen Sie es ein-
mal nach , dass soziale Leistungen eingeschränkt werden
müssten.
Das wollen wir gerade nicht.
Wir wollen eine Arbeitsmarktpolitik, die Flexibilität und
soziale Sicherheit miteinander verbindet. Wir Grünen
schlagen ein Konzept der Flexicurity vor, das wir lang-
fristig verfolgen wollen.
Der erste Schritt, den wir mit der rot-grünen Regierung
unternehmen, wird das Job-Aqtiv-Gesetz sein,
das viele Hebel bringen wird, um gerade die Eingliede-
rung in den ersten Arbeitsmarkt voranzubringen.
Ich danke Ihnen.
Ich erteile
dem Kollegen Dr. Klaus Grehn, Fraktion der PDS, das
Wort.
Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Herr Präsident! Ich stelle mir vor, was die Ar-
beitslosen in diesem Land gedacht haben, als sie den Ti-
tel der Aktuellen Stunde gelesen haben.
Nein, Herr Niebel. Die Aktuelle Stunde ist ja von einer
bestimmten Fraktion eingereicht worden.
Herr Doss, was Sie hier vorgetragen haben, hat uns
nicht einen einzigen Arbeitsplatz gebracht.
Wenn wir jetzt jeden Tag über Arbeitsmarktpolitik oder
über den Arbeitsmarkt reden, dann entspricht das zwar der
Situation; aber wenn dabei nichts herauskommt, dann ist
das ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für dieses Parla-
ment. Ich glaube, zu Recht erwarten die Arbeitslosen und
die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, dass, wenn das
Parlament darüber redet, auch etwas dabei herauskommt.
Für das, was jetzt geschehen ist, will ich ein paar Dinge
benennen. Herr Doss ich hoffe, Ihre vier Redner, die
noch kommen, werden Vorschläge machen ,
Sie sprechen von dem Versprechen des Bundeskanzlers,
die Zahl der Arbeitslosen auf 3,5 Millionen zu senken.
Okay, das hat er gemacht. Aber ich kann mich sehr gut an
ein Versprechen von jemand ganz anderem erinnern, der
einmal die Arbeitslosigkeit halbieren wollte.
Ja, mit der Gewerkschaft zusammen. Aber nichts ist pas-
siert.
Wenn Sie schon Schuldzuweisungen machen, dann
muss man sagen, dass die Situation auf diesem Arbeits-
markt, wie sie ist, vor 1998 entstanden ist, und dass sie
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Dr. Thea Dückert
17929
sich auf ein Ausmaß hochgeschaukelt hat, das vorher nie
zu erahnen war. Das ist verbunden mit Tätigkeit bzw.
Untätigkeit der vormaligen Regierungskoalition. Ich
frage mich, was passiert wäre, wenn Sie weiterhin so tätig
bzw. untätig gewesen wären wie zu jener Zeit.
Ich will auch etwas zu dem wirtschaftlichen Desaster
sagen, das Sie dargestellt haben, Kollege Doss.
In Berlin würde man sagen: Kann es nicht für einen Gro-
schen weniger sein? Ich glaube, dass das stark übertrieben
ist.
Kollege Niebel, der Vorwurf, nichts zu tun, stimmt
wahrlich nicht. Sie können kritisieren, dass nicht das
Richtige getan worden ist
das verstehe ich aus Ihrer Situation sogar , dass nicht
das getan wird, was Sie gern hätten. Aber der Vorwurf des
Nichtstuns stimmt nicht.
Sie haben in Ihrer Rede schwere Geschütze aufgefah-
ren, mit denen Sie allerdings nicht die Arbeitslosigkeit im
Sinne des Abbauens beschossen haben, sondern Sie haben
Salut für die F.D.P. geschossen.
Aber statt Salut wurde ein Rohrkrepierer daraus, mehr
nicht.
Ich möchte allerdings, Kollege Brandner, auch sagen,
dass die Situation auf dem Arbeitsmarkt nach den heuti-
gen Zahlen in der Tat doch etwas ernster ist, als ich es Ih-
rer Rede entnommen habe. Ich nenne dazu die Ergeb-
nisse: Saisonbereinigt ist die Arbeitslosigkeit erneut
gestiegen. Die Erwerbstätigkeit ist praktisch nicht voran-
gekommen es gibt keine Veränderungen ,
und die Kräftenachfrage ist verhalten. Das alles sind Si-
gnale, die nicht gut sind und die uns herausfordern, etwas
dagegen zu tun.
Deshalb sollten wir nicht über Tätigkeit oder Untätig-
keit streiten, sondern wir sollten unsere Programme vor-
legen. In diesen Programmen sollten wir darstellen, wie
Inhalt und Effektivität der Arbeitsmarktpolitik, der Ent-
wicklung von Arbeitsplätzen vorangebracht werden.
Aber, Kollege Niebel, wir haben dabei existenzsichernde
Arbeitsplätze im Auge.
Wir haben nicht einen Ausbau des Niedriglohnsektors im
Auge, der vielleicht Arbeitsplätze schaffen würde.
Wir haben auch nicht vor, einen der tragenden Eckpfeiler
dieser Gesellschaft, nämlich die Tarifpolitik, abzuschaf-
fen.
Wir werden ja morgen erneut einen Antrag von Ihnen
diskutieren.
Lassen Sie uns, statt es zu zerreden, über Programme,
über Inhalte streiten. Lassen Sie uns das auch an die Be-
troffenen rüberbringen. Lassen Sie uns deutlich machen,
dass sich dieses Parlament in der Tat um die Schaffung
von Arbeitsplätzen müht und sich nicht in Selbstdarstel-
lung oder in politischen Grabenkämpfen ergeht.
Wir haben, Kollege Niebel, morgen Gelegenheit, zum
Beispiel über den beschäftigungspolitischen Aktionsplan
der Bundesregierung zu reden.
Dort sind in den Säulen zwei bis vier viele Maßnahmen
aufgelistet. Damit können Sie einverstanden sein oder
nicht. Aber wenn Sie das kritisieren, dann bitte nicht, um
eine Partei zu kritisieren, sondern um die Maßnahme zu
kritisieren, und zwar in der Form, dass Sie bessere Vor-
schläge vorlegen, die akzeptabel sind.
Das glauben Sie doch nur selbst, Kollege Niebel; das
stimmt nicht.
Wir haben morgen Gelegenheit, darüber zu debattie-
ren. Ich bin gespannt darauf, wer von Ihrer Fraktion reden
wird.
Wenn Sie es wieder sind, Kollege Niebel, hoffe ich, dass
Ihre Rede mehr Inhalt hat als Ihre heutige.
In diesem Sinne: Auf morgen, Kollege Niebel!
Das Wort er-
hält nun der Parlamentarische Staatssekretär beim Bun-
desminister für Arbeit und Sozialordnung, Gerd Andres.
G
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Diese Bundesregie-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Dr. Klaus Grehn
17930
rung hat seit dem Regierungswechsel entscheidende
Schritte zur Erneuerung Deutschlands getan.
Wir gestalten die Zukunft dieses Landes und wir ducken
vor den Problemen, die dieses Land ohne Zweifel hat,
nicht weg und das ist auch gut so.
Genau deshalb haben wir nach dem Regierungswech-
sel wie versprochen die Haushaltskonsolidierung einge-
leitet; denn für uns ist Schluss damit, die Zeche, unsere
Zeche, zu prellen, und zwar auf Kosten zukünftiger
Generationen. Das ist sehr wohl unangenehm, aber un-
aufschiebbar. Jede vierte Mark in die Schuldentilgung und
in die Zinsen? Nicht mit uns, kann ich dazu nur sagen!
Wir haben die größte Steuersenkung in der Geschichte
der Bundesrepublik Deutschland auf den Weg gebracht.
Damit werden die Steuerzahler bis zum Jahr 2005 um ins-
gesamt 95 Milliarden DM entlastet.
Über 60 Milliarden DM kommen den privaten Haushal-
ten zugute, rund 30 Milliarden DM der Wirtschaft. Beides
stärkt das Wirtschaftswachstum und ist gut für neue
Arbeitsplätze,
die wir noch immer dringend nötig haben.
Wir haben die Lohnnebenkosten gesenkt. Was von al-
len gefordert wird, in jeder Sonntagsrede die Aussagen
von Ihren Vertretern dazu kann ich überall nachlesen ,
wir haben es umgesetzt. So ist der Rentenversicherungs-
beitrag von 20,3 Prozent im Jahre 1998
auf 19,1 Prozent in diesem Jahr gesunken.
Das bedeutet mehr Geld in den Taschen der Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer,
das bedeutet mehr Spielraum für die Unternehmen, neue
Arbeitsplätze zu schaffen. Wir wollen diesen Kurs fort-
setzen.
Aber noch wichtiger ist: Wir senken und stabilisieren
den Beitragssatz mit unserer Rentenreform langfristig.
Wir stellen sicher, dass der Rentenversicherungsbeitrag in
einem Zeitraum von zehn Jahren trotz der absehbaren de-
mographischen Entwicklung nicht über 19 Prozent stei-
gen wird.
Selbst innerhalb von 20 Jahren soll er nicht über 20 Pro-
zent und im Jahre 2030 nicht über 22 Prozent ansteigen.
Unser Handeln ist auf Nachhaltigkeit angelegt. Es hilft
keinem, nun angesichts eines diffusen Straußes von un-
terschiedlichen Prognosen in Panik auszubrechen. Panik-
mache und das Schüren von Rezessionsängsten überlas-
sen wir Ihnen von der Opposition. Viel Spaß dabei,
machen Sie weiter so!
Ich sage nur eines: Jetzt in kurzatmigen Aktionismus
zu verfallen und auf den Zug aufzuspringen, mit dem Sie
von der Opposition mit Ihrem Sofortprogramm, Ihrem
Zehn-Punkte-Programm,
zur Rettung der Konjunktur schon in die falsche Richtung
rasen, fällt uns nicht ein.
Wir werden unseren unter anderem im Bündnis für Ar-
beit eingeschlagenen Kurs beibehalten. Ich bin sicher, wir
werden auch in diesem Jahr wieder erleben, dass sich die
Tarifpartner auf beschäftigungsfördernde Tarifabschlüsse
einigen. Ich bin genauso sicher, dass sie darüber haben
wir ja gestern diskutiert gemeinsam neue Wege zur
Schaffung von Arbeitsplätzen gehen werden, auch bei
VW. Herr Niebel, machen Sie ruhig weiter so; Sie werden
schon sehen, was Sie davon haben.
Wir haben im Bündnis für Arbeit mit der Bekämpfung
der Massenarbeitslosigkeit Ernst gemacht. Nach gut
zweieinhalb Jahren sage ich: Wir sind auf einem guten
Weg.
Wer es sehen will, kann es sehen: Die Arbeitslosigkeit
sinkt
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Parl. Staatssekretär Gerd Andres
17931
seit dem Regierungswechsel kontinuierlich Monat für
Monat.
Im Juni waren weniger als 3,7 Millionen Menschen ohne
Arbeit. Das sind noch immer viel zu viele; das gebe ich
gerne zu. Aber das ist der niedrigste Stand in einem Juni
seit 1995.
Ich darf Sie daran erinnern, dass im letzten Jahr Ihrer
Regierungszeit im Jahresdurchschnitt rund 4,3 Millionen
Menschen arbeitslos waren. Im Jahr 2000 waren es im
Jahresdurchschnitt unter 3,9 Millionen.
Diese Zahl sinkt weiter. Es bleibt dabei: Wir wollen und
werden nächstes Jahr die Zahl der Arbeitslosen weiter
deutlich reduzieren.
Nennen Sie solche Erfolgszahlen eine Krise?
Ich sage Ihnen, Herr Niebel, trotz Ihres ständigen Zwi-
schengequakes voraus: Auch in diesem Jahr wird die Ar-
beitslosigkeit zurückgehen. Schauen Sie sich die Zahlen
aus der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung an: Da ist die
Arbeitslosigkeit Monat für Monat angestiegen. Das ist die
Wahrheit!
Hauptsächlich durch die Schaffung neuer Beschäfti-
gung wurde die Arbeitslosigkeit gesenkt.
Die Jobmaschine Deutschland läuft. Von 1998 bis 2000
hat sich die Zahl der Erwerbstätigen um fast 1 Million er-
höht.
Das Statistische Bundesamt hat mitgeteilt, dass die Zahl
der Beschäftigten bis zum April dieses Jahres neuere
Zahlen liegen nicht vor um über 235 000 gestiegen ist.
Schauen Sie sich Ihre Zahlen an! Sie sollten sich schä-
men!
Reden Sie keine Rezession oder Ängste in diesem Land
herbei!
Diese positive Entwicklung seit 1998 ist nicht wie
Manna vom Himmel gefallen. Die wirtschafts-, finanz-
und beschäftigungspolitische Gesamtstrategie dieser
Bundesregierung ist auf das zentrale Ziel der Schaffung
neuer Arbeitsplätze ausgerichtet.
Zu dieser Strategie gehören gezielte arbeitsmarktpoliti-
sche Maßnahmen, zum Beispiel das Sofortprogramm zum
Abbau der Jugendarbeitslosigkeit oder die Förderung von
Modellprojekten zur Verbesserung der Zusammenarbeit
zwischen Arbeits- und Sozialämtern.
Ich stelle fest: Unsere arbeitsmarktpolitische Bilanz
kann sich sehen lassen. Sie ist eine Bilanz, von der Sie,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, in
Ihrer Regierungszeit nicht zu träumen gewagt hätten.
Klar ist natürlich, dass nach wie vor viel zu viele Men-
schen arbeitslos sind. Deshalb legen wir keineswegs die
Hände in den Schoß. Die Bekämpfung der Arbeitslosig-
keit bleibt nach wie vor ganz oben auf der Tagesordnung
unserer Politik. Deshalb werden wir die arbeitsmarktpoli-
tischen Instrumente modernisieren.
Zentraler Schwerpunkt ist die Verbesserung der Ar-
beitsvermittlung. Ziel ist es, dass Arbeitslosigkeit nach
Möglichkeit erst gar nicht eintritt oder so rasch wie
möglich beendet wird. Die Arbeitsvermittlung ist das
wichtigste Instrument der aktiven Arbeitsmarktpolitik.
Drohender Langzeitarbeitslosigkeit muss durch ein früh-
zeitiges Erkennen des Risikos entgegengewirkt werden.
Durch rasche und auf den einzelnen Arbeitslosen zuge-
schnittene Maßnahmeangebote wird eine möglichst nach-
haltige Eingliederung von Arbeitslosen in reguläre Be-
schäftigung unterstützt.
Mit dem Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung
zwischen dem Arbeitslosen und dem Arbeitsamt wird der
Grundsatz des Förderns und Forderns fair und für beide
Seiten akzeptabel umgesetzt.
Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
haben deshalb am Dienstag dieser Woche ein Eckpunkte-
papier für ein Job-Aqtiv-Gesetz beschlossen, mit dem die
arbeitsmarktpolitischen Instrumente modernisiert werden
sollen. Herr Niebel, ich kann Sie beruhigen: Ab Septem-
ber werden Sie als Oppositionsabgeordneter die große
Freude haben, sich mit dem entsprechenden Gesetzent-
wurf auseinander zu setzen.
Aussitzen statt handeln, das war Ihre Parole. Reform-
stau war das Wort des Jahres 1997. Handeln statt aussit-
zen, so lautet unsere Parole. Ich sage Ihnen noch einmal:
Wir werden Deutschland erneuern.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Parl. Staatssekretär Gerd Andres
17932
Meine Damen und Herren von der Union, lassen Sie also
die Kirche im Dorf! Bewahren Sie einen kühlen Kopf und
hören Sie mit der penetranten Miesmacherei auf!
Was wir gegenwärtig konstatieren müssen, ist eine
konjunkturelle Delle. Ausgehend von der Entwicklung in
den USA und Japan hat sich das weltwirtschaftliche Kli-
ma eingetrübt.
Deutschland als exportstarke Nation ist hiervon natürlich
betroffen. Dies schlägt sich auch auf dem Arbeitsmarkt
nieder.
In den letzten Monaten sind die Arbeitslosenzahlen des-
wegen nicht mehr so gesunken, wie wir das zusammen
mit den Experten erwartet hatten.
Aber die Arbeitslosenzahlen sinken immer noch und auch
in diesem Jahr erwarten wir im Jahresdurchschnitt eine
deutliche Abnahme der Arbeitslosigkeit.
Von einer Krise ist also weit und breit nichts zu sehen.
Die einzige Krise, die ich in Deutschland sehe, ist der in-
nerparteiliche Zustand der Union, eine Krise, die da lau-
tet: In Sachen Wir gegen uns geht es munter voran. Ma-
chen Sie ruhig weiter so! Ihnen traut sowieso niemand die
Führung dieses Landes zu. Da können Sie hier so viele
Aktuelle Stunden beantragen, wie Sie wollen. Denn die
Konzepte, die Sie vorschlagen, taugen nichts. Sie müssen
sich schon entscheiden, ob Sie die Neuverschuldung ab-
bauen oder ein Konjunkturprogramm auflegen wollen.
Wir werden das auf alle Fälle nicht mitmachen.
Meine Empfehlung ist: Kühlen Kopf bewahren; das
fördert klare Gedanken.
Herzlichen Dank.
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Ulrich Klinkert.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Der Titel der von der CDU/CSU be-
antragten Aktuellen Stunde sollte ursprünglich lauten:
Untätigkeit der Bundesregierung angesichts steigender
Arbeitslosenzahlen. Der Titel ist nun geändert worden in
Haltung der Bundesregierung ... . Ich finde dies richtig;
denn Untätigkeit kann man der Regierung eigentlich nicht
vorwerfen.
Im Gegenteil: Ihre Tätigkeit und Ihr Aktionismus sind für
die steigende Arbeitslosigkeit verantwortlich, die wir in
Deutschland zu verzeichnen haben.
Wenn man die weltfremden und wirklichkeitsfernen
Ansichten des Herrn Staatssekretärs Andres über die an-
geblich sinkende Arbeitslosigkeit hört, dann
Könnten Sie mich vielleicht einmal zu Wort kommen
lassen, meine Damen und Herren von der Opposition?
Herr Präsident, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie
dafür sorgen könnten, dass ich gegen die Zurufe der lin-
ken Krakeeler einmal zu Wort kommen kann.
Ich sage es noch einmal: Die weltfremden und wirk-
lichkeitsfernen Ansichten des Herrn Staatssekretärs
Andres lassen Schlimmstes befürchten. Er geht völlig an
der Wirklichkeit vorbei von sinkenden Arbeitslosenzah-
len aus. Wahrscheinlich liegt das daran, Herr Andres, dass
Sie in Ihrer Zahlenkosmetik die 630-Mark-Jobs mit ein-
rechnen. Aber davon lassen wir uns nicht täuschen.
An der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wolle er sich
messen lassen, tönte Gerhard Schröder vor und nach den
Wahlen 1998 vor allem in den neuen Bundesländern. In
der ersten Euphorie ging man sogar von 3 Millionen Ar-
beitslosen aus; das wurde schnell auf 3,5 Millionen korri-
giert.
Inzwischen sind wir allerdings auf dem Weg, dass 4 Mil-
lionen Menschen in Deutschland die Chance auf einen Ar-
beitsplatz kaputtgemacht wird.
Lassen Sie mich in der kurzen Zeit auf einige wenige
Ursachen eingehen. Die alte Bundesregierung hatte eine
Reihe von Maßnahmen, auch von unbequemen Maßnah-
men, auf den Weg gebracht, um die Lohnnebenkosten zu
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Parl. Staatssekretär Gerd Andres
17933
senken und um Anreize für Investitionen zu schaffen.
Trotz der Blockade der Steuerreform durch Lafontaine
und Schröder um einmal den Begriff Reformstau aus
dem Jahre 1997 mit Namen zu belegen, Herr Staatssekre-
tär Andres gab es 1997 und 1998 höhere Investitionen
und eine zurückgehende Arbeitslosigkeit.
Wenn Sie mir das nicht glauben, meine Damen und
Herren von der Regierungskoalition, dann möchte ich Sie
fragen, wie Sie die Aussage von Gerhard Schröder aus
dem Sommer 1998 Dieser Aufschwung ist mein Auf-
schwung interpretieren. Leider währte dieser Auf-
schwung nur so lange, bis sich die rot-grüne Wirtschafts-
politik auf den Standort Deutschland auszuwirken
begann;
denn die Schröder-Regierung hat in einer Phase hervorra-
gender wirtschaftlicher Rahmendaten Maßnahmen be-
schlossen, die die Konjunktur bremsten,
die D-Mark schwächten und Deutschland zum wirt-
schaftlichen Schlusslicht in der Euro-Zone gemacht ha-
ben.
Besonders dramatisch wirkt sich die rot-grüne Wirt-
schaftspolitik auf die neuen Bundesländer aus. Neben der
Abschwächung der Konjunktur haben die neuen Länder
unter einer Reihe von durch Rot-Grün beschlossenen
Kürzungen zu leiden,
insbesondere Kürzungen der GA-Mittel sowie Kürzungen
bei den Altlastensanierungen und bei den Infrastruktur-
mitteln zum Beispiel für den Straßen- und für den Schie-
nenbau. Der Mittelstand leidet unter einer nie da gewe-
senen Kaufkraftvernichtung, hervorgerufen durch Öko-
steuer und Rentenbetrug.
Was unternimmt die Bundesregierung? Die Bundes-
regierung unternimmt nichts. Sie sieht stattdessen taten-
los zu, wie Hunderttausende junger Menschen die neuen
Bundesländer verlassen müssen, um eine berufliche Zu-
kunft zu haben.
Trotz dieser Wanderbewegungen ist in den neuen Bun-
desländern kein Absinken der Arbeitslosigkeit zu spüren;
im Gegenteil. Da sie, Frau Wittig, sich gerade lautstark
äußern, muss ich Sie fragen: Wie erklären Sie, dass es in
unserem Arbeitsamtsbezirk 10 000 Arbeitslose mehr als
1998 gibt?
In den neuen wie auch in den alten Bundesländern
müssen wir steigende Lohnnebenkosten verzeichnen, ver-
ursacht durch die populistische Rücknahme von Ent-
scheidungen der alten Bundesregierung.
Dabei bin ich mir sicher: Jeder der fast 4 Millionen Ar-
beitslosen in Deutschland würde lieber ein paar Mark
mehr für Medikamente ausgeben oder im Falle von
Krankheit lieber einige Wochen mit 80 Prozent Kranken-
geld auskommen, als dauerhaft von 63 Prozent Arbeits-
losengeld oder gar von Arbeitslosenhilfe leben zu müs-
sen.
Herr Kol-
lege Klinkert, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum
Schluss, Herr Präsident. Die Reihe der Maßnahmen der
rot-grünen Bundesregierung ließe sich lange fortsetzen.
Wir haben Alternativvorschläge auf den Tisch gelegt.
Wir appellieren an Sie und an die Bundesregierung, im
Jahr 2002 die Arbeitslosenstatistik nicht durch eine er-
neute Zahlenkosmetik aus Ihrer Sicht zu verbessern, son-
dern endlich die Maßnahmen zu ergreifen, die die Men-
schen wieder in Lohn und Brot bringen.
Vielen Dank.
Für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nunmehr der
Kollege Werner Schulz.
Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was
Sie hier führen, Herr Klinkert, ist eher eine Dauerdebatte
zu Wirtschaft, Wachstum und Konjunktur, eine ständige
Wiederholung dessen, was wir letzte Woche schon hatten.
Junge Leute würden sagen: Das nervt.
Wenn ich Ihnen damit eine Freude machen kann und das
Ihr einziges Anliegen ist, dann tue ich das gern.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Ulrich Klinkert
17934
Nur hilft das, was Sie bringen, nichts. Sie machen keine
vernünftigen Vorschläge.
Diesmal kommen Sie über die Arbeitsmarktpolitik.
Das grandiose Zehn-Punkte-Programm, das wir letzte
Woche besprochen haben, ist ja zur Feinabstimmung in
die Union zurückgegeben worden; es enthält ein paar Un-
stimmigkeiten. Diesmal geht es in der Debatte um den Ar-
beitsmarkt. Schauen wir uns deswegen einmal an, was im
Moment auf dem Arbeitsmarkt los ist.
Das abgeschwächte Wirtschaftswachstum schlägt sich
auf dem Arbeitsmarkt nieder. Die Arbeitslosigkeit ist in
den letzten Monaten nicht wesentlich zurückgegangen;
wir haben momentan 3,7 Millionen Arbeitslose. Das al-
lerdings als Dramatisierung und als Alarmzeichen hinzu-
stellen, wie Sie, Herr Doss und Herr Niebel, oder auch
Laurenz Meyer das tun, die einer Koalition angehörten,
die die Arbeitslosigkeit in den 90er-Jahren an die 5-Milli-
onen-Grenze getrieben hat, ist unverantwortlich. Herr
Niebel, da können Sie reden, was Sie wollen. Aber viel-
leicht ist das auch einfach nur dumm.
Sie haben auch in der Opposition Verantwortung. Diese
Verantwortung kann nicht darin bestehen, dass Sie die Si-
tuation dramatisieren und dass Sie Panik machen.
Ich verstehe sehr wohl, dass Übertreiben anschaulich
macht. Aber Sie übertreiben nicht, sondern betreiben Pa-
nikmache. Das ist der eigentliche Punkt.
Sie legen uns ein Konjunkturprogramm vor, das sämt-
liche Wirtschaftsinstitute ablehnen, das Herr Jagoda ab-
lehnt und das man im Grunde genommen nur ablehnen
kann, weil es die falsche Antwort auf die Situation ist, die
wir haben. Sie betreiben aus purer Angriffsfreude gegen-
über der Regierung eine falsche Analyse, weil Sie die kon-
junkturelle Abschwächung gerne dieser Bundesregierung
in die Schuhe schieben möchten. Sie koppeln die globale
Vernetzung, die wir haben, die Tatsache, dass wir viel
stärker von der US-Leitkonjunktur abhängig sind, als das
manche Wirtschaftsinstitute geglaubt und prognostiziert
haben, völlig aus.
Sie führen permanent Diskussionen in dem gleichen
Rhythmus, wie Wetterprognosen erstellt werden, und hin-
ken genauso hinterher.
Im Endeffekt bieten Sie strukturelle Antworten auf ein
konjunkturelles Übergangsphänomen an. Das ist völlig
falsch. Ich nenne dazu Beispiele. Fangen wir mit dem
Hauptpunkt an: Sie fordern das Vorziehen der zweiten und
dritten Stufe der Steuerreform. Sie haben diese Steuerre-
form, die Sie jetzt gar nicht schnell genug bekommen kön-
nen, vorher in Bausch und Bogen abgelehnt. Dies ist
schon ein Widerspruch in sich.
Wenn wir Herr Uldall, Sie sind wirklich Experte und
hören im Gegensatz zu einigen, die sich vorgenommen
haben, diese Aktuelle Stunde durch Zwischenrufe zu
stören, auch zu
die zweite und dritte Stufe der Steuerreform vorziehen
würden, müssten wir die Nettokreditaufnahme erhöhen
und würden die Maastrichtkriterien tangieren. Es würde
zu Neuverschuldungen kommen und die Inflationsrate,
die Sie ohnehin für zu hoch halten was richtig ist; diese
Sorge teilen wir , in die Höhe treiben. Auch die mode-
rate Lohnpolitik wäre nicht mehr möglich, weil die Ge-
werkschaften zu Recht auf eine sozial gerechte Anpas-
sung drängen würden. Mit einem Vorziehen der weiteren
Stufen der Steuerreform würden wir Benzin ins Feuer
gießen.
Zur Ökosteuer: Der Benzinpreis ist übrigens wieder
gefallen. Es ist interessant, dass dies von Ihnen überhaupt
nicht thematisiert wird. Mit der Ökosteuer haben wir den
Lenkungseffekt erreicht, den wir uns versprochen haben,
dass nämlich die Kraftfahrer in Deutschland mit Benzin
wesentlich sparsamer umgehen.
Die Wirtschaft würde sich im Übrigen bedanken, wenn
wir die Ökosteuer abschaffen würden aber nicht in dem
Sinne, wie Sie sich das vorstellen, denn die Wirtschaft
profitiert von der Ökosteuer,
weil dadurch die Lohnnebenkosten, speziell die Renten-
versicherungsbeiträge, gesenkt worden sind.
Sie tun immer so und reden denen das ein.
Es ist im Grunde genommen jedes Mal die gleiche Ma-
sche: 630-Mark-Jobs, Betriebsverfassungsgesetz, Schein-
selbstständigkeit, Teilzeitarbeit.
Ja, ja. Es ist ein permanenter Evergreen, immer wieder
die gleiche Walze. Es bringt nur nichts.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Werner Schulz
17935
Wir lassen uns im Moment nicht beirren. Wir brechen
nicht in irgendwelchen hektischen Aktionismus aus,
lassen uns nicht von solchen unausgegorenen Program-
men wie die, die Sie vorgelegt haben, treiben.
Ich kann Ihnen versprechen: Wir werden dafür sorgen,
dass das Wachstum wieder steigt, die Inflationsrate
zurückgeht
und die Arbeitslosigkeit abgebaut wird, genauso wie wir
das in den letzten Monaten beharrlich getan haben.
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege Max
Straubinger.
Herr Präsident! Ver-
ehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon erstaunlich,
wie schnell es Rot-Grün geschafft hat, negative Spuren
auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland zu hinterlassen.
Selbstverständlich, Herr Gilges. Es ist schon erstaun-
lich, wenn man hier feststellen muss, dass Deutschland im
Jahr 2001 das niedrigste Wirtschaftswachstum innerhalb
der EU aufzuweisen hat, dass nach den Prognosen in die-
sem Jahr ein Wirtschaftswachstum von nur noch 1,2 Pro-
zent zu erwarten ist und damit natürlich die Arbeitslosig-
keit zunehmen und nicht abgebaut wird.
Wir haben bereits jetzt saisonbereinigt 50 000 Arbeitslose
mehr als zu Beginn dieses Jahres.
Die Regierung stellt sich untätig hin und sagt, wir sol-
len hier nicht auf Dramatik machen.
Ich finde das unverantwortlich gegenüber den arbeitslo-
sen Menschen in unserem Land. Deshalb ist es erforder-
lich, eine andere Politik zu machen.
Angesichts dieser Entwicklung und der Prognose des
Ifo-Instituts, dass wir im Oktober dieses Jahres wieder
mehr Arbeitslose als im Oktober des letzten Jahres haben
werden, habe ich kein Verständnis für das ruhige Verhal-
ten des DGB. Ich erinnere mich daran, dass es 1998 jeden
Monat Mahnwachen gegen die Arbeitslosigkeit gab.
Wo ist angesichts der hohen Arbeitslosigkeit heute der
Deutsche Gewerkschaftsbund?
Wir haben wegen einer verfehlten Politik bedauerli-
cherweise eine so hohe Arbeitslosigkeit in unserem Land.
Es wurde eine verfehlte Steuerreform durchgeführt, die
besonders den Mittelstand mit verschlechterten Abschrei-
bungsbedingungen und Überregulierung belastet. Wenn
Finanzminister Hans Eichel immer wieder darstellt
Staatssekretär Gerd Andres hat vorhin auch darauf hin-
gewiesen , dass es die größte Steuerreform aller Zeiten
gegeben hat,
so mag dies in den Auswirkungen möglicherweise für die
Großkonzerne richtig sein.
Wenn wir uns das Steueraufkommen ansehen, stellen wir
fest, dass der breite Mittelstand als Arbeitsbeschaffer der
Nation durch Belastungen zur Melkkuh der Nation ge-
worden ist.
Ich frage mich: Was werden die Arbeitslosen über die
neue soziale Gerechtigkeit denken, wenn sie feststellen,
dass das Aufkommen aus der Körperschaftsteuer die
Steuer der Großkonzerne wegbricht, während das Auf-
kommen der Lohn- und Einkommensteuer auf dem glei-
chen Level bleibt? Die Menschen haben sich die soziale
Gerechtigkeit nicht so vorgestellt. Ich glaube, wir tun gut
daran, die Ökosteuer auf den Prüfstand zu stellen und zu-
mindest die nächsten Schritte auszusetzen, wenn Sie
schon nicht dazu bereit sind, sie ganz abzuschaffen.
Herr Schulz, Sie haben vorhin davon gesprochen, Ben-
zin ins Feuer zu gießen. Wir können uns Benzin ange-
sichts dieser rot-grünen Politik nicht mehr leisten.
Wir haben aufgrund der politischen Entscheidungen,
die Rot-Grün herbeigeführt hat und die den Mittelstand
belastet haben, die geringsten Investitionen im wirt-
schaftlichen Bereich. Ich darf in diesem Zusammenhang
an den Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit, an die Ein-
schränkung der Möglichkeit befristeter Arbeitsverträge,
an Änderungen beim Kündigungsschutz, an den vollen
Lohnfortzahlungsanspruch oder an die Neuregelung des
Betriebsverfassungsgesetzes erinnern. Das bedeutet, dass
die Großbetriebe mit einer Belastung von 10 bis 15 Pro-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Werner Schulz
17936
zent zu rechnen haben, während der breite Mittelstand
mit 40 Prozent belastet wird. Für Sie muss es doch ein
Alarmzeichen sein, wenn der ZDH ausrechnet, dass den
Handwerksbetrieben mit bis zu 50 Mitarbeitern der
Beschäftigungsmotor in unserem Land durch Ihre Ge-
setzgebung eine Mehrbelastung von 3 Milliarden DM
entsteht.
In der Politik ist ein Umkehren notwendig. Es kann für
Deutschland auch kein gutes Zeichen sein, wenn die SPD
kontinuierlich mit der PDS einer Partei, die weiterhin
die Verstaatlichung der Betriebe fordert zusammen-
arbeitet.
Eine solche Zusammenarbeit wird keine Vermehrung von
Arbeitsplätzen herbeiführen, sondern zur Arbeitsplatzver-
nichtung beitragen.
Die Ergebnisse einer solchen Politik können wir leider
Gottes jeden Monat an den Arbeitslosenzahlen beson-
ders für Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt
ablesen.
Wir fordern deshalb, dass die Steuerreform für den
Mittelstand und die Arbeitnehmer vorgezogen und eine
steuerliche Entlastung angestrebt wird. Wenn die Staats-
sekretärin im Finanzministerium, Frau Barbara
Hendricks, gestern gesagt hat, es sei gut, wenn in Amerika
die Steuerbelastung gesenkt werde, sage ich: Um wie viel
mehr müsste es dann gut sein, wenn bei uns die steuer-
liche Belastung gesenkt würde.
Herr Kollege,
nun muss es aber auch mit Ihrer Redezeit gut sein.
Frau Präsidentin, ich
komme sofort zum Schluss. Es ist meines Erachtens
auch wichtig, dass in Zukunft auf die Meinung des Insti-
tuts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung gehört wird.
Geben Sie der Deregulierung auf dem Arbeitsmarkt eine
Chance und strangulieren Sie nicht den Arbeitsmarkt.
Dann werden wir in unserem Lande wieder mehr Arbeits-
plätze haben.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Iris Gleicke.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Es ist schon bemerkenswert, mit wel-
chen Mitteln die Union die Situation am Arbeitsmarkt für
sich ausschlachten will. Die Christdemokraten rufen nach
milliardenteuren Maßnahmen, ohne der staunenden Öf-
fentlichkeit zu erklären, wie das eigentlich finanziert wer-
den soll.
Jetzt verlangt die Union, dass die nächste Stufe der
Steuerreform vorgezogen wird einer Steuerreform, ge-
gen die sie im vergangenen Jahr gehetzt hat und die auch
Herr Straubinger eben wieder kritisiert hat. Vielleicht
können Sie sich innerparteilich einmal einig werden, was
Sie eigentlich wollen.
Das Vorziehen der nächsten Stufe der Steuerreform kann
schlicht und ergreifend niemand bezahlen. Jeder aber
wirklich jeder weiß, dass es zur Konsolidierung der
Staatsfinanzen keine Alternative gibt. Auch Merkel, Merz
und Meyer wissen das; aber politische Glaubwürdigkeit
und Seriosität spielen bei diesem Dreier ohne Steuermann
ganz offensichtlich keine Rolle mehr.
Der Konsolidierungskurs ist nicht zu verwechseln mit
einer sturen Sparpolitik. Wir betreiben konstruktive Ar-
beitsmarktpolitik und die Förderinstrumente werden lau-
fend auf ihre Effektivität hin überprüft.
Das gilt insbesondere für das Programm zur Bekämpfung
der Jugendarbeitslosigkeit.
Damit wurde Hunderttausenden von Jugendlichen gehol-
fen. In den Jahren 1999 und 2000 wurden mehr als
268 000 Jugendliche mit diesem Programm gefördert; seit
Jahresbeginn sind mehr als 63 000 Jugendliche in Maß-
nahmen des Sofortprogramms eingetreten.
Dieses Programm ist im Westen wichtig. Im Osten ist
dieses Programm unverzichtbar. Ohne das JUMP-Pro-
gramm wäre es bei uns in Ostdeutschland zu einer sozia-
len Katastrophe gekommen,
eben weil die Situation im Osten so ungleich viel schwie-
riger ist, eben weil die Arbeitslosigkeit in den struktur-
schwachen Regionen Ostdeutschlands doppelt so hoch ist
wie im Westen. Die Jugendlichen dürfen nicht im Stich
gelassen werden und wir lassen sie nicht im Stich. Ge-
nau deshalb gehen seit Jahresbeginn 50 Prozent der Mit-
tel für das JUMP-Programm in die neuen Länder. Derzeit
kommen mehr als 50 Prozent aller Teilnehmer am JUMP-
Programm aus Ostdeutschland. Das ist aktive Arbeits-
marktpolitik für junge Leute.
Wir wollen, dass jeder eine Chance erhält. Die jungen
Leute nutzen diese Chance. Die Zahl der jungen Leute,
die Maßnahmen ohne Begründung ablehnen oder ab-
brechen, ist verschwindend gering. Das zeigt, die
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Max Straubinger
17937
Jugendlichen wollen eine Ausbildung, sie wollen arbei-
ten, sie wollen Verantwortung für ihr eigenes Leben über-
nehmen.
Seit Jahresanfang können Arbeitsämter 5 Prozent ihrer
JUMP-Mittel für so genannte Mobilitätshilfen verwen-
den. Wegen der derzeit viel diskutierten Abwanderung aus
dem Osten erntet die Bundesregierung hierfür zum Teil
herbe Kritik. Aber selbstbewusste junge Leute sind zu al-
len Zeiten dorthin gegangen, wo sie ihre Chancen gesehen
haben. Es ist doch eine pure Illusion, zu glauben, dass alle
jungen Leute in absehbarer Zeit den Arbeitsplatz ihrer
Wahl am eigenen Heimatort finden könnten.
Bisher waren vor allem solche jungen Leute mobil, deren
Eltern sich das leisten konnten. Die Mobilitätshilfen
eröffnen diese Möglichkeit allen jungen Arbeitslosen.
Auch das ist Herstellung von Chancengleichheit, Herr
Niebel. Genau das wollen wir: Chancengleichheit und
Gerechtigkeit.
Bisher erhielten ganze vier Jugendliche aus West-
deutschland Mobilitätshilfen aus dem JUMP-Programm,
im Osten waren es 1 784.
Auch das zeigt, wie dringend dieses Programm im Osten
gebraucht wird.
Aber ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie der
Vorgänger von Herrn Merz hier im Bundestag gegen das
JUMP-Programm agitiert hat. Anfang 1999 hat Herr
Schäuble die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ver-
höhnt
als Programm, um Jugendliche ohne Beschäftigung ru-
hig zu stellen. Das ist Zynismus und Ihre Zwischenrufe
machen ebenfalls deutlich, dass es Ihnen nicht um das
Problem geht.
Herr Kollege
Niebel, lassen Sie die Kollegin doch einmal zu Wort kom-
men.
Zwischenrufe bedeuten nicht, dass man dauernd dazwi-
schenruft. Sonst wäre es ja die Hauptrede.
Herr Schäuble hat das ganze Pro-
gramm damals für völlig ineffektiv erklärt und seine
Streichung verlangt, um 2 Milliarden DM im Jahr zu spa-
ren. Das ist die Wahrheit.
An diesem Denken und an dieser Herzlosigkeit hat sich
das zeigt auch die heutige Aktuelle Stunde wieder bei
der Union und ganz offensichtlich auch bei der F.D.P.,
nichts, aber auch gar nichts geändert.
Sie wissen ganz genau, dass die grundsätzlich positive
Entwicklung in der ostdeutschen Wirtschaft und auf dem
ostdeutschen Arbeitsmarkt vom Abbau der Überkapazitä-
ten in der Bauwirtschaft überdeckt wird. Diese Überka-
pazitäten sind zum Teil durch die verfehlte Förderpolitik
in Ihrer Regierungszeit entstanden.
Ich muss hier noch eine Bemerkung zum Kollegen
Merz und zum Berliner Wahlkampfauftakt der CDU los-
werden. Ich verurteile wie die ganze SPD, dass auf dem
Alexanderplatz mit Eiern geworfen worden ist.
Wir haben damals im Osten vor und während der Wende
für Demokratie und Gewaltfreiheit sowie dafür gekämpft,
dass jeder überall seine Meinung sagen kann. Gewalt
kann und darf kein Mittel der politischen Auseinanderset-
zung sein. Aber ich empfinde es schon als sehr schwierig,
dass der Kollege Merz auf dem Alexanderplatz von Ge-
sindel gesprochen hat,
das er in Deutschland nicht mehr sehen wolle. Das halte
ich auch dann für sehr unangebracht, wenn er das in per-
sönlicher Erregung gesagt hat.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Manfred Grund.
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte
gerne zum Thema dieser Aktuellen Stunde, zur Situation
am Arbeitsmarkt und zur Situation der Arbeitslosen,
zurückkommen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Iris Gleicke
17938
In der Aktuellen Stunde der letzten Woche ging es um
die drohende Schließung des Adtranz-Werkes in Bran-
denburg und damit um das mögliche Aus für 2 500 Ar-
beitsplätze und die existenzielle Not von 2 500 Familien.
Die Bundesregierung war in der letzten Woche durch den
Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen, Stephan Hilsberg, vertreten, der
sich die Sorgen der betroffenen Menschen durchaus zu Ei-
gen gemacht hat, letztendlich aber nichts gesagt hat, was
den Menschen in irgendeiner Weise hätte eine konkrete
Hoffnung geben können. Hilsberg beendete seine Rede
mit dem bemerkenswerten Satz:
Ich wünsche Ihnen bei den Bemühungen um den
Standort viel Glück.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch heute ha-
ben wir außer leeren Worthülsen Staatssekretär Andres
sprach von Panikmache, Frau Dückert von einer Wachs-
tumsdelle, in der wir uns befänden, und der Kollege
Schulz von Übergangsphänomenen, die es zu bekämpfen
gelte von der Regierung und den sie tragenden Fraktio-
nen nichts zur Situation am Arbeitsmarkt gehört.
Ich muss Sie schon fragen, ob Sie, die letzte Woche und
heute zusammengenommen, tatsächlich von allen guten
Geistern verlassen sind, dass Sie außer Floskeln und viel-
leicht noch einem warmen Händedruck zur Situation der
von Arbeitslosigkeit Betroffenen überhaupt nichts mehr
zu sagen haben.
Sie verweisen gern darauf, dass Sie 1998 eine fürch-
terliche Erblast übernommen hätten
und dass Sie das größte Steuerprogramm aufgelegt hätten.
Die Regierung unter Helmut Kohl hat zwischen 1983 und
1989 die Zahl der Arbeitsplätze in Deutschland von
26 Millionen auf 29 Millionen gesteigert. Das war in Ver-
bindung mit der Steuerreform das größte Wachstumspro-
gramm für Arbeitsplätze, das dieses Land jemals erlebt
hat.
Nach drei Jahren Regierungsverantwortung von Rot-
Grün, einer Verantwortung, die Sie auch ganz persönlich
tragen, sind diese 3,7 Millionen Arbeitslosen, um die es
heute geht, Ihre Arbeitslosen. Sie müssen sich daran mes-
sen lassen, was mit diesen Menschen geschieht.
Es gibt auch für einen Bundeskanzler kein Recht auf
Faulheit.
Wenn der Bundeskanzler, auf die Arbeitslosen zeigend,
meint, er könne unter ihnen besonders viele Faulpelze
ausmachen, dann weisen bei ausgestrecktem Zeigefinger
drei Finger auf ihn selbst zurück.
Es ist bei weitem nicht nur die Opposition, Herr Kol-
lege Schulz, die das Nichtstun von Gerhard Schröder für
die Arbeitslosigkeit verantwortlich macht. Alle verglei-
chenden Gutachten der Europäischen Kommission in
Brüssel, des Internationalen Währungsfonds in Washing-
ton oder der OECD in Paris sagen unisono, dass die Ar-
beitslosigkeit in Deutschland strukturell bedingt und da-
mit hausgemacht ist. Es war ganz einfach fahrlässig, sich
auf die amerikanische Konjunktur zu verlassen sowie al-
lein auf die Exportnachfrage zu setzen und damit die in
diesem Land durchaus notwendigen strukturellen Refor-
men zu vernachlässigen.
Jetzt, da die Auslandsnachfrage zusammenbricht, die
Binnenkonjunktur durch Ökosteuern und Sozialabgaben
abgewürgt ist, wird auch klar, dass weder von der Kon-
junktur noch von der Tarifpolitik irgendein den Arbeits-
markt entlastendes Moment zu erwarten ist.
Die interessierte Öffentlichkeit hat übrigens lange
nichts mehr vom Bündnis für Arbeit gehört.
Aber wären denn 5 000 Arbeitsplätze bei VW in Wolfs-
burg, auf die sich schon 10 000 Arbeitslose beworben ha-
ben, nicht des Schweißes der Edlen im Bündnis für Arbeit
würdig?
Meine Damen und Herren, für 5 000 Arbeitsplätze zu
5 000 DM brutto würden in den neuen Bundesländern
Himmel und Erde in Bewegung gesetzt werden. Mögli-
cherweise würden sogar die Gewerkschaften mithelfen,
damit diese Arbeitsplätze entstehen,
denn in den neuen Bundesländern, Frau Kollegin Gleicke,
wird die Situation am Arbeitsmarkt von Monat zu Monat
dramatischer. Der Osten sitzt allerdings sowohl beim
Bündnis für Arbeit als auch im Bundeskabinett am
Katzentisch.
Die Arbeitslosenquote liegt im Westen aktuell bei
knapp 7 Prozent, in den neuen Bundesländern bei 17 Pro-
zent, also mehr als doppelt so hoch. Wir haben also eine
Ost-West-Kluft von 10 Prozent. Als Gerhard Schröder ins
Amt kam, betrug die Kluft zwischen Ost und West gerade
7 Prozent. Die Schere geht also dramatisch auseinander,
übrigens auch bei der Jugendarbeitslosigkeit.
Ich habe von Antje Hermenau einen Satz gelesen, der
die Situation beschreibt, in der sich manche der ostdeut-
schen Kollegen befinden. Sie hat mit Bezug auf die Bun-
desregierung gesagt:
Wir fühlen uns aufgegeben und abgeschrieben.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Manfred Grund
17939
Dies wiederum veranlasste den für den Aufbau Ost im
Kanzleramt zuständigen Rolf Schwanitz zu der scharfsin-
nigen Analyse:
Wir sehen starke Bewegungen in gegensätzliche
Richtungen.
Es gibt tatsächlich starke Bewegungen, allerdings stark
fallende Bewegungen, und dies besonders im ostdeut-
schen Baugewerbe. Dazu zitiere ich aus der Presse mei-
ner Heimat nur die Schlagzeilen dieser Woche:
Massenentlassungen bei Deuna-Zement, 103 Mitar-
beitern steht Kündigung bevor.
Baustoffwerke AG in Teistungen vor dem Aus.
Weil vorhin von Panikmache die Rede war, weise ich auf
Folgendes hin: In ihrer Not wendet sich nun sogar schon
die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt an die
Oppositionsabgeordneten und fordert uns auf, gemeinsam
etwas gegen die arbeitsplatzvernichtende Politik im
Baugewerbe zu tun.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bundes-
kanzler wollte sich an der Abnahme der Arbeitslosigkeit
messen lassen. Das ist hier mehrfach gesagt worden. Er
hat nicht gesagt, dass das Messgerät ein Vergrößerungs-
glas sein wird. Wenn man tatsächlich den Rückgang der
Arbeitslosigkeit suchen will, muss man eine Lupe zur
Hand nehmen. So kann verantwortliche Regierungspoli-
tik in Deutschland nicht gemeint sein.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Peter Dreßen.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Es wurde in der heutigen Debatte bereits ein
paar Mal von Kollegen aus der Opposition wahrheitswid-
rig behauptet, die Arbeitslosenzahlen seien in den letzten
Monaten weiter gestiegen.
Ich will Ihnen einfach die statistischen Angaben der Bun-
desanstalt für Arbeit vorlesen. Man kann diese Zahlen
übrigens immer nur im Vergleich zum entsprechenden
Vorjahresmonat interpretieren.
Im März 1998, als Sie am Ruder waren, gab es
4 623 393 Arbeitslose, im März 1999 waren es
4 288 493 Arbeitslose. Das entspricht einem Abbau um
rund 334 000. Im März 2000 waren es 4 140 000 das ent-
spricht einem Abbau um 147 000 , im März 2001
3 999 000 Arbeitslose das entspricht einem Abbau um
141 000.
Im Juni 2001 waren es 3 694 000 Arbeitslose, also noch
einmal rund 305 000 weniger. Was Sie uns hier erzählen,
stimmt also schlichtweg nicht.
I
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die jetzigen Arbeitslosenzahlen sind uns natürlich
nach wie vor zu hoch; gar keine Frage. Wir tun da einiges.
Ihnen muss ich aber etwas zum Thema Rahmenbedin-
gungen sagen.
Ich komme wie Sie aus Baden-Württemberg. In Ba-
den-Württemberg hat man von 1950 bis heute
mit den Tarifparteien eine Verminderung der Arbeitszeit
von 48 Stunden auf 35 Stunden vertraglich vereinbart.
Wir haben immer zusammen mit den Kolleginnen und
Kollegen vernünftige Arbeitsbedingungen in den Be-
trieben geschaffen; wir haben die Arbeitszeiten verändert.
Ich muss Ihnen sagen: Es gibt über 2 000 Möglichkeiten,
die Arbeitszeiten zu gestalten. Von Inflexibilität kann man
überhaupt nicht sprechen.
In Baden-Württemberg gibt es die höchsten Löhne.
Ähnlich hoch sind sie in Bayern oder NRW, wo wir ähn-
liche Verhältnisse haben. Wir haben in Baden-Württem-
berg eine Arbeitslosenquote von 5 Prozent.
Aber in den neuen Bundesländern, wo Wildwestmanieren
herrschen, liegt die Arbeitslosigkeit bei 20 Prozent.
In diesen Ländern herrschen nicht die Rahmenbedingun-
gen, die Sie gern bei uns kritisieren! Nehmen Sie einmal
zur Kenntnis, Herr Niebel: Ihr dummes Geschwätz bringt
uns wirklich nicht weiter.
Wir haben hier schon einiges von dem gehört, was
diese Regierung gemacht hat. Ich will das nicht wieder-
holen, sondern auf einige andere Punkte hinweisen. Wir
haben Geld zur Verfügung gestellt, um 50 000 Schwerbe-
hinderte wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Die-
sen Behinderten, die es noch schwerer haben als andere,
haben wir wieder zu Arbeit verholfen.
Ich will noch einen zweiten Punkt nennen, der heute zu
kurz gekommen ist. Wir in der Politik müssen versuchen,
durch Forschung neue Arbeitsplätze zu schaffen. Ein Bei-
spiel dafür ist die Windenergie. Herr Niebel, wir haben im
Bereich der Windenergie 35 000 Arbeitsplätze. Das ist so
viel wie in der gesamten Atomkraftindustrie. Obwohl die
Windenergie nur 2 Prozent des Stromverbrauchs aus-
macht, bietet sie 35 000 Arbeitsplätze. Das heißt, wir ha-
ben in diesem Bereich neue Arbeitsplätze geschaffen.
Wenn wir uns vorstellen, dass die Windenergie vielleicht
auf einen Anteil von 10 Prozent kommen wird, kann man
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Manfred Grund
17940
ausrechnen, wie viele Arbeitsplätze hier geschaffen wer-
den können.
Was noch hinzu kommt, ist, dass die Windindustrie im
Moment mehr Stahl als die gesamte Schiffsindustrie ver-
braucht. Sie sehen: Hier entstehen auch Aufträge für an-
dere Industrien. Insofern glaube ich schon, dass wir durch
den Ausbau der alternativen Energien und durch Energie-
sparprogramme tatsächlich zusätzliche Arbeitsplätze
schaffen können.
Zum Schluss möchte ich noch etwas zu einem Thema
sagen, das heute schon ein paar Mal angesprochen wor-
den ist: die Geschichte mit VW. Können Sie sich denn
nicht vorstellen, dass es einer Gewerkschaft, die in den
letzten Jahren immer dafür gesorgt hat, dass die Arbeit auf
mehr Schultern verteilt wird, schwer fällt, 42 Stunden in
der Woche für 5 000 DM arbeiten zu lassen?
Halten Sie es nicht für eine bessere Idee, mit dem Lohn
vielleicht um 500 DM herunterzugehen und auch die Ar-
beitszeit zu senken? Davon haben die Arbeitslosen etwas;
denn dann können wir mit den eingesparten Geldern statt
5 000 vielleicht 5 500 Menschen einstellen. Das wäre mei-
nes Erachtens eine sinnvolle Sache.
Man muss sich doch klar darüber sein, dass es den Ge-
werkschaften darum geht, mit den Betriebsräten zu ver-
einbaren, die Arbeit auf mehr Schultern zu verteilen,
damit Arbeitslose wieder in den Arbeitsprozess hinein-
kommen. Dazu erklären Sie, dass dies alles Humbug und
schädlich sei, was dort gemacht worden ist. Ich halte Ihre
Rede für einen Witz. Ich sehe auch Ihre Argumentation zu
den Arbeitslosenzahlen, die Sie gebracht haben,
als schlichtweg unseriös und unglaubwürdig an; dagegen
sprechen alle Tatsachen.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Birgit Schnieber-Jastram.
Vielen
Dank für Ihr Mitgefühl, Herr Brandner!
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir sollten uns wirklich allen Ernstes anschauen, wie in
diesem Lande die Realität ist. Ich habe in dieser Debatte
bei den Rednern teilweise Realitätssinn vermisst.
Lassen Sie uns einmal über das reden, was heute ver-
öffentlicht worden ist: die aktuellen Arbeitsmarktzahlen.
Sie sprechen doch eine sehr deutliche Sprache. Wenn ich
mich daran erinnere, dass die rot-grüne Bundesregierung
einen Aufbruch propagiert hat,
dann spiegeln für mich diese Arbeitslosenzahlen den Auf-
bruch nicht wider. Ich kann ihn nicht erkennen.
Im Gegenteil: Die Arbeitslosigkeit ist trotz einer
großen Zahl von Menschen, die wegen ihres Alters in den
Ruhestand gehen, auf einem Höchststand. Dafür möchte
ich Ihnen drei Beispiele anführen.
Das erste Beispiel: Im Vergleich zu unseren europä-
ischen Nachbarn ist Deutschland fast das Schlusslicht. Es
belegt den zwölften Platz. Nur drei anderen Staaten geht
es noch schlechter. Erschreckend ist auch, dass Deutsch-
land das einzige Land ist, in dem die Arbeitslosigkeit an-
gestiegen ist. Rot-Grün lässt grüßen.
Das zweite Beispiel: In den neuen Bundesländern ist
die Arbeitslosigkeit weiterhin mehr als doppelt so hoch
wie in Westdeutschland. Es reicht nicht aus, dass der Bun-
deskanzler im Sommer durch die neuen Bundesländer
reist. Hier ist vielmehr engagiertes Handeln gefragt.
Herr Dreßen, Sie behaupten immer, dass er das täte.
Aber wir merken davon nichts.
Das dritte Beispiel: Saisonbereinigt ist nicht etwa, wie
von Rot-Grün behauptet, ein Rückgang, sondern sogar ein
Anstieg der Arbeitslosigkeit zu verzeichnen,
und dies bereits seit Jahresanfang.
Man könnte noch weitere Beispiele anführen, aber ich
habe immer wieder erlebt, dass die Bundesregierung sol-
che Fakten hartnäckig ignoriert. Sie gehen immer mehr
dazu über, die Wahrheit völlig zu verschleiern. Hoffen Sie
eigentlich auf gutes Wetter und auf eine saisonbedingte
Verringerung der Arbeitslosigkeit? Alle führenden Exper-
ten erwarten inzwischen keine Trendwende auf dem
Arbeitsmarkt. Bereits seit Mitte letzten Jahres ist das
Wirtschaftswachstum so schwach, dass kaum positive
Beschäftigungsimpulse eintreten. So, wie es derzeit aus-
sieht, wird die Arbeitslosigkeit am Jahresende sogar höher
sein als im Jahre 2000.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Peter Dreßen
17941
Dass Erfolge möglich sind, wissen Sie genauso gut wie
wir. Das zeigen die aktuellen Daten anderer Länder. Die
Niederlande beispielsweise weisen nur ein Drittel der
deutschen Arbeitslosigkeit auf. Das ist doch ein Grund,
einmal darüber nachzudenken, wie andere Länder das
schaffen.
Die Arbeitslosigkeit in Deutschland liegt sogar über
dem Durchschnitt derjenigen in der gesamten Europä-
ischen Union bzw. der OECD. Auch innerhalb Deutsch-
lands Herr Dreßen, Sie sollten sich erinnern, dass in
Ihrem Heimatland Baden-Württemberg die CDU zusam-
men mit der F.D.P. in der Verantwortung ist gibt es Er-
folge. Das zeigen die allein von uns oder zusammen mit
der F.D.P geführten Bundesländer. Bayern und Baden-
Württemberg beispielsweise weisen eine halb so hohe Ar-
beitslosigkeit wie im Bundesdurchschnitt auf.
Die dortigen Kollegen verstehen unsere Sorgen nicht.
Das zeigt: Ein echter, ein drastischer Rückgang der Ar-
beitslosigkeit ist möglich. Sie müssen nur Ihre Energien
nicht in die Verschleierung der Wahrheit, sondern in mu-
tige Reformen stecken.
Sie haben übrigens hier mehrfach gezeigt, wie sehr
man Sie jagen muss. Mit unseren Anträgen zur Jobrota-
tion, zu mehr Wettbewerb bei Qualifizierungsmaß-
nahmen, zum SGB III sowie mit unseren Initiativen zur
Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe
müssen wir Sie ständig antreiben, weil Sie nicht in die
Puschen kommen.
Ich bitte Sie: Machen Sie die Augen auf und nehmen
Sie die Realität zur Kenntnis.
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Andrea Nahles.
Verehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fasse das konjunk-
turpolitische und arbeitsmarktpolitische Programm der
CDU/CSU und der F.D.P. wie folgt zusammen:
Erstens. Sie wollen Gesetze dieser rot-grünen Bundes-
regierung abschaffen. Zweitens: Sie wollen Gesetze die-
ser rot-grünen Bundesregierung vorziehen. Es ist ein Ar-
mutszeugnis, dass Sie nicht in der Lage sind, eigene über-
zeugende Konzepte vorzulegen, und dass Sie sich an uns
abarbeiten müssen, und das dann auch noch schlecht.
Herr Merz will das Gesetz zur Teilzeitbeschäftigung
abschaffen.
Das verrät den Geist Ihrer Arbeitsmarktpolitik: Die
Frauen sollen also doch zu Hause bleiben.
Sie wollen ihnen nicht die Chance geben, Beruf und Fa-
milie miteinander zu verbinden. Ich kann Ihnen nur sagen:
Das werden Ihnen die Frauen in diesem Lande danken!
Außerdem wollen Sie die Lohnnebenkosten senken.
Das hätten Sie in den 16 Jahren, in denen Sie regiert ha-
ben, machen können. Aber das haben Sie nicht getan.
Stattdessen sind die Lohnnebenkosten ständig gestiegen.
Dagegen, dass Sie die Lohnnebenkosten senken möchten,
ist zwar gar nichts einzuwenden. Aber gleichzeitig wollen
Sie die Ökosteuer abschaffen. Das geht nicht zusammen;
denn dann würden die Lohnnebenkosten sofort um 2 Pro-
zent steigen. Das würde sich entscheidend negativ auf die
Wirtschaftskraft in diesem Lande auswirken.
Ferner polemisieren Sie die ganze Zeit gegen das
Betriebsverfassungsgesetz. Dazu möchte ich Ihnen Fol-
gendes sagen: Es mag für die F.D.P reichen, wenn Sie,
Herr Niebel, sich von einer Minderheit der Unternehmen,
die Angst vor einer guten Kooperation mit ihren Mitar-
beitern hat, zum Lobbyisten machen lassen. Ich möchte
demgegenüber unterstreichen, dass die Betriebsräte und
Arbeitnehmer ein hohes Interesse an einer erfolgreichen
Unternehmenspolitik haben. Sie sind nicht das Problem.
Sie sind Partner bei der Lösung von Problemen in den Be-
trieben.
Frau Schnieber-Jastram, Sie brauchen uns nicht über
die Arbeitsmarktsituation zu belehren.
Der Rückgang der Arbeitslosigkeit setzt sich derzeit nicht
fort.
Wir nehmen das ernst. Aber bleiben Sie bitte auf dem Tep-
pich! Unsere Zahlen zeigen einen Aufbau von Erwerbs-
tätigkeit. Wir haben immer noch real 235 000 Arbeits-
plätze geschaffen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Birgit Schnieber-Jastram
17942
Das heißt: Wir sind im Plus, was die Erwerbstätigenzah-
len in diesem Lande angeht. Das können Sie zur Kenntnis
nehmen oder bleiben lassen; die Fakten ändern sich da-
durch nicht.
Sie haben eine Arbeitsmarktpolitik betrieben, deren Krea-
tivität sich darin erschöpft hat, vor Wahlen Wahlkampf-
ABM zu schaffen. Sie haben lediglich eine reaktive Ar-
beitsmarktpolitik betrieben. Wir legen im Herbst eine
Reform zum SGB III vor.
Damit werden wir zum ersten Mal präventive Arbeits-
marktpolitik betreiben. Wir werden nicht warten, bis die
Leute in Langzeitarbeitslosigkeit stecken, sondern wir
werden den Leuten schon vorher Weiterbildung anbieten.
Auch dann, wenn sie älter als 50 Jahre sind, werden wir
ihnen eine Weiterbildung in Arbeit anbieten.
Wir werden das ist entscheidend die Vermittlung pass-
genau und individuell auf die Probleme zuschneiden, die
die einzelnen Arbeitslosen haben.
Das sind die entscheidenden Reformschritte, auf die wir
in Ihrer Regierungszeit lange gewartet haben.
Was mir besonders wichtig ist: Wir werden vor allem
auch in Ostdeutschland versuchen, die Arbeitsmarktpoli-
tik stärker mit der Infrastruktur- und Strukturpolitik vor
Ort zu verzahnen, als es bisher möglich war, und somit
auch die Wirtschaftskraft und die Arbeitsmarktsituation
zu verbessern. Ich hoffe jedenfalls, dass uns das gelingt.
Wir werden alles tun, was dafür nötig ist.
Zukunftsorientierte Arbeitsmarktpolitik das machen
wir. Wir wären auch froher, wenn uns die konjunkturpoli-
tische Situation in diesem Land nicht ein Stück weit
zurückgeworfen hätte. Aber wir werden nicht mit dem zu-
frieden sein, was wir erreicht haben, sondern wir werden
unsere Anstrengungen verdoppeln.
Also: Schnallen Sie sich an! Ducken Sie sich! Sie wissen:
Ich bin immer noch Juso.
