Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001
        Dr. Barbara Höll
        18024
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        1) Anlage 10
        2) Anlage 11
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001 18025
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Berninger, Matthias BÜNDNIS 90/ 05.07.2001
        DIE GRÜNEN
        Dr. Blens, Heribert CDU/CSU 05.07.2001
        Bleser, Peter CDU/CSU 05.07.2001
        Brudlewsky, Monika CDU/CSU 05.07.2001
        Deß, Albert CDU/CSU 05.07.2001
        Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 05.07.2001
        Freitag, Dagmar SPD 05.07.2001
        Friedrich (Altenburg), SPD 05.07.2001
        Peter
        Glos, Michael CDU/CSU 05.07.2001
        Gloser, Günter SPD 05.07.2001
        Götz, Peter CDU/CSU 05.07.2001
        Grießhaber, Rita BÜNDNIS 90/ 05.07.2001
        DIE GRÜNEN
        Günther (Plauen), F.D.P. 05.07.2001
        Joachim
        Hintze, Peter CDU/CSU 05.07.2001
        Kampeter, Steffen CDU/CSU 05.07.2001
        Kasparick, Ulrich SPD 05.07.2001
        Klappert, Marianne SPD 05.07.2001
        Dr. Lamers (Heidelberg), CDU/CSU 05.07.2001
        Karl A.
        Müller (Jena), Bernward CDU/CSU 05.07.2001
        Pieper, Cornelia F.D.P. 05.07.2001
        Ronsöhr, CDU/CSU 05.07.2001
        Heinrich-Wilhelm
        Rossmanith, Kurt J. CDU/CSU 05.07.2001
        Schindler, Norbert CDU/CSU 05.07.2001
        Schlee, Dietmar CDU/CSU 05.07.2001
        Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 05.07.2001
        Hans Peter
        Schultz (Everswinkel), SPD 05.07.2001
        Reinhard
        Sorge, Wieland SPD 05.07.2001
        Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 05.07.2001
        Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 05.07.2001
        Wiese (Hannover), SPD 05.07.2001
        Heino
        Wöhrl, Dagmar CDU/CSU 05.07.2001
        Anlage 2
        Erklärung nach § 31 GO
        des Abgeordneten Volker Kröning (SPD) zur Ab-
        stimmung über den Änderungsantrag zur Bera-
        tung des Entwurfs eines Gesetzes über verfas-
        sungskonkretisierende allgemeine Maßstäbe für
        die Verteilung des Umsatzsteueraufkommens,
        für den Finanzausgleich unter den Ländern so-
        wie für die Gewährung von Bundesergänzungs-
        zuweisungen (Maßstäbegesetz  MaßstG) in der
        Ausschussfassung (Drucksachen 14/6581)
        Die Befristung des Maßstäbegesetzes, das die Verfas-
        sung konkretisieren und abstrakte, langfristige Vorausset-
        zungen für konkrete, auf Sicht änderbare Folgen im Fi-
        nanzausgleichsgesetz regeln soll, steht im Widerspruch
        zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11. No-
        vember 1999, das der Gesetzgeber umzusetzen hatte. Der
        Befristungsantrag entbehrt jeder Begründung, die den
        Vorgaben des Gerichts standhalten könnte; seine Entste-
        hung konterkariert die Sorgfalt, mit der der Sonderaus-
        schuss beraten hat.
        Damit wird im Streit um den bundesstaatlichen Finanz-
        ausgleich kein Rechtsfrieden geschaffen und das Gesetz
        seiner Ordnungsfunktion für nächste Reformschritte be-
        raubt. Dies ist bedauerlich, da das Maßstäbegesetz im-
        merhin ein Schritt in Richtung auf mehr Transparenz und
        Rationalität der Finanzausgleichsgesetzgebung ist, die
        Bemessungsbasis und die Leistungs- und Anreizorientie-
        rung des Ausgleichssystems erhöht, eine konsistente Me-
        thode der Ermittlung des Finanzbedarfs von Gemeinden
        und Ländern einführt, die innerstaatliche Verbindlichkeit
        der Stabilitätskriterien der Europäischen Union garantiert
        und die in der Finanzverfassung nicht vorgesehene Auf-
        gabe der vollen finanzwirtschaftlichen Integration von
        Ost- und Westdeutschland löst.
        Vor diesem Hintergrund ist sogar der Verzicht auf kon-
        kretisierende Regelungen zur vertikalen Umsatzsteuer-
        verteilung, die das Bundesverfassungsgericht verlangt
        hat, vertretbar, jedenfalls wenn und soweit in Bundestag
        und Bundesrat der politische Wille besteht, den Kern des
        Konflikts  nämlich das Deckungsquotenverfahren und
        entschuldigt bis
        Abgeordnete(r) einschließlich
        entschuldigt bis
        Abgeordnete(r) einschließlich
        Anlage 1
        Liste der entschuldigten Abgeordneten
        Anlagen zum Stenographischen Bericht
        die föderale Lastenverteilung für die Familienförderung 
        noch in dieser Legislaturperiode gesetzlich zu regeln.
        Dass eine parallele Entschließung nicht von CDU/CSU
        mitgetragen wird, ist ein Fanal. Es muss der Zukunft über-
        lassen bleiben, ob der Gesetzgeber seiner Aufgabe als
        Erstinterpret der Verfassung gerecht geworden ist. Der
        Widerspruch, dass die Länder in Kernfragen finanzstaat-
        licher Politik nur zulasten des Bundesgesetz- und
        -budgetgebers einig sind, aber nicht die Kraft zu einer Än-
        derung der Finanzverfassung aufbringen, ist kein Ruh-
        mesblatt für Föderalismus und Parlamentarismus.
        Anlage 3
        Erklärung nach § 31 GO
        des Abgeordneten Jochen-Konrad Fromme
        (CDU/ CSU) zur Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes über verfassungskonkretisierende
        allgemeine Maßstäbe für die Verteilung des
        Umsatzsteueraufkommens, für den Finanzaus-
        gleich unter den Ländern sowie für die Gewäh-
        rung von Bundesergänzungszuweisungen (Maß-
        stäbegesetz  MaßstG) in der Ausschussfassung
        (Drucksachen 14/5951 und 14/6533)
        Ich stimme dem Gesetz zu, weil es kleine Fortschritte
        in Richtung auf Anreiz zur eigenen Strukturverbesserung
        enthält.
        Allerdings wurden bedauerlicherweise ebenso wich-
        tige Ziele nicht erreicht. Die 126 erforderlichen Rechen-
        schritte wurden nicht etwa  im Hinblick auf Vereinfa-
        chung und Transparenz  weniger, sondern am Ende steht
        ein Mehr an Rechenaufwand und damit ein Weniger an
        Transparenz.
        Die wichtige Frage der Ermittlung der Deckungsquote
        wurde überhaupt nicht vorangebracht. Bedauerlicherweise
        wurden dem Ausschuss, entgegen seinem Begehren, nicht
        die unterschiedlichen Standpunkte zu den Deckungs-
        quoten anhand konkreter Beispiele vorgelegt, sodass sich
        der Ausschuss ein Urteil über die Richtigkeit des Stand-
        punktes von Bund und Ländern hätte bilden können. Ent-
        gegen dem eindeutigen Ergebnis der Anhörung erkennen
        die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen den
        von den SPD-Ländern 1996 gegen den Willen der CDU er-
        zwungenen Sonderlastenausgleich bei der Familienförde-
        rung nicht an. Im Hinblick auf die langfristige Vertrauens-
        zerstörung, die dadurch im Verhältnis zu den Kommunen
        stattgefunden hat, halte ich dies nicht für vertretbar. Wer in
        Zukunft, wie wohl die Mehrheit des Deutschen Bundes-
        tages, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenfügen
        will, benötigt dazu das Vertrauen der Kommunen. Wer
        aber die geltende Geschäftsgrundlage in einer so wichti-
        gen Finanzbeziehung zerstört, der verhält sich im Blick
        auf die künftigen Einigungsnotwendigkeiten fahrlässig.
        Zu einer grundsätzlich notwendigen Föderalismusreform
        gehört auch eine Gemeindefinanzreform. Die Chance
        dazu wurde verpasst.
        Stark mit Sorge erfüllt mich die Tatsache, dass die an-
        geblichen Erfolge, die alle von diesem Kompromiss
        profitieren lassen, durch eine Tilgungsstreckung beim
        Fonds Deutsche Einheit erreicht wurden. Der Bund
        streckt die Tilgung für den Fonds Deutsche Einheit und
        kann so den Ländern ihre Tilgungsrate erlassen. Dadurch
        gewinnen die einzelnen Bundesländer zusätzlich Liqui-
        dität, die möglicherweise zur Ausweitung der Haushalte
        benutzt wird und im Ergebnis eine Ausweitung der Staats-
        quote darstellt. Dies ist eine falsche Entwicklung.
        Da praktisch alle Länder die Kommunen bei der Til-
        gung des Fonds Deutsche Einheit im Rahmen des Soli-
        darpaktes I im Verhältnis der Quoten der Steuerein-
        nahmen von Ländern und Kommunen beteiligt haben,
        erwarte ich, dass die Länder dieses nun zurückgeben und
        die Liquidität an die Kommunen abtreten.
        Dadurch, dass der Bund den Fonds Deutsche Einheit
        allein tilgt, hat er auch das alleinige Bestimmungsrecht.
        Ich sehe die Gefahr, dass er in Zukunft sich weitere Li-
        quidität und damit politischen Finanzspielraum erschließt
        und dass er die Tilgung aussetzt, indem der Fonds Deut-
        sche Einheit aus dem Sondervermögen in die allgemeine
        Bundesschuld, die ja bekanntlich nicht getilgt wird, über-
        führt wird.
        Die Beratungsunterlagen für die Endphase hatten mir
        nicht rechtzeitig vorgelegen, sodass ich Schwierigkeiten
        hatte, an einer qualifizierten Diskussion teilzunehmen.
        Die Umdrucke gingen mir erst unmittelbar vor Beginn der
        abschließenden Sitzung zu. Damit fühle ich mich als
        Oppositionsabgeordneter erheblich benachteiligt.
        Anlage 4
        Zu Protokoll gegebene Rede
        zur Beratung der großen Anfrage:
         Verkehrsicherheitslage 2000 für eine nationale
        Verkehrssicherheitskampagne
        der Beschlussempfehlungen und Berichte:
         Frontpartien von Fahrzeugen europaweit
        fußgängersicher gestalten
         Nationale Verkehrssicherheitskampagne 
        Sonderprogramm für junge Autofahrerinnen
        und Autofahrer zur Verhinderung von alkohol-
        und drogenbedingten Verkehrsunfällen
         Überprüfung von Kraftfahrzeugen nach Unfall-
        reparaturen
         Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen im
        Fahrzeugerlaubniswesen
        (Tagesordnungspunkt 11 a bis e)
        Dr. Winfried Wolf (PDS): Die hier zur Debatte ste-
        henden Anträge und die Beratung der Großen Anfrage ha-
        ben alle die Sicherheit im Straßenverkehr im weiteren
        Sinn zum Thema. Real geht es um jährlich rund
        7 700 Menschen, die im Straßenverkehr getötet werden,
        um mehr als 500 000 Verletzte jährlich, darunter um
        rund 100 000 Menschen, die in diesem Straßenverkehr
        schwer verletzt werden. Seit der deutschen Einheit
        und einschließlich dieses Jahres 2001 wurden knapp
        100 000 Menschen in diesem Straßenverkehr getötet und
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 200118026
        (C)
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        (A)
        (B)
        rund eine Million Menschen schwer verletzt. Von den
        Letztgenannten haben viele körperliche und psychische
        Schäden bis zum heutigen Tag.
        Die Anträge und die Große Anfrage zielen damit auf ei-
        nen Bereich, von dem der Wissenschaftler und ehemalige
        Hamburger Wissenschaftssenator Klaus Meyer-Abich
        sagte: Die mörderischste zivile Technik, die es je gege-
        ben hat, ist das Auto.
        Anträge wie derjenige der CDU/CSU, wonach die
        Frontpartien von Fahrzeugen europaweit fußgängerge-
        recht gestaltet werden sollen, wirken vor dem Hinter-
        grund dieser Straßenverkehrsrealität eher makaber, erle-
        ben wir doch gerade bei der PKW-Modellentwicklung
        den entgegengesetzten Trend: In der zunehmenden Zahl
        von Geländewagen, oft mit Rammschutz ausgestattet,
        steckt ein menschenverachtender Zug. Einige dieser Wa-
        gen  so das US-Modell Hummer  haben inzwischen
        eine Bodenfreiheit, bei der kleine Kinder buchstäblich
        komplett unter die Räder geraten können; die Person am
        Steuer hat einen derart eingeschränkten Blickwinkel und
        -horizont, dass direkt vor dem Auto befindliche oder in
        den PKW hineinlaufende junge Menschen kaum wahr-
        zunehmen sind. Doch all das hat den Zulassungsstempel
        des TÜV.
        Nun wird zu Recht darauf verwiesen, dass wir Zeugin-
        nen und Zeugen eines rückläufigen Trends der Verkehrs-
        opfer seien. Richtig ist: Die Zahl der Straßenverkehrstoten
        und -verletzten hat in den letzten fünf Jahren erheblich ab-
        genommen. Und das ist natürlich erfreulich. Dabei sollten
        allerdings die folgenden Momente beachtet werden:
        Erstens. Diese Entwicklung erwies sich nur vor dem
        Hintergrund der schrecklichen Steigerungen der Ver-
        kehrsopferzahlen nach 1990 als rückläufig. Das war aber
        eine außergewöhnliche Verzerrung zum Schlechteren.
        Zweitens. Im Jahr 1999 ging die Zahl der Getöteten nur
        noch um 0,6 Prozent zurück; die Zahl der Unfälle und die
        Zahl der Verletzten stieg jedoch (um 4,8 Prozent bei den
        Unfällen mit Personenschaden). Von daher könnte es sein,
        dass wir im Augenblick eine Trendwende erleben und
        dass der erfreulich rückläufige Prozess ausläuft.
        Drittens. Wir sollten weiterhin im Auge behalten, dass
        die Zahl der Verkehrsopfer weiterhin nach einer spezifi-
        schen Definition ermittelt wird, die teilweise die Realität
        beschönigt. Danach gilt ein Getöteter nur dann als
        Straßenverkehrsopfer, wenn er binnen eines Monats an
        den Unfallfolgen stirbt. Die moderne und ständig verbes-
        serte Unfallmedizin hat aber dazu geführt, dass eine
        größere Zahl von Menschen, die im Straßenverkehr ver-
        unglücken, erst nach dieser Frist stirbt und dann nicht
        mehr als Straßenverkehrsopfer registriert wird. Andere
        Staaten  so die USA  haben hier weiter greifende Defi-
        nitionen vorgenommen und gelangen daher bereits aus
        statistischen Gründen zu einem höheren Blutzoll im
        Straßenverkehr.
        Ein besonderes Augenmerk muss nach Auffassung der
        PDS der länderspezifischen Entwicklung gelten. Leider
        geht darauf die Große Anfrage nicht ein. Weiterhin gibt es
        ein extremes Gefälle zwischen zwei neuen Bundesländern
        und den übrigen Bundesländern: In Mecklenburg-Vor-
        pommern und Brandenburg lag 1999 die Zahl der Getöte-
        ten je 1 Million Einwohner beim Doppelten der Zahl, die
        für andere Flächenstaaten gilt. Da der Flächenstaat Sach-
        sen im Vergleich zu Mecklenburg-Vorpommern nur halb
        so viele Verkehrstote aufweist, handelt es sich nicht oder
        nicht primär um ein Phänomen, das mit einem Ost-West-
        Vergleich zu beantworten ist. Auch erscheint es mir frag-
        lich, dass es allein die Alleebäume sind, die für den hohen
        Blutzoll in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg
        verantwortlich sein sollen. Hier sollte in Zusammenarbeit
        mit den betroffenen Ländern, die bereits spezielle Pro-
        gramme zur Verkehrssicherheit durchführen, angesetzt
        werden, um die Verkehrsopferzahlen massiv zu senken.
        Und ein Fällen der Alleebäume ist hier aus unserer Sicht
        keine Lösung.
        Ein Blick über die Grenzen zeigt: Die Zahl der im
        Straßenverkehr Verletzten und Getöteten kann noch mas-
        siv gesenkt werden. In Schweden und Großbritannien
        liegt beispielsweise die Zahl der Straßenverkehrstoten bei
        60 Prozent dessen, was wir in unserem Land zu beklagen
        haben. Die Unfälle mit Personenschäden machen in Dä-
        nemark nur ein Drittel des bundesdeutschen Niveaus aus.
        Zweifellos gibt es unterschiedliche Gründe für diese
        Differenzen. Sicher ist, dass eine allgemeine Verkehrsbe-
        ruhigung und eine allgemeine Verlangsamung des Ge-
        schehens im Straßenverkehr in jedem Jahr Hunderten
        Menschen das Leben retten und Zehntausenden Men-
        schen Verletzungen ersparen würde.
        Bei der Beantwortung der Großen Anfrage von
        CDU/CSU fällt ein Aspekt auf: Die Bundesregierung
        meidet das Thema Tempolimit, insoweit es um eine allge-
        meine Geschwindigkeitsbegrenzung geht. Selbst bei der
        konkreten Frage zur Europäischen Union und deren Vor-
        schlägen in Sachen Verkehrssicherheit taucht das Thema
        Tempolimit nicht auf. Tatsächlich schlägt die EU vor, die
        Tempolimits zu verallgemeinern und weiter zu senken. In
        unserem Land stünde hier als erster Schritt an, ein allge-
        meines Tempolimit auf Autobahnen durchzusetzen. Dabei
        geht es nicht allein um die Autobahnen. Ein solcher
        Schritt wäre auch ein Signal für den gesamten Straßen-
        verkehr und würde verkehrsberuhigend, also Menschen-
        leben schonend, wirken.
        Anlage 5
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Anträge:
         6. Forschungsrahmenprogramm 20022006
        (6. FRP)  Europäische Forschung stärken
         6. Forschungsrahmenprogramm 20022006
        (6. FRP) Transparenter und unbürokratischer
        gestalten  KMU besser einbeziehen  Europä-
        ische Energieforschung weiter ausbauen
        (Tagesordnungspunkt 12, Zusatztagesordnungs-
        punkt 10)
        Bodo Seidenthal (SPD): Philippe Busquin, For-
        schungskommissar der Europäischen Union hat Recht,
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001 18027
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        wenn er fordert, dass die Forschungs- und Wissenschafts-
        politik in allen EU-Staaten zur politischen Priorität wird.
        Er stellt weiter fest: In Deutschland und Großbritannien
        ist dies in den letzten beiden Jahren deutlich zu beobach-
        ten. Recht hat er, der Forschungskommissar, denn die Bil-
        dungs- und Forschungspolitik hat unter Bundeskanzler
        Gerhard Schröder und der zuständigen Ministerin
        Edelgard Bulmahn wieder den Stellenwert erhalten, der
        ihr zusteht.
        Damit die Bilanz Europas zu den Vereinigten Staaten
        und Japan verbessert wird, bedarf es weiterer Antrengun-
        gen der EU-Mitgliedstaaten. Das 6. Forschungsrahmen-
        programm sieht deshalb für den Zeitraum 2002 bis 2006
        17,5 Milliarden Euro vor. Festzuhalten ist, dass der For-
        schungsministerrat am 26. Juni 2001 ein Erfolg für die
        Mitgliedstaaten war. Die SPD-Bundestagsfraktion unter-
        stützt ausdrücklich die von der Bundesregierung vorge-
        nommene Schwerpunktsetzung; die von Staatssekretär
        Catenhusen vorgetragenen sieben Punkte sind ein Schritt
        in die richtige Richtung.
        Wegen der Kürze der Zeit möchte ich zu folgendem
        Stellung nehmen: Mobilität und Verkehr; Fusionsfor-
        schung; Zusammenführung nuklearer/nichtnuklearer Teil;
        Raumfahrt und sozioökonomische Begleitforschung.
        Insbesondere den Fragen von Mobilität und Verkehr
        wird eine Schlüsselrolle für die zukünftige Entwicklung
        der EU zukommen. Vorrangiger Handlungsbedarf für die
        Integration des (erweiterten) Europa hat deshalb die
        Verknüpfung der Verkehrsträger und nationalen Systeme
        zu einem integrierten nachhaltigen Verkehrssystem höchs-
        ter Effizienz. Dabei misst die SPD-Fraktion der Nach-
        haltigkeit des Verkehrs eine große Bedeutung zu. Deshalb
        setzt sie sich ein für: Forschung und Entwicklung zur
        Minderung von Energieverbrauch und Schadstoffausstoß
        einschließlich der Nutzung alternativer Energien im Sinne
        der Erfüllung des Kioto-Protokolls; Reduktion von Lärm
        und Erschütterungen; Sicherheit im Verkehr; neue Mate-
        rialien, Leichtbau und Ultraleichtbau einschließlich
        Strategien für umweltgerechte Entsorgungskonzepte bei
        allen Verkehrsmitteln; Nanotechnologien und Mecha-
        tronik und Verkehrsnachfrage und Verkehrsbeeinflussung
        und sozioökonomische Fragestellungen.
        Zur Fusionsforschung möchte ich die Ausführungen
        des Staatssekretärs noch einmal bestätigen: Die Budget-
        absenkung im jetzigen Kommissionsvorschlag und die
        damit verbundene Konzentration auf ITER darf nicht
        dazu führen, dass die Finanzierung Erfolg versprechender
        Forschungsarbeiten wie des Wendelstein 7-X reduziert
        wird. Wir wissen auch, dass der Verhandlungsprozess
        noch nicht abgeschlossen ist. Ich bin davon überzeugt,
        dass die Kontinuität aller Erfolg versprechender Optionen
        der Fusionsforschung gewährleistet bleiben muss.
        Der Vorschlag der Kommission zur Verwirklichung
        des Europäischen Forschungsraums ist zweigeteilt, weil
        nach dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Atom-
        gemeinschaft nur der Rat über das Forschungsprogramm
        zu befinden hat und keine Beteiligung des Europäischen
        Parlaments vorgesehen ist, während über den nichtnu-
        klearen Teil des Rahmenprogramms sowohl das Europä-
        ische Parlament als auch der Rat beschließen müssen.
        Nach Art. 7 EAGV gilt Einstimmigkeit, während nach
        EG-Vertrag das Mehrheitsprinzip und Mitentscheidungs-
        verfahren auf den nichtnuklearen Teil des Programms an-
        gewendet werden. Wir fordern die Bundesregierung auf,
        bei zukünftigen Verhandlungen darauf hinzuwirken, dass
        dieses zusammengeführt wird.
        Wir freuen uns, dass im Bereich Raumfahrt die Vernet-
        zung mit der ESA weitergeführt und die Umsetzung der
        beschlossenen gemeinsamen europäischen Raumfahrt-
        strategie auf dem nächsten Ministerrat thematisiert wird.
        Auch wir halten, wie die Ministerin, GMES-Initiative für
        Global Monitoring for Enviroment and Security für ein
        zentrales Element der gemeinsamen europäischen Welt-
        raumstrategie. Eine zügige Umsetzung und Fortentwick-
        lung ist von großer Bedeutung.
        Angesichts der rasanten Fortschritte auf den Gebieten
        der Biotechnologie und der Informations- und Kommuni-
        kationstechnologien muss der sozioökonomischen Be-
        gleitforschung mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.
        Für Forschungen im Bereich Ethik und für den öffentli-
        chen Diskurs zu den ethischen Fragen vor allem der Bio-
        medizin sollten ausreichend Mittel in das Programm ein-
        gestellt werden.
        Für uns ist die Verwirklichung des Europäischen For-
        schungsraumes notwendiger und dringlicher denn je. Er
        ist die zentrale Komponente beim unionsweiten Aufbau
        der Wissensgesellschaft im Hinblick auf die Förderung
        von Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäfti-
        gung, eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums und des
        sozialen Zusammenhalts. Dabei geht es nicht allein da-
        rum, die wissenschaftliche Zusammenarbeit und die Ko-
        ordinierung der Forschung zu fördern, sondern auch den
        Austausch und die Zusammenarbeit zwischen sämtlichen
        Beteiligten in Politik, Verwaltung, Wirtschaft sowie den
        Verbrauchern voranzutreiben. Besonders erfreulich ist es,
        dass sich in den letzten Jahren ein breiter Konsens auf den
        europäischen Räten herausgebildet hat.
        Mit ihrem Antrag möchte die SPD-Bundestagsfraktion
        die bislang erfolgreichen Verhandlungen der Bundesre-
        gierung unterstützen und unseren Beitrag für einen erfolg-
        reichen Abschluss des 6. Forschungsrahmenprogramms
        leisten.
        Erich Maaß (Wilhelmshaven) (CDU/CSU): Vom
        Grundsatz ist der 6. Europäische Forschungsrahmenplan
        zu begrüßen, stellt er doch eine thematische Konzentra-
        tion auf die prioritären Bereiche der Forschung dar. Den-
        noch besteht erheblicher Klärungsbedarf hinsichtlich der
        unpräzisen und teilweise schwammig formulierten
        Absichtserklärungen in diesem 6. Rahmenplan. Dazu ei-
        nige Beispiele:
        Erstens die Überschneidung der EU-Forschungsför-
        derung mit den Strukturfonds. Wie soll zweitens die ge-
        meinsame Forschungsstelle aussehen? Drittens das Ver-
        hältnis der Beitrittsländer zum europäischen Mehrwert.
        Viertens die Frage, wie eine höhere Marktrelevanz er-
        reicht werden kann und fünftens, wie der Übergang der
        Verwaltungspraxis vom 5. zum 6. Rahmenplan gestaltet
        werden soll, also kein abrupter Umstieg von bisherigen
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 200118028
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        Förderinstrumenten zu völlig neuen Instrumenten; um
        nun einige Beispiele zu nennen.
        Die Konzentration im vorliegenden Plan auf wenige
        Kernbereiche der Forschung ist ausdrücklich zu be-
        grüßen. Das Ziel muss aber sein, nationale Politik besser
        als bisher mit der Europäischen Union zu koordinieren.
        Beim vorliegenden Antrag der SPD-Fraktion kommt
        einem allerdings der Verdacht, dass es sich um eine
        Wunschliste handelt: schnell formuliert und die Frage der
        Durchsetzbarkeit wird später behandelt.
        Was fehlt, ist vor allem, die schon vorhandenen Über-
        lappungen zwischen nationalen und EU-Programmen zu
        beseitigen und zusätzliche deutsche Wünsche strategisch
        geschickt einzuarbeiten. Eines darf dabei nicht außer Acht
        gelassen werden  und die SPD scheint dieses hier wieder
        zu vergessen : Wir sind nur einer von 16 Mitgliedstaaten.
        Ich fordere daher die Bundesregierung auf, den Dis-
        kussionsverlauf sowohl im Ministerrat, in der Kommis-
        sion als auch im Europäischen Parlament eng mit den Be-
        ratungen hier im Deutschen Bundestag zu verzahnen.
        Drei grundsätzliche Fragen bedürfen einer Antwort:
        Erstens: Will sich Frau Bulmahn wie Frau Künast ver-
        halten und starre deutsche Positionen im Ministerrat ver-
        treten? Deutsche Alleingänge haben sich bisher nie aus-
        gezahlt, zum Beispiel im Bereich der Kernenergie. Die
        Bundesregierung schreibt dazu: Im so genannten Grün-
        buch kommt die Kommission in diesem Kontext zu dem
        Schluss, dass Kernenergie zur Stromerzeugung unerläss-
        lich sei. Diese Auffassung teilt die Bundesregierung
        nicht! Wie wirkt sich diese starre Haltung der Regierung
        auf das europäische Kernfusionsprogramm  ITER  aus
        und wie will man zum Beispiel künftig Freunde für er-
        neuerbare Energien finden?
        Zweitens: Von der Bundesregierung wird eine inhalts-
        arme Darstellung des 6. Forschungsrahmenprogramms
        beklagt. Das reicht nicht aus. Wichtig ist, wie die weitere
        Vorgehensweise aussieht? Haben wir entsprechende Be-
        amte an den richtigen Stellen in der Kommission, die ein-
        flussreich sind, die formulieren und auch rückkoppeln,
        um die deutschen Positionen dort nachhaltig zu vertreten?
        Drittens: Was völlig in der Diskussion fehlt, ist der
        Hilfeschrei des Kommissars Philippe Busquin. Demnach
        fehlen der EU 500 000 Forscher! Welche Lösungsansätze
        haben wir für dieses Problem, können oder wollen wir uns
        an die Spitze der Bewegung setzen? Die bisherigen Vor-
        schläge wie zum Beispiel Rückkehrprämien für Wissen-
        schaftler aus den USA stellen kein adäquates Mittel dar.
        Die Green Card ist auch keine Lösung für dieses riesige
        Problem. Mobilitätsprämien treffen ebenso wenig den
        Kern der Sache, wie die im SPD-Antrag vorgesehene
        Frauenquote ganz sicherlich nicht dazu beiträgt, das Pro-
        blem auch nur ansatzweise zu lösen.
        Viele weitere Beispiele ließen sich anführen und ma-
        chen deutlich, dass der Antrag der SPD-Fraktion ein voll-
        kommen überhasteter Schnellschuss ist.
        Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir
        begrüßen den Ansatz der Europäischen Kommission, ei-
        nen europäischen Forschungsraum zu schaffen. Daher ist
        es nur folgerichtig, dass das 6. Forschungsrahmenpro-
        gramm hierzu dienen soll. Obwohl wir die von Busquin
        vorgeschlagenen drei neuen Instrumente für richtig hal-
        ten, wäre es verkehrt, die bewährten Instrumente des
        5. Forschungsrahmenprogramms einfach wegfallen zu
        lassen. Wir unterstützen daher den Vorschlag der Ministe-
        rin Edelgard Bulmahn, zwei Drittel der Mittel gemäß den
        alten und ein Drittel gemäß den neuen Instrumenten zu
        verteilen.
        Der Vorschlag der EU-Kommission enthält eine
        Reihe weiterer Defizite: Themenübergreifend ersetzt
        der Entwurf den problemorientierten Ansatz des 5. For-
        schungsrahmenprogramms und kehrt zu technokrati-
        schen Ansätzen früherer Programme zurück. Sozial- und
        geisteswissenschaftliche Forschungsansätze finden nur
        am Rande Berücksichtigung.
        Auch inhaltlich gibt es einiges zu kritisieren: Vor allem
        die Energieforschungspolitik der Europäischen Kommis-
        sion steht im Widerspruch zu den Zielsetzungen der
        Mehrzahl ihrer Mitgliedstaaten. Die traditionell atom-
        freundliche Kommission setzt einen starken Akzent auf
        die Renaissance der Kernenergie. So sollen neue Atom-
        reaktoren erforscht und die Kernfusion vorangetrieben
        werden. Dies kann von uns nicht hingenommen werden!
        In den letzten Jahrzehnten wurden etwa zehnmal mehr
        Mittel für die Nuklearforschung ausgegeben als für nicht
        nukleare Energien. Dennoch ist die Atomenergie global
        nicht über einen Anteil von 5 Prozent an der Primärener-
        gie hinausgekommen. Die Atomforschung ist damit ein
        Forschungsflop.
        Diesen Flop will die Kommission bei der Kernfusion
        wiederholen. Bei der Fusion wird, wie seit Jahrzehnten,
        frühestens in 50 Jahren mit einer Nutzung gerechnet. Der
        Primärenergieanteil der Kernfusion soll in 100 Jahren
        etwa bei 5 Prozent liegen. Diese Geldverschwendung darf
        nicht fortgesetzt werden. Dem Steuerzahler sind weder
        Forschungsmittel für neue Atomreaktoren noch für den
        Kernforschungsreaktor ITER zuzumuten. Die Sonderbe-
        handlung der Atomenergie in Euratom muss beendet
        werden. An die Stelle von Euratom muss ein neuer Ener-
        gievertrag für erneuerbare Energien, nämlich Eurenew,
        treten.
        Doch leider scheint die Kommission ihre eigenen Ziele
        im Bereich erneuerbarer Energien nicht zu kennen, die
        vor allem im Weißbuch niedergeschrieben sind. lm Kom-
        missionsentwurf sind offensichtlich weniger Mittel für er-
        neuerbare Energien und Energieeffizienztechnologien
        vorgesehen, als dies in früheren Programmen der Fall war.
        Schlimmer noch: Es wird sogar versucht, gleich mehrere
        Technologien der erneuerbaren Energien, wie zum Bei-
        spiel die Windenergie und die solarthermische Stromer-
        zeugung sowie den gesamten Bereich des Energiesparens,
        aus der Förderung zu streichen.
        Einem Missverständniss ist offensichtlich die F.D.P.
        unterlegen, die nicht nur weiterhin Steuermittel für die
        Kernforschung verschwenden will, sondern auch die fos-
        silen Energieträger erforscht sehen will. Die F.D.P. über-
        sieht, dass dies mit dem Forschungsschwerpunkt der
        Brennstoffzelle geschieht. Die Brennstoffzelle hat we-
        sentlich bessere Potenziale und einen wesentlich höheren
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001 18029
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        Forschungsbedarf als die Kraftwerkstechnologie. Die
        F.D.P. begrüßt in ihrem Antrag die Konzentration auf
        wenige prioritäre Bereiche. Warum sie in der konventio-
        nellen Kraftwerkstechnologie eine Priorität für staatliche
        Forschungsförderung sieht, ist nicht nachvollziehbar.
        Aber auch außerhalb der Energieforschung weist der
        Kommissionsvorschlag Defizite auf: Bei der Gesund-
        heitsforschung wird zu einseitig auf die Gentechnik ge-
        setzt. Alle übrigen Forschungsansätze in der Gesundheits-
        forschung sollen nur bei wenigen Krankheitsbildern
        Berücksichtigung finden. Für die Agrarwende und die Le-
        bensmittelsicherheit werden nur unzureichend For-
        schungsmittel zur Verfügung gestellt.
