Gesamtes Protokol
Guten Tag, liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Siebenten Ge-
setzes zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche
Bundesbank.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel.
Herr Minister, bitte sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Prä-
sidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregie-
rung hat den soeben genannten Gesetzentwurf im Kabi-
nett beschlossen und in das parlamentarische Verfahren
eingebracht. Wir ziehen damit die Konsequenzen aus der
Einführung des Euro zum 1. Januar 1999 und dem Über-
gang der geldpolitischen Kompetenz auf die Europäische
Zentralbank.
Erstens. Mit dem Verlust der geldpolitischen Kompe-
tenz beim Zentralbankrat der Deutschen Bundesbank hat
dieses Gremium seine zentrale Zuständigkeit verloren
und ist deswegen entbehrlich. An die Stelle des gestuften
Leitungsgremiums, Direktorium und Zentralbankrat, soll
daher ein einheitlicher Vorstand treten. Wir benötigen
dann nicht mehr 17 Führungspositionen für die Deutsche
Bundesbank, sondern es genügen sechs.
Innerhalb des Direktoriums hat nur noch ein Mitglied
Zuständigkeiten für die Geldpolitik, und zwar der Präsi-
dent der Deutschen Bundesbank in seiner Eigenschaft als
Mitglied des Zentralbankrates der Europäischen Zentral-
bank. Das muss Konsequenzen in der Rechtsstellung des
Präsidenten mit sich bringen. Das bedeutet auch, dass in
der Bundesbank nur noch einer über die Geldpolitik reden
kann. Alle anderen haben diese Stellungnahme zu über-
nehmen. Auch das wird künftig zu beachten sein.
Zweitens. Alle neun Landeszentralbanken bleiben be-
stehen. Es bleibt auch dabei, dass der Präsident der Lan-
deszentralbank vom Bundesrat gewählt wird und mit der
Zustimmung des Vorstandes der Deutschen Bundesbank
sein Amt antritt. Allerdings sind die Landeszentralbank-
präsidenten künftig im Verhältnis zum Vorstand der Deut-
schen Bundesbank weisungsgebunden. Im Organisa-
tionsstatut, das der Vorstand der Deutschen Bundesbank
beschließt, ist die Möglichkeit vorgesehen, dass einzelne
Landeszentralbanken Kompetenzzentren für die ganze
Bundesbank sein können. Die Vorbehaltszuständigkeiten
der Landeszentralbanken bzw. ihrer Präsidenten werden
abgeschafft. Letzteres war die einstimmige Empfehlung
der Expertenkommission von Bund und Ländern.
Drittens. Die Effizienz in der Bundesbank soll durch
die Instrumente der Plankostenrechnung, des Investiti-
onsplanes und der Plan-Ist-Analyse gestärkt werden. Das
ist zum einen die Meinung der Bundesbank selbst, zum
anderen die Forderung des Bundesrechnungshofes und
schließlich die Auffassung des Haushaltsausschusses des
Deutschen Bundestages. Der Rechnungshof wird prüfen
und Empfehlungen abgeben. Dies kann auch der Deut-
sche Bundestag. Eine förmliche Entlastungserteilung
wird es nicht geben. Damit ist die Stellung der Deutschen
Bundesbank in ihrem Verhältnis zum Deutschen Bundes-
tag der Stellung der Europäischen Zentralbank zum Euro-
päischen Parlament nachgebildet.
Fazit: Es geht darum, die Konsequenzen aus dem Über-
gang der geldpolitischen Zuständigkeit auf die Europä-
ische Zentralbank zu ziehen und dafür zu sorgen, dass im
System der Europäischen Zentralbank die Deutsche
Bundesbank eine möglichst starke Position hat. Das be-
deutet, dass sie in der Geldpolitik mit einer Stimme reden
muss und dass derjenige, der diese Verantwortung hat, in-
nerhalb der Bundesbank eine gestärkte Stellung bekommt.
Das ist der Inhalt des Gesetzentwurfes, den das Kabi-
nett heute beschlossen hat.
Vielen Dank, Herr
Minister.
Ich bitte, zunächst die Fragen zu diesem Thema zu stel-
len. – Der Kollege Hauser möchte eine Frage stellen. Bitte
sehr.
16817
172. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 2001
Beginn: 13.00 Uhr
Herr Minister, herzlichen Dank für Ihren Bericht. Ich darf
meine Kolleginnen und Kollegen aus dem Finanzaus-
schuss entschuldigen, die nicht anwesend sind, weil
gleichzeitig der Finanzaussschuss tagt. Das ist eine zeit-
lich etwas unglückliche Konstellation. Deswegen bitte ich
darum, mehrere kurze Fragen stellen zu dürfen.
Bitte sehr.
Stimmen die Länder dem Vorgehen, wie Sie es jetzt vor-
getragen haben, zu oder gibt es hier gravierende Diffe-
renzen, sodass davon auszugehen ist, dass es ein Streit-
thema wird und im Bundesrat keine Zustimmung findet?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nachdem
zunächst die Bundesbank selber die Diskussion über zwei
Modelle eingeleitet hatte und sich nicht entscheiden
konnte, welches Modell sie präferiert, habe ich den in-
tensiven Versuch unternommen, über alle Fragen mit den
Bundesländern zu einem Einvernehmen zu kommen, ob-
wohl es sich nicht um ein zustimmungspflichtiges Gesetz
handelt, sondern um ein Einspruchsgesetz. Das hat zu ei-
ner gemeinsamen Expertenkommission – mit je vier Ver-
tretern von Länderseite und von Bundesseite benannt –
geführt, die ihren Bericht vor den Sommerferien des
vergangenen Jahres vorgelegt hat, in dem auch eine Be-
wertung der beiden alternativen Modelle der Bundesbank
vorgenommen worden ist.
Ich bedauere sehr, dass sich die Länder anschließend in
keiner Weise an die Empfehlung der Expertenkom-
mission gehalten haben, auch nicht an das, was einstim-
mig von allen Experten, auch von denen der Länderseite,
empfohlen wurde, wie den Wegfall der Vorbehaltszustän-
digkeiten, der einfach erforderlich ist, um Vielfacharbeit
in der Bundesbank zu vermeiden. – Wir haben eine Fülle
von Abteilungen zehnmal, in der Zentrale der Deutschen
Bundesbank und in allen Landesbanken. – Diese Emp-
fehlung hat anschließend nicht die Zustimmung der Län-
der gefunden. Dadurch ist eine Menge Zeit verloren ge-
gangen.
Ich habe auf alle Belange der Länder, auf die aus mei-
ner Sicht Rücksicht genommen werden muss, Rücksicht
genommen, sogar über die Vorschläge der Bundesbank hi-
naus. Das heißt: Ich stelle keinen einzigen Standort in-
frage. Ich stelle auch nicht infrage, dass die Länder die
Landeszentralbankpräsidenten im bisherigen Verfahren,
aber mit Zustimmung des Bankvorstandes, bestellen kön-
nen. Ich stelle allerdings den Zentralbankrat infrage, weil
er seine Zuständigkeit verloren hat, sowie die Mitwirkung
der Landesbankpräsidenten in dem einheitlichen Lei-
tungsgremium, weil wir ein so großes Leitungsgremium
nicht mehr brauchen. Man wird sehen, ob dieser einzig
verbleibene Punkt wirklich zu einem Streitpunkt im Ver-
fahren mit den Ländern wird. Das muss offen und argu-
mentativ ausgetragen werden.
Eine weitere Frage? –
Bitte sehr, Herr Kollege.
Einer der zentralen Punkte war von jeher die Unabhän-
gigkeit der Bundesbank; dies hat auch bei der Aushand-
lung des Vertrags von Maastricht eine sehr wesentliche
Rolle gespielt. Ich will es einmal ein wenig zugespitzt sa-
gen: Es bleibt also ein Zentralvorstand der Bundesbank
übrig mit einem Präsidenten, der von der Bundesregie-
rung bestimmt wird
– gut, aber im Einvernehmen –, der auch keinen Zentral-
bankrat mehr hat, sondern allein die Verantwortung für
die Geldpolitik trägt und dies gegenüber der EZB zu ver-
antworten hat. Sehen Sie nicht eher eine Schwächung der
Bedeutung dieses Mannes durch seine – ich unterstelle
das nicht Ihnen – grundsätzlich größere Abhängigkeit von
der Politik? Inwieweit wird damit die Rolle der Bundes-
bank im System der Europäischen Zentralbank gestärkt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Bun-
desbankpräsident hat keine größere Abhängigkeit von der
Politik als in den vergangenen Jahrzehnten. Er wird vom
Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung
ernannt; daran hat sich nichts geändert. Geändert hat sich
die geldpolitische Zuständigkeit der Deutschen Bundes-
bank. Weil die geldpolitische Zuständigkeit der Deut-
schen Bundesbank entfallen ist, kann es auch das Gre-
mium nicht mehr geben, das diese Zuständigkeit
wahrgenommen hat.
Die Präsidenten der Landeszentralbanken werden – so
ist es vorgesehen – den Bundesbankpräsidenten und den
Vorstand beraten. Daran ändert sich nichts. Aber sie kön-
nen nicht mehr abstimmen; es findet keine Abstimmung
mehr statt, weil sich die Verhältnisse geändert haben. Al-
lerdings gibt es im System der Europäischen Zentralbank
eine Schwächung der Position der Deutschen Bundes-
bank und ihres Präsidenten, weil sich diejenigen, die nicht
mehr zuständig sind, zu einem erheblichen Teil abwei-
chend von der Position des Bundesbankpräsidenten und
der Europäischen Zentralbank zu geldpolitischen Fragen
öffentlich äußern. Das ist schädlich, schwächt die Stel-
lung der Bundesbank und muss beendet werden.
Sie haben eine wei-
tere Frage, Herr Kollege Hauser? – Bitte sehr.
Wenn ich es richtig verstanden habe, bestimmt in diesem
künftigen Zentralvorstand der Präsident seine Vorstands-
kollegen zumindest weitgehend mit. Ich glaube, es war
sogar so formuliert, dass er sie sich alleine aussuchen
kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, dasist nicht richtig. Vielmehr ernennt der Bundespräsidentauf Vorschlag der Bundesregierung den Präsidenten undden Vizepräsidenten. Die übrigen Mitglieder werden vomBundespräsidenten auf Vorschlag des Bundesbankpräsi-denten im Einvernehmen mit der Bundesregierung er-nannt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 200116818
Das ist somit doch eine Stellung, wie sie beispielsweise
ein Vorstandsvorsitzender eines Unternehmens nie errei-
chen würde; denn er könnte sich seine Kollegen nicht
selbst aussuchen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der ent-
scheidende Punkt ist: Bisher gibt es bei allen Mitgliedern,
die als Präsident einer Landeszentralbank bestellt werden
sollen, hinsichtlich ihrer Eignung ein Votum des Zentral-
bankrates. Diesem Modus ist das geplante Vorgehen
nachgebildet. Wenn es nun keinen Zentralbankrat mehr
geben kann, weil dessen Zuständigkeit entfallen ist, kann
dort kein Votum gefällt werden. Da eine Selbstkooptation
dieses Gremiums nicht vorgesehen ist, muss es jemanden
geben, der die fachliche Eignung beurteilen kann. Des-
wegen muss in diesen Fragen ein Einvernehmen zwischen
dem Bundesbankpräsidenten und der Bundesregierung
hergestellt werden. In dieser Absicht sehe ich eher eine
Stärkung der fachlichen Kompetenz des Vorstandes der
Deutschen Bundesbank.
Sie möchten noch
eine weitere Zusatzfrage stellen, Herr Hauser.
Sie haben sich heute nicht mit den anderen Fragestellun-
gen beschäftigt, die dieser Themenkomplex beinhaltet,
Stichwort: Allfinanzaufsicht. In den Zeitungen steht, der
Grund sei ein Formfehler. Können Sie das näher begrün-
den und sagen, wann ein Konzept vorgelegt wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, es
handelt sich nicht um einen Formfehler. Ein endgültiges
Konzept wird so rechtzeitig vorgelegt, dass wir es unmit-
telbar nach der Sommerpause im parlamentarischen Ver-
fahren erörtern können.
Der Hintergrund ist ein anderer: Im Gegensatz zum
Bundesbankgesetz brauchen wir dafür auch Änderungen
des öffentlichen Dienstrechts. Das hat damit zu tun – so
sieht es jedenfalls mein Konzept vor –, dass wir Mitarbei-
ter benötigen, die aus den Märkten kommen und die wir
mit dem Gehaltsgefüge des öffentlichen Dienstes nicht ge-
winnen können. Zu diesem Bereich müssen daher noch
Anhörungen durchgeführt werden, die aber für den Ge-
setzentwurf zur Bundesbankstrukturreform keine Rolle
spielen. Deshalb werden die angesprochenen Pläne erst
später im Kabinett behandelt. Aber, wie gesagt, die Bera-
tung wird so gesteuert, dass der Themenkomplex im par-
lamentarischen Verfahren zusammengeführt werden kann.
Nun möchte der Kol-
lege Fromme Fragen stellen. – Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Minis-
ter, Sie haben davon gesprochen, die Bundesbank selbst
habe zwei Modelle vorgelegt. Können Sie einmal erläu-
tern, wie sich Ihre Vorschläge zu den Vorschlägen der
Bundesbank verhalten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es be-
steht Übereinstimmung – inzwischen hat das nicht nur das
Direktorium, sondern auch der Zentralbankrat der Deut-
schen Bundesbank mit Mehrheit festgestellt – hinsichtlich
des Modells Nummer eins. Damit hat sich auch der Zen-
tralbankrat der Deutschen Bundesbank mehrheitlich, mit
9 zu 6 Stimmen, einverstanden erklärt.
Eine weitere Frage,
bitte sehr.
Im Hinblick
auf die übrigen Aufgaben – über die währungspolitische
Zuständigkeit, die sie verloren hat, hinaus – der Deut-
schen Bundesbank: Halten Sie es in diesem Zusammen-
hang für richtig, dass sozusagen die Bundesländer hin-
sichtlich der Verantwortung des Vorstandes völlig
ausgeklammert werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bun-
desländer waren niemals in die Verantwortung des Vor-
standes eingebunden. Das Direktorium der Deutschen
Bundesbank wird von der Bundesregierung ernannt. Die
Präsidenten der Landeszentralbanken werden, wie Sie
wissen, auf Vorschlag der Landesregierungen, in deren Be-
reich die einzelnen Landeszentralbanken fallen, vom Bun-
desrat gewählt. Der Hintergrund für dieses Vorgehen war
die geldpolitische Zuständigkeit, die nunmehr entfallen ist.
Aber die Zu-
ständigkeiten der Bundesbank haben sich doch nicht auf
die Geldpolitik beschränkt; sie ist beispielsweise auch für
die Bankenaufsicht zuständig.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, dasist, mit Verlaub, ganz falsch. Die Länder haben keinerleiZuständigkeiten bezüglich der Bankenaufsicht. Die Ban-kenaufsicht fällt in die alleinige Zuständigkeit des Bundesund wird durch den Deutschen Bundestag kontrolliert. Sieobliegt dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen.Die Bundesbank wirkt daran mit. Sie werden übrigens se-hen, dass Veränderungen an dem Entwurf vorgenommenworden sind. Das andere Gesetz wird zu einer ganz engenund viel systematischeren Verschränkung und Mitwir-kung der Deutschen Bundesbank bei der Bankenaufsichtals in der Vergangenheit führen.Ich möchte ein Beispiel anführen. Heute führen zwardie Landeszentralbanken Ermittlungen vor Ort durch.Aber wenn deren Ermittlungsergebnisse Maßnahmenzeitigen sollen, dann darf sich das Bundesaufsichtsamt fürdas Kreditwesen noch nicht einmal auf diese Ergebnissestützen – das ist rechtlich so festgelegt –, sondern istgehalten, eigene Ermittlungen durchzuführen. Das halteich für eine unsinnige Doppelarbeit. Künftig werden dieErmittlungsergebnisse, die die Landeszentralbankenerzielt haben, die rechtliche Grundlage für die Entschei-dungen der Allfinanzaufsicht sein.Auch an der Spitze wird es eine systematische Ein-bindung geben. Das Forum für Finanzmarktaufsicht
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 2001 16819
besteht im Moment nur auf Vereinbarungsbasis. Künftigwird es eine gesetzliche Basis erhalten und somit dafürgesorgt werden, dass die Bundesbank ganz eng in die Fi-nanzmarktaufsicht eingebunden wird. Aber dies ist nichtBestandteil des vorliegenden Gesetzentwurfes, sonderndesjenigen, den der Kollege Hauser angesprochen hat undüber den das Bundeskabinett noch beraten wird.
Auch wenn
die Länder nicht formal beteiligt waren, so ist es doch ein
Unterschied, ob sie sozusagen über eine Person ihres Ver-
trauens – das war der Landeszentralbankpräsident –
eingebunden sind oder nicht. Halten Sie es gerade in dem
Augenblick, in dem die entscheidende Umstellung auf
den Euro auf uns zukommt und das Vertrauen der Men-
schen in die neue Währung gestärkt werden muss, für
richtig, einen Konflikt mit den Ländern im Währungsbe-
reich vom Zaun zu brechen? Denn das Problem ist, dass
die Frage, ob es um diese oder jene Zuständigkeit geht, in
der Bevölkerung gar nicht so differenziert wahrgenom-
men wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist
doch ganz einfach: Es gab und gibt keine Zuständigkeit
der Länder und auch keine des Bundes im Geldbereich.
Wenn Sie etwas anderes behaupten, dann ist das falsch. Es
gab eine Bundesbank – sie wird es auch künftig geben –,
deren Zentralbankrat für die Geldpolitik zuständig war
und der in seinen geldpolitischen Entscheidungen – das ist
der zentrale Punkt – unabhängig war. Aber dieser
Zuständigkeitsbereich ist nun weg. Sie können nicht im-
mer sagen: „Wir bauen Europa“, und dann zu Hause so
tun, als könne der Heizer auf der E-Lok weitermachen.
Eine solche Haltung sorgt für Europaverdrossenheit.
Wenn die Zuständigkeit für geldpolitische Entscheidun-
gen nun beim Zentralbankrat der Europäischen Zentral-
bank liegt, dann müssen daraus selbstverständlich Konse-
quenzen für unsere nationalen Institutionen gezogen
werden.
Es geht mir
nur um die Frage, ob man einen Konflikt mit den Ländern
zu einem Zeitpunkt vom Zaun brechen sollte, an dem es
eigentlich darum geht, das Vertrauen der Bevölkerung in
die neue Währung zu stärken.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt
gar keinen Konflikt. Den Ländern kann nichts wegge-
nommen werden, was sie sowieso nie hatten und auch
künftig nicht haben werden. Sie haben und hatten keine
geldpolitischen Zuständigkeiten.
Aber es gibt
jetzt einen formellen Konflikt um die Bundesbank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber da-
ran bin ich doch nicht schuld. Mit dem vorliegenden Ge-
setzentwurf wird die Konsequenz aus dem gezogen, was
auch die Länder im Bundesrat mitbeschlossen haben,
nämlich die Einführung des Euro und die Etablierung des
Europäischen Systems der Zentralbanken. Es geht also
nur noch um die Frage, ob man die nationalen Institu-
tionen so tun lassen sollte, als ob sie ihre Bedeutung noch
immer hätten, obwohl sie sie in bestimmten Punkten
längst verloren haben. Ich bin der Meinung, dass daraus
die Konsequenzen gezogen werden müssen. Das wird
sich auch finanziell auswirken; denn die Bundesbank
muss schlanker werden. Darüber gibt es mit den Ländern
keinen Konflikt. Es ist überhaupt nicht mehr zu begrün-
den, dass der Vorstand der Bundesbank aus 17 Mitglie-
dern besteht. Das lässt sich mit nichts begründen.
Möchten Sie noch
einmal nachhaken, Herr Kollege? – Bitte sehr.
Es geht mir
gar nicht darum, dass es möglichst keine Veränderungen
gibt. Über die notwendigen Veränderungen sind wir uns ja
einig. Aber es geht darum, ob man in dem Augenblick, in
dem die Stellung der Bundesbank für die Bevölkerung
eine ganz wichtige Rolle spielt, einen Konflikt zwischen
Bund und Ländern herbeiführen sollte oder nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich führe
doch gar keinen Konflikt herbei. Ich ziehe nur die Konse-
quenzen aus dem, was wir gemeinsam in Europa be-
schlossen haben. Man kann ja fragen, ob über das, was wir
jetzt beschließen wollen, nicht bereits zum 1. Januar 1999
hätte entschieden werden müssen. Es wäre vielleicht klü-
ger gewesen. Das meine ich gar nicht bösartig. Wie ge-
sagt, ich führe keinen Konflikt herbei, sondern setze le-
diglich das um, was wir gemeinsam – übrigens,
einvernehmlich – beschlossen haben, nämlich die Über-
tragung von Kompetenzen auf die Europäische Zentral-
bank. Das muss nun Konsequenzen für die nationalen Ins-
titutionen haben.
Wenn Sie ei-
nen Gesetzentwurf vorlegen, der von den Ländern nicht
akzeptiert wird, dann ist das ein Konflikt, ob man das will
oder nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber ich
habe den Konflikt doch nicht herbeigeführt. Die Europä-
ische Zentralbank ist im Einvernehmen mit den Ländern
eingerichtet worden und die geldpolitische Zuständigkeit
ist auf sie übertragen worden. Ich kann mich doch nicht
weigern, daraus die Konsequenzen zu ziehen.
Mir geht es
ja nur darum, dass man dafür einen Weg suchen muss, der
Gemeinsamkeit schafft, weil man das Vertrauen behalten
muss. Wenn ein Gesetzentwurf vorgelegt wird, dem die
Länder nicht zustimmen, dann ist das ein Konflikt, aus-
gelöst von demjenigen, der den Gesetzentwurf vorlegt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Mo-delle der Deutschen Bundesbank, übrigens auch die, hin-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 2001
Bundesminister Hans Eichel16820
ter der die Mehrheit der Landeszentralbankpräsidentengestanden hat, haben eine Reduzierung der Zahl derLandeszentralbanken vorgesehen. Ich darf darauf hinwei-sen, dass ich das nicht tue. Ich gehe mit den Länderinte-ressen so schonend um, wie man damit nur umgehenkann. Aber ich kann eines nicht: Kompetenzen wieder-herstellen, die nicht mehr da sind.
Nun möchte der Kol-
lege Hauser noch eine Frage stellen.
Herr Minister, es ist ja verständlich, dass Sie nicht den
Konflikt führen. Aber Tatsache ist doch nun einmal, dass
aufseiten der Länder, und zwar quer durch alle Parteien,
offensichtlich andere Meinungen vorherrschen. Insofern
gibt es natürlich einen Konflikt zwischen dem Bund, ver-
treten durch Sie, und den Ländern, vertreten durch die
Länderfinanzminister.
Ich möchte noch einmal auf den Zentralbankrat
zurückkommen, der hier seine Funktion verloren hat. Das
ist absolut richtig; darüber sind wir uns auch einig. Aus
dem Aufgabenbereich des künftigen – ich nenne es wieder
so – Zentralvorstandes wird die Beschäftigung mit der
Vorbereitung und Ausführung der europäischen Geldpoli-
tik gestrichen, weil dies auf die EZB übertragen worden
ist. Das ist richtig. Wenn ich es aber richtig verstanden
habe, soll künftig auch auf die Teilnahme von Mitgliedern
der Bundesregierung verzichtet werden. Damit wird sich
dieses Gremium – wenn bisher auch nur intern, aber da
gab es ja durchaus offene Diskussionen – auch nicht mehr
mit Themen wie Stabilitätspolitik beschäftigen. Ist das so
richtig?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja.
Darauf wird verzichtet.
Dann habe ich noch eine abschließende Frage: In
welchem Umfang wird es zu Personalabbau, vielleicht
auch zu Standortschließungen und ähnlichen Dingen
kommen? Gibt es dazu schon ein Konzept?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein.
Das liegt ja in der Verantwortung des Vorstandes der
Deutschen Bundesbank.
Sie wissen, dass ich nie Zahlen genannt habe. Die Län-
der haben in einer Pressekonferenz Zahlen genannt, näm-
lich bis zu 4 500 Mitarbeiter. Der Bundesbankpräsident
hat eine niedrigere Zahl genannt. Ich sehe keinen Sinn
darin, mich sozusagen extern an dieser Debatte zu betei-
ligen. Aber allen ist klar, dass es eine erhebliche
Verschlankung der Deutschen Bundesbank geben wird,
geben muss und dass insbesondere die Fülle von Doppel-
zuständigkeiten, die jetzt im System liegt und die durch
die Vorbehaltszuständigkeiten begründet ist, beendet wer-
den muss.
Gibt es zum Gesetz-
entwurf zur Änderung des Bundesbankgesetzes noch Fra-
gen? – Das ist nicht der Fall. Gibt es im Rahmen der
Regierungsbefragung sonst noch Fragen an die Bundes-
regierung? – Auch das ist nicht der Fall. Dann beende ich
die heutige Regierungsbefragung.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 2:
Fragestunde
– Drucksache 14/6138, 14/6157 –
Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Ziffer 10
der Richtlinien für die Fragestunde die dringliche Frage
des Abgeordneten Eckart von Klaeden auf:
Treffen Informationen von „Welt am Sonntag“
aus dem Bundeskanzleramt und der SPD-Führung zu, dass die
Bundesregierung inzwischen annimmt, dass das Protokoll über
ein Gespräch zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und
US-Präsident George W. Bush von amerikanischen Stellen gezielt
an die Öffentlichkeit lanciert wurde, um deutsche Wirtschaftsin-
teressen in Libyen zu durchkreuzen, und wenn ja, wie kommt die
Bundesregierung dazu, sich zu diesen jüngsten Vermutungen ver-
anlasst zu sehen?
Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Dr. Ludger
Volmer zur Verfügung. – Bitte sehr, Herr Staatsminister.
D
Herr von Klaeden, uns sind keine Indizien oder Fak-
ten bekannt, die eine solche Spekulation rechtfertigen
würden.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminis-
ter, da ich davon ausgehe, dass Sie diese Meldung für eine
Falschmeldung halten: Wäre es nicht angesichts der Tat-
sache, dass als Quelle immerhin das Bundeskanzleramt
genannt wird, angemessen gewesen, diese Meldung Ih-
rerseits wenigstens zu dementieren, um nicht den Ein-
druck zu erwecken, man ließe antiamerikanische Ressen-
timents im Raum stehen?
D
Im Zusammenhang mit der Erörterung der letzten
zwei Wochen sind so manche Spekulationen aufgebracht
worden. Die Bundesregierung hat sich entschlossen, zu
Spekulationen über einen Bericht, der unter Bruch der
Geheimhaltungsvorschriften an die Öffentlichkeit gelangt
ist, nicht Stellung zu nehmen.
Zweite Zusatzfrage,
bitte sehr.
Herr Staatsminis-ter, zunächst einmal bin ich Ihnen für Ihre Klarstellung inaller Öffentlichkeit dankbar, dass die Panne, die zu demaußenpolitischen Schaden geführt hat, nicht auf eine ame-rikanische Indiskretion, sondern auf Vorgänge innerhalbder Bundesregierung zurückgeht. Ich möchte Sie, was dieZusammenarbeit mit Ministerialdirektor Steiner angeht,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 2001
Bundesminister Hans Eichel16821
Folgendes fragen: Erfüllt aus Sicht des AuswärtigenAmtes Herr Steiner als beamteter Leiter der AbteilungAußenpolitik im Kanzleramt die Kriterien, die einenguten Beamten als Zuarbeiter der Politik auszeichnen,insbesondere im Hinblick auf Effizienz, Zurückhaltung,Diskretion und Professionalität? Kann das AuswärtigeAmt bestätigen, dass Herr Steiner in der Koordinierungder Zusammenarbeit zwischen Bundeskanzleramt undAuswärtigem Amt einen exzellenten Job macht? Mansollte die Berichterstattung in der Presse über seine Per-son berücksichtigen; ich zitiere die „Süddeutsche Zei-tung“ von heute:Zum anderen Teil hängt es damit zusammen, dassSteiner gerne über die Außenpolitik, den Kanzler undsich selbst spricht – manchmal nicht in dieser Rei-henfolge.Die „Zeit“ hat geschrieben:Steiner macht Außenpolitik im Muscle-Shirt. SeineQualitäten schlagen gelegentlich um: in Risiko, Un-einsichtigkeit, Geltungssucht.D
Zunächst, Herr Klaeden, weise ich Ihre beiden Wer-
tungen „Panne“ und „außenpolitischer Schaden“ ent-
schieden zurück. Zu Ihrer Frage bezüglich Herrn Steiner
sage ich eindeutig: Ja. Die Pressezitate möchte ich nicht
kommentieren.
Herr Kollege
Spranger, Sie haben für die Fragestunde zwei Fragen zu
diesem Themenbereich eingereicht, die später aufgerufen
werden. Möchten Sie dennoch in diesem Zusammenhang
eine Zusatzfrage stellen?
Ja.
Bitte sehr.
Ich beziehe mich
auf den in der Frage vom Kollegen Klaeden angespro-
chenen Bericht, in dem behauptet wird, dass die Ameri-
kaner dieses Protokoll aufgrund von Informationen aus
dem Kanzleramt lanciert hätten. Sie sprachen davon, dass
man keine weiteren Spekulationen anheizen wolle. Wäre
es nicht, um weitere Spekulationen zu verhindern, sinn-
voll gewesen, dass eine klare Stellungnahme des Auswär-
tigen Amtes oder des Kanzleramtes erfolgt, aus der her-
vorgeht, dass die Amerikaner diese Information nicht
lanciert haben?
D
Ich habe mich zu diesen Spekulationen deutlich
geäußert. Ich möchte noch einmal festhalten: Wir können
generell keine Spekulationen kommentieren, die auf der
Grundlage von unrechtmäßig veröffentlichten Dokumen-
ten des Auswärtigen Amtes beruhen; sonst würde sich die
Bundesregierung durch jeden, der meint, über Indiskre-
tionen Stellungnahmen provozieren zu können, angreif-
bar machen.
Nachdem die dring-
liche Frage beantwortet worden ist, rufe ich nun diejeni-
gen Fragen des Geschäftsbereichs des Auswärtigen Am-
tes auf, die sich auf dasselbe Thema beziehen. Wir
kommen also zu den Fragen 36 bis 45. Nach Ziffer 10 der
Richtlinien für die Fragestunde und für die schriftlichen
Einzelfragen dürfen diese Fragen vorgezogen werden.
Wir kommen nun zur Frage 36 des Kollegen Carl-Dieter
Spranger:
Wie erklärt sich die Bundesregierung die Veröffentlichung des
von Botschafter Jürgen Chrobog am 31. März 2001 verfassten
Protokolls des Gesprächs zwischen dem amerikanischen Präsi-
denten George W. Bush und Bundeskanzler Gerhard Schröder und
wie bewertet die Bundesregierung die Auswirkungen der Veröf-
fentlichung dieses Protokolls auf das Ansehen des deutschen aus-
D
Herr Spranger, ich möchte noch einmal betonen
– ich sagte das gerade schon einmal; was ich sage, gilt für
alle Fragen dieses Komplexes –, dass die Bundesregie-
rung keine Informationen kommentiert, die unter Verstoß
gegen geltende Geheimhaltungsvorschriften an die Öf-
fentlichkeit gegeben wurden. Es handelt sich in diesem
Fall übrigens um einen Verstoß, der strafrechtlich und
auch dienstrechtlich relevant ist.
Nun zu Ihrer konkreten Frage: Informationen über
das Gespräch, auf das sich Ihre Frage bezieht, wurden
unter Bruch des Dienstgeheimnisses an unbefugte Dritte
weitergegeben. Die Ermittlungen, wer dafür verant-
wortlich war, dauern an. Der Vorgang ist außerordentlich
ärgerlich. Die Bundesregierung sieht dennoch keine
Auswirkungen auf das Ansehen des deutschen auswärti-
gen Dienstes im Ausland.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege? – Bitte sehr.
Herr Staatsmi-
nister, teilt die Bundesregierung die Meinung, die veröf-
fentlichten herabsetzenden Bemerkungen – unter ande-
rem über Präsident Putin, den jordanischen König,
Präsident Arafat oder die syrische Regierung – würden
unsere Beziehungen zu diesen Persönlichkeiten und Re-
gierungen belasten? Was hindert andere staatliche Reprä-
sentanten und Regierungen daran, die Befürchtung zu ha-
ben, zukünftig ähnliche herabsetzende Bemerkungen des
Bundeskanzlers und seines Gehilfen Steiner in der Presse
nachlesen zu können?
D
Herr Kollege Spranger, die Charakterisierung dieserangeblich gefallenen Bemerkungen kann ich mir nicht zuEigen machen. Ansonsten möchte ich darauf verweisen,dass dieser gesamte Komplex heute Morgen unter demGeheimhaltungsgrad „VS-Vertraulich“ im Auswärtigen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 2001
Eckart von Klaeden16822
Ausschuss erläutert wurde. Ich kann Dinge, die dort unter„VS-Vertraulich“ diskutiert wurden, hier nicht in öffentli-cher Rede darstellen.
Eine weitere Zusatz-
frage, bitte sehr.
Herr Staatsmi-
nister, ist es nicht ein Beleg für die Fassungslosigkeit, mit
der das Ausland den Bericht, seinen Inhalt und die Veröf-
fentlichung zur Kenntnis nehmen musste, dass Staatsprä-
sident Putin den Bericht zunächst für eine Fälschung hielt
und dann, als er die Wahrheit erfuhr, mit Empörung rea-
gierte? Oder hat sich der jordanische König bei seinem
jüngsten Besuch in Berlin für die Bewertung durch den
Herrn Bundeskanzler bei diesem bedankt?
D
Es wurde selbstverständlich über den Bericht gere-
det. Der jordanische König hat aber daran keinen Anstoß
genommen. Herr Putin hat sich nicht über den Gehalt als
vielmehr über die Indiskretion bei der Veröffentlichung
empört gezeigt.
Eine Zusatzfrage der
Kollegin Bonitz, bitte sehr.
Herr Staatsminister, Sie
haben sich teilweise darauf bezogen, dass heute Morgen
einige Ausführungen im Auswärtigen Ausschuss unter
„Vertraulich“ gemacht wurden. Ich beziehe mich auf das,
was öffentlich bekannt ist.
Da Sie sagen, es gebe keinen außenpolitischen Scha-
den oder Ansehensverlust, möchte ich fragen: Ist der Bun-
desregierung denn entgangen, dass zum Beispiel das
„Wall Street Journal“ in elektronischer Form am 22. Mai
veröffentlicht hat – ich zitiere –:
Die peinliche undichte Stelle befrachtet die deutsch-
amerikanischen Beziehungen mit neuen Spannun-
gen, die bereits durch Differenzen in Verteidigungs-
angelegenheiten, insbesondere im Zusammenhang
mit dem geplanten Raketenschutzschild, und eine
Anzahl von anderen Fragen von transatlantischen
Handelsstreitigkeiten bis zu grenzüberschreitenden
Sorgerechtsfällen belastet sind. Das kontroverse Pro-
tokoll könnte durchaus das Vertrauen Washingtons in
Deutschland als zuverlässigen und diskreten Ge-
sprächspartner erschüttern.
Reuters veröffentlichte am 17. Mai 2001 in Amerika
– ich zitiere –:
Was geschieht, wenn jemand anderes zu Gesprächen
kommt, Chinesen, Europäer, wer auch immer? Was
werden sie bei Verhandlungen sagen, wenn sie be-
fürchten, dass sie es am nächsten Tag in der Zeitung
lesen werden?
Ist das kein außenpolitischer Schaden?
D
Frau Bonitz, das sind Kommentierungen in Zeitun-
gen, in denen Redakteure ihre Thesen vortragen. Die
Wirklichkeit sieht aber anders aus. Es ist insbesondere im
Verhältnis zu den USA kein Schaden eingetreten, weil
über den Vorgang sofort auf verschiedenen Ebenen inten-
siv geredet worden ist. Die amerikanische Seite hat uns
deutlich zu verstehen gegeben, dass sie die Beziehungen
dadurch in keiner Weise belastet sieht und dass durch die-
ses angebliche Protokoll keine Irritationen entstanden
sind.
Nun rufe ich die
Frage 37 des Kollegen Carl-Dieter Spranger auf:
Wie erklärt sich die Bundesregierung den großen Verteiler-
kreis des Drahtberichts von Botschafter Jürgen Chrobog über das
Arbeitsgespräch zwischen dem amerikanischen Präsidenten
George W. Bush und dem deutschen Bundeskanzler Gerhard
Schröder und welche Konsequenzen sind nach Auffassung der
Bundesregierung aus der Veröffentlichung des Gesprächsproto-
kolls für die künftige Behandlung und den Verteilerkreis von
Drahtberichten deutscher Botschaften im Ausland zu ziehen?
Herr Staatsminister, bitte sehr.
D
Herr Spranger, ich verweise auf meine Vorbemer-
kung zu Frage 36 bezüglich der Nichtkommentierung sol-
cher Vorgänge durch die Bundesregierung. Allgemein
kann ich allerdings sagen, dass der Verteilerkreis von
Drahtberichten davon abhängt, wer aus dienstlichen Grün-
den unterrichtet werden muss. So wie bisher wird auch in
Zukunft gelten, dass immer eine Abwägung zwischen dem
Informationsbedürfnis und der Gewährleistung des not-
wendigen Schutzes erforderlich ist. Dabei ist grundsätz-
lich davon auszugehen, dass die Adressaten die jedem Be-
amten obliegende Amtsverschwiegenheit wahren.
In Anbetracht des vorliegenden Verstoßes gegen die
Geheimhaltungsvorschriften hat der Bundesminister des
Auswärtigen am 23. Mai 2001 mit sofortiger Wirkung an-
geordnet, dass Berichte über Gespräche von Staats- und
Regierungschefs, die ohnehin schon klassifiziert sind,
noch höher eingestuft werden.
Zusatzfrage, bitte
sehr.
Herr Staatsmi-
nister, wie in der Presse, zum Beispiel im „Focus“ vom
21. Mai, zu lesen war, lautet einer der umstrittenen Sätze
in dem Drahtbericht: Ministerialdirektor Steiner berichtet
über seine Gespräche mit Gaddafi in Libyen; dieser habe
eingestanden, dass sich Libyen an terroristischen Aktio-
nen – „La Belle“, Lockerbie – beteiligt habe. Diese For-
mulierung ist an Eindeutigkeit nicht zu übertreffen. Ich
frage Sie: Von wem stammt der Zusatz „La Belle“,
Lockerbie in diesem Bericht? Von Botschafter Chrobog
oder von Herrn Steiner?
D
Herr Spranger, ich kann nur noch einmal betonen,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 2001
Staatsminister Dr. Ludger Volmer16823
dass die Bundesregierung zu Berichten, die aufgrund desBruchs von Geheimhaltungsvorschriften zustande ge-kommen sind, öffentlich keine Stellung nimmt. Ansons-ten verweise ich Sie auf die Stellungnahme des Außenmi-nisters heute Morgen im Auswärtigen Ausschuss zu genaudiesem Themenkomplex. Sie waren ja anwesend.