Die Aktuelle
Stunde ist damit beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 g sowie die
Zusatzpunkte 5 und 6 auf:
5. a) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Das Kioto-Protokoll ratifizieren und umsetzen
Drucksache 14/6542
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit
zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten
Dr. Peter Paziorek, Cajus Caesar, Marie-Luise
Dött, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
zur Abgabe einer Erklärung der Bundesre-
gierung
6. Weltklimakonferenz Chancen für mehr
Klimaschutz
zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit
Homburger, Marita Sehn, Ulrike Flach, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Agenda für eine Initiative Deutschlands zum
internationalen Klimaschutz
zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach,
Birgit Homburger, Rainer Brüderle, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der F.D.P.
Solarbericht
Drucksachen 14/4887, 14/4890, 14/1234,
14/6187
Berichterstattung:
Abgeordnete Monika Ganseforth
Bernward Müller
Dr. Reinhard Loske
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter
c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Nationales Klimaschutzprogramm
Fünfter Bericht der Interministeriellen Ar-
beitsgruppe CO2-Reduktion
Drucksache 14/4729
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-
schaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit zu dem An-
trag der Abgeordneten Birgit Homburger, Marita
Sehn, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der F.D.P.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Andrea Nahles
17943
Börsenhandel mit Emissionszertifikaten in
Deutschland konkret vorbereiten
Drucksachen 14/4395, 14/5588
Berichterstattung:
Abgeordnete Monika Ganseforth
Marie-Luise Dött
Dr. Reinhard Loske
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen zu dem Antrag der
Abgeordneten Horst Friedrich , Hans-
Michael Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
CO2-Ausstoß im Gebäudebereich senken
Drucksachen 14/660, 14/5302
Berichterstattung:
Abgeordneter Norbert Formanski
f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit zu dem An-
trag der Abgeordneten Dr. Christian Ruck,
Dr. Peter Paziorek, Dagmar Wöhrl, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Offensive zur Reduktion von CO2-Emissionen
im Gebäudebestand starten
Drucksachen 14/4379, 14/5596
Berichterstattung:
Abgeordnete Monika Ganseforth
Dr. Christian Ruck
Dr. Reinhard Loske
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter
Paziorek, Dr. Christian Ruck, Kurt-Dieter Grill,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Die 6. Vertragsstaatenkonferenz muss
zum Erfolg führen Für eine nachhaltige Ent-
wicklungs- und Klimapolitik
Drucksache 14/6439
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Marita Sehn, Ulrike Flach, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Initiative Deutschlands für einen Durchbruch
beim internationalen Klimaschutz
Drucksache 14/6547
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva
Bulling-Schröter, Dr. Winfried Wolf, Rolf
Kutzmutz, Ulla Lötzer und der Fraktion der PDS
Klimapolitik international und national auf
eine neue Grundlage stellen
Drucksache 14/6570
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Es gibt
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Herr Staatsminister Hans Martin Bury.
H
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Mit der am 16. Juli in Bonn beginnenden Klima-
konferenz der Vereinten Nationen gehen die jahrelangen
Bemühungen um ein verbindliches Klimaschutzabkom-
men in die entscheidende Phase.
Der Bundeskanzler hat bei seinem Besuch in Washing-
ton deutlich gemacht, dass das Kioto-Protokoll gegen-
wärtig die einzige Basis für den weltweiten Klimaschutz
bildet. Die Bundesregierung hält deshalb am Kioto-Proto-
koll fest und setzt sich für den erfolgreichen Abschluss der
Klimakonferenz ein.
Dass Frau Merkel bei ihrem USA-Besuch Verständnis
für die amerikanische Position zeigt, stimmt mich aller-
dings nachdenklich.
Sie scheint alles vergessen zu haben, was sie als Umwelt-
ministerin noch für richtig hielt, und nicht nur das: Sie iso-
lieren Deutschland in Europa, so wie Sie in der Außen-
und Sicherheitspolitik unser Land im Bündnis isolieren
wollen.
Das ist nicht nur Ausdruck mangelnder Regierungsfähig-
keit. Der Sonderweg der Union ist eine Sackgasse.
Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen
Union haben in Göteborg erneut ihre Bereitschaft bekräftigt,
die in Kioto eingegangenen Verpflichtungen zur Verminde-
rung der Treibhausgase zu erfüllen. Der Bundeskanzler wird
beim G-8-Gipfel in Genua mit seinen Kollegen aus der EU
darauf drängen, dass auch die anderen großen Industrielän-
der ihren Teil der Verantwortung übernehmen und damit in
Bonn der Durchbruch geschafft wird.
Von den Gegnern einer aktiven Klimaschutzpolitik
wird immer wieder behauptet, ein wirksamer Klimaschutz
vertrage sich nicht mit einer erfolgreichen wirtschaftlichen
Entwicklung. Das genaue Gegenteil ist richtig.
Für die Bundesregierung ist die Steigerung der Energie-
effizienz ein Schlüssel zur Modernisierung der Volks-
wirtschaft.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
17944
Damit vermindern wir die Abhängigkeit von Ölimporten
und stärken unsere Wettbewerbsfähigkeit. Ein Quanten-
sprung bei der Energieeffizienz, kombiniert mit einem
massiven Ausbau der erneuerbaren Energien das ist die
Erfolg versprechende Doppelstrategie der Bundesregie-
rung, das ist unsere Strategie für eine nachhaltige Ent-
wicklung. Von dieser Art Klimaschutz gehen wichtige Im-
pulse für Wirtschaft und Beschäftigung aus.
Aus Anlass der Bonner Klimakonferenz wird auch
deutlich werden, wer nur wohlfeile Bekenntnisse für den
Klimaschutz abgibt und wer aktiv etwas zur Senkung der
CO2-Emissionen tut. An Bekenntnissen zum Klima-
schutz hat es die frühere Bundesregierung nie fehlen las-
sen. Helmut Kohl hat in Rio weit reichende Beschlüsse
mit gefasst. Der Beitrag zur Erreichung dieser Ziele be-
schränkte sich auf den Zusammenbruch der ostdeutschen
Industrie.
Wir wollen blühende Landschaften nicht durch De-
industrialisierung, sondern durch Modernisierung. Ich
setze auf ein magisches Viereck aus Wachstum, Energie-
effizienz, Ressourceneffizienz und Beschäftigung.
Mit konkreten Schritten kommen wir diesem Ziel näher:
Erstens. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz erweist
sich weltweit als das erfolgreichste Förderkonzept. In
keinem anderen Land drehen sich so viele Windräder wie
bei uns.
Zweitens. Mit der Biomasseverordnung schaffen wir
die Voraussetzungen dafür, dass sich in den nächsten zehn
Jahren die Stromproduktion aus Biomasseanlagen ver-
fünffachen wird. Das ist für die Umwelt und für die Land-
wirtschaft gut.
Drittens. Mit der Wirtschaft haben wir eine anspruchs-
volle Vereinbarung zum Klimaschutz getroffen, bis 2010
die CO2-Emissionen um 43 Millionen Tonnen zu redu-
zieren.
Viertens. Auch bei der Kraft-Wärme-Kopplung ist
uns der Durchbruch gelungen. Die Eckpunkte eines
Konzepts zur Modernisierung und zum Ausbau der Kraft-
Wärme-Kopplung wurden vom Kabinett gestern be-
schlossen. Fortschrittliche Technologien, wie Brennstoff-
zellen und Blockheizkraftwerke, werden besonders
gefördert.
Fünftens. Für die Sanierung des Gebäudebestandes
hat die Bundesregierung ein Milliardenprogramm auf-
gelegt. Damit werden Investitionen von rund 10 Milli-
arden DM angestoßen und 5 bis 7 Millionen Tonnen CO2
eingespart. Zugleich leistet das Programm einen wich-
tigen Beitrag zur Beschäftigungssicherung, vor allem in
Handwerk und Bauwirtschaft.
Sechstens. Der Benzinverbrauch sinkt. Die Bild-Zei-
tung nicht gerade verdächtig, Propaganda für die öko-
logische Steuerreform zu betreiben jubelte gestern
ich zitiere :
Auch die Autofahrer können den viel zitierten
Benzinhahn zudrehen nur eben am anderen Ende
der Leitung.
Die Bundesregierung hat den Bereich Klimaschutz und
Energie als prioritäres Handlungsfeld einer nachhaltigen
Entwicklung festgelegt. In der vergangenen Woche hat
das Green Cabinet, der Staatssekretärsausschuss für nach-
haltige Entwicklung, weitere Projekte beschlossen und
auf den Weg gebracht. Wir wollen beim Ausbau der er-
neuerbaren Energien neue Wege gehen: Die Zukunft der
Windenergie liegt im Meer. Wir machen den Weg für die
Errichtung von Offshorewindanlagen frei. Solche Wind-
parks können in 25 bis 30 Jahren rund 85 Terawattstunden
Strom liefern. Das entspricht der Stromproduktion von
acht Kernkraftwerken. Damit holen wir die erneuerbaren
Energien aus der Nische und ersetzen konventionelle
Kraftwerke.
Die Brennstoffzelle bringt den notwendigen Quanten-
sprung bei der Energieeffizienz. Die Entwicklung im
Bereich der Informations- und Kommunikationstechno-
logien zeichnet vor, welchen Weg wir auch im Energie-
bereich erfolgreich beschreiten können. So wie wir vom
Großrechner über mittlere Datentechnik zu vernetzten
PCs und mobilen Anwendungen gekommen sind, so wol-
len wir von Großkraftwerkstechnologien zu einem Inter-
net dezentraler Energieproduktion kommen.
Im Verkehrsbereich setzen wir auf Effizienzsteigerun-
gen und auf neue Antriebssysteme. Ich möchte, dass das
erste wasserstoffbetriebene Auto in Deutschland in Serie
geht.
Es könnte uns in Deutschland, rein ökonomisch be-
trachtet, egal sein, wenn andere Staaten die Chancen die-
ser Zukunftstechnologien nicht wahrnehmen und freiwil-
lig die erste Startreihe beim Rennen um die Märkte von
morgen räumen. Aber die ökologischen Folgen kennen
keine Grenzen. Wir werden uns deshalb dafür einsetzen,
dass die Bonner Klimakonferenz ein Erfolg wird für
Wachstum, für Umwelt und für mehr Beschäftigung.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Peter Paziorek.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundes-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Staatsminister Hans Martin Bury
17945
tagsfraktion steht zum Kioto-Prozess. Wir wollten ihn und
haben ihn auch maßgeblich durch die damalige Umwelt-
ministerin, Frau Merkel, mitgestaltet.
Ich komme noch dazu, weshalb wir dem Antrag nicht
zustimmen können. Auch wir haben kein Verständnis
für die rigide Vorgehensweise der neuen amerikanischen
Regierung, die ihre Bereitschaft aufgekündigt hat, weiter
im Rahmen des Kioto-Prozesses zu verhandeln.
Dies ist die eine Seite des Problems.
Andererseits wird es langsam Zeit, im Vorfeld der Kon-
ferenz von Bonn, den Realitäten ins Auge zu sehen und
den Stand der internationalen Verhandlungen wahrzuneh-
men. Die Rede, die wir gerade von Ihnen, Herr Staats-
minister Bury, gehört haben, hätten Sie vor vier Wochen
halten können, aber nicht wenige Tage vor der Klima-
konferenz in Bonn. Die Realitäten sehen leider etwas an-
ders aus, als sie eben von Ihnen beschrieben wurden.
Der große Fehler bei Ihrem Vortrag war nämlich, allein
eine auf Deutschland bezogene Nabelschau durchzu-
führen. Deshalb ist es wichtig, dass wir heute einmal fra-
gen, wie die Realitäten wirklich aussehen.
Nachdem die Japaner haben erkennen lassen, dass sie
nicht bereit sind, dabei mitzumachen, die Amerikaner zu
einer Revision ihrer Haltung zu bringen das ist ja wohl
die Nachricht der letzten Tage , besteht keine Chance
mehr auf einen Kompromiss, der mithilfe der Japaner ge-
gen die USA durchgesetzt werden könnte. Nun stellt sich
die Frage, ob wir, um den Kioto-Prozess weiter fortzu-
setzen, eine Koalition in Bonn gegen die Vereinigten Staa-
ten zustande bringen können. Theoretisch ist das möglich.
Wenn wir es schaffen, eine Staatengruppe zusammen-
zubekommen, auf die 55 Prozent des CO2-Ausstoßes ent-
fallen, ist das möglich. Das ist aber sehr riskant. Die
Parlamentarische Staatssekretärin hat ja gestern im Um-
weltausschuss geschildert, dass man, wenn man Russ-
land, Japan und Europa zusammenzieht, gerade auf
57 Prozent des CO2-Ausstoßes kommt. Daran kann man
erkennen, wie riskant es ist, zu versuchen, eine Koalition
gegen die USA zustande zu bringen.
Natürlich ist es auch nach Ansicht der CDU/CSU-
Bundestagsfraktion völlig falsch, wegen der schwierigen
Verhandlungslage von einer international abgestimmten
Klimaschutzpolitik Abstand zu nehmen. Wir wissen: Die
Bekämpfung des Klimawandels bzw. der Erderwärmung
hat keine Chance, wenn jedes Land für sich alleine Kli-
maschutzpolitik betreiben würde. Die Welt braucht somit
für eine wirklich erfolgreiche Klimaschutzpolitik eine ge-
meinsame Vorgehensweise. Alles andere bliebe Stück-
werk.
Wenn wir dieses Ziel wirklich erreichen wollen, dann
stellt sich die Frage: Was soll in 14 Tagen die Grundlage
für die Verhandlungen in Bonn sein? Da sagen wir als
Erstes Herr Bury, Sie haben die alte Nomenklatur weiter
fortgeführt; das ist falsch : Wir Europäer dürfen nicht zu
Gefangenen unserer eigenen Maximalforderung werden.
Wenige Tage vor Bonn brauchen wir eine realistische Po-
sition. In Den Haag haben wir es doch erlebt. Dort sind
wir mit den Worten aufmarschiert: Wir Deutschen wollen
nicht einen Erfolg um jeden Preis. Das waren starke
Worte, die da vom Bundesumweltminister kamen. Was
war das Ergebnis? Die starken Worte haben nichts ge-
bracht; die Konferenz in Den Haag ist vielmehr geschei-
tert. Wollen Sie das Gleiche für Bonn? Auch Sie wollen
das nicht. Sie müssen rechtzeitig ein besonders gutes Ver-
handlungsklima schaffen, damit sich in Bonn nicht Den
Haag wiederholt. Das ist doch das große Problem.
Wenn man sich den Antrag der rot-grünen Koalition
anschaut, dann hat man den Eindruck,
dass Sie überhaupt keine gemeinsame internationale Kli-
maschutzpolitik mehr anstreben.
Sie wissen, dass das schwierig ist, und wollen nun tatsäch-
lich nur noch Ihre reine Lehre verbreiten und nehmen
dafür in Kauf, dass die Konferenz in Bonn genauso wie
die in Den Haag scheitert.
Wir sagen Ihnen: Eine solche Klimaschutzpolitik ist un-
verantwortlich.
Es ist notwendig, bei den Verhandlungen über noch of-
fene Punkte aus dem Kioto-Prozess eine mittlere Linie
einzunehmen, die es uns einerseits erlaubt, den Prinzipien
und Zielvorstellungen des Kioto-Prozesses gerecht zu
werden, die aber andererseits so flexibel angelegt ist, dass
es tatsächlich in Bonn zu einer konstruktiven Lösung
kommt. Zur Bewältigung dieser wichtigen Aufgabe steht
in Ihrem Antrag nichts; Sie wiederholen nur die alten
Floskeln. Es ist aber wichtig und notwendig, dass wir
diese Aufgabe bewältigen. Von einer Flexibilität ist so-
wohl bei Herrn Trittin als auch bei vielen Umweltmi-
nistern in der Europäischen Union leider nichts zu sehen.
Wir wissen zum Beispiel, dass der Vorschlag des nie-
derländischen Umweltministers Pronk auch aus deut-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Dr. Peter Paziorek
17946
scher Sicht nicht in allen Punkten zufriedenstellend ist. Es
wäre aber ein positives Signal, einmal darüber nachzu-
denken, ob das nicht eine Verhandlungsgrundlage wäre,
um den Kioto-Prozess in Bonn erfolgreich zu Ende zu
bringen.
Bis gestern ist uns im Ausschuss gesagt worden wenn
Sie mehr wissen, Frau Ganseforth, ist das vielleicht Ihrer
Nähe zum Regierungslager zu verdanken , dies sei keine
geeignete Grundlage für die Verhandlungen in Bonn. Ich
sage ganz deutlich: Hier sollte sich die Europäische Union
endlich einmal bewegen.
Wir warnen davor, bei den Verhandlungen in Bonn zu
hoch zu pokern; denn dann könnte am Ende erneut das
negative Den Haager Ergebnis herauskommen. Die tak-
tischen Fehler der Europäischen Union wie auch unseres
Umweltministers in Den Haag dürfen sich nicht wieder-
holen. Ziehen Sie deshalb Ihren Antrag zurück, den Sie
hier im Bundestag vorgelegt haben.
Er ist letztlich ein einziger Angriff auf eine Politik, die
auch wir von der inhaltlichen Zielsetzung her nicht für gut
halten das sage ich noch einmal ganz deutlich , würde
aber das Verhandlungsklima für Bonn ganz maßgeblich
beeinträchtigen. So werden Sie es niemals schaffen, dass
wir in Bonn eine Mehrheit für einen sinnvollen Kioto-
Prozess zustande bekommen. Sie werden so auch den in-
ternationalen Klimaschutz nicht einen Zentimeter weiter-
bringen. Kommen Sie vielmehr zu einer soliden und
realistischen Verhandlungskonzeption zurück! Nur dann
hat die Europäische Union eine Chance, bei den interna-
tionalen Verhandlungen weiterzukommen.
Mit großen Worten allein, wie sie die Europäische
Union in den letzten Tagen von sich gegeben hat, kann
man keine glaubwürdige Klimaschutzpolitik betreiben.
Angesichts der rückläufigen CO2-Reduktionszahlen in
vielen Staaten der Europäischen Union können Zweifel an
der Glaubwürdigkeit manch harter Klimaschutzposition
eines europäischen Staates angebracht sein. Manchmal
habe ich auch das Gefühl, dass von vielen europäischen
Staaten nur große Worte gemacht werden,
um von den eigenen Fehlentwicklungen abzulenken. Vor
dem Hintergrund der neuesten Zahlen kann man leider nur
feststellen: So geradlinig ist die Klimaschutzpolitik in
vielen anderen europäischen Staaten im Vergleich zu un-
serer eigenen Position auch nicht.
Herr Bury, vielleicht haben Sie sich als neuer Umwelt-
minister versucht.
Wer weiß, welche Wechsel noch für das eine Jahr ange-
dacht sind. Ich kann Ihnen nur sagen: Mit Ihren starken
Worten
Ja, was war überhaupt stark daran? Vielleicht hätte man
das stark vortragen können. Mit einer solchen Rede
schaffen Sie es nicht, die Glaubwürdigkeit Deutschlands
vor der Konferenz in Bonn zu verbessern. Sie haben zwar
gesagt, Sie hätten im Kabinett dieses und jenes verab-
schiedet. Aber die Zahlen sprechen eine andere Sprache:
Der CO2-Ausstoß geht nicht weiter zurück. Sie haben
auch im Kabinettsbeschluss zum Klimaschutz Vorgaben
gemacht, in welchen Bereichen wie viele Millionen Ton-
nen CO2 eingespart werden sollen. Ich bin einmal ge-
spannt, ob sich die deutsche Realität danach ausrichtet,
was Sie im Kabinett beschlossen haben. Ich habe vielmehr
den Eindruck, Sie haben dies beschlossen, um für die ak-
tuelle Diskussion überhaupt ein Zahlengerüst zu haben.
Sie haben im Augenblick noch kein wirklich belast-
bares Energiekonzept, das die großen Fragen, wie der
CO2-Ausstoß in Deutschland langfristig sinnvollerweise
reduziert werden kann, beantwortet. Sie haben auch noch
kein Energiekonzept vorgelegt, das eine Antwort auf den
Atomausstieg geben kann. Es gibt da noch eine große Kli-
malücke. Deshalb kann man nur deutlich sagen: Wir in
Deutschland sind mit dieser rot-grünen Politik der letzten
Jahre leider in eine klimapolitische Sackgasse geraten.
Damit hat Deutschland auch an klimapolitischer Glaub-
würdigkeit verloren.
Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion kann ich nur
klar und deutlich sagen, dass folgende Positionen im Vor-
feld der Klimakonferenz vertreten werden sollten:
Erstens. Die Europäische Union muss am erfolg-
reichen Abschluss des Kioto-Protokolls festhalten
und darf auch keine Aufweichung der Zielsetzung zu-
lassen.
Sie muss aber im Gegensatz zu dem, was in Ihrem Pa-
pier vorgesehen ist flexibel verhandeln, damit in Bonn
tatsächlich eine Mehrheit für eine solche Zielsetzung er-
reicht werden kann.
Sie muss auch offen sein für seriöse und konstruktive
Vorschläge der USA. Wenn das jetzt in Bonn nicht ein-
zuarbeiten ist, muss deutlich gemacht werden, dass wir
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Dr. Peter Paziorek
17947
einen Nachfolgeprozess brauchen, der darauf ausgerich-
tet ist, dass auch die Amerikaner irgendwann wieder in
den Klimaprozess einsteigen.
Wenn ich Ihren Antrag sehe, kann ich nur sagen: Wir
müssen bei den Klimaverhandlungen von einer Position
der Eifersüchteleien wegkommen. Die Sache ist in den
letzten Wochen leider nicht so gelaufen, wie wir es uns ge-
wünscht haben. Jetzt kommt es darauf an, dass wir ein
Verhandlungsklima schaffen, in dem sich alle beteiligten
Industrienationen wieder in den Kioto-Prozess einreihen
können.
Zweitens. Der Umfang der globalen klimapolitischen
Herausforderung zwingt national und international dazu,
die Reduktionsziele mit dem geringsten ökonomischen
Aufwand anzustreben. Dies bedeutet verstärkte Techno-
logieforschung und Technologieoffenheit sowie die
Bereitschaft auch da fehlen mir die Signale aus dem Re-
gierungslager , die flexiblen Instrumente so auszuge-
stalten, dass von ihnen ein Anreiz zu internationaler Zu-
sammenarbeit ausgeht.
Drittens. Die Entwicklungsländer sind schneller in die
Klimaschutzpolitik einzubeziehen, als es noch in
Kioto vorgesehen war. Dadurch können wir die Treibhaus-
gasemissionen vielleicht mittelfristig stärker reduzieren.
Viertens. Die Entwicklungshilfe muss national wie
international wieder verstärkt werden. In diesem Bereich
gibt der jetzige Haushalt der Bundesregierung leider
ein ganz schlechtes Bild; denn Sie haben die Ent-
wicklungshilfezahlen entgegen Ihren starken Worten re-
duziert.
Wir sagen ganz deutlich, Herr Trittin: Unterstützung in
der Sache, wenn es sinnvoll ist, immer. Deshalb sagen
wir: Verhandeln Sie in Bonn hart und überzeugend, aber
letztlich auch in Kenntnis der Tatsache, dass am rot-grü-
nen Wesen das Kioto-Protokoll leider nicht wird genesen!
Das Wort hat
jetzt der Herr Bundesminister Jürgen Trittin.
Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Lieber Herr Paziorek, bei manchen
Reimen schüttelt es denn einen. Ich finde eigentlich, dass
wir es gar nicht nötig haben, den Konsens, den wir in der
Frage des Klimaschutzes in der Bundesrepublik quer
durch alle Parteien haben das ist der entscheidende Un-
terschied zu den USA , hier mit so schlechter Literatur
zu zerreden.
Herr von Klaeden stimmt mir zu; ich freue mich.
Sie haben gesehen, dass die schleswig-holsteinische
Landesregierung dieser Tage eine halbe Milliarde DM zur
Verfügung gestellt hat, weil sie aufgrund der Erkenntnisse
des Wissenschaftlergremiums zum Klimawandel fest-
gestellt hat, dass sie die Deiche in ihrem Land einen hal-
ben Meter höher setzen muss, weil damit zu rechnen ist,
dass der Meeresspiegel aufgrund der Klimaentwicklung
ansteigt. Das ist eine der merkwürdigsten Formen des Kli-
maschutzes, die wir zurzeit erleben. Wir müssen als Folge
einer Wirtschaftsweise, die ungebremst weltweit zu ei-
nem CO2-Anstieg führt, Geld ausgeben, um Deiche zu
bauen. Das ist nachsorgender Umweltschutz, das ist
schlechter Umweltschutz. Das ist genau das, was wir mit
dem Kioto-Protokoll zu vermeiden und zu verhindern
versuchen.
Das Wesentliche, der Kern des Kioto-Protokolls ist
nicht die einzelne Reduktionsverpflichtung. Der Kern des
Kioto-Protokolls ist ein völkerrechtlich verbindliches
Abkommen, das diejenigen, die die Hauptverursacher des
Problems sind das sind nun einmal immer noch die In-
dustriestaaten , auffordert, tatsächliche Reduktionsleis-
tungen zu erbringen. Darauf können wir auch Ihre Rede
zusammenfassen; das ist Konsens hier im Hause.
Flexibel und fest heißt,
dass wir ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen
wollen, das sich nicht in kleinkarierter Manier über das
eine oder andere Detail ereifert, sondern im Ergebnis zu
wirklichen Reduktionen führt, und zwar nicht kurzfristig,
sondern langfristig. Das muss doch der Konsens sein.
Dies ist das Ziel, das wir auf der Klimakonferenz in
Bonn verfolgen werden.
Das ist das Ziel, auf das wir hinverhandeln. Das war übri-
gens auch der Gedanke, der dahinter stand, als wir noch
in der letzten Nacht der Konferenz in Den Haag einen
Kompromiss vorgelegt haben, in dem es den Japanern
ermöglicht wurde, die in Japan vorhandenen Senken auf
ihre Mengen an CO2 anzurechnen, was ihnen erlaubte, ihr
Problem zu lösen. Sie können sich darauf verlassen, dass
wir in Bonn in dieser Frage nicht anders verhandeln wer-
den, als wir dies in Den Haag getan haben.
Eine Erschwernis ist hinzugekommen: Die USA haben
erklärt das ist weder nachvollziehbar noch glaubwür-
dig , dass sie das Kioto-Protokoll nicht ratifizieren wer-
den; wir bedauern dies nachdrücklich. Man muss sich das
einmal klarmachen: 25 Prozent der weltweiten CO2-
Emissionen, die von den USAverursacht werden, sind das
größte Schlupfloch, über das wir je gesprochen haben.
Aber die Gegenfrage muss doch lauten: Sollen wir we-
gen dieses Ausstieges der USA die restlichen 75 Prozent
der CO2-Emissionen ohne Begrenzung lassen? Dazu sage
ich: Nein. Wir werden uns alle Mühe geben und uns an-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Dr. Peter Paziorek
17948
strengen müssen, die USA, die erklärt haben, sie wollten
freiwillig reduzieren, perspektivisch in den Kioto-Prozess
und die sich daraus ergebenden Verpflichtungen zurück-
zuholen.
Aber wir als die Verantwortlichen dürfen uns nicht von ei-
nem Land daran hindern lassen, unseren Weg zum Kli-
maschutz fortzusetzen. Das ist doch die Linie.
Ich will nicht auf die einzelnen Debatten Bezug nehmen,
zum Beispiel darauf, ob wir durch diese Position an
Glaubwürdigkeit verloren haben oder nicht. So schlecht
scheint unser Standing in den internationalen Verhand-
lungen nicht zu sein.
Natürlich ist es richtig, dass dieser Weg schwieriger ist.
Dennoch sage ich: Wir sollten den Versuch machen, eine
Vereinbarung hinzubekommen, die es uns erlaubt, das
Kioto-Protokoll im Jahre 2002 tatsächlich in Kraft treten
zu lassen, was heißt, dass alle Staaten noch zehn Jahre
Zeit haben, bis die erste Verpflichtungsperiode abgelau-
fen ist. Wir haben damit vergleichsweise weniger Schwie-
rigkeiten als andere. Eine Reduktion von 18 Prozent der
Treibhausgasemissionen haben wir umgesetzt. Dies um
drei Prozentpunkte auf 21 Prozent das ist die im Kioto-
Protokoll geforderte Zahl zu erhöhen, das kann man
schaffen. Aber in anderen Staaten, auch in Nachbarstaa-
ten, sieht die Lage anders aus. Da kann ich vieles von
dem, was Sie, Herr Paziorek, gesagt haben, unter-
schreiben.
Jetzt habe ich Herrn Müller verwirrt. Aber auch das
muss einmal sein.
Deswegen wird es bei der Frage das muss ich an die-
ser Stelle betonen , ob wir es schaffen, unser Ziel zu er-
reichen, auf der Konferenz in Bonn eine ratifizierbare
Vereinbarung hinzubekommen, auf Japan ankommen.
Ich rate, im Hinblick auf die Behandlung Japans sehr vor-
sichtig zu sein. Die japanische Regierung hat anlässlich
eines Besuches der EU-Troika in Japan erklärt, sie habe
noch nicht entschieden, wie sie das Problem löse, dass sie
auf der einen Seite sage, sie wolle das Kioto-Protokoll in
Kraft treten lassen, dass sie aber auf der anderen Seite
sage, sie wolle das am liebsten zusammen mit den Ame-
rikanern machen. Ich erwarte, ehrlich gesagt, nicht, dass
die japanische Regierung dies vor der Bonner Konferenz
entscheiden wird. Denn es wird darauf ankommen, was
für Japan in dem auszuhandelnden Lösungspaket enthal-
ten sein wird.
Aber ich denke schon, dass wir uns der Mühe unter-
ziehen sollten, die japanische Regierung, die aus eigenen
Gründen, nämlich aus Gründen der Reduktionsverpflich-
tung, ratifizieren will, in die Situation zu bringen, dass sie
nur noch vor der Entscheidung steht: Soll wegen Japan
das erste große internationale Umweltabkommen schei-
tern, das mit dem Namen der japanischen Stadt Kioto ver-
bunden ist? Das wird neben vielen anderen Fragen, zum
Beispiel, wie man mit flexiblen Mechanismen umgeht,
die Schlüsselfrage sein.
Selbstverständlich sind wir uns alle einig, dass das
Pronk-Papier natürlich nicht die darin enthaltenen ein-
zelnen Positionen, aber das Papier insgesamt die Ver-
handlungsgrundlage dafür sein wird. Dies ist immer un-
sere Position gewesen. Die entscheidende Frage wird aber
sein, ob es uns gelingt, Japan dazu zu bewegen, zu dem
folgenden Bekenntnis, das Europa und Japan immer ge-
meinsam getragen haben, zurückzukehren: Wir brauchen
ein international verbindliches Abkommen, das zu wirkli-
chen Reduktionen führt.
Lassen Sie mich zum Abschluss darauf hinweisen, dass
es in Bonn eine Aktion von Umweltverbänden geben
wird, die eine große Arche Noah bauen werden. Sie wol-
len damit mahnen, die Klimaverhandlungen zu einem Er-
folg zu führen. Ich halte diese Mahnung für unterstüt-
zenswert. Dennoch sollten wir uns hier im Deutschen
Bundestag darin einig sein: Boote zu bauen und Deiche zu
erhöhen mag vielfach notwendig sein. Aber dies kann
nicht die einzige Antwort auf die größte umweltpolitische
Herausforderung auf diesem Globus sein. Deswegen
müssen wir in Bonn vom Verhandeln zum wirklichen
Handeln kommen. Ich denke, dafür gibt es in diesem
Hause einen breiten Konsens. Das ist erfreulich.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Birgit Homburger.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die wissenschaftlichen Er-
kenntnisse der Klimaforschung weisen eindeutig darauf
hin, dass es einen Zusammenhang zwischen menschlicher
Aktivität und globaler Erwärmung gibt. Es mag zwar kei-
nen endgültigen Beweis dafür geben. Aber die weltweit
verfügbaren Daten, Berechnungen und vor allen Dingen
die übereinstimmenden Aussagen der Mehrzahl von Wis-
senschaftlern unterschiedlicher Disziplinen lassen keinen
anderen Schluss mehr zu.
Eine andere politische Option als unverzügliches Ge-
gensteuern, als ein wirksamer nationaler und internatio-
naler Klimaschutz lässt sich nach dem gegenwärtigen Er-
kenntnisstand nicht vertreten. Deshalb bekräftigt die
F.D.P. das nationale Klimaschutzziel, die CO2-Emissio-
nen in Deutschland bis zum Jahre 2005 gegenüber 1990
um 25 Prozent zu senken.
Die in Kioto festgelegten Minderungsziele für Treib-
hausgase sind aus unserer Sicht ein unverzichtbarer erster
Schritt in Richtung eines wirksamen internationalen Kli-
maschutzes. Deshalb kommt der Konferenz in Bonn eine
ganz besondere Bedeutung zu. Es gilt, den Weg frei zu
machen für die Ratifizierung des Kioto-Protokolls, um es
in Kraft zu setzen. Die Ablehnung des Kioto-Protokolls
durch die Regierung der USA war dabei ein schwerer
Rückschlag, den es zu überwinden gilt. Dazu ist es vor
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Bundesminister Jürgen Trittin
17949
allem nötig, zu vermitteln. Das heißt, einerseits den Ge-
sprächsfaden mit den USA nicht abreißen zu lassen und
andererseits mit besonderem Engagement Verbündete für
den internationalen Prozess zu suchen
und Kompromisslinien zu erarbeiten.
Herr Trittin, ich will deutlich sagen: Regierung und
Opposition sind sich in Deutschland einig, dass es auf je-
den Fall zu einer Reduzierung von Emissionen kommen
muss und dass die Industrieländer auch einen entspre-
chenden nationalen Beitrag zu leisten haben.
Auch wenn man das akzeptiert, muss man dennoch sagen,
dass in diesem Rahmen eine höhere Flexibilität möglich
ist als die, die von Ihnen in Den Haag an den Tag gelegt
wurde. Ich finde das, was heute über den Ticker gelaufen
ist, bemerkenswert. Demnach wollen Sie Japan entge-
genkommen. Damit zeigen Sie Flexibilität. Wenn Sie das
tun, haben Sie unsere Unterstützung.
Die F.D.P. hat Sie unmittelbar nach dem vorläufigen
Scheitern der Konferenz in Den Haag aufgefordert, ent-
sprechend aktiv zu werden. Dass Sie von der Koalition
diesen Antrag im Umweltausschuss abgelehnt haben und
ihn auch hier heute ablehnen werden, ist nicht weiter
schlimm. Schlimm für Deutschland ist allerdings, dass
Sie, Herr Trittin, diese Herausforderung nicht angenom-
men haben.
Der Bericht gestern im Ausschuss hat deutlich ge-
macht, dass Sie sich bilateral bemüht haben zumindest
verglichen mit der Temperamentlosigkeit von vor Den
Haag. Immerhin haben Sie mit den USA geredet, wenn
auch erst nach der Konferenz der Minister in New York.
Es musste also erst eine Einladung von Herrn Pronk an
alle Umweltminister nach New York erfolgen, bis Sie es
für notwendig gehalten haben, Gespräche mit den USA zu
führen. Es wäre besser gewesen, Sie hätten vorher Kon-
takt aufgenommen.
Hinzu kommt aber, dass seitdem weitere Gespräche
Fehlanzeige sind. Ich finde das, was Sie gerade in Ihrer
Rede gesagt haben, völlig richtig: Wenn man die USA
zurückholen will, dann muss man intensive Gespräche
führen. Unter intensiven Gesprächen verstehe ich aber et-
was anderes als das, was Sie bisher unternommen haben.
Das Bemühen anderer Länder, wie zum Beispiel Ja-
pans, die USA zu einer Rückkehr zum Protokoll zu be-
wegen, ist bei weitem intensiver, und das, obwohl Sie eine
besondere Verantwortung für diese Konferenz tragen; sie
findet schließlich in Bonn statt.
Stattdessen wurden die Parlamentarier im Umweltaus-
schuss mehrfach dazu aufgefordert, ihre Kontakte zu nut-
zen, um international Fortschritte zu erzielen. Das hat die
F.D.P. getan. Ich habe, auch unter Nutzung von Kontak-
ten vieler Kolleginnen und Kollegen, eine Vielzahl von
Gesprächen geführt, und zwar in den USA, bei europä-
ischen Partnern, mit Abgeordneten, mit Regierungsstellen
und mit Botschaftern vieler Länder hier in Berlin. Dabei
habe ich stets deutlich gemacht, dass es für die Ratifizie-
rung unter den genannten Bedingungen in Deutschland
einen Konsens zwischen Regierung und Opposition gibt.
Die F.D.P. hat, zum Beispiel auch bei einer Reise unseres
Fraktionsvorsitzenden Gerhardt in den USA, massiv
dafür geworben, international endlich zu handeln und
nicht nur zu forschen.
Die Erfahrungen aus diesen Gesprächen zeigen mir,
dass die Aussicht für das Gelingen der Konferenz in Bonn
nicht hoffnungslos ist. Zwar ist nicht mit einer Ratifi-
zierung durch die USA zu rechnen; aber es gibt auch ohne
sie eine Chance, das Protokoll in Kraft zu setzen. Dafür
werben wir auch bei anderen Ländern. Deshalb muss
Deutschland, unabhängig vom Ausgang der Konferenz in
Bonn, endlich alle erforderlichen Schritte einleiten, die
für eine deutsche Ratifizierung erforderlich sind. Dazu
fordern wir Sie in unserem Antrag auf.
Ich frage mich ich habe diese Frage gestern an Ihre
Staatssekretärin im Ausschuss gestellt; Sie waren leider
nicht dort : Was spricht eigentlich gegen ein solches star-
kes Signal an die internationale Staatengemeinschaft? Ihr
Antrag fordert verschiedene andere Länder auf, den Ver-
trag zu ratifizieren. Sie selbst haben dazu aber keine Vor-
bereitungen getroffen.
Klar ist auch: In Deutschland gibt es für einen moder-
nen Klimaschutz noch immer kein schlüssiges Konzept,
sondern nur ein altbackenes Klimaschutzprogramm mit
den Instrumenten der 80er-Jahre, nämlich Ökosteuer, di-
rigistischen Vorschriften und teuren Subventionspro-
grammen.
Während andere europäische Länder die modernen In-
strumente des Kioto-Protokolls längst nutzen, gibt es in
Deutschland gerade einmal eine Arbeitsgruppe, die im
Verborgenen vor sich hinwurschtelt. Eine andere Arbeits-
gruppe hat mangels Interesse der Regierung zwi-
schenzeitlich entnervt aufgegeben.
Die Grünen haben zu Beginn dieser Woche beschlos-
sen, die Ökosteuer über das Jahr 2003 hinaus beizubehal-
ten. Während die CO2-Emissionen in Deutschland im
letzten Jahr erstmals wieder angestiegen sind, verzetteln
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Birgit Homburger
17950
Sie sich national in immer neuen dirigistischen Maßnah-
men. Es ist nicht im Entferntesten erkennbar, wie dieses
nationale Klimaschutzprogramm, von dem Sie immer
reden, mit den Kioto-Mechanismen verbunden werden
soll. Kurz: Es findet sich in Deutschland keine Spur von
den Instrumenten, über die in wenigen Tagen in Bonn
weiter verhandelt werden soll.
Die F.D.P. legt heute erneut einen Antrag vor, in dem
glaubwürdige Schritte zur effektiven Verminderung der
durch den Menschen verursachten Treibhausgasemissio-
nen vorgeschlagen werden. Dazu gehören vor allem die
Nutzung der flexiblen Mechanismen des Kioto-Protokolls
und die Vorbereitung des Handels mit Zertifikaten in
Deutschland. Die Erfahrungen anderer europäischer Län-
der zeigen
Niederlande, Großbritannien, Norwegen, Dänemark,
um nur vier zu nennen.
Nach Ihrem Kenntnisstand sind das wohl keine europä-
ischen Länder.
Herr Kollege Müller, Sie können nachher etwas dazu
sagen.
Die Erfahrungen dieser europäischen Länder zeigen,
dass man auf diesem Weg ökologische Wirksamkeit mit
ökonomischer Effizienz und technologischer Dynamik
verbinden kann. Dadurch erreicht man auf nationaler
Ebene Akzeptanz für den Klimaschutz sowie internatio-
nale Anerkennung und Kompetenz. Dies ist das will ich
Ihnen sagen, Herr Minister Trittin neben einem deutlich
stärkeren Engagement unserer Regierung in bilateralen
Verhandlungen dringend erforderlich, wenn wir inter-
national doch noch zu Emissionsreduktionen kommen
wollen.
Das Kioto-Protokoll darf nicht ausgerechnet in der
ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn endgültig scheitern.
Die F.D.P. wird sich weiter dafür einsetzen. Ich hoffe, Sie
tun das auch.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Eva Bulling-Schröter.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! COP 6 in Den Haag ist
gescheitert. Die Vertragsstaatenkonferenz in Bonn steht
uns bevor. Hier wird sich entscheiden, ob der Kioto-Pro-
zess endgültig scheitert oder ob wenigstens ein erster
Schritt in Richtung eines globalen Klimaschutzes gewagt
werden kann. Das wäre allerdings unserer Meinung nach
nur ein sehr kleiner Schritt. Denn ich darf daran erinnern,
dass nach dem Kioto-Protokoll von den Industrie- und
MOE-Staaten bis zum Jahre 2012 global 5,2 Prozent der
Klimagase eingespart werden sollen.
Nun sollen gleichzeitig genau diese Länder ihren Kli-
magasausstoß bis zum Jahre 2050 um 80 Prozent verrin-
gern. So wollen es das IPPC, die Klima-Enquête des Bun-
destages, an die ich noch einmal erinnern möchte, und
auch die Bundesregierung. Würde aber das Tempo von
Kioto beibehalten, würde der Klimagasausstoß bis zum
Jahre 2050 um lediglich 15 Prozent gesenkt. Dann käme
auf uns nicht nur der Klimawandel, sondern auch eine
Klimakatastrophe zu. Das sollten wir nicht vergessen.
Doch nun steht selbst dieses langsame Tempo für die ers-
ten Jahre infrage. Die USA blockieren den Kioto-Prozess,
angeblich um die Wirtschaft am Brummen zu halten.
Wenn jede Regierung für sich das Recht in Anspruch
nähme, wegen einer vermeintlichen oder tatsächlichen
Bedrohung der Interessen des eigenen Staates andere Län-
der anzugreifen so wie es Washington für sich selbst-
herrlich tut , müsste nun die gesamte Völkergemein-
schaft über die USA herfallen; denn sie ist der mit weitem
Abstand größte CO2-Emittent der Welt und schert sich ei-
nen Dreck darum.
Doch nicht nur die US-Regierung und die amerikani-
sche Wirtschaft betreiben eine Umweltaggression ich
bezeichne das jetzt so , sondern fast alle Industrie- und
Schwellenländer sind in unterschiedlichem Maße daran
beteiligt. Zudem fordern die Entwicklungsländer ihr
Recht auf Wachstum und Wohlstand ein. Ich meine, dies
ist eine sehr berechtigte Forderung.
Beim Klimaschutz innerhalb der Europäischen Union
ist im Durchschnitt zwar kein Rückschritt zu verzeichnen;
in der Tendenz sind die Ergebnisse allerdings alarmie-
rend. Der CO2-Ausstoß blieb praktisch gleich. Dennoch
ist die große Mehrheit der Mitgliedstaaten weit von ihren
Kioto-Zielen entfernt. Ziel ist laut Kioto eine Reduktion
der Treibhausgase in der EU bis zu den Jahren 2008 bis
2012 um 8 Prozent. Dies ist kaum noch zu schaffen, weil
die Treibhausgasemissionen lediglich in Deutschland,
Großbritannien und Luxemburg reduziert wurden darü-
ber wurde schon gesprochen , während sie in allen an-
deren EU-Ländern anstiegen. Laut Bericht der EU-Kom-
mission wird Europa im Jahre 2010 das niedrige Ziel des
Kioto-Protokolls für das EU-Gebiet ohne weitere Maß-
nahmen um über 80 Prozent verfehlen. Ausschlaggebend
für diese verhängnisvolle Entwicklung sind an erster
Stelle die verkehrsbedingten Emissionen.
Auch die Bundesrepublik wird ihr selbst gestecktes
Klimaschutzziel ohne zusätzliche Maßnahmen kaum
mehr erreichen. Nach einigen Jahren der Einsparung stei-
gen die Klimagasemissionen wieder an. Wie andere In-
dustriestaaten macht sich Deutschland so mitschuldig an
Überschwemmungen, Stürmen und Hungerkatastrophen,
den heute schon sichtbaren Auswirkungen des Klima-
wandels.
Deutschland hat zwar im Jahr 2000 gegenüber 1990
rund 15 Prozent Kohlendioxid eingespart. Dies beruht
aber mitnichten auf einem grundlegenden technologi-
schen und konsumtiven Wandel. Dieser steht nach wie vor
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Birgit Homburger
17951
aus. Deutschland zehrt bis heute statistisch gesehen
vom Zusammenbruch der ostdeutschen Industrie in den
neuen Ländern. Vom gesamten Rückgang der CO2-Emis-
sionen zwischen 1990 und 1999 in Deutschland entfielen
mehr als drei Viertel auf die ersten drei Jahre nach der
Wende. Kollege Bury hat dies kurz angesprochen. Seit-
dem verlangsamte sich die Reduktion drastisch.
Weitere Impulse für den Klimaschutz sind hier nicht zu
erwarten. Im Jahre 2000 stiegen die Emissionen dann
auch in ganz Deutschland wieder temperaturbereinigt um
1 Prozent gegenüber dem Vorjahr an. Ohne eine radikale
Wende, vor allem in der Verkehrspolitik, wird sich diese
Entwicklung unserer Meinung nach fortsetzen. Es gibt
genügend Umweltinstitute, die dies immer wieder an-
prangern.
Auch im Bereich der Energieumwandlung sind die
Weichen unserer Meinung nach falsch gestellt. Im so
genannten Konsens zwischen der deutschen Stromwirt-
schaft und der Bundesregierung zur Förderung der klima-
freundlichen Kraft-Wärme-Kopplung sollen praktisch
nur existierende Anlagen unterstützt werden. Doch gerade
in der Industrie könnten mit neuen, größeren Kraft-
Wärme-Kopplungsanlagen Emissionen effizient verhin-
dert werden. Riesige CO2-Einsparmöglichkeiten werden
verschenkt, weil die Stromerzeuger weitere Konkurrenten
auf dem Energiemarkt verhindern wollen.
Frau Homburger, von dirigistischen Maßnahmen ist
wirklich nichts zu sehen; im Gegenteil: Manchmal fehlen
sie. Das heißt, der Klimaschutz steckt national und inter-
national in der Krise und die Wirtschaftsinteressen,
insbesondere die der internationalen Mineralöl- und Au-
tomobilkonzerne, setzen sich regelmäßig gegen den glo-
balen Umweltschutz durch. Die Folge davon man kann
das sehen sind unzureichende Zielstellungen in den Ver-
trägen oder gar der Bruch von Verträgen. Vor diesem Hin-
tergrund wird Bonn sehr schwierig werden.
Die hilflosen Instrumente der Klimaschutzpolitik setz-
ten auf hochkomplizierte Regelwerke wie den fossilen
Emissionshandel und Anrechnungsverfahren. Schlupf-
löcher für die fossil-atomaren Energiestrukturen sind vor-
programmiert, müssen aber wir diskutieren darüber
schon die ganze Zeit geschlossen werden. Internationa-
ler Klimaschutz wird nicht als Chance zu einem Übergang
ins Solarzeitalter und zur Schaffung einer ökologisch
nachhaltigen sowie sozial gerechten Mobilität, sondern
lediglich als Last und Lastenverteilung begriffen.
Wir fordern: Diese Politik muss endlich durchbrochen
werden. Wir alle müssen uns darum bemühen, dass Bonn
zumindest ein kleiner Erfolg wird, um Zeichen zu setzen.
Ich denke, die Öffentlichkeit auch in anderen Ländern
muss sich darum bemühen, Druck auszuüben.
Danke.
Jetzt hat der Ab-
geordnete Michael Müller das Wort.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Von Antonio Gramsci stammt
der Satz: Alles hat ein Innen und ein Außen. Zu den be-
klagten Zuständen gehören auch diejenigen, die diese Zu-
stände hinnehmen. Das heißt, es geht immer darum, nicht
nur zu klagen, sondern auch zu verändern. Es passt nicht
zusammen, auf der einen Seite die Globalisierung der
Umweltprobleme zu beklagen und auf der anderen Seite
zu sagen, sie seien wegen der Globalisierung auch nicht
lösbar. Diesen Zirkelschluss müssen wir durchbrechen.
Man muss sehen: Der Hauptakteur in dieser Frage, die
Vereinigten Staaten mit dem weitaus höchsten Energie-
verbrauch und den weitaus höchsten Emissionen,
pro Kopf und insgesamt ist ein Gefangener seiner ei-
genen Wachstums- und Industrieinteressen. Das zeigt sich
immer deutlicher. Die Vereinigten Staaten haben laut
Kioto-Protokoll bis zum Jahre 2010 eine Reduktion ihrer
CO2-Emissionen um 6,2 Prozent vorzunehmen. Nach
dem augenblicklichen Trend werden sie aber einen Zu-
wachs von 21 Prozent haben. Darum geht es in Wahrheit.
Wir sollten für diese einfache Tatsache nicht irgendwel-
che schiefen Erklärungen suchen. In Wahrheit ist die Kli-
maschutzpolitik in Amerika nicht durchsetzbar. Nun geht
es um die Frage, welche Schlussfolgerungen wir in Eu-
ropa und anderen Teilen der Welt daraus ziehen.
Glauben wir bei dieser Ausgangssituation und diesen
Bedingungen noch einmal: statt minus 6,2 Prozent ein
tatsächliches Wachstum von 21 Prozent im Trend im
Ernst, dass es eine Verständigung geben wird, die nur
halbwegs den von uns aufgestellten Klimaschutzzielen
entsprechen wird? Das ist das eigentliche Problem, vor
dem wir stehen. Ich teile die Position des Bundesumwelt-
ministers, dass es schon lange nicht mehr um die CO2-
Reduktion geht, die eigentlich notwendig wäre, sondern
dass es nur noch darum geht, jetzt den Einstieg in inter-
national verpflichtende Verhandlungen zu schaffen.
Wir müssen sehen: Selbst Kioto ist von der Lösung des
Klimaschutzproblems, auch unter den gegenwärtigen Be-
dingungen, kilometerweit entfernt. Deshalb ist es völlig
verfehlt, wenn Sie von Maximalpositionen reden.
Wovon haben wir uns eigentlich entfernt? Von welchen
Gemeinsamkeiten sind wir in der letzten Zeit weggekom-
men? Darin sehe ich die problematische Seite. Wenn wir
einknicken, haben die Hardliner in den USA anscheinend
Recht, wenn sie behaupten, dass wir uns nur hinter hohen,
anspruchsvollen Zielen versteckt haben, um im Zweifels-
fall sagen zu können: Weil die Amerikaner es nicht tun,
tun wir es auch nicht. Wir würden denen Recht geben,
wenn wir so handeln würden. Auch deshalb warne ich da-
vor, eine solche Strategie zu verfolgen. Ihre Strategie ist
falsch.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Eva Bulling-Schröter
17952
Ich habe einen sehr interessanten Aufsatz von Klaus
Töpfer gelesen ich nehme an, viele von Ihnen auch ,
Die Moral des Klimaschutzes. Dort heißt es:
Es gibt keine Gewinner der globalen Erwärmung.
Aber die großen Verlierer sind die Ärmsten der Ar-
men.
Es ist schon interessant, dass die Debatte eigentlich nur
in den Industriestaaten geführt wird. Dies hat viel mit der
Moral und den Interessen bei diesem Thema zu tun. Das
wollen wir nicht akzeptieren, gerade weil wir auch hier
im Hause beim Klimaschutz schon einmal sehr viel wei-
ter waren. Deshalb appelliere ich an Sie: Stützen Sie, zu-
mindest bis zu den Konferenzen, die bisherige Grund-
position!
Was beispielsweise Sie machen, Frau Homburger,
kann man einfach nicht akzeptieren: Beschlüsse, die Sie
während Ihrer Regierungszeit gefasst haben, bezeichnen
Sie jetzt als alte Kamellen. In dem Beschluss des Kabi-
netts zum Klimaschutz von 1990 ist beispielsweise die
Ökosteuer enthalten falls Sie das schon vergessen ha-
ben sollten. Die Länder, die auf diesem Gebiet heute sehr
viel weiter sind Sie haben sie genannt: zum Beispiel
Dänemark und Niederlande , haben alle die Ökosteuer;
sie verbinden sie mit weiter gehenden Instrumenten. Sie
aber wollen nicht einmal die Ökosteuer.
Was für Beispiele ziehen Sie hier heran!
Sie sind unfähig, wenn es darum geht, unangenehme
Wahrheiten zu akzeptieren und Verantwortung zu über-
nehmen. Das ist der Punkt, den man Ihnen vorwerfen
kann und den wir Ihnen leider auch vorwerfen müssen.
Betrachten wir noch einmal die Situation: Im Augen-
blick ist das Notwendige nicht durchsetzbar und das, was
durchsetzbar ist, ist weit von dem entfernt, was notwen-
dig ist. Wollen wir uns denn ernsthaft mit diesem Tatbe-
stand zufrieden geben? Die Schlüsselfrage wird sein, ob
es die Europäer mit der ökologischen Modernisierung
Ernst meinen oder nicht.
In den USA beispielsweise verbrauchen 43 Prozent
aller neu zugelassenen PKW 20 Liter oder mehr auf
100 Kilometer. Der Benzinverbrauch stieg im letzten Jahr
um 8,6 Millionen Barrel. Angesichts dessen machen wir
uns doch etwas vor, wenn wir glauben, auf der bevorste-
henden Weltklimakonferenz werde es eine akzeptable Lö-
sung geben, die im Sinne des Klimaschutzes von allen
getragen werden könne. Deshalb plädiere ich dafür, dass
Europa gerade jetzt Standfestigkeit zeigt.
Wir haben schon viel zu viel Zeit verloren. Was für
weitreichende Ziele wurden 1988, auf der ersten Welt-
konferenz zum Schutz des Klimas in Toronto, formuliert:
minus 20 Prozent bei den CO2-Emissionen bis zum
Jahre 2005! Im Augenblick gibt es mit Ausnahme der
speziellen Situation in Osteuropa gerade drei Industrie-
staaten, die knapp unter dem Niveau von 1990 liegen. Es
kann doch nicht wahr sein, dass so die Verantwortung der
Weltgemeinschaft aussieht und dass wir das auch noch
entschuldigen.
Deshalb plädiere ich sehr dafür, dass die Europäer
nicht nur Standfestigkeit zeigen, sondern die Initiative er-
greifen und eine europäische Richtlinie beschließen,
die alle EU-Staaten darauf verpflichtet, die Kioto-Ziele
auch umzusetzen. Erst dann wird es nämlich Ernst.
Frau Homburger, ich finde es ja gut, wenn viele von
uns mit amerikanischen Politikern, Vertretern der ameri-
kanischen Industrie reden. Dort ist das Bild ja auch sehr
viel differenzierter, als es hier bekannt ist.
Es gibt in den USA auch ganz andere Trends; es gibt viele
Bundesstaaten, die die gerade entgegengesetzte Richtung
der Regierung einschlagen.
Im Kern ist dies ein Streit zwischen altem und neuem öko-
nomischen Denken. Wir sollten nichts dazu beitragen,
diesem alten ökonomischen Denken auch noch Vorschub
zu leisten.
Genau, Frau Homburger: Wie viele andere war auch der
Bundeskanzler in Washington in dieser Frage vorstellig.
Sie können doch nicht so tun, als gebe es in Europa nie-
manden, der im Vorfeld Standfestigkeit gezeigt hätte im
Gegenteil!
Wir verfolgen diesen doppelten Kurs weiter: in der
Bundesrepublik durch nationale Anstrengungen glaub-
würdig zu zeigen, dass wir den Klimaschutz Ernst neh-
men, und gleichzeitig von der Europäischen Union zu ver-
langen, dass sie in dieser Frage eine gestaltende Rolle in
der Weltpolitik einnimmt, anstatt sich wie bisher zu ver-
stecken.
Manche mögens heiß heißt ein schöner Film. Aber
für unsere Politik sollte dies kein Motto sein.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Michael Müller
17953
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Kurt-Dieter Grill.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Unter-
schiede der Reden in Bezug auf die Akzentuierung sind
ganz interessant: Die einen waren eher auf die Innen-
politik gerichtet; der Einzige, der sich wirklich mit der in-
ternationalen Situation im Sinne dessen, was wir errei-
chen können, beschäftigt hat, waren Sie, Herr Trittin.
Herr Bury hat über Innenpolitik geredet.
Wir reden hier aber über globale Politik, über die Frage,
wie wir mit denen umgehen, die nicht dieselbe Auffas-
sung haben wie wir. Wir können uns ärgern und schimp-
fen; aber wir werden weder mit Schimpfen noch mit einer
Politik, wie sie im Entschließungsantrag der beiden
Koalitionsfraktionen dargelegt ist, irgendjemanden dazu
bewegen, sich positiv zu unseren Verhandlungszielen ein-
zulassen.
Herr Müller, Sie haben über damals, das Minus von
20 Prozent und darüber geredet, was alles verabredet wor-
den ist. Damals gab es einen Bundeskanzler, der sich wie
kein anderer Bundeskanzler dieser Republik in interna-
tionaler Umweltpolitik engagiert hat.
Das vermissen wir beim heutigen Bundeskanzler.
Ein Konsens im Deutschen Bundestag ist sicherlich
wichtig, auch für die Position der Bundesregierung in
Bonn. Aber das darf nicht heißen, dass wir uns nicht kri-
tisch mit dem auseinander setzen, was Sie uns hier vorle-
gen. Ich tue dies an zwei Punkten:
Erstens. Der Antrag von Rot-Grün Herr Müller, Sie
haben das gerade wiederholt ist von dem fatalen Fehler
geprägt, das Scheitern des Kioto-Prozesses und der Kli-
mapolitik einzig und allein bei der Regierung Bush abzu-
laden. Sie haben in Ihrem Antrag nicht zur Kenntnis ge-
nommen, dass Positionen, die die Bush-Politik zu Beginn
bedauerlicherweise bestimmten, längst revidiert wurden.
Das gilt etwa für die Anerkennung des Klimaproblems als
eines zentralen globalen Problems. Wenn hier gesagt wor-
den ist, Erfolg brauche ein Klima, dann ist Ihr Antrag je-
denfalls nicht dazu geeignet, das richtige Klima für Bonn
herzustellen. Sie ignorieren, wie gesagt, die Korrekturen,
die in Amerika vorgenommen worden sind, und im Übri-
gen auch die Mehrheitsverhältnisse und das Maß an Zu-
stimmung in den Häusern des amerikanischen Parla-
ments. Man kann sogar fast zu der Überzeugung kommen,
dass wegen der durch die Bush-Absage entstandenen Be-
wegung mehr Senatoren und Kongressabgeordnete für
Kioto sind als vor der Kündigung des Protokolls.
Zweitens. Der Antrag von Rot-Grün ignoriert ferner,
dass sich auch in Den Haag und in anderen Verhand-
lungsrunden eine ganze Reihe von anderen Ländern hin-
ter Amerika versteckt haben und dankbar waren, dass die
Amerikaner ihnen diese Arbeit abgenommen haben. Ehr-
lich war das nicht.
Dann sagen Sie es hier auch.
Das ist in Ihrem Antrag jedenfalls nicht zum Ausdruck ge-
kommen.
Wir sind uns auch einig, dass wir die Verlierer dort su-
chen müssen, wo Herr Müller es beschrieben hat. Aber
wenn Sie, meine Damen und Herren, wirklich an Ge-
meinsamkeit interessiert gewesen wären, dann wäre es ei-
nen Versuch wert gewesen, eine fraktionsübergreifende
Entschließung auf den Tisch zu legen. Das haben Sie nicht
ernsthaft versucht; daran waren Sie offensichtlich auch
nicht interessiert. Ich stelle das hier nur noch einmal fest,
weil Sie, Herr Trittin, für Ihre Position gerne eine ge-
meinsame Position dieses Hauses mitnehmen wollen.
Diese lässt sich aber nicht auf diese Art und Weise her-
stellen.
Herr Müller hat nun gefordert, dass Europa standhaft
bleiben müsse. Das ist eine tolle Sache. Aber auf welchem
Niveau bitte? Frau Bulling-Schröter hat die CO2-Ein-
sparungen in Deutschland auf den Zusammenbruch der
ostdeutschen Industrie geschoben, was der Wahrheit na-
türlich nicht gerecht wird.
An die Adresse von Herrn Bury sage ich: Nach den
neuesten DIW-Zahlen über die letzten zehn Jahre also
im Wesentlichen während unserer Regierungszeit ist die
Energieeffizienz jedes Jahr um 2 Prozent gestiegen. Das
ist eine ausgesprochen gute Rate.
Vieles von dem, was heute zu Technologien von Herrn
Bury vorgetragen worden ist, ist in unserer Zeit überhaupt
erst so weit erforscht und entwickelt worden, dass es heute
genutzt werden kann.
Wenn Sie den Bericht der Europäischen Union zu den
CO2-Bilanzen in Europa zur Kenntnis nehmen, dann
wäre es hier in diesem Hause angebracht, die Bundesre-
gierung aufzufordern, nicht nur eine internationale Offen-
sive einzuleiten sowie gegenüber den USA standhaft zu
bleiben und flexibel zu verhandeln, sondern eine europä-
ische
Initiative zu starten. Sehen Sie sich doch einmal die Bi-
lanz an! In Großbritannien ärgert Maggi Thatcher die
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 200117954
Gewerkschaften und wechselt von Kohle zu Gas. In Lu-
xemburg wird Arbed Stahl stillgelegt. Dann kommen wir
als Deutsche. Der Rest EU-Europas das sind zwölf Staa-
ten verzeichnet seit 1990 einen Anstieg der CO2-Emis-
sionen. Deswegen rate ich uns dringend, dass wir uns
nicht als die vorbildlichen Europäer herausstellen. Europa
hat seine Hausaufgaben genauso wenig gemacht wie
Amerika.
Ich will das hier aus meiner Sicht beleuchten.
Es ist dringend an der Zeit, dass wir in Europa unsere
Hausaufgaben machen. Umso glaubwürdiger können wir
von Japan und von Amerika die Leistungen einfordern,
die notwendig sind, wenn wir trotz Globalisierung oder
gerade auch mit den Mitteln der Globalisierung unsere
klimapolitischen Ziele durchsetzen und das umsetzen
wollen, was im Sinne der Vorsorge notwendig ist, um be-
stimmte Dinge, wie sie auch hier geschildert worden sind,
zu verhindern.
Trotz KWK und EEG, die Sie hier angesprochen haben,
kommen wir in drei oder vier Jahren in eine Phase der
deutschen Politik hinein, in der es um mehr als nur ein paar
Megawatt gehen wird. Ich habe mir noch einmal eine vor
kurzem bei der Vorstellung des Necar 5 von Daimler-
Chrysler in Berlin gehaltene Rede des Bundeskanzlers zu
Gemüte geführt. Ich rate Ihnen dringend, sie einmal zu le-
sen. Denn der Bundeskanzler sagte zum einen: Wir werden
mit Solar- und Windenergie die Ziele nicht erreichen.
Das stimmt in etwa mit der Aussage des Bundeswirt-
schaftsministers überein, die Klimalücke könne vor dem
Hintergrund des Ausstiegs aus der Kernenergie nicht ge-
schlossen werden.
Zum anderen hat niemand anders als der Bundeskanz-
ler der Bundesrepublik Deutschland, Gerhard Schröder,
gesagt: Wir werden Großkraftwerke auf Braunkohle- und
Steinkohlebasis bauen müssen, um die Energieprobleme
zu lösen. Dies ist genau das Gegenteil dessen, was Sie
heute vorgetragen haben.
Deshalb halte ich es für wirklich an der Zeit, dass Sie uns
mit einem Energiekonzept nachweisen, dass das, was Sie
hier als Ziel proklamieren, auch wirklich erreichbar ist.