        Es besteht somit noch in einer Reihe von Punkten Än-
        derungsbedarf beim 6. Forschungsrahmenprogramm. Ge-
        meinsam mit der SPD fordern wir die Bundesregierung
        daher in unserem Antrag auf, im Sinne der rot-grünen For-
        schungspolitik dafür einzutreten, dass die Mittel für
        Atomforschung gesenkt werden und die Forschung für
        neue Reaktorlinien eingestellt wird, dass deutlich mehr
        Mittel für erneuerbare Energien und Energieeffizienz als
        für die Atomforschung ausgegeben werden und hierzu die
        Mittel für den Bereich Nachhaltige Entwicklung aufge-
        stockt werden, dass neben den bereits laut Entwurf för-
        derfähigen Brennstoffzellen, der Photovoltaik und der
        Biomasse auch solarthermische Kraftwerke, geothermi-
        sche Kraftwerke, Windenergie, Kleinwasserkraft und
        Meeresenergie gefördert werden, dass Universitäten und
        kleinere Forschungsinstitute sowie Unternehmen in ange-
        messener Form partizipieren können, dass der Ansatz der
        Gesundheitsforschung über die Genomforschung hinaus-
        geht und unter anderem um die Gesundheitsvorsorgefor-
        schung verbreitert wird, dass die Mittel für Lebensmittel-
        sicherheit und ökologischen Anbau zu erhöhen sind, dass
        die Forschung im Bereich Nachwachsende Rohstoffe
        aufgenommen wird, dass die sozioökonomische For-
        schung gestärkt und die Forschung auf den Gebieten der
        Geistes- und Sozialwissenschaften stärker berücksichtigt
        wird und dass der problemorientierte Ansatz des 5. For-
        schungsrahmenprogramms beibehalten wird.
        Ulrike Flach (F.D.P.): Europa wächst zusammen  das
        gilt immer mehr auch im Bereich der Forschung. Es entsteht
        ein europäischer Forschungsraum mit grenzüberschreiten-
        der Kooperation, in dem mit Hochgeschwindigkeit an den
        aktuellen Fragen der Zeit gearbeitet werden kann.
        Das sechste Europäische Forschungsrahmenpro-
        gramm für die Zeit von 2002 bis 2006 ist mit einem Vo-
        lumen von 17,5 Milliarden Euro gut ausgestattet. Die
        Konzentration auf wenige prioritäre Felder vermeidet die
        Fehler des Vorgängerprogramms.
        Der Antrag der Koalitionsfraktionen ist auf den ersten
        drei Seiten eine reine Nacherzählung des Programms.
        Den nachfolgenden Kritikpunkten können wir im We-
        sentlichen zustimmen und haben selbst in unserem An-
        trag folgende Wünsche an die Bundesregierung formu-
        liert: stärkere Transparenz und Entbürokratisierung des
        Programms, verbesserter Zugang von KMU zu den För-
        derinstrumenten, eine klare Definition der Rolle und der
        Organisation der gemeinsamen Forschungsstelle  die
        Kritik findet sich auch bei Ihnen wieder, aber ich be-
        zweifle, dass eine Verselbständigung viel zur Problemlö-
        sung beiträgt , Vereinfachung und Präzisierung der För-
        derinstrumente  was sollen die Kleinunternehmen und
        kleinen Forschungsinstitute mit der Vorgabe anfangen,
        dass eine kritische Masse von Institutionen zusam-
        menkommen muss , Definition des Begriffes risikorei-
        che Forschung und Beibehaltung auch der alten Förder-
        instrumente. Wettbewerb schaffen wir auch durch
        unterschiedliche Förderungen.
        Dem Koalitionsantrag können wir leider nicht zustim-
        men und zwar aus folgenden Gründen: Sie wollen die
        Mittel für das Euratom-Programm kürzen und die For-
        schung für neue Reaktorlinien einstellen. Bei der Fusi-
        onsforschung wollen Sie Szenarien mit und ohne ITER
        prüfen lassen. Sie bereiten sich auf einen Ausstieg vor und
        Herr Fell würde dies sicher mit großer Freude sehen. Wir
        halten an der Kernfusion als einem wichtigen Element im
        Energiemix der Zukunft fest. Wir stehen zur europäischen
        Bewerbung um ITER und zu den Verpflichtungen bei
        Wendelstein 7-X.
        Uns fehlt in Ihrem Antrag auch eine Forderung nach
        Klärung der Mitwirkungsmöglichkeiten der Nationalstaa-
        ten. In der Stellungnahme der Bundesregierung, die wir
        im Ausschuss beraten haben, steht dies explizit drin und
        wir unterstützen die Bundesregierung hierbei, denn die
        nationale Ebene scheint mir zu wenig in die Förderwege
        eingebunden zu sein.
        Trotz aller Kritik ist das sechste Forschungsrahmen-
        programm auch ein Beispiel für die lernende Region
        Europa, denn die zum Teil gravierenden Fehler des fünf-
        ten Programmes wurden größtenteils vermieden. Ich
        hoffe, dass hier in der Sommerpause noch Gespräche ge-
        führt werden können, um offene Fragen zu klären und die
        deutschen Interessen im europäischen Forschungsraum
        besser zu vertreten.
        Maritta Böttcher (PDS): Die Koalitionsfraktionen
        haben in großer Eile kurz vor der Sommerpause einen An-
        trag zum 6. Forschungsrahmenprogramm der EU einge-
        bracht. Über diesen Antrag kann man nur staunen. Nicht
        nur aufgrund der großen Dringlichkeit der Stellungnahme
        zu einem Dokument, das seit Anfang des Jahres vorliegt.
        Auch die Inhalte des Antrages sind bemerkenswert. Der
        Antrag stellt eine umfassende Kritik des bisherigen Ent-
        wurfs für ein Forschungsrahmenprogramm dar, die in
        weiten Teilen auch von der PDS geteilt wird.
        Wir sind der Auffassung: Das vorliegende 6. Rahmen-
        programm stellt einen Rückschritt gegenüber den im
        5. Rahmenprogramm erreichten Fortschritte dar. Das
        neue Rahmenprogramm ist wieder fast ausschließlich
        technologieorientiert und vernachlässigt sozialökonomi-
        sche Forschungsansätze sowie den Gesichtspunkt der
        Nachhaltigkeit. Problemorientierte und interdisziplinäre
        Ansätze werden zugunsten technologieorientierter Res-
        sortforschung aufgegeben. Die neu vorgesehenen for-
        schungspolitischen Instrumente benachteiligen struk-
        turell sowohl kleine und mittlere Unternehmen,
        Hochschulen und außeruniversitäre öffentliche For-
        schungseinrichtungen gegenüber der Industrie als auch
        kleinere Mitgliedstaaten gegenüber größeren Mitglied-
        staaten der Europäischen Union. Mit der Forschung im
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 200118030
        (C)
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        (B)
        Rahmen von EURATOM werden weiterhin beträchtliche
        öffentliche Mittel  im Umfang von über 1,2 Milliarden
        Euro  für den erklärten Zweck der Förderung der Atom-
        energie ausgegeben. Hoffnungsvolle forschungspoliti-
        sche Ansätze des 5. Forschungsrahmenprogramms wer-
        den aufgegeben  ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, zu
        dem in den meisten Mitgliedstaaten der Union sozialisti-
        sche und sozialdemokratische Parteien regieren.
        Diese Kritik ist leider weder glaubwürdig, noch ver-
        sprechen wir uns davon eine große Wirkung, nicht nur
        weil sie auch inhaltlich in Ansätzen stecken bleibt und in
        mancherlei Hinsicht gegenüber der kritischen Stellung-
        nahme des Bundesrats zum Forschungsrahmenprogramm
        zurückbleibt, sondern auch, weil SPD und Bündnis 90/
        Die Grünen mit ihrer parlamentarischen Initiative offen-
        sichtlich davon ablenken wollen, dass sich die von beiden
        Parteien getragene Bundesregierung auf europäischer
        Ebene  in der Europäischen Kommission und im For-
        schungsministerrat  nicht von entsprechenden inhaltli-
        chen Vorstellungen hat leiten lassen. Den ahnungslosen
        Bürgerinnen und Bürgern soll suggeriert werden, dass die
        Koalition mit der Formulierung von Inhalt, Schwerpunk-
        ten und neuer Struktur des 6. Forschungsrahmenpro-
        gramms nichts zu tun hatte und nun gewissermaßen erst-
        mals mit den Ergebnissen aus Brüssel konfrontiert wird.
        Das ist ein leicht durchschaubares Täuschungs-
        manöver, dem wir nicht auf den Leim gehen werden. Wer
        die politischen Prozesse im Vorfeld der Vorlage des
        6. Forschungsrahmenprogramms einigermaßen beobach-
        tet hat, dem ist nicht entgangen, dass die deutschen Ver-
        treterinnen und Vertreter in der Europäischen Kommis-
        sion sehr wohl und mit Nachdruck ihre Vorstellungen zur
        Ausgestaltung eines europäischen Forschungsraums ein-
        gebracht haben: Sie haben beispielsweise für eine euro-
        päische Raumfahrtstrategie Druck gemacht oder darauf
        gedrängt, die europäische Forschung zu IuK-Technolo-
        gien neu zu strukturieren. Im Ergebnis ist festzustellen,
        dass sich die Bundesrepublik Deutschland bei der Formu-
        lierung des 6. Forschungsrahmenprogramms mit ihren In-
        teressen recht gut durchgesetzt hat. Denn die technologi-
        schen Hauptrichtungen Postgenomics, IuK-Forschung,
        Luft- und Weltraumforschung und Nanotechnologien wa-
        ren gewiss nicht Hauptgegenstand des Interesses der klei-
        neren Mitgliedstaaten.
        In diesem Lichte stellt der Antrag von SPD und Bünd-
        nis 90/Die Grünen nichts anderes als eine offene Kritik
        der Koalitionsfraktionen an der europäischen For-
        schungspolitik der Bundesregierung dar. Dagegen können
        wir nichts haben; dies unterstützen wir im Gegenteil aus-
        drücklich  auch wenn wir uns eine deutlichere Sprache
        gewünscht hätten und diese in den Ausschussberatungen
        einfordern werden. Vermutlich handelt es sich bei dem
        Antrag der Koalitionsfraktionen auch um ein kleines som-
        merliches Wahlkampfgeschenk an die Grünen, die dieses
        zur Linderung von infolge politischer Verrenkungen erlit-
        tener Muskelschmerzen erhalten. Die Grünen möchten
        ihrem Klientel endlich Erfolge in der Wissenschaftspoli-
        tik präsentieren können. Mit dem Koalitionsantrag, der
        die Handschrift des jüngsten Beschlusses des Länderrats
        von Bündnis 90/Die Grünen zum Forschungsrahmenpro-
        gramm trägt, haben sie einen Erfolg schwarz auf weiß do-
        kumentiert. Und ab damit zu den Akten; denn die zum Teil
        richtigen Vorschläge des Koalitionsantrages werden ver-
        mutlich aufgrund der bisher noch unklaren finanziellen
        Deckung einzelner Schwerpunkte des Forschungsrah-
        menprogramms zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr unter-
        zubringen sein.
        Gleichwohl unterstützen wir es, dass sich der Deutsche
        Bundestag mit möglichst klaren Worten für eine sozial-
        ökologische Umorientierung der europäischen For-
        schungspolitik ausspricht und die Bundesregierung dazu
        anhält, den von ihr in den Dreck gefahrenen Karren na-
        mens Forschungsrahmenprogramm wieder in fortschritt-
        liche Bahnen zu lenken.
        Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekretär bei
        der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Die
        Bedeutung der Forschung für die Entwicklung unserer
        Gesellschaft und Wirtschaft ist im nationalen Rahmen an-
        erkannt. Die Bundesregierung hat entsprechend in den
        letzten Jahren ihre Aufwendungen für Forschung sub-
        stanziell erhöht. Umso mehr ist zu begrüßen, dass auch
        vom Europäischen Rat in Lissabon im Frühjahr 2000 ein
        Impuls für die Stärkung der Europäischen Forschung aus-
        gegangen ist.
        In diesem Sinne ist der Diskussionsprozess zu be-
        grüßen, der mit verschiedenen Mitteilungen der Kommis-
        sion im letzten Jahr über das Leitbild eines Europäischen
        Forschungsraumes geführt worden ist. Dabei ist es be-
        sonders erfreulich, dass sich ein breiter Konsens innerhalb
        der Europäischen Union für eine starke Forschung auch
        auf der europäischen Ebene gezeigt hat.
        Wir haben ein ausdrückliches Interesse an einer starken
        Forschung in Europa. Denn nur so kann die europäische
        Wettbewerbsfähigkeit auf dem globalen Markt gesichert
        werden; können globale Probleme wie Aids, Malaria,
        Tuberkulose  die Geißeln der Menschheit  und auch
        globale Umweltprobleme wie die Erwärmung der Erde
        und die Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgasen
        in Umsetzung des Kioto-Protokolls in einer weltweiten
        Zusammenarbeit angegangen werden; erreichen wir eine
        gemeinsame europäische Forschungsidentität, die wir
        brauchen, um weltweit offen und attraktiv für die besten
        Forscher zu sein, damit sie zu uns kommen und hier ar-
        beiten.
        Wir stehen jetzt am Beginn der Halbzeit des 5. EU-
        Rahmenprogramms. Mit einem Gesamtbudget von knapp
        15 Milliarden Euro und einer Fördersumme von circa
        1 Milliarde DM, die pro Jahr von deutschen Antragstel-
        lern eingeworben werden, ist dieses laufende Programm
        schon quantitativ betrachtet ein gewichtiger Faktor in der
        Forschungsförderung. Aber wichtiger als eine rein quan-
        titative Betrachtung ist, dass das Rahmenprogramm in-
        zwischen ein fester Bestandteil der Forschungsförderung
        in Deutschland und in anderen Ländern geworden ist,
        seine Bedeutung deutlich über die bloße Vergabe von
        Fördermitteln hinausgeht, in dem es insbesondere der
        zentrale Kristallisationspunkt zu einer Vernetzung der
        europäischen Forschung und zur Schaffung grenzüber-
        schreitender Zusammenarbeit geworden ist, die konkre-
        ten Förderaktivitäten in den spezifischen Programmen
        insgesamt besser sind als ihr Ruf und insgesamt als
        eine europäische Erfolgsgeschichte bezeichnet werden
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001 18031
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        können. Wir wissen natürlich, dass weitere Verbesserun-
        gen nötig sind, auch im Hinblick auf die zum Teil ab-
        schreckend geringe Erfolgsquote für die Antragsteller.
        Wir sind jetzt mitten in der Vorbereitung des nächsten,
        des 6. Rahmenprogramms 2002 bis 2006 und führen eine
        intensive Diskussion, national und auch auf europäischer
        Ebene. Wir haben einen breiten Konsultationsprozess mit
        allen Beteiligten aus Wissenschaft, Wirtschaft und den
        Ländern begonnen. Auch der Forschungsministerrat am
        26. Juni hat sich schwerpunktmäßig mit den vorliegenden
        Vorschlägen der Kommission für das 6. Rahmenpro-
        gramm beschäftigt.
        Wir wollen mit dem sechsten Rahmenprogramm vor
        allem an den bisherigen Erfolgen anknüpfen und sicher-
        stellen, dass dieses neue Programm einen Beitrag zur
        schrittweisen Umsetzung des Leitbildes des Europäischen
        Forschungsraumes leistet. Unsere Haltung in den laufen-
        den Verhandlungen konkretisiert sich in folgenden sieben
        Punkten.
        Erstens. Wir stehen zu dem politischen Anspruch, die
        EU-Forschungsförderung in ihrer Wirksamkeit und in ih-
        rer strukturbildenden Wirkung in Europa zu erhöhen. Es
        kommt darauf an, die europäische Position im Wettbe-
        werb auf den Weltmärkten zu verbessern, gerade auch auf
        innovativen Zukunftsmärkten in der Informations- und
        Nanotechnologie sowie der Genomik einschließlich der
        Pflanzenwissenschaften.
        Zweitens. Die thematischen Prioritäten sind im Großen
        und Ganzen richtig gewählt. Allerdings sind wir wie auch
        andere Mitgliedstaaten der Auffassung, dass der Bereich
        Nachhaltigkeit, insbesondere die erneuerbaren Energien,
        die Umsetzung des Prinzips des nachhaltigen Wirtschaf-
        tens und die Verkehrsforschung noch stärkere Berück-
        sichtigung finden müssen. Es geht in den Verhandlungen
        auch um das Euratom-Programm. Die Bundesregierung
        wendet sich gegen die Forschung an neuen Reaktorlinien.
        Bei der Fusionsforschung ist für uns klar, dass das Fusi-
        onsexperiment Wendelstein 7 mit EU-Beiträgen in unver-
        änderter Höhe fertig gestellt werden muss.
        Drittens. Neuen Instrumenten der Förderung stehen
        wir aufgeschlossen gegenüber. Sie sollten  nach Erpro-
        bung  desto stärker eingesetzt werden, je mehr auch die
        Forscher sie kennen gelernt und akzeptiert haben. Wir
        müssen aber sicherstellen, dass ein nahtloser Übergang
        vom 5. zum 6. Rahmenprogramm erfolgt. Hier sehen wir
        jedoch  in Übereinstimmung mit der Bewertung aus der
        Wissenschaft, dem BDI, dem Bundesrat und auch unseren
        europäischen Partnern  noch erheblich Klärungsbedarf.
        Bei der Wahl der Förderinstrumente sollte zudem aus-
        schlaggebend sein, welche spezifischen thematischen
        Rahmenbedingungen in den jeweiligen prioritären Berei-
        chen vorliegen. Eine Vorab-Festlegung auf eine aus-
        schließliche Nutzung von Instrumenten wäre aus unserer
        Sicht kontraproduktiv. Dieser Auffassung hat sich die
        Mehrzahl der EU-Mitgliedstaaten angeschlossen.
        Viertens. Die Stärkung der Mobilität unserer Forscher
        ist eine wesentliche Zielsetzung. Wir haben vorgeschla-
        gen, innerhalb der Mobilitätsaktivitäten eine besondere
        Unterstützung für herausragende Nachwuchswissen-
        schaftler vorzusehen, damit sie frühzeitig eigene europä-
        ische Arbeitsgruppen aufbauen können. Mit einem sol-
        chen Instrumentarium, dem Emmy-Noether-Programm,
        haben wir national bereits gute Erfahrungen gemacht.
        Fünftens. Die Beteiligung der KMU ist uns ein wichti-
        ges Anliegen. 15 Prozent der Finanzmittel sollen an KMU
        vergeben werden und dies unterstützen wir. Damit dies er-
        reicht werden kann, müssen die neuen Instrumente der
        Förderung auch so ausgestaltet werden, dass KMU eine
        faire Chance zur Beteiligung haben. Darüber hinaus hal-
        ten wir die themenunabhängigen Maßnahmen zur Kol-
        lektiv- und Kooperationsforschung bei KMU für eine
        wichtige Aufgabe. Und hier ist es besonders erfreulich,
        dass die Erfahrungen, die wir national mit der KMU-Ge-
        meinschaftsforschung gemacht haben, nun auch auf euro-
        päischer Ebene übernommen werden.
        Sechstens. Die Beitrittsländer sind derzeit bereits alle
        dem 5. Rahmenprogramm assoziiert und nehmen auf glei-
        cher Basis wie die EU-Mitgliedstaaten an diesen Pro-
        grammen teil. Damit ist die Forschung Schrittmacher für
        eine Integration der Beitrittsländer in die Europäische
        Union. Wir wollen deshalb, dass die Beitrittsländer auch
        ihre Erfahrungen aus dem 5. Rahmenprogramm und ihre
        Vorstellung über die Gestaltung des 6. Rahmenprogramms
        in die laufenden Vorbereitungen einbringen können.
        Siebtens. Wir wollen, dass integriert in die jeweiligen
        thematischen Prioritäten Aktivitäten unterstützt werden,
        die über die Entwicklung gemeinsamer ethischer Stan-
        dards zu einem Europäischen Werteraum führen. So-
        zial-, Geistes- und Humanwissenschaften einschließlich
        der Technikfolgenabschätzung sind dabei eine wesentli-
        che Aufgabe.
        Das von der Kommission vorgeschlagene Gesamtbud-
        get von 17,5 Milliarden Euro ist ein plausibler Ausgangs-
        punkt für die Diskussionen. Einvernehmen besteht da-
        rüber, dass die Verteilung innerhalb des Gesamtbudgets
        auf die einzelnen prioritären Bereiche noch eingehender
        Beratung bedarf. Die Aussprache unter den Mitgliedstaa-
        ten hat gezeigt, dass bereits ein großes Maß an Überein-
        stimmung in grundsätzlichen Fragen zwischen ihnen be-
        steht. Ich sehe auch viele Gemeinsamkeiten mit den
        Überlegungen, die im Europäischen Parlament diskutiert
        werden. Wir werden dies aufmerksam beobachten und die
        für Herbst erwartete Stellungnahme des Parlaments in die
        Vorbereitungen für unseren Gemeinsamen Standpunkt
        einbeziehen. Ich sehe eine gute Grundlage dafür, ihn im
        Rat im Herbst dieses Jahres beschließen und die Ent-
        scheidung über das 6. Rahmenprogramm zügig im kom-
        menden Jahr herbeizuführen zu können.
        Anlage 6
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Feste Fehmarnbelt-
        Querung  Klarheit und Konkretisierung  öko-
        nomisch geboten, ökologisch sinnvoll (Tagesord-
        nungspunkt 13)
        Dr. Christine Lucyga (SPD): Vor wenigen Wochen
        haben wir in diesem Hause eine Debatte über die Per-
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 200118032
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        spektiven des Ostseeraums als eine der wachstumsstärks-
        ten Regionen Europas geführt. Einig waren wir uns  par-
        teiübergreifend  darin, dass der Ostseeraum mit dem Fall
        des Eisernen Vorhangs eine einmalige Entwick-
        lungschance bekommen hat. Nach 50 Jahren Funkstille
        und politischer Blockade finden die Ostseeländer wieder
        als Partner zueinander, sei es in den Bereichen Kommu-
        nikation und gemeinsame Umweltpolitik, sei es bei der
        Planung gemeinsamer Verkehrsnetze, bei Jugendbegeg-
        nungen oder bei institutioneller und kultureller Zusam-
        menarbeit.
        Und bei alledem stehen wir eher am Anfang einer aus-
        sichtsreichen Entwicklung; denn die EU-Osterweiterung
        wird aller Voraussicht nach weitere Wachstumschancen
        für die Ostseeregion bringen. Wichtig wird im vereinten
        Europa deshalb auch sein, dass die Ostseeregion in hand-
        lungsfähigen Großregionen und mit gemeinsamen, län-
        derübergreifenden Projekten erkennbar ist, um so  wie es
        der Mittelmeerraum erfolgreich vormacht  gemeinsame
        Interessen auch gemeinsam zu vertreten.
        Das alles heißt: Es sind Brücken zu schlagen, Brücken
        im Sinne funktionierender Verkehrsverbindungen. Grund-
        sätzliche Überlegungen dazu gibt es durch die europä-
        ische Verkehrsnetzplanung bereits. Ein wichtiger Ge-
        sichtspunkt dabei muss aber immer sein, dass die Regio-
        nen gleichberechtigte Chancen erhalten.
        Deshalb möchte ich die Aufmerksamkeit auf den ver-
        kehrsgeographisch optimalen Weg von Nord nach Süd
         oder umgekehrt  über die deutschen Ostseehäfen rich-
        ten. Dieser Weg ist erst im Ergebnis der deutschen Teilung
        de facto abgeschnitten worden. Die Teilung Europas in
        zwei einander feindlich gegenüberstehende Blöcke hatte
        dazu geführt, dass veränderte verkehrsgeographische
        Überlegungen Lenkungswirkung entwickelten; denn es
        mussten Grenzen umgangen oder überwunden werden.
        Infrastrukturlücken wurden immer größer, Handelsbezie-
        hungen immer spärlicher.
        Überlegungen zu einer festen Fehmarnbelt-Querung,
        mit der die damals bestehenden Infrastrukturengpässe
        überwunden werden sollten, rühren aus genau jener Zeit,
        mit all ihren politischen und geographischen Beschrän-
        kungen. Erst die Änderung der politischen Vorzeichen seit
        dem Herbst 1989 ermöglichte eine Rückbesinnung auf die
        optimalen natürlichen Verkehrswege von Skandinavien
        nach Mittel- und Osteuropa: den Weg über die Ostsee und
        die deutschen Ostseehäfen.
        Mit leistungsfähigen Hinterlandanbindungen und mit
        der gleichberechtigten Einbeziehung der ostdeutschen
        Länder in die verkehrsgeographische Landkarte können
        die Vorzüge der Regionen tatsächlich genutzt werden;
        denn logistische Stärken setzen sich nicht im Selbstlauf
        durch, sie müssen beweisfähig gemacht werden. Wenn
        also eine Fehmarnbelt-Querung ernsthaft gewollt ist,
        dann muss  schon aus Gründen der Chancengleichheit
        auch eine Stärkung der Nord-Süd-Achse auf direktem
        Wege über die Ostseehäfen erfolgen; denn sonst würde
        die ganze östliche Region Deutschlands verkehrsseitig
        von der europäischen Entwicklung abgekoppelt.
        Das bedeutet für uns: Verkehrskorridore über die Ost-
        see müssen wieder belebt oder neu erschlossen werden.
        Nachdem seit dem Sommer 2000 die Öresund-Querung
        Skandinavien ein Stück weit ins künftige Zentrum Euro-
        pas bringt, bietet es sich geradezu an, bei der anstehen-
        den Neubewertung der transeuropäischen Netze auch im
        Interesse des süd- und südosteuropäischen Hinderlands
        die Nord-Süd-Achse über die deutschen Seehäfen zu
        stärken.
        Eine Achse KopenhagenBerlinPrag über den See-
        hafen Rostock ist nun einmal die kürzeste und schnellste
        Verbindung auf dieser Route, wenn bewährte, traditio-
        nelle Verkehrswege über die Ostsee ihren Stellenwert
        zurückerhalten. Ebenso wäre es denkbar, von Kopenha-
        gen über RostockTrierLuxemburg und weiter eine op-
        timierte Verkehrsachse von Nord nach Südwest und um-
        gekehrt zu schaffen. Dazu müssen der Seeverkehr und
        insbesondere die Fährverkehre auf der Ostsee ihren Stel-
        lenwert behalten. Dass die Fährverkehre über die Ostsee
        nicht nur Sinn machen, sondern ihre Attraktivität ganz of-
        fensichtlich auch gegen die Konkurrenz fester Querun-
        gen behaupten können, zeigt übrigens deutlich das Bei-
        spiel der Öresund-Querung, deren Gewinnerwartungen
        inzwischen deutlich nach unten korrigiert werden muss-
        ten. Der Fährverkehr behauptet nach wie vor seinen Stel-
        lenwert.
        Das zeigt aber auch, dass die finanziellen Risiken für
        den Bau einer Fehmarnbelt-Querung nicht unterschätzt
        werden dürfen. Schon gar nicht dürfen sie dem Steuer-
        zahler überlassen werden, zumal es tragfähige Alternati-
        ven durch verbesserte, schnellere Fährangebote gibt.
        Fährreedereien  ich nenne hier vor allem das deutsch-
        dänische Unternehmen Scandlines  haben entsprechende
        Offerten veröffentlich und sind bereit, das Risiko zu
        tragen. Diese Risikobereitschaft muss auch die Voraus-
        setzung bei potenziellen Betreibern einer Fehmarnbelt-
        Querung sein; denn die öffentliche Hand wäre mit
        der Finanzierung sowie den Folgeinvestitionen bei wei-
        tem überfordert. Es geht hier um ausschließlich private
        Risiken.
        Es gilt also, Risiken, Chancen und Alternativen abzu-
        wägen. Unsere Aufgabe als Parlamentarier ist es, für
        Chancengleichheit der Regionen zu sorgen und das
        Gleichgewicht der Infrastrukturplanung zu wahren, für
        gleichberechtigte Entwicklungschancen der Regionen zu
        sorgen und Möglichkeiten gleichberechtigt abzuwägen.
        In diesem Sinne möchte ich den Nord-Süd-Korridor als
        wichtige Verkehrsader mit in die Bewertung einbringen.
        Reinhold Hiller (Lübeck) (SPD): Die SPD-Bundes-
        tagsfraktion lehnt den vorliegendenAntrag der CDU/CSU
        zu einer festen Fehmarn-Belt-Querung ab.
        Die Bundesregierung und die schleswig-holsteinische
        Landesregierung haben ein großes Interesse an einer wei-
        teren festen Querung zwischen Deutschland und Skandi-
        navien und treiben das Projekt deshalb entschieden voran.
        Festzuhalten bleibt für mich als Bundestagsabgeordneten
        aus Lübeck: Das Land Schleswig-Holstein hat deshalb
        bereits im Dezember 1999 eine positive Stellungnahme zu
        der von der Bundesrepublik Deutschland und dem König-
        reich Dänemark beschlossenen Machbarkeitsstudie abge-
        geben.
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001 18033
        (C)
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        Nicht zu leugnen ist wegen der von CDU und CSU hin-
        terlassenen zerrütteten Staatsfinanzen auch: Das Projekt
        kann wegen der bekannten Haushaltsmisere nur dann er-
        folgreich umgesetzt werden, wenn privates Kapital im
        Rahmen von public private partnership zur Finanzierung
        des Projektes aktiviert werden kann. Die Suche nach ei-
        ner wirtschaftlich vernünftigen Finanzierung ist auf
        gutem Wege. Außer Acht bleiben kann dabei nicht, dass
        die zur Grundlage der Kalkulation der Wirtschaftlichkeit
        und der Finanzierung geschätzten Verkehrszahlen bei der
        Fehmarnsund-Querung bei weitem nicht eingehalten wor-
        den sind.
        Das deutsch-dänische Verkehrsvorhaben Fehmarnbelt-
        Querung ist exakt im verabredeten Zeitplan. Die Ver-
        kehrsminister beider Länder haben im Dezember vergan-
        genen Jahres ein Memorandum über eine gemeinsame
        positive Grundsatzentscheidung über die Fortführung der
        Untersuchungen und die zügige Einleitung eines Interes-
        senbekundungsverfahrens getroffen. Das durch Veröf-
        fentlichung im Bundesanzeiger in Gang gesetzte und
        inzwischen abgeschlossene Interessenbekundungsverfah-
        ren ist auf großes Interesse gestoßen. Mehr als 50 Kon-
        sortien und einzelne Unternehmen haben ihr Interesse an
        einer Durchführung des Projekts bekundet.
        Wichtiger als die nackte Zahl sind die Unternehmun-
        gen, die hinter den Anfragen stehen. Unter den Bewerbern
        finden sich führende Banken, große Bau- und Ingenieur-
        unternehmungen sowie Infrastrukturbetreiber aus ganz
        Europa.
        Nach den bisherigen Planungen werden die deutsche
        und die dänische Seite voraussichtlich im kommenden
        April ein Konzept zur Finanzierung des Baus und zum
        Betrieb einer festen Beltquerung erarbeiten. Bisherige
        Schätzungen gehen von Baukosten in Höhe von zwischen
        2,9 und 4,1 Milliarden Euro aus. Aufgrund der bisherigen
        Resonanz bin ich der festen Überzeugung, dass sowohl
        genügend privates Geld zur Verfügung steht als auch Be-
        reitschaft besteht, dass sich privates Kapital im erforder-
        lichen Umfange an der Finanzierung beteiligen wird. Zu
        klären bleibt, unter welchen politischen und wirtschaftli-
        chen Rahmenbedingungen die private Wirtschaft bereit
        ist, sich an der Finanzierung zu beteiligen.
        Bis Ende 2002 werden die beiden Regierungen eine
        endgültige Entscheidung über die Durchführung des Pro-
        jektes treffen. Sie sehen, die feste Belt-Querung ist im
        Zeitplan. Der in dem Antrag erhobene Vorwurf, dass das
        Projekt von der Bundesregierung und der schleswig-
        holsteinischen Landesregierung abwartend und ohne
        Mut und Elan vorangetrieben wird, hat nichts mit der
        Wirklichkeit zu tun. Deshalb werden wir den Antrag der
        Union auf Drucksache 14/6313 ablehnen.
        Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Am
        15. August 2001 findet wie jedes Jahr die Fehmarnbelt-
        Querung statt; nicht mit Auto oder Bahn, sondern
        schwimmend. Den Rekord von Maria Mato können die
        Regierungen in Kiel und Berlin nicht mehr brechen.
        Maria Mato benötigte 11 Stunden für diese Strecke, die
        Politik steht seit 11 Jahren an der Startlinie und kann sich
        immer noch nicht entscheiden, ob sie ins Wasser springt
        oder nicht. Startangst!
        Der Bundesverkehrswegeplan hätte 2001  in diesem
        Jahr  fortgeschrieben werden müssen. Dazu ist die Bun-
        desregierung verpflichtet. Sie weigert sich, weil sie im
        Wahlkampf 2002 Konflikte vor Ort befürchtet.
        Pro-Entscheidungen für den Ausbau von Verkehrswe-
        gen hier würden von den Bündnisgrünen vor Ort vehe-
        ment bekämpft, Krach gäbe es in der Koalition. Deshalb
        soll der Bundesverkehrswegeplan gegen Recht und Ge-
        setz um drei bis vier Jahre verzögert werden. Verheerend
        für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Statt Investi-
        tionen zu forcieren, wird bundesweit gebremst; zum
        Nachteil von Arbeitsmarkt und der Modernisierung un-
        seres Landes. Das Beispiel Fehmarnbelt-Querung macht
        diese Konfliktvermeidungs-Strategie der Bundesregie-
        rung besonders deutlich. Man arbeitet pro forma an der
        Planung, schiebt dieses Projekt real jedoch auf die lange
        Bank.
        Berlin muss sich der Fehmarnbelt-Querung endlich an-
        nehmen. In dieser Frage sind Klarheit und Konkretisie-
        rung von nöten. Die Bevölkerung auf Fehmarn, die mög-
        lichen Betreiber dieser privat zu finanzierenden Strecke
        und auch die Fährreedereien müssen endlich wissen,
        woran sie sind. Das bereits 1992 in Auftrag gegebene Gut-
        achten belegt eindeutig, diese transeuropäische Verbin-
        dung ist wirtschaftlich geboten, geologisch machbar und
        ökologisch sinnvoll. Aber den Menschen vor Ort Pla-
        nungssicherheit für ihre Zukunftsentscheidungen zu ge-
        ben ist Aufgabe der Politik, ob es bei den Fährrouten
        bleibt oder die Querung kommt.