Herr Spranger hat
eine Zusatzfrage.
Da haben wir
auch nichts erfahren, deshalb fragen wir hier. Meine
Frage: Können Sie ausschließen, dass Herr Steiner diese
zwei Worte dem von ihm modifizierten Bericht hinzuge-
fügt hat?
D
Noch einmal, Herr Spranger: Die Bundesregierung
nimmt öffentlich zu Berichten, die durch Indiskretionen
zustande gekommen sind, keine Stellung.
Herr Kollege Gehrcke
hat eine Zusatzfrage, dann kommt Herr Polenz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatsminister, ich
will Sie natürlich nicht dazu verleiten, hier irgendetwas
kundzutun, was im Auswärtigen Ausschuss vertraulich
geäußert wurde. So etwas zu versuchen liegt mir fern.
Aber da Sie mehrmals darauf hingewiesen haben und wir
beide heute Morgen an der Sitzung teilgenommen haben,
frage ich Sie: Können Sie meinen Eindruck bestätigen,
dass heute Morgen im Auswärtigen Ausschuss nichts ge-
sagt worden ist, was nicht schon längst in der Presse ge-
standen hat?
D
Herr Gehrcke, ich weiß nicht, was alles in der Presse
gestanden hat.
Ich habe jedenfalls den Eindruck, dass die Bundesregie-
rung zu diesem Komplex erschöpfend Stellung genom-
men hat.
Die nächste Zusatz-
frage hat der Kollege Polenz.
Herr Staatsminister,
können Sie uns, nachdem es auch heute im Ausschuss
nicht ohne weiteres zu klären war, mitteilen, ob Sie in-
zwischen wissen, wie viele Adressaten diesen vertrauli-
chen Bericht bekommen haben? Mich würde die reine
Zahl interessieren.
D
Weil es sich hierbei um eine Verschlusssache han-
delt, kann ich auch über die Form der Verteilung wenig sa-
gen. Generell kann ich Ihnen sagen, dass die Bundesregie-
rung zwischen dem Geheimhaltungsinteresse auf der
einen und der Arbeitseffizienz auf der anderen Seite ab-
wägen muss. Arbeitseffizienz heißt, dass die Stellen den
Bericht erhalten müssen, die sich mit den Themen befas-
sen, die in dem Bericht abgehandelt werden. Dies ist eine
seit Jahrzehnten gängige Routine. Diese gab es auch
während Ihrer Amtszeit.
Nun hat Herr von
Klaeden eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminis-
ter, Sie merken, dass uns besonders die nach Ihrer Ansicht
exzellente Zusammenarbeit zwischen dem Auswärtigen
Amt und Herrn Steiner im Kanzleramt interessiert. Des-
wegen frage ich Sie nach einem Vorgang, der nicht den
Geheimhaltungsvorschriften unterliegt. In der „Welt am
Sonntag“ aus der letzten Woche schreibt Lord Weidenfeld,
dass bei einem Treffen Anfang vorigen Jahres mit Herrn
Steiner Herr Steiner sich gebrüstet habe, er sei der Archi-
tekt der Sanktionen gegen Österreich gewesen. Ich frage
Sie: Ist diese Darstellung von Herrn Steiner richtig oder
handelt es sich hierbei wieder um eine Falschmeldung?
D
Herr von Klaeden, so wie ich die Geschäftsordnung
des Deutschen Bundestages kenne, dürfen Nachfragen nur
zu dem Fragenkomplex der Hauptfrage gestellt werden.
Sie müssten demnach die Präsidentin fragen, ob ich die
Frage beantworten muss.
– Ich habe nicht kritisiert, sondern eine Frage gestellt.
Ich werte die Antwort
des Herrn Staatsministers als Antwort auf Ihre Frage und
gebe der Kollegin Bonitz für eine Zusatzfrage das Wort.
Herr Staatsminister, kön-nen Sie wenigstens dazu Stellung nehmen, welche Stellenkonkret bei der Klassifizierung des Protokolls, um das eshier geht, beteiligt waren? War es ausschließlich der deut-sche Botschafter in den USA oder war es zum Beispielauch das Kanzleramt?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 2001
Staatsminister Dr. Ludger Volmer16824
D
Ich kann dies nicht konkret kommentieren, ich kann
nur sagen, dass in der Regel Protokolle von dem Bot-
schafter oder seinen Vertretern verfasst werden. Diese
werden von den Gesprächsführenden gegengelesen. In
der Regel verständigt man sich auf einen Text. Auch zu
dem Text, der hier in Rede ist, kann ich nur sagen, dass
alle, die ihn legitimerweise erhalten haben, keinen Anlass
sahen, weitere Fragen an diesen Text zu knüpfen.
Nun kommt die
nächste Frage. Ich möchte noch darauf hinweisen, dass
zum selben Komplex noch eine große Zahl von Fragen
vorliegen. Sie müssen also nicht bei dieser einen Frage
schon die Zusatzfragen stellen. Aber das nur als Hinweis.
Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr
Staatsminister, Sie haben syntaktisch die passive Form
gewählt: Das Protokoll ist weitergegeben worden. Könn-
ten Sie mit einer aktiven Formulierung sagen, wer das
Protokoll weitergegeben hat?
D
Ich habe nicht nur passiv formuliert, sondern auch
äußerst generell und habe diesen konkreten Vorgang gar
nicht kommentiert.
Nun kommen wir zur
Frage 38 des Kollegen Schmidt. Eigentlich gehört die
Frage 39 gleich dazu. Aber ich weiß nicht, ob Sie diese lie-
ber getrennt beantwortet haben wollen.
D
Ich habe die Antworten getrennt vorbereitet, Frau
Präsidentin.
Dann rufe ich
zunächst die Frage 38 des Kollegen Chrtistian Schmidt
auf:
Hat der Leiter der Abteilung Außenpolitik im Bundeskanzler-
amt, Ministerialdirektor Michael Steiner, während des Arbeitsge-
sprächs des Bundeskanzlers Gerhard Schröder mit dem amerika-
nischen Präsidenten George W. Bush die im Protokoll von
Botschafter Jürgen Chrobog enthaltene Aussage über ein Ge-
spräch mit Staatschef Muammar al-Gaddafi in Libyen gemacht
D
Herr Schmidt, ich verweise auf meine Vorbemer-
kung zur Frage 36 des Herrn Kollegen Spranger bezüglich
der Nichtkommentierung solcher Vorgänge durch die
Bundesregierung. Aus den bereits genannten Gründen
kann ich solche Fragen hier nicht öffentlich beantworten.
Der Auswärtige Ausschuss wurde jedoch heute vertrau-
lich unterrichtet.
Zusatzfrage eins, bitte
sehr.
Frau Präsi-
dentin, eine Korrektur, wenn Sie erlauben: Der Auswär-
tige Ausschuss wurde hierüber vertraulich nicht unter-
richtet.
Ich habe folgende Zusatzfrage: Der Bericht des „Spie-
gel“ vom 21. Mai erwähnt in diesem Kontext einen wei-
teren Vermerk des Herrn Ministerialdirektors Steiner über
sein Gespräch mit dem libyschen Staatschef Gaddafi, in
dem darüber gesprochen worden sein soll, ex gratia, das
heißt ohne Anerkennung einer rechtlichen Verpflichtung,
eine Entschädigung für die leider immer noch auf Ent-
schädigung wartenden Opfer des „La Belle“-Diskothe-
ken-Anschlags zu zahlen. Ist dies zutreffend?
D
So es sich um einen vertraulichen Gesprächsver-
merk von Herrn Steiner handeln sollte, kann ich das nicht
kommentieren. Aber zur Substanz Ihrer Frage kann ich sa-
gen: Wann immer die Bundesregierung mit libyschen
Stellen zusammentrifft, wird der Gesamtkomplex
„La Belle“ angesprochen, mit welchen Worten auch im-
mer. Dabei wird auch immer die Frage der Entschädigung
angeschnitten. Das Ergebnis dieser Gespräche ist aller-
dings auch immer dasselbe: Die libysche Seite sagt, dass
sie zivilrechtlich nicht in Leistung treten könne und wolle,
bevor nicht auf der strafrechtlichen Ebene die Schuld-
frage eindeutig geklärt sei.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staats-
minister, stimmen Sie mit mir überein, dass es ein intel-
lektuell schwierig nachzuvollziehendes Begründungsmus-
ter der Bundesregierung ist, einerseits mitzuteilen, dass,
wenn man mit Libyen spreche, immer über „La Belle“ ge-
sprochen werde, eine Gesprächsnotiz, einen Drahtbericht
über ein Gespräch zwischen Bundeskanzler Schröder und
Präsident Bush anzufertigen, wo über ein solches Ge-
spräch berichtet wird und wo „La Belle“ erwähnt wird, an-
dererseits im Nachhinein mitzuteilen, es sei nie über
„La Belle“ gesprochen worden?
D
Herr Schmidt, wir kommentieren nicht öffentlichBerichte über vertrauliche Gespräche zwischen Staats-chefs.
Unabhängig davon gibt es eine Libyenpolitik der Bun-desregierung; sie habe ich Ihnen gerade skizziert. Daskönnte ich weiter ausführen, das ist nicht geheim. Ichwürde sie auch jederzeit auf einer Pressekonferenz öf-fentlich darstellen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 2001 16825
Nun hat der Kollege
Spranger eine Zusatzfrage.
Herr Staatsmi-
nister, ist es zutreffend, dass die erste Fassung des veröf-
fentlichten Berichts von Herrn Chrobog an Herrn Steiner
ging, dass dieser sie massiv korrigierte und dass die dann
in den Zeitungen veröffentlichte Fassung letztendlich die
Fassung von Herrn Steiner ist?
D
Herr Spranger, ich kann nur erneut wiederholen, dass
wir keine unter Bruch der Geheimhaltungsvorschriften an
die Öffentlichkeit gelangten Dokumente kommentieren.
Nun hat die Kollegin
Bonitz eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, da
Sie sich darauf zurückziehen, dass Sie zu bestimmten
Punkten hier nicht öffentlich Stellung nehmen können:
Habe ich Sie eben richtig verstanden, dass bei jedem Ge-
spräch, das zwischen der Bundesregierung und der liby-
schen Regierung stattgefunden hat, das Thema „La Belle“
angesprochen worden ist, in welcher Form auch immer,
dass aber die Bundesregierung nach Veröffentlichung von
Teilen des Chrobog- oder Steiner-Protokolls behauptet
hat, dass dieses Thema bei dem besagten Gespräch zwi-
schen Gaddafi und Steiner nicht zur Sprache gekommen
ist? Ich sehe hier einen Widerspruch.
D
Frau Bonitz, den Widerspruch sehe ich überhaupt
nicht. Bei allen Gesprächen der Bundesregierung mit der
libyschen Seite kommt das Thema zur Sprache, in wel-
cher Form auch immer. Deshalb kann man zwischen der
generellen und der konkreten Form keinen Widerspruch
konstruieren.
Nun hat der Kollege
Dr. Lippelt eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, können Sie den Kollegen nicht mal
den Unterschied zwischen der Intensität eines Gesprächs,
das im Rahmen der allgemeinen Libyenpolitik geführt
worden ist, und eines Gesprächs zwischen dem amerika-
nischen Präsidenten und dem deutschen Bundeskanzler,
das, wie wir aus den Zeitungen wissen, anderthalb oder
zwei Stunden gedauert hat
und bei dem in einer Tour d’Horizon über sehr viele The-
men gesprochen worden ist, erklären?
Denn wenn man diesen Unterschied richtig reflektiert,
stellt man fest, dass bei letzterem Gespräch über das De-
tail Libyen nur in sehr allgemeiner Form gesprochen wor-
den sein kann.
– Ich habe Schlussfolgerungen aus der Länge der
Gespräche gezogen; das ist Ihnen offensichtlich schwer
zugänglich.
Herr Staatsminister.
D
Bei Gesprächen zwischen Staatschefs ist es in der
Regel so, dass eine Fülle von Themen abgehandelt wer-
den, meistens hinsichtlich der Ergebnisse und nicht mit al-
len Details, während die Details bei den vorbereitenden
Gesprächen, die auf der Ebene von Beamten oder auch
von Staatssekretären bzw. Staatsministern geführt wer-
den, sehr genau besprochen werden. Die Ergebnisse die-
ser Detailbesprechungen erhält das Kanzleramt natürlich
immer zur Kenntnis; das dient dann zur Vorbereitung der
Chefgespräche.
Nun hat der Kollege
Polenz eine Zusatzfrage. Bitte sehr.
Herr Staatsminister,
zur Beantwortung – oder sollte ich besser sagen: zur Ab-
wehr – unserer Fragen verweisen Sie häufig darauf, dass
Sie Vorgänge, die unter Bruch der Geheimhaltungsvor-
schriften an die Öffentlichkeit gelangen, nicht kommen-
tieren könnten. Nun haben wir heute vom Außenminister
gehört, das Außenministerium habe eine Taskforce einge-
richtet, um zu untersuchen, wo das Leck war, durch das
diese Informationen in die Öffentlichkeit gelangt sind.
Meine Frage ist: Erstreckt sich die Kompetenz dieser
Taskforce nur auf Ermittlungen im Hinblick auf Bediens-
tete, die dem Auswärtigen Amt unterstehen, oder ist auch
das Kanzleramt einbezogen?
D
Zunächst einmal: Die Veröffentlichung dieses Pro-tokolls bedeutet einen Gesetzesbruch, ein Dienstvergehenund zudem einen Vertrauensbruch im kollegialenZusammenhang. Deshalb wird dem nachgegangen. DerAußenminister hat dazu im Auswärtigen Amt – dafür ister zuständig – eine Sonderarbeitsgruppe eingerichtet.Ich gehe davon aus, dass auch andere Ministerien inihren Häusern nach denkbaren undichten Stellen suchen.Solange kein Beweis für eine konkrete Täterschaft – somuss man es nennen – auf dem Tisch liegt, halte ich esnicht für angebracht, irgendwen zu verdächtigen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 200116826
Nun hat der Kollege
Schmidt noch eine Zusatzfrage.
Herr Staats-
minister, Sie haben davon gesprochen, dass Sie davon
ausgehen, dass in anderen Ministerien eine Untersuchung
stattfindet, dass Sie es aber nicht wissen. Heißt das, dass
Sie das Kanzleramt ausschließen und dass Sie den Begriff
„undichte Stellen“ auf das Kanzleramt grundsätzlich nicht
anwenden wollen?
D
Herr Schmidt, solche Drahtberichte gehen übrigens
vom Auswärtigen Amt nicht nur an das Kanzleramt, son-
dern auch an andere Ministerien. Ich möchte ganz expli-
zit hinzufügen, dass Drahtberichte oft auch an den Deut-
schen Bundestag bzw. an dessen Ausschüsse gehen, weil
auch Abgeordnete ein Informationsbedürfnis haben. Des-
halb halte ich die Konzentrierung Ihrer Frage auf das
Kanzleramt für nicht legitim.
Nun rufe ich die
Frage 39 des Kollegen Christian Schmidt auf:
Wenn ja, warum hat die Bundesregierung diese Information
nicht der zuständigen Staatsanwaltschaft im noch laufenden „La
Belle“-Prozess in Berlin zur Verfügung gestellt?
D
Herr Schmidt, der Bundesregierung liegen keine
Erkenntnisse vor, wonach Libyen hinsichtlich des „La
Belle“-Attentats eine Tatbeteiligung eingestanden hat. In-
sofern waren keine Informationen an die zuständige
Staatsanwaltschaft weiterzuleiten.
Zusatzfrage eins.
Herr Staats-
minister, bemüht sich die Bundesregierung auch während
des Fortgangs des Strafverfahrens, von Libyen eine Ex-
Gratia-Entschädigung für die bedauerlicherweise noch
immer nicht entschädigten und bis heute unter ihren kör-
perlichen Schädigungen leidenden Opfer dieses Disko-
thekenanschlags von 1986 zu erreichen?
D
Herr Schmidt, die Bundesregierung versteht das An-
liegen, das Sie zum Ausdruck bringen, und teilt es. Wir
verstehen das Anliegen der Angehörigen der Opfer bzw.
der überlebenden Opfer nach Entschädigung. Diese Frage
wird der libyschen Seite immer vorgelegt, wenn nicht so-
gar die libysche Seite das selber anspricht, weil sie ja
weiß, dass eine Klärung dieser Probleme Voraussetzung
für eine Normalisierung der Beziehungen ist.
Die libysche Seite weist aber immer wieder darauf hin,
dass sie keine Entschädigungsleistungen erbringen kann,
solange nicht in einem ordentlichen Gerichtsverfahren
eine libysche Täterschaft bzw. Mittäterschaft festgestellt
worden ist. Das ist bis heute nicht der Fall. Dennoch ist
dies immer Gesprächsthema.
Zusatzfrage zwei.
Herr Staats-
minister, verstehen Sie, dass ich mit Rücksicht auf die
Würde des Hauses an Sie die Frage nicht richte, ob der
besagte Ministerialdirektor Steiner wie weiland Jakob
Mierscheid eine virtuelle Figur ist oder ob er tatsächlich
existiert?
D
Herr Schmidt, dazu kann ich Ihnen nur sagen, dass
wir generell ein Interesse daran haben, dass sich Libyen
in die internationale Staatengemeinschaft reintegriert. Li-
byen hat entsprechende Signale ausgesendet. Wir spre-
chen deshalb auf allen Ebenen intensiv miteinander. Das
hat auch Ministerialdirektor Steiner getan. Dabei machen
wir den Libyern deutlich, dass der von mir gerade be-
zeichnete Komplex gelöst werden muss, bevor es zu einer
vollständigen Normalisierung kommen kann.
Nun rufe ich die
Frage 40 der Kollegin Bonitz auf:
Warum hat der sicherheitspolitische Berater im Bundeskanz-
leramt, Ministerialdirektor Michael Steiner, die Passage des von
Botschafter Jürgen Chrobog verfassten Protokolls, die das Ge-
spräch zwischen Michael Steiner und dem libyschen Staatschef
Muammar al-Gaddafi behandelt, nicht korrigiert, wenn er sie für
missverständlich oder falsch wiedergegeben hielt?
Herr Staatsminister, bitte sehr.
D
Frau Bonitz, ich verweise erneut auf meine Ein-
gangsbemerkung zur Frage 36: Zum Inhalt von Doku-
menten, die unter Verletzung von Geheimhaltungsvor-
schriften an Unbefugte gegeben wurden, kann die
Bundesregierung hier öffentlich ebenso wenig Stellung
nehmen wie zu abgeleiteten Fragen. Dazu hat jedoch Herr
Steiner heute Morgen vor dem zuständigen Ausschuss
vertraulich vorgetragen.
Zusatzfrage eins.
Herr Staatsminister, icherlaube mir zunächst die Anmerkung, dass ich nicht nurnicht Mitglied des Auswärtigen Ausschusses bin und da-her diesen Informationsstand nicht habe,
sondern dass ich mich auch in meinen parlamentarischenRechten verletzt sehe, wenn ich von Ihnen diese Informa-tion zu einem inzwischen öffentlich intensiv behandeltenThema nicht bekomme. Ich frage Sie deshalb: Warum hatkein Verantwortlicher, weder Herr Botschafter Chrobognoch Kanzlerberater Steiner noch Außenminister Fischernoch Bundeskanzler Schröder die Brisanz der Libyen be-treffenden Passage im Protokoll bemerkt?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 2001 16827
D
Erstens, Frau Bonitz, kann ich diese Wertung von
Ihnen nicht teilen
und zweitens bleibe ich dabei, dass bestimmte außenpoli-
tisch sensible Fragen vor dem entsprechenden Gremium,
vor dem Auswärtigen Ausschuss, unter einem Geheimhal-
tungsgrad besprochen werden.
Zusatzfrage zwei.
Eine ganz kurze Anmer-
kung: Da Sie diese Wertung nicht nachvollziehen können,
heißt das, dass Sie die Brisanz nicht erkennen, obgleich es
im Grunde genommen völlig egal ist, ob nur eine falsche
Wiedergabe eines zutreffenden Gesprächsinhaltes erfolgt
ist oder eine richtige Wiedergabe eines unzutreffenden
Gesprächsinhaltes.
Ich stelle daraufhin folgende Frage: Hat es, nachdem
dem Kanzleramt und dem Außenministerium aufgrund
der öffentlichen Berichterstattung klar geworden ist, dass
hier eine Brisanz vorliegen könnte, unmittelbar Ge-
spräche zwischen Herrn Chrobog und Herrn Steiner ge-
geben, um diese entsprechende Passage, die ich für feh-
lerhaft halte – Sie stellen sie möglicherweise als
Missverständnis dar –, zu klären? Ich meine den Zeitraum
– ich präzisiere das –, bevor offiziell zur Sitzung des Aus-
wärtigen Ausschusses eingeladen worden ist.
D
Frau Bonitz, ich kommentiere diese Passage weder
dahin gehend, dass sie richtig sei, noch dahin, dass sie
falsch sei, noch dahin, dass sie ein Missverständnis ge-
wesen sein könnte. Alle legitimen Adressaten haben die
Stelle so verstanden, wie man sie nur verstehen konnte.
Für alle legitimen Adressaten war völlig klar, dass dies,
bezogen auf die bilateralen Beziehungen zu Libyen, keine
solche Veränderung war, dass man sich intensiver damit
hätte befassen müssen. Das Problem entstand lediglich
mit der rechtsmissbräuchlichen Veröffentlichung dieses
Papiers.
Nun hat der Kollege
Schockenhoff eine Zusatzfrage.
Herr
Staatsminister, gehören zu den von Ihnen erwähnten legi-
timen Adressaten auch ausländische Regierungen und wie
erklären Sie sich die offizielle Stellungnahme eines
amerikanischen Regierungssprechers, der sich gegen Ver-
suche verwahrt, die Zuständigkeit für die Veröffentli-
chung in die Nähe der amerikanischen Administration zu
rücken?
D
Die amerikanische Seite, mit der wir, sobald diese
Dinge in der Öffentlichkeit diskutiert wurden, auf vielen
Ebenen direkt Kontakt aufgenommen haben, hat uns ge-
genüber deutlich erklärt, dass sie diesem Vorgang keine
Bedeutung beimisst und auch nicht irritiert ist. Das hat der
amerikanische Außenminister gestern noch dem unseren
versichert. Auch der amerikanische Regierungssprecher
hat sich in dieser Richtung eingelassen.
Sie kommen mit
Ihren Fragen gleich dran, Herr Kollege. Eine Zusatzfrage
haben Sie jetzt nicht.
Aber der Kollege Gehrcke hat eine Zusatzfrage. Bitte
sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatsminister, da
Sie vor kurzem dem Hause gesagt haben, Sie könnten
nicht zahlenmäßig belegen, wie viele legitime Adressaten
es gab, jetzt aber gesagt haben, dass alle legitimen Adres-
saten die Stelle richtig verstanden haben, frage ich Sie:
Wie kommen Sie auf diese gewagte Schlussfolgerung?
D
Herr Gehrcke, ich habe nicht gesagt, dass ich nicht
alle Adressaten belegen kann, sondern dass ich nicht alle
belegen will, weil das ebenfalls ein Vertraulichkeitsbruch
wäre.
Wenn der Inhalt dieses Textes Anlass zu einer Verän-
derung unserer Politik gegeben hätte, dann wäre er im
Hause mit Sicherheit nicht unkommentiert zur Kenntnis
genommen worden.
Ich rufe die Frage 41
der Kollegin Bonitz auf:
Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung unter-
nommen, um eine Entschädigung der „La Belle“-Opfer zu errei-
chen, insbesondere auch im Hinblick auf die Erzielung einer
außergerichtlichen Einigung, wie diese in vergleichbar gelagerten
Fällen in Frankreich und Großbritannien möglich war?
Herr Staatsminister, bitte.
D
Frau Bonitz, der Bundesregierung liegen keine In-formationen vor, wonach es im Fall Lockerbie zwischenGroßbritannien und Libyen eine außergerichtliche Eini-gung über eine Entschädigung gegeben habe. Im Falle desAnschlags auf eine französische UTA-Maschine hat eseine Verständigung zwischen Frankreich und Libyen überEntschädigungsfragen gegeben, nachdem eine libyscheTatbeteiligung durch rechtskräftiges Strafurteil festge-stellt war und Libyen dies als Grundlage für Kompensati-onsleistungen akzeptiert hatte.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 200116828
Inwieweit von Libyen eine Entschädigung der „LaBelle“-Opfer verlangt werden kann, hängt daher zunächstvon der Frage einer libyschen Tatbeteiligung ab. DieseFrage ist Gegenstand eines laufenden Strafverfahrens vordem Berliner Landgericht. Im Übrigen hat die Bundesre-gierung klare Hinweise darauf, dass Libyen nur dann ineinen Dialog über Entschädigungen eintreten wird, wennder „La Belle“-Prozess abgeschlossen und eine libyscheTatbeteiligung durch Strafurteil festgestellt ist. So hat derlibysche Außenminister in einer Rede vor der VN-Voll-versammlung am 14. September letzten Jahres in Bezugauf Lockerbie jegliche Entschädigungsforderung vor ei-nem Urteil strikt abgelehnt.Gerade im Interesse der Opfer an einer baldigenKlärung der Entschädigungsfrage hat sich die Bundesre-gierung kontinuierlich für die zügige Durchführung desRechtshilfeersuchens des Berliner Landgerichtes einge-setzt, um im Prozess voranzukommen. So konnten im Ok-tober letzten Jahres in Tripolis Zeugenvernehmungendurchgeführt werden, an denen ein Vertreter der Staats-anwaltschaft und ein Ermittlungsbeamter teilnahmen. Beimeinem eigenen Besuch in Libyen am 17./18. April die-ses Jahres hat mir der stellvertretende libysche Außenmi-nister zugesagt, dass sein Land die weiteren Ermittlungendeutscher Staatsanwälte unterstützen wird.Die Bundesregierung hofft deshalb auf einen baldigenAbschluss des Verfahrens, sodass auf der Grundlage einergerichtlichen Entscheidung gegebenenfalls sofort kon-krete Schritte zugunsten der Opfer und ihrer Entschädi-gung unternommen werden können.
Zusatzfrage eins.
Zunächst herzlichen
Dank für die Antwort, es ist ja tatsächlich mal eine. Da so-
wohl Libyen als auch die Bundesregierung ein Interesse
daran haben müssen, dass es zu einem Urteil kommt, in
dem dann möglicherweise eine Tatbeteiligung Libyens
festgestellt wird, frage ich konkret nach: Welche konkre-
ten Erkenntnisse aus ihren zahlreichen Gesprächen mit li-
byscher Seite hat die Bundesregierung von sich aus an das
Landgericht Berlin weitergegeben, um hier den Prozess-
fortschritt zu befördern?
D
Wie ich soeben schon ausführte, haben wir das Er-
suchen des Landgerichts Berlin, dort Zeugenbefragungen
durchführen zu können, unterstützt. Das hat zu dem eben
von mir dargestellten Erfolg geführt. Bei meinem jüngs-
ten Besuch in Libyen habe ich das noch einmal nach-
drücklich vertreten und die erwähnte Zusage von liby-
scher Seite bekommen.
Ansonsten: Die Recherche der Umstände obliegt dem
Gericht und ist nicht Aufgabe der Regierung.
Zusatzfrage zwei.
Da in dem Landgerichts-
prozess das geheime Protokoll mit der entsprechenden
Passage zu Libyen eine Rolle spielt und die Bundesregie-
rung dies, so glaube ich, bislang nicht an die Staatsan-
waltschaft weitergegeben hat, frage ich mich, ob denn ei-
gentlich niemandem, der dieses Protokoll gelesen hat,
aufgefallen ist, dass diese Passage des Protokolls eine Re-
levanz für diesen Prozess haben könnte. Muss ich davon
ausgehen, dass keiner der Empfänger dieses Protokolls
die Brisanz erkannt hat, dass es nur diplomatische Dilet-
tanten in diesem Bereich gibt, die die Brisanz einer solchen
Passage für einen Gerichtsprozess nicht erkennen können?
D
Frau Bonitz, dass dieses Protokoll eine Rolle spielt,
ist Ihre Wertung. Es gibt keine Anfrage der Staatsanwalt-
schaft an das Auswärtige Amt dieses Protokoll betreffend.
Von daher wissen Sie vielleicht mehr als alle anderen Pro-
zessbeteiligten. Die meisten jedenfalls schließen sich im
Moment Ihrer Einschätzung hinsichtlich der historischen
Bedeutsamkeit des Dokumentes offensichtlich nicht an.
Nun kommen wir zur
Frage 42 des Kollegen Dr. Schockenhoff:
Treffen Presseberichte zu, nach denen es im Zusammenhang
mit der Veröffentlichung des Gesprächsprotokolls von Botschaf-
ter Jürgen Chrobog vom 31.März 2001 zu Streitigkeiten zwischen
dem Auswärtigen Amt und dem Bundeskanzleramt gekommen ist,
und ist nach Auffassung der Bundesregierung vor dem Hinter-
grund der Umstände der Veröffentlichung des Gesprächsproto-
kolls weiterhin eine vertrauensvolle und enge Zusammenarbeit
der Abteilung Außenpolitik des Bundeskanzleramtes und ihres
Leiters, Ministerialdirektor Michael Steiner, mit dem Auswärtigen
Amt, insbesondere mit den Vertretungen der Bundesrepublik
Deutschland im Ausland, gegeben?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
D
Herr Schockenhoff, derartige Presseberichte sind
falsch. Die Zusammenarbeit zwischen dem Bundeskanz-
leramt und dem Auswärtigen Amt wird auch in Zukunft
eng und vertrauensvoll sein.
Zusatzfrage eins.
Herr
Staatsminister, ist in der Bundesregierung darüber geredet
worden, ob vertrauliche Gespräche des Bundeskanzlers
mit anderen Staats- und Regierungschefs auch künftig in
Anwesenheit von Ministerialdirektor Steiner geführt wer-
den können? Gehen Sie davon aus, dass auch andere Re-
gierungs- und Staatschefs in Anwesenheit von Ministerial-
direktor Steiner glauben, vertrauliche Gespräche blieben
vertraulich?
D
Wir gehen davon aus, dass durch diese Indiskretion,die höchst ärgerlich ist, kein nachhaltiger Schadenentstanden ist. Gestern haben zum Beispiel vertrauliche Ge-spräche über die sensibelsten NATO-Fragen stattgefunden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 2001
Staatsminister Dr. Ludger Volmer16829
Wie der Bundeskanzler seine Delegation, seinen Berater-stab zusammenstellt, ist ihm überlassen. Das sollte manvon dieser Seite aus nicht kommentieren.
Zusatzfrage zwei.
Herr
Staatsminister, Sie haben hier vorher schon unterstrichen,
die amerikanische Regierung habe betont, sie messe die-
ser Angelegenheit keinerlei Bedeutung zu. Wie erklären
Sie sich die Tatsache, dass die amerikanische Regierung
diese Äußerung seit etwa einer Woche mehrfach täglich
wiederholt?
D
Sehen Sie, Sie müssen sich schon entscheiden, ob
Sie den Schaden, der nicht da ist, herbeireden wollen oder
ob Sie daran mitwirken, dass kein Schaden entsteht.
Die Bundesregierung hat jedenfalls in dem Moment, wo
dies ein öffentliches Thema wurde, mit der amerikani-
schen Seite auf verschiedenen Ebenen darüber gespro-
chen. Man ist sogar den Text selbst durchgegangen und
hat dabei gemeinsam festgestellt, dass er keinen Anlass
für Irritationen bietet.
Nun kommt eine Zu-
satzfrage des Kollegen Schmidt.
Herr Staats-
minister, Sie hatten – wenn ich Sie richtig verstanden habe –
mitgeteilt, dass dem Auswärtigen Amt bis heute noch
keine Anfrage von der Staatsanwaltschaft hinsichtlich des
als historisch oder nicht historisch einzuschätzenden Do-
kuments vorliegt. Wie erklären Sie sich das vor dem Hin-
tergrund, dass zum einen – wenn ich mich recht entsinne –
an dem Tag, an dem der Artikel in der „Frankfurter Allge-
meinen Zeitung“ stand, sich der zuständige Oberstaatsan-
walt in einer der Abendnachrichten der öffentlich-rechtli-
chen Sender äußerst verwundert darüber gezeigt hat, dass
die Staatsanwaltschaft über dieses Dokument nicht in
Kenntnis gesetzt worden ist, und sinngemäß geäußert hat,
die Staatsanwaltschaft werde sich darum bemühen, dieses
Dokument zu erhalten, und dass zum anderen Regierungs-
sprecher Uwe-Karsten Heye bereits kurz darauf mitgeteilt
hat, Herr Steiner werde Aussagegenehmigung in dieser
Frage erhalten, was doch darauf hinweist, dass die Staats-
anwaltschaft zumindest hinsichtlich der Zeugenverneh-
mung Anträge gestellt haben muss?
D
Der Antrag auf Zeugenvernehmung von Herrn
Steiner steht in der Tat. Die Bundesregierung berät zur-
zeit, inwieweit eine Aussagegenehmigung erteilt werden
kann. Ein Ersuchen nach Aushändigung dieses Gespräch-
sprotokolls ist bis jetzt noch nicht eingegangen.
Es ist verständlich, dass sich der Staatsanwalt auf der
Basis der öffentlichen Berichterstattung Gedanken darüber
macht, ob dies ein verwertbares Beweismittel sein könnte.
Diese Debatte zielt auf einen konkreten Punkt, nämlich
auf die Frage, ob Gaddafi eine libysche Tatbeteiligung of-
fiziell eingestanden hat. Ich sage daher noch einmal in
aller Deutlichkeit: Ein solches konkretes Tateingeständnis
der libyschen Seite gibt es nicht.
Nun kommt eine Zu-
satzfrage des Kollegen Polenz.
In dem von „Spiegel
online“ veröffentlichten Protokoll heißt es wörtlich:
MD Steiner berichtet über seine Gespräche mit
Gaddafi in Libyen. Dieser habe eingestanden, dass
Sie haben heute ausgeführt, dass jeder, der im ordent-
lichen Verteiler war, diese Äußerung im Protokoll nur
richtig habe verstehen können, nämlich dass es – entge-
gen dem klaren Wortlaut – kein Eingeständnis Gaddafis
gewesen sei. Wird die Bundesregierung das auch dem Ge-
richt so vortragen?
D
Herr Kollege, dieses Protokoll werde ich aus den
mehrmals erläuterten Gründen nicht kommentieren. Ich
kann Ihnen aber noch einmal bestätigen, dass Libyen seit
geraumer Zeit Anstrengungen unternimmt, seine interna-
tionalen Beziehungen zu normalisieren, und dass wir als
Bundesrepublik ein Interesse daran haben, daran mitzu-
wirken. So wollen wir Libyen etwa in den euro-mediter-
ranen Dialog einbeziehen und es dafür gewinnen, die
maghrebinische Union wieder in Kraft zu setzen.
Bevor in diesem Sinne wieder eine vollständige Ein-
beziehung in die internationalen Beziehungen stattfinden
kann, muss dieser Gesamtkomplex gelöst werden. Dazu
gehören Stichworte wie Lockerbie und „La Belle“, wobei
wir als Deutsche ein besonderes Interesse an der Aufar-
beitung des „La-Belle“-Komplexes haben.
Nun kommt die Kol-
legin Grießhaber mit einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, Herr Kollege Schockenhoff hat sichin seiner Zusatzfrage nach den Reaktionen in den USAer-kundigt.Ich war letzte Woche mit dem Unterausschuss VereinteNationen in den Vereinigten Staaten. Es war erstaunlich,dass diese Frage weder bei den Kongressabgeordnetennoch bei den Senatoren noch sonst irgendwo von Interessewar. Kein Mensch hat sich dafür interessiert. Haben auchSie den Eindruck, dass diese Frage in den USA und dendortigen Medien keinesfalls die gleiche Bedeutung hatwie hier, wo ein Sturm im Wasserglas entstanden ist?
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 2001
Staatsminister Dr. Ludger Volmer16830
D
Weder hat die Substanz der Gespräche zwischen der
deutschen und der libyschen Seite solch neue Erkennt-
nisse gebracht, dass die internationale Politik eine Wende
vornehmen müsste, noch hat sich in den USA ein nen-
nenswerter Teil der Öffentlichkeit dafür interessiert, dass
in Deutschland jemand per Rechtsbruch ein Dokument
veröffentlicht hat.
Nun kommt der Kol-
lege Spranger mit einer Zusatzfrage.
Allmählich müssen wir etwas darauf achten, dass auch
die anderen Fragesteller noch an die Reihe kommen.
Frau Präsidentin,
ich glaube, man sollte es der Opposition, den Fragestel-
lern überlassen, wie viele Fragen gestellt werden.
Es gibt ja auch noch
weitere Fragen aus der Opposition. Diese will ich auch
noch zulassen dürfen. Das ist doch das Problem.
Zu diesem
Thema kann man gar nicht genug Fragen stellen; das spürt
man doch.
Herr Staatsminister, Sie sagen, das Steiner-Protokoll
sei in der Libyen-Passage falsch. Können Sie uns dann
noch andere Passagen aus diesem Protokoll nennen, die
ebenfalls falsch sind? Sie können sich hier doch nicht se-
lektiv zu bestimmten Passagen äußern.
D
Herr Steiner – –
– Sorry, Herr Spranger. Sie sehen, mit wem ich Sie schon
verwechsle.
Das kommt davon,
wenn man mit virtuellen Personen zu tun hat. – Herr
Staatsminister, bitte sehr.
D
Herr Spranger, ich habe diese Passage nicht als
falsch bezeichnet, sondern ich habe sie nicht kommen-
tiert. Dabei bleibe ich. Die Vermutung allerdings, Gaddafi
habe ein konkretes Schuldeingeständnis abgegeben – diese
Vermutung wurde, von wem auch immer, in den letzten
Wochen geäußert –, ist falsch; ein solches Eingeständnis
hat es nicht gegeben.
Nun kommt die Frage
der Kollegin Bonitz.
Herr Staatsminister, da
Sie nicht kommentieren wollen, ob die Passage, um die es
geht, richtig, falsch oder auch nur widersprüchlich ist,
frage ich Sie, ob Sie ausschließen können, dass Herr
Steiner durch seine Äußerungen zumindest den Eindruck
erweckt hat, dass ein Gespräch des in den Protokollen zi-
tierten Inhalts stattgefunden habe.
D
Das kann ich nicht bestätigen.