Wir wissen ja mittlerweile, dass es nicht mehr als einen
Bericht geben wird. Deswegen sage ich Ihnen: Sowohl in
Europa als auch in Deutschland haben wir alle Veranlas-
sung, an unseren Zielen festzuhalten, so zu verhandeln,
dass es zu Erfolgen kommt, aber etwas bescheidener zu
sein und nicht zu meinen, dass nur anderen die Schuld in
die Schuhe geschoben werden müsste.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Reinhard Loske.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst einmal zur internationalen Politik, bevor ich
dann gleich zur Innenpolitik komme. Allen hier im Raum
ist klar, dass das in Bonn in Angriff zu nehmende Unter-
fangen schwierig ist, weil wir in einem Spannungsfeld
stehen. Auf der einen Seite wollen wir das Kioto-Proto-
koll ratifizierungsfähig machen. Das erfordert Flexibi-
lität, das erfordert vielleicht auch Kompromisse hof-
fentlich keine faulen Kompromisse.
Auf der anderen Seite wollen wir natürlich, dass die
ökologische Integrität des Protokolls erhalten bleibt. Es
muss also Substanz haben; denn eine Sache, die keine
Substanz hat, ist es auch nicht wert, sich für sie einzuset-
zen. In diesem Spannungsfeld stehen wir. Darum können
Sie nicht herumreden.
Bevor ich zu all den Details komme, halte ich es für
wichtig, dass wir uns bei dieser Debatte die elementaren
Grundwahrheiten noch einmal vor Augen führen. Das
sind nach meinem Dafürhalten vier Punkte.
Erstens. Der zusätzliche Treibhauseffekt ist eine
ernsthafte Bedrohung für die Menschheit. Sie zu ignorie-
ren wäre gefährlich und könnte uns teuer zu stehen kom-
men. Darüber sind wir uns einig.
Zweitens. Die Industrieländer tragen die Hauptverant-
wortung. Historisch gesehen haben die Industrieländer
80 Prozent der Emissionen verursacht. Also müssen sie
auch eine Vorreiterrolle einnehmen. Auch darüber sollte ei-
gentlich Einvernehmen bestehen. Wenn ich einigen von Ih-
nen zuhöre, bin ich mir da aber nicht mehr ganz so sicher.
Drittens. Die Entwicklungsländer tragen, zumindest
historisch gesehen, keine nennenswerte Verantwortung für
die Existenz dieses Problems. Deswegen verlangen sie zu
Recht von uns, dass wir unsere Hausaufgaben erledigen
und dass wir Technologien und Finanztransfers bereitstel-
len. Das ist eine Frage der internationalen Gerechtigkeit
und vor allen Dingen der Glaubwürdigkeit. Sie werden erst
dann handeln, wenn wir glaubwürdig voranschreiten.
Viertens und letztens. Frau Homburger, wir sind beim
Thema Emissionshandel gar nicht so weit auseinander.
Aber es ist doch so das muss man einmal feststellen :
Klimaschutz funktioniert nicht vorrangig über Emis-
sionshandel, Senken oder die wechselseitige Anrechnung
von Treibhausgasen.
Klimaschutz funktioniert im Wesentlichen über Techno-
logie und Lebensstilwandel. Man kann ein Protokoll auch
kaputt flexibilisieren. Das wollen wir nicht.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Kurt-Dieter Grill
17955
Wenn wir von diesen Einsichten ausgehen, dann kann
man sagen das ist kein unhöflicher Akt gegenüber unse-
ren amerikanischen Freunden : Das, was Präsident Bush
gemacht hat, ist das muss man leider in dieser Schärfe
sagen eine verantwortungslose Absage an die Interessen
der Staatengemeinschaft und an die Interessen der
zukünftigen Generationen.
Wer sagt, dass Klimaschutz nichts anderes als ein Kos-
tenfaktor und ein Entwicklungshemmnis ist, der verkennt
die wirtschaftlichen Potenziale ökologischer Innovatio-
nen. Wer sagt, es könne nicht wahr sein, dass die Ameri-
kaner handeln müssen, während die Entwicklungsländer
untätig bleiben, den wird man bei aller Freundschaft viel-
leicht auf die simple Tatsache hinweisen dürfen, dass ein
Amerikaner im Durchschnitt für 20 Tonnen, ein Chinese
für 2 Tonnen und ein Inder für 1 Tonne CO2 pro Jahr ver-
antwortlich ist. Wer für zehn- bis zwanzigmal so viel CO2
verantwortlich ist als andere, der sollte besser erst einmal
vor seiner eigenen Haustür kehren, bevor er anderen gute
Ratschläge erteilt.
Es wurde hier viel von den Vereinigten Staaten ge-
sprochen. Da wir wissen, dass sie das Protokoll nicht ra-
tifizieren werden, können wir uns nicht an ihren Positio-
nen orientieren. Ich will sogar so weit gehen, zu sagen,
dass gerade diejenigen, die in Amerika für den Klima-
schutz sind, von uns erwarten, dass wir konsequent agie-
ren und die ökologische Integrität des Kioto-Protokolls
erhalten, damit sie sich in Amerika für diese Sache ein-
setzen können. Ich sehe mit großer Freude, dass der Kli-
maschutz in den letzten Monaten eine breite Unterstüt-
zung von Wissenschaftlern, Industrieunternehmen,
Umweltschützern, Künstlern und zunehmend auch Poli-
tikern erfährt. Ich glaube, das ist gut so.
Ich gehe davon aus: Wenn wir das Kioto-Protokoll in
Kraft setzen, dann wird es die amerikanische Industrie
sein, die von so interessanten Instrumenten wie dem
Emissionshandel und dem Technologietransfer nicht aus-
geschlossen sein will.
Sie werden Druck für eine Ratifizierung machen. Das ist
meine These.
Die Europäische Union hat jetzt vor allen Dingen zwei
Aufgaben der Minister hat sie, wie ich finde, zutreffend
skizziert : Zum einen müssen wir versuchen, mit Japan
zusammenzukommen. Zu Japan will ich noch ein Wort
sagen das wurde auch schon im Umweltausschuss deut-
lich : Gegenüber Japan besteht in der Tat kein Grund
zum Hochmut; denn von dem, was die Japaner in Sachen
Energieeffizienz und Klimaschutz gemacht haben, kön-
nen wir uns alle eine Scheibe abschneiden. Wir sollten
wirklich versuchen, zusammen mit den Japanern einen
Weg zu finden, der ihre Interessen abdeckt. Das ist wich-
tig. Die Bundesregierung ist auf diesem Weg.
Zum anderen müssen wir im Hinblick auf Russland
sehen, dass wir bei der ökologischen Modernisierung der
Energiewirtschaft helfen. Ich glaube, dass Deutschland
als Partner Russlands eine wichtige Aufgabe hat. Wenn
wir diese beiden Aufgaben erledigen, dann haben wir gute
Aussichten, das Kioto-Protokoll ratifizierungsfähig zu
machen. Das ist kein Antiamerikanismus, sondern inter-
nationale Verantwortung.
Richtig ist auch das wurde bereits mehrfach gesagt ,
dass die Europäische Union etwas für ihre Glaubwürdig-
keit tun muss. Diese Auffassung teile ich ganz und gar.
Das ist vollkommen berechtigt. Wenn nur drei von
15 Staaten ihre Hausaufgaben erledigt haben, dann ist das
nicht gut genug. Bei vielen Themenfeldern sind wir noch
nicht wirklich vorangekommen. Beim Abbau um-
weltschädlicher Subventionen, bei der Harmonisierung
der Ökosteuern, auch bei anderen Themen, wie beispiels-
weise der Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene
oder beim ökologischen Landbau, ist in der Tat noch viel
zu tun. Wenn sich Europa als Kontinent der globalen Ver-
antwortung positionieren will, dann muss es dies durch
globales und glaubwürdiges Handeln zu Hause beweisen.
Hier steht der Beweis in der Tat noch aus.
Jetzt komme ich zur deutschen Politik, weil sich viele
der vorliegenden Anträge auf die deutsche Klimapolitik
beziehen. Es ist so, dass wir uns in diesem Hause Minis-
ter Trittin hat zu Recht darauf hingewiesen weitestge-
hend einig sind. Wir haben ein nationales Klimaschutz-
ziel, eine Reduktion der CO2-Emissionen um 25 Prozent
bis 2005, das noch unter der Regierung Kohl beschlossen
wurde. Wir als Bundestag jedenfalls die meisten von Ih-
nen; ich war noch nicht dabei haben beschlossen, dass
wir eine Reduktion der Kohlendioxidemissionen bis 2020
um 40 Prozent und bis 2050 um 80 Prozent erreichen wol-
len. Das heißt also: In diesem Hause besteht Einverneh-
men. Auch besteht Einvernehmen darüber das möchte
ich einmal festhalten , dass für viele von uns die Diplo-
matie zu langsam vorangeht und dass wir uns nicht nur auf
dieser langsamen Fahrspur bewegen wollen. Wir sehen
zwar ein, dass wir diese Langsamfahrspur brauchen. Aber
wir wollen uns in Sachen Klimaschutz doch auf der
Schnellfahrspur bewegen. Wir wollen neue Technologien,
neue Verfahren und neue Instrumente einsetzen sowie
eine Vorreiterrolle einnehmen, genau deshalb, weil wir
glauben wie es Herr Bury gesagt hat , dass Klima-
schutz nicht nur eine Last, sondern vor allen Dingen auch
eine Chance für die Umwelt, die Arbeitsplätze und die Zu-
kunftsmärkte ist.
Ich möchte jetzt auf unsere Bilanz zu sprechen kom-
men, ohne mich mit dem ganzen Kleinklein aufzuhalten,
von dem Sie gesprochen haben. Nehmen wir einmal das
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Dr. Reinhard Loske
17956
Beispiel der ökologischen Steuerreform, die Sie hier so
häufig kritisieren. Wir haben vor wenigen Wochen vom
Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung ein wunder-
bares Zwischenzeugnis ausgestellt bekommen: Der Ener-
gieverbrauch im Verkehrssektor geht zurück; Bahn und
ÖPNV legen zu; energieeffiziente Fahrzeuge sind auf
dem Vormarsch; der Umfang der CO2-Emissionen wird
allein durch die Ökosteuer um 25 Millionen Tonnen
zurückgehen. Zu diesem Zwischenzeugnis hätte ich gerne
etwas von der Opposition gehört.
Wir sind in der Tat der Meinung, dass die ökologische
Steuerreform auch nach 2004 weitergeführt werden sollte.
Nur wenn die Energiepreise schrittweise steigen, lohnen
sich Investitionen in Maßnahmen zur Steigerung der Ener-
gieeffizienz und zur Einsparung von Energie.
Selbst wenn dieses Projekt unpopulär ist, sage ich: Aus
Gründen des Klimaschutzes ist es unverzichtbar.
Aus der volkswirtschaftlichen Perspektive müssen wir
noch klarer sehen: Wenn die Energiepreise zu niedrig
sind, dann rechnen sich Energiesparmaßnahmen nicht
mehr. Schlimmer noch: Sinkende Energiepreise entwer-
ten sogar Investitionen in Maßnahmen zur Energieein-
sparung.
Summa summarum: Wenn man die ökologische Steuer-
reform und all die Einzelprojekte wie das Erneuerbare-
Energien-Gesetz, die Bonusregelung für Kraft-Wärme-
Kopplung, das Altbausanierungsprogramm, die zusätzlichen
Investitionsmittel für die Bahn und das Marktanreizpro-
gramm zusammennimmt, dann können wir mit erhobenem
Haupt und gutem Selbstvertrauen nach Bonn gehen. Ich
kann der Bundesregierung nur eine glückliche Hand wün-
schen. Ich glaube, Herr Minister, Sie werden die Parla-
mentsdelegation auf Ihrer Seite haben, wenn Sie in Bonn
agieren.
Danke schön.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Christian Ruck.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Ich möchte in der Schluss-
runde dieser Debatte mit dem beginnen, worüber Konsens
besteht. Die Lage ist ernst. Die menschenbedingte Er-
wärmung der Erde ist eine reale Bedrohung, die schon
in naher Zukunft, spätestens bei unseren Enkeln, zu ein-
schneidenden ökonomischen und sozialen Folgen führen
könnte. Auch ich bin der Meinung, die Reaktion der Welt-
gemeinschaft ist bis heute unangemessen, obwohl wir da-
mals in Rio so hoffnungsvoll gestartet sind. Auch ich bin
der Meinung, dass der Erfolg der anstehenden Vertrags-
staatenkonferenz noch ungewiss ist und dass uns allmäh-
lich die Zeit knapp wird. Auf der erst vor kurzem stattge-
fundenen Klimakonferenz der Union hat Professor
Schellenhuber eindringlich gemahnt, dass der Zeithori-
zont drängt und dass wir handeln müssen.
Die Frage, über die wir in dieser Debatte seriös disku-
tieren können und müssen, ist: Wie können das deutsche
Parlament und die Bundesregierung einen positiven Ein-
fluss auf das Geschehen ausüben? Wir können das ist
schon gesagt worden zwei Dinge machen: Erstens müs-
sen wir unsere Hausaufgaben machen.
Zweitens müssen wir unser internationales politisches
Gewicht mehr in die Waagschale werfen. Die EU das
wurde auch schon gesagt hat sich nicht mit Ruhm be-
kleckert.
Sie darf jetzt nicht wackeln und muss notfalls das ist
auch meine Meinung das Kioto-Protokoll erst einmal
ohne die USA umsetzen. Aber auch die Europäer müssen
wachgerüttelt werden. Es stärkt nicht gerade wenn ich
das einmal so sagen darf die europäische Verhandlungs-
position, wenn Belgien vor wenigen Tagen lapidar einge-
steht, dass es die Kioto-Verpflichtungen bisher nicht er-
füllen konnte, es aber bei den Klimaschutzverhandlungen
in den nächsten Tagen und Wochen für Europa ein ganz
wichtiger Verhandlungspartner sein wird und eine heraus-
ragende Rolle spielen wird.
Was dieses internationale Gewicht anbelangt, ist
Deutschland, ist die Bundesregierung, stärker gefordert.
Herr Bury, Sie haben etwas kleinkariert, wie ich finde,
über die Rolle des früheren Bundeskanzlers gesprochen.
Er war nicht nur in Rio dabei; ohne ihn wäre das Ergebnis
von Rio nicht zustande gekommen
und wären auch nicht die Erfolge erreicht worden, die wir
bis dato eingefahren haben.
Ich erwarte mir vom Bundeskanzler auch, dass er endlich
seine Liebe zum Umwelt- und Klimaschutz entdeckt und
dass er sich zum Beispiel nach der Klimakonferenz ge-
nauso rühmen kann das gönne ich ihm dann auch , in
Europa Einfluss zu haben, wie er es neulich bei der Über-
nahmerichtlinie getan hat. Ich erwarte, dass er sich da
stärker in Position bringt.
Der Hinweis, dass er mit der Autoindustrie verbandelt
ist, stammt nicht von mir, sondern vom Kollegen Hübner.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Dr. Reinhard Loske
17957
Was die USA und Japan anbelangt: Es ist völlig rich-
tig, dass Klimaschutz auf Dauer natürlich nicht ohne die
Hauptemittenten von CO2 betrieben werden kann. Ich
glaube, dass wir konsequent bleiben sollten, und zwar
auch im Hinblick auf faule Kompromisse. Das sage ich
mit Bezug auf das aktuelle Pronk-Papier. Wir sollten auch
deshalb konsequent sein das kann man ruhig in die De-
batte bringen , weil es ja nicht nur um Ökologie geht.
Wenn die einen die Klimaschutzziele einhalten, wie es die
Bundesrepublik tut, und die anderen das nicht tun, dann
ist das eine ganz massive Wettbewerbsverzerrung. Das
müssen wir gegenüber den Amerikanern ins Spiel brin-
gen. Das wird, glaube ich, auch verstanden.
In Amerika ist wirklich vieles in Bewegung geraten. So
gibt es zum Beispiel unter den Abgeordneten und Senatoren
eine Kioto-Fraktion, die ständig Zulauf erhält. Mittlerweile
haben auch 32 große Wirtschaftsunternehmen, darunter
zum Beispiel alle Elektrizitätsversorger, eine Kioto-Frak-
tion gebildet. Das stimmt mich eigentlich hoffnungsfroh.
Deswegen bin auch ich der Meinung, dass wir für kon-
struktive Vorschläge der USA wirklich offen sein sollten.
Herr Trittin, es waren ja die amerikanischen Umwelt-
verbände, die Ihnen vorgeworfen haben, die Amerikaner
in Den Haag falsch behandelt zu haben. Ich möchte das
nicht kommentieren, aber eines ist sicher: Bonn darf keine
Showveranstaltung für die Innenpolitik werden. Der Er-
folg der Verhandlungen hängt ganz entscheidend davon
ab, ob man fair mit konstruktiven Vorschlägen umgeht
und ob man auch auf ernsthafte Besorgnisse eingeht.
In dem Zusammenhang nenne ich drei Punkte, die auch
in den Vereinigten Staaten eine Rolle spielen. Mit denen
sollten wir uns wirklich befassen, weil sie auch uns be-
treffen.
Zunächst zum Thema Entwicklungsländer. Es ist
richtig, dass wir diese Länder schneller und stärker in den
Kioto-Prozess einbinden müssen, als das bisher geplant war.
Die Entwicklungsländer sind einerseits die Hauptbetrof-
fenen das wurde schon gesagt , aber andererseits wer-
den sie in wenigen Jahren uns Industrieländer als CO2-
Emittenten bereits überholt haben. Dort sind also die
größten politischen Wirkungspotenziale.
Was ist Ihre Antwort, meine Damen und Herren von
Rot-Grün? Entgegen Ihren Wahlversprechungen und
entgegen auch den wohlklingenden Formulierungen in
Ihrem Antrag kürzten Sie die Entwicklungshilfe um be-
reits 10 Prozent.
Das ist ein alter Hut. Das ist schon ein handfester
Skandal
angesichts dessen, dass eine vernünftige und erfolgreiche
Energiepolitik nicht ohne eine viel stärkere Entwick-
lungspolitik betrieben werden kann.
Jetzt ist die Rede davon, dass man den Entwicklungs-
ländern in zwei Wochen 1 Milliarde DM anbietet. 1 Mil-
liarde DM ist nicht nichts, aber im Vergleich zu den
450 Milliarden DM, die jährlich weltweit in den Energie-
bereich investiert werden, ist diese 1 Milliarde DM wir-
kungslos. Deswegen fordern wir Sie auf: Nehmen Sie die
Kürzungen im Entwicklungshaushalt zurück! Fahren Sie
den Entwicklungshaushalt wieder hoch und sorgen Sie
damit auch dafür, dass wir den dringend notwendigen
Technologietransfer in die Entwicklungsländer verstär-
ken können!
In dem Zusammenhang noch ein Wort zu einem wich-
tigen Detail, zu den Senken. Es gibt von vielen Seiten
wirklich blödsinnige Vorschläge zum Thema Senken. Ich
bitte darum auch das steht in unserem Antrag , dass wir
versuchen sollen, den Schutz der Naturwälder mit der
Senkenproblematik zu verbinden. Die Wissenschaftler sa-
gen uns, dass allein 1997 30 Prozent der CO2-Emissionen
auf das Konto der brennenden Naturwälder in Borneo ge-
hen. Wenn das wahr ist, dann muss der Umkehrschluss
richtig sein, dass wir den Waldschutz stärker mit den fle-
xiblen Mechanismen verbinden können.
Dafür gibt es bereits Modelle. Wir müssen uns der Dis-
kussion über dieses Thema stellen.
Die beiden anderen Stichworte sind Technologieof-
fenheit und ökonomische Effizienz. Herr Müller, in
dieser Frage das muss man deutlich ansprechen; wir
werden das in den nächsten Jahren natürlich tun haben
wir keinen Konsens. Wir sind der Meinung ich sage es
einmal vorsichtig , dass Sie nicht technologieoffen sind,
siehe Atomausstieg.
Wir sind auch der Meinung, dass Sie, was die ökologische
Lenkungswirkung Ihrer Energiepolitik angeht ange-
fangen bei der Ökosteuer über das EEG bis hin zu Ihrem
neuesten Gag, der KWK , viel zu teure Instrumente be-
nutzen. Umgekehrt: Mit dem vielen Geld, das Sie inzwi-
schen einsetzen Sie nehmen es direkt oder indirekt aus
den Portemonnaies der Steuerzahler , erzielen Sie eine
zu geringe Lenkungswirkung.
Zu genau diesem Punkt sagen wir: Sie haben Ihre Haus-
aufgaben nicht gemacht.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Dr. Christian Ruck
17958
Photovoltaik im eigenen Land zum Beispiel.
Ich sage abschließend: Wir wünschen unserer Delega-
tion, unseren Verhandlungspartnern einige Abgeordnete
sind dabei in Bonn viel Erfolg in einer sehr schwierigen
Gefechtslage. Wir fordern Sie auf, Ihre Energiepolitik
grundlegend zu überdenken und in der Entwicklungspoli-
tik eine deutliche Kehrtwende vorzunehmen.
Herr Kollege,
die Zeit.
Wenn das ge-
schieht, dann werden Sie in den internationalen Verhand-
lungen mehr Gewicht haben. Je eher Sie diese Korrektu-
ren anbringen, desto schneller werden Sie an
internationalem Einfluss gewinnen.
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Monika Ganseforth.
Frau Präsidentin! Liebe
Kollegen und Kolleginnen! Die Situation, die wir jetzt
vorfinden, erinnert mich sehr stark an die Zeit im Vorfeld
des Weltgipfels von Rio. Auch damals wollten die Ameri-
kaner von ihrem American Way of Life keinen Abschied
nehmen. Der damalige Präsident George Bush war der
Wortführer der sagte: Das ist mit uns nicht zu machen.
Die starre Haltung der USA hat zur damaligen Zeit
dazu geführt, dass die Fronten, die sich im Vorfeld aufge-
baut hatten hier die Industrieländer, dort die Entwick-
lungsländer , aufgebrochen wurden. Ich will zwar nicht
sagen, dass die USA damals gegen den Rest der Welt stan-
den; die Fronten damals waren aber sehr eindeutig. Es ist
gelungen, einen Zusammenschluss der übrigen Industrie-
länder und der Entwicklungsländer zustande zu bringen.
Es hat sich eine ganz neue Dynamik ergeben. Es ist rich-
tig, dass der Vertreter der damaligen Bundesregierung,
Herr Töpfer, diese Dynamik hervorragend genutzt hat.
Wir haben in Rio ein sehr gutes Ergebnis erzielt, obwohl
das im Vorfeld kaum zu erwarten war.
In diesem Hause waren wir uns damals über alle Par-
teigrenzen hinweg einig, dass es gilt, Töpfer zu unterstüt-
zen. Herr Ruck, es ist nicht wahr, dass es Rio ohne den da-
maligen Kanzler Kohl nicht gegeben hätte. Die
Verhandlungsführung hat hinter verschlossenen Türen
eine Bundestagsdelegation, zu der auch ich gehörte, war
ebenfalls in Rio dazu beigetragen, dass dieses Ergebnis
zustande gekommen ist.
Nun geht es um die Umsetzung des Kioto-Protokolls.
Merkwürdigerweise ist die Situation so ähnlich wie da-
mals: Diesmal agiert der Sohn Bushs und wiederum legen
die USA eine starre Haltung an den Tag und tragen Kioto
nicht mit.
Jeder internationale Prozess hat seine eigene Dynamik.
Ich weiß nicht, ob sich aus diesem Prozess nicht doch wie-
der etwas ergeben kann, sodass wir zu einem Erfolg kom-
men. Im Augenblick ist es jedenfalls so, dass sich in den
USA die Kräfte bündeln, die es anders sehen als die Re-
gierung, dass Europa näher zusammenrückt und dass die
Entwicklungsländer mit uns und Europa an einem Strang
ziehen. Insofern könnte sich wieder eine Dynamik erge-
ben, wenn sich nicht Länder wie zum Beispiel Japan
hinter den USA verstecken und ebenfalls aussteigen. Ich
kann mir allerdings nicht vorstellen, dass gerade Japan
dazu beiträgt, dass das Scheitern des internationalen Kli-
maprozesses mit dem Namen Kioto verbunden wird. Es
kommt nämlich neben der Tatsache, dass Kioto in Japan
liegt hinzu, dass Japan seine Hausaufgaben bereits ge-
macht hat. Es ist schon angesprochen worden: Japan hat
sehr niedrige Pro-Kopf-Treibhausgasemissionen. Das
hängt auch damit zusammen, dass sie im letzten Jahrzehnt
eine Industriepolitik der hohen Strom- und Energiepreise
betrieben haben. Dadurch haben sie Effizienzreserven ak-
tiviert. Diese sind in den anderen Ländern noch längst
nicht ausgeschöpft.
Ich glaube, dass unser Antrag, der die Regierung auf-
fordert, den Kioto-Prozess in Bonn erfolgreich weiterzu-
führen, gerade zur richtigen Zeit kommt, um dies zu er-
reichen.
Ich finde, man kann die internationalen Belange und
das nationale Handeln, so wie es Herr Grill hier versucht
hat, nicht gegeneinander ausspielen. Beides gehört zu-
sammen. Unabhängig davon, wie die internationalen Ver-
handlungen weitergehen, müssen wir das fordern wir in
unserem Antrag den Weg auf nationaler Ebene weiter
gehen; auch Europa muss dies tun. Wenn Sie kritisieren,
dass Europa zu wenig angesprochen wird, dann muss ich
Ihnen sagen, dass Sie unseren Antrag nicht gelesen haben.
Wir sagen nämlich genau das und fordern, dass dies auch
weiterhin geschieht.
In den anderen europäischen Ländern sind die erfolg-
ten Reduktionen noch nicht ausreichend. Man darf aber
auch nicht vergessen, dass einigen Ländern zusätzliche
Emissionen zugesagt worden sind. Diese ich nenne
Griechenland und Portugal sind auf dem Weg, das an-
gestrebte Ziel zu erreichen bzw. es sogar zu übertreffen.
Wir können nicht nur die Reduktion betrachten, sondern
müssen es im Ganzen sehen. Es ist aber richtig, dass noch
weiter gehende Vereinbarungen notwendig sind.
Die rot-grüne Regierung hat die ehrgeizigen Ziele, die
die alte Regierung öffentlich verkündet hat, übernommen
und deren Umsetzung zugesagt, obwohl wir wussten, dass
dazu nur sehr wenig Zeit vorhanden war, und wir es mit
nicht gemachten Hausaufgaben und einer Altlast Ihrer Re-
gierung zu tun hatten. Ich finde es grotesk, dass Sie sich
hier hinstellen und sagen, dass wir die Kioto-Ziele und die
dort gemachten Zusagen nicht erreichen, sondern eindeu-
tig verfehlen würden. Sie hatten so viele Jahre dazu Zeit,
blieben aber weit hinter den Zielen zurück.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Dr. Christian Ruck
17959
Jede Studie hat ergeben, dass Sie es nicht auf den Weg
gebracht haben. Wir fanden eine Situation vor, in der wir
uns gefragt haben, ob wir überhaupt noch zu den Zielen
stehen und versuchen können, sie mit einer großen
Kraftanstrengung zu erreichen.
Wir haben eine ganze Menge auf den Weg gebracht.
Als Sie in der Regierungsverantwortung waren, haben wir
Ihre Vorhaben mitgetragen. Leider haben Sie dies bei den
Vorhaben, die wir auf den Weg gebracht haben, nicht ge-
tan, sondern sie abgelehnt. Ich nenne die Ökosteuer, das
Erneuerbare-Energien-Gesetz,
das Vorschaltgesetz und die Kraft-Wärme-Kopplung, im
Gegenteil: Sie haben es bekämpft und dagegen gestimmt.
Ich weiß nicht, warum Herr Ruck unser 100 000-Dächer-
Programm, unser Altbausanierungsprogramm, unser
Marktanreizprogramm und all das, was wir gemacht ha-
ben, industrie- und technologiefeindlich nennt. Aber auch
diese Programme reichen noch nicht aus.
Es sind noch Lücken vorhanden. Die Bundesregierung hat
uns das Klimaschutzprogramm vorgelegt; die Kraft-
Wärme-Kopplung wird auf den Weg gebracht. Aber auch
das Problem der Effizienz muss beachtet werden.
Herr Ruck, auf unserer Seite hat sich niemand nur auf
das Erneuerbare-Energien-Gesetz konzentriert; für uns ist
auch die Energieeffizienz sehr wichtig. Wir warten noch
auf die Energieeinsparverordnung. Ferner möchte ich
nennen: die Verdoppelung der erneuerbaren Energien,
Offshore, wie es der Minister angesprochen hat, sowie die
Biomassenutzung. Eine Menge Dinge sind auf den Weg
gebracht worden. Zugegebenermaßen muss noch mehr
passieren.
Der Verkehrssektor ist ein Problem. Dazu ist in dem
Klimaschutzprogramm der Bundesregierung auch einiges
angesprochen.
Wir haben den Fahrradplan eingebracht.
Das finden Sie komisch? Das ist ein wichtiges Ver-
kehrsmittel!
Außerdem ist eine Aufklärungskampagne für energie-
sparendes Fahren nötig. Sie wird etwas bringen.
Wir brauchen die vergleichende Verbrauchskennzeich-
nung von PKWs. Es ist klar: Die Automobilindustrie will
das nicht, weil sie weiß, dass dann die Verbraucher viel-
leicht Autos kaufen, die weniger verbrauchen.
Das alles muss schnell umgesetzt werden. Ich bin da-
von überzeugt, dass Klimaschutz nicht etwa die Wirt-
schaftsentwicklung hemmt. Klimaschutz ist im Gegen-
teil, wenn die Investitionszyklen berücksichtigt werden,
sogar der Motor für Fortschritt und Entwicklung, schafft
Arbeitsplätze und bietet Chancen für Innovationen. Wer
nicht dabei ist, wird Nachteile haben. Das weiß inzwi-
schen auch ein großer Teil der amerikanischen Industrie.
Die haben Sorgen, dass sie abgehängt werden.
Allerdings erfordert Klimaschutz auch eine Umstruk-
turierung; denn die bisherigen Produktions- und Lebens-
weisen sind nicht nachhaltig. Gegen die Umstrukturie-
rung wehren sich natürlich die rückwärts gewandten
Beharrungskräfte und die Verlierer einer solchen Ent-
wicklung. Wir merken das in den eigenen Reihen. Wir er-
halten permanent Briefe von Branchen und Lobbyisten,
die nicht Gewinner sind, seien es die Mineralölwirtschaft,
die Automobilindustrie, die chemische Industrie, die
Aluminiumindustrie, Ziegeleien, elektrische Wärme-
erzeuger und Ähnliches. Leider fallen doch viele vor al-
len Dingen auf Ihrer Seite auf diese Argumente herein,
weil sie unbequeme Wahrheiten und die Verantwortung
für diese Umstrukturierung scheuen.
Wir müssen auch helfen da hat Herr Ruck Recht ,
dass die Entwicklungsländer nicht die gleichen Fehler be-
gehen, die wir gemacht haben, sondern dass sie zu einer
nachhaltigen Wirtschafts- und Produktionsweise kom-
men, zumal die Nutzung der Solarenergie in den Ent-
wicklungsländern natürlich nahe liegt. Dazu brauchen sie
Know-how-Transfer; dazu brauchen sie Geld; dazu brau-
chen sie unsere Unterstützung. In unserem Antrag fordern
wir auch, dass dies getan wird.
Alles, was an Kritik von Ihnen gekommen ist, ist mei-
ner Ansicht nach in dem Antrag berücksichtigt. Ich habe
am Anfang sogar geglaubt, wir könnten hier zu einer ge-
meinschaftlichen Verabschiedung des Antrags kommen.
Wir üben keine Kritik an der Vergangenheit, an dem, was
Ihre Regierung getan hat, sondern es ist ein Antrag, der
nach vorn weist und fordert: das Kioto-Protokoll ratifi-
zieren und umsetzen. Die Debatte hat mir gezeigt, dass
diese Gemeinsamkeit hier im Hause leider nicht mehr be-
steht.
Von der F.D.P., bei der sich die gesamte Klimapolitik nur
noch auf Emissionshandel reduziert, ist dabei ganz zu
schweigen. Das ist ein additives Instrument, aber es ist
nicht das Kerninstrument beim Klimaschutz.
Ich hoffe also, dass unser Antrag eine Mehrheit be-
kommt: Er will die Regierung unterstützen und mit dazu
beitragen, alles, was möglich ist, hinzubekommen, damit
der Klimaprozess und das Kioto-Protokoll in Bonn in
14 Tagen zum Erfolg geführt werden.
Schönen Dank.
Ich schließe da-
mit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, über den Antrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
auf Drucksache 14/6542 mit dem Titel Das Kioto-Proto-
koll ratifizieren und umsetzen. Wer stimmt für diesen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Monika Ganseforth
17960
Antrag? Gegenstimmen? Enthaltungen? Der Antrag
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der
PDS angenommen worden.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache
14/6187. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Entschließungsan-
trags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/4887
zur Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur
6. Weltklimakonferenz. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung des Ausschusses? Gegenstimmen? Ent-
haltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. angenommen worden. Die PDS hat
sich enthalten.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
F.D.P. auf Drucksache 14/4890 mit dem Titel Agenda für
eine Initiative Deutschlands zum internationalen Klima-
schutz. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des
Ausschusses? Gegenstimmen? Enthaltungen? Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. angenommen worden.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/1234 mit dem Ti-
tel Solarbericht. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung des Ausschusses? Gegenstimmen? Ent-
haltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
von CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen worden.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/4729 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstan-
den? Das ist der Fall. Dann verfahren wir auch so.
Tagesordnungspunkt 5 d: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
cherheit auf Drucksache 14/5588 zu dem Antrag der Frak-
tion der F.D.P. mit dem Titel Börsenhandel mit
Emissionszertifikaten in Deutschland konkret vorberei-
ten. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksa-
che 14/4395 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? Gegenstimmen? Enthaltungen? Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen der F.D.P.
bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 5 e: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf
Drucksache 14/5302 zu dem Antrag der Fraktion der
F.D.P. mit dem Titel CO2-Ausstoß im Gebäudebereich
senken. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck-
sache 14/660 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung des Ausschusses? Gegenstimmen?
Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
F.D.P. bei Enthaltung von CDU/CSU und PDS angenom-
men worden.
Tagesordnungspunkt 5 f: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
cherheit auf Drucksache 14/5596 zu dem Antrag der Frak-
tion der CDU/CSU mit dem Titel Offensive zur Reduk-
tion von CO2-Emissionen im Gebäudebestand starten.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/4379 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses? Gegenstimmen? Ent-
haltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
CDU/CSU bei Enthaltung von F.D.P. und PDS angenom-
men worden.
Tagesordnungspunkt 5 g: Wir kommen zu dem Antrag
der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel Die 6. Ver-
tragsstaatenkonferenz muss zum Erfolg führen
Für eine nachhaltige Entwicklungs- und Klimapolitik.
Abweichend von der Tagesordnung soll über den Antrag
heute abgestimmt werden. Wer stimmt für diesen Antrag
auf Drucksache 14/6439? Wer stimmt dagegen? Ent-
haltungen? Der Antrag ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen gegen die Stimmen von F.D.P. und
CDU/CSU bei Enthaltung der PDS abgelehnt worden.
Zusatzpunkt 5: Abstimmung über den Antrag der Frak-
tion der F.D.P. auf Drucksache 14/6547 zu einer Initia-
tive Deutschlands für einen Durchbruch beim internatio-
nalen Klimaschutz. Wer stimmt dafür? Wer stimmt
dagegen? Enthaltungen? Der Antrag ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die
Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt worden.
Zusatzpunkt 6: Abstimmung über den Antrag der Frak-
tion der PDS mit dem Titel Klimapolitik international
und national auf eine neue Grundlage stellen. Wer
stimmt für den Antrag auf Drucksache 14/6570? Wer
stimmt dagegen? Enthaltungen? Der Antrag ist mit
den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der
PDS, die zugestimmt hat, abgelehnt worden.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 sowie Zusatzpunkt 7
und 8 auf:
6. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Maria
Böhmer, Norbert Barthle, Meinrad Belle, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Kein Import von und keine Forschung an em-
bryonalen Stammzellen in Deutschland bis zu
einer Entscheidung des Deutschen Bundestages
Drucksache 14/6314
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
ZP 7 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Für eine sorgfältige und umfassende Prüfung
des Imports und der Forschung mit embryona-
len Stammzellen
Drucksache 14/6551
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
17961
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Flach, Cornelia Pieper, Birgit Homburger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Kein Verbot und kein Moratorium für den Im-
port embryonaler Stammzellen
Drucksache 14/6550
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. Widerspruch gibt
es nicht. Dann werden wir auch so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die
Abgeordnete Maria Böhmer.
Sehr geehrter Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute vor
fünf Wochen, am 31. Mai, haben wir die erste Grundsatz-
debatte in dieser Legislaturperiode zur Bio- und Gen-
technologie geführt. An diesem Tag ist sehr deutlich zum
Ausdruck gekommen, welch hohe Verantwortung sich
mit diesen Entscheidungen verbindet. Je mehr der
Mensch selbst zum Gegenstand der Forschung wird, des-
to mehr müssen wir uns hier im Bundestag den Fragen des
Lebens, des Menschseins, des Schutzes des menschlichen
Lebens und der menschlichen Würde stellen.
Wie sehr jeder von uns um Antworten ringt, hat diese De-
batte gezeigt. Über die Fraktionsgrenzen hinweg ist deut-
lich geworden, dass wir in diesen ethischen Fragen der
Bio- und Gentechnologie vor Gewissensentscheidungen
stehen. Das müssen wir auch beibehalten. Es geht in die-
sen Fragen wirklich um Gewissensentscheidungen.
Ich bin allerdings sehr betroffen, dass der so gut be-
gonnene Weg von der Regierungsseite heute verlassen
wird. Denn Sie stellen mit Ihrem Vorgehen die Koaliti-
onsfrage über die Gewissensfrage.
Macht oder Moral, das kann und darf nicht die Alternative
sein. Daher bitte ich Sie herzlich, Ihr Vorgehen noch ein-
mal zu überdenken.
Lassen Sie mich kurz den politischen Ablauf der letz-
ten fünf Wochen rekapitulieren: Just an dem Tag, an dem
der Deutsche Bundestag, also wir alle hier, über die Fra-
gen der Bio- und Gentechnologie debattiert haben und an
dem wir uns über die Fraktionsgrenzen hinweg ich be-
tone das noch einmal darüber im Klaren waren, dass wir
uns für eine gründliche Debatte Zeit geben wollen, dass
wir die Fragen wirklich ausloten wollen und dass wir dann
aber auch zu Entscheidungen kommen müssen, hat der
Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen
von Israel aus erklärt, dass er den Import von und die For-
schung an embryonalen Stammzellen in seinem Bundes-
land fördern will. Ich finde, das ist ein starkes Stück. Das
ist ein Affront gegen den Deutschen Bundestag.
Wir debattieren und der Ministerpräsident von Nordrhein-
Westfalen will Fakten schaffen. Ich glaube, das hat nicht
nur Einzelne, sondern uns alle berührt. Wir wissen, dass
mit einem solchen Vorpreschen Fakten geschaffen wer-
den, die unsere Entscheidungsfindung beeinträchtigen
und reduzieren.
Wie in den Reihen der Regierungskoalition darüber ge-
dacht wird, das hat die Abstimmung im nordrhein-west-
fälischen Landtag am 20. Juni dieses Jahres gezeigt: CDU
und Grüne haben sich dort gegen das Vorhaben des Mi-
nisterpräsidenten ausgesprochen.
Ich finde es beachtlich, dass sich die Grünen in Nord-
rhein-Westfalen an ihre Beschlüsse und an ihre ethischen
Maßstäbe gehalten haben. Dafür möchte ich den nord-
rhein-westfälischen Grünen ganz herzlich danken. Denn
das ist in ihrer Position von besonderer Bedeutung.
Wie anders aber stellt sich die Situation auf Bundes-
ebene dar? Es ist einer Grundsatzdebatte leider nicht an-
gemessen das muss ich wirklich betonen , wenn jetzt
eine parteipolitische Auseinandersetzung geführt wird.
Zuerst wurde sie in der Bundesregierung geführt und jetzt
wird sie im Bundestag geführt. Deshalb muss ich sagen:
Den Vorwurf, den ich vom Fraktionsvorsitzenden der
SPD gehört habe, nämlich dass unser Moratorium bezüg-
lich des Imports von und der Forschung an embryonalen
Stammzellen verlogen sei, finde ich ungeheuerlich. Ich
weise das strikt zurück.
Wir wollen nicht, dass durch das Vorpreschen des nord-
rhein-westfälischen Ministerpräsidenten Fakten am Par-
lament vorbei geschaffen werden. Eine Entscheidung
über den Import von und die Forschung an embryonalen
Stammzellen kann nur im Deutschen Bundestag und nicht
außerhalb getroffen werden. Es gilt dabei, das Votum der
Enquête-Kommission Recht und Ethik in der moder-
nen Medizin in die Entscheidungsfindung einzubezie-
hen. Das ist nicht nur eine Sachfrage; das ist eine Frage
des Selbstverständnisses unseres Parlaments. Deshalb ha-
ben wir den Antrag für ein Moratorium in den Deutschen
Bundestag eingebracht.
Wir haben die Form des Antrags gewählt, weil wir be-
wusst eine Brücke zu den Kolleginnen und Kollegen der
anderen Fraktionen bauen wollten.
Es geht uns hier um die Sache. Wir haben das daran deut-
lich gemacht, dass wir auf Sie zugegangen sind und gesagt
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
17962
haben, wir würden diesen Antrag zurückstellen, wenn es
zu einem Gruppenantrag aus der Mitte des Parlamentes
käme. Darauf habe ich lange gehofft; nicht nur ich habe
Gespräche geführt, sondern auch meine Kollegen haben
Gespräche geführt. Wir wissen, wie schwierig die Situ-
ation inzwischen bei Ihnen geworden ist. Ich bedaure es
sehr, dass es nicht zu solch einer Initiative mitten aus
dem Parlament kommt. Damit hätte deutlich gemacht
werden können, dass wir bezüglich des Imports und der
Erforschung von embryonalen Stammzellen keine Fak-
ten geschaffen haben wollen, sondern zuerst eine
Entscheidung im Deutschen Bundestag getroffen wer-
den muss.
Die Regierungskoalition hat angekündigt, unseren An-
trag abzulehnen. Sie stellen aber ebenfalls einen Antrag,
der nichts anderes beinhaltet als ein Moratorium, wenn
auch in recht abgeschwächter Form. Ich sehe das als den
kleinsten gemeinsamen Nenner an. Ihr Appell an Wissen-
schaftler und Forschungsinstitutionen, einer Entschei-
dung des Deutschen Bundestages nicht durch Schaffung
vollendeter Tatsachen vorzugreifen, entspricht in der Tat
der Form nach einem Moratorium. Deshalb hätte ich mir
gewünscht, dass eine Brücke gebaut worden wäre und wir
aufeinander zugegangen wären, um unser gemeinsames
Ziel deutlich zu machen. Wenn ein solches Moratorium
das Ziel sein sollte, dann bitte ich Sie noch einmal herz-
lich, unserem Antrag zuzustimmen, damit wir dieses ge-
meinsam nach außen deutlich machen können. Wenn Sie
kein Moratorium wollen, dann sollten Sie Ihren Antrag
zurückziehen.
Ich habe gestern bei einer Rede des Bundeskanzlers er-
hebliche Zweifel bekommen, was eigentlich mit diesem
Antrag erreicht werden soll. Auch darüber muss gespro-
chen werden. Der Bundeskanzler hat nämlich bei der
Jahresversammlung der Deutschen Forschungsgemein-
schaft ganz klar gesagt, dass er nicht nur die Erwartung
hegt, sondern davon ausgeht das hat er gegenüber
der Deutschen Forschungsgemeinschaft deutlich ausge-
drückt , dass eine Entscheidung darüber im Dezember
dort zu treffen sei. Zugleich hat er gesagt, dass das
Embryonenschutzgesetz in dieser Legislaturperiode
nicht mehr geändert werden soll. Diesen Punkt haben wir
übrigens auch immer miteinander diskutiert, aber offen-
sichtlich haben sich die Verhältnisse geändert.
Nehmen wir uns einmal diese Worte des Bundeskanz-
lers vor. Sie heißen doch im Klartext: Die Tür im Em-
bryonenschutzgesetz für den Import embryonaler Stamm-
zellen und damit auch für die Forschung an diesen soll
offen gehalten werden. Wir hier im Deutschen Bundestag
dürfen debattieren; die Entscheidung liegt aber in der
Hand der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Ich will
deshalb in aller Klarheit hier feststellen: Das Drängen des
Bundeskanzlers kann die Notwendigkeit einer Entschei-
dung hier im Deutschen Bundestag nicht aushebeln.
Schauen wir uns einmal an, was in den letzten Wochen
geschehen ist. Beginnen muss ich mit der Änderung der
Haltung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die sie
am 3. Mai dieses Jahres vollzogen hat. Bis zu diesem Da-
tum sagte sie noch: keine Forschung an embryonalen
Stammzellen. Danach hat sie eine Empfehlung für die
Forschung an und vor allen Dingen für den Import von
embryonalen Stammzellen ausgesprochen. Zugleich er-
klärte sie aber, dass therapeutisches Klonen in Deutsch-
land nicht zulässig sein solle. Inzwischen gibt es Wissen-
schaftler ich nenne zwei, weil sie sich auch öffentlich
geäußert haben, Professor Ganten und Professor Bartram ,
die demgegenüber offen erklären, dass die Forschung ohne
therapeutisches Klonen kaum zu anwendbaren Therapien
führen werde.
Ich sehe in der Tat, dass man Schritt für Schritt in diese
Richtung gehen wird. Erst wird die Frage gestellt werden:
Können die importierten embryonalen Stammzellen mög-
licherweise einige, wie Professor Bartram selbst, sagen
ja schon, dass Import von Doppelmoral zeuge nicht hier
in Deutschland erzeugt werden, indem man die verwais-
ten tiefgekühlten Embryonen dafür nutzt? Dabei muss ich
mich sowieso fragen, was das Wort verwaist bedeutet.
Als Nächstes wird wahrscheinlich die Frage gestellt, wie
man beim therapeutischen Klonen verfährt; denn die Wis-
senschaftler wissen, dass mit der Verwendung eines der-
art erzeugten Gewebes keine Abstoßungsprozesse ver-
bunden wären.
Die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts
weist zu Recht darauf hin, dass man zunächst einmal über-
legen muss, inwieweit Forschungsergebnisse in einem
überschaubaren Zeitraum überhaupt realistisch sind und
was Forschung möglich macht. Ich füge hinzu: Wir müs-
sen überlegen, welche Alternativen es gibt. Wir dürfen
nicht isoliert über die Forschung an embryonalen Stamm-
zellen sprechen, sondern müssen auch die Möglichkeiten
der Forschung an adulten Stammzellen, an fetalen
Stammzellen und an Stammzellen aus Nabelschnurblut
wieder verstärkt in die Diskussion mit einbringen; denn
all das gibt Menschen die Chance, dass sich deren Hei-
lungsaussichten verbessern. Ich frage mich deswegen im-
mer wieder: Warum konzentrieren wir uns in der Diskus-
sion auf den ethisch problematischen Bereich der
embryonalen Stammzellen? Warum setzen wir nicht stär-
ker auf die unproblematische Forschung an adulten und
fetalen Stammzellen, auch, um Deutschland in diesem
Bereich im Spitzenfeld der Forschung zu halten?
Angesichts dessen glaube ich, dass wir in der nächsten
Zeit nicht nur die Frage des Imports von embryonalen
Stammzellen und die Forschung daran im Blick haben
dürfen; wir müssen uns vielmehr der viel grundsätzliche-
ren Frage der verbrauchenden Embryonenforschung
zuwenden. Nur wenn man das ganze Feld im Blick hat,
kann man wirklich verantwortlich über die Frage des Im-
ports von und der Forschung an embryonalen Stammzel-
len entscheiden. Wir alle müssen uns deutlich vor Augen
führen: Es gibt keine embryonalen Stammzellen ohne die
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Dr. Maria Böhmer
17963
Tötung eines Embryos und damit die Vernichtung
menschlichen Lebens.
Frau Kol-
legin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Unter diesem Ge-
sichtspunkt haben wir dieses Moratorium hier einge-
bracht. Ich appelliere noch einmal sehr herzlich an Sie:
Stimmen Sie diesem Moratorium zu. In ihm wird die
Bundesregierung aufgefordert, sicherzustellen, dass bis zu
einer Entscheidung des Deutschen Bundestages kein Im-
port von und keine Forschung an embryonalen Stamm-
zellen stattfinden soll. Wir bitten darin die Deutsche For-
schungsgemeinschaft, so lange von einer entsprechenden
Förderung abzusehen. Darüber hinaus wenden wir uns
auch an die Wissenschaftler und richten den Appell auch
an sie, das zu berücksichtigen.
Es geht um Fragen des Menschseins und des Lebens.
Um diese zu entscheiden, brauchen wir Zeit und die ge-
diegene Auseinandersetzung mit all diesen Fragen. Ich
bin gewillt, dass wir das zügig tun und uns mit aller Kraft
damit auseinandersetzen. Es kann aber nicht sein, dass
Fakten geschaffen werden und wir mit diesen Fakten kon-
frontiert werden.
Herzlichen Dank.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Margot von Renesse
von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Liebe Frau Kollegin Dr. Böhmer, ichhoffe, dass die Auseinandersetzung um die Art und Weise,wie diese Anträge zustande gekommen sind, die gute Zu-sammenarbeit, die wir am 31. Mai dieses Jahres begonnenhaben und die auch in der Enquête-Kommission stattfin-det, Herr Lensing, nicht beeinträchtigen wird. Deswegenist es mir wichtig, den Punkt an den Anfang meiner Redezu stellen, worin wir übereinstimmen, nämlich darin, dassdie Entscheidung hier im Deutschen Bundestag fallenmuss.
Lassen Sie mich aber deutlich erklären, warum wirIhrem Antrag in der Sache nicht zustimmen können. An-dere mögen etwas über den Verdacht sagen, dass siegar keinen sachlichen Antrag vorlegen wollten, sonderndie Brandfackel in das Haus der Koalition haben werfenwollen.
Ich verstehe davon nicht genug, um darüber viel sagen zukönnen. Das, was Sie vorhin gesagt haben, Frau Böhmer,hat mich etwas zweifelnd gemacht; das hätte ich bis jetztgar nicht geglaubt. Darüber will ich aber gar nicht viel re-den, sondern will auf die Sache selbst eingehen.Es gibt ein paar Gründe, warum Ihrem Antrag von unsnicht zugestimmt werden kann. Wären Sie im Status Nas-cendi dieses Antrages zu uns gekommen, so hätten wirvielleicht eine gemeinsame Ebene finden können. Abereinfach diesen Antrag zu stellen und uns zu sagen, wirkönnten ja zustimmen, ist vielleicht doch nicht die rich-tige Methode der Zusammenarbeit zwischen einer Regie-rungskoalition und der Opposition, so gerne man dieseZusammenarbeit auch hat.Lassen Sie es mich von der Sache her begründen. DasErste: Sie haben in Ihrem Antrag erklärt, dass dasEmbryonenschutzgesetz die Produktion und den Importvon Stammzellen offen lasse bzw. nicht erfasse, weil mandas damals nicht gekannt habe. Dies sieht so aus, als obdas Embryonenschutzgesetz diese Tatbestände erfassenmüsse. Nun ist das Embryonenschutzgesetz ein reinesstrafrechtliches Nebengesetz. Ob das Embryonenschutz-gesetz diese beiden Fälle umfassen müsste, ist unter unsenorm streitig. Es kann dazu also keinen Antrag geben,den wir alle unterschreiben können; jedenfalls nicht zumjetzigen Zeitpunkt.Das Zweite: Ein Moratorium ist etwas, das Betroffenefreiwillig vereinbaren können. Aber die Sprache desDeutschen Bundestages ist ein Gesetz.
Sie hatten einen Gesetzentwurf vorbereitet. Davon weißich und davon wissen wir alle. Sie haben sich selber nichteinigen können und die Vorstellung, der Deutsche Bun-destag könne wie ein absoluter Fürst, ohne das Wort „Ge-setz“ in den Mund zu nehmen, Leuten etwas ge- oder ver-bieten, beruht auf der Inanspruchnahme einer Autorität,die wir nicht haben und die unsere wirkliche Autoritäteher verdunkeln würde. Das mache ich nicht mit.
Das Dritte: Sie fordern ganz konsequent die Bundesre-gierung dazu auf, dass sie sicherstellen solle, dass der Im-port von Stammzellen nicht geschieht. Wie soll eineBundesregierung dies sicherstellen, ohne dass ihr derBundestag ein Gesetz dafür liefert?
Das geht nun einmal nicht und das machen wir nicht mit.Wir bleiben bei der Autorität, die wir haben, das heißt, wirsagen: Wir sollen selber etwas tun.Lassen Sie mich Ihnen und auch den Forschern, derDFG und anderen, die damit zu tun haben, ganz aufrich-tig sagen: Ich frage mich seit geraumer Zeit, ob wir als
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Dr. Maria Böhmer17964
Gesetzgeber nicht einiges verschlafen haben und ob wirnicht die Hängepartie, die wir Forschern zumuten auchehrlichen Forschern wie Brüstle, die öffentlich Anträgestellen und nicht heimlich importieren, die es auch gibt ,mit verschuldet haben, weil wir möglicherweise geschla-fen und nicht gesehen haben, was passiert.Sie haben selber einiges genannt, worüber wir mögli-cherweise holterdiepolter Entscheidungen treffen müs-sen, die wir aber hoffentlich sorgfältig vorbereiten. DieEnquête-Kommission wird das Ihre dazu tun. Dafür ste-hen alle Mitglieder der Enquête. Dies wird aber nach derZeit, in der wir uns hinter einem Embryonenschutzgesetzverschanzt haben, welches ohne Zweifel ein Glücksfall inder deutschen Rechtsgeschichte ist, aber im Zusammen-hang der Lebenswissenschaften hätte fortgeschriebenwerden müssen, nicht einfach sein.
Nein, bitte, Herr Lensing, ein andermal. EntschuldigenSie bitte.
Ja, hier. Aber der Deutsche Bundestag muss das Ergeb-nis in Form eines Berichts zur Kenntnis nehmen und daswerden wir tun.Nun der vierte Grund, warum wir Ihrem Antrag nichtzustimmen: Wenn wir an die Forscher den Appell richten das Einzige, was wir tun können , immer noch auf unszu warten, dürfen wir auch nicht trödeln. Dann müssenwir handeln.
Dann muss der Deutsche Bundestag auch sagen, dass erjetzt etwas tun wird. Er muss den Leuten sagen, dass nichtdas passiert, was sich einige in diesem Hause wünschen,nämlich zu sagen, dass die Forscher warten sollen, sieaber anschließend bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag war-ten zu lassen. Diese kalte Küche darf es hier im Parlamentnicht geben. Wir werden uns entscheiden. Wir werden estun. Ich hoffe, dass wir uns richtig entscheiden.Wir betreten vermintes Gelände, das wissen wir alle.Wie auch immer wir uns entscheiden eines will ich ganzdeutlich sagen: Gesetzt den Fall, dass wir die Heucheleider Nichtgewinnung von Stammzellen in Deutschlandnicht vermeiden und auch gleichermaßen den Import ver-bieten, werden wir dann eines Tages auch die Erkenntnis-importe verneinen, werden wir diese auch verbieten?Werden wir unseren Forschern verbieten, nach Amerikazu gehen und dort zu tun, was nach deutschem Recht Entschuldigung, das sage ich auch als Juristin nach derStrafrechtsandrohung sowohl nach Handlungs- als auchnach Erfolgsunrecht
eher eine lässliche Sünde ist, mit maximal drei JahrenFreiheitsentzug bestraft wird? Dies ist schon bei Dieb-stahl mehr. Ich frage mich, ob wir so heilig werden kön-nen, wie wir vorgeben zu sein.
Das Embryonenschutzgesetz sieht jedenfalls manchesoffensichtlich anders: Warum ist der Status eines verwais-ten Embryos höher als der eines abgegangenen oder ab-getriebenen Fötus, von dem keiner behauptet, er sei nichtForschungsobjekt? Er ist es schon seit über 100 Jahren.
Die Embryologie lebt davon. Fragen über Fragen!Wenn wir konsistent und konsequent bleiben wollen das sage ich nun all denen, die an Standortfragen inte-ressiert sind, was meine Sache nicht ist , kann Deutsch-land nur bei moralisch und ethisch geradem Weg Stand-ort für Wissenschaft und Wirtschaft sein. Es gibt inDeutschland, in dessen Nachbarschaft das alles geschieht,keine Möglichkeit, etwas zu tun, was das Licht derÖffentlichkeit scheuen müsste. Das muss der Wirtschaftgesagt werden und das muss der Wissenschaft gesagt wer-den. Diejenigen, die Stammzellen importiert haben, ohnedass die Öffentlichkeit etwas davon wusste anders alsBrüstle , haben die Diskussion erheblich belastet, weilsie das Misstrauen vergrößert haben.
Die Diskussion ebenso belastet haben Journalisten, dieden Namen und die Adresse von Brüstle deutlich gekenn-zeichnet haben, um ihn an den Pranger zu stellen; er be-kommt bereits Morddrohungen. Das sind Methoden, diein diesem Hause und auch außerhalb zwischen Kontra-henten verschiedener Meinungen nicht angemessen sind.Lassen Sie mich noch etwas sagen: Wir haben mitMenschenwürde zu tun und wir haben sie zu achten; sieist nicht abwägbar. Darum müssen wir uns die Frage stel-len, wie verzichtbar Forschung sein kann. Die adultenStammzellen sind deswegen kein Thema, weil sie ohneethisches Problem gefördert werden. Deshalb erscheint esmir unter dem Gesichtspunkt des Art. 5 des Grundgeset-zes, der Forschungsfreiheit garantiert, fraglich, dass derDeutsche Bundestag die Frage nach einer sinnvollen For-schung beantworten soll. Ich glaube, das ist nicht unserThema, sondern wir werden die Frage nach der Verletzungder Menschenwürde beantworten müssen, und zwar nachGewissen und Wissen. Es gibt kein Grundrecht sozusagenauf Respekt vor Tabus. Wir müssen jedes Verbot, das wiraussprechen wollen, mit Rechtsgütern, die in der Verfas-sung ihre Grundlage haben, legitimieren. Das allgemeineEntsetzen und das allgemeine Gefühl der Abscheu sindkein ausreichender Grund für ein Verbot. Wir müssen dasProblem klar benennen und nüchtern darüber diskutieren.
Letzter Punkt: Wir reden immer vom Embryo. Das istauch richtig, denn die Menschenwürde, die sich im Em-bryo verwirklicht, weil sie ihm nach der allgemeinenDeutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001Margot von Renesse17965
Überzeugung des Deutschen Bundestags zukommt, stehtin Rede. Reden wir aber auch vom Ende des Lebens. Ichspreche ein ethisches Problem an, das mich in letzter Zeitbei der Stammzellenforschung bewegt: Ich habe Angstvor einer Vampirmedizin, die Alter, altersbedingten Ver-fall, vielleicht auch den Tod, als Krankheit identifiziertund deswegen die Lebenskraft anderer Lebewesenbenötigt, um das Lebenslicht, so wie man auf eine erlö-schende Kerze eine andere steckt, zu verlängern. Ichmöchte, dass wir immer noch einen Begriff von Krankheitund von der Endlichkeit des Lebens haben; wir müssenbegreifen, wo sich das Leben rundet und wo es sich voll-enden darf.Danke sehr.
Zu einer
Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Werner
Lensing von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Weil ich eben nicht die
Gelegenheit hatte, eine Frage stellen zu dürfen was ich
aber im Übrigen durchaus verstehe , nutze ich das Mit-
tel der Kurzintervention.
Es wird hier mit hohem Ethos beschworen, dass wir
uns in diesen Fragen, bei denen es im wahrsten Sinne des
Wortes um Leben und Tod geht, möglichst breit zwischen
den Parteien verständigen und dabei naturgemäß auch
eine Gewissensentscheidung berücksichtigen. Aber die
Arbeitsbasis Frau Kollegin Böhmer hat bereits darauf
hingewiesen wird uns allen in dem Augenblick entzo-
gen, in dem man bei dem Vorschlag einer Partei, in die-
sem Fall der CDU/CSU-Fraktion, sagt, er sei verlogen,
und im anderen Falle meint, man habe die Wahrheit ge-
pachtet.
Deswegen möchte ich Folgendes mit Nachdruck fest-
stellen: Es kann überhaupt nicht sein, dass auf der einen
Seite in einem Antrag gefordert wird, der Bundestag solle
sich als höchster Souverän ich unterstütze das vom
Grundsatz mit dieser Frage befassen, was befassen
immer heißen mag, und auf der anderen Seite erklärt wird,
man wolle über das Embryonenschutzgesetz während
dieser Legislaturperiode nicht verhandeln. Es stellt sich
die Frage: Entweder scheidet die Möglichkeit, dass sich
der Deutsche Bundestag für ein dauerhaftes Verbot des
Imports der infrage stehenden Stammzellen entscheidet,
nach allgemeiner Ansicht ganz aus oder aber der Deutsche
Bundestag kann sich zwar möglicherweise ein dauerhaf-
tes Verbot wünschen, wird es aber nicht wirksam im Em-
bryonenschutzgesetz verankern können.
Das bedeutet im Klartext: Egal, wie wir uns verhalten,
der Import kann da wir nicht an das Embryonenschutz-
gesetz herangehen wollen automatisch weiter laufen,
weil er auch schon jetzt erfolgt. Das ist eine Doppelmoral,
die um den Ausdruck zu zitieren verlogen ist. Ich frage
die SPD und Bündnis 90/Die Grünen: Was soll die viel be-
schworene Diskussion eigentlich erbringen, wenn wir
doch nicht handeln können? Wenn man uns vorwirft, wir
hätten keinen eigenen Antrag eingebracht, sich selbst aber
auch weigert, Ähnliches zu tun, dann wird dieser Appell,
der hier heute groß beschworen wird, aus meiner Sicht zur
Farce.
Vielen Dank.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Ulrike Flach von der
F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Was nicht verboten ist, ist erlaubt. Keine
Strafe ohne Gesetz das ist einer der wichtigsten Grund-
sätze unseres freiheitlichen Rechtsstaates. Mit anderen
Worten: Es darf nur das Tun bestraft werden, das zum
Zeitpunkt der Tat unter Strafandrohung per Gesetz ver-
boten war.
Für unsere derzeitige Debatte heißt dies: Der Import
embryonaler pluripotenter Stammzellen zum Zweck der
Forschung ist zulässig; denn er ist laut Embryonenschutz-
gesetz nicht verboten. Die deutschen Forscher von Kiel
bis München haben die Rechtssicherheit, Embryonen-
forschung durchführen zu dürfen. Wer dies verhindern
will, liebe Kollegen von der CDU/CSU, muss das Em-
bryonenschutzgesetz ändern.
Dass dies zumindest indirekt von allen Antragstellern ak-
zeptiert wird, ist ein erfreuliches Ergebnis der Debatten
der letzten Wochen.
Es ist vor diesem Hintergrund in hohem Maße unseriös,
Forscher zu diskriminieren, die auf unser Grundgesetz
bauen und die bestehende Rechtslage nutzen.
Die F.D.P. erwartet von allen Antragstellern, egal, ob sie
für ein Moratorium, ein Verbot des Imports sind oder
nicht, dass sie dies auch akzeptieren und nicht das legale
Verhalten von Wissenschaftlern in eine halbkriminelle
Ecke rücken.
Die deutsche Wissenschaft hat zu keinem Zeitpunkt der
Debatte über die Nutzung embryonaler Stammzellen
Zweifel daran gelassen, dass ihre Forschungen dem
Zweck der Entwicklung von Therapien für kranke Men-
schen dienen. Das Interesse der Forscher ist das Interesse
der Kranken. Therapie und Heilung sind auch die pri-
mären Ziele, die die F.D.P. leiten. Aus diesem Grunde sind
wir entschieden gegen den Versuch, Forschungen, die un-
sere Lebensbedingungen verbessern, zu behindern oder
gar zu verbieten.
