Protokoll:
14180

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 180

  • date_rangeDatum: 29. Juni 2001

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 15:19 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Zusatztagesordnungspunkt 9: Abgabe einer Regierungserklärung: Soli- darpakt II: Sichere Zukunft für die neuen Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17721 A Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . 17721 B Dr. Angela Merkel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 17723 D Dr. Manfred Stolpe, Ministerpräsident (Brandenburg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17726 A Dr. Guido Westerwelle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . 17727 B Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17729 C Gerhard Schüßler F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . 17730 D Dr. Gregor Gysi PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17731 D Sabine Kaspereit SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17733 D Dr. Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident (Sachsen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17735 B Carsten Schneider SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 17736 D Dr.-Ing. Paul Krüger CDU/CSU . . . . . . . . . . 17738 A Tagesordnungspunkt 19: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 108) (Drucksachen 14/6144, 14/6470) . . . . 17739 D – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zurÄnderung des Finanzverwaltungsgesetzes und ande- rer Gesetze (Drucksachen 14/6140, 14/6470) . . . . 17739 D Dr. Frank Schmidt (Weilburg) SPD . . . . . . . . 17740 A Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 17740 C Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17740 D Tagesordnungspunkt 20: a) Antrag der Abgeordneten Peter Rauen, Dr. Angela Merkel, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU: Zehn-Punkte-Programm zurWieder- belebung der deutschen Wirtschaft und des Arbeitsmarktes (Drucksache 14/6436) . . . . . . . . . . . . . 17743 D b) Antrag der Abgeordneten Hansjürgen Doss, Friedhelm Ost, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU: Offensive für die Bauwirtschaft (Drucksache 14/6315) . . . . . . . . . . . . . 17744 A c) Große Anfrage der Abgeordneten Peter Rauen, Hansjürgen Doss, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Forderung nach Schaffung eines Bau- vertragsgesetzes zur Bekämpfung man- gelnder Zahlungswilligkeit (Drucksachen 14/4182, 14/5070) . . . . 17744 A d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozial- ordnung zu dem Antrag der Abgeordne- ten Hans-Joachim Fuchtel, Gunnar Uldall, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Arbeitslosen- versicherungsbeitrag senken (Drucksachen 14/4377, 14/6199) . . . . 17744 B e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Dr. Christa Luft, weiterer Plenarprotokoll 14/180 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 180. Sitzung Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 I n h a l t : Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Kleinunternehmer-Hilfefonds effektiv organisieren und gesetzliche Voraus- setzungen für eine Nachfolgeregelung schaffen (Drucksachen 14/5559, 14/6198) . . . . 17744 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Dr. Irmgard Schwaetzer, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der F.D.P.: Neue Wachs- tumschancen mit durchgreifenden wirt- schaftspolitischen Reformen schaffen – Blitzprogramm fürdie deutsche Wirtschaft (Drucksache 14/6446) . . . . . . . . . . . . . . . 17744 C Friedrich Merz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 17744 C Jürgen Koppelin F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17746 D Dr. Uwe Küster SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17747 A Eckart von Klaeden CDU/CSU . . . . . . . . . . . 17747 A Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17747 B Dr. Heidi Knake-Werner PDS . . . . . . . . . . . . 17747 B Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . 17748 A Rainer Brüderle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17750 B Rezzo Schlauch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17751 C Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . 17752 B Dr. Christa Luft PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17753 D Joachim Poß SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17755 C Gerda Hasselfeldt CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 17757 D Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17760 A Klaus Wiesehügel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 17761 A Peter Rauen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 17762 D Tagesordnungspunkt 21: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Rabattgesetzes und zur Anpas- sung anderer Rechtsvorschriften (Drucksachen 14/5441, 14/6459) . . . . 17765 D b) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurAufhe- bung der Zugabeverordnung und zur Anpassung weiterer Rechts- vorschriften (Drucksachen 14/5594, 14/6469) 17765 D – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Rainer Funke, Rainer Brüderle, weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion der F.D.P. einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des deutschen Zugabe- rechts an die EU-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsver- kehr (ZugaberechtsanpassungsG) (Drucksachen 14/4424, 14/6469) 17766 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Hartmut Schauerte, Gunnar Uldall, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Innovation und fairer Wettbewerb im Handel nach Ab- schaffung von Rabattgesetz und Zu- gabeverordnung (Drucksachen 14/5751, 14/6463) . . . . 17766 A Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ . . . 17766 B Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 17767 C Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17770 A Gudrun Kopp F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17771 B Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17772 B Birgit Roth (Speyer) SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 17773 B Dagmar Wöhrl CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 17774 D Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Sperrzeiten für Gast- stätten und Biergärten kundenfreund- licher gestalten (Drucksache 14/6188) . . . . . . . . . . . . . . . . 17776 B Ernst Burgbacher F.D.P . . . . . . . . . . . . . . . . . 17776 C Brunhilde Irber SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17777 C Ernst Burgbacher F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . 17778 A Anita Schäfer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 17780 A Sylvia Voß BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . 17782 A Klaus Brähmig CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 17782 C Rosel Neuhäuser PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17783 B Tagesordnungspunkt 25: Zweite und dritte Beratung des vom Bun- desrat eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Regelung des Schutzes gefährde- ter Zeugen (Drucksachen 14/638, 14/6279 [neu], 14/6467) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17784 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001II Tagesordnungspunkt 28: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Christa Luft, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der PDS: UMTS-Milliarden für die Einfüh- rung einer kommunalen Investitions- pauschale des Bundes (Drucksachen 14/4557, 14/6208) . . . . 17784 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der PDS: Ände- rung des Zerlegungsmaßstabs des Gewerbesteuermessbetrags (Drucksachen 14/5584, 14/6461) . . . . 17784 C c) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der PDS: Er- höhung der Gewerbesteuerumlage rückgängig machen (Drucksachen 14/5586, 14/6462) . . . . 17784 C Dr. Uwe-Jens Rössel PDS . . . . . . . . . . . . . . . 17784 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17786 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 17787 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Heidemarie Ehlert (PDS) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes der Bundes- regierung zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 108) (Drucksachen 14/6144 und 14/6470) . . . . . . . 17788 A Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Schutzes gefährdeter Zeugen (Tagesordnungs- punkt 25) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17788 C Hans-Peter Kemper SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 17788 D Wolfgang Zeitlmann CDU/CSU . . . . . . . . . . . 17789 D Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17790 C Dr. Max Stadler F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17791 C Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17791 D Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMJ 17792 B Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – UMTS-Milliarden für die Einführung einer kommunalen Investitionspauschale des Bundes – Änderung des Zerlegungsmaßstabs des Gewerbesteuermessbetrags – Erhöhung der Gewerbesteuerumlage rück- gängig machen (Tagesordnungspunkt 28 a bis c) . . . . . . . . . . 17793 A Dr. Mathias Schubert SPD . . . . . . . . . . . . . . . 17793 A Gunter Weißgerber SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 17793 C Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU . . . . . . . 17794 A Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17798 B Gerhard Schüßler F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 17799 A Anlage 5 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17799 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 III Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 200117786 (C)(A) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17787 (C) (D) (A) (B) Behrendt, Wolfgang SPD 29.06.2001* Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 29.06.2001** Bindig, Rudolf SPD 29.06.2001* Dr. Blank, CDU/CSU 29.06.2001** Joseph-Theodor Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 29.06.2001 Bodewig, Kurt SPD 29.06.2001 Bohl, Friedrich CDU/CSU 29.06.2001 Brudlewsky, Monika CDU/CSU 29.06.2001 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 29.06.2001* Bulmahn, Edelgard SPD 29.06.2001 Burchardt, Ursula SPD 29.06.2001 Caesar, Cajus CDU/CSU 29.06.2001 Catenhusen, SPD 29.06.2001 Wolf-Michael Dörflinger, Thomas CDU/CSU 29.06.2001 Freitag, Dagmar SPD 29.06.2001 Friedrich (Altenburg), SPD 29.06.2001 Peter Dr. Gerhardt, Wolfgang F.D.P. 29.06.2001 Glos, Michael CDU/CSU 29.06.2001 Griefahn, Monika SPD 29.06.2001 Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 29.06.2001 Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 29.06.2001 DIE GRÜNEN Hirche, Walter F.D.P. 29.06.2001 Hoffmann (Chemnitz), SPD 29.06.2001 Jelena Dr. Hornhues, CDU/CSU 29.06.2001* Karl-Heinz Jäger, Renate SPD 29.06.2001* Janssen, Jann-Peter SPD 29.06.2001 Kasparick, Ulrich SPD 29.06.2001 Klappert, Marianne SPD 29.06.2001 Knoche, Monika BÜNDNIS 90/ 29.06.2001 DIE GRÜNEN Kolbow, Walter SPD 29.06.2001 Kors, Eva-Maria CDU/CSU 29.06.2001 Lintner, Eduard CDU/CSU 29.06.2001* Dr. Lippold (Offenbach), CDU/CSU 29.06.2001 Klaus W. Lörcher, Christa SPD 29.06.2001* Lüth, Heidemarie PDS 29.06.2001 Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 29.06.2001* Erich Mertens, Angelika SPD 29.06.2001 Michels, Meinolf CDU/CSU 29.06.2001* Müntefering, Franz SPD 29.06.2001 Neumann (Gotha), SPD 29.06.2001* Gerhard Ostrowski, Christine PDS 29.06.2001 Otto (Frankfurt), F.D.P. 29.06.2001 Hans-Joachim Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 29.06.2001 Rachel, Thomas CDU/CSU 29.06.2001 Rauber, Helmut CDU/CSU 29.06.2001 von Renesse, Margot SPD 29.06.2001 Schaich-Walch, Gudrun SPD 29.06.2001 Scharping, Rudolf SPD 29.06.2001 Scherhag, Karl-Heinz CDU/CSU 29.06.2001 Schindler, Norbert CDU/CSU 29.06.2001 Schlee, Dietmar CDU/CSU 29.06.2001 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 29.06.2001* Hans Peter von Schmude, Michael CDU/CSU 29.06.2001* Dr. Schuchardt, Erika CDU/CSU 29.06.2001 Schulte (Hameln), SPD 29.06.2001 Brigitte Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 29.06.2001 entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Dr. Thomae, Dieter F.D.P. 29.06.2001 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 29.06.2001 Wilhelm (Mainz), CDU/CSU 29.06.2001 Hans-Otto Wolf, Aribert CDU/CSU 29.06.2001 Wolf (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 29.06.2001 Margareta DIE GRÜNEN Zierer, Benno CDU/CSU 29.06.2001* Dr. Zöpel, Christoph SPD 29.06.2001 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der NATO Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Heidemarie Ehlert (PDS) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes der Bundesregierung zur Änderung des Grund- gesetzes (Art. 108) (Drucksachen 14/6144 und 14/6470) Unter der Überschrift Modernisierung der Verwaltung wird ohne Not der bundeseinheitliche Aufbau der Bun- des- und Landesfinanzbehörden aufgegeben und der Weg frei gemacht für eine Verwaltung je nach Kassenlage. Mit den vorliegenden Gesetzentwürfen soll die Vertei- lung der Steuerverwaltungshoheit zwischen Bund und Ländern insofern geändert werden, als der bisherige drei- stufige Aufbau der Bundes- und Landesbehörden in einen zweistufigen umgewandelt werden kann. Die Oberfi- nanzdirektionen als Mittelbehörden zwischen Bund und Land, die sowohl „Aufsichtsbehörde“ des Bundes wie auch Dienstleister für die Finanzämter sind – unter ande- rem zuständig für die strittigen Fällen –, sollen künftig wegfallen können. Art. 108 des Grundgesetzes regelt aber nicht nur die Zuständigkeiten auf dem Gebiet der Steuerverwaltung, sondern sichert auch eine gleichmäßige Erhebung der wichtigen öffentlichen Abgaben im Bundesgebiet. Diese gleichmäßige Erhebung der öffentlichen Abgaben ist je- doch nur dann gesichert, wenn die Steuerverwaltung nach gleichen Weisungen handelt. Darüber hinaus übt die Mit- telbehörde auch eine Dienstleistungsfunktion für die Fi- nanzämter aus. Der Bund darf sich von dieser Aufgabe, die im ganzen Bundesgebiet gleichmäßig durchzuführen ist, nicht ausklinken. Das komplexe Steuerrecht, die Vielfalt der steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten, die wachsende Menge der Ar- beitsfälle belasten die Besteuerungspraxis auf der Ebene in einem immer unverträglicheren Ausmaß. Die Folgen sind bekannt: Steuerrechtspflege, das heißt die sorgfältige Subsumtion der steuererheblichen Sachverhalte unter die Steuernorm findet de facto nicht mehr statt: Im Zuge der sich immer weiter zuspitzenden Bedin- gungen können die Oberfinanzdirektionen einen Beitrag leisten, diesen Missstand zu überwinden. Sie können den Finanzämtern zur Seite stehen und praktische Hilfe bei der Rechtsanwendung anbieten. Die Oberfinanzdirektio- nen als Servicezentren können damit Ausdruck eines pro- fessionellen und in die Zukunft weisenden Verwal- tungsmanagements sein. Bei den immer wieder festgestellten Größenordnungen beim Umsatzsteuerbetrug, bei der geringen Zahl der Be- triebsprüfungen und fehlenden Steuerfahndern ist über eine innere Neuorganisation der Finanzämter generell nachzudenken. So aber wird letztendlich nur den armen Ländern das Angebot gemacht: Wenn sie kein Geld mehr haben, können sie auf die Mittelinstanz verzichten. Eine höhere Effizienz der Arbeit der Finanzbehörden ist damit nicht von vornherein gegeben. Fakultativ auf die Mittelbehörde Oberfinanzdirektion zu verzichten würde bedeuten, die Einheit der Finanzver- waltung und einen einheitlichen Gesetzesvollzug zu ge- fährden. Deshalb werde ich dem Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 108) nicht zustimmen, sondern die- ses Gesetz ablehnen. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Schutzes gefährdeter Zeugen (Tagesordnungspunkt 25) Hans-Peter Kemper (SPD): Der hier vorliegende Gesetzentwurf geht zurück auf einen ursprünglichen Ent- wurf des Bundesrates, den eine Bund-Länder-Arbeits- gruppe seit dem Frühjahr 1999 überarbeitet hat. Wir begrüßen ausdrücklich den hier vorliegenden Ent- wurf; denn er stellt eine sinnvolle Ergänzung zu den bisher schon getroffenen Maßnahmen zur besseren Krimi- nalitätsbekämpfung, speziell zur besseren Bekämpfung der organisierten Kriminalität, dar. Das hohe Maß an Zu- stimmung bei den anderen Fraktionen ist sehr erfreulich. In den vergangenen Jahren ist die Kriminalität ins- gesamt bundesweit stetig zurückgegangen, die Aufklä- rungsquoten sind angestiegen, sodass sich insgesamt das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung deutlich gebessert hat. Selbst die Kinder- und Jugendkriminalität lässt eine – wenn auch sehr vorsichtige – Tendenz zum Besseren erkennen. Durch den hier jetzt vorliegenden Gesetzentwurf ergänzen wir das Bündel von Maßnahmen zur besseren Bekämpfung der organisierten Kriminalität, das in der Vergangenheit auf den Weg gebracht worden ist, als da sind: die Verschärfung der Geldwäsche, bessere Korrup- tionsbekämpfung, die leichtere Einziehung des Vermö- gens, der so genannte große Lauschangriff und andere Maßnahmen mehr. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 200117788 (C) (D) (A) (B) Der verbesserte Zeugenschutz trägt der Tatsache Rech- nung, dass es gerade im Bereich der organisierten Krimi- nalität immer schwieriger wird, Taten aufzuklären, Täter zu überführen bzw. der Bestrafung zuzuführen. Durch ein hohes Maß an Professionalität in der organi- sierten Kriminalität gibt es kaum Sachbeweise. Außerdem gehört es zu den Praktiken des organisierten Verbrechens, massiven Druck auf Zeugen, auf ehemalige Täter, aber auch auf deren Familien auszuüben Wer dicht hält, ge- nießt den Schutz der OK-Familie. Sie sorgt für Rechts- schutz, sie sorgt für die Angehörigen eines Verhafteten. Wer auspackt, hat mit übelsten Nachstellungen und Re- pressalien bis hin zu Körperverletzung und Mord für sich und seine Angehörigen zu rechnen. Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien stellen damit zum einen ihre Sachkompetenz im Bereich der inneren Sicherheit unter Beweis; zum anderen machen sie auch deutlich, dass sie nicht gewillt sind, vor der organisierten Kriminalität zurückzuweichen. Der vor- liegende Entwurf ist geeignet, die bisher bestehende Rechtsunsicherheit zu beseitigen und den Zeugenschutz auf eine bundesweite, tragfähige gesetzliche Grundlage zu stellen. Nun ist es nicht so, dass der Schutz solcher Zeugen in der Vergangenheit nicht möglich gewesen wäre. Er erfolg- te allerdings allein auf der Grundlage der polizei- rechtlichen Generalklauseln oder der strafrechtlichen Grundsätze des Notstandes. Es ist natürlich im Interesse des Staates, dass Personen, die zu schwerwiegenden Straftaten wichtige Aussagen machen können, vor Repressalien geschützt werden, aber auch, dass sie psychisch stabilisiert werden und in ihrer Aussagebereitschaft nicht negativ beeinflusst werden. Hier kommen in Betracht: Verhaltensberatung, psycholo- gische Betreuung, in Notsituationen vorübergehende Sicherung des Lebensunterhalts, Hilfe bei der Arbeits- platzsuche, bei der Kinderbetreuung, Schutz, Observation und Beschaffung von Tarndokumenten, also auch die Ausstattung mit einer neuen Legende, einem neuen Wohnort oder einem neuen Arbeitsplatz. Die Grundlagen für diese Maßnahmen werden in diesem Gesetzentwurf geschaffen. Das Gesetz legt fest, wer in welchen Fällen in ein Zeugenschutzprogramm ein- treten kann und welche Schutzmechanismen wirken. Natürlich bedarf es hier auch eines besonderen Ver- trauensverhältnisses zwischen den Zeugenschutzdienst- stellen und den Zeugen. Die Zeugen müssen darauf ver- trauen können, dass ihre Daten, dass ihre Identität nicht bewusst oder unbewusst an Dritte weitergegeben werden und sie somit sich selbst oder ihre Familie gefährden. Das Zeugenschutzprogramm hat eine schützende, eine sichernde Funktion, ohne dass hierbei andere Maßnah- men ausgeschlossen würden. Fällt eine Person aus dem Zeugenschutzprogramm, aus welchen Gründen auch immer, heraus, so ist sie nicht schutzlos gestellt, sondern es greifen die allgemeinen Schutzklauseln der Länder, die Generalklausel der Gefahrenabwehr, die dann die Polizeibehörden ver- pflichtet, den Schutz von Leib und Leben dieser Person zu gewährleisten. Diese Schutzmaßnahme erfolgt allerdings unter anderen Aspekten als nach dem Zeugenschutzpro- gramm. Ich weiß natürlich, dass der eine oder andere noch größere Hoffnungen mit diesem Zeugenschutzprogramm verbunden hat, zum Beispiel hinsichtlich des Bleiberechts als Dank für eine mutige Aussage in einem Gerichtsver- fahren. Diese Erwartungen konnten nicht erfüllt werden. Dieses Gesetz durfte und sollte nicht überfrachtet werden mit Bleiberechtsfragen. Das Gesetz über die Harmoni- sierung des Zeugenschutzes kann und soll dieses nicht leisten. Es geht hier darum, durch die Sicherung, durch die Unterstützung, durch den Schutz von Zeugen skrupel- losen Kriminellen das Handwerk zu legen und sie einer gerechten Bestrafung zuzuführen. Lassen Sie mich ergänzend noch Folgendes sagen: Durch den vorliegenden Gesetzentwurf wird der Schutz von Personen, die sich durch Weitergabe ihres Wissens einer Gefahr für Leib und Leben aussetzen, für einen außerordentlich wichtigen Bereich unserer Rechtsord- nung geregelt. Allerdings handelt es sich um einen Teil- bereich. Neben dem Zeugenschutzharmonisierungsgesetz bleiben andere Rechtsgrundlagen, auf die Schutzmaßnah- men gestützt werden können, bestehen, zum Beispiel das allgemeine Gefahrenabwehrrecht, auf das der Ände- rungsantrag der Koalitionsfraktionen ausdrücklich ver- weist. Des Weiteren erwähnt die Bundesregierung in der Be- gründung zu § 1 Abs. 1 ZSHG Betreuungs- und Schutz- programme außerhalb des ZSHG, die für spezielle Perso- nengruppen bestehen. Besonders genannt werden dabei die ausländischen Opfer von Menschenhandel. Zu ergänzen wäre noch, dass auch die Nachrichten- dienste gelegentlich gezwungen sind, ihre deutschen und ausländischen Informanten vor Enttarnung und Verfol- gung zu schützen. Ich denke, wir sind uns einig, dass solche Maßnahmen möglich bleiben müssen. Die Nachrichtendienste können dabei auf § 8 des Bundesver- fassungsschutzgesetzes zurückgreifen, der sie ermächtigt, Methoden, Gegenstände und Instrumente der heimlichen Informationsbeschaffung, darunter Tarnpapiere, anzu- wenden. Wichtig ist mir deshalb die Klarstellung, dass das Zeu- genschutzharmonisierungsgesetz keine abschließende Regelung enthält. Wolfgang Zeitlmann (CSU/CSU): Fast wäre man ge- neigt, zu sagen: Was lange währt, wird endlich gut. Doch es ist leider nicht ganz so gut, vor allem hat es viel zu lange gedauert, bis der Entwurf des Gesetzes zur Rege- lung des Schutzes gefährdeter Zeugen endlich in den Ge- schäftsgang des Deutschen Bundestags gekommen ist. Der Entwurf des Bundesrats stammt aus dem Jahr 1999, mit entsprechend langer Vorlaufzeit schon im Bundesrat. Am 23. März 1999 hat der Gesetzentwurf des Bundesra- tes dann die Drucksachennummer 638 des Deutschen Bundestags erhalten. Erst heute, am 29. Juni 2001, wird dieser Entwurf abschließend hier beraten. Bis vor 14 Ta- gen – über zwei Jahre – hat sich die Bundesregierung Zeit Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17789 (C) (D) (A) (B) gelassen, um ihre Stellungnahme abzugeben. Diese Stel- lungnahme ist nun ein eigener Gesetzentwurf der Bun- desregierung, den der Bundesinnenminister am 14. Juni 2001 vorgestellt hat. Das Ziel ist gut und richtig. Auch dem Gesetzentwurf kann man zustimmen; denn er hilft, Kriminalität, insbe- sondere organisierter Kriminalität, wirksamer zu begeg- nen. Völlig unverständlich ist allerdings, warum es so lange Zeit brauchte, bis dieser Entwurf vorgelegt wurde. Und wir lassen es der Bundesregierung nicht durchgehen, sich auf diesem Gesetzentwurf auszuruhen. Denn eines muss man leider feststellen: Seit Rot-Grün die Regierungsverantwortung in Deutschland übernom- men hat, herrscht auf dem Gebiet der inneren Sicherheit im Großen und Ganzen Gesetzgebungsstillstand. Welche Gesetzesinitiativen hat die Bundesregierung zur Stärkung der inneren Sicherheit, zur Verbrechensbekämpfung oder zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität auf den Weg gebracht? Noch entscheidender ist die Frage: Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung in den jetzt mehr als zweieinhalb Jahren Regierungsverantwortung umge- setzt? Es herrscht Sendepause. Ihre Untätigkeit begründet die Bundesregierung im Wesentlichen damit, dass die jetzt bestehenden gesetzli- chen Maßnahmen eigentlich ausreichend sind, um Ver- brechen wirksam zu bekämpfen. Damit bestätigt sie, dass die unionsgeführte Vorgängerregierung hervorragende Arbeit geleistet hat. Hier sind das Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität aus dem Jahre 1992, das Verbrechensbekämpfungsgesetz aus dem Jahr 1994, das neue Bundesgrenzschutzgesetz aus dem Jahr 1994 und die große Strafrechtsreform aus dem Jahre 1996 mit einer Neuformulierung der Sexualstraftaten und einer Erleich- terung der Möglichkeit, einen Täter in die Sicherungsver- wahrung zu bringen, zu nennen. 1997 wurde das Antikor- ruptionsgesetz beschlossen, 1998 ein weiteres Gesetz gegen die organisierte Kriminalität. Positiv ist zu bemerken, dass die Kriminalitätsrate seit- dem nicht mehr steigt, sondern eher rückläufig ist. Das ist aber nicht das Verdienst der rot-grünen Bundesregierung, das ist das Verdienst der Vorgängerregierung. Angesichts 6 264 723 Straftaten im Jahr 2000 besteht keinerlei Anlass sich zurückzulehnen. 6 264 723 Straftaten in Deutschland bedeutet alle fünf Sekunden eine Straftat, zwölf in jeder Minute. Bei einer Aufklärungsquote von bundesweit rund 53 Prozent – in Bayern dagegen 65 Prozent – muss die SPD-geführte Bundesregierung zugeben: Die Zahlen be- wegen sich auf einem erschreckend hohen Niveau, im Be- reich der Wirtschaftskriminalität ist die Entwicklung be- sorgniserregend. Die Bundesregierung aber tut nichts. Das gilt gerade auch für den Bereich der organisierten Kriminalität. Der im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität ermittelte Schaden betrug im Jahr 1999 1,42 Milliarden DM. Schwerpunkt der organisierten Kriminalität sind nach wie vor Rauschgifthandel und -schmuggel sowie Wirtschaftskriminalität. Um der orga- nisierten Kriminalität wirkungsvoll beizukommen, ist eine verbesserte internationale Zusammenarbeit, die Er- weiterung von Telefonüberwachungsmöglichkeiten und eine Ergänzung der Kronzeugenregelung notwendig. Bei der Bundesregierung wie auch bei der rot-grünen Regierungskoalition, die offensichtlich zu keinerlei eige- nen Initiativen in der Lage ist, herrscht allerdings Funk- stille. Deswegen muss die Opposition, deswegen muss die CDU/CSU-Fraktion leider erneut Regierungsarbeit ma- chen. Wir werden einen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Bekämpfung von Straftaten der organisierten Krimi- nalität und des Terrorismus in den Deutschen Bundestag einbringen. Wir werden auch weiter die Maßnahmen zur Verbrechensbekämpfung und zur Bekämpfung der Krimi- nalität forcieren. Die Union ist der Motor und damit auch Garant für die innere Sicherheit in Deutschland. Wir wer- den die Bundesregierung immer wieder mit ihrem Nichts- tun konfrontieren. Schließlich ist die Liste lang und ich könnte die Aufzählung noch beliebig fortsetzen. Abschließend möchte ich feststellen: Die Bundesre- gierung darf sich nicht untätig zurücklehnen. Sie muss dafür Sorge tragen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland sicher fühlen können. CDU und CSU wer- den die Bundesregierung immer wieder mahnen und dazu antreiben. Wir betrachten den Gesetzentwurf, der heute vorliegt, als einen ersten Schritt, dem noch weitere folgen müssen. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Mit dem Zeugenschutzgesetz wird der Schutz von Zeugen nicht neu eingeführt. Es beruht auf der ständigen Praxis der Länder. Es regelt den Schutz aussagebereiter Zeugen einheitlich für das Bundesgebiet. Das bedeutet keineswegs, dass nicht aussagebereite, aber gefährdete Zeugen schutzlos sind. Für sie gelten nach wie vor die all- gemeinen Gefahrenabwehrregeln, nach denen die Polizei verpflichtet ist, Zeugen und Zeuginnen gegen Gefahren für Leib, Leben, Gesundheit und Selbstbestimmung wirk- sam zu schützen. Das noch mal ausdrücklich festzustellen ist mir wichtig. Um darüber keine Zweifel aufkommen zu lassen, ha- ben wir diese Verpflichtung zu ausreichenden Schutz- maßnahmen für Zeugen in § 1 Abs. 4 extra noch einmal ins Gesetz geschrieben. Dies ist auf ausdrücklichen Wunsch von uns Bündnisgrünen geschehen, damit bei ei- nem Zeugen, der zunächst aussagebereit war und unter besonderen Zeugenschutz gestellt wurde, nicht der un- richtige Eindruck erweckt werden kann, wenn er sich dazu entschließt – aus welchen Gründen auch immer –, nicht mehr auszusagen, er sei nun schutzlos, obwohl er oder seine Familie weiter in Gefahr sind. So kann einem Missbrauch des Zeugenschutzgesetzes vorgebeugt wer- den. Wie es jetzt formuliert ist, können wir dem Gesetz zu- stimmen. Nach langen Vorarbeiten wird der Schutz von Zeuginnen und Zeugen in Strafverfahren und, was auch wichtig ist, auch von deren Familien umfassend bundes- einheitlich gewährleistet. Gleichzeitig wurden aber nicht die legitimen Verteidi- gungsrechte von Beschuldigten aus den Augen verloren, um das Grundrecht auf ein faires Verfahren zu garantie- ren. Deshalb wird in der Gesetzesbegründung anerkannt, dass der Zeugenschutz nicht nur das Verhältnis von Zeu- gen und den Schutzbehörden, in aller Regel der Polizei, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 200117790 (C) (D) (A) (B) betrifft, sondern dass von Zeugenschutzmaßnahmen auch Dritte betroffen sein können. Dabei ist nicht nur an Dritte zu denken, die durch Zeugenschutzmaßnahmen an der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche, wie Unterhalts- oder Schadensersatzansprüchen, gehindert werden kön- nen, sondern auch an Beschuldigte in Strafverfahren, für die und für deren Verteidigung im Strafverfahren Zeugen- schutzmaßnahmen eine Belastung und Behinderung sein können. Dem Beschuldigten soll es möglich sein, die Schutzmaßnahmen für den Zeugen gerichtlich überprüfen zu lassen, soweit dadurch seine Verteidigungsrechte be- troffen sind. Die Zeugenschutzstelle muss dafür sorgen, dass der Zeuge für Dritte und auch für gerichtliche Zustellungen erreichbar bleibt. Das ist in der Praxis in der Vergangen- heit nicht immer der Fall gewesen. Familien konnten Un- terhaltsansprüche oft nicht durchsetzen, weil sie keine Zustellungsanschrift der Zeugen bekamen. Die Grenze der Erreichbarkeit des Zeugen ist nur da zu ziehen, wo die Gefährdung des Zeugen erhöht oder die Wirksamkeit der Zeugenschutzmaßnahmen vereitelt würden. Wichtig ist auch, dass die Akten, die Auskunft über Zeugenschutzmaßnahmen geben, auch der Staatsanwalt- schaft zugänglich zu machen sind. Noch wichtiger ist, dass im Strafprozess die Beamten des Zeugenschutzes und der Staatsanwaltschaft zu den Zeugenschutzmaßnah- men vernommen werden können. Damit können Gericht und Prozessbeteiligte grundsätzlich Kenntnis über die Zeugenschutzmaßnahmen, etwa über die Höhe von Zah- lungen, über Wohnungsgewährung und Arbeitsplatzver- schaffung für den Zeugen, erhalten. In der Vergangenheit war solche Erkenntnismöglichkeit nicht immer garantiert. Die Kenntnis solcher Umstände kann für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen aber durchaus von Be- deutung sein. Selbstverständlich soll der Zeuge auch in Zukunft seine Aussagen vor Gericht weiter persönlich machen und seine Aussage nicht etwa durch die eines Ver- nehmungsbeamten vertreten lassen können. Auch bleibt der Zeuge selbst grundsätzlich zur Auskunft über den ge- währten Zeugenschutz verpflichtet. Die Grenzen für die Aussagepflicht der beamteten Zeu- gen und des Zeugen selbst werden durch die Aussagege- nehmigung gezogen und sind da gerechtfertigt, wo mit der Bekanntgabe von Einzelheiten des Zeugenschutzes dieser unterlaufen und der Zeuge zusätzlich gefährdet würde. Zuwendungen an den Zeugen können nur dann zurück- gefordert werden, wenn der Zeuge wissentlich falsch aus- gesagt hat, etwa um finanzielle Zuwendungen oder mehr finanzielle Zuwendungen zu erhalten, wenn also ein Zeuge vorgibt etwas zu wissen, was gar nicht zutrifft, und dadurch materielle Vorteile erlangt. Zeugenschutzmaßnahmen können nicht nur zur Si- cherung des staatlichen Strafverfolgungsinteresses not- wendig sein, sondern der Staat hat nach dem Grundgesetz die Pflicht, allen konkret gefährdeten Bürgern den not- wendigen Schutz zu gewähren. Dies weiter und bundes- einheitlich zu sichern, dazu soll das Zeugenschutzgesetz dienen. Dr. Max Stadler (F.D.P.): Zu den deprimierenden Er- fahrungen, die ein Strafrechtspraktiker als Staatsanwalt oder Richter machen kann, gehört die Aussage von Zeu- gen, sie würden sich nie wieder in einem Strafverfahren als Zeugen zur Verfügung stellen. Unabhängig davon, dass es eine öffentlich-rechtliche Zeugenpflicht gibt, muss dieser nicht so selten zu hörende Satz doch zu denken geben. Wie kann man außerhalb von Zwangsgeldern und Beu- gehaft die Bereitschaft von Zeugen fördern, im Interesse der Wahrheitsfindung vor den Strafverfolgungsbehörden auszusagen? Hierfür spielt zweifellos der Schutz gefähr- deter Zeugen eine entscheidende Rolle. Wenn der Staat auf der einen Seite eine Pflicht des Zeugen zur Aussage statuiert, hat er auf der anderen Seite eine Fürsorgepflicht für den Zeugen, der gerade wegen dieser Aussage an Leib und Leben gefährdet ist. Die F.P.D.-Fraktion begrüßt es daher, dass der Bundes- rat mit seinem Gesetzentwurf aus dem Jahre 1999 den Versuch unternommen hat, die Bestimmungen über den Zeugenschutz zu bündeln. Die Materie betrifft freilich in weiten Teilen Landesrecht. Der Förderalismus wird aber durch den Gesetzentwurf keinen Schaden nehmen, hat doch der Bundesrat selbst zu Recht festgestellt, dass Um- fang und Komplexität des Zeugenschutzes eine Bundes- regelung erforderlich machen. Der Ursprungsentwurf ist von einer Bund-Länder-Ar- beitsgruppe unter Einbeziehung polizeilicher Praktiker intensiv diskutiert worden. Dem nun vorgelegten Ergebnis dieser gründlichen Vorarbeit ist zuzustimmen. Der Gesetzentwurf beseitigt Rechtsunsicherheiten, die in der Praxis bestanden haben, und stellt somit einen wichtigen Baustein bei der Bekämpfung der Schwerkriminalität dar. Insgesamt stimmt die F.D.P.-Fraktion dem Gesetzent- wurf zu. Ulla Jelpke (PDS): Die Regelungen für den Schutz gefährdeter Zeugen sollen mit dem vorliegenden Gesetz- entwurf auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden. Das ist prinzipiell richtig. Die bisherige Handhabung, Zeugenschutz auf Grundlage polizeilicher Generalklau- seln oder auf der strafrechtlichen Grundlage des Not- stands zu handhaben, ist in der Tat verfassungsrechtlich problematisch. Es macht aber einen erheblichen Unter- schied, ob Zeugenschutzmaßnahmen zum Beispiel für Frauen aus Osteuropa angeordnet werden, die Opfer von Frauenhandel und Prostitution sind. Hier kommen immer wieder berechtigte Klagen, dass diese Frauen viel zu sel- ten Zeugenschutz erhalten. Viel zu oft werden sie nach ihrer Aussage einfach abgeschoben, weil sie keine oder abgelaufene Aufenthaltspapiere haben, und kommen so in die gleichen Strukturen zurück, von denen sie in die Prostitution gezwungen und nach Deutschland ver- schleppt wurden. Die Drahtzieher dieses kriminellen Ge- schäfts kommen so billig davon, den Frauen wird nicht geholfen. Ganz anders dagegen sieht dagegen die Situation aus, wenn zum Beispiel Neonazis, die wegen schwerer Gewalt- delikte gegen Flüchtlinge und Migrantinnen angeklagt Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17791 (C) (D) (A) (B) sind, in den Zeugenschutz wollen. Wir wissen doch alle ganz genau, dass sich immer wieder solche Täter nur des- halb als Kronzeugen anbieten, um selbst billig davonzu- kommen. Sie erzählen im Vorfeld des Verfahrens alles, was Poli- zei und Staatsanwälte hören wollen, kommen in den Zeu- genschutz und können sich dann im Verfahren auf einmal nicht mehr genau erinnern. Oder nach dem Verfahren stellt sich heraus, dass diese dubiosen Zeugen mit falschen Aussagen operiert haben, um alle schwere Schuld auf ihre Mittäter abzuschieben. Der vorliegende Gesetzentwurf enthält zu dieser wich- tigen Frage, wer unter welchen Bedingungen Zeugen- schutz bekommt und wer nicht, gar keine Aussagen. In der ersten Fassung war die Gefahr, die damit ver- bunden ist, noch deutlicher erkennbar. Da sollte Zeugen- schutz für alle staatlichen V-Leute, bei praktisch jedem Bandendelikt, bei allen gewohnheitsmäßigen Straftaten, bei Verdacht auf geringfügige Rauschgiftdelikte ebenso wie bei Asylmissbrauch, selbst bei Beihilfe zu Fahnen- flucht und Ungehorsam in der Armee möglich werden. Das steht jetzt nicht mehr so in dem hier vorliegenden Ge- setzentwurf. Übrig geblieben ist aber das Problem. Übrig geblieben ist die Gefahr einer schrankenlosen Auswei- tung und gleichzeitig weiter willkürlichen Handhabung von Zeugenschutz. Art. 1 § 1 des vorliegenden Gesetzentwurfs erlaubt Zeugenschutz nämlich für jede Person, die „aufgrund ihrer Aussagebereitschaft einer Gefährdung von Leib, Leben, Gesundheit, Freiheit oder wesentlicher Vermö- genswerte ausgesetzt ist und sich für Zeugenschutzmaß- nahmen eignet.“ Damit ist der Ausweitung und Willkür beim Zeugenschutz Tür und Tor geöffnet. Wer Zeugenschutz braucht, aber nicht bekommt, wie die von mir bereits genannten Opfer von Frauenhandel, kann sich nach diesem Gesetz noch nicht einmal irgendwo beschweren. Auf der anderen Seite kann die Polizei künftig bei fast al- len Verdachtsfällen mit dem schwierigen Instrument Zeu- genschutz operieren und damit die wirkliche Aufklärung von Straftaten, die ja erst vor Gericht, im Strafprozess ge- schieht – möglicherweise sogar erschweren. Eine solche Regelung des Zeugenschutzes verfehlt ihren Zweck, ist rechtsstaatlich bedenklich und kein Bei- trag zum Schutz der Opfer von Kriminalität. Einem sol- chen Gesetz stimmen wir nicht zu. Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern: Der Entwurf eines Gesetzes zur Harmonisierung des Schutzes gefährdeter Zeugen schafft erstmals sichere Rechtsgrundlagen für wichtige Zeugen- schutzmaßnahmen wie die Ausstellung von Tarnpapieren und die Einrichtung von Datenübermittlungssperren. Er enthält darüber hinaus unter anderem Regelungen zur Er- reichbarkeit der zu schützenden Person im Rechtsverkehr sowie zum Zeugenschutz im Strafvollzug. Geschützt werden sollen Personen, die in einem Straf- verfahren aussagebereit und aussagewillig sind und auf- grund dieser Aussagefähigkeit gefährdet werden. Bisher erfolgt der Schutz solcher gefährdeten Zeugen vorwie- gend auf der Grundlage der polizeilichen Generalklau- seln. Teilweise wird auch die Regelung des strafrechtli- chen Notstandes herangezogen. Dieser Rechtszustand wurde in Praxis und Wissen- schaft bereits seit langem als unzureichend kritisiert: Po- lizeiliche Zeugenschützer mussten auf unsicherer Rechts- grundlage arbeiten; um Mitwirkung ersuchte Stellen waren unsicher in Bezug auf ihre Mitwirkungsrechte und -pflichten; zu schützende Personen wussten nicht, worauf sie sich einlassen. Dabei zeigt die polizeiliche Praxis, dass dringender Handlungsbedarf besteht: Gerade im Bereich der Schwer- kriminalität und der organisierten Kriminalität versuchen interessierte Kreise häufig, Zeugen durch Einschüchte- rung bis hin zu Gewalttätigkeiten von einer Aussage ab- zuhalten. Seit 1995 wurden durch die bei Bund und Län- dern bestehenden Zeugenschutzdienststellen im Jahres- durchschnitt circa 650 Fälle bearbeitet. Die weit über- wiegende Zahl hiervon entfällt auf Straftaten aus der or- ganisierten Kriminalität sowie aus sonstiger Drogenkri- minalität. Hier besseren Schutz zu gewährleisten ist herausra- gend wichtig. Erstens müssen wir als Staat Menschen schützen, die sich bereit erklären, zur Aufklärung von Straftaten beizutragen. Zweitens ist gerade in Krimina- litätsfeldern mit professionell vorgehenden Tätern der Zeugenbeweis das einzig aussichtsreiche Beweismittel. Damit sind solche Zeugen für die Durchsetzung des staat- lichen Strafanspruches unverzichtbar. Zeugenschutzmaßnahmen finden dabei in einem rechtsstaatlichen Spannungsverhältnis statt: Einerseits müssen die betroffenen Personen wirksam geschützt wer- den; andererseits darf das Recht eines Beschuldigten auf ein faires Verfahren selbstverständlich nicht verletzt wer- den. Der vorgelegte Entwurf wird dieser Problematik ge- recht: Dem Staat wird es – etwa durch die Regelungen zu Tarndokumenten und Datenübermittlungssperren – er- möglicht, seine Schutzfunktion wirksam auszuüben. An- dererseits wird beispielsweise ausdrücklich klargestellt, dass Zuwendungen an zu schützende Personen nur in dem Maße gewährt werden dürfen, wie dies für den Schutz- zweck unbedingt erforderlich ist. Beschuldigten- und Ver- teidigerrechte bleiben voll gewahrt. Während über die Notwendigkeit zu gesetzgeberi- schem Handeln seit langem Einigkeit besteht, blieb die konkrete Form eines Zeugenschutzgesetzes lange um- stritten. Der hierzu vorgelegte Bundesratsentwurf, der auf Initiative des Landes Rheinland-Pfalz zurückging, wurde von allen Beteiligten hinsichtlich seiner Zielsetzung be- grüßt, hinsichtlich der konkreten Umsetzung dieser Ziele aber auch deutlich kritisiert. Dies wurde von Innen- und Justizseite von Bund und Ländern übereinstimmend so gesehen. Den jetzt durch die Bundesregierung vorgelegten Ge- setzentwurf haben Experten im Rahmen einer Arbeits- gruppe erarbeitet, der neben Vertretern von BMI und BMJ Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 200117792 (C) (D) (A) (B) auch Vertreter der Justiz- und Innenressorts aus Rheinland- Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, aber auch Sachsens, Baden-Württembergs und Bayerns angehörten. Die polizeiliche Praxis war eng einbezogen. Alle Beteilig- ten stehen hinter diesem Entwurf. Die Bundesregierung stimmt auch den vier klarstellenden Ergänzungen im Geset- zestext zu, die die Fraktionen der SPD und der Grünen durch den gemeinsamen Abänderungsantrag vorschlagen. Daher sollte aus Sicht der Bundesregierung der überarbeitete Ge- setzentwurf schnellstmöglich verabschiedet werden. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts zu den Anträgen: – UMTS-Milliarden für die Einführung einer kom- munalen Investitionspauschale des Bundes – Änderung des Zerlegungsmaßstabs des Gewerbe- steuermessbetrags – Erhöhung der Gewerbesteuerumlage rückgängig machen (Tagesordnungspunkt 28a bis c) Dr. Mathias Schubert (SPD): Immer wieder wird ar- gumentiert, dass die Kommunalfinanzen in Ostdeutschland mit etwa 40 Prozent des Durchschnitts auf einem dramati- schen Tiefstand beharren, der Handlungsmöglichkeiten ein- schränkt und besonders Investitionen verhindert. Dieses Ar- gument ist selbstverständlich ernst zu nehmen. Um Abhilfe zu schaffen, schlägt die PDS vor, die Gewerbesteuer anders als bisher zu verteilen. Im Gesamtzusammenhang mit der Steuerreform muss ich denn doch einmal – vielleicht ein bisschen provokant – darauf hinweisen, dass diese Reform die Entlastung der Steuerzahler und nicht die Mehrung der öffentlichen Finanzen zum Ziel hat, und das im Zusammen- hang mit der Sanierung der öffentlichen Haushalte. Heute Morgen haben wir die Stabilitätskriterien im Maßstäbegesetz auch für die Länder und Kommunen be- schlossen. In diesem Rahmen und eingedenk der Tatsache, dass die pauschalierte Abzugsfähigkeit der Gewerbesteuer für Unternehmen eine für die Wirtschaft erhebliche Entlas- tung bedeutet, halte ich die zur Debatte stehenden Vor- schläge für ungeeignet. Zunächst sind die Kommunen schon längst an der Umsatzsteueraufteilung beteiligt. Zweitens erhalten die ostdeutschen Kommunen im Rah- men des Solidarpakts II eine Finanzierungsgarantie von jährlich 3,7 Milliarden DM bis 2019. Wann hat es je eine solche berechenbare langfristige Investitions- und Finan- zierungssicherheit gegeben? Zum Dritten: Der Gewerbesteuerrückfluss von Unter- nehmen in Ostdeutschland, die als so genannte verlängerte Werkbänke bezeichnet werden, ist nur ein Teil der Gesamt- finanzierung. Da die Finanzkraft der Kommunen im Län- derfinanzausgleich als Kriterium verankert ist, bekommen die Städte und Gemeinden weit mehr Geld zurück als jene durchschnittlichen 243 DM pro Einwohner, die die PDS in ihren Anträgen für Ostdeutschland angibt. Das nächste Problem: Ob mit einer Umstellung des Zerlegungsstatus von Einkommen auf die Beschäfti- gungszahl die Gewerbesteuer einen Beitrag zur Haus- haltssanierung der Kommunen in Ostdeutschland leisten kann, halte ich für fraglich. Das wäre nur zu vermuten, wenn die mit Recht beklagte hohe Arbeitslosigkeit we- sentlich niedriger wäre. In diesem Zusammenhang ist die politische Argumentation in beiden Anträgen nicht kon- sistent. Zuletzt will ich denn auch darauf hinweisen, dass nicht alle Unternehmen im Osten verlängerte Werkbänke sind. Viele Unternehmen haben ihre Töchter in Ostdeutschland so organisiert, dass sie vor Ort Gewerbesteuer zahlen, auch wenn ich nicht verkenne, dass sich der Trend aus steuerlichen Gründen zurzeit in die Gegenrichtung be- wegt. Doch das ist ein gesamtdeutsches und kein ostdeut- sches Thema. Langfristig – und nur so lassen sich strategische Ziele für die Entwicklung Ostdeutschlands definieren – werden der Länderfinanzausgleich und vor allem der Soli II die entscheidenden Elemente sein, um die Finanzkraft und Investitionskraft ostdeutscher Kommunen entscheidend zu stärken. Sollte darüber hinaus eine kommunale Fi- nanzreform in Angriff genommen werden, steht auch die Gewerbesteuer auf dem Prüfstand, dann aber ganz gewiss nicht als ostdeutsches Spezialproblem der Schlechterstel- lung. Gunter Weißgerber (SPD): Die PDS fordert die Bun- desregierung zur Prüfung eines Sachverhalts auf, der selbst der PDS bekannt sein dürfte. Kommunale Investi- tionspauschalen entsprechen nicht den verfassungsrecht- lichen Vorgaben. Allein die Länder sind für die Finanz- ausstattung ihrer Kommunen zuständig. Dies ist im Bundestag vorhandenes Grundwissen, auch bei der PDS. Somit ist klar: Wir sprechen über einen Schaufensteran- trag. Kommunale Investitionspauschalen sind verfas- sungsrechtlich nicht zulässig. Zum Schaufensterantrag passt die unverblümte Unaus- gewogenheit. In der Begründung des Antrags steht: „Die Kommunen waren Anfang 2000 bereits mit insgesamt 202 Milliarden DM verschuldet.“ Und was ist mit einer Angabe der Bundesschuld? Natürlich ist die Verschul- dung der Gemeinden besorgniserregend. Aber noch mehr Sorgen macht mir die Verschuldung des Bundes. Die Bun- desschuld beläuft sich auf rund 1,5 Billionen DM. Und hätten wir nicht die 100 UMTS-Milliarden zur Schulden- tilgung genutzt, dann beliefe sich der Schuldenstand des Bundes auf 1,6 Billionen DM. Betrachten wir doch einmal die Zinssteuerlastquoten aller deutschen Gebietskörperschaften! Bei den Gemein- den liegt sie bei 7 Prozent, bei den Ländern bei 11 Prozent und beim Bund bei 21 Prozent. Somit hat der Bund deut- lich erkennbar die mit Abstand schlechteste Haushalts- lage. – So viel zur Erörterung der verfassungsrechtlichen Kriterien und der Haushaltssituationen in Deutschland. Jetzt zur Verwendung der durch die UMTS-Versteige- rung erreichten Zinsersparnisse, Zinsersparnisse, die alle- samt den Kommunen zugute kommen werden. Wir haben Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17793 (C) (D) (A) (B) bekanntlich beschlossen, dass die 100 Milliarden DM Versteigerungserlöse in den Schuldenabbau gehen, was jährlich 5 Milliarden DM weniger an Zinszahlungen des Bundes bedeutet. Auf der Grundlage dieser eingesparten Zinszahlungsmittel haben wir ein Dreijahresprogramm in Höhe von 15 Milliarden DM beschlossen. Die Mittel die- ses Zukunftsinvestitionsprogramms gehen in den Straßenbau – 125 Ortsumgehungen –, den Schienenaus- bau, die Altbau-Energiesanierung, in die soziale Stadt so- wie in Bildung und Forschung. Mit dem Zukunftsinvestitionsprogramm helfen wir den Kommunen, ohne in Konflikt mit der Verfassung zu geraten. Es geht also auch ohne Ihren Schaufensterantrag. Im Übrigen: Die ständige Wiederholung einer verfas- sungsrechtlich nicht möglichen Forderung macht diese nicht verfassungsrechtlich konform, so wie die Bezeich- nung „Antifaschistischer Schutzwall“ aus einer Gefäng- nismauer kein Friedensbauwerk macht. Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Die Kolle- ginnen und Kollegen der PDS wollen sich mit ihren drei Anträgen zum „Anwalt der Kommunen“ machen. Damit wird es ihnen schwerlich gelingen, ihre Fehler aus der Vergangenheit zu verdecken. Sie werden dadurch nicht zu einem guten Anwalt. Sie wollen die kommunale Finanzausstattung in ein- zelnen Punkten verändern. Dies ist meines Erachtens völ- lig unzureichend. Wenn dieses Thema angefasst werden soll, dann richtig, dann muss es um eine Gemeinde- finanzreform insgesamt gehen. Ihre Anträge als punktu- elle Lösung würden den Druck in Richtung grundsätzli- che Lösung vermindern, schon deshalb kann ihnen nicht zugestimmt werden. Aber es gibt auch inhaltliche Punkte, auf die ich noch zu sprechen komme. Dennoch gibt der Tagesordnungspunkt Gelegenheit, den Blick auf ein wichtiges Thema zu lenken. Die kom- munale Finanzausstattung ist völlig unzureichend und wurde von der Regierungskoalition entgegen all ihren Versprechungen dramatisch verschlechtert. Ich verweise dazu nur auf unseren Antrag „Umsetzung des Verspre- chens der Bundesregierung zur Stärkung der Kommunal- finanzen“, Drucksache 14/6163, und die dazu erfolgte Diskussion vom 21. Juni 2001. Die kommunale Finanzausstattung ist nicht nur ein Thema für Bürgermeister und Kommunalpolitiker, sie geht uns alle an. Wenn den Kommunen die Finanzkraft fehlt, dann müssen sie bei den Ausgaben von für die Bür- gerinnen und Bürger wichtigen Einrichtungen kürzen. Sie müssen Schulen, Kindergärten, Kultureinrichtungen, Schwimmbäder und Ähnlichem Geld nehmen oder sie gar schließen. Sie ist aber auch ein wichtiges Thema für Handwerk und Handel. Wenn den Gemeinden Geld fehlt, dann kür- zen sie häufig bei Beschaffungen und insbesondere bei der Bauunterhaltung, weil dies nicht unmittelbar Folgen für die Bürgerinnen und Bürger hat. Jede nicht ausgege- bene Mark bedeutet aber auch weniger Aufträge für Han- del und Gewerbe. Jeder Auftrag weniger bedeutet weni- ger Arbeit und damit weniger Steuern und mehr Arbeitslosigkeit. Mehr Arbeitslosigkeit bedeutet mehr Sozialhilfe. So zeigt sich, in welchem schwierigen Teu- felskreis sich Städte, Gemeinden und Landkreise befin- den. Viele können ihre laufenden Ausgaben mit laufenden Einnahmen nicht decken. Besorgniserregend ist die Ent- wicklung der Kassenkredite in vielen großen Städten des Ruhrgebietes. Wie bedrohlich die Lage ist, kann man an einer Schlüs- selzahl ablesen. Das ist der Stand der Kassenkredite zum 31. Dezember 2000. Kassenkredit klingt sehr „technisch“, ist aber nichts anderes als der Ausdruck dafür, dass lau- fende Ausgaben mit Krediten finanziert wurden, was ei- gentlich nicht sein darf. Der Kassenkredit ist nur eine un- terjährige Liquiditätshilfe und muss am Jahresende, wenn alle Einnahmen und Ausgaben getätigt sind, auf Null ste- hen. Sie betrugen 14,1 Milliarden DM, dazu kommen noch 14,0 Milliarden DM innere Darlehen. Diese beiden Zahlen hätten am 31. Dezember 2000 null betragen müs- sen. 28,1 Milliarden DM sind rund 6,5 Prozent der lau- fenden Ausgaben aller Städte, Gemeinden und Landkreise für Personal, laufenden Sachaufwand, soziale Leistungen und Zinsen. In diesem Maße wurden diese Posten mit Krediten finanziert. Das ist so, als wenn sich ein privater Haushalt ohne Aussicht auf zusätzliche Einnahmen sein Butterbrot auf Kredit kauft oder wenn ein Handwerks- meister das Verbrauchsmaterial mit einem Kontokorrent- kredit finanziert und über die Rechnung nicht wieder he- reinbekommt. Eine am 20. Juni 2001 veröffentlichte Umfrage des Bundes der Steuerzahler in Nordrhein-Westfalen hat auf- gezeigt, dass im Jahre 2001 den Kommunen 3,64 Milliar- den DM in den Kassen fehlen. Damit ist das Defizit um 15 Prozent höher als im Vorjahr. An den Straßen und dem öffentlichen Zustand der Gebäude kann man die katastro- phale Lage ablesen. Täglich werden neue „Bauunterhal- tungshypotheken“ angehäuft, die in keinem Buch er- scheinen. Jeder Einfamilienhausbesitzer weiß, dass eine rechtzeitig unterlassene Reparatur am Ende wesentlich teurer wird. Auch wenn ich mir das Ergebnis der Gemeindekas- senstatistik anschaue, ist festzustellen, das keinesfalls von Entspannung die Rede sein kann. Der geringfügig posi- tive Finanzierungssaldo beruht ausschließlich auf der Tat- sache, dass wiederum Tafelsilber in großem Umfang ver- äußert wurde. Ohne den Verkauf von Vermögen wäre der Finanzierungssaldo wieder negativ gewesen. Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, beträgt das Finanzierungsdefizit der Kommunen im ersten Vierteljahr 2001 7,1 Milliarden DM. Die Gemeinden und Gemeinde- verbände haben in Deutschland ohne die Stadtstaaten nach vorläufigen Ergebnissen der Kassenstatistik im ers- ten Quartal 2001 67,0 Milliarden DM und damit 3,3 Pro- zent mehr als im entsprechenden Vorjahreszeitraum aus- gegeben. In den neuen Ländern nahmen die kommunalen Ausgaben um 0,8 Prozent auf 10,7 Milliarden DM ab, im früheren Bundesgebiet stiegen sie um 4,1 Prozent auf 56,2 Milliarden DM. Die kassenmäßigen Einnahmen der Gemeinden und Gemeindeverbände sind in den ersten drei Monaten des Jahres 2001 um 1,0 Prozent auf 59,9 Milliarden DM Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 200117794 (C) (D) (A) (B) zurückgegangen. Vor allem nahmen die Gemeinden we- niger an Steuermitteln ein, - 4,4 Prozent auf 16,8 Milliar- den DM, doch ist diese Entwicklung – wegen der starken Schwankungen im Zahlungsrhythmus, insbesonders bei der Gewerbesteuer – nicht repräsentativ für den Jahres- verlauf. In der Abgrenzung der Finanzstatistik errechnet sich für das erste Quartal 2001 ein kassenmäßiges Finanzie- rungsdefizit von 7,1 Millarden DM. Das ist – aufgrund der kurzfristigen Einnahmeschwankungen – deutlich mehr als im ersten Vierteljahr 2000, 4,3 Milliarden DM. Zu- gleich haben die Gemeinden und Gemeindeverbände in den ersten Monaten dieses Jahres 0,7 Milliarden DM mehr für die Tilgung von Schulden aufgewandt, als sie an neuen Krediten aufgenommen haben. Der Schuldenstand der Gemeinden und Gemeindever- bände wies am Ende des ersten Quartals 2001 infolge verstärkter Schuldentilgung und der Ausgliederung wei- terer Einrichtungen aus den Budgets einen Rückgang um 1,3 Prozent auf 161,6 Milliarden DM – Vorjahr: 163,8 Milliarden DM – auf. Bei den UMTS-Lizenzen findet eine schleichende Ver- mögensverschiebung von den Kommunen an den Bund statt. Der Bund kassiert und die Städte, Gemeinden und Landkreise zahlen. In Höhe von rund 14 Milliarden DM entfallen durch die Abschreibungen und Zinsen, die beim Unternehmen als Kosten zu Buche schlagen, Körper- schaftsteuer und Gewerbesteuer. Deshalb wären die Städte, Gemeinden und Landkreise an den Einnahmen zu beteiligen gewesen. Eine kommunal freundliche Regie- rung hätte dies getan. Die rot-grüne Koalition hat in der Koalitionsvereinba- rung zum Regierungsantritt 1998 angekündigt, die Fi- nanzkraft der Gemeinden stärken zu wollen. Wörtlich heißt es in Kapitel III Nr. 2 Punkt 3 der Koalitionsverein- barung: Die neue Bundesregierung tritt dafür ein, dass zukünftig Aufgabenverlagerungen im Verhältnis der staatlichen Ebenen – Bund einerseits, Länder und Gemeinden andererseits – im Rahmen des bundes- staatlichen Finanzausgleichs berücksichtigt werden (Konnexitätsprinzip). Wir wollen die Finanzkraft der Gemeinden stärken und das Gemeindefinanzsystem einer umfassenden Prüfung unterziehen. Das war richtig. Doch von einer Gemeindefinanzre- form war bisher noch keine Rede. Sie haben in dieser Richtung noch nichts unternommen. Das gilt auch für die Umsetzung des Konnexitätsprinzipes: Fehlanzeige! Im Gegenteil: Wie Sie diese Versprechen mit Füßen treten, will ich an zwei Beispielen deutlich machen. Da ist zum einen der Familienleistungsausgleich und zum ande- ren die Grundsicherung im Rahmen der Rentenreform. Wie es zum Familienleistungsausgleich gekommen ist, habe ich Ihnen ausführlich in der ersten Lesung geschil- dert. Der Gesamtaufwand für das Kindergeld stieg von 43,3 Milliarden DM im Jahr 1996 auf 57,6 Milliarden DM im Jahr 1999. Für das Jahr 2000 liegen leider noch keine endgültigen Daten vor. Der den Ländern als Ausgleich gewährte Anteil von 5.5 Punkten Mehrwertsteuer entwi- ckelte sich von 13 Milliarden im Jahre 1996 auf 13,8 Mil- liarden DM im Jahr 1999. Selbst wenn man unterstellt, dass die systembedingten Lasten der Kommunen unter Einschluss der Wirkung des kommunalen Finanzausglei- ches im Jahr 1996 von den Ländern voll ausgeglichen worden sind – was leider nicht passiert ist –, dann haben die damals geschaffenen Systeme in den Folgejahren nicht ausgereicht, um die systembedingte Belastung der Städte, Gemeinden und Landkreise auszugleichen. In den Jahren 1997 bis 1999 entwickelt sich das Defizit über 1,4 Milliarden DM auf 2,7 Milliarden DM. In den Jahren 1997 bis 1999 haben die Kommunen allein 5,5 Milliar- den DM des Kindergeldes getragen, obwohl sie zu 100 Pro- zent entlastet werden sollten. Am Mittwoch konnten wir im Finanzausschuss hören, dass sich das Drama fortsetzen wird. Im Bundestag wird über das Zweite Familienförderungsgesetz beraten, das eine Erhöhung des Kindergeldes um 30 DM pro Monat bringt. Abgesehen von der Unausgewogenheit, dass ge- rade die, die es am nötigsten haben – Familien mit mehr als zwei Kindern – nicht berücksichtigt werden, zahlen wieder einmal die Kommunen die Zeche. Der Gesetzent- wurf sieht eine Finanzierung in Höhe der Steuerquoten vor. Das heißt, der Bund zahlt lediglich 42,5 Pfennig von jeder Mark Erhöhung, während die Länder 34 Pfennig be- zahlen, und die Kommunen finanzieren zusammen über den Gemeindeanteil an der Einkommensteuer und den kommunalen Finanzausgleich 23,5 Pfennig. Die Kommu- nen in Deutschland werden unter Einschluss des kommu- nalen Finanzausgleichs mit 1,1 Milliarden DM belastet. Das bedeutet beispielsweise für die niedersächsischen Landkreise, Städte und Gemeinden eine Belastung von 101 Millionen DM oder 14 DM pro Einwohner. So hat denn auch der Bundesrat, BR 393/01-Beschluss, einen Ausgleich von 2 Milliarden DM für dieses Gesetz gefordert und gleichzeitig deutlich gemacht, dass für die vergangenen Kindergelderhöhungen im Verhältnis Bund/Länder noch 18 Milliarden DM offen sind. In die- sem Maße hat in den Jahren 1997 bis 2001 die rot-grüne Koalition grundgesetzwidrig Kindergeldlasten auf die Länder und Kommunen verschoben. Wenn diese An- sprüche geltend gemacht würden, würde beispielsweise das Land Niedersachsen rund 2 Milliarden DM vom Bund bekommen und könnte daraus alle kommunalen Finanz- ansprüche finanzieren und die Kürzungen im kommuna- len Finanzausgleich rückgängig machen. Sie wollen nun den Ländern zur Abgeltung ihrer Ansprüche 0,6 Punkte Umsatzsteuer überlassen. Das sind 1,6 Milliarden DM. Die Länder hatten in ihrer Stellung- nahme bei dem Gesetzentwurf noch 0,75 Prozent oder 2 Milliarden DM gefordert. Auch wenn an dieser Stelle für die jetzt entstehende Erhöhung der Ausgleich im Wege der Nachbesserung gewährt wird, bleibt die Rechnung für die 1996 bis 2001 mit 18 Milliarden DM offen. Dabei ent- fällt der Löwenanteil auf die von Ihnen vorgenommene Kindergelderhöhung. Dies widerspricht dem Grundgesetz. 1996 hatten die SPD-geführten Länder gegen den Willen der CDU einen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17795 (C) (D) (A) (B) Sonderlastenausgleich im Grundgesetz verankert, der den Länderanteil auf 26 Prozent begrenzen sollte. Da der Bund bis dahin das Kindergeld als Sozialleistung allein fi- nanziert hatte, sollten die Kommunen indirekt völlig von Belastungen freigestellt und die Länder in ihrer Finanzie- rung so gestellt werden, dass sie durch erhöhte Umsatz- steueranteile ebenfalls keine finanzielle Belastung hatten. Die Bundesregierung lehnt es ab, aufgrund dieser Si- tuation tätig zu werden. Sie ist der Auffassung, dass das eine Frage der allgemeinen Deckungsquotenberechnung sei und kein Handlungsbedarf gegeben sei. Wer soll bei diesen Lastenverschiebungen und bei diesem plötzlichen Meinungsumschwung der Beteiligten, die noch als Mi- nisterpräsidenten an einer völlig anderen Front gekämpft haben, darauf vertrauen, dass der Bund einen fairen Las- tenausgleich vornimmt, von einer Verwirklichung des versprochenen Konnexitätsprinzipes ganz zu schweigen. Die Koalition hat bei Regierungsantritt versprochen, dass nicht alles anders, aber vieles besser werden sollte. Darauf hatten die Kommunen große Hoffnungen gesetzt, zumal in der Koalitionsvereinbarung vollmundige Ver- sprechungen gemacht worden sind. Konnexität heißt nichts anderes als: Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen, und zwar direkt und unmittelbar. Sie machen große Versprechungen auf Kosten anderer. Sie lassen sich für eine Haushaltssanierung feiern und schieben die Las- ten den Kommunen zu. Als nächstes steht ein Verschiebe- bahnhof bei der Grundsicherung im Alter und bei Er- werbsminderung an. Auch dies hatte ich Ihnen ausführlich in der ersten Lesung dargelegt. Wer – und darüber sind wir uns quer durch das Haus ei- nig – aus Gründen der verbesserten Bekämpfung der Ar- beitslosigkeit die Sozialhilfe und die Arbeitslosenhilfe zu- sammenlegen will, der braucht dafür das Vertrauen der Kommunen. Schließlich geht es um ein Finanzvolumen von 50 Milliarden DM. Entsprechende Risiken können die Kommunen nicht übernehmen. Wer aber den Grund- satz der Konnexität dermaßen mit Füßen tritt, wie die Ko- alition, der braucht sich nicht zu wundern, wenn das not- wendige Vertrauen nicht entsteht und eine wichtige Maßnahme zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auf der Strecke bleibt. Nun zur Gewerbesteuerumlage: Die Gewerbesteuer- umlage wurde 1969 im Rahmen der Gemeindefinanz- reform als Ausgleich für die Beteiligung der Kommunen an der Einkommensteuer eingeführt. Richtig ist, dass in den Folgejahren die jeweiligen Bundesregierungen häufig die Gewerbesteuerumlage als direktes Ausgleichsinstru- ment zwischen Bund und Ländern einerseits und den Städten und Gemeinden andererseits gebraucht haben. Es hat dazu geführt, dass die Gewerbesteuer für die Kom- munen an Bedeutung verloren hat. Ob dies richtig war oder nicht, darüber kann man streiten. Jedenfalls ist es einvernehmliche Praxis in Deutschland gewesen und des- halb müssen alle daran festhalten lassen. Mit dem jetzigen Umfang der Abschöpfung gemeind- licher Einnahmen durch die Gewerbesteuerumlage ist die- ses Instrument unter systematischen Gesichtspunkten zu kritisieren. Durch den wachsenden Anteil der Gewerbe- steuerumlage am Bruttoaufkommen der Gewerbesteuer wird auf kommunaler Ebene nicht nur der Interessenzu- sammenhang zwischen Wirtschaft und Standortgemein- den, sondern auch der Charakter der Gewerbesteuer als Gemeindesteuer geschwächt. Entgegen der Behauptung des Bundes, es gebe keine unmittelbare Finanzbeziehung zwischen Bund und Kommunen, nutzt er die Gewerbe- steuerumlage immer häufger und in großem Umfang als unmittelbares Instrument zur Abschöpfung gemeindlicher Einnahmen. Im Rahmen des Steuersenkungsgesetzes sollte die Ge- werbesteuerumlage von Bund und Ländern von rund 20 auf fast 30 Prozent angehoben werden. Die ist zwar nicht in vollem Umfang geschehen, aber dennoch kam es im Er- gebnis zu einer erheblichen Anhebung und zu einer dau- erhaften Festschreibung auf einem zu hohen Niveau. Da- mit ist der Grad des Erträglichen überschritten. Die Verlängerung der Nutzungsdauer in den AfA-Ta- bellen schafft in den ersten Jahren Steuermehreinnahmen, weil geringere Abschreibungen erfolgen. Dadurch ent- steht bei den Steuereinnahmen eine Spitze. Wenn diese dann abflaut, tritt ein Loch ein, weil vorgezogene Steuer- mehreinnahmen entfallen. Im Rahmen des Steuersen- kungsgesetzes wurden diese Mehreinnahmen bei den Kommunen im Finanztableau berücksichtigt und waren Anlass zu einer unbefristeten Erhöhung der Gewerbe- steuerumlage. Hier bedarf es einer Anpassung. Mittelfris- tig sind die Mehreinnahmen, die als Basis für die Er- höhung der Gewerbesteuerumlage genommen wurden, rückläufig. Deshalb muss aus der gestreckten Abschrei- bung eine Anpassung erfolgen. Bei der Gewerbesteuerumlage sind noch Anpassungen offen, weil die Begründung für vormalige Erhöhungen ganz oder teilweise entfallen sind: Erstens. Zur kommunalen Mitfinanzierung des Soli- darpaktes wurde die Gewerbesteuerumlage in den alten Ländern erhöht. Trotz einer gesetzlichen Revisionsklau- sel wurde eine Neuberechnung von den Ländern ohne Be- gründung blockiert, obwohl die kommunalen Spitzenver- bände schon für das Jahr 1995 belegt hatten, wie stark die tatsächlichen Transfers der alten an die neuen Länder un- ter den ursprünglichen Erwartungen geblieben waren. Schon im ersten Jahr des Solidarpaktes war nur eine Er- höhung der Gewerbesteuer um 16 statt der gesetzlich fi- xierten 29 Vervielfältigerpunkte gerechtfertigt. Zweitens. Bei Erhöhung der Gewerbesteuerumlage im Rahmen des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmen- steuerreform um zunächst 7 und ab 2001 6 Vervielfälti- gerpunkte hat der Gesetzgeber auf eine Befristung ver- zichtet, obwohl die damit abzuschöpfenden gemeind- lichen Mehreinnahmen aus dem Abbau der Drohverlust- rechtstellungen 2003 auslaufen und damit die Berechti- gung auch für diese Erhöhung der Gewerbesteuerumlage weitestgehend entfällt. Als Fazit bleibt festzustellen: Es besteht bei der Ge- werbesteuerumlage dringender Handlungsbedarf. Die Bundesregierung verweigert sich diesem, obwohl sie eine Besserung der kommunalen Finanzverhältnisse verspro- chen hatte. Dies ist Ausdruck der kommunalfeindlichen Haltung der Regierung Schröder. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 200117796 (C) (D) (A) (B) Das Volumen, was die Gewerbesteuerumlage inzwi- schen angenommen hat, macht auch deutlich, dass es im Verhältnis zwischen den Ebenen Bund, Länder und Kom- munen einen qualitativen Wechsel gegeben hat. Zusam- men mit den Veränderungen in Art. 108 und in Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG haben sich die Städte, Gemeinden und Landkreise zu einer eigenen Ebene innerhalb des Staates entwickelt. Hier liegt ein Ansatzpunkt für eine Gemein- definanzreform. Aber ein Teilschritt, wie er von Ihnen vorgeschlagen wird, ist nicht akzeptabel. Zur Zerlegung bei der Gewerbesteuer. Die Zerlegung der Gewerbesteuer hat die Aufgabe, das Steueraufkom- men an Gemeinden zu verteilen, wenn ein Betrieb meh- rere Betriebsstätten hat. Dabei gilt es, den richtigen Kom- promiss zwischen einfacher Durchführung und Ergebnis- gerechtigkeit zu erzielen. Grundsätzlich gilt nach § 29 Ge- werbesteuergesetz, GewStG, der Arbeitslohn in den ein- zelnen Betriebsstätten als Zerlegungsmaßstab. Allerdings sind auch andere Formen der Zerlegung denkbar. Nach § 33 GewStG kann, wenn die Regelzerlegung zu offenbar unbilligen Ergebnissen führt, die Aufteilung auch nach ei- nem anderen Maßstab, der die tatsächlichen Verhältnisse besser berücksichtigt, erfolgen. Dabei ist gemäß § 33 Abs. 2 einer Einigung zwischen Steuerschuld und beteiligten Ge- meinden der Vorrang zu geben. Wenn es keine Einigung unter den Beteiligten gibt, kann auch die Finanzverwal- tung ihre Regelungen treffen. Diese flexible Regelung trägt den Bedürfnissen der Praxis ausreichend Rechnung, sodass der Antrag auf Veränderung der Zerlegung abzu- lehnen ist. Das Lohngefälle vermag allein ein Abweichen von dem bisherigen grundsätzlichen Zerlegungsmaßstab nicht zu rechtfertigen, denn es ist auch eine unterschiedliche Produktivität gegeben. Wäre das nicht der Fall, hätte es schon längst eine Angleichung der Tariflöhne gegeben. Insofern geht Ihr Antrag in die falsche Richtung. Es gibt aber noch einen weiteren Grund, eine Auftei- lung nach Köpfen abzulehnen: Inzwischen werden die 630-DM-Kräfte, Kräfte mit geringem Arbeitsvolumen und Einkommen, in der Arbeitsstatistik als Vollzeitkräfte gezählt. Wenn man nun die Zahl der Köpfe zum Vertei- lungsmaßstab machen würde, dann käme es zu nicht ge- rechtfertigten Verschiebungen. Gerade das, was Sie ver- meiden wollen, würde in großem Umfang im Verhältnis einzelner Kommunen untereinander eintreten. Deshalb ist das Ost-West-Gefälle als Argument nicht geeignet. Weitere große Risiken sind die nachlassende Konjunk- tur und die steigenden Krankenkassenbeiträge. Von er- heblicher Wirkung sind auch die Inflationsrate und die steigenden Energie- und Benzinkosten. Trotz steigender Steuerquote – sie hat sich seit Antritt der Regierung von 23 auf 24,8 Prozent erhöht – ist die kommunale Finanzsituation immer schlechter geworden. Dies ist auch ein Zeichen für die Verschiebung. Die Koalition geht das Thema Gemeindefinanzreform nach außen sichtbar nicht an. Aber im Verborgenen bastelt sie offensichtlich doch an einer Abschaffung der Gewer- besteuer. Das konnte man jedenfalls der „Frankfurter All- gemeinen Zeitung“ vom 27. Juni 2001 entnehmen. Erste Hinweise darauf hatten sich schon in der „FAZ“ vom 4. Mai 2001 ergeben. Der beamtete Staatssekretär Profes- sor Dr. Heribert Zitzelburger aus dem Finanzministerium wird zitiert. Ich rate dringend, darüber eine öffentliche Diskussion zu führen. Das Basteln hinter verschlossenen Türen muss das Misstrauen der Kommunen erregen. Diese Steuer ist mit vielen Vorurteilen und Emotionen behaftet. Bei Lichte und ganz nüchtern betrachtet gibt es Wege, hier zu einer Befriedigung zu kommen. Grundsätzlich ist die Frage der Gewerbesteuer keine „Sonderlast“, wie viele behaupten, sondern es ist ein Pro- blem der Staatsquote. Diese ist in Deutschland insgesamt zu hoch. Daneben gib es das Problem der Steuergerech- tigkeit. Durch die Entwicklung sind hier Probleme einge- treten, die angefasst werden müssen. Die Abgrenzung zwischen Gewerbe und Nichtgewerbe ist heute überhaupt nicht mehr nachvollziehbar. Entgegen der Zeit der Ent- stehung der Gewerbesteuer haben sich hier große Verän- derungen unserer Volkswirtschaft ereignet, die auch im Steuerrecht nachvollzogen werden müssen. Dazu muss es erhebliche Verwaltungsvereinfachungen geben. Mein Vorschlag dazu lautet: Wie auch Professor Kirchhoff und sein Karlsruher Entwurf vorschlagen, sollte man von der Objektsteuer zu einer Ertragsteuer übergehen. Dies wäre mit Art. 28 und Art. 106 Grundge- setz vereinbar, wenn sie wirtschaftsbezogen bleibt und mit einem Hebelsatzrecht versehen ist. Man könnte die „wirtschaftlichen Aktivitäten“ einheitlich der Besteue- rung unterwerfen. Aus Gründen der Verwaltungsvereinfa- chung könnte man die Erträge der Einkommenserklärung entnehmen und bei den Körperschaften den Körper- schaftsteuerertrag zugrunde legen. In dieser Lösung liegt auch für freiberuflich Tätige und Ähnliche keine bedroh- liche Situation. Durch die Steuerreform der Regierung ist, wie immer man dazu steht, die Möglichkeit der Anrech- nung auf die Steuerschuld bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften gegeben. Dadurch entsteht kein zusätzlicher Steueraufwand für die Betroffenen und auch aus der Sicht des Fiskus wäre eine solche Einführung steuerneutral. Man muss dann nur auf die richtige Vertei- lung über die unterschiedlichen staatlichen Ebenen ach- ten. Damit hätte man eine relativ verwaltungseinfache Lö- sung mit mehr Gerechtigkeit und würde den kommunalen Belangen in vollem Umfang Rechnung tragen, ohne der Wirtschaft Schaden zuzufügen. Um die Rechtsformneu- tralität zu gewährleisten, muss bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften ein Freibetrag für den Unter- nehmerlohn bzw. das Geschäftsführergehalt eingeräumt werden. Ein Sonderproblem ergibt sich bei Steuerpflichtigen und Körperschaften mit mehreren Betriebsstätten. Da es wenig Sinn macht, das Hebesatzrecht durch die Wohn- sitzgemeinde oder den zufälligen Steuersitz ausüben zu lassen, muss dafür gesorgt werden, dass das Art. 28 recht- fertigende Hebelsatzrecht gegenüber den einzelnen Be- triebsstätten ausgeübt werden kann. Dazu ist eine Vertei- lung der Besteuerungsgrundlagen notwendig. Ich vermeide bewusst das Wort „Zerlegung“, weil es für die Verteilung von Steuereinnahmen steht. Hier geht es um die Abschöpfungsseite. Die Verteilung der Besteuerungs- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17797 (C) (D) (A) (B) grundlagen könnte dadurch erfolgen, dass nach dem Muster der Zerlegung eine Verteilung der Erträge nach der Lohnsumme und dem Betriebsvermögen der einzelnen Betriebsstätten erfolgt. Diese Daten werden ohnehin für die Verteilung des Gemeindeanteils an der Umsatzsteuer ermittelt und von den Steuerpflichtigen erklärt. Auf dieser Basis könnte an die einzelne Betriebsstättengemeinde ein „Verteilungsmessbetrag“ mitgeteilt werden, auf den dann der kommunale Hebesatz angewendet wird. Auf alle übri- gen Zurechnungen und Kürzungen kann verzichtet wer- den, weil sie sich ohnehin in der Summe aufheben. Die- ses Verfahren bietet alle Vorteile der Gewerbesteuer, vermeidet Gerechtigkeitsprobleme und ist verwaltungs- einfach zu handhaben. Die Einbeziehung bisher nicht Betroffener ist aus de- ren Sicht unschädlich, weil sie die Gewerbesteuer mit der Steuerschuld bei der Einkommensteuer verrechnen kön- nen. Ob in diese Regelung die Landwirtschaft einbezogen werden sollte oder nicht, muss geprüft werden. Dafür spricht, dass im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit immer mehr Betriebe an den Rand der Gewerbesteuer- pflicht kommen und nur durch vielfache Kunstgriffe diese vermeiden. Im Ergebnis wäre es wahrscheinlich richtiger, wenn – zumal durch die Verrechnungsmöglichkeit – eine Belastung nicht entstehen würde. So könnte man die Dis- kussion wirklich voranbringen und allen Beteiligten Ge- rechtigkeit widerfahren lassen. Zusammenfassend lässt sich feststellen: Eine kommu- nale Investitionspauschale wäre zwar wünschenswert, kann aber in diesem Volumen außerhalb des Finanzaus- gleiches nicht gewährt werden. Damit würden die Fi- nanzströme völlig umgeleitet werden. Deshalb ist Ihr Vor- schlag abzulehnen. Weil der Antrag zur Zerlegung der Gewerbesteuer sachlich verfehlt und der Antrag zur Gewerbesteuerum- lage nur einen berechtigten Teilaspekt aufgreifen würde, der den Blick für die Gesamtproblematik eher versperrt, wird die CDU/CSU-Bundestagsfraktion beide Anträge ablehnen. Unter der Regierung Kohl ging es uns gut. Unter der Regierung Schröder geht es uns besser. Aus kommunaler Sicht kann die Forderung nun lauten: Ach, ginge es uns doch wieder gut. Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die knapp 100 Milliarden DM Einnahmen aus der Versteige- rung der UMTS-Lizenzen haben schon gleich nach Ab- schluss des Bieterverfahrens Begehrlichkeiten geweckt und sie üben immer noch einen offenbar unwiderstehli- chen Anreiz aus. Klar ist zumindest eines: Im Rahmen ei- ner seriösen Haushalts- und Finanzpolitik kann man sol- che einmalige Einnahmen nur zur Schuldentilgung verwenden. Dies stand und steht auch ganz in unserer Li- nie „Sparen und Gestalten“; denn diese Tilgung „erspart“ dem Bund auf Dauer gut 5 Milliarden DM an Zinszah- lungen. Diese – und nur diese – 5 Milliarden DM standen und stehen für zusätzliche Verwendungszwecke zur Verfü- gung. Wir haben uns im Rahmen des Zukunftsinvesti- tionsprogramms dazu entschlossen, diese Mittel gezielt zu investieren. Drei Jahre lang fließen rund 3,5 Milliarden DM in die Verkehrsinfrastruktur, gut 1 Milliarde DM in Bildung und Forschung und knapp eine halbe Milliarde DM in den Klimaschutz durch Altbausanierung. Dies macht insge- samt genau die vorhandenen 5 Milliarden Mark. – Das sind zukunftsorientierte Investitionen, von denen alle pro- fitieren – und dies nicht nur mittelfristig; denn Ausschrei- bung und Vergabe haben einige Zeit in Anspruch genom- men, sodass die 5 Milliarden DM erst im zweiten Halbjahr dieses Jahres voll wirksam werden. Das heißt, sie können jetzt noch einmal kräftige Impulse für die Wirtschaftstätigkeit setzen. Die Zinsersparnisse aus den UMTS-Erlösen sind damit sehr sinnvoll verwendet. Das Problem ist nun: Will die PDS, dass diese Investi- tionen nicht stattfinden? Denn 5 Milliarden DM minus 5 Milliarden DM macht null DM; das wird auch die PDS nicht bestreiten wollen. Wir können die Zinsersparnisse aber nur einmal verwenden. Insgesamt gesehen hat sich die finanzielle Lage der Kommunen eher entspannt. Für das Jahr 2000 ergibt sich sogar für die ostdeutschen Kommunen ein positiver Finanzierungssaldo. Das sagt natürlich noch wenig über die Haushaltslage einzelner Kommunen aus. Abhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung und den Arbeits- losenzahlen zeigt sich ein sehr differenziertes Bild. Das gilt natürlich genauso für die Kommunen in Ostdeutsch- land. Zuständig für eine angemessene kommunale Finanz- ausstattung sind aber die Länder. Sie besitzen mit dem kommunalen Finanzausgleich das geeignete Instrument, um finanzielle Schieflagen in den Kommunen zu beseiti- gen. Gerade die ostdeutschen Länder bekommen wegen der vergleichsweise eher geringen Steuerkraft ihrer Kom- munen – im Durchschnitt beträgt sie nur ein Drittel der westdeutschen – mehr Leistungen aus dem Länderfinanz- ausgleich. Diese müssen die Länder natürlich auch an ihre Gemeinden weitergeben. Außerdem wird durch die gerade beschlossene Neu- ordnung des Länderfinanzausgleiches die Finanzkraft der Gemeinden zukünftig mit 64 Prozent statt wie bisher mit 50 Prozent in den Finanzausgleich einbezogen. Auch von dieser Neuregelung profitieren die ostdeutschen Länder in besonderem Maße. Daneben haben wir mit dem Solidarpakt II gerade erst finanzielle Sicherheit für die neuen Länder bis zum Jahr 2020 geschaffen. Sie bekommen auch auf lange Sicht die Mittel, die sie benötigen, um die immer noch bestehende Infrastrukturlücke von rund 300 Milliarden DM zu schließen. Darüber hinaus können die Länder die Gelder in eigener Regie ausgeben, ohne dass der Bund wie bisher im Detail reinreden kann. Damit können die Länder viel flexibler und effektiver über Investitionen entscheiden. Denn wo eine Schule gebaut oder ein Gebäude saniert werden soll, weiß man vor Ort oft am besten. Das ist ein langfristig angelegtes Programm zur Ver- besserung der infrastrukturellen Rahmenbedingungen für Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 200117798 (C) (D) (A) (B) die Bürgerinnen und Bürger und für die Unternehmen in Ostdeutschland. Die Früchte werden steigende Steuerein- nahmen und geringere Belastungen für die Sozialkassen sein und diese werden zuallererst die ostdeutschen Kom- munen ernten. – Für Investitionen ist also bereits einiges geschehen. Nur so können wir dem Problem der niedrigen Ein- nahmen der ostdeutschen Kommunen wirksam begegnen. Hin- und Herschieberei beim Gewerbesteuermessbetrag oder bei der Gewerbesteuerumlage ist dafür ein untaugli- ches Mittel. Gerhard Schüßler (F.D.P.): Das Grundanliegen der vorliegenden Anträge der PDS-Fraktion ist die ausrei- chende Finanzausstattung der Gemeinden. Diesem Anlie- gen wird jedes Mitglied dieses Hauses uneingeschränkt zustimmen. Bei der Frage, wie wir für eine ausreichende Finanzausstattung der Gemeinden sorgen können, schei- den sich allerdings die Geister. Um es gleich vorweg zu nehmen: Die F.D.P. bleibt bei ihrer Forderung, die Gewerbesteuer endgültig abzuschaf- fen. Bei der Gewerbekapitalsteuer ist das bereits gelun- gen. Grund dafür war allerdings nicht die Einsicht, dass diese Steuer die Unternehmen schwächt. Allein weil die Einführung dieser Substanzsteuer in den neuen Ländern drohte, konnte sie beseitigt werden. Scheinbar gibt es jetzt auch Bewegung in der Bun- desregierung. Presseberichten zufolge will sie die Ge- werbeertragsteuer ebenfalls abschaffen. Die F.D.P. wird dieses Vorhaben uneingeschränkt unterstützen. Wir be- grüßen es, dass sich endlich der Sachverstand durch- setzt. Die Kommunen benötigen eine wirtschaftskraftbezo- gene eigene Steuerquelle, das heißt sie müssen mittels ei- nes Hebesatzrechtes die Höhe der Steuer festlegen kön- nen. Die F.D.P. schlägt vor, im Gegenzug zum Wegfall der Gewerbeertragsteuer den Gemeinden ein eigenes Hebe- satzrecht auf die Einkommensteuer, alternativ auf die Umsatzsteuer, einzuräumen. Die Gewerbeertragsteuer ist eine Sonderbelastung für Unternehmen. Gerade die PDS müsste daran interessiert sein, diese Belastung zu beseiti- gen, um dadurch Entlastungseffekte auch für ostdeutsche Unternehmen zu erzielen. Der Wegfall der Gewerbe- ertragsteuer wäre gleichzeitig ein spürbarer Beitrag zur Vereinfachung unseres Steuerrechts. Wir müssten uns dann nicht mit hochkomplizierten Verrechnungsmodalitä- ten und mit der Höhe der Gewerbesteuerumlage befassen. Die vorliegenden Anträge lehnt die F.D.P. daher ab. Anlage 5 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 765. Sitzung am 22. Juni 2001 beschlossen, dem nachstehenden Gesetz zuzu- stimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 Grundgesetz nicht zu stellen: – Gesetz zur Verbesserung des Hinterbliebenen- rentenrechts – Gesetz zur Umstellung auf Euro-Beträge im Lastenausgleich und zur Anpassung der LAG- Vorschriften (LAG-Euro-Umstellungs- und An- passungsgesetz – LAG-EUAnpG) – Gesetz zur Eindämmung illegaler Betätigung im Baugewerbe – Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (Zivilpro- zessreformgesetz – ZPO-RG) – Gesetz zur Durchführung gemeinschaftsrecht- licher Vorschriften über die Zustellung gericht- licher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaa- ten (EG-Zustellungsdurchführungsgesetz – ZustDG) – Zweites Gesetz zur Neuordnung des Wehrdiszi- plinarrechts und zur Änderung anderer Vor- schriften (2. WehrDiszNOG) – Zweites Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberfüh- rungsgesetzes (2. AAÜG-Änderungsgesetz – 2. AAÜG-ÄndG) – Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr – Gesetz zur Umsetzung der UVP-Änderungs- richtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG- Richtlinien zum Umweltschutz Der Bundesrat hat in seiner 765. Sitzung am 22. Juni 2001 beschlossen, dem nachstehenden Gesetz gemäß Artikel 84 Absatz 1 Grundgesetz nicht zuzustimmen: – Gesetz zur Vorbereitung eines registergestützten Zensus (Zensusvorbereitungsgesetz) Die Vorsitzenden des folgenden Ausschusses hat mit- geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit der Westeuropäischen Union für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2000 – Drucksachen 14/5442, 14/5729 Nr. 2 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla- ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 14/5503 Nr. 1.2 Drucksache 14/5730 Nr. 2.17 Drucksache 14/5730 Nr. 2.29 Drucksache 14/6026 Nr. 2.30 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17799 (C) (D) (A) (B) Sportausschuss Drucksache 14/5730 Nr. 2.28 Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 14/2104 Nr. 2.10 Drucksache 14/2609 Nr. 1.11 Drucksache 14/2609 Nr. 1.15 Drucksache 14/2747 Nr. 2.15 Drucksache 14/5503 Nr. 2.11 Drucksache 14/5610 Nr. 1.8 Drucksache 14/5610 Nr. 1.9 Drucksache 14/5730 Nr. 2.18 Drucksache 14/5730 Nr. 2.40 Drucksache 14/5836 Nr. 2.17 Drucksache 14/6026 Nr. 2.26 Drucksache 14/6026 Nr. 2.27 Drucksache 14/6116 Nr. 1.9 Drucksache 14/6214 Nr. 2.5 Drucksache 14/6214 Nr. 2.7 Drucksache 14/6214 Nr. 2.8 Drucksache 14/6214 Nr. 2.9 Drucksache 14/6214 Nr. 2.10 Drucksache 14/6214 Nr. 2.11 Ausschuss für Gesundheit Drucksache 14/5730 Nr. 2.45 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 14/5610 Nr. 2.15 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 200117800 (C)(A) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418000000
Guten
Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist
eröffnet.

Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf:
Abgabe einer Erklärung des Bundesregierung
Solidarpakt II: Sichere Zukunft für die neuen
Länder

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung
eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist es so beschlossen.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Herr Bundeskanzler Gerhard Schröder.


Gerhard Schröder (SPD):
Rede ID: ID1418000100
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den letzten
Jahren ist viel über einen angeblich schwerfälligen deut-
schen Föderalismus geredet und geklagt worden. Er be-
hindere Reformen, hieß es, und blockiere damit Erneu-
erung. Diejenigen, die von den Vorzügen des deutschen
Föderalismus immer überzeugt waren, haben Recht be-
halten, wie die Entscheidungen deutlich zeigen, die am
letzten Wochenende gefallen sind.

Mit den zwischen Bund und Ländern getroffenen Ver-
einbarungen hat der Föderalismus seine Reform- und Ent-
scheidungsfähigkeit eindrucksvoll bewiesen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist nicht nur ein wichtiges Zeichen für einen vernünf-
tigen und die Macht in Deutschland teilenden Staatsauf-
bau, sondern auch ein wichtiges Signal an die Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer sowie an die nationalen und
internationalen Investoren insbesondere in den neuen
Ländern.

Mit der Neuregelung des Finanzausgleichs und mit
dem Solidarpakt II haben die Bundesregierung und die
Länder ein umfassendes Reformpaket für die nächsten
zwei Jahrzehnte geschnürt. Drei Punkte sind besonders

wichtig: Erstens. Wir haben dauerhaft Maßstäbe für die
Neugestaltung der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen
entwickelt. Zweitens. Wir haben uns auf eine Konzeption
für den ab 2005 geltenden und dann auch notwendigen Fi-
nanzausgleich verständigt. Drittens. Wir haben die Fort-
setzung des Solidarpaktes für die neuen Länder für den
Zeitraum von 2005 bis 2019 vereinbart.

Meine Damen und Herren, angesichts der komplexen
vielschichtigen Materie und der sehr unterschiedlichen
Interessen – der eine oder andere kennt das ja aus beiden
Richtungen und kann sich deswegen sehr schön in die
Gemütslage der jeweils anderen Seite hineinversetzen –
und angesichts der großen Tragweite der Entscheidungen
von Bund und Ländern war es nicht verwunderlich, dass
über die Regelungen sehr intensiv gestritten und hart ge-
rungen wurde. Dass diese Debatten interessengebunden
waren, lag auf der Hand, und dass es Interessenunter-
schiede zwischen dem Gesamtstaat und den Ländern gibt,
ist ebenfalls nichts Neues. Aber alle Beteiligten – das hat
jeder gespürt, der dabei war – waren sich der großen po-
litischen wie auch ökonomischen Verantwortung bewusst
und alle Beteiligten waren deshalb, wenn auch erst nach
zähen Verhandlungen, zu einer Einigung bereit.

Das, meine Damen und Herren, war die Voraussetzung
für ein wirklich wichtiges und großes Reformwerk, das
letztlich von allen Ländern und natürlich auch vom Bund
mitgetragen wird. Der sächsische Ministerpräsident, Herr
Biedenkopf, hat von einem 17:0-Erfolg für Deutschland
gesprochen. Das ist kein schlechtes Bild, der Fuß-
ballsprache entlehnt, obwohl Siege in dieser Höhe im
Fußball eher selten sind.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist zu unterstreichen: Es gibt nicht ein paar Besiegte
und den einen oder anderen Sieger. Vielmehr haben alle
gewonnen. Letztlich hat unser Land gewonnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der neue Finanzausgleich wird zum einen den Ländern
ein stärkeres Maß an Eigenverantwortung einräumen.
Ihnen soll künftig mehr von dem verbleiben, was in den

17721


(C)



(D)



(A)



(B)


180. Sitzung

Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Beginn: 9.00 Uhr

jeweiligen Landesgrenzen erwirtschaftet worden ist. Ich
denke, das ist eine vernünftige Regelung, die auch Anreiz-
wirkung auf die Länder haben wird.

Zum anderen – auch das gilt es zu unterstreichen – sind
das für den kooperativen Föderalismus so wichtige
Prinzip der Solidarität unter den Ländern, also der Soli-
darität der Stärkeren mit den Schwächeren, sowie das
Prinzip des bundes- und des landesfreundlichen Verhal-
tens, also der Solidarität zwischen Bund und Ländern, ge-
stärkt worden. Dabei wird der von der Bundesregierung,
insbesondere vom Bundesfinanzminister, immer wieder
deutlich gemachte Kurs der Konsolidierung der Bundes-
finanzen nicht gefährdet. Das ist auch unter internatio-
nalen Aspekten wichtig. Das Ziel, bis zum Ende der
nächsten Legislaturperiode einen ausgeglichen Haushalt
zu haben, wird auch vor dem Hintergrund der am
Wochenende getroffenen Entscheidungen weiterverfolgt
und nicht infrage gestellt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Man muss die Entscheidungen vom letzten Wochen-
ende im Zusammenhang mit dem Haushaltsentwurf und
der mittelfristigen Finanzplanung sehen. Tut man dies,
dann wird deutlich, dass aus nachvollziehbaren,
vernünftigen ökonomischen Gründen der Konsolidie-
rungskurs weitergeführt wird, und zwar so planmäßig,
wie das der Bundesfinanzminister immer wieder erklärt
hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In diesem Zusammenhang ist es wichtig, darauf hinzu-
weisen, dass die Entscheidungen vom letzten Wochen-
ende nicht nur die Finanzbeziehungen zwischen Bund
und Ländern sowie den Solidarpakt im engeren Sinne be-
treffen. Die Entscheidungen vom letzten Wochenende
sind auch im Hinblick auf das Setzen makroökonomi-
scher Signale durch die wirtschaftspolitischen Akteure,
in diesem Fall durch den Staat, wichtig. Es ist wichtig, ge-
rade in der jetzigen Situation zu betonen, dass mit den
Entscheidungen vom letzten Wochenende der Staat, und
zwar der Gesamtstaat, als einer der Akteure, die makro-
ökonomische Entscheidungen treffen, seinen Verpflich-
tungen und seiner Verantwortung in vollem Umfang nach-
gekommen ist. Das ist ein wichtiges Signal für die
Märkte, insbesondere für die nationalen und internatio-
nalen Investoren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es wird jetzt Sache der anderen wirtschaftspolitischen
Akteure sein, entsprechende Signale zu setzen und ver-
antwortungsbewusst zu handeln. Wir haben der Europä-
ischen Zentralbank keine Ratschläge zu geben. Viel-
mehr haben wir zu unterstreichen, dass diese Bank
unabhängig ist. Wir gehen davon aus, dass sie in ihrer Un-
abhängigkeit ihre Verantwortung für das Setzen der geld-
politischen Zeichen wahrnimmt. Außerdem gibt es unge-
achtet der Diskussionen, die hier und da aufgeflammt
sind, nur wenige Gründe, davon auszugehen, dass vor
dem Hintergrund der Entscheidungen, die im letzten Jahr

von den Tarifpartnern getroffen worden sind und die ge-
samtwirtschaftlich in höchstem Maße vernünftig gewesen
sind, die Tarifpartner in künftigen Tarifverhandlungen
nicht in gleicher Weise wie im letzten Jahr ihre Verant-
wortung wahrnehmen werden. Insofern sind alle Mah-
nungen vor dem Hintergrund dessen, was im letzten Jahr
vereinbart worden ist, überflüssig. Ich gehe davon aus,
dass neben dem Staat, der seiner Verantwortung gerecht
geworden ist, auch die anderen wirtschaftspolitischen Ak-
teure, die Europäische Zentralbank in ihrer Unabhängig-
keit auf der einen Seite und die Tarifpartner auf der ande-
ren Seite, in gleicher Weise wie im letzten Jahr ihre
Verantwortung für die wirtschaftliche Entwicklung sehen
und auch wahrnehmen werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.])


In diesem Zusammenhang wird die Verantwortung der
Bundesregierung für den Konsolidierungskurs besonders
wichtig sein. Ich unterstreiche noch einmal ausdrücklich
– der Finanzminister hat es immer wieder betont –, dass
sich die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesrepu-
blik Deutschland gleichsam zwischen zwei Leitplanken
zu vollziehen hat: Die eine Leitplanke ist der Konsolidie-
rungskurs und die andere ist die Steuerreform; damit
geht eine außerordentlich vernünftige und sowohl ange-
bots- als auch nachfrageorientierte Steuerpolitik einher.

Diesen Kurs zu verlassen wäre falsch. Neue Pro-
gramme – sie werden hektisch gefordert – müssten ent-
weder durch Steuererhöhungen, die in der jetzigen Situ-
ation wohl kein Mensch will,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


oder durch eine wachsende Verschuldung finanziert wer-
den, was in der augenblicklichen Situation genauso töd-
lich wäre.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eine dritte Möglichkeit sehe ich jedenfalls nicht. Dieje-
nigen, die sie sehen, müssten einmal erklären, wie das
seriös zu finanzieren sein soll.

Der Kompromiss vom vergangenen Wochenende hat
uns auf dem Weg zur inneren Einheit wirklich ein Stück
weitergebracht. Bund und Länder haben mit dem Solidar-
pakt ein wichtiges Zeichen der Solidarität des Bundes mit
den neuen Ländern, aber auch der Länder untereinander
gesetzt. Die Einigung auf den Solidarpakt II gibt uns
Deutschen die Chance, in den nächsten Jahren das zu voll-
enden, was die Menschen in den neuen Ländern seit dem
Fall der Mauer so mutig und entschlossen auf den Weg ge-
bracht haben. Sie haben die Hälfte des Weges zurückge-
legt. Wir haben mit unseren Entscheidungen mit dafür ge-
sorgt, dass auch die andere Hälfte des Weges, der noch vor
uns liegt, zurückzulegen sein wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Solidarpakt II und die Einigung darauf machen
auch mit dem Gerede Schluss, der Westen sei nur auf sei-




Bundeskanzler Gerhard Schröder
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(D)



(A)



(B)


nen eigenen Vorteil bedacht und die neuen Länder seien
gleichsam ein Fass ohne Boden. Das Gegenteil ist richtig:
Solidarität ist nicht nur nötig, sondern auch möglich; das-
selbe gilt für die eigenen Anstrengungen. Das ist der In-
halt dessen, was vereinbart worden ist. Die Einigung über
den Solidarpakt II zeigt uns allen, dass die Bereitschaft
zur Solidarität und zur Herstellung der inneren Einheit
unverändert stark ausgeprägt ist. Auch das ist ein wirklich
gutes Zeichen für unser gesamtes Land.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Roland Claus [PDS])


Die neuen Länder verfügen jetzt aufgrund dieser Ent-
scheidungen – mit ihnen sind Planungssicherheit und Po-
litikfähigkeit verbunden – über eine verlässliche Basis für
einen langfristigen Aufholprozess, den wir miteinander
bis 2019 bemessen haben. Wir gehen gemeinsam davon
aus, dass nach Ablauf dieses Zeitraumes der allgemeine
Länderfinanzausgleich ausreicht, um Differenzen, was
die Lebensverhältnisse im Gesamtstaat angeht, auszuglei-
chen.

Zum Abbau des teilungsbedingten Nachholbedarfs er-
halten die neuen Länder von der Bundesregierung im
Zeitraum zwischen 2005 und 2019 insgesamt 206 Milli-
arden DM. Hinzu kommen Leistungen in Höhe von ins-
gesamt 100 Milliarden DM aus dem Bundeshaushalt. Das
Volumen des Solidarpaktes II in Höhe von insgesamt
306 Milliarden DM erreicht den von den Ländern immer
wieder geforderten Umfang. Der Solidarpakt II entspricht
damit dem von den Ländern errechneten Bedarf in den
Ländern selbst.

Damit steht gleichzeitig fest, dass die Förderung ab
2005 auf bisher unverändert hohem Niveau fortgesetzt
und langsam, degressiv abgebaut wird. Das ist ganz wich-
tig, damit keine Sprünge im Abbau entstehen und damit
keine Finanzschwierigkeiten auftauchen.

Gleichwohl ist der Solidarpakt II nicht einfach die
Fortschreibung des Solidarpaktes I, sondern – auch das
wichtig – er ist geprägt von einer stärkeren Eigen-
verantwortlichkeit aller Länder, aber auch der neuen Län-
der. Er sorgt nämlich für mehr Flexibilität beim Mittel-
einsatz und – das ist ebenfalls wichtig – hat eine deutlich
stärkere Investitionsorientierung. Die ostdeutschen Län-
der haben die politische Verantwortung dafür übernom-
men, dass mit der Förderung durch den Bund der Abbau
der teilungsbedingten Sonderlasten gelingt. Über diese
Fortschritte wird es künftig jährliche Berichte geben.

Zur Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit gehört auch, dass
sich niemand der Illusion hingibt, wir könnten das Ziel,
die Herstellung gleicher Lebensbedingungen in ganz
Deutschland, in kürzester Zeit erreichen. Deswegen ha-
ben wir Fristen gesetzt.

Kein Zweifel, in den vergangenen Jahren ist wirklich
Erhebliches geschafft worden und das liegt vor allen Din-
gen an der Leistungsbereitschaft der Menschen in den
neuen Ländern.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Aber es bedarf noch einer Menge Anstrengungen. Um den
Rest des Weges erfolgreich beschreiten zu können, über-
nehmen die neuen Länder ihrerseits die Verantwortung
dafür, dass der Anpassungsprozess in den nächsten beiden
Jahrzehnten abgeschlossen wird.

Die Voraussetzungen dafür sind weit besser, als das ge-
legentlich gesagt und geschrieben wird. 500 000 wettbe-
werbsfähige Unternehmen bestehen heute dort. Pro-
Kopf-Einkommen und Arbeitsproduktivität haben sich
in den letzten Jahren verdoppelt. Es gibt wirklich boo-
mende Regionen, an deren Potenziale Wirtschaftspolitik
anknüpfen kann und anknüpfen muss – eine Aufgabe, die
vor dem Hintergrund des Solidarpaktes gewiss nicht
schwerer, sondern einfacher werden wird.

Ich bin – zumal nach der Entscheidung vom vergange-
nen Wochenende – sicher, dass wir die besten Chancen
haben, innerhalb einer Generation das zu vollenden, was
die Menschen in den neuen Ländern seit dem Fall der
Mauer entschlossen angepackt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung wird jedenfalls alles dafür tun, dass
die soziale und wirtschaftliche und damit auch die innere
Einheit nach der staatlichen Einheit unseres Landes wirk-
lich vollendet wird. Sie weiß sich seit dem vergangenen
Wochenende einig mit allen Akteuren im Staat. Ich finde,
das ist ein wirklich gutes Signal, insbesondere für die
Menschen in den neuen Ländern. Ich stehe nicht an zu sa-
gen, dass ich allen, die daran beteiligt waren, insbeson-
dere allen Ministerpräsidenten, für diese Entscheidung
sehr dankbar bin.


(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418000200
Ich
eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat das Wort
die Kollegin Dr. Angela Merkel von der CDU/CSU-Frak-
tion.

Dr. Angela Merkel (CDU/CSU) (von der CDU/CSU
mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Es ist zu begrüßen, dass am letzten Wochenende
eine Einigung über die Neuregelung des Finanzausgleichs
gelungen ist, genauso wie es außerordentlich erfreulich
ist, dass mit der Verabschiedung des Solidarpaktes II ein
wichtiger Schritt auf dem Wege zur Planungssicherheit in
den neuen Bundesländern gegangen werden konnte.

Die Bundesländer – das betone ich an dieser Stelle aus-
drücklich –, ob Geber- oder Nehmerländer, haben es ge-
schafft, im Sinne eines vernünftigen föderalistischen Ver-
ständnisses ihre Unterschiede beiseite zu stellen und die
Grundstruktur der Bundesrepublik Deutschland zu festi-
gen, indem sie sich auf diesen Länderfinanzausgleich ge-
einigt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das war mit Sicherheit ein ganz wichtiges Signal für den
Föderalismus am Beginn des 21. Jahrhunderts: keine




Bundeskanzler Gerhard Schröder

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(D)



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neuen Klagen, sondern selbstbewusste politische Ent-
scheidungen. Insbesondere die Einigung über den Solidar-
pakt II ist für die neuen Bundesländer die Grundlage dafür,
die Arbeiten für die nächsten Jahre planen zu können.

Herr Bundeskanzler, ich erinnere Sie daran, dass Sie
am liebsten in dieser Legislaturperiode überhaupt nicht
mehr über den Solidarpakt II gesprochen hätten


(Sabine Kaspereit [SPD]: Das ist doch Unsinn!)


und dass es nur den neuen Bundesländern zu verdanken
ist, dass dies überhaupt auf die Tagesordnung gekommen
ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte hier namentlich den sächsischen Minister-
präsidenten würdigen.


(Karsten Schönfeld [SPD]: Würdigen? Huldigen!)


Man hat auf einer klugen Grundlage, nämlich dem
Gutachten von fünf Wirtschaftsinstituten, versucht, die
wirklichen Finanzbedürfnisse der neuen Bundesländer in
den nächsten 15 Jahren festzustellen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Eichel, es gereicht Ihnen wirklich nicht zur Ehre,
dass Sie in einem Schnellgutachten versucht haben, den
einheitlich von allen Instituten auf 300 Milliarden DM
festgelegten Bedarf noch einmal auf 157 Milliarden DM
herunterzurechnen. Das war kein gutes Zeichen für die
deutsche Einheit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Eine große deutsche Sonntagszeitung titelte am letzten
Sonntag: „Deutsche müssen weitere 15 Jahre für Osten
zahlen“. Beim Solidarpakt II geht es aber nicht um die
Unterstützung irgendeines fernen Landstriches, sondern
darum, dass in ganz Deutschland auf unterschiedlicher
Basis gleichwertige Lebensbedingungen hergestellt wer-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das sagen Sie mal der großen deutschen Sonntagszeitung!)


Die Nachteile, die durch eine sozialistische und kommu-
nistische Diktatur produziert wurden, werden noch über
viele Jahre nachwirken und dürfen deshalb niemals in
Vergessenheit geraten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Nun sind wir uns aber, glaube ich, auch darüber einig,

dass die Umsetzung dieses Solidarpaktes II ein hohes
Maß an Seriosität erfordert. Denn 100 Milliarden DM
Bundesmittel sind in dem so genannten Korb 2 festgelegt.
Hier finden wir sehr viele Kannbestimmungen. Die
Glaubwürdigkeit hängt davon ab, dass diese Dinge wirk-
lich umgesetzt werden. Völlig ungeklärt ist zum Beispiel,
was im Jahre 2006 passiert, wenn die EU-Strukturfonds
neu verhandelt werden. Dann wird die Bundesrepublik

Deutschland nicht mehr so viel Geld bekommen, damit
auch die neuen Bundesländer.


(Hans Eichel, Bundesminister: Das ist geklärt!)


Ich weise darauf hin, dass es dem Bundeskanzler an
vielen Stellen nicht gelingt, die deutschen Interessen in
Europa so durchzusetzen, wie wir uns das wünschen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


Ich kann Ihnen ein ganz aktuelles Beispiel nennen:
Gucken Sie sich einmal die Kapazitätsgrenzen der Werf-
ten in Mecklenburg-Vorpommern an. Es ist der Bun-
desregierung bislang nicht gelungen, hier eine Verände-
rung durchzusetzen, obwohl die Produktivitätsfortschritte
dazu führen, dass die Werftarbeiter im September und Ok-
tober schon nicht mehr arbeiten können und in Kurzarbeit
gehen müssen. Hier brauchen wir heute Taten, damit die
Dinge in den neuen Bundesländern vorangehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Meine Damen und Herren, die 300 Milliarden DM, die
zugesagt wurden, sind nominale und nicht reale 300 Mil-
liarden DM. Das heißt, wenn die Inflationsrate so hoch
bleibt, wie sie es bei dieser Bundesregierung geworden
ist, dann ist sie ein Enteignungsprogramm für den zukünf-
tigen Solidarpakt II. Deshalb braucht dieses Land eine Po-
litik für eine geringere Inflationsrate.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Peter Dreßen [SPD]: Seien Sie doch froh, dass Sie ihn haben!)


Herr Bundeskanzler, ich hätte mir schon gewünscht,
dass Sie nicht nur zu dem, was für die Zeit ab 2005 aus-
gehandelt wurde, etwas gesagt hätten, sondern auch dazu,
was sich bis zum Jahre 2005 in den neuen Bundesländern
abspielt. Denn wie wir in das Jahr 2005 hineinkommen,
bestimmt natürlich entscheidend, in welchem Tempo die
zur Verfügung stehenden Mittel effektiv eingesetzt wer-
den können. Dass die Schere zwischen Ost und West in
den letzten zwei Jahren immer weiter auseinander gegan-
gen ist, ist das Produkt Ihrer Politik, Herr Bundeskanzler.
Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist eine merkwürdige Mäkelei!)


Deshalb kommen selbst aus Ihren eigenen Reihen –
hier können wir den Bundestagspräsidenten zitieren; das
ist nicht Mäkelei von mir, sondern von Ihrem Bundes-
tagspräsidenten – die Kassandrarufe, dass der Osten auf
der Kippe steht.


(Joachim Poß [SPD]: Für Kassandrarufe sind Sie zuständig! Substanzloses Geschwätz!)


Angesichts dieses Warnsignals hätten wir von Ihnen heute
gerne erfahren, welche Pläne Sie für die Zeit bis zum
Jahre 2005 haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)





Dr. Angela Merkel
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(D)



(A)



(B)


Es gibt sicherlich Programme, die Sie zusätzlich ma-
chen. Das klingt ganz gut. Aber wenn man sich zum Bei-
spiel einmal das ganze Kapitel der Städtebauförderung
anschaut, stellt man fest, dass die 900 Millionen DM, die
in diesem Bereich hinzugekommen sind, durch Reduzie-
rung der Förderung in anderen wichtigen Bereichen in
den neuen Bundesländern finanziert worden sind. Wirt-
schaften von einer Tasche in die andere, das ist gerade
nicht das, was die neuen Bundesländer brauchen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wenn ich mir Ihre Kahlschlagpolitik im Bereich der
Bundeswehr anschaue,


(Zurufe von der SPD: Oh!)

wenn ich mir anschaue, wie mit einem Symbolstandort,
wie es Eggesin für die Vereinigung der Armeen war, um-
gegangen wird, dann kann ich nur sagen: Das motiviert
die Menschen in den neuen Bundesländern nicht, sondern
das demotiviert sie. Die Menschen in den neuen Bundes-
ländern müssen aber motiviert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Deshalb war es wichtig und richtig, dass der Minister-
präsident von Thüringen, Bernhard Vogel, schon vor ge-
raumer Zeit gesagt hat: Wir brauchen jetzt zusätzliche
Programme, die die Investitionen in den neuen Bundes-
ländern voranbringen, damit es dort ein Wirtschafts-
wachstum geben kann.

Sie haben, Herr Bundeskanzler, durch Ihre Politik der
falschen Gesetze dem Osten mehr geschadet als dem Wes-
ten. Wer im Mittelstand über eine geringere Eigenkapi-
talausstattung verfügt, wer aufgrund seiner Geschichte
geringere Möglichkeiten hat, sich zu konsolidieren, der ist
von Ihrer falschen Gesetzgebung besonders betroffen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Deshalb ist es doch ein wirklich armes Verständnis von

Politik, wenn Sie bereits bei der Festlegung des Finanz-
rahmens sagen, dieser schaffe die makroökonomischen
Daten. Ich weiß nicht, ob Sie nicht verstehen, dass Politik
nicht nur die Ausgabenseite, den Finanzrahmen betrach-
ten darf, sondern dass Sie genauso die Pflicht hat, sich
über die Einnahmeseite und über die Dynamik der wirt-
schaftlichen Entwicklung Gedanken zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Peter Struck [SPD]: Ja, und nun? – Joachim Poß [SPD]: Und deshalb fordern Sie das Vorziehen der Steuerreform um die Einnahmeseite zu verbessern?)