        Mit dem Ende der Ausschreibungsfrist am 22. Juni ist
        dieses Ostseeprojekt Nummer eins in eine neue Phase ge-
        treten. Jetzt müssen Kiel, Berlin und Kopenhagen ihre
        Karten auf den Tisch legen. Für die knapp 20 Kilometer
        lange Strecke ist ein Brücken-Tunnel-Bauwerk vorgese-
        hen. Es soll je nach Variante zwischen 5,5 und 8,6 Milli-
        arden DM kosten. Für Betrieb und Wartung ist eine
        Summe von circa 200 Millionen Mark jährlich angesetzt.
        Die Realverzinsung des Eigenkapitals soll 7 bis 9 Prozent
        pro Jahr betragen. Gut 30 Jahre wird, nach den Plänen von
        Rot-Grün Maut erhoben, danach fällt das Projekt an den
        Staat zurück.
        Da der Bau zum transeuropäischen Verkehrsnetz
         TEN  gehört, wird er die Schleswig-Holstein-Quote
        beim Bundesverkehrswegeplan nicht belasten. Ob Rot-
        Grün in Berlin diesen Grundsatz anerkennt ist bis heute
        noch nicht geklärt. Keine Aussage von einem der bisher
        drei SPD-Verkehrsminister gibt es, ob der Bund bei die-
        ser Strecke von nationaler Bedeutung zu einem Sonder-
        beitrag bereit ist. Der Kieler Verkehrsminister, Bernd
        Rohwer, hat kürzlich eine bis zu 20 Prozent reichende An-
        schubfinanzierung des Bundes als möglich bezeichnet,
        sein grüner Koalitionspartner an der Förde hat das als un-
        möglich kritisiert mit dem Hinweis auf den Koalitions-
        vertrag, denn der sehe keine Staatsknete für die Beltque-
        rung vor.
        Während sich im Norden ein Koalitionskrach anbahnt,
        läuft uns die Zeit davon. Der Verkehrsstrom aus Skandi-
        navien nach Mitteleuropa, aber auch umgekehrt, nimmt
        rasant zu. In den nördlichen Ostseestaaten boomt die
        Wirtschaft. Bis zu 40 Prozent mehr Verkehr wird für die
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 200118034
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        nächsten zehn Jahre prognostiziert. Da die Belt-Querung
        lahmt, muss der Landkorridor zwischen Hamburg und
        Kopenhagen ausgebaut werden. Vorrangig und zügig ist
        hier zu handeln, will man keine Entwicklungslücke zwi-
        schen Skandinavien und der Bundesrepublik riskieren.
        Wollen wir die imponierenden Wachstumskräfte in der
        Ostseeregion für unser Land nutzen, muss die Verkehrs-
        infrastruktur optimal sein.
        Engpässe bei der Bahn gibt es noch bei Kopenhagen,
        auf der Rendsburger Hochbrücke und vor Hamburg; ab-
        gesehen von den eingleisigen Streckenabschnitten im Kö-
        nigreich Dänemark. Notwendig ist darüber hinaus ein
        sechsstreifiger Ausbau der Autobahn zwischen der Me-
        tropole Dänemarks und der Hansestadt.
        Dänemark drängt auf eine Entscheidung, Deutschland
        verzögert sie.
        Die dänische Wirtschaft hat erst vor wenigen Tagen ei-
        nen Beginn der Belt-Querung bei ihrer Regierung ange-
        mahnt. Seit vielen Monaten wird dieses europäische Pro-
        jekt von der Bundesregierung defensiv betrieben,
        abwartend ohne Elan und Mut.
        Die drei bisher verantwortlichen SPD-Verkehrsminis-
        ter, Müntefering, Klimmt und Bodewig, engagierten sich
        in West und Ost, für den Norden hat es leider kein wirkli-
        ches Interesse gegeben. Dabei verkennt Rot-Grün, dass es
        sich hier um eine Maßnahme von gesamtstaatlicher Be-
        deutung handelt. Das muss anders werden!
        Annähernd zehn Prozent der deutschen Exportwirt-
        schaft gehen in Länder der Ostseeregion, über 100 Milli-
        arden Dollar. Mit den Anrainern des Mare Balticum wird
        mehr Handel betrieben als mit den USA und Japan zu-
        sammen. Für jeden dieser zehn Staaten sind wir der wich-
        tigste Wirtschaftspartner. Das Wachstum des Ostseehan-
        dels kann sich nach Aussage aller Institute, die sich mit
        dem Raum befassen, innerhalb der kommenden 10 bis
        15 Jahr verdoppeln bis verdreifachen, wenn, ja wenn die
        infrastrukturellen Voraussetzungen gegeben sind.
        Eine feste Querung des Fehmarn-Belts gehört zu den
        Eckpfeilern einer solchen möglichen günstigen Perspek-
        tive. Für den Arbeitsmarkt verspricht dieses Handeln
        ebenso eine Stärkung und Erweiterung, wie auch der
        Ostseetourismus gut davon hat. Eine feste Querung des
        Fehmarn-Belts wäre die dritte große Ostsee-Verbindung
        neben der 1997 eröffneten Brücke über den Großen Belt
        zwischen den dänischen Inseln Fünen und Seeland und
        der Öresundquerung von Kopenhagen zum schwedi-
        schen Malmö. Diese Querung wurde am 1. Juli 2000 für
        den Verkehr freigegeben. Auch wenn deren Benutzung
        derzeit noch nicht ausreichend wirtschaftlich ist, weisen
        schwedische wie dänische Regierungskreise bereits jetzt
        auf die strukturellen Impulse hin, die diese Verbindung
        ausgelöst hat. Die von den Zwillingsstädten Kopenhagen
        und Malmø repräsentierte Öresundregion kennzeichnet
        heute mit das höchste Wachstum in Europa, bedingt
        auch durch eine neue Ansiedlungsbereitschaft von Be-
        trieben.
        Solche Impulse, wenn auch nicht in dem Ausmaße,
        sind auch für die Brückenköpfe der Meerenge zwischen
        Fehmarn und dem dänischen Lolland denkbar. Als Vo-
        raussetzung dafür muss die Hinterlandanbindung opti-
        miert werden. Nur 19 Kilometer fehlen, um Kopenhagen
        und Hamburg beinahe in Luftlinie zu verbinden. Statt
        45 Minuten via Fähre würde das Königreich bei einer
        festen Querung in 20 Minuten direkt erreichbar sein. Ge-
        genüber dem Landweg lassen sich etwa 160 km Fahrt-
        strecke einsparen.
        Doch wenn Berlin und Kiel auch das Großprojekt als
        ökologisch machbar erklären, folgenlos wird dieser gi-
        gantische Eingriff in die Natur nicht bleiben. Experten
        erwarten negative Auswirkungen auf die Strömungsver-
        hältnisse im Belt, zusätzliche Flughindernisse für die Vo-
        gelwelt.
        Gegenwärtig wird der Fehmarn-Belt durch eine Fähr-
        verbindung für Fahrzeuge und Personen überquert. Be-
        treiber ist eine deutsch-dänische Reederei. 1999 wurden
        auf den vier eingesetzten Schiffen 5,6 Millionen Passa-
        giere, über 990 000 Pkw sowie mehr als 31 000 Busse und
        259 000 Lkw transportiert.
        Die Prognosen für das Verkehrsaufkommen für das
        Jahr 2010 zeigen, dass eine feste Querung zu einem Zu-
        wachs zwischen 25 und 46 Prozent im Personenverkehr
        gegenüber 1996 führen würde. Bei Beibehaltung des
        Fährbetriebes würde der Anteil nur vier Prozent betragen.
        Im Frachtgeschäft werden noch größere Raten vorausge-
        sagt. Mit fester Fehmarnbelt-Verbindung erhöht sich das
        Güterverkehrsaufkommen bis zum Jahr 2010 um etwa
        129 Prozent auf circa. 16,3 Millionen Tonnen.
        In den Leitlinien für den Ausbau eines transeuropä-
        ischen Verkehrsnetzes TEN  ist die Eisenbahnstrecke
        HamburgKopenhagen als zukünftige Strecke für Hoch-
        geschwindigkeitszüge ausgewiesen.
        Der Bundesverkehrswegeplan sieht im vierspurigen
        Ausbau der Bundesstraße 207 zwischen Oldenburg und
        Heiligenhafen vordringlichen Bedarf, für die Fortset-
        zung bis Puttgarden weiteren Bedarf.
        Weiterhin hat Dänemark im Vertrag mit Schweden von
        1991 über die feste Öresundverbindung zugesagt, dass es
        sich für eine feste Fehmarnbelt-Querung nachhaltig ein-
        setzt. Das blau-gelbe Königreich hat ein erhebliches
        ökonomisches wie ökologisches Interesse, über feste Ver-
        bindungen den Kontinent zu erreichen. So plant bei-
        spielsweise die schwedische Reichsbahn Linien von
        Schweden nach Südwest-Europa und insbesondere nach
        Berlin. Doch um unsere Chancen zu nutzen, müssen wir
        unseren Blick verstärkt auf den Norden richten. Erkenn-
        bar ist, dass es sich bei dem Ostseeraum um eine Boom-
        region handelt, die durch die Querung Mitteleuropa näher
        rückt. Eine Fehmarnbelt-Brücke bedeutet für einen
        Lübecker zum Beispiel, dass er von seiner Stadt aus
        Kopenhagen und Hannover in der gleichen Zeit erreichen
        kann.
        Die 1992 in Auftrag gegebenen staatlichen Gutachten
        zum Bau einer festen Querung des Fehmarnbelts sind ab-
        geschlossen. Danach gibt es für den Bau und Betrieb ei-
        ner Brücken- oder Tunnelkonstruktion zwischen Fehmarn
        und Lolland keine unüberwindbaren technischen und fi-
        nanziellen Probleme. Laut Studie sind Bau und Betrieb
        voll über Nutzungsgebühren finanzierbar.
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001 18035
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        Die derzeitige Bundesregierung wie auch die Landes-
        regierung in Schleswig-Holstein betreiben die Belt-Que-
        rung mit angezogener Bremse. Man wird den internatio-
        nalen Verpflichtungen nicht gerecht.
        Die Aussetzung des Bundesverkehrswegeplans unter-
        läuft die Realisierung dieser international gebotenen
        Maßnahme um bis zu weitere sieben bis zehn Jahre. Da-
        mit genügt die rot-grüne Regierung weder dem Interesse
        des Ostseeraumes noch denen der deutschen und speziell
        der norddeutschen Wirtschaft und damit der Sicherung
        und Schaffung von Arbeitsplätzen.
        Dieses Ostsee-Verkehrsprojekt Nummer eins sollte im
        Bundesverkehrswegeplan einen eigenen Stellenwert er-
        halten. Eine grundsätzliche Entscheidung zum Bau kann
        nur der Bund treffen. Doch der weigert sich und zaudert.
        Da hat die rot-grüne Landesregierung in Kiel doch mehr
        Courage in dieser Frage gezeigt. 1999  neun Monate vor
        der Landtagswahl  werde Tempo bei dem Großprojekt
        gemacht, verkündete man. Der Verkehrsminister führte
        bereits Gespräche mit Baufirmen. Eine Entscheidung
        noch vor der Jahrhundertwende wurde angekündigt.
        Nichts ist aus alledem geworden. Die Beltquerung wurde
        als Wahlkampfthema missbraucht, um ein Modernisie-
        rungsimage zu erhalten. Nicht nur die Wirtschaft in
        Norddeutschland ist tief enttäuscht über eine solche
        Ankündigungspleite, sondern besonders auch unsere
        skandinavischen Nachbarstaaten zweifeln daran, ob der
        Zauderer Deutschland den neuen Weg über die Ostsee
        will.
        Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
        Diskussion um die geplante feste Fehmarnbelt-Querung
        bewegt seit einigen Jahren die Menschen in Schleswig-
        Holstein.
        Gerade im nördlichen Ostholstein mit der Ferieninsel
        Fehmarn hegen viele Menschen Existenzängste, da durch
        den Bau einer festen Beltquerung und einer Verlängerung
        der A 1 quer über die Insel der Tourismus und die Umwelt
        zerstört würde.
        Ich bin in Ostholstein aufgewachsen und ich weiß, dass
        das Kapital dieses Kreises die Landschaft, die Erholungs-
        räume sind. Sie, meine Damen und Herren von der Union,
        wollen mit Ihrem Antrag dieses Kapital zerstören. Die
        Schäden für Flora und Fauna wären beim Bau einer festen
        Querung gravierend. Vor allem aber hätte eine Brücke
        verheerende Folgen für die 50 bis 60 Millionen Zugvögel,
        die den Vogelflugkorridor nutzen.
        Wie unbegründet die Erwartungen mit dem Bau einer
        festen Beltquerung sind, zeigen uns die Nutzungszahlen
        der Öresundbrücke in Dänemark: Die ersten Ergebnisse
        der Verkehrsentwicklung auf dieser festen Querung sind
        ernüchternd. Gerade mal ein Drittel der erwarteten PKW
        und LKW nutzt tatsächlich die Tunnel- und Brückenkom-
        bination und die preisgünstigere Fährverbindung verliert
        nur 10 Prozent des Aufkommens. Das ist eine wichtige
        Lehre für uns auch in Hinblick auf die umstrittene
        Fehmarn-Belt-Querung. Es kommt eben nicht auf mög-
        lichst viel Euphorie an, sondern auf harte wirtschaftliche
        Fakten. Im Gegensatz zum Fehmarnbelt befinden sich
        beiderseits des Öresunds tatsächlich dicht besiedelte Ge-
        biete mit hoher wirtschaftlicher Verflechtung und trotz-
        dem hat die Querung erhebliche Probleme, für die im End-
        effekt die Staatshaushalte gerade stehen müssen.
        Anstatt blind den angeblichen volkswirtschaftlichen
        Nutzen zu bejubeln, sollten Sie die real entstehenden ne-
        gativen Auswirkungen für Schleswig-Holstein und Meck-
        lenburg-Vorpommern, die negativen Auswirkungen für
        die Häfen in Lübeck, Kiel und Rostock, die negativen
        Auswirkungen für den Nord-Ostsee-Kanal und die katas-
        trophalen Auswirkungen für die Werftindustrie und die
        Region Fehmarn/Großenbrode bedenken.
        Als verantwortliche Politiker müssen wir immer über-
        prüfen, wie wir mit dem Geld der Steuerzahler umgehen.
        Anstatt viele Milliarden Mark für ein solches  unwirt-
        schaftliches  Prestigeobjekt zu verschleudern, müssen
        wir uns fragen: Was nützen uns Prestigeobjekte, wenn wir
        den täglichen Stau in den Städten nicht bewältigen kön-
        nen? Das Land, die Wirtschaft, die Bürger, die Umwelt 
        wir alle haben letztlich ein gemeinsames Interesse: effizi-
        ente, bequeme, schnelle, ressourcen- und energiesparende
        Verkehrsmittel. Die bekommen wir nur, wenn wir anfan-
        gen, unsere verfügbaren Mittel so intelligent und effizient
        wie möglich einzusetzen. Für die Kosten der Fehmarn-
        belt-Querung können wir sämtliche Straßenbauprojekte
        und Schienenprojekte in Schleswig-Holstein für die kom-
        menden 30 Jahre finanzieren.
        Die Bundesregierung und die Landesregierung von
        Schleswig-Holstein sollten auch weiterhin klare Aussa-
        gen treffen, dass es keine staatlichen Subventionen für die
        feste Fehmarnbelt-Querung geben wird. Die Finanzie-
        rung hat durch privates Kapital zu erfolgen und das pri-
        vate Kapital ist angemessen am Risiko zu beteiligen. Die-
        ser Beschluss ist bei der gemeinsamen Sitzung des
        Bundes- und Landeskabinett in Kiel bestätigt worden.
        Nur wer bereit ist, eigenes Geld zu investieren, der rech-
        net auch. Alles andere ist mafiöses Abkassieren auf Kos-
        ten der Steuerzahler. Deswegen bestehen wir Grüne auf
        der ausschließlichen privaten Finanzierung einer mögli-
        chen festen Querung  und dies ohne staatliche Kreditab-
        sicherung  und einem optimierten Fährschiffkonzept als
        wirtschaftliche Vergleichsbasis.
        Die Zukunft des Verkehrs liegt auf der Schiene und im
        Schiffsverkehr. Die laufende Bewertung des optimierten
        Fährkonzeptes, das die Firma Scandlines dem Bundes-
        verkehrsministerium vorgelegt hat, und der Vergleich die-
        ses Konzeptes mit einer festen Querung machen immer
        deutlicher, dass ein optimiertes Fährkonzept noch auf
        Jahrzehnte die Verkehrsnachfrage qualitativ gut befriedi-
        gen kann, dabei erheblich kostengünstiger ist und völlig
        ohne staatliche Mittel getragen wird. Wir begrüßen es,
        dass Bundesregierung und Landesregierung solchen Kos-
        ten-Nutzen-Rechnungen mehr Wert beimessen als politi-
        schen Glaubensbekenntnissen.
        Leider ist meine Redezeit zu Ende. Die Menschen in
        Schleswig-Holstein wollen die feste Fehmarnbelt-Que-
        rung nicht. Sie wollen sie nicht, weil ein solches Projekt
        die Arbeitsplätze, den Tourismus und die Umwelt zerstört.
        Meine Damen und Herren von der Union, kommen Sie
        zur Vernunft und lassen Sie uns gemeinsam dieses Geld-
        vernichtungsprojekt beerdigen!
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 200118036
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        Jürgen Koppelin (F.D.P.): Um es im Ergebnis vor-
        wegzunehmen: Die F.D.P.-Fraktion stimmt dem Antrag
        der CDU/CSU-Fraktion zu. Möglicherweise wird auch
        von der SPD der Sinn dieses Projektes gesehen, wenn
        auch die Antwort auf die Kleine Anfrage von CDU/CSU
        von Februar 2000 noch etwas zurückhaltend ausfiel.
        Was aber ist Haltung von Bündnis 90/Die Grünen? Die
        ehemalige Fraktionsvorsitzende im schleswig-holsteini-
        schen Landtag, Irene Fröhlich, hoffte von jeher, dass eine
        private Finanzierung nicht zustande kommen würde. Die
        Landesregierung gab Gutachten in Auftrag und unter-
        suchte. Sie lehnte mit ihrer Mehrheit im Parlament den
        F.D.P.-Antrag ab, die Fehmarnbelt-Querung in den vor-
        dringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplanes auf-
        zunehmen. Dies war im Juli 1999. Bereits drei Monate
        später pustete sie im Landtag vor Begeisterung für das
        Projekt die Backen auf. Im Dezember 1999 beschloss der
        rot-grüne Koalitionsausschuss in Schleswig-Holstein, die
        feste Querung sei technisch machbar, verkehrlich sinn-
        voll und habe voraussichtlich einen gemeinschaftlichen
        Nutzen.
        Intern jedoch macht der grüne Partner von Heide
        Simonis Stimmung gegen das Zukunftsprojekt: Im För-
        derwind, dem Rundbrief der schleswig-holsteinischen
        Landtagsfraktion schreibt der derzeitige Grünen-Frak-
        tionsvorsitzende sinngemäß, das Projekt rechne sich
        nicht, weder Fern- noch Regionalverkehr seien in der
        Lage, die Kosten einzuspielen. Er kommt zu der Schluss-
        folgerung, es sei zwar verständlich, dass sich die Schwe-
        den eine Fehmarnbeltbrücke wünschten. Aber da sie nicht
        bereit seien, etwas dafür zu zahlen, müssten wir das nach
        unseren eigenen Notwendigkeiten entscheiden. Die
        strukturpolitische Bewertung dieser Äußerungen über-
        lasse ich Ihnen.
        Ich befürchte jedoch, auch im Bundestag werden wir
        diese Spiel erleben: Die SPD wird das Projekt  mögli-
        cherweise verhalten  begrüßen. Die Grünen werden, wie
        meistens, nicht offen widersprechen, weil dafür ihre Kraft
        nicht mehr reicht. Was sie jedoch sicher tun werden  un-
        abhängig davon, wie sie sich gegenüber ihrem Koalitions-
        partner bekennen  ist, den Bau zu verschleppen.
        Unter diesen Gesichtspunkten: insgesamt ein Ja der
        F.D.P. zur Fehmarnbelt-Querung, aber dennoch im Mo-
        ment keine rosigen Aussichten.
        Dr. Winfried Wolf (PDS): Dort, wo sich die Natur der
        Globalisierung in den Weg stellt, entdecken einige stets
        einen erheblichen Bedarf für milliardenschwere Beton-,
        Stahl- und Erdbewegungen.
        Als Erstes wurde befunden, England bedürfe einer
        festen Anbindung an Kontinental-Europa. Prompt wurde
        der Eurotunnel gebaut. Sodann wurde festgestellt, die Py-
        renäen hemmten die Handelsfreiheit. Inzwischen wird
        dieses Gebirge zwischen Frankreich und Spanien unter-
        tunnelt. Sodann wurde der Spruch Nieder mit den Alpen,
        freier Blick aufs Mittelmeer modifiziert. Der Sperrriegel,
        den diese Erhebungen zwischen Mittel- und Südeuropa
        bilden, wird mit gewaltigen Tunnelbohrungen gesprengt.
        Die Schweiz wurde zum Ja genötigt, unter dem Lötsch-
        berg und dem Gotthardt werden gigantische Alpentunnel
        gebaut. Dann taten die Round-Table-Industriellen kund,
        dass sich die Ostsee  völlig regelwidrig  zwischen
        Dänemark und Schweden geschoben habe. Ergo wurde
        das Projekt Scanlink entwickelt und im Sommer 2000 war
        es so weit: Mit großem Tamtam wurde eine gigantische
        Brückenverbindung über die Insel Seeland eröffnet.
        Doch all dies ist nicht genug. Nun wollen einige
        Schweden und Dänemark direkt an Norddeutschland an-
        binden, und zwar mittels Tunnel, Brücken oder beidem,
        quer über die dänische Insel Falster, den Fehmarn-Belt
        direkt zur Insel Fehmarn.
        Halten wir uns an das Gutachten, das zur festen
        Fehmarn-Querung bereits vorliegt! Die Angaben dort be-
        nennen die Probleme klar. Sollte dieses Projekt realisiert
        werden, dann könnte es gut ein halbes Jahrhundert dau-
        ern, ehe der Nutzen dieses Projekts dessen Kosten über-
        steigt. Bis dahin aber würden neue Kosten entstehen,
        wenn die Haltbarkeitszeiten der Brücken- und Tunnel-
        bauwerke überschritten sind und wenn dann noch einmal
        kräftig in Erhaltung und Sanierung zu investieren wäre.
        Für eine direkte Querung des Fehmarnbelts sind bereits
        acht Varianten angedacht. Je nach Ausführung wird mit
        Planungs- und Baukosten zwischen 6 und 9 Milliar-
        den DM gerechnet. Interessant dabei ist, dass die billige-
        ren Ausführungen später deutlich erhöhte jährliche Be-
        triebskosten bedeuten können. Beispielsweise würde eine
        ungenügende Schienenlösung der Bahn jährlich zusätzli-
        che Betriebskosten von bis zu 150 Millionen DM besche-
        ren und ihr dauerhaft Wettbewerbsnachteile verpassen.
        Überhaupt würde ein solches Projekt zusätzliche
        Strecken- und Trassenausbauten auf deutscher wie däni-
        scher Seite notwendig machen, die in den geschätzten
        Baukosten noch gar nicht berücksichtigt sind. Das Projekt
        ist wirtschaftlich unsicher.
        Anders als es uns der Antragstext der Unionsfraktion
        weismachen will, läge die jährliche Rendite je nach
        Ausführungsvariante nur zwischen minus 0,2 und plus
        7,8 Prozent. Deshalb wird es schwierig werden, dieses
        neue Milliardending zu finanzieren bzw. das Geld dafür
        am Kapitalmarkt zu besorgen.
        Bei den Zeitwertanalysen erreicht keine der acht Vari-
        anten hinreichende Nutzen-Kosten-Vorteile. Die Protago-
        nisten einer festen Belt-Querung helfen sich daher mit
        einem Griff in die Trickkiste: Sie unterstellen beson-
        dere Zeitwerte für Fehmarnbelt-Passagiere. Dies wäre
        eine offenbar besser gestellte Benutzergruppe, mit ho-
        hen Zeitkosten, die etwa beim doppelten dessen liegen,
        was beim  veralteten  Bundesverkehrswegeplan zu-
        grunde gelegt wird. Unter dieser doppelten Zeitbewertung
        hätte übrigens der Absenktunnel mit drei Autospuren
        und einem Gleis angeblich die besten Voraussetzungen.
        Zum Verkehrswert ist festzustellen: Die Scanlink-Ver-
        bindung, die letzten Sommer über Jütland nach Schweden
        eröffnet wurde, bedeutet nur rund 160 Kilometer Umweg,
        wenn man sie mit der Querung des Fehmarnbelts ver-
        gleicht. Auf ausgebauten Schienen- und Straßenwegen
        macht das einen zeitlichen Mehraufwand von weniger
        als zwei Stunden aus. Dies rechtfertigt keine zusätzlichen
        Euro-Milliarden für neue Brücken, neue Tunnel, neue
        Autobahnen und neue Hochgeschwindigkeits-Bahn-
        strecken quer über die Ostsee.
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001 18037
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        Deshalb ist eine zusätzliche, feste Ostseequerung ab-
        zulehnen. Sie würde die teure Scanlink über Jütland, die
        nur die Hälfte des erwarteten Verkehrs aufweist, allemal
        unwirtschaftlich machen.
        Anlage 7
        Zu Protokoll gegebenen Reden
        zur Beratung des Antrags: Kulturföderalismus in
        Deutschland erhalten (Tagesordnungspunkt 14)
        Eckhardt Barthel (Berlin) (CDU/CSU): Der F.D.P.-
        Antrag suggeriert, dass es in dieser Bundesregierung und
        der sie tragenden Koalition jemanden gäbe, der den Kul-
        turföderalismus infrage stellt. Das ist schlichter Unsinn!
        Es ist doch gerade der Föderalismus, der die Vielfalt und
        den Reichtum der Kulturen Deutschlands mit befördert
        hat. Es gibt eben nicht die Kulturhauptstadt in Deutsch-
        land, es gibt  falls man diesen Begriff überhaupt be-
        mühen will  viele Kulturhauptstädte. Heißen sie Ham-
        burg oder Dresden, München oder Weimar, Frankfurt
        oder Berlin usw., usw. Und auch die häufig abwertend, ja
        bösartig mit dem Begriff Provinz abgestempelten Kul-
        turräume präsentieren einen hohen Kulturstandard. Eine
        kurze Reise, etwa nach Cottbus, belehrt alle metropoli-
        tanen Hochnäsigen eines Besseren.
        Föderalismus setzt die Einsicht voraus, dass durch in-
        haltlich und institutionell abgestimmte Wahrnehmung
        von Aufgaben sachgerechter und effizienter gehandelt
        werden kann. Niemand bezweifelt dies! Strittig wird es
        bei der systematischen Abschichtung der jeweiligen
        Kompetenzen von Bund, Länder und Gemeinden. Ziel der
        Koalition ist es, bei der Lösung derartiger Abgrenzungs-
        problematiken die widerstreitenden Befindlichkeiten zu
        einem größtmöglichen Ausgleich zu führen. So ist es
        gerade beim Länderfinanzausgleich geschehen. Kultur
        entzieht sich vom Begriff her einer abschließenden Defi-
        nition. Somit gerät man normativ in das Dilemma, be-
        stimmen zu müssen, was staatliches Aufgabenfeld der
        Kulturpolitik ist, ohne die Kultur selbst definieren zu kön-
        nen. Da dies aber nichts Neues ist, hat die Verfassung in-
        haltliche Aufgabenbereiche und institutionelle Grund-
        strukturen der Kulturpolitik vorgegeben. Sie weist dem
        Bund zum Beispiel explizit das Urheber- und Verlagsrecht
        (Art. 73 Nr. 9 GG) oder etwa die auswärtige Kulturpolitik
        (Art. 73 Nr. 1 i. V. m. Art. 32 GG) zu. Ich möchte betonen:
        originäre Bereiche der Bundeskulturpolitik. Neben die
        geschriebenen Kompetenzen tritt das Recht des Bundes,
        aus der Natur der Sache heraus kulturpolitisch tätig zu
        werden. Dies ist immer dann der Fall, wenn es sich um ge-
        samtstaatliche Repräsentation oder um Kulturgüter von
        national überragender Bedeutung dreht.
        Die Koalition hat mit der Berufung eines Beauftragten
        für Kultur und Medien, aber auch mit der Etablierung des
        Kulturausschusses die Bundeskulturpolitik gestärkt. Dies
         und zugegebenermaßen auch einige Äußerungen zum
        Föderalismus  hat teilweise zu einer Verunsicherung bei
        einigen in den Ländern geführt. Aber ich sage: Die Bun-
        deskulturpolitik ist ein Teil des Kulturföderalismus! Sie
        hat ihren Platz nicht neben oder gar über, sondern im fö-
        deralen System unseres Landes. Die Föderalismusdiskus-
        sion ist verständlicherweise mit dem Regierungs- und
        Parlamentsumzug und der  ich will es einmal so nennen 
        Hauptstadtwerdung Berlins verbunden. Dies beinhaltet
        auch eine Hauptstadtkulturförderung des Bundes  dies
        ist nicht originell und bestand zu Recht auch gegenüber
        Bonn. Aufgabe ist es, die gesamtstaatliche Repräsenta-
        tionsfunktion der Hauptstadt zu erhalten und zu erweitern
        und, ebenso, die Identifikation der Bevölkerung mit ihrer
        Hauptstadt zu vertiefen. Wenn dies über die Kultur ge-
        schieht  was wäre besser dazu geeignet? Das ist mit fi-
        nanziellen Aufwendungen verbunden. Aber nur Ignoran-
        ten, die die Geschichte und Probleme der Stadt und ihre
        heutige Funktion nicht kennen, den kulturellen Reichtum
        und seine Bedeutung für die Kulturnation Deutschland
        unterschätzen, sehen darin ein Föderalismusproblem. Ich
        bin froh, dass der Deutsche Bundestag die Förderung der
        Kultur in der Hauptstadt auch als eine nationale Aufgabe
        definiert hat.
        Bundeskulturpolitik ist vorrangig Ordnungspolitik.
        Unsere gesetzgeberische Arbeit in Bereichen wie zum
        Beispiel der Künstlersozialkasse, dem Urhebervertrags-
        recht und der Buchpreisbindung zeigt dies unmittelbar
        auf. Neben der Ordnungspolitik gibt es für den Bund
         und zwar aus der Natur der Sache heraus  die Mög-
        lichkeit zur Durchführung von Projekten mit überragen-
        der, nationaler Bedeutung. Dies ist ein kleiner, aber ori-
        ginärer Gestaltungsspielraum der Bundeskulturpolitik! Es
        sei daran erinnert, dass der Bund lediglich zehn Prozent
        der gesamten staatlichen Kulturförderung leistet. Auch
        das zeigt die herauszustellende große Bedeutung der Län-
        der, vor allem aber der Kommunen in der Kulturpolitik.
        Manche Gralshüter eines falsch verstandenen Födera-
        lismus fordern locker Finanzierung von Bund, ohne ihm
        Gestaltungsmöglichkeiten zu lassen. Dies widerspräche
        dem Kulturföderalismus! Denn in ihm wurzelt verfas-
        sungsrechtlich nicht nur der Bestand der Kulturhoheit der
        Länder, sondern auch die Kompetenz der Bundeskultur-
        politik samt Gestaltungsauftrag. Der Bund hat auch die
        Aufgabe, ein positives Umfeld für Kunst und Kultur
        zu schaffen. Das große Engagement von Staatsminister
        Julian Nida-Rümelin und zuvor Michael Naumann hat die
        Kulturpolitik ungemein befördert. Über Kultur wird wie-
        der gesprochen. Kürzungen im Kultur-Etat sind nirgend-
        wo mehr so einfach vorzunehmen. Jüngstes Beispiel ist
        die neue rot-grüne Regierung Berlins, die trotz finanziel-
        lem Beinahe-Kollaps im Bereich der Kultur nicht sparen
        möchte. Die kulturpolitische Entwicklung ist auf allen
        Ebenen des föderalen Staates zu merken. Kurz: Die Bun-
        deskulturpolitik stärkt die Kultur vor Ort! Sie bewirkt kei-
        nen Kompetenzverlust der Länder, sondern einen Kultur-
        gewinn!
        Um am Ende nochmals auf den vorliegenden Antrag
        der F.D.P. zurückzukommen: Er gibt letztlich die Situa-
        tion der deutschen Kulturpolitik nach unserer Verfassung
        wieder. Die Koalition handelt entsprechend, damit ist der
        Antrag im Einklang mit der rot-grünen Kulturpolitik.
        Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, zu beschließen, dass
        die Sonne im Osten aufgeht  aber nur dann, wenn jemand
        das Gegenteil behauptet. Statt uns Selbstverständlichkei-
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 200118038
        (C)
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        ten beschließen zu lassen, sollten auch Sie, meine Damen
        und Herren von der F.D.P., lieber den kulturpolitischen
        Kurs dieser Regierung unterstützen.
        Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU): Ob ein förmli-
        cher Antrag im Deutschen Bundestag zur Erhaltung des
        Kulturföderalismus in Deutschland nötig ist, darüber
        kann man streiten. Niemand bestreitet ernsthaft, dass die
        Länder und Gemeinden jeweils originäre Verantwortung
        zur Förderung von Kunst und Kultur haben, und niemand
        will ernsthaft  schon gar nicht mit Aussicht auf Erfolg 
        diese föderale Teilung von Zuständigkeiten im Grundsatz
        verändern oder gar aufkündigen. Gelegentliche Versu-
        chungen des ersten Beauftragten der Bundesregierung für
        Kultur und Medien in dieser Richtung sind spätestens mit
        seinem Ausscheiden aus diesem Amt erledigt.