Die F.D.P. spricht sich deshalb deutlich gegen den An-
trag der CDU, Import und Forschung bis zu einer Ent-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Margot von Renesse
17966
scheidung des Bundestages auszusetzen, aus. Wir wollen
kein Moratorium, nicht nur deshalb nicht, weil es sich
um eine rein rhetorische Maßnahme handelt, wie Herr
Lensing gerade sehr deutlich gemacht hat, sondern auch,
weil wir die Forschung auf diesem für die medizinische
Entwicklung so wichtigen Gebiet nicht behindern wollen.
Wer heute ein Moratorium verabschiedet, lähmt einen
ganzen Forschungszweig, liebe Kollegen. Das mag gut
für die Debattenkultur in Deutschland sein es ist schäd-
lich für die Menschen, die an Krebs, Parkinson, Alz-
heimer, Diabetes oder Osteoporose leiden und auf Linde-
rung, wenn nicht Heilung hoffen.
Unsere Aufgabe, liebe Kollegen, ist es nicht, Gräben
zwischen Wissenschaft und Gesellschaft aufzureißen.
Unsere Aufgabe ist es, Gesetze zu verabschieden, die mit
hoher moralischer Verantwortung eine gesicherte Basis
für eine streng kontrollierte, transparente Forschung er-
möglichen. Das geht weit das muss ich auch Ihnen sa-
gen, Frau von Renesse über ein Moratorium oder das
Warten auf Ethikrat-Entscheidungen hinaus.
Wir sind in der Pflicht, ein Gesetzeswerk zu schaffen,
welches Forschung nicht nur über Gesetzeslücken und
Import aus dem Ausland erlaubt. Import als Ausweg aus
Ihren Koalitionsproblemen das ist zu wenig. Wir brau-
chen eine klare gesetzliche Grundlage, gerade weil wir es
mit komplexen ethischen Fragen zu tun haben.
Dabei können wir uns natürlich von Ethikräten, Kom-
missionen und Fachgremien beraten lassen, aber das Par-
lament soll und darf sich nicht den Zeitplan von Gremien
diktieren lassen, die ihre Legitimität nicht vom Volk, son-
dern aus dem Kanzleramt erhalten haben. Deshalb lehnen
wir auch den Koalitionsbefriedungsantrag der Regie-
rungsfraktionen ab. Auch Sie binden das Parlament, in-
dem Sie die Stellungnahmen der Enquête-Kommission,
des Ethikrates und der DFG zur Vorbedingung einer Be-
fassung des Bundestages machen. Das mag gut für den
Koalitionsfrieden in der Sommerpause sein, aber im
Herbst werden Sie um eine Entscheidung nicht herum-
kommen. Wir, die F.D.P., werden dann einen eigenen Ge-
setzesantrag einbringen und wir wünschen auch, dass da-
rüber entschieden wird.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat ihre Ent-
scheidung über eine Förderung des Stammzellenpro-
jektes von Oliver Brüstle verschoben. Das ist die freie
Entscheidung der DFG. Dafür erwarten aber die Forscher
zu Recht, dass das Parlament deutlich macht hier
stimme ich Ihnen ausdrücklich zu, Frau von Renesse , ob
es diese Forschung will oder nicht. Sie können nicht ein-
fach halt rufen und glauben, damit sei das Problem
gelöst. Die Forschung im Ausland geht weiter und wenn
es bei uns politisch so weitergeht, gehen unsere Forscher
natürlich ins Ausland.
Wir erwarten von Ihnen, dass Sie nicht den Weg des
kleinsten gemeinsamen Nenners Ihrer Koalition gehen.
Falls Sie auf Zeit spielen und meinen, Querelen dadurch
entgehen zu können, dass Sie die Welt außerhalb Deutsch-
lands Embryonen für deutsche Forschung zur Verfügung
stellen lassen, dann irren Sie sich. Spätestens bei der
Frage, wie man denn mit Medikamenten und Heilungs-
verfahren umgeht, die im Ausland durch Embryonenfor-
schung entstanden sind, werden Sie Farbe bekennen müs-
sen. Oder wollen Sie den Deutschen erklären, dass wir
dann alle darauf verzichten?
Die F.D.P. will noch in diesem Jahr eine Novellierung
des Embryonenschutzgesetzes mit dem Ziel der For-
schung an überzähligen Embryonen aus der künstlichen
Befruchtung. Dafür werden wir kämpfen, liebe Kollegen,
und ich bin sicher, auf diesem Wege werden uns auch
Kollegen der anderen Fraktionen folgen. Die Freiheit des
Gewissens ist keine Einbahnstraße im Sinne der For-
schungsgegner.
Lassen Sie uns nicht noch mehr Zeit verlieren. Nehmen
Sie die Forschungsministerin beim Wort und machen Sie
Tempo für Entscheidungen. Stimmen Sie gegen ein Mo-
ratorium und für unseren Antrag.
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Andrea Fischer vom Bündnis 90/Die
Grünen.
Andrea Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
halte den Koalitionsantrag, den wir heute einbringen und
zur Abstimmung stellen, für die angemessene Reaktion
auf die Entwicklungen der letzten Zeit. Er ist deshalb an-
gemessen, weil sich der Bundestag an die Forscher wen-
det und an sie appelliert, zu respektieren, dass er der Sou-
verän ist und diese Fragen entscheidet. Zugleich machen
wir deutlich, dass der Bundestag gewillt ist, diesen Ent-
scheidungsprozess voranzutreiben.
Im Ziel gibt es dabei durchaus Übereinstimmung mit
manchem, was im CDU/CSU-Antrag steht. Der Haupt-
grund, warum ich glaube, dass dieser Antrag in der jetzi-
gen Form nicht angenommen werden kann, ist, dass es
nach der gegenwärtigen Rechtslage überhaupt nicht er-
kennbar ist, was die Bundesregierung zur Durchsetzung
eines solchen Moratoriums tun könnte. Um es etwas flap-
sig auszudrücken: Ich hoffe nicht, dass Sie erwarten, dass
die Bundesregierung eine schnelle Eingreiftruppe in die
entsprechenden Forschungslabors schickt.
Insoweit ist nach meinem Dafürhalten unser Antrag die
angemessene Reaktion.
Der Bundestag muss sich zu der gegenwärtigen Ent-
wicklung verhalten. Zugleich braucht er Zeit dafür. Ich
selbst habe die Erfahrung gemacht, dass das vergangene
Jahr offenkundig bei allen Fraktionen als zu früh galt,
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Ulrike Flach
17967
sich mit einem Fortpflanzungsmedizingesetz als Weiter-
entwicklung des Embryonenschutzgesetzes zu befassen.
Ich will noch etwas zu dem Vorwurf sagen, wer die
Steilvorlage aus unserer guten Debatte vom 31. Mai dazu
gegeben habe, jetzt wieder in ein parteipolitisches Hick-
hack zurückzufallen. Vollkommen klar ist, dass wir es mit
moralischen Fragen zu tun haben, die in der Politik einen
ganz eigenen Sprengsatz darstellen. Am Ende wird es ei-
nige strittige Punkte geben, die nur quer durch die Frak-
tionen entschieden werden können, weil sie Gewissens-
fragen sind. Trotzdem sind wir hier nicht im politikfreien
Raum und damit auch nicht im machtpolitisch freien
Raum. Deswegen sollte das auch niemand unterstellen.
Bislang haben wir uns alle mit ziemlich viel Anstand in
dieser Debatte bewegt. Dies sollten wir beibehalten, dür-
fen aber nicht so tun, als seien sämtliche Regeln der Poli-
tik, die sonst gelten, außer Kraft gesetzt.
Ich möchte mich noch kurz auf die Sache einlassen:
Die Debattenlage spitzt sich nach meiner Wahrnehmung
immer stärker darauf zu, dass vonseiten der Forschung ge-
sagt wird, es könne nicht angehen, dass die Politik erstens
so lange braucht und zweitens, wenn sie einmal entschei-
det, sich gegen etwas entscheidet, was die Forschung ma-
chen will.
Ich habe viel Verständnis für das Problem des Time-
lags, der Differenz zwischen der von der Politik für eine
wirklich nicht einfach zu führende gesellschaftliche Dis-
kussion benötigten Zeit und der Ungeduld der Forscher.
Ich kann das gut nachvollziehen. Trotzdem meine ich,
dass es nicht unbillig ist, Respekt vor dieser zeitlichen
Differenz zu verlangen, weil solche Entscheidungen in
einem politischen und parlamentarischen Prozess wirk-
lich schwierig sind.
Die zweite Frage geht ins Grundsätzliche. Was wäre,
wenn das Parlament in welcher Form auch immer ei-
nes Tages entschiede, eine bestimmte Form von For-
schung nicht zulassen zu wollen, weil sie an einem Mate-
rial erfolgt, dessen Verwendung wir für ethisch nicht
zulässig halten? Damit kommen wir zu einer Kernfrage.
Heißt das, dass die Politik die Forschungsfreiheit infrage
stellt? Ich beantworte diese Frage mit Nein. Auch jetzt
schon bewegt sich die Forschung nicht in einem rechts-
freien Raum.
Das beginnt mit Sicherheitsbestimmungen für die Labors
und reicht bis zum Verbot von fremdnütziger Forschung
und von Menschenversuchen. Das heißt: Wir reden nicht
zum ersten Mal darüber, dass es bestimmte Regeln geben
muss. Daher plädiere ich an diesem Punkt definitiv dafür,
hinsichtlich der in den letzten Wochen deutlich gewor-
denen Spirale etwas abzurüsten.
Ich will, wie ich das schon vor vier Wochen getan habe,
noch einmal betonen: Es gibt zurzeit eine ausgeprägte öf-
fentliche Wahrnehmung und auch Wertschätzung der
Erfolge der Lebenswissenschaften, der Erfolge der Gen-
technologie und der Biotechnologie. Es gibt massive öf-
fentliche Förderung für die Stammzellenforschung. Strit-
tig ist allein ein Bereich, in dem es um Stammzellen geht,
die durch den Verbrauch von Embryonen gewonnen
werden. Das ist ein relativ kleiner Bereich der gesamten
Stammzellenforschung.
Auch das möchte ich noch einmal gegenüber den-
jenigen betonen, die diese Alternative entweder Heilung
oder keine Forschung an Stammzellen aufmachen, die
ich in dieser Entgegensetzung für polemisch halte.
Ich empfinde es als berechtigt, nicht ganz so schlunzig
darüber hinwegzugehen und von einer Forschung zu spre-
chen, die als Rohstoff den Menschen in seinem frühesten
Stadium benutzen will. Uns allen sind die philosophi-
schen Auseinandersetzungen der letzten Wochen über die
Frage, ob dieses frühe Stadium denselben Status an Men-
schenwürde und Lebensschutz wie spätere Stadien ver-
dient, wohlvertraut. Ich habe meine Position dazu deut-
lich gemacht.
Ich will an diesem Punkt vor allem noch einmal unter-
streichen: Wenn wir diese politische Entscheidung tref-
fen, dann müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass wir
damit einen irreversiblen Schritt tun. Es wurde vorhin
schon darauf hingewiesen: Wir werden dann nicht bei den
paar angeblich überzähligen Embryonen stehen bleiben.
Der nächste Schritt wird vielmehr sein, aktiv in die Pro-
duktion von Embryonen einzusteigen.
Professor Ganten wies darauf hin, dass es dann auch
kein starkes Argument mehr dafür gibt, nicht mit dem the-
rapeutischen Klonen zu beginnen, was by the way auch
bedeutet, in die massive Gewinnung von weiblichen Ei-
zellen einzusteigen. Die Tatsache, dass das therapeutische
Klonen nur mit dieser Ressource wird funktionieren kön-
nen, ist ein Aspekt, der meiner Ansicht nach in dieser Dis-
kussion sträflich vernachlässigt wird.
Aus diesem Grund halte ich es für berechtigt, dies nicht
nur als Appell an den Bundestag, den man, wie ich nach
dieser Debatte meine, nicht mehr davon überzeugen
muss, dass er hierzu gefragt ist, sondern auch an die Ge-
meinschaft der Forschenden zu richten. Es ist notwendig
und sinnvoll, sich dieser Frage sehr gründlich zu stellen.
Ich meine übrigens auch, dass das Argument, die an-
deren machten es ja, wenig überzeugend ist. Wir lassen
uns auch bei anderen grundsätzlichen Fragen hinsichtlich
unserer Vorstellung, was die Regeln des menschlichen
Zusammenlebens sein sollen, wie wir zusammenleben
wollen, nicht darauf ein, zu sagen, die anderen haben es
aber so oder so entschieden. Von daher ist die Frage be-
rechtigt: Wollen wir in Deutschland aktiv in die For-
schung unter Verbrauch von Embryonen und deren Her-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Andrea Fischer
17968
stellung zu diesem Zweck einsteigen? Man könnte auch
sagen: Deutschland beschreitet in der Forschung aktiv ei-
nen anderen Weg. Das heißt, diese Entscheidung bleibt
uns nicht erspart. Sie ist auch nicht so leicht, als dass man
sagen könnte: Wir folgen einfach den anderen. Dies gilt
insbesondere, wenn man sich anschaut, dass auch in an-
deren Ländern, nicht zuletzt in den USA, diese Frage min-
destens so umstritten ist wie in der Bundesrepublik.
Ein weiterer Punkt: Bei der Frage, welchen Sinn und
welche zwingende Begründung es dafür gibt, unbedingt
an menschlichen embryonalen Stammzellen zu forschen,
stellt man fest, dass dies offenkundig in der Community
und auch unter den Wissenschaftlern selber umstritten ist,
nicht nur unter bedenkenträgerischen Politikern. Ich
finde, das gibt allen Anlass dazu, hier mit Bedacht vorzu-
gehen und nicht nur den Stand der Wissenschaft gründ-
lich zu bedenken, sondern dabei auch die grundsätzli-
chen Fragen zu erörtern.
In diesem Sinne möchte ich sagen: Die Forscher sind
mit ihrer Arbeit ein Teil der Gesellschaft.
Diese Gesellschaft hat sich bestimmte Regeln gegeben
und nimmt lebhaft Anteil an dem, was die Forschung tut.
Die Forschung und die Forscher sind kein außergesell-
schaftlicher Bereich, der sich davon irritiert fühlt, dass
andere, die nicht ganz so viel davon verstehen, ihre
Bedenken äußern, diese angemessen erörtern und gege-
benenfalls Regeln aufstellen. Das ist eine Form von
Selbstbeschränkung dieser Gesellschaft. Diese Ausei-
nandersetzung ist uns auch in anderen Bereichen nicht un-
vertraut. Deswegen sollten wir hier nicht so diskutieren,
als wollten wir zum ersten Mal eine Grenze setzen.
Ich will abschließend noch etwas zum Verfahren sagen.
Wer hier welchen Weg verlassen hat, liebe Frau Kollegin
Böhmer, ist wahrscheinlich schwer festzustellen. Ich
schlage Folgendes vor: Erstens. Da unser Antrag manches
von dem enthält, was auch in Ihrem Antrag steht, könnten
umgekehrt Sie überlegen, ob Sie unserem Antrag zustim-
men wollen.
Zweitens. Wir haben es das habe ich vorhin schon ge-
sagt nicht mit einem politikfreien Raum zu tun, in dem
alle sonst geltenden Regeln außer Kraft gesetzt sind. Was
aber gilt, ist, dass wir im Moment eine Art von Debatte
führen, die der Schwierigkeit und auch der Tragweite
dieses Themas meines Erachtens sehr angemessen ist.
Auch die Auseinandersetzung untereinander verläuft gut.
Es wäre schön, wenn das weiterhin so möglich wäre.
Wenn wir ein Interesse daran haben, eine Gewissens-
entscheidung zu treffen, werden wir überlegen müssen, ob
wir uns an Verfahren, die wir aus früheren Debatten über
moralisch schwierige Fragen kennen, orientieren. Dort
haben wir uns bemüht, bei den unstrittigen Fragen einen
möglichst breiten Konsens herzustellen, sodass sich die
Debatte auf wenige strittige Fragen konzentriert.
Wir alle sollten die Sommerpause dafür nutzen, darüber
nachzudenken, welche Art von Verfahren das sein kann,
um weiterhin dem Wunsch gerecht zu werden, uns mit
diesem Thema angemessen zu befassen, ohne so zu tun,
als würden wir nun alle keine Parteien mehr kennen.
Letzter Punkt. Zu den vielen Räten, die wir haben. Ich
finde: Bei so einem Thema kann man gar nicht genug
Ratschläge bekommen, aber entscheiden werden wir, der
Deutsche Bundestag.
Als
nächster Redner hat der Kollege Dr. Ilja Seifert von der
PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen hier vor einer
Richtungsentscheidung, aber wir stehen nicht allein: Die
Menschheit steht vor einer Richtungsentscheidung.
Ausweichen geht nicht. Es scheint so zu sein, als stünde
ewige Gesundheit gegen immer währende Unvollkom-
menheit.
Aber Richtungsentscheidungen sollte man nicht unter
Zeitdruck fällen. Noch weniger jedoch dürfen wir sie blin-
den Marktkräften überlassen. Diese Demokratie kennt als
Ort für solche Entscheidungen das Parlament, und zwar
nur das Parlament. In diesem Punkte scheinen wir uns alle
einig zu sein. Das will ich gern hervorheben.
Die Forschung an embryonalen Stammzellen verheißt
sagenhafte Fortschritte: Ersatzorgane, Linderung für
Parkinsonkranke, Heilung von Querschnittslähmung und
andere Dinge. Aber schon mit diesen Hoffnungen, Frau
Flach, verändern wir unser Menschenbild.
Wenn Sie hier so tun, als ob die Kranken morgen ge-
heilt werden könnten dieses Bild haben Sie hier vermit-
telt ,
dann verunsichern Sie die Menschen in starkem Maße
und machen ihnen Hoffnungen, die nicht erfüllbar sind.
Sie wissen so gut wie ich, dass die ersten Versuche mit
embryonalen Stammzellen an Parkinsonkranken die
Krankheit verschlechtert bzw. dazu geführt haben, dass
die meisten so behandelten Patienten Krebs bekommen
haben. Ich weiß nicht, ob das besser ist.
Ich komme auf das Menschenbild zurück. Bis jetzt ist
die menschliche Unvollkommenheit das Selbstverständ-
lichste von der Welt, egal, ob man das vom religiösen oder
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Andrea Fischer
17969
vom humanistisch-aufklärerischen Standpunkt sieht.
Wenn es aber zukünftig anders wäre, dann wäre die Un-
vollkommenheit vielleicht ein Makel. Dann muss man
sich vielleicht dafür entschuldigen, nicht einem be-
stimmten Schönheitsideal oder gar einer bestimmten
Mode zu entsprechen, weil angeblich alles reparierbar
sei.
Ich mache keinen Hehl daraus, dass auch bei uns in der
PDS-Fraktion unterschiedliche Meinungen zu den vorlie-
genden Fragen existieren. Das ist das Normalste von der
Welt. Aber wir haben auf die Vorlage eines Antrages zur
heutigen Debatte verzichtet, weil wir keine parteipoliti-
sche Komponente hineinbringen wollten. Was hätte es
denn genützt, wenn Sie unseren Antrag, auch wenn er
noch so gut gewesen wäre, abgelehnt hätten, nur weil er
von uns gekommen ist?
Noch ist nicht klar, wie die Risiken und die Chancen
der Forschung an embryonalen Stammzellen verteilt sind.
Klar ist nur: Wenn eine solche Forschung in großem Stil
eingesetzt hat, dann ist sie nicht mehr rückholbar. Die
Kollegin Fischer hat eben darauf hingewiesen. Und dann
stehen wir vor vollendeten Tatsachen, die von den freien
Kräften des Marktes oder von dem unbändigen For-
schungswillen Einzelner geschaffen worden sind. Man
kann in der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zei-
tung nachlesen, dass sich Frau Kollek und Frau
Schneider nicht des Verdachtes entziehen können, dass
gar nicht die viel beschworene Ethik des Heilens, son-
dern der Wettlauf um Patente im Vordergrund steht. Das
ist ein gewaltiger Unterschied. Bei Letzterem geht es
nämlich um die Verwertungsrechte. Das ist etwas ande-
res als der Wunsch, in erster Linie anderen zu helfen.
Wenn uns die Forschung vor vollendete Tatsachen stellt,
dann ist es quasi unter der Hand gesellschaftlich ak-
zeptiert, dass Embryonen getötet werden können. Und
zwar für Forschungszwecke. Die ethische Dimension ist
hier wohl unübersehbar.
Wenn wir jetzt einen Moment innehalten, das heißt vier
bis fünf Monate, dann gewinnen wir ein bisschen Muße,
um noch einmal im Rahmen eines breiten gesellschaftli-
chen Diskurses darüber nachzudenken, ob wir Embryo-
nen opfern wollen, ob wir Organersatzbanken wollen
und ob wir programmiert wachsende Zellen zur Krank-
heitsbekämpfung implantiert haben wollen. Niemand
weiß, ob solche Zellen aufhören zu wachsen, wenn ihre
Aufgabe erfüllt ist. Niemand weiß heute, ob die Organ-
züchtung wirklich funktioniert. Aber was, bitte schön,
wird aus den so genannten Zwischenergebnissen? Sind
das dann medizinische Kollateralschäden? Lasten dann
vielleicht nur verbrauchte Embryonen auf unseren Ge-
wissen? Es gibt noch viele andere Fragen, die heute be-
reits von Frau von Renesse, von Frau Böhmer und von
Frau Fischer gestellt worden sind.
Der politische Begriff für Innehalten lautet Morato-
rium. Wenn der Bundestag jetzt ein Moratorium be-
schließt, dann kann es eine starke moralische Wirkung
entfalten. Das ist etwas anderes als nur bitte, bitte zu
machen. Es würde den Zeitrahmen für die Vorbereitung
von Entscheidungen schaffen. Das Parlament könnte
dann seine Verantwortung sachgerecht und bewusst wahr-
nehmen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe auf
eine gute weitere Diskussion sowie auf eine faire Be-
handlung aller Anträge, egal, wer sie gestellt hat.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Wolfgang Wodarg von der SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich hatte mir so viel zu dem
Thema aufgeschrieben. Nun ist das Meiste schon gesagt
worden. Es sind gute Reden gehalten worden. Die Ge-
meinsamkeiten wurden betont. Es sind wirklich viele
Gemeinsamkeiten da. Wir alle sind der Meinung, dass der
Deutsche Bundestag zuständig ist. Wir alle wollen uns be-
raten lassen, von wem auch immer wir sind da offen ,
und wollen uns die Zeit dafür nehmen. Ich bin nicht der
Meinung, Herr Seifert, dass das Ganze in Muße geschieht.
Wir werden Knochenarbeit leisten müssen. Wir werden
uns daranmachen müssen, um das einzuholen, was wir zu
spät angefangen haben. Ich sage nicht Wir haben schon
vor einem Jahr die Enquête-Kommission eingerichtet,
sondern ich sage Wir haben sie erst vor einem Jahr ein-
gerichtet. Das war ein Fehler. Wir hätten es gleich tun
sollen.
Die Enquête-Kommission hat Vorarbeit geleistet. Sie
hat sich des Themas der Forschung an embryonalen
Stammzellen gleich zu Anfang angenommen und hat die-
ses Thema systematisch bearbeitet. Es ist ja auch keine
einfache Frage, die mit Ja oder Nein beantwortet werden
kann. Stammzellforschung ist vielfältig. Stammzellen
können aus Tieren und aus Menschen gewonnen werden.
Sie können von Embryonen gewonnen werden. Sie kön-
nen Föten entnommen werden, die abgegangen sind. Sie
können, wie wir jetzt gehört haben, sogar Leichen ent-
nommen werden. Es gibt sehr viele Möglichkeiten. Sie
können Patienten entnommen werden, im Labor bearbei-
tet werden und in veränderter Form als Therapeutikum
demselben Patienten wieder zugeführt werden; das sind
dann die adulten Stammzellen.
In allen diesen Bereichen gibt es weltweit intensivste
Forschungsarbeit. Wir sprechen hier über einen ganz klei-
nen Ausschnitt dieser Stammzellforschung.
Zur Forschung an embryonalen Stammzellen möchte
ich Professor Markl, den Präsidenten der Max-Planck-
Gesellschaft, zitieren. Er sagt:
Was die Wissenschaft über die Entwicklung des
Säugetierorganismus zu erforschen sucht, kann sie
viel besser an Mäusen oder anderen Versuchstieren
erarbeiten.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Dr. Ilja Seifert
17970
Er sagt das für die Grundlagenforschung. Für die
Grundlagenforschung brauchen wir keine menschlichen
embryonalen Stammzellen, so Professor Markl.
Menschliche embryonale Stammzellen würden wir erst
dann brauchen, wenn wir ganz konkrete therapeutische
Anwendungen für den Menschen ableiten wollten,
wenn sie wirklich konkret da wären.
Wenn wir das aber wollen und mit embryonalen Stamm-
zellen des Menschen tatsächlich forschen, dann haben wir
ein Problem, das hier auch schon ein bisschen angeklun-
gen ist; Frau Fischer hat es, glaube ich, gesagt. Uns nützt
diese Forschung wenig; denn diese Stammzellen, die wir
dann nutzen, stammen von einem Embryo mit einer ganz
bestimmten genetischen Ausstattung. Wenn wir daraus
Medikamente, Organe und Gewebe für einen Patienten
herstellen wollen, dann haben wir das Problem der Un-
verträglichkeit. Das heißt: Wir müssen etwas tun, damit
diese Zellen und das Gewebe verträglich sind. Wenn es
wirklich um die Entwicklung von Therapeutika geht,
dann ist also die Diskussion um das therapeutische Klo-
nen angesagt; das ist dann unvermeidbar. Wer da A sagt,
muss automatisch B sagen. Das ist miteinander verbun-
den. Das wissen alle, die an dieser Thematik arbeiten. Ich
weise jetzt darauf hin; denn wenn wir uns in Richtung der
Forschung an embryonalen Stammzellen entscheiden,
wenn wir dazu Ja sagen, dann werden wir auch dieses
Thema zu behandeln haben, ob wir das wollen oder nicht.
Wenn es um die Grundlagenforschung geht das muss
hier ganz klar sein , brauchen wir die embryonalen
Stammzellen nicht.
Ich möchte dann noch ein Thema ansprechen, das noch
nicht behandelt worden ist, was aber drängt. Es geht um
die Frage: Welche Motive können sonst dahinter stehen?
Wie stellt sich die Forschungslandschaft dar? Da sind
wir einfach verpflichtet, genau hinzusehen. Die Forscher
sind verpflichtet, uns die Hintergründe, ihre Motive, die
Alternativen, die sie kennen, ausführlich zu nennen und
nichts hinter dem Berg zu halten.
Ich ärgere mich darüber, wenn ich im Nachhinein höre,
dass Forscher, die Forschungsanträge stellen, schon
längst das Feld, die Claims mit Patenten abgesteckt ha-
ben, ohne dass sie es von Anfang an gesagt haben. Das
hätte gleich gesagt werden müssen.
Erst gestern wieder hat ein Forscher für einen ganz an-
deren Bereich da ging es nicht um Nervenzellen, son-
dern um Herzmuskelzellen gesagt: Wenn wir wollen,
dass zur Hilfe für Patienten mit Herzinsuffizienz oder mit
schweren Herzkrankheiten Herzmuskelzellen hergestellt
werden können, dann brauchen wir die Forschung an em-
bryonalen Stammzellen. So hat sich gestern in einem
Presseinterview ein bekannter Herzspezialist geäußert.
Was dieser Herzspezialist gesagt hat, stimmt nicht.
Es gibt bereits Forschungsergebnisse, die besagen, dass
Herzmuskelzellen aus mesenchymalen Zellen des Kno-
chenmarks vom Menschen selbst hergestellt worden sind.
Darüber sagt dieser Herzspezialist kein Wort. Das Ganze
wirkt sehr verdächtig, da der gleiche Forscher das muss
nachgeprüft werden sogar Patente über die Herstellung
von Herzzellen aus embryonalen Stammzellen hat.
Es geht eben nicht um Heilungsversprechen, sondern
darum, wie man sich über das Erwerben von Marktan-
teilen wirtschaftliche Vorteile verschaffen kann. Uns allen
muss klar sein: Wir können nicht mitmachen, wenn wir so
hinters Licht geführt werden, wenn solche Vorgänge un-
serer Entscheidung zugrunde liegen, wenn also allein die
Förderung der wirtschaftlichen Interessen Einzelner, die
sich auch noch unfair verhalten, das Ergebnis sein soll.
Ich hoffe, dass wir die Zeit haben, das alles zu durch-
leuchten.
Wir wollen auch wissen: Woher kommen die embryo-
nalen Stammzellen, die importiert werden? Haben die
Eltern der Embryonen, aus denen diese Stammzellen ge-
wonnen werden, diesem Vorgang wirklich zugestimmt?
Ist das dokumentiert? Oder stimmt vielmehr das Gerücht,
dass die embryonalen Stammzellen, die aus Amerika
kommen, nicht von eingefrorenen, sondern von frischen
Embryonen stammen? Wenn das so ist darauf gibt es
sehr viele Hinweise , dann stammen diese Stammzellen
nicht von überzähligen Embryonen, sondern sie sind extra
zu Forschungszwecken hergestellt worden.
Das will ganz Europa nicht. Sogar in der Bioethik-
Konvention des Europarates steht, dass die Herstellung
von Embryonen zu Forschungszwecken in ganz Europa
verboten werden soll. Ich weise darauf hin, auch wenn
wir dieses Dokument aus anderen Gründen darin ist
nämlich vieles andere nicht erwähnt nicht unterzeich-
net haben.
Wir müssen also ganz viele Fragen beantworten. Wir
werden auch in der Enquête-Kommission unsere Ergeb-
nisse so deutlich aufbereiten, dass wir in den Bericht ein
umfangreiches Kapitel zur Stammzellforschung, mit dem
der Versuch verbunden ist, dem Deutschen Bundestag
Lösungen für die einzelnen Bereiche der Stammzell-
forschung darzubringen, einfügen. Von diesen Erwä-
gungen werden wir das wird schon in diesem Herbst
geschehen einen Teilbericht zum Import von embryo-
nalen Stammzellen sozusagen abzweigen, den wir dem
Deutschen Bundestag vorher präsentieren können. Die
Fraktionen sind sich in diesem Vorhaben einig und das ist
auch möglich. Ich hoffe, dass wir eine Lösung erarbeiten,
die wir gemeinsam tragen können.
Ich brauche die Gründe dafür, warum hier drei Anträge
vorliegen, nicht zu wiederholen. Wir sollten uns auf die
allen Anträgen gemeinsamen Forderungen konzentrieren.
Wir fordern die Wissenschaft auf, nichts gegen die Mei-
nung der Volksvertreter, die für die öffentliche Meinung
stehen wer sonst soll sie darstellen? , zu unternehmen.
Wir fordern dazu auf, keine vollendeten Tatsachen zu
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Dr. Wolfgang Wodarg
17971
schaffen und nicht nur die Embryonen in Forschungsin-
stituten, sondern auch die in privaten Unternehmen ich
gehe davon aus, dass es sie gibt; das habe ich schon vor-
her getan nicht zu nutzen, bis wir hier eine Entscheidung
getroffen haben.
Wir müssen schnell arbeiten, die entsprechenden Rege-
lungen zügig formulieren und in Gesetzesform bringen, da-
mit die Forschung nicht allzu lang in die falsche Richtung
läuft. Ich glaube, auch darüber sind wir uns einig. Ich hoffe,
dass wir in Zukunft nicht noch einmal erleben die
CDU/CSU hat damit leider angefangen , dass das Ziel,
dieses Thema überfraktionell zu behandeln und gemäß un-
serem Gewissen zu entscheiden, zugunsten von frak-
tionstaktischen Überlegungen aufgegeben wird. Wenn man
auf Vorgänge reagiert, die aus ganz anderen Motiven und in
ganz anderen Zusammenhängen auf Landesebene gesche-
hen, dann wird das unsere Arbeit verzögern und stören.
Ich hoffe auf eine gute Zusammenarbeit.
Als
nächster Redner hat der Kollege Horst Seehofer von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute
erneut unbestritten über eine Schlüsselfrage des 21. Jahr-
hunderts. Ich möchte mit einer kurzen Betrachtung be-
ginnen, wie die Deutschen in den letzten Jahren mit dem
schwierigen Thema Gentechnik und Biotechnologie
umgegangen sind. Die Debatte darüber war ja oft von
Ängsten bestimmt. Ich denke, wir können heute nach gut
zehn Jahren durchaus festhalten, dass wir in Deutschland
Anfang der 90er-Jahre diesbezüglich ein vorbildliches
Recht geschaffen haben, das für viele andere Mitglied-
staaten in der Europäischen Union zum Vorbild geworden
ist, nachgeahmt und Grundlage für europäische Richt-
linien wurde sowie in all den Jahren in Deutschland auch
sehr verantwortungsvoll umgesetzt worden ist.
Was die Umsetzung dieses Themas und die Erfah-
rungen damit betrifft, befindet sich die Bundesrepublik
Deutschland weltweit im Spitzenfeld. Es wurden viele
Fortschritte erreicht, die heute schon einen Segen für die
Menschen bedeuten, nicht nur im Umwelt- und Nah-
rungsmittelbereich, sondern auch in der Medizin; ich
denke gerade im Medikamentenbereich an Interferone,
Insulin und Wachstumshormone. Das alles war möglich,
weil diese Debatte in den letzten gut zehn Jahren, jeden-
falls ganz überwiegend, ebenso auf blinden Fort-
schrittsoptimismus wie auf irrationale Technikfeindlich-
keit verzichtet hat. Ich möchte festhalten: Es gibt keinen
einzigen Schadensfall, es ist kein einziges neues Pro-
blemfeld in den letzten zehn Jahren entstanden. Dem liegt
nicht blinde Fortschrittsgläubigkeit zugrunde, sondern ein
ethisch verantwortlicher Umgang mit diesem sensiblen
Thema.
Meine Damen und Herren, wenn man in einer früheren
Bundesregierung fast sieben Jahre federführend für dieses
Thema zuständig war, dann muss es erlaubt sein, zu sa-
gen, dass wir es gerade in der Medizin der Neugier der
Forscher und ihrer beharrlichen Arbeit verdanken, bei uns
im Lande einen medizinischen Fortschritt und einen me-
dizinischen Standard erreicht zu haben, der für viele
schwer kranke Menschen einen Segen bedeutet. Wir soll-
ten dafür den Forschern dankbar sein.
In der Vergangenheit ging es vornehmlich um die
Frage, Biotechnologie und Gentechnik durch den Men-
schen zur Anwendung zu bringen. Jetzt geht es verstärkt
um die Frage, diese Technologie beim Menschen zur An-
wendung zu bringen. Ich stimme allen zu, die sagen, da-
bei handele es sich um ethisch, juristisch, wissenschaft-
lich und medizinisch hochkomplexe Fragen. Ich denke,
dass wir angesichts der Komplexität dieses Themas sehr
sorgfältig, sensibel und ernsthaft damit umgehen sollten.
Herr Dr. Seifert, ich habe als Gesundheitsminister vor
übertriebenen Hoffnungen, was Heilung und Linderung
von Krankheiten betrifft, gewarnt. Ich muss Ihnen aber
ganz ehrlich sagen, dass mich oft Begegnungen bewegt
haben. Ich denke dabei an eine Begegnung im Herz-
zentrum hier in Berlin, wo ich einem Patienten mit einem
Kunstherzen in der Brust gegenüberstand, der um seine
begrenzte Lebenserwartung ohne ein Spenderorgan wuss-
te und mir sagte: Helfen Sie uns, helfen Sie mir! Da be-
ginnt im Herzen der Traum zu wachsen, vielleicht eines
Tages doch mit den Mitteln der Forschung Lösungen zu
finden, um heute noch nicht beherrschbare Krankheiten
eines Tages zu lindern oder vielleicht sogar zu heilen. Ich
spreche ausdrücklich von einem Traum, nicht von einer
realistischen Hoffnung.
Herr Kol-
lege Seehofer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Dr. Ilja Seifert?
Ja.
Herr
Seifert.
Herr Kollege Seehofer, Sie ha-
ben gerade mit großer Ernsthaftigkeit davon gesprochen,
wie sehr sich Menschen Heilung oder Linderung erhof-
fen, wenn sie von schweren Krankheiten betroffen sind.
Ich gehe davon aus, dass Sie mir abnehmen, dass ich min-
destens genauso oft wie Sie mit solchen Menschen zu-
sammenkomme, die diese Hoffnung haben. Aber muss
uns die Frage, vor der wir heute stehen, nicht mindestens
genauso bewegen: Wie helfen wir ihnen heute, mit ihrer
Beeinträchtigung zu leben? Wie helfen wir ihnen heute,
soviel Bewusstsein zu entwickeln, dass sie mit der Spanne
des Lebens, die ihnen noch bleibt selbst wenn sie wis-
sen, dass sie sterben müssen; wir müssen auch über das
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Dr. Wolfgang Wodarg
17972
Sterben reden , so würdevoll umgehen, wie Sie und ich
das selbstverständlich erwarten?
Ist es in diesem Zusammenhang tatsächlich der richtige
Weg, ihnen etwas zu verheißen, was vielleicht in 20 oder
50 Jahren auf Kosten der von mir vorhin medizinische
Kollateralschäden genannten Dinge Realität sein könnte?
Ich frage das mit so viel Konjunktiven, wie mir überhaupt
nur einfallen.
Herr Dr. Seifert, da
stimme ich Ihnen völlig zu. Mit möglichen Lösungen in
der Zukunft dürfen wir nicht die Gegenwart bewältigen,
sondern wir müssen in der Gegenwart das tun, was mit
den heutigen medizinischen Möglichkeiten und auch un-
ter den sozialen Gegebenheiten erreichbar ist. Aber und
darauf wollte ich mit dem Ausgangspunkt Herzzentrum
hinaus für mich gibt es auch eine ethische Verpflichtung,
alles Verantwortbare zu tun, um die Suche der Forscher
nach Möglichkeiten zur Überwindung und Beherrschung
von Krankheiten zu unterstützen. Für mich gibt es auch
eine ethische Begründungspflicht, wenn jemand einen
solchen Weg aus nicht tragfähigen Gründen versperrt.
Deshalb möchte ich ganz eindeutig sagen: Ich habe,
wie wohl die eindeutige Mehrheit des Hauses, eine klare
Position dazu, was nicht geht, und eine Meinung dazu,
worüber wir ernsthaft weiter debattieren und was wir
weiter untersuchen müssen. Die eindeutige Position ist,
dass wir die Eingriffe in die menschliche Keimbahn
nicht nur heute, sondern auch in Zukunft unterlassen
müssen,
dass wir keinen Eingriff in die Keimbahn durchführen
dürfen mit Veränderungen, die auf Nachkommen über-
tragen werden also nicht das Klonen von Menschen, um
es deutlich zu sagen.
Ich habe eine eindeutige Position, was die Herstellung
von Embryonen zu Forschungszwecken betrifft. Dies
ist übrigens ein Punkt, den die Deutschen, Herr Kollege
Schmidt-Jortzig, bei der Formulierung der Bioethik-Kon-
vention verankert haben: keine Herstellung von Embryo-
nen zu Forschungszwecken. Ich denke, das sollte auch
eine Grenze sein, die wir um Gottes willen nie über-
schreiten dürfen.
Ich rede heute nicht über die Entstehung des Lebens,
sondern mich beschäftigen bei diesem zweiten Punkt ei-
nige Wertungswidersprüche, die für mich noch nicht aus-
reichend aufgearbeitet sind. Wie wollen wir den Men-
schen erklären, dass wir als Gesellschaft es akzeptieren,
dass Embryonen, die im Zusammenhang mit der künst-
lichen Befruchtung hergestellt und nicht gebraucht wer-
den die so genannten überzähligen Embryonen kon-
serviert, eingefroren, verworfen werden verworfen ist
eine Umschreibung für absterben , die Forschung an die-
sen überzähligen Embryonen aber unter Strafe stellen?
Wie wollen wir weiterhin der Gesellschaft den fol-
genden Wertungswiderspruch erklären jeder, der sich
mit dem Thema beschäftigt, weiß, dass künstliche Be-
fruchtung heute und in Zukunft nur unter verbrauchender
Embryonenforschung möglich ist und sein wird; denn wir
sind mit den Erkenntnissen dabei noch nicht am Ende :
dass auf der einen Seite die Anwendung der Forschungs-
ergebnisse in Deutschland von der Krankenkasse finan-
ziert wird, die zugrunde liegende Forschung allerdings in
Deutschland unter Strafe gestellt wird?
Ich kämpfe mit dem dritten Wertungswiderspruch. Es
geht dabei nur um die Forschung an überzähligen em-
bryonalen Stammzellen, nicht um die Herstellung von
embryonalen Stammzellen zu Forschungszwecken. Wol-
len wir uns wirklich dem Wertungswiderspruch aus-
setzen, dass wir die Forschung auf diesem Gebiet ins Aus-
land verlagern und später, nach einigen Jahren, die
Erkenntnisse und den Nutzen aus der Forschung aus dem
Ausland in die Bundesrepublik Deutschland importieren?
Ich weiß aus der jahrelangen Diskussion um die Bioethik-
Konvention: Wenn man sich aus einer Diskussion aus-
blendet, weil man Fundamentalpositionen vertritt, dann
verliert man auch europa- und weltweit die Gestaltungs-
freiheit auf einem wichtigen Feld. Ich möchte nicht, dass
wir in Deutschland bestimmte Regeln aufstellen, aber in
Kauf nehmen, dass die Deutschen das ist mehrfach ge-
sagt worden dort hinfahren, wo diese Regeln nicht be-
achtet werden, weil sie sich einen medizinischen Nutzen
davon versprechen.
Deshalb müssen wir uns mit vielen juristischen, wis-
senschaftlichen, medizinischen, aber auch mit vielen Wer-
tungswidersprüchen auseinander setzen. Dafür braucht
man Zeit. Ich empfehle sehr, dass wir Deutschen uns von
der Suche nach Möglichkeiten, heute nicht beherrschbare
Krankheiten eines Tages lindern oder gar heilen zu kön-
nen, nicht verabschieden in engen Grenzen, die mehr-
fach beschrieben worden und in der Öffentlichkeit be-
kannt sind.
Drittens, Frau von Renesse, bin ich als Politiker, der
gegenüber diesen Dingen offen ist, trotzdem der Mei-
nung, dass der Antrag meiner Fraktion auf ein Morato-
rium, den ich sehr unterstützt und auch mitformuliert
habe, keine Brandfackel ist, auch keine Herr Struck ist
nicht da Verlogenheit, sondern die seriöse und not-
wendige Konsequenz, wenn man dafür plädiert, über die-
ses Thema ernsthaft zu diskutieren. Für diese ernsthafte
Diskussion braucht man Zeit, Frau von Renesse.
Das heißt nicht, dass die Entscheidung auf den
Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden soll. Das
muss in absehbarer Zeit entschieden werden. Aber für
die Lösung eines so sensiblen Themas brauchen Sie das
Vertrauen der Bevölkerung und müssen Sie die Men-
schen mitnehmen. Die Menschen nehmen Sie nur mit,
wenn Sie transparent, offen und mit Argumenten disku-
tieren.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Dr. Ilja Seifert
17973
Das tun Sie, das tut das Parlament; aber das wäre nicht
möglich, wenn man das sage ich an die Adresse der
F.D.P. ein Moratorium nicht für erforderlich hält.
Vertrauen schaffen Sie nur durch Offenheit und Trans-
parenz. Wir sollten uns ein Beispiel an einem der letzten
Themen nehmen, das ähnlich schwierig war, der Trans-
plantationsmedizin in Deutschland, bei dem es um die
Frage ging, wann ein Mensch tot ist, um die Frage der
Feststellung des Hirntodes, um die Fragen, wer zustim-
men muss und unter welchen Voraussetzungen eine Le-
bendspende möglich sein kann. Ich finde, auch für diese
Diskussion haben wir uns sehr viel Zeit genommen. Wir
haben sie sehr ernsthaft geführt, wir haben sie ohne par-
teipolitische Schranken geführt und wir haben bis zum
Ende unseren Vorsatz durchgehalten, dass jeder Abgeord-
nete und jede Abgeordnete so entscheiden muss, wie es
mit dem eigenen Gewissen verantwortbar ist.
Ich wünsche mir das auch in dieser Diskussion; denn
immer wenn sich das deutsche Parlament Zeit genommen
und sich ernsthaft und unter Einsatz des Gewissens mit ei-
ner Sache auseinander gesetzt hat, hat das anschließend in
der Bevölkerung Akzeptanz gefunden, hat es befriedet.
All das, worüber damals, 1995/96, heftig, zum Teil auch
mit Emotionen diskutiert wurde, ist in der Bevölkerung
heute akzeptiert.
Deshalb plädiere ich für die Gewissensfreiheit, für die-
ses Moratorium, für eine ernsthafte Auseinandersetzung
bei sehr schwierigen und sensiblen Fragen, für eine Auf-
arbeitung der Wertungswidersprüche und möchte uns
auffordern, in den nächsten Monaten Wege zu finden, die
ethisch vertretbar, aber auch wissenschaftlich hoffnungs-
voll sind.
Als letz-
ter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat nun der
Kollege René Röspel von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Heute wird der Deutsche
Bundestag beschließen, die Frage des Imports embryo-
naler pluripotenter Stammzellen auf der Grundlage von
Stellungnahmen, unter anderem der Enquête-Kommis-
sion des Deutschen Bundestages, noch in diesem Jahr zu
entscheiden. Er wird an die Wissenschaftler in diesem
Land appellieren, dieser Entscheidung nicht durch Schaf-
fung von Tatsachen und Fakten vorzugreifen. Infolge un-
serer Diskussion das, denke ich, kann man sagen hat
auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft vorgestern
beschlossen, erst im Dezember eine Entscheidung zu tref-
fen. Der Zeitdruck ist also gemildert und das ist auch gut
so.
Die Enquête-Kommission hat eigens eine Arbeits-
gruppe eingesetzt, die sich mit den Fragen der Stamm-
zellforschung beschäftigt, übrigens zu einem Zeitpunkt,
als die wenigsten in diesem Lande überhaupt wussten,
was eine Stammzelle ist. In dieser Arbeitsgruppe befassen
sich sachkundige Mediziner, Theologen, Naturwissen-
schaftler und Philosophen seit Herbst letzten Jahres fast
jeden Montag mit einer Vielzahl von unterschiedlichen
wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Stellungnah-
men und Gutachten. Bereits im April dieses Jahres haben
wir unter anderem mit Professor Brüstle in einem sehr
guten Expertengespräch, das ruhig und sachlich verlaufen
ist, diskutieren können. Wahrscheinlich wäre das ange-
sichts des heutigen Zeitdrucks und der jetzt entstandenen
Atmosphäre nicht mehr so einfach möglich.
Wir sind aber noch längst nicht so weit, Empfehlungen
abgeben zu können, weil wir als Enquête-Kommission
den Anspruch haben, dem Parlament und der Gesellschaft
die Möglichkeiten und Konsequenzen beschreitbarer
Wege fundiert aufzuzeigen.
Nebenbei gesagt: Natürlich stellen wir dem Nationalen
Ethikrat unser Material gerne zur Verfügung. So wird es
ihm dann vielleicht möglich sein, bis zum Dezember die-
ses Jahres eine ähnlich fundierte Arbeit vorzulegen.
Trotz sorgfältiger Arbeit vielleicht sogar gerade des-
wegen werden die Kernfragen, um die es sich dreht, der
Spekulation überlassen bleiben. Denn niemand auch die
Wissenschaftler nicht und schon gar nicht die Politiker
kann mit Gewissheit sagen, welcher der richtige Weg sein
wird. Das macht die Sache so ungeheuer kompliziert und
auch nicht einfacher.
Natürlich wollen wir Herr Seehofer, das ist an Sie ge-
richtet alles dazu tun, um Krankheiten zu lindern. Das
ist, so glaube ich, völlig unbestritten. Das eignet sich in
dieser Auseinandersetzung nicht als Argument. Wir müs-
sen uns aber fragen, was wirklich möglich ist und wo
Hoffnungen geweckt werden, die nicht erfüllbar zu sein
scheinen.
Frau Flach, Herr Schmidt-Jortzig, in dem Antrag der
F.D.P. wird zum Beispiel die Möglichkeit genannt, Mu-
koviszidose mit pluripotenten Stammzellen zu heilen
bzw. Linderungen herbeizuführen. Sie hätten sich einmal,
was diese Aussage anbelangt, mit Ihrem Sachverständi-
gen in der Enquête-Kommission absprechen sollen. Das
ist nämlich eine Frage, die in den Bereich der Prä-
implantationsdiagnostik gehört. Wenn Sie mir nur ein
Beispiel nennen können auch wenn es utopisch ist , wie
gerade Mukoviszidose durch Stammzellforschung
bekämpft werden könnte, so bin ich gerne bereit, das
entgegenzunehmen.
Ich habe gerade heute mit Pneumologen diskutiert: Es
gibt keine auch nur ansatzweise realistische Möglichkeit.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Horst Seehofer
17974
Also entweder haben Sie ein bisschen schlampig gearbei-
tet oder Sie wecken wieder Hoffnungen, die nicht erfüll-
bar sind. Das ist der falsche Weg und das kritisieren wir.
Wir als Abgeordnete haben nicht nur die Aufgabe, Lö-
sungen für Probleme zu suchen, sondern geradezu die
Pflicht, Fragen zu stellen, die die Zukunft unserer Gesell-
schaft betreffen. Viele Fragen sind eben noch unbeant-
wortet: Welche Konsequenzen hat eine Technologie für
die Gesellschaft? In welcher Gesellschaft wollen wir le-
ben? Diese beiden Fragen betreffen auch andere Berei-
che. Was passiert, wenn man den Import so genannter
pluripotenter Stammzellen zulässt?
Übrigens, wer noch immer nicht weiß das ist nach-
zusehen; denn das ist eine fast akademische Frage , was
pluripotent und was totipotent ist, dem will ich das an
einem Beispiel klarer machen: Aus einer totipotenten
Zelle entstehen der Embryo und die Nachgeburt, während
aus einer pluripotenten Zelle nur noch der Embryo und
Teile der Nachgeburt entstehen können. Wenn es also den
Forschern irgendwann gelingen wird im Tiermodell
wird bereits daran gewerkelt , eine Plazenta, also den
Mutterkuchen, auf künstliche Art und Weise zur Verfü-
gung zu stellen, wird die Diskussion um scheinbar unpro-
blematische pluripotente Zellen, die sich dann nämlich zu
einem Embryo entwickeln können, sicherlich eine andere
Richtung bekommen.
Zurück zur heutigen Fragestellung: Wozu kann der Im-
port solcher pluripotenter Zellen führen? Ich denke, dass
nach kurzer Zeit unweigerlich die Forderung kommt das
ist verständlich; auch die Deutsche Forschungsgemein-
schaft sieht dies in ihrer Empfehlung vom 3. Mai 2001
vor , auch in Deutschland so genannte überzählige Em-
bryonen zu Forschungszwecken zu vernutzen, zu zer-
stören; ich habe noch immer nicht den richtigen Ausdruck
dafür gefunden. Nach neuesten Erkenntnissen gibt es in
Deutschland etwa 15 eingefrorene überzählige Em-
bryonen. Was passiert denn, wenn noch ein oder zwei oder
vielleicht zehn Embryonen gebraucht werden, um, wie
das in der Forschung häufig üblich ist, die letzten Versu-
che zu machen, um den Durchbruch wirklich zu schaffen?
Werden wir dann wirklich der Forderung, nicht auch die
Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken zu
erlauben denn es sind eben nur ein paar, die hergestellt
werden müssen , standhalten können?
Wir sehen am Beispiel Großbritannien, wo bereits etwa
50 000 Embryonen zu Forschungszwecken genutzt wor-
den sind, dass das Ergebnis und die Erkenntnisse, die aus
dieser Forschung erwachsen sind und die sich therapeu-
tisch nutzen lassen, relativ gering sind.
Wir haben noch keine eindeutigen Antworten. Im Gegen-
satz zu anderen, die uns das glauben machen wollen, ge-
stehe ich das zu.
Der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft,
Herr Professor Winnacker, hat gestern auf der Jahresver-
sammlung der Deutschen Forschungsgemeinschaft in
Berlin deutlich gemacht, dass die DFG vor drei Jahren
noch eine ablehnende Haltung gegenüber dem Import von
Stammzellen hatte. Die rasanten Fortschritte aber haben
zu einem Meinungswandel der DFG geführt, die nun den
Import befürwortet.
Die Herstellung von Embryonen zu Forschungs-
zwecken, das so genannte therapeutische Klonen, also
die Dolly-Schaf-Methode, und der Keimbahneingriff
werden von der DFG als unethisch abgelehnt. Das ist auch
gut so. Die Frage ist aber: Wie lange noch? Professor
Ganten vom Max-Delbrück-Zentrum, ein Kollege von
Professor Winnacker im Nationalen Ethikrat, wird in der
Financial Times Deutschland von gestern wie folgt zi-
tiert: Er halte die Pläne der DFG, das therapeutische Klo-
nen nicht zuzulassen, für falsch. In zwei oder drei Jahren
werde die DFG diese Entscheidung korrigieren.
Professor Bartram aus Heidelberg plädiert für die Zu-
lassung des therapeutischen Klonens. Michael Kyba vom
Whitehead-Institute in Boston hält therapeutisches Klo-
nen für den aussichtsreichsten Weg, um in der Zukunft
kompatibles Gewebe direkt vom Patienten gewinnen zu
können. Übrigens gibt es kein Wort zu der Frage, wel-
chen Frauen denn die Zehntausenden von Eizellen, die
benötigt werden, entnommen werden sollen.
Die Frage, die wir stellen müssen, lautet: Wie lange
wird also die Ablehnung solcher Verfahren noch halten?
Bis die nächste Heilung von Krankheiten in Aussicht ge-
stellt wird und wir deshalb wieder unter Druck entschei-
den sollen?
Die gute Nachricht lautet das haben einige Kollegen
schon gesagt : Wir sind nicht alternativlos. Auch die
DFG gibt den so genannten adulten Stammzellen, die
aus erwachsenen Menschen gewonnen werden, den Vor-
rang und will die Forschung ausweiten. Das ist nur zu be-
grüßen. Diese Zellen sind ethisch unproblematisch und
werden wegen ihrer immunologischen Eigenschaften
letztlich die bessere Therapie sein.
Herr Seehofer, das kann gegenüber dem Ausland ein ge-
waltiger Vorteil sein.
Das wird uns nicht zurückwerfen. Wir werden uns auch
nicht aus der Suche nach Heilung verabschieden, sondern
wir werden einen anderen Weg aufzeigen.
Vielen von Ihnen ist sicherlich bekannt, dass aus Kno-
chenmark Blutzellen gewonnen werden können, mit de-
nen die Leukämie bekämpft werden kann. Mittlerweile
kann man daraus auch Knorpelzellen gewinnen. Dies ist
ein guter und richtiger Weg. Beispiele dafür können Sie
auch in der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung
lesen, die von Professor Kollek und von Dr. Schneider
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
René Röspel
17975
stammen. Das ist insgesamt ein lesenswerter Artikel, in
dem auch eine weitere Erklärung für den Zeitdruck ge-
nannt wird, unter dem wir heute stehen: der Wunsch, Pa-
tente anzumelden und Rechte absichern zu lassen, was
per se nichts Schlechtes ist.
Letztendlich werden Politik und Gesellschaft über eine
sehr schwierige und spekulative Technologie entscheiden
müssen. Können die Heilsversprechen eingelöst werden?
Sind die warnenden Stimmen zu vorsichtig oder gar un-
berechtigt? Werden wir die Geister, die wir jetzt rufen, je
wieder los? Ist es nicht besser, den ethisch unproblemati-
scheren Weg zu gehen auch wenn er vielleicht etwas län-
ger ist , bevor man Fakten schafft, die nicht mehr rück-
holbar sind?
Weil diese Fragen so schwer zu beantworten sind, ist
klug beraten, wer sich auf der Suche nach der Antwort
Zeit zur Abwägung nimmt und keine vorschnellen Ent-
scheidungen zulässt. Das wollen wir tun.
Ich
schließe die Aussprache.
Wir kommen zu dem Antrag der Fraktion der CDU/
CSU mit dem Titel Kein Import von und keine For-
schung an embryonalen Stammzellen in Deutschland bis
zu einer Entscheidung des Deutschen Bundestages.
Abweichend von der Tagesordnung soll über diesen An-
trag heute abgestimmt werden. Wer stimmt für den Antrag
auf Drucksache 14/6314 ? Gegenstimmen? Ent-
haltungen? Der Antrag ist bei Zustimmung der CDU/
CSU-Fraktion und bei einer Enthaltung aus der CDU/
CSU-Fraktion abgelehnt.
Ich habe nur eine Enthaltung gesehen. Ich werde daher
die Abstimmung wiederholen. Wer stimmt für den Antrag
auf Drucksache 14/6314 ? Wer stimmt dagegen?
Wer enthält sich? Das ist eine gemischte Lage. Im We-
sentlichen hat die CDU/CSU-Fraktion bei zwei Enthal-
tungen zugestimmt. Es gibt Gegenstimmen aus der SPD-
Fraktion, der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, der
F.D.P.-Fraktion und einige Gegenstimmen aus der PDS-
Fraktion bei einigen Enthaltungen aus allen Fraktionen
mit Ausnahme der SPD-Fraktion.
Dann bitte ich Sie, das Handzeichen so zu geben, dass
man es eindeutig erkennen kann.
Trotzdem stimmt das Ergebnis.
Zusatzpunkt 7: Abstimmung über den Antrag der Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit
dem Titel Für eine sorgfältige und umfassende Prüfung
des Imports und der Forschung mit embryonalen Stamm-
zellen. Wer stimmt für den Antrag auf Drucksa-
che 14/6551? Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich?
Zugestimmt haben die Koalitionsfraktionen. Dagegen ge-
stimmt haben CDU/CSU und F.D.P. Bei der PDS gab es
unterschiedliche Abstimmungen.
Wir kommen zum Zusatzpunkt 8: Abstimmung über
den Antrag der Fraktion der F.D.P. mit dem Titel Kein
Verbot und kein Moratorium für den Import embryonaler
Stammzellen. Wer stimmt für diesen Antrag? Wer
stimmt dagegen? Wer enthält sich? Dann ist der An-
trag mit den Stimmen aller Fraktionen mit Ausnahme der
F.D.P.-Fraktion bei je einer Enthaltung aus der F.D.P.-
Fraktion und der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen
zu dem Antrag der Abgeordneten Renate
Blank, Dirk Fischer , Dr.-Ing.
Dietmar Kansy, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Bin-
nenschifffahrt erhalten und sichern
zu dem Antrag der Abgeordneten Horst
Friedrich , Hans-Michael
Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Wasserstraßen ausbauen und Nachteile der
Deutschen Flagge im EU-weiten Wettbe-
werb der Binnenschifffahrt beseitigen
zu dem Antrag der Abgeordneten Annette
Faße, Hans-Günter Bruckmann, Dr. Peter
Danckert, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Helmut Wilhelm , Albert Schmidt
, Kerstin Müller (Köln), Rezzo
Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Potenziale im Wasserstraßentransport um-
welt- und naturverträglich nutzen Inter-
modalität stärken
Drucksachen 14/4387, 14/4602, 14/5667,
14/6503
Berichterstattung:
Abgeordnete Annette Faße
Renate Blank
Hans-Michael Goldmann
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die
Parlamentarische Staatssekretärin Angelika Mertens das
Wort.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
René Röspel
17976
A
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren
Frau Kol-
legin Mertens, eine Moment. Ich bitte die Kolleginnen
und Kollegen, die an dieser Debatte nicht teilnehmen
möchten, den Plenarsaal zu verlassen und die Gespräche
außerhalb des Plenarsaales weiter zu führen.
Frau Kollegin Mertens, bitte schön.
A
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Was ist die Aus-
gangsposition der heutigen Debatte? Wir können feststel-
len, dass es einen breiten politischen Konsens über die
Bedeutung der Binnenschifffahrt gibt. Wir alle stimmen
darin überein, dass das Binnenschiff weiter zu fördern ist
und dass die Binnenschifffahrt als Verkehrsträger so aus-
zugestalten ist, dass sie die ökologischen und ökono-
mischen Erwartungen erfüllen kann.
Alle Prognosen sagen einen erheblichen Zuwachs im
Verkehrsbereich voraus, und zwar im Personen- wie im
Güterverkehr. Wer glaubt, dass diese Zuwächse vor allem
auf der Straße abzufahren sind, der ist blauäugig. Wer
glaubt, dass diese Zuwächse durch Neubau von Straßen
aufzufangen sind, ist ebenso blauäugig. Wer solche Ge-
danken dann in ein verkehrspolitisches Konzept ein-
fließen lässt, der handelt verantwortungslos, nicht nur,
weil Deutschland ein dicht besiedeltes Land ist, in dem
bei der Verkehrsinfrastruktur immer Nutzerkonflikte ent-
stehen, und nicht nur, weil es in jeder Regierung immer
nur begrenzte finanzielle Mittel gibt, sondern auch, weil
er damit die anderen Verkehrsträger, die es auch noch gibt,
eigentlich nicht ernst nimmt.
Zu diesen anderen Verkehrsträgern gehört eben auch
das Binnenschiff. In dieser Debatte treffen sich dann wie-
der die üblichen Verdächtigen, um sich gegenseitig darin
zu bestätigen, wie wichtig die Binnenschifffahrt ist. Diese
Verdächtigen treffen sich seit Jahren, vielleicht sogar seit
Jahrzehnten, aber der richtige Durchbruch ist noch nicht
erzielt worden.
Ich denke, dass wir jetzt mit einer integrierten Ver-
kehrspolitik auf dem richtigen Weg sind. Es ist ein
schwieriger Weg. Ich glaube, wir werden mehr als einmal
dabei mitleidig belächelt werden. Ich könnte mir vorstel-
len, dass 90 Prozent unserer Kolleginnen und Kollegen,
was die Straße und die Eisenbahn angeht, sicherlich hun-
dertprozentige Experten sind. Ich vermute aber, dass diese
vielen Kollegen nicht unbedingt wissen, dass das Binnen-
schiff 90 Prozent dessen transportiert, was mit DB Cargo
befördert wird. Sie wissen auch nicht unbedingt, dass eine
Just-in-time-Lieferung nicht so schnell wie möglich, son-
dern dann, wenn man sie braucht, eintreffen soll. Sie ver-
binden die Binnenschifffahrt vielleicht mit romantischen
Abenden an Bord und Wäsche auf der Leine. Sie wissen
aber vielleicht nicht unbedingt, dass das Binnenschiff
nach dem Seeschiff der Verkehrsträger mit der ökologisch
günstigsten Bilanz ist.
Ich glaube, hier gilt es anzusetzen. Binnenschifffahrt
ist kein Exotenthema. Wir brauchen die Binnenschiff-
fahrt, um mit dem Verkehr fertig zu werden. Man pro-
gnostiziert der Binnenschifffahrt trotzdem ein unterpro-
portionales Wachstum. Wir sollten gemeinsam versuchen,
diese Prognose nicht wahr werden zu lassen.
Wenig hilfreich ist es, diesen Prozess mit nicht erfüll-
baren finanziellen Forderungen zu überfrachten. Ich
denke, damit ist weder dem Gewerbe noch uns gedient.
Ich bin jedenfalls nicht bereit, etwas zu versprechen, was
ich hinterher nicht halten kann.