Die Rücknahme des Betriebsverfassungsgesetzes zum
Beispiel


(Lachen bei der SPD)

würde bedeuten, dass man mehr Entscheidungen auf be-
trieblicher Ebene treffen könnte. So, wie das bei VW
möglich sein müsste, müsste das auch in anderen Berei-
chen der Fall sein. Das wäre für die neuen Bundesländer
besonders wichtig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wir sind in der Tat der Meinung, dass der Mittelstand
bei der Steuerreform, die vor weniger als einem Jahr ver-
abschiedet wurde, so schlecht behandelt wurde, dass es
ihm, insbesondere in den neuen Bundesländern, eher ge-
schadet hat. Sie sehen es doch an den Daten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


Deshalb haben wir mit einem Sofortprogramm zum
Ausdruck gebracht, dass Sie handeln müssen, Herr Bun-
deskanzler; denn Tatsache ist doch, dass Ihre ruhige Hand
tief in den Taschen der Bürger steckt und immer wieder
Geld herausnimmt, statt welches hineinzulegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sagen Sie mal was zur Einnahmeseite Ihres Programms!)


Da es bei der Politik für die neuen Bundesländer ganz
wesentlich um die Erfahrungen geht, die die Menschen
mit der sozialen Marktwirtschaft und mit der Demokratie
machen, ist es besonders schrecklich und schlimm, Herr
Bundeskanzler, dass die SPD glaubt, dass ein Weg mit der
PDS aus machtpolitischen Gründen ein erfolgreicher Weg
für die neuen Bundesländer sei.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen bei der SPD)


Denn Sie müssen immer wissen: Die PDS lebt davon,
dass die deutsche Einheit nicht gelingt. Die PDS lebt da-
von, dass es keinen Wettbewerb und keine Unterschiede
zwischen den neuen Bundesländern gibt, sondern dass es
zentralistisches Denken gibt.

Herr Bundeskanzler, indem Sie diese PDS hoffähig
machen, indem Sie ganz strategisch zum Beispiel hier in
Berlin mithilfe der PDS einen Regierenden Bürgermeis-
ter abgewählt und Ihren eigenen gewählt haben, den wir
bald wieder abwählen werden, meine Damen und Herren,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Lachen bei der SPD)


haben Sie den Menschen ein falsches Bild davon vermit-
telt, wie man unter Bedingungen von Freiheit und sozia-
ler Marktwirtschaft leben, arbeiten und wirtschaften
kann.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Oh Gott, oh Gott!)


Sie haben damit, Herr Bundeskanzler, die politische Mitte
verlassen. Sie sind an den linken Rand gerückt


(Lachen bei der PDS)

und versuchen mit falschen Mitteln und mit falschen Leu-
ten – –


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Zurufe von der SPD)


– Ich sage noch einmal eindeutig: mit falschen Leuten!
Wenn stellvertretende Vorsitzende einer Partei erklären,
man könnte auch die Deutsche Bank und BMW verstaat-
lichen, dann wundere ich mich, dass Sie mit denen




Dr. Angela Merkel

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(C)



(D)



(A)



(B)


zusammenarbeiten! Das hätte man doch selbst als Christ-
demokrat nicht gedacht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb, Herr Bundeskanzler, kommt es darauf an

– genau daran werden wir arbeiten –,

(Joachim Poß [SPD]: Sie haben noch viel an sich zu arbeiten, Frau Merkel, ehe Sie konkurrenzfähig sind!)


dass dieser Politik bald ein Ende gemacht wird und sich
eine bessere Politik für Deutschland und für die neuen
Bundesländer durchsetzen kann.

Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der F.D.P. – Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Merkelei!)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418000300
Das Wort
hat jetzt der Ministerpräsident des Landes Brandenburg,
Dr. Manfred Stolpe.

Dr. Manfred Stolpe, Ministerpräsident (Brandenburg)


(von der SPD mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Herr

Bundeskanzler! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Der Volksmund sagt bekanntlich, dass die Freundschaft
beim Geld aufhört.


(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Die 16 Länder und der Bund haben aber in den ver-

gangenen Wochen gezeigt, dass Fragen des Finanzaus-
gleichs nicht zur Feindschaft führen müssen. Das ist ein
beachtliches Zeugnis politischer Kultur und der Willens-
beweis, die große deutsche Gemeinschaftsleistung zu
Ende zu bringen, den Entwicklungsrückstand des Ostens
von einem halben Jahrhundert zu beseitigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dafür möchte ich an dieser Stelle meinen Dank ausspre-
chen, Dank an die Kollegin und die Kollegen Minister-
präsidenten, Dank an den Bundeskanzler und den Bun-
desfinanzminister.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, bei der nun verabredeten
Neugestaltung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen geht
es um viel Geld, für einige der beteiligten Länder um exis-
tenzielle Summen. Auf freundschaftliche Beziehungen al-
lein konnten also die Länder weder untereinander noch in
ihrem Verhältnis zum Bund bauen. Auch konnte nicht rein
mathematisch zusammengefügt werden, was zuvor von
vielen Experten in zahlreiche Einzelteile seziert und bei
erheblichen Interessenunterschieden gefordert wurde.
Nein, hier wurde weit mehr zustande gebracht. Die Betei-
ligten in Bund und Ländern haben ihre Gesamtverant-
wortung erkannt. Mehr als einer ist über seinen Schatten
gesprungen, um gemeinschaftliches Handeln zu ermögli-
chen. Ich weiß, dass dies bis an die Schmerzgrenze der

Kompromissbereitschaft führte. Doch im Ergebnis – das
ist die entscheidende politische Botschaft – haben alle ge-
wonnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, ich wiederhole gern, was
schon andere öffentlich äußerten und was auch hier heute
schon anklang: Der bundesdeutsche Föderalismus ist
lebendig, flexibel und sachbezogen handlungsfähig. Er ist
überdies durch den Erfolg unserer Verhandlungen ge-
stärkt worden. Auf keinem anderen Gebiet hätte dies über-
zeugender bewiesen werden können als auf dem für die
Existenz aller Glieder des Bundesstaates grundlegenden
Feld der Finanzverfassung. Zwei Gedanken unserer Eini-
gung möchte ich herausgreifen, um diese Einschätzung zu
belegen.

Bund und Länder haben eine neue Balance zwischen
den Interessen der einzelnen Länder und im Verhält-
nis der Ländergesamtheit zum Bund gefunden. Schon
bisher war es nicht Aufgabe der Bund-Länder-Finanz-
beziehungen, die Verhältnisse in allen Teilen der Republik
einzuebnen. Niemand von uns will die Finanzkraft der
Länder nivellieren. Es ging uns immer darum, alle Länder
in die Lage zu versetzen, ihre verfassungsrechtlichen Auf-
gaben im notwendigen Umfang wahrzunehmen. Alle Bür-
gerinnen und Bürger in Deutschland sollen gleiche Chan-
cen haben.

Herausragender Prüfstein dieser Verantwortung ist die
Fortsetzung des Aufbaus Ost. Obwohl auch bei den
Geberländern nie außer Zweifel stand, dass es sich hier-
bei um eine Generationenaufgabe handelt und dass die
gewaltigen Rückstände in der öffentlichen und wirt-
schaftlichen Infrastruktur nicht in wenigen Jahren aufge-
holt sein können, ist das nun beschlossene Paket doch ein
klares Zeichen, dass wir keine zwei Wirtschaftszonen
in Deutschland wollen. In Deutschland wird es keinen
Mezzogiorno Ost geben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Men-
schen im Osten der Republik wissen es zu schätzen, dass
auch der künftige Länderfinanzausgleichstarif die Le-
bensfähigkeit ihrer Länder gewährleistet und dass hierzu
der Bund und alle Länder beitragen. Die Menschen sind
dankbar, dass sich der Bund noch lange Jahre mit Ergän-
zungszuweisungen und speziellen Programmen an den
notwendigen Zukunftsinvestitionen beteiligt und dass
diese Sonderhilfen nur stufenweise abgebaut werden. Das
gibt uns im Osten unseres Vaterlandes Mut und Vertrauen,
unsere Arbeit für die Menschen entschlossen fortzuset-
zen, unsere Länder voranzubringen und bis Silvester 2019
gleichwertige Länder in Deutschland zu sein. Ich versi-
chere, dass wir großes Interesse haben, den Fortschritt un-
serer Entwicklung jährlich darzulegen und mit Ihnen den
tatsächlichen weiteren Bedarf zu prüfen; denn der Osten
ist kein Fass ohne Boden. Es wird kein Geld vergeudet.
Wir wissen sehr wohl, dass auch andere Regionen in
Deutschland große Probleme haben.




Dr. Angela Merkel
17726


(C)



(D)



(A)



(B)


Alle Länder werden künftig noch stärker motiviert, die
eigenen finanzpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten
wahrzunehmen und sich zu ihrer Eigenverantwortung zu
bekennen. Bund und Länder haben sich verständigt, in den
kommenden Monaten weitere Schritte zur Entflechtung
ihrer derzeit vielfältigen Finanzbeziehungen einzuleiten.
Dies wird dazu beitragen, mehr Transparenz für den Bür-
ger zu schaffen und die föderalen Entscheidungsebenen zu
stärken. Das tut dem Bundesstaat insgesamt gut.

Im neuen Länderfinanzausgleich gilt künftig für jedes
Land: Ein Teil der überdurchschnittlichen Steuermehr-
einnahmen bleibt jährlich ausgleichsfrei. Ich betone:
Diese Regelung gilt für jedes Land, ob steuerstark oder
steuerschwach. Mit diesem Prämienmodell wird allen
Ländern der Anreiz gegeben, eine Stärkung der eigenen
Kräfte anzustreben, ohne die verfassungsrechtliche Ver-
pflichtung zu gegenseitigem Einstehen aufzuheben. Kein
Land wird auf Dauer privilegiert, kein Land auf Dauer
diskriminiert oder in eine Abwärtsspirale gedrückt. Jedes
Land hat jährlich neu die Chance auf einen Zugewinn.

Ansporn für eine weitere Entflechtung der Finanz-
verantwortung von Bund und Ländern könnte die Ver-
einbarung des Bundes mit den neuen Ländern sein, die
bislang gesetzlich regulierten Mittel des Investitions-
fördergesetzes bereits ab dem kommenden Jahr in Ergän-
zungszuweisungen umzuwandeln. Der Erfolg öffentlicher
Investitionsförderung hängt eben nicht davon ab, dass die
Förderzwecke gesetzlich möglichst eng reguliert sind
oder gar von vielfältig besetzten Bund-Länder-Verwal-
tungsgremien gesteuert werden. Künftig werden wir die
Bund-Länder-Verhandlungen über mögliche Vereinfa-
chungen und Entflechtungen bei den Gemeinschaftsauf-
gaben weniger verkrampft und zielsicherer führen kön-
nen. Vielleicht werden wir sogar weitere gute Argumente
für die Abgrenzung der jeweiligen Kompetenzen der eu-
ropäischen, der nationalen und der regionalen Ebenen fin-
den.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Her-
ren, die Vereinbarungen zum Länderfinanzausgleich und
zum Solidarpakt II sollen Gesetz werden. Ich bitte alle
Mitglieder dieses Hohen Hauses, die zwischen Bund und
allen Ländern gefundene Lösung mitzutragen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418000400
Als
nächster Redner hat der Kollege Dr. Guido Westerwelle
von der F.D.P.-Fraktion das Wort.


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1418000500
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist aus unse-
rer Sicht zu begrüßen, dass es zwischen Bund und
Ländern zu einer Einigung gekommen ist. Es ist gut und
richtig, dass es eine weitere Unterstützung für Ost-
deutschland gibt. Die Bürger Ostdeutschlands haben ei-
nen Anspruch auf öffentliche Dienstleistungen und Mittel
für den Aufbau der Infrastruktur, auch um die vor-

handenen Leistungsschwächen, die historisch begründet
sind, zu überwinden und im Wettbewerb der Länder mit-
halten zu können.


(Beifall bei der F.D.P.)

Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, dass auch den

wirtschaftsstarken Geberländern im Finanzausgleich
nicht mehr 80 Prozent, sondern nur noch 72,5 Prozent der
überdurchschnittlichen Steuereinnahmen durch Umver-
teilung genommen werden. So erfreulich es zwar ist, dass
es in dieser schwierigen Frage zu einer Einigung kam, ist
aber die Tatsache, dass hier von einer Sternstunde des Fö-
deralismus gesprochen wird, aus unserer Sicht kaum
nachvollziehbar. Die Sternstunde des Föderalismus war in
weiten Teilen ein schwarzer Tag für den Steuerzahler in
Deutschland, meine sehr geehrten Damen und Herren.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Denn die Zeche, die sich aus dieser überparteilichen Eini-
gung ergibt, zahlen die Bürgerinnen und Bürger, und zwar
zum Teil über mehrere Generationen hinweg. Statt dass
die Staatsaufgaben und die Ausgaben reduziert werden,
werden Belastungen auf lange Zeit festgeschrieben.


(Joachim Poß [SPD]: Die alte Leier! Der versteht immer noch nichts von Ökonomie!)


Mit dem, was nun vereinbart worden ist, sind Steuer-
erhöhungen vorprogrammiert, und die Spielräume für
mögliche Steuersenkungen sind verschenkt worden.


(Beifall bei der F.D.P. – Joachim Poß [SPD]: Herr Westerwelle, das ist ja die alte F.D.P.!)


Der ohnehin schon schwachen Konjunktur wird somit
weiter geschadet.


(Zuruf von der SPD: Wenig lernfähig!)

Aus unserer Sicht wurde auch die Chance vertan, durch
eine stärkere Differenzierung beim Länderfinanzaus-
gleich den Wettbewerb zwischen den Ländern zu stär-
ken.


(Zuruf von der SPD: So ein Blödsinn!)

Herr Bundeskanzler, Sie haben kein Wort dazu gesagt,

wie die Sonderlasten und die finanziellen Mittel aufge-
bracht werden sollen. Deswegen möchte ich das in diese
Debatte mit einführen. So wird zum Beispiel das, was nun
an weiteren Belastungen auf den Steuerzahler zukommt,
über mehrere Generationen hin gestreckt und die nächs-
ten jungen Generationen werden belastet. Denn der
Fonds „Deutsche Einheit“ wird für die Jahre 2002 bis
2004 nicht mehr mit etwa 6,5 Milliarden DM bedient,
sondern die Tilgung wird jetzt auf 0,2 Milliarden DM ge-
senkt.

Ich erinnere mich noch an eine Diskussion aus dem
Jahre 1997 im Deutschen Bundestag, als die alte Regie-
rung wegen einer überdurchschnittlichen Tilgung der vo-
rausgegangenen Jahre diesen Weg gegangen ist,


(Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/CSU)





Ministerpräsident Dr. Manfred Stolpe (Brandenburg)


17727


(C)



(D)



(A)



(B)


was für ein Zeter und Mordio es seitens der damaligen
Opposition im Bundestag gegeben hat.

Jetzt gehen Sie an den Fonds „Deutsche Einheit“; und
Sie strecken die Schuldentilgung auf Jahre hinaus zulas-
ten der jungen Generationen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Damit kommen wir zu dem großen Problem. Natürlich

ist es richtig, dass es eine Solidarität des Bundes mit den
Ländern und auch der Länder untereinander gibt. Was wir
aber nicht brauchen, sind ein Gewirr von Gemeinschafts-
aufgaben und eine Mischfinanzierung. Das ist das eigent-
liche Problem.


(Zuruf von der SPD: Was?)

Wir bekennen uns zum Föderalismus. Aber was wir brau-
chen, ist ein wettbewerbsorientierter Föderalismus, der
auch Leistungsanreize im System schafft, und zwar bes-
sere als die bisher vorhandenen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dazu zählt, dass die Verantwortlichkeiten klar sein müs-
sen.


(Joachim Poß [SPD]: Das ist der F.D.P.-Stammtisch! Der Mann hat von nichts Ahnung!)


Die Länder müssen mehr Kompetenzen haben und mehr
Gestaltungsmöglichkeiten bekommen. Die Umverteilung
muss durch einen fruchtbaren Wettbewerb ersetzt werden.

Dazu zählt vor allen Dingen eine Klarheit bezüglich
der Aufgaben und der Ausgaben. Das Mischfinanzie-
rungsproblem ist offensichtlich; denn wenn die Bürger
nicht mehr unterscheiden können, wer wofür die Verant-
wortung trägt, dann, glaube ich, wird der Föderalismus
immer schwächer werden, dann kommt er auf die schiefe
Bahn.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir wollen in unserem föderalistischen System das Prin-
zip Wettbewerb verwirklichen. Wir sind fest davon über-
zeugt, dass das richtig ist und dass das vor allen Dingen
auch und gerade den Wohlstand aller Bundesländer, im
Westen und im Osten, sichert.


(Zuruf von der SPD: Geschwätz!)

Letzten Endes, meine sehr geehrten Damen und Her-

ren, können wir die Diskussion über den Solidarpakt und
über die notwendigen Hilfen, insbesondere für Ost-
deutschland, nicht von der allgemeinen Wirtschaftspolitik
und der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung trennen.
Sie können für Ostdeutschland noch so viele Maßnahmen
beschließen: Wenn die Konjunktur infolge einer falschen
Politik bundesweit abschmiert, dann wird alles das, was
Sie vorher für Ostdeutschland getan haben, aufgezehrt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das ist doch das eigentlich Besorgnis Erregende.

Wir haben festzustellen, dass wir nicht nur ein schlech-
tes Weltwirtschaftswachstum haben und dass Deutsch-
land mittlerweile absolut in der Situation der Stagflation

ist, sondern dass Deutschland im Vergleich aller Euro-
Länder, wenn es um das Wirtschaftswachstum geht, mitt-
lerweile auch auf dem letzten Platz angekommen ist. Die
Globalisierung und die Weltwirtschaft sind für alle Län-
der gleich. Wenn Deutschland aber am Schluss der Ta-
belle des Wirtschaftswachstums liegt, dann heißt das
doch, dass die deutsche nationale Politik für die weltwirt-
schaftliche Entwicklung schlechtere Rahmenbedingun-
gen setzt als alle anderen Euro-Länder.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Zuruf von der PDS: Kleinkariert!)


Natürlich gab es auch schon früher Zeiten, in denen
man in Deutschland ein schlechteres Wirtschaftswachs-
tum hatte, weil die Weltwirtschaft auf einer schiefen
Ebene war. Aber wenn das Wirtschaftswachstum in ande-
ren Ländern 3 Prozent, 4 Prozent und zum Teil über 6 Pro-
zent beträgt, in Deutschland aber bei unter 2 Prozent an-
gekommen ist, dann ist das ein Ergebnis von nationaler
Politik. Dann hilft es nicht, Herr Bundeskanzler, wenn Sie
Ihr Nichtstun mit dem Begriff der „ruhigen Hand“ verse-
hen wollen. Was Sie heute „ruhige Hand“ nennen, das
nannte man früher Aussitzen, meine Damen und Herren.
Es ist ein Fehler, diesen Weg zu gehen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Tatsache ist – schauen Sie sich das einmal an –, dass
die nationalen politischen Rahmenbedingungen auch von
uns, von der nationalen Politik, wesentlich mitbestimmt
werden. Ich kann zwar verstehen, dass Sie die Verantwor-
tung jetzt sehr stark auf die Europäische Zentralbank und
auf die Tarifparteien abschieben möchten. Natürlich spie-
len diese eine große Rolle, auch in der weltwirtschaftli-
chen Entwicklung; aber es reicht nicht aus, wenn sich die
Politik mit Hinweis auf die Verantwortlichkeit anderer
jetzt ihrer eigenen Hausaufgaben entledigt. Sie müssen
handeln! Das, was Sie machen müssen, wäre das beste
Aufbauprogramm für den Osten. Senken Sie die Steuern
und Abgaben. Diskriminieren Sie den Mittelstand auch
steuerpolitisch nicht länger.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unsinn! Das macht doch keiner! So ein Quatsch!)


Setzen Sie die nächste Stufe der Ökosteuererhöhung aus.
Das wäre ein Aufbauprogramm für den Osten Deutsch-
lands, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Solange Sie das nicht tun, laufen Sie Gefahr, mit Verlaub
gesagt, genau dieselben Fehler zu machen, die es früher
schon einmal gegeben hat – nämlich die Ausblendung der
Wirklichkeit –, und das mit verheerenden Folgen. Wir ha-
ben doch alle – wir in der Opposition übrigens schmerz-
haft – lernen müssen: Wer mit den Reformen zu spät
kommt, den bestraft das Leben. Sie zögern die Reformen
weiter hinaus. Sie sind mehr daran interessiert, für den
Wahlkampf die Gewerkschaften ruhig zu stellen, anstatt
jetzt das Notwendige zu tun, um in Deutschland die Rah-
menbedingungen für neue Investitionen zu schaffen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)





Dr. Guido Westerwelle
17728


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie werden doch bei dem Beispiel von Volkswagen
selbst erlebt haben, wohin das führt. In der vorigen Wo-
che dehnen Sie die funktionärische Fremdbestimmung in
den Betrieben aus.


(Zuruf von der F.D.P.: Sehr richtig! – Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Auch noch in den kleinen und kleinsten Betrieben soll die
funktionärische Fremdbestimmung ausgeweitet werden.
Und was machen die Gewerkschaften damit? 5 000 Ar-
beitsplätze für 5 000 DM bei Volkswagen – und die Ge-
werkschaft sagt Nein! Das, meine Damen und Herren, ist
das Handeln und Denken von Funktionären, die mit Ar-
beitslosen nichts gemein haben.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Warten Sie doch ab, was noch kommt! Völliger Unsinn! Sie haben nichts kapiert!)


Wenn wir über den Solidarpakt sprechen, dann können
wir es Ihnen auch nicht ersparen, dass wir einen Blick auf
den Länderwettbewerb innerhalb Deutschlands werfen.
Das, was in Europa falsch läuft, kann man eindeutig an
den Wachstumszahlen ablesen. Dass wir in Deutschland
am Schluss liegen, spricht Bände, und zwar gegen die na-
tionale Politik. Aber auch innerhalb der Bundesländer gibt
es Vergleichszahlen. Insoweit ist der Hinweis von Frau
Kollegin Merkel durchaus angebracht.

Es muss doch auch jedem hier im Hause zu denken ge-
ben, wenn Länder, die politisch so regiert werden wie
Sachsen-Anhalt, Rekordhalter sind, was die Arbeitslo-
senquote angeht. Dies ist das Ergebnis von Politik. Wenn
Länder wie Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und
Hessen niedrigste und Länder wie Sachsen-Anhalt und
Mecklenburg-Vorpommern höchste Arbeitslosenquoten
haben, dann ist es auch erlaubt, dies in eine Debatte ein-
zuführen, weil es das Ergebnis von Politik ist und nicht
von irgendeiner hohen Hand der Weltwirtschaft.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Zurufe von der PDS)


Sie müssen Ihre Wirtschaftspolitik korrigieren, Herr
Bundeskanzler. Wir hatten gehofft, dass Sie, wenn Sie hier
und jetzt eine solche Debatte führen, dies entsprechend
einbrächten. Wenn Sie das nicht tun, wenn Sie die natio-
nale Politik nicht korrigieren, dann kann sich die Politik
jetzt vielleicht zurücklehnen, weil zwischen Bund und
Ländern eine Einigung erzielt worden ist, aber dann wer-
den wir die Probleme in Deutschland nicht lösen. Wenn
alle anderen Länder in Europa mit der Globalisierung bes-
ser fertig werden als wir in Deutschland, wenn das Wirt-
schaftswachstum in Deutschland mittlerweile das schlech-
teste aller Euro-Länder ist, dann ist es an der Zeit, dass die
notwendigen Kurskorrekturen ausgeführt werden.

Ich sage Ihnen persönlich und auch den Damen und
Herren hier im Hause: Es ist ein Fehler, wenn Sie glauben,
Sie könnten mit einer Politik des „Weiter so“ und der „ru-
higen Hand“ die Probleme aussitzen. Die kommen dann
doppelt und dreifach schwierig auf die Politik zurück. Re-
signieren Sie nicht vor Ihren eigenen Leuten, sondern set-
zen Sie durch, was gemacht werden muss. Denn wenn Sie

das nicht tun, haben Sie persönlich ein Problem, was Ihre
Chancen angeht. Aber das wäre weiß Gott nicht meines.
Das größere Problem hat dann allerdings Deutschland.

Dies sollte wirklich korrigiert werden, meine Damen
und Herren. Herr Bundeskanzler, hören Sie weniger auf
Herrn Trittin, hören Sie mehr auf Leute, die etwas von
wirtschaftspolitischer Vernunft verstehen.


(Anhaltender Beifall bei der F.D.P. – Beifall bei der CDU/CSU – Iris Gleicke [SPD]: Auf Sie doch nicht! – Peter Dreßen [SPD]: Sie verstehen davon wenig!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418000600
Für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege
Oswald Metzger das Wort.


Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418000700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass die Op-
position nicht mit Erfolgen umgehen kann, haben die Re-
den von Frau Merkel und Herrn Westerwelle deutlich ge-
zeigt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Am Wochenende haben Ihnen der Bundeskanzler und die
Ministerpräsidenten einen Strich durch Ihre strategische
Rechnung gemacht, dass diese Koalition angesichts welt-
wirtschaftlicher Probleme vor der Sommerpause ins Tru-
deln kommt. Wir haben am Wochenende gezeigt, dass es
langfristige Planungssicherheit für unsere Republik ge-
ben wird und dass wir vor allem in innerstaatlicher Soli-
darität den Osten Deutschlands nicht hängen lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Her Westerwelle, sich hier hinzustellen, die Backen
aufzublasen, vom Aussitzen der alten Koalition zu reden
und nicht daran zu denken, dass Sie 16 Jahre daneben ge-
sessen haben, finde ich eine Ungeheuerlichkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Sie prangern beispielsweise die Tilgungsstreckung an.
Damals, bei Theo Waigel, haben Sie dazu doch die Hände
gereicht. Sie haben damals die Tilgungsstreckung im
Bundeshaushalt gebraucht, um verfassungswidrige Haus-
halte zu verhindern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben dagegen in diesem Jahr die Tilgungsstreckung
beim Fonds „Deutsche Einheit“ dafür verwendet, die
Neuverschuldung abzusenken. Wir haben dieses Geld ge-
rade nicht verprasst, sondern haben durch die Tilgungsstre-
ckung, die die Länder im letzten Jahr wollten, die Schulden
gegenüber dem Regierungsentwurf zurückgefahren.

Frau Merkel, bei Ihren Äußerungen zum Mittelstand
ist Ihnen wohl entgangen, dass durch die Verrechnung der
Gewerbeertragsteuer mit der Einkommensteuerschuld ein
Großteil der Entlastung bereits im laufenden Jahr bei der




Dr. Guido Westerwelle

17729


(C)



(D)



(A)



(B)


mittelständischen Wirtschaft ankommt und dass 90 Pro-
zent bis 95 Prozent der mittelständischen Betriebe von un-
serer Steuerreform profitieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Meine Damen und Herren von der Opposition, Ihnen
ist wohl entgangen, dass Bundesbankpräsident Welteke
– ich meine, zu Recht – gestern darauf hingewiesen hat,
dass das derzeitige Wirtschaftswachstum in Deutsch-
land über dem Durchschnittswert der 90er-Jahre liegt, in
denen Sie regiert haben. Damals betrug das Wirtschafts-
wachstum 1,4 Prozent real


(Zuruf von der CDU/CSU: Und die Inflationsrate?)


und es boomte die Weltwirtschaft, und zwar vor allem die
Wirtschaft in den USA. Jetzt lahmen die US-Konjunktur
und die Weltwirtschaft. So sehen die Fakten aus. An diese
Fakten wollte ich zum Auftakt der Diskussion zum bin-
nenstaatlichen Solidarpakt II erinnern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Jetzt zum Solidarpakt und zum Finanzausgleich: Der
Weg hin zur Lösung war extrem schwierig – das haben Sie
gemerkt –, weil sich auch die Länder untereinander über
viele Monate hinweg wechselseitig blockiert haben und
das Verhältnis zwischen Bund und Ländern buchstäblich
bis zum letzten Moment von Misstrauen geprägt war.

Gott sei Dank kann in diesem Sommer nicht von einer
Krise des Föderalismus geredet werden, denn wir haben
auf der Zielgeraden noch eine Lösung gefunden. Die Lö-
sung sieht so aus, dass wir über 300 Milliarden DM bis
Ende des Jahres 2019 zur Verfügung stellen. Damit wird
über einen langen Zeithorizont Planungssicherheit für den
Aufbau Ost und die Wiedererlangung der inneren Einheit
geschaffen. Dies ist eine Kraftleistung, die parallel zur
Konsolidierung der überschuldeten öffentlichen Haus-
halte – eines von der konservativ-liberalen Regierung hin-
terlassenen Erbes – erbracht wird.


(Uta Titze-Stecher [SPD]: Das darf man nicht vergessen!)


– Das darf man nicht vergessen. Wir halten – wie der Bun-
deskanzler zu Recht gesagt hat – die Spur zwischen bei-
den Leitplanken ein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Insofern kann man nicht von einer Überlastung der Steu-
erpflichtigen reden, wenn wir gleichzeitig die Verschul-
dung abbauen, innerstaatlich solidarisch sind, aber auch
Anreize für reiche wie arme Länder insofern schaffen, als
sie von ihrer zusätzlichen Wirtschaftskraft mehr Geld be-
halten können, wie Ministerpräsident Stolpe zu Recht ge-
sagt hat. Dies halte ich für eine wichtige Errungenschaft der
am letzten Wochenende getroffenen Vereinbarungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Bemerkenswert ist übrigens auch, dass vor einer guten
Stunde im Sonderausschuss des Deutschen Bundestages

alle Fraktionen des Hauses mit Ausnahme der F.D.P. die-
sem Maßstäbegesetz zugestimmt und damit unter Beweis
gestellt haben, dass sie diese Lösung für richtig halten. An
Ihre Adresse, Frau Merkel, sei gesagt: Eine gewisse In-
konsistenz besteht zwischen dem, was Sie hier gesagt ha-
ben – natürlich haben Sie mit dem Erfolg des letzten Wo-
chenendes Ihre Schwierigkeiten –, und der Zustimmung
Ihrer Fraktionsmitglieder im Sonderausschuss. Das zeigt
die Argumentationsnöte der Opposition hier im Haus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Vor uns liegt mit Sicherheit ein schwieriger Weg, aber
wir haben inzwischen eine Vereinbarung über die planba-
ren finanziellen Daten getroffen. Das ist gut so. Dann,
wenn es an die detailgesetzlichen Regelungen im Finanz-
ausgleichsgesetz geht, werden wir sicher noch so manche
Debatte zu führen haben – da mache ich mir nichts vor –,
aber das große Misstrauen zwischen dem Bund und den
Ländern und die Befürchtung, dass sich Bund und Länder
sowie die armen und die reichen Länder wechselseitig
über den Tisch ziehen, ist mit der Vereinbarung vom letz-
ten Wochenende vom Tisch. Das ist gut für unser Land.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Denn schlussendlich tragen alle Fraktionen dieses Hauses
auf unterschiedlichen Ebenen, in armen und reichen Län-
dern, Regierungsverantwortung. Wenn wir das bündische
Prinzip des Füreinander-Einstehens in unserer Gesell-
schaft nicht aufrechterhalten, können wir das Sozial-
staatsprinzip im persönlichen Verhältnis mit den Bürgern,
aber auch in der binnenstaatlichen Organisation ver-
gessen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418000800
Herr Kol-
lege Metzger, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Schüßler?


Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418000900

Aber bitte.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418001000
Herr Kol-
lege Schüßler, bitte schön.


Gerhard Schüßler (FDP):
Rede ID: ID1418001100
Herr Kollege Metzger,
sind Sie noch der gleiche Kollege Metzger, der am Don-
nerstag vergangener Woche von dem Platz aus, an dem
Sie jetzt stehen, gesagt hat, dass es ihm angesichts des Ge-
zerres um den Bund-Länder-Finanzausgleich unter den
einzelnen Bundesländern schon peinlich sei, über das zu
erwartende Ergebnis zu sprechen?


(Heiterkeit bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)



Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418001200
Ich
bin der gleiche Kollege.


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Höchstens derselbe!)





Oswald Metzger
17730


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich habe nicht gedacht, dass man am letzten Wochenende
tatsächlich zu einer Lösung kommen würde. Wie Sie wis-
sen, ist diese Lösung deshalb zustande gekommen, weil
wir den Weg dazu mit Mitteln für den Aufbau Ost frei ge-
macht haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Oswald, Platz sechs reicht nicht!)


Eines dürfen Sie, Herr Kollege Schüßler, nicht verges-
sen: Wir gehen als Koalition davon aus, dass die Reform
der Finanzverfassung in Deutschland damit nicht zu
Ende ist. Auch die Regierung weiß, dass wir eine Finanz-
verfassungsreform größeren Umfangs brauchen, mehr
Verantwortung auf Länder und Gemeinden übertragen
müssen und die Verantwortung für Einnahmen und Aus-
gaben langfristig anders bündeln müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es gab letzte Woche eine Debatte zur Gemeinde-

finanzverfassungsreform. In dieser habe ich gesprochen
– darauf beziehen Sie sich – und die Positionen beider Re-
gierungsfraktionen wiedergegeben. Es ist kein Geheim-
nis, dass wir uns in der Steuerpolitik langfristig über neue
Modelle Gedanken machen müssen; ich nenne als Bei-
spiel Hebesatzrechte für die Kommunen in Bezug auf die
Einkommensteuer. Darüber können Sie täglich in den Zei-
tungen lesen. Insofern habe ich mich konsistent verhalten.
Meines Erachtens verhält sich auch die Regierung in die-
sem Punkt konsistent.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hans-Peter Repnik [CDU/ CSU]: Aber nur in diesem Punkt!)


Frau Merkel, Sie haben dem Bundeskanzler vorgewor-
fen, er rede zwar über Makroökonomie, aber einseitig
über die Ausgabenseite. Wenn Sie dem Kanzler zugehört
hätten, hätten Sie bemerkt, dass er mit der unabhängigen
Europäischen Zentralbank auch die geldpolitische Seite
angesprochen hat und dass er ein Signal an die Tarifpart-
ner gegeben hat, die ihre Verantwortung mit dem Ab-
schluss zweijähriger Tarifverträge im letzten Jahr unter
Beweis gestellt haben. Dies hat angesichts einer impor-
tierten Inflation – ich nenne die Energiepreise und die Fol-
gekosten von BSE sowie Maul- und Klauenseuche – zu
einer Stabilisierung der wirtschaftlichen Situation in die-
sem Jahr beigetragen.

Ihnen, Frau Merkel und Herr Westerwelle, ist vielleicht
auch entgangen, – Sie haben von Inflationsdruck gespro-
chen –, dass sich die Inflation bereits im Juni um vier
zehntel Prozentpunkte zurückbildet und die Perspektiven
für die nächsten Monate so gut sind, dass der Bundes-
bankpräsident gestern von einem realen Wachstum von
1,7 bis 1,8 Prozent für dieses Jahr gesprochen hat. Das ist
mehr als der Durchschnitt der Jahre 1991 bis 1998, in de-
nen Ihre Parteien die Regierung gestellt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Makroökonomisch gesehen wird ein Rückgang der In-
flation, verbunden mit der Steuerreform unserer Regie-
rung, die zu einer Stärkung der Kaufkraft führt, dafür sor-

gen, dass sich die Binnenkonjunktur in Deutschland in der
zweiten Jahreshälfte erholen kann. Wenn darüber hinaus
Signale an die Tarifpartner gegeben werden, dass die Re-
gierung die Reformagenda im Bereich Arbeitsmarkt und
Gesundheit nicht aus dem Blick verliert, dann bin ich mir
sicher, dass Sie im Herbst eine andere Gefechtslage vor-
finden werden und hier nicht ständig Hiobsbotschaften,
die vielleicht im Interesse Ihrer Partei, aber nicht im Inte-
resse unserer Volkswirtschaft liegen, verkünden können;
denn Volkswirtschaften brauchen positive Nachrichten.

Gerade Ihr Urvorfahr Ludwig Erhard hat zu Recht im-
mer darauf hingewiesen, dass Wirtschaftspolitik zu weit
über 50 Prozent aus Psychologie besteht. Auch das sei Ih-
nen ins Stammbuch geschrieben: Gerade den Konservati-
ven steht das Unken nicht gut an.


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Deshalb ist der Wirtschaftsminister auch nicht hier!)


Sie haben der Opposition immer Miesmacherei vorge-
worfen, wenn es darum ging, den Finger in die Wunde zu
legen. Die anderen Finger Ihrer Hand zeigen nun auf Sie
zurück, wenn Sie jetzt die Stimmung dieses Landes wie in
einem Zerrspiegel zeichnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Am letzten Wochenende wurde nicht nur innerstaatli-
che Solidarität bewiesen und den neuen Bundesländern
Planungssicherheit gegeben, sondern auch ein Anreizme-
chanismus – zwar ein kleiner, aber immerhin einer, der
langfristig wirkt – in den Finanzausgleich eingebaut. Das
ist etwas, was Sie während Ihrer Regierungszeit nie ge-
schafft, sondern nur gefordert haben. Gleichzeitig wurde
am letzten Wochenende die Strategie der beiden Opposi-
tionsfraktionen, die Regierung in ein Sommertheater der
ungelösten Probleme treiben zu lassen, wirkungsvoll zer-
stört. Insofern war das letzte Wochenende ein gutes Wo-
chenende für die Regierung und unser Land.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418001300
Als
nächster Redner hat der Kollege Dr. Gregor Gysi von der
PDS-Fraktion das Wort.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1418001400
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Ich möchte zunächst den Bundeskanz-
ler in Schutz nehmen.


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


– Warten Sie doch erst einmal ab! – Frau Merkel hat ge-
sagt, er sei ganz an den linken Rand gedrückt. Als Sach-
verständiger in dieser Frage muss ich Ihnen sagen: Das ist
ein Vorwurf, der völlig unberechtigt ist. Davon kann keine
Rede sein.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)





Oswald Metzger

17731


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich habe von den Ergebnissen des Wochenendes
gehört. Wir waren sehr zufrieden und haben deshalb heute
im Ausschuss zugestimmt. Wir werden auch dem Soli-
darpakt II zustimmen. Denn tatsächlich schafft er ab dem
Jahre 2005 Planungssicherheit und ermöglicht den
neuen Bundesländern, sich darauf einzustellen. Auch den
Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern in ganz Deutschland
bietet er mehr Planungssicherheit als vorher.

Herr Westerwelle, er sichert durchaus auch mehr Wett-
bewerb zwischen den Ländern. Nur, was Sie vorschlagen,
wäre grundgesetzwidrig. Denn noch haben wir im Grund-
gesetz einen Artikel, in dem steht, dass die Lebensverhält-
nisse in ganz Deutschland annähernd gleich zu sein haben.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie wollen das aufkündigen. Das kann man nicht hinneh-
men.

Unser Problem, Herr Bundeskanzler, ist ein anderes:
Was geschieht bis 2005? Der so genannte Solidarpakt I al-
lein reicht ganz offenkundig nicht aus. Die Entwicklun-
gen von Ost- und Westdeutschland – da hat Frau Merkel
Recht – gehen weiter auseinander. Die Wirtschaftsdaten
gehen auseinander, die Arbeitslosigkeitsdaten gehen aus-
einander und auch in sozialer Hinsicht, Rente etc., gehen
die Daten eher auseinander. Deshalb muss neben der Pla-
nungssicherheit ab 2005 sofort etwas geschehen.


(Beifall bei der PDS)

Wir haben einen Antrag eingebracht, wie man zu mehr

Gründungen und Investitionen kommt. Wir benötigen
dringend eine Investitionspauschale für die Kommunen
gerade auch in den neuen Bundesländern.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS – Joachim Poß [SPD]: Verfassungswidrig!)


Denn wenn wir dort keine eigenen Wirtschaftskreisläufe
herstellen, wird die Unterstützung Ostdeutschlands ir-
gendwann ein Fass ohne Boden. Dann werden die Beden-
ken in den alten Bundesländern immer größer werden.
Wer Einheit will, braucht den wirtschaftlichen Anschluss
des Ostens. Wenn wir dies nicht schaffen, ist sie nicht her-
zustellen.


(Beifall bei der PDS)

Damit können wir nicht bis 2005 warten. Da muss sehr
viel früher etwas geschehen.

Herr Bundeskanzler, zu einer Ausgabenpolitik gehört
immer auch eine Einnahmepolitik. In diesem Zusammen-
hang muss die Steuerreform des letzten Jahres kritisiert
werden. Denn die steuerlichen Entlastungen, die Sie im
Rahmen dieser Reform für die Aktiengesellschaften be-
schlossen haben, haben Sie nicht annähernd für kleine und
mittelständische Unternehmen festgesetzt. Diese Unter-
nehmen brauchen wir aber dringend, wenn wir die Pro-
bleme der Arbeitslosigkeit in Deutschland lösen wollen.


(Beifall bei der PDS – Hans Eichel, Bundesminister: Das ist nicht richtig!)


– Herr Eichel, Sie bestreiten das immer wieder. Wissen
Sie, was Sie bei den Aktiengesellschaften getan haben? –

Sie haben eine Steuer vorgezogen; das ist alles. Die Be-
steuerung von Veräußerungserlösen haben Sie ihnen
erlassen. Die kleinen und mittelständischen Unternehmen
müssen diese Steuer weiterhin zahlen; das ist die Wahr-
heit. Deshalb werden diese Unternehmen stärker ge-
schröpft als Aktiengesellschaften. Die großen Unterneh-
men bauen nur noch Arbeitsplätze ab, während die
kleinen neue Arbeitsplätze schaffen. Deshalb bedürfen sie
einer anderen Unterstützung, und zwar in Ost und in West.


(Beifall bei der PDS – Joachim Poß [SPD]: Der meist überschätzte Politiker der Bundesrepublik!)


Auch fehlt mir – denn es geht nicht nur um Wirt-
schaftsfragen – ein Fahrplan in sozialer und kultureller
Hinsicht. Herr Bundeskanzler, da Sie einen Hang zu
Bündnissen haben, schlage ich Ihnen Folgendes ganz
ernsthaft vor: Denken Sie doch einmal wirklich über ein
Bündnis für die Einheit nach, in dem es sowohl um öko-
nomische und Finanzfragen als auch um mentale und Kul-
turfragen geht. Denn wir können die Entwicklung, dass es
eine Zunahme von mentalen Unterschieden gibt, nicht
einfach schleifen lassen.

Ich nenne Ihnen dazu kurz ein Beispiel, das dies ver-
deutlicht – das war bei der letzten Regierung genauso –:
Im Jahre 2000 hat sich ein ehemaliger Oberstleutnant der
NVA an das Bundesverteidigungsministerium gewendet
und angefragt, ob er im Falle des Todes mit militärischen
Ehren beerdigt werden könne. – Nun äußere ich mich ein-
mal nicht zu diesem Bedürfnis, das mir etwas fremd ist;
seines ist es auf jeden Fall. – Interessant ist die Antwort.
Dort heißt es, da er nicht in die Bundeswehr übernommen
worden sei, gehe das nicht. Er sei Angehöriger einer frem-
den Streitmacht gewesen. Dann heißt es, es sei denn, er
könne nachweisen, dass er bereits Angehöriger der Deut-
schen Wehrmacht gewesen sei und damals eine Tapfer-
keitsauszeichnung bekommen habe. Dann stehe ihm das
zu.

Ich äußere mich jetzt weder zur NVA noch zur Wehr-
macht; das ist gar nicht mein Anliegen. Es geht um etwas
anderes: Im Klartext heißt das, die Wehrmacht gilt als
deutsche Geschichte, die NVA nicht. Wer in ihrer ganzen
Kompliziertheit die Geschichte der DDR nicht als deut-
sche Geschichte annimmt, wird die Einheit nicht vollen-
den können. Das ist ein wirkliches Problem.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Frau Merkel, da ich wusste, dass Sie es nicht lassen
können, lassen Sie mich einige wenige Bemerkungen zu
Ihnen machen – ich mische mich damit überhaupt nicht in
Ihre inneren Auseinandersetzungen ein –: Wenn Sie der
SPD vorwerfen, sie mache die PDS hoffähig, sage ich
ganz unter uns – ich sage das auch nie wieder –: Den
größeren Anteil daran hatte, wenn auch indirekt, die CDU.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein Zweites will ich Ihnen dazu sagen: Ihr Herr
Diepgen und Ihr Herr Landowsky haben doch dafür ge-




Dr. Gregor Gysi
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(D)



(A)



(B)


sorgt, dass die CDU hofunfähig geworden ist. Das ist das
Einzige, mit dem wir es zu tun haben.


(Beifall bei der PDS)

Sie werden weder mit Hinweisen auf die Vergangenheit
noch mit Ausweichmanövern erreichen, dass wir von dem
Thema der Krisensituation in Berlin inhaltlich haupt-
verantwortet durch die CDU, abgehen werden. Die CDU
war vielleicht als einzige politische Kraft in der Lage
– das muss ich heute einräumen; die SPD war dazu nicht
in der Lage –, die äußere Einheit Deutschlands herzustel-
len. Aber sie hat sich als unfähig erwiesen, die innere Ein-
heit Deutschlands herzustellen,


(Beifall bei der PDS)

und zwar unter anderem deshalb, weil sie es ablehnt, Ost-
deutsche, die nicht ein ausschließlich negatives DDR-Bild
in sich bewahrt haben, überhaupt für vereinigungstauglich
zu halten. Genau so geht es nicht! Ihre Ausgrenzungsstra-
tegie gegenüber Wählerinnen und Wählern einer Partei,
die Sie nicht mögen, verhindert die innere Einheit. Wenn
wir hier nicht zusammenkommen, werden wir die Pro-
bleme weder in dieser Stadt noch in diesem Land lösen.


(Beifall bei der PDS)

Sie sagen immer, wir seien ein Investorenschreck.

Dazu möchte ich Ihnen gerne noch etwas sagen. Wissen
Sie eigentlich, auf welchem Platz Berlin als interessanter
Investitionsstandort in Deutschland für Existenzgründe-
rinnen und Existenzgründern steht? – Auf Platz 65! Das
hat die große Koalition in Berlin geschafft. Sie müssen
sich erst einmal überlegen, wie viele und welche Städte
davor genannt werden;


(Heiterkeit und Beifall bei der PDS)

die meisten davon kennen Sie gar nicht. Also, schlechter
kann es die PDS auch nicht machen. Wissen Sie, die Stadt
ist jetzt so ruiniert, dass auch wir sie mit übernehmen kön-
nen. Vielleicht gibt es doch eine Chance nach vorn.


(Hans Eichel, Bundesminister: Dann muss es schon noch schlimmer kommen!)


– Nein, schlimmer kann es nicht kommen, Herr Eichel.
Der Stand ist schon erreicht.


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das ist bemerkenswert!)


Ich will Ihnen etwas sagen: Sie werden sehen, wie wir
einsparen, wie wir konsolidieren können. Aber wir sind
auch dafür – das hat übrigens dieser Ausgleich noch nicht
geschafft –, endlich einmal den Zweck einer Hauptstadt in
Deutschland zu klären. Dieser Zweck steht nämlich nicht
im Widerspruch zum Föderalismus, sondern wäre eine
wichtige Ergänzung.


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Jetzt sind wir wieder im Wahlkampf!)


Der Senat hat diese Frage elf Jahre lang nicht einmal auf-
geworfen, geschweige denn beantwortet – weder in kultu-
reller noch in politischer noch in ökonomischer Hinsicht.


(Beifall bei der PDS)

Aber das ist ein anderes Thema.

Ich sage Ihnen nur: Auch darüber wird es im Rahmen
von Verhandlungen mit Bund und Ländern noch Überle-
gungen geben müssen, aber nur unter der Bedingung, dass
Berlin sein eigenes Konsolidierungskonzept vorlegt.
Dazu wird diese Stadt in der Lage sein. Davon bin ich
überzeugt.

Frau Merkel, lassen Sie mich noch eines sagen: Wenn
die CDU so weitermacht – weil es um Investitionen geht –,
das Bild einer Stadt aufzuzeigen in der Bevölkerungsteile
scheinbar verhasst sind, wenn hier wieder der kalte Krieg
eröffnet wird – genau das machen Sie zurzeit –,


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

dann kommt wirklich kein Investor. Die Bevölkerung hier
will sich vereinigen. Nur Sie wollen sich nicht vereinigen.


(Beifall bei der PDS)

Dieses Problem muss endlich nicht nur in Berlin, sondern
in ganz Deutschland gelöst werden – mithilfe von Öko-
nomie, aber auch mithilfe der Lösung von mentalen Pro-
blemen.

Als Letztes zu Ihnen, Herr Bundeskanzler. Ihr Problem
ist, dass wir jetzt einen Abschwung haben. Das hängt
durchaus mit der Politik der Bundesregierung zusammen,
aber – das gebe ich zu – hat auch etwas mit der Einzel-
entwicklung der Weltwirtschaft zu tun. Aber so ist es nun
einmal in der Politik: Der Aufschwung war ja allein Ihrer
und dann gehört Ihnen halt auch der Abschwung. Wer jede
blühende Blume für sich in Anspruch nimmt, haftet dann
auch für jede verwelkte. Manchmal ist es ganz gut, bei
Dingen, die sich positiv entwickeln, die eigenen Leistun-
gen nicht ganz so hervorzuheben; denn dann haftet man
nachher nicht ganz so dafür, wenn es wieder ein bisschen
bergab geht. Das ist nur einmal ein Rat nebenbei, den man
in jeder Hinsicht beherzigen sollte, egal welche Verant-
wortung man in Deutschland übernimmt.


(Beifall bei der PDS – Lachen bei SPD und Bündnis 90/Die Grünen)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418001500
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Sabine Kaspereit von der SPD-Frak-
tion.


Sabine Kaspereit (SPD):
Rede ID: ID1418001600
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Ich bleibe dabei: Die Beschlüsse
vom 24. Juni zum Länderfinanzausgleich und zum Soli-
darpakt II haben eine ungewöhnlich breite Zustimmung
gefunden –


(Beifall bei der SPD)

sowohl bei den politisch Handelnden als auch in der Öf-
fentlichkeit. Von Biedenkopf bis zu Runde, von Stoiber
bis zu Ringstorff: Alle haben nur zufriedene Gesichter.
Ringsherum Lob: vom „Handelsblatt“ bis zum „Neuen
Deutschland“, von der „Frankfurter Allgemeinen Zei-
tung“ bis zur „Bild“-Zeitung, abgesehen von der eben
gehörten Oppositionsmäkelei.


(Zuruf von der SPD: Merkelei! – Joachim Poß [SPD]: Immer noch besser als „Ferkelei“!)





Dr. Gregor Gysi

17733


(C)



(D)



(A)



(B)


Alle sind sich darin einig, dass hier ein großer Wurf ge-
lungen ist. Das muss Ihnen, Herr Bundeskanzler, erst ein-
mal einer oder eine nachmachen, nicht wahr, Frau
Merkel?


(Beifall bei der SPD – Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Haben wir uns eigentlich früher auch so angehört?)


Während Sie sich am vergangenen Wochenende mit der
bedeutenden Frage abgeben mussten, ob, und wenn ja,
wie oft und womöglich auch noch wie lange Ihr Vorvor-
gänger im Amt in den Berliner Wahlkampf eingreifen darf
oder soll, hat diese Bundesregierung zusammen mit den
16 Ministerpräsidenten der Länder Föderalismusge-
schichte geschrieben.

Als ostdeutsche Abgeordnete freue ich mich über das
Ergebnis vom vergangenen Wochenende ganz besonders.


(Beifall bei der SPD)

Als im November der Urteilsspruch aus Karlsruhe ver-
kündet wurde, hätte ich nicht geglaubt, dass die Grund-
linien einer Entscheidung zum Länderfinanzausgleich
und zum Solidarpakt II vor der Sommerpause des Jahres
2001 einvernehmlich beschlossen werden würden.

Noch eine kleine Korrektur an die Adresse von Frau
Merkel: Sie hatten in Ihrer Rede vorhin behauptet, der
Bundeskanzler habe über den Solidarpakt gar nicht reden
wollen. Mir ist ein Zettel zugeleitet worden, auf dem
steht: „In der Sitzung vom 29. Mai 2000 im Bundeskanz-
leramt in Berlin hat Bundeskanzler Schröder vorgeschla-
gen und dann mit den ostdeutschen Ministerpräsidenten
vereinbart, dass bis spätestens Ende 2001 der Solidar-

(sowie der Länderfinanzausgleich und das Maßstäbegesetz)

kanzler, gebührt Ihnen, den Ministerpräsidenten und auch
Finanzminister Eichel Dank,


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Rita Grießhaber [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dank, wie ich meine, des ganzen Hauses.
Eines ist deutlich geworden: Das föderale System auch

der wiedervereinten Bundesrepublik Deutschland ist in
entscheidenden Fragen unseres Landes handlungs- und
konsensfähig. Allen Unkenrufen zum Trotz: Diese Ge-
sellschaft und ihre politischen Repräsentanten sind zur
Solidarität bereit und fähig.


(Beifall bei der SPD)

Mit diesem Kompromiss – ich nenne es auch vertrau-

ensbildende Maßnahme – wurde der Weg für das Maß-
stäbegesetz frei gemacht, das, wie bereits gesagt wurde,
die F.D.P. heute im Ausschuss ablehnt hat. Die Auslas-
sungen von Herrn Westerwelle haben bei mir eigentlich
nur den Eindruck erweckt, dass er von den Finanzbezie-
hungen zwischen Bund und Ländern eher wenig Ahnung
hat.


(Beifall bei der SPD)

Für mich heißt die zentrale Botschaft: Die Menschen in

den neuen Ländern können sich auch in den beiden kom-

menden Jahrzehnten auf die notwendige Solidarität der
alten Länder verlassen. Wir haben immer gesagt: Der Auf-
bau Ost ist eine Generationenaufgabe. Wer blühende
Landschaften und die Angleichung der Lebensverhält-
nisse zwischen Ost und West in nur wenigen Jahren ver-
spricht, belügt die Menschen. Ihre heutige Rede, Frau
Merkel, hat dem noch eins draufgesetzt.

Wir können uns jetzt an einem konkreten Datum, näm-
lich dem Jahr 2020, orientieren. Bis dahin kann der Aufbau
Ost abgeschlossen sein. Bis dahin wird es Sonderhilfen ge-
ben. Bis dahin brauchen wir die Solidarität der Bürgerinnen
und Bürger aus den alten wie den neuen Bundesländern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Danach ist Schluss mit einer Sonderbehandlung Ost. Sie
wird – und davon bin ich überzeugt – dann auch nicht
mehr nötig sein; denn dann können die Länder und Ge-
meinden im Osten genauso behandelt werden wie die im
Westen. Ich halte die Perspektive 2020 für realistisch.
Dann werden 30 Jahre Aufbau Ost hinter uns liegen. Die
große Generationenaufgabe, die Umwandlung einer kom-
munistischen Staatswirtschaft mit all ihren Folgen in die
soziale Marktwirtschaft, kann dann bewältigt sein.

Meine Damen und Herren, an den Vereinbarungen des
vergangenen Wochenendes schätze ich ganz besonders,
dass wir jetzt ganz konkret den finanziellen Rahmen der
Hilfen für die neuen Länder kennen. Diese Festlegung des
Bundes und der Länder ist sehr viel wert, vielleicht mehr
wert als die konkreten Summen, die ausgehandelt wur-
den. Länder und Gemeinden haben jetzt Sicherheit. Sie
können nun planen und wissen, dass diese Planungen auf
festem Boden stehen.

Ich bin mir darüber im Klaren, dass das Beratungser-
gebnis vom vergangenen Wochenende auch in seiner fi-
nanziellen Dimension ein Kompromiss ist. Etliche unrea-
listische Forderungen, die uns in den vergangenen
Wochen zum Beispiel aus Thüringen erreichten, haben
das letzte Wochenende nicht überlebt. Auch manche wis-
senschaftlich untermauerten Berechnungen über alle
möglichen Lücken wurden auf das Erreichbare und
Machbare zurechtgerückt.

Finanzpolitik ist ein hartes Geschäft. Finanzpolitik im
Europa des 21. Jahrhunderts spielt sich zudem nicht mehr
allein im nationalen Rahmen ab. Die finanziellen Forde-
rungen und Erwartungen der neuen Länder mussten in
Einklang mit den Erfordernissen einer nachhaltigen
Finanzpolitik gebracht werden, wie es der Maastricht-
Vertrag und der Europäische Stabilitäts- und Wachs-
tumspakt verlangen. Innerhalb dieser finanzpolitischen
Leitplanken – das Markenzeichen des seriösen und soliden
Finanzministers Eichel – bewegt sich der Kompromiss
vom 24. Juni. Nach der Steuer- und der Rentenreform ist
jetzt mit den Beschlüssen zum Länderfinanzausgleich und
zum Solidarpakt II die Voraussetzung geschaffen worden,
ein weiteres Großprojekt der Reformagenda dieser Bun-
desregierung zu einem guten Abschluss zu bringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Kompromiss vom 24. Juni ist alles andere als ein
bloßes „Weiter so!“, wie es hier und da zu hören war. Mit




Sabine Kaspereit
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(C)



(D)



(A)



(B)


den Beschlüssen vom vergangenen Wochenende tritt der
Aufbau Ost vielmehr in eine neue Phase ein. Die neuen
Länder und die Gemeinden im Osten erhalten jetzt mehr
Selbstbestimmung, aber auch mehr Eigenverantwortung.
Dadurch wird es den Ländern selbst möglich, die oft ge-
forderte größere Zielgenauigkeit und Effizienz der Förde-
rung zu erreichen. Ich glaube, das ist ein sehr folgerichti-
ger Schritt für die zweite Hälfte des Aufbaus Ost.