        In der Verfassungsordnung der Bundesrepublik
        Deutschland ist Kultur eine Gemeinschaftsaufgabe von
        Bund, Ländern und Kommunen. Der Streit zwischen
        Bund und Ländern um die vermeintliche Kulturhoheit
        ist doppelt absurd: Zum einen finanzieren die Kommunen
        fast die Hälfte der öffentlichen Kulturausgaben und damit
        fast genau so viel wie Bund und Länder zusammen, zum
        anderen ist das Verhältnis der Politik zur Kultur kaum
        missverständlicher auszudrücken als durch den Begriff
        der Kulturhoheit. Ein Staat, der der Kultur mit hoheitli-
        cher Gebärde begegnet, ist sicher kein Kulturstaat.
        Unbeschadet der besonderen Verantwortung der Län-
        der für Bildung, Kunst und Kultur hat der Bund von
        Beginn an und unbestritten Aufgaben der auswärtigen
        Kulturpolitik, aber auch der institutionellen oder projek-
        torientierten Förderung kultureller Institutionen und Er-
        eignisse im Inland wahrgenommen. Seit Beginn der 80er-
        Jahre ist die Förderung bis heute im Gesamtvolumen etwa
        verdreifacht worden, besonders intensiv und auffällig im
        Zusammenhang mit der deutschen Einheit.
        Die unbestrittene Verantwortung der Länder und der
        Kommunen insbesondere in der Kulturförderung wird
        durch ein stärkeres kulturpolitisches Engagement des
        Bundes nicht nur nicht beeinträchtigt, sondern im Ergeb-
        nis gestärkt. Der Bund ist zur Sicherung einer flächen-
        deckenden Versorgung mit Kultureinrichtungen  Thea-
        ter, Orchester, Museen, Volkshochschulen, Bibliotheken,
        Musikhochschulen usw.  weder verpflichtet noch legiti-
        miert; zur Sicherung des Erhalts von Denkmälern und
        Kultureinrichtungen von nationaler und internationaler
        Bedeutung ist er nicht nur legitimiert, sondern als Kultur-
        staat auch verpflichtet.
        Die Bundesrepublik Deutschland muss ihr Selbstver-
        ständnis als Kulturstaat in besonderer Weise in ihrer
        Hauptstadt deutlich machen, darf Kulturförderung des
        Bundes aber nicht auf Hauptstadtförderung reduzieren.
        Für die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag
        hat nie im Zweifel gestanden, was die Antragsteller aus-
        drücklich vom Bundestag bestätigt haben wollen: die
        grundsätzlich festgelegte Kompetenzverteilung zwischen
        Bund und Ländern; die in Folge der Wiedervereinigung
        Deutschlands gewachsene Verantwortung für die Erhal-
        tung herausragender deutscher Kulturgüter und -institu-
        tionen; die Verteidigung der Unterschiede nationaler und
        regionaler Kulturen gegenüber den europäischen Institu-
        tionen. Dabei darf allerdings weder die Pflege gemeinsa-
        mer europäischer Kulturtraditionen vernachlässigt noch
        deutsche auswärtige Kulturpolitik auf europäische Adres-
        saten verengt werden.
        Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich
        würde den Antrag der geschätzten Kollegen von der
        F.D.P.-Fraktion verstehen, wenn er in etwa wie folgt
        hieße: Sie wollen die F.D.P. im Föderalismus erhalten.
        Das ist ja ein berechtigtes Ziel und damit haben Sie ja
        auch Probleme, aber Ihren Antrag verstehe ich nun wirk-
        lich nicht. Warum soll der Bundestag etwas bekräftigen,
        was allgemeiner Wille der Verfassungsväter war und von
        keiner Partei bislang bestritten worden ist? Es ist das be-
        liebte Spiel der F.D.P.-Fraktion: Sie bauen sich einen
        Pappkameraden und schlagen auf ihn ein, egal ob Inhalt
        darin ist oder nicht.
        Die rot-grüne Regierung hat den Hauptstadtkulturver-
        trag mit Berlin abgeschlossen. Diese Verpflichtung des
        Bundes gegenüber der Stadt Berlin sind wir im Bewusst-
        sein der rechtlichen Notwendigkeiten und der Verpflich-
        tung des Bundes gegenüber einem Land, in diesem Fall
        gegenüber dem Land Berlin, eingegangen. Diese Ver-
        handlungen haben Zeit gekostet und der desaströse Um-
        gang mit den Finanzen in Berlin zeigt deutlich, dass
        oberste Sorgfaltspflicht in dieser Frage notwendig war. Zu
        keiner Zeit hat die F.D.P. einsehen wollen, dass es mit
        Berlin so schwierig ist; zu keiner Zeit haben Sie nur im
        Ansatz erkannt, mit welchem Partner wir von Bundesseite
        es zu tun hatten. Offensichtlich hat uns die jüngste Berli-
        ner Krise weniger überrascht als Sie. Die jüngste politi-
        sche Entwicklung in der Bundeshauptstadt hat uns leider
        Recht gegeben. Sie wundert es doch noch immer, was hier
        in der Stadt geschehen ist. Wenn man aus dieser Sorg-
        faltspflicht gegenüber einem Bundesland und in der Ein-
        führung eines Kulturstaatsministers eine Gefährdung des
        Kulturföderalismus sieht, befindet man sich auf der glei-
        chen Stufe wie der bayerische Minister Zehetmair, der uns
        als üble Zentralisten und dann als Zerstörer des Kultur-
        standortes Deutschland tituliert.
        Dabei weiß heute jede und jeder: Wir brauchten unbe-
        dingt eine Zuständigkeit auf Bundesebene für die Angele-
        genheiten der Kultur und Medien. Wir haben durch die
        Einrichtung des Amtes des Staatsministers endlich eine
        zentrale Kommunikationsstelle für die Künste, die Kultur
        und die Medien. Schon in dieser Zeit ist unglaublich viel
        geschehen: Es sind nicht nur die Debatten im Feuilleton,
        die uns weiterbringen, es sind die vielen internationalen
        Beziehungen, die uns täglich als aktiven Kulturstandort
        erscheinen lassen. Wäre es möglich gewesen, in Brüssel
        die Buchpreisbindung zu verhandeln, wenn dauernd un-
        terschiedliche Vertreter der KMK dort hätten erscheinen
        müssen? Wird es möglich sein, dem deutschen Film Glanz
        zu verleihen, wenn die Bundesrepublik Deutschland da-
        rüber nur in der Gesamtheit der Länderkulturminister de-
        battieren kann? Deshalb ist Ihr Antrag weit hinter den Er-
        fordernissen der Zeit und entspricht auch nicht den
        europäischen Erfordernissen.
        Uns geht es um den Erhalt und Aufbau des Weltkultur-
        erbes Museumsinsel genauso wie um die Sicherung der
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001 18039
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        Gedenkstätten in diesem Lande  dazu haben wir übrigens
        eine viel beachtete Gedenkstättenkonzeption erarbeitet
        und verabschiedet. Wir Bundeskulturpolitiker haben die
        Künstlersozialkasse reformiert und setzen uns für eine
        Reform der Besteuerung ausländischer Künstler ein. Wir
        votieren zusätzlich zu den eingestellten Finanzen für die
        Stiftung Preußischer Kulturbesitz für die Einrichtung ei-
        ner Bundeskulturstiftung, mit dem Ziel, den Künstlern
        und Künstlerinnen in der ganzen Republik mehr finanzi-
        elle Möglichkeiten zu geben.
        Ich kann nicht erkennen, dass die Regierung, die auch
        unter Federführung der Staatsminister Naumann und
        Nida-Rümelin hervorragende Arbeit leistet, in irgendei-
        ner Weise die Interessen der Bundesländer unterschied-
        lich bewertet oder gar außen vor gelassen hat. Sie wissen
        doch vermutlich selbst, dass circa 60 Prozent der Kultur-
        mittel aus den Kommunen, 30 Prozent aus den Ländern
        kommen und nur 10 Prozent Bundeskulturmittel sind. Wo
        wird da der Kulturföderalismus angegriffen? Ich kann
        Ihrem Antrag in keinem Punkte zustimmen. Er ist rea-
        litätsfern. Deswegen lehne ich ihn in der gebotenen Höf-
        lichkeit ab.
        Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (F.D.P.): Angesichts
        der jüngsten Diskussionen um die Errichtung einer Bun-
        deskulturstiftung und der kürzlich aus den Reihen der
        Koalitionsfraktionen erhobenen Forderung nach einem
        Bundesministerium für Kultur hat unser Antrag höchste
        Aktualität gewonnen. Die öffentliche Debatte um den
        Kulturföderalismus ist geprägt von Ängsten und War-
        nungen vor Kompetenzverlusten seitens der Länder,
        Ängsten vor einem Berliner Zentralismus und be-
        schränkt sich oft auf den lapidaren und abschließenden
        Verweis auf die grundgesetzlich verankerte Kulturhoheit
        der Länder. Die verschiedenen Äußerungen gleichen eher
        der Diskussion um eine Chimäre als einer sachlichen
        Auseinandersetzung und sind vergleichbar einem Streit
        darüber, ob die Innenpolitik oder die Außenpolitik größe-
        res Gewicht verdiene.
        Für die F.D.P. ist die Kulturhoheit der Länder alles an-
        dere als Verfassungsfolklore, wie sie Michael Naumann in
        seiner autokratischen Art genannt hat. Sie ist für uns
        Grundlage der Kulturlandschaft in Deutschland und wird
        es bleiben. Dennoch müssen wir uns über die Aufgaben-
        verteilung und die finanzielle Lastenteilung im Bereich
        der Kultur zwischen Bund und Ländern Gedanken ma-
        chen, aber nicht in Form eines Grundsatzstreits zwischen
        Zentralisten und Föderalisten; denn das Schüren von
        Ressentiments schadet nur der Kultur.
        Die Kulturpolitik steht im 21. Jahrhundert vor neuen
        Aufgaben und es wäre falsch, hierauf nicht zu reagieren.
        Insbesondere die Folgen der deutschen Wiederverei-
        nigung und der fortschreitende europäische Einigungs-
        prozess werfen Fragen und Probleme auf, die nach neuen
        Lösungen rufen. Vor diesem Hintergrund sind auch Über-
        legungen aus den Reihen der Koalitionsfraktionen zur
        Einrichtung eines Bundesministeriums für Kultur kein
        Tabuthema für uns, sondern eine Fragestellung, mit der
        wir uns sachlich auseinander setzen und uns fragen, ob
        eine solche Bündelung der Angelegenheiten der Kultur,
        die bisher über zahlreiche Ministerien verstreut sind, sinn-
        voll und geboten erscheint, aber vor allem auch verfas-
        sungsrechtlich zulässig ist.
        Bedauerlicherweise hat die Bundesregierung auf
        meine entsprechenden Fragen bisher jede Antwort ver-
        weigert. Das halte ich für parteipolitisches Scheuklappen-
        denken, zumal wir Liberalen uns  wie auch der vorlie-
        gende Antrag beweist  diesen Überlegungen unbefangen
        stellen. Klar ist für uns allerdings, dass es kein isoliertes
        Miniministerium mit einem Etat von wenigen Milli-
        arden DM geben und dass die Gesamtzahl der Ministerien
        nicht noch weiter steigen darf.
        Mit unseren Reformüberlegungen wollen wir keines-
        falls den Kulturföderalismus, die Grundlage des kultu-
        rellen Reichtums und der regionalen Vielfalt, infrage stel-
        len. Aber wir müssen auch sehen, dass eine starke
        Interessenvertretung und Finanzierung der Kultur durch
        den Bund sowie die vielfältige und lebendige Kunst- und
        Kulturförderung durch die Länder und Kommunen zwei
        Seiten einer Medaille sind. Seit bald drei Jahren gibt es im
        Deutschen Bundestag wieder einen eigenständigen Kul-
        turausschuss, welchen die F.D.P. schon in der vergange-
        nen Legislaturperiode gefordert hatte. Wir sind der Auf-
        fassung, dass es  über den parteipolitischen Streit
        hinausgehend  gut ist, dass es auf höchster Ebene wieder
        ein Gremium gibt, was sich mit Engagement und Sach-
        verstand der Kultur in unserem Lande widmet. Auch die
        Einrichtung des Amtes eines Beauftragten der Bundes-
        regierung für die Kulturpolitik und die Medien hat  un-
        abhängig von der Person des Amtsträgers  dazu geführt,
        dass die Kultur in Parlament und Gesellschaft stärker
        wahrgenommen und diskutiert wird.
        Auch die Errichtung einer großen Kulturstiftung der
        Bundesrepublik Deutschland wird  wenn auch nicht
        nach dem Konzept des Bundeskabinetts  dazu führen,
        dass die Kultur neue Impulse erfährt, befördert wird, ohne
        dass der Kulturföderalismus dabei Schaden nimmt. Wenn
        der Bund Verantwortung übernimmt, bestimmte, heraus-
        ragende kulturelle Denkmäler oder Einrichtungen in allen
        Regionen Deutschlands finanziell zu fördern und zu un-
        terstützen, soweit dies die zuständigen Kommunen oder
        Länder nicht können, ist dies doch eine Stärkung des Kul-
        turföderalismus, eine Stärkung eben jener Vielfalt, die das
        Ziel der Kulturhoheit der Länder ist.
        Auch die Zahlen belegen, dass die Gefahr vor einer
        Aushöhlung der Kulturhoheit der Länder und die Angst
        vor einer sich verselbstständigenden Kulturpolitik des
        Bundes unbegründet sind: Von den circa 15,7 Milli-
        arden DM, die in Deutschland im Jahr 2000 von staat-
        licher Seite für Kultur zur Verfügung gestellt wurde,
        machte der Etat des Staatsministers für Kultur und Me-
        dien gerade 1,7 Milliarden DM aus. Darin eingeschlossen
        sind bereits die Zuschüsse in Höhe von 580 Millionen DM
        an die Deutsche Welle und von knapp 300 Milli-
        onen DM an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz.
        Generell sollte gelten, dass die Kulturpolitik des Bun-
        des erst dort einsetzen darf, und dann auch muss, wo es
        einem Land oder einer Kommune unmöglich ist, kultur-
        politische Interessen bzw. Verpflichtungen wahrzuneh-
        men. Dies gilt für die auswärtige Kulturpolitik ebenso wie
        für die Bezuschussung von Projekten übergeordneter
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 200118040
        (C)
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        nationaler Bedeutung wie der Wiederherstellung der
        Berliner Museumsinsel oder dem Aufbauprogramm
        Kultur in den neuen Ländern. Die letzten beiden Bei-
        spiele stehen für die zahlreichen Fälle, in denen der kul-
        turelle Reichtum nicht mit der Wirtschaftskraft einer Re-
        gion übereinstimmt.
        Die F.D.P. bekräftigt also die grundgesetzlich fest-
        gelegte Verteilung der Kompetenzen zwischen Bund und
        Ländern. Wir möchten mit unserem Antrag klarstellen,
        dass der Kulturföderalismus eine unantastbare und erfolg-
        reiche Grundlage der deutschen Kulturlandschaft dar-
        stellt. Gleichfalls möchten wir aber auch unterstreichen,
        dass Bundestag und Bundesregierung nicht nur das Recht,
        sondern auch die Verpflichtung haben, kulturpolitische
        Verantwortung dort zu übernehmen, wo dies den Ländern
        und Kommunen nicht möglich ist. Welche Bereiche dies
        im Einzelnen sein können, sollten wir in einer konstruk-
        tiven Diskussion sachbezogen und ohne parteipolitische
        Scheuklappen gemeinsam bestimmen. Hierzu soll unser
        Antrag dienen.
        Dr. Heinrich Fink (PDS): Der vorliegende äußerst all-
        gemein und kurz gehaltene Antrag der F.D.P. ist so inter-
        pretationsbedürftig, dass sich dazu schwerlich eine be-
        stimmte Position beziehen lässt. Allerdings würde ich den
        Kolleginnen und Kollegen der F.D.P. empfehlen, für den
        dritten Punkt eine weniger militante Form zu wählen. Es
        geht doch nicht in erster Linie um die Verteidigung von
        kulturellen Unterschieden, sondern um die Beförderung
        des Dialogs zwischen ihnen.
        Ich gehe aber ohnehin davon aus, dass es den Einbrin-
        gern des Antrags vor allem darauf ankommt, die an ver-
        schiedenen Punkten entflammte Debatte zum Kulturfö-
        deralismus  Stichpunkte: Kulturstaatsklausel im Grund-
        gesetz, Aufnahme von Kultur in die Gemeinschaftsaufga-
        ben nach Art. 91 b Grundgesetz, Bundeskulturminister,
        Bundeskulturstiftung, Hauptstadtkulturförderung  nun
        endlich auch im Plenum des Bundestages zu führen. Die-
        ses Anliegen unterstütze ich.
        Meiner Meinung nach kann man sich über den Kul-
        turföderalismus aber nur im Zusammenhang mit der
        noch breiteren Debatte verständigen, die seit geraumer
        Zeit zu Zustand und Perspektiven unseres föderalen Sys-
        tems überhaupt geführt wird. Die PDS hat diese Debatte
        aufgegriffen und wird im Spätherbst auf einer Konferenz
        in Saarbrücken ein erstes Zwischenfazit ziehen.
        Eines ist jetzt bereits klar: Wie wir uns zum Kulturfö-
        deralismus stellen, hängt doch entscheidend davon ab,
        welche Potenzen wir dem föderalen System generell für
        die Bewältigung der Aufgaben zubilligen, vor denen un-
        sere Gesellschaft steht. Wenn wir zu der Auffassung kom-
        men, dass vor dem Hintergrund unserer historischen Er-
        fahrungen föderale Strukturen nach wie vor am besten
        geeignet sind, um Demokratie und Sozialstaatlichkeit zu
        sichern und weiter zu entwickeln, dann ist das zugleich
        ein starkes Argument für die Bewahrung und Ausgestal-
        tung des Kulturföderalismus. Denn eine wirkliche Ei-
        genstaatlichkeit der Länder ist ohne eine eigene Gesetz-
        gebungskompetenz nicht zu haben. Diese Gesetz-
        gebungskompetenz ist heute weitgehend auf die Bereiche
        reduziert, die wir mit dem Kultus-Begriff zusammen-
        fassen  also Bildung, Wissenschaft und Kultur in einem
        engeren Sinne. Nach jetziger Verfassungslage käme die
        Aushöhlung des Kulturföderalismus einer Aushöhlung
        des föderalen Prinzips an sich gleich. An dieser faktischen
        Situation würde dann auch nichts die so genannte Ewig-
        keitsklausel in Art. 79 des Grundgesetzes ändern.
        Diese gegenwärtige Sachlage darf natürlich nicht da-
        ran hindern, darüber nachzudenken, ob das eigenständige
        Gewicht der Länder auf eine andere Grundlage gestellt
        werden sollte. So könnte ich mir zum Beispiel vorstellen,
        dass solche weichen und übergreifenden Innovations-
        potenziale wie Bildung und Wissenschaft stärker in eine
        rahmengesetzliche Gestaltung durch den Bund einbezo-
        gen werden könnten. Das beließe den Ländern immer
        noch genügend Spielraum für konkrete gesetzliche Aus-
        gestaltung entsprechend ihrer spezifischen Bedingungen
        und Entwicklungsperspektiven. Darüber hinaus könnten
        im Gegenzug bei den Ländern stärker als bisher die Kom-
        petenzen gebündelt werden, die für den Auf- und Ausbau
        regionaler Wirtschaftskreisläufe von besonderer Bedeu-
        tung sind.
        Bei allen denkbaren Veränderungen in unserem fö-
        deralen System steht eines allerdings für mich fest: Im en-
        geren Bereich von Kunst und Kultur sollten die entschei-
        denden Kompetenzen bei den Ländern bleiben. Hier
        weisen einfach die Dichte und Vielfalt des kulturellen Le-
        bens auch im internationalen Vergleich darauf hin, dass
        sich die so genannte Kulturhoheit der Länder bewährt hat.
        Zunehmende Schwierigkeiten auch auf diesem Gebiet
        sind nicht den föderalen Strukturen, sondern der Unter-
        grabung ihres materiellen Unterbaus geschuldet.
        Vor diesem Hintergrund betrachte ich die Pläne des
        Staatsministers zur Errichtung einer Bundeskulturstif-
        tung. An erster Stelle steht für mich die Sicherung des da-
        mit verfolgten Anliegens, nämlich vor allem kulturelle In-
        novation und zeitgenössische künstlerische Entwick-
        lungen besser als bisher zu fördern. Die Realisierung die-
        ses Anliegens darf am Ende nicht an Kompetenzstreitig-
        keiten zwischen Bund und Ländern scheitern. Es wäre al-
        lerdings sehr begrüßenswert, wenn die Länder in die Lage
        versetzt würden, ihre Aktivitäten auf diesem Gebiet in
        gleicher Weise auszubauen. Das böte dann auch eher die
        Möglichkeit, das Engagement des Bundes mit dem der
        Länder in einer solchen Weise zu verbinden, wie das bei
        der Bewahrung des kulturellen Erbes im Rahmen der Kul-
        turstiftung der Länder bereits geschieht.
        Die Erhaltung des Kulturföderalismus  in welcher
        konkreten Ausprägung auch immer  setzt voraus, dass
        die Länder und über sie vor allem die Kommunen über die
        finanziellen Mittel verfügen, die sie benötigen, um ihn mit
        Leben erfüllen zu können. Die Reform der Finanzverfas-
        sung, der Länderfinanzausgleich und der Solidarpakt II
        sind entscheidende Prüfsteine dafür, wie ernst wir es mit
        dem Kulturföderalismus meinen.
        Dr. Julian Nida-Rümelin, Staatsminister beim Bun-
        deskanzler: Der Antrag der F.D.P. bekräftigt Selbstver-
        ständlichkeiten und adressiert eine Gefahr, die ich nicht
        als eine reale erkennen kann. Dennoch sollten wir diesen
        Antrag zum Anlass nehmen, um uns über die Perspekti-
        ven des Kulturföderalismus in Deutschland auszutau-
        schen, zumal die Diskussion um die Zukunft des Födera-
        lismus im Zusammenhang der Verhandlungen über den
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001 18041
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Bund-Länder-Finanzausgleich in den letzten Wochen und
        Monaten wieder intensiver geführt worden ist.
        Der Bundeskanzler hat das Ergebnis der Verhandlun-
        gen mit den Ministerpräsidenten mit den Worten gewür-
        digt, dass der deutsche Föderalismus eine wirkliche Be-
        währungsprobe bestanden habe. Der Föderalismus in
        Deutschland ist seit über 50 Jahren eine der Säulen unse-
        res staatlichen Selbstverständnisses und unserer staat-
        lichen Wirklichkeit. Im Bereich der Kultur hat er eine im-
        posante Leistungsbilanz, um die wir in vielen Ländern der
        Welt beneidet werden. Die Aufforderung an den Deut-
        schen Bundestag, Geist und Buchstaben der Verfassung
        zum zentralen Gedanken des Föderalismus zu bekräfti-
        gen, darf nicht mit der Suggestion verbunden werden,
        dass, womöglich vom Bund, eine Gefährdung der födera-
        len Tradition unseres Staatswesens ausgehe. Ich bekenne
        mich als ein Kulturföderalist aus Überzeugung, und Über-
        zeugungen  wenn sie ernst gemeint sind und in einem
        größeren Begründungszusammenhang stehen  kann man
        nicht wechseln wie ein Hemd, je nach dem, welches Amt
        man bekleidet.
        Der Föderalismus in Deutschland hat eine große Tra-
        dition. Er ist keine Erfindung des Grundgesetzes.
        Föderale Elemente lassen sich über 1919 Weimarer Ver-
        fassung, 1871 Reichsverfassung, 1848 Paulskirchenver-
        fassung bis 1663 Ewiger Reichstag zurückverfolgen. Dies
        ist Ausdruck einer spezifischen Entwicklung des deut-
        schen Sprach- und Kulturraums in Mitteleuropa, der in
        seiner Konkurrenz der Völkerschaften, Fürstenfamilien,
        Regionen und Kommunen von jeher eine Vielfalt und
        Multipolarität hervorbrachte, die mit einem zentralistisch
        und unitaristisch gestalteten Nationalstaat unvereinbar
        sind.
        Kernstück des bundesrepublikanischen Föderalismus
        ist der Kulturföderalismus. Dabei sind die kulturstaatli-
        chen Kompetenzen, die das Grundgesetz ex negativo den
        Ländern zuweist, wesentlich für ihre Identität und Legiti-
        mation. Deutschland zerfällt allerdings nicht in Regionen.
        Deutschland ist keine Union selbstständiger Länder.
        Deutschland ist zweifellos  bei aller föderalen Charakte-
        ristik  ein Nationalstaat. Unserer gemeinsamen und für
        alle Deutschen geltenden politischen Verfassung korres-
        pondiert eine gewachsene, gemeinsame kulturelle Ver-
        fasstheit. Der gemeinsame politische Handlungsraum des
        Nationalstaates hat zweifellos auch eine kulturell Dimen-
        sion. Diese ist ganz wesentlich bestimmt von der gemein-
        samen Sprache, die seit dem späten Mittelalter zum kon-
        stituierenden Element einer deutschen Nationalkultur
        geworden ist. Die deutsche Sprache verbindet kulturell
        über staatliche Grenzen hinweg. Der gemeinsame Raum
        deutschsprachiger Literatur, deutschsprachiger Opern
        und Theatern umfasst mehrere Nationalstaaten in Mittel-
        europa. Die personellen und inhaltlichen Verbindungen
        sind eng, obwohl dem kein gemeinsamer kulturpolitischer
        Gestaltungsanspruch korrespondiert.
        Es ist kein Widerspruch, wenn einerseits im herder-
        schen Sinne deutsche Kultur über staatliche Grenzen aus-
        greift und andererseits innerhalb der gegebenen staat-
        lichen Grenzen eine spezifische kulturelle Dimension des
        deutschen Nationalstaates anerkannt und in der Praxis der
        Kulturpolitik des Bundes, der Länder und der Gemeinden
        berücksichtigt wird. Kultur ist in Deutschland seit Jahr-
        hunderten immer zugleich national und regional orien-
        tiert. Bach ist kein Thüringer Komponist, Goethe kein
        hessischer Dichter, Beuys kein rheinischer Künstler,
        wenn auch jeweils regionale Bezüge in ihrem Werk wirk-
        sam geworden sind. Diese Künstler und das, was sie ge-
        schaffen haben, bilden das kulturelle Erbe der ganzen
        Nation und nicht nur der Bayern, Sachsen oder Mecklen-
        burger. Ernst Gottfried Mahrenholz hat denn auch konsta-
        tiert, dass aus dem Begriff der Nation eben logischer-
        weise folge, dass die deutsche Nation wie jede andere
        eine Kultur habe.
        Ich halte es für einen gewaltigen Fortschritt und auch
        seit Jahren überfällig, dass der Kulturstaat Deutschland
        sich in seinem Selbstverständnis und seiner operativen
        Verantwortung nicht hinter den Ländern versteckt. ... Der
        Bund hat eine originäre Verantwortung für diesen Kultur-
        staat. Dies hat ein profilierter Kulturpolitiker aus den
        Reihen der Opposition ein halbes Jahr nach der Bundes-
        tagswahl von 1998 gesagt und diese Bemerkung mit ei-
        nem Bekenntnis zum Kulturföderalismus verbunden. Ich
        kann überhaupt nicht erkennen, sagte damals Herr
        Lammert, dass der Bund dem Bedürfnis der Länder, Kul-
        turarbeit zu einer ihrer politischen Schwerpunktaufgaben
        zu machen ... dabei in irgendeiner Weise im Wege
        stünde. Ich möchte Ihnen darin ausdrücklich zustimmen.
        Wenn es eine Nationalkultur gibt, dann hat der Bund
        eine Mitverantwortung für sie, und zwar wie das Bundes-
        verfassungsgericht festgestellt hat aus der Natur der Sa-
        che. Es gibt eine gesamtstaatliche Kompetenz und Ver-
        antwortung für bestimmte kulturelle Angelegenheiten
        auch im Hinblick auf Ziffer 3 des Antrages. Es ist eine der
        kulturpolitischen Aufgaben des Bundes, sich gegenüber
        den europäischen Institutionen für die Erhaltung der kul-
        turellen Vielfalt einzusetzten. Allerdings sehe ich derzeit
        keine von Brüssel ausgehende Gefährdung der föderalen
        Strukturen und des kulturellen Pluralismus in Deutsch-
        land und in Europa. Gerade die Europäische Union unter-
        stützt ja regionale kulturelle Strukturen und Traditionen;
        ich erinnere nur an die Europäische Charta der Regional-
        oder Minderheitensprachen von 1992. Es steht für mich
        zweifelsfrei fest, dass sich die weitere Entwicklung der
        europäischen Union, die zunehmend die Konturen eines
        historischen Europa nach dem Schisma des Ost-West-
        Konfliktes abbildet, nicht an den Vereinigten Staaten von
        Amerika orientieren darf, da für Europa die sprachliche
        und kulturelle Vereinheitlichung der USA kein Vorbild
        sein kann. Europa bleibt multilingual, multipolar, multi-
        kulturell  die Vielfalt macht die historische und kulturelle
        Substanz Europas aus. Jeder Versuch, Europa zu verein-
        heitlichen, ist in einer Katastrophe geendet, für den letz-
        ten Versuch war Nazideutschland verantwortlich. Einen
        europäischen Nationalstaat kann es nicht geben, ohne
        dass Europa seine Seele verliert.
        Eine wesentliche Bedingung für eine weiterhin gute
        Entwicklung des Kulturföderalismus ist eine fruchtbare
        Kooperation von Bund, Ländern und Gemeinden. Koope-
        ration ist im Einzelfall mit klarer Verantwortungsteilung
        nicht nur vereinbar, sondern verlangt diese geradezu. Da-
        bei liegen die Schwerpunkte der Kulturpolitik des Bundes
        nach meiner Auffassung im ordnungspolitischen Bereich.
        Qua Gesetzgebungskompetenz des Bundes ist der Deut-
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 200118042
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        sche Bundestag ein eminenter kulturpolitischer Akteur.
        Niemand kann vernünftigerweise leugnen, dass die Ge-
        staltung unseres Steuersystems  und dabei denke ich
        nicht nur an die Besteuerung ausländischer Künstler ,
        das Urheberrecht, die Künstlersozialversicherung, das
        Stiftungsrecht, die Buchpreisbindung, die Rahmenbedin-
        gungen der kulturellen Entwicklung in Deutschland we-
        sentlich prägt. Es gehört zum Amtsverständnis des Be-
        auftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der
        Kultur und der Medien, dass er unabhängig von der je-
        weiligen Federführung seinen kulturpolitischen Sachver-
        stand in die Beratungen der Bundesregierung zu all die-
        sen Themengebieten einbringt.
        Gegenwärtig macht der Etat meiner Behörde etwa
        10 Prozent der gesamten staatlichen Kulturförderung aus.
        Auch wenn das Gewicht der Kulturpolitik im Bund größer
        geworden ist, so bedroht das doch die Gestaltungsmög-
        lichkeiten der Kommunen und der Länder in keiner
        Weise. Im Gegenteil, auch die Kommunen und die Län-
        der haben Interesse daran, dass der Bund die kulturelle Di-
        mension seiner Politik so ernst wie nur möglich nimmt.
        Die Kulturpolitik der Länder und Gemeinden kann von
        günstigen gesetzlichen Rahmenbedingungen für die kul-
        turelle Entwicklung in Deutschland nur profitieren. Eine
        wesentliche Ausweitung der Kulturförderung des Bundes
        ist schon wegen des eingeschlagenen Konsolidierungs-
        kurses der Bundesregierung nicht zu erwarten. Wo es zu
        zusätzlichen Förderungen gekommen ist, wurden diese in
        keinem Fall gegen den Widerstand des jeweiligen Sitz-
        landes und der jeweiligen Kommune beschlossen. Dies
        soll auch in Zukunft so bleiben.
        Allerdings strebe ich an, die Verantwortlichkeiten in
        Abstimmung mit den Ländern zu systematisieren. Auch
        das historisch Gewachsene muss sich die Überprüfung
        seiner Angemessenheit gefallen lassen. Wie gesagt, Ko-
        operation und klare Verantwortungsteilung schließen sich
        nicht aus.
        Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen hat
        vor kurzem im Bundesrat festgestellt, dass der Föderalis-
        mus Vielfalt zulasse, ohne die Einheit zu gefährden. Das
        gilt in besonderem Maße auch für den Kulturföderalis-
        mus. Auch hier darf es nach über 50 Jahren kein Denk-
        verbot im Hinblick auf zeitgemäße Anpassungen und Mo-
        difizierungen geben. Ich bin sehr dafür, die Ver-
        antwortung zwischen Bund und Ländern präzise aufzu-
        teilen. Einen ersten Schritt haben wir in Berlin getan, wo
        wir eine diffuse gemeinsame Verantwortung des Landes
        und des Bundes im Rahmen des Hauptstadtkulturvertra-
        ges einvernehmlich mit dem Land Berlin abgelöst haben
        durch eine alleinige Trägerschaft des Bundes bei vier
        wichtigen Einrichtungen: bei dem Jüdischen Museum,
        den Festspielen, dem Haus der Kulturen der Welt und dem
        Gropius-Bau.
        Aber es gibt eben auch Bereiche, die in gemeinsamer
        Verantwortung wahrgenommen werden sollten, weil, wie
        Josef Isensee feststellt, unser Grundgesetz die offene,
        kommunikative und kooperative Kompetenzwahrneh-
        mung fördert. Dies gilt zum Beispiel für Gedenkstätten
        von nationaler Bedeutung. Hier dürfen die Kommunen
        und die Länder nicht aus der gemeinsamen nationalen
        Verantwortung entlassen werden. Unser Gedenkstätten-
        konzept sieht dementsprechend vor, dass der Bund nur bis
        zur Hälfte fördern darf. Und so, wie Konsens darüber be-
        steht, dass auch in Zukunft wissenschaftliche Großfor-
        schungsanlagen in der gemeinsamen Verantwortung von
        Bund und Ländern bleiben sollen, plädiere ich dafür, dass
        auch kulturelle Einrichtungen und Projekte von nationa-
        ler Bedeutung in der gemeinsamen Verantwortung blei-
        ben können. So war es der Wunsch der Kultusminister der
        Länder, dass die geplante Nationalstiftung keine reine
        Bundeseinrichtung wird, sondern von Bund und Ländern
        gemeinsam getragen wird. Das von mir vorgelegte Kon-
        zept entspricht dieser Idee einer gemeinsamen Träger-
        schaft und steht insofern in der Logik eines kooperativen
        Kulturföderalismus, der einer Balance zwischen Konkur-
        renz und gemeinsamer Verantwortung verpflichtet ist.