Wir können gemeinsam neben infrastrukturellen
Maßnahmen alles tun, um das Image der Binnenschiff-
fahrt zu verbessern. Die Bundesregierung wird die Forde-
rungen und die Prüfungsaufträge des Bundestages bei der
Gestaltung der Rahmenbedingungen und Initiativen zu-
gunsten der Binnenschifffahrt im Rahmen der finanzpoli-
tischen Leitlinien berücksichtigen. Sie wird insbesondere
mit Nachdruck dafür eintreten, die nationalen und euro-
päischen Wettbewerbsbedingungen für die Binnen-
schifffahrt weiter zu harmonisieren, damit der Ausflag-
gungstrend gestoppt wird und beim anstehenden Beitritt
der MOE-Staaten zur EU keine neuen Verwerfungen zu-
lasten der Binnenschifffahrt entstehen.
Wir werden die Wasserstraßeninfrastruktur zielgerich-
tet erneuern und ausbauen und dabei die Belange des Na-
tur- und Umweltschutzes verstärkt integrieren. Wir wer-
den Initiativen ergreifen, um das Güterverkehrswachstum
auf die Binnenschifffahrt zu verlagern; dies gilt insbeson-
dere im kombinierten Verkehr und beim Großraum- und
Schwergutverkehr. Wir werden die Forschung zugunsten
der Binnenschifffahrt stärken, die Strukturbereinigung in
der Binnenschifffahrt vollenden und einen Modernisie-
rungsprozess mitgestalten.
Nach der Sommerpause wird der BMVBW einen Be-
richt über die Zukunft der deutschen Binnenschifffahrt
vorlegen und dabei auch auf einzelne Forderungen des
Bundestages näher eingehen.
Ich wünsche mir, dass wir beim nächsten Mal, wenn
wir über die Binnenschifffahrt diskutieren, den Kreis der
sonst üblichen Verdächtigen deutlich erweitern können.
Danke.
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Renate Blank von der CDU/CSU-
Fraktion.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001 17977
Herr Präsident! Kolle-
ginnen und Kollegen! Frau Staatssekretärin, Ihre Worte
hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube; denn mit diesem
Antrag der SPD und der Grünen gelingt der Durchbruch
für die Binnenschifffahrt nicht.
Ich erinnere mich: Als ich vor zehn Jahren in diesem
Hause davon sprach, dass auch in der Binnenschifffahrt
Just-in-time-Lieferungen durchgeführt werden können,
kam großes Gelächter von der SPD-Fraktion.
Ich freue mich, dass mittlerweile allgemein bekannt ist,
dass dies auch in der Binnenschifffahrt möglich ist.
Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, unser
Antrag datiert vom Oktober 2000. Ihr Antrag, den Sie sich
weiß Gott abgequält haben, datiert vom März 2001.
Sie hatten also genug Zeit, Ihren Antrag zu formulieren.
Ich weiß, dass Sie eine Einigung zwischen Rot und Grün
herbeiführen mussten,
aber eigentlich hätte diese lange Überlegungszeit ausrei-
chen müssen, um einen Antrag vorzulegen, der mehr In-
halte aufweist.
Ihr Antrag ist ohne konkrete Vorschläge, und die dirigisti-
schen Eingriffe, die Sie darin vorschlagen, lehnen wir
natürlich ab. Aus unserer Sicht ist der Wettbewerb auf
dem Markt ein Regulativ, soweit die Rahmenbedingun-
gen stimmen.
Lassen Sie mich auf einige Punkte Ihres Antrags ein-
gehen: Wasserstraßenausbau findet bei Ihnen absolut
nicht statt; es steht nichts davon im Antrag.
Wenn Sie dauernd von einer Verlagerung des Verkehrs
von der Straße auf die Schiene und auf das Wasser reden,
müssen Sie natürlich auch die Wasserstraßen entspre-
chend ausbauen, um eine ganzjährige Befahrbarkeit zu
gewährleisten.
Ich komme nun auf den Donauausbau zu sprechen:
Alle Untersuchungen sind abgeschlossen. Was hindert Sie
eigentlich daran, uns eine Vorlage zum Donauausbau zu
machen? Sie müssen sich doch vertragsgerecht verhalten
und den Vertrag zwischen dem Bund und dem Land
Bayern erfüllen. Mehr Untersuchungen sind im Grunde
genommen nicht möglich.
Ich wundere mich darüber, dass der Ausschuss zu diesem
Thema noch keine Vorlage hat. Vielleicht liegt das auch
ein bisschen an den Grünen. Ich erinnere mich an den Bau
des Main-Donau-Kanals, bei dem die Grünen massiv da-
gegen waren. Ich erinnere mich auch daran, dass damals
ein SPD-Verkehrsminister vom dümmsten Bauwerk aller
Zeiten sprach.
Man muss das alles im Hinterkopf haben. Vielleicht ist es
aber so, dass es beim Donauausbau so geht wie beim Alt-
mühlausbau. Einige Grüne haben, als sie mit dem Hub-
schrauber geflogen sind, gesagt, so toll wie die Altmühl
ausgebaut ist, sollte es auch bei den anderen Strecken
sein. Dabei war das bereits eine ausgebaute Strecke. Viel-
leicht passiert Ihnen das Gleiche bei der Donau zwischen
Straubing und Vilshofen.
Auf jeden Fall ist es ein Unsinn, die fehlenden 69 Kilo-
meter nicht mehr auszubauen. Wir haben eine Verbindung
zwischen Rotterdam und dem Schwarzen Meer mit einer
Gesamtlänge von 7 000 Kilometern.
Ich zitiere den ehemaligen SPD-Wirtschaftsreferenten
der Stadt Nürnberg, der zugleich Vorsitzender des Deut-
schen Wasserstraßen- und Schifffahrtsvereins war, der
sagte, es sei ein Unsinn, die fehlenden Kilometer nicht
mehr auszubauen. Es ist vor allen Dingen eine Belastung
für die Schifffahrt und ein Kostenfaktor, wenn für die feh-
lenden 69 Kilometer abgeleichtert werden muss. Es ist
eine unüberbrückbare Belastung für die deutsche
Binnenschifffahrt. Ich mache auch darauf aufmerksam,
dass ein normales Binnenschiff rund 30 LKW ersetzt.
Vielleicht sollten Sie einmal darüber nachdenken, mehr
Verkehr auf das Binnenschiff zu verlagern.
Ein Wort zum Donauausbau in Richtung Jugoslawien:
Wir rechnen damit, dass noch mehr Güter auf Binnen-
schiffen transportiert werden können. Wenn die Donau
nicht ausgebaut ist wir brauchen die Verkehre in Rich-
tung Jugoslawien und zum Schwarzen Meer , wird dort
wesentlich mehr auf den Straßen transportiert, als es ei-
gentlich notwendig wäre.
Nun zum Binnenschifffahrtsfonds: Dieser Fonds ist
keine Erfindung der Bundesregierung, sondern er gründet
sich auf eine europäische Verordnung und ist im Grunde
genommen aus der Abwrackaktion, die Deutschland im-
mer Geld gebracht hat, entstanden.
Ein Wort zu den Verkehren mit Polen: Wir haben vor
Jahren die Aufteilung 50/50 beschlossen, aber diese Auf-
teilung war schon immer ein Problem. Zu unserer Regie-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 200117978
rungszeit, bis 1998, gab es eine Aufteilung 80/20, und
jetzt werden nahezu 100 Prozent von der polnischen Seite
transportiert. Die Frage ist: Wo bleibt die deutsche Bin-
nenschifffahrt und wie will die Bundesregierung handeln,
damit die deutsche Binnenschifffahrt auch an diesem
Güterverkehrsaufkommen partizipieren kann?
Wir würden uns sehr darüber freuen, wenn Sie unserem
Antrag Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Binnen-
schifffahrt erhalten und sichern im Ausschuss und im
Plenum zustimmen würden.
All die Wünsche, die in unserem Antrag enthalten sind,
waren nämlich bis 1998 Ihre Forderungen an die damalige
Regierung. Nur für den Donauausbau gilt das nicht; alles
andere waren Ihre Wünsche. Ich wundere mich, dass Sie
jetzt Abstand davon nehmen, denn es entspricht nicht den
Gepflogenheiten, Abschied von den eigenen Forderungen
zu nehmen.
Aber das müssen Sie verantworten.
Meine Damen und Herren, wir fordern in unserem An-
trag auch mehr Geld für den Wasserstraßenausbau.
Ich glaube, dass Rot-Grün der Wille zum Aufbringen von
Finanzmitteln fehlt. Vielleicht betätigen sich die Grünen
auch als Bremser; das würde ich einmal locker behaupten.
Wir würden mehr Geld für den Wasserstraßenausbau zur
Verfügung stellen;
denn eine ganzjährige Befahrbarkeit ist dringend erfor-
derlich.
Sie strecken ja auch Mittel. Wenn ich zum Beispiel an
das Verkehrsprojekt Nummer 17 oder an den Ausbau von
Weser, Elbe oder Saale denke, so sind dies alles Ausbau-
maßnahmen, die dringend erforderlich wären, um mehr
Verkehr auf das Binnenschiff zu lenken.
Ich frage mich auch, warum Sie das Thema Schiffer-
kinderheime bei den letzten Haushaltsberatungen so
schlecht behandelt haben. Die Mittel dafür sind gekürzt
worden.
Doch, Kollegin Faße, das ist bei den Haushaltsberatun-
gen geschehen.
Bezüglich der EU-Harmonisierung legen wir großen
Wert darauf, dass auf EU-Ebene im fiskalischen und
sozialen Bereich unter Berücksichtigung der in den Nie-
derlanden bestehenden Staatsgarantien bei der Kredit-
finanzierung für die Binnenschifffahrt auch von unserer
Seite etwas geschieht. Das würde ich im europäischen
Kontext Harmonisierung nennen. Hierzu bedarf es noch
großer Anstrengungen der Bundesregierung.
In unserem Antrag reden wir auch von der Vernetzung
der Binnenschifffahrt mit den übrigen Verkehrsträgern.
Das ist durchaus sinnvoll; denn nur durch eine Vernetzung
von Straße, Schiene und Wasserweg fließt mehr Verkehr
zur Binnenschifffahrt.
Bei der EU-Osterweiterung muss alles dafür getan
werden, dass die Wettbewerbsposition der deutschen Bin-
nenschifffahrt bei einem EU-Beitritt von Polen, Tsche-
chien und Ungarn gehalten und gesichert wird.
Meine Damen und Herren, ein Wort zu den Unfällen,
die auf Donau und Main geschehen sind. Hier besteht
dringender Handlungsbedarf. Ich unterbreite auch Vor-
schläge dazu: Vielleicht wäre es möglich, bestimmte
Nachweise zum Beispiel bezüglich Streckenkunde und
Sprachkenntnissen zu verlangen. Darüber sollten von-
seiten der Bundesregierung Verhandlungen geführt wer-
den. Zudem müssen die Unfälle genauestens untersucht
werden; denn es dient der Binnenschifffahrt nicht, wenn
ständig Schlagzeilen über Unfälle in der Zeitung stehen.
Im vergangenen Jahr sind mehr Güter von der Binnen-
schifffahrt transportiert worden, aber leider nicht von der
deutschen. Wir wollen, dass nicht nur die ausländische
Binnenschifffahrt, sondern auch die deutsche am höheren
Güterverkehrsaufkommen partizipiert. Aussagen und po-
litisches Handeln stimmen bei Rot-Grün nicht überein. Es
genügt nicht, in Sonntagsreden die Bedeutung der Bin-
nenschifffahrt hervorzuheben, aber anschließend nichts
zu tun.
Meine Damen und Herren von der Koalition und von
der Bundesregierung, handeln Sie jetzt; denn die deutsche
Binnenschifffahrt braucht dringend Hilfe! Stimmen Sie
unserem Antrag zu! Ich habe schon erwähnt, dass diese
Forderungen bis 1998 auch von Ihnen erhoben wurden.
Sie bremsen, wenn Sie unseren Antrag ablehnen, die Bin-
nenschifffahrt aus und treiben sie in den Ruin. Bitte stim-
men Sie unserem Antrag zu.
Als
nächster Redner hat der Kollege Helmut Wilhelm vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Helmut Wilhelm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Sicherung und Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit
der deutschen Binnenschifffahrt ist der Bundesregierung
und, wie die Anträge zeigen, offenkundig allen hier im
Hause zentrales Anliegen. Weil wir uns gerade im Wett-
bewerb um die Frage befinden, wer früher dran war,
möchte ich doch an Folgendes erinnern: Bereits in der Ko-
alitionsvereinbarung hat Rot-Grün festgeschrieben, dass
möglichst hohe Anteile des Straßen- und Luftverkehrs auf
Schiene und Wasserstraße verlegt werden sollten und dass
die internationale Marktposition deutscher Unternehmen
insbesondere im Bereich der Binnenschifffahrt gestärkt
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Renate Blank
17979
werden muss. Ich freue mich, dass wir in dieser Grund-
tendenz in allen Fraktionen Einigkeit haben. Der Wasser-
straßentransport ist Bestandteil eines internationalen
Verkehrssystems. Jede Tonne, die statt auf der Straße auf
dem Wasserweg transportiert wird, ist ein Beitrag zur
Engpassbeseitigung.
Bei natur- und umweltverträglichem Ausbau ist das
Verkehrssystem Schiff/Wasserstraße in vielen Fällen be-
sonders geeignet, verkehrspolitische, ökonomische und
ökologische Ziele miteinander zu verbinden. Immerhin
kommt die von der Binnenschifffahrt 1999 transportierte
Tonnage der Größenordnung der Bahntransporte nahe.
Dem trägt die Bundesregierung auch Rechnung. Für
Wasserstraßeninvestitionen werden im Haushalt 2001
1,3 Milliarden DM zur Verfügung gestellt, im Investi-
tionsprogramm 1999 bis 2002 für Ersatz und Erhaltung
sowie Ausbau 4,05 Milliarden DM und im Anti-Stau-Pro-
gramm ab 2003 weitere 900 Millionen DM.
Eines aber darf nicht übersehen werden und einzig der
Antrag von Rot-Grün trägt dem Rechnung: Flüsse reagie-
ren sensibel auf Eingriffe.
Sorgfältige und ausgewogene Planungen auch in ökologi-
scher Hinsicht sind Voraussetzung.
Fragt sich, wie groß die Pötte sind.
Bei allen Maßnahmen zur Steigerung des Transportan-
teils der Schifffahrt sind daher ökologische Funktionen der
Fließgewässer zu erhalten oder wiederherzustellen. Die-
sen Belangen aber wurde in der Vergangenheit nicht im-
mer ausreichend Rechnung getragen. Oft genug haben sich
die Flüsse zum Beispiel durch höheres Hochwasser oder
niedrigeres Niedrigwasser siehe Überleitung von Do-
nauwasser über den RMD-Kanal bemerkbar gemacht.
Die Koalition forciert eine integrierte Verkehrspla-
nung, bei der Straße, Schiene und Wasserstraße unter
Berücksichtigung des Prinzips der Nachhaltigkeit aufei-
nander abgestimmt sind und der kombinierte Ladungs-
verkehr eine wichtige Rolle spielt. Dies dient als Grund-
lage einer intelligenten Vernetzung der Verkehrsträger.
Die Rolle der Häfen als Schnittstellen ist dabei von be-
sonderer Bedeutung, ebenso die Hinterlandanbindung der
Binnenhäfen. Konsens zwischen allen Fraktionen besteht
darin, Wettbewerbsverzerrungen im EU-Bereich insbe-
sondere angesichts der anstehenden Osterweiterung abzu-
bauen bzw. zu vermeiden und die deutsche Binnenschiff-
fahrt in ihrer Wettbewerbssituation zu stärken.
Mit einem Schiff ahoi bedanke ich mich für die Auf-
merksamkeit.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Hans-Michael Goldmann von der
F.D.P.-Fraktion.
Sehr geehrter
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigent-
lich kann man es ganz kurz und knapp machen.
Sie brauchen nur die Überschrift unseres Antrages in die
Tat umzusetzen.
Da stehen zwei Dinge: Binnenwasserstraßen ausbauen
natürlich vernünftig und sachgerecht; das ist überhaupt
keine Frage und die Nachteile für die deutsche Binnen-
schifffahrt im EU-Vergleich beseitigen.
Wenn Sie das machen,
dann fällt Ihnen im Grunde alles andere, was hier ange-
sprochen wurde, wie reife Früchte in den Schoß. Dann
werden unsere Binnenschiffer wieder Vertrauen in die Zu-
kunft haben. Dann werden sie wieder neue Schiffe bestel-
len. Dann werden sie auch durchaus Schiffe bestellen, die
neuen Anforderungen gerecht werden, wie das die Nie-
derländer machen. Die haben mittlerweile Schiffe ent-
wickelt, die gerade im schnellen Containerverkehr auch
auf nicht so tief ausgebaggerten Wasserstraßen hervor-
ragende Erfolge haben. Dann werden wieder Menschen
diesen Beruf nachfragen. Dann wird es wieder Auszubil-
dende geben. Dann brauchen wir kein Förderprogramm
mehr, damit Auszubildende in diesen Beruf gehen. Dann
wird die deutsche Binnenschifffahrt endlich wieder Zu-
kunft haben.
Aber alles Darumherumreden, liebe Freunde, bringt
nichts. Der Antrag von Rot-Grün ist insofern sehr ver-
dächtig. Er bezeichnet in seiner Überschrift nämlich ge-
nau die Einschränkungen, die die Zukunftschancen der
Binnenschifffahrt zerstören. In dieser Überschrift sagen
Sie nämlich:
Potenziale im Wasserstraßentransport umwelt- und
naturverträglich nutzen Intermodalität stärken.
Das ist genau der Punkt. Für Sie hat die Einschränkung
durch die Überbetonung des Natur- und des Umwelt-
schutzes Vorrang vor allen ökonomischen Überlegungen.
Wenn Sie diesen Grundsatz verfolgen, liebe Kollegen von
Rot-Grün, dann hat die deutsche Binnenschifffahrt keine
Zukunft.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Helmut Wilhelm
17980
Das beweisen Sie mit Ihrem Umgang mit dem Ausbau
der Donau. Dort sind wir gewesen, Frau Faße. Ich weiß,
dass Ihnen das unangenehm ist, aber immerhin waren Sie
auch mit vor Ort. Wir waren uns völlig einig, dass die öko-
logischen Staustufen in diesem Bereich eine neue, bessere
Situation schaffen und diese sehr wichtige West-Ost-Ver-
bindung in der Gesamtheit für die deutsche Binnenschiff-
fahrt ein Potenzial eröffnet, das ihr wirklich über die Hür-
den hilft; denn die Kritik an ihr, dass sie vergleichsweise
wenig Leistung aufweise, ist nicht berechtigt. Sie hat des-
halb zum Beispiel auf der Donau so wenig Leistung, weil
man zwischendurch abladen muss. Abladen kostet Geld.
Damit kommen andere Verkehrsträger in die Vorhand.
Deswegen verliert die deutsche Binnenschifffahrt im in-
ternationalen Verkehr Zug um Zug an Boden; deshalb
geht es der deutschen Binnenschifffahrt im Grunde ge-
nommen schlecht.
Liebe Frau Mertens, Hilfe für die deutsche Binnen-
schifffahrt ist wirklich nicht durch Imageverbesserung zu
erreichen, denn das hat etwas mit den harten Fakten zu
tun. Wenn Sie mit einem europäischen Anbieter wie zum
Beispiel den Niederländern im Wettbewerb stehen, die
bessere Rahmenbedingungen haben, und wenn Sie dann
noch unsere potenziellen Wasserstraßen nicht zumindest
ein Stück in Richtung EU-Erweiterung, in Richtung Zu-
kunft öffnen, dann haben wir keine Chance.
Ich verstehe Ihre Position nicht so ganz. In Ihrer letz-
ten Pressemitteilung vom 2. Juli es gibt dauernd solche
Mitteilungen steht zum Beispiel:
Short-Sea-Shipping-Promotion-Center Deutschland
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir wollen weg von der Straße, wir wollen auf den
Wasserweg.
Aber Sie bauen nicht; Sie helfen weder den Häfen noch
den Binnenwasserstraßen, Sie helfen der Binnenschiff-
fahrt nicht. Das, was wir bisher in der Parlamentarier-
gruppe Binnenschifffahrt für die Binnenschiffer auf den
Weg gebracht haben, sind doch noch nicht einmal Pea-
nuts. Diesbezüglich müssen wir doch ehrlich sein, Frau
Faße. Das ist im Grunde genommen nichts Substanzielles.
Wir müssen in den Kernbereich hinein. Der Kernbereich
sind eindeutig der intelligente Ausbau und die Abschaf-
fung der Wettbewerbsverzerrungen zum Nachteil deut-
scher Binnenschiffer.
Es ist also wirklich ganz einfach: Nehmen Sie unseren
Antrag an, in dem genau das steht: Wir müssen bauen und
die Nachteile beseitigen. Dann sind die deutschen Bin-
nenschiffer sehr wohl selbst in der Lage, für sich eine gute
Zukunft auszugestalten. Das wird ihnen bestens gelingen;
diesen Weg sollten wir gehen.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Winfried Wolf von der PDS-Frak-
tion.
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Staatssekre-
tärin Mertens hat richtig begonnen, indem sie sagte, alle
hier Anwesenden seien sich weitgehend einig, dass die
Binnenschifffahrt gefördert werden müsse. Aber die Rea-
litäten sehen eben doch erheblich anders aus.
Die Tonnage auf den Binnenschiffen ist minimal ge-
stiegen; die Tonnage auf den deutschen Binnenschiffen
sinkt kontinuierlich weiter. Der Anteil der Binnenschiff-
fahrt am gesamten Güterverkehrsmarkt sank seit dem
Jahr 1995, als 14,9 Prozent erreicht wurden, bis zum Jahr
1999 kontinuierlich auf 12,8 Prozent.
Das alles ist bemessen auf ein Binnenschifffahrtsnetz
von 7 300 km, das teilweise weiter ausgebaut wurde und
bei dem sich das Bruttoanlagevermögen von 84,5 Milli-
arden DM auf 88,5 Milliarden DM erheblich erhöhte.
Das führt zu einer strukturell schlechten Gesamtbilanz.
Das führt zum Beispiel dazu, dass die Einnahmen aus der
deutschen Binnenschifffahrt massiv sinken. Allein im
letzten Jahrzehnt sind sie nominal von 3,1 Milliarden DM
auf 2,5 Milliarden DM gesunken; in realen Preisen ist
dieser Rückgang noch größer. Das führt dazu, dass der
Wegekostendeckungsgrad in der Binnenschifffahrt wei-
terhin dramatisch niedrig liegt, nämlich bei ungefähr
10 Prozent.
In der Bilanz muss man sagen: Es stimmt, was hier alle
erklären, nämlich dass Schiff und Schiene die umwelt-
freundlichsten bzw. die am wenigsten umweltschädlichen
Verkehrsträger sind. Es stimmt aber auch, dass ausge-
rechnet Schiene und Schiff die meisten Subventionen
brauchen, weil der Markt real nicht vorhanden ist, weil es
keine Kostenwahrheit gibt und weil externe Kosten vor
allem im LKW-Verkehr nicht inkorporiert sind. Trotz
der hohen Subventionen hat die Politik real versagt. Die
Entwicklung geht bisher in eine negative Richtung: Der
Anteil der Binnenschifffahrt hat sich verringert.
Das heißt für mich, Herr Kollege Goldmann, dass die
Lösung nicht aus Anträgen bestehen kann, wie Sie sie vor-
gelegt haben und die zu einem Weiter so! auffordern.
Sie kann auch nicht aus allgemeinen Erklärungen in der
Art von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bestehen, die
zwar sehr nett zu lesen, aber nicht sehr konkret sind. Darin
stimme ich Herrn Goldmann zu.
Ich meine, dass eine nüchterne Gesamtbilanz gezogen
werden muss: Es darf nicht zu einem vollständigen Dum-
ping im Transportsektor kommen. Die Transportpreise
sind überall und in allen Bereichen real zu niedrig. Es darf
auch nicht sein, dass eine Rede zur Binnenschifffahrt und
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Hans-Michael Goldmann
17981
eine andere zur Schiene gehalten wird. Schiff und Schiene
müssen eine Einheit, einen Umweltverbund darstellen.
Wenn wir weitermachen wie bisher, werden die
falschen Signale ausgesandt. Ich befürchte aber, dass ge-
rade im Hinblick auf die Osterweiterung das Preisdum-
ping weitergehen wird und damit werden diese falschen
Signale weiter ausgesandt werden.
Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht die Kol-
legin Annette Faße für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Als Erstes begrüße ich ganz herz-
lich den Fanklub der Binnenschifffahrt hier im Bundestag.
Als Mitglied des Fanklubs der Binnenschifffahrt meine
ich, dass man die Binnenschifffahrt mit ihren Chancen,
ihren Leistungen und Möglichkeiten nicht schlecht reden
sollte.
Es gehört zu einem echten Fanklub, dass er sich mit den
Punkten sehr sachlich auseinander setzt und darauf hin-
weist, welche Leistungen unsere Binnenschiffer und die
Reedereien erbringen, und zwar unter nicht einfachen Be-
dingungen.
Auf diesen Satz sage ich Ihnen: Die Binnenschiffer und
die Reedereien haben schon jahrzehntelang darauf ge-
wartet, dass ihre Probleme und Fragen geklärt werden.
Ich halte es für nicht sachgerecht, dass wir die Sorgen
und Nöte der Binnenschifffahrt heute nur in Bezug auf ei-
nen Hauptpunkt diskutieren, nämlich den Ausbau der
Wasserstraßen. Dies allein trägt nicht zur Rettung der
Binnenschifffahrt bei.
Ich sage ganz deutlich, dass wir natürlich in den Fluss-
ausbau investieren.
Über 1 Milliarde DM sind im nächsten Haushalt dafür
eingestellt.
Das ist immer zu wenig. Auch mir ist das zu wenig, Herr
Goldmann.
Aber man muss sich die Situation insgesamt ansehen.
Natürlich hätte ich mich gefreut, wenn auch wir Mittel aus
der Versteigerung der UMTS-Lizenzen bekommen hät-
ten, aber das haben wir nicht. Ich habe jedoch eine gute
Nachricht zu vermelden: Aus dem Anti-Stau-Programm
bekommen wir 900 Millionen DM für die Binnenschiff-
fahrt. Ich meine, dies ist eine gute Leistung.
Eines sollten wir öffentlich ganz laut verkünden Frau
Mertens hat dies schon gesagt; ich wiederhole es aber
ganz bewusst, weil ich der Ansicht bin, dass das Mei-
nungsbild über die Binnenschifffahrt in der Öffentlichkeit
nicht so ist, wie sie es verdient :
Die Binnenschifffahrt transportiert 90 Prozent des Güter-
aufkommens von DB Cargo. Das möge man sich einmal
vorstellen. Wenn dem nicht so wäre, wäre das Chaos auf
der Straße noch viel größer und die Probleme bei der
Schiene noch schlimmer.
Wir wissen, dass wir auch ohne einen weiteren Fluss-
ausbau große Kapazitäten haben, nämlich in der freien
Nutzung durch das Binnenschiff. Natürlich gibt es Ent-
scheidungen, die nicht einfach sind. Das sind nicht die
Maßnahmen zur Unterhaltung, sondern zum Ausbau. Ich
will mich zur Entscheidung über den Ausbau der Donau,
die dieses Jahr ansteht, Herr Goldmann, nicht herum-
drücken. Dass Ihnen das zu lange dauert, kann ich verste-
hen. Auch mir dauert es schon zu lange. Nichtsdestotrotz
wird eine sachliche Entscheidung gefällt werden,
die sowohl der Binnenschifffahrt helfen wird als auch der
Umwelt gerecht werden wird. Ich gehe davon aus, dass
wir gemeinsam mit dem Land Bayern eine Lösung finden
werden, die diesen beiden Kriterien entspricht. Harren Sie
noch ein bisschen der Dinge! Wir bekommen das schon in
den Griff, Herr Goldmann.
Flussausbauten alleine lösen das Problem aber nicht.
Darum müssen wir sehen, in welchen anderen Bereichen
wir der Binnenschifffahrt helfen können. Es ist ja nicht so,
dass wir bisher nicht in diesen Bereichen tätig gewesen
sind. Man mag ja der Meinung sein, dass im Bundeshaus-
halt nicht in ausreichendem Maße Mittel für den For-
schungsbereich eingestellt worden seien. Aber ich möchte
auf das Forschungsprogramm der Bundesregierung
Schiffbau und Meerestechnik für das 21. Jahrhundert
hinweisen, wovon sowohl die See- als auch die Binnen-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Dr. Winfried Wolf
17982
schifffahrt profitieren. Wir helfen der Binnenschifffahrt
auch, indem wir für die Ausbildungsförderung 3 Milli-
onen DM in den Haushalt eingestellt haben. Des Weite-
ren, Frau Blank, haben wir für die Schifferkinderheime
100 000 DM in den jetzigen Haushaltsentwurf eingestellt.
Dieses Jahr muss also kein Antrag auf Erhöhung dieser
Mittel gestellt werden.
Ich sage auch ganz deutlich: Es ist ein ganz wichtiges
Zeichen, dass im Promotion-Center, das von der Bun-
desregierung geschaffen worden ist und das von den Küs-
tenländern sowie von der Wirtschaft getragen wird, auch
die Binnenschifffahrt ihren Fuß in der Tür hat. Das war
auch eine Aktion für die Binnenschifffahrt. Ich freue mich
sehr, dass sich die beiden großen Verbände der Schifffahrt
zusammengefunden und deutlich gesagt haben: Wir be-
treiben gemeinsam das Promotion-Center und nutzen die
Chancen. Diese sollte man nicht unterschätzen. Das Pro-
motion-Center in den Niederlanden hat sehr gute Erfolge
vorzuweisen. Dort gibt es jeweils ein Promotion-Center
für die Binnenschifffahrt und die Seeschifffahrt. Wir ha-
ben beide Bereiche in einem Center integriert. Ich gehe
davon aus, dass die Binnenschifffahrt davon sehr profitie-
ren wird.
Ich halte nichts davon, dass der Teil unseres Antrages,
in dem wir fordern, mehr Schwerverkehr auf das Wasser
zu bringen, kritisiert worden ist. Schon alleine die Andro-
hung, dass man weitergehen will, als nur die Ergebnisse
eines Projektes abzuwarten und einen Probelauf zu ma-
chen, hat dazu geführt, dass sich diejenigen, die Schwer-
güter zu transportieren haben, schon im Ministerium in-
formiert haben, wie die Zusammenarbeit in Zukunft
besser gestaltet werden könnte. Ich halte das für einen
ganz wichtigen Punkt; denn Schwerverkehre müssen
nicht unbedingt auf der Straße fahren.
Wir werden außerdem über den Fonds, den wir nicht
erfunden haben, noch in diesem Jahr diskutieren. Wir
werden auch darüber diskutieren müssen, was mit den
Zinsen geschehen soll; denn darüber können wir in
Deutschland selber entscheiden.
Ich sage ganz deutlich: Unser Antrag ist realistisch.
Wir müssen weiter für die Binnenschifffahrt arbeiten, und
zwar auch in anderen Bereichen. Ich habe mich gewun-
dert, dass heute niemand die Änderung des § 6 des Ein-
kommensteuergesetzes gefordert hat. Hier besteht tat-
sächlich Handlungsbedarf.
Es muss nicht alles im Antrag stehen, Kollege
Goldmann. Man kann sich auch außerhalb der Anträge
noch etwas einfallen lassen.
Alle Kolleginnen und Kollegen, die heute zu diesem
Thema gesprochen haben, gehören der parlamentarischen
Gruppe Binnenschifffahrt an. Insgesamt sind über
70 Abgeordnete Mitglied in dieser Gruppe. Ich meine,
nicht jeder Verkehrsträger hat eine solche Lobby im Par-
lament. Ich wünsche mir, dass alle 70 zum erweiterten
Fanklub der Binnenschifffahrt gehören und für diese ak-
tiv werden.
Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen auf Drucksache 14/6503. Der Ausschuss
empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/4387 mit dem Titel Wettbewerbsfähig-
keit der deutschen Binnenschifffahrt erhalten und si-
chern. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?
Gegenprobe! Enthaltungen? Die Beschlussempfeh-
lung ist gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU
und F.D.P. angenommen.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/4602
mit dem Titel Wasserstraßen ausbauen und Nachteile der
deutschen Flagge im EU-weiten Wettbewerb der Binnen-
schifffahrt beseitigen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? Gegenprobe! Enthaltungen? Auch
diese Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der
Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf
Drucksache 14/5667 mit dem Titel Potenziale im Wasser-
straßentransport umwelt- und naturverträglich nutzen
Intermodalität stärken. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? Gegenprobe! Enthaltungen? Die Be-
schlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktionen
von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS-Frak-
tion angenommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der
CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
und der F.D.P.
Frieden, Stabilität und Einheit auf der korea-
nischen Halbinsel
Drucksache 14/6210
Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Hauses
möchte ich auf der Besuchertribüne eine Delegation der
Koreanisch-Deutschen Parlamentariergruppe der Na-
tionalversammlung der Republik Korea unter Leitung ih-
res Vorsitzenden Hwa-Kap Hahn herzlich willkommen
heißen.
Es ist selten genug, dass wir die Gelegenheit haben, zeit-
gleich zur parlamentarischen Debatte über ein außenpoli-
tisches Thema die entsprechenden Gäste auf der Tribüne
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Annette Faße
17983
zu begrüßen. Wir freuen uns deshalb ganz besonders, dass
das zeitlich so geklappt hat.
Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier des Deut-
schen Bundestages begrüßen die Fortschritte, die seit der
gemeinsamen Erklärung der Präsidenten beider koreani-
scher Staaten vom Juni 2000 erzielt worden sind. Wir un-
terstützen nachträglich die Berliner Erklärung von Präsi-
dent Kim Dae-jung mit dem Aufruf zu ersten Schritten bei
der innerkoreanischen Annäherung mit dem Ziel, die Tei-
lung Koreas zu überwinden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen auf der Besucher-
tribüne, wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei Ihrer par-
lamentarischen Arbeit und hoffen, dass Sie einen sehr
interessanten und anregenden Aufenthalt in der Bundes-
republik und in Berlin, besonders im Deutschen Bundes-
tag, haben.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist für die
CDU/CSU-Fraktion der Kollege Hartmut Koschyk.
Frau Präsidentin!
Werte Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundes-
tag befasst sich heute nach längerer Zeit einmal wieder
mit der Lage auf der koreanischen Halbinsel. Wir wollen
durch diese Debatte unsere besondere Anteilnahme als
deutsches Parlament am Teilungsschicksal des koreani-
schen Volkes unterstreichen.
Südkoreas Staatspräsident und Friedensnobelpreis-
träger Kim Dae-jung hat bei seinem Besuch in Berlin im
März 2000 die besondere Verbundenheit Deutschlands
und Koreas zum Ausdruck gebracht. In seiner inzwischen
als historisch zu wertenden Berliner Rede vom
9. März 2000 an der Freien Universität Berlin, mit der der
südkoreanische Präsident seinen Wunsch nach einer
Annäherung gegenüber Nordkorea bekräftigt und das his-
torische Gipfeltreffen mit dem Führer Nordkoreas Kim
Jong-il in Pjöngjang vorbereitet hatte, hat Präsident Kim
Dae-jung ein koreanisches Sprichwort zitiert: Die Kran-
ken mit gleicher Krankheit haben füreinander immer das
größte Mitleid. Deutschland und Korea, so Präsident
Kim Dae-jung, empfänden deshalb füreinander eine be-
sonders große Solidarität, weil die beiden Völker unter
dem gleich starken Schmerz der Teilung des Landes ge-
litten haben, was unser Volk anbelangt, bzw. noch heute
leiden, was Korea anbelangt.
Mit dem heute zu verabschiedenden interfraktionellen
Antrag begrüßt der Deutsche Bundestag die durch die ge-
meinsame Erklärung von Süd- und Nordkorea begründete
Perspektive für eine neue Qualität in den innerkoreani-
schen Beziehungen. Zugleich dankt der Deutsche Bun-
destag dem südkoreanischen Staatspräsidenten Kim
Dae-jung für seinen beharrlichen Einsatz für Demokratie
und Menschenrechte sowie für die von ihm eingeleitete
mutige Sonnenscheinpolitik.
Der Deutsche Bundestag gratuliert dem südkoreani-
schen Präsidenten Kim Dae-jung zur Verleihung des Frie-
densnobelpreises sicherlich fraktions- und parteiüber-
greifend. Es waren gerade Kolleginnen und Kollegen aus
diesem Hause ich sehe hier den Kollegen Neumann und
andere , die diesen Vorschlag für den Deutschen Bun-
destag bereits in einer Zeit begründet haben, als Kim
Dae-jung noch ein verfolgter, inhaftierter und vom Tode
bedrohter Oppositioneller in Südkorea gewesen ist.
Mit diesem interfraktionellen Antrag wollen wir aber
auch würdigen, dass die Verantwortlichen in der politi-
schen Führung Nordkoreas durch die Erklärung von
Pjöngjang ihre Bereitschaft gezeigt haben, den durch die
gemeinsame Erklärung vorgezeichneten Weg für eine
Annäherung auf der koreanischen Halbinsel zu beschrei-
ten. Innerkoreanische Begegnungen atmen bis heute
immer den Geist des Besonderen und sind noch längst
keine Normalität.
Es war deshalb zu begrüßen, dass die Leitungen des
Deutschen Evangelischen Kirchentages und des Kirchen-
amtes der Evangelischen Kirche in Deutschland zum
Evangelischen Kirchentag in Frankfurt jeweils eine Dele-
gation aus dem Norden und aus dem Süden der koreani-
schen Halbinsel eingeladen haben
und dass Delegationen aus dem Norden und aus dem Sü-
den der koreanischen Halbinsel an diesem Evangelischen
Kirchentag teilgenommen haben.
Zu den Besonderheiten der koreanischen Teilungsge-
schichte zählt ein vom Hyundai-Konzern betriebenes
Fremdenverkehrsprojekt im Kumgang-Gebirge Nord-
koreas. Vor allem im Hinblick auf die Selbst-
vergewisserung junger Menschen im Süden des Landes
über das Teilungsschicksal spielt dieses Projekt eine
wichtige Rolle. Es ist sicherlich klug und richtig, dass sich
die Regierung der Republik Korea jetzt entschlossen hat,
in dieses Projekt, nachdem es defizitär geworden ist, zu
investieren, weil es ein ganz schmales Tor der Begegnung
von Menschen des geteilten Koreas, von Menschen des
Südens mit solchen des Nordens darstellt. Wir können die
südkoreanische Seite nur ermutigen, auf dem Weg, vor al-
lem menschliche Annäherung und Begegnung zu suchen,
fortzufahren.
Wenn man dieses Projekt als Annäherung im Kleinen
versteht, dann wird man die zwischenstaatliche Politik
mit Blick auf Korea als das Bemühen bezeichnen müssen,
jetzt auch eine Annäherung im Großen zu organisieren.
Wir begrüßen die Bereitschaft der Vereinigten Staaten,
den mehr als fünf Monate unterbrochenen Dialog mit der
nordkoreanischen Seite fortzusetzen. Die Ankündigung
der USA, diesen Dialog wieder aufzunehmen, wird von
südkoreanischer Seite zu Recht begrüßt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Vizepräsidentin Petra Bläss
17984
Wir teilen die Besorgnis, die nicht nur in der Repu-
blik Korea und in den Vereinigten Staaten im Hinblick auf
das Atomprogramm Pjöngjangs herrscht. Auch wir wol-
len eine nachprüfbare Beschränkung der Weiterentwick-
lung von Raketen durch Nordkorea und das Ende von Ra-
ketenexporten. Darüber wie auch über andere Fragen;
ich denke zum Beispiel an die Truppenkonzentration ent-
lang der entmilitarisierten Zone muss mit der nord-
koreanischen Seite gesprochen werden. Es ist wichtig und
richtig, dass mit Nordkorea über diese Fragen vonseiten
der Vereinigten Staaten wieder gesprochen wird.
Die Mitglieder der Deutsch-Koreanischen Parla-
mentariergruppe des Bundestages hatten im Mai in
Seoul die Möglichkeit, Staatspräsident Kim Dae-jung zu
treffen und mit ihm über die aktuelle Lage auf der korea-
nischen Halbinsel zu sprechen. Es war für uns sehr beein-
druckend, bei dieser Begegnung zu erfahren, wie der süd-
koreanische Staatspräsident die wirtschaftliche Lage im
Norden einschätzt und für wie wichtig er das wirtschaft-
liche Engagement der Nachbarn in der Region dabei
denken wir sicher an die Russische Föderation, an China,
an Japan, aber auch an die Vereinigten Staaten erachtet.
Wir waren nämlich gerade zu dem Zeitpunkt in Seoul, als
die Delegation der EU-Spitze vom Norden, wo sie wich-
tige Gespräche geführt hat, in den Süden gereist ist.
Wir haben gespürt, wie wichtig für die südkoreanische
Seite ein Engagement der Europäischen Union und damit
auch der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der
weiteren Annäherung auf der koreanischen Halbinsel ist.
Es ist deshalb wichtig und richtig, dass heute nahezu alle
Mitgliedstaaten der Europäischen Union diplomatische
Beziehungen mit Nordkorea aufgenommen haben und
damit auch vonseiten der Europäischen Union ein Beitrag
zur weiteren Intensivierung des innerkoreanischen Dia-
logs und der innerkoreanischen Annäherung geleistet
wird. Wir als deutsches Parlament sollten es als unsere
Verpflichtung empfinden, diesen Annäherungsprozess in-
tensiv zu begleiten, auch, indem wir jetzt ganz bewusst
Kontakte zu der obersten Vollversammlung Nordkoreas
suchen.
Wir wollten dies als Parlamentariergruppe bei unserem
Besuch auf der koreanischen Halbinsel tun; wir sind auch
von unseren Parlamentskollegen aus der Republik Korea
und unseren politischen Gesprächspartnern dazu ermutigt
worden. Man hat uns bei unserem Besuch auf der korea-
nischen Halbinsel die Einreise in den Norden vom Süden
aus noch nicht gestattet; deshalb konnte der Besuch nicht
stattfinden. Wir wollen diesen Besuch aber nachholen und
auch als Deutsch-Koreanische Parlamentariergruppe des
Deutschen Bundestages den Kontakt mit der obersten
Vollversammlung Nordkoreas aufnehmen. Es wäre sicher
gut und richtig, wenn auch Fachausschüsse des Deutschen
Bundestages in einen direkten Dialog mit den Fachebenen
der obersten Vollversammlung Nordkoreas treten würden.
Wir begrüßen auch, liebe Kolleginnen und Kollegen,
dass sich die deutschen Bundesländer hier zunehmend en-
gagieren und, wie jüngst aus Bayern, Wirtschaftsdelega-
tionen mit dem Wirtschaftsminister nach Nordkorea fah-
ren, um auszuloten, wie sich die deutsche Wirtschaft in
diesen Annäherungs- und Öffnungsprozess einklinken
kann. Auch das war ein Ergebnis, lieber Kollege Pflug,
lieber Kollege Fink, liebe Kollegin Reinhardt und all die
anderen Kollegen, die mit dabei waren; wir sollten aller-
dings sehr nüchtern sehen, wie die deutsche Wirtschaft die
wirtschaftlichen Entwicklungschancen in Nordkorea zur-
zeit beurteilt.
Ich glaube, es ist gut und richtig und ein wichtiges Si-
gnal, dass wir diesen fraktionsübergreifenden Antrag
heute hier in diesem Hause mit großer Mehrheit verab-
schieden. Wir erinnern uns, dass es günstige internatio-
nale Rahmenbedingungen gewesen sind, die die Her-
stellung der Einheit Deutschlands in den Epoche
machenden Jahren 1989/90 ermöglicht haben. Warum
sollte dem koreanischen Volk nicht Gleiches widerfahren
dürfen? Günstige politische Rahmenbedingungen entste-
hen jedoch nicht aus purem Zufall; es gilt, beharrlich auf
sie hinzuarbeiten. Auch die Bundesrepublik Deutschland
sollte das ihr Mögliche und Notwendige tun und zu einer
Verbesserung der internationalen Rahmenbedingungen in
dieser Region beitragen, damit eines Tages auch das ge-
teilte Volk auf der koreanischen Halbinsel seine Einheit in
Frieden und Freiheit finden kann.
Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die SPD-Fraktion
spricht der Kollege Johannes Pflug.
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Als wir am 4. Mai dieses Jahres mit der
Deutsch-Koreanischen Parlamentariergruppe des Deut-
schen Bundestages im Rahmen unseres Korea-Besuches
die Sokkuram-Grotte in Kyangju besuchten, wurden wir
als Parlamentarier plötzlich von einer großen Schar von
Schulkindern umringt. Die Schulkinder freuten sich über
die Schar von Langnasen und machten sich einen Spaß
daraus, uns um Autogramme zu bitten.
Diese Begegnung erinnerte mich an das Jahr 1957. Da-
mals war ich gerade elf Jahre alt und traf zum ersten Mal
Menschen aus Asien, die in größerer Zahl als Gastarbei-
ter in meine Heimatstadt Duisburg gekommen waren, um
als Bergleute oder als Krankenschwestern dort zu arbei-
ten. Meines Wissens waren Koreaner die ersten Gastar-
beiter überhaupt, die auf Schachtanlagen in Duisburg ar-
beiteten.
Diese kleine Anekdote aus meiner Jugend zeigt, dass es
eine langjährige deutsch-koreanische Verbindung gibt,
die auf Arbeitsaustausch und Wirtschaftsbeziehungen be-
ruht. Darüber hinaus gibt es die gemeinsame Erfahrung
von geteilten Vaterländern, die eine enge Beziehung und
gegenseitige Solidarität begründet hat.
Der gemeinsame Antrag, den wir gerade beraten, atmet
genau diesen Geist der Solidarität. Wir als Abgeordnete
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Hartmut Koschyk
17985
des Deutschen Bundestages wünschen uns sehr, dass Süd-
und Nordkorea in nicht allzu ferner Zukunft wieder ein
vereintes Vaterland sind.
Dazu fordern wir die Bundesregierung in unserem Antrag
auf, das ihr Mögliche zu tun, um beide koreanischen Staa-
ten zu beraten und zu unterstützen. Dies gilt für immate-
rielle Unterstützung, aber es gilt auch für materielle Hil-
fen insbesondere für Nordkorea, wenn sich konkrete
Fortschritte auf belastbaren Verhandlungsergebnissen ab-
zeichnen.
Aber die erste Euphorie der Annäherung im Sommer
2000 ist verflogen. Ernüchterung ist eingetreten in der
Einschätzung von Fortschritten auf dem Weg zur Wie-
dervereinigung der beiden koreanischen Staaten. Das hat
mit mangelnder Reformwilligkeit des nordkoreanischen
Regimes auf dem wirtschaftlichen, sozialen und ökologi-
schen Sektor zu tun. Es hat vor allem zu tun mit dem man-
gelnden Transformationswillen Nordkoreas hin zu einer
parlamentarischen Demokratie. Nordkorea ist nicht nur
ein armes Land; es ist ein völlig isoliertes Land, das den
Weg der Isolation selbst gewählt hat und nun vor der Ent-
scheidung steht, sich wieder für die internationale Völ-
kergemeinschaft zu öffnen.
Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwi-
schen Deutschland und Nordkorea seit dem 1. März die-
ses Jahres soll dabei helfen. Viele weitere Staaten der Eu-
ropäischen Gemeinschaft haben auch auf Wunsch
Südkoreas und der Vereinigten Staaten diesen Weg der
Aufnahme diplomatischer Beziehungen beschritten.
Das hatte die neue amerikanischer Regierung zunächst
jedoch nicht davon abgehalten, dem südkoreanischen Prä-
sidenten Kim Dae-jung am 7. März bei seinem Besuch in
Washington ihre Skepsis gegenüber Nordkorea und ihre
Zurückhaltung gegenüber der Sunshine Policy zum
Ausdruck zu bringen. Zwischenzeitlich der Kollege
Koschyk hat darauf hingewiesen hat die Regierung der
Vereinigten Staaten ihre Korea-Politik modifiziert und
korrigiert und unterstützt diesen Prozess wieder.
Aber die mit großem Elan im vergangenen Jahr be-
gonnenen Begegnungen und Gespräche zwischen Süd-
und Nordkorea sind seit Beginn dieses Jahres ins Stocken
geraten. Die Troika-Mission der Europäer am 3. Mai kam
zwar zum richtigen Zeitpunkt, konnte aber auch nichts an
der festgefahrenen Situation ändern. Es gibt Absichtser-
klärungen des nordkoreanischen Präsidenten Kim Jong-il,
seinen Kollegen in Seoul zu besuchen, aber es gibt keine
Festlegung auf einen Termin.
Beide Seiten sollten ermuntert werden, den einmal be-
schrittenen Weg des letzten Jahres beharrlich und konse-
quent fortzuführen.
Zur dauerhaften Sicherung des Friedens auf der koreani-
schen Halbinsel und zur Kooperation der beiden koreani-
schen Staaten bis hin zur Wiedervereinigung gibt es keine
Alternative. Das betonen auch die Unterstützermächte der
Sonnenscheinpolitik von Kim Dae-jung, namentlich
die Vereinigten Staaten, China, Russland, Japan und die
Europäische Union, die ihre Anstrengungen durchaus ver-
größern sollte.
Nordkorea ist nicht nur aus wirtschaftlicher und politi-
scher Perspektive ein schwieriges Land, sondern auch we-
gen seiner Sicherheitspolitik. Nordkorea hat viel Geld in
die Entwicklung von Raketen gesteckt, mit denen es seine
Nachbarn in der Region und militärische Stützpunkte der
Vereinigten Staaten bedrohen kann. Das amerikanische
Vorhaben zum Bau von Raketenabwehrsystemen ist nicht
zuletzt durch nordkoreanische Aufrüstungsprogramme
motiviert worden.
Außerdem hat Nordkorea durch einen massiven Export
von Raketentechnologien zu neuen Bedrohungssituatio-
nen in den unterschiedlichsten Teilen der Welt beigetra-
gen.
Nordkorea stand bis Mitte der 90er-Jahre unter dem
Verdacht, Atombomben bauen zu wollen. Es war zwar
Vollmitglied der Internationalen Atomenergiebehörde,
IAEO, weigerte sich aber, die damit verbundenen
Überprüfungen seiner Kernkraftwerke zuzulassen. Nord-
korea hat sich die Bereitschaft, auf ein militärisches
Atomprogramm zu verzichten, 1994 abkaufen lassen. Der
Preis bestand in der Schenkung von zwei modernen Kern-
reaktoren im Werte von 4,6 Milliarden Dollar plus kos-
tenlosen Schweröllieferungen der USA bis zur Fertigstel-
lung der Reaktoren.
An der Organisation KEDO, die diese Vereinbarung
umsetzt, ist inzwischen auch die Europäische Union be-
teiligt. Nordkorea unterliegt seitdem wieder den Sicher-
heitskontrollen der IAEO, die ständige Inspektoren im
Lande unterhält. Diese Inspektoren wachen darüber, dass
es bei den alten, in nordkoreanischem Besitz befindlichen
Reaktorkernen zu keinen Veränderungen und Bewegun-
gen kommt. Darüber hinausgehende Kontrollen lässt
Nordkorea nach wie vor nicht zu.
Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt alle Bemü-
hungen der Bundesregierung und der Staatengemein-
schaft, Nordkorea in dieser Frage zu größerer Öffnung zu
veranlassen.
All dies zeigt, dass es gravierende Probleme, aber zu-
gleich auch existenzielle Interessen nicht nur der Süd- und
Nordkoreaner, sondern auch der internationalen Völker-
gemeinschaft an Frieden, Abrüstung und Kooperation auf
der koreanischen Halbinsel gibt.
Wenn ich vorhin von Ernüchterung sprach, dann hoffe
ich, deutlich gemacht zu haben, dass die genannten Pro-
bleme ohne nüchterne Betrachtung und Handhabung,
aber auch ohne Beharrlichkeit nicht gelöst werden kön-
nen. Dabei ist neben der deutschen Bereitschaft zur mate-
riellen Hilfe für den Norden bei unseren Freunden in Süd-
korea natürlich die deutsche Erfahrung auf dem Weg
zur Wiedervereinigung sehr gefragt. Waren es in der
Vergangenheit vor allem Fragen der Angleichung und
Vereinheitlichung des Rechts, der Verwaltungen und der
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Johannes Pflug
17986
Lebensbedingungen in West- und Ostdeutschland, die un-
sere südkoreanischen Freunde interessierten, so sind es
heute immer mehr die Anfänge der deutsch-deutschen
Gipfeltreffen Anfang der 70er-Jahre und die Fragen des
Finanztransfers von West nach Ost.
In der Tat: Deutschland ist nicht ohne weiteres mit
Korea zu vergleichen: Im Gegensatz zu Korea gab es in
Deutschland keinen Bürgerkrieg. Im Gegensatz zu Süd-
korea gegenüber Nordkorea hat die Bundesrepublik
Deutschland nie eine völlige Abschottungspolitik gegen-
über der DDR betrieben. Im Gegensatz zu Korea gab es
bei uns fast immer Kommunikation zwischen den beiden
Deutschlands und bei allen Scheußlichkeiten der ostdeut-
schen Grenzeinrichtungen eine zumindest für Westdeut-
sche durchlässige Grenze. Im Gegensatz zu Nordkorea
gab es in der DDR eine hervorragend informierte Gesell-
schaft und im Vergleich zu Nordkorea war die DDR eine
wohlhabende Gesellschaft.
In Deutschland gab es eine geteilte Stadt Berlin, die
immer wieder Kontakte und Gespräche zwischen den Ga-
rantiemächten, aber auch den beiden deutschen Staaten
erforderte. In beiden Teilen Deutschlands standen sich
Ost- und Westblock hoch gerüstet gegenüber. Jeder wuss-
te, dass eine bewaffnete Konfrontation den dritten Welt-
krieg und zugleich das Ende der menschlichen Existenz
hätten bedeuten können.
Gerade deshalb ist es wichtig, dass wir unsere Erfah-
rungen aus den 70er-Jahren weitergeben, dass wir uns mit
unseren europäischen Partnern in Korea engagieren und
dass wir unsere südkoreanischen Freunde unserer Soli-
darität versichern, bis hin zur Wiedervereinigung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die F.D.P.-Frak-
tion spricht jetzt der Kollege Ulrich Irmer.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Die Kollegen Koschyk und
Pflug haben hier viel Richtiges gesagt. Ich kann mich dem
anschließen.
Ich will nur auf eines hinweisen: Wir sollten uns keine
Illusionen machen. Wir sind alle in hohem Maße daran in-
teressiert, die Situation in Korea zu verbessern, insbeson-
dere den Dialog zu fördern, der dort dank Kim Jong-il,
dem mutigen Präsidenten von Südkorea, zustande ge-
kommen ist. Aber der Kollege Pflug hat es eindringlich
dargestellt die Situation in Deutschland ist mit der in
Korea nicht vergleichbar. Im Vergleich zu dem, was sich
in Nordkorea abspielt, war die DDR ohne dass ich das
Regime in irgendeiner Weise verharmlosen oder beschö-
nigen will geradezu ein Paradies der Freiheit.
Ich will es an einem Beispiel klarmachen. Die deutsche
Delegation war im Frühjahr 1991 im Rahmen der Inter-
parlamentarischen Union zehn Tage in Nordkorea. Dabei
war der Kollege Haschke aus der früheren DDR, der
sagte: Um Gottes willen, jetzt merke ich erst, was uns er-
spart geblieben ist! Als wir damals auf der Rückreise in
Peking zwischenlanden mussten das war kurz nach dem
Massaker auf dem Tiananmen-Platz , sind wir aus dem
Flugzeug gestiegen, haben tief durchgeatmet und gesagt:
Back to the free world again, endlich wieder in der freien
Welt und das in Peking, anderthalb Jahre nach dem Mas-
saker auf dem Tiananmen!
Man kann sich nicht vorstellen, was das Regime in
Nordkorea mit den Menschen gemacht hat: Sie haben von
nichts Kenntnis. Sie sind völlig abgeschottet und völlig
isoliert. Das Schlimme ist: Sie sind einer sektiererischen
Gehirnwäsche unterzogen worden, und das über Jahr-
zehnte. Selbst wenn jetzt eine gewisse Auflockerung ein-
treten sollte, wenn Kontakte in ganz begrenztem Maße er-
möglicht werden sollten, wird es Jahrzehnte dauern, bis
diese Fixierung überhaupt aus den Köpfen verschwunden
ist. Damit wird man wohl rechnen müssen.
Es ist ja wunderschön der Kollege Koschyk hat es ge-
sagt , wenn der bayerische Minister Wiesheu nach Nord-
korea reist und dort eine bayerisch-nordkoreanische
Kommission ins Leben ruft, die nicht nur ausloten soll,
welche gigantischen Wirtschaftspotenziale für bayerische
Unternehmen in Nordkorea bereitstehen, sondern die sich
auch um die politische Annäherung kümmern soll. Nach
dieser Reise hat er dem Bayernkurier anvertraut, er
habe als ersten Schritt gelernt, mit Stäbchen zu essen. Das
ist eine gigantische vertrauensbildende Maßnahme. Ich
wünsche guten Appetit!
Wenn wir als Deutsche gerade wegen unserer Ver-
antwortung aufgrund unserer geschichtlichen Erfahrung
der jahrzehntelangen Teilung irgendwie dazu beitragen
können, die Situation auf der koreanischen Halbinsel zu
verbessern, dann sollten wir das tun. Wie dies allerdings
die Bundesregierung im letzten Jahr begonnen hat diese
kritische Bemerkung müssen Sie mir gestatten , das, so
fand ich, war kein Gipfel der Diplomatenkunst. Denn hier
ist Deutschland mit einer völlig unnötigen und zunächst
isolierten Anerkennungspolitik vorgeprescht. Ich halte es
für richtig, dass man letzten Endes diplomatische Bezie-
hungen zu Nordkorea aufgenommen hat. Aber ausge-
rechnet die deutsche Bundesregierung hat es sich zu leicht
gemacht: Sie hat sich nicht in das Konzert der Europäer
eingeordnet, obwohl dies ein klassisches Feld gewesen
wäre, auf dem man gemeinsame europäische Politik hätte
betreiben können.
Sie hat aber auch keine Bedingungen hinsichtlich der
Menschenrechte gestellt. Ich meine, wenn wir in Zukunft
die Beziehungen zu Nordkorea in irgendeiner Weise in-
tensivieren wollen, dann müssen wir das konditionieren.
Es gibt dort die grässlichsten Straflager. Wir verlangen,
dass dort internationale Beobachter endlich Zutritt be-
kommen.
Wir verlangen, dass für Journalisten und für Diplomaten,
aber auch für humanitäre Hilfsorganisationen jegliche Be-
schränkungen der Freizügigkeit endlich aufgehoben
werden. Hier hat man einfach gesagt: Wir präsentieren
euch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen auf dem
Silbertablett, ohne dass man irgendwelche Bedingungen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Johannes Pflug
17987
gestellt hat. Wenn wir in Nordkorea irgendetwas erreichen
wollen, dann müssen wir auch eine gewisse Entschlos-
senheit und Härte zeigen und dürfen nicht Geschenke ma-
chen, die uns dann nicht honoriert werden.
Das Regime in Nordkorea ist nicht verständigungswillig.
Ob es verständigungsfähig ist, ist eine andere Frage. Nur
unter internationalem Druck wird es gelingen, dort ir-
gendwelche Fortschritte zu machen.
Ich begrüße die Delegation aus Südkorea. Ich wünsche
Ihnen alles Gute. Wir leiden mit Ihnen unter der Teilung
und wir hoffen, dass es eines Tages gelingen wird, die Tei-
lung zu überwinden, zumindest aber, leichte Fortschritte
zu erzielen.
Ich danke Ihnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der
Staatsminister im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer.
D
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Bundesregierung begrüßt, dass die Kernanliegen der
deutschen Politik gegenüber den beiden koreanischen
Staaten und die Richtigkeit der Aufnahme diploma-
tischer Beziehungen zu Nordkorea am 1. März dieses
Jahres dies haben wir übrigens von Anfang an in enger
Abstimmung mit den anderen Europäern organisiert von
einem breiten Konsens in diesem Hause getragen werden.
Die Bundesregierung wird sich im Interesse von Frieden,
Stabilität und der Einhaltung der Menschenrechte auf der
koreanischen Halbinsel auch in Zukunft mit den EU-Part-
nern sowie den USA, Japan und Südkorea eng abstim-
men.
Die Lage dort ist nach wie vor angespannt. Nirgendwo
auf der Welt stehen sich auf engstem Raum so viele Streit-
kräfte gegenüber wie am 38. Breitengrad. Dies stellt ein
Krisenpotenzial globalen Ausmaßes dar. Die Bundesre-
gierung hat sich zum Ziel gesetzt, durch ihre Politik zur
Verringerung dieses Potenzials beizutragen.
Wesentliches Ziel ist vor allem die Verhinderung der
Weiterentwicklung und Proliferation von Massenvernich-
tungswaffen und Trägersystemen durch Nordkorea. Beim
Besuch der EU-Troika unter Leitung des schwedischen
Ministerpräsidenten Persson hat die nordkoreanische Re-
gierung Anfang Mai eine dreijährige Verlängerung ihres
Raketentestmoratoriums bekannt gegeben und ihre wei-
tere Gesprächsbereitschaft bekundet. Dies ist ein ermuti-
gendes Zeichen.
Hauptgesprächspartner Nordkoreas in diesen Fragen
ist aus Sicht Pjöngjangs aber Washington. Die USA haben
ihren mehrmonatigen policy review in Bezug auf Nord-
korea Anfang Juni abgeschlossen. Derzeit scheinen die
Verhandlungen zwischen den USA und Nordkorea jedoch
noch nicht recht vom Fleck zu kommen. Wir werden mit
den USA bei den G-8-Treffen in Rom und in Genua auch
die Koreapolitik konsultieren und dabei prüfen, ob
Deutschland und die EU einen Beitrag dazu leisten kön-
nen, wieder Bewegung in diesen Verhandlungsprozess zu
bringen.
Ein unberechenbares Nordkorea könnte die gesamte
Region gefährden. Die katastrophale wirtschaftliche und
humanitäre Situation des fast völlig isolierten Landes
könnte zu dieser Unberechenbarkeit beitragen. Das Zer-
brechen des Wirtschaftssystems, das auf der die Autarkie
betonende Juche-Ideologie beruht, hat für die nordkorea-
nische Bevölkerung extreme Leiden mit sich gebracht.
Diese werden noch verstärkt durch ein lückenloses Über-
wachungs- und Kontrollsystem, dessen Bedeutung für
den Systemerhalt durch die Verschlechterung der Wirt-
schaftslage steigt. Hinzu kommt, dass die perfekte
Weltabgeschiedenheit zu extremer Weltfremdheit geführt
hat.
Niemand weiß, wie viele Tote der Hunger in den letz-
ten zehn Jahren gefordert hat. Es gibt für die Mehrzahl der
Nordkoreaner kaum noch medizinische Versorgung.
Durch die Dürre in den letzten Monaten hat die huma-
nitäre Nothilfe für die hungernden Menschen noch an
Bedeutung gewonnen. Die Bundesregierung wird sich
hier verstärkt engagieren. Aber wir sind der Meinung,
dass die Ernährungskrisen in Nordkorea nicht nur durch
zyklisch eintretende Katastrophen bedingt sind,
sondern einer strukturellen Fehlorganisation der Wirt-
schaft und insbesondere der Landwirtschaft geschuldet
sind.
Wir haben durch die Aufnahme der diplomatischen
Beziehungen unsere Möglichkeiten verbessern können
Herr Kollege Irmer, das war eine Bedingung, die wir ex-
plizit daran geknüpft haben; das haben wir im Auswärti-
gen Ausschuss vorgetragen und gemeinsam diskutiert ,
in Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern des World Food
Programme zumindest in Ansätzen zu kontrollieren, ob
Hilfslieferungen die wirklich Bedürftigen erreichen.