Nun kommt die
Frage 43:
Hat Ministerialdirektor Michael Steiner bei seinem Gespräch
mit dem libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi darauf hinge-
wirkt, dass sich Libyen an der Aufklärung der Hintergründe des
Anschlages auf die Diskothek „La Belle“ in Berlin konstruktiv be-
teiligt, und wie gedenkt sich die Bundesregierung in Zukunft für
die Opfer des Anschlages auf die Diskothek „La Belle“ einzuset-
zen und sich gegenüber Libyen dafür zu verwenden, dass sich
Libyen an der Aufklärung der Hintergründe des Attentates betei-
ligt und Entschädigung leistet?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
D
Herr Schockenhoff, ich nehme auf meine Antwort
auf die Frage 41 der Abgeordneten Bonitz Bezug und
weise noch einmal darauf hin, dass die Frage einer liby-
schen Tatbeteiligung Gegenstand eines laufenden Straf-
verfahrens ist. Um die Hintergründe des Attentats aufzu-
klären, hat das Gericht ein Rechtshilfeersuchen nach
Libyen übermittelt. Nicht zuletzt aufgrund der intensiven
Bemühungen des Auswärtigen Amtes hat Libyen der
Durchführung der Rechtshilfe zugestimmt und Zeugen-
vernehmungen in Tripolis zugelassen. Im Übrigen wieder-
hole ich auch an dieser Stelle, dass die Bundesregierung
auf einen baldigen Abschluss des Verfahrens hofft, sodass
auf der Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung gege-
benenfalls sofort konkrete Schritte zugunsten von Opfern
und deren Entschädigung unternommen werden können.
Erste Zusatzfrage.
Herr
Staatsminister, Sie haben eben gesagt, Libyen versuche
seit geraumer Zeit, seine Beziehungen zu anderen Staaten
zu normalisieren. Aus dem an die Öffentlichkeit gelang-
ten Steiner-Protokoll vernehmen wir, dass Libyen seit
„geraumer Zeit“ dem Terrorismus abgeschworen habe.
Lässt sich daraus die logische Folgerung ableiten, dass es
vor geraumer Zeit anders gewesen sein könnte?
D
Ohne nun auf das von Ihnen gerade zitierte Proto-koll Bezug zu nehmen, kann ich sagen, dass wir uns mitder libyschen Seite in einer intensiven politischen Dis-kussion befinden: über die libysche Vergangenheit, ihreheutige Distanzierung vom Terrorismus und ihre An-sprüche und Wünsche, in die internationale Staatenge-meinschaft reintegriert zu werden. Man muss sich nur
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 2001 16831
einmal die Geschichte der Dekolonialisierung in Afrikaund in der arabischen Welt anschauen, dann erkennt mansofort, dass damals zu Mitteln gegriffen wurde, die manin anderen historischen Situationen – jedenfalls vor demHintergrund unserer Werte und des Völkerrechts – nichtakzeptieren kann. Libyen räumt ein, dass es in dem Pro-zess der Dekolonialisierung zu solchen Mitteln gegriffenhat, und distanziert sich heute davon. Libyen nimmt da-von heute ganz klar und unseres Erachtens auch glaub-würdig Abstand und vertritt nunmehr die Auffassung,dass sich ein Land nicht selbst isolieren darf, indem es zuMitteln greift, die von der Völkergemeinschaft nicht ak-zeptiert werden.Libyen sucht uns als Ansprechpartner, um über uns denDialog mit der Europäischen Union und mit der westli-chen Staatengemeinschaft insgesamt zu erreichen. Es gibtallerdings auch ein sehr stark nach Afrika gerichtetesInteresse. So ist gestern die Afrikanische Union, die aufBetreiben Gaddafis zustande kam, offiziell gegründetworden. Libyen schwankt also in seiner Orientierung zwi-schen einer afrikanischen und einer europäischen Option.Wir wollen Libyen dafür gewinnen, eine Brücke zwischendiesen beiden Kontinenten zu schlagen. Voraussetzungfür eine solche Politik ist allerdings, dass die hier intensiverörterten Fragen, wie die Komplexe „La Belle“ undLockerbie, für alle Seiten befriedigend gelöst werden.
Eine Zusatzfrage der
Kollegin Grießhaber.
Herr Staatsminister, Sie haben eben von den Bemühungen
berichtet, Libyen wieder in die internationale Staatenge-
meinschaft einzubinden. Können Sie sagen, wie weit dies
beispielsweise über den so genannten Barcelona-Prozess
abläuft?
D
Durch den Barcelona-Prozess, mit dem die Bezie-
hungen zwischen der EU und den afrikanischen Mittel-
meeranliegerstaaten organisiert werden, versuchen wir,
Libyen einzubinden. Libyen hatte bei der letzten Tagung
einen Beobachterstatus. Auch bei meinem letzten Besuch
in Tripolis habe ich die libysche Seite eingeladen, sich
weiter an diesem Prozess zu beteiligen.
Es gibt allerdings eine gewisse Zurückhaltung, weil die
Libyer nicht genau wissen, wie die westliche bzw. euro-
päische Seite auf ihre Signale reagiert, sich aus ihrer Ver-
gangenheit zu lösen und einer neuen Politikform zuzu-
wenden. In dem Maße, wie wir den Dialog – auch bilate-
ral – pflegen und Fehlperzeptionen abbauen, die auf bei-
den Seiten im Spiel sind, wird es möglich sein, Libyen ge-
rade auch in den Barcelona-Prozess zu integrieren. Wir
sollten diese Chance ergreifen. Sie alle wissen, dass
Libyen aus der Sicht mancher westlicher Staaten als be-
sonders besorgniserregend gilt. Aber auch in der amerika-
nischen Diskussion schneidet Libyen in der Bewertung
seit einigen Tagen erheblich besser ab, als es noch im letz-
ten Jahr der Fall war.
Jetzt laufen wir Ge-
fahr, in eine Libyen-Debatte einzutreten.
Herr Dr. Schockenhoff hat noch eine Frage. Bitte sehr.
Sie haben
die von Ihnen beschriebene Verhaltensweise, Herr Staats-
minister, als neue Politikform bezeichnet. Wie war denn
die alte Politikform – „vor einigen Tagen“?
D
Herr Schockenhoff, Sie wissen doch, wie sich Be-
freiungs-, wie sich Dekolonialisierungsprozesse abspiel-
ten: So mancher Staat, der sich auf der Basis eines
Dekolonialisierungsprozesses gebildet hatte, wurde vom
Westen nicht gerade willkommen geheißen. Oft suchte
man sein Glück in der Anlehnung an den seinerzeit noch
bestehenden gegnerischen Block und hat dabei Poli-
tikformen entwickelt, die nach unserem Werte-, Rechts-
und Völkerrechtsverständnis nicht akzeptabel sind.
Wichtig ist, dass Staaten, die aus einer solchen Vergan-
genheit gelernt haben und sich umorientieren wollen,
diese Umorientierung erleichtert wird, ohne dabei die
Aufarbeitung der alten Komplexe außer Acht zu lassen.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Polenz.
Es ist sicherlich sehr
begrüßenswert, dass die Bundesregierung die Politik ver-
folgt, dabei zu helfen, Libyen wieder in die internationale
Staatengemeinschaft zurückzuführen. Glauben Sie, dass
die Protokollveröffentlichung diesem Ziel gedient hat?
D
Herr Polenz, ich glaube nicht, dass sie geschadet hat.
Die libysche Seite fragt natürlich nach den Hintergrün-
den. Sie bekommt eine ordentliche Antwort.
Ansonsten: Ich habe mir bei meinem letzten Besuch
erlaubt, meinen direkten Counterpart, den stellvertre-
tenden Außenminister, für den Herbst nach Deutschland
einzuladen. Ich würde mich freuen, wenn er die Gelegen-
heit hätte, auch mit der CDU/CSU-Fraktion zu reden.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Dr. Lippelt.
Herr Staatsminister, können Sie angesichts der letztenFrage des Herrn Schockenhoff ihm ein bisschen über dieWandlung von Jomo Kenyatta oder den Führer des ANCin Südafrika erzählen, die heute in aller Welt sehr aner-kannt sind?
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 2001
Staatsminister Dr. Ludger Volmer16832
D
Für eine solche Wandlung, Herr Kollege Lippelt,
gibt es viele Beispiele. Ich erinnere mich an eine Diskus-
sion über die PLO, die wir hier vor einigen Monaten in der
Fragestunde hatten.
Nun rufe ich die
Frage 44 des Kollegen Eckart von Klaeden auf:
Wird sich die Bundesregierung beim amerikanischen Präsi-
denten George W. Bush und den Staats- und Regierungschefs der
weiteren von der „Protokoll-Affäre“ der Bundesregierung betrof-
fenen Staaten für den entstandenen Schaden an Vertrauen und
Glaubwürdigkeit in die deutsche auswärtige Politik entschuldigen
und wenn ja, in welcher Weise wird dies geschehen?
Herr Staatsminister, das ist die letzte Frage zu diesem
Komplex.
D
Herr Kollege, die Bundesregierung bedauert die un-
befugte Weitergabe vertraulicher Aufzeichnungen, die
einen gravierenden Verstoß gegen Geheimhaltungsvor-
schriften darstellt. Unser enges und vertrauensvolles Ver-
hältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika wird je-
doch durch diesen Vorgang nicht belastet. Dies sieht auch
die amerikanische Seite so.
Zusatzfrage eins.
Herr Staatsmi-
nister, Sie haben jetzt mehrfach erklärt, durch den Vor-
gang sei kein außenpolitischer Schaden entstanden. Als
Antwort auf diese Erklärung des Auswärtigen Amtes vor
einiger Zeit hat der Staatspräsident Russlands, Wladimir
Putin, Folgendes gesagt: Mit dem Steiner/Chrobog-Proto-
koll werde das Ziel verfolgt, „die Beziehungen zwi-
schen Russland und der Europäischen Union, zwischen
Russland und Deutschland zu zerstören“.
Meine Frage: Ist das kein außenpolitischer Schaden?
Was wäre eigentlich nach Ihren Maßstäben ein außenpo-
litischer Schaden?
D
Herr von Klaeden, Sie haben richtig zitiert, was Herr
Putin für den Schaden gehalten hat: Er hat nicht den Ge-
halt des Protokolls für den Schaden gehalten, sondern des-
sen Veröffentlichung. Das halten auch wir für rechtsmiss-
bräuchlich.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminis-
ter, Sie haben zwar zugestanden, dass der Vorgang ärger-
lich sei, aber gleichzeitig meine Klassifizierung als
„Panne“ zurückgewiesen. Muss ich dann davon ausge-
hen, dass es sich um einen systematischen Fehler gehan-
delt hat?
D
Herr von Klaeden, wir müssen erst einmal fragen:
Was war das eigentliche Problem? Das Problem war die
Veröffentlichung.
– Das war mehr als eine Panne. Ich habe vorhin deutlich
gesagt: Das war ein Rechtsbruch, ein Dienstvergehen, und
das war ein Vertrauensbruch. In diesem Sinne wird das
auch behandelt werden. Wir werden den Dingen ganz de-
zidiert nachgehen.
Eine Zusatzfrage von
Herrn Dr. Lippelt.
Herr Staatsminister, würden Sie mir darin zustimmen,
dass bei Indiskretionen solcher Art, die es in der Ge-
schichte ja öfter gegeben hat, die Bewertungen von
Staatsmännern gelegentlich auch positiv ausfallen,
wie in diesem Fall die Bewertung des russischen Präsi-
denten Putin – ich glaube nicht, dass ihn das geärgert hat,
denn er ist sehr positiv dabei weggekommen –,
während andere Bemerkungen wie beispielsweise die,
dass ein Land mehr Kapital in dunkle Kanäle ins Ausland
fließen lässt, als es einnimmt, im Zusammenhang mit den
Schulden für ein solches Land vielleicht ganz heilsam
sind, sodass die Frage des Schadens, der hier entstanden
ist, durchaus von zwei Seiten gesehen werden kann und
nicht so eindeutig ist, wie die Opposition es immer meint?
D
Herr Kollege, Sie verstehen, dass ich dies nicht
kommentieren kann,
weil Sie ebenfalls Bezug genommen haben auf einen
Text, den ich nicht kommentieren darf.
Eine Zusatzfrage des
Herrn Kollegen Brecht.
Herr Staatsminister,können Sie bestätigen, dass die amerikanische Öffent-lichkeit einen so genannten außenpolitischen Schadenaufgrund der illegalen Veröffentlichung des WashingtonerProtokolls nicht konstatiert und dass die amerikanischeÖffentlichkeit den ganzen Vorgang wenn überhaupt, dannnur amüsiert wahrnimmt als eine innerdeutsche Angele-genheit?
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D
Herr Kollege Brecht, genau den Eindruck kann ich
bestätigen.
Nun kommt die
Kollegin Bonitz mit einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wer
übernimmt in welcher Form die Verantwortung für die
eklatanten Fehler, die im Zusammenhang mit der Abfas-
sung und der Verteilung des Protokolls gemacht wurden?
D
Frau Kollegin Bonitz, ich kann eklatante Fehler we-
der bei der Abfassung noch bei der Verteilung bestätigen.
Ich kann eine Fehlhandlung bestätigen, das ist die
Veröffentlichung dieses Protokolls. Das war mehr als ein
Fehler, das war eine Straftat.
Nun kommt der Kol-
lege Spranger.
Herr Staatsmi-
nister, wenn die Bemerkungen über bestimmte Staats-
männer in diesem Steiner-Protokoll so positive Auswir-
kungen haben, wie Sie dies im Zusammenhang mit
Präsident Putin deklariert haben, warum veröffentlichen
Sie dann nicht den gesamten Bericht? Vielleicht sind dann
andere auch noch positiv berührt.
D
Herr Spranger, das ist eine politische Diskussion,
die Sie vielleicht mit dem Kollegen Lippelt führen sollten.
Jetzt wird es allmäh-
lich so, dass ich sagen muss: Es reicht mit diesem Fra-
genkomplex – Herr Dr. Schockenhoff, bitte sehr.
Frau Prä-
sidentin, ich wollte meine Frage eigentlich zurückziehen,
aber Ihre Bemerkung „Jetzt reicht es allmählich“ veran-
lasst mich dazu, sie doch zu stellen.
Kann man die Frage des Kollegen Lippelt so interpre-
tieren, dass die Bundesregierung die Veröffentlichung
dieses Protokolls gezielt und beabsichtigt vorgenommen
hat, um eine positive Bewertung des russischen Staats-
präsidenten zu provozieren?
D
Nein.
Herr Kollege, meine
Ermahnung „Jetzt reicht es allmählich“ hat sich darauf be-
zogen, dass ich auch für die Ernsthaftigkeit einer Debatte
verantwortlich bin. Deswegen erlaube ich mir, gelegent-
lich darauf hinzuweisen, dass noch andere Fragen gestellt
wurden.
Herr Kollege Polenz, bitte.
Herr Staatsminister,
bei der Frage nach einem möglichen außenpolitischen
Schaden haben Sie darauf verwiesen, dass der russische
Präsident Putin die Indiskretion als Provokation verurteilt
habe. Das ist sicherlich richtig.
Treffen nach Ihren Erkenntnissen Presseberichte zu,
wonach die erste Reaktion des russischen Staatspräsi-
denten war, bei dem Protokoll könne es sich nur um eine
Fälschung handeln?
D
Das ist mir nicht bekannt. Dazu kann ich Ihnen
nichts sagen.
Jetzt hat die Kollegin
Kopp eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, sehen Sie
sich dazu in der Lage, uns zu sagen, welche Konsequen-
zen organisatorischer oder sonstiger Art Sie aus dieser so
genannten „Protokoll-Affäre“ ziehen?
D
Eine Konsequenz ist schon gezogen worden: Der
Außenminister hat – wie ich vorhin schon ausgeführt
habe – die Vorschriften dahin gehend modifiziert, dass ab
dem 23. Mai Chefgespräche in der Skala der Geheim-
haltungsgrade höher angesiedelt werden. Zudem hat das
Auswärtige Amt die vorher schon erwähnte Sonder-
arbeitsgruppe eingesetzt, die recherchieren soll, wo sich
das Leck befindet; dabei ist nicht bewiesen, dass sich das
Leck im Auswärtigen Amt befinden muss.
Herr Kollege Erler
hat eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, nachdemwir hier mehrfach Zeuge von Sorgen unserer Kollegenüber eine eventuelle, aber nicht zutreffende Störung desdeutsch-amerikanischen Verhältnisses geworden sind:Würden Sie meine Auffassung teilen, dass man, wennman ernstlich Sorgen hinsichtlich einer Störung diesesVerhältnisses hat, jetzt am ehesten einen Beitrag zu einemguten, gedeihlichen Verhältnis beider Staaten leistenkönnte, indem man die von den Amerikanern eher
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belächelte Behandlung dieses Falles zu einem Abschlussbringt? Wäre das nicht der beste Dienst, den man zu-gunsten eines guten Verhältnisses zwischen Deutschlandund Amerika leisten könnte?
D
In der Tat, Herr Kollege, auch ich vertrete diese Mei-
nung.
Die Bundesregierung räumt ein, dass es ein gravierendes
Problem gab, nämlich die Veröffentlichung. Man sollte
aber nicht den gesamten Komplex derartig aufblasen, dass
man annehmen könnte, es ginge um mehr als um genau
dieses Problem. Ich denke, es wäre ein Zeichen von poli-
tischer, insbesondere außenpolitischer Verantwortlich-
keit, wenn man sich daran beteiligte, den öffentlichen
Schaden zu begrenzen.
Das wusste ich: Jetzt
hat der Herr Kollege Lamers eine Zusatzfrage. Bitte sehr.
Herr Staatsminister, wür-
den Sie meiner Feststellung zustimmen, dass das gravie-
rende Problem, von dem Sie gerade gesprochen haben,
nur wegen des Inhalts entstehen konnte?
D
Ich möchte es einmal so ausdrücken: Derjenige, der
das veröffentlicht hat, meinte, dem Inhalt eine Bedeutung
zumessen zu können, die wir als legitime Adressaten nicht
entdecken können.
Es gibt keine weiteren
Zusatzfragen.
Die Frage 45 des Kollegen von Klaeden ist zurückge-
zogen.
Wir sind damit am Ende dieses Komplexes, der Dring-
lichkeitsfragen und der Fragen im Zusammenhang mit
diesem Fragekreis. Ich bedanke mich bei Herrn Staats-
minister Dr. Volmer, der die Fragen beantwortet hat.
Wir fahren nun in der normalen Reihenfolge fort. Die
Frage 1 des Kollegen Fuchtel zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Arbeit und Sozialordnung. Die Fragen zu die-
sem Komplex, das sind die Fragen 2 und 3, werden eben-
falls schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Gesundheit. Zur Beantwortung der Fragen
steht die Parlamentarische Staatssekretärin Gudrun
Schaich-Walch zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Dietmar Schlee auf:
Welche Auswirkungen erwartet die Bundesregierung auf die
Bundesrepublik Deutschland von der in der Schweiz angestrebten
Novellierung des Betäubungsmittelgesetzes, mit der der Anbau
und Verkehr von Cannabis legalisiert und der Konsum harter Dro-
gen einschließlich der damit zusammenhängenden Vorbereitungs-
handlungen geduldet werden sollen?
Frau Staatssekretärin, bitte sehr.
G
Herr Kollege, die
Auswirkungen der geplanten Schweizer Drogengesetzge-
bung hängen vom Ausgang der parlamentarischen Bera-
tungen und dem endgültigen Wortlaut der neuen Drogen-
vorschriften ab. Ob, wann und mit welchem Inhalt die
neuen Vorschriften in der Schweiz in Kraft treten werden,
entscheidet der dortige Gesetzgeber. Die Bundesregie-
rung beteiligt sich nicht an Spekulationen darüber.
Zusatzfrage Nummer
eins.
Frau Staatssekretärin,
Sie wissen ja, dass es die so genannte Alpeninformations-
partnerschaft gibt. Hat die Bundesregierung dieses für uns
so wichtige Thema, das für Deutschland nachhaltige Aus-
wirkungen haben könnte, im Rahmen der Alpeninforma-
tionspartnerschaft zum Gesprächsgegenstand gemacht?
G
Sie hat es in diesem
Rahmen nicht zum Gesprächsgegenstand gemacht. Aber
ich kann Ihnen versichern, dass mit der Schweiz über
dieses wichtige Thema bereits auf Minister- und Staats-
sekretärebene Gespräche geführt worden sind und dass
wir den Schweizer Kolleginnen und Kollegen unsere Be-
fürchtungen mit auf den Weg gegeben haben.
Zusatzfrage Nummer
zwei.
Frau Staatssekretärin,
können Sie mir zusagen, dass Sie die Bedenken, die die
Bundesregierung nach den Gesprächen des zuständigen
Ministers und des Staatssekretärs mit den Schweizer
Behörden offensichtlich hat, auch im Rahmen der Alpen-
informationspartnerschaft zum Ausdruck bringen wer-
den? Es wäre sicherlich auch wichtig, die Vertreter der
Grenzregionen wie zum Beispiel des Landes Baden-
Württemberg in die Gespräche einzubeziehen.
G
Das sage ich Ihnen
gerne zu.
Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 2001
Gernot Erler16835
Keine weiteren Zu-
satzfragen. Dann rufe ich die Frage 5 des Kollegen
Dietmar Schlee auf:
Teilt die Bundesregierung die Sorge, dass diese Legalisierung
eine erhebliche Sogwirkung auf Konsumenten und Dealer auslö-
sen und damit der grenzüberschreitende Drogentourismus nach-
haltig gefördert wird?
Frau Staatssekretärin, bitte.
G
Die Bundesregie-
rung nimmt jeden Vorgang sehr ernst, der einen Anstieg
des Handels mit und des Konsums von illegalen Drogen
in Deutschland auslösen könnte. Die Drogenpolitik der
Bundesregierung stellt sicher, dass auf solche Vorgänge
jeweils effizient und ausgewogen reagiert werden kann,
zum einen durch verstärkte Aufklärung, Beratung und
Hilfe insbesondere für junge Drogenkonsumenten, zum
anderen durch gezielte Fahndungsmaßnahmen der Poli-
zei, des Zolls und des Bundesgrenzschutzes.
Zusatzfrage Nummer
eins, bitte sehr.
Frau Staatssekretärin,
vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Bundesin-
nenminister und auch der zuständige Staatssekretär be-
reits mit den Schweizer Stellen Gespräche geführt haben,
frage ich Sie, ob die Bundesregierung der Meinung ist,
dass die Schweiz neben den Niederlanden zum zentralen
Drogenumschlagplatz in Europa werden würde, wenn das
dort geltende Betäubungsmittelgesetz tatsächlich so no-
velliert werden würde, wie es geplant ist.
G
Die Frage, ob die
Schweiz zum zentralen Drogenumschlagplatz in Europa
werden würde, kann man erst dann beantworten, wenn
man den genauen Wortlaut der Schweizer Gesetze kennt.
Wir haben in den Gesprächen – an einem habe ich per-
sönlich teilgenommen – auf unsere Befürchtung hinge-
wiesen, dass es unter Umständen Probleme in den deut-
schen Grenzregionen geben könnte, wenn bestimmte
Sicherheitsmaßnahmen in der Schweiz nicht eingehalten
würden.
Zusatzfrage Nummer
zwei.
Frau Staatssekretärin,
Sie haben gerade gesagt, dass es in den angrenzenden
Bundesländern besondere Probleme geben könnte. Hat
die Bundesregierung mit den betroffenen Bundesländern
bereits „Sicherheitsgespräche“ geführt, in denen deutlich
gemacht worden ist, welche Konsequenzen aus der
Schweizer Gesetzgebung gezogen werden müssten? Wird
zum Beispiel daran gedacht, Einheiten des Bundesgrenz-
schutzes vermehrt einzusetzen?
G
Ich hatte bereits ge-
sagt, dass wir uns im entsprechenden Fall auf Präventions-
und Fahndungsmaßnahmen von Zoll und Bundesgrenz-
schutz kaprizieren werden. Ich kann Ihnen auch mitteilen,
dass die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, die in
der betroffenen Grenzregion beheimatet ist und die die
speziellen Auswirkungen auf die Grenzregion genau
kennt, bereits Gespräche über die Frage führt, wie man im
entsprechenden Fall auf deutscher Seite reagieren könnte
und was man in Bezug auf bessere Aufklärung und besse-
ren Schutz an der Grenze unternehmen kann.
Weitere Zusatzfragen
gibt es nicht. Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Bildung und Forschung. Die
Fragen 6 und 7 werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht Frau Staatsse-
kretärin Dr. Barbara Hendricks zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Wolfgang
Dehnel auf:
Vergibt die Bundesregierung die für die Länder aus den
UMTS-Erlösen bereitgestellten Infrastrukturmittel direkt an Pro-
jekte, und werden die Prioritäten der Verteilung durch den Bund
oder von den Ländern festgelegt?
Frau Staatssekretärin, bitte.
D
Danke schön, Frau Präsi-dentin.Herr Kollege Dehnel, Ausgaben für die Infrastrukturim Rahmen des Zukunftsinvestitionsprogramms der Bun-desregierung werden ausschließlich aus dem Einzel-plan 12 des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- undWohnungswesen geleistet. Im Bereich der Einzelpläneder Bundesministerien für Wirtschaft, für Umwelt sowiefür Forschung und Bildung werden keine Infrastruktur-projekte im engeren Sinne gefördert. Diese Mittel werdenvielmehr zur Intensivierung der Energieforschung, zurFörderung der Genomforschung und regionaler Wachs-tumskerne bzw. für neue Akzente bei der Hochschulför-derung und bei den beruflichen Schulen genutzt. Eben-falls nicht zu den Infrastrukturmaßnahmen in diesemSinne gehören die Mittel des CO2-Minderungspro-gramms der Bundesregierung.Soweit nach den Infrastrukturprojekten im Verkehrs-wegebereich gefragt wird, ist zunächst das Ortsumge-hungsprogramm hervorzuheben, das 125 namentlichbenannte Ortsumgehungsprojekte enthält. Die Bundesre-gierung und die Koalitionsfraktionen haben dies in Um-setzung des vom Parlament verabschiedeten Bedarfspla-nes so beschlossen. Die Umsetzung, etwa die jährlicheDotierung der Maßnahmen und die Festlegung des jewei-ligen Baubeginns, bleibt den Bund-Länder-Finanzie-rungsprogrammbesprechungen vorbehalten.Die Schienenwegeinvestitionen als Schwerpunkt desZukunftsinvestitionsprogramms umfassen circa 40 000Ein-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 200116836
zelmaßnahmen zur Netzsanierung, verteilt auf 22 Netzre-gionen. Die Aufstockung der Investitionsmittel dientinsbesondere der Sanierung und Modernisierung desOberbaus: Langsamfahrstellen sollen abgebaut, Leit- undSicherungstechniken erneuert sowie Brücken- und Tun-nelbauten instand gesetzt werden. Darüber hinaus erlau-ben es die zusätzlichen Mittel, im Bau befindliche Vorha-ben des Bedarfsplans Schiene zügiger fortzusetzen. Dabeisetzt die DBAG als selbstständiges Unternehmen die vomBund bereitgestellten Investitionsmittel weitgehend ei-genverantwortlich ein.
Zusatzfrage eins.
Bitte sehr, Herr Kollege Dehnel.
Frau Staatssekretä-
rin, ich habe Sie ganz konkret gefragt, inwieweit der Bund
Einfluss auf die Prioritätensetzung bei der Umsetzung
dieser Mittel nimmt, ob Sie zum Beispiel konkret Einfluss
darauf nehmen, welche Umgehungsstraßen in Sachsen
gebaut werden können oder ob das Land selbst festlegt,
welche Prioritäten dort zu setzen sind.
D
Herr Kollege Dehnel, ich
hatte Ihnen gesagt, dass wir schon 125 namentlich be-
nannte Ortsumgehungsprojekte konkret definiert haben.
Zu denen gehören natürlich auch einige in Sachsen. Was
die Investitionen im Schienenbereich anbelangt, kommt
es – wie ich Ihnen eben abschließend auf Ihre Frage sagte
– auf die von der DB AG in eigener Verantwortung vor-
zuschlagenden Maßnahmen an. Das haben wir nicht kon-
kret festgelegt. Aber bei Ortsumgehungen gibt es 125 fest-
gelegte Projekte.
Nun kommt die
Frage 9 des Kollegen Dehnel:
Wie viele Mittel wurden bzw. werden für welche Projekte im
Freistaat Sachsen bewilligt?
D
Herr Kollege Dehnel, im
Ortsumgehungsprogramm sind im Freistaat Sachsen fol-
gende Maßnahmen mit einem Volumen von insgesamt
150 Millionen DM zusätzlich zu den ohnehin eingeplan-
ten Mitteln in Höhe von 187Millionen DM aus den schon
bestehenden Hauptbautiteln konkret vorgesehen: B 180
Ortsumgehung Stollberg, B 95 Ortsumgehung Borna,
B 101 Ortsumgehung Meißen, zweiter Bauabschnitt, A17
Ortsumgehung Dresden-Kesselsdorf, B 173 Ortsumge-
hung Mylau, B 92 Ortsumgehung Oelsnitz im Vogtland
und B 6 zwischen A 14 und Gerichshain, zweiter Bauab-
schnitt. Vier substanzerhaltende Brückenmaßnahmen
sind vorgesehen, unter anderem an der Friedensbrücke in
Plauen.
Zu den Schienenwegeinvestitionen kann ich noch
keine Aussagen machen. Das bezieht sich natürlich auf
Sachsen genauso wie auf das gesamte Bundesgebiet. De-
tailplanungen der DBAG sind nicht vor Mitte dieses Jah-
res zu erwarten.
Erste Zusatzfrage,
bitte sehr.
Ich möchte eine
Frage zur Höhe der Mittel stellen. Wird es aufgrund der
vorliegenden Haushaltslage irgendwelche Einschränkun-
gen geben – zum Beispiel wollen das Verteidigungsminis-
terium und das Verbraucherschutzministerium zusätzli-
che Mittel haben – oder sind die einmal festgelegten
Summen sichergestellt?
D
Diese Summen sind si-
chergestellt. Sie können ganz allgemein auf die Verläss-
lichkeit der Haushaltspolitik dieser Bundesregierung ver-
trauen.
Zweite Zusatzfrage.
Inwieweit war der
Bund an der Prioritätensetzung der von Ihnen soeben vor-
genommenen Aufzählung beteiligt? Inwieweit war das
Land einbezogen? Haben beide zusammengearbeitet?
D
Die Länder waren insofern
einbezogen, als sie die Maßnahmen im Rahmen des Bun-
desverkehrswegeplans natürlich schon vorher – mit Prio-
rität – angemeldet hatten. Wegen der beschränkten zur
Verfügung stehenden Mittel war die Umsetzung der Bau-
vorhaben bisher nicht vorgesehen, weil einfach nicht
genügend Geld da war. Mit dem zusätzlichen Geld – es ist
eine Menge; in Sachsen stehen, das ist sozusagen das ori-
ginäre Geld, 187 Millionen DM zur Verfügung und
150Millionen DM kommen dazu; das ist zwar nicht ganz,
aber fast eine Verdoppelung des originären Betrages –
kann einiges mehr gemacht werden.
Anhand der sowieso vorgelegten Prioritätenliste wer-
den die Vorhaben nun rascher abgearbeitet; insofern wa-
ren die Länder beteiligt. Selbstverständlich konnten in das
Ortsumgehungsprogramm – schließlich soll es rasch wir-
ken – nur diejenigen Maßnahmen aufgenommen werden,
für die das Planfeststellungsverfahren vollständig abge-
schlossen war.
Nun rufe ich die
Frage 10 des Kollegen Klaus Hofbauer auf:
Welche Chancen sieht die Bundesregierung zu einer verstärk-
ten Rückverlegung der Regionalpolitik bzw. Regionalförderung
von der EU-Ebene in die nationalen Zuständigkeiten?
Frau Staatssekretärin, bitte.
D
Herr Kollege Hofbauer,mit der Vorlage des zweiten Berichts der Europäischen
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 2001
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks16837
Kommission über den wirtschaftlichen und sozialenZusammenhalt am 31. Januar 2001 ist die Diskussion überdie Zukunft der europäischen Strukturpolitik in einer er-weiterten Europäischen Union von 27 Mitgliedstaatennach 2006 angelaufen. Im Rahmen dieser Diskussionspielt auch die stärkere Rückverlegung von Kompetenzenim Bereich der Regionalförderung auf die nationaleEbene für die Bundesregierung eine wichtige Rolle.Eine genauere, dem Subsidiaritätsprinzip entspre-chende Kompetenzabgrenzung zwischen der EU und denMitgliedstaaten ist auch Thema der durch den Europä-ischen Rat in Nizza eingeleiteten Debatte über die Euro-päische Union. Die Meinungsbildung dazu in den anderenMitgliedstaaten hat allerdings gerade erst begonnen.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege? – Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin,
Sie wissen, dass im Rahmen der Verhandlungen nach Niz-
za auch ein Programm zur Förderung der Regionen in den
Beitrittsländern aufgelegt werden soll. Dieses Programm,
so wird von der EU signalisiert, soll nicht mit zusätzlichen
EU-Geldern ausgestattet werden. Können Sie sich vor-
stellen, dass in unserer Republik die Voraussetzungen ge-
geben sind, um ein solches Programm mit nationalen Mit-
teln auszustatten? Zum Beispiel ist geplant, die GA
aufzustocken bzw. zusätzliche Mittel zur Verfügung zu
stellen. Reichen die Vorgaben der EU aus, um dieses Pro-
gramm mit Leben zu erfüllen? Schließlich wird es ohne
zusätzliches Geld nicht umsetzbar sein.
D
Herr Kollege Hofbauer, es
gibt unter den mittlerweile 15 Mitgliedstaaten der Euro-
päischen Union eine schlüssige Verständigung darüber,
dass die Obergrenze der europäischen Mittel – 1,27 Pro-
zent des Bruttoinlandsproduktes der Europäischen Union –
nicht überschritten werden wird. Natürlich wächst das
Bruttoinlandsprodukt mit; insofern sind die 1,27 Prozent
eine dynamische Größe. Selbstverständlich ist es so, dass
Länder auf die ihnen bis dahin zugeflossenen Strukturför-
dermittel – teilweise oder vollständig – werden verzichten
müssen, wenn im Zuge des Beitrittsprozesses weitere
Länder zur Europäischen Union hinzustoßen.
Das Wesen der Europäischen Union ist, dass diejeni-
gen Länder, die Mitglied der Europäischen Union sind
oder werden, gleichsam an den Durchschnitt der Lebens-
verhältnisse in der Europäischen Union herangeführt wer-
den. Das bedeutet: Wenn jemand schon länger dabei ist
und diesen Durchschnitt bereits erreicht hat, dann wird er
in Zukunft auf Strukturfördermittel verzichten müssen,
weil diese in die neuen Mitgliedstaaten fließen müssen.
Eine weitere Zusatz-
frage? – Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin,
ich möchte nachfragen. Es geht darum, dass nationale
Programme ausgebaut werden müssen, um diese Pro-
gramme für die Länder entlang der Grenze zu den Bei-
trittsländern mit Leben zu erfüllen. Es wird ja in Kürze ein
erster Entwurf vorgelegt, wie dieser Beschluss von Nizza
umgesetzt werden soll. Das hat zur Folge, dass verstärkt
nationale Gelder eingesetzt werden müssen, wenn EU-
Gelder nicht zur Verfügung stehen.
D
Sie haben gerade schon die
Bedingung „wenn EU-Gelder nicht zur Verfügung ste-
hen“ genannt. Sie wissen natürlich, dass die Regionen, die
jetzt noch an der Außengrenze der Europäischen Union
liegen – beispielsweise Teile des Freistaates Sachsen und
des Freistaates Bayern oder Teile von Brandenburg und
Mecklenburg-Vorpommern –, in neue Förderprogramme
aufgenommen werden, die es bis jetzt noch nicht gab, weil
die so genannten Interreg-Fördermittel – das sind Mittel
aus einem EU-Förderprogramm – zielgerichtet gerade in
den Regionen eingesetzt werden, wo nach der Erweite-
rung eine neue Binnengrenze entsteht. Ich kann also im
Vorhinein nicht sagen, ob Ihre Vermutung richtig ist, dass
dann EU-Mittel nicht zur Verfügung stehen.
Im Übrigen mag es so sein, dass zum Beispiel im Rah-
men der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der re-
gionalen Wirtschaftsstruktur Schwerpunkte der Förde-
rung verlagert werden müssen. Dies bleibt aber dem
Planungsausschuss des Bundes und der Länder zur Ver-
teilung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe vorbe-
halten.
Die Frage 11 wird
schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums der Finanzen. Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft. Der Parlamentarische Staatssekretär
Dr. Gerald Thalheim steht zur Beantwortung der Fragen
zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 12 des Kollegen Helmut Heiderich
auf:
Wann beabsichtigt die Bundesregierung entsprechende recht-
liche Regelungen zur Feststellung eines Schwellenwertes für den
zufälligen Besatz von konventionellem Saatgut mit GVO-Be-
standteilen zu
schaffen vor dem Hintergrund der jährlich wieder neu aufflam-
menden Debatten um die angebliche „Verunreinigung von Saat-
gut“ sowie in Befolgung der Empfehlungen der Wissenschaftler
in dem Sachstandsbericht des Büros für Technikfolgenabschät-
zung „Risikoabschätzung und Nachzulassung-Monitoring
transgener Pflanzen“ vom November des Jahres 2000?
Herr Staatssekretär, bitte.
Dr
Sehr geehrter Herr Kollege Heiderich,die saatgutrechtlichen Regelungen bieten ebenso wie dasGentechnikrecht derzeit national keinen Spielraum, Tole-ranzwerte für Verunreinigungen von Saatgut mit gentech-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 2001
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks16838
nisch veränderten Organismen, so genannten GVOs, fest-zulegen. Dafür müssen zunächst auf europäischer Ebenedie Voraussetzungen im Saatgutbereich geschaffen undim Rahmen der novellierten Freisetzungsrichtlinie ent-sprechende Durchführungsvorschriften zur Festlegungvon Schwellenwerten für die Kennzeichnung erlassenwerden.Die Kommission hat aktuell für den Bereich des Saat-gutrechts ein inoffizielles Arbeitspapier vorgelegt, das To-leranzwerte für Verunreinigungen mit in der EU zugelas-senen Konstrukten enthält. Unter Berücksichtigung desSchwellenwertes bei Novel Food, der 1 Prozent beträgt,wurde für Selbstbefruchter, wie zum Beispiel Mais, einWert von 0,5 Prozent und für Fremdbefruchter, wie zumBeispiel Raps, ein Wert von 0,3 Prozent vorgeschlagen.Derzeit ist nicht absehbar, wann die Kommission einenoffiziellen Regelungsvorschlag unterbreiten wird. SobaldVorschläge hierzu vorliegen, wird die Bundesregierungnach sorgfältiger Prüfung ihre Haltung festlegen.Für in der EU nicht zugelassene Konstrukte sieht dasKommissionspapier entsprechend der geltenden Rechts-lage keine Toleranzwerte vor. Daraus ergibt sich vor allembei der Einfuhr von Saatgut eine besondere Problematik.Die in Schleswig-Holstein Ende April von der Umwelt-behörde Hamburg festgestellten Verunreinigungen mitGVOs in zwei Maissaatgutpartien aus importiertem Saat-gut waren durch nicht zugelassene Konstrukte – wie zumBeispiel in einer Probe durch das Konstrukt Bt 176, des-sen gentechnikrechtliche Genehmigung auf Forschungs-und Beobachtungszwecke beschränkt ist – verursachtworden. Ein unmittelbarer Bezug der Festsetzung vonSchwellenwerten zu dem in der Frage erwähnten Sach-standsbericht des Büros für Technikfolgenabschätzungwird nicht gesehen.