Ich unterstütze dabei ausdrücklich die Forderung an
die neuen Länder, jährlich „Fortschrittsberichte Aufbau
Ost“ dem Finanzplanungsrat vorzulegen, in denen erstens
ihre Fortschritte bei der Schließung der Infrastruktur-
lücke, zweitens die Verwendung der Mittel aus dem Soli-
darpakt und drittens die finanzwirtschaftliche Entwick-
lung der Länder- und Kommunalhaushalte einschließlich
der Begrenzung der Neuverschuldung dargelegt werden.
Das ist eine legitime Forderung des Bundes und der west-
deutschen Länder. Ich möchte anregen, dass der Deutsche
Bundestag diese Fortschrittsberichte und deren Bewer-
tung durch die Bundesregierung zur Kenntnis erhält und
darüber jährlich debattiert.

Der Kompromiss vom 24. Juni sichert nicht nur die fi-
nanziellen Voraussetzungen für den weiteren Aufbau in
den neuen Ländern. Er ist gleichzeitig ein wichtiger Zwi-
schenschritt bei der Modernisierung unserer föderalen
Ordnung. Die bundesstaatliche Ordnung steht vor einem
bedeutenden Umbau. Bundeskanzler Schröder hat Recht:
Das föderale Modell der Bundesrepublik Deutschland hat
eine gute Zukunft. Alle Parteien in diesem Hause, so hoffe
ich, stimmen mit ihm darin überein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418001700
Das Wort
hat jetzt der Ministerpräsident des Freistaates Sachsen,
Professor Dr. Kurt Biedenkopf.

Dr. Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident (Sachsen)


(von Abgeordneten der CDU/CSU mit Beifall begrüßt):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Der Aufbau des Ostens bleibt eine gesamtdeutsche Auf-
gabe. Das ist nach meiner Auffassung – darin stimme ich
mit Herrn Stolpe überein – eine der wichtigsten Aussagen
des vergangenen Wochenendes. Alles das, was zur Leis-
tungsfähigkeit des Föderalismus und zur Zusammenarbeit
gesagt worden ist, möchte ich nicht wiederholen. Ich
möchte in meiner Rede auf eine Reihe von Gesichts-
punkten hinweisen, die die Zukunft betreffen.

Der Gesamtstaat stellt weiterhin Mittel bereit, um die
teilungsbedingten Rückstände des Ostens insbesondere
im Infrastrukturbereich zu überwinden. Das bedeutet
nicht – wenn ich hier einmal eine sprachliche Differen-
zierung empfehlen darf –, dass der Westen dem Osten
hilft, sondern dass der Aufbau Ost eine gesamtstaatliche
Aufgabe ist, an deren Gelingen alle ein Interesse haben,
der Westen genauso wie der Osten.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Wir haben jetzt auch Klarheit über die zeitliche Di-
mension, die realistisch ist. Aber nicht nur der Solidar-
pakt II – das ist ebenfalls wichtig – läuft im Jahre 2019
aus, sondern auch der Finanzausgleich. Das heißt, man hat
sich insgesamt darauf verständigt, nach dem Zeitraum
von weiteren gut 18 Jahren eine Gesamtrevision des Zu-
standes und der Entwicklung des Landes vorzunehmen.

Wir haben mehr Entscheidungsspielräume. Frau Kol-
legin Kaspereit, es war keine Forderung des Bundes, dass
die ostdeutschen Länder Berichte erstatten.


(Hans Eichel, Bundesminister: So ist es!)

Vielmehr haben die ostdeutschen Länder den Vorschlag
gemacht, als Gegenleistung für höhere Flexibilität Be-
richte zu erstatten. Vielleicht können sich die westdeut-
schen Länder diesem Vorschlag eines Tages anschließen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Wenn das geschähe, dann diskutierten wir im Bundestag
über die Leistungsfähigkeit aller deutschen Länder und
nicht nur über die der Länder im Osten.

Der entscheidende Grund für das Angebot und für den
Wunsch nach mehr Ermessensspielraum war in der Tat
die in der Vergangenheit gemachte Erfahrung, dass so-
wohl im Bereich der gemeinsamen Finanzierung wie im
Bereich definierter Programme Entscheidungen enthalten
sind, die nicht immer den konkreten Bedürfnissen und
Notwendigkeiten der jeweiligen Regionen entsprechen.
In diesem Sinne ist es verkehrt, immer von den ostdeut-
schen Ländern zu sprechen. Es gibt in den verschiedenen
Ländern verschiedene Bedingungen, die berücksichtigt
werden müssen und in Zukunft berücksichtigt werden
sollten.

Es war von „Leitplanken“ die Rede. Mit dem Solidar-
pakt II sind drei Leitplanken verbunden, die den Hand-
lungsspielraum der ostdeutschen Länder in Zukunft be-
einträchtigen, man kann auch sagen: leiten werden.

Bei der ersten Leitplanke geht es um den Umstand,
dass wir der Wirkung einer doppelten Degression ausge-
setzt sind: die vereinbarte Degression, die etwa nach 2008
nachhaltig einsetzt, und die Degression durch die Geld-
entwertung. Beides ist vor dem Hintergrund zu sehen,
dass die Ausgabenseite nominal nicht unverändert bleibt.
Unsere Personalkosten – die Personalkosten der Länder
sind wesentlich höher als die des Bundes – werden sich
selbstverständlich dynamisch entwickeln. Wir werden da-
rüber hinaus die durch die Inflation bewirkte Preissteige-
rung verkraften müssen. Das heißt: De facto werden un-
sere Haushalte selbst dann, wenn die Steuerentwicklung
im eigenen Land günstig verläuft, über einen langen Zeit-
raum nicht größer werden.

Die zweite Leitplanke sind die im Finanzausgleich
festgelegten Grundlagen, die allerdings, soweit sich die
Steuereinnahmen entsprechend entwickeln, dynamisch
sind.

Die dritte Leitplanke ist der Stabilitätspakt. Der Sta-
bilitätspakt soll – das haben wir verabredet – in kurzer
Zeit unsere Verschuldungsgrenzen festlegen.




Sabine Kaspereit

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(C)



(D)



(A)



(B)


Wir müssen in den kommenden gut 18 Jahren also
mit – im günstigsten Fall – real stabilen Haushalten rech-
nen. Ich glaube nicht, dass die Stärkung der Steuerkraft im
Osten höher als die mit den Degressionen verbundenen
Rückläufe sein wird. Ich finde das im Übrigen nicht
schlecht. Nur, es ist eine ganz besondere Herausforde-
rung, die die westlichen Bundesländer mit uns nicht tei-
len. Wenn man die gesamtpolitische Lage betrachtet, dann
muss man das sehen.

Wenn in den nächsten Jahren Gesetze beraten werden,
dann sollte dabei – das ist meine Bitte an dieses Hohe
Haus – immer die Frage berücksichtigt werden, ob die be-
sondere Situation im Osten nicht auch eine höhere Flexi-
bilität erforderlich macht. Es kann durchaus sein, dass
sich die wohlhabenden Länder in Westdeutschland – sie
werden die wohlhabenderen bleiben – mit gewissen Er-
starrungserscheinungen der Bürokratie abfinden, weil sie
sie nicht als so nachteilig empfinden. In den ostdeutschen
Ländern wird sich jede unnötige, aus der gesamtstaatli-
chen Sicht nicht unbedingt erforderliche Restriktion des
Bewegungsspielraums in Nachteilen im Hinblick auf die
Anpassungsfähigkeit und die Steigerung der Effizienz der
Mittelverwendung niederschlagen. Das muss nach meiner
Auffassung berücksichtigt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Gestaltungsspielräume können sich auch nicht nur

auf die Kommunalpolitik erstrecken. Der Zusammenhang
zwischen dem, was ich eben gesagt habe, und der mit den
Ländern einvernehmlich vereinbarten Neuordnung der
Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern ist offen-
sichtlich. Wir brauchen mehr Bewegungsspielraum, ins-
besondere für die ostdeutschen Länder, damit sie die
schwierige Aufgabe, mit nicht real steigenden Haushalten
über eine längere Zeit ihre Aufgaben zu erfüllen, leisten
können.

Ich will das an zwei Beispielen deutlich machen. Das
eine Beispiel ist die Hochschulrahmengesetzgebung.
Wir aus Ostdeutschland haben seit Jahren – schon gegen-
über der vorherigen Regierung wie auch gegenüber der
jetzigen – immer wieder gesagt: Gebt uns mehr Spielraum
bei der Gestaltung der Hochschulen, als die westdeut-
schen Länder sie offenbar für sich in Anspruch nehmen.
Das ist nicht gelungen. Die Folge ist, dass wir eine ganze
Reihe von Strukturen zunächst als eine Art Oktroi über-
nehmen mussten, die sich als unbrauchbar oder wenig
brauchbar erweisen und die wir jetzt mühsam wieder ab-
bauen müssen. Wir wollen diese Art von Einengung bei
der uns gestellten besonderen Aufgabe so weit wie mög-
lich zu vermeiden suchen.

Das andere Beispiel ist die Modulation in derAgrar-
politik.Modulation in der Agrarpolitik heißt, dass sich bis
zu einer bestimmten Betriebsgröße nichts ändern soll,
dann aber mit steigender Betriebsgröße die Zahlungen
zurückgehen sollen, das heißt, eine Degression einsetzt.
Es kann sehr wohl sein, dass diese Degression genau die
fortschrittlichen Strukturen in der Agrarwirtschaft be-
straft,


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Richtig!)


die wir eigentlich aufbauen wollen, um die Agrarwirt-
schaft leistungsfähig, insbesondere auch im Blick auf die
Osterweiterung zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte:

Bitte bedenken wir bei der Umsetzung der Entscheidun-
gen der letzten Tage, die auch nach meiner Auffassung ein
erfreuliches, wichtiges und die gesamtstaatliche Verant-
wortung konkretisierendes Ereignis waren,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr richtig!)


dass insbesondere die ostdeutschen Länder von der
Osterweiterung betroffen sein werden. Die ersten und
wichtigsten Auswirkungen im zwischenstaatlichen Ver-
hältnis und im sich erweiternden Grenzbereich müssen
von den Menschen in den Ländern aufgefangen werden,
die an der deutsch-polnischen und an der deutsch-
tschechischen Grenze liegen. Das sind Mecklenburg-Vor-
pommern, Brandenburg, Sachsen und im unmittelbaren
Einzugsfeld auch Berlin.

Hier brauchen wir nicht Hilfe im finanziellen Sinne,
sondern Hilfe im Sinne des Verständnisses für die beson-
dere Lage, in der wir uns befinden, und damit auch Rück-
sichtnahme auf diese besondere Lage, wenn gesamtstaat-
liche Entscheidungen getroffen werden. Wenn uns das
gelingt, wird die zukünftige Entwicklung nicht mehr so
sehr ein finanzpolitisches Problem sein, sondern ein Test
für unsere gesamtstaatliche Gestaltungsfähigkeit, überall
dort, wo Vielfalt besser ist als Einheitlichkeit.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418001800
Als nächs-
tem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Carsten
Schneider von der SPD-Fraktion.


Carsten Schneider (SPD):
Rede ID: ID1418001900
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Das vergangene Wochenende
mit seinen Entscheidungen zum Finanzausgleich und zum
Solidarpakt war ein Erfolg des Föderalismus. Es war ein
Erfolg für die neuen Länder und ihre Bürgerinnen und
Bürger, für Investoren und für die junge Generation. Ich
möchte es mir daher nicht nehmen lassen, dem Bundes-
kanzler für seine Bemühungen und sein Engagement zu
danken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Uns Menschen in den neuen Ländern wurde durch die
gefundene Lösung gezeigt, dass ihr Vertrauen in die Bun-
desregierung mehr als gerechtfertigt ist.


(Beifall bei der SPD)

Die Entscheidung für den Solidarpakt gibt Sicherheit,

einerseits den Ländern und andererseits den Investoren,
und vermittelt, dass die neuen Länder eine gute Zukunft




Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen)

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(C)



(D)



(A)



(B)


haben, dass es sich mehr denn je lohnt, in den neuen Län-
dern zu wohnen und zu arbeiten, Kinder zu zeugen und
diese dort zu erziehen. Wenn es noch eines Beweises be-
durft hätte, hat die Bundesregierung mit dieser Entschei-
dung gezeigt, wie wichtig ihr der Aufbau Ost ist und wie
wichtig ihr die Menschen in den neuen Ländern sind.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen: Die
Menschen in den neuen Ländern trifft keine Schuld für die
40 Jahre dauernde Teilung unseres Vaterlandes.

Bei allem Lob, das heute gerechtfertigt ist, dürfen wir
jedoch nicht übersehen, dass erst ein Teil des Weges
zurückgelegt wurde. Ein weitaus größerer Teil des Weges
liegt noch vor uns. 300 Milliarden DM sind eine Menge
Geld. Es ist notwendig und richtig, dieses Geld im Osten
zu investieren. Doch Geld allein reicht nicht aus. Es liegt
jetzt an den Ländern, die Mittel auch sinnvoll, effektiv
und mit dem größtmöglichen Nutzen für die Menschen
einzusetzen. Wir haben allen Grund zum Optimismus,
wenn wir diese Entscheidung als Chance begreifen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer behauptet, die
neuen Bundesländer seien ein Fass ohne Boden, der spielt
verantwortungslos mit Ressentiments und dumpfen Vor-
urteilen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Das kann jeder sehen, der mit offenen Augen Mecklen-
burg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sach-
sen, Thüringen oder auch den Ostteil Berlins besucht. Mit
dem Solidarpakt II hat der Bundeskanzler die Vorausset-
zungen dafür geschaffen, dass der Aufbau weitergeht. Die
Verantwortung für den sinnvollen Einsatz der Mittel liegt
jetzt bei den Ländern.

So richtig und wichtig ich die Stärkung des Föderalis-
mus auch finde, sei mir an diesem Tag doch auch eine kri-
tische Anmerkung erlaubt: Es gab in den letzten Jahren
auch Fehlentscheidungen. Es wurden Investitionen geför-
dert, die dem normalen Menschenverstand widersprechen.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus meiner Heimat: Obwohl in
Thüringen viele Schulgebäude eine dringende Moderni-
sierung nötig hätten, wurden riesige und unzählige
Spaßbäder mit bis zu 80 Prozent subventioniert, wurden
Steuergelder in Unternehmen investiert, deren Niedergang
abzusehen war. Diese Liste ließe sich leider verlängern.

In der Zukunft – das ist mein Rat an die Länder, die nun
mehr Verantwortung tragen – sollten nicht mehr Unter-
nehmen gefördert werden, deren Sterben damit nur ver-
längert wird, sondern sollte gezielt in zukunftsträchtige
Industrie- und Unternehmenszweige investiert werden, in
Unternehmen, die nachhaltig Arbeitsplätze schaffen und
den Aufschwung sichern. Ich halte daher die getroffene
Regelung, dass die Länder jährlich über die Verwendung
der Mittel und die erzielten Fortschritte Rechenschaft ab-
legen müssen, für eine gute Lösung. Ich begrüße den Vor-
schlag meiner Kollegin Sabine Kaspereit, diese Berichte
auch im Bundestag zu debattieren.


(Beifall bei der SPD)


Durch diese Lösung wird Verantwortung nachvollziehbar,
können Erfolge dargestellt und kann möglichen Fehlent-
wicklungen rechtzeitig entgegengewirkt werden.

Wir müssen nur aufpassen, dass dieses Geld in den
Länderhaushalten nicht verkonsumiert wird, es also
nicht dazu führt, dass der Reformdruck von den Ländern
genommen wird. Jetzt sind die Länder selbst gefragt,
Konzepte zu erarbeiten und diese umzusetzen. Patent-
rezepte gibt es weder in der Wissenschaft noch, glaube
ich, in unseren Reihen. Eines aber muss meines Erachtens
klar sein: Die Länder müssen diese Mittel zum größten
Teil investiv einsetzen, obwohl es – wie gesagt – keine
explizite Zweckbindung mehr geben wird.

Die langfristige Planbarkeit der Mittel ermöglicht vo-
rausschauende Strategien. Entwicklungschancen sehe ich
in der EU-Osterweiterung und dem Ausbau der vorhan-
denen Potenziale in den Regionen. Hierbei sind neben
dem Ausbau der Infrastruktur, den ich für absolut vorran-
gig halte, vor allem die Hochschullandschaft und der in-
dustrienahe Forschungsbereich zu stärken. Lassen Sie
mich dabei ein aus meiner Sicht sehr großes Problem an-
sprechen: Der gezielte Aufbau und der Erhalt der ostdeut-
schen Forschungslandschaft werden nur gelingen, wenn
wir es schaffen, die besten Köpfe im Osten zu halten.


(Beifall bei der SPD)

Dies erfordert dann allerdings auch eine vergleichbare
Bezahlung. Die subjektive Wahrnehmung von vielen Ost-
deutschen ist, dass die jungen Leute den Osten verlassen.
Auch in meinem Bekanntenkreis gibt es einige, die vor
der Entscheidung stehen, entweder in Erfurt für, wenn es
gut geht, 86 Prozent und vier, fünf Stunden mehr zu ar-
beiten oder in Frankfurt eine Chance zu ergreifen, wo es
ein höheres Salär gibt und die Perspektiven besser sind.
Deswegen glaube ich, dass wir in diesem Punkt – ich
weiß, dass das besonders die Berufsschullehrer im Osten
trifft – eine stärkere Differenzierung brauchen.

Ich springe aber nicht auf den Zug auf, zu behaupten,
es sei schlecht, dass junge Leute Ostdeutschland verlas-
sen. Ich glaube, es ist wichtig, dass man seinen eigenen
Kirchturm verlässt und einen Teil der Welt sieht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Unser Ziel muss es sein, junge Leute aus anderen Regio-
nen – dabei denke ich gerade an die EU-Osterweiterung –
nach Ostdeutschland zu holen,


(Beifall bei der SPD)

um sie bei uns auszubilden, auch an den Universitäten, da-
mit sie dann vielleicht dableiben. Das wäre eine gesunde
Entwicklung. Ich hoffe, dass uns diese Internatio-
nalisierung, die nicht einmal viel Geld kosten muss, die
aber eine Offenheit in der Region gegenüber Fremden und
anderen Kulturen voraussetzt, gelingt.


(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie uns aber nicht vergessen, dass die deutsche

Einheit Teil einer größeren, einer europäischen Einheit ist.
Mit der Osterweiterung rückt Deutschland ein Stück
näher ins Zentrum der Europäischen Union.




Carsten Schneider

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(C)



(D)



(A)



(B)


Mit dem Solidarpakt II stellt die Bundesregierung da-
her nicht nur die Zukunftsfähigkeit der neuen Bundeslän-
der sicher, sondern schafft gleichzeitig die Voraussetzung
für eine erfolgreiche EU-Osterweiterung. Dies kann eine
Riesenchance sein: für die neuen Bundesländer, für
Deutschland und für Europa. Lassen Sie uns diese Chance
gemeinsam nutzen!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418002000
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Paul Krüger von der CDU/CSU-
Fraktion.


Dr. Paul Krüger (CDU):
Rede ID: ID1418002100
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit
dem Solidarpakt II beginnt quasi eine neue Entwick-
lungsphase in Deutschland. Aus meiner persönlichen,
subjektiven Sicht ist das die zweite Phase der Wiederver-
einigung. Ich nehme mit meiner heutigen Rede Abschied
aus dem Parlament und aus der Bundespolitik. Meine Zeit
in diesem Parlament entsprach gewissermaßen der ersten
Phase der Wiedervereinigung, vom Einigungsvertrag bis
hin zum Solidarpakt I in seiner Ausführung. Rein ma-
teriell gesehen war dieser Einigungsprozess die größte
Solidarleistung der Weltgeschichte. Wir haben einen
Transfer von insgesamt weit über 1 Billion DM in dieser
Zeit bewältigt.

Es gab während meiner parlamentarischen Arbeit viele
Diskussionen, ob dieses Geld gut angelegt war oder nicht.
Ich darf an dieser Stelle sagen: 75 Prozent aller Gelder, die
in die neuen Bundesländer geflossen sind, waren für So-
zialleistungen und Zuweisungen an Bund und Länder.
17 Prozent der Gelder gingen in den Infrastrukturausbau.
Ich glaube, das war gut angelegtes Geld. Nur 8 Prozent
dieser Gelder waren reine Subventionen. Wenn man das
hochrechnet, machen diese 8 Prozent etwa 11 Milliar-
den DM pro Jahr aus. Wenn man diese in Relation
zur Steinkohleförderung setzt, die noch bis Mitte der
90er-Jahre jährlich 10 Milliarden DM betrug, dann ist das
meiner Meinung nach ein guter Beleg dafür, dass diese
Gelder gut angelegt und nicht verschwendet waren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der F.D.P. und des Abg. Oswald Metzger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Nun stehen wir vor der zweiten Phase der Wiederver-
einigung. Der Solidarpakt II bedeutet vor allem eine An-
erkennung weiterer Solidarleistungen für die neuen Bun-
desländer auf lange Zeit. Er wurde – das ist hier gesagt
worden – mit großer Einmütigkeit beschlossen. Wir ha-
ben, wenn wir hier diskutiert und gestritten haben und am
Ende große Interessenkonflikte bewältigt wurden, oft ge-
sagt: Wenn alle gleich laut schreien, dann haben wir es
richtig gemacht.

Diesmal haben offensichtlich alle gewonnen. Es muss
also ein guter Kompromiss gefunden worden sein. Ich
glaube, dass Wichtigste an diesem Kompromiss ist, dass
wir langfristige Planungssicherheit haben. Negativ ist,
dass die Hauptlast der Bund trägt und dass die Schulden

aus dem Fonds Deutsche Einheit langfristig weiter auf
kommende Generationen überwälzt werden. Negativ ist
auch, dass wir befürchten müssen, dass der Soli-Zuschlag,
der ja ein reines Refinanzierungsinstrument des Bundes
ist, auf lange Zeit festgeschrieben und damit zu weiteren
Belastungen der Wirtschaft führen wird.

Gut ist sicherlich die stärkere Beachtung der kommu-
nalen Finanzkraft. An dieser Stelle darf ich daran erin-
nern, dass die Kommunen in den neuen Bundesländern
derzeit ein Finanzaufkommen haben, das im Verhältnis zu
dem der westdeutschen Kommunen unter 40 Prozent, bei
etwa 36 Prozent, liegt. Auch 2005, wenn der Solidar-
pakt II zu wirken beginnt, wird die Steuerkraft dieser
Kommunen weniger als 50 Prozent der der westdeutschen
Kommunen betragen.

Gut ist auch, dass die Länder mehr Eigenständigkeit
bei der Verwendung der Gelder bekommen – eine echte
Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips. Dieses Mehr an
Freiheit für die Länder bedeutet aber auch mehr Verant-
wortung, insbesondere für das Hauptproblem der gegen-
wärtigen Entwicklung in den neuen Bundesländern, die
Abwanderung der Menschen. Diese Abwanderung vor
allem der jungen und leistungsfähigen Menschen ist we-
niger ein quantitatives Problem als ein qualitatives Pro-
blem. Mit den jungen und den leistungsfähigen Menschen
gehen auch die Investitionen, die wir in die Köpfe getätigt
haben, quasi die mobilen Investitionen in die neuen Län-
der, und damit die Zukunftschancen verloren. Dem entge-
genzuwirken ist sicherlich auch ein Anliegen dieses Soli-
darpakts II. Gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und
West wären für diesen Prozess sicherlich sehr förderlich.

Letztlich aber, meine Damen und Herren, ist mit dem
Solidarpakt II nur der Geldtransfer geregelt. Nicht gere-
gelt ist, wie dieses Geld angelegt wird. Es kommt jetzt da-
rauf an, was wir mit diesem Geld machen.

Gerade die letzten Jahre geben wenig Anlass zu Hoff-
nung: nicht nur, dass die Bundesregierung insgesamt wirt-
schaftpolitisch falsche Weichenstellungen vorgenommen
hat – wir stehen, das wurde heute zutreffend erwähnt, hin-
sichtlich der Dynamik der Wirtschaft auf dem letzten
Platz in Europa und haben zudem eine exorbitant hohe In-
flationsrate –, sondern auch die Belastungen für den Osten
sind enorm gewachsen. Darüber haben wir hier vielfältig
diskutiert. Angela Merkel hat einige Beispiele dafür ge-
nannt. Ich denke nur an die hohe Belastung des Mittel-
standes, und ich denke an die Belastung durch die Öko-
steuer, die in den neuen Bundesländern besonders stark
wirkt.

Besonders besorgt aber bin ich, weil unter Gerhard
Schröder, unter diesem Bundeskanzler, der Aufbau Ost
von der Herzenssache zu einer Nebensache geworden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Blanker Unsinn!)


Wir brauchen deshalb vor allem mehr Aufmerksamkeit
für die neuen Bundesländer. Neben der finanziellen Aus-
stattung sind vor allem die richtigen Schwerpunktsetzun-
gen wichtig. Wir hatten in der letzten Woche eine An-
hörung zur wirtschaftlichen Entwicklung in den neuen
Ländern. Dort haben uns die Experten noch einmal sehr
deutlich gesagt, worauf es ankommt. Vor allem kommt es




Carsten Schneider
17738


(C)



(D)



(A)



(B)


auf den Infrastrukturausbau an, insbesondere auf den
Ausbau der Verkehrswege.

Aber neben diesen materiellen Investitionen geht es vor
allem auch um immaterielle Investitionen in den neuen
Ländern. Wir brauchen effektivere Ausbildungsstrukturen.
Wir müssen das Defizit zwischen Angebot und Nachfrage
an Arbeitskräften beheben helfen. Derzeit besteht in den
neuen Ländern folgender Widerspruch: Auf der einen Seite
suchen die Unternehmen Fachkräfte und finden keine und
auf der anderen Seite suchen die jungen Leute Jobs und fin-
den keine. Hier ist ein zentraler Ansatz zum Handeln gebo-
ten. Ich meine, wir müssen uns sehr viel mehr Gedanken
über die Effektivität der Ausbildung machen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Darüber hinaus brauchen wir in den neuen Bundeslän-

dern vor allem mehr Innovationen. Wer mich kennt, weiß,
dass mich das Feld der Innovationen in der gesamten Zeit
meiner parlamentarischen Tätigkeit besonders bewegt hat
und dass ich mich da besonders engagiert habe. Dazu
gehören vielfältige Maßnahmen, von der Förderung von
Forschung und Entwicklung über die Bildung regionaler
Cluster bis hin zu neuen Finanzierungsspektren und Fi-
nanzierungsstrukturen. Ich habe mich in den zehn Jahren
meiner Zugehörigkeit zum Bundestag nicht nur mit vielen
Fragen der deutschen Einheit beschäftigt, sondern beson-
ders lagen mir die Innovationen am Herzen. Ich habe in
den letzten sieben Jahren sehr nachhaltig für ein Instru-
ment gekämpft, welches die Investitionen in die Köpfe
fördert, nämlich die Innovationszulage. Die derzeitigen
Förderinstrumente richten sich fast ausschließlich auf ma-
terielle Investitionen, auf Investitionen in Beton und Eisen.
Die interessanten Firmen, die wir brauchen – gerade auch
in den neuen Bundesländern –, sind aber weniger auf ma-
terielle Investitionen angewiesen. Sie erfordern Investitio-
nen in Personal, in Forschung und Entwicklung, in die
Köpfe. Deshalb möchte ich Sie alle bitten, sich diesem In-
strument doch noch einmal zuzuwenden. Die Innovati-
onszulage könnte uns in den nächsten Jahren wirklich er-
hebliche Fortschritte in der Entwicklung gestatten. Deshalb
möchte ich, nachdem ich dafür sieben Jahre erfolglos
gekämpft habe und vor allen Dingen an den Voten der Län-
dern gescheitert bin, hier noch einmal dafür werben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Im Übrigen haben bei der bereits erwähnten Anhörung
letzte Woche alle Experten dieses Instrument noch einmal
befürwortet.

Die Ergebnislosigkeit dieses Kampfes zeigt, wie
schwer es manchmal ist, in diesem Parlament erfolgreich
zu sein. Glücklicherweise konnte ich in den zehn Jahren
meiner Arbeit hier an vielen bedeutenden Entscheidungen
teilhaben. Ich gehe deshalb insgesamt mit sehr guten Ge-
fühlen aus diesem Parlament und schaue mit guten Ge-
fühlen auf meine Arbeit zurück. Ich habe viele interes-
sante Menschen kennen gelernt. Ich habe viele Freunde
gefunden. Wir haben gemeinsam um und für die deutsche
Einheit gerungen.

Der Soli II bietet Voraussetzungen für eine gute Ent-
wicklung in den neuen Ländern. Es kommt nun darauf an,
dies in den vielen weiteren politischen Entscheidungen

richtig umzusetzen. Dazu wünsche ich euch und Ihnen
weiterhin viel Glück und Erfolg.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die
größte innenpolitische Herausforderung unserer Nation,
um die Gestaltung der deutschen Einheit. Ich bin dankbar,
dass ich dabei sein durfte.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418002200
Herr Kol-
lege Paul Krüger, Sie haben Ihre letzte Rede vor dem
Deutschen Bundestag gehalten. Sie sind zum Oberbür-
germeister von Neubrandenburg gewählt worden und
werden deshalb in der Sommerpause aus diesem Hause
ausscheiden. Ich darf Ihnen im Namen des ganzen Hauses
für Ihre erfolgreiche Arbeit im Deutschen Bundestag, in
der Bundesregierung und auch in der ersten frei gewähl-
ten Volkskammer vielmals danken. Ich wünsche Ihnen für
Ihre wichtige Aufgabe im Sinne und im Interesse der Bür-
ger von Neubrandenburg viel Erfolg und eine gute Hand.


(Beifall im ganzen Hause)

Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes

(Art. 108)

– Drucksache 14/6144 –

(Erste Beratung 173. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Finanzverwal-
tungsgesetzes und anderer Gesetze
– Drucksache 14/6140 –

(Erste Beratung 173. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/6470 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Frank Schmidt (Weilburg)

Jochen-Konrad Fromme
Carl-Ludwig Thiele

Ich weise darauf hin, dass wir über den Gesetzentwurf
zur Änderung des Grundgesetzes gleich namentlich ab-
stimmen werden.

Interfraktionell ist vereinbart worden, dass eine
Aussprache nicht erfolgen soll. – Ich sehe, dass Sie damit
einverstanden sind.

Das Wort zur Berichterstattung hat der Kollege
Dr. Frank Schmidt.




Dr.-Ing. Paul Krüger

17739


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Frank Schmidt (Weilburg) (SPD):
Rede ID: ID1418002300
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Änderung des
Art. 108 des Grundgesetzes sowie dem Gesetz zur Ände-
rung des Finanzverwaltungsgesetzes wird das Ziel ver-
folgt, die bestehende Finanzverwaltung aufgabenbezogen
und vor allem flexibel zu organisieren. Es sollen – davon
können alle ausgehen und davon sind wohl auch alle über-
zeugt – effiziente und kostengünstige Verwaltungsstruk-
turen geschaffen werden. Dies ist ein Beitrag zur Moder-
nisierung der Finanzverwaltung und damit auch ein
Beitrag auf dem Weg zum oftmals geforderten schlanken
Staat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Bund und Länder gehen in diesem Anliegen Hand in

Hand; denn auch von den Ländern wurden viele Initiati-
ven an uns herangetragen, diese Grundgesetzänderung,
die wohl notwendig ist, durchzuführen. Sie sind einmütig
für den Ihnen vorliegenden, leicht geänderten Gesetzent-
wurf.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, worum geht es? Es
geht vor allen Dingen darum, den Ländern anzudienen,
die Dreigliedrigkeit der Finanzverwaltung – Finanzämter,
Oberfinanzdirektionen und Finanzministerium – ändern
zu können. Das wollen einige Bundesländer auch ma-
chen. Die Länder sollen also die Möglichkeit erhalten, die
Struktur ihrer Finanzverwaltung, insbesondere die Mittel-
behörden betreffend, zu ändern und gegebenenfalls die
Oberfinanzdirektionen wegfallen zu lassen.

Mit der Verfassungsänderung wird die rechtliche Vo-
raussetzung für die Flexibilisierung des Behördenaufbaus
geschaffen. Mit dem Gesetzentwurf zur Änderung des Fi-
nanzverwaltungsgesetzes wird diese rechtliche Möglich-
keit gesetzlich festgeschrieben. Bund und Länder erhalten
nunmehr die Möglichkeit – wie ich eben schon erwähnt
habe –, statt einer dreistufigen eine zweistufige Finanz-
verwaltung zu gestalten und die Aufgabengebiete neu zu
gliedern.

Dieses Anliegen wurde von allen Fraktionen im zu-
ständigen Finanzausschuss mitgetragen. Die Regelung
wurde um eine vonseiten der F.D.P. – insbesondere durch
Herrn Kollegen Thiele; deswegen noch ein herzliches
Dankeschön an Sie – angeregte Formulierung ergänzt,
sodass nun ein einmütiger Gesetzentwurf zur Änderung
des Grundgesetzes vorliegt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesen Gesetz-
entwürfen wird der Grundstein zu einer zukunftsorientier-
ten und modernen Finanzverwaltung gelegt. Ich darf Sie
daher um Zustimmung zu diesen Gesetzentwürfen bitten.

Danke.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418002400
Wir kom-
men zu den Abstimmungen, und zwar zunächst über den
von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf
zur Änderung des Art. 108 Grundgesetz, Drucksa-
chen 14/6144, 14/6470.

Der Finanzausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
schlussempfehlung, den Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Stimmenthal-
tungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung ein-
stimmig angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass nach
Art. 79 Grundgesetz ein Gesetz zur Änderung des Grund-
gesetzes die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglie-
der des Bundestags, das heißt mindestens 445 Stimmen,
erfordert.

Wir kommen zur namentlichen Abstimmung. Ich bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehe-
nen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen besetzt? – Das
ist der Fall.

Ich eröffne die Abstimmung.
Sind alle Stimmen abgegeben? – Ich schließe die Ab-

stimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, mit der Auszählung zu beginnen.

Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.

Die Sitzung ist unterbrochen.

(Unterbrechung von 11.01 bis 11.08 Uhr)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418002500
Liebe Kol-
leginnen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist
wieder eröffnet.

Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift-
führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-
mung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur
Änderung des Art. 108 des Grundgesetzes auf den Druck-
sachen 14/6144 und 14/6470 in der Ausschussfassung be-
kannt: Abgegebene Stimmen 574. Mit Ja haben gestimmt
572, mit Nein haben gestimmt 1, Enthaltungen 1.






(C)



(D)



(A)



(B)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 574;
davon

ja: 572
nein: 1
enthalten: 1

Ja
SPD
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold

Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau

Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Lothar Binding (Heidelberg)

Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

17741


(C)



(D)



(A)



(B)


Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann

Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur

Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Christel Riemann-
Hanewinckel

Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Dr. Frank Schmidt

(Weilburg)


Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Volkmar Schultz (Köln)

Ewald Schurer
Dietmar Schütz (Oldenburg)

Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller

Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff

(Wolmirstedt)


Heidemarie Wright
Uta Zapf
Peter Zumkley
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Renate Blank




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
17742


(C)



(D)



(A)



(B)


Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Georg Brunnhuber
Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Manfred Carstens (Emstek)

Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(KarlsruheLand)


Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg)

Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein

Gottfried Haschke

(Großhennersdorf )


Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser (Bonn)

Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze

Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Dr. Helmut Kohl
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Dr. Manfred Lischewski
Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erwin Marschewski

(Recklinghausen)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller (Kirchheim)

Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik

Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch

(Wiesbaden)


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt (Mülheim)

Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Wolfgang Schulhoff
Gerhard Schulz
Diethard Schütze (Berlin)

Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-
Schilling

Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Dr. h. c. Rudolf Seiters
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten

Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Gunnar Uldall
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Bernd Wilz
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller

BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

F.D.P.
Ina Albowitz
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke

Nach Art. 79 des Grundgesetzes bedarf ein Gesetz zur
Änderung des Grundgesetzes der Zustimmung von zwei
Dritteln der Mitglieder des Bundestages, das heißt min-
destens 445 Ja-Stimmen. Gemäß § 48Abs. 3 unserer Ge-
schäftsordnung stelle ich fest, dass die erforderliche
Zweidrittelmehrheit erreicht ist. Der Gesetzentwurf ist
angenommen.

Es liegt eine persönliche Erklärung zum Abstim-
mungsverhalten bezüglich der Änderung des Art. 108 des
Grundgesetzes von der Kollegin Heidemarie Ehlert vor.
Diese Erklärung wird zu Protokoll genommen.1)

Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Än-
derung des Finanzverwaltungsgesetzes und anderer Ge-
setze auf den Drucksachen 14/6140 und 14/6470. Der
Finanzausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschluss-
empfehlung, den Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? –

Ich darf fragen, wie die PDS-Fraktion abzustimmen ge-
denkt.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Die war auch im Ausschuss abwesend! – Dr. Barbara Höll [PDS]: Zustimmung!)


– Zustimmung. – Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter
Beratung einstimmig angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzent-
wurf ist angenommen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 e so-
wie Zusatzpunkt 10 auf:
20a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter

Rauen, Dr. Angela Merkel, Friedrich Merz, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

17743


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 2

Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Detlef Parr
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle

PDS
Monika Balt
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll

Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Pia Maier
Angela Marquardt
Manfred Müller (Berlin)

Rosel Neuhäuser
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel

Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur

Nein
PDS
Heidemarie Ehlert

Enthalten
PDS
Kersten Naumann

Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Ver-
sammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete(r)

Behrendt, Wolfgang Bierling, Hans-Dirk Bindig, Rudolf
SPD CDU/CSU SPD

Dr. Blank, Joseph-Theodor Bühler (Bruchsal), Klaus Dr. Hornhues, Karl-Heinz
CDU/CSU CDU/CSU CDU/CSU

Jäger, Renate Lintner, Eduard Lörcher, Christa
SPD CDU/CSU SPD

Maaß (Wilhelmshaven), Erich Michels, Meinolf Neumann (Gotha), Gerhard
CDU/CSU CDU/CSU SPD

Schmitz (Baesweiler), Hans Peter von Schmude, Michael Zierer, Benno
CDU/CSU CDU/CSU CDU/CSU

Zehn-Punkte-Programm zur Wiederbelebung
der deutschen Wirtschaft und des Arbeits-
marktes
– Drucksache 14/6436 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hansjürgen
Doss, Friedhelm Ost, Peter Rauen, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Offensive für die Bauwirtschaft
– Drucksache 14/6315 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

c) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Peter Rauen, Hansjürgen Doss, Andrea Voßhoff,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Forderung nach Schaffung eines Bauvertragsge-
setzes zur Bekämpfung mangelnder Zahlungs-
willigkeit
– Drucksachen 14/4182, 14/5070 –

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialord-
nung (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Hans-Joachim Fuchtel, Gunnar Uldall,
Karl-Josef Laumann, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Arbeitslosenversicherungsbeitrag senken
– Drucksachen 14/4377, 14/6199 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb

e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Rolf Kutzmutz, Dr. Christa Luft,
Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der PDS
Kleinunternehmer-Hilfefonds effektiv organi-
sieren und gesetzliche Voraussetzungen für eine
Nachfolgeregelung schaffen
– Drucksachen 14/5559, 14/6198 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gudrun Kopp

ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Hermann
Otto Solms, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der F.D.P.
Neue Wachstumschancen mit durchgreifenden
wirtschaftspolitischen Reformen schaffen – Blitz-
programm für die deutsche Wirtschaft –
– Drucksache 14/6446 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuss

Die Fraktionen haben sich auf eine Aussprachedauer
von anderthalb Stunden verständigt. – Es gibt keinen Wi-
derspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst dem
Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, Friedrich
Merz, das Wort.

Friedrich Merz (CDU/CSU) (von der CDU/CSU mit
Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da-
men und Herren! Es war gut, dass der Herr Bundeskanz-
ler heute Morgen eine Regierungserklärung zum Solidar-
pakt II und zum weiteren Aufbau der neuen Bundesländer
abgegeben hat.


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Wo ist er denn?)


Es wäre besser gewesen, wenn er unserer Aufforderung
gefolgt wäre, auch eine Regierungserklärung zur Lage der
Wirtschaft in Deutschland abzugeben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Es wäre noch besser, wenn er bei dieser Debatte im Plenum
des Deutschen Bundestages wenigstens anwesend wäre.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wenn ich auf die Regierungsbank blicke, muss ich Ih-
nen sagen: In der Besetzung der Regierungsbank kommt
zum Ausdruck, welchen Stellenwert die Regierung unse-
res Landes gegenwärtig der wirtschaftspolitischen Lage
in Deutschland wirklich beimisst.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich will Ihnen sagen, meine Damen und Herren von

den Sozialdemokraten, man kann sich ja damit schmü-
cken, dass man einer bestimmten Partei nicht angehört
und trotzdem in der Regierung sitzt. Dies kann man auch
als Instrument der politischen Auseinandersetzung nut-
zen. Aber wenn man das ständig tut, wäre es gut, wenn
man als Bundeswirtschaftsminister im Laufe eines Tages
irgendwann einmal im Plenum des Deutschen Bundes-
tages erscheint.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Eichel, in der Bundesregierung gibt es einen er-

kennbaren Kompetenzstreit um die Wirtschaftspolitik:
Der eine gibt die Prognose ab, der andere gibt jene Pro-




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
17744


(C)



(D)



(A)



(B)


gnose ab, der Nächste widerspricht dem anderen. Es wäre
gut, wenn irgendwann einmal die Kompetenzen zwischen
dem Bundesfinanzminister und dem Bundeswirtschafts-
minister geklärt würden, damit man weiß, wer eigentlich
von den Bundesministern für die Wirtschaftspolitik in
diesem Lande verbindlich spricht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Der Bundeskanzler hat heute Morgen erklärt, die Bun-

desregierung habe für die wirtschaftliche Entwicklung
dieses Landes in den letzten zweieinhalb Jahren genug ge-
tan. Jetzt seien die Tarifvertragsparteien und im Übrigen
die Zentralbank mit ihrer Geldpolitik zuständig. Ich sage
Ihnen: Wir werden Sie, die Sozialdemokraten und Ihre
Regierung, aus der Verantwortung für die wirtschaft-
liche Lage in Deutschland und für die Lage auf dem Ar-
beitsmarkt in Deutschland in den nächsten 15 Monaten
bis zur Bundestagswahl nicht entlassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie sind dafür verantwortlich, dass die Bundesrepublik

Deutschland nach zweieinhalb Jahren rot-grüner Wirt-
schaftspolitik Schlusslicht in Europa ist. Die Ursachen
dafür und die Symptome können Sie deutlich erkennen:
Die Inflationsrate in Deutschland ist höher als in der Eu-
ropäischen Union. Die Wachstumsraten sind niedriger als
in der Europäischen Union und die Arbeitslosigkeit in der
Bundesrepublik Deutschland geht langsamer zurück als
in den meisten anderen Ländern Europas.


(Jörg Tauss [SPD]: So eine schlechte Erblast haben wir übernommen! – Hubertus Heil [SPD]: Bei Ihnen ging die nach oben!)


Dieses Problem hat einen Namen: Gerhard Schröder.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Diese Politik hat unmittelbare Konsequenzen für die
beschäftigungspolitische und die wirtschaftliche Lage in
Deutschland:


(Jörg Tauss [SPD]: Und die Opposition!)

Der Verband der Vereine Creditreform hat in diesen Tagen
eine Statistik über Unternehmensinsolvenzen im ersten
Halbjahr 2001 vorgelegt. Die Zahl der Unternehmens-
insolvenzen in Deutschland wird zum Abschluss des ers-
ten Halbjahres vermutlich einen neuen Höchststand errei-
chen. Besonders bedrohlich ist die Lage in den neuen
Ländern. Dort ist die Zahl der Unternehmenszusammen-
brüche im ersten Halbjahr 2001 gegenüber dem ersten
Halbjahr 2000 um 26 Prozent gestiegen.

Wer nur über den Solidarpakt II und die Frage der in-
nerstaatlichen Finanzaufteilung – mit allem was in Bezug
auf die Finanzaufteilung zwischen Bund und Ländern
wichtig ist, was auch daran zu kritisieren ist und heute aus
guten Gründen keine Erwähnung gefunden hat – und
nicht über die tatsächlichen Probleme der Wirtschaft und
die Lage auf dem Arbeitsmarkt redet, geht an den Proble-
men dieses Landes vorbei.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch eine

Zahl nennen, um deutlich zu machen, was es bedeutet,

wenn so viele Unternehmen zusammenbrechen: Es waren
allein im ersten Halbjahr 2001 22 300 Unternehmen. Die-
ser Umstand fügt unserem Land einen volkswirtschaftli-
chen Schaden von 30 bis 35 Milliarden DM zu. Es sind
rund eine viertel Million Arbeitsplätze in Deutschland al-
lein durch den Zusammenbruch von Unternehmen verlo-
ren gegangen. Es handelt sich dabei um einen neuen
Höchststand. Das ist der Beweis dafür, dass die Wirt-
schaftspolitik dieser Bundesregierung nach zweieinhalb
Jahren Rot-Grün gescheitert ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie haben uns, als wir zu Beginn dieser Woche ein

Zehn-Punkte-Programm für Wirtschaftswachstum und
Beschäftigung vorgelegt haben, entgegengehalten – mit
Kommentaren sind Sie immer sehr schnell zur Hand –,
dieses Programm sei nicht finanzierbar, es wären sozusa-
gen wohlfeile Angebote, die man nur aus der Opposition
heraus machen könne. Wenn Sie sich wenigstens einmal
die Mühe gemacht hätten, zu lesen, was wir Ihnen auf we-
nigen Seiten vorgelegt haben, hätten Sie feststellen kön-
nen, dass acht von zehn Maßnahmen, die wir in diesem
Programm vorschlagen, mit den Steuerhaushalten von
Bund, Ländern und Gemeinden überhaupt nichts zu tun
haben, sondern nur mit Wirtschaftspolitik und Arbeits-
marktpolitik für mehr Wachstum und Beschäftigung.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte in diesem Zusammenhang auf drei The-

menkomplexe eingehen. Sie befinden sich in einer Phase
einer massiven Reregulierung der Arbeitsmärkte in
Deutschland. Wir fordern Sie noch einmal auf: Schaffen
Sie das Gesetz zur Neuregelung der geringfügigen Be-
schäftigung ab, schaffen Sie das Gesetz gegen die so ge-
nannte Scheinselbstständigkeit ab, beseitigen Sie das Ge-
setz, das befristete Arbeitsverhältnisse einschränkt, und
beseitigen Sie vor allen Dingen das Gesetz, das einen un-
begründeten und unbefristeten Rechtsanspruch auf Teil-
zeit gibt. Dann hätten Sie Wachstum und Beschäftigung in
Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Damit Sie sehen, dass wir nicht nur etwas gegen Ihre

Politik formulieren, sondern auch konkrete Vorschläge
unterbreiten, wie man es besser machen könnte, sagen wir
Ihnen noch einmal: Sorgen Sie dafür, dass durch das Kün-
digungsschutzgesetz ein neues Instrument geschaffen
wird, damit in der so genannten Problemgruppe der älte-
ren Arbeitslosen neue Beschäftigungsmöglichkeiten ent-
stehen können! Wir machen Ihnen den Vorschlag, dass ge-
gen den Verzicht auf eine Kündigungsschutzklage in
Arbeitsverträgen von Anfang an Abfindungsregelungen
getroffen werden dürfen. Um das – wenigstens für ältere
Arbeitnehmer – zu ermöglichen, müsste ein Gesetz geän-
dert werden. Dazu bräuchte man Mut und müsste dann be-
reit sein, flexible Antworten auf komplexe Sachverhalte zu
geben. Sie sind dazu aber offenkundig nicht in der Lage.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

In diesem Zusammenhang komme ich auf einen zwei-

ten Sachverhalt, über den wir an dieser Stelle schon mehr-
fach miteinander diskutiert und gestritten haben: Warum




Friedrich Merz

17745


(C)



(D)



(A)



(B)


kommen Sie nicht endlich mit Vorschlägen ins Parlament,
wie man die Systeme von Arbeitslosenhilfe und Sozial-
hilfe zusammenlegen kann? Warum machen Sie keine
entsprechenden Vorschläge?


(Beifall des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.])

Sie sind seit zweieinhalb Jahren an der Regierung und re-
den und reden, aber in diesem Bereich passiert nichts
außer einer ständigen weiteren Regulierung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Ich sage Ihnen ganz klar: Wenn Sie entsprechende Vor-
schläge machen, sind wir bereit, den Weg mit Ihnen zu ge-
hen. Die Umsetzung würde erhebliche Anpassungen, ge-
rade in der Kommunalpolitik, erfordern. Wenn Sie diese
Vorschläge machen, werden Sie unsere Zustimmung aber
nur bekommen, wenn in diesem Land endlich wieder der
Grundsatz gilt, dass derjenige, der arbeitet, grundsätzlich
mehr Geld verdient als der jenige, der Leistungen aus den
sozialen Transfersystemen bekommt. Sie müssen in die-
sem Bereich tätig werden, sonst schaffen Sie es nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Zur Wahrheit gehört auch: Wer eine zumutbare Be-

schäftigung angeboten bekommt und sie ohne Gründe
ablehnt, muss den Anspruch auf soziale Leistungen ver-
lieren, sonst bestehen keine Anreize für eine Wiederein-
gliederung in den ersten Arbeitsmarkt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich ein Wort zur Betriebsverfassung sa-

gen – ich weiß, dass bei Ihnen gleich wieder ein Gejohle
losgehen wird –: Die Diskussion darüber haben wir in der
letzten Woche geführt. Sie wird weiter geführt werden
müssen. Wenn wir in Deutschland die Vorschläge umge-
setzt hätten, die wir in der letzten Woche zur Modernisie-
rung der Betriebsverfassung gemacht haben, dann hätten
in diesen Tagen bei VW 5 000 Arbeitsplätze entstehen
können, weil sich Vorstand, Aufsichtsrat, Betriebsrat und
Belegschaft einig waren.


(Hubertus Heil [SPD]: So ein Quatsch, den Sie erzählen! Das hat nichts miteinander zu tun! Fahren Sie einmal nach Wolfsburg!)


Aber weil das Instrument der externen Funktionäre
nicht aus der Hand gelegt worden ist, konnte Herr Zwickel
verhindern, dass jetzt bei VW Arbeitsplätze entstehen.
Das ist die Wahrheit!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Hubertus Heil [SPD]: Quatsch!)


Meine Damen und Herren, bei allem Respekt vor Ge-
werkschaftsführern – wir haben in Deutschland insbeson-
dere auf betrieblicher Ebene im Wesentlichen verantwor-
tungsvolle Gewerkschaften – brauchen wir uns nicht
darüber zu wundern, dass Sie mittlerweile Angst davor
haben, eine andere Politik zu machen. Wenn ein Gewerk-
schaftsführer namens Zwickel nur einmal mit vier Fin-
gern zu pfeifen braucht und anschließend Sondersitzun-
gen der Bundestagsfraktionen der SPD und der Grünen
zur Änderung des Rentengesetzes stattfinden, dann wun-

dert es mich überhaupt nicht mehr, dass Sie nicht den Mut
haben, eine moderne Betriebsverfassung einzuführen, die
die Betriebe und nicht die Funktionäre stärkt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Zum Schluss möchte ich feststellen: Wir haben hier

gestern eine ausführliche Debatte über die Gesundheitspo-
litik geführt. Das ist eine Debatte, die nicht nur etwas mit
Gesundheitspolitik und Krankenkassen zu tun hat, sondern
die Teil einer Diskussion über die langfristige Ausrichtung
der sozialen Sicherungssysteme und der Zukunftsfähigkeit
unseres Landes ist. Horst Seehofer hat gestern von dieser
Stelle aus sehr ausführlich darauf hingewiesen.

Dies alles hat aber auch mit der Fähigkeit zu tun, ob in
der Bundesrepublik Deutschland oder ob im Ausland
neue Arbeitsplätze entstehen. Wenn wir in Deutschland
nicht in der Lage sind, die sozialen Sicherungssysteme so
auszugestalten, dass dadurch die ständig weitere Steige-
rung der Lohnzusatzkosten gebremst wird, dann darf sich
niemand darüber wundern, dass die Arbeitslosigkeit in
Deutschland auf hohem Niveau festgeschrieben wird.

Wir sind bereit, diese Diskussion zu führen. Sie wird
schwierig, weil in einer Wohlstandsgesellschaft gegen
Besitzstände zu argumentieren viel schwieriger ist als in
einer Gesellschaft, die sich in einem Aufschwung befin-
det und in der Veränderungen immer mit Verbesserungen
verbunden sind. Aber wir sind nicht bereit, hinzunehmen,
dass Sie 15Monate vor der nächsten Bundestagswahl von
dieser Stelle aus erklären: Verantwortlich sind nur noch
die anderen. – Von dieser Position aus wird nur noch eine
Politik dergestalt gemacht, darum zu konkurrieren, wer
der beste Serienstar in einer Seifenoper ist. Diese Politik
machen wir nicht mit.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418002600
Ich erteile
für die F.D.P.-Fraktion dem Kollegen Jürgen Koppelin das
Wort zu einer Geschäftsordnungsangelegenheit.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1418002700
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Allein dieser Redebeitrag hat
gezeigt, dass wir uns in einer sehr wichtigen Debatte
befinden. Wir diskutieren über wichtige wirtschaftspoli-
tische Themen. Das sind Themen, die die Bevölkerung
draußen wirklich interessieren. Kollege Merz hat zu
Recht gefragt: Wer ist in dieser Regierung eigentlich für
Wirtschaftspolitik zuständig?

Auch wir Freien Demokraten stellen uns diese Frage.
Wir würden diese Frage dem betroffenen Minister, der bei
der Diskussion über dieses wichtige Thema leider nicht
hier ist, gerne direkt stellen.

Die Freien Demokraten verlangen die Herbeirufung
des Wirtschaftsministers.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418002800
Ich gebe für
die SPD-Fraktion dem Kollegen Küster das Wort.




Friedrich Merz
17746


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Uwe Küster (SPD):
Rede ID: ID1418002900
Herr Präsident! Wir haben
diesen Antrag sehr wohl gehört. Ich halte ihn für völlig
überflüssig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Die Richtlinien unserer Politik hat heute früh der Bun-
deskanzler ganz klar dargestellt. Er hat geäußert, wo es
langgeht. Wir haben heute sowohl für die Wirtschafts-, als
auch für die Finanzpolitik ganz klare Hinweise seitens des
Bundeskanzlers bekommen. Wir lehnen diesen Antrag da-
her ab.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418003000
Ich gebe für
die CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen von Klaeden das
Wort.


Eckart von Klaeden (CDU):
Rede ID: ID1418003100
Herr Präsident! Da
Kollege Küster soeben der Ressortverantwortung des
Wirtschaftsministers mit beeindruckenden Worten wider-
sprochen hat, beantrage ich im Namen meiner Fraktion
das Herbeizitieren des Herrn Bundeskanzlers.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418003200
Ich gebe der
Kollegin Fischer das Wort für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen.

Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen kann ich
erklären, dass sich heute Morgen der Bundeskanzler in
der Debatte ausführlich zur wirtschaftlichen Lage
geäußert hat. Entsprechend der Geschäftsverteilung in der
Bundesregierung ist der zuständige Minister auf der
Regierungsbank anwesend. Das Bundesministerium für
Wirtschaft ist durch den Parlamentarischen Staatssekretär
vertreten. Es gibt aus unserer Sicht überhaupt keinen
Grund für diese Art parlamentarischer Spielerei, die hier
gerade gemacht wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418003300
Ich gebe der
Kollegin Knake-Werner das Wort für die Fraktion der
PDS.


Dr. Heidi Knake-Werner (PDS):
Rede ID: ID1418003400
Für die PDS-Fraktion
will ich erklären, dass jeder hier im Hause angesichts der
aktuellen Lage damit rechnen musste, welchen Stellenwert
diese Debatte hier heute bekommen würde. Insofern finde
ich es aus Sicht der Opposition durchaus berechtigt, das
Herbeizitieren des Wirtschaftsministers zu verlangen.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418003500
Ich lasse
zunächst über den Antrag auf Herbeirufung des Bun-

deswirtschaftsministers abstimmen. Ich frage, wer diesem
Antrag zustimmen möchte. – Gegenprobe! – Es wird Sie
nicht überraschen, dass im Sitzungsvorstand keine Eini-
gung über die Mehrheitsverhältnisse besteht.


(Heiterkeit)

Deswegen ordne ich nach § 51 der Geschäftsordnung die
Zählung der Stimmen an. Ich bitte die Kolleginnen und
Kollegen, den Plenarsaal zu verlassen, in die Lobby zu ge-
hen und dem Aufruf des Präsidenten zu folgen.