Auch die Verbesserungen bei der Reisefreiheit für die
Angehörigen unserer Botschaft und die Erleichterungen
für die Tätigkeit von Vertretern deutscher Medien, denen
die nordkoreanische Regierung im Zuge der Verhandlun-
gen über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu-
gestimmt hat, werden sich hier positiv auswirken, Herr
Irmer. Die ersten Journalisten haben schon das Land be-
reisen können.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Ulrich Irmer
17988
Die humanitäre Hilfe kann jedoch nur die ärgsten Aus-
wirkungen der Probleme Nordkoreas mildern; sie kann
sie nicht lösen. Wichtig ist vor allem, Nordkorea Schritt
für Schritt zur wirtschaftlichen und auch zur politischen
Öffnung zu bewegen. Jeder Schritt der Öffnung ist ein
Schritt zur Normalisierung.
Nur so ist zu erreichen, dass in Zukunft mit der nord-
koreanischen Führung auch über Themen gesprochen
werden kann, zu denen ein sinnvoller Dialog heute erst in
Ansätzen möglich ist. Dabei denke ich vor allem an die
Menschenrechte. Nordkorea hat bei meinem Besuch in
Pjöngjang einem Dialog über die Menschenrechte mit uns
zugestimmt. Wir werden diesen Dialog suchen.
Nur über eine Öffnung Nordkoreas kann auch ein ver-
stärkter wirtschaftlicher Austausch in Gang kommen, der
für die Erholung der nordkoreanischen Wirtschaft drin-
gend nötig ist. Die ersten Verhandlungen über ein
Investitionsschutzabkommen in Berlin in der vergange-
nen Woche haben gezeigt, dass selbst die Schaffung der
rechtlichen Grundlagen für einen solchen Wirtschafts-
austausch mit Nordkorea außerordentlich schwierig ist.
Wichtigster Partner Nordkoreas auf dem Weg zur Nor-
malisierung ist natürlich Südkorea. Im März 2000 hatte
der südkoreanische Präsident Kim Dae-jung in seiner
Berliner Erklärung hier in der Hauptstadt des wieder-
vereinigten Deutschlands die Grundzüge seiner Sonnen-
scheinpolitik gegenüber Nordkorea dargestellt.
Die Wahl Berlins für die Abgabe dieser Erklärung war
ein Symbol für die besonderen Erwartungen Koreas an
Deutschland, die aufgrund der gemeinsamen Erfahrungen
mit der Teilung bestehen.
Im Ergebnis der Sonnenscheinpolitik entstand auch in
der politischen Führung Nordkoreas die Bereitschaft,
über erste konkrete Schritte der politischen Annäherung
der verfeindeten Nachbarstaaten nachzudenken. Die ge-
meinsame Erklärung des ersten innerkoreanischen Gip-
fels vom Juni 2000 war der bisherige Höhepunkt dieser
Entwicklung. Es folgten Familienbegegnungen, die Wie-
dereröffnung der Verbindungsbüros in Panmunjom sowie
erste gemeinsame Verkehrsprojekte. Die Bundesregie-
rung hat diese Politik Kim Dae-jungs vom ersten Tag an
aktiv unterstützt und wird das auch weiterhin tun, auch
und gerade wenn die innerkoreanische Annäherung ge-
genwärtig stagniert und Rückschläge nicht auszuschlie-
ßen sind.
Wir wissen aufgrund unserer eigenen historischen Er-
fahrung, dass dieser Weg der einzig richtige ist. Wir wis-
sen jedoch auch, wie lang er ist und welche Widerstände
überwunden werden müssen. Kollege Pflug hat darauf
hingewiesen, worin die Unterschiede zwischen der deut-
schen und der koreanischen Situation bestehen.
Meine Damen und Herren, eine Vielzahl von Aufgaben
kommt auf uns hier in Berlin und auf unsere Diplomaten
auf dem schwierigen Posten Pjöngjang zu. Es ist gut, dass
mit dem vorliegenden Antrag die parteiübergreifende Un-
terstützung für die von uns und von den Angehörigen der
Botschaft umzusetzende Koreapolitik der Bundesregie-
rung dokumentiert wird. Dafür möchte ich Ihnen allen
ausdrücklich danken, besonders den Kolleginnen und
Kollegen, die durch eigene Reisen zur Intensivierung der
Beziehungen beitragen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzter Redner in die-
ser Debatte ist der Kollege Wolfgang Gehrcke für die
PDS-Fraktion.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Dass ich an einer Rede des
Kollegen Koschyk im Wesentlichen nichts herumzunör-
geln habe, kommt nicht allzu häufig vor. Ich hoffe, dass
es dem Kollegen Koschyk nicht peinlich ist. Ich habe je-
denfalls kein Problem damit.
Ich möchte meinerseits unsere südkoreanischen Kol-
leginnen und Kollegen begrüßen. Ich freue mich sehr
über ihren Besuch. Wir haben uns in ihrem Land kennen
gelernt, als ich mit Gregor Gysi zusammen Nord- und
Südkorea besucht habe. Ich weiß, dass man in ihnen sehr
realistische und verlässliche Partner einer auf Entspan-
nung orientierten Politik hat. Wir alle wissen das
braucht man nicht zu wiederholen , wie kompliziert und
belastet die Situation auf der koreanischen Halbinsel
noch immer ist.
Wer einmal am 38. Breitengrad in Panmunjom war, der
wird erkannt haben, dass der Frieden noch sehr fragil ist.
Ich weiß gar nicht, ob der Begriff Friede passend ist. Es
ist ein Nicht-Krieg oder Noch-nicht-Friede, also eine
schwierige Übergangssituation. Ich habe mir bei meinem
Besuch vorgestellt, dass die Gebäude und Befestigungen
vielleicht einmal so etwas wie ein Museum des Kalten
Krieges werden könnten. Hinsichtlich der Frage, ob das
allerdings in das Weltkulturerbe der UNESCO aufgenom-
men wird, bin ich eher skeptisch. Das, was sich dort aus-
drückt, ist aber leider ein Erbe unserer Generation.
Ich glaube, wir sollten sehr viel tun, damit aus diesem
Zustand des Nicht-Krieges bzw. Noch-nicht-Friedens so
etwas wie ein gesicherter und stabiler Friede wird.
Deshalb sollten wir den Entspannungsprozess mit
dem, was wir können, unterstützen. Wir sollten beiden
Staatsführern ermutigend sagen, dass wir Schritte der Be-
gegnung, der menschlichen Kontakte, des Austausches,
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Staatsminister Dr. Ludger Volmer
17989
des Handels was immer möglich ist so weit unterstüt-
zen, wie es in den Kräften unserer Politik, unseres Landes
steht.
Notwendig ist es, Ängste abzubauen da bin ich mir
ganz sicher , und weite Demokratisierung in beiden Län-
dern einzuleiten und durchzusetzen. Gesetze, die mensch-
liche Kontakte mit Strafe belegen, müssen fallen. Das
passt nicht in unser Jahrhundert.
Wir werden auch ein Verständnis für einen anderen Zeit-
faktor, für das Aufeinandertreffen anderer Kulturen zei-
gen müssen.
Was können also die deutschen Interessen sein? Da ich
nur noch wenig Zeit habe, nur kurz einige Stichworte.
Deutsches Interesse muss sein, zu Frieden und Stabilität
beizutragen. Es war im wohl verstandenen deutschen wie
internationalen also auch europäischen Interesse, die
diplomatischen Beziehungen aufzunehmen. Ich möchte
ausdrücklich dazu sagen: Ich glaube, dass wir in Sprache
und Gestus in hohem Maße ein Fingerspitzengefühl für
das entwickeln müssen, was akzeptiert und was nicht ak-
zeptiert werden kann.
Wir sollten unsere Erfahrungen mit der deutschen Ein-
heit, die wir selbst ja sehr unterschiedlich bewerten, mit
unseren koreanischen Freunden teilen. Wir müssen be-
greifen: Der Prozess in Korea muss von den Menschen
auf beiden Seiten beschritten werden. Man kann helfen
es gibt nichts Vergleichbares und Rat geben, wenn er
gefragt ist. Man sollte aber seinen Rat nicht aufdrängen,
wenn er nicht erwünscht ist. In einem größeren Maße als
wir stehen die Signatarmächte des Waffenstillstands-
abkommens in der Verpflichtung, aus dem Waffenstill-
stand heraus zu einem gesicherten Frieden und einer Ko-
operation auf der koreanischen Halbinsel zu kommen.
Das sollten wir einmal deutlich machen, vor allem auch
gegenüber unseren amerikanischen Kolleginnen und Kol-
legen. Diejenigen, die die besten Beziehungen zu unseren
amerikanischen Kolleginnen und Kollegen haben an-
dere haben sicherlich bessere Beziehungen als ich , soll-
ten den Verantwortlichen sagen, dass der Prozess in Korea
nicht misstrauisch beäugt werden sollte, sondern auch
vonseiten der USA gefördert und vorangebracht werden
muss.
Wir sollten ihnen sagen, dass man nichts tun sollte, was
die Sicherheit im asiatischen Raum insgesamt gefährden
könnte.
Meine Redezeit ist abgelaufen; die Frau Präsidentin hat
schon das Blinklicht am Rednerpult ausgelöst. Ich be-
danke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe auch ganz
diskrete Methoden.
Ich schließe die Aussprache. Bevor wir zur Abstim-
mung kommen, bedanke ich mich noch einmal im Namen
aller Kolleginnen und Kollegen des Hauses für Ihr Inte-
resse, liebe Gäste aus Korea. Ich bin mir sicher, dass diese
Debatte eine Anregung für Sie war. Erzählen Sie zu
Hause, dass wir im Parlament die Freundschaft zu Ihrem
Land sehr Ernst nehmen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnis-
ses 90/Die Grünen und der F.D.P. auf Drucksache 14/6210
mit dem Titel Frieden, Stabilität und Einheit auf der
koreanischen Halbinsel. Wer stimmt für diesen Antrag?
Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? Der Antrag ist
bei einigen Enthaltungen aus der PDS-Fraktion ange-
nommen.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 9 sowie Zusatz-
punkt 9:
9. Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Karlheinz Guttmacher, Hans-Michael
Goldmann, Horst Friedrich , weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Mehr Eigentum, mehr private Anbieter und
zielgenaue Hilfen zum Strukturwandel am
Wohnungsmarkt in den neuen Bundesländern
Drucksache 14/6055
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss
ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen zu dem Antrag
der Abgeordneten Christine Ostrowski, Gerhard
Jüttemann, Rolf Kutzmutz, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der PDS
Maßnahme-Programm zum wohnungswirt-
schaftlichen Strukturwandel in den neuen Län-
dern vorlegen
Drucksachen 14/6051, 14/6565
Berichterstattung:
Abgeordneter Norbert Otto
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kol-
lege Dr. Karlheinz Guttmacher für die F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die hohen,
flächendeckenden Wohnungsleerstände in den neuen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Wolfgang Gehrcke
17990
Bundesländern sind sowohl das Ergebnis der noch nicht
bewältigten Erblasten der DDR
als auch des wirtschaftlichen Strukturwandels in den
neuen Bundesländern, der sich schwieriger gestaltet, als
wir dies noch vor zehn Jahren geglaubt haben. Besonders
die fehlenden Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern
führen dazu, dass es dort zu einem Rückgang der Be-
völkerungszahl kommt. So wohnen nicht mehr 16,7 Mil-
lionen, sondern nur noch 15,2 Millionen Menschen in den
neuen Ländern. Heute stehen auf dem dortigen Woh-
nungsmarkt 1 Million Wohnungen leer. Dieser Markt ist
gekennzeichnet durch zu wenige kleine, private Vermie-
ter sowie zu wenige Eigentümer mit selbst genutztem
Wohneigentum.
Allein die bei dem GdW erfassten 380 000 leer stehen-
den Wohnungen führen zu einem jährlichen Mietausfall
von 1,6 Milliarden DM, die der Wohnungswirtschaft, aber
auch vor allem der Bauwirtschaft dringend fehlen. Die
F.D.P. fordert in ihrem Antrag, der heute hier vorgelegt
wird, erneut eine Strukturhilfe für die Wohnungswirt-
schaft Ost.
Die Altschulden für dauerhaft leer stehende Wohnun-
gen oberhalb von 5 Prozent des Bestandes müssen bei
Vorlage eines wohnungswirtschaftlichen Konzeptes in
Absprache mit den Kommunen grundsätzlich gestrichen
werden.
Dringend notwendig erscheint uns auch, dass die Städ-
tebaufördermittel des Bundes und der Länder sowie das
Programm Soziale Stadt mit einem Schwerpunkt zur
Wohnumfeldverbesserung und -gestaltung aufgestockt
werden. Dieser Städtebaustrukturansatz, den wir bereits
im März auf dem von GdW und Deutschem Städtetag in
Leipzig veranstalteten Kongress zum Wohnungsleerstand
vorgestellt haben, fand große Zustimmung.
Ebenso wurde unsere Vorstellung einer Öffnung des Woh-
nungsmodernisierungsprogramms der KfW für struktur-
verbessernde Maßnahmen im Wohnumfeld im Zusammen-
hang mit einem städtebaulichen Konzept der Kommunen
von der Wohnungswirtschaft als dringend notwendig ange-
sehen.
Wenn wir den dringenden Aufgaben nachkommen
wollen, die Wohnungswirtschaft und damit den Woh-
nungsmarkt wieder in Ordnung zu bringen, dann halten
wir die Neuauflage des sozialen Wohnungsbaus durch
die Bundesregierung für kontraproduktiv. Mein Kollege
Goldmann hat unlängst in einer wohnungspolitischen De-
batte die Meinung der F.D.P. zu diesem Thema vorgetra-
gen. Dringend notwendig wäre es, die Wohnungsnach-
frage wirtschaftlich zu stärken. Wir haben in den neuen
Bundesländern einen großen Überhang an Wohnungen,
aber keine entsprechende Nachfrage.
Zur Erleichterung des Strukturwandels müssen wir in
der Fiskalpolitik auch den Mut haben, Sonderregelungen
wie die befristete Befreiung von der Grunderwerbsteuer,
die ausschließlich der Strukturbereinigung dienen, bei
Verkäufen zuzulassen. Die F.D.P.-Fraktion sieht sich in
ihrer zügigen und konstruktiven Mitarbeit zur Verbes-
serung der Wohnungswirtschaft durch das in den letzten
Tagen von der Bundesregierung aufgelegte Programm zur
Umsetzung des wohnungswirtschaftlichen Strukturwan-
dels in den neuen Bundesländern in vollem Maße be-
stätigt.
Die Finanzierung des 300 Millionen DM schweren Re-
gierungsprogramms ist allerdings eine Mogelpackung;
dabei bleiben wir. So sollen 100 Millionen DM Städte-
baufördermittel, die bereits jetzt für strukturverbessernde
Maßnahmen vorgesehen sind, in dieses angebliche Son-
derprogramm eingebracht werden.
Weitere 100 Millionen DM sollen aus der Gemein-
schaftsaufgabe aus Mitteln, die in diesem Jahr, aus wel-
chem Grunde auch immer, nicht abfließen für die nächs-
ten drei Jahre gebunden werden, um sie in dieses
Programm aufzunehmen.
So werden lediglich 100 Millionen DM zusätzlich einge-
bracht. Das Programm zum wohnungswirtschaftlichen
Strukturwandel in den neuen Bundesländern muss unse-
rer Meinung nach aber mit mindestens 300 Millionen DM
jährlich zusätzlich ausgestattet werden.
Auch fordert die F.D.P. ein Programm im Umfang von
1 Milliarde DM mit Mitteln aus dem Erblastentilgungs-
fonds; schließlich geht es um den Abbau von Erblasten
aus der DDR.
So wie beim Altschuldenhilfe-Gesetz kann die Bun-
desregierung die Wohnungswirtschaft nicht noch einmal
im Regen stehen lassen. Mit dem unzureichend finan-
zierten Strukturprogramm der Bundesregierung ist es so,
als ob man einem Ertrinkenden eine Badehose zuwirft.
Damit ist der Wohnungswirtschaft Ost nicht geholfen, sie
braucht Boden unter den Füßen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die SPD-Fraktion
spricht die Kollegin Iris Gleicke.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Dr. Karlheinz Guttmacher
17991
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Ich würde mich freuen, wenn wir uns
über alle Parteigrenzen hinweg darauf verständigen wür-
den, dass der Stadtumbau Ost eine nationale und damit ge-
samtdeutsche Aufgabe ist.
Es geht darum, eine Krise zu meistern, die vielfältige
Ursachen hat. Wir müssen verhindern, dass aus dieser
Krise eine Katastrophe wird, denn der Leerstand im Osten
hat schon jetzt verheerende Folgen für die Entwicklung
der Städte und ihrer Quartiere. Wenn der schöne Satz
stimmt, dass in jeder Krise eine Chance steckt und diese
Chance darin besteht, aus Fehlern der Vergangenheit zu
lernen, können wir aus der Leerstandskrise eine ganze
Menge für die Zukunft lernen.
Auch die F.D.P. könnte eine Menge lernen, denn ihr
Antrag ist leider gänzlich frei von jeder Selbstkritik. Sie
formulieren rosa wolkig, dass in der Vergangenheit not-
wendigen Investitionen im Zweifel Vorrang vor un-
geklärten Rückgabeansprüchen eingeräumt worden sei.
Dabei weiß zumindest im Osten jeder Herr Guttmacher,
Sie wissen es auch , was das Prinzip Rückgabe vor Ent-
schädigung trotz aller Vorranggesetze angerichtet hat,
und zwar wahrlich nicht nur beim Wohnungsbau.
Auch Ihre Ausführungen zum Altschuldenhilfe-Gesetz
sind, freundlich formuliert, eher beschönigend als erhel-
lend. Herr Kollege Guttmacher, wir sind beide 1990 in
den Bundestag gewählt worden. Ich finde es zum Teil fast
erheiternd, was Sie zum Altschuldenhilfe-Gesetz gesagt
haben. Man denke nur daran, wie sich seinerzeit Ihre
Ministerin geziert hat, überhaupt einer Altschuldenhilfe-
regelung für die Wohnungen im Osten zuzustimmen.
Herr Guttmacher, das Altschuldenhilfe-Gesetz ist da-
mals im Rahmen des Solidarpakts durch die SPD-Länder
eingebracht worden. Das ist die Wahrheit.
Nach Erklärungen für die Ursachen des hohen Woh-
nungsleerstandes in Ostdeutschland sucht man in
Ihrem Antrag vergebens. Da ist nur die Rede von nicht
näher erläuterten Strukturproblemen. Das klingt ein biss-
chen, als seien Sie zwischen 1990 und 1998 nicht dabei
gewesen.
Wir können aus der Leerstandskrise eine Menge ler-
nen. Wir können daraus lernen, die Fehler der Vergangen-
heit künftig zu vermeiden. Damit meine ich nicht nur städ-
tebauliche Sünden, sondern auch eine teilweise verfehlte
Subventions- und Förderpolitik sowie schwerwiegende
Fehler beim Umgang mit den Altschulden der ostdeut-
schen Wohnungswirtschaft.
Der Leerstand eröffnet darüber hinaus die Chance ei-
ner wirklichen Umgestaltung der ostdeutschen Städte.
Beim Stadtumbau geht es nämlich nicht nur darum, zu
entscheiden, ob wir mit Dynamit oder mit der Abrissbirne
arbeiten. Der Stadtumbau ist auch keine Konjunktur-
spritze für die daniederliegende Bauwirtschaft, obwohl
diese zweifellos davon profitieren wird. Der Stadtumbau
ist auch kein Arbeitsbeschaffungsprogramm nach dem
Motto, das wir zu DDR-Zeiten hatten: Wir bauen auf, wir
reißen nieder Arbeit gibt es immer wieder. So kann es
auch nicht sein.
Was wir mit dem Stadtumbauprogramm erreichen
müssen, ist mehr Lebensqualität für Ostdeutschland, sind
lebenswerte Städte ohne hässliche Ruinen und mit einem
spürbar verbesserten Wohnumfeld,
ist eine kinder- und familienfreundliche Gesamtstruktur
mit kurzen Wegen von der Wohnung zur Arbeit, sind at-
traktive, lebendige Innenstädte.
Die Bundesregierung ist bis jetzt beileibe nicht untätig
gewesen. Schon jetzt sind wichtige Rahmenbedingungen
für die Erarbeitung von Lösungskonzepten zur Struktur-
anpassung geschaffen worden. Das darf ich an dieser
Stelle auch einmal sagen: Ich danke dem Parlamen-
tarischen Staatssekretär Achim Großmann für sein anhal-
tendes Engagement für die neuen Bundesländer.
Eine der wichtigsten Maßnahmen war die Novellie-
rung des Altschuldenhilfe-Gesetzes, mit der die notwen-
dige Rechts- und Planungssicherheit für die ostdeutschen
Wohnungsunternehmen hergestellt wurde. Insbesondere
die Verordnung zur Härtefallregelung des § 6 a des Alt-
schuldenhilfe-Gesetzes ermöglicht eine spürbare finanzi-
elle Entlastung all der Wohnungsunternehmen, die
Altschuldenhilfe erhalten haben und die aufgrund erheb-
licher Leerstände in ihrer wirtschaftlichen Existenz ge-
fährdet sind.
Es ist wichtig und es ist richtig, dass wir diesen
Wohnungsunternehmen helfen. Allein im Rahmen des
§ 6 a des Altschuldenhilfe-Gesetzes können 700 Milli-
onen DM Bundesmittel zur Tilgung von Altkrediten für
die vom Markt genommenen Wohnungen in Anspruch ge-
nommen werden.
Die Bundesregierung wird darüber hinaus die notwen-
digen finanziellen Mittel für den Stadtumbau zur Verfü-
gung stellen. Das ist, wie Sie alle wissen, beschlossene
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 200117992
Sache. In den kommenden drei Jahren sind dies jeweils
300 Millionen DM. Dabei erwartet der Bund das, finde
ich, zu Recht , dass die Länder diese Mittel komplemen-
tieren und sich hier mit engagieren, denn dies ist eine Auf-
gabe, die gesamtdeutsch, gesamtstaatlich geleistet werden
muss.
Mit diesem Programm stehen den ostdeutschen Ge-
meinden einschließlich der Komplementärfinanzierung
von 2002 bis 2004 insgesamt 1,8 Milliarden DM zur Ver-
fügung. Das Programm soll nach 2004 fortgesetzt wer-
den. Das bedeutet zum einen Geld für den von der Leer-
standskommission geforderten notwendigen Abriss von
rund 350 000 Wohnungen, den man von mir aus auch vor-
nehmer als Rückbau bezeichnen kann. Ich halte es aller-
dings mehr mit den Vokabeln, die sagen, was da ist. Das
bedeutet zum anderen, dass die besonders wichtigen und
für das urbane Leben wertvollen Altbauten saniert werden
können, die jetzt zum Teil schlicht unbewohnbar sind.
Die Städte müssen insgesamt gestärkt werden und auch
dafür wird Geld zur Verfügung stehen; denn eine der
Hauptursachen für den Wohnungsleerstand liegt in der
Abwanderung ins Umland, im Neubau auf der grünen
Wiese. Die Menschen wandern ins Umland ab, weil die
Städte nicht attraktiv genug sind. Mit wachsendem Leer-
stand werden die Städte noch unattraktiver.
Dadurch nimmt die Abwanderung weiter zu. Das schau-
kelt sich immer weiter hoch. Es freut mich, dass wir da
offensichtlich einer Meinung sind, Herr Kollege
Guttmacher.
Deshalb müssen die Städte insgesamt aufgewertet wer-
den. Das bedeutet Anpassung der städtischen Infrastruk-
tur, Wiedernutzung freigelegter Flächen und Restaurie-
rung von Gebäuden, die das Stadtbild prägen.
Ich mache auf zwei weitere wichtige Programme auf-
merksam: zum einen auf das Programm Soziale Stadt,
zum anderen auf das Wohnraummodernisierungspro-
gramm der KfW. Beide haben eine wichtige Funktion, das
eine im Hinblick auf die Stadtteile, das andere im Hin-
blick auf die Sanierung des Wohnungsbestandes. Die
Menschen erleben damit nicht nur, dass leer stehende Ge-
bäude abgerissen werden, sondern auch, dass etwas
Neues, Besseres entsteht. Das ist für das Lebensgefühl der
Betroffenen von besonderer Bedeutung.
Wenn das Stadtumbauprogramm gelingt davon bin
ich überzeugt , wird es eine echte Pilot- und Vorbild-
funktion auch für den Westen der Republik übernehmen
können; denn das Leerstandsproblem ist kein reines Pro-
blem des Ostens. Auch in den alten Bundesländern ent-
steht zunehmend Wohnungsleerstand.
Wenn der Stadtumbau Ost gelingen soll, müssen die
Städte hierfür schlüssige Gesamtkonzepte entwickeln.
Gefordert sind die Kreativität und Fantasie aller Beteilig-
ten. Ich wünsche uns auf diesem Weg viel Erfolg.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Norbert Otto.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundestag be-
schäftigt sich heute zum wiederholten Male mit der Pro-
blematik der Wohnungswirtschaft und speziell mit der
Wohnungssituation in den neuen Ländern. Das ist ein
Zeichen dafür, welche Bedeutung wir dieser Thematik
beimessen.
Lieber Kollege Guttmacher, liebe Iris Gleicke, im
Grunde genommen sind wir ganz dicht beieinander. Die
von Kollegin Gleicke geschilderte Zielstellung ist auch
unsere. Es gibt nur einen einzigen Knackpunkt zu ihm
komme ich noch , der uns hinsichtlich der Zielstellung
leider trennt.
Ich bin ebenso wie Iris Gleicke und Karl Guttmacher
seit 1990 dabei und bin stolz darauf. Wir können auf die
Entwicklung auch wirklich stolz sein, die wir im Bereich
des Wohnungswesens zu verzeichnen haben. Nur wer
blind ist, sieht nicht, was sich in unserem Lande, in unse-
ren Städten getan hat: Ganze Stadtteile wurden saniert, In-
nenstädte vor dem Verfall gerettet und historische Bau-
substanz entstand in alter Schönheit. Fielen 1991 noch die
wenigen sanierten Häuser auf, so fallen heute die wenigen
unsanierten Bauruinen auf. Das mag zwar nicht überall so
sein, aber in Thüringen, zum Beispiel in Erfurt, kann Ih-
nen das unter Beweis gestellt werden.
Oder nach Schleusingen.
Wir können mit Stolz auf die Erfolge zurückblicken,
deren Grundlage wir in vielen Bereichen zum Teil im
großen Dialog überparteilich gelegt haben. In diesem Zu-
sammenhang nenne ich ausdrücklich den Kollegen
Achim Großmann.
Wie wir alle wissen, gibt es aber nicht nur die positive
Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt.
Sprachen wir noch 1990 von einer Wohnungsnot in den
neuen Ländern, so gibt es jetzt mehr als 1 Million leer ste-
hende Wohnungen. 1991 betrug die Leerstandsquote in
den neuen Ländern 2 Prozent; das waren die nicht be-
wohnbaren Wohnungen. Nunmehr liegt die Leerstands-
quote bei durchschnittlich über 14 Prozent. Die Ursachen
dafür sind vielfältig: der Bevölkerungsrückgang, die
Wanderung von Ost nach West, aber auch die Sanierung
und der Wiederbezug von ehemals unbewohnbaren Stadt-
vierteln insbesondere in den Innenstädten. Ich erinnere in
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Iris Gleicke
17993
diesem Zusammenhang daran, dass am Ende der DDR-
Ära viele Innenstädte aufgrund der schlechten Bausub-
stanz entvölkert waren. Diese Innenstädte werden jetzt
langsam, aber sicher wieder bewohnt.
Die Leerstände in den neuen Ländern führen zu erheb-
lichen Problemen, die letztlich einen generellen Struktur-
wandel in der Wohnungswirtschaft, aber auch in der
Stadtplanung nach sich ziehen müssen.
Die wirtschaftliche Lage der Wohnungsunternehmen
ist zum Teil katastrophal. Die soziale Situation in man-
cherorts nur noch teilweise bewohnten Gebieten spitzt
sich zu. Leer stehende Gebäude verleiten zu Vandalismus.
Dieser trägt wiederum zur weiteren Entvölkerung von
noch bewohnten Gebäuden bei. Das ist ein Dominoeffekt,
den wir unterbrechen müssen.
Im Auftrag der Bundesregierung wurde die bekannte
Expertenkommission zum wohnungswirtschaftlichen
Strukturwandel in den neuen Ländern eingesetzt. Diese
Kommission hat ihren Bericht vorgelegt. Eine Bund-Län-
der-Arbeitsgruppe hat sich mit ihm beschäftigt und ent-
sprechende Konsequenzen vorgeschlagen. Auch die Bau-
ministerkonferenz hat hierzu Beschlüsse gefasst. Deren
Kernstück ist, dass die Finanzhilfen des Bundes zur För-
derung des Stadtumbaus erhöht und nicht zulasten ande-
rer bereits laufender Programme gehen. Dies ist aber nach
der jetzigen Finanzplanung der Bundesregierung vorge-
sehen. Genau das ist der Knackpunkt, den ich vorhin an-
sprach. Das neue Stadtumbauprogramm Ost soll durch
Einschnitte bei der Städtebauförderung und der Gemein-
schaftsaufgabe Ost finanziert werden.
Traurige Tatsache ist auch, dass die bereitgestellten
Mittel bei weitem nicht ausreichen. Die Bund-Länder-Ar-
beitsgruppe also nicht die Opposition hat festgestellt,
dass mit der jetzigen Finanzausstattung 85 000 Wohnun-
gen vom Markt genommen werden können. Angesichts
des Leerstandes im Umfang von 1 Million Wohnungen
kann man sich ausrechnen, welchen Zeitraum wir dafür
benötigen.
Es kommt aber noch schlimmer. Im Vergleich von
1998 zu 2001 sind die Finanzhilfen für den sozialen
Wohnungsbau, für die Städtebauförderung und für den Ti-
tel Soziale Stadt gesunken. 1998 waren das noch
1,9 Milliarden DM; im Jahr 2001 sind es noch 1,2 Milli-
arden DM. Bezogen auf die neuen Länder entspricht
dies einem Rückgang von 1 Milliarde DM auf 735 Milli-
onen DM. Wir sind sehr gespannt, welche konkreten Pro-
gramme die Bundesregierung nunmehr auf der Grundlage
der Empfehlung der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur
wirksamen Bekämpfung des Wohnungsleerstandes und
des Stadtumbaus vorlegen wird. Das bisher Bekannte ist
jedenfalls nicht ausreichend, wenngleich es in die richtige
Richtung geht.
Der notwendige wohnungswirtschaftliche Struktur-
wandel in den neuen Bundesländern kann sich natürlich
nicht allein auf die Leerstandsproblematik beziehen. In
manchen Städten wird es sicherlich zu erheblichen Struk-
turveränderungen kommen. Leere Plattenbaugebiete an
den Stadträndern müssen durch eine attraktive Gestaltung
des Umfelds und eine gute Infrastruktur aufgewertet und
somit für neue Mieter attraktiv gemacht werden. Demge-
genüber sind auch in Zukunft leer stehende Wohngebäude
inklusive der Infrastruktur zurückzubauen. Es hat zum
Beispiel keinen Zweck, in solche Gebiete noch eine
Straßenbahn- oder Buslinie fahren zu lassen oder große
Abwasserkanäle zu haben.
Wichtig ist auch ein vernünftiger Mix des Wohnungs-
bestandes aus Sozialwohnungen, Wohnungen des freien
Wohnungsbaus und selbstgenutztem Wohneigentum. Ge-
rade im Bereich des privaten Eigentums gibt es in den
neuen Ländern noch erheblichen Nachholbedarf. Einer
Eigentumsquote West von 43 Prozent steht eine Quote Ost
von 31 Prozent gegenüber. Es ist nicht verständlich, dass
es Absichten gibt, die Eigenheimförderung zu reduzie-
ren. Die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Ländern
haben genauso wie diejenigen in den alten den Wunsch,
in einem schönen Eigenheim zu wohnen.
Wir werden deshalb alle Vorschläge ablehnen, die auf eine
Verschlechterung der Eigentumsförderung abzielen.
Ebenso lehnen wir eine Reduzierung des Eigenheim-
neubaus zugunsten des innerstädtischen Bauens ab. Aller-
dings sollten die Rahmenbedingungen für das Bauen in
der Innenstadt verbessert werden. Wer sieht, was sich
manche städtischen Baubehörden einfallen lassen, der ist
nicht verwundert, wenn manche Investoren Reißaus neh-
men und auf der grünen Wiese vor der Stadt anstatt in der
Stadt selbst investieren.
Wir wollen nicht nach hinten schauen. Aber ich spre-
che jetzt die Regierungsfraktionen an: Ich möchte Sie an
die Forderungen erinnern, die Sie 1998 aufgestellt haben,
als Sie noch in der Opposition waren. Sie forderten von
der damaligen Bundesregierung mehr Mittel. Wenn diese
heute auf dem Tisch liegen würden, wären wir zufrieden.
Ihre genauen Forderungen von damals können Sie in den
Ausschussprotokollen sicherlich nachlesen.
Erinnern Sie aber vor allen Dingen Bundeskanzler
Schröder an die Chefsache Ost und sein Versprechen vor
der Wahl, die Förderung der Wohnungswirtschaft zu ver-
dreifachen und den sozialen Wohnungsbau wieder zu ei-
nem schlagkräftigen Instrument zu machen. Im Interesse
der Bürgerinnen und Bürger in den neuen Ländern hoffe
ich, dass wir am Ende dieser Legislaturperiode feststellen
können: versprochen und gehalten. Ansonsten, liebe Kol-
leginnen und Kollegen der Koalition, müssen Sie ein
wohnungspolitisches Fiasko in den neuen Bundesländern
verantworten.
Vielen Dank.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Norbert Otto
17994
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die nächste Rednerin
ist die Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig für die Frak-
tion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Kollegen! Zunächst einmal finde ich es sehr gut, dass sich
alle Fraktionen einig sind, dass gehandelt werden muss,
und anerkennen auch das habe ich mehr oder weniger
herausgehört , dass die Koalition, die Regierung und vor
allem Achim Großmann wirklich handeln. Wir sollten
jetzt nicht polemisch Pingpong spielen. Danach ist mir
nicht zumute.
Wenn ich am F.D.P.-Antrag trotzdem einiges kritisiere,
dann tue ich das nicht, um besserwisserisch zu sein, son-
dern weil ich es für wichtig halte, dass wir in der Pro-
blembeschreibung sehr aufpassen, damit wir bei der Lö-
sung nicht alte Fehler wiederholen. Von daher finde ich
das sage ich bewusst ohne Polemik : Es ist an der Zeit,
dass wir einige falsche Weichenstellungen der 90er-Jahre
ernsthaft aufarbeiten. Bei aller Anerkennung das sage
ich genauso wie Kollege Otto der Leistungen und der
Errungenschaften das sollten wir nicht klein reden, da-
mit bin ich absolut daccord müssen wir bestimmte Feh-
ler, wie etwa die Regelung: Rückgabe vor Entschädigung,
bedenken.
Doch, Kollege Guttmacher. Ich nenne diesen Punkt des-
wegen, weil wir gerade jetzt einen extrem hohen Leer-
stand bei Altbauten haben. Er hat damit zu tun, dass da-
mals beim Eigentumsrecht die Weichen so gestellt
worden sind.
Ich sage das ohne Polemik: Eine solche Einheit macht
man nur einmal. Aber es ist wichtig, dass wir richtig an die
Ursachen herangehen.
Ein zweiter Punkt in Ihrem Antrag, der mir wichtig ist,
ist, dass Sie stark die Eigentumsorientierung betonen
der Kollege Otto hat vorhin auf Eigentum an Neubauten
abgestellt , ohne den Zusammenhang zwischen der
Leerstandsproblematik und der wachsenden Stadt-Um-
land-Wanderung zu thematisieren. Auch dies ist ein
Punkt, zu dem wir alle keine Lösung haben und keinen Jo-
ker aus dem Ärmel ziehen können. Hieran müssen wir
sehr ernsthaft arbeiten. Das werden wir nicht in dieser Le-
gislaturperiode schaffen. Das wird uns in der nächsten Le-
gislaturperiode weiter beschäftigen. In dieser Problematik
müssen wir Schritt für Schritt umsteuern, damit wir zu
mehr Bestandseigentum kommen.
Kollege Otto, Sie haben vorhin so nett gesagt: Sie wün-
schen sich, dass die Bürger Ost das gleiche Recht haben,
in einem schönen Neubau zu wohnen. Ich wünsche den
Bürgern Ost, dass sie das Recht und die Möglichkeit ha-
ben, in einem schönen alten, sanierten Fachwerkbau zu
wohnen.
Auch das gehört für mich dazu. Das ist ökologisch und
städtebaulich und strukturell eine gute Lösung. Ich freue
mich, dass Sie hierzu nicken.
Wir bekommen diese Probleme nicht so einfach in den
Griff. Es ist sehr viel getan worden nicht nur während
der Arbeit der Expertenkommission. Iris Gleicke hat da-
rauf hingewiesen, dass es im vorigen Jahr nicht einfach
war, den § 6 a des Altschuldenhilfe-Gesetzes zu ändern
und die 700 Millionen DM zur Härtefallregelung für von
der Altschuldenhilfe betroffene Wohnungsunternehmen
auf den Weg zu bringen. Natürlich ist es einfacher, als
Opposition mehr Geld zu verlangen, während die Regie-
rung und die Koalitionsfraktionen die Kassen eines hoch
verschuldeten Staates im Auge behalten müssen. Auch
hier, denke ich, sollten wir das Maß für das Mögliche fair
aushandeln.
Ich habe jetzt wirklich keine Lust, darauf einzugehen.
Wir alle wissen, dass der Osten im Hinblick auf die Ver-
schuldung eine große Rolle spielt. Das ist nun einmal so.
Ich wünsche mir bei diesem Thema einfach sehr viel
Gemeinsamkeit.
Ich möchte da meine Redezeit gleich zu Ende
ist nur noch kurz auf ein paar wichtige Punkte hinwei-
sen. Es ist so weit, dass wir Ihre zentrale Forderung nach
einem Programm erfüllen und dafür 900 Millionen DM in
drei Jahren zur Verfügung stellen. Sie haben Recht, wenn
Sie sagen, dass das teilweise umfinanziert sei. Aber teil-
weise handelt es sich auch um fresh money.
Okay, aber es ist doch egal, ob man das auf Deutsch oder
Englisch sagt. Ich finde es wichtig, dass damit den Län-
dern und Kommunen ein wichtiger Impuls gegeben wird
und ihnen die bundespolitischen Instrumente, mit denen
sie wirklich handeln können, an die Hand gegeben werden.
Ich halte es auch für einen sehr wichtigen Baustein,
dass wir das 16-Millionen-DM-Programm für Wettbe-
werb im Osten auf den Weg bringen, damit die Kommu-
nen gute Konzepte bekommen. Des Weiteren gibt es
KfW-Kredite für den Abriss von Gebäuden. Außerdem
wird intensiv an der Veränderung der Investitionszulage
in Richtung mehr Selbstbehalt und Anhebung der Kosten-
obergrenze bei entsprechenden Erneuerungsmaßnahmen
gearbeitet. Auch das wird, glaube ich, ein sehr wichtiger
Punkt sein.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001 17995
Lassen Sie mich als Letztes etwas zur Änderung der
Eigenheimzulage sagen. Ich meine ich befinde mich
hier in einem Zwiespalt , dass es sehr schwierig werden
wird, sie noch in dieser Legislaturperiode ostspezifisch
zu ändern. Ich glaube, wir müssen akzeptieren so sehr
ich das Problem sehe , dass wir erst in der nächsten Le-
gislaturperiode eine umfassende Novelle der Eigenheim-
zulage auf den Weg bringen können, und zwar genau aus
diesem Grund, den Iris Gleicke genannt hat: Wir sollten
nicht denken auch wenn die momentane Situation im
Osten sehr dramatisch ist und dort schnell gehandelt
werden muss, weil sonst die Wohnungsbauwirtschaft
tatsächlich zusammenbrechen wird und die Städte ausei-
nander brechen werden; die Beschreibung der sozialen
Situation war ja richtig , dass der Westen angesichts von
stagnierendem oder sogar rückläufigem Bevölkerungs-
wachstum in einer Reihe von Städten und Regionen nicht
vor ähnlichen Problemen wie der Osten steht. Der Wes-
ten muss vom Osten lernen, wie man mit solchen Proble-
men umgeht.
Daher ist es gut, wenn wir das als gesamtdeutsche Auf-
gabe betrachten und wenn wir entsprechend an die Arbeit
gehen. Die Instrumente sind vom Bund schon weitgehend
vorbereitet. Ein paar Hausaufgaben müssen noch in die-
sem Sommer erledigt werden. Dann sollten wir alle in die
Hände spucken, die Ärmel hochkrempeln und auf der
Ebene der Länder, der Kommunen und der Wohnungs-
wirtschaft konkret beginnen, und zwar gemeinsam und
ohne Besserwisserei.
Ich danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Christine Ostrowski für die
PDS-Fraktion.
Herr Guttmacher, 1 Mil-
lion leer stehende Wohnungen waren es noch vor einem
Jahr. Heute hat sich die Anzahl bereits erhöht. In diesem
einen Jahr hat es, von Einzelfällen einmal abgesehen,
keine Marktbereinigung auf dem ostdeutschen Woh-
nungsmarkt gegeben. Frau Gleicke, von den 700 Milli-
onen DM für die Härtefallregelung in diesem Jahr soll-
ten es 60 Millionen DM sein ist nicht eine müde Mark
geflossen. Das ist zunächst einmal der Stand. Das liegt
schlicht und ergreifend an der Politik. Das möchte ich
festhalten.
Insofern freue ich mich sogar über den F.D.P.-Antrag,
weil er Anlass gibt, das Problem im Bundestag wieder
einmal zu thematisieren. Ich muss Ihnen allerdings sagen,
dass Ihr Antrag ein merkwürdiges Gemisch aus richtigen
Forderungen und falschen Einschätzungen ist und keine
inhaltliche Stringenz aufweist. Da meine Redezeit nur
drei Minuten beträgt, möchte ich punktuell nur auf die
richtigen Forderungen eingehen. Das ist zum Beispiel die
Forderung nach Streichung der Altschulden auf leer ste-
henden Wohnungen.
Sie können mir eine Zwischenfrage stellen. Ich wäre
dafür sehr dankbar.
Schade.
Die Streichung der Altschulden haben wir schon sehr
lange gefordert. Schön, dass Sie unsere Forderung aufge-
griffen haben. Des Weiteren fordern Sie ein Strukturpro-
gramm. Auch das haben wir schon lange gefordert. Die
Forderung nach Befreiung von der Grunderwerbsteuer ist
ein alter Hut. Das können Sie auch bei uns nachlesen.
Wichtiger als Ihr Antrag, der sowieso nicht angenom-
men werden wird, scheint mir aber das Stadtumbaupro-
gramm der Bundesregierung zu sein. Darüber sind hier
schon viele lobende Worte gemacht worden. Selbst ich
dazu habe ich mich immerhin durchringen können habe
vorhin zweimal in die Hände geklatscht, Herr Staatsse-
kretär, weil es besser als nichts ist. Aber bisher sind sozu-
sagen nur Oberflächlichkeiten genannt worden. Ich
möchte Ihnen die Fakten nennen, die hier noch nicht zur
Sprache kamen.
Erstens. Der Bund gibt 300 Millionen DM, und zwar
über drei Jahre, zusammen 900 Millionen DM.
Den Rest bis zu 2,25 Milliarden DM zahlen Länder und
Kommunen. Das heißt, auch die finanzschwachen ost-
deutschen Kommunen sollen das zahlen.
Zweitens. Das Geld kommt zu zwei Dritteln von Mit-
teln der Städtebauförderung und der Gemeinschaftsauf-
gabe. Da beißt sich die Katze in den Schwanz; denn Städ-
tebauförderung und Gemeinschaftsaufgabe sind nun
gerade Fördertöpfe, mit denen verhindert werden soll,
dass die Städte entvölkert werden, die dazu beitragen sol-
len, die Städte zu beleben.
Wenn ich Geld daraus nehme, um den Wohnungsmarkt zu
bereinigen, dann, denke ich, mache ich etwas falsch.
Drittens. Ein Teil dieses Geldes, Frau Gleicke nie-
mand weiß, wie viel , ist für den Abriss vorgesehen, näm-
lich 100 DM pro Quadratmeter. Weil aber 100 DM pro
Quadratmeter nicht reichen, müssen die Wohnungsun-
ternehmen Kredite aufnehmen. Deshalb wird ein Kredit-
finanzierungsprogramm der KfW aufgelegt. Nun sind
aber die Wohnungsunternehmen bis zur Halskrause ver-
schuldet.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Franziska Eichstädt-Bohlig
17996
Da muss ja wohl die Frage erlaubt sein, ob man die Woh-
nungsunternehmen überhaupt noch mit neuen Krediten
belasten kann.
Nun kommt das Allerwitzigste. In der Öffentlichkeit
wird es immer so dargestellt, als ob man die ersten
300 Millionen DM im nächsten Jahr einsetzen könne,
etwa nach dem Motto: Jetzt haben wir 300 Millionen DM,
jetzt können wir schön umbauen und abreißen. Mit-
nichten! Im nächsten Jahr stehen gerade mal 5 Prozent be-
reit. Das sind 15 Millionen DM Barmittel, Frau Gleicke.
Während dieser Zeit werden die Wohnungsleerstände
weiter steigen.
Um noch einmal das Verhältnis darzustellen: Der Bund
gibt 900 Millionen DM. Lassen Sie mich dazu bitte aus
dem Gutachten der Expertenkommission zitieren. Da heißt
es: Alle ostdeutschen Vermieter haben erstens Mietausfälle
jährlich jährlich! in Höhe von 2,2 Milliarden DM und
zweitens die gleich hohe Belastung durch Kredite, die auf
den Wohnungen liegen. Das heißt, die ostdeutschen Ver-
mieter haben es mit Belastungen in Höhe von insgesamt
4 Milliarden DM zu tun und der Bund gibt 900 Milli-
onen DM. Das nur zur Verhältnismäßigkeit der Mittel.
Wie ich vorhin voller Interesse mitbekommen habe,
entspricht der Betrag, 900 Millionen DM, dem, was für
die Binnenschifffahrt zur Verfügung gestellt wird. Das ist
hochinteressant.
Ich komme sofort zum Schluss, Frau Präsidentin. Ich
will noch etwas zur Bedeutung dieses Themas hier im
Bundestag sagen. Dazu zähle ich nur auf: Die PDS-Frak-
tion hat zu dem Problem Wohnungsleerstand Ost ins-
gesamt elf Gesetze und Anträge eingebracht; die mächtige
CDU/CSU-Fraktion hat sich zu zwei schlappen Anträgen
durchgerungen,
die F.D.P.-Fraktion ebenfalls zu zwei schlappen Anträgen
und die Fraktionen der Regierungskoalition haben eine
einzige parlamentarische Initiative eingebracht,
nämlich die von der Regierung übernommene Novelle
des Altschuldenhilfe-Gesetzes. Das sind die Fakten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/6055 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind, wie man
sieht, damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf
Drucksache 14/6565 zu dem Antrag der Fraktion der
PDS mit dem Titel Maßnahme-Programm zum
wohnungswirtschaftlichen Strukturwandel in den neuen
Ländern vorlegen. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag
auf Drucksache 14/6051 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe! Stimment-
haltungen? Die Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Aufhebung des Magnetschwebebahnbe-
darfsgesetzes
Drucksache 14/5067
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Drucksache 14/6500
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Winfried Wolf
Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/6554 vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Erster Redner ist für die SPD-Fraktion der Kollege
Reinhold Hiller.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion
stimmt dem heute vorliegenden Gesetzentwurf der Re-
gierung zur Aufhebung des Magnetschwebebahnbedarfs-
gesetzes zu
und lehnt gleichzeitig den von den Unionsfraktionen dazu
eingebrachten Entschließungsantrag ab.
Der Gesetzentwurf der Regierung ist notwendig. We-
gen der Grundsatzvereinbarung zum Transrapid vom
5. Februar 2000 haben sich die Bundesregierung, die
Bahn AG, Thyssen Krupp und Daimler-Chrysler Rail Sys-
tems darauf verständigt, die Magnetschnellbahnstrecke
HamburgBerlin nicht mehr zu errichten. Damit ist der
Regelungsbedarf entfallen. Damit hat sich auch gezeigt,
meine Damen und Herren, dass sich ein Bedarf nicht ein-
fach durch ein Gesetz im Bundestag festlegen lässt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Christine Ostrowski
17997
Die Kritik der Fachleute, aber auch der damaligen Op-
positionsparteien bei den vielen Anhörungen zu diesem
Thema hat sich bestätigt. Alle Beteiligten haben diese Tat-
sache inzwischen registriert. Nur die jetzigen Opposi-
tionsfraktionen CDU/CSU und F.D.P. wollen dies aus
ideologischen Gründen nicht zur Kenntnis nehmen.
Es ist nicht immer angenehm, Recht zu bekommen. Die
alte Regierung und die jetzigen Oppositionsfraktionen ha-
ben mit ihrem Verhalten der hervorragenden Technik
wertvolle Zeit gestohlen; außerdem hat es viel Geld ge-
kostet.
Gleichzeitig haben sie den auf dieser Bahnstrecke Rei-
senden einen Bärendienst erwiesen.
Die rot-grüne Regierung hat den Transrapid wieder auf
die Spur gebracht.
In China hören Sie zu, Herr Goldmann wird bereits,
ohne Bedarfsgesetz, mit Hochdruck gebaut. Stellen Sie
sich das einmal vor!
Nach Ihrer Ideologie wäre das gar nicht möglich.
Eine Delegation des Verkehrsausschusses ist dort ge-
wesen. Wir hoffen, dass diese Technik nicht nur in China,
sondern auch in Deutschland den Durchbruch schafft.
Wir wären mit der Strecke HamburgBerlin auf den
Bauch gefallen. Diese Technik hätte sich nicht durchge-
setzt, weil sich in der Verkehrspolitik nur die Maßnahmen
durchsetzen, die finanziert werden können und für die ein
wirklicher Bedarf vorhanden ist. Genau das gilt für diese
Strecke nicht.
Die rot-grüne Regierung hat auch etwas für die Reisen-
den zwischen Hamburg und Berlin getan. Mit dem neuen
Fahrplan ist die Reisezeit fast eine Viertelstunde kürzer
geworden und die bereits beschlossenen Investitionen
werden dafür sorgen, dass die Bahn AG auf dieser Strecke
fast an die Zeit des Transrapids herankommen kann.
Die Konservativen wollen nur an dem festhalten, was
sie sich irgendwann einmal ideologisch zurechtgelegt ha-
ben.
Nur so kann ich Ihren Entschließungsantrag verstehen. Da
heißt es nämlich:
Mit dem Magnetschwebebahnbedarfsgesetz wurde
der Bedarf für eine leistungsfähige, spurgeführte
Hochgeschwindigkeitsstrecke von Berlin nach Ham-
burg festgestellt.
Weiterhin schreiben Sie:
Dieser Bedarf ist weiterhin vorhanden.
Sie sagen basta; denn Sie wollen die Realität nicht se-
hen.
Sie verhalten sich in diesem Punkt rein ideologisch. Wie
sind Sie überhaupt zu dieser Feststellung gekommen?
Ich dachte, dass Ihnen das gefallen würde, weil auch Sie
manchmal entsprechend kritisieren.
Im Übrigen möchte ich Sie daran erinnern: Vor zehn
Jahren haben Sie von einem Investitionsprojekt deutsche
Einheit HamburgBerlin gesprochen. Sie sind dafür ver-
antwortlich, dass die Strecke von Hamburg nach Berlin
jetzt die langsamste ist und dass diese Städte nicht ange-
messen verbunden sind.
Sie halten uns vor, die Transrapidstrecke sei aus Kos-
tengründen aufgegeben worden.
Dabei mussten wir feststellen, dass eine Industriefirma
nach der anderen abgesprungen ist oder abspringen
wollte.
All diese Firmen haben sich gesagt, dass damit kein Geld
zu verdienen ist. Auch heute wäre es möglich, dort dieses
System zu bauen; doch mir ist nicht bekannt, dass das
außer Ihnen irgendjemand ernsthaft in Erwägung
zieht. Es geht nicht nur um Kosten, sondern auch um zu
erwartende Erträge.
Die Verpflichtung des Bundes, jetzt eine Finanzie-
rungslösung zu finden, die Sie in dem Bedarfsgesetz se-
hen, ist absurd.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Reinhold Hiller
17998
Sorgen wir also dafür, dass das Gesetz aufgehoben wird.
Wenn das geschieht, gibt es keine Verpflichtung des Bun-
des mehr, den Transrapid-Unsinn auf dieser Strecke zu
finanzieren.
Die Abkehr davon ist eine Chance, insbesondere für die
Magnetschwebebahntechnik.
In China das haben wir dort gehört und das können
diejenigen von der CDU/CSU, die dabei waren, auch
nicht bestreiten wird neben der Referenzstrecke von
Shanghai nach Pudong der Bau von 13 weiteren Strecken,
zum Teil mit einer Länge von mehr als 1 000 Kilometern,
in Erwägung gezogen.
Hier liegen die Chancen.
Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Goldmann, hat die Indus-
trie nicht gejammert, sondern die Ärmel hochgekrempelt
und im Zusammenwirken mit der Bundesregierung die
Voraussetzungen für einen internationalen Durchbruch
dieser Technik geschaffen. Das ist die Wahrheit.
Wir begrüßen, dass sich die Industrie im Gegensatz zu Ih-
nen unideologisch und undogmatisch verhält. Wir sehen,
dass diese Verhaltensweise zum Durchbruch führt.
Der Auftrag aus China, eine 30 Kilometer lange Refe-
renzstrecke zu bauen, wird sich schon zum 1. Januar
2004 bewähren, wenn die ersten Fahrten auf dieser
Strecke stattfinden werden. Dann besteht für diese Tech-
nik weltweit ein Demonstrationsobjekt.
Wenn Sie das in den Zeitungen verfolgen, dann können
Sie feststellen, dass in der ganzen Welt darauf geschaut
wird, ob die Magnetschwebebahn auch vernünftig laufen
wird. Die Terminplanung für diese Strecke ist eine an-
spruchsvolle Herausforderung für die deutsche Industrie
und ihre chinesischen Partner. Das Bauvorhaben ist auf ei-
nem guten Weg; das haben wir kürzlich übereinstimmend
festgestellt. Der Chef von Thyssen Krupp, Ekkehard
Schulz, geht in einem Gespräch mit dem Handelsblatt
davon aus, dass die gegenwärtige Entwicklung den
Durchbruch für die internationale Vermarktung darstellt.
Meine Damen und Herren, ich darf noch einmal daran
erinnern, dass man, wenn man sich ausschließlich auf Ihre
Pläne konzentriert hätte, diese Ergebnisse nicht erreicht
hätte.
Das hat sehr viel miteinander zu tun, Herr Goldmann.
Ich habe aber den Eindruck, dass Sie immer nur dazwi-
schenrufen und nichts zur Sache beitragen.
Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie hier in Deutsch-
land ein völlig falsches Instrumentarium anwenden woll-
ten
und dass man in China diese Strecken ohne Ihre ideologi-
sche Scheuklappen Wirklichkeit werden lässt. Das ist der
Unterschied.
Die Chancen, dass an die deutsche Industrie Aufträge
für den Bau weiterer Strecken in China erteilt werden,
sind gut. Für das große chinesische Interesse spricht das
Ausmaß des für die Erstellung des Fahrweges des Trans-
rapid eingerichteten Werkes. Wenn man das gesehen hat,
wird einem klar, dass man so etwas nicht errichten würde,
wenn man nicht weitere Vorhaben realisieren wollte. Für
Ekkehard Schulz von Thyssen Krupp liegt die Chance,
den Zuschlag für die Strecke ShanghaiPeking zu be-
kommen, bei 50 Prozent.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das von Ihnen ent-
fachte Störfeuer schadet den deutschen Interessen und
auch der Technik. Wir fordern Sie auf, die Kämpfe der
Vergangenheit, die Sie hier immer wieder ausfechten,
endlich zu den Akten zu legen und gemeinsam für den
Durchbruch des Transrapid zu kämpfen. Wir begrüßen,
dass die Bundesregierung auch aktiv an der Realisierung
von Transrapidstrecken in Deutschland mitwirkt.
Sie können sich ja einmal mit dem bayerischen Minister
Wiesheu unterhalten; er wird Ihnen dann etwas über die
Realisierungschancen einer Strecke in Bayern erzählen.
Auch das ignorieren Sie. Ich kann Ihnen schon jetzt
voraussagen: Für den Bau dieser Strecke ist Ihr Bedarfs-
gesetz nicht nötig. Deshalb werden wir es heute abschaf-
fen.
Herr Goldmann, das hat damit zu tun.
Mein Gott, können Sie nicht einmal ein bisschen leiser
sein! Das hat damit sehr viel zu tun: Sie haben versucht,
den Bedarf ausschließlich über ein Gesetz festzustellen.
Wenn Sie das ignorieren wollen, dann können Sie ja dem
Aufhebungsantrag der Bundesregierung hier und heute
zustimmen;
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Reinhold Hiller
17999
dann ist das Thema erledigt. Aber da Sie das nicht tun wol-
len, schaden Sie gleichzeitig den Realisierungschancen
für Transrapidstrecken in Deutschland.
Meine Damen und Herren, es gibt gute Gründe, das Be-
darfsgesetz abzuschaffen. Ich hatte es schon gesagt: Wir
werden dem Antrag der Bundesregierung zustimmen und
lehnen Ihren ideologischen Entschließungsantrag ab.
Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Georg Brunnhuber.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist heute trotz des
herrlichen Sommertages ein schlechter Tag für Deutsch-
land,
ein schlechter Tag für die Technologie in Deutschland und
für den Technologiestandort Deutschland.
Herr Kollege Hiller, es war schon fast bedauernswert an-
zusehen, wie hilflos und argumentationslos Ihre Partei ist,
wie sie mit schlechtem Gewissen versucht, uns noch Ideo-
logie bei einer Technik zu unterstellen, die einmal von ei-
nem SPD-Bundeskanzler auf den Weg gebracht wurde.
Nur weil die CDU/CSU klare Konzeptionen entwickelt
hat, sind Sie heute in einer sehr schlechten Position; denn
Sie wissen, dass es Leute auch bei Ihnen gibt, die sagen:
Der Transrapid ist wirklich die beste Technik nach der Er-
findung des Flugzeugs, die einzige moderne Verkehrs-
technikinnovation.
Diese haben Sie jetzt mit einem Federstrich kaputtge-
macht.
Ihr schlechtes Gewissen führt natürlich dazu, dass Sie
hier herumeiern müssen; denn Sie haben in Hamburg
Wahlkampf. In Hamburg gibt es einen rot-grünen Senat,
und dieser rot-grüne Senat kämpft an der Seite der
CDU/CSU und F.D.P. hier im Deutschen Bundestag für
dieses Projekt. Dazu haben Sie keinen Wort gesagt.
Herr Hiller, ich möchte einfach nur ein paar Dinge auf-
klären, weil Sie so danebenliegen, dass man sagen muss:
So kann man es nicht stehen lassen.
Erstens. Der Transrapid wurde unter einer SPD-ge-
führten Regierung von einem SPD-Verkehrsminister
namens Klimmt kaputtgemacht,
der sich von einem gewissen Herrn Mehdorn über den
Tisch ziehen ließ, der Sie in diesen anderthalb Jahren
schon fünfmal in anderen Bereichen über den Tisch gezo-
gen hat. Das war der Anfang seiner Tricksereien.
Er hat Ihnen nämlich ein X für ein U vorgemacht, indem
er sagte: Am 1. Juli 2001 das war übrigens vor vier Ta-
gen fährt der ICE, ertüchtigt mit 380 Millionen DM, fast
so schnell wie der Transrapid von Hamburg nach Berlin.
Das garantiere ich. Das hat er übrigens auch im Aus-
schuss gesagt. Wir haben das nie geglaubt und Sie doch
eigentlich auch nicht. Aber dieses Argument haben Sie
aufgenommen, um den Transrapid durch Herrn Mehdorn
kaputtmachen zu lassen.
Ich finde, das ist ein Armutszeugnis für Ihre Partei und für
Ihre Politik.
Genauso ist es ein Armutszeugnis, dass der einzige
Minister, der heute hier sitzt, der Kulturminister ist. Wahr-
scheinlich ist das der Letzte in der Regierung, der noch an
diese Technologie glaubt; das vermute ich einmal.
Ein zweites Argument, Herr Hiller! Sie erklären stän-
dig, dass die Strecke HamburgBerlin von der CDU/CSU
in Verbindung mit der F.D.P. mit falschen Zahlen ent-
wickelt worden sei, dass die gesamten Wirtschaftlich-
keitsberechnungen quasi eine Erfindung des Ministers
Wissmann oder anderer gewesen seien.
Dabei wissen Sie ganz genau, Herr Hiller, denn Sie sind
schon lange genug dabei Herr Hilsberg kann das nicht
wissen; der war damals noch nicht aktiv : Wir haben
sämtliche Untersuchungen von unabhängigen Institutio-
nen und vor allen Dingen von der Bahn AG selber durch-
führen lassen.
Die Bahn AG hat noch ein halbes Jahr vor der Absage
durch Mehdorn amtlich festgestellt: Mit etwa 8 Millionen
Fahrgästen ist garantiert zu rechnen, und mit 7 Millionen
fahren wir schon wirtschaftlich. Sie haben also im Grunde
genommen überhaupt kein Argument, das sticht, wenn Sie
sagen: Die Verbindung HamburgBerlin war nicht wirt-
schaftlich und deshalb haben wir das abgesagt.
Ein Weiteres. Sie erklären hier, die Wirtschaft, die be-
teiligten Unternehmen, hätten den Transrapid sterben las-
sen. Das ist absolut falsch. Ich unterstelle Ihnen nicht,
dass Sie hier gelogen hätten; vielleicht wissen Sie es wirk-
lich nicht besser oder verdrängen es. Alle Industriebe-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Reinhold Hiller
18000
triebe, die beteiligt waren, haben bis zum Schluss
gekämpft.
Sie sind in jener Nacht zur Sitzung gekommen und haben
noch Sonderfinanzierungsvorschläge und Alternativvor-
schläge in Bezug auf die Technik gemacht. Nur Herr
Mehdorn hat am Schluss erklärt: Das interessiert mich al-
les nicht, ich will den Transrapid nicht. Ich will ihn nicht,
denn jetzt kommt es überall, wo parallel eine Schiene
liegt, passt das nicht in mein System.
Jetzt erklären Sie hier an diesem Pult und zum x-ten
Mal, auch mit Herrn Mehdorn zusammen: Aber ich kann
mir vorstellen, dass das in Nordrhein-Westfalen funk-
tioniert. Dort haben wir mindestens drei Parallel-
strecken, neben der Schiene noch zwei S-Bahn-Linien.
Wie soll es denn da funktionieren?
Wie soll das überhaupt finanziert werden? Da lache ich
wirklich. Das ist ein Treppenwitz, was hier heute erzählt
wird.
Ich möchte Ihnen deutlich machen das muss man,
weil heute sozusagen notariell beglaubigt werden muss,
wer dafür verantwortlich ist, dass in diesem Land in die-
sem Jahrzehnt kein Transrapid gebaut werden kann : Sie
machen hier eine Technik kaputt.
Sie machen mit einem Federstrich zehn Jahre Planungs-
aufwand kaputt, nur weil Sie nicht die Kraft hatten, die
6,5 oder 6,6 Milliarden DM zu finanzieren, die man in
Deutschland gebraucht hätte, um die Transrapidstrecke
von Hamburg nach Berlin zu bauen. Jetzt loben Sie sich
noch, dass der Transrapid in China fährt und das deutsche
Steuergeld zur Unterstützung nach China fließt. Es ist ge-
radezu hanebüchen, dass man das hier im Deutschen
Bundestag hören muss!