Zusatzfrage? – Bitte
sehr, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär,
hat die Bundesregierung eigene Bemühungen in Form
von wissenschaftlichen Gutachten oder anderen Überle-
gungen zu dem Thema „Schwellenwerte“ unternommen,
um dieses in die Diskussion auf der europäischen Ebene
mit einzubringen?
Dr
In dieser Richtung wurde bisher nichts
unternommen. Es gibt an der Stelle auch keinen Hand-
lungsbedarf; denn wie in meiner Antwort dargestellt, ist
die entscheidende Frage: Handelt es sich überhaupt um
Konstrukte, die in der Europäischen Union zugelassen
sind? Das Problem bei dem Fall in Schleswig-Holstein
besteht ja am Ende darin, dass es sich um Konstrukte, also
gentechnisch veränderte Organismen, handelt, für die es
in der Europäischen Union und auch in der Bundesrepu-
blik Deutschland überhaupt keine Zulassung gibt. Des-
halb kann die Forderung nur lauten, gar keine Toleranz
zuzulassen.
Zusatzfrage zwei.
Sie haben eben da-
von gesprochen, dass es auf der europäischen Ebene den
Entwurf für eine Durchführungsrichtlinie gibt. Hat die
Bundesregierung die Absicht, diese Durchführungs-
richtlinie, wenn sie denn verabschiedet ist, sofort in na-
tionales Recht umzusetzen?
Dr
Wie ich in meiner Antwort dargestellt
habe, muss die Richtlinie erst einmal auf dem Tisch lie-
gen. Dann wird die Bundesregierung dazu Position bezie-
hen. Ich gehe davon aus, dass wir dann, wenn es zu einer
Verabschiedung auf europäischer Ebene kommt, auch
sehr schnell eine entsprechende Verordnung in Deutsch-
land erlassen werden, weil es natürlich auf diesem Ge-
biet – das zeigen die Vorgänge in Schleswig-Holstein –
Handlungsbedarf gibt.
Nun kommt die
Frage 13 des Kollegen Helmut Heiderich:
Hat die Bundesregierung für die Beurteilung der Frage, ob ein
Saatgut „verunreinigt“ ist oder nicht, bereits entsprechende Ver-
fahren der Probenahme und der Analyse festgelegt und für eine
objektive Ergebnisermittlung entsprechende Referenzlabors aner-
kannt, oder wann beabsichtigt sie dieses zu tun vor dem Hinter-
grund der Tatsache, dass verschiedene Proben derselben Partien
von Saatgut einmal keinerlei „Verunreinigungen“, ein andermal
Geringstspuren aufgezeigt haben und somit die Ergebnisse stark
vom Zufall abhängig sind und sich im Bereich der Nachweis-
grenze bewegen?
Herr Staatssekretär, bitte.
Dr
Herr Kollege Heiderich, die Überwa-chung der Bestimmungen des Gentechnikrechts ist nach§ 25 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der GentechnikAufgabe der Länder. Im Rahmen dieser Überwachungs-tätigkeit ist die Analyse von Stichproben zum Nachweisgentechnischer Veränderungen sowie zur Charakterisie-rung und Identifizierung von gentechnisch verändertenOrganismen unverzichtbar. Zurzeit steht hierfür nur einbegrenztes Spektrum an standardisierten Untersuchungs-verfahren zur Verfügung. Dies trifft insbesondere fürquantitative Analysen zu und erschwert insoweit eineAussage über den Grad der Verunreinigung.Die Länderbehörden arbeiten bei der Methodenent-wicklung zusammen. Die Erfahrungen aus der Lebens-mittelüberwachung und die für diesen Bereich bereits eta-blierten Methoden werden dabei auch für den Vollzug desGentechnikrechts genutzt. Um bei den Untersuchungenvon konventionellem Saatgut auf Verunreinigungen mitGVOs möglichst vergleichbare Ergebnisse erreichen zukönnen, wird ein einheitliches methodisches Vorgehenin den Ländern angestrebt. Hierzu wurde ein Konzeptfür ein einheitliches Vorgehen bei der experimentellengentechnischen Überwachung von GVO-Anteilen in
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Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim16839
konventionellem Saatgut entwickelt. Die für das Gen-technikrecht zuständigen Länderbehörden werden bei derÜberwachung von den für das Saatgutrecht zuständigenLänderdienststellen unterstützt. So wird die Probenahmein der Regel von den Saatgutverkehrskontrollstellen nachder Probenehmer-Richtlinie der Arbeitsgemeinschaft fürlandwirtschaftliches Saat- und Pflanzgut in Amtshilfevorgenommen.Referenzlabors wurden bislang noch nicht eingerich-tet. Aus Sicht der Bundesregierung empfiehlt es sich,diesbezüglich auch die Ergebnisse und Empfehlungen dervon der Kommission eingesetzten Arbeitsgruppe „Metho-den zum Nachweis von Verunreinigungen durch gentech-nisch veränderte Organismen in konventionellem Saat-gut“ abzuwarten.
Alles klar? – Zusatz-
frage eins, bitte sehr.
Herr Staatssekretär,
habe ich Sie richtig verstanden, dass die Bundesregierung
derzeit nicht die Absicht hat, solche einheitlichen stan-
dardisierten Verfahren zu entwickeln, und sich auch nicht
an der Entwicklung beteiligt?
Dr
Sie interpretieren meine Aussage falsch.
Zuständig sind die Länder. Das ist als Erstes festzuhalten.
Die Länder bemühen sich gegenwärtig in Arbeitsgruppen,
sich auf einen einheitlichen Standard bei den Analyseme-
thoden, dem Probenahme-Verfahren und am Ende auch
der Einrichtung von Referenzlabors zu verständigen.
Natürlich stellen an der Stelle die ungeheure Dynamik der
Entwicklung und die Schwierigkeit, im Grenzbereich
– davon reden wir ja, denn die Nachweisgrenze beträgt
0,1 Prozent – quantitative Aussagen über die Verunreini-
gung mit GVOs machen zu können, Probleme dar.
Zusatzfrage zwei.
Habe ich Sie eben
richtig verstanden, dass Sie in Ihren Ausführungen erklärt
haben, dass die bisherigen Verfahren nicht als standardi-
sierte Verfahren bezeichnet werden können und die bis-
herigen Ergebnisse doch sehr stark davon abhängig wa-
ren, wo sie gerade erhoben bzw. welche Verfahren
durchgeführt worden sind?
Dr
Das Problem – so ist meine Antwort zu
verstehen – stellt sich insbesondere für die quantitative
Analyse. Bei dem Fall in Schleswig-Holstein, der die Dis-
kussion ausgelöst hat, ging es um die Frage, ob überhaupt
Konstrukte in dem Saatgut vorhanden waren, also nicht
um eine quantitative Aussage, sondern um die Frage des
Ob. Dafür sind die Methoden vorhanden. Hier war eine
zweifelsfreie Aussage möglich. Aber ich wiederhole: Das
Bemühen der Länder ist, zu einer Vereinheitlichung der
Verfahren und vor allem der Probenahmen zu kommen,
was insbesondere bei der Probenahme nicht schwierig ist,
da das Saatgutverkehrsgesetz vorgibt, wie so etwas zu er-
folgen hat.
Vielen Dank, Herr
Staatssekretär Thalheim.
Die Fragen 14 und 15 werden schriftlich beantwortet.
Damit haben wir die Fragen zu Ihrem Geschäftsbereich
abgearbeitet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht
die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Schulte zur
Verfügung.
Die Fragen 16, 17, 18 und 19 werden schriftlich beant-
wortet.
Ich rufe nun die Frage 20 des Kollegen Wolfgang
Gehrcke auf:
Warum hat der Bundesminister der Verteidigung, Rudolf
Scharping – wie aus einem Artikel in der „Frankfurter Allgemei-
nen Zeitung“ vom 22. März 2001 zu schlussfolgern ist –, einen
Antrag auf einstweilige Verfügung gegen die WDR-Sendung „Es
begann mit einer Lüge“ vom Februar 2001 zurückgezogen?
Frau Staatssekretärin, bitte.
B
Herr Kollege Gehrcke, die kri-
tische öffentliche Reaktion auf den Film des WDR hat ge-
zeigt, dass die notwendige Auseinandersetzung auf breiter
Ebene stattgefunden hat. Rechtliche Schritte wären des-
halb nach Einschätzung des Bundesministeriums der Ver-
teidigung weniger hilfreich gewesen, zumal Bundesmi-
nister Scharping als Person nicht antragsberechtigt war.
Zusatzfrage, Herr
Kollege.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Staatssekretärin,
zunächst freue ich mich, dass Sie die Fragen beantworten.
Könnten Sie mir Auskunft geben, in welchem Umfang
Rechtsanwaltskosten für die Prüfung, ob eine einstweilige
Verfügung beantragt wird oder nicht, entstanden sind und
wer die Kosten letztendlich tragen muss – der Steuer-
zahler über den Haushalt oder wer?
B
Herr Kollege Gehrcke, es
sollte Ihnen bewusst sein, dass sich unter den 137 000 zi-
vilen Mitarbeitern der Bundeswehr ein nicht unbeträcht-
licher Teil an Juristen befindet. Über Kosten, die außer-
halb des Hauses angefallen sind, ist mir nichts bekannt.
Noch eine Zusatz-frage, bitte sehr.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 2001
Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim16840
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dann kann ich davon aus-
gehen, dass die Informationen, die mir zugänglich ge-
macht worden sind, nämlich dass 15 000 DM Rechtsan-
waltskosten und über 100 000 DM Recherchekosten
angefallen sind, nicht richtig sind?
B
Das kann ich mir überhaupt
nicht vorstellen. Aber ich bin sehr gern bereit, das zu prü-
fen, wenn Sie mir Ihre Quelle nennen. Dann können wir
auch feststellen, wer diese Zahl entdeckt hat.
Nun kommt die
Frage 21 des Kollegen Gehrcke:
Auf welche Art hat die Bundesregierung im Zusammenhang
mit dieser Sendung eigene Recherchen angestellt?
Frau Staatssekretärin, bitte.
B
Herr Kollege, es dürfte auch
Ihnen nicht verborgen geblieben sein, dass am Anfang des
Kosovo-Konflikts leider schwerste Menschenrechtsver-
letzungen durch die jugoslawischen Sicherheitskräfte auf
Weisung des damaligen Präsidenten Milosevic standen,
die über Jahre hinaus ausgeführt wurden und Anfang 1999
ihren Höhepunkt fanden. Sie wissen auch genau, dass ge-
rade in der fraglichen ARD-Sendung die Bilder ausge-
spart worden sind, die den Beweis dafür erbracht haben
– deswegen auch die Empörung über den Bericht – und
die letzten Endes auch dazu geführt haben, dass nicht nur
die Bundesrepublik Deutschland, sondern auch andere
Staaten ein militärisches Eingreifen für notwendig hiel-
ten, um nicht noch größere Menschenrechtsverletzungen
zuzulassen.
Zusatzfrage, bitte
sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Staatssekretärin,
das, was Sie mir geantwortet haben, ist mir, einschließlich
des Falles von Menschenrechtsverletzungen, für die das
Regime Milosevic verantwortlich gewesen ist, durchaus
bekannt. Danach hatte ich nicht gefragt. Was ich kenne,
muss ich nicht unbedingt erfragen. Ich hatte gefragt, ob im
Zusammenhang mit dem Filmbericht spezielle Recher-
chen im Kosovo vorgenommen worden sind.
B
Vor dem Filmbericht hat sich
die Bundesregierung im Rahmen ihrer Entscheidung, die
sie auch dem Bundestag vorgelegt hat, sorgfältig über die
Lage im Kosovo informiert. Ich könnte Ihnen jetzt in der
Tat eine ganze Reihe von Fakten nennen, die Sie auch
kennen. Ich weiß das, deswegen tue ich das nicht. Diese
Ereignisse beginnen bereits vor 1999. Dies ist auch der
Vorwurf an die Sendung, dass sie all diese nachgewiese-
nen Fakten ausgespart hat. Deswegen mussten wir nicht
anschließend noch eigene Recherchen anstellen. Wir
wussten ja, angesichts welcher Fakten es zu dieser Ent-
scheidung gekommen ist. Ich bin sehr gern bereit, Ihnen
das alles noch einmal vorzutragen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bedanke mich
nochmals – man wird ja auch dadurch klüger, dass Sachen
wiederholt werden –, dass Sie nur das wiederholen, was
mir schon bekannt ist, was uns allen hier bekannt war. Ich
hatte aber gezielt nach Recherchen im Zusammenhang
mit dem Filmbericht gefragt. Wenn Sie sagen, die Bun-
desregierung habe gar nicht erst recherchieren müssen,
weil sie schon alles gewusst habe, frage ich mich, warum
Sie sich nicht deutlicher und klarer, auch unter Nutzung
aller rechtlichen Möglichkeiten, mit dem Filmbericht aus-
einander gesetzt haben.
Herr Kollege, das ist
jetzt eher eine Intervention; außerdem ist es schon Ihre
dritte Frage und damit ohnehin an der Grenze.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Entschuldigung. – Meine
Frage: Gab es nach Erscheinen des Filmberichtes gezielt
spezielle Recherchen?
B
Der Filmbericht hat nicht nur
das Bundesverteidigungsministerium entsetzt. Ich habe
ihn zufällig an dem Abend gesehen. Ich muss sagen: Bei
einer so einseitigen Darstellung brauchten wir, nach all
den Erfahrungen, die wir gemacht haben, im Grunde
keine zusätzlichen Recherchen, um festzustellen, dass
hier einwandfrei Manipulation betrieben worden ist.
Nun gehöre ich zu jenen langjährigen Abgeordneten,
die der Meinung sind, dass wir es in einer freien Gesell-
schaft ertragen können, wenn Medien Falschdarstellun-
gen vornehmen. Aber in diesem Fall war die Empörung so
groß, weil immerhin auch eine ganze Reihe von Soldatin-
nen und Soldaten aus der Bundesrepublik Deutschland
geholfen hatten, den Konflikt wieder einzuschränken.
Das sollten wir bei der ganzen Diskussion um diesen
Film nicht vergessen: Innerhalb der Sendung ist ein Zu-
sammenhang dargestellt worden, der meiner Meinung
nach nicht korrekt war. Dass sich das Verteidigungs-
ministerium daraufhin geäußert hat – es haben sich Gott
sei Dank auch eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen
des Hohen Hauses dazu geäußert –, halte ich für richtig
und notwendig. Auf der anderen Seite empfehle ich uns
immer eine größere Gelassenheit im Umgang mit den Me-
dien. Ich glaube, die Bürger sind in der Beurteilung sehr
viel klüger.
Herr Kollege Erler
hat eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, könnenSie bestätigen, dass dem Bundesverteidigungsministe-rium eine ganze Reihe von Aussagen, zum Teil an Eidesstatt geleistet, vorliegen, aus denen hervorgeht, dass die
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 2001 16841
Zeugen entweder falsch wiedergegeben werden oder dasssie mit Äußerungen zitiert werden, ohne dass parallel ge-machte Äußerungen, die der wiedergegebenen Äußerungwidersprechen, erwähnt werden, und dass in diesem Filmauch aus dem Zusammenhang gerissene Teile von Inter-views mit ihnen auftauchen?B
Herr Kollege Erler, das will ich
Ihnen ausdrücklich bestätigen. Es ist positiv, dass sich ei-
nige sofort von sich aus gemeldet haben, weil sie über das,
was in dem Filmbericht dargestellt worden ist, relativ ent-
setzt waren; denn sie wollten ja eigentlich helfen.
Damit kommen wir zu
Frage 22 des Kollegen Werner Siemann nach der Studier-
fähigkeit bzw. -eignung von Offiziersanwärtern:
Wie vielen Offiziersanwärtern wurde in den letzten drei Jah-
ren durch die Offizierprüfzentrale eine uneingeschränkte Studier-
fähigkeit, eine eingeschränkte Studierfähigkeit und keine Studien-
eignung attestiert und wie viele dieser Offiziersanwärter wurden
zum Studium zugelassen?
B
Herr Kollege Siemann, die un-
terschiedlichen Offiziersverwendungen sehen überwie-
gend einen Ausbildungsgang mit Studium, für bestimmte
Bewerbergruppen und Verwendungen aber auch ohne
Studium vor. Sie selbst wissen, dass wir vor allen Dingen
jene länger – zwölf Jahre – dienenden Zeitsoldaten bzw.
diejenigen, die Berufsoffiziere werden wollen, nach Mög-
lichkeit mit einem abgeschlossenen Hochschulstudium
einstellen bzw. sie dieses Studium bei uns erhalten sollen.
Die Offiziersbewerberprüfzentrale hat jedes Jahr circa
10 000 Offiziersbewerbungen. Von diesen eignen sich
80 Prozent allein daher, dass sie den formalen Abschluss
des Abiturs haben.
Dennoch haben wir in der Offiziersbewerberprüfzen-
trale die Erfolgswahrscheinlichkeit dieser Bewerber in
den gewünschten Studiengängen geprüft. Dabei unter-
scheiden wir drei Stufen: Die erste Stufe umfasst die Emp-
fohlenen, von denen wir glauben, dass sie nicht nur die
Offiziersausbildung, sondern auch das Studium erfolg-
reich abschließen können. In der zweiten Stufe sind die
mit Einschränkung Empfohlenen; die Bewerber in der
dritten Stufe werden nicht empfohlen, was ein bisschen
problematisch ist, wenn sie das Abitur haben.
Die Feststellung, dass trotz vorhandener Bildungsvo-
raussetzungen „keine Studieneignung“ vorliegt, wird aber
nicht getroffen. Es wird nur gesagt: nicht empfohlen. Die
Kategorisierung wird vorgenommen, um in Verbindung
mit der allgemeinen Offizierseignung Entscheidungskri-
terien für die Vergabe begrenzter Studienkapazitäten zu
haben.
In den letzten drei Jahren wurden im Ausbildungsgang
mit Studium für den Truppen- und Sanitätsdienst einge-
stellt:
1998: 1 643 Offiziersanwärter, Frauen und Männer.
Davon hatten 622 die Studienempfehlung Stufe 1, 1 021
Stufe 2, also mit Beschränkung empfohlen.
Im Jahr 1999 hatten wir eine ähnliche Zahl, nämlich
1 649 Offiziersanwärter. Davon hatten 483 Offiziersan-
wärter die Studienempfehlung Stufe 1, 1 110 Stufe 2 und
56 Stufe 3. Letztgenannte sind aber diejenigen, die wahr-
scheinlich nicht für ein Studium infrage kommen.
Im Jahr 2000 hatten wir 1 681Offiziersanwärter, davon
mit Studienempfehlung, also mit Stufe 1, 430, mit Stufe 2
1 122 und mit Stufe 3 129.
Eine Nachfrage des
Kollegen Siemann.
Frau Staatssekretärin,
die Zahlen, die Sie genannt haben, lassen erkennen, dass
sich die Anzahl derjenigen, die der Stufe 3 angehören, er-
höht hat. Kann man davon ausgehen, dass diesen Soldaten
aufgrund von Bewerberengpässen vermehrt eine Studien-
eignung zuerkannt werden wird, obwohl man weiß, dass
sie für ein Studium nicht qualifiziert sind?
B
Als mir Ihre schriftlich einge-
reichte Frage und die entsprechende Antwort vorgelegt
wurden, habe ich genau die gleiche Frage gestellt und
habe dann zu meinem Interesse gehört, dass die Art und
Weise der Beurteilung, ob diese Soldaten wirklich ein
Studium abschließen können, im Rahmen der Studien-
empfehlung überarbeitet wird. Ich habe gefragt: Tut ihr
das, weil ihr nicht mehr genügend entsprechend qualifi-
ziertes Personal bekommt? Darauf wurde geantwortet:
Nein, sondern deshalb, weil die Beurteilungskriterien da-
hin gehend, wer den Hochschulabschluss wirklich schaf-
fen will, erst jetzt erarbeitet worden sind. – Ich bin sehr
gespannt auf die zukünftige Entwicklung. Herr Kollege,
ich bin gerne bereit, Sie darüber zu unterrichten.
Unter diesen 129 Offiziersanwärtern sind auch Perso-
nen, von denen wir glauben, dass sie als Zeitsoldaten für
ein Studium geeignet sind, die aber kein Interesse daran
haben, ein Studium abzuschließen. Da muss man abwar-
ten.
Ich habe ähnlich wie Sie gefragt, ob es nicht genug Of-
fiziersanwärter mit Studieneignung gibt. Da wurde geant-
wortet: Nein, es gibt ja in der Stufe 2 1 222 Offiziersan-
wärter; da sind wir in der Beurteilung hinsichtlich der
Studieneignung vorsichtiger. Damit haben wir eine aus-
reichende Zahl; denn wir brauchen in jedem Jahr etwa
1 400. – Bei den anderen handelt es sich, wenn Sie so wol-
len, um Personen, die ganz gezielt auf ein Studium ver-
zichten.
Eine zweite Nach-
frage des Kollegen Siemann.
Frau Staatssekretärin,Sie hatten zu Beginn Ihrer Ausführungen, wenn ich dasrichtig in Erinnerung habe, von 10 000 Bewerbern proJahr gesprochen. Haben Sie konkrete Erkenntnisse dahingehend, dass diese Bewerberzahlen in den vergangenen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 2001
Gernot Erler16842
Jahren deutlich zurückgegangen sind, und gibt es eine Be-gründung dafür?B
Das habe auch ich mich ge-
fragt, als ich die Ergebnisse gesehen habe. Ich will Ihnen
ja, wie Sie wissen, eine vernünftige Auskunft geben.
Nein, auch das ist nicht zutreffend. Um Ihnen noch
weiter entgegenzukommen, habe ich mir einmal die Zah-
len der Jahre von 1991 bis 1999/2000 angesehen und da-
bei festgestellt, dass es hinsichtlich der Einstellung Un-
terschiede gibt. Einen Tiefstand an Offizierseinstellungen
haben wir zum Beispiel in den Jahren 1993 und 1994 ge-
habt. Da erfolgte ja die Auflösung der Armee der ehema-
ligen DDR bzw. die Zusammenführung der beiden Ar-
meen und da bestand die Frage, wie groß der Bedarf ist.
Den höchsten Bedarf haben wir interessanterweise 1997
gehabt, und zwar deshalb, um die früheren niedrigeren
Zahlen ein Stück auszugleichen.
Ich sehe da eigentlich eine Kontinuität. Denn wir hat-
ten im Jahre 1998 1 788, im Jahre 1999 1 825 und im
Jahre 2000 sogar 1 866 Offizierseinstellungen. Ein Rück-
gang der Bewerberzahlen ist also zum jetzigen Zeitpunkt
nicht festzustellen.
Ich verhehle allerdings nicht, dass ich wie Sie die
Sorge habe, dass ein solcher Rückgang aufgrund der bes-
seren wirtschaftlichen Bedingungen und der schwächeren
Geburtenjahrgänge drohen kann. Aber es gibt dafür kei-
nen Nachweis. Das kann ich nach den Nachforschungen,
die ich extra betrieben habe, feststellen.
Damit kommen wir
zur Frage 23 des Kollegen Siemann, zur Frage nach dem
Sachstand hinsichtlich der Einführung der Softwarepro-
gramme in die Bundeswehr:
Wie ist der Sachstand hinsichtlich der Einführung der Soft-
wareprogramme SAP/SASPF in die Bundeswehr, und wie ist der
Sachstand einer möglichen Übernahme von Teilprojekten des IT-
Direktors bzw. des IT-Amtes durch die Gesellschaft für Entwick-
lung, Beschaffung und Betrieb?
Bitte schön.
B
Herr Präsident, nicht des Bun-
destages.
Ich habe gesagt: in die
Bundeswehr.
B
Ja, das ist richtig. Ich habe ja
nur daran gedacht, dass wir das alles auch einmal im Bun-
destag ändern sollten.
Herr Kollege Siemann, die Strategie der Einführung
für eine Produktfamilie einer Standardanwendungssoft-
ware – das, Herr Präsident, war der Grund dafür, warum
ich an den Bundestag gedacht habe – für die Bundeswehr,
abgekürzt SASPF, in deren Zentrum die weltweit verbrei-
tete betriebswirtschaftliche Standardsoftware SAP R/3
der Firma SAP AG steht, wurde durch die Leitung des
Bundesministeriums der Verteidigung am 31. Oktober
2000 gebilligt. Vorangegangen war dem ja die Tatsache,
dass so viele unterschiedliche Softwareentscheidungen
und -regelungen bestanden.
Die Realisierung wurde als Teil des Pilotprojektes „Be-
trieb von administrativen Rechenzentren der Bundeswehr
und Einführung von SASPF“ aus dem Rahmenvertrag
„Innovation, Investition und Wirtschaftlichkeit in der
Bundeswehr“ vom 15. Dezember 1999 angewiesen. Für
die Ausschreibung dieses Pilotprojektes, das zusammen
mit den Pilotprojekten „Herstellung eines leistungsfähigen
Kommunikations- und Datennetzes für die Bundeswehr“
und „Ausbau und Aufbau der IT-Liegenschaftsnetze“ ver-
geben werden soll, wird derzeit eine Leistungsbeschrei-
bung fertig gestellt. Der öffentliche Teilnahmewettbewerb
soll im nächsten Monat beginnen. Das Vergabeverfahren
soll im Jahr 2002 noch vor der parlamentarischen Som-
merpause abgeschlossen werden.
Intern wird zurzeit die Programmorganisation SASPF
aufgebaut, in der Bedarfsdecker, Bedarfsträger und Indus-
trie gemeinsam für die Umsetzung der fachlichen Anfor-
derungen der Nutzer und der Prozesse verantwortlich sein
werden. Daneben werden Vorarbeiten im Bereich des be-
trieblichen Rechnungswesens und der Datenkonzeption
durchgeführt sowie die für eine prozessorientierte Soft-
ware wie SAP R/3 erforderlichen Sollprozesse und fach-
lichen Abläufe definiert und für die Abbildung in SAPR/3
festgeschrieben. In ausgewählten Bereichen der Haupt-
prozesse Personal und Logistik werden darüber hinaus
unter Einbeziehung der Nutzer in verschiedenen Dienst-
stellen Erprobungen vorbereitet bzw. durchgeführt.
Entsprechend der gebilligten Vorhabenplanung wird
die erste Entwicklungsstufe SASPF, in der etwa 60 bis
70 Prozent der erforderlichen Funktionalitäten abgebildet
werden sein sollen, 2003 abgeschlossen und danach in
den Dienststellen eingeführt werden. Der Abschluss des
Gesamtprojektes – deswegen sage ich Ihnen das so aus-
führlich – ist bis 2007 vorgesehen.
Der Auftrag der Gesellschaft für Entwicklung, Be-
schaffung und Betrieb, kurz: GEBB, ist im Vertrag zwi-
schen dem Bundesministerium der Verteidigung und der
Gesellschaft vom 12. Dezember 2000 festgelegt. Danach
hat die GEBB im Geschäftsbereich IT kurzfristig „Vor-
schläge zur Optimierung der gesellschaftsrechtlichen
Konstruktion für den Betrieb der Liegenschafts- und
Weitverkehrsnetze, der IT-Rechenzentren und zur Ein-
führung von SAP R/3“ zu machen. Dieser Auftrag ist
weitgehend abgearbeitet.
Die Übernahme von Teilprojekten des IT-Direktors
bzw. IT-Amtes durch die GEBB ist nicht vorgesehen.
Kollege Siemann.
Ich habe eine Zusatz-frage zur GEBB, die hier angesprochen worden ist. Frau
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 2001
Werner Siemann16843
Staatssekretärin, trifft es eigentlich zu, dass die GEBBbisher durch den Verkauf von Teilen des Bundeswehr-krankenhauses Gießen Erlöse von 27 Millionen DM er-zielt hat, wobei dieser Verkauf nicht auf Aktivitäten derGEBB zurückzuführen ist, und diese Erlöse in Aktien an-gelegt worden sind?B
Herr Kollege Siemann, Sie haben
Ihre Frage eben selbst beantwortet. Nicht die GEBB, son-
dern die Bundesvermögensverwaltung hat das Kranken-
haus Gießen für 27 Millionen DM verkauft. Wie kann dann
die GEBB das Geld in Aktien anlegen? Das bekommen der
Finanzminister und der Verteidigungsminister für die wei-
teren Investitionen.
Hat die GEBB in kei-
nem Fall – das ist die zweite Frage –
Ja.
– Erlöse, die sie er-
zielt hat, in Aktien angelegt?
B
Es ist mir zu diesem Fall nichts
darüber bekannt, dass die Erlöse in Aktien angelegt wur-
den.
Wir kommen zum Ge-
schäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen.
Die Fragen 24 und 25 werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe Frage 26 auf – Kollege Peter Weiß fragt nach
der Tagesordnung des deutsch-französischen Gipfeltref-
fens am 12. Juni 2001 –:
Werden auf der Tagesordnung des deutsch-französischen Gip-
feltreffens am 12. Juni 2001 in Freiburg im Breisgau auch Themen
der deutsch-französischen Zusammenarbeit stehen, die die Re-
gion am Oberrhein unmittelbar betreffen, wie zum Beispiel die
Forderung nach einer rechtlichen Trinationalisierung des Euro-
Airports Basel-Mulhouse-Freiburg, die Verknüpfung des TGV
Rhin-Rhône und des TGVEuropéen Est mit dem deutschen Schie-
nennetz?
Bitte schön.
S
Sehr ge-
ehrter Herr Kollege Weiß, die Verknüpfung des TGV
Rhein-Rhone und des TGV Est mit dem deutschen Schie-
nennetz sowie die Trinationalisierung des Flughafens Ba-
sel-Mülhausen-Freiburg sind als Themen für das deutsch-
französische Gipfeltreffen am 12. Juni dieses Jahres nicht
vorgesehen.
Eine Nachfrage.
Herr
Staatssekretär, nachdem der Ministerpräsident des Landes
Baden-Württemberg, Erwin Teufel, und mehrere Land-
räte in schriftlicher Form sowie der Oberbürgermeister
der Stadt Freiburg und der Bürgermeister der Stadt Mul-
house auch in persönlicher Vorsprache am 11. April bei
Abteilungsleiter Steiner aus dem Bundeskanzleramt die
Bitte vorgetragen haben, dass die eben genannten Themen
Gegenstand der Besprechung auf dem deutsch-französi-
schen Gipfel am 12. Juni in Freiburg werden, möchte ich
Sie fragen: Sind denn diese Vorstellungen der Repräsen-
tanten des betreffenden Bundeslandes und der Region auf
so taube Ohren gestoßen, dass man es nicht für nötig be-
funden hat, wenigstens ein paar Minuten zur Erörterung
dieser regionalen Themen beim deutsch-französischen
Gipfel vorzusehen?
S
Sehr ge-
ehrter Herr Weiß, es hat eine Reihe von Anfragen im
Kanzleramt gegeben, die zum Ziel hatten, Themen, wie
Sie sie jetzt eben angesprochen haben, auf die Tagesord-
nung des deutsch-französischen Gipfeltreffens zu setzen.
Sie sind mit den Briefeschreibern ausführlich behandelt
worden. Dabei ist dargelegt worden, dass es der gegen-
wärtige Stand dieser Projekte nicht erlaubt, dies auf einer
dermaßen hohen Ebene zu bearbeiten.
Was die Frage der Verbindung der Hochgeschwin-
digkeitsnetze betrifft, so sind gegenwärtig Arbeitsge-
spräche zwischen der Deutschen Bahn und der SNCF im
Gange. Diese Gespräche sollen die Projekte nach vorn
bringen. Die Absichtserklärungen dafür liegen vor. Es
geht hierbei auch darum, diese Projekte in den neuen Bun-
desverkehrswegeplan aufzunehmen. Bevor solche Ent-
scheidungen nicht getroffen worden sind, lohnt sich ein
Gespräch auf dieser Ebene nicht.
Ähnlich verhält es sich mit dem Flughafen Basel-
Mulhouse-Freiburg. Wir unterstützen dieses Projekt.
Gleichwohl ist das Land Baden-Württemberg bis dato
nicht bereit, sich mit finanziellen Eigenbeteiligungen für
ein solches Projekt zu engagieren. Damit fehlen die Vo-
raussetzungen, auf einer solchen Ebene dieses Projekt zu
behandeln.
Eine zweite Nach-
frage.
HerrStaatssekretär, es besteht ja großes Verständnis dafür, dassein solcher deutsch-französischer Gipfel nicht nur in einerder Hauptstädte stattfindet, sondern auch einmal in einerGegend, die als besonders schöne und gottgesegneteLandschaft in Deutschland und europaweit bekannt ist.
Besteht bei der Bundesregierung nicht ein bestimmtesVerständnis dafür, bei einer solchen Gelegenheit zumin-dest eines der wichtigen regionalen Themen auf einemGipfel mitzubehandeln und mitzubesprechen? Angesichts
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Werner Siemann16844
der Tatsache, dass man sich in dieser Region zwischenBaden und Elsass seit Jahren um eine besonders inten-sive grenzüberschreitende Zusammenarbeit bemüht, istdas ein wichtiges Herzstück der deutsch-französischenFreundschaft, zumal zu dem Thema, das Sie eben selbstangesprochen haben, nämlich zur Verknüpfung der Hoch-geschwindigkeitszüge zwischen Deutschland und Frank-reich. Es sind schon sehr weit gehende und sehr lange an-dauernde Vorgespräche geführt worden. An und für sichsind die Sachverhalte relativ klar, auch die Entschei-dungsnotwendigkeit ist relativ klar, zu einer schnellerenRealisierung dieser Verknüpfung zu kommen, insbeson-dere was den TGV bei Strassburg/Kehl anbelangt.S
Sehr ge-
ehrter Herr Weiß, wir wissen die landschaftlichen Reize
und die wirtschaftliche Bedeutung der baden-württem-
bergischen Region im Allgemeinen und der Emmen-
dinger im Besonderen sehr wohl zu schätzen. Das ist ja ei-
ner der Gründe dafür, dass der Ort dieses Gipfeltreffens in
Ihre Region hinein verlagert wurde. Gleichwohl bitte ich
Sie um Verständnis dafür, dass sich die Tagesordnung die-
ses deutsch-französischen Gipfeltreffens an nationalen
Gesichtspunkten zu orientieren hat.
Sobald die Projekte, die Sie angesprochen haben, eine
Reife erreicht haben, dass es sich lohnt, auf dieser Ebene
darüber zu verhandeln, werden wir dies auch an anderen
Orten, an denen ein solches Gipfeltreffen stattfindet,
erörtern.
Danke schön.
Die Frage 27 wird schriftlich beantwortet. Die Antwort
zu Frage 31 wird zu einem späteren Zeitpunkt abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Die Fragen 28 bis 30 werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanz-
leramtes. Die Fragen 31 bis 33 werden schriftlich beant-
wortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Zur Beantwortung der Fragen steht Staatsminister
Volmer zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 34 des Abgeordneten Dieter
Schloten auf:
Hat die Bundesregierung, ungeachtet der bisherigen deutschen
Beteiligung an der von der WEU im Auftrag und unter Finan-
zierung durch die EU seit 1997 in Albanien durchgeführten Poli-
eine Weiterführung von MAPE/MAPEXTdurch die EU nach dem
22. Juni 2001 abgelehnt, und wenn ja, aus welchen Gründen?
Herr Staatsminister Volmer, bitte schön.
D
Mit Ihrer Zustimmung, Herr Schloten und Herr Prä-
sident, würde ich die Fragen 34 und 35, die in unmittel-
barem Zusammenhang stehen, gemeinsam beantworten.
Einverstanden.
Ich rufe die Frage 35 auf:
Was wird politisch unternommen werden, um die Ergebnisse
der Mission MAPE zu sichern und den Ausbildungsstandard der
albanischen Polizei weiter zu verbessern?
D
Zur Frage 34, Herr Schloten, lautet die Antwort:
Nein. Die Bundesregierung hat eine Weiterführung von
MAPE oder MAPEXT nicht abgelehnt, sondern sich viel-
mehr dafür eingesetzt, dass die EU die Verantwortung für
Polizeiberatungsmaßnahmen in Albanien von der WEU
übernimmt. Der WEU-Ministerrat von Marseille hat die
grundsätzliche Zustimmung der EU zur Übernahme der
direkten Leitung der Polizeizusammenarbeit mit Albanien
zur Kenntnis genommen.
Der Europäische Rat in Nizza hat den Grundsatzbe-
schluss getroffen, dass die EU im Zuge der Übernahme
der Krisenbewältigungsfunktionen der WEU durch die
EU die direkte Verantwortung für Beratung und Ausbil-
dung der albanischen Polizei von der WEU übernehmen
wird.
Zu Ihrer Frage 35: Die Europäische Kommission hat
ein im Juni 2001 beginnendes Projekt vorgelegt, das eine
Fortsetzung der Unterstützung der albanischen Polizei
durch Beratung und Ausbildung gewährleistet.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, es ist
zurzeit von einer Übergangsregelung durch die EU die
Rede, die dieses bisherige recht erfolgreiche Programm
der Ausbildung albanischer Polizisten zunächst in ver-
kleinertem Rahmen weiterführt.
Ist aus Sicht der Bundesregierung die bisherige Aus-
bildung der albanischen Polizisten durch die WEU ver-
besserungsbedürftig, sodass dieses Übergangsprogramm
nötig ist? Warum kann nicht direkt in das neue Programm
der EU eingestiegen werden?
D
Zunächst, Herr Kollege Schloten, kann ich bestäti-gen: Die Europäische Kommission wird für den Zeitraumvom 1. Juni 2001 bis zum 31. März 2002 zunächst eindurch Reallokation von PHARE-2000-Mitteln finanzier-tes Projekt auflegen. Dieses Projekt soll die notwendigeKontinuität zwischen den von MAPE begonnenen oderumgesetzten Maßnahmen besonders im Bereich der stra-tegischen Beratung der albanischen Polizeibehörden undder Ausbildung für hohe Polizeibeamte einerseits und derVorbereitung eines spezifischen polizeibezogenen Pro-jektes der Kommission im Rahmen des CARDS-Pro-gramms andererseits unterstützen. Im ersten Quartal 2002soll dann ein Programm der Zusammenarbeit im BereichJustiz und Inneres im Rahmen des CARDS-Programmsfür den westlichen Balkan beginnen.Dass es zu dieser Zwischenlösung kam, hängt damitzusammen, dass durch die Übernahme der WEU-Funk-tionen durch die EU noch Kompetenzfragen im Rahmen
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PeterWeiß
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der Kommission und im Verhältnis der Kommission zuden einzelnen an der Mission beteiligten Staaten zu klärensind. Das wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Um dieZwischenzeit zu überbrücken, wird dieses Programmdurchgeführt.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist ein
Zeitrahmen vorgesehen, in dem das EU-Projekt abge-
schlossen werden soll?
D
Nach unseren Informationen soll das neue Projekt
im ersten Quartal 2002 auf Kommissionsebene greifen.
Danke schön.
Wir kommen nun zum
Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern.
Die Fragen 46 bis 48 werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 49 des Abgeordneten Joachim
Günther zur Unterstützung von Russlanddeutschen auf:
Liegt der Unterstützung von Russlanddeutschen ein Gesamt-
konzept der Bundesregierung zugrunde und welche Schwer-
punkte beinhaltet dieses?
Herr Staatssekretär Körper, bitte schön.
F
Herr Kollege Günther, ich beant-
worte Ihre Fragen wie folgt: Seit der politischen Wende in
Osteuropa und in der damaligen Sowjetunion vor etwa
zehn Jahren hat die Bundesregierung auch die deutschen
Minderheiten in den neu entstandenen Staaten dort durch
breit gefächerte Maßnahmen unterstützt.
Aufgrund der Erfahrungen der ersten Jahre wurde
durch die 1999 vorgelegte Konzeption „Aussiedlerpolitik
2000“ auch die Hilfenpolitik für die deutschen Minder-
heiten neu konzipiert. Dieses Konzept berücksichtigt,
dass es bei der Durchführung größerer intensiver Projekte
sowie von Infrastrukturmaßnahmen in den Jahren vor
1999 erhebliche Probleme gegeben hat. Solche Maßnah-
men werden deshalb grundsätzlich nicht mehr gefördert.
Im Mittelpunkt der deutschen Bemühungen steht nun-
mehr die so genannte Breitenarbeit mit der Begegnungs-
stättenarbeit und der Förderung des außerschulischen
Deutschunterrichts in Russland und Kasachstan. In über
470 Begegnungsstätten wird ein breit angelegtes Angebot
für die Angehörigen der deutschen Minderheiten und für
ihre interessierten nicht deutschen Nachbarn angeboten.
Ein besonderer Schwerpunkt liegt bei der Jugendarbeit
und – das will ich besonders betonen – bei Aus- und Fort-
bildungsmaßnahmen. Neben den gemeinschaftsfördern-
den Maßnahmen umfasst das Hilfenprogramm der
Bundesregierung auch Wirtschaftshilfen in Form von
Existenzgründungsdarlehen für Kleingewerbe und Hand-
werk, von Darlehen zur Wohnraum- und Arbeitsplatzbe-
schaffung in Russland sowie von Landwirtschaftshilfen;
Beratung, Saatgut, Geräte und Kleinkredite sind hier als
Stichworte zu nennen.
Ferner werden Hilfen im medizinischen Bereich und
im Sozialbereich geleistet. Ausstattungshilfen für Kran-
kenhäuser sowie Medikamentenhilfen sollen die schwie-
rige medizinische Versorgungslage verbessern.
Für besonders Bedürftige – das sind in der ehemaligen
Sowjetunion vor allem die früheren Angehörigen der
Trud-Armee – wird individuelle humanitäre Lebenshilfe
in Form von Paket- und Einzelhilfen über karitative Ein-
richtungen geleistet.
Diese Fördermaßnahmen werden durch kulturelle und
bildungspolitische Förderung im Rahmen der deutschen
auswärtigen Kulturpolitik ergänzt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsse-
kretär, Sie haben hier die Initiativen von Deutschland
breit dargestellt. Ist der Bundesregierung bekannt, dass es
im russischen Innenministerium inzwischen keinen An-
sprechpartner für die deutsche Minderheit mehr gibt, und
was beabsichtigt die Bundesregierung in diesem Zusam-
menhang zu unternehmen?
F
Herr Kollege Günther, Ihre Frage
deckt sich nicht mit meinen Informationen. In dem von Ih-
nen genannten Ministerium gab es offensichtlich organi-
satorische Maßnahmen, die zu einem Wechsel zwischen
Abteilung und Referat geführt haben. Ich kann nicht be-
stätigen, dass es dort keine Ansprechpartner mehr gebe.
Dann kommen wir zur
Frage 50:
Verfügt die Bundesregierung über ein Konzept zur Förderung
des Deutschunterrichts für Deutschlandrussen und zur Pflege der
deutschen Kultur in Russland?
F
Herr Kollege Günther, die Förde-rung der deutschen Sprache ist ein Schwerpunkt sowohlder gemeinschaftsfördernden Maßnahmen, für die dasBundesministerium des Innern federführend ist, als auchder kulturellen und bildungspolitischen Förderung derrusslanddeutschen Minderheit, die vom Auswärtigen Amtverantwortet wird. Beide Ministerien stimmen ihre Maß-nahmen eng miteinander ab.Für die in ihren Herkunftsgebieten in Russland ver-bleibenden Russlanddeutschen werden vom Bundesmi-nisterium des Innern finanzierte außerschulische Sprach-kurse durchgeführt. Dieses Sprachkursangebot und dieihm zugrunde liegenden umfangreichen, speziell auf dieBedürfnisse der Russlanddeutschen zugeschnitten Lehr-materialien sind unter fachlich-konzeptioneller Beglei-tung des Goethe-Instituts und eines deutsch-russischenAutorenteams erarbeitet worden. Die Deutschkurse stel-len mit der Jugendarbeit sowie beruflichen Aus- und Fort-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 2001
Staatsminister Dr. Ludger Volmer16846
bildungsmaßnahmen einen Kernbereich der Bleibehilfendar, um den Deutschstämmigen vor Ort eine dauerhafteLebensperspektive zu eröffnen.Darüber hinaus fördert das Auswärtige Amt über dasGoethe-Institut Inter Nationes Sprachlernzentren in denSiedlungsschwerpunkten der deutschen Minderheit inRussland. Die Kurse der Sprachlernzentren erreichen inaller Regel ein höheres Niveau als die Kurse der so ge-nannten Breitenarbeit. Interessierte Absolventen derSprachkurse der Breitenarbeit haben die Möglichkeit, andiesen Sprachlernzentren ihre Fähigkeiten auszubauen.Außerdem fördert das Auswärtige Amt vor allem über dasGoethe-Institut in Moskau kulturelle Veranstaltungen derRusslanddeutschen. Bei der Auswahl der geförderten Pro-jekte wird großer Wert auf eine enge Zusammenarbeit mitrusslanddeutschen Initiativen im Kulturbereich gelegt.Das Bundesministerium des Innern leistet in Ergän-zung zu den vom Auswärtigen Amt ergriffenen Maßnah-men durch vielfältige Programmaktivitäten an 400 Be-gegnungsstätten allein in Russland überwiegend inländlichen Siedlungsgebieten einen maßgeblichen Bei-trag zur Pflege von Kultur und Identitätsfindung derRusslanddeutschen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsse-
kretär, Sie haben eben über die Goethe-Institute gespro-
chen. Es lohnt sich nicht, jetzt über deren Finanzierung zu
diskutieren. Es gibt noch eine deutschsprachige Zeitung
im Moskauer Gebiet, die im Endeffekt für alle Russland-
deutschen gemacht wird. Gegenüber der Vergangenheit
ist deren Förderung so weit zurückgegangen, dass die Zei-
tung vor dem Aus steht. Was beabsichtigt die Bundesre-
gierung in diesem Zusammenhang zu unternehmen?
F
Bei solchen Problemen sind wir
gern bereit, mit den Betroffenen ihre Sorgen und Pro-
bleme zu diskutieren. Dort, wo wir helfen können, tun wir
es gern.
Herzlichen Dank. –
Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Ich unterbreche die Sitzung für sechs Minuten; wir be-
ginnen wieder um 15.35 Uhr.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 sowie die Zusatz-
punkte 1 und 3 auf:
3. Vereinbarte Debatte
Entschädigung für NS-Zwangsarbeiter
ZP 1 Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU,
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P.
und der PDS
Feststellung ausreichender Rechtssicherheit für
deutsche Unternehmen nach § 17 Abs. 2 des Ge-
setzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinne-
rung, Verantwortung und Zukunft“
– Drucksache 14/6158 –
ZP 3 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses zu dem Antrag der Fraktion der PDS
– Drucksache 14/5788 –
Sofortige Auszahlung an die Opfer der NS-
Zwangsarbeit
– Drucksache 14/6165 –
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich Gäste
begrüßen. Auf der Ehrentribüne hat der Präsident des
ukrainischen Parlaments, Herr Iwan Pljuschtsch, mit
einer Abgeordnetendelegation Platz genommen. Ich darf
Sie von hier aus im Namen des ganzen Hauses noch ein-
mal herzlich begrüßen.
In den Gesprächen und Begegnungen heute und in den
kommenden Tagen werden Sie spüren, mit wie viel Inte-
resse wir den Fortgang des Reformprozesses in Ihrem
Land verfolgen, der in jüngster Zeit vor allem auf wirt-
schaftlichem Gebiet zu ermutigenden Ergebnissen ge-
führt hat. Wir hoffen mit Ihnen, dass die Ukraine auch un-
ter dem neuen Ministerpräsidenten, der unter Ihrem
Vorsitz gestern gewählt wurde, diesen Kurs unbeirrt fort-
setzen wird. Die Zusammenarbeit zwischen unseren bei-
den Parlamenten kann dazu einen wichtigen Beitrag leis-
ten.
Es freut mich, dass Sie die Gelegenheit haben, an die-
ser auch für viele Menschen in der Ukraine wichtigen Sit-
zung des Bundestages teilzunehmen. Ich danke Ihnen für
Ihren Besuch und wünsche Ihnen einen angenehmen Auf-
enthalt in unserem Land.
Auf der Zuschauertribüne haben weitere Gäste Platz
genommen: Vertreter der Bundesstiftung, der Partner-
stiftungen aus Weißrussland, aus der Ukraine, aus Russ-
land, aus Polen und aus Tschechien. Ich begrüße Sie alle
sehr herzlich zu dieser wichtigen Debatte.
Nun eröffne ich die Aussprache und erteile als erstem
Redner das Wort dem Herrn Bundeskanzler Gerhard
Schröder.
Herr Präsident!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchtemit einem Wort beginnen, das die Erleichterung und die
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Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper16847
Genugtuung, die wir heute alle empfinden, trifft, und die-ses Wort heißt: endlich.
Dieses Wort war der häufigste Kommentar in der vergan-genen Woche, nachdem in den Vereinigten Staaten dieletzte große juristische Hürde für die Auszahlung an dieüberlebenden Zwangsarbeiter genommen war. Damit undmit der anschließenden Erklärung der Stiftungsinitia-tive der deutschen Wirtschaft ist der Weg geebnet für dieheutige Entscheidung des Deutschen Bundestags, näm-lich ausreichende Rechtssicherheit für deutsche Unter-nehmen festzustellen und damit die Mittel für die ehema-ligen NS-Zwangsarbeiter freizugeben. Es war ein langerund mühsamer Prozess, zeitweise – das ist zuzugeben –mit Enttäuschungen für manche Beteiligte, insbesonderefür die überlebenden Zwangsarbeiter. Dieser Prozess istdamit zum Abschluss gebracht worden.Ich möchte kurz erinnern: Das Vorhaben nahm Ende1998 seinen konkreten Anfang in ersten Kontakten zwi-schen der Bundesregierung und führenden deutschen Un-ternehmen. Nach einem Gespräch zwischen den Vor-ständen und mir erklärten sich die Unternehmen am16. Februar 1999 bereit, eine Stiftung für ehemalige NS-Zwangsarbeiter und andere unter Mitwirkung deutscherUnternehmen geschädigte NS-Opfer mitzutragen.Mittlerweile sind mehr als 6 300 Unternehmen enga-giert. Das ist zugegebenermaßen keine unbeträchtlicheZahl; aber genauso klar ist: Es könnten noch mehr seinund müssen noch mehr werden.
Im März 2000 hat dann das Bundeskabinett in der Kon-tinuität deutscher Wiedergutmachungspolitik den Entwurfeines Gesetzes zur Errichtung eines Stiftung „Erinnerung,Verantwortung und Zukunft“ beschlossen. Vorausge-gangen waren viele hochkomplizierte internationale Ver-handlungsrunden. Weitere folgten und mündeten in die sogenannte „Gemeinsame Erklärung“ aller Verhandlungs-partner vom Juli 2000 und in das deutsch-amerikanischeRegierungsabkommen vom Oktober 2000.Zielsetzung all dieser Bemühungen war von Anfangan, den noch heute lebenden NS-Opfern mit der materiel-len Zuwendung vor allem auch ein Zeichen der Genug-tuung zu geben; denn wirkliche Wiedergutmachung indes Wortes Bedeutung ist kaum möglich.Daneben stand – auch das gilt es festzuhalten – das be-rechtigte Interesse der deutschen Wirtschaft an dauerhaf-tem Rechtsfrieden. Schließlich waren in den VereinigtenStaaten ursprünglich insgesamt 68 Klagen gegen die deut-sche Wirtschaft anhängig. Die verklagten Unternehmenwollten verständlicherweise davor geschützt werden,zweimal für die gleiche historische Schuld zahlen zu müs-sen. Die Bundesregierung hatte zudem das Interesse, Be-schädigungen der transatlantischen wirtschaftlichen undauch politischen Beziehungen zu vermeiden.An dieser Stelle möchte ich im Namen der gesamtenBundesregierung meinem Beauftragten Graf Lambsdorfffür seine kluge und beharrliche Verhandlungsführung aus-drücklich danken. Wir sind Ihnen, Graf Lambsdorff, sehrverpflichtet.
Sehr geehrter Herr Graf Lambsdorff, ich muss einräu-men – ich tue das gerne –: Dass wir jetzt am Ziel sind, istin ganz besonderem Maße Ihrer Fähigkeit zu verdanken,um Lösungen zu ringen, die manchmal schon gar nichtmehr für möglich gehalten worden sind. Sie haben sichmit dieser Leistung über das, was Sie für das Land geleis-tet hatten, hinaus wirklich bleibende und unvergesslicheVerdienste erworben.
Respekt und Anerkennung gebührt auch den übrigenan den Verhandlungen beteiligten Partnern. Zu nennensind die US-Regierung; übrigens hat sich auch die neueRegierung unter Präsident Bush von Anfang an für dasVorhaben engagiert. Zu nennen ist Stuart Eizenstat so-wie die Regierungen der hauptbetroffenen Staaten Mit-tel- und Osteuropas und Israels. Zu nennen sind fernerdie Jewish Claims Conference, einige Klägeranwälteund nicht zuletzt alle – ich betone: alle – im DeutschenBundestag vertretenen Parteien.Lassen Sie mich auch den an der Stiftungsinitiativebeteiligten Unternehmen meine Anerkennung ausspre-chen. Es ist richtig, dass wir manche harte Diskussion umden richtigen Weg zu führen hatten. Entscheidend für denErfolg war aber, dass Bundesregierung und Stiftungs-initiative der Wirtschaft die oft schwierigen Verhandlungs-situationen, die auch mit unterschiedlichen Interessen-lagen zu tun hatten, gemeinsam gemeistert haben. DieBundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zu-kunft“, die mit unserer heutigen Entscheidung mit denAuszahlungen beginnen wird, setzt das weltweit beach-tete Zeichen dafür, dass sich Deutschland der schreckli-chen Verbrechen seiner Vergangenheit bewusst ist unddass dies auch so bleibt.Ich danke Ihnen, dem deutschen Parlament, für IhreUnterstützung und dafür, dass wir dieses letzte große of-fene Kapitel unserer historischen Verantwortungschließlich doch zu einem guten Ende haben bringenkönnen.Danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun derBeauftragte des Bundeskanzlers für die StiftungsinitiativeDeutscher Unternehmen, Dr. Otto Graf Lambsdorff.Dr. Otto Graf Lambsdorff, Beauftragter des Bundes-kanzlers für die Stiftungsinitiative Deutscher Unterneh-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 2001
Bundeskanzler Gerhard Schröder16848
Damen! Meine Herren! Heute halte ich meine dritte letzteRede vor dem Deutschen Bundestag.
Sehen Sie mir das bitte nach. Es soll wirklich meine letztesein. Ich bin keine alternde Operndiva.
Ich will in drei Sätzen noch einmal skizzieren, worumes bei der ausreichenden Rechtssicherheit für deutscheUnternehmen in den Vereinigten Staaten ging. Wir muss-ten einen Weg finden, der es US-amerikanischen Richternerlaubt, zu akzeptieren, dass sich Regierungen und legiti-mierte Vertreter ehemaliger Zwangsarbeiter und NS-Op-fer auf eine komplexe Lösung geeinigt hatten, die derIndividualgerechtigkeit überlegen ist, und dass das En-gagement der US-amerikanischen Regierung den Gerich-ten die Zuständigkeit für eine individuelle Entscheidungentzieht. Die US-amerikanische Regierung musste dabeiverständlicherweise darauf achten, dass sie ihrerseitsnicht wegen Eingriffe in Eigentumsrechte ihrer eigenenBürger angreifbar wird. Die Lösung, von Juristen der Stif-tungsinitiative und US-Regierungsanwälten ersonnen, hatnach einigen positiven Einzelentscheidungen ihre Feuer-probe vor dem Berufungsgericht in New York großartigbestanden. Damit ist das Präjudiz geschaffen worden, dasdie Unternehmen der Stiftungsinitiative von ausreichen-der Rechtssicherheit überzeugte.Ich unterstreiche mit Nachdruck: Das Statement of In-terest ist von der US-Administration vereinbarungsgemäßabgegeben worden und es hat in sehr vielen Fällen Erfolggehabt. Darauf gründet sich meine Zuversicht, dass sichdie US-Regierung auch bei den noch anhängigen und beieventuellen künftigen Klagen für „legal peace“ einsetzenwird und dass sie auch administrativen Behinderungenvor allem in den Einzelstaaten der USA entgegentretenwird. Diese gibt es besonders im Bereich der Versiche-rungen und der Banken.Es ging aber nicht nur um Rechtssicherheit. In den fürdie ehemaligen Zwangsarbeiter endlosen Monaten derzähen und arbeitsintensiven juristischen Verhandlungenvollzog sich bei uns in Deutschland eine eindrucksvolleEntwicklung, die lange weiterleben soll. In zahlreichenGemeinden, Betrieben und Familien fragten sich Jungeund Alte, was es mit den Zwangsarbeitern und den KZ-Arbeitern vor mehr als 55 Jahren gerade an ihren deut-schen Leidensorten eigentlich auf sich hatte. Die Arbeit,die Organisationen wie der Verein „Gegen Vergessen –Für Demokratie“ oder die Aktion Sühnezeichen seit Jahr-zehnten eher im Verborgenen geleistet hatten, blühte vie-lerorts auf und trägt weiter Früchte. Kleine Betriebe – ichdenke an das Beispiel einer privaten Hamburger Baum-schule –, Landwirte – ich denke an ein Beispiel aus demSaarland – und Familien erinnerten sich an kleine Grup-pen von Zwangsarbeitern, selbst an ein ukrainischesHausmädchen, und zogen im Dialog mit mir, der Stif-tungsinitiative oder mit der Stiftung „Erinnerung, Verant-wortung und Zukunft“ daraus moralische und materielleKonsequenzen.Die veröffentlichte Meinung in Deutschland stand indieser Frage eindeutig aufseiten des Bundestages, derBundesregierung und meistens auch der deutschen Wirt-schaft. In den meisten der vielleicht 2 000 Briefe, die micherreichten, wurde Anerkennung zum Ausdruck gebracht.Die vielen Beweise der Zustimmung haben mich bei mei-ner Arbeit ermutigt, so der Taxifahrer in Berlin oder dieLufthansa-Stewardess während des x-ten Fluges nachWashington.Meine Damen und Herren, wir sollten uns aber den-noch keinen Illusionen hingeben. Zu tief sind die Wun-den, die Krieg und Vertreibung auch bei unseren Lands-leuten hinterlassen haben. Zu groß ist das menschlicheBedürfnis, Vergangenes zu verdrängen und zu vergessen.Auch wenn ich selbst bei dieser Arbeit von Ausländer-feindlichkeit und Antisemitismus wenig erfahren habe,es gibt das leider auch in Deutschland. Wegsehen hilft danicht.
Wir alle müssen dem entgegenwirken. Deswegen ist derZukunftsfonds, den wir mit 700 Millionen DM versehenhaben, so wichtig.Meine Damen und Herren, in den zweijährigen Ver-handlungen ging es um zweierlei: erstens auf eine mora-lische und politische Last der deutschen Vergangenheiteine angemessene Antwort zu finden, zweitens das Anse-hen der deutschen Wirtschaft in der Welt und die trans-atlantischen wirtschaftlichen und politischen Beziehun-gen vor weiterem Schaden zu bewahren. Ich glaube,beides ist im Rahmen des wirtschaftlich und politischMöglichen gelungen.Dieser Lösung – das ist für mich das eigentliche Wun-der – haben zum Schluss alle zugestimmt: die maßgebli-chen Kräfte der deutschen Wirtschaft unter der Führungvon Dr. Manfred Gentz, die US-Regierung, bis zum Ja-nuar 2001 vertreten durch meinen langjährigen Bekann-ten Stuart Eizenstat, jetzt vertreten durch Vize-Außenmi-nister Richard Armitage – einige persönliche undbriefliche Kontakte haben mich von der vollen Loyalitätder neuen Administration gegenüber allen Verpflichtun-gen der früheren Administration in diesem Bereich über-zeugt; der Bundeskanzler hat hier auch den amerikani-schen Präsidenten zitiert –, die Regierungen Polens,Russlands, der Tschechischen Republik, Weißrusslandsund der Ukraine, die Regierung des Staates Israel und dieClaims Conference als maßgeblicher Vertreter der Skla-venarbeiter und nicht zuletzt die von Professor Neubornekoordinierten amerikanischen Klägeranwälte. Dass23 Class Action Lawyers hier in Berlin die gemeinsameErklärung unterschrieben haben, grenzt, wie gesagt, anein Wunder. Die Entsendung von Professor Neuborne indas Kuratorium der Stiftung hat sich als besonders glück-licher Schritt erwiesen.Dieser Konsens, trotz aller möglichen Vorbehalte, istein hohes politisches Gut, das die Stiftung „Erinnerung,Verantwortung und Zukunft“ im Kuratorium unter Lei-tung von Botschafter Kastrup und durch den Vorstand ausDr. Jansen, Dr. Bräutigam und Botschafter Primor erhal-ten muss. Der Deutsche Bundestag, und dabei vor allem
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seine Mitglieder Herr Beck, Herr Bosbach, Frau Jelpke,Herr Reuter und Herr Stadler, wird sicherlich darüber wa-chen, dass diese Gemeinsamkeit der Überzeugungenerhalten bleibt.
In dieser Stunde, meine Damen und Herren, gedenkenwir der Sklaven und Zwangsarbeiter, Menschen, dieDeutsche vor mehr als zwei Generationen in ihrer Men-schenwürde verletzten, ihrer Arbeitskraft und Jahre ihrerJugend beraubten. Wir denken vor allem an diejenigen,die verstorben sind, für die unsere Bemühungen Jahr-zehnte zu spät gekommen sind.Meine Aufgabe, Herr Bundeskanzler, ist damit im We-sentlichen beendet. Ich habe sie aus meiner Verantwor-tung als deutscher Staatsbürger übernommen und,wenn auch mit vielen Mühen, mit großer Befriedigung biszum heutigen Punkt geführt. Ich danke Ihnen für Ihr Ver-trauen und danke dem Deutschen Bundestag in all seinenFraktionen für die wirklich unerschütterliche Unterstüt-zung auch in schwierigen Phasen in den letzten zwei Jah-ren. Ihnen, Herr Bundeskanzler, herzlichen Dank für Ihrefreundlichen Worte hier an dieser Stelle.Ich bin vielen Menschen für ihre Hilfe, ihren Rat, ihreBegleitung Dank schuldig. Ich kann in dieser Stunde nurwenige nennen.Bundespräsident Rau hat mit seiner Erklärung vom17. Dezember 1999 die moralische und historische Ver-antwortung der Deutschen in den Mittelpunkt unsererAnstrengungen gestellt. Dr. Manfred Gentz und StuartEizenstat haben immer wieder Lösungen für schwierigeProbleme gefunden, weil sie ein Ergebnis wollten. DieVerhandlungsführer der mittel- und osteuropäischen Staa-ten haben es fertig gebracht, einen Aufteilungsschlüsselüber den auf sie entfallenden Betrag unter sich zu verein-baren. Das wäre für mich eine nahezu unlösbare Aufgabegeworden. Der frühere US-Außenminister LawrenceEagleburger hat in einer entscheidenden Frage das Zu-standekommen der Stiftung ermöglicht. Ohne die uner-müdliche Mitarbeit von Michael Geier vom AuswärtigenAmt hätte ich das alles nie geschafft. Arbeitsstab nanntesich das Ganze ziemlich pompös. Der Arbeitsstabwar imWesentlichen eine Person: Michael Geier.
Ich habe mich gefreut, Herr Bundeskanzler, dass Sie mireben sagten, in der heutigen Kabinettsitzung sei seine Be-förderung beschlossen worden. Das hat er wahrlich ver-dient.
Ständiger Gesprächspartner von Herrn Geier war deramerikanische Sonderbotschafter J. D. Bindenagel,vielen von uns als Stellvertreter des amerikanischen Bot-schafters bekannt. Das war noch zu Bonner Zeiten so;aber er hat auch in Berlin amtiert, und zwar schon vor derWende. Ich weiß, dass unser Freund Bindenagel hier aufder Tribüne sitzt. Zwar darf man ihn nach den Regeln desBundestages nicht ansprechen; dennoch darf ich sagen:Ich freue mich, dass er hier ist.
Wer sich von den konstruktiven Beiträgen Bindenagelsein Bild machen will, der lese die heutigen Ausgaben der„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und der „FinancialTimes Deutschland“. Ich mache keine Werbung für dieZeitungen, sondern für den Interviewten.
Ihnen allen, die ich hier genannt habe, und vielen an-deren danke ich, nicht zuletzt dem früheren US-Präsiden-ten Bill Clinton und Bundeskanzler Schröder. Aber, meineDamen und Herren, ich habe mich auch zu entschuldigen:bei denen, für die unsere Arbeit zu lange gedauert hat. DieVerzögerungen waren und sind schmerzlich, weil wirviele der Opfer nicht mehr lebend erreichen konnten.Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meineHerren, erlauben Sie mir eine Schlussbemerkung, auchwenn ich mich damit wiederhole. Wir haben uns bemüht,einen finanziellen Schlussstrich unter das dunkelste Ka-pitel unserer Geschichte zu ziehen – einen finanziellenSchlussstrich. Einen moralischen Schlussstrich kannund darf es nicht geben.
Nur wenn wir das einsehen, dann kann es für unser Landden Weg aus einer dunklen Vergangenheit in eine helleZukunft geben.Vielen Dank.
Graf Lambsdorff, ich
darf Ihnen im Namen des ganzen Hauses unseren Dank
und unseren Respekt für Ihre Arbeit, für Ihr großes Enga-
gement aussprechen. Herzlichen Dank!
Ich erteile nun dem Kollegen Wolfgang Bosbach,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag. Dasgilt für viele Opfer des Naziterrors ebenso wie für unsalle. Der interfraktionelle Antrag zur Feststellung ausrei-chender Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen istzwar kurz und schlicht formuliert, aber von großer Be-deutung. Die entscheidenden Sätze lauten:Der Deutsche Bundestag stellt fest, dass ausrei-chende Rechtssicherheit gemäß § 17 Absatz 2 desGesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung,Verantwortung und Zukunft“ hergestellt ist.Die Stiftung ... wird daher ermächtigt, den Partneror-ganisationen ... Stiftungsmittel zur Verfügung zustellen.Dieser Beschluss ist die Voraussetzung dafür, dass dieBundesstiftung und ihre Partnerorganisationen nunmehr– nach monatelangen, teils quälenden Entscheidungspro-zessen und schier endlosen Debatten – endlich mit ihrer
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eigentlichen Arbeit beginnen können. Es ist zunächst einguter Tag für einen Teil der Opfer: für die heute noch le-benden ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsar-beiter. Sie wurden verschleppt, entrechtet, misshandeltund ausgebeutet. Endlich, über 56 Jahre nach dem Endeder Nazibarbarei, können sie nun damit rechnen, schon inkurzer Zeit die ihnen zustehenden Leistungen zu erhalten.Spät, für viele leider zu spät, soll ihnen in Form einer hu-manitären Geste zumindest ein Stück Gerechtigkeit undWiedergutmachung zuteil werden. Dies gilt insbeson-dere für jene Opfer, die bis heute die umfangreichenEntschädigungs- und Wiedergutmachungsleistungen derBundesrepublik Deutschland nicht in Anspruch nehmenkonnten.Leider konnte in den vergangenen Wochen der Ein-druck entstehen, als würde erst jetzt mit der Entschädi-gung für NS-Unrecht begonnen. Richtig ist, dass dieStiftungsinitiative an das Entschädigungs- und Versöh-nungswerk anknüpft, das schon Anfang der 50er-Jahrevon Bundeskanzler Konrad Adenauer begründet wurde.Leider gab es in letzter Zeit nur wenige Veröffentli-chungen, in denen darauf hingewiesen wurde, dass dieBundesrepublik in den vergangenen Jahrzehnten bereitsweit über 100Milliarden DM an Wiedergutmachungsleis-tungen erbracht hat und dass wir auch zukünftig – unab-hängig von der Bundesstiftung für die Entschädigung vonNS-Zwangsarbeit – auf der Basis geltenden Rechts wei-tere erhebliche Leistungen erbringen werden. Es muss er-laubt sein, heute auch darauf hinzuweisen, dass sich unserLand in den vergangenen Jahrzehnten redlich und ernst-haft darum bemüht hat, die dunkelsten Kapitel seiner Ge-schichte nicht zu verdrängen oder gar zu vergessen, son-dern aufzuarbeiten und aus ihnen für die Zukunftnotwendige Konsequenzen zu ziehen. Wir haben denWorten stets auch Taten folgen lassen.Einen Schlussstrich unter das dunkelste Kapitel unse-rer Geschichte, die Verbrechen der Nazityrannei, und diesich daraus ergebende besondere historische Verantwor-tung unseres Landes, insbesondere gegenüber den nochlebenden Opfern des Naziterrors, kann und darf es nichtgeben.
Von dieser besonderen historischen Verantwortung kön-nen wir uns nicht befreien – nicht durch Worte und nichtdurch Geld. Aber dies kann im Umkehrschluss nichtbedeuten, dass wir nun Jahr für Jahr neue Entschädi-gungsdebatten beginnen und damit fast zwangsläufig beivielen Menschen in vielen Ländern der Erde Hoffnungenerwecken, die wir nicht erfüllen können. Vor diesem Hin-tergrund ist es auch ein Ziel der Bundesstiftung für dieEntschädigung von Zwangsarbeit, das Kapitel „Finanzi-elle Entschädigung für NS-Unrecht“ abzuschließen.Es ist aber auch ein guter Tag für uns alle; denn wirwollen und können jetzt den Blick nach vorne in eine guteZukunft richten. Deswegen ist der Zukunftsfonds, denGraf Lambsdorff gerade angesprochen hat, von überra-gender Bedeutung. Ausgestattet mit einem Vermögen von700Millionen DM muss er jetzt mit Leben erfüllt werden:mit konkreten Projekten, von denen vor allem junge Men-schen profitieren sollten.Ebenso wenig, wie die individuellen Entschädigungs-leistungen zweckwidrig verwandt werden dürfen, darf dasVermögen des Zukunftsfonds zweckwidrig eingesetztwerden. Das Vermögen soll der Völkerverständigung, derPflege der Beziehungen zu überlebenden Opfern, demAustausch von Schülern und Studenten sowie dem Kampfgegen extremistisches und rassistisches Gedankengut undgegen totalitäre Systeme aller Art dienen. Leider spieltdieser Fonds in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle, ob-wohl gerade er für die Zukunft wichtig ist.Dass wir heute diesen wichtigen Beschluss fassen kön-nen, verdanken wir nicht zuletzt Ihnen, lieber GrafLambsdorff. Sie und Ihre Verhandlungsführung sind inden vergangenen Wochen und Monaten mehrfach und zuRecht gelobt worden. Auch die CDU/CSU-Bundestags-fraktion dankt Ihnen von Herzen für Ihr unermüdlichesEngagement.
Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern warkein Weg zu weit und kein Problem zu kompliziert. Siewaren zur richtigen Zeit der richtige Mann am richtigenOrt. Nicht nur die Opfer, sondern auch unser Land habenIhnen viel zu verdanken.Wir fassen heute einen wichtigen Beschluss. Aber wirsind noch lange nicht am Ziel – noch lange nicht. ImGrunde beginnen wir erst jetzt mit der eigentlichen Arbeit.Haben wir in der Vergangenheit nicht schon zu viel, zulaut und auch zu früh gefeiert? Zunächst wurde die Eini-gung über die Höhe des Stiftungsvermögens bejubelt,dann der Allokationsbeschluss und danach die gemein-same Erklärung aller Verhandlungspartner. Das waren inder Tat wichtige Schritte auf dem Weg zum Ziel. Aber er-reicht haben wir das Ziel noch lange nicht. Das Ziel habenwir erst dann erreicht, wenn die Opfer, die ehemaligenZwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die ihnen zu-stehenden Leistungen erhalten haben, und zwar in vollerHöhe.
Nichts wäre schlimmer und würde das Stiftungswerk undden Stiftungszweck mehr diskreditieren als eine zweck-widrige Verwendung der Stiftungsmittel.Die Verantwortung dafür, dass die Mittel nicht in ir-gendwelchen Administrationen versickern, tragen dieBundesstiftung und die Partnerorganisationen in gleicherWeise. Nicht alleine gegenüber dem deutschen Steuer-zahler, der mit circa 7,5Milliarden DM belastet wird, son-dern auch und in erster Linie gegenüber den Opfern derNazidiktatur.Zu den Zielen der Stiftung gehört aber auch ein dauer-hafter und umfassender Rechtsfrieden für deutsche Un-ternehmen in den USA. Wenn wir heute „ausreichendeRechtssicherheit“ feststellen, bedeutet das leider nicht,dass schon jetzt von einem dauerhaften und umfassendenRechtsfrieden im Sinne der internationalen Vereinbarun-gen gesprochen werden kann. Es sind immer noch Klagen
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gegen deutsche Unternehmen in den USAanhängig. NeueKlagen sind angedroht und immer noch gibt es – zumin-dest in einzelnen US-Bundesstaaten – legislative und ad-ministrative Behinderungen für deutsche Unternehmenauf dem amerikanischen Markt.Die deutsche Wirtschaft weist aus guten Gründen aufdiese Umstände hin. Die Stiftungsinitiative hat zwar stetsbetont, dass sie in der Gewährung der Stiftungsmittel einehumanitäre, auf die Aussöhnung und Verständigung ge-richtete Maßnahme sieht, gleichzeitig hat sie aber auchdeutlich gemacht, dass sie die Hälfte des Stiftungsvermö-gens nur unter der Bedingung zur Verfügung stellt, dassim Gegenzug in den USA für die deutsche Wirtschaft einausreichendes Maß an Rechtssicherheit und Rechtsfrie-den gewährleistet wird. Das war auch die Geschäfts-grundlage, auf der die Stiftungsinitiative in der deutschenWirtschaft für Beiträge geworben hat. Diese Forderung istvon allen Verhandlungspartnern, auch von den beteiligtenKlägeranwälten, akzeptiert worden. Sie findet sich imdeutsch-amerikanischen Regierungsabkommen ebensowieder wie in der gemeinsamen Erklärung vom 17. Julides vergangenen Jahres.Die deutsche Wirtschaft ist in den vergangenen Mona-ten für ihr Verhalten oft und kräftig kritisiert worden, ge-legentlich sogar zu Recht. Man kann sie jetzt aber nichtauch noch dafür kritisieren, dass sie darauf besteht, dassdie ihr gegenüber abgegebenen Erklärungen und vertrag-lichen Vereinbarungen eingehalten werden. Verträge ma-chen nur dann Sinn, wenn sich alle Vertragspartner in glei-cher Weise an die getroffenen Vereinbarungen gebundenfühlen.
Meine Damen und Herren, die Stiftungsinitiative solltebedenken, dass es gut wäre, wenn nicht schon unmittelbarnach dem heutigen Tag neue Kontroversen ausgetragenwerden. Daher wäre es wichtig, dass der von der Stif-tungsinitiative zugesagte Betrag von 5,1 Milliarden DMrasch an die Bundesstiftung gezahlt wird, und zwar mit al-len Zinsen.
Wer an die Stiftungsinitiative gezahlt hat, der wollte denStiftungszweck unterstützen. Zweck der Stiftung kann esaber nicht sein, Zinsen zu erwirtschaften. Auch diese soll-ten daher den Opfern zugute kommen.
Mit großem Interesse haben viele unserer Mitbürgerin-nen und Mitbürger in den vergangenen Monaten die Dis-kussionen und Verhandlungen über die Entschädigung fürehemalige Zwangsarbeiter verfolgt. Auch die heutige De-batte werden sie mit großer Aufmerksamkeit begleiten.Dies gilt besonders für jene Mitbürger, die früher selberverschleppt, gequält und unter unvorstellbar grausamenBedingungen in der Sowjetunion oder in anderen StaatenZwangsarbeit verrichten mussten. Auch an ihr Schicksal,das in der öffentlichen Berichterstattung kaum eine Rollespielt, sollten wir heute einmal erinnern. Es geht dabeinicht um Aufrechnung. Es muss aber erlaubt sein, daraufhinzuweisen, dass auch viele Deutsche Opfer von Aus-beutung unter in jeder Hinsicht unmenschlichen Bedin-gungen waren.
Diese Opfer, unsere Mitbürger, werden wissen, dass esihnen so gut wie unmöglich ist, durch die Einreichungoder Androhung von Klagen in anderen Ländern Druckauszuüben, um auf diese Weise eine finanzielle Entschä-digung zu erhalten. Dieser Umstand ändert aber an derSchwere des erlittenen Schicksals nichts. Deshalb gilt,dass auch ehemalige deutsche Zwangsarbeiter – so wiealle anderen Opfer von Unmenschlichkeit und Tyrannei –ein Recht auf eine humanitäre Geste haben.Die Bundesregierung hat uns vor wenigen Tagen mit-geteilt, dass sie nicht daran denke, diesbezüglich mit an-deren Staaten in Gespräche oder gar Verhandlungen ein-zutreten. Dies müssen die betroffenen Menschen alsBrüskierung empfinden.
Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen solltenihre Haltung überdenken. Waren die ehemaligen deut-schen Zwangsarbeiter nicht auch Opfer von Unmensch-lichkeit, haben sie nicht auch ein ähnlich schweresSchicksal erlitten? Wenn auch ihnen in gleicher Weise einStück Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zuteil wür-de, wäre das ein weiterer guter Tag.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Peter Struck, SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident.Meine Damen und Herren! Wir dürfen mit Fug und Rechtsagen: Dies ist eine bedeutende Stunde des deutschen Par-laments. Mit unserem heutigen Beschluss machen wirdeutlich, dass wir uns der Verantwortung für unsere Ge-schichte bewusst sind.Es gilt heute vielen zu danken, die das Zustandekom-men dieser Lösung möglich gemacht haben. Bevor ich dastue, möchte ich aber zunächst vor allem an die Opfer, dieZwangsarbeiter, denken und ihnen für die Geduld danken,mit der sie das zähe Ringen um eine tragfähige, rechtlichsichere Vereinbarung ertragen haben.
Bei der Freude darüber, jetzt endlich mit der Zahlungan etwa 1,5 Millionen ehemalige Zwangsarbeiter begin-nen zu können, sollten wir gerade heute aber nicht ver-gessen, dass ungezählte Opfer dieses Zeichen der Wieder-gutmachung nicht mehr erlebt haben. Ihnen gilt unsereErinnerung. Und wir haben Anlass – wie es Bundespräsi-dent Johannes Rau schon bei der Einigung über die Höhedes Stiftungsvermögens im Dezember 1999 getan hat –
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alle, die unter deutscher Herrschaft Sklavenarbeit undZwangsarbeit leisten mussten, auch von dieser Stelle ausheute um Vergebung zu bitten.Ich stimme ausdrücklich Graf Lambsdorff zu: Wennwir heute parlamentarisch einen finanziellen Schluss-strich – einen finanziellen – unter das dunkelste Kapitelder deutschen Geschichte ziehen, müssen wir gleichzeitigdeutlich machen, dass es einen moralischen Schluss-strich niemals geben darf.
Gerade um das zu beweisen, ist die heutige Entscheidungso wichtig. Die deutsche Politik und die deutsche Wirt-schaft machen klar, dass sie sich auch nach mehr als ei-nem halben Jahrhundert nach dem Naziterror der morali-schen Pflicht nicht entziehen, die aus dem damaligenUnrecht erwachsen ist.Ich danke ganz besonders Bundeskanzler GerhardSchröder dafür, dass er die widerstreitenden Interessenzusammengeführt hat. Ohne seinen Einsatz – auch bei deramerikanischen Administration –, seine Beharrlichkeitund seinen unbedingten Willen zum Konsens wäre diesesErgebnis nicht möglich gewesen.
Graf Lambsdorff, Sie haben dankende Worte des Bun-deskanzlers und meines Kollegen Bosbach erfahren.Natürlich schließe ich mich ihnen an. Ob Sie, GrafLambsdorff, in der Tat nicht doch noch einmal gebrauchtwerden – für welche Aufgabe auch immer – wollen wirdahingestellt sein lassen.
Das, was Sie geleistet haben, ist vom Bundeskanzler rich-tig gewürdigt worden.
Ich möchte an dieser Stelle aber auch nicht vergessen,ganz besonders meinen Fraktionskollegen Bernd Reuterzu nennen, der mit mir seit 1980 im Deutschen Bundestagist und seit diesem Zeitpunkt an dieser Aufgabe gearbeitethat. Ich danke ihm ausdrücklich dafür.
Lieber Bernd Reuter, ich glaube, du kannst stolz daraufsein, dass diese Regierung, diese rot-grüne Koalition, dasgeschafft hat, was alle Vorgängerregierungen nicht ge-schafft bzw. versäumt haben.
Daran haben – das möchte ich ausdrücklich erwähnen –die Berichterstatter aller Fraktionen – Volker Beck,Wolfgang Bosbach, Ulla Jelpke und Max Stadler – enga-giert mitgearbeitet. Auch ihnen gilt mein herzlicher Dank.
Die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft hat inden letzten Monaten Beachtliches geleistet. Trotz man-cher Anfechtungen habe ich niemals Zweifel an der Lau-terkeit des Bemühens gehabt. Die Anstrengungen vonHerrn Gentz und anderen – das sollten wir nicht verges-sen – haben die größte Sammelaktion der deutschen Wirt-schaft zuwege gebracht. Damit haben die beteiligten Un-ternehmen sich, aber auch dem Ansehen Deutschlandssehr geholfen.Ich freue mich, dass nicht nur Michael Jansen, der Vor-standsvorsitzende der Stiftung, diese Debatte verfolgt.Mit ihm sind viele Repräsentanten der Partnerstiftungenin Russland, Weißrussland, der Ukraine, Polen, Tsche-chien und auch Vertreter des Jewish Council anwesend.Ich begrüße Sie alle ganz herzlich und habe die Bitte: Hel-fen Sie mit, dass wir jetzt unverzüglich mit der Auszah-lung an alle Betroffenen beginnen können! Viele Anträgesind in den Ländern der Betroffenen noch nicht bearbei-tet. Lediglich in Polen und Tschechien sind die Vorarbei-ten der Partnerorganisationen weit vorangeschritten, so-dass dem voraussichtlichen Zahlungsbeginn Ende desMonats dort nichts im Wege steht. Ich habe Verständnisfür diejenigen, die sich für eine Verlängerung der An-tragsfrist aussprechen. Ob sie nötig sein wird, werdenwir rechtzeitig entscheiden müssen. Aber wir sollten auchbedenken, dass wir deshalb immer auf eine schnelle Lö-sung gedrängt haben, weil wir den teilweise hochbetagtenOpfern noch Wiedergutmachung zukommen lassen woll-ten.Ich halte es für wichtig, dass alle Fraktionen diese Ent-scheidung mittragen. Es ist für unsere Nachbarn und Part-ner ein bedeutendes Zeichen, dass sich das Parlament alsGanzes seiner moralischen Verantwortung für die Ge-schichte bewusst ist.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist eine his-torische Stunde: Der Deutsche Bundestag stellt fest, dassdie gesetzlichen Voraussetzungen für den Beginn derEntschädigungsauszahlungen gegeben sind. Mit demheutigen Beschluss des Bundestages ist der Weg für dieEntschädigung der noch lebenden Zwangs- und Sklaven-arbeiter endlich frei.56 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges erkenntDeutschland das Unrecht der Zwangsarbeit als solches anund zieht daraus die richtige Konsequenz: die Entschädi-gung der Opfer. Mit dieser humanitären Geste können wirdas Unrecht nicht wieder gutmachen. Aber wir könnenden Menschen ganz konkret helfen, die von Deutschlandund durch Deutsche so viel erleiden mussten.Ich muss Ihnen sagen: Ich bin unendlich erleichtert,dass die Opfer jetzt ihr Geld bekommen. In spätestens vierWochen werden die ersten Zahlungen bei den ehemaligen
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Zwangsarbeitern ankommen. Ich war in den letzten Wo-chen nicht sicher, ob wir dies auf dem Weg, den wir ein-geschlagen hatten, überhaupt schaffen würden. Das hatmich mit großer Sorge erfüllt. Wenn ich die Vertreter derosteuropäischen Verbände oder der Jewish Claims Confe-rence sah und ihnen noch immer nicht sagen konnte, wanndas Geld endlich an die Opfer gezahlt wird – diese Op-fervertreter waren zu Hause selber unter Druck –, dannwar das eine peinliche, beschämende und traurige Situa-tion.Ich hoffe trotzdem, dass die Zwangsarbeiter die huma-nitäre Geste dieser Entschädigungsleistung als darge-reichte Hand Deutschlands zur Versöhnung, zur Ent-schuldigung für das ihnen zugefügte Unrecht annehmen.Möge dieses große Entschädigungswerk, das wir heuteabschließen, einen Beitrag zur Versöhnung und zu nach-haltigem Frieden auf dem europäischen Kontinent leisten.
Aber bei aller Erleichterung: Am heutigen Tag geheneinem auch einige bittere Gedanken durch den Kopf.Viele Opfer sind verstorben, bevor sich Bundesregierungund deutsche Wirtschaft 1998 zur Entschädigung bereitgefunden haben. Zwei Jahre lang haben wir zäh verhan-delt, bis im Sommer 2000 internationale Vereinbarungenund das Stiftungsgesetz verabschiedet werden konnten.Seitdem ist nun schon wieder fast ein ganzes Jahr vergan-gen, ein Jahr, in dem nach Angaben der Opferverbände anjedem Tag 200 Berechtigte gestorben sind. Für sie kommtder heutige Beschluss zu spät. Dies bedauern wir zutiefst.Die Diskussion in den letzten Wochen hat das Anliegender Bundesstiftung manchmal schon fast vergessen las-sen. Um es noch einmal klar und deutlich zu sagen: DerStiftungszweck heißt nicht Herstellung der Rechtssicher-heit für deutsche Unternehmen; gleichwohl ist das einwichtiges Anliegen des Bundestages. Die Stiftung dientvielmehr vorrangig der Entschädigung der Opfer des Na-tionalsozialismus.
Es geht uns als Deutschem Bundestag um die Über-nahme von Verantwortung für historisches Unrecht.15 Jahre lang haben wir Grünen im Parlament für dieseEntschädigung gestritten. Bis 1998 haben alle Bundesre-gierungen rechtlich und politisch gegen diese Entschädi-gung der Zwangsarbeiter argumentiert. Ich möchte an die-ser Stelle meinen Kollegen Christian Ströbele und AntjeVollmer danken, die diese Arbeit in den 80er-Jahren be-gonnen haben, die dann von Wolfgang Ullmann undIngrid Köppe fortgesetzt wurde. Ich glaube, ihnen gebührtDank dafür, dass wir dieses Thema nicht aus dem Ge-dächtnis verloren haben und dass wir an dieser Frontkeine Ruhe hatten. Ansonsten wären wir heute vielleichtnicht so weit gekommen.
Auch Appelle des Deutschen Bundestages und des Eu-ropäischen Parlamentes an die Wirtschaft hatten in den80er-Jahren nichts erreichen können. Erst nach der Bun-destagswahl 1998 und nach den Sammelklagen in denUSAist bei Politik und Wirtschaft eine neue Situation ein-getreten. Wir können heute sagen: Wir haben wirklich vielerreicht und es war ein langer, zäher, beschwerlicher undtrauriger Weg.Ich bin besonders froh, dass unser Freund AlfredHauser, der in den 80er-Jahren die Interessengemein-schaft der Zwangsarbeiter in Deutschland gegründet hat,diesen Tag noch erleben kann, obwohl er alt und gebrech-lich ist. Wir können feststellen: Seine Arbeit für die Men-schen, die mit ihm unter dem Zwangsarbeiterprogrammgelitten haben – ob sie aus dem Ausland kamen oder alsDeutsche Zwangsarbeit leisten mussten –, hat sich ge-lohnt. Vielen Dank, Alfred!
Ich möchte mich auch bei den Unternehmen bedan-ken, die sich der Stiftungsinitiative der deutschen Wirt-schaft freiwillig angeschlossen haben. Sie haben damitgezeigt: Ein großer Teil der deutschen Wirtschaft siehtseine historische Verantwortung. Besonders stolz bin ichdabei auf die Unternehmen, die nach 1945 gegründet wur-den und die selber offensichtlich nicht unmittelbar vomZwangsarbeiterprogramm profitiert haben, die aber sa-gen: Als Teil der deutschen Wirtschaft ist die Entschädi-gung unsere gemeinsame Verantwortung. Das verdientbesondere Anerkennung.
Aber an einem solchen Tag muss man auch fragen: Be-steht die deutsche Wirtschaft nur aus 6 300 Unternehmen?Ist unser Land wirtschaftlich wirklich so schwach oderhaben wir nicht noch viel mehr kleine, mittlere und großeUnternehmen, die sich an diesem Werk beteiligen könn-ten?
Wo sind die Fuldaer Reifenwerke? Wo ist Dallmayr ausMünchen, Haribo aus Bonn oder der große Bauer-Verlag?Warum sind sie der Stiftungsinitiative noch nicht beige-treten? Es ist noch nicht zu spät. Denn wir werden nochviel mehr Geld brauchen als das, was wir jetzt haben, umder von Herrn Bosbach erhobenen Forderung, dass alleden vollen Betrag, auf den sie Anspruch haben, bekom-men, tatsächlich gerecht zu werden.Ich appelliere heute an die Stiftungsinitiative der deut-schen Wirtschaft – im vorliegenden Antrag wird dies ingewisser Weise auch getan –, jetzt ohne jedes Zaudernund Zögern, ohne erneutes Fechten um Termine und ohneFeilschen um Zinsen unverzüglich die gesamten 5 Milli-arden DM und mindestens 100 Millionen DM Zinsen andie Bundesstiftung zu überweisen. Es ist das Geld der Op-
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Volker Beck
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fer. Lassen Sie uns diese große Leistung nicht durch klein-liche Debatten im Nachgang minimieren.
Meine Damen und Herren, wir als Bundestag haben indieser Debatte um die Entschädigung der Zwangsarbeiternoch drei Aufgaben. Wir müssen aus humanitären und ausrechtlichen Gründen noch vor der Sommerpause die imStiftungsgesetz festgesetzten Antragsfristen verlängern.Die Richtlinien im Vermögensbereich, nach denen be-stimmt wird, wer überhaupt etwas bekommt, sind nochgar nicht veröffentlicht, zum Teil noch nicht einmalbeschlossen. Wir können nicht am 13. August sagen: Biszum 12.August hättet ihr Anträge stellen müssen; jetzt sa-gen wir euch, ob ihr etwas bekommen hättet. Da müssenwir handeln. Wir müssen dies auch aus humanitärenGründen tun. Viele Opfer haben nicht einmal gewusst, obes tatsächlich einmal Geld gibt, und mit ihrem Antrag ge-wartet. Die meisten Opfer, das erzählen uns die Praktikeraus dem Bereich der Entschädigung, stellen dann ihrenAntrag, wenn sie hören, dass Leidensgenossen bereitsGeld bekommen haben. Deshalb sollten wir mindestensbis zum Jahresende jedem die Chance geben, sein Anlie-gen vorzubringen.
Wir als Kuratoren, aber auch der ganze Deutsche Bun-destag müssen den Stiftungsvorstand dabei unterstützen,darüber zu wachen, dass die Auszahlung tatsächlich beiden Opfern und nur bei den Opfern ankommt, ohne einengroßen Popanz an Bürokratie aufzubauen. Ich glaube, hierkönnen wir mit der Unterstützung des ganzen Hausesrechnen.Wir werden darauf achten müssen, dass der so ge-nannte „Rest der Welt“, die nicht jüdischen Opfer außer-halb von Polen, Tschechien und GUS, bei der Höhe derAuszahlung nicht benachteiligt werden. Wir haben unsdie Welt beim Stiftungsgesetz und bei den Verhandlungenzum Teil zulasten Dritter schöngerechnet und schöngere-det. Es darf nicht dazu kommen, dass es vom Wohnsitz ab-hängt, wie viel Geld man bekommt.Deshalb auch der Appell an die Bürgerinnen und Bür-ger draußen im Lande: Jetzt ist die Zahlung frei. Wer sichengagieren will, kann diese Bundesstiftung durch Zustif-tungen aufstocken. Dann können wir den Opfern nochmehr helfen.Wir als Bundestag müssen uns, wenn wir – vielleichtin einem Jahr – Bilanz ziehen, fragen, wie viele Berech-tigte wir tatsächlich haben und ob wir noch einmal helfenmüssen.Meine Damen und Herren, zum Schluss möchte auchich ganz besonders Graf Lambsdorff und seinem Arbeits-stab danken, dessen Leistungen wirklich riesig waren. Ichbin froh, dass wir heute sagen können: Den größten Teilder Arbeit haben Sie hinter sich gebracht.Wir haben jetzt die Arbeit an Herrn Bräutigam, HerrnJansen und Herrn Primor vom Stiftungsvorstand weiter-gegeben. Sie haben jetzt einen Riesenberg von Arbeit vorsich, um die Entschädigungszahlungen abzuwickeln, zu-sammen mit Dr. Brozik von der Jewish Claims Confe-rence, mit den Vorsitzenden der Partnerorganisationen ausOsteuropa und der IOM. Wir wünschen ihnen dabei eineglückliche Hand. Sie können bei dieser Arbeit immer aufdie Unterstützung des ganzen Deutschen Bundestagesbauen.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Max Stadler, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehrgeehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestaghat immer das Versprechen abgegeben, die Stiftungsmit-tel schnellstmöglich für die Auszahlung an die Opferfreizugeben, sobald die gesetzlichen Voraussetzungenvorliegen. Es hat leider lange gedauert, bis die im Stif-tungsgesetz geforderte ausreichende Rechtssicherheit ge-geben war – beinahe zu lange für die ehemaligenZwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, beinahe zulange für das Ansehen der deutschen Wirtschaft und derdeutschen Politik in der Weltöffentlichkeit. Der Streit umdie Rechtssicherheit war so sehr in das Zentrum der öf-fentlichen Auseinandersetzung gerückt, dass die großeLeistung, Politik und Wirtschaft in einer gemeinsamenBundesstiftung zusammengeführt zu haben, zu verblas-sen drohte.Deshalb war unsere Erleichterung über die jüngste Ent-wicklung bei den Sammelklagen groß. Jetzt kann gutenGewissens von ausreichender Rechtssicherheit im Sinnedes Stiftungsgesetzes gesprochen werden. Damit kann derDeutsche Bundestag, der in den beiden letzten Debattendie Opfer und die Öffentlichkeit immer wieder um Geduldbitten musste, heute endlich das lange erhoffte positive Si-gnal setzen: Der Weg für die Auszahlung der symboli-schen Entschädigungsleistungen ist frei.
Meine Damen und Herren, es wäre unehrlich, zu leug-nen, dass es noch unterschiedliche Auffassungen über De-tailfragen gibt. Aber diese Fragen sind nicht das zentraleThema der heutigen Debatte. Sie werden zu gegebenerZeit und am gegebenen Ort – zum Beispiel im Kuratoriumder Stiftung – diskutiert werden. Ich bin davon überzeugt,dass der finanzielle Beitrag der Stiftungsinitiative derdeutschen Wirtschaft demnächst bei der Bundesstiftungeingehen wird. Die Probleme hinsichtlich der Verlänge-rung von Antragslisten, der Zinsen und der bürokratischenHemmnisse, die es vielleicht noch zu bewältigen gibt,werden gelöst werden. Dies ist zwar wichtig, aber es sindeben doch nur Nebenaspekte, genau wie die Vorge-schichte, die gerade noch einmal apostrophiert worden ist.Die zentrale Botschaft von heute ist eben eine andere,nämlich die: Alle Fraktionen des Deutschen Bundestages,
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Volker Beck
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die Bundesregierung und die Stiftungsinitiative der deut-schen Wirtschaft sind sich darin einig, dass nun unver-züglich mit den Auszahlungen an die Opfer begonnenwerden kann.
Damit hat dieses schwierige Projekt die letzte großeHürde genommen, wofür die F.D.P.-Fraktion natürlichinsbesondere dem Beauftragten des Bundeskanzlers,Dr. Otto Graf Lambsdorff, sehr herzlich dankt.
Wir schließen uns den ehrenden Worten des Bundeskanz-lers und der anderen Redner an. Dass es zu der heutigeneinvernehmlichen Beschlussfassung nun doch kommt, istvor allem das Verdienst von Otto Graf Lambsdorff.Diesen Beschluss herbeizuführen war indes nicht soproblemlos, wie die heutige allgemeine Übereinstim-mung suggerieren könnte. Die Fraktionen des DeutschenBundestages waren sich ihrer Verantwortung auch für dasAnsehen Deutschlands in der Welt bei diesem Projektstets bewusst. Deswegen haben wir bei dieser Problema-tik ganz bewusst auf eine parteipolitische Auseinander-setzung verzichtet; ich will mich auch heute daran halten.Es darf aber doch festgestellt werden, dass in der ent-scheidenden Phase vor etwa zwei Wochen manche Kolle-gen – aus verständlichen Gründen – hinsichtlich des wei-teren Vorgehens vorsichtig und zögerlich gewesen sind.Die F.D.P.-Fraktion hat die Frage der Rechtssicherheitsehr sorgfältig geprüft. Wir sind zu dem Ergebnis gekom-men, dass nach dem Verlauf der Rechtsprechung in denUSA keine Verurteilungen deutscher Unternehmen voramerikanischen Gerichten drohen. Das Statement of Inte-rest hat sich in der Praxis nach unserer Auffassung hinrei-chend bewährt. Die somit juristisch gut begründete Ent-scheidung, Rechtssicherheit festzustellen, war politischdringend und rasch geboten. Ich glaube, es überschreitetnicht die Grenzen des Taktes und ist nicht parteipolitischeAuseinandersetzung, wenn ich feststelle, dass unser Frak-tionsvorsitzender Wolfgang Gerhardt dies im richtigenMoment erkannt hat und in der Öffentlichkeit mit Nach-druck dafür eingetreten ist, dass wir diese Entscheidungheute treffen. Denn jeder Tag des Zuwartens wäre ein ver-lorener Tag gewesen.
Meine Damen und Herren, nun kann endlich wieder insöffentliche Bewusstsein rücken, was die Stiftungsinitia-tive, die Bundesregierung, Graf Lambsdorff und der Deut-sche Bundestag mit den internationalen Verhandlungs-partnern in den letzten zwei Jahren erreicht haben – dasist nicht wenig, ich möchte sogar sagen: es ist bewegend –,nämlich ein Bekenntnis zu Schuld und historischer Ver-antwortung statt des Verdrängens und Vergessens, eineGeste der Wiedergutmachung und Versöhnung anstelledes Rückzugs auf juristische Abwehrpositionen, einesymbolische Geldleistung an die ehemaligen Zwangsar-beiterinnen und Zwangsarbeiter – übrigens auch an die,deren Betriebe keine Rechtsnachfolger haben, sodass einegerichtliche Einklagung der Ansprüche gar nicht möglichgewesen wäre –, statt jahrelanger Prozesse mit ungewis-ser Aussicht der Opfer, je entschädigt zu werden.Ich glaube, der heutige Beschluss des Bundestageswird dazu beitragen, dass die späte, aber doch großartigeIdee der gemeinsamen Bundesstiftung in der Geschichteeine positive Würdigung erfahren wird.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Roland Claus, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr ver-ehrten Damen und Herren! Die Entschädigung der ehe-maligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ist inder Tat ein wichtiger Schritt in der deutschen Nachkriegs-geschichte, der längst überfällig war. Was wir heute aufAntrag aller Fraktionen beschließen, sollte daher nicht ge-ring geschätzt oder herabgewürdigt werden, aber ich emp-finde es auch als gut, dass wir uns hierbei jeglicher Selbst-zufriedenheit enthalten.
Gewiss, meine Damen und Herren, es ist an dieserStelle vielen zu danken. Ich schließe mich namens derPDS-Fraktion dem Dank an die bereits Genannten herz-lich und gerne an. Unser Dank gilt aber vor allem denBetroffenenverbänden, die mit ihrem beharrlichenNachdruck den wohl größten Anteil am heutigen Ergeb-nis haben.
Vergessen wir nicht: Sie sind keine Bittsteller, sondern ha-ben einen höchst moralischen Anspruch.Eigentlich gingen wir alle davon aus, dass mit der Verab-schiedung des Gesetzes zur Stiftung für die Zwangsarbei-terentschädigung, dem ersten von allen Fraktionen gemein-sam eingebrachten Gesetz, die Entscheidung getroffen war.Dann aber – auch das gehört zur Wahrheit – hat die deut-sche Wirtschaft, genauer gesagt: die Interessenvertre-tung der deutschen Wirtschaftsspitzen, mit dem Deut-schen Bundestag Monopoly gespielt. Der Gipfel war wohldie Forderung, das Parlament solle das gerade beschlos-sene Gesetz mal eben so gemäß dem Wunsch der Unter-nehmerverbände ändern. Nun sagt aber zum Glück dasGrundgesetz der Bundesrepublik in Art. 20: „Alle Staats-gewalt geht vom Volke aus“, nicht aber: Alle Staatsgewaltgeht vom Haus der deutschen Wirtschaft aus. Meiner Mei-nung nach haben die Spitzenverbände der deutschen Wirt-schaft damit das internationale Ansehen der Bundesrepu-blik nachhaltig beschädigt, im Übrigen auch das Ansehenvon Unternehmen, die von sich aus der Stiftungsinitiativebeigetreten sind.
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Dr. Max Stadler16856
Meine Damen und Herren, setzen wir für einen Mo-ment diese 5 Milliarden DM, über die so viel gestrittenwurde, in einen Vergleich. Es ist weniger Geld, als dieBankgesellschaft Berlin bei ihren so genannten „ganz nor-malen“ Geschäften in den Sand gesetzt hat. Man muss sichdas einmal aus der Sicht osteuropäischer Zwangsarbeite-rinnen und Zwangsarbeiter vorstellen: Da macht die deut-sche Hauptstadt mal eben ein paar Milliarden D-MarkSchulden und schon ist man dabei, zu erklären, dass manden Schaden selbstverständlich irgendwie werde ausglei-chen können, aber um eine geringere Summe für Zwangs-arbeiterinnen und Zwangsarbeiter gibt es ein endloses, anWürdelosigkeit kaum zu überbietendes Gezerre. Ange-sichts dessen muss man sich schon fragen, wo hier dieMaßstäbe geblieben sind.
Gestatten Sie mir noch einen Blick auf die Geschichte:Die heutige Entscheidung des Deutschen Bundestageswäre wohl ohne die Überwindung der Blockkonfrontationund ohne die deutsche Vereinigung nicht möglich gewor-den. Die früheren Systeme hatten sich auch in dieserFrage im wahrsten Sinne des Wortes gegenseitig blockiert.Da ist also mit dem Beitritt der DDR nicht nur einfach et-was dazugekommen, es sind neue Dimensionen eröffnet,neue Chancen gewonnen worden, die wir wahrnehmen,aber auch vertun können. Deutschland wird nicht alleinwegen seiner Wirtschaftsmacht internationale Anerken-nung finden, sondern man erwartet von uns auch dasöffentliche Signal: Politik und Moral gehören zusam-men – und nicht getrennt.
In drei Wochen jährt sich zum 60. Mal der ÜberfallDeutschlands auf die Sowjetunion – und nicht umgekehrt,Herr Bosbach –, das Land, das dann im Zweiten Weltkriegdie meisten Opfer brachte. Nicht der Diktator Stalinwurde nach diesem Überfall versklavt, sondern Millionenunschuldiger Menschen traf dieses Schicksal. Vor diesem60. Jahrestag muss die Auszahlung an die Opfer beginnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine wirkliche
Entschädigung ist das nicht, weil diesen Schaden niemand
tilgen kann. Aber ein wichtiger historischer Schritt ist jetzt
und heute geboten. Deshalb steht die PDS-Fraktion zu
dem gemeinsamen Antrag aller Bundestagsfraktionen.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Martin Hohmann, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter HerrPräsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kolle-gen! In wenigen Minuten wird der Bundestag „ausrei-chende Rechtssicherheit“ feststellen. Das ist Anlass zurFreude, insbesondere zur Freude mit den hochbetagten,ehemaligen Zwangsarbeitern, denen mit einigen tausendD-Mark echte Hilfe geleistet wird. Das ist natürlich auchAnlass für ein kräftiges Dankeschön und für verdientesLob.Mein erstes Lob gilt der deutschen Wirtschaft undihren Vertretern.
Damit möchte ich den über weite Strecken unverdientenTadel ausgleichen, der auf die Wirtschaft in den letztenWochen niederprasselte und zum Teil noch niederprasselt.Dann bin ich schon bei Graf Lambsdorff, einem Mannmit hervorragenden Talenten und einem ganz außerge-wöhnlichen Pflichtethos. Er spricht von einer Mischungaus Geschäft und Moral. Das ist lebenskluger Realitäts-sinn, der ihn davor bewahrt, in tiefer Ergriffenheit zu sichselbst aufzublicken. Wir sollten ihn heute darin zum Vor-bild nehmen.Wie war die Entstehungsgeschichte der Zwangs-arbeiterinitiative? Da war zuerst der Einzelkämpfer vonMünchhausen. Der eigentliche Anstoß kam dann aus derrot-grünen Koalitionswerkstatt des Jahres 1998. HelmutKohl hatte kurz zuvor gesagt, die Staatskasse werdenicht wieder geöffnet, eine solche reparationsähnlicheEntschädigung könnte die Büchse der Pandora öffnen.Griechische Begehrlichkeiten scheinen das zu bestäti-gen.Bei der konzeptionellen Arbeit waren die Bundestags-abgeordneten in der Rolle von Zaungästen. Die Schlag-zahl gaben Amerikaner vor, der bindende Text ist in Eng-lisch. So entstanden unumstößliche Vorgaben, wie zumBeispiel die Verteilung des „Topfes“, die so genannte Al-lokation.Beim Werben für das Projekt waren deutsche Politikerdann natürlich wieder nützlich, in erster Linie die der rot-grünen Regierungskoalition. Es ist verständlich, dass siedie bisherigen deutschen Wiedergutmachungsleistungendabei nicht besonders herausstellten. Aber sie müssen ge-nannt werden: Nach heutigem Wert sind an rassisch, re-ligiös oder politisch Verfolgte nach dem BEG rund233 Milliarden DM gezahlt worden. Rund 100 000 Ver-folgte erhalten derzeit BEG-Renten in einem jährlichenGesamtvolumen von 1,2 Milliarden DM. Seit KonradAdenauer und Ben Gurion hat Deutschland in einzigarti-ger Weise Verantwortung übernommen.
Man fragt sich manchmal, warum diese riesige Entschä-digungsleistung nicht deutlich kommuniziert wird.
– Ich komme jetzt zu Ihnen.Ärgerlich wird es aber, wenn ein Politiker der Regie-rungskoalition hier im Bundestag behauptet:Die Zwangsarbeiter sind Menschen, die von unseremStaat nie etwas bekommen haben.Die Wahrheit ist, dass neun von zehn Zahlungsempfän-gern bereits Entschädigungsleistungen aus deutschen
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Roland Claus16857
Kassen erhalten haben. Das konnten Sie im „Focus“ undin der „FAZ“ lesen.
– Ja, lachen Sie ruhig. Das hat auch die Bundesregierungbestätigt.
Wir alle wissen, welch unsägliches Leid jüdischenMenschen und Menschen anderer Völker durch Deutscheim letzten Jahrhundert beigebracht worden ist.
Aber dieses gute Argument braucht kein wahrheitswidri-ges Übertreiben und kein übermäßiges Moralisieren. Fak-tum ist, dass bis heute jede Bundesregierung rechtlicheAnsprüche von Zwangsarbeitern zurückgewiesen hat.Faktum ist, dass bis heute kein einziges Gericht Zwangs-arbeiterentschädigungen rechtskräftig zugesprochen hat.Faktum ist, dass der Stiftungsinitiative der deutschenWirtschaft der große Schrecken über die erfolgreiche1,25-Milliarden-Dollar-Kampagne gegen die SchweizerBanken in die Knochen fuhr.
Unter befreundeten Staaten gebraucht man das Wort Er-pressung nicht. Aber eine sehr wirksame Einladung zurAufnahme sehr ernsthafter Verhandlungen waren die vonB’nai B’rith International und dem American Jewish Con-gress in den USA geschalteten Anzeigen schon.Faktum ist, dass erst das Zusammenwirken von meh-reren Umständen und Wirkungen das heutige Ergebnisherbeigeführt hat. Da sind die Geschäftsinteressen großerdeutscher Firmen in den USA. Da ist das Institut der ame-rikanischen Sammelklage mit ihren horrenden Klagesum-men.
Da ist der Fortfall Deutschlands als wichtigster Verbün-deter der USA nach dem Ende des Kalten Krieges. Daist, wie es Stuart Eizenstat anlässlich der 1998er-Ab-schlussfeier der jüdischen Yeshiva-Universität aus-drückte, das Erstarken und das In-den-Mittelpunkt-des-amerikanischen-Lebens-Rücken der Juden in den USA.Da ist auf deutscher Seite die Verantwortung bei Politi-kern, für die der Erfolg der 68er-Vergangenheitsbewälti-gung ein prägendes Erlebnis war.
– Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie sollten dieFakten zur Kenntnis nehmen können; denn Politik heißt,das zu sagen, was ist.
Ich komme zum Schluss.
– Wenn Sie zu meinem Schlussappell wieder klatschen,dann sehe ich, dass Sie Menschenrechte ernst nehmen.
Wenn heute der Versuch gemacht wird, historischesLeid mit einer moralischen Geste zu lindern, dann dürfenwir das Leid und die Menschenrechte deutscher Zwangs-arbeiter nicht schweigend übergehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Haben
Sie auch für deutsche Zwangsarbeiter ein Herz!
Ich schließe die Aus-sprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag derFraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen, der F.D.P. und der PDS zur Feststellung aus-reichender Rechtssicherheit für deutsche Unternehmennach § 17 Abs. 2 des Gesetzes zur Errichtung einer Stif-tung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. Zudieser Abstimmung liegt eine schriftliche Erklärung desKollegen Kauder und weiterer 13 Abgeordneter derCDU/CSU-Fraktion vor1). Wer stimmt für diesen Antragauf Drucksache 14/6158? – Wer stimmt dagegen? –Stimmenthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmenvon SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, F.D.P. undPDS bei einigen Gegenstimmen aus der CDU/CSU-Frak-tion angenommen.
Ich möchte auch meinerseits allen, die an diesem wich-tigen Werk beteiligt waren, ein herzliches Wort des Dan-kes aussprechen.Wir kommen nun zur Beschlussempfehlung des Innen-ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der PDS zur so-fortigen Auszahlung an die Opfer der NS-Zwangsarbeit,Drucksache 14/6165. Der Ausschuss empfiehlt, den An-trag auf Drucksache 14/5788 für erledigt zu erklären. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmigangenommen.
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Martin Hohmann16858
1) Anlage 2Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe Zusatz-punkt 2 auf:Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion der CDU/CSUHaltung der Bundesregierung zum drastischenAnstieg der Inflation auf 3,5 ProzentBevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich die Kolle-ginnen und Kollegen, die den Saal verlassen wollen, dasmöglichst schnell zu tun, damit die Aussprache ungestörtvor sich gehen kann.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort demKollegen Friedhelm Ost, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Prä-sident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die In-flation hat einen Namen: Rot-Grün.
– Natürlich; ich werde Ihnen das gleich erläutern.Vor einigen Jahren hat einmal ein Bundesbankpräsi-dent gesagt: Inflation ist Betrug am Sparer, ja an allenkleinen Leuten. Dieser Bundesbankpräsident kam aus denReihen der SPD. Die Inflationsrate lag damals nicht, wieheute, bei 3,5 Prozent, sondern unter 2 Prozent.Natürlich wissen Sie selbst das ganz genau: Eine Infla-tionsrate von 3,5 Prozent bedeutet eine gewaltige Geld-entwertung. Die Preissteigerungen treffen vor allem diesozial Schwächeren.Das ist aber nicht das einzige Ziel des Wachstums- undStabilitätsgesetzes, das verfehlt worden ist. Alle Ziele sindverfehlt worden. Sie haben saisonbereinigt wieder einesteigende Arbeitslosigkeit. Sie haben ein unbefriedigen-des wirtschaftliches Wachstum; es geht zurück. DerBundeskanzler muss seine eigenen Prognosen laufendzurücknehmen. Sie haben ein Ungleichgewicht in derAußenwirtschaft, und Sie haben eine hohe Inflationsrate.Sie können von renommierten wissenschaftlichen In-stituten wie dem DIW erfahren, welch außerordentlichnegative Folgen eine so hohe Inflationsrate hat. Das DIWschreibt in seiner jüngsten Analyse, angesichts dieserPreisentwicklung bliebe für den privaten Konsum in rea-ler Rechnung kaum noch etwas von dem Anstieg übrig.Man fragt sich heute: Wie verträgt sich das eigentlichmit den Verheißungen wie „Wir machen nicht alles an-ders, aber wir machen alles besser“? Bei 3,5 Prozent In-flation – das ist eine Rekordzahl in den letzten sieben Jah-ren – können Sie doch nicht davon sprechen, dass allesbesser gemacht worden ist. Die Selbstherrlichkeit, mit derSie sich gerade in der Wirtschafts- und Finanzpolitik prä-sentiert haben, erleidet jetzt Schiffbruch. Sie treiben unserLand wirtschaftspolitisch in einen wirklichen GAU. Sieverfehlen alle wichtigen wirtschaftspolitischen Ziele.
– Ich täusche mich nicht.
– Sie müssen nur die offiziellen Zahlen zur Kenntnis neh-men. Sie dürfen nicht dauernd dazwischenreden, sonstkönnen Sie das nicht richtig wahrnehmen.
Sie sind hier angetreten mit der selbstherrlichen Er-kenntnis: Energie ist zu billig. Ich weiß gar nicht, woherSie diese großartige Erkenntnis hatten. Fragen Sie einmalden Autofahrer an der Tankstelle, fragen Sie die Familie,die die Heizkostenabrechnung bekommen hat und jetztnicht nur nachzahlen, sondern auch höhere Vorauszahlun-gen leisten muss, ob Energie zu billig ist. Sie sind diePreistreiber der Nation. Diesen Titel haben Sie sich wirk-lich verdient.
Sie können nachrechnen; Sie können ja sonst mit Zah-len gut jonglieren: Eine vierköpfige Familie ist in diesemJahr mit gut 650 DM höher belastet als 1998. Sie lächelndarüber und sagen, das sei gar nichts.
– Doch, Sie nehmen das mit einer Chuzpe hin, die unso-zial ist. Sie verschlimmbessern alles.
Ich erinnere Sie in diesem Zusammenhang an Goethe:Einmal die Weste falsch geknöpft, ist immer falsch ge-knöpft. Sie können knöpfen, wie Sie wollen, Sie kommenimmer mit einer falsch geknöpften Weste an.
Sie sind falsch geknöpft; das sage ich Ihnen ganz offen.
Eine Inflationsrate von 3,5 Prozent bedeutet eine ge-waltige Geldentwertung. Sie sprechen doch auch von Ver-mögensbildung in Arbeitnehmerhand. Sie wollen eine ge-rechte Verteilung vornehmen und die Kluft zwischen Armund Reich schließen. Wenn Sie die Inflationsrate von3,5 Prozent im Zusammenhang mit einem Geldvermögenvon 7 BillionenDM sehen – das sind die Spargroschen derkleinen Leute, das sind die Vorsorgegroschen von Rent-nern und anderen –, müssen Sie erkennen: Sie rauben da-mit den Leuten in diesem Jahr 24 Milliarden DM. Sie ma-chen jetzt im Zusammenhang mit der Entlastung derFamilien im Umfang von 4 Milliarden DM große Schlag-zeilen, nehmen ihnen aber gleichzeitig 24 Milliarden DMals Folge der Inflation weg.Außerdem muss ich Ihnen sagen: Was Sie im Zusam-menhang mit dem Euro machen – die zweite Quelle derInflation – ist auch unsozial. Sie kümmern sich nicht umden Wert der Währung. Die Importpreise steigen um5,1 Prozent. Dies bedeutet einen zusätzlichen Anstiegder Preise, den alle Menschen bald negativ spüren wer-den.Deshalb sage ich Ihnen: Sie können sich nicht einfachverstecken und sagen: Wir hören, sehen und tun nichts.
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Präsident Wolfgang Thierse16859
Sie sind herausgefordert, auch für die Stabilität etwas zutun.Herzlichen Dank.