        Auch das große Projekt, die kulturelle Infrastruktur in
        den neuen Ländern zu fördern und die Beschädigungen
        aus der Vergangenheit zu beseitigen, ist ein national be-
        deutsames Projekt der Kooperation des Bundes mit den
        neuen Ländern und den Kommunen in den neuen Län-
        dern. Dieses Gemeinschaftsprojekt hat großen Erfolg,
        und es ist in den Haushaltsverhandlungen gelungen, eine
        Verdoppelung des für 2002 in der mittelfristigen Finanz-
        planung vorgesehenen Betrages von 30 auf 60 Millionen
        DM zu erreichen. Auch hier plädiere ich für eine Fort-
        führung der kulturpolitischen Kooperation.
        Wodurch ist Deutschland groß, notiert Eckermann
        1828 einen Gedanken Goethes, als durch eine bewunde-
        rungswürdige Volkskultur, die alle Teile des Reiches
        gleichmäßig durchdrungen hat ... Gesetzt, wir hätten in
        Deutschland seit Jahrhunderten nur die beiden Residenz-
        städte Wien und Berlin oder gar nur eine, da möchte ich
        doch sehen, wie es um die deutsche Kultur stände?
        Es gibt nicht nur Wien und Berlin, sondern auch Mün-
        chen und Dresden, Köln und Weimar, Hamburg und Stutt-
        gart, Frankfurt und Potsdam, es gibt Gotha, Eutin, Do-
        naueschingen und Bückeburg, um auch einige frühere
        Residenzen kleiner Duodez-Fürstentümer zu nennen. An
        diesen und vielen anderen Orten findet das kulturelle Le-
        ben in Deutschland statt. Die Vielfalt ist faszinierend, und
        wir sollten gemeinsam alles tun, um diese zu erhalten und
        zu fördern. Ohne das kommunale Engagement würde
        Deutschland kulturell verarmen. Wenn wir vom Kulturfö-
        deralismus reden, dürfen wir seine kommunale Basis
        nicht vergessen.
        Anlage 8
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung
         des Antrages: RUGMARK bei geplanter Fu-
        sion mit Care&Fair unterstützen und gleich-
        zeitig Vorsorge für ein mögliches Scheitern der
        Verhandlungen treffen
         der Beschlussempfehlung und des Berichts zu
        dem Antrag: Gegen den Missbrauch von Kin-
        dern als Soldaten (Tagesordnungspunkt 15)
        Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (F.D.P):
        Nach Angaben der Internationalen Koalition zum Stopp
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001 18043
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        des Einsatzes von Kindersoldaten befinden sich gegen-
        wärtig mehr als 300 Kinder und Jugendliche unter 18 Jah-
        ren  sowohl Mädchen als auch Jungen  in mehr als 30
        Ländern als Soldaten im Kampfeinsatz. Weitere Hundert-
        tausende werden in Regierungsstreitkräfte, Paramilitärs,
        Milizen und andere bewaffnete Gruppierungen in 85 Staa-
        ten rekrutiert. Täglich werden Kinder zum Militärdienst
        entführt, gefangen genommen, verwundet und getötet.
        Viele der heute erwachsenen Soldaten wurden als Kinder
        rekrutiert. Je länger sich ein bewaffneter Konflikt hin-
        zieht, um so wahrscheinlicher ist es, dass Kinder an ihm
        teilnehmen. Während viele Kinder direkt an der Front
        kämpfen müssen, werden andere als Spione, Boten,
        Wächter, Diener oder Sexsklaven missbraucht oder zum
        Verlegen oder Räumen von Minen eingesetzt. Oft werden
        sie systematisch zur Begehung von Grausamkeiten sogar
        gegen die eigene Familie gedrillt. Die meisten Kindersol-
        daten werden körperlich missbraucht und erleiden andere
        Entbehrungen. In Extremfällen werden sie in den Selbst-
        mord getrieben oder werden selbst zu Mördern.
        Es gibt aber auch Lichtblicke: Der Einsatz von Kin-
        dersoldaten in Lateinamerika, dem Nahen Osten und auf
        dem Balkan ist in letzter Zeit merklich zurückgegangen,
        nachdem Kriege beendet wurden, in denen eine große
        Zahl von Kindern kämpfte.
        Erst kürzlich wurden Kindersoldaten in Sierra Leone
        und im südlichen Sudan entlassen. Dies ist wohl nicht zu-
        letzt auch ein Ergebnis des im Mai letzten Jahres durch die
        UNO-Generalversammlung verabschiedeten Zusatzpro-
        tokolls zur UN-Kinderrechtskonvention über die Beteili-
        gung von Kindern an bewaffneten Konflikten. Deswegen
        ist es richtig, dass die Bundesregierung mit dem heute hier
        vorliegenden Antrag aufgefordert wird, sich weltweit für
        eine Schutzaltersgrenze von mindestens 18 Jahren einzu-
        setzen. Besser wäre es jedoch gewesen, wenn die Bun-
        desregierung mit dem Antrag darüber hinaus auch aufge-
        fordert worden wäre, die längst überfällige Ratifizierung
        dieses Zusatzprotokolls zu vollziehen. Der Einsatz von
        Kindersoldaten ist nämlich nicht auf Entwicklungsländer
        beschränkt, auch in Industrieländern wie Großbritannien
        und Amerika, aber auch in Deutschland ist die Rekrutie-
        rung Minderjähriger möglich. Die FDP-Bundestagsfrak-
        tion fordert die Bundesregierung daher auf, endlich eine
        Rechtsgrundlage zu schaffen, mit der der Dienst an der
        Waffe, auch auf der Basis der Freiwilligkeit, vor Errei-
        chung der Volljährigkeit strikt ausgeschlossen wird.
        Solange Deutschland hier nicht mit gutem Beispiel
        vorangeht, kann die Bundesregierung sich nicht weltweit
        überzeugend für eine schnelle Ratifizierung des Zusatz-
        protokolls zur UN-Konvention über die Rechte des Kin-
        des einsetzen. Wer von Dritte-Welt-Staaten fordert, keine
        Kinder zu Tötungsmaschinen auszubilden, wie Außen-
        minister Fischer dies getan hat, macht sich moralisch un-
        glaubwürdig, wenn im eigenen Land Minderjährige zur
        Bundeswehr rekrutiert werden können. Unsere SPD-Kol-
        legin Frau Kortmann hat vollkommen recht, wenn sie die
        gescheiterten Bemühungen der Bundesregierung, die Re-
        krutierung von Minderjährigen zu verhindern, als De-
        bakel bezeichnet und die Bundesregierung in dieser
        Frage einen doppelten Menschenrechtsstandard vor-
        wirft.
        Daher muss jetzt dringend gehandelt werden. Aus die-
        sem Grunde und weil aus unserer Sicht die heute hier zur
        Debatte stehende Thematik in den weiteren Kontext der
        Gewalt gegen Kinder gehört, hat die FDP-Bundestags-
        fraktion einen eigenen Antrag Für eine VN-Resolution
        zur Ächtung der Gewalt gegen Kinder auf dem Weltkin-
        dergipfel in New York vorgelegt, der sich mit den unter-
        schiedlichen Formen der Gewalt gegen Kinder wie Folter,
        Entführung, Vergewaltigung, Zwangsarbeit, Nahrungs-
        entzug, Schläge, Zwangsverheiratung und Zwangsrekru-
        tierung zum Kriegsdienst auseinander setzt und den wir in
        der ersten Sitzungswoche nach der Sommerpause zeitnah
        zur Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen
        über die Rechte der Kinder vom 19. bis 21. September
        2001 hier im Bundestag debattieren möchten. Eine der
        Kernforderungen unseres Antrages ist daher auch die Auf-
        forderung an die Bundesregierung, das Zusatzprotokoll
        zur Kinderrechtskonvention zügig zu ratifizieren. Mit
        welcher moralischen Legitimation will die Bundesregie-
        rung beim Kindergipfel in New York eigentlich auftreten,
        wenn es ihr nicht gelingt, in dieser wichtigen Frage die ei-
        genen Hausaufgaben zu machen? Dies gilt auch für
        die dringend nötige Ratifizierung des Zusatzprotokolls
        zu Kinderhandel, Kinderprostitution und Kinderporno-
        grafie.
        Die menschenrechtsverachtende Praxis vieler Staaten
        und Bürgerkriegsparteien im Umgang mit Kindern steht
        in eklatantem Widerspruch nicht nur zur VN-Konvention
        über die Rechte der Kinder, sondern zur Allgemeinen
        Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen und
        zum VN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte, de-
        ren Mitglieder die meisten der betroffenen Staaten sind.
        Zwar hat sich auch die diesjährige VN-Menschenrechts-
        kommission erneut dem weltweiten Schutz der Rechte
        von Kindern angenommen, es ist jedoch bedauerlich, dass
        es bei insgesamt 82 Resolutionen nicht gelungen ist, eine
        speziell dem gravierenden Menschenrechtsproblem der
        Gewalt gegen Kinder gewidmete Resolution zu verab-
        schieden. Nun sollten sich alle Kräfte darauf konzentrie-
        ren, diesem wichtigen Anliegen auf dem Weltkindergipfel
        einen zentralen Stellenwert einzuräumen. Mit unserem
        Antrag wollen wir hierfür werben und ich bitte alle Mit-
        glieder dieses Hohen Hauses schon jetzt darum, unsere
        Initiative zum Wohle der Kinder zu unterstützen.
        Carsten Hübner (PDS): Die Verhandlungen über ei-
        nen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen des Deutschen
        Bundestages gegen das Kindersoldatenunwesen in vielen
        Teilen der Welt gehörten zu den absurdesten Dingen, die
        ich in meiner kurzen Zeit als Bundestagsabgeordneter er-
        leben musste. Denn obwohl sich wirklich alle Fraktionen
        weitgehend einig sind, wie dieses Problem zu bewerten
        ist  bis hin zur Kleinwaffenproblematik , ist es nicht ge-
        lungen, zu einem interfraktionellen Antrag zu kommen.
        Erst hat die Regierungskoalition ihren Antrag durchge-
        drückt und CDU/CSU mit ihrem Ausschuss verhungern
        lassen. Und nun schieben die Christdemokraten, einein-
        halb Jahre nach seiner Einbringung, ihren Antrag nach.
        Die PDS-Fraktion wurde zu keinem Zeitpunkt in einen
        überfraktionellen Erarbeitungsprozess einbezogen. Ein
        deutlicher Ausdruck dafür, wie sich selbst in moralisch
        schwerwiegenden Fragen das Faktum Fraktions- und Par-
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 200118044
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        teiegoismus immer wieder Bahn bricht  trotz aller schö-
        ner Worte von gemeinsamer Verantwortung und unüber-
        sehbarer Signale. Ich frage ernsthaft: Wie kann man bloß
        in dieser Frage so kleinlich sein?
        Meine Fraktion wird sich bei der Abstimmung jeden-
        falls enthalten, weil die Punkte 3 und 9 in einem logischen
        Widerspruch zueinander stehen. Denn gerade da, wo Kin-
        dersoldaten im Einsatz sind, muss eine verantwortliche
        Entwicklungszusammenarbeit ansetzen und nicht etwa,
        wie vorgeschlagen, gekürzt oder sogar eingestellt werden.
        Es erschreckt mich jedes Mal aufs Neue, wie schnell die
        Entwicklungszusammenarbeit zur Verhandlungsmasse
        für Sanktionen wird, während etwa Exportverbote für
        Waffen, zumal Kleinwaffen, hier nicht mit einem Wort er-
        wähnt werden.
        Mir stehen leider nur drei Minuten zur Verfügung. Ge-
        statten Sie mir deshalb, zum Rugmark-Antrag vor den
        Ausschussberatungen nur Folgendes zu sagen: Erstens.
        Es muss alles unternommen werden, damit Strukturen des
        nachhaltigen und menschenrechtlich inspiriertem Labe-
        lings gesichert und ihre Arbeitsmöglichkeiten ausgewei-
        tet werden. Zweitens. Es muss zudem alles unternommen
        werden, damit es endlich chic wird, solche Produkte zu
        kaufen. Ich hatte das BMZ in diesem Zusammenhang be-
        reits um die Herstellung eines Konsumentenberaters ge-
        beten. Aber auch Modeschöpfer, Medien oder Handels-
        ketten müssen in einer konzertierten Aktion mit ins Boot.
        Nur so werden wir eine gesellschaftliche Breite erreichen,
        die solche Handelsstrukturen stabilisiert und stärkt und
        vom sogenannten Teesockenimage befreit. Die Botschaft
        ist klar: Nachhaltigkeit ist modern!
        Anlage 9
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Wiedererhebung der
        Vermögenssteuer (Tagesordnungspunkt 16)
        Lydia Westrich (SPD): Es wird Sie nicht überra-
        schen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der PDS,
        dass wir Ihren Antrag auf Wiedererhebung der Vermö-
        gensteuer wieder einmal ablehnen müssen, obwohl Sie
        sich diesmal sehr viel Mühe mit den Eckpunkten gemacht
        haben. Falls Sie es noch nicht gemerkt haben: Die rot-
        grüne Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen
        von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben längst be-
        gonnen, auch große Vermögen stärker in die Verantwor-
        tung zur Finanzierung der Staatslasten einzubeziehen.
        Dazu brauchen wir kein neues kompliziertes Regelwerk.
        Wir schärfen die vorhandenen Instrumente.
        Wir haben beim Regierungswechsel nach 16 Jahren
        kohlscher und waigelscher Steuerpolitik eine große Ge-
        rechtigkeitslücke vorgefunden  das ist wahr  und des-
        halb haben wir dann mit dem Steuerentlastungsgesetz
        1999/2000/2001 einen rasanten Kurswechsel eingeleitet.
        Grundsätzlich zulässige, aber ungerechtfertigte Steuer-
        schlupflöcher wurden geschlossen, die Bemessungs-
        grundlage zugunsten der breiten Mehrheit der Steuer-
        pflichtigen wurde auf eine breite Grundlage gestellt. Wir
        haben verhindert, dass man sich steuerlich arm rechnen
        kann durch künstliche oder bewusst herbeigeführteVerlus-
        te. Damit ist die eigentliche wirtschaftliche Leistungsfä-
        higkeit wieder in den Mittelpunkt gerückt. Das ist sozial
        gerechte Steuerpolitik.
        Dieses Jahr ist zum ersten Mal das Nettoeinkommen
        stärker gestiegen als das Bruttoeinkommen. Zusammen
        mit der Senkung der Lohnnebenkosten entlastet die Steu-
        erpolitik der Regierungskoalition gerade niedrige und
        mittlere Einkommen und bewirkt damit eine gerechtere
        Lastenverteilung zwischen den Bürgerinnen und Bürgern.
        Auch die Unternehmenssteuerreform und natürlich das
        Steuersenkungsgesetz waren Beiträge zur sozialen Ge-
        rechtigkeit. Unternehmen fit und wettbewerbsfähig zu
        machen, ist unabdingbar für steigende Produktivität und
        den Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen.
        Sie können die Steuerlasten auf dem Papier noch so fair
        verteilen wollen: Es wird nicht gerechter, wenn es immer
        weniger Menschen gibt, die Steuern bezahlen können,
        weil sie einen guten, dauerhaften Arbeitsplatz haben.
        Deshalb werden wir auch die Unternehmenssteuerreform
        weiter entwickeln, damit sich unsere Betriebe dem euro-
        päischen und globalen Wettbewerb stellen können. Natür-
        lich sollen auch große Vermögen ihren Beitrag zur Finan-
        zierung der Staatsaufgaben leisten. Und auch dazu hat die
        Koalition von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zusam-
        men mit der Regierung schon einiges auf den Weg ge-
        bracht.
        Ich erinnere an die Reform des Stiftungsrechtes, um
        insbesondere Bildung, Wissenschaft, Kultur, aber auch in-
        ternationale Entwicklungsarbeit stärker zu fördern. Wir
        haben auf dem Gebiet der Kapitaleinkommensbesteue-
        rung große Fortschritte im europäischen Konsens ge-
        macht. Daran werden wir weiter arbeiten. Die waigelsche
        Berichterstattung aus dem Ecofin bei der alten Bundesre-
        gierung hat immer gelautet: Bei der Zinsbesteuerung
        wurde auf europäischer Ebene leider nichts erreicht. Da
        scheint der nötige Nachdruck gefehlt zu haben. Denn jetzt
        haben wir eine Vereinbarung. Auf nationaler Ebene be-
        stätigen die Finanzämter, dass der § 30 a Abgabenord-
        nung, das fälschlich so genannte Bankgeheimnis, ihre Ar-
        beit nicht behindere, sodass auch in diesem Bereich die
        Steuern effektiver eingezogen werden können.
        Gerade bei der Besteuerung von Kapitalerträgen wol-
        len wir Steuerhinterziehung und Steuerflucht nicht länger
        hinnehmen. Und Sie können sicher sein, dass diese Re-
        gierung das Ziel einer einheitlichen europäischen Kapita-
        lertragsbesteuerung nachdrücklich weiter befördert. Wir
        haben eine Reihe von verbesserten Maßnahmen gegen
        Steuerhinterziehung und Subventionsbetrug durch inten-
        sive Betriebsprüfung und Steuerfahndung eingeleitet. Wir
        werden bereits im Herbst wieder einen Gesetzentwurf ha-
        ben, der gegen den Umatzsteuerbetrug zu Felde zieht. Das
        alles bedeutet, dass wir seit Beginn unserer Regierungs-
        zeit zurückgekehrt sind zu einer Besteuerung nach dem
        Prinzip der Leistungsfähigkeit. Wir haben kleine und
        mittlere Einkommen entlastet, Steuerschlupflöcher ge-
        schlossen und sind bei der Bekämpfung von Steuerhinter-
        ziehung einen großen Schritt nach vorn gekommen. Be-
        reits jetzt tragen auch große Vermögen zur Finanzierung
        der Staatslasten bei. Und das ist auch gut so.
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001 18045
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        Dass es noch mehr Möglichkeiten gibt, große Vermö-
        gen noch stärker in die Pflicht zu nehmen, ist unbestritten.
        Erbschaftsteuer und Vermögensteuer sind verfassungs-
        gemäße Instrumente dafür. Sie sind Ländersteuern. Falls
        die Länder eine Gesetzesinitiative starten würden mit dem
        Ziel, eine Neuregelung des Bewertungsgesetzes vorzu-
        nehmen, um das Aufkommen aus der Erbschaftsteuer zu
        erhöhen, wird kaum eine Fraktion im Bundestag dagegen
        sein können. Aber so weit sind die Länder noch nicht.
        Deswegen nützt es auch nichts, wenn Sie Ihren jährlichen
        Antrag zur Wiedererhebung der Vermögensteuer hier stel-
        len. Sie können Ihre Vorstellungen durchaus dort, wo Sie
        Verantwortung tragen, voranbringen.
        Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschafts-
        forschung hat errechnet, dass der Anteil von Vermögen-
        steuern im weiteren Sinn in Deutschland mit unter 1 Pro-
        zent am Sozialprodukt erheblich niedriger ist als in
        anderen großen OECD-Staaten. Deshalb war es unser An-
        liegen, die alte Steuerpolitik, die großen Vermögen und
        Einkommen viele Möglichkeiten des Steuersparens er-
        möglichte und damit auch noch immense Staatsschulden
        aufgehäuft hat, abzulösen. Wir haben der Steuerpolitik
        nach 16 Jahren wieder ein soziales Gesicht gegeben.
        In Richtung einer sozial gerechten Steuerpolitik haben
        die Koalitionsfraktionen bereits in der kurzen Zeit mit ih-
        rer Regierung vieles erreicht. Auf dem Gebiet der Er-
        tragsbesteuerung haben wir mit dem Steuerentlastungsge-
        setz einen großen Beitrag für mehr Steuergerechtigkeit
        geleistet. Mit dem Stiftungsrecht haben wir ein gutes In-
        strument geschaffen, viele andere Bereiche unserer Ge-
        sellschaft wie Bildung, Wissenschaft, Kultur, Sport und
        anderes mit neuen Geldquellen zu versorgen. Bei der
        gleichmäßigeren Erfassung aller Zinseinkünfte, die sich
        alternativ für die stärkere Heranziehung großer Vermögen
        anbietet, sind wir einen guten Schritt vorwärts gekommen.
        Andere Instrumente, mit denen wir eine noch stärkere
        Beteiligung großer Vermögen an der Finanzierung staat-
        licher Zukunftsaufgaben erreichen können, sind im Kon-
        sens mit den Ländern durchaus möglich. Warten wir es ab.
        Gerhard Schulz (CDU/CSU): Wieder einmal führen
        wir in diesem Hohen Hause eine Gespensterdebatte. Ideo-
        logische Schlachten der Vergangenheit sollen erneut ge-
        schlagen werden. Der Antrag beweist, dass die PDS in ih-
        rer ideologischen Verblendung das Wesen von Vermögen
        nicht begriffen hat. Vermögen wird gebildet durch Sparen,
        durch wirtschaftlichen Erfolg oder durch Ererben bzw.
        Geschenktbekommen. Gleichgültig, woher das Vermögen
        stammt: Es wird  sofern es rechtmäßig erworben wurde
         immer nach Steuern gebildet. Es unterlag immer der
        Steuer. Wird es ererbt oder einem geschenkt, fallen Schen-
        kung- oder Erbschaftsteuer an.
        Erträge aus einem bestehenden Vermögen unterliegen
        selbstverständlich der Besteuerung. Einkommensteuer,
        Körperschaftsteuer oder Zinsertragsteuer müssen gezahlt
        werden. Das heißt, bei jedem Zugewinn, bei jedem wirt-
        schaftlichen Nutzen aus einem Vermögen, ist der Staat
        schon der große Profiteur. Je höher der Ertrag, desto höher
        die Besteuerung.
        Darum geht es Ihnen aber nicht. Sie kommen mit Ihrer
        Forderung aus der Mottenkiste Ihrer gescheiterten Ideo-
        logie und wollen die Vermögensteuer wieder einführen.
        Sie wollen bestehendes Vermögen ein zweites Mal be-
        steuern. Sie wollen aus dem Steuerrecht ein Strafrecht für
        Erfolg in der Marktwirtschaft machen. Sie wollen beste-
        hendes Vermögen so lange besteuern, bis es auf den je-
        weiligen Freibetrag reduziert ist. Sie wollen eine konfis-
        katorische Bestandsbesteuerung.
        Das ist kalte Enteignung. Vielleicht sind Sie ja allen
        Ernstes der Meinung, sie beglückten die Menschheit,
        wenn Sie dem Einzelnen nur das zugestehen, was Sie in
        Ihrer unendlichen Güte noch für statthaft halten. Nur:
        40 Jahre DDR haben gezeigt, dass Gleichmacherei nicht
        zu gleich glücklich, sondern zu gleich unglücklich führt.
        Dass mit einem solchen verkommenen System im
        wahrsten Sinne des Wortes kein Staat zu machen ist, zeigt
        die Tatsache, dass die Bürger dieses Staates ihn in den Or-
        kus geworfen haben.
        Nunmehr starten Sie einen erneuten Versuch der
        Menschheitsbeglückung  ein Verhalten, das Talleyrand
        mit den Worten umschrieb: Nichts gelernt und nichts
        vergessen! Aber man muss Ihnen ja geradezu dankbar
        sein, dass Sie Ihre undemokratischen Ziele auch in der
        Steuerpolitik so offen benennen. Sie lassen uns über den
        Unrechtscharakter Ihrer Politik wenigstens nicht im Un-
        klaren. Und eine solche Partei meldet ihren Anspruch an,
        künftig auch in der Bundeshauptstadt mit regieren zu wol-
        len.
        Ich beglückwünsche die SPD zu ihrem neuen Partner.
        Aber ich frage Sie: Ist Ihnen wirklich bewusst, worauf Sie
        sich einlassen? Die PDS hat doch noch immer nicht be-
        griffen, wie ein freiheitliches Gemeinwesen funktioniert.
        Das zeigt der in ihrem Antrag formulierte Vorwurf, die
        Steuerreform habe zu größerer sozialer Ungerechtigkeit
        beigetragen, weil sie Unternehmen bevorteilt und die
        öffentlichen Haushalte belastet habe. Sie haben nicht ka-
        piert, dass diese Steuerreform  so miserabel sie auch
        konstruiert ist  das Ziel hat, zur Steigerung des Bruttoso-
        zialproduktes beizutragen, Arbeitsplätze zu schaffen und
        zu sichern und durch höhere wirtschaftliche Tätigkeit
        mehr Steuereinnahmen zu erzielen.
        Ich weiß, dass Fakten und Sachargumente keinen Ein-
        gang in Ihr hermetisches Weltbild finden. Ich versuche, es
        Ihnen trotzdem zu erklären. Der Mensch ist nicht das so-
        ziale Wesen, zudem Sie ihn in der Endphase des Kommu-
        nismus machen wollten. Selbst durch Genmanipulation
        wird das wohl kaum möglich sein, zumindest solange es
        sich um freie Menschen handelt. Der reale Mensch in der
        realen Welt fragt zuallererst: Was nützt mir? Und er hat
        Recht mit dieser Frage. Sie selbst sind doch das beste Bei-
        spiel für die Richtigkeit dieses Ansatzes: Ihr Antrag hat
        doch nicht das Ziel, die Deutschen zu beglücken, sondern
        möglichst viele der Unzufriedenen und nach eigenem Ge-
        fühl zu kurz Gekommenen dazu zu bewegen, Sie zu
        wählen. Das ist reines Nützlichkeitsdenken, Egoismus in
        seiner zynischsten Form. Der Mensch, der sich zuerst
        überlegt, wie er für sich selbst am besten sorgen kann, ist
        kein unsozialer Mensch. Ganz im Gegenteil: Er zeigt sich
        als besonders sozialer Mensch. Indem er für sich selbst
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 200118046
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        sorgt, beansprucht er nicht die Hilfe der Gesellschaft. Und
        über die von ihm geleisteten Steuern und Abgaben trägt er
        sogar dazu bei, dass sich die Gesellschaft um die sorgen
        kann, die selbst dazu nicht in der Lage sind. Unsere Ge-
        sellschaft ist so konstruiert, dass der Eigennutz der Men-
        schen zur Finanzierung solidarischer Leistungen genutzt
        wird. Eine solche blanke Selbstverständlichkeit zu ver-
        stehen, scheint Sie allerdings in jeder Hinsicht zu über-
        fordern.
        Die CDU/CSU-Fraktion lehnt die Einführung einer
        Vermögenssteuer ab.
        Christine Scheel (BÜNNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
        CDU/CSU-F.D.P.-Koalition hat nach dem Urteil des Bun-
        desverfassungsgerichtes vom Juni 1995 keine Neurege-
        lung der Vermögensteuer getroffen. Die Vermögensteuer
        wird deshalb seit 1997 nicht mehr erhoben.
        Die Vermögensteuer ist ausgesetzt, nicht abgeschafft,
        und natürlich wäre es rechtlich möglich, sie wieder zu er-
        heben. Deshalb will ich gar nicht juristische Haarspalterei
        betreiben, sondern gleich am Anfang klarstellen: Die rot-
        grüne Koalition beabsichtigt nicht, diese Steuer wieder zu
        erheben.
        Dafür haben wir gute Gründe: Zum einen sind alle Än-
        derungen bei der Vermögensteuer im Bundesrat zustim-
        mungspflichtig. Die Länder haben aber erst Ende 1999 ei-
        nem Antrag, die Vermögensteuer wieder zu erheben, nicht
        zugestimmt. Die Länderkammer würde einem solchen
        Antrag auch jetzt nicht zustimmen, denn die Länder ha-
        ben den Erhebungsaufwand, und der ist gerade bei der
        Vermögensteuer erheblich. Einige Untersuchungen zu
        den Erhebungskosten gehen von bis zu 40 Prozent Kosten
        aus. Das ist sicherlich ein extremer Wert. Auf jeden Fall
        liegen die Kosten definitiv über den Erhebungskosten für
        die Körperschaft- und Einkommensteuer. Diese ungün-
        stige Relation der Kosten zu den Einnahmen der Länder
        verwundert aber eigentlich nicht, wenn man sich allein die
        Probleme einer kontinuierlichen Bewertung des Grund-
        vermögens vor Augen hält.
        Aus einem Grund hätte eigentlich die Mehrheit der
        Länder 1999 für eine Wiedererhebung der Vermögen-
        steuer stimmen müssen: Das Aufkommen aus der Vermö-
        gensteuer fließt allein den Ländern zu. Im letzten Jahr der
        Erhebung, 1996, brachte die Vermögensteuer rund 9 Mil-
        liarden Mark in die öffentlichen Kassen. Allerdings wur-
        den als Kompensation für die Länder ja die Erbschaft- und
        die Grunderwerbsteuer erhöht und diese Einnahmen ha-
        ben so von 1996 bis 2000 um fast 50 Prozent zugenom-
        men. Und das sind ja auch Steuern auf Vermögen, wenn
        auch auf den Vermögensübergang.
        Zum anderen stünde es völlig im Widerspruch zu den
        Zielen unserer Unternehmensteuerreform, eine betriebli-
        che Vermögensteuer wieder zu erheben. Die Globalisie-
        rung schreitet voran. Wir stehen als Unternehmensstand-
        ort im Wettbewerb mit anderen Ländern. Dieser Realität
        können wir nicht ausweichen. Wir müssen den Unterneh-
        men deshalb attraktive Rahmenbedingungen bieten, wenn
        wir wollen, dass sie in Deutschland investieren und hier
        Arbeitsplätze sichern und schaffen. Diese Rahmenbedin-
        gungen haben wir durch die durchgreifende Senkung der
        Steuersätze geschaffen. Es wäre völlig unsinnig, wenn wir
        die Effekte dieser Reform jetzt mit neuen Steuererhöhun-
        gen wieder gefährden würden.
        Bliebe also nur eine Vermögensteuer auf das private
        Vermögen. In diesem Fall wäre aber das Kosten-Einnah-
        men-Verhältnis noch schlechter. Hinzu kämen noch er-
        hebliche Abgrenzungsprobleme zwischen betrieblichem
        und privatem Vermögen.
        Das sind einige Gründe, warum es politisch und öko-
        nomisch wenig Sinn macht, die Vermögensteuer wieder
        zu erheben. Ich finde es aber auch unter dem Aspekt einer
        gerechten Besteuerung von großen Vermögen viel effek-
        tiver, wenn wir die europäische Lösung für die Besteue-
        rung von Zinsen weiter voran bringen. Letztendlich spie-
        gelt sich in den Kapitalerträgen am besten wider, welchen
        finanziellen Nutzen ein Vermögen einbringt.
        Zum Abschluss möchte ich noch eine Bemerkung zur
        Antragsbegründung machen. Die PDS spricht hier von
        dem angeblich fehlenden sozialen Ausgleich bei der Ein-
        kommensteuerreform. Dem muss ich widersprechen. Wir
        haben die Entlastung bei der Einkommensteuerreform vor
        allem auf die unteren und mittleren Einkommen konzen-
        triert. So erhalten zu versteuernde Einkommen bis
        40 000/80 000 Mark dieses Jahr fast 30 Prozent der Ge-
        samtentlastung. Ihr Anteil am Einkommensteueraufkom-
        men beträgt aber nur knapp 18 Prozent. Auch 2003 ist die
        Entlastung der unteren und mittleren Einkommen über-
        proportional. Sie erhalten mehr als 36 Prozent der Entlas-
        tung bei einem Anteil am Aufkommen der Einkommen-
        steuer von nur rund 14 Prozent. Sogar im Jahr 2005, dem
        Jahr, in dem der Spitzensteuersatz um fünf Prozent auf
        dann 42 Prozent sinkt, haben die kleinen Einkommen
        noch 17,5 Prozent Anteil an der Entlastung bei einem An-
        teil am Aufkommen von knapp 12 Prozent. Ich denke,
        diese Zahlen sprechen für sich: Die rot-grüne Koalition
        hat vor allem kleine und mittlere Einkommen entlastet.
        Gisela Frick (F.D.P.): Der Antrag der PDS, der die
        Wiedererhebung der Vermögensteuer verlangt, zeigt, dass
        es noch immer viel zu wenig Grundverständnis für die so-
        ziale Marktwirtschaft gibt. Beklagt werden die Entlastun-
        gen bei der Einkommensteuer, gefordert wird staatliche
        Umverteilung. Befürchtet wird der Rückgang staatlicher
        Leistungen.
        Um das zu verhindern, sollen Einkommen- und Ver-
        mögensteuer zusammen 60 Prozent der Summe der Ein-
        künfte betragen. Diese Forderung widerspricht nicht nur
        dem grundgesetzlich gesicherten Schutz des Eigentums;
        das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich festge-
        legt, dass das Grundgesetz dem Staat nur erlaubt, etwa die
        Hälfte der Einnahmen wegzusteuern. Die Forderung be-
        legt darüber hinaus, dass sich die PDS weigert, einige
        Fakten zur Kenntnis zu nehmen: Unser Einkommen-
        steuersystem ist von dem Grundsatz der Besteuerung nach
        der Leistungsfähigkeit gekennzeichnet. Dem entspricht es,
        dass die 10 Prozent der Bürger mit den höchsten Einkom-
        men mehr als 50 Prozent des Einkommensteueraufkom-
        mens aufbringen. Die 50 Prozent der Bürger mit den ge-
        ringeren Einkommen, zu deren Schutzpatron sich die PDS
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001 18047
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        machen möchte, tragen weniger als 10 Prozent zum
        Steueraufkommen bei. Damit kann unser Einkommen-
        steuersystem alles in allem schlicht und einfach nur als
        gerecht bezeichnet werden.
        Kennzeichen der sozialen Marktwirtschaft ist auch die
        Freiheit des Einzelnen. Auch das will die PDS nicht wahr-
        haben, wenn sie meint, der Staat könne Geld besser als der
        Bürger investieren. Es ist doch aberwitzig zu unterstellen,
        wie die PDS es tut, dass erzielte Einkünfte in der privaten
        Schatulle bleiben. Tatsache ist vielmehr, dass Kapital
        wieder investiert wird, sei es in Unternehmen, sei es in
        den Wohnungsbau. Dadurch entsteht Wohnraum und
         das sollte die PDS endlich einmal zur Kenntnis neh-
        men  Arbeitsplätze.