Ich gehe davon aus, dass die für einen Hammelsprung
eingeteilten Schriftführerinnen und Schriftführer alle prä-
sent sind und sich an den Türen zur Lobby versammeln.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie sich noch im
Plenarsaal aufhalten: Ich bitte Sie, ebenfalls den Saal zu
verlassen. Auch wenn wir uns bis zur Abstimmung genü-
gend Zeit nehmen, müssen wir doch einmal mit dem Ab-
stimmungsverfahren beginnen. – Ich bitte die letzten im
Saal verbliebenen Kolleginnen und Kollegen, in die
Lobby zu gehen, damit wir die Türen schließen können.

Ich bitte, die Türen zu schließen. – Sind die Schrift-
führerinnen und Schriftführer an allen Türen postiert? –
Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.

Ich bitte die Parlamentarischen Geschäftsführer, zu mir
zu kommen. –

Ich darf die Schriftführerinnen und Schriftführer an
den Türen bitten, mir ein Signal zu geben, ob alle ihre
Stimme abgegeben haben. – Darf ich fragen, ob ich die
Türen schließen lassen kann?


(Zurufe: Ja!)

Die Abstimmung ist geschlossen.

Ich darf die Kolleginnen und Kollegen bitten, Platz zu
nehmen. Ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt.
Für die Herbeirufung des Bundeswirtschaftsministers
haben 192 Kolleginnen und Kollegen gestimmt. Gegen
die Herbeirufung des Bundeswirtschaftsministers haben
215 Kolleginnen und Kollegen gestimmt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Antrag ist damit abgelehnt.
Interfraktionell ist soeben geklärt worden, dass nach

diesem Abstimmungsergebnis der zweite gestellte Ge-
schäftsordnungsantrag auf Herbeirufung des Bundes-
kanzlers zurückgezogen wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir fahren in der Aussprache fort. Ich gebe das Wort
dem Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, ich bitte diejenigen Kolle-
ginnen und Kollegen, die der weiteren Aussprache nicht
folgen möchten,


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Das ist die ganze SPD-Fraktion!)







(C)



(D)



(A)



(B)


den Plenarsaal zu verlassen, und bitte um Gehör für den
Bundesfinanzminister.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1418003600
Herr Prä-
sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einen
so kurzen und traurigen Abgesang auf ein Zehn-Punkte-
Sofortprogramm zur Rettung der Konjunktur von Frau
Kollegin Merkel wie den eben durch Herrn Kollegen
Merz vorgetragenen habe ich noch nie gehört.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich muss, verehrter Herr Kollege Merz, sogar unterstel-
len, dass Sie das Programm von Frau Merkel nicht einmal
gelesen haben.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: So ein Stuss!)

Die Behauptung, dass sich ganze zwei Punkte mit Geld
beschäftigten und alle anderen nicht,


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Schwätzer!)

beweist die totale Unkenntnis. In vier Punkten ging es um
Geld, und zwar zum Teil sehr massiv; nicht nur bei den
Steuerpunkten. Übrigens wissen Sie so gut wie ich – des-
wegen haben Sie das Thema ja auch gar nicht mehr ange-
sprochen –, dass nichts so unsinnig ist wie das, was Sie da
zu Papier gebracht haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben dafür außer aus Ihren eigenen Reihen auch
nirgendwo Zustimmung gefunden. Die ganze Riege des
ökonomischen Sachverstandes hat sich strikt gegen Ihr
Programm gestellt:


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)


seien es Herr Peffekoven, Herr Siebert, Herr Wiegard,
Herr Pohl, der Präsident der Bundesbank oder der Präsi-
dent des Deutschen Industrie- und Handelstages.

All dies zeigt nur eines: Wenn Sie je wieder finanz- und
wirtschaftspolitische Kompetenz haben wollen, müssen
Sie lange an sich arbeiten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In der Zeit offener Märkte – es ist erstaunlich, dass ein So-
zialdemokrat Ihnen das sagen muss – ist nämlich die Zeit
der Konjunktursteuerung durch den Staat schlicht vorbei.
Das konnte man zu Zeiten nationaler, geschlossener
Volkswirtschaften machen, das kann man aber nicht mehr
zu Zeiten offener Märkte machen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Will doch keiner!)


Wohin das führt, was Sie hier vorschlagen, meine Da-
men und Herren, können Sie in Japan besichtigen. Japan
hat seit ein paar Jahren


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Es geht um Rahmenbedingungen!)


– darauf komme ich – nichts anderes gemacht, als ver-
sucht, über die Haushaltspolitik aus einer schwierigen
Konjunkturlage herauszukommen. Die Folge davon ist:
Japan hat heute die schwierigste Wirtschaftslage aller
großen Industrienationen, Japan geht in die Rezession und
hat mit all den Programmen eine Staatsverschuldung auf-
gebaut, die zweieinhalb mal höher liegt als die in Deutsch-
land. Das ist das Ergebnis einer solchen Politik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Sie sind fast ein Japaner!)


Die Antwort ist deswegen sehr einfach, aber in ihren
Konsequenzen nicht leicht durchzuhalten; das weiß ich
wohl. Jeder, der will, dass die Wirtschaft bei uns gedeiht,
muss dafür sorgen, dass der Staat zunächst verlässliche
Rahmenbedingungen setzt und sie dann, wenn er sie ge-
setzt hat, auch einhält.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Macht doch welche!)


Zuallererst muss deshalb – nebenbei bemerkt, haben Sie
mit Ihrem Vorhaben ja auch noch einen Anschlag auf den
Euro gestartet – eine solide Finanzpolitik eingeleitet wer-
den und die Haushaltskonsolidierung darf nicht schon
im dritten Jahr abgebrochen werden, sondern muss lang-
fristig durchgehalten werden.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wo denn?)

Das ist die erste Voraussetzung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die zweite Voraussetzung ist eine beschäftigungs- und
wachstumsfreundliche Steuer- und Abgabenpolitik. Mit
der Steuerreform haben wir dieses Jahr – übrigens nicht
der Konjunkturförderung wegen, sondern wegen des Auf-
baus langfristig besserer Strukturen – 45 Milliarden DM
in dieses Vorhaben hereingesteckt. Noch vor einem Drei-
vierteljahr wurde uns in Brüssel entgegengehalten, dies
stelle eine prozyklische Finanzpolitik dar, obwohl es sich
dabei um nichts anderes als um Strukturreformen han-
delte, die langfristig bessere Verhältnisse schaffen sollten.
Nachdem wir nun 45 Milliarden DM in dieses Vorhaben
gesteckt haben und sich das Wachstum trotzdem – ich
komme gleich auf die Gründe zu sprechen – abkühlt, ist
es aberwitzig, zu glauben, man könne das Problem lösen,
indem man 13 oder 45 Milliarden DM nachlegt. Das zeigt
nur, dass Sie nichts von einer Volkswirtschaft in offenen
Märkten begriffen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wie wenig das alles durchdacht war, zeigt sich ja übri-
gens daran – Herr Westerwelle hatte nicht ganz Unrecht –,
dass die, die eine Streckung der Tilgung des Fonds „Deut-
sche Einheit“ forderten – das war ja keine Erfindung des
Bundes –, insbesondere die Ministerpräsidenten aus den
drei Südländern waren. Im gleichen Zusammenhang be-
schließen Sie zusätzliche Steuerausfälle in Höhe von




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
17748


(C)



(D)



(A)



(B)


45 Milliarden DM. Da passt nichts, aber auch überhaupt
nichts mehr zusammen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt doch gar nicht!)


Wie undurchdacht das alles war, zeigt sich ja auch an Ih-
rer Haltung zur Ökosteuer. Da müssen Sie sich auch ein-
mal entscheiden.

Ich verstehe übrigens nicht, warum Frau Kollegin
Merkel nicht hier ist, das war doch ihr Programm.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geschäftsordnung! – Dr. Peter Struck [SPD]: Das verstehe ich auch nicht! – Jörg Tauss [SPD]: Herbeizitieren!)


– Vielleicht wollte Frau Kollegin Merkel die Begründung
von Herrn Merz nicht hören; dafür habe ich Verständnis
nach dem, was er hier abgeliefert hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Sie war da!)


– Ach, Frau Kollegin Merkel war da? Dann ist sie nach der
Begründung von Herrn Merz gegangen. Das hätte ich
auch gemacht.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zum Thema Ökosteuer. Herr Rühe hat Recht, wenigs-
tens nach der Finanzierbarkeit der Programme gefragt zu
haben. Bei der Ökosteuer sagen Sie zunächst: Sie muss
ganz weg. Offenbar haben Sie erst anschließend, nachdem
das schon auf dem Papier stand, angefangen, zu rechnen,
dass das nämlich bedeutet, dass der Rente dann nachhal-
tig 33 Milliarden DM fehlen und dass Sie den Rentenver-
sicherungsbeitrag um 2 Prozentpunkte heraufsetzen müs-
sen. Dann haben Sie gesagt: Na gut, nicht die ganze
Ökosteuer muss weg, sondern nur die nächsten zwei Stu-
fen sollen nicht umgesetzt werden. – Das sind dann auch
nur 0,6 Prozentpunkte, um die der Rentenversicherungs-
beitrag steigen wird.

Das passt herrlich, Herr Kollege Merz, zu Ihrer Aus-
sage, die Lohnzusatzkosten müssten gesenkt werden. Da
haben Sie Recht!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen sage ich Ihnen: Das Thema Arbeitsmarkt ist
ein interessantes und wichtiges Thema. Aber was Sie hier
abgeliefert haben, hat in aller Regel entweder überhaupt
keinen Lösungsansatz oder betrifft gelöste Probleme, wenn
auch vielleicht anders gelöst, als Sie es manchmal wollen.

Die 630-Mark-Thematik hat sich so, wie sie gelöst
ist, ausgesprochen bewährt.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Wir haben in diesem Bereich eine große Zahl von Be-
schäftigungsverhältnissen in diesem Jahr. Das werden Sie
noch lernen müssen: Wer den Arbeitsmarkt vernünftig re-
geln will – Sie haben Recht; wir machen das ja auch –,

muss mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt mit mehr Stabi-
lität der Sozialsysteme verbinden. Dass das bei der alten
630-Mark-Regelung nicht geschehen ist, war der Fehler.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zu dem, was ich eben im Zusammenhang mit den
älteren Arbeitslosen gehört habe: Ältere Arbeitslose
können bis zu zwei Jahren befristet beschäftigt werden,
ohne dass ein Grund angegeben werden muss. Dieses
Thema ist bereits erledigt.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Erledigt ist überhaupt nichts! Wir haben eine ganz andere Situation! Immer mehr ältere Arbeitslose!)


An den Themen Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe und
Kombilohn wird gearbeitet. Dazu gibt es inzwischen Mo-
dellversuche, die ausgewertet werden müssen. Auf dieser
Basis wird Herr Kollege Riester dann Vorschläge machen.

Sie haben – ich sage es noch einmal – in einem Punkte
völlig Recht, nämlich dass die Lohnzusatzkosten ge-
senkt werden müssen. Nur, so lange sind Sie doch noch
nicht aus der Regierung heraus, dass wir uns nicht erin-
nern könnten, wie das damals alles war. Bis zum Ende
Ihrer Regierungszeit, in den ganzen 16 Jahren, sind die
Lohnzusatzkosten nur gestiegen, gestiegen, gestiegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann [CDU/ CSU]: So ein Quatsch!)


Sie wären Ihnen sogar noch direkt vor der Bundestagswahl
über die 21 Prozent bei der Rentenversicherung gestiegen,
wenn wir Ihnen nicht mit unserer Zustimmung zur Er-
höhung der Mehrwertsteuer um 1 Prozentpunkt aus der
Patsche geholfen hätten, damit die Rentenversicherungs-
beiträge wenigstens bei 20,3 Prozent bleiben konnten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nun sind die Lohnnebenkosten das erste Mal seit Jahr-
zehnten in Deutschland gesunken, und zwar allein bei der
Rente um1,2 Prozentpunkte.

Sie haben Recht – das will ich gar nicht bestreiten; die
Diskussion ist gestern geführt worden – in Bezug auf die
Krankenversicherungsbeiträge.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Aha!)

Da ist auch noch was zu machen. Ich sage Ihnen aber aus-
drücklich: Schauen Sie sich doch einmal an, wo die ersten
Ansätze dieser Bundesregierung hängen geblieben sind –
sie sind im Bundesrat an Ihrer Mehrheit gescheitert!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [F.D.P.]: Das sagt der Richtige! Wer hat denn die Steuerreform blockiert?)


Noch etwas anderes, Herr Kollege Merz, und zwar zu
den Themen Betriebsverfassungsgesetz und 5 000 Ar-
beitsplätze bei VW. Das eine hat mit dem anderen nichts
zu tun. So gut sind Sie informiert! Denn es geht um




Bundesminister Hans Eichel

17749


(C)



(D)



(A)



(B)


Tarifvertragsfragen; diese werden aber im Betriebsverfas-
sungsgesetz überhaupt nicht angesprochen. Infolgedessen
war Ihr Beispiel fundamental falsch und deswegen war es
auch kein Beispiel gegen das Betriebsverfassungsgesetz.
Informieren Sie sich doch in der Sache, ehe Sie hier an-
greifen!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nur langfristig angelegte Reformen machen Sinn. Es
ist ein Fehler, zu glauben, dass der Staat Konjunktur-
steuerung betreiben könne. Aufgabe der Politik kann es
nur sein, Ruhe und Klarheit in das System zu bringen an-
gesichts der Verrücktheit, die manchmal auch die Aktien-
märkte haben, und der Verrücktheit, jeden Tag eine neue
Konjunkturprognose machen zu wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn auch der Staat so – und so hektisch wie Sie – rea-
gierte, dann hätten wir Chaos. Finanzpolitik und Wirt-
schaftspolitik müssen die langen Linien ziehen. Dann
können sich die Wirtschaftssubjekte bewegen. Nur das ist
vernünftig.


(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418003700
Ich erteile
das Wort dem Kollegen Rainer Brüderle für die F.D.P.-
Fraktion.


(Joachim Poß [SPD]: Jetzt kommt das Kugelblitzprogramm der F.D.P.)



Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1418003800
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Es ist schon eine merkwürdige wirt-
schaftspolitische Debatte, an der der Wirtschaftsminister
nicht nur nicht teilnimmt – und schon gar keine Rolle
spielt –, sondern in der der Finanzminister für die Wirt-
schaftspolitik spricht. Dann können Sie doch das Wirt-
schaftsministerium abschaffen. Schicken Sie Herrn Müller
nach Hause, dann sparen Sie wenigstens Gehalt!


(Beifall bei der F.D.P. und Zurufe von der SPD: Oh!)


Herr Finanzminister Eichel, ich bin ja als Mainzer hu-
mororientiert. Aber Sie haben es sich ein bisschen leicht
gemacht, sind ein bisschen zu lustig über die Probleme
hinweggehuscht.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ja!)

Es ist nicht zu leugnen, dass Deutschland bei allen kon-
junkturellen Daten unter dem europäischen Durchschnitt
liegt.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Sie können jedes Datum nehmen: Inlandsprodukt, Ar-
beitslosenquote, Verbraucherpreise – bei allen liegen wir
unter dem Durchschnitt. Das ist hausgemacht! Deshalb
muss sich etwas ändern.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Floskel mit der ruhigen Hand ist ja das Alibi für
Nichtstun, gleichgültig, ob man es jetzt aussitzen nennt
oder eher Ratlosigkeit, Hilflosigkeit, Einfallslosigkeit.
Das Gebot der Stunde ist aber zu handeln, damit die Wirt-
schaft nicht weiter abgleitet und wir keine Stagflation
kriegen, Stagnation und Inflation, und damit eine schwie-
rige Wirtschaftssituation.

Alle Prognosen werden ständig nach unten korrigiert.
Das Ifo-Institut spricht von 1,2 Prozent. Ich habe gehört,
Herr Müller hat heute Morgen in Mannheim als Märchen-
tante wieder von plus 2 Prozent gefaselt.


(Zuruf von der SPD: Na, na! – Klaus Wiesehügel [SPD]: Miesmacher!)


Das glaubt kein Mensch mehr. Es geht weiter nach unten.
So sind die Fakten. Das können Sie nicht schönreden. Da
können Sie auch schreien.

Bei den Insolvenzen haben wir neue Rekordhöhen in
Deutschland. Das sind doch die Arbeitsplätze, die weg-
fallen. Das sind doch gerade die mittelständischen Be-
triebe, die wir für die Anpassungsprozesse brauchen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn wir als F.D.P. eine Blitzaktion fordern und sagen,
schnell handeln, dann kann man das nicht wegreden, als
ob das teure Ausgabenprogramme wären. Es geht um
richtige ordnungspolitische Weichenstellungen. Die Mit-
bestimmung wird verschärft und dadurch werden die Be-
triebskosten nach oben getrieben. Das Briefmonopol wird
verlängert, statt es auslaufen zu lassen. Monopolminister
Müller und Zwangspfandminister Trittin einigen sich
auf neue Kraft-Wärme-Kopplungs-Quoten. Durch Öko-
umlagen werden die Vorteile der Liberalisierung des
Strommarktes wieder zurück genommen. 40 Prozent des
liberalisierten Strommarktes haben Sie schon wieder re-
reguliert. Sie nehmen das alles wieder zurück und schaf-
fen dadurch schlechte Voraussetzungen dafür, dass wir
vorankommen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es war doch Ihre angebliche Wunderwaffe Bündnis für
Arbeit, mit der Sie ein tolles Klima schaffen wollten. Tat-
sache ist, dass ein Klima entstanden ist, in dem es mög-
lich ist, 5 000 neue Arbeitsplätze – für die es schon
10 000 Bewerber gibt, bevor sie ausgeschrieben wurden –
in Deutschland zu vernichten. Das liegt an der Haltung der
IG-Metall. Das ist Gewerkschaftsbonzentum, aber keine
Verantwortung und Solidarität mit denen, die draußen
stehen, die auch ein Stück Hoffnung und Chance haben
wollen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das ist das Waterloo Ihres Kaffeekränzchens Bündnis für
Arbeit.

Ich habe genau hingehört. Der Kanzler hat heute in sei-
ner Rede indirekt die Europäische Zentralbank aufgefor-
dert, die Zinsen zu senken. Die Regierung hat es gemacht,
trallala. Jetzt sind die Tarifpartner dran, von Holzmann bis
sonst was, und jetzt ist die Europäische Zentralbank dran.




Bundesminister Hans Eichel
17750


(C)



(D)



(A)



(B)


Die muss aber erst Vertrauensarbeit leisten. Sie muss Ver-
trauen erarbeiten, damit die Menschen auch Vertrauen in
den Euro haben. Lesen Sie mal die Umfragen, wie die Ein-
schätzung ist. Das Rating, die Bewertung des Wirtschafts-
standorts Deutschland durch andere Staaten spiegelt sich
im Kurs des Euro wider. Er ist von 118 auf 85 Cent gesun-
ken. Das ist eine Abwertung des Außenwertes von 30 Pro-
zent. So denkt man draußen über die Politik in Deutsch-
land. Das Gesundbeten durch Sie selbst reicht nicht.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Es kostet kein Geld, es ist kein Staatsinterventionis-

mus, wenn Sie den Unsinn der Mitbestimmung zurück-
nehmen und wenn Sie das Briefmonopol nicht weiterlau-
fen lassen. Damit würden Sie Bedingungen schaffen, die
mehr Chancen für Arbeit bieten.

Deshalb appelliere ich an Sie: Ziehen Sie die nächsten
Schritte der Steuerreform vor. Ansonsten schaffen Sie die
Asymmetrie, dass die Großkonzerne ihre Beteiligungen
sofort steuerfrei verkaufen können, die Mittelständler je-
doch nicht. Das ist keine Fairness gegenüber dem Mittel-
stand.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hören Sie auf mit der Ökosteuer oder setzen Sie zu-
mindest die nächste Stufe der Ökosteuer aus, damit sich
die Bedingungen verbessern. Verschlechtern Sie nicht die
Abschreibungsbedingungen! Es müssen Investitionen
entstehen; Investitionen sind Arbeitsplätze. Senken Sie
die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung! Wenn Sie uns
nicht glauben, dann glauben Sie vielleicht Herrn Metzger.
Als Schönredner der Grünen darf er ja immer beim Mit-
telstand auftreten, aber im Bundestag hebt er die Hand für
all den Unsinn gegen den deutschen Mittelstand.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh!)


Noch ein paar Anmerkungen zum Zehn-Punkte-Pro-
gramm von Frau Merkel. Auch Sie haben jetzt gemerkt,
dass man etwas tun muss – willkommen im Klub. In der
CDU/CSU-Fraktion wurden die Vorschläge gleich wieder
verändert. Ich frage mich auch, ob Frau Merkel, die auf
dem CDA-Kongress viel Beifall bekam, dort für diese
Konzepte mit gleich viel Beifall begrüßt würde. Diese
Randbemerkung kann ich mir nicht ganz verkneifen.

Entscheidend ist: Noch haben Sie die Chance, etwas zu
tun; die Prognosen zeigen es eindeutig. Ordnungspoliti-
sche Veränderungen kann man nicht als Ausgabenpro-
gramm oder Staatsinterventionismus abtun. Es geht um
Rahmenbedingungen, die schnell verändert werden müs-
sen, damit wir nicht abgleiten. Das Reparieren wird teu-
rer als das rechtzeitige Handeln. Ich sage Ihnen vorher:
Sie werden handeln müssen. Der Bundeskanzler wird
nicht zögern, das Ruder herumzuwerfen, wenn er merkt,
dass er die Bundestagswahl verliert. Lassen Sie aber nicht
noch mehr Leute auf der Straße stehen und enttäuschen
Sie nicht weiter deren Hoffnungen. Handeln Sie jetzt, da-
mit wir nicht weiter abgleiten!


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418003900
Ich gebe das
Wort dem Kollegen Rezzo Schlauch für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen.


Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418004000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich ist
es ja so, dass die konjunkturellen Daten Auskunft über die
wirtschaftliche Lage eines Landes geben. Wer eine Dia-
gnose stellt, Herr Merz, der tut gut daran, sich an die Fak-
ten zu halten. Wer bei der Bewertung der Situation negativ
überzieht – wie wir das gerade unisono von der Opposition
gehört haben –, der trägt dazu bei, dass die Stimmung
schlechter ist, als die tatsächliche Situation. Wenn ich mir
die Bilanz Ihrer Opposition anschaue, dann bin ich mir
nicht sicher, ob Sie sich mit dem Malen von oppositionel-
len Zerrbildern einen Gefallen tun. Ich bin mir aber ganz
sicher, dass Sie der Wirtschaft und insbesondere denjeni-
gen, die Angst um ihren Arbeitsplatz haben oder die einen
Arbeitsplatz suchen, damit einen Bärendienst erweisen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben uns als Koalition selbstverständlich ernst-
haft damit auseinander zu setzen, dass die Wachstums-
prognosen für 2001 von den Instituten nach unten korri-
giert werden. Im Schnitt erreichen wir aber in den drei
Jahren rot-grüner Koalition immer noch einen Durch-
schnitt von 2,0 Prozent beim Wirtschaftswachstum. In
den 90er-Jahren, während Ihrer Regierungszeit, meine
Damen und Herren von der CDU/CSU und Herr Brüderle,
hatten wir über acht Jahre hinweg eine durchschnittliche
Wachstumsrate von 1,4 Prozent.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Was heißt das denn?)


Das ist die Relation, die den Hintergrund unserer Diskus-
sion bildet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Diese 1,4 Prozent – das wollen wir doch noch einmal
in den Kontext stellen – haben Sie erreicht, obwohl Sie
den Staat jedes Jahr mit circa 60 Milliarden DM netto neu
verschuldet haben. Immer wieder haben Sie Geld ausge-
geben, um die Konjunktur anzuheizen. Immer wieder ha-
ben Sie Geld ausgegeben, das Sie gar nicht gehabt haben.
Wir haben diese Neuverschuldung von 60 Milliarden DM
jährlich auf 40Milliarden DM jährlich reduziert. Das sind
mehr als 30 Prozent. Wir werden diesen Weg bis zur Netto-
neuverschuldung auf Null – das heißt: keine Verschul-
dung mehr – fortsetzen. Der Haushalt der Bundesregie-
rung wird nicht mehr davon abhängig sein, das Geld
zukünftiger Generationen auszugeben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Davon werden Sie uns auch nicht mit Konjunktur-
programmen abbringen. Konjunkturprogramm – das
habe ich noch aus meiner Zeit auf der Oppositionsbank im
Ohr – war bei Ihnen ein Unwort,


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist es immer noch!)





Rainer Brüderle

17751


(C)



(D)



(A)



(B)


und zwar zu Recht, weil die Konjunkturprogramme – das
hat der Finanzminister richtig gesagt – in Zeiten globali-
sierter Märkte nichts mehr bringen. Offensichtlich haben
Sie das, was Sie immer wieder erzählt haben, als Sie noch
in der Regierung waren, völlig vergessen. Wenn es um
Konjunkturprogramme ging, haben Sie damals nur müde
abgewunken, und jetzt fordern Sie sie. Das zeigt, dass Sie
auch in der Opposition müde sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Übrigens hat sich die Wachstumsrate von durch-

schnittlich 1,4 Prozent, die Sie über acht Jahre erzielt ha-
ben, nicht nur durch eine hohe Neuverschuldung ergeben,
sondern auch vor dem Hintergrund einer Hochkonjunktur
in den USA. Das hat sich aber geändert, was sicherlich
nicht der unwichtigste Grund dafür ist, dass die Bedin-
gungen für mehr Wachstum in Deutschland schwieriger
geworden sind.

Festzustellen ist jedenfalls, dass die Zeiten in der Welt-
wirtschaft gegenwärtig magerer sind. Und trotzdem ha-
ben wir mehr Wachstum als Sie in den fetten Jahren.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Und mehr Inflation!)


Unsere Reformen sind dabei gerade in dem Bereich wirk-
sam, in dem die Kaufkraft direkt gestärkt wird.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418004100
Herr Kol-
lege Schlauch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Ab-
geordneten Schauerte?


Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418004200
Ja.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1418004300
Herr Kollege
Schlauch, danke schön, dass Sie mir die Möglichkeit zu
einer Zwischenfrage geben.

Sie haben gerade gesagt, Sie hätten mehr Wachstum er-
zielt. Wie können Sie sich dann erklären, dass die Wachs-
tumsraten in den SPD-regierten Ländern Schleswig-Hol-
stein, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen halb so
hoch sind wie die in den CDU/CSU-regierten Ländern
Bayern, Baden-Württemberg und Hessen und dass wir
in den CDU/CSU-regierten Ländern eine halb so hohe
Arbeitslosigkeit haben wie in den von Ihren Kollegen mit-
regierten Ländern?


Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418004400

Herr Kollege Schauerte, ich gehe davon aus, dass wir hier
im Bundestag sind und Bundestagsdebatten führen. Wir
führen die Debatte über die Situation und die Lage in der
Bundesrepublik.


(Zuruf von der CDU/CSU: Eben!)

Ich war zehn Jahre im Landtag; ich kenne diese Spielchen.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Beantworten Sie doch mal die Frage! – Dagmar Wöhrl [CDU/ CSU]: Sie weichen aus!)


Wenn wir die bundesweite Situation betrachten, führt
diese Frage bei unserem Thema nicht sehr viel weiter.

Im Übrigen möchte ich Sie darauf hinweisen, dass es
sich bei allen Reformen, die wir durchgeführt haben und
die gerade im Hinblick auf die Kaufkraft wirksam gewor-
den sind, um Reformen handelt, die Sie nicht gewollt ha-
ben: die Erhöhung des Kindergelds, zusätzliche Mittel für
das BAföG, die Wohngelderhöhung oder die relevante
Senkung der Eingangssteuersätze im Rahmen der Steuer-
reform. Das alles dient der Nachfrage und ist mit ein
Grund dafür, dass wir die soziale Schieflage, die Sie in der
Bundesrepublik verursacht haben, wieder Schritt für
Schritt zurückgeführt haben.

Es ist klar, dass unsere Arbeiten nicht abgeschlossen sind.

(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Sie ha ben ja noch gar nicht angefangen!)

Es gibt auch keinen Grund, die Hände in den Schoß zu le-
gen. Aber ernsthafte Strukturreformen – das kennen Sie
doch von der Steuerreform, Herr Merz – brauchen einen
langen Atem und keine Schnellschüsse.

Wenn ich sehe, was auf den zwei Waschzetteln, die
Sie – Fraktion und Partei, und noch dazu unterschiedlich –
vorgelegt haben, holterdiepolter zusammengeschrieben
worden ist, dann frage ich Sie: Wie soll das eigentlich be-
zahlt werden? Mit Neuverschuldungen und Steuererhö-
hungen wie früher? Wollen Sie sehenden Auges zurück in
den Zustand – das ist doch Ihre Hinterlassenschaft – den
wir mühsam genug überwunden haben?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Uwe Küster [SPD]: Merkelsche Schuldenpolitik!)


Frau Merkel wollte mit großer Geste die Ökosteuer
ganz abschaffen, aber Herr Merz ist offensichtlich von
Herrn Rühe eines Besseren belehrt worden, obwohl die
Rechnung so auch noch nicht stimmt. Wir haben mit
22 Milliarden DM die Lohnnebenkosten um 1,2 Prozent
gesenkt, weil es richtig ist, die Arbeit billiger zu machen.
Eine Politik des niedrigen Preises bei Öl und bei fossi-
len Energien nach dem amerikanischen Muster ist doch
wie Doping. Das kann man schon machen. Es steigert
kurzfristig die Leistungsfähigkeit, zerstört aber langfris-
tig unsere ökologischen und wirtschaftlichen Grundla-
gen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es wäre unverantwortlich, die Energiewende nicht fort-
zuführen; denn sie fördert die Innovationen und stellt
Deutschland bei den Technologien der Zukunft an die
Spitze. Das kann man, wenn man seine fünf Sinne eini-
germaßen beisammen hat, nicht einfach rückgängig ma-
chen wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich erinnere mich gut daran, wie Sie aus den außeror-
dentlichen Einnahmen der UMTS-Versteigerungen glat-
ter Hand gleich 40 Milliarden DM unter das Volk bringen
wollten. Ich bin froh und stolz darauf, dass diese Koali-
tion es geschafft hat, 100 Milliarden DM trotz vieler Be-
gehrlichkeiten sofort zur Schuldentilgung zu verwenden.
Damit haben wir 5 Milliarden DM an Zinsersparnissen




Rezzo Schlauch
17752


(C)



(D)



(A)



(B)


gewonnen für sinnvolle ökologische Infrastrukturmaß-
nahmen und Investitionen in die Bildung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich verstehe Ihre Systematik auch nicht ganz, Herr
Merz. Sie haben gegen diese Steuerreform – zwar erfolg-
los, aber doch – gekämpft wie ein Löwe.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Richtig, stimmt alles!)


Und jetzt wollen Sie plötzlich einen Teil dieser Steuerre-
form beschleunigen und übernehmen. Sie müssen einmal
erklären, wie das zusammenpasst.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418004500
Herr Kol-
lege Schlauch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Ab-
geordneten Dr. Rössel?


Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418004600

Nein, der Herr Schauerte hat genügt.

Ich möchte noch einen Satz dazu sagen, warum – es ist
doch allen klar – die Lebenshaltungskosten gestiegen
sind, warum wir eine Inflation haben.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Durch die Grünen!)

– Ja, natürlich durch die Grünen. – Sie ist nach Meinung
aller Experten – und jetzt komme ich zu Ihnen – zurück-
zuführen auf Versäumnisse in der Vergangenheit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Das darf nicht wahr sein!)


Wer hat denn die BSE-Krise verursacht? In welcher Zeit
ist die BSE-Krise denn entstanden? Doch nicht in unserer
Zeit. Und was die Energiepreise angeht, ist der Löwenan-
teil bei der Politik der OPEC, bei der Politik, die zu einem
starken Dollar geführt hat, zu suchen.

Wenn wir auf die Ökosteuer verzichteten, würden wir
konjunkturell mit Sicherheit nichts gewinnen, und zwar
deshalb, weil der notwendige Strukturwandel in der
Agrarpolitik und bei der Energiewende dazu führt, dass
wir erstens den Klimaschutz fördern. Zweitens sind mit
den regenerativen Energien über 70 000 Arbeitsplätze ge-
schaffen worden. Wollen Sie diese in Zukunft wegfallen
lassen oder wie soll ich mir das vorstellen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist klar, dass noch vieles vor uns liegt. Wir müssen
– offen und mit allen Beteiligten – ernsthaft darüber re-
den, wie wir den Arbeitsmarkt reformieren. Das Ziel muss
sein, Hindernisse abzubauen und Brücken in den ersten
Arbeitsmarkt zu schlagen.

In diesem Kontext erlauben Sie auch mir ein Wort zu
den Verhandlungen bei VW. Auch ich habe schon Pro-

bleme damit, wenn jemand den Flächentarif ohne Rück-
sicht auf Verluste – wie dies geschehen ist – gegen die ört-
lichen Betriebsräte durchzieht. Ich habe ja ein paar Erfah-
rungen in solchen Angelegenheiten. Aber wer so mit dem
Flächentarif umgeht, der macht ihn gründlicher und nach-
haltiger kaputt, als es durch die abgefeimteste Strategie
der Grünen oder der Kapitalisten geschehen könnte. Das
muss ich Ihnen schon sagen. Wer den Flächentarif so
durchzieht, schadet sich selbst.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Weiermann [SPD]: Wofür haben wir denn einen Flächentarifvertrag?)


Ich möchte sehen, wie Sie vor 5 000 Arbeit suchenden
Menschen stehen und es diesen erklären. Ich kann es nicht
erklären. Ich hoffe nur – auch zum Wohle der Gewerk-
schaften –, dass das nicht das letzte Wort ist. Und falls es
nicht das letzte Wort ist, lassen Sie mich einen Vorschlag
machen: Lassen Sie uns das noch einmal im Bündnis für
Arbeit bereden!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme zum Schluss. Wir müssen selbstverständ-

lich besser werden und weitere Reformen anpacken.

(Rainer Funke [F.D.P.]: Sozialismus!)


Ruhe bewahren bedeutet nicht, sich ausruhen, es heißt,
den eingeschlagenen Kurs in ruhiger Bahn fortzusetzen.
Eine Modernisierungspause wird es mit uns nicht geben.

Meine Damen und Herren, wir diskutieren heute ein
für unsere Volkswirtschaft wichtiges Thema. Mich wun-
dert aber, dass heute noch niemand auf ein anderes Thema
zu sprechen gekommen ist. Ich möchte eine Bemerkung
zu einem Vorgang machen, der uns weit über diese Dis-
kussion hinaus betrifft.

Ich habe großen Respekt vor der Regierung in Ju-
goslawien, die es geschafft hat, Herrn Milosevic dem
Haager Tribunal zuzuführen. Nach den langen Diskus-
sionen, die wir darüber geführt haben, empfinde ich auch
etwas Genugtuung. Ich glaube, das ist ein guter Tag für
die Demokratien und auch für die friedliche Fortentwick-
lung auf dem Balkan.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418004700
Für die
Fraktion der PDS spricht die Kollegin Frau Professor
Dr. Christa Luft.


Dr. Christa Luft (PDS):
Rede ID: ID1418004800
Herr Präsident! Verehrte Kol-
leginnen und Kollegen! Die von den beiden Oppositions-
rednern vor mir vorgetragenen Fakten zur aktuellen wirt-
schaftlichen Lage in der Bundesrepublik Deutschland
sind, wenn man ehrlich ist, überhaupt nicht zu bestreiten.
Aber erstens eignen sie sich meiner Meinung nach nicht
zur parteipolitischen Häme von Union und F.D.P. gegen-
über der neuen Koalition. Kollege Merz und Kollege
Brüderle, selbst wenn Sie beide an der vorangegangenen
Bundesregierung nicht beteiligt waren, sollten Sie sich




Rezzo Schlauch

17753


(C)



(D)



(A)



(B)


doch an die Regierungszeit Ihrer Parteien erinnern. Dann
würde Ihre Kritik heute manchmal anders ausfallen.


(Beifall bei der PDS)

Zweitens sind die Fakten derart eindeutig, dass ihnen

mit Wortakrobatik und nur mit dem Verweis auf Psycho-
logie überhaupt nicht beizukommen ist. Das versuchen
aber Koalitionsabgeordnete und auch Regierungsvertreter
bis heute.

Den betroffenen Menschen – seien es Arbeitslose,
seien es solche, die um ihre Beschäftigung bangen, seien
es Handelsleute, die auf Käuferinnen und Käufer warten,
seien es Unternehmer, die um die Existenz ihrer Firma
bangen – hilft semantischer Aberglaube nicht. Ob es sich
nun um eine konjunkturelle Delle oder schon um eine Re-
zession handelt – das hilft betroffenen Menschen nicht.
Sie warten auf ein Signal, dass die Bundesregierung die
Zuschauertribüne verlässt und aufs Spielfeld geht.


(Beifall bei der PDS)

Genau das aber geschieht nicht. Der Kanzler schwört auf
eine Politik der ruhigen Hand. Ich meine, mehr und mehr
Menschen gewinnen den Eindruck, dies ist keine ruhige,
sondern eine gelähmte Hand. Das kann schwierig werden
für unser Land.

Die Stimmung im Land ist eindeutig. Immerhin 62 Pro-
zent der jüngst von Emnid Befragten halten die wirt-
schaftliche Lage für besorgniserregend. Die Anhänger
verschiedener Parteien liegen hier im Übrigen ganz nahe
beieinander, wie die Statistik ausweist. Kein Wunder, rollt
doch über die Bundesrepublik Deutschland die größte
Pleitewelle der Nachkriegszeit. Allein im ersten Halb-
jahr 2001 haben die Unternehmensinsolvenzen um
11 Prozent zugenommen und über eine viertel Million
Menschen hat allein dadurch die Arbeit verloren. Wo hat
denn das Bündnis für Arbeit seinen Effekt gezeigt? Ich
kann den leider nicht erkennen.

Im Osten bahnt sich eine neue Runde – das muss man
durchaus so sagen – der Unternehmensschließungen
oder -verlagerungen mit dramatischen Beschäftigungsef-
fekten an. Ich erinnere an die Diskussion, die wir in die-
sem Hause zu dem Bombardier-Konzern in Brandenburg
geführt haben. Ich erinnere an die bevorstehende reihen-
weise Schließung von Bahnwerken. Ich erinnere an die
Gefahr von Kapazitätsbeschränkungen in den hochpro-
duktiven ostdeutschen Schiffswerften mit dramatischen
Folgen für die Beschäftigung.

Ich vermisse bislang eine deutliche Initiative der Bun-
desregierung gegen das, was mit Basel II auf den Weg ge-
bracht werden soll. Wenn das geschieht, kann man eine
Wette darüber abschließen, welche Auswirkungen das für
die kapitalschwachen kleinen und mittleren Unternehmen
in Ostdeutschland – aber nicht nur dort – haben wird.


(Beifall bei der PDS)

In dieser Lage kann man doch nicht auf das verweisen,

was für die Zeit zwischen 2005 und 2019 nun glückli-
cherweise erfolgreich mit dem Länderfinanzausgleich
und dem Solidarpakt II unter Dach und Fach gebracht
worden ist und zweifelsohne zur Positivbilanz dieser
Bundesregierung gehört. Die Bundesregierung kann aber

nicht bis zum Jahre 2005 eine Politik des „Weiter so“ ma-
chen, weder bezogen auf den Osten noch auf manche
strukturschwache Region in den alten Bundesländern.
Wie kann man in dieser sich zuspitzenden wirtschaftli-
chen Lage die öffentlichen Investitionen weiter
schrumpfen lassen, wie dies mit dem Haushaltsent-
wurf 2002 geschehen soll? Damit wird ein fortdauernder
Absturz nicht nur in der Bauwirtschaft in Kauf genom-
men.

Wir fordern hier eine alsbaldige Änderung, Herr
Minister. Ringen Sie sich endlich zu einer Infrastruktur-
pauschale für ostdeutsche und westdeutsche struktur-
schwache Kommunen durch!


(Beifall bei der PDS)

Ringen Sie sich zu einem Stadtumbauprogramm zur Be-
seitigung des strukturellen Wohnungsleerstandes im
Osten durch! Dies würde die Produktion ankurbeln. Dies
würde Menschen in Lohn und Brot bringen und schließ-
lich positive Wirkungen auf die Steuereinnahmen haben.

Sie haben im Übrigen durchaus einen Finanzierungs-
spielraum für solche Maßnahmen. Sie haben beispiels-
weise höhere Zinsersparnisse aus den für Schuldentilgung
eingesetzten UMTS-Lizenzerlösen. Dazu kann man Sie
nur beglückwünschen. Diese Ersparnisse sind weitaus
größer, als bislang angenommen. Insofern gibt es einen
Spielraum. Auch das neue Schuldenmanagement der
Bundesregierung führt zu Zinsersparnissen und somit zu
einem weiteren Spielraum.

Übrigens – das darf ich an dieser Stelle anmerken – ist
von den 2 Milliarden DM, die die Deutsche BahnAG von
den UMTS-Milliarden für Investitionsprojekte zur Verfü-
gung gestellt bekommen sollte, nach Aussage von Herrn
Mehdorn bislang nicht ein einziger Pfennig dort ange-
kommen, weil es beim Abschluss entsprechender Finanz-
vereinbarungen eine offenbar sehr bürokratische Handha-
bung gibt. Das ist in dieser fragilen konjunkturellen Lage
natürlich weiteres Gift für die wirtschaftliche Entwick-
lung und die Beschäftigung.


(Beifall bei der PDS)

Stimmen Sie unserem Antrag zu, die wöchentliche

Höchstarbeitszeit auf 40 Stunden zu begrenzen und damit
den Überstunden zu Leibe zu rücken. Verabschieden Sie
sich von verlorenen Zuschüssen an große Unternehmen
und fordern Sie eine gesellschaftliche Gegenleistung
großer Unternehmen, die Steuergelder zur Verfügung ge-
stellt bekommen, wie das beispielsweise erfolgreich in
Frankreich geschieht.

Der überparteilich entstandene Vorschlag, den die PDS
an die Bundesregierung weitergegeben hat und alsbald im
Parlament einbringen will, nämlich eine Absatzoffensive
für Unternehmen der Investitionsgüterbranche aus
den neuen Bundesländern zu starten, wäre auch eine
Möglichkeit, die Konjunktur zu beleben. Dieses Projekt
würde im Übrigen kein frisches Geld kosten. Vielmehr
geht es um die Bereitstellung einer Bürgschaft für die Vor-
finanzierung eines größeren Kredits, den private Banken
den betreffenden Unternehmen zur Verfügung stellen
wollen. Dies würde zur sofortigen Schaffung einer fünf-
stelligen Zahl von Arbeitsplätzen führen können.




Dr. Christa Luft
17754


(C)



(D)



(A)



(B)


Lassen Sie mich ein letztes Wort zu den Vorschlägen
der Union zur Therapierung der Lage sagen. Herr Minis-
ter Eichel, wir können Ihnen in vielem, was Sie dazu ge-
sagt haben, zustimmen. Das Zehn-Punkte-Programm der
Union ist keine Vorschlagsliste zur Wiederbelebung der
Wirtschaft und des Arbeitsmarktes. Es ist im Grunde ge-
nommen ein Maßnahmenkatalog, der den abhängig Be-
schäftigten und weniger Wohlhabenden unserer Gesell-
schaft die Lasten der nicht von ihnen verursachten
Schwäche des wirtschaftlichen Wachstums aufbürden
soll.


(Beifall bei der PDS)

Das wird die Bevölkerung sehr wohl wahrnehmen.

Sie von der Union setzen zum sozialpolitischen Roll-
back an. Sie schlagen vor, die in den letzten drei Jahren
gesetzten sozialpolitischen Akzente – beim sozialen
Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, bei
der Ausgestaltung der Betriebsverfassung und auf ande-
ren Gebieten – zu liquidieren. Wenn Herr Kollege Merz
das Sagen bekäme, würden Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer Gefahr laufen, zum Freiwild der Wirtschaft zu
werden. Das darf nicht geschehen.


(Beifall bei der PDS)

Sie von der Union können nicht so tun, als würde eine

vorgezogene Steuerreform die vorhandenen Probleme lö-
sen. Sie haben aus Ihrer Regierungszeit keine praktische
Erfahrung vorzuweisen, die einen Zusammenhang zwi-
schen sinkenden Steuern und sinkenden Arbeitslosenzah-
len bestätigen würde.


(Rainer Funke [F.D.P.]: USA, Niederlande! – Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Nennen Sie mal ein Beispiel dafür!)


Zwischen 1982 und 1998 ist die Zahl der Arbeitslosen in
den alten Bundesländern von 1,8 Millionen auf 2,9 Milli-
onen gestiegen, obwohl es eine Fülle von Steuersenkun-
gen gegeben hat. Sie erinnern sich, wie ich, an die
Senkung des Spitzensteuersatzes und die Senkung
des Körperschaftsteuersatzes. Die Gewerbekapitalsteuer
wurde abgeschafft, der Solidarbeitrag gesenkt und die
Vermögensteuer ausgesetzt. Dies alles hat nicht zum Er-
folg geführt.

Das bedeutet allerdings nicht, dass wir keine Vor-
schläge in Bezug auf das Steuerrecht hätten. Wir werden
in der nächsten Woche einen Antrag einbringen, der sich
mit der Wiedererhebung der Vermögensteuer auf refor-
mierter Grundlage befasst. Wir haben, wie Sie wissen,
längst einen Antrag in den Bundestag eingebracht, um die
Mehrwertsteuer für arbeitsintensive Dienstleistungen zu
senken.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418004900
Frau Kolle-
gin Luft, Sie müssen leider zum Schluss kommen.


Dr. Christa Luft (PDS):
Rede ID: ID1418005000
Auch das wäre, Kolleginnen
und Kollegen von der F.D.P., eine Maßnahme, um den
Handwerksbetrieben, die ums Überleben kämpfen, die
Existenz zu sichern.

Der Hilfsfonds für unschuldig in Not geratene Hand-
werksfirmen, der auf unsere Initiative hin in den Haus-
halt 2001 eingestellt worden ist, darf nicht zu einem Ar-
beitsbeschaffungsprogramm für Wirtschaftsprüfer und
Unternehmensberater werden, sondern muss den Betrof-
fenen zugute kommen.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418005100
Für die
SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Joachim Poß.


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1418005200
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Diese Debatte hat der CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion und der Öffentlichkeit Aufschluss darüber
gegeben, dass weder das Konzept von Herrn Merz noch
das von Frau Merkel realitätstüchtig und geeignet ist, den
politischen Wettbewerb mit dieser Koalition und dieser
Regierung aufzunehmen. Beide Konzepte sind auch nicht
miteinander kompatibel:


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dazu hat der heutige Vormittag beigetragen.
Am heutigen Vormittag konnten Sie auch die Erkennt-

nis gewinnen, dass Sie an sich selbst arbeiten müssen, um
überhaupt wieder konkurrenzfähig zu werden. Wenn Sie
aus der heutigen Debatte eine solche Vorstellung mitneh-
men, hat sich diese Diskussion zumindest für Ihre Frak-
tion gelohnt; für viele andere hat sie sich nicht gelohnt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Um nicht falsch verstanden zu werden: Angesichts der

vielen Prognosen und Experteneinschätzungen, die zum
Teil sehr unterschiedlich sind, ist es richtig und wichtig,
im Deutschen Bundestag über die wirtschaftliche Situa-
tion und die Entwicklung in Deutschland zu reden und
auszuloten, wie wirtschafts- und finanzpolitisch mit die-
ser Situation umzugehen ist.

Die konjunkturelle Lage ist sicherlich nicht so, wie
wir sie uns wünschen; das schließt ausdrücklich auch die
Lage auf dem Arbeitsmarkt mit ein. Ich halte allerdings
die beiden von der Union vorgelegten Zehn-Punkte-Pro-
gramme für nicht geeignet, um auf ihrer Grundlage eine
angemessene und realitätsbezogene wirtschaftspolitische
Auseinandersetzung zu führen.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Dann legen Sie doch zuerst überhaupt mal etwas vor!)


– Wir legen nicht nur etwas vor, sondern haben auf die-
sem Gebiet unsere Koalitionsvereinbarung umgesetzt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Rainer Funke [F.D.P.]: Was für ein Unsinn! – Birgit Schnieber-Jastram [CDU/ CSU]: Gucken Sie sich doch die Ergebnisse der Umsetzung auf dem Arbeitsmarkt an!)


Es liegt nicht nur ein Programm der CDU/CSU vor,
sondern es existieren tatsächlich zwei Programme. Diese




Dr. Christa Luft

17755


(C)



(D)



(A)



(B)


Tatsache ist schon erwähnt worden; aber man muss es der
Öffentlichkeit ganz deutlich sagen: Es gibt zwei Pro-
gramme, und zwar ein Programm Merkel sowie ein Pro-
gramm Merz und Glos. Eine der wenigen Identitäten zwi-
schen den Programmen besteht darin, dass sie jeweils
zehn Punkte umfassen. Das heißt, es gibt nur wenige
Punkte, die in beiden Programmen identisch sind. Hiermit
wird schwarz auf weiß dokumentiert, dass es der Union
immer noch nicht gelingt, eine einheitliche und geschlos-
sene Politikkonzeption anzubieten. Das ist ein Hinweis
auf den Zustand Ihrer Fraktion und Ihrer beiden Parteien.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Nullwachstum Poß!)


Die Bürgerinnen und Bürger, die sich von der heutigen
Debatte eine gewisse Aufklärung und Orientierung ver-
sprechen, erwarten von Ihnen, dass Sie Ihren innenpartei-
lichen Wettbewerb um Personen und Konzepte erst ein-
mal abschließen, bevor Sie hier im Bundestag mit uns
über den besten Politikentwurf streiten. Darauf haben die
Bürgerinnen und Bürger ein Recht.


(Beifall bei der SPD)

Aber möglicherweise lässt sich in Ihrem so genannten Er-
neuerungsprozess ein solches innerparteiliches Durchein-
ander nicht vermeiden.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Zur Sache können Sie auch etwas sagen? – Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Hochmut und Übermut kommen vor dem Fall!)


Einer der beiden Punkte, der bei Merz und Merkel
identisch ist, ist die Forderung nach dem Vorziehen der
Einkommensteuerentlastungsschritte 2003 und 2005
auf den 1. Januar 2002.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Das wollte Frau Scheel doch auch!)


Es ist ein Jahr her, dass sich die Regierungskoalition im
Rahmen der Steuerreform gegen Ihren Versuch einer
Fundamentalopposition durchgesetzt hat. Weitreichende
Steuerentlastungen zu fordern – auch ohne Beachtung der
konjunkturellen Situation – macht sich immer gut!


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Besser als die Steuererhöhungen bei Ihnen!)


Sie sollten aber endlich einmal zur Kenntnis nehmen –
auch Ihre Ministerpräsidenten sagen Ihnen das –: Steuer-
entlastungen sind nur in dem Maße vernünftig und ge-
genüber den Ländern und Gemeinden vor allen Dingen
nur dann durchsetzbar, wenn die damit für die öffentli-
chen Haushalte verbundenen Einnahmeausfälle verkraft-
bar sind. So ist die Realität, und zwar in jeder konjunktu-
rellen Phase.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Aber die Schieflage für den Mittelstand betrachten Sie überhaupt nicht!)


Mit den von Ihnen vorgelegten Vorschlägen haben Sie
sich aus einer ernsthaften wirtschafts- und finanzpoliti-
schen Debatte verabschiedet. Allein bei einer Betrachtung
der finanziellen Konsequenzen Ihres Vorschlages für die

öffentlichen Haushalte erledigt sich Ihre Forderung von
selbst. Die Umsetzung ihres Vorschlags hätte nämlich die
Verfassungswidrigkeit des Bundeshaushaltes 2002 zur
Folge; denn die Nettokreditaufnahme würde die Inves-
titionsausgaben erheblich übersteigen. Ähnlich wäre es in
einer Reihe von Bundesländern, übrigens auch in Bundes-
ländern, die CDU-geführt sind. Deshalb ist es nicht über-
raschend, dass sich, soweit mir bekannt ist, weder Herr
Vogel aus Thüringen noch Herr Müller aus dem Saarland
Ihren Forderungen nach weiteren massiven Steuerausfäl-
len öffentlich angeschlossen haben.

Die öffentlichen Haushalte insgesamt könnten bei Rea-
lisierung Ihrer Programme den Konsolidierungspfad nicht
mehr einhalten, der im Rahmen des Europäischen Wirt-
schafts- und Stabilitätspaktes nach Brüssel gemeldet wor-
den ist. Der Vertrauensverlust im Ausland und auf den Fi-
nanzmärkten wäre enorm.

Aber nicht nur der Bund, sondern auch die Länder und
Gemeinden wären als Reaktion auf weitere Steuerausfälle
zu zusätzlichen und stärkeren Einsparbemühungen ge-
zwungen. So wie die Dinge nun einmal liegen, müssten
die Gemeinden zum Beispiel ihre Investitionshaushalte
weiter zurückfahren. Das würde für den Mittelstand und
für die Bauwirtschaft einen Nachfrageausfall und insge-
samt weniger Beschäftigung und eine möglicherweise
höhere Arbeitslosigkeit bedeuten; denn zwei Drittel aller
öffentlichen Aufträge werden von Gemeinden vergeben.
Dies wäre die Konsequenz Ihrer Vorschläge. Vielleicht
sollten Sie – denn Sie wollen ja immer besonders mittel-
standsfreundlich sein – diesen Aspekt noch einmal über-
denken.

Auch wenn Sie sich auf die eine oder andere Meinung
von Expertenseite berufen sollten: Es ist nicht richtig, ge-
nerell davon auszugehen, dass sich Steuersenkungen
durch eine entsprechende konjunkturelle Belebung selbst
finanzieren. Eine verantwortungsbewusste Haushalts-
und Finanzpolitik, die Jahr für Jahr dafür Sorge tragen
muss, dass der Staat fiskalisch handlungsfähig bleibt, darf
und kann sich darauf nicht verlassen. Denn nach all den
von uns gemachten Erfahrungen gibt es keine Selbst-
finanzierungseffekte in diesem Umfang. Natürlich gibt
es auf einer Zeitschiene von drei bis fünf Jahren
Selbstfinanzierungseffekte. Aber die mit den Steuersen-
kungen verbundenen Steuerausfälle und deren Konse-
quenzen für die öffentlichen Haushalte, die ich geschil-
dert habe, treten sofort ein.

Einerseits beklagen Sie die hohe Preissteigerung –
auch Herr Merz hat das heute Morgen wieder gemacht
und hat so getan, als sei das nur ein Problem bei uns und
nicht auch in allen anderen europäischen Staaten; sie geht
übrigens wieder zurück, wie Sie feststellen konnten; das
ist ja auch gut so –, andererseits zielen Sie durch Ihr Plä-
doyer für die Aufgabe des Konsolidierungskurses darauf,
Inflationstendenzen zu schüren. Das, was Sie machen, ist
doch in hohem Maße widersprüchlich. Auf der einen Seite
beklagen Sie die hohe Inflation und auf der anderen Seite
tun Sie mit Ihren Vorschlägen alles, um den Inflationsauf-
trieb zu fördern.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])





Joachim Poß
17756


(C)



(D)



(A)



(B)


Auch mit diesem Widerspruch müssen Sie sich auseinan-
der setzen.

Wie soll denn da die Europäische Zentralbank dem
Beispiel der amerikanischen Notenbank folgen und bei
solchen Signalen die Zinsen weiter senken? Das ist doch
das völlig falsche Signal für die Europäische Zentralbank.

Es ist ja auch bemerkenswert, dass die CDU/CSU-
Fraktion mit ihrem Beschluss vom Dienstag, bereits einen
Tag nach Frau Merkels Forderung im Präsidium der CDU,
von dieser Forderung nach der sofortigen Abschaffung
der gesamten Ökosteuer abgerückt ist. Es ist ja bekannt,
dass bei Ihnen in der Einstellung zur Ökosteuer ein fun-
damentaler Gegensatz besteht; den können Sie auch gar
nicht verschleiern.

Wer aber die Ökosteuer insgesamt abschaffen will, der
muss umgehend die Beiträge zur Rentenversicherung auf
etwa 21 Prozentpunkte anheben – das ist hier schon er-
wähnt worden –, oder Sie müssen einfach weitermachen
mit der Schuldenpolitik von Kohl und Waigel. Diese Al-
ternativen gibt es noch. Wenn Sie, Frau Hasselfeldt, diese
Widersprüche gleich aufklären könnten, wären wir Ihnen
sicherlich alle dankbar. Wir sind schon gespannt, zu
hören, welchen Finanzierungsvorschlag Sie dem staunen-
den Publikum hier offerieren.

Die Anhebung der Rentenversicherungsbeiträge würde
zu erheblichen Mehrbelastungen der Arbeitnehmer und
der Arbeitgeber mit allen negativen Effekten für Kon-
junktur und Beschäftigung führen. Aber weil es uns um
den Mittelstand geht, gerade um den Mittelstand,


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Jetzt wird es aber lustig!)


werden wir solche Vorschläge zu verhindern wissen. Das
trifft nämlich in erster Linie den Mittelstand negativ. Herr
Michelbach, das sollten Sie einmal überlegen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das gilt grundsätzlich auch für das Aussetzen einzelner
Ökosteuerstufen.

Wir verfolgen aus Überzeugung eine andere Philoso-
phie als Sie.

Auch wenn die Einschätzung der konjunkturellen Ent-
wicklung nicht mehr so positiv ist wie vor Monaten – das
gilt ja nicht nur für Deutschland –, gibt es nach wie vor
keinen Grund zu Rezessionsängsten und schon gar nicht
zur Panikmache. Wir werden den von uns verfolgten Kurs
der haushalts- und finanzpolitischen Solidität und Ver-
lässlichkeit weitergehen. Die Investoren und die Konsu-
menten brauchen Sicherheit und Beständigkeit für ihre
Planungen und Erwartungen.

Man muss sich noch einmal verdeutlichen und klarma-
chen, was die von der CDU vorgelegten Zehn-Punkte-
Programme bedeuten. Sie fordern jetzt genau das, was Sie
den Sozialdemokraten vor Jahrzehnten und auch noch in
den letzten Jahren vorgeworfen haben: kurzfristigen Ak-
tionismus anstelle mittel- und langfristiger Orientierung;


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)


Beschäftigungsprogramme anstelle dauerhaft tragfähiger
und finanzierbarer wirtschaftlicher Rahmenbedingungen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie haben nur ein Mittelstandsvernichtungsprogramm!)


Mit Ihren teuren Konjunkturprogrammen zwingen Sie
Bund, Länder und Gemeinden zur Steigerung der Kredit-
aufnahme, treiben Sie die Staatsverschuldung in die Höhe
und belasten damit zukünftige Generationen.

Sie haben sich hier heute Morgen vermeintlich im Inte-
resse der jüngeren und der nachwachsenden Generation
geäußert. Mit dieser Linie belasten Sie die zukünftigen Ge-
nerationen. Auch das machen wir nicht mit, weil wir für
eine nachhaltige Finanzpolitik stehen, die die zukünfti-
gen Generationen eben nicht stärker belasten will.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Lesen Sie sich doch einmal, soweit Sie dem Parlament
schon etwas länger angehören, Ihre früheren eigenen Re-
den, die Sie hier im Parlament gehalten haben, durch.

Obwohl wir als Bundesregierung und als Koalition bis-
her ein hohes Reformtempo vorgelegt haben, sind natür-
lich noch nicht alle Aufgaben erledigt. Für uns gilt auch
weiterhin – Herr Eichel hat es für die Regierung gesagt;
ich sage es für die SPD-Bundestagsfraktion –: Verläss-
lichkeit und Solidität gehen über puren Aktionismus, der
bei Ihnen letztlich aus breitem parteipolitischen Frust ge-
boren ist. Aber Frust, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU, ist immer ein schlechter Ratgeber gewesen.
Verabschieden Sie sich von diesen zwei Schmierpapieren
– wie sagte Herr Schlauch? –


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Waschzetteln!)


von diesen zwei Waschzetteln, die Sie vorgelegt haben!
Das, was Sie da vorgeschlagen haben, ist wirklich nicht
einmal das Papier wert, auf dem es geschrieben ist. Das
war ein Fehlschuss und zu dieser Einschätzung sollten Sie
sich nun wirklich bekennen.

Ich hoffe, dass Sie sich so weit erholen, dass Sie dem-
nächst hier im Plenum mit uns seriöse wirtschafts- und fi-
nanzpolitische Diskussionen führen können.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1418005300
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht die Kollegin Gerda
Hasselfeldt.

Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) (von der CDU/CSU
mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Es ist schon erschreckend, mit welcher Arroganz
und vor allem mit welcher Ignoranz die Bundesregierung
mit den aktuellen Daten zur wirtschaftlichen Entwicklung
umgeht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Willkür! – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Von denen ist jetzt keiner mehr da!)





Joachim Poß

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(C)



(D)



(A)



(B)


Dies wird nicht nur daran deutlich, dass weder der Wirt-
schaftsminister noch der Bundeskanzler an dieser Debatte
teilnimmt,


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Der Finanzminister auch nicht! – Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Der Sozialminister ist auch betroffen!)


sondern auch daran, wie der Finanzminister in seinen
Ausführungen mit diesen Fakten umgegangen ist.

Er hat zum Beispiel davon gesprochen – ich bedaure,
dass er nicht mehr persönlich hier sein kann –, dass die
Verrücktheit, jeden Tag neue Prognosen zu machen, ein
Ende haben müsse. Wenn die Arbeit der seriösen Wirt-
schaftsforschungsinstitute als „Verrücktheit“ bezeich-
net wird, dann verstehe ich die Welt nicht mehr. Das ist
mehr als Hohn, wie hier mit der Arbeit seriöser Wirt-
schaftsforschungsinstitute umgegangen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sozialistische Absolutheit!)


Sie haben die Aufgabe und die Pflicht, uns Prognosen
über die weitere wirtschaftliche Entwicklung an die Hand
zu geben, und es ist unsere Pflicht, daraus die entspre-
chenden politischen Konsequenzen zu ziehen und Ent-
scheidungen zu treffen.

Herr Poß hat hier zwar eingestanden, dass es konjunk-
turelle Schwierigkeiten und erhebliche Probleme am Ar-
beitsmarkt gibt;


(Joachim Poß [SPD]: Das ist doch nicht zu leugnen!)


ich habe aber seine Antworten auf diese Probleme ver-
misst. Herr Poß, Sie haben in Ihrer gesamten Rede kein
Wort dazu gesagt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Funke [F.D.P.] – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Antworten haben wir doch schon gegeben!)


Tatsachen sind, dass erstens die Konjunktur wegbricht
– die Wachstumsprognosen sinken Monat um Monat –,
zweitens der Euro sich seinem historischen Tiefstand
nähert, drittens die Preise permanent steigen – die Infla-
tion hat eine Besorgnis erregende Höhe erreicht –, vier-
tens auch die saisonbereinigte Zahl der Arbeitslosen steigt
und fünftens entgegen Ihren Versprechungen die Beiträge
zur Sozialversicherung ebenfalls steigen. Das ist die Rea-
lität unserer wirtschaftlichen Entwicklung!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Darauf müssen Antworten gegeben werden, die Sie

schuldig geblieben sind. Wir geben die Antworten mit un-
serem Antrag. Da hilft kein Schönreden, kein Ignorieren;
da hilft nur eine ehrliche Bestandsaufnahme.

Warum ist das so wichtig? Das ist keine theoretische
Diskussion. Die Fakten, die ich eben anführte, betreffen
die Menschen in unserem Land ganz massiv: alle Arbeit-
nehmer mit ihren Familien, die um die weitere Sicherung
ihrer eigenen Arbeitsplätze bangen, viele Arbeitslose, die
einen Arbeitsplatz suchen, aber genauso viele Unterneh-

mer, deren Existenz auf dem Spiel steht, und letztlich alle
Bürgerinnen und Bürger, denen Sie mit Ihrer Politik der
hohen Inflationsraten das Geld aus der Tasche nehmen.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns darüber unterhal-
ten und nach Lösungen suchen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Hier machen Sie, meine Damen und Herren von der

Regierungsseite, es sich bei der Suche nach der Ursache
dieser Entwicklung ein bisschen zu einfach. Es wird nur
gesagt, das hänge mit der Entwicklung in den USA zu-
sammen, wogegen wir nichts machen könnten. Wie er-
klären Sie sich dann, dass Deutschland im Vergleich zu
den anderen europäischen Ländern am Ende der Wachs-
tumsskala steht? Auch andere europäische Länder haben
einen vergleichbaren Handel mit den USA. Unsere Pro-
bleme in Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung sind
überwiegend hausgemacht; da beißt die Maus keinen Fa-
den ab.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Funke [F.D.P])


Sie sind das Ergebnis von falschen Weichenstellungen
in der Steuerpolitik, in der Arbeitsmarktspolitik und in der
Sozialpolitik. Hier ist ein Gegensteuern notwendig.

Hier ist es auch nicht mit irgendeinem Konjunkturpro-
gramm getan. Weder Herr Poß noch Herr Eichel noch
Herr Schlauch haben unser Programm gelesen. Sollten sie
es gelesen haben, haben sie es entweder nicht verstanden
oder es nicht verstehen wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wahrscheinlicher!)


Eine andere Erklärung dafür, dass Sie ständig von einem
kurzfristigen Konjunkturprogramm reden, sehe ich nicht.
Das ist kein kurzfristiges Konjunkturprogramm, sondern
der Versuch, dem, was Sie falsch gemacht haben, entge-
genzusteuern.

Ich nenne Ihnen einige Beispiele. Die Ökosteuer ist ja
schon angesprochen worden. Es ist interessant, wenn Herr
Schlauch davon spricht, dass die Ursachen für die Infla-
tionsentwicklung bei der BSE-Krise zu finden seien. Das
zeugt von einem hohen ökonomischen Sachverstand,
Herr Schlauch.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das ist eine der ersten Auswirkungen der BSE-Krise! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: BSE und Energie!)


– Es stimmt, Sie haben auch die Energiepreise als Ursa-
che genannt. Aber genau das ist das Problem, lieber Herr
Schlauch: Sie haben nämlich durch Ihre Ökosteuer die
Stromsteuer – eine solche Steuer hat es bisher noch nie in
Deutschland gegeben – und die Mineralölsteuer erhöht
und damit massiv zum Anstieg der Preise in diesen Berei-
chen beigetragen. Das ist der Kernpunkt, warum die In-
flationsrate so hoch ist. Das haben Sie und niemand an-
derer zu verantworten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)





Gerda Hasselfeldt
17758


(C)



(D)



(A)



(B)


Deshalb ist eine Korrektur Ihrer verfehlten Politik not-
wendig. Auf ein solches Signal warten die Verbraucher
und auch die Investoren zu Recht dringend.

Was ist nun von Ihrer viel gepriesenen Steuerreform
übrig geblieben? Für den Mittelstand, also für die Perso-
nenunternehmen, die immerhin 85 Prozent der deutschen
Wirtschaft ausmachen, und für die Arbeitnehmer war und
ist Ihre Steuerreform bis heute nichts anderes als eine
Nullnummer. Außer den großen Kapitalgesellschaften
spürt niemand, aber auch wirklich niemand etwas von den
angekündigten Steuerentlastungen. Aber die Verschlech-
terungen zum Beispiel durch die Änderungen der Ab-
schreibungsbedingungen, der gesetzlichen Regelungen
für Betriebsumstrukturierungen und der Verlustverrech-
nungen schlagen voll auch bei den Personenunternehmen
durch, da sie nicht entsprechend entlastet wurden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben den Körperschaftsteuersatz für die großen

Kapitalgesellschaften nicht stufenweise, sondern auf
einen Schlag von 40 auf 25 Prozent gesenkt. Sie ermögli-
chen den Kapitalgesellschaften, ihre Veräußerungsge-
winne steuerfrei zu stellen. Für die Personenunterneh-
men, also den überwiegenden Teil der deutschen
Unternehmen, haben Sie auf einmal kein Geld mehr. Die
Steuerentlastung für diese Unternehmen haben Sie auf
den Sankt-Nimmerleins-Tag, auf das Jahr 2005, verscho-
ben. Die steuerliche Freistellung von Veräußerungsge-
winnen haben Sie den Personenunternehmen versagt.

Diese Ungleichbehandlung von mittelständischen Per-
sonenunternehmen im Vergleich zu den großen Kapital-
gesellschaften muss schleunigst beseitigt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Deshalb ist das Vorziehen der für 2005 und 2003 be-
schlossenen Steuerentlastungsstufen auf 2002 dringend
notwendig. Wenn Sie uns schon nicht glauben, dann glau-
ben Sie doch wenigstens Frau Scheel, die den gleichen
Vorschlag gemacht hat. Aber es ist ja nicht das erste Mal,
dass wir von ihr, wenn sie in Mikrofone außerhalb des
Parlaments spricht, etwas ganz anderes hören als in den
parlamentarischen Gremien.


(Zuruf von der SPD: Frau Hasselfeldt, Herr Merz ist wieder da! Er hört Ihnen zu!)


– Herr Merz ist bei meiner Rede anwesend. Bei der heu-
tigen Rede von Herrn Poß war er es nicht. Wenn ich es
richtig sehe, hat er das schon öfter gemacht. Das ist seine
persönliche Entscheidung.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


Frau Scheel, wenn es einen Preis für Doppelzüngigkeit
und Unglaubwürdigkeit in der Politik geben würde, dann
müssten Sie den ersten Preis bekommen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Sie führen, wenn man auf die Ungleichbehandlung von
Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen hin-

weist, immer das Kostenargument an. Das hat auch Herr
Poß vorhin getan. Ich sage Ihnen: Wenn Sie für die
Kapitalgesellschaften Geld haben, dann ist nicht einzuse-
hen, dass Sie für 85 Prozent der deutschen Unternehmen,
für die persönlich haftenden Unternehmer, für die Perso-
nenunternehmen, auf einmal kein Geld mehr übrig haben.
Dies ist wirklich nicht einzusehen!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Ich wünschte mir, dass in den Reihen der Regierungs-
fraktionen in diesen Fragen mehr volkswirtschaftlich als
fiskalpolitisch und buchhalterisch gedacht würde; denn
dann würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass Ihre Weige-
rung, den mittelständischen Unternehmen und Arbeitneh-
mern Steuerentlastungen zu gewähren, zu Steuerminder-
einnahmen führt. Sie würden auch zur Kenntnis nehmen,
dass ein Vorziehen der Reform – dies wäre mit einer
früheren Entlastung der mittelständischen Unternehmen
und mit einer Gleichstellung der mittelständischen Unter-
nehmen mit den großen Kapitalgesellschaften verbunden
– zu Wachstumsimpulsen und weiteren Steuereinnahmen
führen würde. Die ewige rein fiskalpolitische und buch-
halterische Betrachtungsweise, die nichts mit volkswirt-
schaftlichen Erwägungen zu tun hat, ist hier völlig unan-
gebracht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zig Milliarden Schulden spielen bei Ihnen ja keine Rolle!)


Die steuerpolitischen Vorschläge in unserem Papier
stehen in Kombination und engem Zusammenhang mit
den Vorschlägen zum Betriebsverfassungsgesetz, mit den
Vorschlägen in der Gesundheitspolitik und mit den Vor-
schlägen zur Arbeitsmarktderegulierung. Der Finanzmi-
nister hat in seiner heutigen Rede davon gesprochen, dass
es notwendig sei, die Sozialsysteme zu stabilisieren.
Dazu kann ich nur sagen: Ja natürlich, das ist notwendig.
Warum machen Sie es denn nicht? Ich nenne nur die Bei-
spiele Gesundheitspolitik und Rentenversicherung. Die
Ökosteuer, die Sie eingeführt haben, ist nichts anderes als
ein zusätzlicher Beitrag zur Rentenversicherung an der
Tankstelle.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Sie haben die falschen Weichen gestellt. Wenn Sie das
nicht getan hätten, müssten wir heute nicht über den
Scherbenhaufen, den Sie angerichtet haben, reden.

Der Finanzminister hat angesprochen, dass in unserem
Land nur wenige Menschen mit einem ökonomischen
Sachverstand unsere Vorschläge unterstützen würden. Ich
möchte Ihnen nur einen nennen, der im ganzen Land als
Wirtschaftsfachmann unangefochten ist, nämlich Norbert
Walter, den Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Er hat ge-
sagt: Die Bundesregierung muss ernsthaft überlegen, die
zweite und dritte Stufe der Steuerreform vorzuziehen.


(Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Der ist sogar in der eigenen Bank umstritten!)


Er schließt auch persönlich einen länger anhaltenden Ab-
schwung nicht mehr aus. Es erscheint uns angebracht,




Gerda Hasselfeldt

17759


(C)



(D)



(A)



(B)


wenn Sie uns schon nicht glauben, den Menschen zu
glauben, die in der Wirtschaft in unserem Land Verant-
wortung tragen.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der aber gleichermaßen sagt, dass die Ökosteuer eine vernünftige Geschichte ist! Dann müssen Sie es schon konsistent machen! Sie picken sich heraus, was passt!)


Ich habe es vorhin schon gesagt und möchte es zum
Schluss wiederholen: Es geht hier nicht – Sie können es
ruhig hundertmal wiederholen – um ein kurzfristiges
Konjunkturprogramm, sondern um die Korrektur der bis-
her von Ihnen falsch gestellten Weichen. Es geht darum,
die Strukturen so zu verändern, dass die Zeichen auf
Wachstum stehen. Sie haben mit der Zustimmung zu die-
sen Vorschlägen die Möglichkeit, ein entsprechendes Si-
gnal zu setzen. Die Leute im Land warten darauf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418005400
Für die
F.D.P.-Fraktion spricht der Kollege Rainer Funke.


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1418005500
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Ich will hier nicht auf die Prognosen der Bun-
desregierung, der Wirtschaftsinstitute oder der OECD
eingehen. Dabei handelt es sich ja im Wesentlichen um
Momentaufnahmen. Als Praktiker aus der Wirtschaft sehe
ich mir die Kursentwicklung an der Börse und an den De-
visenmärkten an. Ich kann unschwer erkennen, dass die
Marktteilnehmer in ihrer Gesamtheit der wirtschaftlichen
Entwicklung in Europa und vor allem in der Bundesrepu-
blik Deutschland nicht das notwendige Vertrauen entge-
genbringen. Das Vertrauen ist aber für die Investoren ent-
scheidend. Sie müssen Vertrauen darin haben, dass sich
ein Investment am Kapitalmarkt lohnt und dass die
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen sie ihr
Investment tätigten, verlässlich sind. Das hat ja auch der
Finanzminister gesagt. Die Bundesregierung hat aber
nicht danach gehandelt.


(Beifall bei der F.D.P.)

Die Bundesregierung erschwert durch ihre Arbeits-

marktpolitik und ihr Eingehen auf Forderungen von
Funktionären die Bedingungen für die Unternehmer. Sie
belastet den Mittelstand steuerlich und greift mit zusätzli-
chen Regulierungen in wichtige Märkte ein.

Ich nenne einige Beispiele. Im Postwesen – das war ge-
rade gestern Thema – wird die Liberalisierung, also die
Aufhebung des Postmonopols, bis ins Jahr 2007 verscho-
ben. Im Telekommunikationsmarkt wird auf die Regulie-
rungsbehörde – im Interesse der Gewerkschaften – einge-
wirkt, die Telekom einseitig zu unterstützen.

Die Liberalisierung im Strommarkt wird zurückge-
setzt. Die ausdrückliche Förderung der Kraft-Wärme-
Kopplung durch kommunale Energieversorgungsunter-
nehmen kostet die Verbraucher bis zu 8 Milliarden DM.
Diese Mittel fehlen dann natürlich bei der Inlandsnach-
frage.

Der Bau der Transrapidstrecke von Hamburg nach
Berlin wird trotz entgegenstehender Beschlüsse der Bun-
desregierung, des Bundestages und des Bundesrates auf-
gekündigt, obwohl mit dem Transrapid zwei wesentliche
Wirtschaftszentren miteinander verbunden worden wären.
Hier hätte man aktive Strukturpolitik betreiben können,
aber man lässt es sein, weil aus den Reihen der Grünen
Forderungen kommen, diese Transrapidstrecke nicht zu
bauen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zulasten der deutschen Bauwirtschaft wird kurzfristig
§ 2 b des Einkommensteuergesetzes zu einem Fallensteller-
paragraphen umgewandelt. Über viele Sorgen der deut-
schen Bauwirtschaft bräuchten wir uns heute nicht zu un-
terhalten, wenn § 2 b in seiner alten Fassung beibehalten
worden wäre.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wie soll man heute einem
Investor, der vor allem langfristig denken muss, erklären,
warum er gerade in Deutschland investieren soll, und dies
trotz der zahlreichen Regulierungen des Arbeitsmarktes
und der überbordenden Bürokratie? Vom „schlanken Staat“
sind wir noch weit entfernt. Deswegen geht internationa-
les Kapital nicht in die Bundesrepublik Deutschland, son-
dern eher in den Dollarraum, was wiederum zur Dollar-
stärke und damit auch zur Euro-Schwäche führt.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Das mag kurzfristig unsere Exportwirtschaft künstlich
beleben, führt aber langfristig über höhere Importpreise
zu mehr Inflation. Aus diesem Circulus vitiosus wird man
nur ausbrechen können, wenn man stärker dereguliert und
dafür sorgt, dass der Markt sich frei entwickeln kann.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)


Andere europäische Länder haben es uns vorgemacht.
Es ist kein Wunder, dass diese Länder für die jetzigen wirt-
schaftlichen Herausforderungen besser gewappnet sind.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Dass Deutschland EU-weit das Schlusslicht bildet,

kann nicht irgendeiner internationalen Wachstums-
schwäche angehängt werden. Im Vergleich zeigt sich:
Deutschland hat, vor allem in den letzten zwei Jahren,
seine Hausaufgaben nicht gemacht.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir Freien Demokraten wollen keinen kurzfristigen
Aktionismus; der führt auch nicht weiter. Aber wir haben
den Mut, durchgreifende Reformen endlich anzugehen,
die freiheitliche Ordnung zu stärken. Hier müssen Steu-
erpolitik und Arbeitsmarkt ganz vorne stehen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)





Gerda Hasselfeldt
17760


(C)



(D)



(A)



(B)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1418005600
Das Wort hat der Kol-
lege Klaus Wiesehügel, SPD-Fraktion.


Klaus Wiesehügel (SPD):
Rede ID: ID1418005700
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es ist hier schon sehr viel zur
Finanz- und Konjunkturpolitik gesagt worden, aber wie
Sie und ich der Tagesordnung entnehmen können, liegt
ein Antrag vor, der sich „Offensive für die Bauwirtschaft“
nennt. Den Antrag hat die CDU/CSU eingebracht. Ich
möchte einige Sachverhalte verdeutlichen, damit das, was
der Antrag enthält, hier nicht unwidersprochen stehen
bleibt.

Sie beginnen Ihren Antrag mit der lobreichen Feststel-
lung, dass der Bauwirtschaft seit jeher eine Schlüssel-
rolle zufällt. Das haben Sie völlig richtig erkannt. Aber
umso mehr muss ich mich fragen: Warum haben Sie dann
in den 90er-Jahren den Schlüssel zerbrochen oder gar
weggeworfen?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Oh, Herr Wiesehügel!)


– Ich muss das wirklich fragen. Es ist einer Opposition
wohl zugestanden, den Versuch zu machen, die eigenen
Versäumnisse nun der Regierung in die Schuhe zu schie-
ben, aber Sie gestalten diesen Versuch wirklich sehr, sehr
dürftig.

Gleich zu Beginn Ihres Antrags „Offensive für die
Bauwirtschaft“ schreiben Sie, dass die Beschäftigten-
zahlen im Bauhauptgewerbe von 1,4 Millionen im Jahr
1995 auf 930 000 im März 2001 zurückgegangen sind.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Stimmt es oder stimmt es nicht?)


– Ja, ja, Herr Merz. – Fast 500 000 Menschen sind seit
1995 arbeitslos geworden oder wurden nicht mehr ersetzt.
Diese Tendenz zeigte sich ganz besonders in den neuen
Bundesländern. Aber glauben Sie wirklich, Herr Merz,
wenn Sie das Jahr 1995 als Vergleich heranziehen, dass
die Menschen vergessen haben, dass Sie 1995, 1996, 1997
und fast das komplette Jahr 1998 unter einem Bun-
deskanzler Helmut Kohl die Regierungsverantwortung
getragen haben?


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Wir sind auf keiner Gewerkschaftskundgebung! Sie brauchen nicht so zu schreien!)


Das heißt, dass die Ursachen für den Rückgang der Be-
schäftigung zu einem ganz wesentlichen Teil in einem Zeit-
raum liegen, den Sie zu verantworten hatten. Das geht auf
Ihr Konto und nicht auf das von irgendjemand anderem.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich habe ja darauf gewartet, dass Sie wieder schreien:

„Wir sind auf keiner Gewerkschaftskundgebung!“. Sie
müssen sich einmal entscheiden: Am 4. April haben wir
hier über die Bauwirtschaft geredet. Dabei hat Ihr Kollege
Ernst Hinsken gesagt – ich kann das durchaus noch ein-
mal zitieren –:

Herr Wiesehügel, das ist an Sie gerichtet. Ich be-
dauere sehr, dass Sie heute nicht sprechen. Denn ich

hätte erwartet, dass sich jemand, der im Gewerk-
schaftsbereich stark ist, für die Arbeitnehmer, für
seine Freunde, einsetzt …

Sie können nicht, wenn ich rede, auf die Gewerkschaft
verweisen, und wenn ich nicht rede, fragen, warum der
Gewerkschaftsvertreter nicht spreche. So geht es nicht.
Sie müssen sich da schon einmal entscheiden, was Sie nun
wollen, ob ich nun reden soll oder nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mir ist es egal, was Sie sagen; ich werde zu Anträgen von
Ihrer Seite, die ich für falsch halte, weiterhin Stellung
nehmen.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Schrei nicht so!)


Es ist nun unser Problem, die von Ihnen gemachte feh-
lerhafte Politik ganz langsam und mühevoll wieder in die
richtigen Bahnen zu lenken. Wie sehr Ihr ganzes Vorge-
hen rein populistischer Natur ist, kann man, wenn man
den Text Ihres Antrages liest, sehr schnell feststellen. Sie
beklagen auf Seite 2 den Rückgang der Zahl der Bau-
genehmigungen und fragen, wo denn hierfür die Gründe
zu suchen sind. Dafür nennen Sie vier Gründe, nämlich
erstens – natürlich wie immer – die Ökosteuer, zweitens
die Beschränkung befristeter Arbeitsverträge, drittens den
Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit und viertens die Aus-
weitung der betrieblichen Mitbestimmung.


(Zuruf von der CDU/CSU: Genauso ist es!)

Meine Damen und Herren, um die schlechten Rah-

menbedingungen der Bauwirtschaft durch die Einführung
der Ökosteuer erklären zu wollen, bedarf es schon fast
des Hilfsmittels einer nicht mehr besonders seriösen Ar-
gumentation. Sie arbeiten hier einfach nach dem Motto:
Wenn wir Opposition betreiben müssen – das tun Sie of-
fensichtlich sehr ungern –, dann sind wir nicht verpflich-
tet, neue Vorschläge zu machen, sondern können wirklich
alles auf die Ökosteuer schieben. In dieser Diskussion ist
das aber der völlig falsche Ansatz. Wenn Sie sich ein klei-
nes bisschen ernsthaft mit der Bauwirtschaft beschäfti-
gen, dann werden Sie schnell lernen, dass es sich um eine
der arbeitsintensivsten Branchen in unserem Land han-
delt. Das heißt, es gibt kaum eine andere Branche, in der
die Entlastungswirkung bei den Lohnnebenkosten
stärker gezogen hat als in der Bauwirtschaft. Das heißt,
die Verteuerung von Energie wurde in der Bauwirtschaft
mehr als kompensiert. Von daher ist dieser von Ihnen an-
geführte Punkt ein Eigentor.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch der zweite Punkt, die Einschränkung befristeter
Arbeitsverträge, zeugt von mangelnder Recherche oder
von geringer Kenntnis. Wie kaum eine andere Branche
nutzt die ostdeutsche Bauwirtschaft die Möglichkeit,
befristete Arbeitsverträge abzuschließen. Das Bauge-
werbe war hier auf dem Weg zu einem Saisongewerbe.
Erst durch die richtigen Korrekturmaßnahmen der
Bundesregierung wird die Möglichkeit, befristete Ar-
beitsverträge abzuschließen, wieder ihrem eigentlichen
Sinn zugeführt.






(C)



(D)



(A)



(B)


Es ist schon abenteuerlich, nun den Rechtsanspruch
auf Teilzeitarbeit für die Schwierigkeiten des produzie-
renden Baugewerbes verantwortlich machen zu wollen.
Wer sich nur ein kleines bisschen in der Bauwirtschaft
auskennt, muss dieses Argument einfach als lachhaft
empfinden. Die meisten Menschen legen doch weite
Strecken zu den Baustellen zurück. Deshalb kann ja nun
gerade in diesem Bereich dieses Argument nun wirklich
nicht verfangen.

Noch lustiger wird es dann, wenn Sie in Ihrem Antrag
behaupten, dass die Bundesregierung die Rahmenbedin-
gung für den Bau durch eine Ausweitung der betriebli-
chen Mitbestimmung drastisch verschlechtert habe.
Dass Sie sich vehement gegen die Reform des Betriebs-
verfassungsgesetzes gewehrt haben, konnte man in die-
sem Hause ja sehr lautstark zur Kenntnis nehmen. Dass
Sie nun allen Ernstes alle Probleme dieser Welt genau wie
bei der Ökosteuer auf diesen Umstand zurückführen wol-
len – schon zu einem Zeitpunkt, zu dem noch nicht eine
einzige Betriebsratswahl nach dem neuen Gesetz einge-
läutet wurde –, das zeigt nun wirklich, dass Sie sich nicht
um ernsthafte Lösungen bemühen, sondern populistisch
von Ihren eigenen Versäumnissen ablenken wollen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Die Bauwirtschaft kann ihre Umsätze erst dann er-
zielen, wenn aus weit zurückliegender Planung Investi-
tionsentscheidungen und aus umfangreicher Berechnung
endlich Stein und Beton werden. Deshalb müssen die Ur-
sachen für ihre Probleme immer für einen mindestens
zwei bis drei Jahre – meistens noch viel länger – zurück-
liegenden Zeitraum beziffert werden.

Wenn nicht gerade auf offenem Podium, so werden
Sie doch wohl insgeheim zugeben, dass die von Ihnen
vielleicht wohl gemeinte, aber schlecht gemachte
Fehlsteuerung der Bauwirtschaft in den neuen Län-
dern eines der Hauptübel ist. Die 50-prozentige Sonder-
abschreibung in den neuen Bundesländern hat zum Auf-
bau viel zu vieler Kapazitäten geführt, die sich nur sehr
mühselig wieder vom Markt verabschieden wollen.

Darüber hinaus weiß jeder, der das Baugewerbe kennt,
dass nicht nur das plötzliche Aufkommen von zahlreichen
Anbietern den Markt belastet; durch den künstlichen
Boom entstand vielmehr auch sehr schnell ein idealer
Nährboden für Schwarzarbeit und Illegalität.Es sind ge-
rade diese Illegalität und Schwarzarbeit, die der Branche
erheblich zu schaffen machen, mittlerweile nicht nur durch
die Verdrängung von soliden Anbietern, sondern auch
durch die unrentierliche Durchführung von Aufträgen.

Wir sind uns einig – das entnehme ich auch Ihrem An-
trag –, dass Schwarzarbeit und Illegalität für die Bau-
wirtschaft ein Grundübel darstellen. Nur, wenn man liest,
was Sie hier als Lösungsvorschläge einbringen, wird ei-
nem noch einmal sehr deutlich, warum Sie dieses Pro-
blem nie ernsthaft bekämpfen konnten. Die Wettbe-
werbsverzerrungen am Baumarkt entstehen durch die
Hinterziehung von Steuern und Sozialversicherungs-
beiträgen sowie durch Verstöße gegen das Arbeitnehmer-
Entsendegesetz.

Die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen haben deshalb ein Eckpunktepapier zur Bekämp-
fung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit ver-
abschiedet, allerdings ohne Ihre Unterstützung. Wie soll-
ten sie das auch mit Ihrer Unterstützung tun können; Ihre
Konzepte sind ideologisch falsch wie immer: Senkung
von Steuern und Sozialabgaben, ohne dass Sie den Men-
schen sagen wollen, wie denn die Gegenfinanzierung
funktionieren soll.

Nein, die Probleme der Bauwirtschaft liegen woan-
ders. Auch Illegalität und Schwarzarbeit haben ihre Ursa-
chen in weiter zurückliegender Zeit. Es war die Bundes-
regierung in den 90er-Jahren, die es versäumt hat, bei der
Gestaltung Europas die Angleichung der Sozialsysteme
gleich mitzufordern. Es war Ihr ehemaliger Bundeskanz-
ler, der auf dem europäischen Gipfel in Luxemburg eine
gemeinsame europäische Arbeitsmarktpolitik geradezu
verhindert hat. Immer wieder haben Sie Ihre ideologi-
schen Konzepte gegen die berechtigten Interessen auch
der anderen Länder massiv und hart durchgesetzt und da-
mit Europa Steine in den Weg gelegt, die nicht so leicht
wieder wegzuräumen sind.


(Beifall bei der SPD)

Ich bin froh, dass wir jetzt eine neue Bundesregierung

haben und eine neue Politik erleben. Es ist Gerhard
Schröder zu verdanken, dass in Göteborg eine sieben-
jährige Übergangsfrist für Dienstleistungs- und Arbeit-
nehmerfreizügigkeit vereinbart wurde. Das gibt den Betei-
ligten in der Bauwirtschaft zu Recht die Hoffnung zurück,
dass Ihre ungezügelte Deregulierungswut, wenn auch
mühsam, repariert wird und nun positive Kapitel auch für
diesen Wirtschaftsbereich aufgeschlagen werden.

Es sind viele Dinge auf einem guten Weg. Vieles geht
nicht so schnell, wie es sich die Beteiligten vielleicht
wünschen. Es ist nun mal ungeheuer schwierig, einen
überschuldeten Haushalt in Ordnung zu bringen und
gleichzeitig alle Wünsche zu erfüllen. Aber wir sehen
heute, dass in den Ländern, in denen die Haushalte in
guten Zeiten in Ordnung gebracht wurden, viel mehr kon-
junkturstützende Maßnahmen möglich sind als bei uns.
Hätten Sie in der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung mit
dem Schuldenabbau schon mal angefangen, hätten wir
heute ausreichende Mittel, um all die Maßnahmen zu
verwirklichen, die Sie jetzt ohne glaubhafte Finanzierungs-
alternative in der Sorglosigkeit einer Opposition vortragen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die deutsche Bauwirtschaft braucht Hilfe, gar keine
Frage; aber was sie überhaupt nicht braucht, sind Kroko-
dilstränen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Bravo! – Sehr gut!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1418005800
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Peter Rauen für die CDU/CSU-Fraktion.


Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1418005900
Frau Präsidentin! Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute




Klaus Wiesehügel
17762


(C)



(D)



(A)



(B)


hier über Möglichkeiten zur Wiederbelebung der deut-
schen Wirtschaft und des Arbeitsmarktes. Es ist – da-
mit komme ich zum Anfang zurück – schon beschämend,
dass bei einer so wichtigen Debatte weder der Wirt-
schaftsminister noch der Arbeitsminister anwesend ist.
Ich habe vorhin mit ein bisschen Erschrecken den Jubel
vernommen, als Sie den Hammelsprung gewonnen hatten
und die beiden nicht herbeizitiert werden konnten. Meine
Damen und Herren, Sie können sich heute noch darüber
hinwegmogeln, aber wir können die Konjunktur in
Deutschland nicht mehr gesundbeten. Sie werden brutal
von der Wirklichkeit eingeholt werden; das prophezeie
ich Ihnen. Dann werden auch der Wirtschaftsminister und
der Arbeitsminister hier sitzen.

Ich hätte von Herrn Müller schon gern gehört, was er
zu seiner Äußerung sagt, dass wir jetzt ein Nullwachstum
haben werden. Ich hätte schon gern gehört, wie er die
Dinge sieht. Wir haben ja im Jahr 2000 beginnend von
Quartal zu Quartal einen dramatischen Rückgang des
Wachstums in Deutschland. Was dabei erschreckt, ist die
Kürze der Zeit, in der selbst die führenden Institute ihre
Prognosen revidieren müssen.

Als wir über die Steuer diskutierten, habe ich von die-
ser Stelle aus gesagt: Wer eine solche Politik gegen Mit-
telstand und Arbeitnehmer in Deutschland macht, der
wird auf dem Arbeitsmarkt scheitern.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben damals lautstark protestiert. Heute sagen Sie
nichts mehr; Sie gucken nur noch betreten. Sie haben
schon gespürt, wohin die Reise geht.

Ich möchte zu Herrn Wiesehügel kommen, der ja ein in
Tarifpolitik erfahrener Mann ist. Herr Wiesehügel, die
Steuerreform Ihrer Regierung ist vor die Wand gefahren.
Die Wirkungen sind völlig nutzlos verpufft.


(Klaus Wiesehügel [SPD]: Das glauben Sie selbst nicht!)


– Ja, doch; Sie kennen doch die Zahlen. Ich beweise es
Ihnen am Beispiel meiner Mitarbeiter. Ich finde es be-
sonders erschreckend, wie despektierlich hier mit dem
Thema Wachstum und Arbeitsmarkt umgegangen wird,
während man selbst im Moment darum kämpft, seine
rund 100 Mitarbeiter durch diese Zeit zu bekommen.
Herr Wiesehügel, das sind Männer, die seit zehn, 15, 20,
30 Jahren bei mir arbeiten, von denen ich den größten
Teil selbst ausgebildet habe, die ich privat gut kenne.
Wenn man dann eine Zeit erlebt, in der man unter Geste-
hungskosten anbietet und selbst dann noch keine Arbeit
bekommen kann, dann wissen Sie – zumindest können
Sie eine Ahnung davon haben –, wie sehr man kämpft,
um seine Mitarbeiter durch diese Zeit hindurchzubekom-
men.

Wenn auch einer wie ich noch Substanz einsetzen
kann, um die Leute zu halten, so bitte ich Sie doch, sich
einmal zu überlegen, wie das bei den jungen Firmen in
den neuen Bundesländern ist, die keine Chance hatten,
Substanz anzusammeln,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


und die dann in Insolvenz gehen, wie Friedrich Merz Ih-
nen heute Morgen gesagt hat. 14 500 Insolvenzen in den
ersten fünf Monaten dieses Jahres!

Jetzt komme ich zu Ihnen zurück, Herr Wiesehügel.
Die Steuerreform hat meinen Mitarbeitern im Durch-
schnitt 80 DM Erleichterung im Monat gebracht. Am
1. April hatten wir im Baugewerbe eine Lohnerhöhung
von 1,7 Prozent. Davon hat der Junggeselle 31 DM netto
mehr, der Verheiratete 50 DM netto mehr. Bleiben wir bei
dem Mittel von 40 DM. Wenn Sie die 80 DM und die
40 DM addieren, sind wir bei 120 DM. Bei zwölf Mona-
ten sind das 1 440 DM im Jahr. Jetzt kommt noch das
Weihnachtsgeld von 55 Prozent hinzu; dann sind wir bei
rund 1 500 DM.

Herr Wiesehügel, wenn meine Mitarbeiter, die seit Jahr-
zehnten ihr eigenes Heim haben, im letzten Oktober ihren
Heizöltank mit 3 000 Litern gefüllt haben, haben sie
1 500 DM mehr bezahlt als ein Jahr vorher. Das heißt, die
Steuerreform und die Lohnerhöhung sind durch die enorme
Verteuerung der Energie völlig konterkariert worden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Das Heizöl wird genauso besteuert wie vor zwei Jahren! Da hat sich gar nichts geändert!)


– Es wäre gut, wenn Sie zuhörten;

(Zuruf von der SPD: Es wäre besser, wenn Sie nicht falsche Beispiele brächten!)

denn ich merke schon, dass auch Sie beginnen, über diese
Dinge nachzudenken.


(Zuruf von der SPD: Sie sollten nicht die Unwahrheit erzählen!)


Da sind die Spritmehrkosten überhaupt noch nicht
drin, da sind auch die Strommehrkosten überhaupt noch
nicht drin. Das heißt, unsere Arbeitnehmer haben einen
realen Kaufkraftverlust in einem hohen Maße. Das gilt
nicht nur für die Bauarbeiter, das gilt nicht nur für die Ei-
genheimbesitzer. Auch diejenigen, die zur Miete wohnen,
haben Nebenkostenrechnungen, wonach sie aufgrund der
Energiepreiserhöhungen pro Quadratmeter und Monat
zwischen 50 und 90 Pfennig mehr bezahlen müssen.

Jetzt hören Sie auf, uns hier weismachen zu wollen, das
wäre ein Problem der Konzerne, meine Damen und Herren.


(Zuruf von der SPD: Das Heizöl hat mit der Besteuerung überhaupt nichts zu tun, Herr Rauen! Das wissen Sie doch! Sie reden doch wider besseres Wissen!)


Natürlich haben wir eine Erhöhung der Ölpreise; das ist
wahr. Aber die Ölpreise werden in Dollar fakturiert, und
wir haben einen schwachen Euro. Deshalb müssen wir
30 Prozent mehr für den Liter Öl bezahlen als noch vor
dieser Schwäche des Euro.

Natürlich kommen in diesem Bereich noch die Belas-
tungen durch die Ökosteuer hinzu.


(Karl Diller, Parl. Staatssekretär: Beim Heizöl ist gar nichts passiert! – Gegenruf der Abg. Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Vier Pfennig! Erste Stufe!)





Peter Rauen

17763


(C)



(D)



(A)



(B)


– Herr Diller, ich bin dankbar für den Einwurf; Sie sollten
aber den Zusammenhang kennen: Wenn ich für den Roh-
stoff Öl 30 Prozent mehr zahlen muss, weil er in Dollar
fakturiert wird und der Euro schwach geworden ist, dann
gilt das natürlich auch für das Heizöl. Ich habe da also
sehr wohl differenziert.


(Weiterer Zuruf des Parl. Staatssekretärs Karl Diller)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1418006000
Herr Staatssekretär,
das ist ja ganz interessant, aber wir wollen die Spielregeln
einhalten.


Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1418006100
Beim Benzin kommt
natürlich die Ökosteuer hinzu.

Um bei dem Beispiel zu bleiben: Was folgt denn letzt-
endlich daraus? Im Frühjahr 2000, Herr Wiesehügel, ha-
ben fast alle Gewerkschaften, alle Tarifpartner für zwei
Jahre Lohnabschlüsse getätigt, wobei sie von einer In-
flationsrate von um 1 Prozent ausgingen.


(Klaus Wiesehügel [SPD]: Sie reizen mich, den Betrieb hier aufzuhalten!)


Im nächsten Frühjahr haben wir wieder Lohnverhand-
lungen. Ich frage mich: Wie weit soll sich denn diese
Lohn-Preis-Spirale noch drehen, wenn keine wirksamen
Entlastungen über die Steuer bei den Leuten ankommen?

Sie erwähnen nun immer, dass die Entlastung einge-
treten wäre, und meinen damit natürlich, dass die Renten-
versicherungsbeiträge um 1,2 Prozentpunkte gesenkt wur-
den. In diesen Tagen hat die AOK Baden-Württemberg
ihre Beiträge um 0,7 Prozentpunkte erhöht.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wahnsinn!)

Für die Menschen ist es völlig egal, in welche Tasche das
Geld geht. Sie stellen nur fest, dass immer weniger von
ihrem Bruttolohn übrig bleibt. Das ist Faktum. Wenn jetzt
diese Erhöhung bei der Krankenkasse kommt, dann wer-
den wir am Ende feststellen, dass die ganze Operation der
Einführung der Ökosteuer zur Senkung der Lohnzusatz-
kosten eine Chimäre gewesen ist, weil nämlich am Ende
dieser Operation genauso hohe Lohnzusatzkosten stehen
wie vor dieser Operation.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Allerdings werden Sie den Menschen dann insgesamt
rund 37 Milliarden DM, einschließlich Mehrwertsteuern,
durch die Ökosteuer aus der Tasche gezogen haben. Des-
halb ist diese Steuer das, was wir von Anfang an gesagt
haben: Sie ist ökologisch unbrauchbar und dient nur dazu,
die Menschen abzukassieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Ich sage es noch einmal: Sie werden viel schneller von
der Wirklichkeit eingeholt werden, als Sie es sich zurzeit
noch erträumen. Was wir im Moment sehen, ist der Gip-
fel eines Eisberges. Sie haben zu wenig das beachtet, was
die Bundesbank bereits im Februar dieses Jahres festge-

stellt hat. Sie hat festgestellt, dass im Jahr 2000 das reale
Wachstum mit 3,1 Prozent um 0,4 Prozentpunkte höher
war als das nominale Wachstum. Dieses Phänomen hat es
im letzten Jahrhundert nur zweimal gegeben: einmal bei
der Weltwirtschaftskrise 1930 und dann noch nach der
Koreakrise 1953.

Wegen dieser Besonderheit habe ich die Regierung an-
geschrieben und habe eine relativ klare Antwort bekom-
men. Man hat konstatiert, dass die Kostenbelastung aus
höheren Energiekosten von vielen Firmen in Deutschland
nicht in Preise weitergegeben werden konnte. Was heißt
das? Wenn ich die Kosten nicht weitergeben kann, dann
heißt das: verminderte Gewinne, weniger Innovations-
und Investitionsfähigkeit und damit weniger Arbeits-
plätze. Diese Wirkung stellen wir zurzeit fest. In der Ant-
wort der Regierung wurde ferner konstatiert, dass man
hoffe, dass die höheren Kosten in der zweiten Hälfte des
Jahres doch in Preise umgesetzt werden können. Was
heißt das? Das heißt: höhere Inflation.

Genau vor dem Punkt stehen wir heute. Wenn es
uns nicht gelingt, durch ordnungspolitische Maßnahmen
– wie in unserem Papier vorgeschlagen – die Voraus-
setzungen dafür zu schaffen, dass Wirtschaft stattfinden
kann und dass sich Arbeitsplätze entwickeln können, dann
geraten wir in eine Lohn-Preis-Spirale, mit der wir im
nächsten Frühjahr nicht fertig werden können. Für mich
stellt sich nicht die Frage, ob wir das Vorziehen der Steu-
erreform finanzieren können. Für mich stellt sich die
Frage, ob wir es uns mit Blick auf die Lohn-Preis-Spirale,
die jetzt einsetzt, leisten können, die Steuerreform nicht
vorzuziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben schon einmal einen Kanzler aus Ihrer Partei

gehabt, der gesagt hat: Lieber 5 Prozent Inflation als
5 Prozent Arbeitslosigkeit.


(Zurufe von der SPD)

Das war genauso dumm wie die Aussage des jetzigen
Kanzlers, der schwache Euro sei nicht so schlimm; er för-
dere den Export. – Das ist wahr: Man kann im Dollarraum
deutsche Produkte um 30 Prozent billiger kaufen als noch
vor zwei Jahren. Aber wir bekommen natürlich für die
Waren, die wir ausführen, weniger Computer und weniger
Öl. Das heißt, die Terms of Trade sind dramatisch in den
Keller gegangen. Das hat mit dieser Entwicklung zu tun.
Deshalb ist es volkswirtschaftlich von überragender Be-
deutung, jetzt ordnungspolitische Maßnahmen zu ergrei-
fen, um dieser weiteren Flaute zu entgehen.

Dabei ist doch das, was heute Morgen von vielen Red-
nern der Regierungskoalition gemacht wurde, äußerst
dümmlich – das muss ich schon sagen –,


(Widerspruch bei der SPD)

nämlich einen Widerspruch zwischen Friedrich Merz und
Frau Merkel in unserem Antrag zu konstatieren.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

– Sie haben unseren Antrag nicht gelesen. Der Antrag ist
von Angela Merkel und von Friedrich Merz und von der




Peter Rauen
17764


(C)



(D)



(A)



(B)


gesamten Fraktion gestellt worden. Darin gibt es keinen
Widerspruch.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welcher von wem?)


– Ich weiß, Sie bauen darauf, mit diesen Dümmlichkeiten
Differenzen bei uns hineinzutragen,


(Zurufe von der SPD: Nein, nein! – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


um Ihre Schwächen und Ihre schwache Politik zu über-
tünchen. – Sie werden sich wundern. Sie werden von der
Realität der Wirtschaft eingeholt.

Meine Damen und Herren, Sie werden es erleben – das
sage ich jetzt, und ich werde in einem halben Jahr darauf
zurückkommen –: Dieser Kanzler, der momentan nicht
hier ist, hat gesagt, er möchte an den Erfolgen auf dem
Arbeitsmarkt gemessen werden; der Arbeitsmarkt sei das
Spiegelbild einer guten oder schlechten Wirtschafts-,
Finanz- und Sozialpolitik. – Auf diesem Arbeitsmarkt
sind Sie bereits gescheitert, Sie nehmen das nur noch
nicht wahr, meine Damen und Herren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)


Sie konnten zwei Jahre im Trüben fischen, weil die
Zählweisen umgestellt wurden. Schauen Sie sich die Daten
jetzt genau an. Seit 1997 war in Deutschland eine Zunahme
der Erwerbsstunden – und nur darauf kommt es
an – zu verzeichnen. Das hat sich 1998 fortgesetzt; 1999 ist
die Zunahme abgeflacht und im Jahr 2000 zum Stillstand
gekommen. Es kommt nicht auf die Kopfzahlen an, meine
Damen und Herren, sondern auf die Stunden, die in Er-
werbstätigkeit geleistet werden. Darauf beziehen sich die
Steuern und Abgaben, die gezahlt werden, und danach rich-
tet sich unser Wirtschaftswachstum. In diesem Bereich ist
der Arbeitsmarkt aber bereits zum Erliegen gekommen.


(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Schreiben Sie sich bitte noch ein Letztes ins Stamm-

buch. Schauen Sie sich die Zahlen des Statistischen Bun-
desamtes und der Bundesanstalt für Arbeit an. In den Jah-
ren 1999 und 2000 ist die Zahl der Arbeitslosen um
390 000 zurückgegangen. In demselben Zeitraum sind aus
demographischen Gründen 436 000 Menschen mehr in
Rente gegangen als in das Erwerbsleben eingetreten.

Da wir im Januar, Februar, März, April und Mai dieses
Jahres eine saisonbedingte Zunahme der Arbeitslosigkeit
zu verzeichnen hatten –


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1418006200
Herr Kollege, bitte
kommen Sie zum Schluss.


Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1418006300
– ich komme zum
Schluss –, können Sie, wenn Sie die Mai-Zahlen 1999
mit den Mai-Zahlen des Jahres 2001 vergleichen, feststel-
len, dass es nur noch 276 000 Arbeitslose weniger gibt;
aber aus demographischen Gründen sind 450 000 Men-
schen mehr in den Ruhestand gegangen als in das
Erwerbsleben eingetreten.

Ihre Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik ist
gescheitert. Sie werden es sich bald nicht mehr leisten
können, dass die wichtigen Minister bei einer solchen De-
batte nicht anwesend sein können.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1418006400
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 14/6436 und 14/6315 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? – Dann sind die Überweisungen
so beschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialord-
nung auf Drucksache 14/6199 zu dem Antrag der Fraktion
der CDU/CSU mit dem Titel „Arbeitslosenversicherungs-
beitrag senken“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/4377 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Gegen die Stimmen
der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. ist die Be-
schlussempfehlung angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie auf Drucksache 14/6198 zu dem Antrag der Fraktion
der PDS mit dem Titel „Kleinunternehmer-Hilfefonds ef-
fektiv organisieren und gesetzliche Voraussetzungen für
eine Nachfolgeregelung schaffen“. Der Ausschuss emp-
fiehlt, den Antrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-
che 14/5559 abzulehnen. Wer ist für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Gegen
die Stimmen der Fraktion der PDS ist die Beschluss-
empfehlung angenommen.

Zusatzpunkt 10: Interfraktionell wird die Überweisung
der Vorlage auf Drucksache 14/6446 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Da-
mit sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 c
auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zurAufhebung des Rabattgesetzes und zurAn-
passung anderer Rechtsvorschriften
– Drucksache 14/5441 –

(Erste Beratung 164. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

– Drucksache 14/6459 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Birgit Roth (Speyer)


b) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines




Peter Rauen

17765


(C)



(D)



(A)



(B)


Gesetzes zur Aufhebung der Zugabeverord-
nung und zur Anpassung weiterer Rechts-
vorschriften
– Drucksache 14/5594 –

(Erste Beratung 164. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Rainer Funke, Rainer Brüderle,
Hildebrecht Braun (Augsburg), weiteren Abge-
ordneten und der Fraktion der F.D.P. einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpas-
sung des deutschen Zugaberechts an die
EU-Richtlinie über den elektronischen Ge-
schäftsverkehr (ZugaberechtsanpassungsG)

– Drucksache 14/4424 –

(Erste Beratung 133. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/6469 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dirk Manzewski
Dr. Susanne Tiemann
Volker Beck (Köln)

Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Hartmut Schauerte, Gunnar Uldall, Dagmar
Wöhrl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Innovation und fairer Wettbewerb im Handel
nach Abschaffung von Rabattgesetz und Zuga-
beverordnung
– Drucksachen 14/5751, 14/6463 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Birgit Roth (Speyer)


Zu den beiden Gesetzentwürfen der Bundesregierung
liegt jeweils ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS
vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für diese
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Staatssekretär Eckhart Pick.

D
Prof. Dr. Eckhart Pick (SPD):
Rede ID: ID1418006500
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Vor genau einem Jahr hatten wir in diesem Hause
vonseiten des Bundeswirtschaftsministeriums und des
Bundesjustizministeriums eine große Anhörung, an der
rund 70 Organisationen und Institutionen des Handels und
des Handwerks teilgenommen haben. Ebenfalls beteiligt
waren die Industrie und die Verbraucherseite. Wir wollten
wissen, wie die Betroffenen die Zukunft des Rabattgeset-
zes und der Zugabeverordnung vor dem Hintergrund der
neueren europäischen Rechtsentwicklungen, insbeson-

dere der Richtlinie zum elektronischen Geschäftsverkehr,
einschätzen. Eine deutliche Mehrheit hat sich dafür aus-
gesprochen, sowohl das Rabattgesetz als auch die Zuga-
beverordnung abzuschaffen.

Seitdem wird dieses Thema öffentlich diskutiert. Wir
haben zahlreiche Anfragen und Stellungnahmen von Un-
ternehmen bekommen, die belegen, dass dort ein großes
Interesse an der Nutzung neuer Angebotsformen vorhan-
den ist.

Wir sind uns – ich denke, parteiübergreifend – darin
einig, dass das Rabattgesetz und die Zugabeverordnung in
der geltenden Form nicht mehr haltbar sind. Die Gesetze
entsprechen übrigens nicht mehr der Rechtswirklichkeit


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Da müssen Sie aber viele Gesetze abschaffen, zum Beispiel die Straßenverkehrsordnung!)


und werden, wie wir alle wissen, Herr Feibel, in vielen
Fällen ohne Unrechtsbewusstsein umgangen.

Der mündige Verbraucher ist in aller Regel in der Lage,
Rabatt- und Zugabeangebote richtig einzuschätzen und
sich in seinem Kaufentschluss nicht durch falsche An-
preisungen verleiten zu lassen. Er erwartet heute bei höher-
wertigen Konsumgütern entsprechende Preisnachlässe und
fordert sie auch ein. Erfahrungen aus dem europäischen
Ausland – ich denke insbesondere an die Niederlande oder
Österreich – zeigen, dass die Verbraucher vernünftig mit
Rabatten und Zugaben umgehen können.

Der Handel und die Anbieter von Dienstleistungen
können durch die Liberalisierung zusätzliche Spielräume
gewinnen. Neuartige Absatz- und Marketingstrategien,
wie zum Beispiel eine Verbreiterung des Serviceange-
botes mittelständischer Unternehmen, werden den Wett-
bewerb zweifellos intensivieren.

Sicherlich wird die Zunahme der Wertreklame neue
Ebenen des Wettbewerbes eröffnen. Ich denke, dass die
Befürchtungen des Einzelhandels, kleinere Unternehmen
könnten sozusagen durch die Sogwirkung von Kunden-
bindungssystemen großer Anbieter behindert oder sogar
vom Markt verdrängt werden, durchaus ernst zu nehmen
sind.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Aha!)

Gleiches, Herr Feibel, gilt für das Argument, der Zugabe-
wettbewerb könne in bestimmten Fallkonstellationen eine
Preisverschleierung zum Nachteil der Verbraucher nach
sich ziehen.

Wir haben deshalb beim Bundesministerium der Jus-
tiz eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die die Auswirkun-
gen der Aufhebung der beiden Gesetze beobachtet, analy-
siert und gegebenenfalls zeitnah Lösungsvorschläge ent-
wickeln soll.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ihr gehören Vertreter der betroffenen Spitzenverbände,
also auch des Einzelhandels, der Rechtspraxis und der
Rechtswissenschaft an. Diese Arbeitsgruppe hat bereits
einmal getagt, ihre zweite Sitzung ist in diesen Tagen
vorgesehen. Die Befürchtungen des Einzelhandels hin-




Vizepräsidentin Anke Fuchs
17766


(C)



(D)



(A)



(B)


sichtlich der Kundenbindungssysteme werden in dieser
Arbeitsgruppe mit Sicherheit eine große Rolle spielen.

Im Gegensatz zu den Kollegen der CDU/CSU und der
PDS glauben wir nicht, dass die allseits geforderte Libe-
ralisierung des Rabatt- und Zugaberechts durch neue Auf-
fangnormen abgefedert werden müsste. Ich denke, dass
auch die Anhörung in dieser Woche diese Einschätzung
bestätigt hat. Das Bundeskartellamt und die Landeskar-
tellbehörden werden in Zukunft die Entwicklung des Ra-
batt- und Zugabewettbewerbs sehr intensiv verfolgen, ich
betone: auch verfolgen müssen. Sie sehen sich aufgrund
des bestehenden Instrumentariums im Kartellgesetz in der
Lage, Behinderungen mittelständischer Unternehmen
durch die marktstarke Konkurrenz zu begegnen. Für den
mittelständischen Handel bietet sich außerdem die Mög-
lichkeit, auf regionaler Ebene Zusammenschlüsse zu bil-
den und entsprechende Kundenbindungssysteme zu ent-
wickeln.