Ich erteile der Parla-
mentarischen Staatssekretärin Barbara Hendricks das Wort.
D
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Nach vorläufigen Angaben
des Statistischen Bundesamtes sind, auf der Grundlage
der Daten aus sechs Bundesländern, die Verbraucher-
preise seit Mai vorigen Jahres um 3,5 Prozent gestiegen.
Isoliert betrachtet ist das ein drastischer Anstieg. Jedoch
besteht unter Stabilitätsgesichtspunkten kein Anlass,
diese Entwicklung zu dramatisieren, so wie Sie, Herr Kol-
lege, es getan haben.
Die Preisstabilität ist nicht gefährdet.
Die Ursachen für den Preisauftrieb im Mai sind vo-
rübergehend und klar zu identifizieren. Sämtliche Wirt-
schaftsexperten und auch die Europäische Zentralbank
rechnen im Jahresverlauf mit wieder rückläufigen
Preissteigerungsraten. Die Verbraucherpreise werden nach
wie vor hauptsächlich durch die Entwicklung der Mine-
ralölpreise bestimmt. Hier kam es im vergangenen Jahr bei
heftigen Auf- und Abbewegungen zu einem deutlichen
Anstieg. Teilweise wirkt sich das erst jetzt bei uns aus, zum
Beispiel bei der Anpassung der Preise für Gas und Fern-
wärme oder der Umlagen für Heizung und Warmwasser.
Hinzu kommt der jüngste Anstieg der Benzinpreise auf-
grund knapperer Raffineriekapazitäten in den USA sowie
der wieder etwas schwächere Euro, der unsere Einfuhren
aus Ländern außerhalb des Euro-Raumes verteuert.
Der zweite preistreibende Faktor sind die Tierkrank-
heiten BSE und Maul- und Klauenseuche, die zu deutli-
chen Preisanhebungen bei Schweinefleisch und Geflügel,
aber auch bei als Substitut gekauften Lebensmitteln wie
Fisch und Frischgemüse geführt haben. Nahrungsmittel
sind im Mai binnen Jahresfrist in den sechs Bundeslän-
dern, in denen Vorerhebungen gemacht worden sind, um
5,7 bis 9,9 Prozent teurer geworden.
Wir haben für den Mai zwar noch keine detaillierten
Angaben, schätzen aber, dass gut ein Drittel der Jahresrate
von 3,5 Prozent auf die Energieverteuerung und knapp ein
Drittel auf die Nahrungsmittelverteuerung zurückzu-
führen sind. Die so genannte Kerninflationsrate – das
heißt: ohne Energie und Nahrungsmittel – dürfte auch im
Mai die 1,5-Prozent-Marke nicht überschritten haben.
Der jüngste Preisauftrieb ist also hauptsächlich auf vorü-
bergehende Sonderfaktoren zurückzuführen. Es besteht
deshalb kein Anlass zur Beunruhigung. Die Grundten-
denz der Preisentwicklung ist weiterhin moderat.
Dies hat einen statistischen und einen ökonomischen
Hintergrund. Der Einfluss der Euro-Abwertung seit Fe-
bruar sowie der einsetzenden Mineralölverteuerung ab
Mai letzten Jahres wird zunehmend in der Vorjahres-
vergleichsbasis enthalten sein. Entsprechendes gilt für die
Nahrungsmittelpreise. Schon aufgrund dieses so genann-
ten Basiseffektes, der auch Ihnen, Herr Kollege, nicht
fremd sein dürfte,
ist deshalb im Weiteren wieder mit rückläufigen Preis-
steigerungsraten zu rechnen. Aufgrund der uns vorliegen-
den Daten halten wir es für durchaus wahrscheinlich, dass
der Verbraucherpreisanstieg im September dieses Jahres
die 2-Prozent-Marke wieder unterschreiten kann. Eine
ähnliche Voraussage hat auch Präsident Duisenberg in den
letzten Tagen gemacht.
Wissenschaft, internationale Institutionen und Finanz-
märkte sind sich darin einig: Die Gefahren einer hausge-
machten Inflation sind – zumal in Deutschland – äußerst
gering. Die Europäische Zentralbank hat ihre Leitzinssen-
kung vom 10. Mai damit begründet, dass die Risiken für
die Preisstabilität auf mittlere Sicht etwas nachgelassen
hätten. Sie nennt dabei nicht nur die weltwirtschaftlich be-
dingte Verlangsamung des Wachstums, sondern auch die
Lohnabschlüsse, die trotz des Ölpreisschocks sehr mode-
rat ausgefallen sind. Die Tarifparteien haben sich be-
schäftigungskonform und äußerst verantwortungsbe-
wusst verhalten. Im Zusammenspiel mit unserer soliden
Finanzpolitik ist – unabhängig von temporären Einflüs-
sen – die Grundlage für stabile Preise gelegt.
Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Rainer Brüderle, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Da-men und Herren! Es ist amtlich: Grün-Rot kommt unsteuer zu stehen.
Die jetzige Steigerungsrate der Lebenshaltungskostenvon 3,5 Prozent ist die höchste seit Dezember 1993.
Die Einfuhrpreise sind im April dieses Jahres um 5,1 Pro-zent und die Erzeugerpreise in der gewerblichen Wirt-schaft um 5,4 Prozent gestiegen. Das sind keine gutenVorboten.
So stark sind die Preise in der gewerblichen Wirtschaftseit 20 Jahren nicht mehr gestiegen. Das zeigt: Grün-Rotist teuer.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 2001
Friedhelm Ost16860
Der dramatische Anstieg der Preise ist zum großen Teilhausgemacht. Die Bundesregierung sorgt mit ihrer Politikfür eine künstliche Verteuerung von Energie.
Das ist nichts anderes als Preistreiberei auf dem Rückender Verbraucher.
Die durch die Ökosteuer bedingten hohen Preise für Ben-zin, Heizöl und Gas sowie die zusätzliche Erhöhung derStrompreise durch die Umlagen für Ökostrom sind dop-pelt schädlich: Sie lassen dem Bürger nicht nur wenigerGeld in der Tasche, sondern entziehen über die Geldent-wertung zusätzliche Kaufkraft. Die Regierung würgt mitihrer Preistreiberei in einer bedenklichen Konjunktur-situation den privaten Konsum ab. Es gibt eine gefährli-che Nachfrageschwäche. Grün-Rot stranguliert die Wirt-schaftsentwicklung.
– Herr Baron, Sie sollten nicht lachen.
Hinzu kommen Kostenbelastungen für die Wirtschaftdurch das geplante Zwangspfand,
– Herr Baron belieben zu scherzen –, die Verschlechte-rung der Investitionsbedingungen durch die Neugestal-tung der Abschreibungstabellen und die Verschärfung derbetrieblichen Mitbestimmung. Dies wird die Preise wei-ter anheizen.Auch der schwache Euro trägt nicht unerheblich zu derhohen Inflationsrate bei. Bundesbankpräsident Weltekehat dieser Tage darauf hingewiesen. Die importierte Preis-steigerung nimmt, wie die Zahlen belegen, deutlich zu.Die Bundesregierung schwächt den Euro und beschleu-nigt so den Preisauftrieb, weil sie notwendige Strukturre-formen etwa auf dem Arbeitsmarkt unterlässt. Die Aus-sage des Bundeskanzlers aus dem vergangenen Jahr, dassein schwacher Euro gar nicht so schlimm sei, weil er derExportwirtschaft nütze, diese Milchmädchenökonomie,hat den Kurs der europäischen Währung zusätzlich belas-tet. Angesichts der mut- und perspektivlosen Politik derBundesregierung – in Italien und Frankreich sieht es ähn-lich aus – sind die Aussichten auf eine Erholung des Eurosehr düster. Ich würde mich nicht wundern, wenn derEuro-Kurs noch nicht seinen Tiefpunkt erreicht hat.Gemeinsam mit der Wachstumsflaute droht am Hori-zont das Gespenst der Stagflation. Doch Grün-Rot tutnichts, um die streng stabilitätsorientierten Mitglieder derEuropäischen Zentralbank zu stärken. Unwidersprochenblieben die Forderungen des französischen Premiers nacheiner europäischen Wirtschaftsregierung. Dies wäre einezusätzliche Schwächung der Europäischen Zentralbank.Die Politik der Geldentwertung ist die ungerechtestePolitik. Gerade die tüchtigen, anständigen kleinen Leutesind die Leidtragenden einer Geldentwertung. Das ist so-zial tief ungerecht.
Die hohen Inflationsraten verstärken zudem die Gefahrder Lohn-Preis-Spirale. Das Bündnis für Arbeit in seinerwachsweichen Performance und Umsetzung hat hierkeine guten Grundlagen gelegt. Erste Andeutungen vonden Gewerkschaften lassen hier nichts Gutes ahnen. EinBlitzprogramm ist notwendig, damit die Bundesregierungden Trend umkehrt. Das heißt: Stopp mit der Ökosteuer,Stopp mit dem Zwangspfand, Stopp mit der teuren be-trieblichen Mitbestimmung.
– Herr Baron, Sie spüren es dank Ihrer hohen Diäten nicht.Es gibt aber Leute, die weniger als Sie haben. Denen tutdas weh. Sie lachen darüber. Den Rentnern, den Arbeits-losen tut es weh, Ihnen nicht. Lachen Sie weiter, verhöh-nen Sie Ihre Wähler!
Stattdessen brauchen wir eine sofortige weitere Absen-kung der steuerlichen Belastung, eine Senkung der Ar-beitslosenversicherungsbeiträge und einen Verzicht aufdie Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen. Esgibt nur einen Weg, diese schlechte Entwicklung zu stop-pen: Das ist eine Umkehr der Politik!
Wenn Sie das so weiter treiben lassen und nicht denMut haben, Ihre Politik zu korrigieren, werden Sie dasernten, was das Schlimmste ist: weitere Geldentwertungund keine wirtschaftliche Dynamik. So kriegt man dieArbeitslosigkeit nicht herunter. Da hilft auch kein Schö-nungsprozess in der Statistik. Da helfen nur andere, bes-sere Rahmenbedingungen, um die Weichen für mehrArbeit in Deutschland zu stellen. Stagflation ist ein dro-hendes Gespenst. Tun Sie etwas, bevor es Realität wird!
Ich gebe das
Wort dem Kollegen Dr. Reinhard Loske für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichmuss schon sagen, es ist etwas absonderlich, wenn HerrOst und Herr Brüderle hier als Verteidiger der kleinenLeute auftreten. Das nimmt ihnen doch kein Mensch ab.
Sehen Sie sich doch die Politik dieser Regierung ins-gesamt an.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 2001
Rainer Brüderle16861
Was haben wir bei der Steuerreform gemacht? Das mussman Ihnen immer und immer wieder erklären. Wir habenden Eingangssteuersatz gesenkt. Wir haben die Grund-freibeträge erhöht. Wir haben die Steuersätze insgesamtgesenkt. Wir haben den Spitzensteuersatz gesenkt. Wirhaben die Wirtschaft entlastet.
Das sind alles Dinge, die Sie nicht gemacht haben. Inso-fern klingt die Kritik aus Ihrem Munde nicht besondersberufen.Aber ich will zum Thema kommen. Wir haben im Mo-ment in der Tat vorübergehend eine hohe Inflationsrate.Das gibt Grund zur Sorge; keine Frage. Aber gerade weildas so ist, tun wir, glaube ich, gut daran – wie die FrauStaatssekretärin das getan hat –, nüchtern die Ursachen zubeleuchten.
Es sind im Wesentlichen zwei Ursachen zu nennen. Wirhaben es mit einem vorübergehenden Preisbuckel zu tun,der, glaube ich, überschaubar ist. Zum einen ist das dieEntwicklung der Nahrungsmittelpreise. Wir haben einenüberdurchschnittlichen Anstieg bei den Nahrungsmittel-preisen. Es ist jetzt sicherlich nicht der Ort, eine agrarpo-litische Grundsatzdebatte zu führen. Aber wenn man schonauf dieses polemische Niveau herabsteigt, auf das Sie sichbegeben haben, muss man sagen: Die Ursache dafür, dassdie Nahrungsmittelpreise jetzt hoch sind, sind die BSE-Krise und die anderen Agrarkrisen. Dafür haben Sie eineganz große Verantwortung aus der Vergangenheit.
Die Regierung versucht jetzt, eine Agrarwende hinzu-bekommen, die mehr Transparenz schafft, die den Ver-braucherinnen und Verbrauchern wieder die Verantwor-tung zurückgibt und damit auch die Unsicherheit auf demNahrungsmittelmarkt beendet.Das zweite Thema ist ohne Zweifel die Energie; HerrBrüderle, das ist nicht ganz falsch. Aber Sie müssen natür-lich ehrlicherweise zugeben, dass es im Wesentlichen ex-terne Faktoren sind, die hier Einfluss haben.
Das ist zum einen die Entwicklung der Rohölpreise. Es istzum anderen die Entwicklung der Benzinpreise
wegen der knappen Raffineriekapazitäten in den Verei-nigten Staaten.
Daran hat natürlich auch der Euro einen gewissen Anteil. –Diese keifende Meute dort an der Bank ist etwas unge-wöhnlich. Aber gut, sei es drum. Offenbar sind die Argu-mente gut.
Die energiepolitischen Rahmenbedingungen, die dieBundesregierung gesetzt hat, spielen hier eine nachgeord-nete Rolle.Die entscheidende Frage ist: Welche Schlüsse ziehenwir daraus? Der entscheidende Schluss kann doch nursein: Wir müssen unsere Abhängigkeit vom Erdöl redu-zieren. Das muss die strategische Antwort sein. Wir müs-sen weg vom Öl.
Wir glauben, dass wir uns aus diesem Klammergriff derOPEC-Länder nur befreien können, wenn wir eine konse-quente Stretegie der Energieeinsparung fahren, wenn wirmit der Effizienzrevolution Ernst machen.Wir haben ein Erneuerbare-Energien-Gesetz. Wirbrauchen Energieeinsparungen. Wir haben ein Altbausa-nierungsprogramm aufgelegt. Wir haben zusätzliche Mit-tel in die Bahn investiert. All das führt dazu, dass unsereAbhängigkeit vom Erdöl zurückgeht. Das ist gut so. Die-sen Weg werden wir konsequent fortsetzen. Wir wollen,dass Ölimporte durch heimischen Ingenieurverstand unddurch heimische Handwerksleistungen ersetzt werden;denn damit stärken wir den Wirtschaftsstandort Deutsch-land und damit schaffen wir neue Arbeitsplätze.
Das ist die einzig vernünftige Lehre, die man daraus zie-hen kann.Den Christenmenschen auf der rechten Seite will ichzum Abschied gern die Worte des Diözesanrates desBistums Passau angedeihen lassen – dies ist direkt an IhreAdressen gerichtet –:Verzichten Sie darauf, den Menschen vorzugaukeln,niemand brauche seine Lebensgewohnheiten zu än-dern, da es auch künftig genügend billiges Öl gebenwerde. Aus geologischen und ökonomischen Grün-den geht die Zeit des billigen Öls bald unwiderruflichzu Ende. Je früher die Menschen es erfahren, umsobesser ist es.Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die
Fraktion der PDS spricht die Kollegin Dr. Barbara Höll.
Herr Präsident! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Der Sachstand lässt sich relativ ein-fach konstatieren: Die Wärme in der Stube ist teurer ge-worden; Fahrpreise und Benzinpreise steigen; Butter,Milch, Wurst und Fleisch sowie Obst und Gemüse werdenimmer teurer; Schuhe, Taschen und Lederwaren werdenspätestens ab Herbst dieses Jahres mehr kosten.Die Inflationsrate wird im Mai bei über 3,5 Prozent lie-gen. Das hat verschiedene Ursachen. Der Anstieg des
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Dr. Reinhard Loske16862
Rohölpreises auf dem Weltmarkt ist – das wissen wir – einentscheidender Grund. Natürlich hat auch die Ökosteuerihr Scherflein dazu beigetragen. Ich denke, das kann mannicht verleugnen. BSE sowie Maul- und Klauenseuchesind zu nennen, aber auch die Umstellung auf den Euro.Sie wurde bisher noch nicht erwähnt. Es gibt eine Selbst-verpflichtung des Einzelhandels, im zweiten Halbjahrdieses Jahres die Preise nicht mehr zu erhöhen. Erhöhenwir die Preise doch lieber gleich im ersten Halbjahr. EinAbfallen der Inflationsrate auf unter 2 Prozent im zweitenHalbjahr dieses Jahres ist trotzdem nicht zu erwarten.Der Skandal besteht eigentlich darin, wie die Regie-rung nicht reagiert. Sie alle haben bisher noch nichts zurLage der 2,8 Millionen Menschen in der BundesrepublikDeutschland, die von Sozialhilfe leben, gesagt. DieseMenschen trifft die hohe Inflationsrate natürlich am aller-stärksten.
Zwischen 1993 und 1996 – das ist an die alte Regie-rung und an die alte Koalition gerichtet – haben Sie im Zu-sammenhang mit den Sozialhilferegelsätzen ein großesSpiel begonnen: Sie haben sie nicht mehr an die realenLebenshaltungskosten angepasst. Das führte bereits indiesem Zeitraum, also in einem Zeitraum von drei Jahren,zu einem Absinken des realen Niveaus um 5 Prozent.Die gesamte damalige Opposition forderte, dass dieSozialhilferegelsätze an die Lebenshaltungskosten ge-bunden werden müssen. Nachdem sie die Regierungsver-antwortung übernommen hatte, war es damit nicht mehrso weit her. Zum 1. Juli 2000 wurden die Regelsätze ent-sprechend der Preissteigerung erhöht. Allerdings wurdedieser Erhöhung die Inflationsrate von 1999 – 0,7 Pro-zent – zugrunde gelegt.Zum 1. Juli dieses Jahres soll wieder eine Anhebungder Regelsätze für die Sozialhilfe erfolgen, allerdings ge-koppelt an die Lohnentwicklung. Aus einer Antwort derBundesregierung auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSUzur Entwicklung der Regelsätze geht hervor – FrauHendricks hat das bestätigt –, dass die Regierung auf-grund der sehr moderaten Verhandlungen eine Erhöhungder Löhne und Gehälter um höchstens 2 Prozent erwartet.Das heißt: Auch Sie richten die Steigerung der Sozialhil-feregelsätze danach aus, was für Sie günstiger ist, was we-niger kostet. Sie entscheiden nicht danach, wie die Kos-ten für die Bürgerinnen und Bürger sind, die von diesemGeld leben müssen.Im Februar dieses Jahres betrug die Inflationsrate2,8 Prozent, im März 2,7 Prozent, im April 3,1 Prozentund im Mai beträgt sie wahrscheinlich über 3,5 Prozent.Darauf werden Sie bei der Anpassung der Sozialhilfere-gelsätze voraussichtlich nicht ausreichend reagieren. Dasist die Fortsetzung einer Politik, wie Sie sie schon mit derEinführung der Ökosteuer durchgesetzt haben. Sie habendiese Steuer ohne Rücksicht auf jeglichen sozialen Aus-gleich für Studenten und Studentinnen, für Rentner undRentnerinnen sowie für Sozialhilfeempfänger und Sozial-hilfeempfängerinnen durchgedrückt.Heute hat das Kabinett beschlossen, das Kindergeldum 30 DM zu erhöhen. Alle sollen sich freuen.
In der Realität ist das allerdings nicht viel mehr als eineAnpassung an die Inflationsrate.Ich komme zum Sozialhilferegelsatz zurück; denn dieGrundlage für die Berechnung Ihrer Kindergelderhöhungist der regelmäßige Bericht der Bundesregierung über dieHöhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kin-dern. Die Berechnung dieses Existenzminimums beruhtauf dem Sozialhilfeniveau, dem Sozialhilferegelsatz. Dasheißt ganz schlicht und einfach: Ein zu niedriges Sozial-hilfeniveau führt zu einem zu niedrig berechneten Exis-tenzminimum der Kinder. Daraus resultieren wiederumzu niedrige Kinderfreibeträge und ein zu niedriges Kin-dergeld. Damit hat sich der Kreis geschlossen.Was Sie heute verabschiedet haben, ist nur auf den ers-ten Blick etwas sozial Gutes. Es hat aber nichts mit einemLeistungsausgleich zu tun, sondern ist nur ein ganz kleinwenig mehr als der Inflationsausgleich, der auch nochgemäß Ihrem konkreten Regelungsvorschlag zu einemgroßen Teil insbesondere durch Alleinerziehende gegenfi-nanziert wird. Hinzu kommt, dass Sie jetzt noch bemühtsind, das ganze Verfahren innerhalb von vier Wochendurchzuziehen, um zu verhindern, dass die Öffentlichkeittatsächlich richtig mitbekommt, was läuft. Sie versuchendamit, auch die Kritik aus den Verbänden, die es schon gibt,abzuwürgen und nicht zur Sprache kommen zu lassen.In diesem Sinne ist es richtig, über den Anstieg der In-flationsrate zu sprechen. Wir müssen aber auch darübersprechen, wie wir als Parlament darauf reagieren. Das istinsbesondere für die Menschen wichtig, die darauf an-gewiesen sind, dass wir reagieren. Das vermissen wir alsPDS bisher. Aber wir werden darauf hinwirken.Ich danke Ihnen.
Ich erteile
das Wort dem Kollegen Max Straubinger für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Ver-ehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon erstaunlich:Wir haben in unserem Land die höchste Inflationsrate seit1993. Aber wenn ich die Ausführungen der Staatssekretä-rin Frau Hendricks vorhin richtig verstanden habe,komme ich zu dem Schluss, dass die Regierung auf dasPrinzip Hoffnung setzt.
Das Prinzip Hoffnung ist sehr trügerisch: Die Regie-rung hat zu Beginn des Jahres darauf gehofft, dass wir imheurigen Jahr fast 3 Prozent Wirtschaftswachstum habenwerden. Jetzt liegen wir aber nur bei 1,5 Prozent.
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Dr. Barbara Höll16863
Verehrte Frau Staatssekretärin, es wäre wesentlich wich-tiger und besser, politische Initiativen und Maßnahmen zuergreifen, um diesem unerträglichen Inflationsschub Ein-halt zu gebieten.
Ich möchte daran erinnern, dass wir 1998 bzw. 1999 fastPreisstabilität hatten. 1999 war eine Preissteigerung – daswar natürlich noch Ausfluss der Arbeit der Bundesregie-rung von CDU/CSU und F.D.P. – von nur 0,6 Prozent zuverzeichnen.
Seit Einführung der Ökosteuer und der unsäglichen, ideo-logisch motivierten Belastungen, die Ihre Politik sozusa-gen mitbegründet, gibt es mittlerweile in Mecklenburg-Vorpommern eine Preissteigerungsrate von 4,1 Prozent.Hier müssen die Alarmglocken endlich schrillen.
Der Kollege Loske hat vorhin ausgeführt, die Belas-tung durch die Ökosteuer sei eigentlich vernachlässigbar.
Herr Kollege Loske, Heizöl wurde um 4 Pfennig je Literund Erdgas um 3,60 DM je Megawattstunde zusätzlichbesteuert. Die Stromsteuer wird bis zum Jahr 2003 um5 Pfennig je Kilowattstunde erhöht. Die Mineralölsteuerwurde seit 1999 um 25 Pfennig je Liter erhöht. Insgesamt,Herr Kollege Loske, sind die Bürgerinnen und Bürger ge-genüber 1998 um 70 Milliarden DM zusätzlich belastetworden. Dies ist letztendlich mit die Ursache für dieseunsägliche Preistreiberei.
Es ist ein Trugschluss, wenn jemand glaubt, er könneauf die notwendigen Reformen verzichten und er könnedie Rentenkassen mit einer zusätzlichen Steuer sanieren,um damit die Renten zu sichern. Vielmehr muss der Re-formwille erkennbar werden. Wir können das Gesund-heitssystem nicht dadurch kurieren, dass wir Mindestbei-tragssätze einführen, die letztendlich eine zusätzlichePreistreiberei auslösen werden. Aber die eigentliche Ur-sache liegt in der falschen Haushaltspolitik, wie sie Rot-Grün letztendlich betrieben hat. Erinnern wir uns: Es heißtimmer, wir haben einen Sparhaushalt. Dass aber der vor-malige Finanzminister Lafontaine das Haushaltsvolumenin einem Jahr um 8 Prozent ausgeweitet hat, ist mit eineder Ursachen dafür, dass wir heute eine solche Inflations-rate aufzuweisen haben.
– Das ist sie nicht.Verlierer dieser Politik sind die Rentner in unseremLand. Ich kann mich noch daran erinnern, dass bei Ein-führung der Ökosteuer Grüne und SPD-Politiker großar-tig darlegten, auch die Rentner wären Gewinner der Ein-führung einer Ökosteuer, weil ihre Renten ja gemäß denNettolöhnen angepasst und diese steigen würden. Als dieNettolöhne gestiegen sind, hat Bundeskanzler Schröderknallhart gesagt: Die Renten werden nur noch gemäß derInflationsrate angepasst. Zugrunde gelegt wurde aber dieInflationsrate aus der Zeit der CDU/CSU-F.D.P.-Bundes-regierung, nämlich 0,6 Prozent. 0,6 Prozent Rentener-höhung, aber 3,5 Prozent Preissteigerungsrate im Mai die-ses Jahres – das ist ein Skandal und führt zu realenVerlusten für die Rentnerinnen und Rentner.
Die gleichen Verluste erleiden natürlich auch die Spa-rer. Wenn einer 10 000 DM als Not- oder Spargroschenoder Sonstiges – Friedhelm Ost hat es anhand hoher Sum-men dargelegt, ich möchte es anhand kleiner darlegen –auf seinem Sparbuch angelegt hat, bekommt er im Jahr beieinem Eckzins von 1 Prozent 100 DM Zinsen, gleichzei-tig erleidet er einen Wertverlust von 350 DM.
Dies zeigt sehr deutlich, dass Rentner, Sparer und natür-lich Familien mit Kindern die eigentlichen Verlierer derrot-grünen Politik sind.
Deshalb gilt es, jetzt eine Politikwende herbeizu-führen. Verzichten Sie auf die weitere Erhöhung der Öko-steuer in Zukunft – wenn Sie schon die Ökosteuer an sichnicht zurücknehmen wollen – weil damit wiederumüberdimensionale Belastungen auf die Bürgerinnen undBürger zukommen werden, nämlich zum 1. Oktober 2001plus 3 Pfennig Schwefelsteuer, zum 1. Januar 2002 plus7 Pfennig Ökosteuer je Liter Benzin und zum 1. Januar2003 wieder 7 Pfennig Ökosteuer je Liter Benzin mehr.Wenn dieses so käme, würde das bedeuten, dass eine wei-tere Preisspirale in Gang gesetzt würde. Darüber hinaussind die Lohnempfänger die Gelackmeierten.Noch ein Letztes: Ich hoffe nicht, dass wir so weitkommen, dass solche unsäglichen Lohnforderungen ge-stellt werden müssen, wie sie mittlerweile die Flugzeug-piloten verlangen, nämlich 30 Prozent mehr Lohn. Ichhoffe nicht, dass sie dieses im Zusammenhang mit demInflationsausgleich gesehen haben.Besten Dank für die Aufmerksamkeit.
Für dieSPD-Fraktion spricht die Kollegin Nina Hauer. Bevor Sie
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Max Straubinger16864
das Wort ergreifen, darf ich Ihnen im Namen des Hausesherzlich zu Ihrem heutigen Geburtstag gratulieren.
Herr Präsident! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Vielen Dank für die Glückwünsche.Herr Straubinger, wenn es nach dem Willen vonCDU/CSU gegangen wäre, hätten die Rentner und Rent-nerinnen schon in diesem Jahr eine Rentenkürzung hin-nehmen müssen, gleichzeitig aber hätten die Beschäftig-ten viel höhere Lohnnebenkosten zahlen müssen.
Die Tatsache, dass es andersherum funktioniert, ist derrot-grünen Bundesregierung zu verdanken. Ich denke, daswissen die Rentner und Rentnerinnen auch.
Lieber Herr Brüderle, verehrter Herr Ost, die Aus-führungen, die Sie in Ihren Beiträgen gemacht haben, sindwirtschaftspolitisch grob fahrlässig. Sie verfahren nachdem Motto: Unsere Akzeptanz in der Bevölkerung sinkt,deswegen reden wir das Wachstum herunter und die In-flation hoch.
Sie geben wider besseres Wissen
die falschen Signale an die deutsche Wirtschaft und fürdas wirtschaftliche Ansehen Deutschlands im Ausland.
Sie wissen ja, dass diese Inflation zum größten Teil im-portiert ist: Die Rohöl- und Erzeugerpreise sind angestie-gen, natürlich sind auch die Nahrungsmittelpreise ange-stiegen, weil wir zwei schwer wiegende Krisen in derFleischproduktion hinter uns haben bzw. zum Teil nochmittendrin stecken. Das hat natürlich Auswirkungen aufdie Preisentwicklung gehabt. Man muss sehen, dass auchdie wirtschaftliche Entwicklung externen Faktoren unter-worfen ist.
Die Entwicklung in den Vereinigten Staaten hat natür-lich auch Einfluss auf eine Volkswirtschaft wie die deut-sche, die extrem exportorientiert ist. Wenn Sie sich dieZahlen des Wirtschaftswachstums einmal genau an-schauen, erkennen Sie, dass allein schon die Entwicklungin der Bauwirtschaft die Wachstumsprognosen nach untenkorrigiert.Ich hatte angenommen, nach der Hannover-Messewürden Sie sich etwas zurückhalten, weil dort auch dieWirtschaftsverbände deutlich gemacht haben, dass sie denvon Ihnen verbreiteten Pessimismus nicht wollen, weil esdazu keinen Anlass gibt. Es gibt Branchen in Deutsch-land, die Wachstumsraten bis zu 7 oder 8 Prozent haben.Das gilt nicht nur für die Elektrotechnik oder für den Ma-schinenbau, das gilt auch für die Dienstleister, es gilt füralle Branchen im Bereich der Informationstechnologien.Sie schaffen nicht nur wirtschaftliches Wachstum, son-dern auch Arbeitsplätze. Denn irgendwo müssen ja die1,3 Millionen Beschäftigungsverhältnisse, die in den letz-ten zwei Jahren dazugekommen sind, ihre Grundlage ha-ben.
Sie entstanden gerade in den Branchen, in denen in denletzten Jahren Leute eingestellt worden sind, wo Wachs-tum unterstützt wurde und auch Löhne angehoben wur-den.Sie werfen den Tarifpartnern vor, sie würden ihren Teilzur Inflation beitragen. Das finde ich in Anbetracht derTatsache, dass wir es geschafft haben, dass sich die Tarif-partner im Bündnis für Arbeit zusammengesetzt undmoderate Lohnentwicklungen vereinbart haben, eine Un-verschämtheit.Ich weiß nicht, ob sich die PDS einen Gefallen tut,wenn sie es so darstellt, als ob allein die soziale Transfer-leistung ein Ausdruck sozialer Gerechtigkeit und sozialerUnterstützung wäre.
Unsere Politik ist es, dieses Wachstum zu stärken. Aberunsere Politik ist es auch, denjenigen, die von Sozialhilfeleben, in unserer Gesellschaft eine neue Chance zu geben.Ich denke, da kann sich unser politisches Ergebnis sehenlassen. Wir konsolidieren den Haushalt; das wirkt auchganz gut gegen Inflation.
Wir betreiben eine aktive Arbeitsmarktpolitik; wir betrei-ben aktive Forschungspolitik. Wir haben dazu beigetra-gen, dass ausländische Investitionen in Deutschland at-traktiver geworden und damit angestiegen sind. Wirhaben dazu beigetragen, dass die Wirtschaft im Auslandweiß: Es lohnt sich wieder, in Deutschland zu investieren.Das gilt natürlich auch für die Wirtschaft im Inland.Ich verstehe gar nicht, warum Sie, Herr Brüderle, im-mer auf der Steuerreform herumhacken. Es war glückli-cherweise auch das Land Rheinland-Pfalz, wo die F.D.P.mitregiert, das diese Steuerreform im Bundesrat unter-stützt hat.
Wir haben damit in der Tat eine Grundlage für wirtschaft-lichen Aufschwung schaffen.
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Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters16865
Wir haben aber auch die Grundlage dafür geschaffen, dassdie Leute am Ende des Jahres mehr Geld in der Tasche ha-ben.
Das ist nicht nur für die Wirtschaft wichtig, das hat auchetwas mit sozialer Gerechtigkeit zu tun.
Ich kann zu Ihrem Pessimismus nur sagen: Reden Sieso weiter! Sie werden irgendwann dahin kommen, dassSie weder in den Verbänden noch in der Bevölkerung ir-gendjemand ernst nimmt. Wir vertrauen in die wirtschaft-liche Kraft Deutschlands. Wir tun etwas dafür. Wir habenim Mittelstand und bei den Beschäftigten auch die richti-gen Bündnispartner dafür.Vielen Dank.
Ich gebe das
Wort dem Kollegen Hartmut Schauerte. Er spricht für die
CDU/CSU-Fraktion.
Ich meine, wir soll-ten uns ohne Schön- oder Schlechtreden an den Faktenorientieren.
Wir reden über ein wichtiges wirtschaftspolitischesThema. 3,5 Prozent Inflation entsprechen bei einem Brut-tosozialprodukt von etwa 4 000 Milliarden DM inDeutschland einem Betrag von 140 Milliarden DM. Dasist dreimal so viel, wie Sie nach fünf Jahren Steuerreforman Beträgen pro Jahr zurückgeben wollen. Das ist mehrals 30-mal so viel, wie Sie für das Kindergeld ausgeben.Diese 140 Milliarden DM landen nicht irgendwo in derLuft, sondern bei ganz konkret betroffenen Menschen, inder Regel bei Verbrauchern, bei Familien, bei Rentnern,bei niemandem sonst. Wer eine solche Entwicklung nichtwahrnimmt und von „Schlechtreden“ spricht oder sie ver-harmlost und wenig dagegen tut, der handelt nicht verant-wortungsbewusst.
Das ist eine schwerwiegende Herausforderung. Ich denke,wir müssen uns ihr stellen.Es gibt natürlich Dinge, die man nicht beeinflussenkann. Aber es gibt auch Dinge, die man beeinflussen kann.Wenn man schon einiges laufen lassen muss, dann sollteman wenigstens in den Fällen handeln, in denen das mög-lich ist, damit nicht alles noch schlimmer wird. Ihre Öko-steuer ist genau der Punkt, an dem Sie alleinverantwort-lich preistreibend wirken. Wenn dann widrige Umständehinzukommen, wären Sie gut beraten, zu sagen: Nun hal-ten wir inne, nun nehmen wir ein Stück zurück, damit dieBelastungen nicht plötzlich die Strukturen bei den einfa-chen Leuten zerschlagen. – Dazu fordern wir Sie auf.
Natürlich gab es auch bei der CDU Inflation. Zu Be-ginn der Wiedervereinigung stieg die Rate auf mehr als5 Prozent. Das hat uns unglaublich belastet; aber wirwussten, woran es lag. Es bestand die Sorge, es könntenauch 10 Prozent werden, weil die Wiedervereinigung soplötzlich und ungeplant finanziert werden musste.
Aber in den letzten fünf Jahren unserer Regierungszeitsank die Inflationsrate von 1,7 auf 0,5 Prozent. Jetzt re-gieren Sie seit zweieinhalb Jahren. Bevor man einen gutenProzess in einer großen Volkswirtschaft mit 80 MillionenMenschen umkehrt, braucht es seine Zeit: Im Jahr 2000hatten wir 1,9 Prozent Inflation, in diesem Jahr haben wir3,5 Prozent. Das sind die Früchte Ihrer Politik, die Sie unsjetzt nicht mehr als Ergebnis der Vergangenheit in dieSchuhe schieben können. Das ist Ihre Inflationsrate; fürdie Wertzerstörung in Höhe von 140 Milliarden DM zu-lasten der deutschen Bürgerinnen und Bürger sind Sie ver-antwortlich.
Dem müssen Sie sich stellen.Ich will einmal darstellen, welche Auswirkungen dasauf die privaten Haushalte hat. Ein normaler Haushalt hatlaut Angaben des Statistischen Bundesamtes Aufwendun-gen für den privaten Verbrauch – mit allen staatlichenTransferzahlungen und allem Drum und Dran – in Höhevon durchschnittlich 4 031 DM. Bei diesem Betrag kosteteine Inflation von 3,5 Prozent monatlich 183 DM.
– Für einen durchschnittlichen Haushalt sind das mehr als2 000 DM im Jahr.Sie können gar nicht so viele staatliche Transferleis-tungen organisieren, dass Sie das wieder auffangen kön-nen. Deswegen wundere ich mich, dass Sie in dieser Si-tuation nicht ein einziges Rezept haben, nicht eine einzigeHandlung andeuten, womit Sie zeigen würden: Wir wol-len umsteuern; wir wollen das wieder auf ein verträgli-ches Maß zurückführen.Die hohen Inflationsraten, die wir seinerzeit zu verant-worten hatten, waren durch die Wiedervereinigung unddie Risiken, die damit verbunden waren, begründet. Ichwill das hier niemandem in die Schuhe schieben. Sie wa-ren vernünftig; es ging wohl nicht anders.
– Ich bitte um Vorschläge, wie Sie es besser gemacht hät-ten. Die Besserwisser kennen wir. – Aber jetzt erhöhen Siedie Inflation ohne Not, ohne einen solchen epochalen Ein-schnitt. Das macht die Sache in der Tat ganz schönschlimm.
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Nina Hauer16866
Noch schnell eine Korrektur. Wenn hier gesagt wird,Sie hätten die Abgabenquote gesenkt, muss ich feststel-len – an Ihrem Geburtstag möchte ich nur sehr freundlichmit Ihnen umgehen, Frau Kollegin Hauer –: Die Abga-benquote lag im Oktober 1998 bei 42,3 Prozent; jetzt liegtsie bei 43 Prozent.
Die Steuerquote lag in unserer Volkswirtschaft im Okto-ber 1998, zu dem Zeitpunkt, da wir die Regierung über-geben haben, bei 22 Prozent; heute liegt sie bei 23,1 Pro-zent. Sie haben sowohl die Steuerquote als auch dieAbgabenquote in dieser Zeit erhöht. Nun erhöhen Sie dieInflationsrate auf diese immense Höhe, sagen aber gleich-zeitig: Alles ist schön, wer etwas anderes sagt, redet unserLand schlecht; Rezepte haben wir nicht, doch es wirdschon wieder besser werden.Ich warne Sie: Das ist der Anfang der fatalen Situation,die wir damals hatten, als irgendein Bundeskanzler gesagthat: Was habt ihr eigentlich? Mir sind 5 Prozent Inflationlieber als 5 Prozent Arbeitslose. – Wohin uns das geführthat, daran erinnern sich noch die, die dabei waren. WennSie nicht gegensteuern, laufen Sie in die gleiche Falle. Da-vor wollen wir unser Volk rechtzeitig gewarnt haben.Herzlichen Dank.
Die Kolle-gin Andrea Fischer spricht nun für die Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen.
Andrea Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie ha-ben gesagt, die Inflation werde von uns verharmlost. Dashabe ich von keinem Kollegen, der seitens der sozial-demokratischen und der grünen Fraktion gesprochen hat,so gehört. Die Kollegen haben einfach nur versucht, sichmit Ihnen darüber zu verständigen – ich habe aber sehrstark den Eindruck, dass das nicht Ihr heutiges Interesseist –, welche Fakten sind und wie man diese zu bewertenhat. Denn selbstverständlich ist Inflation etwas, was wirnicht gutheißen und was wir nicht wollen.
Die Frage ist doch, ob man auf den Anstieg der Inflati-onsrate so aufgeregt reagieren muss, wie Sie das tun, oderob es nicht vielmehr so ist, dass Sie sich denken: Okay,jetzt sagen wir all das, was wir schon immer an der Poli-tik der Bundesregierung doof fanden, und diesmal stellenwir es unter die Überschrift „Inflation“. – Das kann mantun. Das dürfen Sie als Opposition machen; das ist Ihnenunbenommen. Aber deswegen müssen wir hier nicht hek-tisch werden. Das ist der entscheidende Punkt.Natürlich beschäftigt der Anstieg der Inflationsrateauch die Fachwelt; das wird Ihnen wahrscheinlich nichtentgangen sein. Die meisten Wirtschaftsforschungs-institute sagen: Das ist ein aktueller Effekt, der sehr vieleexterne Ursachen hat. – Die Fachwelt geht aber davonaus, dass sich die Preissteigerungsrate im Laufe des Jah-res wieder auf 2 Prozent einpendeln wird.
Professor Siebert vom Kieler Weltwirtschaftsinstitut hatgesagt – ihm ist da wirklich zuzustimmen –, die Lage seiernst, weil die Preissteigerung unerwartet hoch ausgefal-len sei. Aber er erwarte im Herbst wieder eine Inflations-rate von 2 Prozent. Das wird von vielen in der Fachweltgeteilt.Wenn das so ist, dann ist es doch nicht verharmlosend,wenn wir sagen: Wir schauen uns das genau an,
lassen uns aber in unserer Wirtschaftspolitik nicht beirren,weil diese im Prinzip dazu geeignet ist, Wachstum undBeschäftigung nicht nur sicherzustellen, sondern sogar zufördern.
Dass Sie die Ökosteuer nicht mögen, ist Ihnen unbe-nommen. Trotzdem sollten Sie aufhören, über die Faktenhinwegzusehen. Kollege Loske hat nicht gesagt, dass dieÖkosteuer keine Rolle spielt. Er hat nur darauf hingewie-sen, dass die Ökosteuer nicht den Effekt hat, wie Sie es dieganze Zeit behaupten.
Ich will das mit einer Zahl belegen: Seit Anfang des Jah-res 2000 sind die Benzinpreise um 50 Pfennig gestiegen.Der Effekt der Ökosteuer an diesem Preisanstieg beträgtgenau 6 Pfennig.
Da frage ich Sie nun: Ist dieser Preisanstieg nicht auf ex-terne Effekte zurückzuführen, die wir nicht beeinflussenkönnen? Ist es wirklich richtig – dies wurde ja schon ge-fordert –, es der OPEC, die die Preise erhöht, leicht zumachen und sofort mit Steueränderungen zu reagieren?
Ich glaube auch, dass Sie den Einfluss der Lebensmit-telpreise, die hier eine Rolle spielen, nicht richtig bewer-ten. Der Bundesverband des Deutschen Lebensmittel-Einzelhandels sagt, dass es zwar infolge der Agrarkrisebesondere Effekte gibt, dass aber damit zu rechnen sei,dass sich im Laufe des Jahres die Steigerung der Lebens-mittelpreise auf den uns längst vertrauten Wert von 1 Pro-zent einpendeln wird.
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Hartmut Schauerte16867
Wenn das alles so ist, sollen wir dann plötzlich hekti-sche Kehrtwendungen machen, wie Sie das hier von unsfordern?
Würden wir das tun, würden Sie mit Recht sagen, dass wireinen wirtschaftspolitischen Schlingerkurs führen.
Ich kann nur wiederholen, was schon viele gesagt ha-ben – das kann ich Ihnen nicht ersparen –: Wir haben inder Steuerpolitik das Ruder herumgeworfen und diePrivathaushalte auf eine Art und Weise entlastet, wie esIhnen die ganzen Jahre über nicht gelungen ist, obwohlSie genauso wie wir erkannt haben, wie notwendig dasist. Das ist für die Konjunktur von großer Bedeutung.Entgegen dem, was Sie immer behaupten, ist ein Drittelaller im Rahmen dieser Steuerreform durchgeführtenEntlastungen bei den kleinen und mittleren Unterneh-men wirksam. Auch das ist positiv für die Konjunktur.
Sie haben von der Arbeitsmarktpolitik gesprochen.Deshalb will ich darauf hinweisen: Derzeit kommt es zuausgesprochen maßvollen Lohnabschlüssen. Sie wissen,wie wichtig das für die Frage ist, ob die Preise steigenoder nicht. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass dasBündnis für Arbeit die dafür erforderlichen Rahmenbe-dingungen geschaffen hat. Wir wissen auch, dass es wei-terhin diese maßvollen Lohnabschlüsse geben muss,wenn wir nicht in eine Lohn-Preis-Spirale geraten wol-len.Ein letztes Wort: Ich bin wirklich geplättet, dass HerrOst sagt: Was Sie da mit dem Euro machen; dass Sie daseinfach so laufen lassen! – Mit Verlaub, habe ich irgend-etwas in Bezug auf die Unabhängigkeit der EuropäischenZentralbank verpasst?
Die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank istmeiner Kenntnis nach im Maastrichter Vertrag, der nochunter der Kohl-Regierung abgeschlossen wurde, veran-kert worden. Eine unabhängige Zentralbank halte ich füreine ausgesprochen kluge Idee. Ich bin der Auffassung,dass der Europäische Zentralbankrat eine ausgesprochengute Politik gemacht hat. Wenn Sie hier sagen, das mitdem Euro werde alles noch viel schlimmer, ist dies ver-antwortungslos.
Natürlich ist die Situation schwierig; der Euro muss sichdas Vertrauen der Märkte und der Bürgerinnen und Bür-ger erst erwerben. Sie aber machen es ihm schwer, sichdieses Vertrauen zu erwerben. Das kann niemand gebrau-chen. Das finde ich wirklich verantwortungslos, selbstwenn man in Rechnung stellt, dass Sie eine verzweifelteOpposition sind.
Ich erteile
nunmehr das Wort dem Kollegen Wolfgang Meckelburg
für CDU und CSU.
Herr Präsident!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass ich als So-zialpolitiker in dieser Debatte über die Inflationsrate rede,ist sicherlich notwendig. Denn wir haben versucht – eineAusnahme waren die Jahre, wo die Einheit zu bewältigenwar –, eine Politik zu machen, bei der Preisstabilitätherrscht. Die Preisstabilität ist die sozialste Politik geradefür die unteren Lohngruppen,
gerade für die Rentner und Rentnerinnen, für die Sozial-hilfeempfänger, für Studenten, also für alle, deren Ein-kommen sich am unteren Ende der Skala bewegt.
– Für die kleinen Leute.Wenn wir die Regierungsbilanz, die wir im Oktober1998 überlassen haben, mit dem vergleichen, was jetzt ist,dann stellen wir fest, dass entscheidende Daten auf derRutsche sind:Das Wirtschaftswachstum betrug am Ende der Regie-rung Kohl 2,7 Prozent. Jetzt müssen Sie das Wirtschafts-wachstum Monat für Monat nach unten korrigieren. Manerwartet heute – in der Presse ist das nachzulesen – nurnoch 1,5 Prozent.Bei der Arbeitslosigkeit hat es keine große Bewegung ge-geben. Bei uns waren es 3,9 Millionen; im letzten Monatsind wir bei 3,8Millionen gewesen. Ich will die Zahlen nichtso einfach vergleichen, weil sie nicht vergleichbar sind.
– Nein, nein. – Den größten Rückgang innerhalb einesJahres, von Januar bis September, hat es im Wahljahr 1998gegeben.
In keinem Jahr danach wurde dies geschafft. Ich sage dasdeswegen ganz deutlich, weil der Bundeskanzler an dieserStelle mit einer Zahl operiert – 4,8 Millionen –, die wir imJanuar hatten, die aber nicht Durchschnitt des Jahres war.
Jetzt will ich am Beispiel der Rentner deutlich machen,was das bedeutet. Beim Thema Inflation haben Sie so-wieso immer Schwierigkeiten.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 2001
Andrea Fischer
16868
Herr Kollege Poß, Sie haben den Rentnerinnen und Rent-nern über den Bundeskanzler im ersten Regierungsjahrversprochen: Wir bleiben bei der nettolohnbezogenenRente.
Dieses Versprechen haben Sie gebrochen. Sie haben ge-sagt: Es gibt nur noch einen Inflationsausgleich. Das istweniger gewesen. Als es dann konkret wurde, musstenwir feststellen, dass die Rentenerhöhung im Jahr 20000,6 Prozent betrug, aber die Inflationsrate im Jahr 2000bei 1,9 Prozent lag. Das war kein Inflationsausgleich, weildie Inflation des Vorjahres zugrunde gelegt wurde.Damit Sie einmal merken, was das für einen Rentner-haushalt bedeutet, nehme ich einmal eine nachrechenbareZahl.
Eine Rente von 2 000 DM ist zum 1. Juli 2000 auf2 012 DM erhöht worden. Aber der Kaufkraftverlust von1,9 Prozent bedeutet, dass diese 2 012 DM nur noch einenWert von 1 974 DM haben. Das spüren die Rentnerinnenund Rentner. Sie spüren es an der Zapfsäule. Sie spüren esgerade in diesem Monat auch bei den Heizkostennach-zahlungen. Das ist sicherlich mit ein Grund, warum dieInflationsrate so hoch ist.Das geht im Jahr 2001 weiter. Rentenanpassung West:1,9 Prozent, Inflation: 2,5 oder 2,3 Prozent; keiner weißdas so genau. Jedenfalls wird auch in diesem Jahr ein ähn-liches Verhältnis gegeben sein. Selbst wenn man einmalgutmütig rechnet – bei Rot-Grün weiß man ja nie, wie dieErgebnisse sein werden –, dass Sie im Wahljahr 2002möglicherweise mit der Rentenerhöhung 0,3 oder 0,4 Pro-zent über der Inflationsrate liegen, reicht das bei weitemnicht aus, um das auszugleichen, was Sie vorher den Rent-nerinnen und Rentnern aus der Tasche gezogen haben mitInflationsraten, die weit über den Rentenanpassungen lie-gen, die Sie ihnen gegeben haben.
Das Gleiche gilt für Familien. Wir haben immer ge-rechnet: Ein Prozentpunkt mehr oder weniger Inflations-rate bedeutet, aufs Jahr gesehen, 18 Milliarden DM mehroder weniger Kaufkraft. Wenn man dem gegenüberstellt,dass Sie die Familien mit 30 DM Kindergeld beruhigenwollen – eine Gesamtsumme von 4,6 Milliarden DM –,dann hat man den klassischen Beweis dafür, dass es not-wendig ist, eine Politik zu betreiben, die auf Preisstabilitätachtet. Das ist das Sicherste und Wichtigste und entlastetdie Familien viel mehr als die 4,6 Milliarden DM, die Sieihnen über das Kindergeld geben: 18 Milliarden DMkönnten ihnen über die Kaufkraft verloren gehen.Im Übrigen gilt für die Empfänger von Sozialhilfe– deren Änderungen sind ja an die Rentenanpassung ge-koppelt – genau dasselbe.Ich finde die Ergebnisse, die man in der Sozialpolitikfesthalten kann, blamabel für eine Regierung, die mit demSlogan angetreten ist, soziale Gerechtigkeit zu schaffen.Das, was Sie mit der Preissteigerungsrate hier anrichten,ist größte soziale Ungerechtigkeit. Ich fordere Sie auf:Schwenken Sie auf den Weg sozialer Gerechtigkeit! Sor-gen Sie dafür, dass Preisstabilität im Land herrscht! Da-mit wäre gerade den unteren Einkommen sehr geholfen.
Herr Kol-
lege Bernd Scheelen spricht nun für die Fraktion der SPD.
Herr Präsident! Meine Da-men und Herren! Herr Schauerte, Vorschläge wären ei-gentlich von der Opposition zu erwarten. Aber Sie ver-meiden ja tunlichst, konkrete Vorschläge zu machen.
Der Kollege Ost – er ist leider nicht mehr hier – hatvorhin gesagt, Inflation habe einen Namen, sie hieße Rot-Grün. Dazu kann ich nur sagen: Demagogie hat einen Na-men und der heißt Schwarz-Gelb.
Was der Kollege Ost hier vorgetragen hat, muss man jaeinmal in der Dimension der vergangenen zehn, 15 oder16 Jahre sehen.
– Herr Schauerte, ich komme sofort auf Sie zurück.Der Kollege Ost war zu Ihrer Regierungszeit in relativverantwortlichen Positionen tätig. Da wird er wissen, dassdie Inflationsrate für den Monat Mai im Jahre 1993 bei4,4 Prozent lag, also deutlich höher, als sie in diesem Jahrliegt. 1992 lag sie sogar bei 6,3 Prozent. Sie haben daseben ein bisschen beschönigt und gesagt: „an die 5 Pro-zent“.
Es ist natürlich ein bisschen sehr billig, Herr Schauerte, zubehaupten, das habe an der deutschen Einheit gelegen.Das hing mit der Art und Weise zusammen, wie Sie diedeutsche Einheit finanziert haben. Das war nämlich di-lettantisch und stümperhaft.
Über Verschuldung haben Sie das Ganze geregelt. Mitfrisch gedrucktem Geld, mit staatlicher Neuverschuldunghaben Sie die Einheit finanziert.
Die Probleme haben wir jetzt am Hals, die müssen wirjetzt lösen. Wir haben von Ihnen eine Staatsverschuldung
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 2001
Wolfgang Meckelburg16869
von 1,5 Billionen DM übernommen. Wir sind dabei, die-sen Schuldenberg abzubauen. Es ist ein schweres Erbe,das wir von Ihnen übernommen haben, aber wir stellenuns dieser Aufgabe und haben erste Erfolge auf diesemSektor zu verzeichnen.Ich frage mich: Wie hieß denn die Inflation in den 90er-Jahren? Jedenfalls muss sie doch schwarz-gelb gewesensein. Herr Brüderle, wenn Sie sagen, die Inflation sei so-zial tief ungerecht, dann haben Sie natürlich im PrinzipRecht. Nur müssen Sie sich dann an die eigene Brustschlagen, denn Sie haben doch jahrelang eine sozial tiefungerechte Politik unterstützt.Sie benutzen das Thema Inflationsrate heute wieder alsHintertür für ein anderes Thema. Sie haben uns in diesemJahr sechs- oder achtmal – ich weiß nicht, wie oft – mitAktuellen Stunden zum Thema Ökosteuer überrascht underfreut. Nun haben Sie gemerkt, dass sich das Thema ir-gendwie totläuft, und brauchen einen neuen Aufhänger.Daher versuchen Sie es mit Inflation. Dabei kommen Siemir ein bisschen so vor wie der Student, der sich für seineBiologieprüfung auf den Wurm vorbereitet hat. Nun wirder aber nach dem Elefanten gefragt. Und er beginnt seineAusführungen: Der Elefant hat einen wurmförmigenRüssel.So arbeiten Sie! Sie versuchen jetzt über eine Debattezur Inflation wieder auf die Ökosteuer zu kommen. Des-wegen will ich Ihnen gerne noch etwas zur Ökosteuer sa-gen. Sie sagen, die Ökosteuer treibe die Preise.
– Das kann ich Ihnen nachher noch einmal unter vier Au-gen erklären, wenn Sie es nicht verstanden haben. Viel-leicht verstehen Sie das hier jetzt auch nicht. Aber ichhoffe doch noch auf Ihre Einsicht.Wenn Sie behaupten, die Ökosteuer treibe die Preise,dann darf ich Sie noch einmal an diesen Zeitungsartikelerinnern, der überschrieben ist mit: „Teures Auto-fahren – Benzinpreis steigt zum 1. Januar um 18 Pfennig“.Das ist ein Artikel aus dem Jahr 1993, und zwar vom31. Dezember.Damals haben Sie zum 1. Januar 1994 die Mineralöl-steuer um 18 Pfennig angehoben. Nach Ihrer Logik hätteim Januar 1994 die Inflationsrate dramatisch ansteigenmüssen. Ist sie aber nicht. Sie ist von 4,4 Prozent imDezember 1993 trotz Ihrer dramatischen Steuererhöhungim Januar 1994 auf 3,2 Prozent gefallen. Das heißt, Siehaben mit einer einzigen Erhöhung das gemacht, wofürwir uns jetzt drei Jahre Zeit genommen haben, um in de-zenten Stufen die Energiepreise anzuheben. Das heißt, ei-nen direkten Einfluss auf die Inflationsrate hat so etwasnicht, denn sie basiert nicht nur auf einem einzigen Preis,sondern setzt sich aus Einzelpreisen vieler Bereiche zu-sammen.Noch einmal – wie Sie angemahnt haben, HerrSchauerte – zu den Fakten: Es steht außer Frage, dass wiralle eine Inflationsrate von 3,5 Prozent im Mai nicht gutfinden. Trotzdem lohnt es sich, einmal genau hinzusehen,wie sich diese zusammensetzt. Dazu sind sicherlich Gra-fiken manchmal ganz hilfreich. Ich habe Ihnen hier nocheine mitgebracht. Ich weiß nicht, ob Sie das sehen können.
Die untere schwarze Linie bewegt sich für den Zeitraumvon 1998 bis 2001 auf einem Niveau von etwa 1 Prozent.Das ist die Inflationsrate unter Ausschluss der Kraftstoff-und Nahrungsmittelpreise, sozusagen die Kerninflation.Sie beträgt auch im Mai dieses Jahres nur 1 Prozent. DerRest verteilt sich auf Energiekosten – 1,4 Prozent – undauf Nahrungsmittelpreise – 1,1 Prozent –, wobei Letzte-res im Wesentlichen saisonal bedingt ist.
Ihre Hochschätzung für die Bundesregierung kann ich gutverstehen; aber Sie halten sie manchmal ursächlich fürDinge, auf die sie leider keinen Einfluss hat. Wenn sichdie Ölscheichs einig sind und die Fördermengen drosseln,dann steigt der Energiepreis. Darauf hat die Bundesregie-rung relativ wenig Einfluss. Die Bundesregierung hatauch relativ wenig Einfluss darauf, wenn in England dieRaffinerie „Killinghome“ abbrennt, die den amerikani-schen Markt mit Benzin versorgt hat. Die Bundesregie-rung hat relativ wenig Einfluss auf das Wetter, darauf, obder Mai sehr trocken ist und den Bauern damit die Ernteverhagelt, um das einmal salopp zu formulieren. Das sindEinflüsse, die zugegebenermaßen die Inflationsrate jetztim Mai – für einen einzelnen Monat – auf 3,5 Prozenthochgetrieben haben.Der Präsident der EZB, Wim Duisenberg, sagt genaudas Gleiche: Das sind saisonale Einflüsse, bedingt durchdie Energiepreiserhöhung, MKS und BSE-Krise; das wirdsich wieder regulieren. Wir müssten uns Sorgen machen,wenn die Kerninflation über 1 Prozent läge. Das trifft abernicht zu. Deswegen sage ich: Es ist gut, dass die Bundes-regierung hier eine ruhige Hand bewahrt und in ihrerHaushaltskonsolidierungs- und Steuersenkungspolitikfortfährt. Das ist der richtige Weg; das ist die richtige Ant-wort auf steigende Preise.Vielen Dank.
Ich gebe das
Wort dem Kollegen Klaus-Peter Willsch für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber BerndScheelen, die Leute schauen ins Portemonnaie und mer-ken, dass am Ende vom Monat weniger übrig ist, dass sieweniger in der Tasche haben. Es ist ihnen dann egal, inwelche einzelnen Komponenten sich die Inflation zerlegt.Entscheidend ist: Es reicht unter dem Strich nicht mehr.Dafür seid Ihr mitverantwortlich.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 2001
Bernd Scheelen16870
Es ist immer recht aufschlussreich, einmal zurückzu-blenden und sich vor Augen zu führen, was zu ähnlichenThemen in vorangegangenen Debatten gesagt worden ist.Ich habe in einem Protokoll aus dem Monat September2000 nachgeschaut. Die Kollegen von Rot-Grün werdensich gut daran erinnern: Damals gab es intensive Debat-ten über den Benzinpreis und mögliche Kompensationen.Wie sah denn die Lage damals aus? – Das Rohöl kos-tete 35 Dollar je Barrel. Finanzminister Eichel sagte,25 Dollar pro Barrel sei ein für die Weltwirtschaft ver-nünftiger Wert. Das Wachstum für 2001 wurde mit rund3 Prozent prognostiziert. Eichel sagte, die Inflation ent-wickele sich moderat. Im August letzten Jahres hatten wireine Inflationsrate von 1,8 Prozent. In dieser Situation gabes hektische Betriebsamkeit bei der Regierung: Entfer-nungspauschale, Heizkostenzuschuss und all die anderenRegelungen.Vergleichen wir einmal diese Situation mit der heutigen:Ein Barrel Rohöl kostet 26 Dollar; das entspricht ungefährder eichelschen Wunschgröße. Die Prognose für dasWachstum beläuft sich auf 1,5 Prozent, vielleicht ein biss-chen mehr. Die Inflation beträgt 3,5 Prozent, die höchsteRate seit sieben Jahren. Das soll dann Grundlage für busi-ness as usual sein? – Das passt doch nicht zusammen.
Bei solchen Themen sollten Sie auch einmal auf dieWissenschaft hören. Professor Siebert hat am letztenSonntag in der „Bild am Sonntag“ erklärt:Da ist die Öko-Steuer nicht ganz unschuldig dran.Die Energiepreiserhöhungen sind deshalb auchhausgemacht.
Er sagt weiter:Wir müssen uns fragen, ob wir die richtige Energie-politik betreiben. Der deutsche Ausstieg aus derKernenergie ist eine Einladung an die Ölanbieter,diese Situation auszunutzen.Das liegt doch auch völlig auf der Hand:
Sie als rot-grüne Regierung geben noch zusätzlich dasSignal, der Benzinpreis sei zu niedrig. Die Grünen propa-gierten seinerzeit: „5 DM pro Liter!“ – vielleicht schaffenwir es ja, wenn Sie so weitermachen.
Sie haben seit der Regierungsübernahme 1998 denPreis pro Liter Benzin locker um 21 Pfennig erhöht. Dadürfen Sie sich doch nicht wundern, wenn bei Preisbil-dungsprozessen der Eindruck entsteht, da sei noch Luft,da sei die Grenze der Belastbarkeit noch nicht erreicht,wenn sich in einer solchen Situation andere dranhängenund zusätzliche Gewinne realisieren.
Tatsache ist: Wenn wir an die Tankstelle fahren undtanken, weiß jeder Einzelne von uns und wissen die vie-len Bürger draußen, dass alles, was über zwei Mark je Li-ter hinausgeht, aufgrund Ihrer so genannten Ökosteuerausschließlich von Ihnen zu verantworten ist.
Stichwort Euro: Sie haben vielleicht gelesen, dass dreiViertel der Deutschen nach einer Emnid-Umfrage derMeinung sind, dass die Ausgabe der neuen Zahlungsmit-tel am 1. Januar 2002 zu verdeckten Preissteigerungenführen wird. Angesichts der Erfahrungen bei der Umstel-lung der gerade eingeführten Entfernungspauschale müs-sen sie solche Befürchtungen natürlich auch haben: Sieappellieren auf der einen Seite an den Handel und allemöglichen anderen Adressaten, man möge sich bei derEuro-Umstellung bitte ordentlich verhalten, und auf deranderen Seite klauen Sie den Leuten auf diese Weise beider Entfernungspauschale 10 Pfennig. Über ein solchesVerhalten kann man nur den Kopf schütteln.Wir müssen erst einmal abwarten, ob sich die Befürch-tungen der Bürger in diese Richtung bewahrheiten werdenund inwieweit auch der eine oder andere preissteigendeEffekt daraus folgen wird. Das ist zumindest ein zusätz-liches Risiko, das wir zu gewärtigen haben.Kollege Schauerte hat vorhin bereits das nette Zitat vonBundeskanzler Schmidt seinerzeit gebracht. Der Minis-terpräsident Schröder hat sich 1995 dieses Zitat zu Eigengemacht. Er hat damals im „Spiegel“ gesagt, man dürfe„nicht das abwürgen, was wir zum Blühen bringen wol-len, die Beschäftigung.“ Auch für ihn gelte wie für denehemaligen Bundeskanzler Schmidt: Lieber 5 Prozent In-flation als 5 Prozent Arbeitslosigkeit. – Ich traue demBundeskanzler die 5 Prozent Inflation zu, nicht aber die5 Prozent Arbeitslosigkeit.Wenn sich die Regierung schon mit ökonomischenKurvenverläufen beschäftigen will, dann empfehle ich:Weg mit der Phillips-Kurve! Wer Inflation laufen lässtoder gar anheizt, wie Sie das mit Ihrer so genannten Öko-steuer machen, nimmt den kleinen Leuten ihr Erspartes,bestraft Rentner, Arbeitslose und Beschäftigte mit Real-einkommensverlusten und hat am Ende weniger Beschäf-tigung und mehr Arbeitslosigkeit. Das ist das Ergebnis.
Wenn Sie sich Kurven anschauen wollen, dann nehmenSie sich einmal die Laffer-Kurve vor. Trauen Sie sich aneinen großen Wurf bei der Steuerreform – Vereinfachungdes Systems, runter mit den Sätzen – und Sie werden Dy-namik vor allem bei der Binnenmarktentwicklung los-treten und zu Wachstum, zu Beschäftigung und zu spru-delnden Einnahmen kommen. Nehmen Sie die Vorschlägevon Gunnar Uldall, von Friedrich Merz, von ProfessorKirchhof als Blaupause! Dann werden wir mit der Politikhier bei uns im Land auf den richtigen Weg kommen. So,wie Sie es machen, machen Sie es falsch. Damit sind Siemitverantwortlich dafür, dass wir eine so hohe Inflations-rate zu beklagen haben.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. Mai 2001
Klaus-PeterWillsch16871
Nun erhält
das Wort der Kollege Wolfgang Weiermann für die SPD-
Fraktion.
Ich habe nicht den ge-ringsten Grund, mich zu ergeben, weil vieles von dem,was Sie gesagt haben, einfach nicht der Wahrheit ent-spricht.Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bun-desverfassungsgericht hat nicht uns gerügt, als es die Po-litiker aufforderte, eine bessere Familienpolitik zu machen,sondern das Urteil wandte sich gegen Ihre Regierungspo-litik. Das ist die Wahrheit.
Wenn wir über die Rentenpolitik reden, muss ich IhnenFolgendes entgegenhalten: Als wir den Kassensturz mach-ten, mussten wir feststellen, dass durch sachfremde Aus-gaben – die Sie und nicht wir getätigt hatten – die Rück-lage bei der Rente auf zwei Drittel einer Monatsausgabegesunken war. Das bedeutet, dass diese Rücklage garnicht mehr verfassungsgemäß war. Wir haben nun dafürgesorgt, dass wir allmählich mehr als eine Monatsrück-lage haben. Wer hat da denn die Schweinerei gemacht, Sieoder wir, die wir sie korrigiert haben?Sie sagten, die Inflationsrate sei bei der Rentenanpas-sung nicht berücksichtigt worden.
Wer hat denn seit 1994 – schauen Sie sich das einmal inaller Ruhe an – kontinuierlich, Jahr für Jahr, die Rentennicht einmal um mehr als die Höhe der Inflationsrate an-gehoben? Das waren doch Sie! Haben Sie wirklich nichtgemerkt, dass Sie in den Jahren an der Regierung und fürdiese Politik verantwortlich waren?
Was ich heute gehört habe, klingt so, als ob Ihnen dieKrokodilstränen, die Sie vergießen, den Blick auf die lau-fende Konjunktur eher trüben, als dass sie Klarheit in dasGeschehen bringen.Ich möchte festhalten, dass sich die konjunkturellenSchwächen nicht allein auf die Bundesrepublik Deutsch-land beschränken,
sondern es handelt sich, wenn Sie so wollen, um ein Phä-nomen, das auch in anderen Ländern der EuropäischenUnion in Erscheinung tritt.
Wir reden immer über die Höhe der Mai-Inflationsrate. –Das französische Amt für Statistik – auch das muss manan dieser Stelle einmal sagen – hat für den besagten Zeit-raum den geringsten Zuwachs des Bruttoinlandsproduk-tes seit 1998 errechnet.
Tun Sie doch nicht so, als würden sich diese Dinge nichteuropaweit und weltweit widerspiegeln und als seien al-lein wir an dieser Entwicklung maßgeblich beteiligt.Es geht hier nicht um die klassische Inflation, HerrSchauerte. Damit haben wir es nicht zu tun; denn diesewäre die Folge einer überhitzten Konjunktur, wie Sie ge-nau wissen.
Von Überhitzung ist aber keine Rede. Vielmehr ist der An-stieg der Inflationsrate das Resultat einer Entwicklung,deren Hauptursache auf der Kostenseite zu suchen ist. Dasist der qualitative, aber wichtige Unterschied in der Beur-teilung der gegenwärtigen Situation.
Das Statistische Bundesamt hat dafür drei Bereiche ge-nannt. Sie wurden hier schon genannt. Ich will es also andieser Stelle nicht noch einmal tun. Ich darf aber sagen,dass sich in etlichen Euro-Ländern die Inflationsrate be-reits im April im Durchschnitt auf 2,9 Prozent erhöht hat.In Spanien betrug sie 4 Prozent, in Irland 4,3 Prozent undin den Niederlanden 5,3 Prozent.Die Ursachen sind klar: Es handelt sich um den An-stieg – das gilt auch für unser Land – der Lebensmittel-preise. Aber ich füge hinzu, dass die Preise für Gas, Gasölund Rohölprodukte die Folge einer überhöhten Ener-gienachfrage in den Vereinigten Staaten sind. Das machtuns schmerzhaft klar, wie abhängig wir vom Öl und vonden Konzernen sind, die den Anstieg der Preise weiterge-ben.
Sie haben einige Male die Ökosteuer genannt. Ichmöchte Sie einmal bitten, in Ruhe zu überlegen: Ohne die-ses Lenkungsinstrument, das einen sparsamen Umgangmit dem teuren Rohstoff und den schleunigen Umstiegauf andere Energieformen erzwingt, wären wir längerfris-tig den unkontrollierbaren Schwankungen auf diesemMarkt mit allen Folgen für die Preisentwicklung in weitstärkerem Maße als zurzeit ausgeliefert. Es ist also einKorrektiv, ein korrigierendes Element. Wir sollten dieÖkosteuer nicht verteufeln. Das ist der realistische Fakt,der hier festzustellen ist.
Es gibt eine Reihe großer Banken, die damit rechnen,dass sich die Teuerungsrate in Deutschland in der zwei-ten Jahreshälfte beruhigen wird. Der Chef des Kieler In-stituts für Weltwirtschaft, Professor Siebert, erklärte,der Preisbuckel sei zwar unerwartet hoch ausgefallen,aber er werde sich im Herbst wieder normalisieren.Siebert rechnet dann mit einer Inflationsrate von 2 Pro-zent.
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Ich nehme an, dass ich mit meinen Ausführungen zumEnde kommen muss. Ich würde aber gerne noch mit Ih-nen weiter diskutieren.
Aktuelle Stunden sind ganz nett, aber Ihnen müssen ein-mal die Flausen in Form einer Berichterstattung gegen-über dem Volk aus dem Kopf getrieben werden, die allesandere als ehrlich ist.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Als letzter
Redner in dieser Aktuellen Stunde spricht nun für die
SPD-Fraktion der Kollege Thomas Sauer.
Herr Präsident! Meine Damenund Herren! Ich finde es immer richtig und gut, wenn sichder Deutsche Bundestag mit den Eckdaten der gesamt-wirtschaftlichen Entwicklung auseinander setzt. Aber eshat wenig Sinn, eine solche Diskussion zu führen, wenndas Ganze zu einer ritualhaften, reflexartigen Diskussionverkommt.
– „Flausen“ habe ich gar nicht gesagt, das war jemand an-ders. Ich meine, dass diese Sache eine ernsthaftere Dis-kussion wert gewesen wäre.
– Es gibt auch aus unseren Reihen solche Diskussions-beiträge. Aber was Herr Ost, der leider gleich nach seinerRede weggegangen ist, und auch Herr Brüderle hier ab-geliefert haben, ist Karnevalsprogramm, aber keine ernst-hafte Auseinandersetzung mit den Problemen der Men-schen in unserem Land.
Auch das Umgehen mit Zitaten ist immer wieder inte-ressant. Herr Siebert wurde hier zitiert als derjenige, dernun beweisen würde, dass die Ökosteuer PreistreiberNummer eins sei. „Ein klein wenig dazu beigetragen“ –so ist das Siebert-Originalzitat. Wenn man ihn zu Ende zi-tiert, dann heißt es in Bezug auf die Inflationsrate: „DieLage ist zwar ernst, weil der Preisbuckel unerwartet hochausgefallen ist, aber er wird sich im Herbst wieder abfla-chen.“ Dann erwartet er eine Inflationsrate um 2 Prozent.Es ist auch extrem unredlich, mit dem einmaligen An-stieg auf 3,5 Prozent im Mai, einem Monatswert, der Be-völkerung zu suggerieren, es handele sich hier um die Jah-resdurchschnittsinflation. Es ist höchst unredlich, wennman diese Dinge in einer ernsthaften Debatte so themati-siert.
Es wirft kein gutes Licht auf den deutschen Parlamenta-rismus, wenn hier mit solch falschen Zahlen operiert wird.
– Einen Augenblick mal, Herr Schauerte. Wenn die Infla-tionsrate im April niedriger ist als im Mai, wenn sie auchim Januar, im Februar und im März niedriger ist und wennerwartet wird, dass sie im Herbst wieder sinkt, kann mannicht davon ausgehen, dass die einmalig im Mai 3,5 Pro-zent betragende Inflationsrate auch den Jahresdurch-schnitt bilden wird.
– Die 3,5 Prozent sind in diesem Monat einmal da, aberdas ist nicht der Jahresdurchschnittswert. Dass ich Ihnendas alles erklären muss, ist ganz schön peinlich für Sie.
Für mich als Sozialdemokrat ist bei den neuesten Pro-gnosen über die wirtschaftliche Entwicklung ganz beson-ders wichtig: Gelingt es uns tatsächlich, die Massenar-beitslosigkeit deutlich zu reduzieren? Wir sind auf diesemWeg schon ein gutes Stück vorangekommen.
– Meine Kollegin Nina Hauer hat das hier ausgeführt. Siewären doch froh gewesen, wenn Sie eine Wachstumsrateerreicht hätten, wie wir sie im Jahr 2000 mit real 3 Pro-zent erreicht haben.
Sie wären auch froh gewesen, wenn Sie die Wachstums-rate dieses Jahres erreicht hätten, denn die letzte Wachs-tumsrate, die Sie 1997 noch zu verantworten hatten, lagdeutlich niedriger als die, die jetzt von den Wirtschafts-forschungsinstituten prognostiziert wird.
– In Bayern ist sowieso alles viel besser.Ich habe von Herrn Brüderle gehört, dass er ein Blitz-programm auflegen will, und Kernforderungen seinesBlitzprogramms sind die Abschaffung der Ökosteuer unddie Abschaffung der Ökosteuer sowie die Abschaffungder Ökosteuer und außerdem eine steuerliche Entlastungim Unternehmenssektor.
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Wolfgang Weiermann16873
Wenn Sie zur Kenntnis nehmen würden, dass die Öko-steuer beim Heizöl überhaupt nicht erhoben wurde undder Preis für Heizöl trotzdem massiv gestiegen ist, dannwürden Sie erkennen, dass die Preissteigerung durch dieÖkosteuer letztendlich wahrscheinlich gegen Null ten-diert. Ich behaupte – das beweist die Entwicklung derHeizölpreise –, dass die Heizölpreise auch ohne Öko-steuer genauso angestiegen wären, nur hätten sich dieMonopolprofite der Mineralölkonzerne erhöht. Zu derenSachwaltern machen Sie sich in diesem Hohen Hauseständig.
– Den Klassenkampf beherrschen Sie schon gut, HerrBrüderle. Das weiß ich. Man hat Mühe, dagegen anzu-kommen.
Herr Brüderle, Sie haben vielleicht die Regierungspo-litik der vergangenen Jahre nicht verfolgt. Sonst wüsstenSie, dass wir eine Steuerpolitik machen, die die Steuerlastfür Mittelstand und Arbeitnehmer massiv reduziert. WennSie es uns schon nicht glauben, glauben Sie es ja vielleichtdem Institut für Weltwirtschaft. Ich zitiere nur eine ganzkurze Passage aus dem März-Bericht: „Die Finanzpolitikwird im Jahr 2001 die Konjunktur stützen. Entscheidenddafür ist die Steuersenkung zum 1. Januar 2001. Alles inallem werden die Abgaben um 44 Milliarden DM ge-senkt.“Ich glaube, man kann sagen: Mit der mittelstands- undarbeitnehmerorientierten großen Steuerreform trägt dieseRegierung mit dazu bei, die Binnenkonjunktur zu stützenund Wachstum und Beschäftigung zu fördern. Ein aktio-nistisches Blitzprogramm à la Brüderle, im Mai 2001 auf-gelegt um die Inflation zu bekämpfen und die Beschäfti-gung in diesem Jahr zu erhöhen, kommt leider viel zuspät. Sie hätten Ihre Vorschläge reichlich früher einbrin-gen müssen.
Diese Regierung hat gottlob längst gehandelt. HerrnBrüderles Blitzprogramm kommt mir vor wie der Hase imWettrennen mit dem Igel: Der schlaue Igel Eichel ruft demhechelnden, aber blitzschnellen Hasen Brüderle stets ein„Ick bin all dor“ zu.Die Steuerpolitik der Bundesregierung ist allerdingsnicht diskretionär, sondern Bestandteil einer langfristigenPolitik, die Konsolidierung, Steuerentlastung und die Schaf-fung von Beschäftigung strategisch miteinander verbindet.Ich komme zum Schluss: Nach allem, was wir wissen,wird die Inflationsrate wieder deutlich zurückgehen. Ban-ker erwarten bereits im Frühjahr nächsten Jahres eine In-flationsrate von 1,5 Prozent. Ich gehe davon aus, dass Siedann eine Aktuelle Stunde beantragen, um die Erfolge derBundesregierung bei der Senkung der Inflationsrate undder Stabilisierung der Preise zu thematisieren. Das wäreeine schöne Sache.Vielen Dank.
Die Aktuelle
Stunde ist beendet.
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Donnerstag, den 31. Mai, 9.00 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.