Ich möchte kein Sozialminister in dieser Regierung
sein
und jeden Monat erleben müssen, wie die Arbeitslosigkeit
steigt, statt zu sinken, und Dimensionen annimmt, bei de-
nen Sie selber langsam kalte Füße bekommen Sie so-
wieso, Herr Hilsberg, weil Sie davon am wenigsten ver-
stehen; das möchte ich hier einmal deutlich machen. Sie
verstehen von der Verkehrspolitik nicht viel, aber von die-
sem Thema wahrscheinlich überhaupt nichts. Dass der
Minister nicht eingreift, wundert einen. Denn jetzt hätte
man eine Technik, bei der die ganze Welt darauf wartet,
dass sie endlich eingesetzt wird. Die Planungen waren bis
auf einen kleinen Teil abgeschlossen. Alles werfen Sie
weg; 350 Milliarden DM werden zum Fenster hinausge-
worfen, ohne Gegenwert. Anschließend erklären Sie:
Aber in München oder in Nordrhein-Westfalen könnten
wir den Transrapid auf die Strecke bringen.
Ich sage Ihnen hier: Wenn Sie ehrlich gewesen wären
und gesagt hätten: Wir haben die Strecke zwischen Ham-
burg und Berlin gestrichen und glauben selber nicht mehr,
dass wir das in diesem Jahrzehnt schaffen, dann hätte ich
noch Hochachtung. Sie erklären aber den Leuten, dass das
Ganze in den nächsten zwei, drei Jahren irgendwie ge-
schehen wird.
Allein die Planfeststellung für die Strecke zwischen Dort-
mund und Düsseldorf oder auch für die Strecke zwischen
dem Flughafen München und der Stadt München wird
mindestens drei bis fünf Jahre dauern und dann haben Sie
noch immer kein Baurecht, sondern müssen sich im Zwei-
felsfall erst mit Klagen auseinander setzen. Dann ist die-
ses Jahrzehnt vorbei, ohne dass diese moderne Technik in
Deutschland gebaut worden ist.
Wir bedauern das. Die CDU/CSU das darf ich hier sa-
gen hat wirklich mit Herzblut für den Transrapid
gekämpft.
Deshalb haben wir einen Entschließungsantrag vorge-
legt, der beinhaltet, warum man dieses Bedarfsgesetz
nicht aufheben darf, nicht zuletzt deshalb, weil dieses Be-
darfsgesetz mit der Finanzierung direkt nichts zu tun hat.
Wir haben so viele Autobahnstrecken in Bedarfsgesetzen
enthalten,
aber kein Mensch käme auf die Idee, zu sagen: Wir strei-
chen all das, weil wir das gerade nicht finanzieren können.
Der Bedarf wurde 1992 festgestellt und Sie heben jetzt ein
Gesetz auf, weil Sie nicht den Mut und auch nicht die
Fähigkeit haben, die Transrapidstrecke zwischen Ham-
burg und Berlin weiterzuplanen.
Hätten Sie doch wenigstens wir haben Ihnen diese
Bitte im Ausschuss oft genug vorgetragen die Planfest-
stellung bis zum Ende durchführen lassen, damit wir ei-
nen kompletten Planfeststellungsbeschluss für die Strecke
zwischen Hamburg und Berlin gehabt hätten, dann hätten
wir nämlich, wenn die Finanzierung in nächster Zeit mög-
lich geworden wäre, tatsächlich bauen können! Jetzt ha-
ben Sie das alles kaputtgemacht. Nichts stimmt mehr von
dem.
Nach all dem, was Sie hier vorgetragen haben, kann
man nur zu folgendem Ergebnis kommen: Wir brauchen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Georg Brunnhuber
18001
die Aufhebung dieses Bedarfsgesetzes nicht, sondern wir
müssen weiterhin an der Strecke HamburgBerlin fest-
halten. Wir haben dazu einen Entschließungsantrag vor-
gelegt. Eine Begründung hierfür habe ich vorgetragen. Es
wäre klug von der SPD und den Grünen, wenn Sie sich
durchringen könnten, unserem Entschließungsantrag zu-
zustimmen, weil Sie damit für den Technologiestandort
Deutschland etwas Besonderes, etwas Positives schaffen
könnten.
Wenn es so kommt, wie es in Ihrem Gesetzentwurf vor-
gesehen ist, dann kann man dazu nur sagen: Armes
Deutschland, was Technologie anbelangt!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Brunnhuber, es gibt noch den Wunsch nach einer Zwi-
schenfrage.
Gestatten Sie die? Bitte.
Herr Kollege
Brunnhuber, ist Ihnen aufgefallen, dass Kollege Hiller hin-
sichtlich des von uns eingebrachten Entschließungsantrages
mehrfach den Vorwurf einer ideologischen Position erhoben
hat, und wie bewerten Sie diese Auffassung des Kollegen
Hiller unter dem Aspekt, dass jedes Wort unseres Ent-
schließungsantrages identisch ist mit dem Text, den der rot-
grüne Hamburger Senat im Bundesrat vorgelegt hat?
Herr Kollege
Fischer, das ist mir nicht nur aufgefallen, sondern das ist
auch der Beweis dafür, dass das schlechte Gewissen der
SPD so groß ist, dass sie noch nicht einmal richtige Argu-
mente finden konnte. Herr Kollege Hiller musste in sei-
nen Ausführungen dreimal China erwähnen ich sage
nur: China, China, China , weil er weiß, dass ihn nach-
her ansonsten der Hamburger Bürgermeister angerufen
und gesagt hätte, er habe eine schlechte Vorlage für den
Hamburger Wahlkampf gegeben.
Die SPD und Sie, Herr Hiller, haben eindeutig bewie-
sen daher ist die Frage von Herrn Fischer berechtigt :
Sie haben keine Argumente. Sie haben vielmehr ver-
sucht und das ist Ideologie ,
mit ideologischen Vorhaltungen eine moderne Technik
kaputtzumachen. Ich sage Ihnen, lieber Herr Hiller:
Mit dem, was Herr Fischer aufgegriffen hat, hat er nicht
nur Recht. Man kann dies nur ausdrücklich bestätigen. Es
ist schade, dass Sie den Argumenten der rot-grünen Re-
gierung in Hamburg nicht zustimmen können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner ist
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege
Albert Schmidt.
Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Eigentlich müsste hier anstelle dieses
Wassers ein Gläschen Sekt stehen.
Dann würde ich das Glas erheben, Ihnen freundlich zu-
prosten und sagen denn das passiert ja nicht allzu oft im
politischen Leben : Es ist einfach schön, nach so vielen
Jahren nicht nur Recht zu haben, sondern Recht zu
bekommen. Ich nehme stattdessen das hier stehende
Glas Wasser. Prost!
Zum Zweiten beschäftigt uns in der heutigen Debatte
ein Entschließungsantrag der CDU/CSU und ein
Schließungsantrag der Regierungskoalition, der zum
Inhalt hat, die Akte Transrapid HamburgBerlin
nunmehr auch formal endgültig zu schließen. Die ist sinn-
voll, richtig, notwendig und überfällig. Da kommt sogar
die Kollegin Altmann und eilt an ihren Abge-
ordnetenplatz, um dem zu lauschen.
Kollege Hiller hat es schon ausgeführt: Es nützt doch
nichts, verehrter Herr Kollege Brunnhuber, wenn Sie jetzt
sagen: Lasst uns am Transrapid von Hamburg nach Ber-
lin festhalten und wenn die Welt in Scherben fällt! Sie
sollten einfach einmal die Tatsachen zur Kenntnis neh-
men: Bereits am 5. Februar 2000 wurde gemeinsam von
der Deutschen Bahn AG und der Bundesregierung, aber
auch von der Siemens AG, von der Thyssen Krupp Indus-
tries AG sowie von der Daimler-Chrysler Rail Systems
GmbH in einer Grundsatzvereinbarung zum Transrapid
festgestellt, dass man die Strecke BerlinHamburg nicht
realisieren will. Das wurde ausführlich begründet.
Um Himmels willen, wollen Sie denn die Fakten igno-
rieren und wollen Sie immer noch mit der Fahne, dass der
Transrapid zwischen Hamburg und Berlin gebaut werden
sollte, herumlaufen? Das ist doch gespenstisch!
Wir sind doch hier in keiner Geisterstunde, sondern wir
sind hier in einer Debatte des Deutschen Bundestages.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Georg Brunnhuber
18002
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Dirk Fischer?
Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Ich möchte mit Rücksicht auf die fortge-
schrittene Zeit keine Zwischenfragen zulassen. Ich ver-
spreche auch, dass ich meine Redezeit nicht ausschöpfen
werde.
Der Transrapid wurde in der ersten Hälfte des vorigen
Jahrhunderts entwickelt; er wurde 1922 erfunden. Die
Magnetbahntechnik wurde 1937 patentiert.
Bis zum Jahr 2001 hat er sich weltweit nirgendwo durch-
gesetzt außer im letzten totalitären und planwirtschaft-
lichen System, das es auf dieser Welt noch gibt, nämlich
in der Volksrepublik China. Aber auch dort wird er nur
mithilfe von Subventionen aus dem kapitalistischen
Deutschland gebaut.
Was will uns das sagen?
Sie können sich die Antwort selber geben.
Ich bin zutiefst davon überzeugt: Das Magnetbahnsys-
tem ist an seiner eigenen Innovationsschwäche geschei-
tert.
Die Geschwindigkeitslücke ist längst durch die schnellen
Züge geschlossen. Das Gefährt, das noch schneller als der
ICE ist, ist längst erfunden: das Flugzeug. Das Flugzeug
braucht keine Infrastruktur; es kann von dem Transrapid
nicht eingeholt werden.
Es bleibt noch die Frage zu prüfen, inwieweit sich
diese Technik in Nordrhein-Westfalen für den Nahver-
kehr als ein der S-Bahn ähnliches System und in Mün-
chen als Verbindung vom Flughafen zur Innenstadt eig-
net. Ich persönlich bin äußerst skeptisch. Ich glaube nicht
an die Zukunft der rasenden Straßenbahnen.
Aber es muss nicht nach meiner grünen Nase gehen. Ich
bin sehr einverstanden, dass dies einer in der Machbar-
keitsstudie nüchtern analysiert und durchgerechnet wird.
Ich sage Ihnen: In absehbarer Zeit sehen wir uns wieder.
Was die Strecke HamburgBerlin betrifft: Bitte begrei-
fen Sie endlich! Die Tür zu diesem Projekt ist längst zu.
Heute machen wir auch noch das Licht aus.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt erteile ich zu ei-
ner Kurzintervention dem Kollegen Fischer das Wort.
Frau Präsiden-
tin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Am
Sonnabendnachmittag des 5. Februar trafen sich Herr
Klimmt, Herr Mehdorn und die Vertreter des Industrie-
konsortiums. Dabei hat der Bundesverkehrsminister ge-
sagt, die DB AG wolle den Bauauftrag nicht realisieren
und der Bund wolle das Projekt nicht weiter verfolgen.
Darauf haben die Vertreter des Industriekonsortiums er-
klärt: Wenn der Bund mit der notwendigen Vorfinanzie-
rung des Fahrweges ausscheide, die DB AG die
Baugesellschaft nicht weiter führen wolle und damit folg-
lich die Betriebsführung nicht übernehmen wolle,
sei es für das Industriekonsortium unmöglich, das Projekt
alleine durchzuführen.
Der Kollege Schmidt hat nicht zum ersten Mal eben
wieder insinuiert, es sei der Wunsch des Industriekon-
sortiums gewesen, aus dem Projekt HamburgBerlin
auszusteigen, weil dieses Projekt vom Industriekonsor-
tium ebenfalls für nicht realisierbar und für nicht wirt-
schaftlich gehalten werde. Diese Darstellung entbehrt je-
der Grundlage. Sie ist eine falsche Inanspruchnahme des
Industriekonsortiums und seiner Absichten und eine völ-
lige Verzerrung der Wirklichkeit.
Es kommt hinzu, dass Herr Mehdorn in unverantwort-
licher Weise mit Dumpingangeboten und -preisen ein
Klima geschaffen hat, bei dem man den Eindruck haben
konnte, das Projekt sei gar nicht vonnöten. Lesen Sie im
Stern-Interview vom 3. Februar 2000 nach. Zwei Tage
vor dem Ereignis, das ich eben geschildert habe, sagte er:
Wir brauchen das gar nicht; denn wir fahren in anderthalb
Jahren auf einer für 350 Millionen DM ertüchtigten
Strecke in 90 Minuten zwischen Hamburg und Berlin.
Ich stelle hier fest: Nichts von diesen Zusagen ist einge-
löst worden. Es ist noch nicht einmal der Versuch gemacht
worden, das gegebene Wort zu halten. Es ist heute bei kei-
nem der 52 Bahnübergänge ein einziger Spatenstich er-
folgt. Das heißt, die Öffentlichkeit und das Parlament sind
nach Strich und Faden belogen worden.
Ich halte drittens fest: Die Infrastrukturentschei-
dung bei Kanälen, bei Schienenwegen, bei Straßen, bei
Bundesfernstraßen und auch bei Transrapidstrecken trifft
immer noch das Parlament.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001 18003
Es darf einer einzelnen Aktiengesellschaft nicht erlaubt
sein, Herr Kollege Schmidt, Infrastrukturentscheidungen
des Parlaments, die wir in Form von Bedarfsplänen und
Ausbaugesetzen hier beschließen, zu konterkarieren, sich
oberhalb des Parlaments anzusiedeln und damit auch Ent-
scheidungen des Gesetzgebers zu zerstören.
Dies ist in der deutschen Parlamentsgeschichte ein sehr
skandalöser Vorgang. Deswegen müssen wir wissen, ob
wir als Parlament in Zukunft noch die Entscheidung tref-
fen wollen oder ob wir es einzelnen Aktiengesellschaften
überlassen wollen, dies zu tun.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur Erwiderung Herr
Kollege Schmidt, bitte.
Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Kollege Fischer, Ihre ganze geheuchelte
heilige Erregung kann nicht darüber hinwegtäuschen,
dass wir genau heute als Parlament diese Entscheidung
treffen werden und niemand sonst. Sie brauchen hier nicht
irgendeinen Konzernvorstand als den Transrapiddiktator
der Republik zu stilisieren.
Der Vorgang, um den es damals ging, ist völlig anders
gewesen, als Sie es dargestellt haben. Die Industrie war
damals bereit zu investieren. Sie war bereit, erhoffte Er-
löse und Gewinne zu kassieren. Aber sie war nicht bereit
das war der entscheidende Punkt ,
in einem angemessenen Umfang Risiken zu übernehmen.
Das Risiko sollte bei der Deutschen Bahn AG abgeladen
und damit beim Steuerzahler abgeladen werden. Dem hat
sich die Deutsche Bahn AG mit Recht entgegengestellt.
Diese Entscheidung bestätigen wir heute.
Lieber Herr Kollege Fischer, es hat keinen Sinn. Jedes
weitere Wort zu diesem Thema ähnelt immer mehr einem
Nekrolog. Dafür bin ich nicht der richtige Redner. Sie
sollten sich dafür auch zu schade sein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht der Kol-
lege Michael Goldmann für die F.D.P.-Fraktion.
Sehr verehrte
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine
Kollege von der SPD meinte eben: Jetzt kriegen wir wie-
der Schmerzensgeld! Wissen Sie was: Ich fahre am Wo-
chenende ins Emsland. Ich fahre nach Lathen zu Transra-
pid.
Wenn sich einer hier hinstellt ich weiß nicht, wie Sie
das empfinden; ich will keine Worte darum machen, weil
ich sonst gerügt werde und meint, Sekt trinken zu müs-
sen, weil Arbeitsplätze in Deutschland vernichtet werden,
dann fällt mir nicht mehr viel ein.
Herr Schmidt, ich schätze Sie sonst sehr; das wissen
Sie. Aber Sie haben sich eben total vertan. Auch ich fand
das, was Herr Fischer eben gemacht hat, nicht besonders
ergebnisorientiert. Sie haben hier von geheuchelter hei-
liger Erregung gesprochen. Sie selbst sitzen im Auf-
sichtsrat der Bahn AG. Herr Schmidt, Sie sind in dieser
Sache doch so viel Partei wie kein anderer.
Wissen Sie, wenn ich wie Sie da drin wäre, dann
würde ich mich dazu nicht äußern; denn eines ist so sicher
wie das Amen in der Kirche: Die Bahn wollte den Ausbau
der Strecke HamburgBerlin nicht und hat alle Schritte
unternommen, um die Strecke zu beerdigen.
Das war die Vorgehensweise der Bahn. Ich meine, in
einem solchen Fall sind Sie hier einfach nicht berechtigt,
sich so dazu zu äußern, wie Sie es gerade getan haben.
Ich will einen zweiten Punkt ansprechen. Kollege
Hiller, ich schätze Sie sehr; das wissen Sie. Wissen Sie
was? Ich würde alles das, was Sie eben gesagt haben, ein-
mal dem Europaminister in Niedersachsen, Herrn Senff,
erzählen nebenbei gesagt, er gehört Ihrer Partei an und
ich würde es dem Kollegen Reinhold Robbe erzählen.
Dann steht morgen mit Sicherheit in der Zeitung, dass er
weiter für eine echte Anwendungsstrecke für den
Transrapid in Deutschland kämpft.
Aber Herr Kollege, dass die beste Anwendungsstrecke
im Grunde genommen die Strecke BerlinHamburg, wei-
terführend nach Skandinavien, von Berlin weiter nach
Warschau, von Hamburg über Groningen weiter nach
Amsterdam ist, wissen Sie doch genauso gut wie ich.
Sie wissen genauso gut wie ich, dass die Niederländer
Ihr Ballungsproblem in Randstad das kennen Sie doch,
Sie kommen aus dieser Region; Sie wissen, wovon wir
beide reden dadurch lösen wollen, dass sie die Metro-
polregion Amsterdam mit der Metropolregion Hamburg
verbinden und wir die Metropolregion HamburgBerlin
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Dirk Fischer
18004
als eine Einheit sehen. Sie fahren doch wie ich mit dem
ICE von Hamburg nach Bremen und wissen, dass derje-
nige, der in Bremen die Fahrgäste verabschiedet, immer
sagt: Wir bedanken uns bei den Pendlern dafür, dass sie
heute wieder von Hamburg nach Bremen gefahren sind.
So hatte ich den Traum und so habe ich nach wie vor den
Wunsch, diese Technologie zwischen Hamburg und Ber-
lin zur Anwendung zu bringen.
Weil ich die Technologie nun wirklich kenne und
Freunde habe, die neben der Anwendungsstrecke in
Lathen wohnen und dort im Garten sitzen, weiß ich, dass
sie sehr umweltverträglich und sicher und so lärmarm wie
keine andere Technik ist. Herr Schmidt, wenn Sie eine
Verbindung zum Fliegen herstellen und im Umweltaus-
schuss immer wieder darauf hinweisen, wie umweltfeind-
lich das Fliegen gerade im nationalen Verkehr ist, dann
muss ich wirklich sagen, dass ich mit dem, was Sie hier
vertreten, schlicht und ergreifend nicht mehr klarkomme.
Dieses Magnetschwebebahnbedarfsgesetz ist die ge-
setzliche Grundlage für die Realisierung einer bestimm-
ten Maßnahme. Das haben wir in sehr vielen Fällen im
Bereich der Infrastruktur. Ich halte es für einen Fehler,
dass wir uns diese Option nehmen. Dass Sie dies mit dem
Planungsrecht in China vergleichen, ist nun wirklich der
Gipfel, weil man das überhaupt nicht miteinander ver-
gleichen kann. Wenn Sie auf der Grundlage dieses Geset-
zes Verbindungen zum Metrocity oder zu Strecken in
München herstellen, muss ich Ihnen sagen, dass das völ-
lig andere Anwendungsformen für eine Technologie sind,
die ihre speziellen Fähigkeiten über längere Zeiträume
entwickeln kann und die auch das weiß jeder, der hier
sitzt keineswegs teurer ist als andere Hochgeschwindig-
keitsstrecken.
Ich kann hier nur noch einmal an Sie appellieren: Las-
sen Sie uns diese Optionskarte, diese Ideenkarte, nicht aus
der Hand geben. Lassen Sie uns weiterhin ein Stück da-
rauf hinarbeiten, irgendwann eine vernünftige Transra-
pid-Anwendung in Deutschland zu haben.
Dafür bietet sich die Verbindung zwischen dem Ballungs-
raum Berlin mit 4 Millionen Menschen und dem Bal-
lungsraum Hamburg sowie dem Ballungsraum Skandi-
navien und auch den Niederlanden ganz besonders an.
Dies wäre eine großartige Sache für Deutschland. Jeder,
der sich damit befasst hat, weiß, dass das ein Signal für
Zukunft und Entwicklung in die Welt hinaus wäre, die uns
sehr gut anstehen würde. Deswegen bitte ich Sie, Ihre Po-
sition noch einmal zu überdenken.
Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der letzte Redner dieser
Debatte ist der Kollege Dr. Winfried Wolf für die PDS-
Fraktion.
Sehr geehrte Präsidentin!
Wehrte Kolleginnen und Kollegen! Man könnte sagen:
Spät kommt er, doch er kommt. Wir haben jetzt endlich
das Gesetz, das die Verpflichtung, eine Magnetschwebe-
bahn zwischen Hamburg und Berlin zu bauen, aufheben
soll. Ich möchte nicht in Triumphalismus verfallen, doch
dezent darauf verweisen, dass wir Ende 1998 den ersten
Antrag dieser Art gestellt haben. Danach haben wir noch
zwei weitere gestellt, wobei der letzte Antrag exakt den
gleichen Wortlaut hatte wie der vorletzte. Diese sind trotz-
dem von allen Parteien abgelehnt worden.
Kollege Hiller sagt, dass am 5. Februar 2000 die Ent-
scheidung gefallen sei, dass man aussteigen müsse. Ich
möchte darauf hinweisen, dass am 28. September 2000
die letzte Debatte zu diesem Thema stattfand, in der unser
Antrag mit den Stimmen der SPD, der Grünen und natür-
lich auch mit denen der F.D.P. und der CDU/CSU abge-
lehnt wurde.
Die CDU/CSU stellt nun, nach all dem Hoch- und He-
runterrechnen der nicht korrekten gefälschten Zahlen
und nach dem Ausstieg der Industrie, fest, dass weiterhin
ein Bedarf für die Strecke HamburgBerlin besteht. Ich
glaube, es ist klar: Hier wird eine pure und tumbe Lobby-
arbeit gemacht.
Meine Damen und Herren, man könnte sagen: So weit,
so gut. So ist es aber leider nicht. Die Technologie wird
weiterhin mit Steuermitteln gefördert. Es wurde hier groß
dargestellt: An China sollen 250 Millionen DM oder auch
mehr aus dem wenn ich es richtig verstehe Entwick-
lungshilfefonds für eine Flughafenanbindung gezahlt
werden. Es geht hierbei nicht um eine Verbindung zwi-
schen dem Flughafen und der Stadtmitte von Shanghai,
sondern um eine Verbindung zwischen dem Flughafen
und dem Stadtrand von Shanghai. Verkehrspolitisch ist es
völlig unsinnig, eine solche Fahrt zu machen. Herr Hiller
sagt, dass dies in China ohne Bedarfsgesetz gemacht wird.
Ich sage: Das, was in China konkret geplant wird, wird
auch ohne Bedarf gemacht.
Die PDS-Fraktion und ich als Berichterstatter haben in
dem vorliegenden Text erklärt, dass es zu begrüßen sei,
dass ein solches Projekt jedenfalls in Deutschland nicht
geplant sei. Ich muss sagen: Das war eine falsche An-
nahme. Vor vier Wochen stellte ich in Oberhausen bei ei-
ner Veranstaltung fest, dass die Planungen bezüglich des
Metrorapid vor Ort heute viel konkreter sind und dort ein
Projekt läuft, das ähnlich unsinnig ist wie das Projekt
HamburgBerlin. Ich stellte fest, dass die Leute vor Ort
sehr beunruhigt sind, wie dieses Projekt durchgesetzt wer-
den soll.
Wir haben nicht nur die CDU/CSU-Hinterlassenschaft
in Form des Magnetschwebebedarfsgesetzes, wir haben
auch die Hinterlassenschaft eines Magnetschwebebahn-
planungsgesetzes, in dem geregelt ist, Enteignungen bei
der Planung und dem Bau von Magnetbahnen vorzuneh-
men. Ich glaube, so wie wir einen kurzen, praktischen und
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Hans-Michael Goldmann
18005
quadratischen Antrag zur Abschaffung des Magnetschwe-
bebahnbedarfsgesetzes gestellt haben, werden wir auch
einen Antrag einbringen müssen, das Magnetschwebe-
bahnplanungsgesetz abzuschaffen, damit nicht auf diese
Art und Weise die nicht ausgereifte Technik zum Beispiel
im Ruhrgebiet oder in München zum Flughafen ange-
wendet wird.
Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Aufhebung des Magnetschwebebahnbedarfsgesetzes auf
Drucksache 14/5067. Der Ausschuss für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen empfiehlt auf Drucksache 14/6500,
den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die
Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P.-Fraktion ange-
nommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer
stimmt dagegen? Enthaltungen? Der Gesetzentwurf
ist damit gegen die Stimmen der CDU/CSU und der
F.D.P.-Fraktion angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den
Ent-schließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/6554. Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? Gegenprobe! Enthaltungen? Der
Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen der
CDU/CSU und der F.D.P.-Fraktion abgelehnt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a bis 11 e auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Wolfgang Börnsen , Dirk Fischer
, Eduard Oswald, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der CDU/CSU
Verkehrssicherheitslage 2000 für eine nationale
Verkehrssicherheitskampagne
Drucksachen 14/3871, 14/5583
b) Beratung des Antrags der Abgordneten Wolfgang
Börnsen , Dirk Fischer (Hamburg),
Eduard Oswald, weiterer Abeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Frontpartien von Fahrzeugen europaweit fuß-
gängersicher gestalten
Drucksache 14/6316
Überweisungsvorschlag:
Aussschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen zu dem Antrag der
Abgeordneten Wolfgang Börnsen ,
Eduard Lintner, Dirk Fischer , weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Nationale Verkehssicherheitskampagne Son-
derprogramm für junge Autofahrerinnen und
Autofahrer zur Verhinderung von alkohol- und
drogenbedingten Verkehrsunfällen
Drucksache 14/659
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen zu dem Antrag der
Abgeordneten Dirk Fischer ,
Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Renate Blank, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Überprüfung von Kraftfahrzeugen nach Un-
fallreparaturen
Drucksache 14/1207
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen zu dem Antrag der
Abgeordneten Dirk Fischer ,
Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Renate Blank, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen im
Fahrerlaubniswesen
Drucksachen 14/1209, 14/2187
Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Friedrich
Zur Großen Anfrage liegt ein Entschließungsantrag der
Fraktion der F.D.P. vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die
CDU/CSU-Fraktion ist der Kollege Wolfgang Börnsen.
Frau
Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir ha-
ben mehrere Anträge vorgelegt, weil wir der Auffassung
sind, dass wir, die Union egal, ob in der Regierung oder
in der Opposition , für die Optimierung der Verkehrs-
sicherheit in Deutschland mitverantwortlich sind. Des-
halb haben wir ganz konkrete Anträge vorgelegt, um dafür
zu sorgen, dass mehr Leid, Trauer und Unglück in
Deutschland verhindert werden.
Es lohnt sich, jede Anstrengung zu unternehmen, um
für eine bessere Verkehrssicherheit zu sorgen. Auch wenn
die Anzahl der im Straßenverkehr Getöteten von Jahr zu
Jahr zurückgeht, ist dies noch keine Entwarnung. 1999
verloren 7 700 Menschen auf Deutschlands Straßen ihr
Leben. Das ist die niedrigste Zahl seit drei Jahrzehnten;
vor dreißig Jahren gab es über 21 000 Tote im Straßen-
verkehr.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Dr. Winfried Wolf
18006
Doch nicht allein die Anzahl der Getöteten ist ent-
scheidend, vielmehr ist jeder Verunglückte eine Mahnung
an uns, für mehr Sicherheit auf Deutschlands Straßen zu
sorgen.
Alarmierend ist die große Zahl der registrierten Unfälle.
Allein 1999 wurden 530 000 Menschen in Deutschland
zum Teil schwer verletzt, fast 5 Prozent mehr als im Vor-
jahr. Das heißt, während die Schwere der einzelnen Un-
fälle sinkt, steigt die Anzahl der Unfallopfer. Das muss
uns mahnen.
Das Mehr an Verkehrsunfällen im Jahr 1999 um
6,4 Prozent bedeutet absolut 2,4 Millionen Verkehrsun-
fälle in Deutschland. Noch nie hat es in der Republik so
viele Verkehrsunfälle gegeben wie im ersten Jahr der al-
leinigen Regierungsverantwortung von Rot-Grün.
Abgesehen vom persönlichen Leid der Betroffenen wird
der volkswirtschaftliche Schaden, der durch diese Un-
fälle entsteht, auf über 70 Milliarden DM beziffert. Das ist
eine Rekordmarke; noch nie war der Schaden so hoch. Je-
der Unfalltote und jeder Verletzte mahnen zum Handeln.
Die rot-grüne Bundesregierung schien das 1998 be-
griffen zu haben; sie hat die Mittel für die Verkehrs-
sicherheit auf 26 Millionen DM erhöht. Doch dieser rich-
tige Anstoß blieb im Ansatz stecken. Schon ein Jahr später
wie auch in diesem Jahr wurde wieder an der
Verkehrssicherheit gespart, und zwar insgesamt 8 Milli-
onen DM. Das ist angesichts der tatsächlichen Gegeben-
heiten nicht nur eine krasse Fehleinschätzung, sondern
eine eklatante Fehlleistung.
Noch am 12. Mai 1999 hatte der damalige Verkehrs-
minister Franz Müntefering die Eckpunkte einer nationa-
len Verkehrspolitik bekannt gegeben. Der Unfallverhü-
tung wurde oberste Priorität eingeräumt und eine
verbesserte Finanzierung in Aussicht gestellt. Heute müs-
sen wir feststellen: Die Lippen wurden gespitzt, doch ge-
pfiffen wurde nicht weder von ihm noch von seinem ers-
ten Nachfolger, Herrn Klimmt, noch von seinem zweiten
Nachfolger, Herrn Bodewig.
Es ist schon anzuerkennen, dass die Regierung zumin-
dest zwei Initiativen aus der vorangegangenen Regie-
rungszeit übernommen hat, dass der Entzug der Fahr-
erlaubnis in einem EU-Staat jetzt allgemein in EU-Staa-
ten anerkannt wird und dass beim Kraftfahrt-Bundesamt
in Flensburg das zentrale Führerscheinregister einge-
richtet worden ist. Das ist richtig, das ist notwendig, da-
mit es zu einem effektiven Datenaustausch kommt. Aber
wer eine solche bedeutende Behörde mit mehr Aufgaben
versieht, sollte auch dazu beitragen, dass es nicht gleich-
zeitig zu einem Abbau von Arbeitsplätzen kommt.
Bei Matthias Wissmann darauf will ich noch einmal
hinweisen war die Verkehrssicherheit Chefsache. Dieser
Rang sollte ihr möglichst auch von der jetzigen Regierung
eingeräumt werden.
Ein Blick auf die Aussagen des Europäischen Sicher-
heitsrates macht die Notwendigkeit dieser Forderung
deutlich. Einer von drei EU-Bürgern muss im Laufe sei-
nes Lebens infolge eines Autounfalls ins Krankenhaus.
Einer von 20 EU-Bürgern wird durch einen solchen Un-
fall getötet oder Invalide und einer von 80 EU-Bürgern
beendet sein Leben aufgrund eines Unfalls etwa 40 Jahre
zu früh. Jeden Tag sterben in den Ländern der EU
123 Menschen im Straßenverkehr. Im vorletzten Jahr wa-
ren es über 42 000.
Was Brüssel des Weiteren ermittelt hat, geht uns eben-
falls alle an: Motorradfahren ist das riskanteste Manöver,
sich im Verkehr durchzusetzen. Zu Fuß gehen ist über
neunmal riskanter als mit dem Auto zu fahren. Alle EU-
Staaten gemeinsam haben über 160 Milliarden Euro an
Schäden zu beklagen. Das ist das Doppelte des EU-Haus-
halts. Ich finde schon, dass man auf diese schwerwiegen-
den und traurigen Zahlen eingehen muss und dass es not-
wendig ist, neben den europäischen Sicherheitsprogramm
auch dann abzuklopfen, was wir auf nationaler Ebene tun.
Experten sagen: Drei Kritikpunkte gibt es. Der euro-
päische Sicherheitsplan ist nicht mit dem nationalen ab-
gestimmt. Es gibt da eine falsche Strategie. Das europä-
ische Programm ist in seinen Zielen nicht mit dem
nationalen abgestimmt. Das nationale Programm, das
wir haben, ist unzureichend, weil die Kontrolle fehlt. Es
fehlt das, was man im modernen Verkehrsmanagement
braucht, nämlich eine Controlling-Instanz, die abklopft,
ob das, was man tut, auch richtig ist.
Eine solche Kontrolle hat es früher gegeben. Mit dem
Programm für junge Autofahrer unter dem Titel Trin-
ken und fahren könnt ihr euch sparen gegeben. Damit
wurde eine Veränderung der damaligen Situation erreicht.
Dies war richtig so; denn es betraf eine der schwierigsten
Zielgruppen, die wir im Verkehr haben. Jeder vierte Getö-
tete gehört zur Gruppe der 18- bis 24-Jährigen. 8 Prozent
beträgt ihr Anteil an der Bevölkerung, aber mit 22 Prozent
sind sie an den schweren und tödlichen Unfällen beteiligt.
Ich glaube schon, dass es richtig gewesen ist, in den drei
Pilotregionen Flensburg/Schleswig, Saarbrücken und im
Oberlausitz-Kreis klarzumachen, dass ein solch gezieltes
Programm die richtige Maßnahme ist. Die Bundesanstalt
für Straßenwesen hat noch einmal bestätigt. Es ist eine
vernünftige Sache. Um bis zu 40 Prozent wurden die Ver-
kehrsunfälle, an denen junge Fahrer beteiligt waren, re-
duziert. Leider ist das Programm nur kurze Zeit in
31 Kreisen fortgesetzt worden. Die Pilotprojekte wurden
nicht verlängert. Eine bundesweite Ausweitung der Kam-
pagne hat es nicht gegeben. Es wurden finanzielle Gründe
dafür genannt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Wolfgang Börnsen
18007
Wenn man versucht, von den UMTS-Milliarden nicht
nur Mittel für Bahn und Straße freizustellen, sondern auch
einen Fonds für die Verkehrssicherheit einzurichten,
schafft man die Voraussetzung dafür, dort zielgruppen-
gemäß arbeiten, wo ein Abbau von Unglücken und Ver-
kehrsunfällen erreicht werden kann.
Das dänische Beispiel hat deutlich gemacht: Wenn
man eine solche Aktion gezielt und über viele Jahre
durchführt, dann reduziert man die Zahl der Verkehrsun-
fälle um mehr als die Hälfte. Dann erzielt man eine Wir-
kung. Hier ist sie zum Schaden der jungen Fahrer und
letzten Endes auch der Verkehrssicherheit in Deutschland
abgebrochen worden. Das ist schade. Nur weil Christde-
mokraten und freie Demokraten einmal dieses Programm
aufgelegt haben,
sollte man es heute nicht mit der Begründung aufgeben,
dass finanzielle Gründe dagegen sprächen.
Das wäre nicht notwendig gewesen.
Es ist richtig, darauf erneut aufmerksam zu machen. Es ist
nicht vernünftig und fair, etwas aus parteipolitischen
Gründen zu beenden, wenn sich die Beendigung mit sach-
lichen Zahlen nicht begründen lässt.
Ich bedanke mich von dieser Stelle aus bei denen, die
sich für die Verkehrssicherheit zuständig fühlen: die
großen Verbände vom Verkehrssicherheitsrat bis hin zur
Verkehrswacht, die Schulen und Kindergärten, die Tech-
nischen Überwachungsvereine und auch die Polizei. Sie
leisten eine wirklich hervorragende Arbeit und versuchen
das umzusetzen, was wir alle wollen, nämlich durch Kon-
trolle, Schulung und Weiterbildung dazu beizutragen,
dass bei uns eine höhere Sensibilität entsteht. Auch be-
danke ich mich das wird selten genug getan; aber hier
sind wir uns alle einig bei denen, die Rettungsdienste
leisten. Mein Dank gilt sowohl den 25 000 hauptamtli-
chen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Rettungs-
dienst quer durch ganz Deutschland, die bei Unfällen
schnell helfen, als auch den ehrenamtlichen Helfern. Man
muss sich das einmal vorstellen: Von diesen ehrenamtli-
chen Helfern im Rettungsdienst werden über 4 Millionen
Stunden im Jahr geleistet. Das ist ein großartiger Einsatz
von Mitbürgern unseres Landes.
Wenn man gezielt bei der Vorbeugung und Prävention
weiterarbeiten will, aber aufgrund der Finanzlage nicht
über ausreichende Mittel verfügt, dann sollte man über ei-
nen Vorschlag nachdenken, den ich für ganz klug halte:
Den deutschen Versicherungen kommt es sehr zugute,
wenn man präventiv im Vorfeld tätig ist, weil es dann zu
weniger Unfällen kommt. Daher sollte bei jedem abge-
schlossenen Haftpflichtvertrag 1 Euro in einen Verkehrs-
sicherheitsfonds abgezweigt werden, den die Verbände
verwalten sollten, um mit mehr Mitteln gezielt in Kinder-
gärten, in Schulen und bei der Weiterbildung für mehr
Verkehrssicherheit werben zu können. Unabhängig von
der Notwendigkeit, den Verkehrssicherheitsetat im Haus-
halt 2002 zu erhöhen, wäre dies ein Weg, zu mehr Ver-
kehrssicherheit zu kommen.
Verkehrspolitik in Deutschland muss Mobilität garan-
tieren, Sicherheit gewährleisten und ein leistungsfähiges
Verkehrssystem schaffen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Börnsen, Sie müssen jetzt bitte zum Schluss kommen.
Ja, ich
komme zum Schluss. Dieser in der Vergangenheit gülti-
gen Ausrichtung in der Verkehrssicherheitspolitik sollte
auch die jetzige Bundesregierung folgen. Einen Kurs-
wechsel zu weiterer Einsparung und Reglementierung,
wie er eingeschlagen worden ist, machen wir nicht mit.
Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort für die SPD-
Fraktion hat die Kollegin Rita Streb-Hesse.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Kollege Börnsen, Sie haben mit ei-
nem Zitat geendet. Ich beginne mit einem Zitat aus einer
Erklärung des Verkehrsministers anlässlich der Präsenta-
tion des neuen Verkehrssicherheitsprogramms. Sie wer-
den sich wundern, welche Ähnlichkeit beide Zitate auf-
weisen.
Wir können mit wachsendem Verkehr leben und mo-
bil bleiben, aber Mobilität muss auch sicher sein.
Diese Aussage des Verkehrsministers bekräftigt den ho-
hen Stellenwert der Verkehrssicherheit auch im Rahmen
rot-grüner Politik.
Diese umfasst ein ganzes Bündel von Maßnahmen, um
den Schutz aller Verkehrsteilnehmer zu verbessern. Im
Rahmen dieser Aussprache konzentriere ich mich auf
zwei Punkte: zum einen auf die technische Ausstattung
von Autos und zum anderen auf die jungen Fahranfänger
und Fahranfängerinnen.
Wir alle sind uns insbesondere des Gefährdungspoten-
zials von Unfällen im Hinblick auf tödliche oder schwere
Verletzungen bewusst. Obwohl es viele technische Ver-
besserungen insbesondere im Inneren des Autos gibt,
müssen wir heute feststellen, dass die Frontpartien unse-
rer Fahrzeuge leider immer noch Mängel aufweisen. Ak-
tuelles Thema sind die Geländewagen mit Frontschutz-
bügeln. Diese Fahrzeuge sind für das freie Gelände
konzipiert, wobei ich dahingestellt sein lasse, ob es unbe-
dingt immer die Prärie sein muss, wie im CDU/CSU-An-
trag dargestellt; in Südamerika heißt das anders. Sie mö-
gen bei uns in der Land- und Forstwirtschaft von Nutzen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Wolfgang Börnsen
18008
sein. Auf den Straßen aber hat diese Art von Frontschutz,
die auch als Kuhfänger bekannt ist, nur eine Zierfunktion
als zusätzliche Stoßstange. Diese allerdings stellt für
Fahrradfahrer und Fußgänger ein erhebliches zusätzliches
Verletzungsrisiko und aufgrund der Erhöhung und Härte
der Aufprallfläche in Kopfhöhe für Kinder sogar Lebens-
gefahr dar. Eine solche Gefährdung können und werden
wir nicht zulassen. Gemeinsames Anliegen der Regierung
und aller Fraktionen ist es daher, zusammen mit den Au-
tomobilherstellern und auf europäischer Ebene einheitli-
che Regelungen für eine fußgängersichere Konstruktion
der Frontpartien zu finden und ein Verbot von Kuhfängern
an Geländewagen auf europäischer Ebene zu erreichen.
Die Bundesregierung ist seit 1998 mehrfach initiativ
geworden. Zuletzt hat Bundesminister Bodewig der EU-
Kommission im Januar vorgeschlagen, kurzfristig im so
genannten Anpassungsverfahren zumindest einheitliche
Vorschriften für Frontschutzbügel zu beschließen. Selbst-
verständlich hat die Bundesregierung auch ein nationales
Verbot in ihre Überlegungen einbezogen. Das bringt aber
nichts, da aufgrund der inzwischen eingeführten EU-Typ-
genehmigungen von Neufahrzeugen weiterhin Gelände-
wagen mit serienmäßigen Frontschutzbügeln auf unseren
Straßen fahren würden. Das war Ihnen, meine Damen und
Herren von der CDU/CSU, bei der Antragstellung be-
kannt. Ihre Große Anfrage wurde von der Bundesregie-
rung noch im Monat April ausführlich beantwortet. Im
Mai votierte der Petitionsausschuss dieses Hauses für die
Weiterleitung einer diesbezüglichen Petition an das Euro-
päische Parlament. Er hat damit ebenfalls eine EU-Rege-
lung als notwendig und richtig erachtet.
Vor diesem Hintergrund kann der Antrag Ihrer Frak-
tion, der nun die Bundesregierung auffordert, die Ein-
führung technischer Vorschriften auf EU-Ebene zügig zu
erreichen man höre und staune, Kollege Börnsen; Sie
haben sich eben in Bezug auf Europa und nationale Vor-
stellungen anders ausgedrückt und in der Bundesrepu-
blik für den Übergangszeitraum ein Zulassungsverbot
vorzunehmen, nur als populistisch bezeichnet werden.
Das haben Ihre Ausführungen gezeigt. Ihr Antrag führt
auf keinen Fall zu dem Ziel, das wir gemeinsam erreichen
wollen.
Festzuhalten ist: Die EU-Kommission hat das Thema
aufgrund der engagierten Bemühungen der Bundesregie-
rung erneut aufgegriffen.
Wir alle erwarten, dass baldmöglichst eine kinder- und
fußgängersichere Regelung für alle Menschen nicht nur in
der Bundesrepublik, sondern in Europa kommt.
Ein weiterer Schwerpunkt der Verkehrssicherheitspoli-
tik war und ist das Fahrverhalten junger Fahranfänge-
rinnen und Fahranfänger. Kollege Börnsen hat ein
Modellprojekt in Bezug auf Alkohol- und Drogenge-
fährdung bei jungen Leuten, das 1997 von der alten Bun-
desregierung zusammen mit den für Verkehrssicherheit
zuständigen Verbänden gestartet wurde, zu Recht gelobt.
Es ist in verschiedenen Beratungen sehr ausführlich dar-
gestellt worden, sodass ich mir dies hier ersparen werde.
Alle Fraktionen freuen sich darüber, dass der Modellver-
such sehr gut verlaufen ist.
Sie wussten aber bei Ihrer Antragstellung 1999, dass
dieses Konzept nur eine zweimonatige Aktion in ländli-
chen Regionen vorsah. Sie wussten, dass die Kampagne
1998 in 17 Regionen durchgeführt werden und 1999 in
weiteren 14 Regionen laufen sollte. Sie wussten auch,
dass die auf drei Jahre angelegte Kampagne jährlich 2 bis
3 Millionen DM kostet und im Haushalt so etatisiert war.
Wenn Sie nun in der Opposition eine bundesweite
Ausrichtung und darüber hinaus eine Verlängerung des
Modellprojektes für alle um vier Jahre fordern und be-
merken, das koste nur 4 Millionen DM pro Jahr mehr,
dann kann man auch hier nur sagen: Eigentlich müssten
Sie rechnen können.
Abgesehen von der Tatsache, dass Ihnen auch 1999 be-
kannt war, dass die Zahl der Handy-Benutzer unter jungen
Menschen ebenso hoch war wie bei den Erwachsenen und
die Telefonkarte sicherlich kein Anreiz mehr gewesen
wäre, wissen Sie selbst, dass die Ausweitung Ihrer Kam-
pagne auf 6,5 Millionen Menschen im Alter von 18 bis
24 Jahren 70 Millionen DM erfordert hätte. Ich glaube,
dem hätte Ihre gesamte Fraktion bei einem Etat von ins-
gesamt 22 Millionen DM für Verkehrssicherheit nicht zu-
gestimmt. Daran sieht man, wie ernsthaft Ihr Antrag ge-
wesen ist.
Kollege Börnsen, es sind nicht nur die Kosten gewe-
sen. Sie als Fachexperte mit vielen Ihrer Kolleginnen und
Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion wissen: Modellpro-
jekte im Rahmen von Verkehrssicherheitsprogrammen
haben ausschließlich Anstoßcharakter. Sie sollen eine
Verhaltensveränderung erzielen, aber auch Anstoß zu
Handlungsinitiativen vor Ort sein. In diesem Fall wäre das
die Ermöglichung von Verkehrsangeboten wie Sammel-
taxis, Nachtbusse und Ähnliches gewesen.
Kollege Börnsen, wenn man zitiert, dann sollte man
richtig zitieren, weil auch die Regierung sehr genau liest,
was Organisationen schreiben. Der von Ihnen zitierte
Deutsche Verkehrssicherheitsrat hat sich für eine Fort-
führung der Kampagne ausgesprochen, aber in Eigenregie
der Länder und nur in Landkreisen mit hoher Alkohol-
unfallbelastung.
Ein Verkehrssicherheitsprogramm erschöpft sich nicht
allein in Kampagnen.
Frau Kol-
legin, bitte kommen Sie zum Schluss.
Zu den Maßnahmen gegen
Alkohol am Steuer gehört auch die von uns vorgenom-
mene Festlegung von 0,5 Promille und die Verlängerung
des Führerscheins auf Probe für weitere zwei Jahre.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Rita Streb-Hesse
18009
Ansonsten empfehle ich Ihnen, das neue Verkehrssicher-
heitsprogramm sehr ausführlich zu lesen. Sie werden se-
hen, dass die Reduzierung des Unfallrisikos junger Fahre-
rinnen und Fahrer zu Recht weiterhin Priorität hat.
Als
nächster Redner hat der Kollege Horst Friedrich von der
F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Wir
debattieren heute einen sehr umfangreichen Tagesord-
nungspunkt mit sehr vielen Einzelpunkten. Die vielen
aufgeführten Einzelpunkte zeigen, wie zersplittert die Ar-
beit im Zusammenhang mit der Verkehrssicherheit aus
unserer Sicht ist. Es ist müßig, auf die Einzelpunkte ein-
zugehen.
Wenn wir tatsächlich erreichen wollen, dass sich die
Verkehrssicherheit anders darstellt, müssen wir die De-
batte wieder auf die Füße stellen und nicht die Auswüchse
bekämpfen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Ursachen
angegangen werden. Sehr verehrte Frau Kollegin Streb-
Hesse, auch das neue Verkehrssicherheitsprogramm des
Ministeriums zeigt nicht sehr viel Neues auf. Es ist eine
Aufzählung bekannter Fakten.
Die Unfallzahlen in Deutschland sind von drei we-
sentlichen Kriterien abhängig: Das eine ist die aktive und
passive Sicherheit des Autos. Das andere ist die funk-
tionierende Infrastruktur. Das Letzte sind die mehr oder
weniger gut funktionierenden Rettungssysteme in
Deutschland. Alle drei zusammengenommen haben dazu
geführt, dass in den letzten Jahren die Unfallzahl, die Zahl
der Getöteten und der Schwerverletzten, kontinuierlich
nach unten gegangen ist. Alles andere ist Schaulaufen und
geht an den eigentlichen Ansätzen vorbei. Es ist besten-
falls sektoral und punktuell umzusetzen.
Woran es tatsächlich fehlt, ist eine Konzentration aller
Anstrengungen. Es ist aus unserer Sicht nach wie vor so,
dass die Deutsche Verkehrswacht, der Deutsche Ver-
kehrssicherheitsrat, das Verkehrsministerium und einige
andere Institutionen zwar mit sehr viel Engagement und
auch einigermaßen Geld ausgestattet vorgehen, aber doch
nebeneinander herlaufen. Die Kampagne, die jetzt an den
Autobahnen plakatiert wird Gelassen läufts, wobei
Tierfamilien gezeigt werden , ist wunderschön anzu-
schauen. Die Frage ist aber: Was ist die Botschaft? Wo
fange ich tatsächlich damit an?
Anfangen müsste man grundsätzlich beim Führer-
scheinrecht. Wir haben mittlerweile offene Grenzen. Wir
haben ein offenes Europa. Wir haben in den europäischen
Ländern verschiedene Führerscheinausbildungen. Wir
haben aber keinerlei Beschränkungen für Bürger aus
anderen Staaten, bei uns zu fahren. Wann beginnt die Bun-
desregierung endlich damit, das gemeinsame Führer-
scheinrecht und die Ausbildung in Europa insgesamt auf
den Prüfstand zu stellen?
Dies gilt logischerweise auch für Deutschland. In
Deutschland muss das Führerscheinrecht untersucht wer-
den. Die Fahrschulausbildung soll die Schule der Nation
sein. Sie soll all die Defizite ausgleichen, die im Eltern-
haus und in der Schule nicht ausgeglichen werden kön-
nen. Dafür ist man jedoch nicht einmal bereit, eine Ein-
gangsqualifikation für den Beruf des Fahrlehrers zu
schaffen, sodass wenigstens mittlere Reife vorgeschrie-
ben ist.
Man muss natürlich das muss man zusätzlich sehen
die Frage stellen: Kann es bei der Verkehrsdichte und der
Verkehrsentwicklung auf Dauer dabei bleiben, dass das
Fahrzeug im Schnitt alle zwei Jahre zur technischen
Untersuchung muss, während derjenige, der das Fahrzeug
fährt, ob nun Mann oder Frau, ein einziges Mal, nämlich
zu Beginn seiner Fahrausbildung, zur Prüfung gehen
muss? Wie viele Autofahrerinnen und Autofahrer mit
Brille auch ich trage eine fahren nach dem Motto: Die
Augen sind zwar noch gut, aber die Arme sind zu kurz.
Daraus ergibt sich zwangsläufig man wird zu spät auf
Gefahrensituationen aufmerksam, weil man sie einfach zu
spät sieht ein Fehlverhalten, das zu Unfällen führt.
Wenn man sich jenseits aller Ideologie die Tabellen in
der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage
der Kollegen von der CDU/CSU anschaut, dann stellt man
fest, dass man die Sau Alkohol nicht jeden Tag man
kann das eigentlich nur aus Horrorgründen tun aufs
Neue durch das Dorf jagen muss. Die Zahl der Unfälle,
bei denen bei den Fahrern eine Alkoholkonzentration
von über 3 Promille gemessen wurde, geht seit 1991 kon-
sequent zurück. Das ist auch richtig so. Aber auch hier
fehlt die Konsequenz: Es werden nach wie vor viel zu we-
nige verdachtslose Kontrollen zur Überwachung der
neuen Vorschriften durchgeführt. Das ist der eigentliche
Casus knacksus, die eigentliche Krux.
Des Weiteren werden immer mehr Vorschriften erlas-
sen, zum Beispiel das Verbot des Telefonierens mit dem
Handy am Steuer. Selbst die Polizei räumt mittlerweile
ein, dass ein solches Verbot nicht zu handhaben weil
nicht zu kontrollieren ist. Nur, was nützen Gesetze, von
denen jeder weiß, dass sie ein Placebo sind und dass es
sich nur um Schaulaufen handelt? Niemand läuft Gefahr,
bestraft zu werden, weil die Umsetzung der Gesetze nicht
kontrolliert werden kann. Wenn Sie mit offenen Augen
durch die Gegend fahren, werden Sie feststellen, dass sich
niemand an das Handyverbot hält. Nach wie vor telefo-
niert jede zweite Autofahrerin bzw. jeder zweite Autofah-
rer mit dem Handy am Steuer und fährt quietschvergnügt
durch die Gegend. Es bedarf also auch einer Sinnhaftig-
keit der Gesetzgebung, keines Aktionismus.
Deswegen haben wir einen Entschließungsantrag vor-
gelegt, in dem das alles in den großen Zusammenhang ge-
stellt wird. Ich bin gespannt, ob wir uns in den Ausschuss-
beratungen auf die in unserem Entschließungsantrag
enthaltenen Forderungen einigen können; denn alles das,
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Rita Streb-Hesse
18010
was ich jetzt gefordert habe, steht in unserem Antrag. Ich
bin gespannt, ob die Bundesregierung bereit ist, sich ne-
ben dem Verkehrssicherheitsbericht, den sie vorgelegt hat
und der aus unserer Sicht nicht ausreichend ist, mit unse-
ren Forderungen hinlänglich zu befassen. Wenn sie dazu
bereit ist, werden wir im Ausschuss zu entsprechenden Er-
gebnissen kommen.
Vielen Dank.
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Helmut
Wilhelm vom Bündnis 90/Die Grünen.
Helmut Wilhelm (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Die Verkehrssicherheit liegt uns, wie man sieht,
offenbar allen am Herzen. Das begrüße ich natürlich
ausdrücklich. Darum kann ich die von der Union ver-
folgten Ziele inhaltlich auch unterstützen. Immerhin gilt
es, die Zahl der Unfälle auf unseren Straßen zu reduzie-
ren und damit die Zahl der Ursachen großen menschli-
chen Leids zu verringern. Dafür ist jede Anstrengung
willkommen.
Auch die Problemanalyse, die allerdings nichts Neues
enthält, ist zutreffend: Aufklärung hilft, Unfälle zu ver-
meiden. Hierfür eignen sich Sicherheitskampagnen und
Sonderprogramme, die auf die Gefahren durch Alkohol
und andere Drogen am Steuer gerade auch für junge
Menschen hinweisen. Aber, liebe Kolleginnen und Kol-
legen von der Union, Sie beschreiben in Ihrem Antrag
drei Modellversuche der verflossenen Bundesregierung,
die diese immerhin erst nach 15 Regierungsjahren auf
den Weg gebracht hat, und das auch nur kleinräumig.
Mehr brauche ich, glaube ich, nicht auszuführen; denn
das hat meine Kollegin Frau Streb-Hesse bereits ausgie-
big getan.
Seit Februar 2001 liegt aber ein Verkehrssicherheits-
programm des Bundesverkehrsministers vor, welches
alle gesellschaftlichen Kräfte zur Mitwirkung an der Ver-
besserung der Verkehrssicherheit aufruft. Die wesentli-
chen Säulen sind: Verbesserung des Verkehrsklimas;
Schutz der schwächeren Verkehrsteilnehmer; Reduzie-
rung des Unfallrisikos bei jungen Fahrern; Minderung der
Gefahren bei schweren Nutzfahrzeugen; Erhöhung der Si-
cherheit auf Landstraßen. Wesentlicher Bestandteil des
Programms ist eine Kampagne zur Verkehrssicherheit, die
zu mehr Gelassenheit im Straßenverkehr beitragen soll.
Bei der überproportional hohen Zahl von Unfällen jun-
ger Fahrzeugführer ist das Alkohol- und Drogenpro-
blem natürlich evident. Ob hier allerdings allein auf Auf-
klärung und freiwilligen Verzicht gesetzt werden kann,
wage ich zu bezweifeln; denn bei Unfällen vor allem jun-
ger Menschen ist fast immer Alkohol mit daraus folgen-
der Selbstüberschätzung im Spiel. Wir Bündnisgrünen ha-
ben darauf immer schon die wohl verkehrspädagogische
richtige Antwort verlangt: Wer trinken möchte, soll sein
Auto zu Hause lassen.
Doch der Vorschlag, die Promillegrenze von 0,8 we-
nigstens auf 0,5 abzusenken, hat in der vergangenen
Wahlperiode unter der CDU/CSU-geführten Regierung
zu schier endlosen Diskussionen und schließlich nur zu
einem sehr halbherzigen Kompromiss geführt, nämlich:
Promillegrenze 0,5 im Prinzip ja, aber richtig ernst wird
es doch erst bei 0,8 Promille. Die SPD-Bündnisgrüne-Re-
gierungskoalition war da schon konsequenter und hat für
eine klare Grenze bei 0,5 Promille gesorgt mit voller
Sanktionierung bei Überschreitung.
Unfälle junger Menschen ereignen sich vor allem in
Wochenendnächten, in den Nächten von Freitag auf
Samstag und von Samstag auf Sonntag. Es handelt sich
um die altbekannten Diskounfälle. Oft sind nicht nur die
durch Alkohol, möglicherweise Drogen oder einfach nur
durch gute Stimmung enthemmten Fahrer, sondern gleich
mehrere Mitfahrerinnen und Mitfahrer betroffen.
Woran liegt das? Diskos und ähnliche Lokale sind häu-
fig nur mit dem Auto erreichbar, einfach deswegen, weil
es eine Busverbindung, die eine sichere Heimfahrt oder
Weiterfahrt zur nächsten Disko bietet, nicht gibt. Um die-
ses Defizit ursächlich zu beheben, bedarf es besserer
ÖPNV-Angebote, vor allem im ländlichen Raum. Bis
heute gibt es leider nur inselhaft gute Angebote von
Nacht- und Diskobussen, eventuell ergänzt durch An-
rufsammeltaxis.
Nehmen wir das Beispiel Münsterland, ganz bewusst
ein großes, weithin ländliches Gebiet, in dem angeblich
das Angebot Diskobus nicht machbar oder nicht finan-
zierbar sein soll. Dort existieren aber in Wahrheit bereits
16 Nachtbuslinien und jede zweite Gemeinde hat ein An-
rufsammeltaxi. Nachtschwärmer finden also ein fast
flächendeckendes ÖPNV-Angebot vor.
Die Finanzierung solcher Nachtbusse ist mit einiger
Kreativität kein Problem. Im geschilderten Beispiel gilt
etwa folgende Faustformel: Ein Drittel der Kosten tragen
die Fahrgäste. Ein Drittel wird von Sponsoren wie
Versicherungen aufgebracht. Das letzte Drittel zahlen die
Kommunen. Letztere zahlen in der Regel nicht mehr als
1 DM bis 2 DM pro Einwohner und Jahr. Dieser Ba-
gatellbetrag rechnet sich schon sehr schnell, wenn nur alle
fünf oder zehn Jahre ein einziger schwerer Unfall ver-
mieden wird.
Was ist die Quintessenz? Es kommt nicht allein auf
Aufklärung und auf freiwilligen Verzicht an; mindestens
ebenso wichtig sind Alternativen. Hierbei ist nicht nur der
Bund, sondern sind auch die kommunale Politik und die
Landespolitik in der Verantwortung.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Horst Friedrich
18011
Prinzipiell, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Union, zielt auch Ihr Begehren, eine Überprüfung
von Unfallreparaturen zu verlangen, in die richtige Rich-
tung. Wenn Unfallfahrzeuge in Eigenregie repariert wer-
den, besteht in der Tat die Gefahr, dass das nicht fachgemäß
geschieht. Das erhöht zweifelsohne das Unfallrisiko, wobei
die Schätzungen der Technischen Überwachungs-Vereine
allerdings sehr grob sind und auseinander gehen.
Darüber hinaus wird der Polizei eine neue Rolle bei der
Bewertung und Weitermeldung der Folgen zugewiesen,
ohne dass geprüft ist, ob die Polizei dies überhaupt leisten
kann. Eine automatische Überprüfung durch Sachver-
ständige erscheint zumindest in den Fällen überflüssig, in
denen die Reparatur in einer anerkannten Fachwerkstatt
erfolgt ist.
Die Bundesregierung hat bereits 1999 die Bundesan-
stalt für Straßenwesen beauftragt, zu überprüfen, inwie-
weit die Verkehrssicherheit wirklich durch fehlerhafte
Reparaturen gefährdet wird. Abhängig von den Ergebnis-
sen dieser Überprüfung sollte bei einer Bestätigung des
Gefährdungspotenzials in der Tat ein Verfahren zur Über-
prüfung schwer verunfallter Fahrzeuge entwickelt und ge-
gebenenfalls rasch vorgeschrieben werden. Dabei kann
man sich sehr wohl an dem Verfahren orientieren, das in
den Staaten angewandt wird, die die CDU/CSU aufgelis-
tet hat.
Zusammenfassend Folgendes: Auch in Sachen Ver-
kehrssicherheit kann uns, meine ich, niemand Taten- oder
Konzeptionslosigkeit vorhalten. Immerhin sinken die Un-
fallzahlen trotz des gestiegenen Verkehrsaufkommens.
Die Bundesregierung ist also offenkundig doch auf dem
richtigen Weg.
Der Kol-
lege Dr. Winfried Wolf gibt seine Rede zu Protokoll.1) Er
gibt damit ein gutes Beispiel.
Jetzt hat der Parlamentarische Staatssekretär Stephan
Hilsberg das Wort.
S
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn das Parla-
ment redet, dann darf die Regierung nicht schweigen.
Wenn die kleinste Fraktion nicht redet, dann ist das ihre
Sache. Es handelt sich um ein wichtiges Thema, zu dem
man auch zu dieser Tageszeit durchaus etwas Wichtiges
sagen kann. Es ist immer gut, über Straßenverkehr und
über Sicherheit zu sprechen.
Wir haben in unserem Haus vor allen Dingen drei Pro-
bleme ausgemacht, die den Bürgern hinsichtlich der
Straßenverkehrssicherheit große Sorgen bereiten. Es han-
delt sich zum einen um die hohe Unfallrate der 18- bis
24-Jährigen. Diese Gruppe stellt 20 Prozent all derjeni-
gen, die an Unfällen beteiligt sind. Dieser Anteil ist weit
höher als ihr Bevölkerungsanteil.
Es handelt sich zum anderen um die Gefahren durch
schwere LKW. Viele Menschen, seien es Fußgänger, Rad-
oder Autofahrer, fühlen sich durch sie bedroht. Ob das zu
Recht oder zu Unrecht geschieht, ist hier gar nicht die
Frage. Fakt ist: Es gibt in Deutschland über 2,5 Millionen
LKW und allein 160 000 Sattelzüge. Die Entwicklung ist
rasant; die Anzahl der LKW wird sich weiterhin erhöhen.
Insofern wird dieser Punkt auch in Zukunft ein Bedro-
hungspotenzial beinhalten.
Es handelt sich zum Dritten um die hohe Aggressivität
im Straßenverkehr: Raserei, verbale Attacken bis hin zu
Handgreiflichkeiten es ist sogar von Prominenten die
Rede; ich erinnere an einige Schauspieler sind heute
keine Seltenheit mehr. Die Menschen, die das tun, geben
ein schlechtes Beispiel ab. Wo sind wir hingekommen?
An diesem Punkt setzen wir den Hebel an. Wir haben
ein Programm für mehr Sicherheit im Straßenverkehr auf-
gelegt. Wir wollen nämlich das Verkehrsklima in
Deutschland verbessern.
Wir wollen die Schwerpunkte von Unfallursachen ent-
schärfen und wir wollen damit den erfreulichen Trend der
letzten Jahrzehnte fortsetzen. Vor allen Dingen wollen
und müssen wir dabei jeder Verkehrsteilnehmerin und je-
dem Verkehrsteilnehmer klarmachen: Es kommt auf einen
selbst an. Jeder trägt Verantwortung, und zwar nicht nur
für sich selbst, sondern auch für den anderen, der neben
ihm im Auto oder auf dem Fahrrad fährt bzw. als Fußgän-
ger am Verkehr teilnimmt.
Mit unserer Kampagne Gelassen läufts werben wir
für mehr Geduld und Besonnenheit sowie für weniger
Aggressivität auf unseren Straßen. Meines Erachtens ist
diese Kampagne inzwischen jedem bekannt; das bewei-
sen die zahlreichen Anfragen, die unser Haus bekommt.
Das Echo zeigt: Unsere Arbeit für mehr Sicherheit im
Straßenverkehr wird wahrgenommen.
Dass Sie die Kampagne gelegentlich kritisieren, trägt
zu ihrer Bekanntheit bei. Die Kampagne erfüllt auf diese
Art und Weise ihren Zweck, für mehr Gelassenheit im
Straßenverkehr zu sorgen. Glauben Sie mir: Es gibt viele
Situationen, die man nur mit Gelassenheit bewältigen
kann.
Sie sehen, dass Regierung und Opposition manchmal auf
erfreuliche Art und Weise zusammenarbeiten.
Diese Kampagne ist aber nur ein Teil unseres Pro-
gramms für mehr Sicherheit im Straßenverkehr. Wir ver-
folgen natürlich weitere Ziele. Wir wollen den Schutz der
schwächeren Verkehrsteilnehmer erhöhen. Fußgänger,
Fahrrad- und Motorradfahrer sind immer einem beson-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Helmut Wilhelm
18012
1) Anlage 4
ders hohen Risiko ausgesetzt. Sie alle kennen die Zahlen,
die das belegen. Das gilt in besonderem Maße für den
Unfallschwerpunkt Landstraße und für das Gefahrenpo-
tenzial LKW. Von daher sind die Sorgen, die sich die Bür-
ger machen, nicht von ungefähr.
Ich will auch an die Katastrophe im Tauerntunnel erin-
nern, die bei uns übrigens zu einem großen Forschungs-
programm geführt hat, dessen Ergebnisse inzwischen in
die Verbesserung der Straßensicherheit sowie in den Bau
und in die Pflege von Tunnel eingehen. Das heißt, wir set-
zen die Analysen, die wir uns mittlerweile erarbeitet ha-
ben, um.
Wir haben uns hohe Ziele gesteckt. Natürlich ergreifen
wir mehrere Maßnahmen, um diese Ziele zu erreichen.
Dazu gehört zum Beispiel die verstärkte Überwachung
von Lenk- und Ruhezeiten bei LKW und Bussen. Wir ha-
ben das Straßenverkehrsgesetz geändert, indem wir die
0,5-Promille-Grenze eingeführt haben. Meine Damen und
Herren von der Opposition, warum haben Sie dem ei-
gentlich nicht zugestimmt? Diese Maßnahme ist ein wir-
kungsvolles Instrument, um die Verkehrssicherheit zu
verbessern.
Dazu zählt auch ich könnte Ihnen das im Einzelnen
aufführen die Novelle zur Straßenverkehrsordnung. Es
handelt sich um ein schwieriges, sehr differenziertes Feld.
Wir sind auf all diesen Feldern tätig. Wir haben in den In-
nenstädten die Einführung von Tempo-30-Zonen ermög-
licht und wir haben das Telefonieren im Auto reglemen-
tiert. Die Polizei mag gelegentlich feststellen, dass dieses
Verbot schwer kontrollierbar sei. Dennoch ist es richtig,
das Telefonieren ohne Freisprechanlage zu verbieten, weil
es ein enormes Gefahrenpotenzial beinhaltet und weil es
zu einem ungeheuren Stress beim Autofahren führt.
Ich kann an dieser Stelle nur appellieren: Lassen Sie das
Telefonieren mit dem Handy direkt am Ohr sein. Das
schadet Ihnen!
[CDU/CSU]: Das ist mit keiner einzigen Zahl
zu belegen!)
Das ist inzwischen mit genügend Zahlen zu belegen; das
kann ich Ihnen durchaus verdeutlichen.
Dazu zählt auch unser Auftrag an die Bundesanstalt für
Straßenwesen, die Verkehrserziehung an den weiter-
führenden Schulen wissenschaftlich zu unterstützen und
zu untersuchen.
Nein, das ist nicht der Fall. Die Bundesanstalt für
Straßenwesen wird das weiter unterstützen. Wir werden
auch sicheres Fahrverhalten durch finanzielle Anreize
weiter fördern. Das sind nur einige der Maßnahmen, die
wir ergriffen haben.
Insbesondere geht es das ist ja zu Recht angesprochen
worden um die so genannten Frontschutzbügel an
Fahrzeugen. Meines Erachtens gehörten diese Bauteile an
Autos in die Pampa oder in die Taiga. Hier bezahlen Kin-
der mit ihrem Leben dafür. Das geht nicht.
Diese Vorrichtungen dienen natürlich in erster Linie
dem Showeffekt. Die Leute sollten lieber Mercedes fah-
ren. Damit erzielen sie vielleicht noch mehr Aufsehen
und schaden den Kindern und anderen Fußgängern
nicht so sehr. Diese Frontschutzbügel sind jedenfalls in
hohem Maße schädlich. Deshalb brauchen wir hier eine
europäische Lösung. Das Problem ist nämlich nicht nur
ein deutsches, sondern ein europäisches. Man kann es
nur auf dieser Ebene lösen. Wir begrüßen die entspre-
chende europäische Initiative und werden uns intensiv
dafür einsetzen, dass sie verabschiedet und umgesetzt
wird.
Herr Börnsen , ich nehme Ihnen Ihr ehrliches Bemühen
um dieses Thema durchaus ab. Das ist gar keine Frage.
Bei der Großen Anfrage, die ja ein Anlass dieser Debatte
ist, kann man sich besonders auf die Antworten verlassen.
Das ist kein Wunder, denn sie sind ja von uns. Die Politik,
die Sie auf dieser Grundlage machen, ist manchmal aber
ein wenig unredlich. Es ist zwar völlig richtig, auf pro-
blematische Elemente in der Unfallstatistik hinzuweisen,
aber zu unterstellen, während unserer Regierungszeit sei
die Zahl der Unfälle gestiegen, ist nicht redlich; das Ge-
genteil ist der Fall.
Lesen Sie sich Ihre Große Anfrage durch, Herr Fischer.
Sie sind zwar Sprecher Ihrer Arbeitsgruppe, aber viel-
leicht haben Sie sie gar nicht gelesen. Ich würde Ihnen das
empfehlen. In allen Fallgruppen hat sich die Unfallstatis-
tik vom Jahr 1999 zum Jahr 2000 erheblich verbessert:
Die Anzahl der Getöteten ist gesunken, sogar auf einen
historisch einmaligen Stand, die Anzahl der Unfälle ist ge-
sunken, die Zahl der Unfälle mit Personenschaden und al-
les, was sonst noch da hineingehört.
Meine Damen und Herren, mit dieser Art Politik kön-
nen Sie vielleicht Ihre eigenen Wähler verdummen, ein
Beitrag zur Verkehrssicherheit ist das nur in Maßen.
Wir lassen uns nicht beirren und gehen den erfolgreichen
Weg, der zu mehr Verkehrssicherheit führt, weiter. Ich
freue mich deshalb, dass wir die Gelegenheit nutzen
konnten, das hier einmal zu thematisieren.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Parl. Staatssekretär Stephan Hilsberg
18013
Als
nächster Redner hat der Kollege Norbert Königshofen das
Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Verlauf der Debatte
haben wir schon einige wichtige Beiträge zur Bedeutung
der Verkehrssicherheit gehört. Insbesondere die Rede
meines geschätzten Kollegen Wolfgang Börnsen hat uns
eindringlich vor Augen geführt, dass wir bei der Ver-
kehrssicherheit in unseren Bemühungen nicht nachlassen
dürfen.
Von daher finden wir es geradezu fatal, dass Sie den Etat-
ansatz für die Verkehrssicherheit im Haushalt von 26 Mil-
lionen DM im Jahr 1999 auf 22 Millionen DM im
Jahre 2000 reduziert haben.
Das ist bedauerlich und ist Sparen am falschen Ende, Herr
Staatssekretär.
Jede Mark, die wir dort sparen, erhöht die Gefahren im
Verkehr.
Es zeigt sich einmal mehr am heutigen Abend, dass wir
in unseren Bekenntnissen weitgehend übereinstimmen.
Wenn gehandelt werden muss, tun Sie sich aber manch-
mal außerordentlich schwer. Der Teufel steckt ja bekannt-
lich im Detail.
Deswegen möchte ich auf die zwei Anträge der
CDU/CSU-Fraktion eingehen, die heute Abend vorliegen.
Zum einen fordern wir mit Antrag vom 22. Juni 1999
solange hat es gedauert, bis sich das Hohe Haus damit
beschäftigt
die Überprüfung von Kraftfahrzeugen nach Unfall-
reparaturen. Ein Großteil der 5 Millionen Unfallwagen
wird in Selbsthilfe repariert. Das gilt insbesondere für
Fahrzeuge, die älter als acht Jahre sind. Von diesen wer-
den 30 Prozent in Selbsthilfe repariert. Nach Erkenntnis-
sen der Technischen Überwachungs-Vereine sind gerade
diese selbst reparierten PKWs an circa 30 000 Unfällen
jährlich beteiligt. Unsachgemäße Reparaturen an Len-
kung, Bremsen, Fahrgestell sind häufig unfallauslösend
und ebenso Mängel bei Sitzen, Gurten, Gurtverankerun-
gen und Gurtstraffern.
Deswegen möchten wir, dass sie vor Wiederinbetrieb-
nahme durch einen Sachverständigen geprüft werden und
eine entsprechende Regelung in die Straßenverkehrs-Zu-
lassungsordnung aufgenommen wird. Wenn gesagt wird,
es sei mit der Abgrenzung außerordentlich schwierig, so
müssen wir darauf hinweisen, dass in den EU-Mitglieds-
ländern Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, den
Niederlanden, Österreich und Spanien und auch in der
Schweiz eine besondere Überprüfung schwer verunfallter
Fahrzeuge nach ihrer Reparatur verlangt wird. Was in an-
deren Ländern geht, muss auch bei uns möglich sein.
Zum Zweiten fordern wir mit Antrag vom 20. Juni
1999, dass die Frontpartien von Fahrzeugen europa-
weit fußgängersicherer gestaltet werden. Andere Redner
haben auch schon darauf hingewiesen und markig gesagt,
diese Kuhfänger müssten weg. Ja, meine Damen und
Herren, dann lassen Sie uns doch etwas dagegen tun!
Ich weiß, Frau Hesse: Sie verstecken sich hinter euro-
päischen Regelungen, die natürlich ihre Zeit dauern. Das
wissen wir auch. Aber warum wird denn nicht der Versuch
gemacht, beispielsweise mit den Herstellern über Selbst-
verpflichtungen zu reden?
Man kann doch erst einmal versuchen, auf die Einsicht der
Leute zu bauen und zu erreichen, dass solche Dinge be-
seitigt werden. Denn es ist in der Tat so: Wir haben bei
66 000 Unfällen zwischen Fußgängern und Fahrradfah-
rern einerseits und PKWs andererseits allein im Jahr 1999
drei Tote bei den PKW-Insassen, aber 868 Tote nur bei
Fußgängern und Fahrradfahrern zu beklagen.
Deswegen muss an der Frontpartie etwas geändert wer-
den. Wir müssen die Frontschutzbügel beseitigen. Wir
müssen auch dazu kommen, dass die Frontpartien elas-
tisch sind, sodass sie nicht einen so großen Schaden an-
richten.
Die Verkehrssicherheit erfordert Anstrengungen in vie-
len Bereichen. Darauf ist verschiedentlich hingewiesen
worden. Hier liegen Ihnen zwei ganz konkrete Anträge
vor, denen Sie zustimmen können. Sie haben damit die
Möglichkeit, in zwei konkreten Fällen etwas für die Ver-
kehrssicherheit zu tun. Ich fordere Sie auf, nicht nur den
Mund zu spitzen, sondern auch zu pfeifen. Stimmen Sie
unseren Anträgen zu! Sie helfen damit, die Verkehrs-
sicherheit zu verbessern, und Sie helfen auch, Leben zu
retten.
Als letzte
Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat die Kollegin
Margrit Wetzel von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Die Chefsache hat einen Namen:
Gelassen läufts heißt die Verkehrssicherheitskampagne,
mit der der Verkehrsminister ein neues Leitbild der Selbst-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 200118014
verantwortung, Souveränität und Gelassenheit im Ver-
kehr breit in unserer Gesellschaft verankern möchte.
In aller Gelassenheit deshalb ein kurzes Wort zu Ihren
Anträgen. Sie fordern, was lange Realität ist: die ständige
und beharrliche gemeinsame Arbeit von Regierung, Par-
lament, Verkehrswacht, Verkehrssicherheitsrat, die an
einem übrigens zum ersten Mal aufgelegten Verkehrs-
sicherheitsprogramm 2000 mitgewirkt haben, das ge-
meinsam mit den Schulen, der Polizei, vielen engagierten
Organisationen aus dem Hilfs- und Rettungswesen, den
Medien, den Ländern und Kommunen umgesetzt werden
soll.
Der Bund stößt Kampagnen an, erteilt viele For-
schungsaufträge, um Gefahrenpotenziale zu erkennen,
und greift auch ordnungspolitisch durch. So ist im letzten
Jahrzehnt die Zahl der Unfälle unter Alkoholeinfluss das
wurde bereits mehrfach erwähnt um mehr als 30 Prozent
zurückgegangen. Der größte Rückgang wurde 1998 nach
dem In-Kraft-Treten der Absenkung der Promillegrenze
erzielt.
Bei der Kindersicherung im PKW zum Beispiel haben
wir nach erheblichen Anlaufschwierigkeiten inzwischen
Sicherungsquoten von 94 Prozent, auf dem Beifahrersitz
von 98 Prozent erreicht. Damit entspricht die Sicherung
von Kindern endlich der von Erwachsenen,
ein Erfolg übrigens der gemeinsamen Arbeit von Regie-
rung und Opposition, der guten Kooperation von Parla-
mentariern. Herr Börnsen, Sie brauchen nicht wegzu-
schauen, ich erinnere mich gut an die Zusammenarbeit
und bin Ihnen noch heute dafür dankbar.
Aber wir müssen mit der Zeit gehen. Verkehrssicher-
heit braucht ständig neue Aufmerksamkeit, neue Ver-
mittlungspotenzen, muss immer wieder neu aktuell be-
wusst werden. Über die Telefonkarte von gestern sind die
jungen Handybesitzerinnen nicht mehr zu gewinnen; aber
die vorgeschriebene Freisprechanlage im PKW spricht
die Technikfreudigkeit der jungen Generation an und
beugt damit schon auf diesem Weg neuen Gefahrenquel-
len vor.
Wir wollen die enge Kooperation mit den Ländern und
Kommunen, um die Verkehrssicherheit auf den Land-
straßen zu erhöhen. Diese erreichen wir nicht mit natio-
nalen Kampagnen, sondern durch ganz gezielte lokale
Aktivitäten, manchmal sogar durch blöde Sprüche,
wenn sie denn blöd genug sind, um Aufmerksamkeit zu
erzielen und lokal wahrgenommen zu werden.
Wir wollen Anreize versicherungstechnischer Art, frei-
willige Weiterbildung und viel Training für junge Fahrer,
aber natürlich auch harte Sanktionen bei Verstößen gegen
die Verkehrssicherheit.
Seit 1995 ist entgegen Ihren Behauptungen, zumin-
dest denen in den Anträgen die Zahl der Unfälle mit
Personenschäden bezogen auf die gestiegene Fahrleis-
tung durchschnittlich um 4 Prozent, die Zahl der getö-
teten Menschen um mehr als 20 Prozent zurückgegangen.
Ich denke, das ist ein Erfolg, an dem wir permanent und
täglich weiterarbeiten müssen.
Das Verkehrssicherheitsprogramm 2000 setzt des-
halb auch ganz bewusst auf die Entschärfung erkannter
Unfallschwerpunkte, sei es, dass sich Kampagnen in der
warmen Jahreszeit an die dann besonders gefährdeten
Zweiradfahrer richten, in den Wintermonaten an die
Rücksicht auf Fußgänger appellieren oder aber die tech-
nische und ordnungspolitische Risikominimierung bei
LKWs zum Schwerpunkt gemacht wird.
Ich freue mich ganz besonders über die Medien, TV
und Rundfunk, die zu besten Sendezeiten besondere Ziel-
gruppen ansprechen, die Kindern über beliebte Figuren
und Sendungen das Bewusstsein für die Aufmerksamkeit
im Verkehr und die wichtigsten Regeln vermitteln ich
denke, das ist die geschickteste Art, Kinder anzuspre-
chen , die Schüler gezielt auf das Verhalten im Schulbus
hinweisen, die Jugendlichen für die Gefahren von Dis-
counfällen sensibilisieren sowie die Folgen überhöhter
Geschwindigkeit und die Selbstverantwortung der Ju-
gendlichen deutlich machen.
Ich denke, wir müssen auch noch viel stärker die alten
Menschen als schwächere Verkehrsteilnehmer im Blick
haben. Alter bringt irgendwann unvermeidbar eine redu-
zierte Reaktionsfähigkeit, eine Überforderung durch Ge-
schwindigkeiten und das Sehen lässt nach; wir kennen
diese Probleme. Alter fordert einfach unsere Rücksicht.
Deshalb sind wir dem Minister ganz besonders dank-
bar, dass er sich so intensiv gegen Aggressivität im
Straßenverkehr wendet und ein Klima der Gelassenheit
und Souveränität einfordert. Helfen wir ihm dabei, auch
dadurch, dass wir diese Debatte ohne Aggressivität, son-
dern in harmonischem Miteinander führen zumindest
zum Teil ist das ja auch erfolgt , vor allem aber mit ei-
nem gemeinsamen Dank Herr Börnsen hat die Debatte
damit eröffnet und ich möchte sie gerne so beschließen
an und großer Anerkennung für all diejenigen, die täglich
aktiv für die Sicherheit im Straßenverkehr arbeiten und
eintreten.
Ich wünsche dem Minister im Namen der Koalitions-
fraktionen allen Erfolg bei der Umsetzung seiner Kampag-
ne und seines Verkehrssicherheitsprogramms 2000!
Ich
schließe die Aussprache.
Tagesordnungspunkt 11 a: Interfraktionell wird vorge-
schlagen, den Entschließungsantrag der Fraktion der
F.D.P. auf Drucksache 14/6584 zur federführenden Bera-
tung an den Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungs-
wesen und zur Mitberatung an den Rechtsausschuss und
an den Innenausschuss zu überweisen. Gibt es dazu an-
derweitige Vorschläge? Das ist nicht der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Dr. Margrit Wetzel
18015
Tagesordnungspunkt 11 b: Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 14/6316 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 11 c: Wir kommen zur Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen auf Drucksache 14/6569 zu dem
Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel Natio-
nale Verkehrssicherheitskampagne Sonderprogramm
für junge Autofahrerinnen und Autofahrer zur Verhinde-
rung von alkohol- und drogenbedingten Verkehrsunfäl-
len. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksa-
che 14/659 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? Wer
enthält sich? Dann ist die Beschlussempfehlung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die
Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der F.D.P. ange-
nommen.
Tagesordnungspunkt 11 d: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf
Drucksache 14/6553 zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU zur Überprüfung von Kraftfahrzeugen nach
Unfallreparaturen. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag
auf Drucksache 14/1207 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen?
Wer enthält sich? Dann ist die Beschlussempfehlung mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der F.D.P. und der
PDS gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen.
Tagesordnungspunkt 11 e: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu
dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel
Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen im
Fahrerlaubniswesen, Drucksache 14/2187. Der Aus-
schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/1209 ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?
Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? Dann ist die
Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 sowie Zusatzpunkt 10
auf:
12. Beratung des Antrags der Abgeordneten Bodo
Seidenthal, Klaus Barthel , Hans-
Werner Bertl, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD sowie der Abgeordneten Hans-Josef
Fell, Dr. Reinhard Loske, Christian Simmert, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
6. Forschungsrahmenprogramm 20022006
Europäische Forschung stärken
Drucksache 14/6541
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für. Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Flach, Cornelia Pieper, Birgit Homburger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
6. Forschungsrahmenprogramm 20022006
Transparenter und unbürokrati-
scher gestalten KMU besser einbeziehen Eu-
ropäische Energieforschung weiter ausbauen
Drucksache 14/6549
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Alle Redner wollen ihre Reden zu Protokoll geben.
Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Es han-
delt sich um die Redner Bodo Seidenthal von der SPD,
Erich Maaß von der CDU/CSU, Hans-
Josef Fell vom Bündnis 90/Die Grünen, Ulrike Flach von
der F.D.P., Maritta Böttcher von der PDS und um den Par-
lamentarischen Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/6549 es handelt sich um Zusatzpunkt 10
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor-
geschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 14/6541 es
handelt sich um Tagesordnungspunkt 12 soll an diesel-
ben Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit ein-
verstanden? Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
Börnsen , Dirk Fischer (Hamburg),
Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Feste Fehmarnbelt-Querung Klarheit und
Konkretisierung ökonomisch geboten, ökolo-
gisch sinnvoll
Drucksache 14/6313
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Auch hier sollen alle Reden zu Protokoll gegeben wer-
den. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Es
handelt sich um die Reden von Dr. Christine Lucyga und
Reinhold Hiller von der SPD, Wolfgang
Börnsen von der CDU/CSU, Grietje Bettin
vom Bündnis 90/Die Grünen, Jürgen Koppelin von der
F.D.P. und Winfried Wolf von der PDS. 2)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/6313 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
18016
1) Anlage 5
2) Anlage 6
verstanden? Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
Joachim Otto , Ina Albowitz,
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der F.D.P.
Kulturföderalismus in Deutschland erhalten
Drucksache 14/4911
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
Rechtsausschuss
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auch hier sollen alle Reden zu Protokoll gegeben wer-
den. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Es
handelt sich um die Reden von Eckardt Barthel
von der SPD, Dr. Norbert Lammert von der CDU/CSU,
Dr. Antje Vollmer vom Bündnis 90/Die Grünen, Hans-
Joachim Otto von der F.D.P., Heinrich Fink
von der PDS und von dem Staatsminister Professor
Dr. Nida-Rümelin.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/4911 neu an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b
auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Norbert Blüm, Klaus-Jürgen Hedrich, Ingrid
Fischbach, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
RUGMARK bei geplanter Fusion mit Care &
Fairunterstützen und gleichzeitig Vorsorge für
ein mögliches Scheitern der Verhandlungen
treffen
Drucksache 14/6317
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung
zu dem Antrag der Abgeordneten Erika
Reinhardt, Dr. Norbert Blüm, Klaus-Jürgen
Hedrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Gegen den Missbrauch von Kindern als Solda-
ten
Drucksachen 14/2243, 14/6289
Berichterstattung:
Abgeordnete Karin Kortmann
Erika Reinhardt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Joachim Günther
Carsten Hübner
Hier wollen leider nur zwei Kolleginnen und Kollegen
ihre Reden zu Protokoll geben. In Anbetracht der gerin-
gen Zahl der Zuhörer wäre es eigentlich angemessen,
auch die anderen würden ihre Reden zu Protokoll zu ge-
ben. Aber es steht den Kolleginnen und Kollegen natür-
lich frei zu reden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Dr. Norbert Blüm von der CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Es ist im Kampf gegen die
Kinderarbeit so spät wie heute Abend im Parlament. Aber
ich würde auch um 2 Uhr nachts noch gegen die Kinder-
arbeit reden.
Aus meiner Sicht nimmt die Kinderarbeit eine Schlüssel-
stelle im Kampf gegen die Armut in der Welt ein. Ich
brauche keine Futurologen: Wie es den Kindern heute
geht, so sieht die Zukunft für die Erwachsenen aus.
Nun gibt es unterschiedliche Mittel. Eines der intelli-
gentesten Mittel nicht das Patentrezept ist RUG-
MARK. Was ist RUGMARK? Teppiche aus Indien, aus
Nepal und aus Pakistan werden mit einem Label versehen,
das besagt, dass sie kinderarbeitsfrei sind. Damit schlägt
man mit der Logik des Wettbewerbs sozusagen ein sozia-
les Schnippchen im Sinne der sozialen Marktwirtschaft.
Ich habe gelernt das ist auch richtig , dass der Kunde
König ist. Er kann seine Kundenmacht auch für morali-
sche Ziele einsetzen. Er kann einen Teppich kaufen, der
von Kinderhänden geknüpft ist. Aber er muss es nicht. Es
gab von jeher die Figur des ehrbaren Kaufmanns. Warum
kann es nicht auch den anständigen Kunden geben, des-
sen Macht im Kampf gegen Ausbeutung eingesetzt wird?
Ich bin mir sicher, dass darin alle übereinstimmen.
Im Tierschutz ist es uns schon gelungen, bestimmte
Angebote sozusagen zu diskriminieren. Es läuft heute
niemand mehr mit Elfenbeinschmuck oder mit einem
Tigerfell durch die Gegend. Was für den Tierschutz rich-
tig ist, das ist für den Kinderschutz dreimal richtig.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
18017
1) Anlage 7
Ich sage es noch einmal: Es ist kein Patentrezept. Aber
es sind die marktwirtschaftlichen Mittel, mit denen klar-
gestellt werden muss: Ausbeutung darf kein Geschäft
sein. So einfach ist das.
Ich will ausdrücklich die Kunden und auch die Han-
delshäuser loben, die sich auf RUGMARK eingelassen
haben: Karstadt, Otto-Versand, Teppich Kibeck und viele
andere. RUGMARK verfolgt eine Doppelstrategie, weil
sie einerseits den Kunden Hilfe zur moralischen Orientie-
rung gibt und andererseits dafür sorgt, dass die Exporteure
in Indien 0,25 Prozent des Exportpreises und die Impor-
teure hier 1 Prozent des Importpreises an RUGMARK
zahlen. Davon werden 0,25 Prozent für RUGMARK
Deutschland für Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit ab-
geführt. Das Geld kommt Hilfsprogrammen für diese
Kinder und ihren Familien zugute. Es ist also eine Dop-
pelstrategie, einerseits abzustempeln diesmal positiv ab-
zustempeln und andererseits Geld zu nehmen, um zu
handeln. Das verdient auch die Unterstützung der Bun-
desregierung.
Ich sehe aber, dass diese Unterstützung abnimmt.
1999 waren es 265 000 DM, im Jahr 2000 240 000 DM
und im ersten Halbjahr dieses Jahres sind es 80 000 DM.
Es gibt also eine abnehmende Tendenz. Das ist die falsche
Richtung. Dieser Gedanke braucht Unterstützung und
Rückenwind.
Nun ist eine Fusion von RUGMARK und Care & Fair
geplant. Care & Fair ist eine andere Initiative, die eben-
falls eine Abgabe verlangt, die auch Hilfsprogrammen zu-
gute kommt so weit, so gut. Diese Hilfsprogramme sind
ausdrücklich willkommen. Aber das ist zu wenig. Es ist ja
eine Art Ablasshandel. Damit haben wir schon vor der Re-
formation schlechte Erfahrungen gemacht. Wenn RUG-
MARK und Care & Fair fusionieren, dann nur auf der
Grundlage der sauberen Kriterien von RUGMARK.
Das Label darf seinen Qualitätsbeweis nicht verleihen.
Nur unter diesem Gesichtspunkt ist eine solche Fusion
herzlich willkommen.
Ich will noch einen institutionellen Aspekt erwähnen.
Ich habe meine Zweifel, ob es der beste Gedanke ist das
schlagen manche vor , dieses unter dem Dach des Tep-
pichverbandes zu machen. Die Verbraucherschutzzen-
trale ist ja auch keine Unterabteilung des Groß- und Ein-
zelhandelsverbandes. Aber das ist eine institutionelle
Frage.
Also: Fusion ja, aber nicht um jeden Preis. Wenn die
Fusion scheitert, darf RUGMARK nicht in der Luft hän-
gen. An der Stelle ist der Geldhahn das falsche Instru-
ment, um Druck zu machen. RUGMARK muss erhalten
bleiben. Immerhin sind die Erfolge ja nicht gering. In
Indien laufen 25 Prozent des Teppichhandels unter diesem
Label, in Nepal sind es sogar 60 Prozent; in Pakistan sind
es mehrere Tausend Webstühle. Ich verspreche mir von
dem Gedanken, dass von ihm eine gewisse Ansteckung
auch auf andere Produkte ausgeht.
Ich sage noch einmal, meine Damen und Herren: Ich
sehe RUGMARK nicht als Patentrezept im Kampf gegen
Kinderarbeit. Wir brauchen weiterhin erstens das Verbot
und zweitens die Hilfe. Wir brauchen weiterhin die Un-
terstützung der ILO für den Kampf gegen Kinderarbeit,
wobei ich der ILO als Freund vorschlage, weniger Work-
shops und Meetings abzuhalten und das Geld direkt gegen
die Kinderarbeit einzusetzen.
Ich habe dafür Beispiele: In Europa ist das Geld ge-
nommen worden, um Computer im Ministerium anzu-
schaffen. Ich habe nichts dagegen, dass Computer gekauft
werden. Aber einen unmittelbaren Zusammenhang mit
dem Kampf gegen die Kinderarbeit sehe ich nicht.
Also, bürokratisch werdet ihr diese Ausbeutung nicht
bekämpfen. Dafür brauchen wir schon einen etwas hand-
festeren Ansatz. Weitere Meetings und dicke Bücher brau-
chen wir auch nicht; denn es ist fast alles gesagt, was zu
diesem Thema zu sagen ist. Man braucht handfeste
Aktionen. Eine der handfestesten und klügsten Aktionen
ist RUGMARK. Ich hoffe, wir stimmen darin überein,
dass RUGMARK erhalten und weiter unterstützt werden
muss, dass die harten, klaren Kriterien der Zertifikation
erhalten bleiben müssen. Eine Fusion ist herzlich will-
kommen, aber nur unter Beibehaltung der harten Kriterien
von RUGMARK. Eine Geldabgabe allein ist nicht das ge-
eignete Mittel.
Ich wünsche jedenfalls jedem auf einem Teppich, der
mit Kinderhänden geknüpft worden ist, keine fröhliche
Party. Ich wünsche keinem Partygast auf einem auf Kin-
derausbeutung beruhenden Teppich ein fröhliches Fest.
Das muss man auch unter die Leute bringen.
Das, Herr Präsident, ist fast alles. Was das Thema Kin-
dersoldaten angeht, so hoffe ich, dass man dazu in die-
sem Saal nicht viele Worte machen muss und dass die
Philologen jetzt nicht anfangen, an einem Text herum-
zuarbeiten. Bei Kindersoldaten und Kinderprostitution
würde ich noch nicht einmal das angesehene Wort Ar-
beit in den Mund nehmen. Das ist einfach ein Ver-
brechen, ein handfestes Verbrechen.
Das ist nicht nur Sache des Staates, sondern auch von
Befreiungsaktionen. Das ist Kindersklaverei. Kinder
werden als Minenhunde eingesetzt. Da, wo die Hunde
nicht mehr hingeschickt werden, werden Kinder hin-
geschickt. Darüber kann es nur eine gemeinsame Verach-
tung geben. Ich gehe davon aus, dass wir in diesem Haus
in dieser Verachtung ohne Abstriche übereinstimmen und
dass wir uns jetzt nicht an die parteipolitische Feinarbeit
machen und darüber diskutieren, ob man irgendeinen Satz
besser formulieren könnte. Die Absicht muss klar sein.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Dr. Norbert Blüm
18018
Der langen Rede kurzer Sinn Herr Präsident, auch um
24 Uhr würde ich noch dasselbe sagen : Kinderarbeit ist
eine Schande in dieser Welt. Kinderarbeit ist die Fortset-
zung der Armut: Weil die Kinder nicht zur Schule gehen,
werden sie als Erwachsene arbeitslos sein. Weil sie als
Erwachsene arbeitslos sind, werden deren Kinder wieder
in die Kinderarbeit geschickt. So wälzt sich der Teufels-
kreis fort.
Deshalb hoffe ich, dass viele mitkämpfen. Wir unter-
stützen die ILO und wir unterstützen den Gedanken der
RUGMARK, weil er ein intelligenter, marktwirtschaft-
licher Gedanke ist.
Als nächste Red-
nerin hat die Kollegin Karin Kortmann von der SPD-
Fraktion das Wort.
Herr Präsident, Sie haben
eben gesagt, es wäre schön, wenn wir alle die Reden zu
Protokoll geben würden. Das hätte ich gern getan. Aber
Herr Blüm wollte es nicht tun.
Herr Blüm, ich habe ein Problem, wenn Sie hier an die
Moral und Ethik appellieren; denn die Frage ist immer,
welches der richtige Weg des politischen Handelns ist.
Von der Zielsetzung her kann ich Ihnen folgen. Aber ich
verstehe viele andere Dinge nicht, wie unter anderem die
Tatsache, dass Sie im letzten Jahr bei den Haushaltsbe-
ratungen im Ausschuss für Menschenrechte unbedingt
eine Kürzung der Unicef-Gelder herbeiführen wollten,
weil sie Ihnen in der politischen Linie nicht gepasst hat.
Deswegen müssen wir Acht geben, in welchem Kontext
Sie die Moral einfordern.
Frau Kol-
legin Kortmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Blüm?
Nein, Herr Blüm hatte ge-
rade zehn Minuten und ich habe jetzt noch ganze zwölf.
Es mangelt mir überhaupt nicht an Souveränität, sonst
würde ich hier nicht stehen.
Ich werde die Souveränität inhaltlich unterfüttern, damit
Sie mal wissen, worüber wir überhaupt reden.
In der heutigen Debatte reden wir nämlich über zwei
spezifische Aspekte der Kinderarbeit, einmal Sie haben
es angesprochen, Kollege Blüm über Kinder in der Tep-
pichindustrie und zum Zweiten über den Antrag Gegen
den Missbrauch von Kindern als Soldaten. Ich glaube,
wir müssen beide Anträge im Lichte der Bemühungen se-
hen, bei denen es um die Ratifizierung des Übereinkom-
mens über das Verbot und die unverzüglichen Maßnah-
men zur Beseitigung der schlimmsten Formen der
Kinderarbeit geht. Die Konvention 182 der ILO haben
wir in dieser Woche auch im Ausschuss für wirtschaft-
liche Zusammenarbeit und Entwicklung beraten. In der
Tendenz sind wir uns einig gewesen und haben einstim-
mig zugestimmt, dass der Antrag der Bundesregierung
Unterstützung findet und wir diese ILO-Konvention end-
lich auch in Deutschland ratifizieren können. Der Bun-
desregierung sei Dank dafür ausgesprochen, dass sie die
Vorarbeiten dafür hervorragend geleistet hat.
Die ILO-Konvention beschreibt einen doppelten Auf-
trag: Die Unterzeichner und Unterzeichnerinnen ver-
pflichten sich einerseits, in ihren jeweils nationalen Be-
reichen und andererseits im internationalen Kontext dafür
Sorge zu tragen, dass die Beseitigung der Kinderarbeit
vorrangiges Ziel sein muss und dafür unverzügliche und
umfassende Maßnahmen einzuleiten sind.
60 Staaten hatten dieses Abkommen bis Anfang des
Jahres bereits ratifiziert. Indien, ein Land, in dem Kinder-
arbeit in der Teppichindustrie angeprangert wird, und
Länder wie Angola, Burundi, die Demokratische Repu-
blik Kongo oder beispielsweise der Sudan und Uganda, in
denen der Einsatz von Kindern als Soldaten immer noch
möglich ist, fehlen auf dieser Liste. Wir sollten alles dafür
tun, dass auch sie dieses Abkommen ratifizieren.
Trotz vieler Widerstände auch aus den Entwick-
lungsländern bei der Erarbeitung dieses Abkommens
konnten bemerkenswerte Ergebnisse erzielt werden. Das
Wichtigste ich glaube, das können wir alle begrüßen
ist die gemeinsame Definition dessen, was unter den
schlimmsten Formen der Kinderarbeit zu verstehen ist.
Es wurden vier Kategorien genannt.
Erstens benennt das Abkommen alle Formen der Skla-
verei wie den Verkauf von Kindern, den Kinderhandel, die
Schuldknechtschaft, die Leibeigenschaft und die Zwangs-
oder Pflichtarbeit einschließlich der Zwangs- oder
Pflichtrekrutierung von Kindern für den Einsatz in be-
waffneten Konflikten, also den so genannten Kindersol-
daten, über die wir hier sprechen.
Zweitens fallen unter die schlimmsten Formen der
Kinderarbeit das Heranziehen, Vermitteln und Anbieten
eines Kindes zur Prostitution und zur Herstellung von
Pornographie. Man mag es kaum glauben.
Drittens wird das Heranziehen, Vermitteln oder Anbie-
ten eines Kindes zu unerlaubten Tätigkeiten, insbeson-
dere zur Gewinnung von und zum Handeln mit Drogen,
genannt.
Viertens ist jede Arbeit verboten, die ihrer Natur nach
oder aufgrund der Umstände, unter denen sie verrichtet
wird, voraussichtlich für die Gesundheit, die Sicherheit
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Dr. Norbert Blüm
18019
oder die Sittlichkeit von Kindern schädlich ist, wie bei-
spielsweise die Arbeit von Kindern in der Teppichindus-
trie.
Bemerkenswert ist auch, dass sich die Mitglieder der
ILO auf die Altersschutzgrenze von 18 Jahren einigen
konnten. Damit konnte nämlich der Standard, den die UN-
Kinderrechtskonvention vorgibt, erhalten werden und
auch in diesen Bereichen Anwendung finden. Ich glaube,
es ist in Ordnung, wenn ich hier sage: Wir fordern, dass
diese Schutzgrenze auch in anderen Bereichen, wie zum
Beispiel beim Flüchtlingsstatus und bei der Asylbean-
tragung, eine ungeteilte Gültigkeit erlangt.
Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich weiter,
Kindern, die aus der schlimmsten Form der Kinderarbeit
befreit wurden, eine freie Grundbildung zu gewähren
und ihnen möglichst auch eine Berufsausbildung zu er-
möglichen. Wir wissen, dass die soziale Eingliederung
unter gleichzeitigem Eingehen auf die Bedürfnisse der
Familie eine wirkungsvolle Möglichkeit ist.
Sehr wichtig und besonders zu begrüßen ist die Einbe-
ziehung von Nichtregierungsorganisationen in die Pla-
nung und Durchführung von Aktionsprogrammen zur
Bekämpfung von Kinderarbeit. Denken wir an die Arbeit
von Misereor, des Roten Kreuzes, von Terre des hommes,
aber auch an diejenigen, die durch faire Handelsbezie-
hungen mit dazu beitragen, Produkte, die ohne ausbeu-
terische Kinderarbeit hergestellt werden, zu vermarkten:
die Welthungerhilfe, die gepa und TRANSFAIR.
Bei allen Bestrebungen, gegen die schlimmsten For-
men der Kinderarbeit vorzugehen, sind wir uns doch alle
darin einig, dass Kinderarbeit größtenteils durch Armut
verursacht wird.
Mit dem Aktionsprogramm 2015 hat die Bundes-
regierung einen neuen Weg eingeschlagen. Jenseits aller
Ressortpolitik hat sie die Bekämpfung der Armut zum
Programm der gesamten Regierung erklärt. Dies trägt zu
einer kohärenten und nachhaltigen Zielerreichung, so wie
wir sie immer fordern, bei. Ich freue mich, dass dies erst-
mals in der Bundesrepublik gelungen ist. Die Zustim-
mung und aktive Mitarbeit der Kirchen und Nicht-
regierungsorganisationen zeigt, dass der Weg, den wir
gehen, richtig ist.
Wir setzen auf Bildung und Qualifizierung von Kin-
dern und Erwachsenen. Wir sehen die langfristigen Lö-
sungen in einem nachhaltigen Wirtschaftswachstum und
einer nachhaltigen sozialen Entwicklung, an der alle Teile
der Bevölkerung partizipieren müssen. Warum erwähne
ich das alles in dieser epischen Breite? Weil wir genau
deshalb die Initiative begrüßen, die 1995 zur Gründung
von RUGMARK, einer internationalen Initiative gegen
Kinderarbeit in der Teppichindustrie, geführt hat. Ich war
damals noch Bundesvorsitzende beim BDKJ, Herr Blüm;
wir haben diese Initiative außerordentlich unterstützt und
tun es bis heute, auch in der parlamentarischen Debatte.
Es war nicht leicht, die Teppichproduzenten und Tep-
pichhändler sowie die Käuferinnen und Käufer von der
Idee zu überzeugen, zwei Strategien unter dem Dach von
Wirtschaftsinteressen zu vereinen. Durch RUGMARK
ist es erstmals gelungen zuerst in Nepal und dann in
Pakistan , eine Produktkontrolle und Zertifizierung am
Produktionsstandort zu erreichen sowie einen Teil des
Verkaufserlöses für Sozialprogramme für teppichknüp-
fende Kinder und deren Familien bereitzustellen. Gleich-
zeitig ist es durch eine begleitende Öffentlichkeitsarbeit
gelungen, in der indischen, aber auch in der deutschen
Gesellschaft ein Bewusstsein für die Arbeitsbedingungen
von Kindern in den Entwicklungsländern insgesamt und
in der Teppichindustrie im Besonderen zu wecken.
Die Einführung dieses Gütesiegels hat zu mehr
Transparenz und einer Überprüfung der Arbeitsbedingun-
gen geführt; sie hat auch Auswirkungen auf andere Pro-
duktionsbereiche gehabt. RUGMARK wurde zu einem
besonderen Gütekriterium, an dessen Erfolg Herr Blüm,
ich will Ihre Leistung überhaupt nicht schmälern Sie ei-
nen ganz besonderen Anteil hatten, wofür wir Ihnen zu
danken haben.
Nun weiß aber jeder damit kommen wir zu Ihrem
Antrag , der die Bedingungen der Marktwirtschaft kennt,
dass eine solche Initiative nicht nur eine ordentliche An-
schubfinanzierung, sondern auch eine kräftige Regel-
förderung braucht. Diese Regelförderung, Herr Blüm, hat
in dem Haushalt des BMZ bisher mit mehr als 2,5 Milli-
onen Mark zu Buche geschlagen.
Deshalb ist die Frage nicht nur unter haushaltstech-
nischen Gesichtspunkten , wie RUGMARK seitens des
Bundes weiter unterstützt werden soll,
absolut zulässig.
Sehr problematisch ist die Forderung der Union nach
einer mittel- und langfristigen weiteren Förderung. Sie
ist weder entwicklungspolitisch sinnvoll noch instrumen-
tell einsetzbar und Sie wissen das selber nicht finan-
zierbar. Außerdem ist ein Siegel entwicklungspolitisch
nur dann wertvoll, wenn es sich als Instrument einer Ver-
braucherpolitik nach einer gewissen Zeit selber tragen
kann. Nur dann ist die von uns immer so hoch gepriesene
Nachhaltigkeit auch in der Praxis gewährleistet.
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung speziell die Parlamenta-
rische Staatssekretärin, Frau Eid, ist seit Monaten in in-
tensiven Verhandlungen, um die Idee von RUGMARK
unter neuen finanziellen Bedingungen absichern zu hel-
fen.
Eine Fusion mit Care & Fair unterstützen wir seitens
der SPD-Bundestagsfraktion. Dass RUGMARK damit
seine Grundprinzipien nicht aufgeben darf, aber auch
Verhandlungsbereitschaft mitbringen muss das Gleiche
gilt für Care & Fair , liegt auf der Hand. Die Situation ist
ähnlich wie bei Tarifverhandlungen. Sie wissen es ganz
genau: Wer sich in Verhandlungen keinen Millimeter be-
wegt, ist als Verhandlungspartner schnell am Ende.
Die BMZ-Leitung hat eine wertvolle Vermittlungshilfe
geleistet und tut dies auch weiterhin, kann sich aber nicht
zum Anwalt einer Vertragspartei erklären. Anträge der
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Karin Kortmann
18020
Art, wie Sie sie uns vorlegen, helfen in der augenblick-
lichen Situation wenig weiter.
Lassen Sie uns aber die Gemeinsamkeiten festhalten,
die auch für das weitere Verfahren wichtig sind:
Erstens. Wir wollen, dass es weiterhin ein Teppich-
siegel gibt.
Zweitens. Wir wollen, dass sich die Produktionsbedin-
gungen nach wie vor an vereinbarten, transparenten und
überprüfbaren Kriterien messen lassen.
Drittens. Wir wollen, dass die so genannten Mehr-
einnahmen weiterhin für Sozialprogramme zur Verfügung
gestellt werden.
Viertens. Wir wollen, dass es zu einer Ausweitung von
fair geknüpften Teppichen und damit zu einer Reduktion
des Teppichhandels ohne Siegel kommt. Wir wissen aber,
dass wir dazu fünftens eine intensivere Verbrau-
cherinformation brauchen. Wir wollen die Standards
und die Qualität der Prüfungskriterien von RUGMARK
erhalten. Genau deshalb sind diese Verhandlungen nicht
von heute auf morgen, wie Ihr Antrag es suggeriert, zur
Zufriedenheit aller abzuschließen. Ich sehe es schon jetzt
als einen großen Erfolg der Verhandlungen an, dass sich
Care & Fair der Frage von Prüfungen im Herkunftsland
nicht mehr verschließt.
Offen ist das können wir hier im Parlament allerdings
nicht klären : Was ist die geeignetste Rechtskonstruktion
der beiden Organisationen RUGMARK und Care & Fair?
Daraus ergibt sich dann auch, ob und wie eine zukünftige
Förderung über das BMZ sichergestellt werden kann.
Lassen Sie mich die letzten anderthalb Minuten meiner
Redezeit für das Thema Kindersoldaten verwenden. Wir
haben uns mit diesem Thema im Ausschuss für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit wahrlich intensiv beschäf-
tigt. Wir sind uns einig, dass der vor kurzem vorgelegte
Bericht zur internationalen Koordination von Kinder-
soldaten erschreckend ist; denn nach wie vor sind
300 000 Kinder davon betroffen. Die Altersgrenze wird
immer niedriger und man hat den Eindruck, es bewegt
sich kaum etwas, gemessen an dem, was an Hilfepro-
grammen notwendig wäre.
Die entscheidenden Punkte aber, Herr Blüm und Kol-
leginnen und Kollegen von der Union, warum wir Ihrem
Antrag nicht zustimmen können, liegen auf der Hand; das
haben wir deutlich gemacht.
Erstens. Der UN-Generalsekretär, Unicef, der UN-
Hochkommissar für Menschenrechte, der Sonderbeauf-
tragte des UN-Generalsekretärs für Kinder in bewaffneten
Konflikten, viele Regierungen, Regionalzusammen-
schlüsse und Nichtregierungsorganisationen haben im-
mer wieder auf die Schutzaltersgrenze von 18 Jahren
hingewiesen und gesagt: Bitte keine gewaltsame Rekru-
tierung von unter 18-Jährigen! Das ist der entscheidende
Punkt in unserem Antrag: Wir brauchen die Straight 18-
Forderung. Diesen Schritt ist Ihre Fraktion nicht mitge-
gangen.
Zweitens haben Sie als Ultima Ratio gefordert, die fi-
nanzielle Zusammenarbeit mit den Ländern, in denen
keine Veränderungen im Bereich der Hilfe für Kindersol-
daten erfolgen, aufzukündigen. Wir sagen nach wie vor:
Wir werden den Kindern, die unsere Hilfe und Unterstüt-
zung brauchen, diese auch weiterhin gewähren, wir wer-
den dies so weit wie möglich ausreizen und jede Form von
Verhandlung aufrecht erhalten, um mit den Staaten Eini-
gungen zu erreichen.
Wir werden in der Sache am Ball bleiben. Ich hoffe,
dass Sie die Beschlussvorlage des Deutschen Bundesta-
ges von 1999 tatkräftig mitunterstützen.
Zu einer
Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Norbert Blüm
das Wort.
Herr Präsident! Frau
Kollegin, ich will nur klarstellen: Mein Antrag, die Mittel
für Unicef zu blockieren, hat nichts damit zu tun, dass ich
womöglich für eine Reduzierung der Mittel für den
Kampf gegen Kinderarbeit wäre. So weit sind wir noch
nicht. Ich habe diesen Antrag gestellt das würde ich auch
wiederholen , weil sich Unicef im Sudan gegenüber
Nichtregierungsorganisationen, die im Sudan Impfaktio-
nen durchgeführt haben, schäbig benommen hat. Mein
Antrag hat überhaupt nichts mit Kinderarbeit zu tun. Ei-
nen solchen Zusammenhang können Sie nicht herstellen.
Des Weiteren will ich klarstellen: Was die Verhandlun-
gen zwischen Organisationen betrifft hier ist ja empfoh-
len worden, sich zu bewegen , so gibt es bei den Krite-
rien nicht einmal den Spielraum eines Millimeters. Die
Kriterien müssen bleiben, wie sie sind.
Im Übrigen: Hier wird über 80 000 DM für RUGMARK
diskutiert vor dem Hintergrund des großen Haushalts des
BMZ, der sicher noch größer sein könnte, wenn Sie ihn
nicht gekürzt hätten. Damit wird RUGMARK in Bedräng-
nis gebracht: Was passiert, wenn die Fusion nicht zustande
kommt und der Bund kein Geld mehr gibt? RUGMARK
darf aber nicht infrage gestellt werden, sondern braucht
Rückenwind. Ehrlich gesagt, Frau Kollegin, in der Vertei-
digung dieser Maßnahme haben Sie das Soll parteipolitisch
übererfüllt. Das brauchen Sie auch spätabends nicht zu tun.
So muss man sich parteipolitisch nicht verhalten.
Zur Erwi-
derung erhält Frau Kortmann das Wort.
Herr Blüm, ich werfe Ihnen
Folgendes vor: Weil Ihnen die Arbeit von Unicef im Su-
dan nicht gepasst hat, haben Sie mit dem Vorschlag der
Streichung der Haushaltsmittel für Unicef die gesamte
Organisation und deren Arbeit diffamiert. Das nehmen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Karin Kortmann
18021
wir nicht hin und das kritisieren wir weiter, ob es Ihnen
passt oder nicht.
Jetzt hat
das Wort die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Uschi
Eid.
Dr
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Das Ziel des BMZ ist die nachhaltige Bekämp-
fung der Kinderarbeit. Wir unterstützen dieses Ziel mit
großem inhaltlichen und finanziellen Engagement. So
fördern wir zum Beispiel über die Internationale Arbeits-
organisation ein Programm zur Bekämpfung der schlimms-
ten Formen der Kinderarbeit mit 100 Millionen DM. Das
alleine reicht aber nicht. Wir müssen uns auf allen Ebenen
engagieren, um gegen die Ausbeutung von Kindern vor-
zugehen. Dazu gehört auch das Engagement der Verbrau-
cher und Verbraucherinnen, die durch gezielte Nachfrage
zum Kampf gegen die Kinderarbeit beitragen können.
Viele Verbraucherinnen und Verbraucher möchten wis-
sen, ob Produkte wie Teppiche von Kindern unter men-
schenunwürdigen Bedingungen hergestellt worden sind
oder nicht. Damit diese Verbraucher ihren Wunsch nach
nicht von Kindern hergestellten Teppichen umsetzen kön-
nen, brauchen sie glaubwürdige Informationen. Aufge-
klärte Verbraucherpolitik bedeutet heute, dass wir den
Menschen diese Informationen geben. So können sie
durch bewussteres Einkaufen Sozialstandards in Ent-
wicklungsländern fördern.
Zurzeit engagieren sich die beiden Initiativen RUG-
MARK und Care & Fair gegen Kinderarbeit in der
Teppichindustrie. Heute sind wir endlich in einer Situa-
tion, auf die viele schon lange gewartet haben: Beide Ini-
tiativen wollen sich zusammenschließen. Die beiden
Initiativen, Vertreterinnen und Vertreter des Teppichhan-
dels und Nichtregierungsorganisationen haben das BMZ
um eine Mittlerrolle gebeten. Ich habe diese Rolle gerne
in mehreren Gesprächen übernommen. Das letzte ge-
meinsame Treffen fand gerade vor einer Woche statt.
Mit der Fusion von RUGMARK und Care & Fair soll
ein einheitliches Siegel geschaffen werden. Die Zertifi-
zierung gewinnt dadurch an Gewicht und so kann der
Kampf gegen Kinderarbeit verstärkt werden. Gleichzeitig
erlangen kritische Verbraucher und Verbraucherinnen, die
Wert darauf legen, einen Teppich zu kaufen, der ohne aus-
beuterische Kinderarbeit hergestellt worden ist, eine bes-
sere weil vereinfachte Marktübersicht.
Die beiden Organisationen haben sich ausdrücklich da-
rauf geeinigt, dass es wirksame Vor-Ort-Kontrollen ge-
ben soll. Auch die Träger von RUGMARK, nämlich Terre
des Hommes, Brot für die Welt, Misereor und Unicef, un-
terstützen den Plan eines gemeinsamen Siegels. Ich bin
davon überzeugt, dass diese Organisationen wie schon
bisher auf die wirksame Umsetzung des Monitoring drän-
gen werden. Auch aus meiner Sicht sind solche Kontrol-
len unentbehrlich. Deshalb kann ich auch Ihre Sorge ent-
kräften, dass es keine Kontrollen mehr geben soll, das
Siegel also wirkungslos werden würde. Gleichzeitig ha-
ben sich die Hilfswerke Unicef, RUGMARK und Care &
Fair darauf geeinigt, dass zukünftig die Hilfsmaßnahmen
aller Träger in enger Zusammenarbeit durchgeführt wer-
den. Wir werden die Organisationen dabei unterstützen.
Das BMZ hat RUGMARK in den vergangenen sechs
Jahren mit insgesamt 2,5 Millionen DM, zuletzt mit
240 000 DM jährlich, gefördert. Die Förderung wird zur-
zeit fortgesetzt.
RUGMARK und Care & Fair wollen eine Unterstüt-
zung für den möglichen Zusammenschluss, dann aber
weiter ohne öffentliche Zuschüsse arbeiten. Ich bin der
Meinung, dass wir ein solches Vorgehen unterstützen soll-
ten. Mit einem Zusammenschluss von RUGMARK und
Care & Fair entstünde eine viel stärkere Organisation, als
es zurzeit der Fall ist. Sie hätte die Chance, sich in kurzer
Frist selbst zu finanzieren. Durch den geplanten Zusam-
menschluss nehmen wir aus beiden Organisationen das
Beste: die Vor-Ort-Kontrolle und das Wissen hinsichtlich
des Monitorings von RUGMARK und die finanzielle
Selbstständigkeit und Nähe zum Handel von Care & Fair.
So erzielen wir die beste Wirkungskraft, um das zu errei-
chen, was hier mein wichtigstes Anliegen ist: Die Anzahl
der Teppiche, die ein Siegel gegen Kinderarbeit tragen,
würde sich verdoppeln oder gar verdreifachen. Dadurch
würde etwa die Hälfte aller Teppichimporte aus Indien
durch eine unabhängige Nichtregierungsorganisation
überwacht. Damit hätten wir einen großen Schritt bei der
Bekämpfung der Kinderarbeit getan.
Ich danke Ihnen.
Die Rede
von Dr. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger für die
F.D.P. und die Rede von Carsten Hübner für die PDS
werden zu Protokoll genommen.1) Ich schließe die Aus-
sprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/6317 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 15 b, zur Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung auf Drucksache
14/6289 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit
dem Titel Gegen den Missbrauch von Kindern als Sol-
daten.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Karin Kortmann
18022
1) Anlage 8
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksa-
che 14/2243 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? Wer ent-
hält sich? Dann ist die Beschlussempfehlung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen, bei Gegenstimmen
der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Enthaltung der
PDS angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara
Höll, Dr. Christa Luft, Heidemarie Ehlert, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Wiedererhebung der Vermögensteuer
Drucksache 14/6112
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuss
Hier wollen alle mit Ausnahme der Kollegin
Dr. Barbara Höll ihre Reden zu Protokoll geben. Es han-
delt sich um die Redner Lydia Westrich von der SPD-
Fraktion, Gerhard Schulz von der CDU/CSU-Fraktion,
Christine Scheel von der Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen und Professor Gisela Frick von der F.D.P.-Frak-
tion.1)
Ich gebe dann Frau Dr. Barbara Höll das Wort.
Dr. Barbara Höll (von der PDS mit Beifall be-
grüßt): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Inzwischen ist es draußen wieder dunkel. In geübter
Weise diskutieren wir ziemlich spät in der Nacht über ei-
nen Antrag der PDS-Fraktion. Aber vielleicht hilft unser
Antrag zur Wiedererhebung der Vermögensteuer, ein we-
nig Helligkeit in Ihr Denken zu bringen.
Oder verstehen Sie den Antrag als die Lampe, die Ihnen
helfen soll, Ihre Wahlprogramme von 1998 noch einmal
gründlich zu lesen.
Die SPD schrieb damals: Hohe Privatvermögen an
der Finanzierung der Bildung beteiligen. Bündnis 90/Die
Grünen forderten gar eine Reform der Erbschaft- und
Schenkungsteuer, damit eine größere Verteilungsgerech-
tigkeit erreicht wird. So heißt es in ihrem Wahlprogramm:
Das Vermögen, das vererbt oder verschenkt wird,
soll nach seinem tatsächlichem Ertragswert besteuert
werden.
Wir befinden uns im dritten Jahr dieser Legislaturperiode.
Es ist abzusehen, dass von Ihrer Seite nichts geschehen
wird.
Wir diskutieren diesen Antrag der PDS heute ganz
bewusst noch vor der Sommerpause , um Ihnen Zeit zu
geben, bevor wir in die parlamentarische Beratung des
Haushalts des Jahres 2002 eintreten. Dieser Haushalt soll
ja wieder ein so genannter Sparhaushalt sein. Er wird wie-
der damit verbunden sein, dass Länder und Kommunen
genau wie der Bund feststellen müssen, dass das Geld
nicht ausreicht, um die öffentliche Daseinsvorsorge
tatsächlich ordentlich realisieren zu können.
Mit unserem Antrag zur Wiedererhebung der Vermö-
gensteuer zeigen wir Ihnen eine mögliche wesentliche
Quelle zur Finanzierung gesellschaftlicher Aufgaben
auf. Das wäre ein konkreter Beitrag gegen das immer stär-
kere Auseinanderdriften von Arm und Reich in der Bun-
desrepublik Deutschland. Gerade die Einkommens- und
Vermögenspolarisierung und ihre Zunahme ist eben kein
Schreckensmärchen vonseiten der PDS, sondern bittere
Realität. Das belegt der jüngste Reichtums- und Armuts-
bericht.
Das wirklich Schlimme daran ist, dass auch die rot-
grüne Regierung in den Jahren ihrer Verantwortlichkeit
durch ihre Steuerpolitik zu einem weiteren Auseinander-
driften zwischen Arm und Reich beigetragen hat. Die
Zahlen sind von meiner Seite und vonseiten der PDS in
den letzten Monaten oft genannt worden, aber man kann
sie scheinbar nicht oft genug nennen. Ich will nur zwei
Punkte ansprechen; vielleicht prägen Sie sie sich ein.
Durch die Senkung des Körperschaftsteuersatzes auf
25 Prozent gehen dem Bund rund 63 Milliarden DM, den
Ländern 57 Milliarden DM bis zum Jahr 2006 verloren,
durch die Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen je-
weils 7 Milliarden DM seitens des Bundes und der Län-
der. Das heißt: Es fehlen Ihnen Milliarden in zweistelliger
Größenordnung zur Erfüllung dringender Aufgaben.
Wir lesen, dass Bündnis 90/Die Grünen ein neues Fami-
lienprogramm auflegen will. Wir hören morgen wird es
Realität werden , wie gern doch die SPD das Kindergeld
erhöhen würde, nicht nur um 30 DM, sondern wenn sie
könnte sogar um 40 oder 50 DM. Warum tun Sie es dann
nicht? Sie verzichten freiwillig auf Finanzierungsquellen
und erzählen uns dann, dass für Familienpolitik kein Geld
da ist.
Unser Antrag zeigt Ihnen deutlich auf, wie man es ma-
chen könnte, wie man tatsächlich Geld für fehlende Kin-
derbetreuung, für den Aufbau von Infrastruktur und für die
Beseitigung von grundlegenden Mängeln in der Schulbil-
dung einnehmen würde. Das sind wesentliche Grundlagen
für die Zunahme von Armut in der Bevölkerung und ins-
besondere von Armut und damit erheblich schlechteren
Startbedingungen für Kinder und Jugendliche.
Ich sage es noch einmal eindeutig: Dieser Antrag ist
eben nicht die Ausgeburt einer Neiddiskussion. Wir wol-
len nicht, wie es in der Bild-Zeitung vermutet wurde,
die Perlenkette besteuern oder Oma ihr klein Häuschen
wegnehmen. Das ist alles Blödsinn. Es geht darum, die
wirklich Vermögenden in unserer Gesellschaft entspre-
chend dem Grundgesetz stärker zur Finanzierung ge-
sellschaftlicher Aufgaben heranzuziehen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
18023
1) Anlage 9
Den Handlungsspielraum dafür haben wir, weil Sie mit
Ihrer Steuersenkungspolitik eben nicht nur alle entlastet
haben, sondern Sie haben die Besserverdienenden und die
ertragsstarken Unternehmen überdurchschnittlich entlas-
tet. Damit ist Handlungsspielraum vorhanden.
Natürlich ist das wahr; das wissen Sie auch.
In unserem Antrag zeigen wir Ihnen auf, wie eine wirk-
lich maßvolle Besteuerung möglich wäre, von 0,5 bis
3 Prozent. Vermögen bis 200 000 DM pro Person bleiben
steuerfrei. Oma ihr klein Häuschen als selbst genutztes
Wohneigentum bleibt natürlich aus jeglicher Besteuerung
außen vor. Aber aufgrund einer solchen maßvollen Be-
steuerung wäre es möglich, 15 Milliarden DM bis 20 Mil-
liarden DM jährlich einzunehmen. Nach den Programmen
der SPD und der Grünen würden für den Aufbau einer be-
darfsgerechte Kinderbetreuung etwa 15 Milliarden DM
benötigt.
Kommen
Sie bitte zum Schluss, Frau Höll.
Also: Werden Sie aktiv!
Entschließen Sie sich zur Vermögensbesteuerung! Ent-
schließen Sie sich zur Verwirklichung Ihres Wahlpro-
gramms! Dann haben Sie für den Aufbau einer ordentli-
chen Kinderbetreuung auch Finanzierungsquellen.
Ich
schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/6112 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika
Griefahn, Jörg Tauss, Doris Barnett, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der SPD sowie der
Abgeordneten Grietje Bettin, Kerstin Müller
, Rezzo Schlauch und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Digitale Spaltung der Gesellschaft überwinden
eine Informationsgesellschaft für alle schaffen
Drucksache 14/6374
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auch hierzu sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden. Es handelt sich um die Reden der Kolleginnen
und Kollegen Monika Griefahn und Jürgen Tauss von
der SPD-Fraktion, Dr. Martina Krogmann von der CDU/
CSU-Fraktion, Grietje Bettin vom Bündnis 90/Die Grü-
nen, Hans-Joachim Otto von der F.D.P.-
Fraktion, Angela Marquardt von der PDS und Staatsmi-
nister Dr. Julian Nida-Rümelin für die Bundesregierung.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/6374 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
zur Anpassung bestimmter Bedingungen in der
Seeschifffahrt an den internationalen Standard
Drucksache 14/6455
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Tourismus
Auch hierzu sollen alle Reden zu Protokoll gegeben
werden. Es handelt sich um die Reden der Kolleginnen
und Kollegen Annette Faße, SPD-Fraktion, Wolfgang
Börnsen , CDU/CSU-Fraktion, Gila Altmann,
Bündnis 90/Die Grünen, Hans-Michael Goldmann,
F.D.P.-Fraktion, und der Parlamentarischen Staatssekre-
tärin Angelika Mertens für die Bundesregierung.2) Die
PDS hat keine Rede zu Protokoll gegeben. Sie will aber
auch nicht reden, wie ich höre.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 14/6455 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? Das ist der Fall.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Freitag, den 6. Juli 2001, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.