Ich darf nochmals an die Anhörung in dieser Woche er-
innern. Der Vertreter eines City-Card-Modells von Ge-
werbetreibenden – aus einer bayerischen Kleinstadt übri-
gens – hat uns in dieser Anhörung sehr plastisch de-
monstriert, dass solche Systeme ausgesprochen erfolg-
reich operieren können.

Im Übrigen bieten die wettbewerbsrechtlichen Gene-
ralklauseln – ich denke an §§ 1 und 3 UWG – und die Be-
stimmungen der Preisangabeverordnung, die ja nach wie
vor Bestand haben, den Gerichten ausreichende Möglich-
keiten, um wettbewerbswidrigen anreißerischen oder ir-
reführenden Werbemaßnahmen entgegenzusteuern. Wenn
ich die gegenwärtige Rechtsprechung auswerte, dann
besteht für mich kein Zweifel, dass die Gerichte diesen
Spielraum auch ausnutzen werden.

Ich darf daran erinnern, dass der Bundesgerichtshof
schon im Vorfeld der Gesetzesinitiative in seinen Ent-
scheidungen etwa zur Zulässigkeit der Bonusmeilen-Pro-
gramme oder zur Abgabe kostenloser Handys bei Ab-
schluss von Telefonkartenverträgen Kriterien festgelegt
hat, die die notwendige Transparenz von Zugabeangeboten
sicherstellen. Neue Formen der Rabattgewährung, wie etwa
das Powershopping, werden von den Gerichten im Hinblick
auf die geplante Änderung der Rechtslage schon jetzt ganz
bewusst unter dem Gesichtspunkt des § 1 UWG geprüft.

Wir werden sicherlich nicht verhindern können, dass
einige Anbieter die gewonnenen Spielräume für miss-
bräuchliche Werbung ausnutzen. Das ist wohl festzuhal-
ten. Aber wir sind auch keine Propheten. Deswegen kön-
nen wir noch nicht sagen, in welchen konkreten Bereichen
etwaige Probleme auftreten werden. Aus diesem Grunde
denken wir, dass Auffangregelungen zurzeit kontra-
produktiv sind. Sie würden nämlich neue Auslegungspro-
bleme hervorrufen und den gewünschten Liberalisie-
rungseffekt konterkarieren.

Auch in dieser Frage wird die bereits angesprochene
Arbeitsgruppe beim Bundesministerium der Justiz für
eine strikte und fachgerechte Begleitung und Kontrolle
der Rechts- und Wirtschaftspraxis stehen. Aufgabe dieser
Arbeitsgruppe ist es außerdem, das deutsche Wettbe-
werbsrecht zu modernisieren und ein tragfähiges Kon-

zept für die wünschenswerte und notwendige Harmoni-
sierung des Wettbewerbsrechts auf der europäischen
Ebene zu erarbeiten.

In diesem Zusammenhang sind zwei weithin aner-
kannten Fachleute, Professor Schricker vom Max-Planck-
Institut in München und Professor Fezer von der Univer-
sität Konstanz, mit Gutachten beauftragt worden. Diese
Gutachten werden die Grundlage zur Beantwortung der
Frage sein, inwieweit aus deutscher Sicht Reformbedarf
auf europäischer Ebene besteht. Die Expertengruppe wird
ihre Arbeit mit Hochdruck fortsetzen und damit schon
bald verwertbare Ergebnisse erzielen können.

Meine Damen und Herren, in der Tat sind gleiche
„Spielregeln“ auf europäischer Ebene erforderlich, damit
in allen Bereichen der Werbung und der Verkaufsförde-
rungsmaßnahmen Chancengleichheit gewährleistet wer-
den kann. Die Bundesregierung wird sich mit Nachdruck
für dieses Ziel einsetzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1418006600
Für die CDU/CSU-
Fraktion erteile ich dem Kollegen Hartmut Schauerte das
Wort.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1418006700
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie
mir eine Vorbemerkung: An dem heutigen Tag haben
wichtige wirtschaftspolitische Debatten wie die über die
wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Ländern und
über die gesamtwirtschaftliche Entwicklung im Vorder-
grund gestanden. Jetzt folgt diese Debatte. Wir müssen
nun feststellen, dass der Wirtschaftsminister bedauerli-
cherweise bei all diesen Debatten fehlt, überhaupt keine
Zuständigkeit mehr zu haben scheint.

Gerade hat Staatssekretär Pick angekündigt, dass die
Justizministerin zur Weiterentwicklung des europäischen
Wettbewerbsrechts eine Arbeitsgruppe eingesetzt hat.
Hiermit ist wieder ein Kernbereich der Wirtschaftspolitik
vom Justizministerium übernommen worden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich habe fast den Eindruck, dass wir über kurz oder

lang gar nicht merken würden, wenn es keinen Wirt-
schaftsminister mehr gäbe, weil es ihn eh schon seit ge-
raumer Zeit nicht mehr gibt, jedenfalls nicht hier im
Hause.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Er war einmal richtig gut, nämlich als er eine sehr po-

lemische Rede – erstaunlicherweise – zugunsten von
Joschka Fischer gehalten hat. Das war sein bester Tag
überhaupt.


(Andrea Fischer [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Trittin!)


Aber bei sämtlichen Debatten zu Themen, die sein
Amt betreffen, ist er nicht da. Ich finde das ausgesprochen




Parl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick

17767


(C)



(D)



(A)



(B)


alarmierend und bedauerlich. Das zeigt, welchen Rang
die Wirtschaftspolitik in dieser Regierung – Herr Staffelt,
darüber sollten Sie einmal nachdenken – überhaupt noch
einnimmt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Nun zum Thema! Rabattgesetz und Zugabeverordnung

sind durch Wirklichkeit, Praxis, Verhalten der Marktteil-
nehmer, Europäisierung und technologische Entwicklung
– Stichwort E-Commerce – nicht mehr aufrechtzuerhal-
ten; das wissen wir seit geraumer Zeit. Der Eindruck hat
sich aufgrund der Entwicklungen, die wir alle kennen und
hellwach begleiten, verstärkt. Es hätte also ein Gebot der
Klugheit sein müssen zu sagen: Jetzt ist der Zeitpunkt er-
reicht, an dem der Nutzen, den diese Gesetze haben sol-
len, abnimmt und die Behinderungen, die diese beiden
Gesetze mit sich bringen, zunehmen, wir sie also ab-
schaffen sollten. Was aber muss darüber hinaus bedacht
werden?

Diese Gesetze sind ja nicht grundlos in die Welt gesetzt
worden; die Ziele existieren weiter.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: So ist es!)

Die Ziele waren erstens die Preistransparenz, zweitens die
Konzentrationsverlangsamung und ein gewisser Schutz
für kleine Unternehmen und drittens Marktwirtschaft statt
Machtwirtschaft zu ermöglichen und zu optimieren; so
kann man es vielleicht umschreiben. Das waren die ei-
gentlichen Ziele dieser Gesetze. Diese bleiben wichtige
Ziele der Wirtschaftspolitik.

Deswegen muss sich ein verantwortlicher Gesetzgeber
dann, wenn er erkennt, dass die eigentlichen Ziele durch
die Gesetze nicht mehr so geschützt werden, wie es ur-
sprünglich gedacht war, und er beschließt, die Gesetze ab-
zuschaffen, fragen: Was brauche ich stattdessen? Brauche
ich stattdessen überhaupt etwas oder schaffen wir sie ab
und schauen erst einmal, was dann passiert? Wenn dann
etwas passiert, schauen wir, ob wir die Gesetzgebungs-
maschine wieder in Gang setzen. – Das ist der eigentliche
Konflikt, über den wir heute reden. Es geht um nicht viel
anderes; damit hier gar keine falschen Illusionen aufkom-
men.

Ich bleibe dabei: Diese Ziele bleiben wertvoll. Und wir
fragen, ob diese Ziele durch die Vorgehensweise der Bun-
desregierung noch ausreichend geschützt sind oder nicht.
Es geht also darum, ob diese Gesetze ersatzlos abge-
schafft werden können oder ob nicht das eine oder andere
Element in Form einer anderen Regelung erhalten bleiben
muss. Eine Frage ist auch, ob es neue Anforderungen gibt,
die man beachten muss, beispielsweise durch die europä-
ische Entwicklung. Wenn man in diese Systematik ein-
greift, sollte man an alle neuen Entwicklungen denken.
Wenn man schon aufräumt, sollte man auch richtig auf-
räumen und nicht nur punktuell und den Rest liegen las-
sen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Im Falle einer ersatzlosen Abschaffung der Gesetze

gibt es eindeutige Gewinner: Das sind die großen Unter-
nehmen. In diesem Zusammenhang möchte ich schon sa-
gen – ich will aber keine falschen Popanze aufbauen –,

dass ich als jemand, der zu kleinen Unternehmenseinhei-
ten und auch zu großer Nähe nach unten sowie zum Sub-
sidiaritätsprinzip Ja sagt, bei folgendem Umstand hell-
wach werde: Je größer einer im Markt ist, umso heftiger
ist sein Begehren danach, dass dieses Gesetz fällt. Je klei-
ner er im Markt ist, umso seltener ist das zu hören. Dies
muss alle, die die gleiche Denkweise haben, zumindest
neugierig machen. Was steckt dahinter, dass bei den
großen Unternehmen die Abschaffung dieser Gesetze ab-
solute Priorität hat?

Das beste Beispiel dafür ist die Lufthansa AG. Dies ist
mittlerweile der Monopolbetrieb in Deutschland. Wir alle
merken das, wenn wir die Flugpreise zu zahlen haben.
Dieses Unternehmen war die Speerspitze dieser Aktion.
Das ist also schon interessant.

Herzlichen Glückwunsch auch an die cleveren Kun-
den, die die Vorteile, die sich nun ergeben, besser nutzen
können! Es gibt sehr vieles – neue Formen des Vertriebs
oder neue Marketingansätze –, das lebendig ist, schön ist
und Mut macht, weil es passt.

Es kann aber auch Verlierer geben. Ich sage das nicht
als Bedenkenträger, sondern aufgrund einer nüchternen
Analyse. Ich frage mich, ob die Verbraucher insgesamt
kurzfristig bzw. langfristig gewinnen oder verlieren. Es
muss die Frage gestellt werden: Was macht der Handel,
wenn diese Geschäfte abgeschafft sind? Es wird weniger
die Händler mit einem Massensortiment treffen – dort
fährt der Kunde mit dem Einkaufswagen zur Kasse und an
der Kasse kann nicht mehr gehandelt werden –, aber den
Facheinzelhandel, der mit qualifizierten Gütern handelt.
Wenn konsequent gehandelt wird und Schnäppchenjäger
20 bis 40 Prozent der Kundschaft ausmachen, so muss der
Einzelhandel darauf reagieren.

Ich will das Bemühen des Kunden nicht verteufeln,
aber man muss berücksichtigen, dass der Einzelhandel
entsprechend reagieren wird. Ich sage Ihnen: Der vor-
sichtige Kaufmann wird seine Preise rechtzeitig erhöhen,
um im Einzelfall größere Nachlässe geben zu können;
denn die Margen im Handel – wir haben in Deutschland
im Einzelhandel die geringsten Margen aller europäischer
Länder – sind nicht so groß und der Kaufmann kann bei
der Gewährung von Nachlässen nicht an seine Substanz
gehen.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: So ist es!)

Es gibt also nicht sehr viel Spielraum. Ich denke, das se-
hen diejenigen, die die Situation kennen, gleichermaßen.
Mittelständische Unternehmen haben etwas größere Pro-
bleme. Ich hoffe, sie sind kreativ genug, um die Verände-
rung aufzufangen.

In vielen Fällen gibt es eine Rechtsunsicherheit; dies
ist auch in den Anhörungen intensiv beklagt worden. Man
hätte sich in diesem Punkt eine größere Klarheit ge-
wünscht. Über diese Frage haben aber weder der Wirt-
schaftsminister noch der Justizminister, der das Problem
hätte sehen müssen, nachgedacht. Es wird sicherlich viel
Arbeit auf die Gerichte zukommen. Das Kartellamt und
andere Stellen sagen ganz offen, dass die rechtlichen Un-
klarheiten durch die Rechtsprechung beseitigt werden
müssen. Man nimmt also einen erheblichen zeitlichen




Hartmut Schauerte
17768


(C)



(D)



(A)



(B)


Prozess in Kauf, in dem durch Gerichtsentscheidungen
die Klarheit herbeigeführt werden muss, die ein kluger
Gesetzgeber in Ansätzen schon hätte liefern können.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Sonst haben Sie keine Argumente, oder?)


Der größte Verlust ist, dass wir so auf eine Harmoni-
sierung des Lauterkeits- und Wettbewerbsrechts auf eu-
ropäischer Ebene verzichten. Die geplante Aufhebung der
Gesetze wäre ein geeigneter Anlass gewesen, zeitgleich
eine Harmonisierung zu verfolgen. Wenn wir mit Vertre-
tern der Regierung und Kollegen der Mehrheitsfraktionen
über dieses Thema reden, dann tun die so, als gäbe es
überhaupt kein Problem. Es gibt aber Probleme. Wir ha-
ben durch die geplanten Maßnahmen leider nicht mehr,
sondern tendenziell eher weniger an europäischer Ein-
heitlichkeit erreicht,


(Beifall bei der CDU/CSU)

denn wir werden erleben, dass die anderen Länder in Eu-
ropa, die zum Teil vergleichbare Strukturen haben, unse-
ren törichten Weg nicht gehen werden.

Nach Meinung der CDU/CSU hätten diese Probleme
vermieden werden können, wenn man sich rechtzeitig und
vernünftig mit diesen Fragen beschäftigt hätte. Es wären
bestimmt nicht alle Probleme lösbar gewesen, aber wenn
man 80 Prozent der Schwierigkeiten bewältigt hätte, wäre
das gut gewesen. Man hätte dann zugeben müssen, dass
die nicht gelösten Probleme zum Lebensrisiko bzw. zur
gesellschaftlichen Entwicklung gehören.

Es ist aber nicht einmal der Ansatz gemacht worden,
die Zahl der denkbaren Verlierer zu minimieren. Sie ha-
ben so getan, als gebe es keine Verlierer.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Es gibt nur Gewinner!)


– Wenn ich sehe, wie sorgfältig der Wirtschaftsminister
bei der Verlängerung des Postmonopols, in großer Sorge
um diesen großen Monopolisten, handelt, und wie sorglos
er bei der Beseitigung der Vorschriften, über die wir dis-
kutieren, vorgeht, wird mir klar, aus welchem Stall er
kommt. Er kommt aus einem riesengroßen Stall, der
VEBA.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sein Denken ist nur in diesen Strukturen geschult. Ge-
genüber den Problemen der Kleinen hat er eine Hornhaut;
er hat keine Empfindlichkeit, kein Fingerspitzengefühl.

Man lässt die Dinge laufen und gibt sie an die Juristen.
Ich bin selber einer, verehrter Herr Pick, muss aber sagen:
Es handelt sich um ein wirtschaftspolitisches und kein
rechtspolitisches Thema. Deswegen gehören Sie eigent-
lich gar nicht hierher. Aber Frau Wolf durfte die Sache
nicht übernehmen.

Ich frage noch einmal: Wo sind wir bei der Wirt-
schaftspolitik hingekommen?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir sollten unsere Arbeitszeit in Bereiche investieren, in
denen die zuständigen Ministerien mitarbeiten, damit sich
unser Engagement lohnt. Bei diesem Thema argumentie-

ren wir doch gegen Gummiwände. Wenn man hier disku-
tiert, hört man nicht einmal ein Echo. Das ist fürchterlich
demotivierend. Für eine Opposition mag das normal sein,
aber ich frage mich, wie Sie das als Mitglieder der Mehr-
heitsfraktionen aushalten. In diesem Punkt bewundere ich
Sie. Haben Sie gar keine Selbstachtung? Ist Ihnen Ihre Ar-
beit nichts wert? Packen Sie die Sache doch einmal an!
Das dürfen Sie doch nicht zulassen.

Die Zahl der Verlierer hätte also verringert werden
können. Seit zwei Jahren ist das Problem bekannt und ist
in dieser Zeit nicht angepackt worden. Völlige Fehlan-
zeige! Wir sind dafür, dass diese Spezialgesetze abge-
schafft werden. Aber gleichzeitig wollen wir eine opti-
male Nützlichkeit erreichen. Wir wollen eine Präzisierung
von UWG und GWB. Wir beklagen, dass noch nicht ein-
mal begonnen worden ist, darüber nachzudenken.

Was wollte der Handel? Damit keine Legendenbildung
entsteht, möchte ich nur in Erinnerung rufen – ich kann
hier nicht alle Zitate, die mir in diesem Zusammenhang
vorliegen, anführen; daher nur einige wenige –, was HDE
und ZDH in der diesbezüglichen Anhörung gesagt haben:

Auf der Anbieterseite steht zu befürchten, dass die
ersatzlose Streichung ... einem Verdrängungswett-
bewerb zulasten des Mittelstands Vorschub leistet.

Ein solches Argument muss man doch ernst nehmen.
Ein weiteres Zitat:
Folglich drohen im Bereich der Kundenbindungssys-
teme für den Mittelstand strukturell bedingte Be-
nachteiligungen, die Verdrängungs- und Konzentra-
tionsprozesse auslösen werden.

Das sind wörtliche Zitate. Da kann man doch nicht sa-
gen: Das sind alles Spinner. – Die vertreten vielmehr be-
rechtigte Interessen. Ein weiteres Zitat:

Das vorhandene Instrumentarium insbesondere im
UWG wird nicht ausreichen, um das erreichte Ni-
veau an Verbraucherschutz zu halten.

Es war sehr interessant, dass in der letzten Anhörung
ausgerechnet Vertreter der Verbraucherschutzverbände,
die zunächst regierungsfromm waren, plötzlich beige-
dreht sind und gesagt haben: Ich glaube, wir haben uns
vertan. – Das war hochinteressant. Es gibt also vieles In-
teressantes in diesem Bereich.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1418006800
Herr Kollege, denken
Sie bitte an Ihre Redezeit!


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1418006900
Ich muss also lei-
der zum Schluss kommen. Dies ist ein solch schönes
Thema; das können Sie mir glauben. – Ich verzichte auf
die Wiedergabe der anderen mir vorliegenden Zitate und
weise nur noch auf Folgendes hin: Eine europäische
Chance ist verpasst worden. Die Schadenseingrenzung
bei einer solchen Operation ist nicht intelligent angepackt
worden. Deswegen sagen wir – auch wenn mein erster
Satz lautete: „Diese Gesetze müssen weg“ –: Wir werden
Ihrem Entwurf eines Gesetzes zur ersatzlosen Streichung
des Rabattgesetzes nicht zustimmen, sondern werden




Hartmut Schauerte

17769


(C)



(D)



(A)



(B)


uns enthalten. Wir bitten Sie, unserem Antrag, der seit
geraumer Zeit vorliegt, und der all das, was ich vorgetra-
gen habe, viel präziser und viel schöner beinhaltet und
schriftlich beweist, zuzustimmen. Tun Sie etwas Gutes!
Lassen Sie uns auf keinen Fall weiterschlafen,


(Alfred Hartenbach [SPD]: Wir haben noch nie geschlafen! Wenn Sie geschlafen haben, ist das Ihr Problem!)


sondern ab sofort die Regierung beauftragen, die von uns
aufgezeigten Probleme beherzt anzugehen! Bewegen Sie
sich! Dies wäre gut für die Verbraucher und den Mittel-
stand in Deutschland.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1418007000
Das Wort für das
Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Andrea Fischer.

Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jetzt
schaffen wir einmal zwei Gesetze ab, die 65 Jahre alt sind,
und ausgerechnet die CDU/CSU sagt in Tateinheit mit der
PDS: Das sollten wir lieber nicht tun. Das ist schon ein be-
merkenswerter Vorgang. Denn ich habe die heutigen wirt-
schaftspolitischen Debatten sehr genau verfolgt. Dabei
habe ich gehört, dass Sie uns vorwerfen, wir würden nicht
genug deregulieren, sondern würden zu viele Gesetze ma-
chen. Jetzt schaffen wir zwei ab, von denen alle vernunft-
begabten Menschen sagen, dass sie so überflüssig seien
wie ein Kropf. Aber was machen Sie? – Sie sagen: Wasch
mir den Pelz, aber mach mich nicht nass! Schafft die Ge-
setze ab, aber schafft in anderen Gesetzen Regelungen,
die diese Wirkung zunichte machen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: So einfach ist die Welt nicht, gnädige Frau!)


– Doch, das ist der Kern Ihres Arguments.
Ich finde es richtig, dass wir diese Gesetze abschaffen.

Von den vielen Stellungnahmen, die im Rahmen der dies-
bezüglichen Anhörung vorgelegt worden sind, sind die
Einzigen, die sich dagegen ausgesprochen haben, diejeni-
gen, die ganz offenkundig fürchten, im rauen Wind des
Wettbewerbs eine kalte Nase zu bekommen. Der raue
Wind ist aber das Wesen des Wettbewerbes.

Nun noch zu der Frage, ob man die Verbraucher vor
sich selber schützen muss, was für mich ein besonders
bizarres Argument ist. Es gibt längst eine Änderung des
Verbraucherselbstbewusstseins. Die Verbraucher sind an-
spruchsvoller geworden. Sie haben gerade so abfällig von
Schnäppchenjägern gesprochen. Aber was sind das denn
für Menschen? Das sind offenkundig solche, die keine
Gesetze mehr brauchen, um Preistransparenz zu haben,


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Die Marketingstrategen sind auch besser geworden!)


sondern die diese selber herstellen. Was erzählen Sie uns
also hier, man müsse irgendwelche armen, bedauernswer-

ten Verbraucher davor schützen, dass man ihnen günstige
Preise und Zugaben anbietet! Das finde ich wirklich
abenteuerlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Ich habe das begrüßt!)


Die Verbraucher haben die Geschicke längst selber in
die Hand genommen. Das Bild von der armen, alten Oma,
die man in Verbindung mit einem kostengünstigen Ange-
bot eines VWGolf dazu verführt, einen Internetanschluss
zu kaufen,


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Hat wirklich keiner vorgetragen!)


und all das, was Sie in diesem Zusammenhang erzählt ha-
ben, ist wirklich Unsinn. Ich glaube, für diese Art der Be-
vormundung des Verbrauchers durch Sie hat niemand
Verständnis. In Wirklichkeit geht es Ihnen nicht um die
Verbraucher, sondern darum, sie als Tarnkappe zu benut-
zen, um damit zu verdecken, dass es Ihnen eigentlich um
mittelständische Interessen und um die Interessen derje-
nigen geht – das haben Sie heute in ihrer Rede in dan-
kenswerter Offenheit, wie ich finde, gesagt –, die sich da-
vor fürchten, dass die Lage im Rahmen dieses
Wettbewerbes für sie schwieriger wird. Man muss sich
einmal ansehen, ob sich der Wettbewerb wirklich so
ruinös auswirkt, wie es von einigen behauptet wird, die
sich offensichtlich vor jeder Veränderung fürchten. Die
Unternehmen stehen doch längst in einem europäischen
Wettbewerb und deswegen sind diese Gesetze so bizarr;
denn dadurch werden sie daran gehindert, mit ihren euro-
päischen Konkurrenten mitzuhalten. Diese Möglichkei-
ten wollen wir ihnen durch die Abschaffung der Gesetze
bieten.

Natürlich werden wir noch Regelungen vorsehen müssen
– das hat der Staatssekretär schon ganz deutlich gesagt –,
damit die europäische Harmonisierung vorankommt.
Aber es ist nun wirklich der allererste Schritt, den Unter-
nehmen die Fesseln, die wir ihnen bislang mit den beiden
Gesetzen angelegt haben, abzunehmen.

Das Internet fördert eine Internationalisierung des
Wettbewerbs; das ist eine gute und in jeder Hinsicht
unterstützenswerte Entwicklung. Die Grenzen verschwin-
den, die Produkte und die Dienstleistungen werden welt-
weit gehandelt. Hier muss man auf allen Ebenen – Stich-
wort E-Commerce-Richtlinie – dafür Sorge tragen, dass
die positiven Wirkungen, die das Internet hat, von den Un-
ternehmen auch genutzt werden können. Auch deswegen
ist es so unglaublich wichtig, dass diese beiden vorsint-
flutlichen Gesetze endlich fallen. Dann nämlich können
deutsche Anbieter all das machen, was die anderen schon
längst machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann noch zu der Frage, ob man hier die armen klei-

nen und mittleren Unternehmen vor den gefräßigen
großen Unternehmen schützen muss. Das Verrückte ist
doch, dass die großen Unternehmen, weil sie groß und
stark sind, über die Fähigkeit verfügen – dieses System
haben Sie selbst mit dem Hinweis, was die Lufthansa an-




Hartmut Schauerte
17770


(C)



(D)



(A)



(B)


belangt, angesprochen –, die bestehende Gesetzeslage so
weit zu dehnen, dass sie sie weitestgehend in ihrem Inte-
resse nutzen können. Ist es denn richtig, dass die kleinen
und mittleren Unternehmen, die sogar viel flexibler sind,
daran gehindert werden, auf ähnliche Art und Weise mit-
zuhalten und sich dazu andere Zugänge zu verschaffen?

Ich bin der festen Überzeugung: Wenn wir das Rabatt-
gesetz und die Zugabeverordnung beibehalten würden,


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das hat keiner gefordert!)


wäre dies zum Nachteil gerade der kleinen und mittleren
Unternehmen. Ich finde, gerade Sie als Interessenvertre-
ter des Mittelstandes sollten doch viel mehr Vertrauen in
die Fähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen ha-
ben, durch ihre besondere Stärke, nämlich ihre Flexibi-
lität, auf den Märkten zu bestehen. Die Unternehmen wol-
len und sollen von einer Fessel befreit werden.

Ich meine, das Ergebnis der Anhörung war sehr ein-
deutig. Natürlich gab es noch einige wenige, die gesagt
haben, wir sollten dies nicht tun, allenfalls in Verbindung
mit Regelungen im UWG und auch im Kartellrecht, die
die eigentlich beabsichtigte Wirkung wieder verhindern.
Aber insbesondere das Kartellamt hat sich ausdrücklich
dagegen ausgesprochen.


(Zuruf von der SPD: Sehr deutlich!)

Bei einigen wurde auch deutlich, dass ihre Argumente
sehr stark interessengeleitet sind.

Ich finde es richtig, dass die Bundesregierung hier die
Position derjenigen Unternehmen eingenommen hat, die
sich zutrauen, auf dem Markt zu bestehen, und die diesen
Kampf gern aufnehmen wollen. Damit hat sie sich auch
auf die Seite der Verbraucherinnen und Verbraucher ge-
stellt.

Ich bin stolz darauf, dass die Bundesregierung über ei-
nen Wirtschaftsminister verfügt, der hierfür engagiert
gekämpft hat. Er war wesentlich engagierter als Sie, die
Sie heute mehr Zeit und Mühe dafür verwandt haben, da-
rüber zu reden, warum er heute – er hat andere wichtige
Termine – nicht auf der Regierungsbank sitzt. In diesem
Sinne ist es ein guter Tag für die deutsche Wirtschaft und
die deutschen Verbraucher, wenn wir diese Gesetze end-
lich abschaffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1418007100
Das Wort hat nun die
Kollegin Gudrun Kopp für die F.D.P.-Fraktion.


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1418007200
Frau Präsidentin! Sehr ge-
ehrte Herren und Damen! Wenn es je einen Bundeswirt-
schaftsminister gegeben hat, der vehement für die Ab-
schaffung dieser beiden Vorschriften gekämpft hat, dann
war es Günter Rexrodt,


(Beifall bei der F.D.P. – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr! – Widerspruch bei der SPD)


und zwar schon vor vielen Jahren. Das muss man auch
einmal sehen. Aber sei es drum.

Sie wissen, dass wir über dieses Thema – ich stehe
heute zum vierten Mal dazu am Rednerpult – Ende des
letzten Jahres heiß debattiert haben. Im November des
Jahres 2000 lagen hier nämlich die beiden Anträge – in-
haltsgleich mit den Anträgen, die heute von der Regierung
vorliegen – auf dem Tisch. Rot-Grün aber hat hier noch
vor wenigen Wochen unseren Antrag auf Abschaffung des
Rabattgesetzes abgelehnt.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Sagen Sie erst einmal, warum Günter Rexrodt das nicht durchgesetzt hat!)


Ich finde es trotzdem sehr gut, dass wir heute wieder
über dieses Thema reden, und sage Ihnen, dass wir der
Abschaffung, der ersatzlosen Streichung von Rabatt-
gesetz und Zugabeverordnung zustimmen werden.


(Beifall bei der F.D.P.)

Darüber hinaus liegt heute ein Gesetzentwurf der F.D.P.-
Fraktion auf Anpassung des deutschen Zugaberechts an
die entsprechende EU-Richtlinie vor, über den wir uns, so
glaube ich, in der Sache ebenfalls einig sind.

Die Realitäten haben sich verändert. Noch nicht durch-
gesetzt hat sich im Deutschen Bundestag nach meiner
Auffassung aber die Erkenntnis – daran müssen sich viele
erst noch gewöhnen –, dass im Zentrum der Deregulie-
rung und der Wettbewerbspolitik der Verbraucher stehen
muss. Wirtschaft und Handel sind also in erster Linie für
die Verbraucher da. Wir sind davon überzeugt, dass die
Verbraucher genauso wie die kleinen, mittelständischen
und die großen Unternehmen davon profitieren werden.
Wir müssen uns daran gewöhnen, dass es ein neues, mo-
dernes Marktgeschehen gibt, das nicht mehr nach alten
Regeln funktioniert. Darauf haben wir uns einzustellen,
ob es uns passt oder nicht.

Wir wollen natürlich nicht, Herr Schauerte, dass es
viele Verlierer gibt, sondern wir möchten, dass alle profi-
tieren. Auch wir beobachten das Geschehen, aber glau-
ben, dass – dies zeigte, wie Frau Fischer schon gesagt hat,
auch die Aussage des Vertreters des Bundeskartellamtes
in der letzten Anhörung – der bestehende rechtliche Rah-
men ausreichen müsste, um Wucher, Irreführungen usw.
zu verhindern. Wir sollten jetzt durch die Abschaffung
von Gesetzen – endlich haben wir Deregulierung – nicht
wieder neue Bürokratien aufbauen und zusätzliche ergän-
zende Regelungen schaffen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Für meine Fraktion kann ich nur sagen: Sollte sich he-
rausstellen, dass der rechtliche Rahmen nicht ausreicht,
werden wir selbstverständlich bereit sein, über andere
Regelungen nachzudenken. Aber lassen Sie uns jetzt ei-
nen mutigen Schritt in Richtung Deregulierung und
mehr Wettbewerb, hin zu modernen Verkaufsformen,
gehen. Das brauchen auch unsere Anbieter, nicht zuletzt
unsere Internet-Anbieter, die im Augenblick diskriminiert
werden, weil sie bei dem nicht mithalten können, was eu-
ropaweit und weltweit derzeit möglich ist.




Andrea Fischer (Berlin)


17771


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich habe Sie so verstanden, Herr Schauerte, dass die
CDU/CSU-Fraktion nicht mehr darüber nachdenkt, einen
Zwischenschritt einzulegen. Ursprünglich hatten Sie eine
Übergangsfrist von einem Jahr vorgeschlagen.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Die Beratungen haben ergeben, dass das keinen Sinn macht!)


Das scheint jetzt vom Tisch zu sein. Das finde ich sehr gut.
Für die F.D.P. kann ich auch nur sagen, dass ein solcher
Zwischenschritt niemandem nützte.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Ja!)

Wir sollten jetzt also beherzt diesen Schritt wagen, wobei
ich glaube, dass wir dazu gar nicht sehr viel Mut brau-
chen.

Im Übrigen erinnert mich die Diskussion darüber, ob
wir einen Schritt nach vorn gehen sollten oder nicht, an
das Dauerthema Ladenschluss, bei dem wir leider noch
nicht viel weiter sind. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion
möchte auch hier niemandem am Markt Vorschriften ma-
chen. Niemand muss die Öffnungszeiten ausweiten; aber
wir wollen doch den Bedürfnissen der Anbieter und der
Verbraucher gerecht werden. Ich hoffe, dass wir auch bei
diesem Thema noch weiterkommen. Die Diskussion um
das Ladenschlussgesetz entspricht spiegelbildlich der,
die wir heute führen. Ich hoffe, dass das Lernen von der
Realität uns alle einen Schritt weiter bringen wird.

Für die F.D.P.-Fraktion ist es heute ein Tag der Dere-
gulierung. Ich freue mich ganz besonders darüber, dass
wir die Sache mit weniger Bürokratie und mit weniger
Regeln angehen. Wir sollten dem Verbraucher, den wir
sonst immer als mündig bezeichnen, auch künftig zu-
trauen, dass er selbst beurteilen kann, ob er über den La-
dentisch gezogen werden soll, ob also ein Angebot seriös
ist oder nicht. Ich bin davon überzeugt, dass auch Ver-
braucher wissen, dass niemand etwas zu verschenken hat.
Jede Ware hat ihren Preis. Der Verbraucher weiß selbst,
was für ihn gut ist. Dies ist, wie gesagt, ein guter Tag für
Wettbewerb und Deregulierung; die F.D.P.-Fraktion wird
der Abschaffung von Rabattgesetz und Zugabeverord-
nung selbstverständlich zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie der Abg. Andrea Fischer [Berlin] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1418007300
Nun hat Herr Kollege
Rolf Kutzmutz, PDS-Fraktion, das Wort.


Rolf Kutzmutz (PDS):
Rede ID: ID1418007400
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Unsere klare Position lautet: Rabatte
und Zugaben gehören zum Handel. So weit, so gut. Aber
ich denke, die Koalition macht es sich zu einfach, wenn
sie nach dem Motto „Augen zu und durch; keiner weiß,
was passiert, aber die Gerichte werden es schon richten“
verfährt. Die Anhörung am Montag hat zumindest uns
verdeutlicht, dass der heutige Beschluss möglicherweise
fatale Entwicklungen auslöst, und zwar für viele kleinere

Einzelhändler und auch für viele Kunden. Darüber sind
wir unterschiedlicher Auffassung, obwohl wir in der glei-
chen Anhörung waren. Ich habe schon oft festgestellt:
Man kann das Gleiche hören und trotzdem etwas anderes
verstehen.

Die Großkonzerne – das ist mir klar – werden ausge-
feilte Rabattkartensysteme einführen, die sich am Ge-
samtumsatz orientieren; denn sie können ihrem Personal
ja nicht erlauben, sich mit den Kunden auf das Feilschen
um einzelne Preise einzulassen. Aber natürlich wollen
Metro & Co. auch Kunden binden, wozu sie auch die Fi-
nanzkraft haben. Vor allen Dingen lassen sie sich die
große Chance auf den gläsernen Kunden nicht entgehen.
So viele und vor allem so exakte Daten über das Ein-
kaufsverhalten wie mit Kundenkarten lassen sich mit kei-
ner Kundenbefragung beschaffen. Rabattkarten kosten
nur etwas Geld. Aber für den Ausgebenden sind sie bares
Geld wert.

Nur, mit den Rabattkarten bleibt – Preisangaben-
verordnung hin oder her – die Preiswahrheit und auch
die Preisklarheit auf der Strecke. Der Preis an der Ware
selbst sagt schließlich gar nichts mehr aus, wenn man
bei 5 000 DM Umsatz in der Ladenkette 5 Prozent, bei
10 000 DM aber vielleicht 10 Prozent Rabatt am Jahres-
ende bekommt. Niemand wird mehr durchblicken, erst
recht nicht, wenn die Ware auch noch mit allerlei Zuga-
ben zu Paketpreisen angeboten wird. Das auszusprechen
heißt übrigens nicht, den Bürger oder Kunden zu entmün-
digen. Ich möchte nur auf eine Sache aufmerksam ma-
chen: Am Ende ist vielleicht der zuerst lachende Kunde
dann doch der Abgezockte. Was ist mit den kleinen Händ-
lern? Auch die müssen sich auf Kundenfang begeben;
denn auch bei ihnen wird auf Teufel komm raus gefeilscht
werden. Sie müssen das – bei Strafe ihres Untergangs –
mitmachen; denn für Rabattkarten fehlt ihnen die wirt-
schaftliche Puste.

Ich möchte – Herr Pick hat es schon vorhin angespro-
chen – hier auch noch an die Aussagen des Betreibers von
Kartensystemen für mittelständische Werbegemeinschaf-
ten erinnern. In der Anhörung wurde gesagt, man brauche
mindestens einen Teilnehmer, der zunächst einen fünf-
stelligen Betrag auf den Tisch legt, damit so ein System
überhaupt anlaufen kann. Es rechnet sich nur, wenn es
jedem Händler mindestens 5 Prozent Umsatzzuwachs
beschert. Jetzt frage ich Sie, die Sie auch immer Statis-
tiken lesen: Wann hat es in den letzten Jahren eine Statis-
tik gegeben, die einen Umsatzzuwachs von 5 Prozent im
Einzelhandel ausgewiesen hat? Ich kann mich an keine
solche Statistik erinnern. Wir sollten uns also nichts vor-
machen und die Realitäten zur Kenntnis nehmen.


(Beifall bei der PDS)

Damit wäre klar, dass die heile Welt von Danova in Eich-
stätt nur funktioniert, solange sie ein Einzelfall bleibt.
Denn woher soll bei 16 000 Einwohnern ein Umsatz-
zuwachs von 5 Prozent kommen, wenn weitere Rabatt-
systeme eingeführt werden?

Eines gestehe ich SPD, Bündnisgrünen und F.D.P.
schon zu: Es bleibt eine Glaubensfrage, ob die Gerichte
bei den absehbaren Exzessen im Rabatt- und Zugaben-




Gudrun Kopp
17772


(C)



(D)



(A)



(B)


kampf das bestehende GWB und UWG so interpretieren,
wie wir uns alle das erhoffen. Ich bin jedenfalls sehr ge-
spannt, ob das Bundeskartellamt tatsächlich, wie am
Montag angekündigt, „payback“ verbietet, sobald das Ra-
battgesetz gefallen ist, und vor allem, wie dann die
Richter entscheiden werden, deren Urteilstenor bisher ein
ganz anderer war. Ungewisse Zeiten stehen Händlern wie
Konsumenten bevor. Diese zu verkürzen und nichts ande-
res ist das Anliegen der von meiner Fraktion eingebrach-
ten zwei Änderungsanträge, die wir als Ergänzungsan-
träge verstehen.

Frau Fischer, Sie haben gesagt, das Wesen des Wettbe-
werbs sei es, dass ein rauer Wind weht. Ich habe bisher ge-
dacht, in zehn Jahren gelernt zu haben, dass das Wesen des
Wettbewerbs in der Chancengleichheit besteht und dass
dafür entsprechende Regelungen geschaffen werden müs-
sen. Ich würde nie auf die Idee kommen, im Boxen einen
Leichtgewichtler gegen einen Schwergewichtler antreten
zu lassen. Wir sollten das bei kleinen und großen Unter-
nehmen vielleicht ähnlich halten.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Das Vorgehen der Koalition erstaunt insofern, als Sie

sich gerade auf einem anderen Gebiet gesetzgeberisch mit
den Folgen einer unausgegorenen Liberalisierung herum-
plagen müssen. 1997, als das Energierecht novelliert wurde,
bewiesen Sie nahezu hellseherische Fähigkeiten. Sie sagten
– damals waren Sie noch in der Opposition – das Drama um
die heutige Kraft-Wärme-Kopplung voraus. Eigentlich hät-
ten Sie dadurch doch klüger werden müssen. Die Einsicht
ist bei Einzelnen durchaus vorhanden. Aber Ihnen fehlt der
Mut, entsprechenden Anträgen zuzustimmen.

Kurzum: Wir halten es für notwendig, dass die zu be-
schließende Liberalisierung im Handel noch ein paar sta-
bile Leitplanken erhält.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1418007500
Das Wort hat nun die
Kollegin Birgit Roth für die SPD-Fraktion.

Birgit Roth (Speyer) (SPD) (von der SPD mit Beifall
begrüßt): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kol-
legen! Meine sehr verehrten Damen und Herren von der
CDU/CSU-Fraktion, ich stelle fest, dass Sie sich heute bei
der Abstimmung zum Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung zur ersatzlosen Streichung von Rabattgesetz und
Zugabeverordnung enthalten. Angesichts dessen, Herr
Schauerte, ist es schon eine kleine Unverschämtheit, dass
Sie die Anwesenheit des Ministers fordern. Ganz neben-
bei möchte ich erwähnen, dass entweder Staatssekretär
Mosdorf oder, so wie jetzt, Staatssekretärin Wolf die
ganze Zeit anwesend gewesen sind. Mit Verlaub: Bei der
Qualität Ihrer Kritik muss der Minister wahrlich nicht an-
wesend sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Wo ist denn Herr Müller? Vom Ministerium hat niemand geredet!)


Herr Schauerte, ich muss Ihnen auch noch Folgendes
mit auf den Weg geben: Sie fragen, was das BMJ hier
überhaupt mache, die Streichung liege doch eigentlich
in der Zuständigkeit des Wirtschaftsministeriums. Sie als
Jurist sollten wissen, dass diese Aufteilung schon rein ad-
ministrativ gegeben ist. Das Rabattgesetz fällt in die Zu-
ständigkeit des Wirtschaftsministeriums und die Zugabe-
verordnung in die des Justizministeriums. Sollten Sie
nachher noch Fragen haben, stehe ich Ihnen gern zur Ver-
fügung.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Mein Flieger!)


Wofür ich also kein Verständnis habe, ist, wie Sie hier
manövrieren: Sie kommen hierher, kritisieren, was vorge-
schlagen wurde, nämlich die ersatzlose Streichung von
Rabattgesetz und Zugabeverordnung, und haben dann
auch noch die Stirn, sich zu enthalten. Entscheiden Sie
sich doch bitte einmal! Wenn Sie unser Vorhaben kriti-
sieren, dann müssen Sie es auch ablehnen. Scheinbar
trauen Sie sich aber nicht. Ich muss Sie fragen: Steht bei
Ihnen eigentlich die Sachdebatte im Vordergrund oder
manövrieren Sie aus reinem Oppositionskalkül? Sie kön-
nen sich nicht entscheiden und sich offenbar auch inner-
halb der CDU/CSU-Fraktion nicht durchsetzen; deshalb
enthalten Sie sich. Das finde ich eigentlich sehr schade.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Sagen Sie mal was zum Sachverhalt!)


Auch aus anderen Gründen haben wir für Ihr Verhalten
kein Verständnis. Es gibt nämlich die E-Commerce-
Richtlinie der EU, die bereits jetzt den elektronischen Ge-
schäftsverkehr auf europäischer Ebene regelt. Sie wissen
ganz genau, dass wir überdies das Herkunftslandprinzip
haben, welches besagt, dass der deutsche Anbieter an das
nationale Rabattgesetz gebunden ist. Wir wissen alle, dass
das deutsche Rabattgesetz wahrscheinlich eines der strik-
testen – um nicht zu sagen: das strikteste – in ganz Europa
ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit anderen Worten: Deutsche Anbieter werden bei
Untätigkeit Nachteile gegenüber der ausländischen Kon-
kurrenz haben. Dieses würden Sie einfach weiterhin so
hinnehmen. Das können wir aus wirtschaftspolitischer
Sicht nicht akzeptieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Haben Sie denn nicht zugehört? Wir haben doch so schön geredet!)


Unserer Meinung nach werden deutsche Unternehmen
durch die unzeitgemäße Vorschrift schlicht und ergreifend
diskriminiert. Wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie zugeben,
dass Sie ganz genau wissen, dass die Regelungen des Ra-
battgesetzes und der Zugabeverordnung in der Praxis
schon seit Jahrzehnten unterlaufen werden. Wer von uns
kauft denn ein Auto und fragt nicht nach, ob man noch
einmal über den Preis reden könnte?


(Alfred Hartenbach [SPD]: Beim Friseur geht das auch!)





Rolf Kutzmutz

17773


(C)



(D)



(A)



(B)


Meine sehr verehrten Damen und Herren von der
CDU/CSU, jetzt hätten Sie die Gelegenheit und die
Chance, dazu beizutragen, dass die Gesetzgebung mit der
Praxis gleichzieht. Was aber machen Sie? – Sie verwei-
gern sich! In unseren Augen tun Sie dies zulasten der
Wirtschaft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, der in der
gestrigen Debatte laufend genannt wurde, nämlich, dass
Sie als CDU/CSU so vehement für den Bürokratieabbau
einstünden.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das tun wir wirklich!)


– Herr Schauerte, ich möchte Sie kurz daran erinnern:
Das, was wir gerade vorhaben, ist die Abschaffung eines
Gesetzes und somit ein Beitrag zum Bürokratieabbau und
zur Deregulierung. Warum stimmen Sie denn nicht zu?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Weil Sie Ihre Schularbeiten nicht gemacht haben!)


– Apropos Schularbeiten: Sie haben ja sogar noch eine
einjährige Übergangsfrist – sozusagen zur Vorbereitung
der Unternehmen auf die Situation – gefordert. Wir haben
es bereits erwähnt: Es gibt zum Beispiel beim Verkauf
über das Internet momentan eine Benachteiligung der
deutschen Unternehmen. Sie aber haben die Stirn und for-
dern eine einjährige Übergangsfrist.Das würde doch be-
deuten, dass sich die Benachteiligung unserer Unterneh-
men noch über einen längeren Zeitraum hinzöge.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Junge Frau, das ist doch nicht wahr!)


Glücklicherweise haben Sie jetzt auf diese Forderung ver-
zichtet.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Dabei handelte es sich um einen Prüfauftrag, den wir seit langem zurückgenommen haben!)


– Herr Schauerte, Sie haben ihn nach der Anhörung
zurückgenommen. Als Sie vorhin über die Anhörung
sprachen, das muss ich Ihnen gestehen, habe ich mich ge-
fragt, ob wir wirklich in der gleichen Anhörung waren.

Ich möchte noch einmal auf die Anhörung im
Herbst 2000 zurückkommen: Es waren 70 Verbandsver-
treter anwesend, die sich mit überwältigender Mehrheit
für die ersatzlose Streichung von Rabattgesetz und Zuga-
beverordnung ausgesprochen haben. Bei der Anhörung
am letzten Montag kam – offen gestanden – kein einziges
neues Argument. Wir haben uns die ganze Zeit gefragt,
warum Sie den Prozess der Abschaffung verzögern.

Sie haben noch zwei weitere Punkte angesprochen.
Erstens fordern Sie die Harmonisierung des Lauter-
keitsrechts auf europäischer Ebene. Da waren wir von
Anfang an Ihrer Meinung; das ist überhaupt keine Frage,
wir haben da keine Differenzen. Aber eines kann nicht
sein: Wir können nicht darauf warten, bis wir uns auf

europäischer Ebene einigen – wir alle wissen, wie lange
es dauert, Kompromisse auf europäischer Ebene zu erzie-
len – und so lange die Nachteile für deutsche Anbieter ein-
fach hinnehmen. Das heißt für uns: Wir werden die Be-
nachteiligung deutscher Anbieter abschaffen und mit
Nachdruck eine Harmonisierung des Lauterkeitsrechts
auf europäischer Ebene anstreben.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Anstreben? Wir haben gar keines mehr!)


Zweitens möchte ich noch einmal auf einen Punkt zu
sprechen kommen, der die Kundenbindungssysteme tan-
giert – auch da hatten wir doch ähnliche Vorstellungen –:
Es ist für uns sehr wichtig, dass gerade Mittelstand und
Einzelhandel – in den Verbandsgemeinden, in den Mittel-
zentren – keine Benachteiligung durch die ersatzlose
Streichung von Rabattgesetz und Zugabeverordnung er-
fahren. Sowohl Rabattgesetz als auch Zugabeverordnung
stehen doch aber unter der Rahmengesetzgebung des
UWG, des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb.
Das heißt, hier wird wirklich nur ein Teilgesetz ersatzlos
gestrichen. Für den Fall, dass Preistransparenz nicht ge-
geben sein sollte oder dass sich aufgrund der ersatzlosen
Streichung wirklich strukturelle Veränderungen ergeben
sollten, haben wir – schon vor Monaten – im BMJ eine Ar-
beitsgruppe eingesetzt, die genau diesen Punkt noch ein-
mal erforschen wird. Sollte es wirklich zu Nachteilen für
den Mittelstand kommen, werden wir selbstverständlich
im UWG die Konsequenzen ziehen und die Gesetzgebung
entsprechend anpassen.

In diesem Sinne kann ich Sie nur bitten: Seien Sie doch
ehrlich! Ringen Sie sich durch, manövrieren Sie nicht hin
und her und stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu, der
ersatzlosen Streichung von Rabattgesetz und Zugabe-
verordnung! Wir tun damit wirtschaftspolitisch das Rich-
tige, auf der einen Seite für den Mittelstand, auf der an-
deren Seite aber auch für den Kunden, den Verbraucher.
Beide werden Vorteile daraus ziehen. Wir werden ganz
konsequent unsere Reformpolitik in diesem Bereich fort-
setzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1418007600
Das Wort hat nun für
die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Dagmar Wöhrl.


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1418007700
Liebe Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Ich habe wirklich das Gefühl,
die politische Gestaltung dieser Bundesregierung besteht
nur aus Nachbessern. Das hat man die ganze Zeit gesehen.
Gänzlich undurchdachten, verkorksten Regelungen wird
durch Nachbesserung ein wenig die Schädlichkeit ge-
nommen, aber dadurch werden sie noch lange nicht gut.
Das war früher schon so beim 630-Mark-Gesetz, bei der
Rentenreform, bei der Steuerreform und bei vielen ande-
ren Dingen.

Auch dieses Mal machen Sie es wieder. Wir sind erneut
in der gleichen Situation: Erst einmal abschaffen – und




Birgit Roth (Speyer)

17774


(C)



(D)



(A)



(B)


dann „Schau’n mer mal!“. Aber dass es durch diese Ab-
schaffung zu weit reichenden Strukturveränderungen im
deutschen Einzelhandel kommen kann, wird nicht beachtet.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn Sie merken, dass es der falsche Weg sein könnte,
dann ist es wahrscheinlich schon zu spät; denn ein mittel-
ständisches Fachgeschäft, das einmal pleite ist, kommt
nicht mehr auf den Markt zurück.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, zu verant-
wortungsvoller Gesetzgebung gehört auch das Abschät-
zen von Folgen. Das heißt, bei der Abschaffung von gel-
tendem Recht muss man sich fragen: Erstens. Welche
Funktion hat eine Vorschrift? Zweitens. Kann man auf sie
tatsächlich ersatzlos verzichten?

Welche Funktionen hatten das Rabattgesetz und die
Zugabeverordnung? Vor allem ging es um den Schutz des
Verbrauchers vor irreführender Preisgestaltung. Ja, liebe
Kolleginnen und Kollegen, wir diskutieren heute über den
Verbraucherschutz. Ich glaube, das ist bei Ihnen noch
nicht angekommen. Eines ist interessant: Wir haben jetzt
eine Verbraucherschutzministerin, aber von ihr habe ich
noch kein einziges Wort zu diesem Gesetz gehört, ge-
schweige denn, dass sie hier anwesend wäre.

Sie wissen ganz genau, dass der Handel zu den gebeu-
telten Branchen zählt. Die Gewinnspannen in diesem Be-
reich werden immer geringer. Für die meisten Unterneh-
men gibt es keinen Spielraum für Rabatte. Was wird die
Folge sein? Die Preise müssen angehoben werden. Es
wird Mondpreise geben, die man durch diese Gesetze ei-
gentlich verhindern wollte.

Ich hoffe, dass Sie dann im Januar nicht kommen und
beklagen, dass der Handel im Zuge der Euro-Einführung
die Preise erhöht hat. Aus einem anderen Grund werden
die Preise schon im Herbst erhöht werden, nämlich auf-
grund der Abschaffung des Rabattgesetzes.


(Lachen bei der SPD)

Wie wollen Sie denn einzelne Verbraucher schützen? Laut
Umfragen haben ältere Menschen Angst vor der Abschaf-
fung des Rabattgesetzes.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Daran arbeiten Sie doch!)


Sie sagen: Wir wollen nicht handeln und feilschen. Diese
werden es sein, die zukünftig die Mondpreise bezahlen
werden.

Rabattgesetz und Zugabeverordnung hatten aber noch
eine zweite Funktion, nämlich die, den mittelständischen
Fachhandel vor Verdrängungswettbewerb zu schützen.
Wir wissen, dass in den Schubladen der großen Handels-
konzerne Pläne für neue Kundenbindungssysteme, also
andere, als es bisher schon gibt, lagern. Zukünftig wird
der einzelne Verbraucher durch die vielen Rabatte und die
neuen Bonusse, die es auf dem Markt geben wird, das
Angebot des Fachhandels nicht mehr klar erkennen kön-
nen. Kostenintensive Kundenbindungssysteme beinhal-
ten Verdrängungspotenziale; gestaffelte Jahresumsatz-
rabatte haben eine gewaltige Sogwirkung. Das sehen Sie
überall; das hat auch die Anhörung ergeben.

Verstehen Sie uns nicht falsch: Wir haben nie behaup-
tet, es müsse alles so bleiben, wie es ist. Ihr Fehler liegt
auch nicht darin, dass Sie das Rabattgesetz abschaffen
wollen, Ihr Fehler liegt vielmehr darin, dass Sie es ersatz-
los abschaffen wollen. Es gibt durchaus konkrete Vor-
schläge vom ZDH, vom Einzelhandelsverband und von
anderen Verbänden, wie man gegen missbräuchliche und
schädliche Rabatt- und Zugabepraktiken vorgehen kann,
zum Beispiel durch Aufnahme zusätzlicher Regelungen
ins UWG. Sie aber haben sich mit diesen Vorschlägen
überhaupt nicht auseinander gesetzt. Sie haben sich über-
haupt nicht dafür interessiert.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Ist doch überhaupt nicht wahr!)


Wenn Sie, liebe Kollegin Roth, richtig zugehört hätten
– Sie sind ja vorzeitig aus der Anhörung gegangen –, dann
hätten Sie auch mitbekommen, dass das GWB nur Ab-
sprachen zwischen den Mitbewerbern verbietet und dass
der § 1 des UWG nicht ausreicht, um schädliche Praktiken
zu verhindern. Auch das Bundeskartellamt hat darauf
ausdrücklich hingewiesen, indem es gesagt hat, dass sich
die Rechtsprechung hier erst noch entwickeln muss. Das
dauert zwei bis drei Jahre. Das heißt, wir werden uns zwei
bis drei Jahre in einem rechtsfreien Raum bewegen, in-
nerhalb deren keiner weiß, was eigentlich Sache ist.


(Zuruf von der SPD: Das ist Marktwirtschaft!)

Wir als Gesetzgeber tragen Verantwortung. Sie, die die

Regierung stellen, müssen dieser Verantwortung gerecht
werden. Sie können nicht sagen, dass für irgendwelche
schädlichen Nebenwirkungen zukünftig die Gerichte zu-
ständig seien. Wir als Gesetzgeber sind zuständig, von
vornherein mögliche negative Folgen bei der Gesetzge-
bung zu berücksichtigen. Auch hier zeigt sich wieder et-
was, das sich wie ein roter Faden durch Ihre ganze Politik
zieht: Der Mittelstand ist für Sie nicht existent. Es werden
Gesetze gemacht, bei denen die Auswirkungen auf den
Mittelstand nicht beachtet werden – sei es jetzt letzte Wo-
che das Gesetz zur betrieblichen Mitbestimmung oder
heute die ersatzlose Abschaffung des Rabattgesetzes.
Wenn Sie den Wachstumsmotor Mittelstand weiterhin so
abwürgen, wie Sie es in letzter Zeit gemacht haben, dann
brauchen Sie sich nicht wundern, wenn die Konjunktur
weiter den Bach heruntergeht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1418007800
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Aufhe-
bung des Rabattgesetzes und zur Anpassung anderer
Rechtsvorschriften auf Drucksache 14/5441.

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-
fiehlt auf Drucksache 14/6459, den Gesetzentwurf anzu-
nehmen. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/6849 vor, über den wir zuerst
abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der
PDS? – Gegenprobe! – Gegen die Stimmen der PDS ist
der Änderungsantrag abgelehnt.




DagmarWöhrl

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(C)



(D)



(A)



(B)


Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dafür? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Bei einigen Gegen-
stimmen und einigen Enthaltungen ist der Gesetzentwurf
in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Gegenstimmen
und Enthaltungen aus der CDU/CSU und bei Enthaltung
der PDS ist der Gesetzentwurf angenommen.

Tagesordnungspunkt 21 b. Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Aufhebung der Zugabeverordnung und zur Anpassung
weiterer Rechtsvorschriften auf Drucksache 14/5594. Der
Rechtsausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 14/6469 die Annahme des
Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung. Dazu liegt wie-
derum ein Änderungsantrag der PDS auf Drucksache
14/6490 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt
für diesen Änderungsantrag? – Gegenprobe! – Stimment-
haltungen? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Bei Enthaltung
der PDS sowie einer Enthaltung aus den Reihen der
CDU/CSU ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung an-
genommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Bei drei Gegenstimmen aus
den Reihen der CDU/CSU sowie bei Stimmenthaltung der
PDS ist der Gesetzentwurf angenommen.

Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der
F.D.P. zur Anpassung des deutschen Zugaberechts an die
EU-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr
auf Drucksache 14/4424. Der Rechtsausschuss empfiehlt
unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
14/6469, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Der Gesetzent-
wurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt
nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Tagesordnungspunkt 21 c. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Druck-
sache 14/6463 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
mit dem Titel „Innovation und fairer Wettbewerb im Han-
del nach Abschaffung von Rabattgesetz und Zugabever-
ordnung“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/5751 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stim-
men von CDU/CSU und PDS angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst
Burgbacher, Gudrun Kopp, Rainer Brüderle, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.

Sperrzeiten für Gaststätten und Biergärten
kundenfreundlicher gestalten
– Drucksache 14/6188 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus (f)

Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
F.D.P. fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Ernst Burgbacher für die F.D.P.-Fraktion.


Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1418007900
Frau Präsidentin! Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! „Deutschland – nix wie
hin“ heißt das Motto des Jahres des Tourismus, das von
der Bundesregierung ausgerufen wurde. Aber wenn die
Gäste kommen und abends, gerade bei einem so herr-
lichen Wetter wie heute, deutsche Gemütlichkeit genießen
wollen, dann heißt es um 22 Uhr: „Nix wie weg!“ Das
kann nicht sein. Deshalb haben wir heute diese Initiative
eingebracht. Wir haben sie auch eingebracht, weil wir sie
als Teil eines umfassenderen Konzeptes mit dem Ziel,
den Tourismusstandort Deutschland dienstleistungs-
freundlicher und attraktiver zu machen, begreifen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Dazu gehört ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Wir

haben dazu schon viele Vorschläge gemacht. Ich erinnere
an die Initiative zur Abschaffung der Trinkgeldbesteu-
erung, an die Forderung, für die Hotellerie einen re-
duzierten Mehrwertsteuersatz einzuführen, aber auch
– übergreifender – daran, die Steuerreform mittelstands-
freundlich zu gestalten und die weiteren Stufen vorzuzie-
hen, Maßnahmen zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes
zu ergreifen bis hin zu einem Thema, das auch heute
schon angesprochen wurde, nämlich die Abschaffung des
Ladenschlussgesetzes. All das sind Dinge, die unser Tou-
rismusstandort Deutschland dringend braucht.

In diesem Zusammenhang machen wir heute zwei wei-
tere Vorschläge, die, so denke ich, in der Diskussion ganz
wichtig sind.

Erstens. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sehen
nicht ein, warum eigentlich Berlin regeln soll, wann Gast-
stätten schließen müssen. Deshalb wollen wir das Gast-
stättengesetz so ändern, dass die bisherige Regelung, dass
die Länder Sperrzeitenverordnungen machen müssen, ge-
strichen wird. Das sollten wir den Ländern und Kommu-
nen überlassen. Die können das sehr gut alleine. Dazu
brauchen sie Berlin überhaupt nicht.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich verweise auf gute Beispiele in Baden-Württemberg
und in Rheinland-Pfalz, wo das wesentlich liberalisiert
wurde, wo Sperrzeiten wesentlich verkürzt wurden.

Der zweite Punkt, natürlich in dieser Zeit besonders
aktuell, betrifft die Außengastronomie, Straßencafés, Bier-




Vizepräsidentin Anke Fuchs
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gärten. Meine Damen und Herren, zu einem florierenden
Stadtwesen gehört eine florierende Gaststättenkultur.
Attraktive Innenstädte bekommen wir erst dann, wenn wir
auch Außengastronomie haben, wenn wir diese Straßen-
cafés und Biergärten haben. Diese Lokale tragen zur
Kommunikation bei. Sie sind Orte des Begegnens, oft
übrigens auch eine Oase im Grünen.

Die Menschen wollen aber heute nicht um 22 Uhr nach
Hause gehen, sondern sie möchten, wenn wir schon ein-
mal ein paar schöne Tage haben, an denen das möglich ist,
auch länger bleiben. Die Menschen haben ein anderes
Ausgehverhalten, als das früher der Fall war. Das hat sich
geändert, und dann müssen wir als Gesetzgeber doch end-
lich darauf reagieren.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir müssen auch an die Wirte denken. Außengastro-

nomie bedeutet einen hohen finanziellen Aufwand. Da
muss man auch Geld einnehmen können. Das kann ich
aber nicht, wenn ich so früh schließen muss. Deshalb lau-
tet unsere Forderung: Wir müssen die Voraussetzungen
dafür schaffen, dass auch die Außengastronomie, dass die
Biergärten wenigstens bis Mitternacht öffnen können.

Nun ist natürlich die Frage: Wie machen wir das? Es ist
völlig klar – ich weiß das –, das ist nicht ganz einfach. Der
Ansatz, um eine Stunde zu verlängern, stößt tatsächlich
auf Schwierigkeiten. Deshalb haben wir nach sehr ge-
nauer Prüfung einen anderen Ansatz gewählt. Dabei ge-
hen wir eigentlich von einer ganz einfachen Überlegung
aus.

Meine Damen und Herren, es kann doch nicht sein,
dass wir reden, lachen, singen genauso bewerten wie das
Hämmern, das Bohren und das Sägen. Menschlicher
Lärm ist doch etwas Angenehmeres als Maschinenlärm;
das darf nicht gleich beurteilt werden.


(Beifall bei der F.D.P. – Brunhilde Irber [SPD]: Es kommt aber sehr darauf an!)


Deshalb schlagen wir vor, eine Bundes-Immissions-
schutzverordnung „Außengastronomie“ zu machen, so
wie wir übrigens bisher schon die 18. Bundes-Immis-
sionsschutzverordnung „Sportstätten“ haben. Das geht
also sehr wohl. Wenn wir das machen, haben wir die Mög-
lichkeit, dass auch diese Dinge vor Ort entschieden wer-
den können und nicht an starren Regelungen aus Berlin
scheitern. Wenn wir dies machen, dann bekommen wir
übrigens auch mehr Rechtsfrieden. Ich sage Ihnen: Bei
den Konflikten, die es natürlich immer gibt, kommt es mir
darauf an, dass sie vor Ort entschieden werden, dort, wo
sie auftreten. Dort muss das auch zunehmend zu einem
Toleranzthema werden. Es kann doch nicht sein, dass wir
alles nur noch vor Gericht austragen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Nein, Menschen müssen miteinander reden und miteinan-
der Lösungen suchen.

Meine Damen und Herren, ich habe von den Regie-
rungsfraktionen und von der Bundesregierung – von
Staatssekretär Mosdorf – den Hinweis bekommen, dass
die Regierung das gut findet; übrigens auch der Wirt-

schaftsminister. Es freut mich natürlich, wenn eine Initia-
tive von uns von der Regierung begrüßt wird. Ich appel-
liere jetzt an die Regierung und die Regierungsfraktionen:
Lehnen Sie es nicht wieder nur deshalb ab, weil es von der
Opposition kommt, sondern sagen Sie: Jawohl, die F.D.P.
hat hier einen guten Vorschlag gemacht, wir machen das
mit.

Wenn Sie das tun, dann leisten Sie endlich einmal einen
Beitrag zur Stärkung des Tourismusstandortes Deutsch-
land und dann sorgen Sie dafür, dass bei uns die Gäste und
wir alle bei schönem Wetter – heute Abend dürfen wir es
noch nicht, aber möglichst bald – auch nach 22 Uhr bis
Mitternacht befreit lachen können. Ich bitte Sie um Ihre
Mitarbeit und Zustimmung.

Danke schön.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1418008000
Das Wort hat die Kol-
legin Brunhilde Irber für die SPD-Fraktion.


Brunhilde Irber (SPD):
Rede ID: ID1418008100
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Ich bin eben von einem Kollegen
gefragt worden, auf welchem Kanal jetzt die Übersetzung
läuft, weil nicht allen Kolleginnen und Kollegen hier das
Bayerische so geläufig ist. Ich würde sagen, sie läuft auf
dem Kanal Weiß-blau. Ich hoffe, dass Sie nicht nur mei-
nen Dialekt verstehen können, sondern auch das, was ich
zur Sache sage.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Sommerzeit, Biergartenzeit: Wer wollte da nicht die
langen Abende genießen und im Biergarten, im Straßen-
café oder bei einem Fest im Freien verweilen, solange
man Lust dazu hat – wäre da nicht die Sperrzeit für die
Außengastronomie, die wir, soweit wir Gäste sind, gerne
aufgehoben oder hinausgeschoben sähen. Die F.D.P. hat
hierzu einen Antrag eingebracht, dem wir sehr wohlwol-
lend gegenüberstehen.


(Beifall des Abg. Ernst Burgbacher [F.D.P.])

Ich trinke auch gern mit dem Kollegen Burgbacher abends
noch ein Weißbier.


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Richtig!)

Ich hoffe, dass Sie es in Zukunft ein bisschen länger ge-
nießen können.

Wir bekennen uns aber als SPD-Fraktion auch zur Ur-
heberschaft dieses Anliegens, weil wir bereits am 13. Fe-
bruar hier im Deutschen Bundestag ein Tourismusför-
derprogramm eingebracht haben, in dem zu lesen ist:

Die Gastronomie stellt die Kernleistung für den
Tourismus. Das Gaststättenrecht ist seit Jahrzehnten
starr, das Kundenverhalten hingegen folgt den
Trends. Betriebsarten, Gestattungen und Sperrzeiten
sollen daher dereguliert werden.

Dazu haben wir alle ein Schreiben vom Dehoga bekom-
men, das nun teilweise wörtlich im Antrag der F.D.P.




Ernst Burgbacher

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wiederzufinden ist. Ich kann nur sagen: Respekt, das ist
konsequente Lobbyarbeit.

Der Dehoga hat aber Recht: In den letzten Jahren ha-
ben sich die Lebensgewohnheiten der Bevölkerung ver-
ändert, so wie Kollege Burgbacher das schon ausgeführt
hat. Die Leute gehen später weg, möchten gerne länger
sitzen bleiben. Diesem Trend müssen wir folgen, indem
wir die bestehenden Gesetze anpassen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1418008200
Frau Kollegin, der
Kollege Burgbacher möchte gerne eine Frage stellen.


Brunhilde Irber (SPD):
Rede ID: ID1418008300
Aber selbstverständlich.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1418008400
Bitte sehr.


Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1418008500
Liebe Kollegin Irber,
würden Sie zur Kenntnis nehmen – das habe ich Ihnen
auch schon gesagt –, dass das nichts mit konsequenter
Lobbyarbeit zu tun hat, sondern dass wir seit langer Zeit
an diesem Antrag arbeiten? Abgestimmt haben wir ihn,
wie wir alle das tun, mit verschiedenen Verbänden. Das
hat aber nichts mit Abschreiben oder Lobbyarbeit zu tun.


Brunhilde Irber (SPD):
Rede ID: ID1418008600
Das war aber keine Frage,
Herr Kollege Burgbacher,


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Doch!)

sondern eine Feststellung. Ich nehme es trotzdem zur
Kenntnis.


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Danke!)

Wenn wir aber am Freitag einen Brief bekommen und der
Text am Montag wortgleich in einem Antrag steht, kann
man den Verdacht nicht ganz von der Hand weisen, dass
man das einfach abgeschrieben hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Einführung der Sommerzeit, liebe Kolleginnen
und Kollegen, hat den Tagesablauf verschoben, ohne dass
eine Anpassung der Bestimmungen, die an die Tageszeit
gebunden sind, erfolgt ist. Es ist eine Stunde länger hell.
Die Temperaturen bleiben bis weit in den Abend hinein
sehr angenehm und stärken den Wunsch, sich auch spät
noch im Freien aufzuhalten. Man kann sogar sagen: Mit
Einführung der Sommerzeit hat der Staat für die Gastro-
nomen günstigere Rahmenbedingungen geschaffen. Trotz-
dem sind diese Regelungen, insbesondere für die Nacht-
ruhe, unverändert geblieben.

Wir haben in unseren Städten in den letzten Jahren
Fußgängerzonen geschaffen, um unsere Innenstädte at-
traktiv zu erhalten und nicht durch weiteren Wegzug noch
mehr ausbluten zu lassen. Zum modernen urbanen Leben
gehört auch die Gastronomie. Ich finde, es ist eine gute
Entwicklung, dass Straßencafés, Biergärten und andere
Formen der Außengastronomie praktisch ein fester Be-
standteil unserer Innenstädte geworden sind. Wir in Ber-
lin genießen das ja manchmal auch zu später Stunde.

Vor dieser Entwicklung sollten wir nicht die Augen
verschließen. Wir sollten uns tatsächlich die Frage stellen,
ob die bislang in vielen Gesetzen anzutreffende Grenze
von pauschal 22 Uhr heutzutage noch zeitgemäß ist. Der
Kollege Burgbacher hat nun vorgeschlagen, diese Grenze
generell auf 24 Uhr auszudehnen, und dies bundesweit.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Was sagen die Länder dazu?)


Zusätzlich sollen in einer Technischen Anleitung „Außen-
gastronomie“ die zulässigen Lärmpegel im, sage ich ein-
mal, einseitigen Interesse der Gäste und der Wirte ausge-
staltet werden. In der Regierung kann man sich die Sache
aber nicht so einfach machen und ein Dehoga-Schreiben
eins zu eins in einen Bundestagsbeschluss umsetzen. Bei
allem Verständnis im Grundsatz müssen wir auch die In-
teressen der anderen Seite im Auge behalten; das sind die
Interessen der Nachbarn und der Anwohner. Wie die
Nachbarn reagieren würden, wenn die gesamte Außen-
gastronomie – also nicht nur die Biergärten und Volksfes-
te – entsprechend Ihrem Vorschlag bis 24.00 Uhr plus
Austrinken und Zahlen offen bliebe – auwei, auwei, das
möchte ich mir nicht ausmalen.

Man kann die gesamte Problematik nicht einfach über
einen Kamm scheren. Was in innerstädtischen Lagen ohne
Klagen der Anwohner hingenommen wird, weil es zum
Charakter des Viertels passt oder weil es immer schon so
war, würde in einem ruhigen Vorortwohnviertel sofort zu
Streit und verwaltungsgerichtlichen Klagen führen.

Bestimmte gastronomische Betriebsformen werden zum
Beispiel im Norden anders bewertet als im Süden. Lieber
Herr Kollege, der mich vorhin so nett angesprochen hat: In
Bayern ist der Biergarten – ich zitiere aus der Begründung
der bayerischen Biergartenverordnung – „ein Stück ange-
stammten bayerischen Kulturgutes“. In Baden-Württem-
berg und Rheinland-Pfalz wird man eher an die Besenwirt-
schaften oder die Häckerwirtschaften und die Weinlauben
als traditionelle Formen einer Außengastronomie denken.

Ich will damit nur sagen, dass wir für diesen in der Pra-
xis sehr unterschiedlichen Problembereich keine bundes-
weit einheitliche Vorgabe machen sollten. Dieser Bereich
entzieht sich einer nationalen Regelung. Bitte versetzen
Sie sich einmal in die Situation und stellen Sie sich die
Aufregung vor, wenn uns Brüssel hierzu Vorgaben ma-
chen würde!


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Das wollen wir doch nicht!)


Dies sollte auf die regionalen Bedürfnisse bezogen blei-
ben; es sollte durch die Länder oder durch kommunale
Satzungen geregelt werden. Ich möchte das Geschrei
nicht hören, wenn wir einen solchen Vorschlag aus Brüs-
sel bekommen hätten. Da hätte ich Sie gern gesehen. Wir
können das nicht alles über einen Kamm scheren.

Ich halte daher die derzeitige Regelung in § 18 des
Gaststättengesetzes, die ausdrücklich besagt, dass die
Sperrzeiten durch die Länder festzulegen sind, für in je-
der Hinsicht angemessen.


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Das wollen wir auch genauso!)





Brunhilde Irber
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(B)


Schon Art. 72 des Grundgesetzes erlaubt dem Bund im
Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung – wie hier
beim Gaststättengesetz – die Gesetzeskompetenz nur,
„wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebens-
verhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der
Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen In-
teresse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich
macht.“

Es hat sich auch hier in letzter Zeit schon einiges getan.
Seit zwei bis drei Jahren ist eine Liberalisierungswelle
bei den Sperrzeitverordnungen in den Ländern festzustel-
len, die sich nicht nur auf die Stadtstaaten bezieht. Sogar
Flächenstaaten wie das Saarland haben die allgemeine
Sperrzeit auf die so genannte Besenstunde – das heißt, auf
eine Stunde am frühen Morgen, meistens zwischen 5 und
6 Uhr, was zuvor nur in Berlin zu finden war – begrenzt.
Dies bezieht sich natürlich nicht auf die Außengastrono-
mie. Aber auch in der Außengastronomie kommt Bewe-
gung auf. So hat das Land Brandenburg die generelle
Sperrzeit in der Außengastronomie auf 23 Uhr festgelegt.
Das ist ein Zeitpunkt, den ich für einen ersten Schritt in
die richtige Richtung halte. Auch einige Städte in Nord-
rhein-Westfalen haben für die Sommermonate diese Zeit
in kommunalen Satzungen vorgegeben. Sie sehen also,
dass die SPD-geführten Länder durchaus mit der Zeit ge-
hen.


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Baden-Württemberg ist noch nicht SPD-regiert!)


Ähnlich verhält es sich auch mit Ihrem Vorschlag einer
immissionsschutzrechtlichen Regelung zur Erfassung
und Bewertung des Gaststättenlärms, Herr Burgbacher.
Hier sei die Frage erlaubt, verehrter Herr Kollege, warum
Sie für den Antrag eigentlich keine Überweisung an den
Umweltausschuss vorgesehen haben. Eine Änderung des
Immissionsschutzgesetzes ist doch ohne die Beteiligung
des Umweltausschusses nicht möglich; der wäre dabei fe-
derführend.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das machen wir doch noch! Das muss noch gemacht werden!)


Es kommt der Verdacht auf, dass Sie Ihrem umweltpoliti-
schen Sprecher eine Öffnung der Lärmgrenzen nicht zu-
muten wollten


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Das ist doch Unsinn! Bruni, so billig hast du es nicht nötig! – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Absoluter Quatsch!)


und vielleicht nur ein bisschen Populismus für die Som-
merpause betreiben wollten.

Wenn wir uns ernsthaft mit diesem Thema beschäfti-
gen sollen, dann müssen wir alle Betroffenen in die De-
batte mit einbeziehen.


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Aber nicht in dem Stil!)


– Das muss man schon mir überlassen, in welchem Stil. –
Eine pauschale Regelung in einer TA Gaststättenlärm
oder in einer TA Außengastronomie, wie wir sie in der
bereits existierenden TA Lärm vor allem für den Indus-

trie- und Verkehrslärm haben, erscheint mir nicht sinn-
voll. Denn die Industrie findet normalerweise im Gewer-
begebiet statt und nicht in so stark bewohnten Gebieten
wie bei der Außengastronomie.

Ich glaube, wir können hier nicht mit einer pauschalen
Lösung ankommen, denn wir kennen verschiedene Arten
von Lärm. So gibt es den menschlichen Lärm, den Sie
vorhin beschrieben haben. – Es geht nicht gegen das La-
chen. Sie wissen, ich lache sehr gern und oft, auch hier im
Deutschen Bundestag. Ich glaube, ich bin eine Lach-
taube. – Im Gegensatz dazu haben wir lärmende Autos,
Türen, die auf- und zugeschlagen werden. Zu einer wei-
teren Art des Lärms gehören grölende und singende Men-
schen, die mit zunehmendem Alkoholgenuss nicht mehr
so schön singen, vielmehr wird deren Singen eine Beläs-
tigung für die Anwohner. Sie kennen gewiss die alte
Weisheit: „Je später der Abend, desto lauter die Gäste.“


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das muss doch nicht unbedingt sein! Wo steht das geschrieben? Nirgends! Das ist eine Unterstellung!)


Deshalb glaube ich, dass wir gut beraten sein werden, es
bei einer Einzelbeurteilung zu belassen, bei der die
TA Lärm nur als Orientierung herangezogen wird. Es
überrascht mich schon, dass die Liberalen, die sonst doch
immer vor der Überregulierung warnen, den Ländern aus-
gerechnet in dieser Hinsicht eine nationale Regelung
überstülpen wollen. Wo bleibt denn da die Subsidiarität?
In der Rechtsprechung werden immer auch alle den Gäs-
ten zuzurechnenden Geräusche wie das Türenschlagen
oder das Anlassen des Motors beim Abfahren in die Be-
wertung mit einbezogen. Das können wir nicht ignorie-
ren.

Eine bundesweite Regelung über die Erfassung und
Bewertung von Gaststättenlärm könnte auch zu durch-
aus erheblich restriktiveren Ergebnissen führen. Ich bitte
Sie, zu bedenken, ob das nicht ein Schuss in den Ofen sein
könnte. Es gibt gegenwärtig eben auch einen Trend zu ei-
ner Neubewertung der Folgen von Lärm. Langzeitstudien
belegen den Verdacht, dass Lärm krank macht. Die Fol-
gen sind erhebliche Einsprüche von Bürgern, zum Bei-
spiel beim Ausbau der Flughäfen. Wir wissen hier in
Schönefeld und in Frankfurt, was das bedeutet.

Ich vermag im Augenblick noch nicht abzuschätzen,
ob die beiden Trends – hin zu längeren Öffnungszeiten bei
den Biergärten in der Außengastronomie und größere
Sorge vor den Folgen des Lärms – in einer Interessenab-
wägung unter einen Hut zu bekommen sind. Die Tatsache,
dass Sie den Umweltausschuss nicht in die Debatte ein-
beziehen, zeigt mir, dass Sie dies ebenso einschätzen.

Aber wie kommen wir nun weiter? Es ist die Frage, wie
wir das Problem lösen, das den Tourismuspolitikern
natürlich ein großes Anliegen ist. Wir von der Koalition
wollen einen guten Kompromiss auf einer neuen Grund-
lage. Aus diesem Grunde glaube ich, dass es günstig wäre,
wenn wir uns darauf verständigten, die mitteleuropäische
Zeit – so wie sie vorhanden ist – im Gesetz stehen zu las-
sen. In der Praxis würde das zur mitteleuropäischen
Sommerzeit führen. Das heißt, wir hätten eine Stunde
länger Zeit, in der Gäste das schöne Biergartenleben




Brunhilde Irber

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genießen und die Gastwirte mehr Umsatz machen könn-
ten, aber die Bewohner, die in der Umgebung solcher
Gaststätten ihr Heim haben, nicht durch den Lärm belä-
stigt würden. Wir kommen in der Ausschussberatung
noch dazu.

Wir können die Bundesregierung jetzt auffordern, uns
einmal alle jene Gesetze – außer dem Gaststättengesetz –
zu benennen, die von der Regelung der Nachtruhe tangiert
wären. Der Beginn der Nachtruhe müsste entweder zeit-
lich verschoben werden oder es müsste eine andere Lö-
sung gefunden werden. Wenn wir dann eine Antwort der
Bundesregierung vorliegen haben, können wir im Aus-
schuss mit den Beratungen über Ihren und unseren Antrag
beginnen und eine Lösung zu finden versuchen, die bei-
den Anliegen gerecht wird.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Wo ist der SPD-Antrag? Den kenne ich gar nicht! Kenne ich den schon?)


– Der Antrag ist bereits am 13. Februar eingebracht wor-
den, Herr Brähmig. Es tut mir Leid, wenn Sie die Anträge
nicht lesen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1418008700
Nun hat das Wort die
Kollegin Anita Schäfer für die CDU/CSU-Fraktion.


Anita Schäfer (CDU):
Rede ID: ID1418008800
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! In den vergangenen Tagen haben wir
ganz aktuell einen der besonderen Gründe für den vorlie-
genden Antrag erleben können, sonniges und warmes
Sommerwetter, das die Menschen dazu veranlasst, auszu-
gehen und die Abendstunden für Entspannung und Kom-
munikation zu nutzen. Die Gelegenheit dazu ist bei uns
nicht so häufig gegeben. Rechnen wir es einmal hoch, so
sind die Witterungsverhältnisse in unserem Lande an ma-
ximal 30 bis 40 Abenden im Jahr günstig genug hierfür.
An diesen Abenden wird es den Betreibern der Außengas-
tronomie jedoch untersagt, den Gästen auch um viertel
nach zehn noch ein Glas Wein oder eine Tasse Kaffee zu
servieren.

Seien Sie einmal ehrlich: Wer von Ihnen im Plenum hat
sich denn bisher noch niemals über diesen Umstand geär-
gert? Sie alle kennen die Arbeitszeiten, die es einem un-
möglich machen, nachmittags um halb sechs in einem
Biergarten oder in einem Straßencafé zu sitzen. So geht es
dem Großteil unserer Bevölkerung. Die Lebensverhält-
nisse und die Gewohnheiten der Menschen in unserem
Land haben sich massiv geändert. Millionen von Men-
schen arbeiten bis 20 Uhr oder noch länger. Die gegen-
wärtigen Sperrzeiten im Freisitz gehen weder hierauf
noch auf veränderte Freizeitbedürfnisse der Menschen an
Schönwettertagen ein. Man nimmt diesen Leuten im
Grunde die Gelegenheit, nach der Arbeit noch in einen
Biergarten oder zu einer anderen Außengastronomie zu
gehen.

Dabei erfüllen doch gerade die Biergärten einen wich-
tigen gesellschaftspolitischen Zweck. Sie stellen für die

Bewohner in den Städten, die nicht über einen eigenen
Garten verfügen, einen Zufluchtsort, eine Stätte der Be-
gegnung und der Kommunikation dar, und das in der Re-
gel fernab von Wohngebieten, häufig im Grünen.

Ein anderes Argument ist die Belebung unserer In-
nenstädte. Ich will gar nicht wissen, wie viele Millionen
die Kommunen in den letzten Jahren in Attrak-
tivitätsprogramme zugunsten der Innenstädte investiert
haben – ohne Erfolg. Die Geschäftszeiten in der Woche
ziehen die Menschen bis 20Uhr in die Einkaufszonen. Ein
Großteil von ihnen würde anschließend gerne noch
gemütlich etwas essen oder in ein Café gehen. Die Aus-
sicht, den Stadtbummel um 22 Uhr behördlich beendet zu
bekommen, lässt diese Leute aber in der Regel nach
Hause fahren. So beginnt abends Punkt acht schlagartig
die Verödung unserer Innenstädte. Auch das Abdriften
der Kundenströme durch Gewerbe- und Einzelhandels-
ansiedlungen auf der grünen Wiese unterstreicht die Be-
deutung der Gastronomie für die Belebung unserer In-
nenstädte.

Das Sitzen unter freiem Himmel schafft gerade erst das
Flair einer Innenstadtzone, das Bummler und Passanten
an den wenigen Sommerabenden bindet. Eine Vitalisie-
rung bzw. Revitalisierung der Innenstädte ist nur dann
möglich, wenn es uns gelingt, die Menschen zum Bleiben
zu bewegen. Die Umgestaltung der Sperrzeiten ist zwar
kein Allheilmittel, aber sie ist auf jeden Fall saisonal eine
Erfolg versprechende, kostenneutrale Maßnahme.

Werfen wir einen Blick auf unsere Nachbarn. Ihnen al-
len ist sicherlich die eine oder andere nette Urlaubserin-
nerung an einen gemütlichen Abend in einem Café in
Florenz oder in Paris präsent. Die deutschen Außengas-
tronomen ernten bei ihren ausländischen Gästen aber nur
ein ungläubiges Kopfschütteln, wenn sie zu einer Uhrzeit,
zu der es in unserem Land häufig noch hell ist, die Be-
wirtung einstellen müssen.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das muss sich ändern!)


Dies ist ein eindeutiger Standortnachteil des deutschen
Tourismus. Gerade auch vor dem Hintergrund des Jahres
des Tourismus konterkariert dies alle Bemühungen, unser
Land im internationalen Vergleich konkurrenzfähiger zu
machen. Welcher Gast soll denn bitte schön im Ausland
durch seine Mundpropaganda für einen Urlaub an Rhein
oder Mosel werben, wenn man als Urlaubserinnerung die
Bekanntschaft mit deutscher Bürokratie und Regelungs-
wut mit nach Hause bringt?


(Beifall bei der CDU/CSU – Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Muss man ja nicht!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, Ihre Re-
gelungen zu den 630-DM-Jobs


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


haben die Betreiber von Freizeitgastronomien schon arg
gebeutelt. Offensichtlich sind Sie nicht willens, dieses
Konjunkturhemmnis wieder zu beseitigen.




Brunhilde Irber
17780


(C)



(D)



(A)



(B)


Hier bietet sich Ihnen aber wenigstens die Gelegenheit,
die wirtschaftliche Situation des strapazierten Gastgewer-
bes zu entlasten. Gerade durch die Verlängerung der Aus-
schankzeiten um eine oder zwei Stunden kann vielen Gas-
tronomen ein wirtschaftlicher Betrieb von Freisitz-
flächen ermöglicht werden. Dass dies zusätzlich positive
Auswirkungen auf die Beschäftigungsstruktur hat, muss
an dieser Stelle eigentlich nicht besonders betont werden.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das ist der Punkt!)


Die gegenwärtige Regelung bestraft viele für die Nöte
einzelner. Das erinnert stark an das Prinzip der Sippen-
haft. Sinnvoller ist es, Beschränkungen dort vorzuneh-
men, wo sie notwendig und angebracht sind. Wenn die
Ordnungsämter mittlerweile in der Regel nur noch auf
Beschwerden hin die Einhaltung der 22-Uhr-Frist kon-
trollieren, so spricht diese Tatsache für sich.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Besser wäre es, die Anwohnersituation und die jeweilige
Zumutbarkeit im Einzelfall zu beurteilen.

Flexibel, bürgernah und mit Beteiligung der Betroffe-
nen – so soll eine aktive Bürgergesellschaft sein.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir ja!)


Hierzu ist es aber notwendig, bürokratische und kostenin-
tensive Anträge auf Sondergenehmigungen zu vermeiden.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1418008900
Das nun provoziert eine
Zwischenfrage der Kollegin Irber. Lassen Sie diese zu?


Anita Schäfer (CDU):
Rede ID: ID1418009000
Nein, ich möchte fort-
fahren. – Deshalb müssen wir die Gesetzesflut eindäm-
men und die Regelungsdichte in Deutschland wieder
überschaubar machen. Nur dann kann sich die aktive Bür-
gergesellschaft wieder besser entfalten.

Deshalb brauchen wir auch keine Bundesgesetze zur
Regelung der Öffnungszeiten von Biergärten und
Straßencafés. Die Gemeinden sollen selbst darüber ent-
scheiden.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können sie jetzt schon!)


Sie können zwischen den Interessen vermitteln, denn sie
kennen die örtlichen Besonderheiten. Sie haben ein Inte-
resse an lebendigen Ortskernen und Innenstädten. Sie er-
zielen auch indirekt Einnahmen aus der Gastronomie. Vor
allem vertreten sie die Interessen aller Bürger der Ge-
meinde, sowohl derjenigen, die am späten Abend in einem
Biergarten oder in einem Café sitzen wollen, als auch der-
jenigen, die ihre Ruhe wollen. Zudem wird so auch das
Verständnis für wirklich gerechtfertigte Einwände gegen
eine längere Außenbewirtung gefördert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es ist wirklich nicht jedermanns Sache, unter seinem
Schlafzimmer eine gut besuchte Schankterrasse zu haben.
Für den Betroffenen ist es auch nur ein schwacher Trost,

dass der Betrieb dieser Außengastronomie nur an 30 bis
40 Tagen im Jahr wirtschaftlich ist.

Wesentliches Problem ist der Lärmschutz. Dieses gilt
es in erster Linie zu klären, denn schließlich ist Lärm
nachweislich eine Belastung, die zu Gesundheitsschäden
führen kann. Aber dies gilt es auch zu hinterfragen: Ver-
ursacht der Betrieb einer Außengastronomie tatsächlich
einen Lärm, der mit dem von Industrieanlagen vergleich-
bar ist? Das derzeitige Gleichsetzen von Kommunikati-
onsgeräuschen in Straßencafés mit Industrielärm wie dem
Presslufthämmern und Motorengeräuschen ist offensicht-
lich genauso wenig sachgerecht, wie dies bei Sportveran-
staltungen der Fall ist.

Das Verfahren wird dem Problem vor allem in akus-
tisch-technischer Hinsicht nicht gerecht. Sie können sich
das gern so wie ich von einem Akustikingenieur Ihres
Wahlkreises bestätigen lassen. Es ist ein gesondertes Mess-
verfahren notwendig, um im Interesse aller Beteiligten,
der Gastwirte, der Gäste und im Besonderen der Anwoh-
ner, zu einer sozialverträglichen Lösung zu kommen.

Dies ist umso dringender, als es derzeit keine verbind-
liche Vorschrift für die Beurteilung von Geräuschimmis-
sionen der Freizeitgastronomie gibt. Die Technische An-
leitung Lärm findet schon seit zwei Jahren keine
Anwendung mehr auf die Außengastronomie. Dennoch
wird häufig nach ihr verfahren. Das allein schon begrün-
det einen Handlungsbedarf. Für Sportstätten hingegen
gibt es seit rund zehn Jahren eine besondere Immissions-
schutzverordnung. Eine Überarbeitung der Lärmschutz-
verordnung hinsichtlich der Außengastronomie ist daher
nicht nur sinnvoll, sondern längst überfällig.

Meine Fraktion hat schon im Zusammenhang mit der
Lärmschutzrichtlinie des Europäischen Parlaments unter-
strichen, dass die Regelung des Lärmschutzes auf lokaler
und regionaler Ebene am besten aufgehoben ist. Dies gilt
insbesondere für die Belastungen, die sich aus dem Be-
trieb der Freizeitgastronomie ergeben.

Der Antrag bietet einen sinnvollen Ansatz, um an
tatsächlichen Lärmbelästigungen orientiert handeln zu
können. Auch hier ist die Anwendung des Subsidiaritäts-
prinzips zweckmäßig. Mit der Zuständigkeit der Städte
und Gemeinden kann den lokalen und kulturellen Beson-
derheiten am besten Rechnung getragen werden.

Es gilt, die Gesetze den Lebensumständen der Men-
schen anzupassen, und nicht anders herum. Hierzu ist es
aber nötig, die Scheuklappen und nicht die Bürgersteige
hochzuklappen. Nur so können wir unsere Gastronomie
den heutigen Bedürfnissen anpassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Der Antrag der F.D.P. bietet hierzu eine gute Gelegen-

heit, dessen Anliegen auch von der CDU/CSU-Fraktion
unterstützt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1418009100
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Sylvia Voß das
Wort.




Anita Schäfer

17781


(C)



(D)



(A)



(B)



Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418009200
Liebe
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin
richtig erschüttert, denn die Opposition tut so, als könne
man nirgendwo in Deutschland abends beim Bier oder ei-
ner Tasse Kaffee nett mit Freunden zusammensitzen und
feiern. Irgendwie fühle ich mich hier im falschen Land.
Sie tun so, als ob man bei uns um 20 Uhr die Sonne aus-
knipsen würde. Das ist ja nicht so.


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Das hat niemand gesagt!)


– Doch, die Kollegin Schäfer hat sich ziemlich darüber
geärgert, dass man hier abends keine schönen Biergärten
mehr aufsuchen könne.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das hat sie überhaupt nicht gesagt!)


Erstaunlich ist, dass die Opposition diese Tatsache of-
fensichtlich erst jetzt entdeckt und nicht schon 16 Jahre
vorher, als sie es hätte ändern können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wahrscheinlich hat sie erst jetzt gemerkt, was Leben ist.
Ich komme aus der Ecke mit dem schönsten Biergarten

in der Region. Wenn ich abends am S-Bahnhof Griebnitz-
see aussteige, sehe ich schöne alte Bäume, schöne Blu-
men und habe einen direkten Blick auf den See. Gehen Sie
einmal hin, da können Sie auch abends noch sitzen.

Wir haben es uns im Tourismusausschuss zu Eigen
gemacht, nicht immer nur die Belange der Reisenden,
sondern auch die der Bereisten zu berücksichtigen.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das ist Nachhaltigkeit!)


Ich denke, auch bei diesem Thema sollten wir nicht nur
die Belange der Trinkenden, sondern auch die der An-
wohner von Biergärten berücksichtigen. Die F.D.P.
scheint immer nur nach Süden zu schauen. Sie übersieht
dabei, dass es im Norden länger hell ist. Dadurch ergeben
sich dort vielleicht etwas andere Probleme.

Wir Deutschen sind natürlich anders als die Spanier,
Franzosen oder Italiener; das bestreitet auch keiner. Wir
sind aber nicht lust- und touristenfeindlich. Es wird von
uns nicht bestritten, dass es bei touristisch stark nachge-
fragten Zielen attraktiv ist, bei lauen Temperaturen und
schönem Wetter abends noch etwas länger draußen zu sit-
zen. Auch ist es für die Besitzer solcher Lokale wunder-
schön, wenn sie abends noch Einnahmen erzielen können.

Es ist gut, wenn sich die Anwohner und die Besitzer
von Biergärten und Gartenlokalen in Konfliktfällen ab-
sprechen und auf einen Kompromiss einigen. Das ist viel
häufiger der Fall, als dies die F.D.P. offensichtlich an-
nimmt; denn sonst würde sie nicht nach einer solchen
Regelung schreien.


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Das habe ich doch gesagt!)


Die derzeitige Handhabung der Sperrzeitenregelung ist
im Übrigen gar nicht so kundenunfreundlich, wie es die
F.D.P. darstellt.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1418009300
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brähmig?


Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418009400
Ja, gerne.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1418009500
Bitte sehr, Herr Kol-
lege.


Klaus Brähmig (CDU):
Rede ID: ID1418009600
Ich mache es ganz
kurz. – Frau Kollegin Voß, sind Sie mit mir einer Mei-
nung, dass der Antrag der F.D.P., der von unserer Fraktion
unterstützt wird – Frau Kollegin Schäfer hat das schon er-
klärt –, dringend notwendig ist, weil die mittelständische
Gastronomie- und Hotelleriebranche in der derzeitigen
wirtschaftlichen Situation jede erdenkliche zusätzliche
Einnahmemöglichkeit braucht, da die Belastung des Mit-
telstands und der Gastwirtschaft durch Ökosteuer und an-
dere Maßnahmen massiv zugenommen hat?


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418009700
Ich bin
davon überzeugt, dass Sie das Thema Ökosteuer bei der
Behandlung jedes Themas unterbringen können. Ich
denke aber, Sie sollten mir weiter zuhören, dann wissen
Sie, was ich dazu zu sagen habe.

Es ist so, dass deutschlandweit Sperrfristen gelten, die
durch Ausnahmen individuell an die jeweilige Einrich-
tung und Umgebung angepasst werden können. Das re-
geln die Länder. Deswegen habe ich mich schon vorhin
gefragt: Warum haben Sie denn den Ländern nicht ein
bisschen Dampf gemacht? Warum kann man das in Sach-
sen, Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz nicht re-
geln?


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Baden-Württemberg hat es doch geregelt!)


– Deshalb frage ich ja. – Die Länder regeln das Problem
und geben ihre Kompetenz teilweise an die Kommunen
ab, sodass es individueller, als es jetzt geregelt ist, kaum
mehr geht.

Wenn es von Fall zu Fall, trotz der schon jetzt beste-
henden Regelungsmöglichkeiten, in der Umgebung der
Biergärten und Gaststätten immer noch zu laut wird, be-
stehen teilweise, beispielsweise in Berlin, wo wir zwi-
schen fünf und sechs Uhr morgens eine Sperrfrist, in der
Ruhe herrschen muss, haben, so genannte Clearingstel-
len. Bei diesen Stellen können sich die Gestörten, die Stö-
rer sowie die Vertreter der zuständigen Behörden an einen
Tisch setzen. Nach Aussage des Geschäftsführers der Ho-
tel- und Gaststätten-Innung Berlin und Umgebung, Karl
Weißenborn, schafft man es auf diese Weise, bis zu
90 Prozent der Konflikte aus der Welt zu schaffen. Ich
denke, das ist ein gutes Beispiel dafür, wie in einem fö-
deralen Staat mit Konflikten umgegangen werden kann.
Gerade Sie beschwören immer wieder dieses Thema.

Im Übrigen – ich komme zum Kern meiner Aus-
führungen – finden wir die Sichtweise Ihres Antrags ein-






(C)



(D)



(A)



(B)


seitig; denn sie ist nur auf die Trinkenden und die Betrei-
ber der Lokale ausgerichtet. Wir möchten, dass auch die
Belange der Bewohner vor Ort, die ein Ruhebedürfnis
haben, berücksichtigt werden. Man muss diese Belange
wirklich gleichrangig betrachten und sie vernünftig ge-
geneinander abwägen. Für manche ist es einfach zu we-
nig, nur ein oder zwei Stunden Schlaf zu haben. Sie kön-
nen nicht sagen, dass es keine Belästigung ist, wenn sie
bei einem Biergarten wohnen, in dem abends das Gegröle
losgeht. Diese Menschen können nicht ausweichen. Sie
können nicht einfach wegziehen oder das Gläserklirren,
Stühlescharren und das laute Gerede, das von unten
kommt, einfach abschalten.

Insofern denke ich, dass manches an Ihrem Antrag be-
denkenswert und auch prüfenswert ist. Aber wie man den
„menschlichen Kommunikationslärm“, wie Sie es nen-
nen,


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


standardisieren kann, das ist mir wirklich ein Rätsel.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS)

Vielleicht haben Sie ja eine Lösung parat. Auch wenn man
manches prüfen sollte, tun sich also noch einige Fragen
auf.

Wir werden in den entsprechenden Beratungen sicher-
lich über die Vor- und Nachteile Ihres Vorschlags disku-
tieren und feststellen, welchen Handlungsbedarf es gibt.
Im Moment brauchen wir darüber erst einmal nicht
weiterzudiskutieren, da eine Regelung existiert, die man
sehr liberal – das müsste Ihnen eigentlich entgegenkom-
men – auslegen kann und auf deren Basis jede Kommune,
wenn es das jeweilige Land zulässt, ihre eigenen Rege-
lungen treffen kann.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1418009800
Jetzt hat für die PDS-
Fraktion die Kollegin Rosel Neuhäuser das Wort.


Rosel Neuhäuser (PDS):
Rede ID: ID1418009900
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Reißt die Wolkendecke auf, streckt so
mancher das Gesicht in Richtung Sonne. Sobald Eis, Bier
oder Gegrilltes auf dem Tisch stehen, ist der Winter vor-
bei. Feierabende und Wochenenden beginnen von nun an
in Gärten, auf Terrassen und auch unter Bäumen. Der
Wunsch nach einem Abend unter freiem Himmel und
nach einem gemütlichen Beisammensein mit Freunden
prägt das Verlangen, Biergärten oder andere Freiluft-
restaurants aufzusuchen.

Wenn man sich mit dem Thema der Sperrzeiten für
Gaststätten und Biergärten beschäftigt, sollte ein kurzer
Blick auf die Geschichte der Biergärten nicht fehlen:
Wie so einige Dinge, die in der Welt passiert sind, so ver-
danken wir auch die Biergärten der Kirche. In der bayeri-
schen Brauordnung aus dem Jahre 1539 wurde festgelegt,
dass nur zwischen dem Festtag des Heiligen Michael, dem

29. September, und dem Ehrentag des Heiligen Georg,
dem 23. April, gebraut werden durfte. In den sechs Mo-
naten dazwischen war das Bierbrauen verboten, weil beim
Biersieden eine zu hohe Brandgefahr bestand. Also
musste auf Vorrat gebraut werden.

Die Frage war nur: Wie brachte man das Bier in dieser
Zeit ohne Kühlschrank und ohne Kühleis über den Som-
mer? Man sorgte für oberirdische Kühlung durch Schat-
ten spendende Gewächse, die über den Bierkellern ge-
pflanzt wurden. Ich denke, das war sehr ökonomisch und
ökologisch. Da aber die Brauer ihr Bier möglichst direkt
an den Konsumenten verkaufen wollten, stellten sie unter
die Bäume Tische und Bänke und boten ihr Bier frisch
vom Fass an. Um Streitigkeiten zwischen Brauern und
Gastwirten zu vermeiden, genehmigte König Ludwig I.
den Bierausschank unter den Bäumen, verfügte aber, dass
kein Essen gereicht werden durfte. Wer auf die Bierkeller
zu einem zünftigen Maß ging, musste seine Brotzeit selbst
mitbringen. Stellt euch vor, wir hätten diese Situation
heute! So weit, so gut.

Zurück in die Gegenwart: Es zeigt sich, dass das Re-
gulierungsbedürfnis in diesem Land dafür sorgt, dass die
Gemütlichkeit schnell ein Ende hat, weil die Außengas-
tronomie pünktlich um 22 Uhr schließen muss. Wie
schlecht für die Bürgerinnen und Bürger, die keinen eige-
nen Garten oder keine eigene Terrasse haben und jederzeit
unbegrenzt den Vorteil eines gemütlichen Feierabends im
Freien genießen möchten!

Nun hat bekanntlich jede Medaille zwei Seiten. So gibt
es auch bei der Diskussion über die Verlängerung der
Sperrzeiten für die Außengastronomie zwei Seiten. Ich
verstehe diejenigen sehr, von denen ich eingangs meiner
Rede sprach, also diejenigen, die eine laue Sommernacht
mit Freunden bei einem kühlen Bier verbringen wollen,
und diejenigen, die sich von dem dadurch entstehenden
Lärm belästigt fühlen, aber auch diejenigen, die die Arbeit
haben. „Jedem recht getan, ist bekanntlich eine Kunst, die
niemand kann“, so möchte man an dieser Stelle sagen.

Was also tun und wie entscheiden? Man könnte rigoros
bei der derzeitigen Regelung bleiben. Aber in einer Ge-
sellschaft, in der die sozialen Beziehungen immer mehr
abkühlen, sollte gemeinsam, vor allem auch mit den Kri-
tikern, nach verträglichen Lösungen gesucht werden.
Nicht allein Gesetze und Regelungen bringen uns hier
weiter, sondern das Gespräch mit den Bürgern darüber,
dass Freiluftgaststätten ein beliebter Treffpunkt breiter
Bevölkerungsschichten sind und ein ungezwungenes Mit-
einander ermöglichen, dass Freiluftgaststätten aber auch
zur Belebung und höheren Attraktivität unserer Innen-
städte beitragen und dass Freiluftgaststätten je nach Wet-
terlage maximal nur 30 bis 50 Tage im Jahr – darauf ist
schon hingewiesen worden – betrieben werden können.

Ich denke, wenn wir uns über Regelungen verständi-
gen, müssten wir, an unserer Arbeitszeit gemessen, viel-
leicht einmal sagen, dass Biergärten erst ab 20 Uhr öffnen
sollten, damit auch wir einmal in den Genuss kommen,
die Angebote in den Biergärten hier in Berlin in Anspruch
nehmen zu können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)





Sylvia Voß

17783


(C)



(D)



(A)



(B)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1418010000
Und insgesamt sollte
die Regelung so zügig verabschiedet werden, dass wir
schon zum nächsten Sommer von den Veränderungen pro-
fitieren.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 14/6188 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sind Sie damit ein-
verstanden? – Damit ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Rege-
lung des Schutzes gefährdeter Zeugen
– Drucksachen 14/638, 14/6279 (neu)

(Erste Beratung 176. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/6467 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Peter Kemper
Wolfgang Zeitlmann
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke

Ich eröffne die Aussprache. Die Reden sind alle zu Pro-
tokoll gegeben.1) Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundes-
rat eingebrachten Gesetzentwurf zur Regelung des
Schutzes gefährdeter Zeugen, Drucksachen 14/638,
14/6279 (neu) und 14/6467. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Bei Gegenstimmen der PDS ist der Ge-
setzentwurf in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung! Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Die
Gegenprobe! – Gegen die Stimmen der PDS ist der Ge-
setzentwurf angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 c auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens
Rössel, Dr. Christa Luft, Heidemarie Ehlert, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
UMTS-Milliarden für die Einführung einer
kommunalen Investitionspauschale des Bundes
– Drucksachen 14/4557, 14/6208 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Georg Wagner
Hans Jochen Henke
Oswald Metzger
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens
Rössel, Dr. Dietmar Bartsch, Heidemarie Ehlert,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Änderung des Zerlegungsmaßstabs des Gewer-
besteuermessbetrags
– Drucksachen 14/5584, 14/6461 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Mathias Schubert
Jochen-Konrad Fromme
Heidemarie Ehlert

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens
Rössel, Dr. Dietmar Bartsch, Heidemarie Ehlert,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Erhöhung der Gewerbesteuerumlage rückgän-
gig machen
– Drucksachen 14/5586, 14/6462 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Bernd Scheelen
Jochen-Konrad Fromme
Heidemarie Ehlert

Auch hierzu sind die Reden zu Protokoll gegeben2), mit
Ausnahme der des Kollegen Dr. Rössel, der jetzt das Wort
hat.


(Zuruf von der CDU/CSU: Oh nein! – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist der Zerlegungsmaßstab? Das will ich jetzt wissen!)



Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS):
Rede ID: ID1418010100
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! „Ohne Moos nix los!“, so ein
Sprichwort.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das kann ich bestätigen!)


– Sehr wohl. – In vielen Städten, Gemeinden und Land-
kreisen ist in der Tat Schmalhans Küchenmeister: rück-
läufige Investitionen, geschlossene Jugendfreizeiteinrich-
tungen, Theaterschließungen, steigende Gebühren für
Wasser und Abwasser. Die Ursachen für die Krise der Fi-
nanzen der Kommunen sind vielfältig. Aber maßgeblich
steckt Bundespolitik mit dahinter.

Deshalb war es zu begrüßen, dass die Fraktionen von
Bündnis 90/Die Grünen und SPD beschlossen hatten, in
dieser Wahlperiode eine Kommunalfinanzreform auf
den Weg zu bringen.






(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 3 2) Anlage 4

Schauen wir uns das jetzt an, dann sehen wir, dass nichts
passiert ist. Daher hat die PDS-Fraktion in dieser Wahlperi-
ode die Koalition sozusagen vor sich hergetrieben, hat Ini-
tiativen zum Einstieg in eine umfassende Kommunalfi-
nanzreform ergriffen und eine Vielzahl von Anträgen
vorgelegt. Heute stehen drei von ihnen zur Abstimmung.

Ein erster Antrag beschäftigt sich mit der Wiederauf-
lage einer kommunalen Investitionspauschale des Bun-
des für Ostdeutschland, aber auch für strukturschwache
Regionen in Westdeutschland. Wir wollen die Finanzkraft
der Kommunen stärken, wollen vor allem die Rückläu-
figkeit bei kommunalen Investitionen aufhalten und hier
eine Investitionsoffensive für soziale Zwecke, für Infra-
struktur, für kommunale Einrichtungen starten.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Das wird ja auch Zeit!)

– Das wird Zeit, Kollege Seifert! – Das Geld soll direkt an
die Kommunen fließen und die Kommunen sollen selbst,
wirklich im Sinne von kommunaler Selbstverwaltung, da-
rüber entscheiden können.

3 Milliarden DM, beginnend ab dem Haushalts-
jahr 2002, sind unser Vorschlag. Wir haben auch eine
Finanzierungsgrundlage. Größer als erwartet ist die Zins-
ersparnis des Bundes aus der Veräußerung von Mobilfunk-
lizenzen. Das wäre eine wirkliche Grundlage, das Projekt
finanzieren zu können. Das Geld wäre hier gut angelegt.


(Beifall bei der PDS)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wäre gut angelegt

– nicht so bei dem aus Zinsersparnissen in den Bundes-
haushalt 2002 eingestellten Projekt der Deutschen
Bahn AG. Der Bundeshaushalt hat 2 Milliarden DM für
die Hilfe zur Bahnsanierung, zur Investitionsoffensive bei
der Bahn eingestellt.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jährlich!)


Ich hatte gestern Abend – Kollege Schmidt, Sie sitzen im
Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG – ein Gespräch mit
Hartmut Mehdorn, dem Vorstandsvorsitzenden der Deut-
schen Bahn AG. Er sagte mir, dass von diesen 2 Milliar-
den DM noch nicht ein Pfennig ausgegeben worden ist, ja,
dass sogar noch nicht einmal ein Pfennig durch Verträge
gebunden worden ist.


(Zuruf von der PDS: Unerhört!)

Die Ursache für diesen ungeheuerlichen Vorgang, liebe

Kolleginnen und Kollegen, liegt darin begründet

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Im Planungsvorlauf!)

– nicht im Planungsvorlauf –, dass die zuständigen Minis-
terien bürokratische Hürden aufgebaut haben. Die Verein-
barung wurde viel zu spät getroffen. Deshalb konnte das
Geld nicht ausgegeben werden.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Stimmt überhaupt nicht!)


Für Rücksprachen steht Ihnen der Vorstandsvorsitzende
gern zur Verfügung.

Ein weiterer Vorschlag betrifft die Gewerbesteuer.

(Gerhard Schüßler [F.D.P.]: Abschaffen!)


Das ist nicht nur unser Vorschlag, sondern auch der der
kommunalen Spitzenverbände. Die Kommunen brauchen
verlässliche eigene Einnahmen. Die Gewerbesteuer ist
eine solche Einnahmequelle und muss den Kommunen
auch wirklich zugute kommen. Deswegen sind wir der
Meinung, dass die Gewerbesteuer nicht abgeschafft wer-
den soll. Vielmehr müssen ihre Tücken beseitigt werden
und in einem Reformpaket aufgehen.


(Beifall bei der PDS)

Wir wollen die Reform der Gewerbesteuer und beabsich-
tigen, in einem ersten Schritt durchzusetzen, dass die Ein-
nahmen überwiegend den Kommunen zugute kommen.
Jetzt kassieren Bund und Länder 20 Prozent der Einnah-
men. Die rot-grüne Regierung hat im Rahmen ihrer Steu-
erreform beschlossen, dass dieser Anteil bis zum Jahre
2005 von 20 auf 28 Prozent ansteigen soll. Dadurch ge-
hen den Kommunen in den nächsten Jahren jährlich zwi-
schen 2 und 3 Milliarden DM an eigenen Einnahmen ver-
loren, was Auswirkungen im Jugendfreizeitbereich, bei
Investitionen usw. hat und einen Schritt in die verkehrte
Richtung darstellt. Wir schlagen vor, dies rückgängig zu
machen, zumindest aber einen Ausgleich für die Kommu-
nen zu schaffen.

Die ganze Debatte um die Gewerbesteuer gefällt uns
nicht. Dass die F.D.P. – Kollege Schüßler, das haben Sie
seit Jahren offen gesagt – die Gewerbesteuer abschaffen
will, ist bekannt. Dass jetzt aber Teile der Bundesregierung
entgegen eigenen Beteuerungen über die Medien eine De-
batte über die Abschaffung der Gewerbesteuer initiieren,
führt sowohl bei den Kommunen als auch bei den Bürge-
rinnen und Bürgern zu Sorgenfalten.


(Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])

Mit der Abschaffung der Gewerbesteuer wird das gute
Band zwischen Wirtschaft und Kommune zerrissen. Es
kann nicht sein, dass die Wirtschaft die infrastrukturellen
Leistungen der Kommunen nutzt, ohne dafür einen ange-
messenen Beitrag leisten zu müssen. Über die Reform der
Gewerbesteuer kann man sprechen. Aber ihre Abschaf-
fung führte dazu, die Kommunen allein zu lassen


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


und die Wirtschaft aus ihrer Verantwortung zu entlassen.
Das machen wir nicht mit; dem können wir nicht zustim-
men.


(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1418010200
Herr Kollege, Sie
müssen jetzt dringend zum Schluss kommen.


Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS):
Rede ID: ID1418010300
Jawohl, liebe Frau Prä-
sidentin. – Zum Schluss bitte ich Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen, nach gründlicher Prüfung den vorliegen-
den Anträgen der PDS, die auf die Stärkung der kommu-
nalen Finanzkraft gerichtet sind, zuzustimmen und die
drei Beschlussempfehlungen nicht anzunehmen.

Herzlichen Dank und schönes Wochenende!

(Beifall bei der PDS)





Dr. Uwe-Jens Rössel

17785


(C)



(D)



(A)



(B)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1418010400
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 28 a: Beschluss-
empfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksa-
che 14/6208 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem
Titel „UMTS-Milliarden für die Einführung einer kom-
munalen Investitionspauschale des Bundes“. Der Aus-
schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/4557 ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Gegen die Stimmen der PDS ist die Be-
schlussempfehlung angenommen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 28 b: Be-
schlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksa-
che 14/6461 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem
Titel „Änderung des Zerlegungsmaßstabs des Gewerbe-
steuermessbetrags“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag
auf Drucksache 14/5584 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Gegen die Stim-
men der PDS ist die Beschlussempfehlung angenommen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 28 c: Be-
schlussempfehlung des Finanzausschusses auf Druck-
sache 14/6462 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit
dem Titel „Erhöhung der Gewerbesteuerumlage rückgän-
gig machen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/5586 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Gegen die Stim-
men der PDS ist die Beschlussempfehlung angenommen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 4. Juli 2001, 13 Uhr, ein. Ich
wünsche Ihnen allen ein sonniges Wochenende mit vielen
Biergärtenaufenthalten.


(Heiterkeit)

Die Sitzung ist geschlossen.