        Aufgabe des Staates in einer sozialen Marktwirtschaft
        ist die Absicherung des Existenzminimums und die
        Schaffung von Chancengleichheit für alle. Darunter ist al-
        lerdings nicht Gleichmacherei zu verstehen. Investitionen
        sollen sich rentieren, Risiko wird belohnt. Das geht aller-
        dings nur in einer freien Marktwirtschaft, in der der Staat
        nicht für alles zuständig ist und umverteilt. Zur Vermö-
        gensteuer. Ihre Wiedererhebung ist verfassungswidrig,
        weil sie dem so genannten Halbteilungsgrundsatz wider-
        spricht. Zudem muss auch die PDS zur Kenntnis nehmen,
        dass der Wegfall der Vermögensteuer durch eine Anhe-
        bung der Erbschaftsteuern und der Grunderwerbsteuern
        seinerzeit mehr als kompensiert wurde. Vermögen tragen
        also in erheblichem Umfang zum Steueraufkommen bei.
        Die F.D.P. ist aus diesem Grund gegen die Wiedererhe-
        bung der Vermögensteuer.
        Anlage 10
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrages: Digitale Spaltung
        der Gesellschaft überwinden  Eine Informati-
        onsgesellschaft für alle schaffen (Tagesordnungs-
        punkt 18)
        Jörg Tauss (SPD): Die Kernaussage des heute zur
        Beratung stehenden Antrages der Koalitionsfraktionen
        Digitale Spaltung überwinden  eine Informationsge-
        sellschaft für alle schaffen kann kurz und prägnant in
        einem Satz zusammengefasst werden: Die digitale Spal-
        tung vorn heute kann die soziale und kulturelle Spaltung
        von morgen bedeuten. Der Antrag befasst sich mit den
        Herausforderungen, die zur Sicherung der Teilhabe aller
        Bevölkerungskreise an der Wissens- und Informationsge-
        sellschaft zu bewältigen sind. Die soziale Teilung (digi-
        tal divide) in Teilnehmer und Nichtteilnehmer an neuen
        Informations- und Kommunikationstechnologien  in
        haves und have-nots  ist angesichts des umfassen-
        den Strukturwandels in allen modernen Gesellschaften
        hin zur Informations- und Wissensgesellschaft ein zentra-
        les Zukunftsproblem.
        Dabei nimmt der Antrag Bezug auf die wichtige Initia-
        tive e-Europe der Europäischen Kommission, das Ak-
        tionsprogramm Innovation und Arbeitsplätze in der In-
        formationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts und das
        Zehn-Punkte-Programm der Bundesregierung Internet
        für alle zur Überwindung der digitalen Spaltung der Ge-
        sellschaft. All diese Aktivitäten enthalten wichtige Ziele
        und Maßnahmen zur Überwindung der digitalen Spaltung
        der Gesellschaft. Daher begrüßt der Antrag der Koaliti-
        onsfraktionen insbesondere die Zielsetzung dieser Initia-
        tiven, die Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen an diesem
        Gesamtprozess sicherzustellen und so den sozialen Zu-
        sammenhalt zu stärken.
        Dabei greift der Antrag der Koalitionsfraktionen fünf
        zentrale Schwerpunktthemen auf: den Zugang zu Infor-
        mations- und Kommunikationsmöglichkeiten, den Zu-
        gang zu Inhalten, die Sicherheit und den Schutz der Da-
        ten und Informationen sowie den Zugang durch Wissen
        und Bildung.
        Erstens: Zugang zu Informations- und Kommunikati-
        onsmöglichkeiten. Der Zugang zu den IuK-Technologien
        wird als die entscheidende Voraussetzung für die Ent-
        wicklung zur Informations- und Wissensgesellschaft an-
        gesehen. Als besonders entscheidend wird der Auf- und
        Ausbau einer leistungsfähigen Infrastruktur und eines
        flächendeckenden breitbandigen Zugangs (im Fest- und
        Mobilfunknetz) beschrieben. Doch entscheidend ist nicht
        nur der technische Zugang, sondern der Abbau von ver-
        schiedensten Zugangsbarrieren  bis hin zur Überwin-
        dung kultureller Barrieren  und die Entwicklung einer
        umfassenden Medienkompetenz.
        Zweitens: Zugang zu Inhalten. Der technische Zugang
        allein reicht nicht aus. Den zweiten Schwerpunkt richtet
        der Antrag dann auch konsequenterweise auf die Not-
        wendigkeit der Verfügbarkeit relevanter und hochwerti-
        ger Informationen und Inhalte im Internet. Hierzu wird
        mittelfristig auch die Sicherstellung der Archivierung,
        also die Sicherstellung des kulturellen Gedächtnisses,
        zählen. Wenn in der sich herausbildenden Wissens- und
        Informationsgesellschaft Inhalte oft nur noch in digitaler
        Form vorliegen, müssen hierfür neue Instrumente ent-
        wickelt werden, um auch in dieser Gesellschaftsformation
        die Kontinuität des kulturellen und gesellschaftlichen
        Gedächtnisses sicherstellen zu können. Neben oft un-
        überbrückbaren Hürden wie sich rasch ablösende Soft-
        wareversionen fehlen bis heute neue Institutionalisie-
        rungsprozesse und der Aufbau neuartiger Routineabläufe,
        wie sie heute bei der Archivierung in Bibliotheken selbst-
        verständlich sind. In diesem Zusammenhang sei auch
        noch einmal auf die Notwendigkeit eines Informations-
        freiheitsgesetzes angesprochen, wie dies in der Koaliti-
        onsvereinbarung vereinbart ist.
        Drittens: Sicherer Zugang. Angesichts der immer
        größeren Bedeutung, die die neuen Informations- und
        Kommunikationsmöglichkeiten in allen gesellschaftli-
        chen Bereichen haben, kommt dem Schutz und der Si-
        cherheit von Informationen und Daten eine zentrale Rolle
        zu. Sie werden zu den zentralen Akzeptanzvoraussetzun-
        gen in der Wissens- und Informationsgesellschaft  und
        ohne einen derartigen Schutz und vor allem ohne eine der-
        artige Akzeptanz werden auch die vielen Geschäftsmo-
        delle der Net Economy schneller kollabieren, als der Kurs
        am Neuen Markt zu fallen vermag; von den Angeboten
        wie e-Demokratie oder e-Verwaltung ganz zu schweigen.
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        Angesprochen werden die neuen Gefährdungspoten-
        ziale, wobei hier festzuhalten bleibt, dass eine Debatte
        über die tatsächlichen Bedrohungen leider noch immer
        aussteht und dass wir uns datenmäßig auf sehr unsicherem
        Terrain bewegen. Die Novellierung des BDSG in der ers-
        ten Stufe, mit der die EG-Datenschutzrichtlinie umgesetzt
        und erste neue technikrechtliche Instrumente eingeführt
        wurden, ist ein wichtiger erster Schritt in die richtige
        Richtung. Die zweite Stufe, in der eine umfassende Mo-
        dernisierung des Informationsrechtes auf der Agenda
        steht, ist zugleich eine wichtige Pilotphase in Sachen elek-
        tronischer Demokratie.
        Viertens: Zugang durch Wissen und Bildung. Dieser
        Abschnitt des Antrages der Koalitionsfraktionen stellt
        fest, dass Medienkompetenz die Grundvoraussetzung für
        die individuelle Teilhabe an der Wissens- und Informati-
        onsgesellschaft darstellt. Die Bundesregierung hat hierzu
        zahlreiche Projekte und Programme initiiert, die eben ge-
        nau diesen Schwerpunkt setzen. Dabei gilt es zunehmend
        auch darauf zu achten, dass die Vermittlung von Medien-
        kompetenz und informationstechnischer Kompetenz ver-
        stärkt auch in der Lehrerausbildung verankert werden
        muss.
        Fünftens: Zugang als demokratische Teilhabe. Dieses
        Kapitel widmet sich abschließend der gesamtgesell-
        schaftlichen Dimension eines möglichen digital divide
        und stellt die erheblichen Partizipationspotenziale in den
        Mittelpunkt der Betrachtung. Es gibt inzwischen auf allen
        Ebenen zahlreiche e-Demokratie-, e-Government- und
        e-Verwaltung-Projekte, die diese Potenziale fruchtbar
        machen wollen. Der Deutsche Bundestag hat auf Initia-
        tive des Unterausschusses Neue Medien die umfassende
        Modernisierung des Informationsrechtes der Bürgerinnen
        und Bürger zum Anlass genommen, ein eigenes e-Demo-
        kratie-Pilotprojekt zu starten. Dieses Vorhaben dient vor
        allem der Auslotung der Chancen und Möglichkeiten
        eben dieser elektronischen Demokratie hinsichtlich einer
        verbesserten Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger. Heute
        Früh hat er das Projekt, das über die Homepage des Bun-
        destages oder aber www.elektronische-demokratie.de er-
        reichbar ist, offiziell gestartet. Zum ersten Mal kann somit
        ein Gesetz nicht nur im Parlament, sondern auch im In-
        ternet mit entstehen. So sollen im Rahmen der Moderni-
        sierung des Datenschutzrechtes und des Informationsfrei-
        heitsgesetzes nicht nur die Referentenentwürfe, sondern
        auch Ergebnisse der Expertengutachten, die Positionen
        der Bundestagsfraktionen und die von den Verbänden vor-
        gelegten Stellungnahmen im Internet veröffentlicht und
        vor allem zur Diskussion gestellt werden. Denn das ist der
        eigentliche Kern des e-Demokratie-Pilotprojektes  der
        interaktive Austausch: Potenziell jede Bürgerin und jeder
        Bürger kann sich an der Diskussion um die Ausgestaltung
        eines modernen Informationsrechtes für die Wissens- und
        Informationsgesellschaft beteiligen.
        Die Koalitionsfraktionen beziehen hier unter den
        Stichworten Teilhabe und Partizipation auch  im Unter-
        schied zu den Leitlinien der inneren Sicherheit der CDU,
        wie dies auch die Internet-Beauftragte der CDU/CSU-
        Bundestagsfraktion zu Recht feststellt  eine eindeutige
        und vor allem eine Internet-taugliche Position: Herausge-
        stellt wird, dass eine Zensur, die Verpflichtung zur auto-
        matischen Filterung von Inhalten oder eine generelle
        Überwachung elektronischer Kommunikation für demo-
        kratische Staaten nicht in Betracht kommen kann. Gerade
        deshalb ist die Entwicklung eines der neuen Medienwirk-
        lichkeit angepassten und effektiven Jugendmedien-
        schutzes notwendig.
        In diesem Zusammenhang sei auch noch einmal auf die
        Grundfunktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ver-
        wiesen. Die Koalitionsfraktionen fordern den Bund und
        die Länder auf, den Strukturwandel im Rundfunk-, Me-
        dien- und Telekommunikationsbereich aktiv zu gestalten.
        Die Fraktion der SPD und die Fraktion des Bündnis-
        ses 90/Die Grünen leiten aus dieser Analyse des Ist-Zu-
        standes zahlreiche Forderungen ab, wobei die wichtigsten
        Forderungen an die Bundesregierung lauten: rasche und
        entschlossene Umsetzung des Aktionsprogramms und die
        Unterstützung der europäischen e-Europe-Initiative;
        Maßnahmen zur Aufhebung der digitalen Spaltung in den
        Mittelpunkt einer modernen Informations- und Kommu-
        nikationspolitik stellen; Bestand und Weiterentwicklung
        (auch im Online-Bereich) des öffentlich-rechtlichen
        Rundfunks sicherstellen; Informationsangebot der Bun-
        desregierung und Behörden verbessern und möglichst
        rasch das Informationsfreiheitsgesetz umsetzen; Initiati-
        ven zur Steigerung der Sicherheit und Stabilität von In-
        frastrukturen weiterführen (Kritische Infrastrukturen);
        hohes Datenschutzniveau verwirklichen und Daten-
        schutzrecht modernisieren; die Integration der Neuen Me-
        dien in Bildung; Ausstattung der Bildungseinrichtungen 
        in Kooperation mit KMU  verbessern; in enger Abstim-
        mung mit den Bundesländern den Reformbedarf hinsicht-
        lich der bestehenden Medien- und Kommunikationsord-
        nung prüfen und eine Bund-Länder-Initiative zur besseren
        Koordination anstoßen, wie dies im Aktionsprogramm
        angekündigt ist; regelmäßig einen Medien- und Kommu-
        nikationsbericht vorlegen, der  abgestimmt mit den Zwi-
        schenbilanzen desAktionsprogramms, dem Zehn-Punkte-
        Programm und dem Aktionsplan e-Europe  über die
        Entwicklungen in diesem Bereich unterrichtet.
        Ich bitte um die Zustimmung zu diesem Antrag. Ei-
        gentlich müsste es doch ein unumstritten gemeinsames
        Anliegen des Deutschen Bundestages sein, eine derartige
        digitale Spaltung zu verhindern, um die vielen Hoffnun-
        gen und Erwartungen, die mit eben dieser Gesellschafts-
        formation verbunden werden, Wirklichkeit werden zu
        lassen.
        Monika Griefahn (SPD): Es wundert mich manch-
        mal, dass die meisten Fragen, die mit den modernen In-
        formations- und Kommunikationstechniken zusammen-
        hängen, in der Öffentlichkeit, aber auch in der Politik
        deutlich weniger Aufmerksamkeit erfahren, als ihnen ei-
        gentlich gebührt. Dabei sollte es sich doch inzwischen
        herumgesprochen haben, dass der Computer und das In-
        ternet die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland,
        in Europa, ja weltweit in den nächsten Jahren weit stärker
        beeinflussen wird, als manch anderes Thema, das die po-
        litischen Debatten bestimmt und Schlagzeilen produziert.
        Es ist ja nicht so, als wären Computer und Internet le-
        diglich beliebige technische Neuerungen unter einer Viel-
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        zahl anderer. Es wird in absehbarer Zukunft keinen Be-
        reich des gesellschaftlichen Lebens, des Alltags der Men-
        schen mehr geben, in dem der Computer nicht eine her-
        ausragende, ja tragende Rolle spielt. Wirtschaft und
        Gesellschaft sind bereits heute in hohem Maße informati-
        onstechnisch gestützt und werden es in Zukunft erst recht
        sein.
        Der Eintritt in die das vorletzte und letzte Jahrhundert
        so prägende Industriegesellschaft war durchdrungen von
        dem harten, viele Menschen existenziell bedrohenden
        Konflikt zwischen Kapital und Arbeit. Der lange Zeit an-
        haltende Ausschluss der arbeitenden Menschen vom ge-
        sellschaftlichen Reichtum, aber auch von der Information
        und dadurch von der Macht, war der kapitalistisch verfass-
        ten Industriegesellschaft von Anfang an in die Wiege ge-
        legt. Es bedurfte vieler und harter Kämpfe der Arbeiter-
        bewegung, um die Teilhabe der arbeitenden Menschen an
        Staat und Gesellschaft und letztendlich auch am Betriebs-
        vermögen durch Anteile oder heute Vorzugsaktien durch-
        zusetzen.
        Der Übergang von der Industrie- zur Informations- und
        Wissensgesellschaft ist ebenfalls von Gefahren sozialer
        und kultureller Ausgrenzung bedroht. Die Benachteili-
        gungen, von denen zu reden sein wird, sind bei weitem
        nicht so weitreichend, nicht so scharf und nicht so exis-
        tenziell bedrohend wie die Konflikte, die für die Früh-
        phase der Industriegesellschaft prägend gewesen waren.
        Ernst nehmen muss man sie doch.
        Die Beobachtung des digital divide oder  auf
        deutsch  der digitalen Spaltung der Informationsge-
        sellschaft ist nicht neu. Vor gut zehn Jahren, als man all-
        mählich eine Vorstellung davon bekam, dass die techni-
        sche und kulturelle Beherrschung des Computers
        irgendwann die Eintrittskarte in das gesellschaftliche und
        berufliche Leben sein würde, ist zugleich deutlich gewor-
        den, dass es noch lange eine große Anzahl Menschen ge-
        ben würde, die aus vielerlei Gründen von der Teilhabe an
        der Informationsgesellschaft ausgeschlossen bleiben
        würde. Die Aufgabe der Politik besteht also darin, dafür
        Sorge zu tragen, dass die bereits bestehende digitale Spal-
        tung nicht noch tiefer, sondern nach und nach überwun-
        den wird. Die Bundesregierung hat mit ihrem Zehn-
        Punkte-Programm Internet für alle die Richtung und die
        Inhalte, um die es gehen wird, und mit dem Aktionspro-
        gramm ein Paket mit Zielperspektive vorgegeben.
        Die Anschaffung und der Betrieb eines internetfähigen
        Computers kosten Geld. Gemessen am Durchschnittsein-
        kommen kosten sie sogar viel Geld, besonders da sich die
        Technik so schnell weiterentwickelt und ständig Neuan-
        schaffungen erfordert. Deswegen ist es wichtig, dass all
        diejenigen, die sich gegenwärtig einen Computer noch
        nicht leisten können, die Chance erhalten, über öffentliche
        Terminals die modernen Informations- und Kommunika-
        tionstechniken zu nutzen. Neben der vom Bundesbil-
        dungsministerium geförderten Einrichtung von Me-
        dienecken in öffentlichen Bibliotheken wird es verstärkt
        darauf ankommen, darüber hinaus öffentliche Einrichtun-
        gen zu Kommunikationszentren auszubauen und auch
        mobile Internetcafes zu fördern und voranzubringen.
        Ein besonderes Augenmerk müssen wir auf jene Grup-
        pen in der Gesellschaft richten, die zumindest gegenwär-
        tig noch internetfern sind. Dazu gehören Arbeitslose,
        Behinderte und auch ältere Menschen und auch immer
        noch Frauen. Die Bundesregierung hat auch hier die Wei-
        chen richtig gestellt. Das im Zehn-Punkte-Programm der
        Bundesregierung vorgesehene Internetzertifikat für Ar-
        beitslose ist ein wichtiger Schritt und hilft bei der Wie-
        dereingliederung in das Berufsleben. Diese Maßnahme ist
        ein Beitrag zur Wiedereingliederung in das Berufsleben.
        Weitere Anstrengungen bleiben nötig.
        Um mehr behinderte Menschen an den Computer he-
        ranzuführen, müssen sich vor allem Hard- und Soft-
        wareanbieter um technische Vereinfachungen und Hilfen
        bemühen. Dazu gehört insbesondere die benutzerfreund-
        liche und behindertengerechte Handhabung des Gerätes.
        Das Nutzungsverhalten zeigt deutlich: Der Computer
        und das Internet spalten immer noch die Generationen.
        Aber auch ältere Menschen dürfen vom gesellschaftlichen
        Leben in der Wissens- und Informationsgesellschaft nicht
        ausgeschlossen werden. Was wir brauchen, sind gezielte
        Fördermaßnahmen, die Entwicklung spezieller Seminar-
        konzepte und -angebote für Senioren und mit Blick auf
        den Arbeitsmarkt gezielte Qualifikationsmaßnahmen für
        ältere Arbeitnehmer und Arbeitslose. Das vom Bundes-
        wirtschaftsministerium geförderte Senior-Mobil ist
        eine richtige Maßnahme, reicht aber auf Dauer natürlich
        nicht aus.
        Exemplarisch kann man die Generationenkluft immer
        noch in der täglichen Schulpraxis erleben. Noch immer ist
        der Satz, wonach die Schüler ihre Lehrer in die Geheim-
        nisse des PC einweihen, keineswegs falsch. Ich habe es
        eingangs erwähnt und wiederhole: Beherrschung des
        Computers ist die Eintrittskarte in das Berufsleben. Und
        nicht nur das: Sie ist inzwischen zu einer unverzichtbaren
        Kulturtechnik geworden. Deshalb ist die Nutzung von PC
        und Internet ein Handwerk, dass Kinder neben den jetzi-
        gen Grundlagen wie die deutsche Sprache lernen müssen.
        Sie müssen aber auch sehr früh ein zweite Sprache  Eng-
        lisch, Französisch, Russisch  lernen müssen. Zu fragen
        ist dabei, ob Jugendliche die Lust am Surfen dann verlie-
        ren, wenn es vorgegebener Lernstoff ist und nicht nur frei-
        willig ist.
        Aber vom Grad der Bildung und Ausbildung der Men-
        schen in Deutschland hängt die Zukunftsfähigkeit unserer
        Gesellschaft und die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft
        ab, allerdings  wenn man die OECD-Zahlen betrachtet 
        nicht ausschließlich der Umgang mit dem PC und dem In-
        ternet. Die Bundesregierung befindet sich diesbezüglich
        in einer schwierigen, aber nicht aussichtslosen Lage: Sie
        muss einerseits die schweren Versäumnisse ihrer Vorgän-
        ger überwinden und zugleich noch an Tempo zulegen, um
        international in allen Bereichen gleichzuziehen.
        Für die Bundesregierung ist das Internet Bestandteil
        der Allgemeinbildung. Gemeinsam mit den Ländern und
        der Wirtschaft setzt sie sich für die Anwendung moderner
        Informations- und Kommunikationstechniken in unserem
        Bildungssystem ein. Die beschleunigte Ausstattung der
        Berufsschulen wurde vom Bundesbildungsministerium in
        Angriff genommen.
        Die Initiative e-europe in der Europäischen Union,
        der eigentliche Anlass der heutigen Debatte, will eine ver-
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 200118050
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        besserte und modernisierte Internet-Infrastruktur der
        Hochschulen sowie den Zugang zu relevanten Informa-
        tionen und Multimedia-Vorlesungen für Studierende. Sie
        will den Internetzugang für alle Schulen auch in benach-
        teiligten Gebieten. Und sie will Unterstützungsdienste für
        Lehrer und Schüler.
        Diese Ziele sind auch die Ziele der Bundesregierung.
        In Zusammenarbeit mit der IuK-Branche sollen alle deut-
        schen Schulen so schnell wie möglich mit Internetzugän-
        gen versehen werden. Eine anhaltende, kontinuierliche
        Kooperation mit IT-Fachleuten und Sponsoren soll durch
        Patenschaften für Schulen gewährleistet werden, die be-
        sonders für die Fortbildung von Lehrkräften genutzt wer-
        den soll.
        Unverzichtbar ist die informationstechnische Aus- und
        Weiterbildung für alle Bevölkerungsgruppen. Die Bun-
        desregierung verfolgt das Ziel, Abgängern aus IuK-Beru-
        fen, Quereinsteigern und Berufsanfängern eine systema-
        tische, hoch qualifizierte Weiterbildung im IuK-Bereich
        zu ermöglichen. Sozialpartner, Branchen- und Unterneh-
        mensvertreter sowie Experten aus der Herstellerbranche
        und verschiedenen Anwenderbereichen wirken daran mit.
        Es wird darauf ankommen, den jetzt eingeschlagenen
        Weg des Aufbaus eines modernen Weiterbildungs- und
        Qualifizierungssystems unbeirrt weiter zu verfolgen. Eine
        informationstechnische Grundausbildung sollte aber auch
        zum Standard in anderen als informationstechnischen
        Ausbildungsberufen werden. Die Ausbildungsordnungen
        müssen weiter modernisiert werden.
        Ich wünsche mir, dass dem Megatrend zur Informati-
        ons- und Wissensgesellschaft in der Öffentlichkeit mehr
        Aufmerksamkeit gewidmet wird. Es ist höchst unbefrie-
        digend, wenn das Internet vorwiegend in Zusammenhang
        mit Nazis und Kinderpornographie Erwähnung findet.
        Wie jedes Medium hat auch das Internet seine  in diesen
        beiden Fällen besonders widerliche  Schattenseiten. Das
        Internet ist aber vor allem und hauptsächlich ein Medium,
        ein Handwerkszeug, das uns allen nutzen kann und nut-
        zen wird.
        Das mit 670 Millionen DM ausgestattete Programm
        Neue Medien fördert die Entwicklung hochwertiger
        Lehr- und Lernsoftware. Mit der Förderung virtueller
        Hochschulen sollen die Voraussetzungen für überregio-
        nales, multimediales Lernen und Arbeiten an den Hoch-
        schulen verbessert bzw. erst geschaffen werden.
        Die zeit- und ortsunabhängige Nutzung wissenschaft-
        licher Publikationen wird für Wissenschaftler und Studie-
        rende immer wichtiger. Deshalb ist der Aufbau einer di-
        gitalen Bibliothek, die den Zugang zu den global
        vorhandenen wissenschaftlich-technischen Informatio-
        nen ermöglichen soll, so wichtig.
        Und zum Schluss: Ich wünsche mir von Herstellern
        und Providern auch eine Bedienergrundeinheit, die Spaß
        macht. Denn manchmal ist auch heute noch die Suche
        nach Informationen zeitaufwändig und nervig.
        Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU): Das Internet ist
        viel mehr als nur ein Informationsmedium. Das Internet
        ist eine neue Basistechnologie. Es ist Datenautobahn,
        Marktplatz, öffentliches Forum und privates Kommuni-
        kationsmittel zugleich. Dies bedeutet: Der Zugang zum
        Internet und die Fähigkeit zur Nutzung des Internet wer-
        den für jeden Menschen zu einer wesentlichen Vorausset-
        zung, um am wirtschaftlichen, politischen und sozialen
        Leben überhaupt teilnehmen zu können. Die Möglich-
        keit und die persönliche Fähigkeit, die neuen Medien zu
        nutzen, entscheiden in Zukunft immer stärker über Teil-
        habe am gesellschaftlichen Leben und persönliche Chan-
        cen auf dem Arbeitsmarkt. Eine breite Internetnutzung ist
        auch für unsere Wirtschaft, unsere Wettbewerbsfähigkeit
        und damit für neue Arbeitsplätze entscheidend. Je mehr
        Menschen schnellen Zugang zu Informationen haben und
        diese anwenden, desto mehr kann die Wirtschaft wachsen
        und können neue Arbeitsplätze entstehen. Schließlich hat
        eine breite Internetnutzung eine demokratiepolitische Di-
        mension, da auch der Meinungsbildungsprozess zuneh-
        mend im Internet stattfinden wird. Wer keine Internet-
        kompetenz hat, wird auf Dauer vom demokratischen
        Prozess immer stärker ausgeschlossen sein.
        Deshalb ist es eine der zentralen Aufgaben für die Po-
        litik, jedem Einzelnen den Zugang zum Internet zu er-
        möglichen. Der Zugang zum Internet ist entscheidend für
        die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Internet für alle ist
        das Ziel, um die digitale Spaltung der Gesellschaft zu ver-
        hindern. Internet für alle ist die Voraussetzung für unsere
        Gesellschaft, den Wandel von der Industrie- zur Wissens-
        gesellschaft zu vollziehen und die großen Chancen für die
        Zukunft zu nutzen.
        Leider belegen aktuelle Untersuchungen, dass die Ge-
        fahr der digitalen Spaltung in user und loser, in so ge-
        nannte ,,onnies und offies, in Deutschland wächst. Die
        Kluft zwischen denjenigen, die im Umgang mit PC und
        Internet fit sind und denjenigen, die weder Zugang zur di-
        gitalen Welt noch Kenntnisse der Informationsverarbei-
        tung haben, wird größer. Aktuelle Studien prognosti-
        zieren, dass auch im Jahr 2004 in Deutschland noch
        30 Millionen Menschen vom Internet ausgeschlossen
        bleiben. Die Trennlinien verlaufen anhand von drei Krite-
        rien: Altersstruktur, Ausbildungsstand und Wohngebiet.
        Es besteht bereits jetzt die Gefahr, dass in einigen Bevöl-
        kerungsgruppen  bestimmte Bildungsgänge, Frauen, Se-
        nioren, Arbeitslose, Bewohner ländlicher Gebiete  die
        Abweichung der Internetnutzerverteilung von der Zusam-
        mensetzung der Gesamtbevölkerung noch weiter zuneh-
        men wird.
        Eine wesentliche Ursache ist die falsche Politik der
        Bundesregierung. Die Aktion Internet für alle kommt
        viel zu spät. Bereits im September 1999 wurde unter
        großem öffentlichen Getöse das Aktionsprogramm Inno-
        vation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft
        des 21. Jahrhunderts vorgestellt  aber erst jetzt, fast
        zwei Jahre später, soll die Aktion anlaufen. Zwei Jahre hat
        die Bundesregierung untätig verstreichen lassen. Zwei
        Jahre sind im immer schneller werdenden Internetzeital-
        ter eine Zeitspanne, die im globalen Wettbewerb über
        Sein oder Nichtsein entscheidet. Die Bundesregierung hat
        die Entwicklung verschlafen und ist deshalb entscheidend
        dafür verantwortlich, dass sich die digitale Spaltung in
        Deutschland verschärft hat  mit allen negativen sozialen
        und wirtschaftlichen Folgewirkungen.
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001 18051
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Aber die Politik befindet sich nicht nur auf der
        Kriechspur. Sie schlägt in vielen Bereichen auch noch die
        vollkommen falsche Richtung ein. Im internationalen
        Vergleich gibt es in Deutschland einfach viel zu viele Zu-
        gangshürden zum Internet. Zugangshürde Nummer eins
        sind die Kosten. Auch Bezieher niedriger Einkommen
        müssen Zugang zur Infrastruktur Internet haben. Der Zu-
        gang zum Internet muss so günstig wie möglich sein.
        Wahr ist aber, dass die Zugangskosten in Deutschland,
        insbesondere bei zeittaktunabhängigen Tarifen, so ge-
        nannte Flatrate, in Deutschland im internationalen Ver-
        gleich nach wie vor zu hoch sind. Auch der Wettbewerb
        im Ortsnetz ist in Deutschland vollkommen unzurei-
        chend. Bei der flächendeckenden Umstellung auf die
        DSL-Technologie hinkt Deutschland hinterher. Schlimm
        ist, dass die Bundesregierung durch falsche Politik bei den
        Kosten noch draufsattelt: Urheberrechtsabgaben auf
        Hardware und drohende Belastungen in Milliardenhöhe
        durch die TKÜV würden die Zugangskosten in Deutsch-
        land einseitig weiter in die Höhe treiben und gerade für
        Menschen mit geringem Einkommen den Einstieg ins In-
        ternet zusätzlich erschweren.
        Eine weitere Hürde ist die mangelnde Medienkompe-
        tenz. Die wachsende digitale Spaltung ist immer mehr ein
        Bildungsproblem. Bildung im Internet-Zeitalter muss die
        Menschen vor allem dazu befähigen, Informationsange-
        bote zu verstehen, analysieren und bewerten zu können.
        Das fängt in der Schule an. Eine Studie vom Mai 2001 be-
        legt: Noch nie war die Kluft bei der Internetnutzung zwi-
        schen Hauptschülern und Gymnasiasten so groß wie
        heute. Selbst wenn eines Tages alle ,,Schulen ans Netz
        angeschlossen sind, bleibt die digitale Spaltung weitge-
        hend erhalten, solange nicht gleichzeitig die Allgemein-
        bildung in Deutschland  von elementaren Kulturtechni-
        ken bis zu Englischkenntnissen  verbessert wird und
        allgemeine Lebenskompetenzen wie zum Beispiel Selbst-
        ständigkeit, Vorstellungsvermögen, Auswahlfähigkeit
        und schnelle Auffassungsgabe eingeübt und stärker ge-
        fördert werden. Deshalb muss es richtigerweise heißen:
        Nicht das Internet spaltet die Gesellschaft, sondern die
        vorhandene Bildungskluft innerhalb der Bevölkerung.
        Von immer größerer Bedeutung für eine zukunftsorien-
        tierte Bildungspolitik sind deshalb tragfähige Konzepte
        für lebenslanges Lernen, Weiterbildung, Umschulung am
        PC. Auch hier fehlt eine Gesamtstrategie: Nur die Green-
        card und der Internetführerschein für Arbeitslose reichen
        nicht aus und gehen am eigentlichen Problem vorbei.
        Viele Menschen sehen im Internet noch nicht den zu-
        sätzlichen Mehrwert für die Alltagsbewältigung. Umfra-
        gen zufolge gibt jeder vierte so genannte Nichtnutzer
        als Grund an, er habe generell kein Interesse am Internet,
        weil für ihn persönlich zu wenig attraktive Angebote im
        Netz seien. Gerade deshalb ist die Vorreiterrolle des Staa-
        tes entscheidend. Der Bund selbst ist aber in Deutschland
        auch eine Akzeptanzhürde für die Nutzung des Internets.
        Bei Onlinedienstleistungen des Bundes, Steuererklärung,
        Ausschreibung und Vergabe öffentlicher Aufträge liegt
        Deutschland im internationalen Vergleich zurück. Dabei
        liegen gerade im Bereich des E-Government enorme Po-
        tenziale sowohl für den Abbau der Bürokratie, für einen
        schlanken, effizienten Staat als auch für einen erkennba-
        ren Nutzen für die Bürger und Unternehmen, staatliche
        Dienstleistungen per Mausklick von zu Hause erledigen
        zu können.
        Vollends in die falsche Richtung geht schließlich die
        Wirtschaftspolitik der Bundesregierung. Gerade für
        kleine und mittlere Unternehmen ist das Internet die Ein-
        trittskarte für die globalen Märkte. Doch gerade diese Un-
        ternehmen erleiden in Deutschland durch die unzurei-
        chende Steuerreform, die zunehmende Reregulierung der
        Arbeitsmärkte und die drohende Rechtsunsicherheit im
        E-Commerce durch das EGG enorme Wettbewerbsver-
        zerrungen. So verwundert es nicht, dass deutsche Unter-
        nehmen im internationalen Vergleich bei Internet- und
        E-Commerce-Nutzungsraten gegenüber den USA und
        den skandinavischen Ländern zurückliegen. Damit ist der
        Teufelskreis in Gang gesetzt. Ein großer Teil der deut-
        schen Bevölkerung sieht noch keinen ausreichenden Nut-
        zen im E-Commerce. Für die Unternehmen erscheinen
        E-Commerce-Angebote aber erst ab einer kritischen
        Masse wirtschaftlich sinnvoll. Der Mehrwert des Ange-
        bots gegenüber alternativen Optionen steigt aber mit den
        Anwendern. Gleichzeitig fällt es leichter, weitere Nutzer
        zu gewinnen. Die falsche Wirtschaftspolitik sorgt also zu-
        sätzlich dafür, dass sich die digitale Spaltung in Deutsch-
        land verfestigt. Wir brauchen nicht immer mehr neue
        halbherzige Programme und unabgestimmte Aktions-
        pläne aus diversen Ministerien, sondern eine netzwerk-
        orientierte Gesamtstrategie. Nur dann schaffen wir es,
        dass alle drin sind und möglichst keiner draußen.
        Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
        Wissensgesellschaft lebt vom Zugang zu Informationen.
        Auch in unserer Verfassung genießt das Grundrecht auf
        Meinungs- und Informationsfreiheit einen hohen Rang.
        Gerade die neuen Medien bieten bislang ungeahnte Mög-
        lichkeiten zur Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an
        der Gestaltung einer modernen Gesellschaft, und diese
        moderne Gesellschaft ist eine Gesellschaft, in der Infor-
        mationen das entscheidende Gut zur Beteiligung an ge-
        sellschaftlichen Prozessen sind.
        Bündnis 90/Die Grünen wollen die Teilhabe aller ge-
        sellschaftlichen Schichten an dieser Gesellschaft sichern.
        Wir nehmen die Gefahr einer digitalen Spaltung sehr
        ernst. Es darf nicht so weit kommen, dass sich die Gesell-
        schaft in diejenigen aufspaltet, die über Informationen
        verfügen, und in diejenigen, denen der Zugang zu den In-
        formationsangeboten fehlt.
        Der Zugang zum Internet und zu den elektronischen
        Diensten muss allen offen stehen. Die gleichberechtigte
        Zugangsmöglichkeit zu den Netzen ist eine unabdingbare
        Voraussetzung für eine demokratische Gesellschaft.
        Doch Technik allein führt nicht zu mehr Demokratie.
        Der offene Zugang ist nur eine Voraussetzung zur Über-
        windung einer digitalen Kluft.  Die Vermittlung von Me-
        dienkompetenz ist ein weiterer, entscheidender Faktor.
        Soziale Ungerechtigkeiten mit Hilfe der neuen Medien
        zu überwinden mag eine Utopie sein, und wir wollen auch
        keine unerfüllbaren Erwartungen wecken, doch die Wis-
        sensgesellschaft muss sich auch und insbesondere der so-
        zialen Frage stellen:
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 200118052
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Die gesellschaftliche Teilhabe von Randgruppen oder
        die Verteilung von ökonomischer und politischer Macht
        darf kein Tabu, sondern muss ein Diskussionsthema sein!
        Machen wir uns nichts vor: Zwar ermöglichen offene
        Netze auf den unterschiedlichsten Ebenen Impulse für
        neue Formen von politischer Partizipation und Bildung.
        Doch bislang verläuft die Nutzung der neuen Medien im
        Wesentlichen noch entlang der alten Scheidelinie: jung,
        gut ausgebildet und männlich. Doch Frauen kommen jetzt
        mehr gewaltig als langsam: Sie haben in den vergangenen
        Monaten deutlich aufgeholt und stellen mittlerweile
        knapp 40 Prozent der Nutzer in Deutschland.
        Doch noch immer haben viele  vor allem ältere und
        sozial schwache Personen  zu wenig Verständnis vom In-
        ternet. Da es sich bei der Beherrschung der neuen Infor-
        mationstechnologien aber um Schlüsselqualifikationen
        handelt, sind solche Entwicklungen für uns mehr als be-
        sorgniserregend. Aufgabe einer sozialverträglichen Tech-
        nikgestaltung ist es daher, Menschen gezielt an die neuen
        Medien heranzuführen, Ängste abzubauen und die Me-
        dienkompetenz größerer Bevölkerungsschichten deutlich
        zu erhöhen. Ein ganzes Bündel von Maßnahmen ist also
        notwendig, um diese neue Bildungsoffensive mit Hilfe
        der neuen Medien durchzuführen.
        Bündnis 90/Die Grünen befürworten die Einrichtung
        von sogenannten Kompetenzzentren, in denen gezielt
        Medienkenntnisse vermittelt werden. Außerdem wollen
        wir Initiativen zur Medienweiterbildung gezielt fördern.
        Als Beispiel sei hier die Initiative Frauen ans Netz er-
        wähnt: Sie kann Erfolge vorweisen und sollte unbedingt
        fortgeführt werden.
        In unserer immer älter werdenden Gesellschaft ist es
        zunehmend wichtig, auch den nicht mehr im Beruf ste-
        henden Personen Medienkenntnisse zu vermitteln. Um
        Berührungsängste abzubauen, sollten gerade auch für
        diese Zielgruppe verstärkt Programme entwickelt wer-
        den. Das Gleiche gilt natürlich für gezielte Programme für
        Minderheiten, aber auch für Frauen, Senioren oder Kin-
        der und Jugendliche.
        Wir müssen die Chancen nutzen, die uns die neuen Me-
        dien in Sachen direkter Kommunikation bieten: Wir wol-
        len neue Formen der Beteiligung von Bürgern und Bür-
        gerinnen am politischen Prozess auf den Weg bringen.
        Die Frage eines möglichst breiten Zugangs zum Netz
        kann nur die Grundlage für weitere Projekte und Maß-
        nahmen sein. Die Schaffung eines allgemeinen Zugangs-
        rechtes zu öffentlichen erhobenen und gesammelten Da-
        ten sei hier als ein Beispiel erwähnt.
        Weiterhin werden sich Bündnis 90/Die Grünen auf na-
        tionaler und internationaler Ebene dafür einsetzen, dass
        das mit öffentlichen Mitteln an Universitäten und For-
        schungseinrichtungen generierte Wissen auch zukünftig
        allen frei zur Verfügung steht.
        Ich möchte es abschließend noch einmal betonen:Die
        Informationsgesellschaft ist für alle da und das ist auch
        gut so!
        Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (F.D.P): Der vorlie-
        gende Antrag belegt: In Sachen Internet gibt es zwischen
        den Kollegen, die sich mit dem Thema intensiv befassen,
        oft fraktionsübergreifende Übereinstimmung. So findet
        der Koalitionsantrag zur Überwindung der Digitalen
        Spaltung in den meisten Punkten auch die Zustimmung
        der F.D.P.-Fraktion  obwohl Ihrem Antrag sprachlich oft
        die Prägnanz und die Präzision fehlt. Halb so lang wäre
        doppelt so gut!
        Ich begrüße es aber insbesondere, dass sich anschei-
        nend auch bei SPD und Grünen langsam die Erkenntnis
        durchsetzt: Deutschland braucht die Flatrate! Ich fordere
        die Koalitionsfraktionen und die von ihnen getragene
        Bundesregierung nach diesen wohltuenden Worten auf,
        zugunsten einer Flatrate nun auch Taten folgen zu lassen.
        Warum ergreift Bundeskanzler Schröder bei diesem wich-
        tigen Thema keine Initiative, wo er sich doch sonst immer
        so gern als Impulsgeber feiern lässt? Er könnte sich dabei
        an Staatspräsident Chirac ein Beispiel nehmen, der sich
        erfolgreich für eine Flatrate in Frankreich einsetzte.
        Aber auch auf Parlamentsebene können wir gemein-
        sam etwas tun. Leider ist meine fraktionsübergreifende
        Initiative www.politiker-pro-flatrate.de noch nicht aus
        den Startlöchern gekommen, da sich bisher nur Kollegin
        Bettin bereit erklärt hat, mitzumachen. Ziel ist es, Be-
        kenntnisse für die Flatrate von Politikern aus allen Par-
        teien und Fraktionen auf dieser Seite zu sammeln, um zu
        verdeutlichen, dass bei diesem Thema in der deutschen
        Politik Konsens herrscht.
        Die Flatrate ist und bleibt ein Megathema, da der In-
        ternetnutzer nicht mit der tickenden Uhr am PC sitzen
        möchte. Nur mit der Flatrate hat E-Commerce in Deutsch-
        land eine echte Chance. Die F.D.P. ist daher die erste Par-
        tei, die sich auf ihrem letzten Bundesparteitag im Mai klar
        für die Voraussetzungen von Pauschaltarifen im Netz aus-
        gesprochen hat.
        Lassen Sie mich aber noch auf das Thema eingehen, in
        dem wir uns diametral von Ihnen unterscheiden. Meine
        Kritik bezieht sich auf die von Ihnen geforderten zusätz-
        lichen Online-Aktivitäten von ARD und ZDF. Angeblich
        zur Überwindung der digitalen Spaltung wird in Ihrem
        Antrag eine Ausdehnung des Grundversorgungsauftrags
        der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gefordert.
        Dies lehnt die F.D.P. strikt ab. Wohin Ihre Forderung
        führt, hat die Ministerpräsidentin von Schleswig-Hol-
        stein, Heide Simonis, vor wenigen Tagen in einem Inter-
        view offenbart. Sie fordert eine Zusatzgebühr für die Fi-
        nanzierung weiterer Internetangebote von ARD und ZDF.
        Es geht also nicht nur um die Ausdehnung der Rundfunk-
        gebührenpflicht auf internetfähige PC. Unabhängig hier-
        von, sozusagen on top, sollen also zu den 13 Milliarden
        DM an Rundfunkgebühren jetzt weitere Gebührengelder
        für rechtlich und ordnungspolitisch höchst fragwürdige
        Online-Aktivitäten von ARD und ZDF eingesammelt
        werden. Ich halte das schlicht für finanzielle Wegelagerei!
        Nicht nur das: öffentlich-rechtliche, gebührenfinanzierte
        Internetauftritte tragen keineswegs zur Überwindung der
        digitalen Spaltung bei; ganz im Gegenteil: Sie treiben ei-
        nen Keil in die Netzwirtschaft. Sie sind wettbewerbsver-
        zerrend, sie benachteiligen nicht nur die privaten Rund-
        funkveranstalter, sondern vor allem auch Serviceprovider
        und viele mittelständische Netzanbieter, die zur Finanzie-
        rung ihrer Online-Auftritte keine Subventionen aus dem
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001 18053
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Gebührentopf erhalten und auch keinen Zugriff auf einen
        milliardenschweren Programmschatz und auch nicht auf
        ein weltweites Korrespondentennetz haben.
        Heide Simonis ist mit ihrer Forderung in ein vorzeiti-
        ges Sommerloch geplumpst. Zusätzliche Gebührengelder
        für die Onlineaktivitäten von ARD und ZDF sind rund-
        weg abzulehnen. ARD und ZDF sollen Rundfunk machen
        und nicht Internet. E-Commerce hat bei den Öffentlich-
        Rechtlichen erst recht nichts verloren. So ist es verfehlt,
        wenn allein die ARD 22 Millionen DM für Internetakti-
        vitäten in ihrem Budget für dieses Jahr veranschlagt. In
        den nächsten vier Jahren sollen weitere 88 Millionen da-
        zukommen. Ein programmbegleitendes Informations-
        angebot im Internet ist das, was ARD und ZDF im Netz
        anbieten sollten und rechtlich dürfen. Alles weitere kön-
        nen andere besser tun.
        Da wir den ordnungspolitischen und wirtschaftlichen
        Schaden des wachsenden Eindringens von ARD und ZDF
        in das Internet für schwerwiegend halten, werden wir bei
        den anstehenden Beratungen in den Ausschüssen sehr
        nachdrücklich auf eine dahin gehende Änderung Ihres
        Antrages drängen. Denn wir erachten es für die weitere
        Entwicklung der Informationsgesellschaft als wichtig,
        dass es hierzu weitgehenden Konsens in diesem Hause
        gibt. Daher mein abschließender Appell an die Kollegen
        aus den Koalitionsfraktionen: Beweisen Sie bei dem ge-
        nannten Streitpunkt inhaltliche Flexibilität und ermögli-
        chen dadurch eine fraktionsübergreifende, möglicher-
        weise sogar einstimmige Verabschiedung Ihres Antrages.
        Danke.
        Angela Marquardt (PDS): Zugang für alle ist die Vo-
        raussetzung dafür, dass vor allem das Internet seine de-
        mokratischen Potenziale entwickeln und die Partizipation
        der Bürgerinnen und Bürger an der Gesellschaft verbes-
        sern kann. Die Frage des Zugangs wird über die Zukunft
        des Internet entscheiden. Unabhängig von sozialer Lage,
        Geschlecht und Bildung muss ein freier und unkontrol-
        lierter Zugang möglich sein.
        Ich könnte viel Lobendes zu Ihrem Antrag sagen, aber
        das haben Sie ja bereits selbst absolviert, weshalb ich
        mich auf die Kritikpunkte konzentrieren will.
        Eine soziale Ausgrenzung von den Neuen Medien auf-
        grund zu hoher Kosten darf es nicht geben. Es ist außer-
        ordentlich begrüßenswert, dass die Bundesregierung öf-
        fentliche Terminals in Hochschulen, Berufsschulen und
        Bibliotheken unterstützen will. Die Gesellschaft zerfällt
        in zwei Teile, wenn jene Schülerinnen und Schüler, in de-
        ren Elternhaus kein Onlinezugang besteht, automatisch
        die Verlierer sind. Sie haben ein paar Förderprogramme
        angesprochen. In Ihrem Antrag vermisse ich jedoch ein
        kritisches Wort zur Abhängigkeit all dieser Programme
        von Wirtschaftssponsoring. Die Ausstattung der Bil-
        dungseinrichtungen, das Senior-Mobil, die Förderung der
        Medienkompetenz von Behinderten, das alles gäbe es
        ohne die massive Unterstützung der Privatwirtschaft gar
        nicht.
        Nun ist nichts dagegen zu sagen, wenn die Wirtschaft
        ein paar Groschen springen lässt; schließlich kommt ihr
        die Qualifizierung am Ende auch wieder zugute. Wir be-
        finden uns bereits jetzt in einem Zustand, in dem wir von
        der Spendierfreudigkeit der Wirtschaft komplett abhängig
        sind. Es gibt aber kein interessenfreies Sponsoring. Es
        geht um Werbung und um Einfluss auf den Lehrplan.
        Wenn die Unternehmer die Spendierhosen ausziehen,
        steht die Bundesregierung nackt dar. Sie feiern dies auch
        noch in Form der D-21-Initiative, als wäre das ein gran-
        dioser Erfolg. Das ist mir unverständlich.
        Sie haben auch den Zugang zu den Inhalten angespro-
        chen. Richtig ist, dass es keine Zensur und damit keine
        Verpflichtung zur automatischen inhaltlichen Filterung
        geben darf. Doch das reicht nicht! Die PDS fordert ein
        Verbot von Filtern an öffentlichen Internetzugängen. In
        einer Hochschule, in einer Bibliothek, überall dort, wo
        Menschen ohne eigenen Onlinezugang ins Internet wol-
        len, darf es keine Einschränkung der Bewegungsfreiheit
        im Netz geben, sonst haben wir wieder eine Spaltung der
        Gesellschaft, und zwar in jene, die am eigenen PC selbst
        entscheiden können, was sie sehen, und in jene, die im
        Hinblick auf öffentliche Zugänge bevormundet werden.
        Es kann schon gar nicht sein, dass  so ist es heutzutage
        Realität  ein Hochschuldirektor oder eine Bibliothekarin
        nach eigenem Gutdünken entscheidet, welche Seiten für
        den Benutzer zu sperren sind.
        Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die
        Datensicherheit. Sie schreiben in Ihrem Antrag, Haupt-
        hindernis für die Akzeptanz neuer IuK-Technologien sei
        das mangelnde Vertrauen in die Sicherheit der Daten.
        Doch das Haupthindernis ist nicht das mangelnde Ver-
        trauen, sondern der mangelnde Schutz der Daten. Das
        Misstrauen, das in der Gesellschaft vorherrscht, ist mehr
        als angemessen.
        Die Datenunsicherheit ist übrigens nicht nur ein tech-
        nisches Problem, sondern sie ist politisch gewollt. Die
        Cybercrime-Konvention des Europarates zum Beispiel
        sieht vor, dass Internet- und Mailprovider die Verkehrs-
        daten, also alle Daten über Herkunft, Bestimmung, Pfad,
        Zeit, Größe, Dauer und Art einer Kommunikation, in
        Echtzeit erfassen und für die Überwachungsbehörden zur
        Verfügung stellen müssen. Beim Verdacht auf eine
        Straftat ist auch der Inhalt freigegeben. Wie wollen Sie
        mit dieser Perspektive Vertrauen schaffen bei der Bevöl-
        kerung? Wie soll das etwa mit der Telekommunikations-
        überwachungsverordnung des Bundeswirtschaftsministe-
        riums geschehen, welche die Überwachungsmaßnahmen
        auf das Internet erweitert? Das Recht auf anonyme Kom-
        munikation gehört zu einem freien, unkontrollierten In-
        formations- und Meinungsaustausch im Netz.
        Ihr Antrag klingt gut; aber wie so oft klingt manches
        besser als es ist. Ich hoffe jedoch, dass wir alle gemein-
        sam an der Erreichung des Ziels weiterarbeiten, die Spal-
        tung der Gesellschaft in Loser und User zu verhindern.
        Dr. Julian Nida-Rümelin, Staatsminister beim Bun-
        deskanzler: Ich beginne mit einigen Bemerkungen zum
        Rollenverständnis. Dass die Frage der digitalen Spaltung
        unserer Gesellschaft die Zuständigkeiten des Beauftrag-
        ten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Medien
        betrifft, ist ebenso offenkundig wie der Umstand, dass der
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 200118054
        (C)
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        vorliegende Antrag Bereiche betrifft, die in die Zustän-
        digkeiten vor allem der Bundesministerien für Bildung
        und Forschung sowie für Wirtschaft und Technologie fal-
        len. Die mit dem Begriff Digital Divide benannte Pro-
        blematik ist aber auch eine eminent kulturelle.
        Eine humane Gesellschaft bedarf der Öffentlichkeit.
        Daraus ergibt sich insbesondere für die komplexe und
        ausdifferenzierte Gesellschaft der Moderne eine Heraus-
        forderung. Die Fähigkeit zur Orientierung, gerade auch
        zur Orientierung am Humanum, dem menschlichem Maß,
        setzt die Existenz öffentlicher Foren voraus. Je umfas-
        sender die Netze der Interaktion  nicht zuletzt durch das
        Internet sind sie teilweise weltumspannend , umso wich-
        tiger wird die Verständigung. Es wäre gar nicht möglich,
        in einer Gesellschaft, die so vielfältig, so hochmobil ist
        wie eine moderne Gesellschaft, stabile Strukturen der Ko-
        operation über lange Zeiträume aufrechtzuerhalten, wenn
        wir uns nicht coram publico verständigen könnten, zum
        Beispiel über grundlegende Normen und Werte, die un-
        sere Kooperationen leiten. Wir müssen daher darauf ach-
        ten, dass die Foren der öffentlichen Verständigung nicht
        parzelliert werden. Ich sage dies auch mit Blick auf den
        europäischen Einigungsprozess. Ein demokratisch ver-
        fasstes Europa ist auf eine europäische Öffentlichkeit an-
        gewiesen. Diese europäische Öffentlichkeit existiert bis-
        lang allenfalls in Ansätzen.
        Der Bezug zum Thema Digital Divide liegt auf der
        Hand: Eine digitale Spaltung würde eine tiefgreifende so-
        ziale Spaltung nach sich ziehen, aber auch eine kulturelle
        Spaltung in dem Sinne, dass Öffentlichkeit strukturell ge-
        fährdet wäre, weil bestimmte Bevölkerungsgruppen kei-
        nen Zugang zu den mit dem Internet verbundenen Formen
        der Interaktion und der Verständigung hätten.
        Vor diesem Hintergrund begrüße ich ausdrücklich alle
        im Antrag der Koalitionsfraktionen genannten Maßnah-
        men und Projekte. Sie sind wichtig, denn sie leisten
        unverzichtbare Beiträge zur Erreichung des Ziels einer
        Stärkung demokratischer Öffentlichkeit. Die im Antrag
        aufgeführten Programme sind auch im Hinblick auf die-
        ses Ziel von der Bundesregierung konsequent angegan-
        gen worden. Ich kann diese Maßnahmen und Programme
        hier nicht im Einzelnen erläutern, sondern beschränke
        mich auf zwei Aspekte. Dies ist zum einen die Qualität der
        im Internet verfügbaren Inhalte, zum anderen die Frage
        nach den Herausforderungen für das Bildungswesen.
        Zum ersten Aspekt: Rein technisch betrachtet, bietet
        das Internet eine neuartige Grundlage für die Errichtung
        öffentlicher Foren mit großem Potenzial. Seine Bedeu-
        tung wird weiter zunehmen  Stichwort Konvergenz der
        Medien. Insofern ist es unabdingbar, möglichst vielen
        Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zu Informations-
        und Kommunikationsnetzen zu ermöglichen. Alle
        Bemühungen mit diesem Ziel werden allerdings entwer-
        tet, wenn der technische nicht mit einem inhaltlichen Zu-
        gang einhergeht. Ein genuiner inhaltlicher Zugang setzt
        aber strukturierte Angebote voraus. Bisher hat das Ange-
        bot im Internet einen eher zufälligen Charakter. Das sorgt
        für einen gewissen Charme, der jedoch schnell in Un-
        übersichtlichkeit verfliegt. Dies erhöht nicht zuletzt die
        Barrieren für die diejenigen, die potenziell auf der inter-
        netabgewandten Seite des Digital Divide stehen.
        Lösungsmöglichkeiten ergeben sich aus meiner Sicht
        in erster Linie aus der Übertragung des Public-Service-
        Gedankens auf den Online-Bereich. Ein fester Anteil
        strukturierter gemeinwohlorientierter Angebote ist ein
        probates Antidot zur drohenden Parzellierung und Ver-
        karstung der Internet-Öffentlichkeit. Er wäre ein wichti-
        ges Element kooperativer zivilgesellschaftlicher Struk-
        turen. Das Spektrum reicht dabei von ganz praktischen
        Effizienz- und Transparenzgewinnen in der Interaktion
        zwischen Bürgern und Administration bis zu anspruchs-
        vollen kulturellen Inhalten.
        In diesem Zusammenhang kommt es entscheidend da-
        rauf an, die Erfahrungen und die hohe Kompetenz der öf-
        fentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten verstärkt für das
        Internet nutzbar zu machen. Sie können maßgeblich dazu
        beitragen, ein breites, gleichwohl inhaltlich strukturiertes
        Angebot in den neuen Medien für alle Bürgerinnen und
        Bürger zugänglich zu machen. Meiner Einschätzung nach
        hätte dies übrigens auch Auswirkungen auf die Qualität
        der von privater Seite angebotenen Inhalte, die sich am öf-
        fentlichen Sektor orientieren würden. Die den Rundfunk-
        anstalten zugestandene Entwicklungsgarantie muss ge-
        währleisten, dass sie Öffentlichkeit auch auf dem Weg
        herstellen können, den immer mehr Bürger beschreiten
        werden. Der Name dieses Wegs lautet Internet. Das gel-
        tende Recht der Bundesländer erlaubt den Öffentlich-
        Rechtlichen nur Online-Dienste mit vorwiegendem Pro-
        grammbezug. Wie immer dieser Begriff genau ausgelegt
        wird: Er ist zu eng. Daher mein Appell, über Erweite-
        rungsmöglichkeiten nachzudenken.
        Zum zweiten Aspekt, den ich herausgreifen möchte:
        der Frage nach den Herausforderungen an das Bildungs-
        wesen. Das, was man digitale Spaltung nennt, lässt sich
        am ehesten dadurch verhindern, dass Menschen in die
        Lage versetzt werden, mit digitalen Medien umzugehen.
        Dabei geht es zum einen um das Erlernen basaler techni-
        scher Fertigkeiten im Umgang mit Hard- und Software,
        zum anderen um den Erwerb von Kompetenz, die es den
        Nutzern ermöglicht, Informationen in einen Sinnzusam-
        menhang einzuordnen. Diese Feststellung scheint zu-
        nächst banal. Aus ihr ergeben sich aber durchaus nicht
        triviale Konsequenzen. Ich nenne drei Punkte:
        Erstens. Die Vermittlung der technischen Fertigkeiten
        müsste Bestandteil des elementaren schulischen Kanons
        werden, so wie das Lernen von grundlegenden Kultur-
        techniken wie Lesen, Schreiben oder das Rechnen in den
        Grundrechenarten.
        Zweitens. Die Vermittlung der kognitiven Kompetenz
        im Umgang mit neuen Medien ist zu einem guten Teil die
        Vermittlung von Orientierungswissen, der Fähigkeit, sich
        selbst in einen bestimmten Bezug zur Welt, zu anderen
        Menschen, zu anderen Dingen zu stellen. Dazu gehört un-
        ter anderem  ich kann das hier nur andeuten  das Ver-
        mögen, mit Sprachen, der eigenen und fremden, sorgsam
        und klar umzugehen. Es wäre jedenfalls ein großer Feh-
        ler, zu meinen, dass technische Fähigkeiten im Umgang
        mit dem Internet Teile dessen substituieren können, was
        wir unter Allgemeinbildung verstehen. Im Gegenteil: Das
        Niveau der Allgemeinbildung wird eher steigen müssen,
        auch unter dem Gesichtspunkt Herstellen von Öffent-
        lichkeit. Vor dem Hintergrund der Gefahr einer digitalen
        Spaltung ist dies keine leichte Herausforderung.
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001 18055
        (C)
        (D)
        (A)
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        Drittens. Unser Bildungswesen muss sich verstärkt da-
        rauf einstellen, dass die digitalen Medien kulturelle Ver-
        änderungen nach sich ziehen. Diese Veränderungen be-
        treffen gerade den Bereich der Pop- und Jugendkultur.
        Wir sollten darauf achten, dass die Schulen nicht den
        Kontakt zu jugendlichen Lebenswelten verlieren  Stich-
        wort auch hier wieder Öffentlichkeit. Wir sollten einbe-
        ziehen, dass sich die Entwicklung von Intelligenz nicht
        allein an kognitiven Faktoren festmachen lässt. Wir brau-
        chen im Bildungswesen eine Balance zwischen Sinnlich-
        keit und der Fähigkeit, distanziert Gründe abzuwägen und
        Urteile zu fällen.
        Anlage 11
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Geset-
        zes zur Anpassung bestimmter Bedingungen in
        der Seeschifffahrt an den internationalen Stan-
        dard (Zweites Seeschifffahrtsanpassungsgesetz 
        SchAnpG2 ) (Tagesordnungspunkt 19)
        Annette Faße (SPD): Die Erhöhung der Schiffs-
        sicherheit ist ein ständiger Prozess: national, bilateral und
        international. Auf jeder Ebene gibt es Handlungsbedarf.
        Dies wurde insbesondere nach den Schiffsunglücken der
        letzten Jahre deutlich. Prävention steht bei allen Sicher-
        heitsmaßnahmen an erster Stelle. Es ist somit nur folge-
        richtig, dass Unfälle auf See nicht einfach zur Kenntnis
        genommen werden, sondern dass aus Seeunfällen kurz-
        und mittelfristig, aber auch langfristig Konsequenzen ge-
        zogen werden müssen. Lernen und Vorbeugen heißt die
        Devise.
        Mit der Einrichtung der unabhängigen Expertenkom-
        mission Havarie Pallas unter der Leitung von Senator
        a.D. Claus Grobecker ist ein wichtiger Schritt zu mehr Si-
        cherheit getan worden. Die 30 Empfehlungen sind bereits
        umgesetzt oder befinden sich gerade in der Umsetzung.
        Ich begrüße daher ausdrücklich, dass Bundesverkehrs-
        minister Bodewig Anfang Juni eine umfassende Neukon-
        zeption des maritimen Notfallkonzepts in Nord- und Ost-
        see angekündigt hat. Im Zentrum steht die Errichtung
        eines Havariekommandos, das heißt einer einheitlichen
        Leitung aller Einsatzkräfte des Bundes und der Küsten-
        länder. Bund und Länder haben sich im Grundsatz auf die
        Konzeption geeinigt. Kern ist ein in 24-Stunden-Bereit-
        schaft gehaltenes maritimes Lagezentrum. Dort laufen
        künftig alle relevanten Informationen zusammen.
        Ein weiteres wichtiges Element der neu konzipierten
        maritimen Notfallvorsorge ist die Bereitstellung ausrei-
        chender Notschleppkapazität sowohl für die Nordsee als
        auch für die Ostsee. Zusätzlich zu den Mehrzweckschif-
        fen des Bundes Neuwerk und Mellum wird künftig
        ein mit mindestens 160 Tonnen Pfahlzug ausgerüsteter
        Hochseeschlepper gechartert werden. Die Stationierung
        dieser drei Fahrzeuge soll eine Eingreifzeit von höchstens
        zwei Stunden garantieren. Die bisher vom Hochsee-
        schlepper Oceanic wahrgenommenen Aufgaben wer-
        den neu bestimmt und längerfristig ausgeschrieben. Für
        die Ostsee wird es erstmalig eine staatliche Notschlepp-
        kapazität geben. Angestrebt wird das gleiche Sicherheits-
        niveau mit zwei Stunden Eingreifzeit wie in der Nordsee,
        insbesondere für das Gefahrenpotenzial Kadetrinne.
        Sicher, es kann auch auf See keine hundertprozentige
        Sicherheit geben. Aber gerade deshalb ist es dringend not-
        wendig, ein optimales Notfallkonzept zu haben. Dazu
        gehört, dass wir die Untersuchung von Schiffsunglücken
        noch stärker als bisher an der Prävention von Unfällen
        und Gefährdungen ausrichten. Dies geschieht mit dem
        von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf für
        eine Reform der Seeunfalluntersuchung.
        Sie folgt damit einer Empfehlung der unabhängigen
        Expertenkommission Havarie Pallas, die 1999 den Un-
        fall des Holzfrachters von der Insel Amrum untersucht
        hat. In ihrem Abschlussbericht empfiehlt die Kommission
        der Bundesregierung mit der Empfehlung Nr. 24, unver-
        züglich den Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des
        Seeunfalluntersuchungsgesetzes an den internationalen
        Standard vorzulegen. Der internationale Standard ist der
        1997 eingeführte IMO-Code für die Seeunfalluntersu-
        chung. Auch gemeinschaftsrechtlich ist die Bundesregie-
        rung qua Richtlinie 1999/35/EG zur sofortigen Umset-
        zung des Codes verpflichtet. Wenn man bedenkt, dass sich
        mehr als die Hälfte der deutschen Schiffsunfälle nicht in
        deutschen Gewässern ereignet, sind wir darauf angewie-
        sen, uns nach dem internationalen Standard zu richten und
        eine gute internationale Zusammenarbeit zu pflegen.
        Kern des vorgelegten Gesetzentwurfs ist die erstmalige
        Trennung der objektiven Ursachenfeststellung eines Un-
        falls von der Untersuchung individueller Fehler und dem
        Patententzug. Ausführen wird die Ursachenfeststellung in
        Zukunft eine unabhängige Bundesstelle für Seeunfall-
        untersuchung in Hamburg, die aus dem Bundesobersee-
        amt hervorgehen wird. Die Untersuchungsergebnisse
        werden dann unmittelbar zur Unfallverhütung eingesetzt.
        Dieses Muster der Unfalluntersuchung richtet sich
        nach dem Vorbild der Flugunfalluntersuchung, die der
        Bundestag vor drei Jahren einstimmig verabschiedet hat.
        Infolge dieser Regelung ist es den zuständigen Behörden
        möglich gewesen, bereits kurz nach dem tragischen Un-
        fall der Concorde an der Unglücksstelle nahe Paris bei
        der Ermittlung des Unfallhergangs mitzuwirken. Insbe-
        sondere war es für die Angehörigen der Opfer wichtig,
        schnellstmöglich informiert zu werden und die Sicherheit
        zu haben, dass auch deutsche Behörden daran mitwirken.
        Ich weiß, dass an dieser Stelle seitens der Verbände und
        Interessenvertreter die Kritik geäußert wurde, dass sich
        die Regelungen zur Flugunfalluntersuchung nicht eins zu
        eins auf die Seeunfalluntersuchung übertragen lassen. Es
        mag sein, dass eine konsequente Anwendung auf die See-
        schifffahrt in einigen Bereichen bisweilen hölzern klingt.
        Im Kern ist die Anlehnung an ein System, dass sich in den
        vergangenen drei Jahren bewährt hat, jedoch sinnvoll.
        Die Reform der Seeunfalluntersuchung ist uns als ein
        Baustein im Rahmen der Umsetzung der Grobecker-Emp-
        fehlungen sehr wichtig. Dies zeigt sich auch darin, dass
        wir uns auf Arbeitsgruppenebene schon frühzeitig inten-
        siv mit der Reform auseinander gesetzt haben. Bereits im
        Mai haben wir in Cuxhaven auf der Grundlage des Kabi-
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 200118056
        (C)
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        (B)
        nettentwurfs eine Anhörung durchgeführt, bei der sowohl
        Befürworter als auch Kritiker Gelegenheit hatten, sich zu
        den Plänen zu äußern.
        Im Ergebnis konnten wir feststellen, dass der Kern der
        Reform unstrittig ist: Zweifel an der Trennung der objek-
        tiven Ursachenfeststellung von der Untersuchung indivi-
        dueller Fehler gibt es nicht. Im Zentrum der Kritik dort
        und auch in den schriftlichen Stellungnahmen, die wir alle
        erhalten haben, stehen die Öffentlichkeit der Unfallunter-
        suchung und weitere Aspekte, die das Verfahren der Un-
        tersuchung betreffen.
        Mit dieser Kritik haben wir uns nun in den anstehen-
        den parlamentarischen Beratungen auseinander zu setzen.
        Dazu halten wir eine Ausschussanhörung, die wir im
        Herbst beantragen werden, für dienlich. Dadurch lassen
        sich Unklarheiten am besten beseitigen und die vorge-
        brachte Kritik sorgfältig prüfen. Wir haben dann zu ent-
        scheiden, ob sie berechtigt ist oder nicht. Ich versichere
        Ihnen, dass wir dies sehr sorgfältig tun werden.
        Ich zitiere an dieser Stelle gerne unseren Fraktionsvor-
        sitzenden: Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es
        eingebracht wird.
        Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Die
        Bundesregierung treibt das alte Sprichwort: Erst, wenn
        das Kind in den Brunnen gefallen ist ... stehen die
        Bemühungen, das Kind zu bergen, im Vordergrund, auf
        die Spitze. Sie präsentiert heute einen Gesetzentwurf, das
        die Untersuchung regelt, warum das Kind in den Brunnen
        gefallen ist; statt endlich etwas zu unternehmen, damit das
        Kind gar nicht erst hineinfällt.
        Mag die Seeunfalluntersuchung auch notwendig sein,
        dringlicher ist ein umfassendes Konzept zur Vorbeugung
        vor Seeunfällen. Wir stellen fest: Die Bundesregierung
        hat die nationale Bedeutung der Seesicherheit noch im-
        mer nicht erkannt. Es gibt nur kleinteiliges Flickwerk, ein
        Konzept aus einem Stück fehlt. Seit der Pallas-Kata-
        strophe 1998 hat es bis heute keine entscheidenen Ände-
        rungen im Sicherheitskonzept gegeben. Lieber lässt sich
        die Bundesregierung von den Mehrheitsfraktionen im
        Parlament für die Nachrüstung der Notfallschiffe mit
        hochfesten Schleppleinen und die Bereitstellung von all-
        wettertauglichen Hubschraubern loben  Dinge, die
        selbstverständlich sind. Auch die Überarbeitung beste-
        hender Alarmpläne und eine neue Dienstvorschrift lösen
        nicht das Kompetenzwirrwarr von Bundes- und Landes-
        behörden.
        Übrigens ist die jetzt ins Parlament eingebrachte Lobes-
        hymne der Regierungsfraktion über fast eine DIN-A4-
        Seite die wortwörtliche Übernahme einer Antwort der
        Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der CDU/CSU-
        Bundestagsfraktion vom letzten Jahr. Nur: Vor acht Mo-
        naten waren es erste Schritte von kurzfristig umsetzba-
        ren Verbesserungen, jetzt die Realisierung von
        konkreten Verbesserungen am Notfallkonzept für Nord-
        und Ostsee. So erledigen sich Probleme von selbst und
        die Parlamentsmehrheit macht sich zum Jubelorgan der
        Bundesregierung.
        Allein für den Bund fahren vier verschiedene Behör-
        den mit eigenen Booten auf der See nebeneinander her:
        BGS-Boote des Innenministers, Zollboote des Finanzmi-
        nisters, Fischereischutzboote der Ministerin für Verbrau-
        cherschutz, Ernährung und Landwirtschaft sowie die
        Boote unter Obhut des Verkehrsministers und der Wasser-
        schifffahrtsdirektion. Im Katastrophenfall sind zusätzlich
        die Wasserschutzpolizeiboote der Länder und die auch
        dort auf mehrere Ministerien verteilten Kompetenzen für
        Küstenaufgaben zu berücksichtigen. Nimmt man von den
        Schleppern bis hin zu den Ölbekämpfungsschiffen allein
        die Boote des Bundes zusammen, kommt man auf eine
        Armada von fast 100 Schiffen. Sowohl der Bundesrech-
        nungshof als auch der Haushaltsausschuss des Bundesta-
        ges haben diese Zersplitterung der Einsatzkräfte als Geld-
        verschwendung kritisiert.
        In dieser Situation legt die Bundesregierung jetzt einen
        Gesetzentwurf vor, der eine grundlegende Änderung des
        Seeunfall-Untersuchungs-Verfahrens beinhaltet, eine Än-
        derung, die in der vorgelegten Form niemand wollte, nie-
        mand braucht und bei der Unfallverhütung niemandem
        hilft. Sie ist aber in der Logik der Bundesregierung kon-
        sequent: Wenn sie schon keine Unfallprävention betreibt,
        muss sie wenigstens die Unfalluntersuchung so organisie-
        ren, dass diese Schwächen niemand merkt.
        Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben
        frühzeitig die Schaffung einer deutschen Küstenwache
        gefordert. Unsere Große Anfrage dazu fand viel Unter-
        stützung von den Experten vor Ort. Auch mit der Europä-
        ischen Kommission weiß sich die Union dabei einig.
        Brüssel will eine europäische Küstenwache. Vorausset-
        zung dafür ist eine nationale See- und Küstenwache, auf
        deren Strukturen die europäische Behörde aufsetzen kann.
        Wir von der Union haben eine Kleine Anfrage zum
        Thema Sicherheits- und Notfallkonzept für Nord- und
        Ostsee eingebracht. In der Antwort wurde deutlich: Die
        Bundesregierung hat nicht einmal ein Konzept für die
        Seesicherheit. Nach ihrer eigenen Aussage wartete sie
        25 Monate nach der Pallas-Katastrophe noch immer auf
        die Ergebnisse ihrer interministeriellen Projektorgani-
        sation.
        Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben des-
        halb die Bildung einer Leitstelle für Seesicherheit ge-
        fordert. Der entsprechende Antrag enthielt drei klare Kern-
        aussagen:
        Erstens. Die Bundesregierung wird aufgefordert, alle
        rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für die
        Bildung einer Leitstelle für Seesicherheit zu schaffen und
        dem Bundestag einen entsprechenden Gesetzesentwurf
        schnellstmöglich zuzuleiten.
        Zweitens. In der neu zu schaffenden Leitstelle für See-
        sicherheit sind alle Aufgaben zusammenzuführen, die in
        dem Aufgabenkatalog des § 1 Seeaufgabengesetz aufge-
        listet sind. Diese Aufgaben sind darüber hinaus auf das
        Küstenmeer auszudehnen.
        Drittens. Im Katastrophenfall sind innerhalb der Leit-
        stelle für Seesicherheit alle Kompetenzen in einem Hand-
        lungszentrum mit einer einheitlichen Führung von Bun-
        des- und Landeskräften zusammenzufassen.
        Die Voraussetzungen für die Umsetzung des Antrags
        wurden der Bundesregierung von uns gleich mitgeliefert:
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001 18057
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        erstens die Änderung des Grundgesetzes, um die bisher
        getrennte Aufgabenzuordnung an Bund und Ländern im
        See-Katastrophenfall zusammenzufassen, zweitens die
        Vorlage eines Gesetzesentwurfs durch die Bundesregie-
        rung mit dem Ziel, alle bisher verteilten Zuständigkeiten
         Zoll, Fischereiaufsicht, Bundesgrenzschutz, einschließ-
        lich SAR-Hubschrauber, Ölaufklärungsflugzeuge  auf
        eine Leitstelle in einem Bundesministerium mit der Ent-
        scheidungszuständigkeit einer Person, entsprechend der
        Institution des Duty Commander bei der Bundesmarine,
        zu konzentrieren und drittens die Schaffung von Rechts-
        klarheit, um gegebenenfalls mit der Bundesmarine im
        See-Katastrophenfall einen gemeinsamen Einsatz sicher-
        zustellen.
        Handeln bei der Bundesregierung? Fehlanzeige! Die
        nächsten Unfälle ließen auch nicht lange auf sich warten.
        Die Baltic Carrier und der Zementfrachter Nicolas P.
        verunglückten in der Kadetrinne, einer der meistbefahre-
        nen Schifffahrtswege in der Ostsee. 20 Unfälle gab es hier
        allein seit 1992. Täglich passieren drei bis vier Tanker,
        dazu circa fünf Massengutfrachter diese Strecke, jährlich
        etwa 50 000 Schiffe. Die Kadetrinne hat teilweise nur eine
        Tiefe von 18 Metern, was sie extrem risikoreich für tief-
        liegende 100 000-Tonnen-Tanker macht. Hier gibt es we-
        der eine Lotsannahmepflicht, noch eine Radarüberwa-
        chung, noch ist es ein Verkehrstrennungsgebiet. Die
        Gefahr einer Ölpest ist täglich gegeben. Auf unsere
        Anfrage vom 27. Februar dieses Jahres antwortete die
        Bundesregierung: Für die Kadetrinne besteht aufgrund
        geltender internationaler Regeln derzeit keine Lotsannah-
        mepflicht, allerdings ist die Möglichkeit einer freiwilligen
        Lotsannahme gegeben. Und weiter: Man habe in dieser
        Frage die Einrichtung einer Arbeitsgruppe geschlossen.
        Wir von der Union haben darauf einen Antrag zur Op-
        timierung der Ostseesicherheit im Bereich der Kadet-
        rinne ins Parlament eingebracht. Darin wird die Bundes-
        regierung aufgefordert, mit konkreten Sofortmaßnahmen
        und international abgestimmten mittelfristigen Maßnah-
        men dafür zu sorgen, dass eines der risikoreichsten Ver-
        kehrsgebiete in der Ostsee, die Kadetrinne, umgehend
        eine optimierte Sicherheitsstruktur erhält.
        Die rot-grüne Bundesregierung hat immer erst auf
        Druck und nach Aufforderung reagiert. Prävention wird
        vernachlässigt. Nach der Pallas-Katastrophe wurde
        16 Monate auf das Ergebnis der Grobecker-Kommis-
        sion gewartet, danach weitere 16 Monate auf das Ergeb-
        nis der interministeriellen Projektorganisation Maritime
        Notfallvorsorge. Herausgekommen ist ein Havarie-
        kommando, eine Einrichtung, die nicht einmal diesen
        Namen verdient. Was wir dringend brauchen, ist eine na-
        tionale Leitstelle für Seesicherheit mit allen Kompeten-
        zen aus einer Hand, möglichst unter Einschluss der Bun-
        desmarine. Statt dessen wurde jetzt von Minister Bodewig
        das Havariekommando angekündigt. Bundes- und Län-
        derbehörden fahren weiter getrennt auf der See, die letzte
        Verantwortlichkeit bleibt weiter bei den verschiedenen
        Behörden, so die Verbände vor Ort. Mit einer nationalen
        Küstenwache, wie von den Experten an der Küste, der EU
        und der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gefordert, hat die-
        ses Kommando nichts zu tun. Damit werden noch nicht
        einmal die Empfehlungen der von der Regierung selbst
        eingesetzten Expertenkommission, der Grobecker-Kom-
        mission, umgesetzt.
        Der jetzt vorgelegte Entwurf eines Zweiten Seeschiff-
        fahrtsanpassungsgesetzes schafft einen radikalen System-
        bruch bei der Seeunfalluntersuchung. Zukünftig soll eine
        neu zu schaffende Bundesstelle für Seeunfalluntersu-
        chung zuständig sein, obwohl die Effizienz des bisherigen
        Verfahrens weder angezweifelt wurde noch die nationalen
        Verpflichtungen aus dem laufenden europäischen Gesetz-
        gebungsverfahren absehbar sind. Eine weitere Änderung
        ist also vorprogrammiert, verbunden mit weiteren unver-
        meidbaren Anlaufschwierigkeiten. Nach Aussage von
        Verbänden bedeutet die Neugründung der Seeunfallunter-
        suchungsstelle das Aus für die bisher zuständigen Seeäm-
        ter. Die Seeämter werden abgeschafft, die Transparenz der
        Seeunfalluntersuchung und die Rechtsmittel einge-
        schränkt.
        Die CDU/CSU ist sich mit Verbänden und Initiativen
        an der Küste einig: Dieser Entwurf darf nicht Gesetz wer-
        den. Ein geschlossenes Behördensystem ohne Transpa-
        renz durch Beteiligung der Experten vor Ort dient nur der
        Vertuschung von Versäumnissen bei der Unfallpräven-
        tion. Bemerkenswert ist, dass auch der Bundesrat das Ge-
        setz ablehnt und auf die Notwendigkeit seiner Zustim-
        mung hinwies, weil sich der Geltungsbereich des
        Regierungsentwurfs auch auf das Aufsuchen, Benutzen
        und Verlassen der dazugehörigen Lade-, Lösch-, Liege-
        und Werftplätze erstrecke.
        Der Bundesrat forderte die Bundesregierung auf, den
        Gesetzentwurf so zu ändern, dass erstens ein Untersu-
        chungsverfahren auch auf Antrag des örtlich zuständigen
        Seeamtes oder eines am Seeunfall oder einem anderen
        Vorkommnis auf See Beteiligten durchgeführt werde,
        zweitens die Aufnahme von Sachverständigen mit revier-
        spezifischen Kenntnissen in die Untersuchungskommis-
        sion durch eine Ergänzung des Seeunfall-Untersuchungs-
        Gesetzes sichergestellt werden müsse und drittens der
        Abschlussbericht der Untersuchungskommission zum
        Gegenstand eines öffentlichen Seeamtsverfahrens nach
        den derzeitigen Verfahrensregelungen  das die Untersu-
        chung zum Normvollzug einschließe  gemacht werde;
        die Möglichkeit des Widerspruchs gegen den Spruch des
        Seeamtes müsse erhalten bleiben.
        Zur Begründung wird angeführt, dass durch die vor-
        stehend genannten Änderungen die bisher in der Praxis
        bewährten Elemente des Seeunfalluntersuchungsverfah-
        rens in die beabsichtigte Neuregelung, insbesondere die
        berechtigten Interessen der Beteiligten, integriert würden.
        Auf dem Wege des rechtsstaatlichen Verfahrens der Ver-
        handlung vor dem Seeamt werde der unter Berücksichti-
        gung der Besonderheiten des Seeverkehrs geeignete Weg
        zur Unfallursachenermittlung beschritten. Dieses Verfah-
        ren schließe sowohl die Normenkontrolle im Hinblick auf
        ein festzustellendes Fehlverhalten als auch die zur Ver-
        meidung weiterer Unfälle wichtigen Lerneffekte ein. Wir
        begrüßen diesen Beschluss und erwarten, dass die Bun-
        desregierung sich ihn zu Eigen macht.
        Wir begrüßen auch die zahlreichen Initiativen von Per-
        sonen und Verbänden an der Küste, so besonders von
        Rechtsanwalt Jens Paulsen aus Harsefeld, der in mühe-
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 200118058
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        voller Arbeit einen eigenen vollständigen Gegenentwurf
        zu dem Vorschlag der Bundesregierung erarbeitet hat;
        nachzulesen im Internet. Aber auch von Hans von Wecheln
        von der Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste,
        von Olaf Hellwinkel vom Nautischen Verein, von
        Rechtsanwalt Dr. Julius Drumm, vom Personalratsvor-
        sitzenden der WSD Nord Jochen Hinz sowie von
        Prof. Hansheinrich Meier-Peter von der Fachhochschule
        Flensburg, und auch Greenpeace ist in diesem Zusam-
        menhang zu nennen sowie die hilfreichen Initiativen aus
        den CDU-Landtagsfraktionen von Schleswig-Holstein,
        Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen sowie aus
        Bremen und Hamburg.
        Von solch fachkundigen Beiträgen ist Verkehrsminister
        Bodewig weit entfernt. Auf unser Schreiben mit 13 kriti-
        schen Fragen zum Gesetzentwurf hat er bis heute nicht ge-
        antwortet. Die Fragen fassen die Kritikpunkte der Exper-
        ten vor Ort zusammen. Ihre Beantwortung sollte Klarheit
        bringen und zur Versachlichung der Debatte beitragen.
        Bis heute leider Fehlanzeige, kein fairer parlamentari-
        scher Stil!
        Gila Altmann (Aurich) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN): In schöner Regelmäßigkeit diskutieren wir in die-
        sem Hohen Haus über die Verbesserung der Schiffssi-
        cherheit. Das ist gut und notwendig, denn die Havarien
        der letzten Jahre wie Pallas, Erica, Yessica und so weiter,
        haben mit ihren Ölteppichen das Ökosystem Meer und die
        Küsten auf lange Jahre katastrophal geschädigt  mit den
        entsprechenden Konsequenzen für die Menschen, die an
        und von der Küste leben. Neben solchen spektakulären
        Havarien auf See gibt es eine Reihe von Unfällen oder
        Beinahe-Unfällen, von denen nur wenige Fachleute er-
        fahren, die aber massiv zum Schadstoffeintrag in unsere
        Gewässer beitragen und die Umwelt bedrohen. Dazu
        gehört auch die illegale Tankreinigung auf hoher See.
        Die rot-grüne Bundesregierung hat seit Amtsantritt
        eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um die Sicherheit
        auf unseren Meeren und Küstengewässern zu erhöhen.
        Sie handelt dabei nach den Grundsätzen: Schadensver-
        meidung vor Schadensbegrenzung, Vorsorge statt Repa-
        ratur die Rettung von Menschen und Ökosystemen hat
        Vorrang vor der Rettung von Sachwerten.
        Nach dem Unfall der Pallas hat die unabhängige Gro-
        becker-Kommission eine Reihe von Empfehlungen zur
        Erhöhung der Schiffssicherheit erarbeitet, die seit gut ei-
        nem Jahr abgearbeitet werden. Die Empfehlung 24 be-
        sagt, dass eine unverzügliche Anpassung des Seeunfall-
        gesetzes an den internationalen Standard nach dem
        Vorbild des Flugunfall-Untersuchungsgesetzes erfolgen
        sollte. Dies wird durch den hier vorliegenden Gesetzent-
        wurf realisiert, in dem die deutsche Rechtssetzung in ei-
        ner Vielzahl von Punkten an die internationalen Standards
        von EU und IMO angepasst wird.
        Kernstück des zweiten Seeschifffahrtsanpassungsge-
        setzes ist die Seeunfalluntersuchung, eine gute und wich-
        tige Sache, die jetzt auf den Weg gebracht wurde. Wie von
        der unabhängigen Untersuchungskommission gefordert,
        orientiert sich diese Anpassung an dem vor drei Jahren im
        Bundestag einstimmig beschlossenen Verfahren für den
        Luftverkehr.
        Ziel der neuen Regelungen ist, in Zukunft die Untersu-
        chung von Unfällen effizienter zu gestalten, um daraus zu
        lernen, wie man Unfälle in Zukunft noch besser verhin-
        dern kann. Denn Prävention  darin sind wir uns alle ei-
        nig  muss bei der Schiffssicherheit das A und O unseres
        Handelns sein.
        Die entscheidende Erweiterung des vorliegenden Ge-
        setzesvorhabens besteht darin, dass es nicht mehr nur um
        die Untersuchung von Unfällen geht, sondern um die Un-
        tersuchung aller schaden- oder gefahrverursachenden
        Vorkommnisse in der Seefahrt. Denn auch Beinahe-Un-
        fälle können wichtige Aufschlüsse über Möglichkeiten
        zur Unfallvermeidung geben.
        Ein wichtiger, teilweise umstrittener Punkt sind die
        Umstände, unter denen solche Seeunfalluntersuchungen
        stattfinden sollen. Die Diskussion bewegt sich im Span-
        nungsfeld zwischen Transparenz und Datenschutz. Wir
        sollten diese Frage ernst nehmen. Wir sollten uns aber
        auch nicht vor den Karren von Partialinteressen spannen
        lassen. Die Praxis muss zeigen, ob sich der gewählte An-
        satz bewährt. Der vorliegende Entwurf in § 29 Abs. 5 sieht
        vor, dass die mündliche Verhandlung nur dann öffentlich
        ist, wenn kein Beteiligter dem widerspricht.
        Durch das geänderte Untersuchungsverfahren wird
        nicht mehr nur menschliches Versagen Gegenstand der
        Untersuchung sein, sondern auch zum Beispiel ein Ver-
        schulden oder mitverschulden durch den Schiffseigner.
        Auch dies ist eine wichtige weitere Informationsquelle für
        mögliche zukünftige Verbesserungen und dient damit der
        Vorsorge.
        Bei der bisherigen Seeamtsverhandlung wurde nur das
        persönliche Verschulden  also menschliches Versagen -
        untersucht. Daran hatten insbesondere die Reeder ein
        großes Interesse, bedeutet doch menschliches Verschul-
        den für die Reeder, dass sie für den Unfall nicht haften
        müssen. Durch den jetzt vorgeschlagenen Verfahrensab-
        lauf wird dies geändert, auch ein mögliches Verschulden
        des Reeders wird untersucht.
        Bedenkenswert finde ich allerdings die Kritik, dass
        Kapitäne in Zukunft nicht mehr automatisch zu den Ver-
        handlungen hinzugezogen werden sollen. Im Bereich der
        Flugunfalluntersuchung ist das verständlich, bei der See-
        unfalluntersuchung sollte man  solange es keine Schiffs-
        datenschreiber, die so genannte Black Box, gibt  das
        Fachwissen der Kapitäne aber angemessen berücksich-
        tigen.
        Dieser Gesetzesentwurf ist ein weiterer Schritt, die
        Seeschifffahrt sicherer zu machen. Ein Anfang dafür ist
        gemacht.
        Michael Goldmann (F.D.P.): Unter dem wenig klaren
        Titel Zweites Seeschifffahrtsanpassungsgesetz hat die
        Bundesregierung einen Reformentwurf zum Seeunfallun-
        tersuchungsgesetz vorgelegt. Die bisher gültige Fassung
        aus dem Jahr 1985, die seinerzeit mit den Stimmen des
        ganzen Hauses verabschiedet worden war, soll radikal
        geändert werden. Im bisherigen Verfahren zeigte sich das
        BMVBW äußerst beratungsresistent. Zwar wurde der Re-
        ferentenentwurf des letzten Jahres in diesem Frühjahr
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001 18059
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        ersetzt, doch aus der Kritik fast aller Verbände und Be-
        troffener wurden so gut wie keine Konsequenzen gezo-
        gen. Auch die Einwendungen des Bundesrates vom 1.
        Juni diesen Jahres veranlassten das BMVBW nicht dazu,
        seinen Gesetzentwurf noch einmal zu überdenken.
        Dabei gibt es genug Gründe, den Entwurf der Bundes-
        regierung einer gründlichen Revision zu unterziehen. Das
        alte Verfahren hat sich in den letzten 16 Jahren nicht nur
        bewährt, sondern es ist von allen Beteiligten hundertpro-
        zentig akzeptiert. Ganz bewusst hat man damals die Re-
        geln des Verwaltungsverfahrensgesetzes auf die Seeun-
        falluntersuchung angewandt und die Zahl der nicht
        angefochtenen Entscheidungen der Seeämter und des
        Bundesoberseeamtes spiegelt dies beeindruckend wider.
        Die Seeämter haben in rund 650 Fällen einen Seeunfall
        mit einem Spruch abgeschlossen. Daraus erwuchsen
        180 Entscheidungen des Oberseeamtes in Widerspruchs-
        verfahren. Nur in 14 Fällen wurde gegen Entscheidungen
        des Oberseeamtes vor dem Verwaltungsgericht Klage ein-
        gereicht, die alle abgewiesen wurden. Das spricht für die
        hohe Qualität der Untersuchungen der Seeämter und die
        hohe Akzeptanz bei allen Betroffenen.
        Dieses bewährte Verfahren soll nun abgeschafft wer-
        den. Die Regeln des Verwaltungsverfahrensrechts sollen
        keine Anwendung mehr finden, die Seeämter sollen nur
        noch in Patententzugsfällen tätig werden und das Ober-
        seeamt soll abgeschafft werden. Die neu zu schaffende
        Bundesstelle zur Seeunfalluntersuchung soll nicht mehr
        jeden Seeunfall untersuchen und auf die Öffentlichkeit
        des Verfahrens, auf die Hinzuziehung von Experten wie
        beim bisherigen Verfahren soll verzichtet werden.
        Die Bundesregierung orientiert sich bei ihrer Reform
        am Flugunfalluntersuchungsgesetz, weil sie damit angeb-
        lich die Empfehlung Nummer 24 der Pallas-Kommission
        umsetze. Dabei unterschlägt das BMVBW aber, dass
        diese Empfehlung der Kommission erst auf Initiative des
        BMVBW Aufnahme in den Empfehlungskatalog fand.
        Man soll also jetzt nicht so tun, als ob dies eine notwen-
        dige Konsequenz aus dem Pallas-Unglück sei. Im Gegen-
        teil: eine Anlehnung an das Flugunfalluntersuchungs-
        gesetz ist nicht sachgerecht, weil im Gegensatz zu Flug-
        unfällen die Masse der Seeunfälle, circa 80 Prozent, nicht
        auf technisches, sondern auf menschliches Versagen
        zurückzuführen ist. Das von der Bundesregierung ge-
        wünschte neue Verfahren ist nicht dazu angetan, Seeun-
        fälle so sachgerecht zu untersuchen, dass aus der Unter-
        suchung Lehren für die Fortentwicklung der Sicherheit
        des Schiffsverkehrs gezogen werden können.
        Nahezu alle Betroffenen äußern massive Kritik gegen
        diesen Regierungsentwurf. Der Bundesrat hat beschlos-
        sen, dass die Seeämter auch weiterhin ein eigenständiges
        Untersuchungsrecht haben sollen und ihre Verfahren mit
        einem Spruch abschließen sollen, gegen den ein Wider-
        spruch beim Bundesoberseeamt möglich sein muss. Es ist
        nicht nachvollziehbar, warum BMVBW mit dem Kopf
        durch die Wand will und sich weigert, die nötigen Nach-
        besserungen aufzunehmen.
        Die Kleine Anfrage, die meine Fraktion zu diesem
        Thema am 19. Juni auf den Weg gebracht hat, wird auch
        aufzeigen, dass die Bundesregierung es bei der Begrün-
        dung der besonderen Eilbedürftigkeit dieses Gesetzent-
        wurfes mit der Wahrheit nicht so ganz eng gesehen hat.
        Seit einem Jahr wird vom BMVBW behauptet, Deutsch-
        land sei wegen der EU-Richtlinie 1999/35/EG unter Zug-
        zwang und im Innenausschuss des Bundesrates hat der
        Vertreter des BMVBW gar behauptet, dass Deutschland
        von der EU ultimativ zur Umsetzung der Richtlinie auf-
        gefordert worden sei. Nichts davon ist wahr.
        Richtig ist vielmehr, dass die Bundesregierung selbst
        bei der EU-Kommission den Eindruck erweckt hat, die
        Richtlinie bereits umgesetzt zu haben. Erst eine Anfrage
        aus der EVP-Fraktion im EP an die Kommission im Fe-
        bruar diesen Jahres hat den Sachverhalt aufgeklärt. Es gibt
        keinen Grund in übertriebene Hektik zu verfallen, solange
        der EU dargelegt wird, dass man an der Umsetzung ar-
        beitet.
        Immer wieder wird auch auf den geänderten interna-
        tionalen Standard verwiesen. Doch ob der IMO-Code
        A.849(20) von 1997, den es umzusetzen gilt, tatsächlich
        von der Bundesregierung in ihrem Entwurf umgesetzt
        wurde, bleibt zu prüfen. Ich habe hier erhebliche Zweifel.
        Wegen der vielen Mängel des Regierungsentwurfes und
        wegen der vielen offenen Fragen wird meine Fraktion
        nächste Woche in Hamburg eine Anhörung mit Experten
        durchführen und dazu einen eigenen Gesetzentwurf zum
        Seeunfalluntersuchungsgesetz vorlegen.
        Ich hoffe, liebe Kolleginnen und Kollegen der Regie-
        rungskoalition, dass Sie nicht einfach dem BMVBW fol-
        gen, sondern bei den weiteren Beratungen ernsthaft ver-
        suchen, sich mit der Kritik an dem Regierungsentwurf
        auseinanderzusetzen. Vielleicht gelingt es uns dann im
        Ausschuss eine Lösung zu finden, die sicherstellt, dass
        das neue SUG nicht nur internationale Standards erfüllt,
        sondern auch eine ähnliche Akzeptanz bei den Betroffe-
        nen von Seeunfällen erfährt, wie es das bisherige Gesetz
        hat.
        Angelika Mertens, Parlamentarische Staatssekre-
        tärin beim Bundesminister für Verkehr, Bau- und Woh-
        nungswesen: Vor wenigen Monaten erst hat der Deutsche
        Bundestag mit Blick auf den Seeunfall des Holzfrachters
        Pallas eine Entschließung über die Sicherung der deut-
        schen Nordund Ostseeküste vor Schiffsunfällen gefasst.
        Gestern wurde in fünf Ausschüssen unter anderem der
        Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grü-
        nen zur Verbesserung der Schiffssicherheit auf der Ostsee
        beraten, nachdem sich am 29. März vor der Küste Meck-
        lenburg-Vorpommerns eine bedrohliche Tanker-Havarie
        ereignet hatte.
        Vor wenigen Tagen geriet ein deutsches Fährschiff in
        der Ostsee mit vielen Menschen an Bord durch einen
        Brand in Seenot. Der Unfall der Pallas, die Tanker-Ha-
        varie in der Ostsee und der Brand des Fährschiffes zeigen
        beispielhaft, dass alle Verantwortlichen gefordert sind, die
        sich bietenden Möglichkeiten zur Verbesserung der Si-
        cherheit des Seeverkehrs wirksam auszuschöpfen.
        Die Initiative der Bundesregierung für ein Zweites
        Seeschifffahrtsanpassungsgesetz zielt genau auf diese
        dringliche Aufgabe. Der Schwerpunkt eines praxis-
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 200118060
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        gerechten maritimen Sicherheitskonzepts muss in der
        Verhinderung von Havarien und daraus folgenden Schä-
        digungen liegen. Hierfür sind insbesondere die entspre-
        chenden internationalen Sicherheitsanforderungen umzu-
        setzen. Zur Anpassung an den aktuellen Stand des
        internationalen Seesicherheitssystems sollen vor allem
        das Seeaufgabengesetz und das Gesetz über das Seelots-
        wesen geändert, ein neues Seesicherheits-Untersuchungs-
        Gesetz geschaffen und das aufgrund des Gemeinschafts-
        rechts überholte Gesetz über die Küstenschifffahrt durch
        eine Verordnungsermächtigung ersetzt werden.
        Der Bundesrat hat am. 1. Juni zu dem Gesetzentwurf
        Stellung genommen. Die Bundesregierung hat hierzu am
        27. Juni eine Gegenäußerung beschlossen. Nach ihrer An-
        sicht bedarf das Gesetz nicht der Zustimmung des Bun-
        desrates.
        Die Gesetzesvorlage baut auf den soliden Grundlagen
        auf, die der Deutsche Bundestag in der Vergangenheit
        durch eine Reihe einstimmig gefasster Beschlüsse ge-
        schaffen hat: Der Gesetzentwurf schließt unmittelbar an
        das Erste Seeschifffahrtsanpassungsgesetz von 1998 an,
        das in Deutschland die wirksame Anwendung von rund
        80 Regelwerken des internationalen schiffsbezogenen
        Sicherheitsstandards ermöglicht hat. Jetzt geht es um wei-
        tere Regelwerke zu Themen wie den Qualifizierungsan-
        forderungen an Seeleute im Borddienst und der See-
        unfalluntersuchung nach dem internationalen Standard.
        Die Seeunfalluntersuchung spielt heute in der interna-
        tionalen Staatenwelt  wie beispielsweise im jüngsten
        Mehrjahresprogramm der Internationalen Seeschiff-
        fahrts-Organisation (IMO) ablesbar  eine überragende
        Rolle als Erkenntnisgrundlage für jegliche gesetzgeberi-
        sche Tätigkeit und internationale Zusammenarbeit zur
        Verbesserung der Schiffssicherheit und des maritimen
        Umweltschutzes.
        Dabei geht es in der Unfallanalyse vor allem um be-
        ständiges Lernen, damit die Seeleute, die Fahrgäste auf
        See sowie die Meeresumwelt und die Küstenbewohner in
        Zukunft vor den Folgen von Seeunfällen durch bessere
        Unfallverhütungsmaßnahmen wirksam geschützt werden.
        Für dieses maritime Lernen und Vorbeugen besitzt die
        Bundesregierung bisher nicht das im internationalen
        Maßstab notwendige Instrumentarium. Daher muss die
        hierfür im Ausführungsgesetz von 1995 zum UN-See-
        rechtsübereinkommen vorgesehene zentrale Bundesstelle
        sowohl rechtlich wie organisatorisch im gebotenen Um-
        fang ausgebaut werden.
        Hierbei erweist es sich als großer Vorteil, dass die IMO
        bei der Erarbeitung der Regeln ihres Codes über die See-
        unfalluntersuchung, an der auch die Internationale Ar-
        beitsorganisation (ILO) beteiligt war, sehr weitgehend auf
        das bereits im internationalen Luftverkehr entwickelte
        und bewährte Unfalluntersuchungsverfahren zurückge-
        griffen hat.
        Der Gesetzentwurf nimmt daher analog im Wesent-
        lichen auf die Vorschriften Bezug, die der Deutsche Bun-
        destag erst vor drei Jahren einstimmig mit dem Flug-
        unfall-Untersuchungs-Gesetz beschlossen hat. Für jede
        dieser Bestimmungen ist sorgfältig ermittelt worden, ob
        und gegebenenfalls in welcher Weise etwaigen vom Luft-
        verkehr abweichenden Besonderheiten des Seeverkehrs
        durch geeignete Maßgaben Rechnung getragen werden
        muss.
        Hinsichtlich der Tätigkeit der fünf Seeämter, die nach
        dem Gesetzentwurf beibehalten werden sollen, sind im
        Rahmen des Möglichen die Verfahrensvorschriften des
        bisherigen Seeunfalluntersuchungsgesetzes von 1985
        übernommen worden.
        Im Gegensatz zu dieser Anlehnung der Gesetzesvor-
        lage an die bereits getroffenen Vorentscheidungen des
        Bundesgesetzgebers wurde in der öffentlichen Diskussion
        zum Teil die Einführung von Verfahrenselementen gefor-
        dert, die im Bereich der nicht normvollziehenden Unfall-
        untersuchung eine weitgehende Abkehr von dem in
        Deutschland geltenden Verfahrensrecht bedeutet hätten.
        Der Regierungsentwurf hält sich dagegen  gerade auch
        in wichtigen Einzelpunkten wie der Nichtöffentlichkeit
        des Verfahrens der Bundesstelle oder der Entbehrlichkeit
        einer Widerspruchsinstanz im Seeamtsverfahren  in-
        sofern an die Vorgaben des Verwaltungsverfahrensgeset-
        zes. Dies ermöglicht im Hinblick auf die gebotene Dring-
        lichkeit eine zügige Beschlussfassung.
        Die Seeunfalluntersuchung wird zukünftig noch stär-
        ker der Prävention von Unfällen und Gefährdungen die-
        nen. Damit ist unser Entwurf eines Zweiten Seeschiff-
        fahrtsanpassungsgesetzes für Deutschland ein wichtiger
        Schritt zur Verbesserung der Sicherheit der Schifffahrt
        und der Meere.
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  182. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2001 18061
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        Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin