Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Sitzung ist eröff-
net. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie
nach der relativ langen Sitzungspause.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur
Modernisierung des Schuldrechts.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin der Justiz, Frau Professor
Dr. Herta Däubler-Gmelin.
Dr. Herta Däubler-Gmelin,Bundesministerin der Jus-
tiz: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auf der Tagesordnung des Kabinetts stand der Entwurf ei-
nes Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts. Es
handelt sich dabei um ein umfangreiches zivilrechtliches
Vorhaben in dieser Legislaturperiode, das bedeutende
Eingriffe in zentrale Bereiche des Schuldrechts vorsieht.
Hintergrund ist, dass wir drei europäische Richtlinien
auf dem Gebiet des Vertragsrechts in das deutsche Recht
mit der zeitlichen Vorgabe umsetzen müssen, die wir
dafür bekommen haben. Erstens ist dies die Richtlinie
über den Verbrauchsgüterkauf, die bis zum Ende dieses
Jahres in deutsches Recht umgesetzt werden muss. Zwei-
tens ist dies die Richtlinie zur Bekämpfung von Zah-
lungsverzug im Geschäftsverkehr. Drittens sind dies die
zivilrechtlichen Teile der Richtlinie über den elektroni-
schen Geschäftsverkehr, deren übrige Teile bekanntlich
durch den Entwurf des elektronischen Geschäftsver-
kehrsgesetzes umgesetzt werden, den wir vor kurzem im
Kabinett beraten und beschlossen haben.
Die Umsetzung dieser Richtlinien soll in dem vorlie-
genden Entwurf mit einer Modernisierung des Schuld-
rechts verbunden werden. Der Grund dafür ist ganz ein-
fach: Täten wir es nicht und würden wir die Richtlinien so
umsetzen, wie dies der eine oder andere vorgeschlagen
hat, dann hätten wir das Problem, dass mit In-Kraft-Tre-
ten dieser Umsetzung im Zweifel vier unterschiedliche
Kaufrechtssysteme, kompliziert durch weitere Unterfor-
men des Kaufes, in Deutschland mit dem Ergebnis gelten
würden, dass nicht alleine die Bürgerinnen und Bürger,
sondern auch die Wirtschaft und vor allen Dingen die
Anwender des Rechts in enorme Schwierigkeiten kämen.
Der Ansatz, den wir gewählt haben, verlangt von allen
ein hohes Maß an Kooperation. Das steht außer Zweifel.
Wir wissen das und streben diese Kooperation auch in-
nerhalb dieses Hauses an. Mit den bedeutendsten Zivil-
rechtswissenschaftlern und auch mit den Ländern haben
wir sie bereits.
Lassen Sie mich etwas zu der Verbrauchsgüterkauf-
richtlinie als solche sagen. Sie hat einen erheblich höhe-
ren Stellenwert als die Verbraucherschutzrichtlinien, an
die wir uns gewöhnt haben. Sie hat eine ganz neue Qua-
lität, weil der Verbraucherschutz durch die Einführung
von Aufklärungspflichten der Unternehmen und das Wi-
derrufsrecht der Verbraucher nicht mehr nur ein Randbe-
reich des Zivilrechts bleiben soll. Vielmehr wird beim
Kaufvertrag als einem ganz zentralen Bereich des Zivil-
rechts die Haftung des Verkäufers für die Lieferung man-
gelhafter Waren geregelt. Die Richtlinie regelt die Rechte
des Verbrauchers in solchen Fällen nahezu umfassend.
Auch deshalb sind wir gezwungen, weitreichende Umge-
staltungen im Kaufrecht zur Umsetzung der Richtlinie
vorzunehmen.
Übrigens wird eine der praktischsten und wichtigsten
Auswirkungen der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in der
Verlängerung der Verjährungsfrist für die Sachmängelan-
sprüche des Käufers bestehen. Sie muss nach der Richtli-
nie künftig zwei Jahre statt nach geltendem Recht sechs
Monate betragen.
Der Änderungsbedarf ist bei der Umsetzung der beiden
anderen Richtlinien nicht ganz so gravierend. Die Zah-
lungsverzugsrichtlinie macht vor allem eine Erhöhung
des Verzugszinssatzes im Geschäftsverkehr erforderlich.
Die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr
sieht insbesondere bestimmte Informationspflichten im
Zusammenhang mit dem Vertragsschluss im elektroni-
schen Geschäftsverkehr, also im Internet, vor.
Ich will im Augenblick nichts weiter zum Inhalt sagen.
Vielleicht ergibt sich durch Ihre Fragen noch das eine oder
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166. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2001
Beginn: 13.00 Uhr
andere, was ich hinzufügen soll. Ich will lediglich darauf
eingehen, warum diese Richtlinien heute in dieser breiten
Kooperation, die ich erwähnt habe, umgesetzt werden
können.
Die Umsetzung kann sich auf die Ergebnisse der
Schuldrechtskommission stützen, die bekanntlich bereits
im Jahre 1978 mit ihren Vorarbeiten begonnen hat, die im
Jahre 1991, also nach insgesamt zwölf bis 13 Jahren der
Diskussion, zu einem Abschlussbericht geführt haben, der
vom damaligen Justizminister Dr. Klaus Kinkel vorgelegt
wurde. Herr Dr. Kinkel hatte dies damals mit der Hoff-
nung verbunden, die Überarbeitung des ganz eindeutig
als überarbeitungsbedürftig angesehenen Schuldrechts
könne jetzt in Angriff genommen werden. Leider ist es zu
entsprechenden Initiativen nicht gekommen. Der Ab-
schlussbericht und die Erwägungen der Schuldrechts-
kommission haben aber ihrerseits wieder Eingang in die
europäische Diskussion der Richtlinien gefunden, die wir
jetzt umsetzen müssen.
Ein Weiteres möchte ich auch noch eindeutig feststel-
len: Es geht uns darum, auf diesem Wege die zentralen
Punkte unseres Schuldrechts zu modernisieren, damit wir
uns auch auf der europäischen Ebene auf der Basis eines
modernen Schuldrechts in die Diskussion um ein, wie wir
hoffen, irgendwann einmal denkbares europäisches
Schuldrecht, Vertragsrecht oder Zivilrecht einmischen
können.
Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Danke, Frau Ministe-
rin.
Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu
stellen, über den soeben berichtet wurde. – Es liegt die
Wortmeldung des Kollegen Norbert Röttgen vor.
Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Frau Ministerin, ich möchte zunächst auf ei-
nen Gesichtspunkt zu sprechen kommen, der nicht die in-
haltlichen Fragen, sondern das Verfahren betrifft.
Gegen Ihr Vorhaben, eine grundlegende Reform durch-
zuführen, gibt es massive inhaltliche Bedenken, aber es
gibt insbesondere eine breite Ablehnung des Tempos, in
dem Sie diese grundlegende Reform eines Herzstücks des
deutschen Privatrechts vornehmen wollen.
Sie haben gerade nichts zum In-Kraft-Treten ausge-
führt. Darum meine Frage: Bleibt es bei Ihrem Vorhaben,
dass das neue Schuldrecht, so wie Sie es jetzt planen, am
1. Januar 2002 in Kraft treten soll? Wenn dies so ist, so
bitte ich zu bedenken, dass es gegen dieses Vorhaben und
noch mehr gegen diese Vorgehensweise massive Beden-
ken gibt.
Es gibt den Appell von 150 Zivilrechtslehrern unseres
Landes, die sagen: Dieses Projekt ist wegen seiner Be-
deutung und aufgrund der Komplexität der Inhalte in rund
einem halben Jahr nicht angemessen durchzuführen. Das
sagen diejenigen, deren wissenschaftliche Aufgabe, deren
Lebenswerk es ist, sich mit diesen Fragen zu beschäfti-
gen.
Die Wirtschaftsverbände fordern: Wenn es zu grundle-
genden Veränderungen kommt, dann brauchen wir Zeit,
um uns ein- und umzustellen. Damit ist die Gefahr großer
Rechtsunsicherheit verbunden. Wie wollen Sie dem
entgegenwirken, Frau Ministerin, wenn in so kurzer Zeit
beraten werden soll?
Natürlich ist das Thema insgesamt schon lange in der
Diskussion; das ist gar keine Frage. Es wird schon seit
Jahrzehnten diskutiert. Auch ist nicht zu bestreiten, dass
Reformbedarf besteht. Die Arbeiten, auf die Sie
zurückgegriffen haben, sind allerdings nicht aktuell. Der
Abschlussbericht der Schuldrechtskommission stammt
aus dem Jahre 1992 und beinhaltet sozusagen den Er-
kenntnisstand von Ende der 80er-Jahre. Das heißt, das,
was Sie vorlegen werden, ist schon heute veraltet.
Sie begründen die Notwendigkeit eines schnellen In-
Kraft-Tretens mit den europäischen Rechtsangleichungs-
richtlinien.
– Ich habe die Frage nach dem In-Kraft-Treten gestellt
und das ist die Begründung für die Frage.
– Dass Ihnen die Argumente nicht gefallen, glaube ich Ih-
nen gern.
Sie begründen das Datum des In-Kraft-Tretens und die
Umsetzung der großen Lösung insgesamt mit den euro-
päischen Richtlinien. Stimmen Sie mir zu, dass aber nur
eine der drei Richtlinien bis Ende dieses Jahres umzuset-
zen ist und die beiden anderen Richtlinien darüber hi-
nausgehende Umsetzungsfristen haben? Und stimmen Sie
mir weiterhin zu, dass die Richtlinien natürlich einen je-
weils anderen Anwendungsbereich betreffen und dass es
auch weiterhin Rechtsangleichungsvorschriften geben
wird, sodass insoweit, wenn wir heute eine große Reform
durchführen, im nächsten oder übernächsten Jahr wie-
derum Anpassungsbedarf bestehen wird, weil der Prozess
der europäischen Rechtsangleichung ebenfalls voran-
geht? Meine Frage lautet also: Können Sie sich nicht dem
Motto der Opposition anschließen, die Ihnen in dieser
Frage vorschlägt, auf Qualität statt auf Tempo zu setzen?
Danke sehr.
– Es ist der Vorschlag, auf Qualität statt auf Geschwin-
digkeit zu setzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das war eine ausführ-liche Frage. – Frau Ministerin, bitte.Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin derJustiz: Lieber Herr Kollege Röttgen, es tut mir Leid, aberich kann mich dem, was Sie gesagt haben, in keiner Weiseanschließen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2001
Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin16214
Ich muss Ihnen eines sagen: Sie kennen den Vorgangnicht, aber urteilen schon. Deswegen meine Bitte:Schauen Sie sich doch einmal den ganzen Problembereichan! Sie werden dann sehen, dass auch Sie davon zu über-zeugen sind, kooperativ mitzuwirken.Ich will mich nicht lange mit Hinweisen auf Zahlen-material aufhalten, aber darauf hinweisen, dass der Kom-missionsbericht aus dem Jahre 1991 stammt.Anlass für den Gesetzentwurf ist die Notwendigkeitder Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie und derbeiden anderen genannten Richtlinien der EuropäischenUnion. Ich muss den Anwesenden, die mit der Materienicht so vertraut sind – Sie kennen die näheren Umständeund hätten deshalb ohne weiteres darauf hinweisen kön-nen –, erläutern, dass die EU für die Umsetzung dieserRichtlinien zum Teil nur eine Frist von 18 Monaten ein-geräumt hat.Wenn wir über die Möglichkeiten der Umsetzung un-voreingenommen miteinander reden würden, könnten Siesehr schnell das entscheidende Problem erkennen: Wennwir das Kaufrecht mit den zentralen Punkten Leistungs-störungen, Haftung und Verjährung mit aufnehmen wür-den, wie Sie es vorschlagen – ich hoffe, dies ist nicht Ihrletztes Wort, weil ich weiß, dass eine große Zahl von Kol-legen, gerade auch der Union, das Problem nicht alleinparteipolitisch, sondern fachlich sieht –, hätten wir letzt-endlich vier unterschiedliche Kaufrechte. Das kann nichtsinnvoll sein. Es hilft nicht weiter, in diesem Punkt ein-fach nur den Kopf zu schütteln. Verführen wir auf dieseWeise, hätten wir ein Kaufrecht für Verbraucher, den Han-delskauf, das BGB-Kaufrecht und das UN-Kaufrecht.Des Weiteren würden alle Rechtsbereiche – ich habe dasvorhin stichpunktartig angedeutet, führe es aber jetztgerne weiter aus – durch die unterschiedlichen Modalitä-ten, mit denen heute eingekauft wird, kompliziert. Mankauft schließlich nicht nur im Geschäft ein, es finden auchFernabsatz und E-Commerce statt. Es kann doch wirklichkeiner wollen, dass jeder Rechtsanwender zunächst ein-mal klären muss, welche Regelung für ihn anwendbar ist.Abgesehen davon – ich komme nun zum zweitenPunkt – würden wir der BGB-Rechtsentwicklung keinenGefallen tun, wenn wir in der Tendenz, zentrale Bereicheaußerhalb des BGB zu regeln, fortfahren würden. Ichbrauche Ihnen nicht zu sagen, dass Haftungsfragen imBGB nicht geregelt werden, sondern weitgehend durchdie Rechtsprechung geklärt worden sind. Dieser Umstandverkompliziert die Sache weiter.Ich will Ihnen erläutern, wo meiner Meinung nach IhreEinwände, so ernst ich Sie nehme, einfach nicht durch-greifen:Erstens. Wir haben im August des letzten Jahres einenDiskussionsentwurf versandt. Von einem halben Jahrkann also nicht die Rede sein.Zweitens. Gerade die bedeutenden Zivilrechtslehrerhaben auf mittlerweile zwei Sondertagungen in einerwirklich ausnahmslosen und geradezu hervorragendenKooperationsbereitschaft an der Erarbeitung der juristischschwierigen, aber machbaren Teilregelungen mitgewirkt.Sie haben von den 150 Zivilrechtslehrern gesprochen;dafür bin ich Ihnen dankbar. Sie hätten aber auch die übri-gen 450 Zivilrechtslehrer, die den Appell nicht unter-schrieben haben – Sie hätten das zum Beispiel auf denInternetseiten von Professor Canaris oder des Palandt-Kommentators Heinrichs nachlesen können –, erwähnensollen. Das wäre sinnvoll gewesen. Die wenigen, die Siegenannt haben – es sind im Übrigen viele dabei, die nochkeine Gelegenheit hatten, sich in den Diskussionsprozesseinzuschalten, die wir aber herzlich dazu einladen –, ge-ben zu, dass es schwierig ist und dass man für den Ge-samtvorgang mehr Zeit braucht, als die EU vorgibt. Ichhabe aber leider nicht die Möglichkeit, die Frist für dieUmsetzung der Richtlinie auszudehnen. Ansonsten würdees uns so ergehen wie bei der Pauschalreiserichtlinie; dasheißt, dass die Bundesrepublik Deutschland haftungs-rechtlich belangbar wäre. Das wollen wir nicht.Sie haben die Zivilrechtslehrer angesprochen. Ich willIhnen in diesem Zusammenhang sagen, welche Zivil-rechtslehrer – es handelt sich ausschließlich um Persön-lichkeiten, die auf dem Gebiet des Zivilrechts einen Na-men haben – sich in höchst verdienstvoller Weiseeingeschaltet haben und dieses Vorhaben unterstützen:Professor Canaris, Professor Medicus und ProfessorHeldrich, der Rektor der Universität München, sowie dieKommentatoren dieses Rechtbereichs wie Professor Hein-richs und Professor Westermann arbeiten wirklich mit.Ich würde mich sehr freuen, wenn wir die Diskussion,die wir mit den Ländern und mit der Wissenschaft geführthaben, in gleicher Weise auch in diesem Haus führenkönnten. Ich lade Sie herzlich dazu ein.
– Es ist völlig klar, dass es noch Unterschiede bezüglich derÜbergangsfristen gibt. Alle bestehenden Einwände werdenwir nicht nach parteipolitischen oder ideologischen, son-dern nach sachlichen Gesichtspunkten bewerten.Ich möchte noch auf den zweiten Punkt, den Sie ange-sprochen haben, eingehen. Gerade die Vertreter der Wirt-schaftsverbände, mit denen wir erst gestern im Bundesmi-nisterium der Justiz noch einmal diskutiert haben, sindsehr daran interessiert, dass die EU-Richtlinien umgesetztwerden. Ich bin sicher, dass auch Sie entsprechende Briefeerhalten haben. Ich möchte Ihnen nur zwei Stichworte nen-nen, warum die Wirtschaftsverbände daran interessiertsind. Sie erhoffen sich von einer zweijährigen Ver-jährungsfrist eine bessere Berechenbarkeit. Gerade für dieMittelständler und die Handwerker ist es außerordentlichwichtig, dass die so genannte Verjährungsfalle zukünftigwegfallen wird. Der Grund ist völlig klar: Wenn ein Hand-werker Teile hinzukaufen muss, um eine Systemleistungerbringen zu können, dann greifen nach heutigem Rechtunterschiedliche Verjährungsregelungen. Das führt dazu,dass ein Handwerker unter Umständen länger für zum Bei-spiel eine kaputte Dichtung haften muss, als er Zeit hat,seine Haftungsansprüche gegenüber dem Lieferanten zurealisieren. Dies ist die so genannte Verjährungsfalle, diegroße Probleme bereitet. Mit dem vorliegenden Gesetz-entwurf lösen wir das. Gerade deshalb ist die Wirtschaft,aber auch die Richterschaft sehr daran interessiert, dasswir hier gemeinsam vorankommen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2001
Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin16215
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die nächste Frage
kommt vom Kollegen Rainer Funke.
Frau Ministerin, wir begrüßen
zunächst einmal, dass das Schuldrecht modernisiert wer-
den soll. Das gehört sicherlich mit auf die Tagesordnung
der Rechtspolitik. Am BGB haben ja von 1890 bis 1896
sehr maßgebliche Professoren mitgewirkt. Darüber ist da-
mals im Reichstag sehr intensiv beraten worden. Mir fällt
es schwer, zu akzeptieren, dass über das, was notwendig
ist, innerhalb von wenigen Wochen im Bundestag beraten
werden soll. Schließlich handelt es sich um grundlegende
Änderungen. Deswegen frage ich: Können Sie sich vor-
stellen, dass wir über die entsprechenden Teile des
Schuldrechts in Ruhe und zusammen mit der Wirtschaft
ausführlich beraten, allerdings nicht mehr bis zum 31. De-
zember dieses Jahres, aber noch in dieser Legislaturperi-
ode, wenn wir Ihnen zusagen, dass wir uns an der zügigen
Umsetzung der drei europäischen Richtlinien beteiligen,
damit nicht noch einmal das geschieht, was zum Beispiel
in den letzten Monaten beim Schuldrecht geschehen ist,
nämlich die schlampige Bearbeitung – ich sage ausdrück-
lich, dass das nicht nur von Ihrem Haus, sondern auch von
uns Berichterstattern schlampig bearbeitet worden ist,
weil in unzulässiger Weise Druck gemacht worden ist –
der Frage der Zahlungsmoral? Schon die Umstellung des
Formularwesens, die aufgrund der Änderungen des
Schuldrechts notwendig wird – ich denke, das hat der
Kollege Röttgen gemeint –, dauert einige Zeit. Das soll-
ten wir von den Beratungen abkoppeln. Aber wir sagen Ih-
nen zu, dass wir gemeinsam mit Ihnen die notwendigen
Änderungen auf den Weg bringen. Das war eigentlich
auch das Ergebnis der Berichterstatter- und der Obleute-
gespräche. Können Sie sich vorstellen, dass das machbar
ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Ministerin, bitte.
Dr. Herta Däubler-Gmelin,Bundesministerin der Jus-
tiz: Herr Funke, zunächst danke ich Ihnen, dass Sie hier
deutlich unterstrichen haben, dass wir von Anfang an – ge-
rade die Kolleginnen und Kollegen – informiert haben.
Da Sie die Berichterstattergespräche erwähnt haben, ist
Folgendes festzuhalten – ich bin davon ausgegangen, dass
wir kooperativ zusammenarbeiten können –: Wir sind seit
dem vergangenen August auch so vorgegangen; diese sehr
wichtige Vorlage sollte über Fraktionsgrenzen hinaus er-
arbeitet werden.
Ich kann nicht beliebig darüber verfügen, ob wir etwas
abkoppeln; das ergibt sich vielmehr in der Tat aus der Be-
deutung der Regelungen der Verbrauchsgüterkaufrichtli-
nie. Das Problem ist – wir nehmen diese Anregung gerne
an, auch wenn sie von Ihnen kommt –, dass wir sehr ge-
nau darauf achten müssen, dass es später bei den Rechts-
anwendern keine unterschiedlichen, nebeneinander beste-
henden Systeme gibt. Ich könnte mir vorstellen, dass das
nicht in ihrem Sinne ist.
Wenn wir uns das Umstellungsquantum anschauen – es
geht darum, welche Umstellungsprobleme eigentlich zu
bewältigen sein werden –, dann erkennen wir, dass die al-
lermeisten Probleme mit der Verbrauchsgüterkaufrichtli-
nie zusammenhängen. Es wird also sowohl auf dem einen
wie auf dem anderen Weg zu Umstellungsproblemen
kommen. Daher sind wir der Meinung, dass wir den Weg
wählen sollten, der für die Bürgerinnen und Bürger, für
die Wirtschaft und für die Rechtsanwender der vernünf-
tigste sein wird. Das sollten wir auch dann tun, wenn es
uns selbst, das heißt das Ministerium und vor allen Din-
gen die Abgeordneten des Bundestages, ziemlich
schlaucht. Ich weiß, dass das so ist, und deswegen sage
ich das ganz offen.
Leistungsstörungen und andere Regelungen hängen in
einem solchen Maße damit zusammen, dass ich ziemlich
sicher bin, dass nach den Gesprächen, die wir bald begin-
nen sollten, auf allen Seiten die Überzeugung sehr groß
sein wird, dass es fachlich und sachlich wirklich sinnvoll
ist, die anstehenden Fragen gemeinsam zu regeln.
Ich habe Ihnen vorhin gesagt – das ist gar keine Fra-
ge –, dass über die Übergangsfristen noch geredet werden
muss. Gerade was die Umsetzung angeht, sind wir auch
auf die Rechtsanwenderinnen und die Rechtsanwender
sowie auf die Wirtschaft angewiesen – das wollen wir –
und deswegen sind sie Teil des seit vielen Monaten beste-
henden Kooperationsprozesses.
Ich möchte noch etwas zu dem von Ihnen erwähnten
Zeitraum – Sie haben von Wochen gesprochen – sagen.
Ich denke nicht, dass man von Wochen reden sollte. Der
konsolidierte Text baut auf den Änderungen auf, die seit
dem letzten August allen, die sich dafür interessiert haben,
mitgeteilt worden sind. Diese Änderungen sollen bespro-
chen werden. Durch ausführliche Anhörungen haben wir
in den kommenden Monaten selbstverständlich die Mög-
lichkeit, den Meinungsbildungsprozess voranzutreiben.
Ich bitte Sie, die fachliche Diskussion mit uns gemeinsam
zu führen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gibt es zu diesem
Themenbereich weitere Fragen? – Herr Kollege Röttgen,
bitte.
Ich möchte vorabeine kurze Feststellung treffen: Die 150 Professoren ha-ben sich negativ geäußert; es gibt vereinzelt Zustimmung.Das Schweigen der Übrigen kann nicht als Zustimmunggewertet werden. Auch die Teilnahme an wissenschaftli-chen Kongressen – ich habe ebenfalls an welchen teilge-nommen – kann nicht als Zustimmung zu einem solchenVorhaben, also zu diesem Gesetzentwurf, gewertet wer-den.Mich interessiert Ihre Einschätzung der weiteren euro-päischen Rechtsentwicklung. Sie sagen, wir müssten nunaufgrund von EG-Richtlinien – es geht um die Rechtsan-gleichung – ein neues Schuldrecht schaffen. Dazu habeich zwei Fragen.Erstens. Sind Sie der Auffassung, dass Ihr Vorschlagfür ein neues deutsches Schuldrecht in Übereinstimmungmit den inzwischen vorhandenen internationalen und eu-ropäischen Regelwerken von Unidroit und der Commis-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 200116216
sion on European Contract Law ist oder gibt es diesbe-züglich Differenzen?Zweitens. Wie ist Ihre Einschätzung der weiteren eu-ropäischen Zivilrechtsangleichung? Teilen Sie meineAuffassung, dass es weitere Rechtsharmonisierungen ge-ben wird, sodass sich das nationale Recht auch weiterhinverändern wird? Macht es nicht mehr Sinn, im Dialog mitden europäischen Partnern Elemente eines europäischenZivilrechts zu entwickeln, anstatt einen nationalen Allein-gang durchzuführen?Als Letztes möchte ich eine Frage von Herrn Funkeaufgreifen. Es hat eine Änderung des § 284 Abs. 3, derRegelung des Schuldnerverzugs, gegeben. Dabei geht esum eine überschaubare Problematik, nämlich um dieBekämpfung der so genannten schlechten Zahlungsmo-ral. Ziel war, die Gläubigerinteressen zu verbessern, esdem Gläubiger einfacher zu machen, zu seinem Geld zukommen. Dazu hat es eine neue Regelung gegeben. DasErgebnis ist heute unbestritten: Es ist genau das Gegenteilbewirkt worden.Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass sich dann,wenn man es nicht nur mit der Reform eines Absatzes ei-nes überschaubaren Paragraphen zu tun hat, sondern dasgesamte Schuldrecht, Kaufrecht, Gewährleistungsrechtund Verjährungsrecht in einem Wurf neu macht, viele sol-cher „Paragraph-284-Absatz-3-Effekte“ einstellen wer-den und dass wir damit große Rechtsunsicherheit und vielRechtsprechung haben werden, weil viel Klärungsbedarf,Interpretationsbedarf und neuer Auslegungsbedarf be-steht? Sind das nicht gravierende Nachteile, die man sehrernst nehmen muss?Dr. Herta Däubler-Gmelin,Bundesministerin der Jus-tiz: Herr Kollege, ich will jetzt nicht darauf eingehen, werdamals bei der Regelung der Zahlungsmoral politischDruck gemacht hat. Das ist, um mit Fontane zu sprechen,ein weites Feld. Lassen Sie es mich einmal sehr deutlichsagen: Daran waren Ihre Kolleginnen und Kollegen – ichweiß jetzt nicht, ob Sie daran beteiligt waren, abgesehendavon, beziehe ich mich auch lieber auf die Politik als aufdie Person – sehr beteiligt. Seien Sie also so freundlich,diesen Bereich dort anzusiedeln, wo er hingehört.Zu Ihrem zweiten Punkt. Wie man bei der Umsetzungvon europäischem Recht in deutsches Recht zu demZweck, eine bessere Kompatibilität und Harmonisierungdes deutschen Rechts mit europäischem Recht zu errei-chen, von nationalem Alleingang reden kann, ist mirschlichtweg verschlossen. Ich halte diese Vokabel übri-gens, auch wenn sie draußen möglicherweise gut klingenmag, schlichtweg für inhaltlich falsch.Ich darf nochmals darauf hinweisen, wie der Vorgangwar: Wir wissen seit vielen Jahren – wir befinden uns hierja unter Juristinnen und Juristinnen, die dies gelernt ha-ben; Sie sind noch einer der Jüngeren, es gibt etwas Äl-tere, bei denen das schon etwas länger her ist –, dass dasBGB, an dem wir alle hängen und das wir wie eine Mons-tranz vor uns her tragen, wesentliche Bereiche des heuti-gen Wirtschaftslebens nicht regelt. Ich habe einen ganzzentralen Punkt, nämlich die Haftungsregelungen, ange-sprochen. Ich könnte Ihnen viele andere Punkte nennen,die heute allein aufgrund der Rechtsprechung geregeltwerden. Das fängt beim Leasing an und geht weiter überhaftungsrechtliche Regelungen bis zu ganz wichtigen an-deren wirtschaftsrechtlichen Fragen.Das ist nun nicht ganz neu. Deswegen hat man 1978begonnen, darüber nachzudenken, in zentralen Punkteneine Schuldrechtsmodernisierung zu betreiben. DieseDiskussionen haben bis zum Jahre 1991 gedauert und aufsie können wir zurückgreifen. Sie sind deswegen aktuell– lassen Sie mich das sehr deutlich sagen –, weil nach derVorlage des Abschlussberichts durch meinen VorgängerDr. Kinkel, dem dann doch kein Regierungsentwurf, wiees beabsichtigt war, gefolgt ist, ja nicht nichts gefolgt ist,sondern die Erarbeitung der entsprechenden Richtlinien,das heißt, die Beeinflussung durch Europa. Dies müssenwir jetzt via europäische Richtlinien in deutsches Rechtumsetzen.Das heißt, es ist unsere Aufgabe, die europäische Kom-patibilität und die Harmonisierung voranzutreiben – übri-gens auch unter dem Aspekt, auf den ich heute im Rechts-ausschuss schon hingewiesen habe –, sodass wir uns zwarnicht in den nächsten Jahren – insofern ist Ihre Sorge mei-ner Ansicht nach wirklich nicht gerechtfertigt –, aber viel-leicht, wenn es gut geht, in zehn Jahren an die Ausarbei-tung eines europäischen Schuldrechts-, Vertragsrechts-oder Zivilrechtsgesetzbuches machen können.Wir werden unseren Einfluss nur wahrnehmen können,wenn wir unser eigenes Schuldrecht modernisieren und inBezug auf Europa harmonisieren.Lassen Sie mich noch auf die Fragen bezüglich Unidroiteingehen. Selbstverständlich sind Vertreter von Unidroit inden Kommissionen, über die ich gerade gesprochen habe.In unsere Überlegungen über andere Kaufrechtssysteme,die ich angeführt habe, haben wir die Einwände der Kriti-ker selbstverständlich aufgenommen. Ich wurde geradedarüber informiert, dass Sie zu Beginn der Zivilrechts-lehrertagung in Berlin freundlicherweise anwesend waren.Sie werden daher diese Überlegungen mitbekommenhaben.Im Übrigen kann von einer schweigenden Mehrheitüberhaupt keine Rede sein. Ich darf darauf hinweisen,dass Sie auf den Homepages und in Veröffentlichungender Professoren Canaris, Medicus, Westermann, Roth,Heldrich und Heinrichs den Stand der lebhaften Diskus-sion, der dort auf sehr seriöse Weise beschrieben wird, ab-rufen können.Ich möchte noch einen letzten Punkt anführen. Selbstwenn wir diesen Weg gehen würden – wir halten ihn fürfalsch, weil er zu einer erheblichen Verwirrung bei denRechtsanwendern beitragen würde –, wäre der Umset-zungsbedarf bei der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie be-züglich der formalen Auswirkungen in der Substanz nichtgeringer. Das ist die Begründung dafür, dass wir diesenWeg nicht gehen.Ich meine es ernst, wenn ich sage, dass ich gerade auchSie gerne auf der Seite der Kooperationsbereiten hätte.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2001
Dr. Norbert Röttgen16217
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, wir haben nur noch fünf Minuten für die
Regierungsbefragung. Deshalb bitte ich den Kollegen
Hirche und auch die Ministerin im Interesse aller, sich
kurz zu fassen. – Herr Kollege Hirche, bitte.
Frau Ministerin, als Nicht-
jurist fällt mir auf, dass sich alle darin einig sind, dass in
der Sache Regelungsbedarf besteht. Es fällt mir ferner
auf, dass über Jahre hinweg die gemachten Änderungs-
vorschläge immer wieder verworfen wurden. Die letzte
Fassung wurde den Kollegen vor gut vier Wochen über-
mittelt.
Angesichts der Tatsache, dass über Jahre hinweg Än-
derungsvorschläge immer wieder zurückgezogen wurden
und sich die Regierung in dieser Zeit ein Urteil bilden
konnte, möchte ich fragen: Besteht nicht eine Schieflage
zwischen der Zeit, die die Regierung für die Beratung
benötigt hat und benötigen musste, und der Zeit, die dem
Parlament noch bleibt, um das entsprechende Gesetz zu
beschließen? Ich frage gerade Sie als Verfassungsministe-
rin, ob nicht durch die Art und Weise der Behandlung die-
ses Gesetzentwurfs die Schieflage dokumentiert wird, die
zwischen der Zeit, die sich die Regierung für die Beratung
genommen hat, und dem Druck, in dem das Parlament be-
schließen muss, besteht.
Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der
Justiz: Herr Kollege Hirche, das ist definitiv nicht der
Fall. Ich will Ihnen das ganz kurz erklären.
Diese Bundesregierung ist seit Oktober 1998 im Amt.
Deswegen kann von jahrelangen Überlegungen keine
Rede sein. Es wurden auch keine Regierungsentwürfe hin
und her gewälzt und zurückgezogen. Ausgangspunkt der
Überlegungen war vielmehr das Inkraft-Treten der ge-
nannten Richtlinien, von denen zwei erst im Sommer des
Jahres 2000 verabschiedet wurden. Die Umsetzungsfrist
beträgt teilweise nur 18Monate; sie erstreckt sich bis zum
Ende des Jahres 2001.
Wir haben den entsprechenden Diskussionsentwurf im
August versandt. Sie können dieser Tatsache entnehmen
– lassen Sie mich das sehr deutlich sagen –, dass wir
bereits zwei Monate nach Beginn der Umsetzungsfrist an
die Kolleginnen und Kollegen und an die Fachöffentlich-
keit herangetreten sind. Da Sie sagen, dass dieser Entwurf
heute nicht mehr gilt, möchte ich Ihnen antworten, dass
dies in der Tat für einige wichtige Regelungen zutrifft.
Aber es ist doch vernünftig, weil es sich dabei um einen
Diskussionsentwurf handelte, den wir an die Wissen-
schaft, an die Länder und auch an Sie mit der Bitte ver-
sandt haben, bis zum Beginn dieses Jahres uns Ihre Mei-
nung darüber mitzuteilen. Gott sei Dank haben wir bei den
Ländern und auch in der Wissenschaft eine große Reso-
nanz gefunden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich beende nun die
Befragung zu den Themenbereichen der heutigen Kabi-
nettssitzung. Gibt es darüber hinaus noch Fragen an die
Bundesregierung? – Das ist nicht der Fall. Ich beende da-
mit die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
– Drucksache 14/5942 –
Wir kommen als Erstes zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur
Beantwortung der Frage steht der Parlamentarische
Staatssekretär Siegmar Mosdorf zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Ernst Hinsken
auf:
Bis wann wird der Bundesminister für Wirtschaft und Techno-
logie, Dr. Werner Müller, die von ihm und der Beauftragten der
Bundesregierung für den Mittelstand, der Parlamentarischen
Staatssekretärin Margareta Wolf, angekündigten Deregulierungs-
vorschläge im Wirtschafts- und Mittelstandsbereich dem Parla-
ment vorlegen und teilt die Bundesregierung die Meinung, dass,
falls die Vorschläge nicht vor der Sommerpause dem Parlament
vorliegen, zu befürchten ist, dass sie wegen der zur Verfügung ste-
henden Zeit in dieser Legislaturperiode nicht mehr ausgiebig be-
raten und beschlossen werden können?
S
Frau Präsiden-tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber ErnstHinsken, die Frage des Bürokratieabbaus ist für uns imWirtschaftsministerium von großer Bedeutung. Das istder Grund, warum wir im Jahre 1999 die Wirtschaft ge-beten haben, Vorschläge zu machen und zu sagen, an wel-cher Stelle man direkte Maßnahmen treffen muss, umVereinfachungen zu erreichen. Es liegt inzwischen einegroße Anzahl von Vorschlägen vor. Der Bundesministerfür Wirtschaft und Technologie hat deshalb am 20. März2001 einen ersten Bericht über den Stand der Initiative„Abbau bürokratischer Hemmnisse“ vorgelegt. DieserBericht – ich habe ihn noch einmal mitgebracht – zeigt diewichtigsten Stellen auf, wo es Schwierigkeiten im Um-gang zwischen Wirtschaft und staatlicher Administrationgibt.Der Bericht informiert auch über die eingegangenenkonkreten Anregungen der Unternehmen, die hieraus ge-wonnenen Informationen einschließlich der daraus abge-leiteten Handlungsempfehlungen und die auf der Grund-lage dieser Empfehlungen gestarteten Initiativen zumAbbau bürokratischer Hemmnisse. In ihm werden diebereits umgesetzten bzw. sich noch in der Umsetzungs-phase befindlichen Maßnahmen aufgezeigt. Soweit indiesem Bericht Deregulierungsvorschläge enthalten sind,wurde auch der Stand der jeweiligen Umsetzung mitge-teilt. Deregulierung und Bürokratieabbau bleiben dauer-hafte Aufgaben, an denen insbesondere auch die Länderund Kommunen mitwirken müssen. Es gibt auch gestufteVerfahren; das kennen wir alle aus unserer alltäglichenPraxis.Die im Bericht des Bundesministers für Wirtschaft undTechnologie bereits dargelegten konkreten Maßnahmenzum Abbau bürokratischer Hemmnisse werden im vorge-sehenen Zeitrahmen umgesetzt. Deshalb, lieber Herr Kol-lege Hinsken, ist Ihre aus der Sache heraus begründeteSorge, dass wir im Laufe dieser Legislaturperiode keine
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Entscheidungen treffen, unberechtigt. Sie wissen, dassuns 80 Vorschläge für konkrete Maßnahmen vorliegen.Wir werden sie Schritt für Schritt umsetzen; eine ganzeReihe von Maßnahmen haben wir bereits erfolgreich um-gesetzt. Deshalb glaube ich, dass man sagen kann, dasswir auf diesem Weg schon gemeinsam ein wenig voran-gekommen sind. Ich bitte Sie, auch unsere weiterenSchritte zu unterstützen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Hinsken
zu einer ersten Nachfrage, bitte.
Danke, Frau Präsiden-
tin. – Herr Staatssekretär Mosdorf, ich habe nicht in ers-
ter Linie danach gefragt, ob Sie bereits Vorschläge ge-
sammelt haben, sondern ich habe gezielt gefragt, wann
die Bundesregierung gedenkt, die von uns gesammelten
Vorschläge in den parlamentarischen Entscheidungs-
prozess zu bringen. Ihre Kollegin, die neue Mittelstands-
beauftragte der Bundesregierung, sagte ja bei ihrer An-
trittsrede im Wirtschaftsausschuss des Deutschen Bun-
destages, dass sie in Zukunft ihr Hauptaugenmerk nicht
darauf legen wird, Vorschläge zu sammeln, sondern da-
rauf, konkrete Umsetzungsvorschläge einzubringen, weil
dringender Handlungsbedarf besteht. Sie aber haben mir
auf meine Frage, ob Initiativen zur Umsetzung dieser Vor-
schläge dieses Jahr noch kommen, geantwortet, das werde
in dieser Legislaturperiode nicht mehr geschehen.
Ich befürchte nun, dass Sie nicht richtig erkannt haben,
dass die Bürokratie den Mittelstand, also die kleinen und
mittleren Betriebe, besonders belastet.
S
Herr Kollege
Hinsken, es muss ein Hörfehler vorliegen. Ich habe eben
gesagt, dass wir mit der Umsetzung schon angefangen ha-
ben, und nicht, dass wir in dieser Legislaturperiode gar
nicht mehr anfangen wollen. Wir haben schon eine ganze
Reihe von sehr konkreten Maßnahmen ergriffen, die übri-
gens nicht alle parlamentarische Schritte erfordern. Viele
Verordnungswege kann man vereinfachen. Das muss ich
Ihnen ja nicht sagen. Auch bei der Zusammenarbeit von
Bund, Ländern und Kommunen kann man Bürokratie ab-
bauen und administrative Wege vermeiden. Hinzu kom-
men noch viele Dinge mehr. Wir befinden uns also mitten
in der Umsetzungsphase. Die in dem Bericht enthaltene
Dokumentation gibt einen ersten Überblick nicht nur über
die eingereichten Vorschläge, sondern auch darüber, wie
wir sie angehen und umsetzen.
Darüber hinaus, verehrter Herr Kollege Hinsken, neh-
men wir auch Projekte in Angriff, die zu einer nachhalti-
gen Effizienzerhöhung der öffentlichen Verwaltung
führen sollen. Denken Sie an Projekte wie Media@com
– ich nehme an, dass Sie es kennen –, das zunächst in drei
Städten, nämlich in Bremen, Nürnberg und Esslingen,
durchgeführt wird; hierbei handelt es sich um ein großes
Projekt, um die Stadtverwaltungen zu modernisieren,
Bürokratie abzubauen und effizienter zu gestalten und
direktere Mitwirkungsmöglichkeiten auch für die Bürger
zu schaffen.
Wir versuchen wirklich in allen Bereichen, die Admi-
nistration effizienter und bürgernäher zu gestalten; denn
wir wollen nicht, dass der alte Satz von Tucholsky auch in
Zukunft gilt, die Deutschen hätten ein Schicksal und ein
Ideal. Das Schicksal der Deutschen, so hat Tucholsky ein-
mal gesagt, ist es, dass sie immer in langen Schlangen vor
Behördenschaltern stehen, und das Ideal ist, dass sie gern
einmal hinter dem Schalter sitzen wollen. – Wir wollen
die Schalter abschaffen, wir wollen Bürgernähe organi-
sieren
und haben dazu eine Reihe von konkreten Maßnahmen
vorgenommen. Dabei handelt es sich auch um Maßnah-
men, die notwendig waren, um die in Ihrer langen Re-
gierungszeit entstandene Bürokratie zu bereinigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Hinsken
hat noch eine zweite Nachfrage.
Herr Staatssekretär, jetzt
habe ich noch keine Antwort auf meine Frage bekommen,
ob Sie denn heuer, in diesem Jahre, Deregulierungsvor-
schläge einbringen.
Jetzt kommt meine zweite Frage, Frau Präsidentin: Ist
die jetzige Bundesregierung bereit, sich an der Regierung
Helmut Kohl ein Beispiel zu nehmen?
Im Jahre 1995 wurden 92 verschiedene Deregulie-
rungsvorschläge eingebracht und im selben Jahr haben
sich 61 oder 62 Gesetzesvorhaben daraus ergeben mit
dem Ergebnis, dass man tatsächlich dereguliert hat, was
die Wirtschaft dringend braucht.
5 000 Gesetze mit 85 000 Verordnungen in der Bun-
desrepublik Deutschland sind einfach zu viel. Da sind Sie,
Herr Staatssekretär Mosdorf – ich schätze Sie persönlich
sehr, das wissen Sie –, stark gefordert. Ich bitte, endlich
nach den Worten auch ein Zeichen zu setzen und dafür
Sorge zu tragen, dass dereguliert wird.
S
Lieber Herr Kol-lege Hinsken, lassen Sie mich noch das eine sagen, damitnichts unklar bleibt. Man kann ja nicht davon ausgehen,dass jeder Bürger in Deutschland unser heutiges Protokollnachliest. Ich will es also noch einmal deutlich sagen:Wir sind heuer nicht nur dabei, einen Bericht zu geben,wir setzen um. Wir tun konkrete Schritte zur Administra-tionsvereinfachung, um mehr Bürgernähe zu schaffen undBürokratie abzubauen.Ich danke Ihnen sehr dafür, Herr Kollege Hinsken, dassSie die Bundesregierung so nachhaltig dabei unterstützen.Ich möchte Sie auch herzlich einladen, die gleiche Frage
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Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf16219
in einem halben Jahr noch einmal zu stellen, weil wir Ih-nen dann weitere Fortschrittsberichte geben können. Esist gar keine Frage, dass wir natürlich alles tun und versu-chen, um das, was es an Überbürokratie gibt – das ist nichtgut –, abzubauen sowie die Verwaltung bürgernäher undeffizienter zu gestalten, sodass wir natürlich auch Mitteleinsparen.Also noch einmal auch für Ihren Kollegen gesagt, derjetzt gleich nachfragen will: Ich gebe Ihnen gern die Do-kumentation, die einen ersten Zwischenbericht über dieMaßnahmen gibt, die wir direkt getroffen haben. Aber Siewerden uns in der Entschlossenheit, das fortzusetzen,nicht übertreffen; Sie werden uns höchstens begleiten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt jetzt weitere
Nachfragen. Zuerst der Kollege Scherhag, bitte.
Herr Staatssekre-
tär, mich interessiert, wo die Schwierigkeiten liegen. Sie
haben jetzt viel erklärt, was Sie alles machen wollen, aber
der Bericht ist noch nicht da. Wir haben natürlich größte
Angst, dass diese Deregulierung nicht vorangeht. Sie wis-
sen, für den Mittelstand ist das sehr vonnöten. Wir haben
ja heute Morgen im Wirtschaftsausschuss wieder ein
Thema angesprochen, wo Deregulierung im Besonderen
notwendig ist. Ich denke an den Baubereich. Wo liegen da
konkret die Schwierigkeiten?
S
Herr Scherhag,
wir alle wissen: Als wir im Sommer 1999 den Aufruf an
die Wirtschaft gerichtet haben, einmal konkret zu sagen,
an welchen Stellen es klemmt, wo es wirkliche Hemm-
nisse gibt, da gab es zunächst kaum Reaktionen. Dann ha-
ben wir noch einmal nachgehakt und auch mit den Ver-
bänden geredet. Da gab es eine ganze Reihe von
Beispielen. Diese konkreten Beispiele, die ja nicht immer
den Bund, sondern teilweise auch die EU, die Kommu-
nen, die Gemeinden betreffen, werden jetzt systematisch
aufgearbeitet.
Sie kennen – Herr Hinsken weiß es aus dem Touris-
musbereich – die Preisauszeichnungsfragen und andere
Dinge; wir haben das im Ausschuss schon mehrfach be-
handelt. Das sind zwar kleine Schritte, aber wir beide wis-
sen, was das für die Branche bedeutet.
Solche Schritte vollziehen wir gegenwärtig. Deshalb
sage ich noch einmal: Erstens gibt es den Bericht seit
März. Zweitens werden wir das intensiv fortsetzen. Ich
bitte Sie, uns da beim Wort zu nehmen. Drittens brauchen
wir dabei natürlich auch Ihre Unterstützung. Denn es ist
doch völlig klar: Das ist ja keine parteipolitische Frage,
sondern es geht darum, wie man Bürgernähe und Effi-
zienz in der Administration durchsetzen kann, teilweise
auch über mehrere staatliche Ebenen hinweg, wo ganz un-
terschiedliche politische Formationen regieren. Deshalb
brauchen wir da eine gemeinsame Kraftanstrengung.
Hinsichtlich der globalen Zahl kann ich nur sagen: Wir
sind schon der Auffassung – wir sind auch dabei –, dass
man die Staatsquote insgesamt reduzieren muss, indem
man sagt, dass der, der es besser kann, es auch machen
soll. Wir haben, wie Sie wissen, mit einer Staatsquote von
über 50 Prozent angefangen und sind jetzt dabei, sie lang-
sam zu reduzieren. Wir wollen keine Staatsquote, die auf
einen schwachen Staat hindeutet; wir wollen nicht zurück
zum Nachtwächterstaat. Wir wollen einen leistungsfähi-
gen, modernen, effizienten Staat, der auch noch bürgernah
ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die nächste Nach-
frage kommt vom Kollegen Hirche.
Herr Staatssekretär Mosdorf,
Sie haben davon gesprochen, dass Sie schon dabei seien
umzusetzen. Soll ich die Neuregelung bei den 630-Mark-
Verträgen, zum Beispiel im Zusammenhang mit der
Krankenkassenabrechnung, als einen Beitrag zum Büro-
kratieabbau verstehen und kann ich das, was Sie zur No-
vellierung des Betriebsverfassungsgesetzes vorgelegt
haben, als einen Beitrag zu Deregulierung und Bürokra-
tieabbau verstehen?
S
Herr Hirche, Sie
sind dafür bekannt, dass Sie einer der großen Dialektiker
des Parlaments sind.
– Lieber Ernst Hinsken, er hat ja da eine Vergangenheit.
Wir schauen mal, was er in seiner Regierungsverantwor-
tung alles an Bürokratieabbau geleistet hat. Ich habe mir
sagen lassen, dass auch damals sehr viel Overhead ge-
schaffen worden ist, liberaler Overhead natürlich, das ist
ja klar. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir erkennen,
dass wir gemeinsam vorgehen müssen.
Zu Ihrer Frage, Herr Hirche. Ich glaube, dass die
50-Tage-Regelung, die der Bundesarbeitsminister zusam-
men mit seinem Staatssekretär Gerd Andres bei den
630-Mark-Regelungen durchgesetzt hat, ein Musterbei-
spiel dafür ist – das wird auch von der Wirtschaft so ge-
sehen –, wie man entbürokratisiert und Effizienz schafft.
Man kann sagen: Die Wirtschaft hat darauf sehr positiv
reagiert, insbesondere das Hotel- und Gaststättenge-
werbe. Ich weiß, dass Sie das unterstützen. Das ist nur ein
Beispiel und es gibt viele andere.
Aber, Herr Hirche, da Sie selber jetzt ganz andere Fel-
der betreten und gar nicht die Fragen von meinem Freund
Ernst Hinsken aufgegriffen haben, schicke ich Ihnen die
Dokumentation einmal zu, um Ihnen zu zeigen, welche
konkreten Maßnahmen wir schon ergriffen haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt ist der Kollege
Deß mit seiner Nachfrage an der Reihe.
Herr Staatssekretär, IhreAussage, dass das Protokoll des Deutschen Bundestagesnur von wenigen Leuten gelesen wird, reizte mich zu die-
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Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf16220
ser Frage: Nennen Sie doch bitte hier in der Öffentlichkeitfür die Leute am Fernseher außer dem Rabattgesetz undder Zugabeverordnung noch einige konkrete Beispiele fürdie Deregulierung.S
Herr Deß, ich
bin Ihnen dankbar dafür, dass Sie mir die Gelegenheit ge-
ben, dazu etwas zu sagen. Man ist ja immer so diszipli-
niert, kurze Antworten zu geben;
deshalb möchte ich das nicht übertreiben und Ihre Zeit
nicht zu sehr in Anspruch nehmen. Aber Sie haben mit
dem Rabattgesetz und der Zugabeverordnung natürlich
ins Schwarze getroffen. Ich bedanke mich sehr dafür, dass
Sie damit auch andeuten, dass Sie das Projekt unterstüt-
zen wollen. Wir sind, wie Sie wissen, dabei, diese Punkte
umzusetzen.
Es gibt aber auch andere Beispiele, die wir nennen kön-
nen. Ich habe eben ein Beispiel aus dem Tourismusbe-
reich genannt und ich habe das Media@com-Projekt ge-
nannt. Es gibt viele Beispiele. Wir sind – übrigens
zusammen mit der bayerischen Finanzverwaltung – da-
bei, praktische Erfahrungen zu einer Online-Steuerer-
klärung zu sammeln. Sie wissen, dass das Projekt aus Sin-
gapur stammt. In Singapur hat man vor fünf Jahren den
Steuerzahlern die Möglichkeit gegeben, ihre Steuerer-
klärung online zu machen, und sogar 5 Prozent Rabatt ein-
geräumt. Was meinen Sie, was da in Singapur los war!
Wir führen all diese Projekte durch, wobei ich – weil
ich die spezifischen bayerischen Erfahrungen mit den An-
fangsproblemen dieses Internetprojekts vor Augen habe –
eines hinzufüge: Man muss auf diesem Feld auch
experimentieren; denn es gibt keine Patentlösungen. Ich
bin dafür, dass wir experimentieren, und zwar im Sinne
von Bürokratieabbau, von mehr Bürgernähe und von
mehr Delegation von Aufgaben, die andere besser machen
können als der Staat. Deshalb noch einmal, Herr Kollege
Deß: Ich bin Herrn Hinsken sehr dankbar, dass er mir
heute die Gelegenheit gegeben hat, einen kleinen Zwi-
schenbericht dazu zu geben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Fragen aus den
Geschäftsbereichen des Bundesministeriums für Verbrau-
cherschutz, Ernährung und Landwirtschaft sowie des
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend werden schriftlich beantwortet.
Die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung sind zurückgezogen worden.
Deshalb kommen wir jetzt zum Geschäftsbereich des
Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht Staatssekre-
tär Dr. Gunter Pleuger zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 der Abgeordneten Ilse Aigner auf:
Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung bis-
her getroffen, um die Abschaltung des Senders International
Broadcasting Bureau, IBB, der von den Vereinigten Staaten von
Amerika betrieben wird und sich auf einem von der Bundesregie-
rung verpachteten Gelände in Holzkirchen-Oberlaindern befindet,
zu erreichen, und welche Abteilung des zuständigen Ministeriums
hat gegebenenfalls Gespräche mit Vertretern des amerikanischen
Außenministeriums zu dem mit der Sendeanlage IBB am Stand-
ort Holzkirchen-Oberlaindern zusammenhängenden Problem-
kreis, insbesondere zur Abschaltung der Sendeanlage bzw. zur
Kündigung des Pachtvertrages, geführt?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, Frau Abgeordnete, wären Sie
damit einverstanden, wenn ich die Fragen 8 und 9 zusam-
men beantworten würde? Denn sie beziehen sich beide
auf die Schließung des Mittelwellensenders in Holzkir-
chen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dann rufe ich die
Frage 9 der Abgeordneten Ilse Aigner auf:
Wie erklärt sich die Bundesregierung die plötzliche Abschal-
tung des Mittelwellensenders der Sendeanlage International
Broadcasting Bureau, IBB, am Standort Holzkirchen-Oberlain-
dern im April 2001 und inwiefern ist diese Abschaltung auf die
Initiative der Bundesregierung zurückzuführen?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir sind über diese Schließung sehr froh. Denn siebeendet hoffentlich den Streit – zumindest einen wesent-lichen Teil davon –, der in der Vergangenheit bestandenhat. Die Bundesregierung hat sich vor dem Hintergrundder anhängigen Gerichtsverfahren und angesichts derSorgen der betroffenen Bürger stets für eine Lösung ein-gesetzt, die die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt.Die Amerikaner haben mit der Schließung dieses Mit-telwellenbetriebes einen wesentlichen Wunsch der loka-len Bevölkerung erfüllt; denn der Mittelwellensenderwurde als besonders belastend empfunden. In derentscheidenden Schlussfolgerung des Gutachtens, dasvon den Gemeinden Holzkirchen, Valley und Warngau1996 in Auftrag gegeben wurde, wurde festgestellt, dassdurch eine völlige Einstellung des Mittelwellenbetriebesdie wesentliche Quelle der elektromagnetischen Umwelt-beeinflussung in der Region beseitigt wäre. Das ist jetztgeschehen.Die amerikanische Seite, und zwar das InternationalBroadcasting Bureau, hat erklärt, dass bereits in den ver-gangenen drei Jahren im Zuge der kontinuierlichen Über-prüfung und der Bewertungsverfahren im Zusammen-hang mit den operationellen Notwendigkeiten diesesSenders nach Alternativen gesucht worden ist, wie dieje-nigen Sendungen, die bisher von Holzkirchen aus insbe-sondere in den Balkan ausgestrahlt wurden, von andererStelle aus vielleicht wirksamer verbreitet werden könn-ten. Die Amerikaner haben mitgeteilt, dass jetzt eine ge-eignete Ersatzanlage in Betrieb genommen worden ist, diedie Mittelwellenausstrahlung von Holzkirchen aus dauer-haft überflüssig macht. Der Sendebetrieb ist deshalb dau-erhaft eingestellt worden.Die Abschaltung des Mittelwellensenders beruht nichtauf einer Vereinbarung mit der Bundesregierung, sondernist eine einseitige Maßnahme des International Broadcas-ting Bureaus gewesen. Mit dieser Maßnahme hat unserer
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Albert Deß16221
Ansicht nach das IBB die wesentlichen Forderungen vorallen Dingen der lokalen Bevölkerung erfüllt. Wie jetztder anhängige Rechtsstreit weitergeht, das entzieht sichmeiner Kenntnis.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Kollegin Aigner
hat jetzt die Chance, vier Nachfragen zu stellen, weil ihre
beiden Fragen gemeinsam beantwortet worden sind. –
Ring frei für Sie!
Herr Staatssekretär, ich
wollte von Ihnen eigentlich konkret wissen, welche Maß-
nahmen die Bundesregierung ergriffen hat, um mit Ame-
rika entsprechende Verhandlungen aufzunehmen. Es geht
hier auch um einen Pachtvertrag, dessen Kündigung noch
ansteht. Vielleicht könnten Sie noch etwas genauer aus-
führen, welche Maßnahmen und konkret welche Ge-
spräche von welchem Mitarbeiter Ihres Ministeriums
bzw. von der politischen Spitze geführt wurden.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Gespräche mit den Amerikanern haben auf
verschiedensten Ebenen, auf der Arbeitsebene und auch
auf der politischen Ebene, hier in Berlin, aber auch in
Washington stattgefunden. Ich kann Ihnen im Einzelnen
nicht sagen, wer welches Gespräch geführt hat. Aber ich
kann zumindest von mir selber sagen, dass ich mich ge-
genüber dem amerikanischen Botschafter mehrfach für
eine einvernehmliche Lösung eingesetzt habe. Wir haben
vom State Department in Washington signalisiert be-
kommen, dass auch die amerikanische Seite nicht daran
interessiert sei, das Problem Holzkirchen zu einer Belas-
tung der deutsch-amerikanischen Beziehungen werden
zu lassen. Die Tatsache, dass die Amerikaner von sich aus
den Sendebetrieb eingestellt haben, hat das unter Beweis
gestellt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Aigner,
bitte Ihre nächste Frage.
Ich frage vor folgendem
Hintergrund: Ich habe den Bundeskanzler vor zwei Mo-
naten schriftlich gebeten, dieses Problem in Amerika vor-
zubringen. Ich habe bis heute weder eine Eingangsbe-
stätigung noch irgendeine Antwort auf dieses Schreiben
erhalten. Ich würde mich sehr darüber freuen, wenn ich
eine schriftliche Stellungnahme darüber, wo ent-
sprechende Gespräche geführt worden sind, erhalten
könnte. – Das nur zur Erklärung.
Könnte ein Grund dafür, dass der Sender in Holzkir-
chen abgeschaltet worden ist, sein, dass in Zukunft Mes-
sungen vonseiten des zuständigen bayerischen Staatsmi-
nisteriums bei Kostenübernahme durch die Gemeinden
und die Staatsregierung durchgeführt worden wären?
Könnte vielleicht auch dies bei der relativ schnellen und
überraschenden Entwicklung eine Rolle gespielt haben,
die die Bürgerinnen und Bürger dieser Gegend und ich
selbstverständlich sehr begrüßen?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten.
Diese müssten Sie den Amerikanern stellen. Die Begrün-
dung, die uns die Amerikaner für die auch für uns überra-
schend schnell erfolgte Einstellung gegeben haben, war
die, das inzwischen in Ungarn eine neue Sendeanlage als
Ersatz für die in Holzkirchen gefunden und inzwischen
auch in Betrieb genommen worden ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nummer drei, bitte.
Es verbleibt noch der Kurz-
wellensender. Als nachvollziehbare Begründung sowohl
für den Mittelwellen- als auch für den Kurzwellensender
wurde immer die Informationspolitik für Regionen, die
nicht demokratisch stabil sind und vielleicht auch keine
Informationen bekommen können, angeführt.
In einer Pressemitteilung des Kollegen Büttner wird in
Bezug auf den Kurzwellensender ausgeführt, dass der
Kaukasus für die Amerikaner ein strategisch wichtiges
Gebiet sei, weil dort Erdölreserven vorhanden seien, die
amerikanische Firmen erschließen wollten. Dies hat in der
Bevölkerung für etwas Verwirrung gesorgt, denn wenn
wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen, ist ein
solcher Sendebetrieb nicht mehr unbedingt zu rechtferti-
gen. Ich gehe davon aus, dass es auch noch andere Gründe
dafür gibt, den Sendebetrieb aufrechtzuerhalten. Aber
diese hätte ich gerne im Detail erfahren, denn ich glaube,
dass es sich bei dieser Mitteilung entweder um eine
Falschinterpretation oder um eine sehr verkürzte Darstel-
lung gehandelt hat. Herr Staatssekretär, vielleicht könnten
sie hier für Aufklärung sorgen.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann Ihnen insofern Aufklärung verschaffen,
als ich sagen kann: es ist richtig, dass die Kurzwellen-
sendungen weitergehen. Die Kurzwellensendungen sind
seit langem in Richtung Zentralasien ausgerichtet. Ob
dies auch aus wirtschaftlichen Gründen der Fall war, kann
ich nicht beurteilen. Das müssten sie die Amerikaner fra-
gen. Jedenfalls aber sind der Südkaukasus und Zentral-
asien nicht nur wegen der enormen Konflikte und der
möglichen Konfliktlinien zwischen großen Mächten Re-
gionen, in denen aus westlicher Sicht ein erhöhtes politi-
sches Informationsbedürfnis besteht.
Diese Kurzwellensendungen, die auch in der Vergan-
genheit ausgestrahlt wurden, sind aber – ich bin kein
Techniker, ich kann nur wiedergeben, was ich von den Ex-
perten erfahren habe – für die Bevölkerung weniger belas-
tend, weil der Kurzwellensender senkrecht nach oben ab-
strahlt und die Kurzwelle in der Ionosphäre über Tausende
von Kilometern zurückgestrahlt wird. Deswegen hat der
Kurzwellensender in der Vergangenheit – soweit mir be-
kannt ist – eine wesentlich geringere – wenn überhaupt –
Rolle in dem Streit mit der Bevölkerung und dem Staat
Bayern gespielt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben noch eineletzte Frage.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2001
Staatssekretär Dr. Gunter Pleuger16222
Die Bevölkerung ist natür-
lich froh, weil die Hauptbelastung durch die Mittelwelle
erfolgte. Aber auch die Kurzwelle führt nach wie vor zu
starken Belastungen für eine nicht ganz unwesentliche
Zahl von Leuten. Ich frage Sie konkret, ob die Bundesre-
gierung plant, den Pachtvertrag mit den Amerikanern
schon frühzeitig zu lösen. Dies müsste spätestens zum
Jahre 2004 erfolgen, damit er im Jahre 2005 nicht auto-
matisch verlängert wird. Ich glaube, es ist auch im Sinne
der Amerikaner, frühzeitig klare Richtlinien zu schaffen,
damit sie wissen, wie es langfristig weitergeht. Unter-
stützt die Bundesregierung diese Bestrebungen?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung wird rechtzeitig mit den
Amerikanern darüber sprechen. Sie haben völlig Recht:
2005 läuft der Vertrag aus. Spätestens 2004 muss eine
Regelung gefunden sein, wie der Vertrag entweder durch
Kündigung beendet oder durch Vereinbarung verlängert
werden soll. Sie wissen, dass sich der Vertrag dann, wenn
wir nichts tun, automatisch um zehn Jahre verlängert.
Aber auch als sich bezüglich der Mittelwellensendun-
gen eine Lösung wie diese noch nicht abzeichnete, hat das
IBB niemals eine Verlängerung um zehn Jahre, sondern
nur um fünf Jahre verlangt. Ich glaube, dies ist ein Indiz
dafür, dass wir in Verhandlungen mit den Amerikanern zu
gegebener Zeit eine für beide Seiten befriedigende Lö-
sung finden werden. Wir werden diese Verhandlungen
rechtzeitig einleiten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe jetzt den Ge-
schäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und
Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht der parla-
mentarische Staatsekretär Gerd Andres zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Jochen-Konrad
Fromme auf:
Warum hat die Bundesregierung bei der Rentenreform keine
Regelung aufgenommen, die den ungeschmälerten Rentenbe-
zug – ohne Abzüge – nach 45 Beitragsjahren ohne Rücksicht auf
das Renteneintrittsalter gewährt, um so anhängige Verfassungsge-
richtsverfahren gegenstandslos zu machen?
G
Frau Präsidentin, sehr
geehrter Herr Kollege Fromme, ich bitte zunächst um Ver-
ständnis dafür, dass die Beantwortung der Frage 10 etwas
umfangreicher sein wird, weil es sich um eine etwas kom-
pliziertere Frage handelt.
In die Rentenreform braucht eine von Ihnen skizzierte
Regelung nicht aufgenommen zu werden, jedenfalls nicht
zur Vermeidung von Verfassungsgerichtsverfahren. Sol-
che Verfahren gibt es nach unseren Feststellungen näm-
lich nicht.
Vorschläge, die darauf hinauslaufen, nach einer be-
stimmten Beitragszeit bereits eine ungeminderte Rente zu
leisten, widersprechen dem Versicherungsprinzip, weil
sie dazu führen würden, dass langjährig Versicherte nicht
nur eine ihrer Beitragsleistung entsprechend hohe Rente
erhalten würden, sondern diese auch noch zu einem frühe-
ren Zeitpunkt als Versicherte mit weniger Beitragszeiten
in voller Höhe beziehen könnten.
Neben diesen grundsätzlichen Bedenken gibt es wei-
tere Gründe, keine Regelung vorzuschlagen, die einen un-
geschmälerten Rentenbezug nach 45 Beitragsjahren ohne
Rücksicht auf das erreichte Alter zulässt:
Erstens. Die von Ihnen vorgeschlagenen 45 Beitrags-
jahre sind viel schwieriger zu erfüllen als die heute gel-
tenden 35 Jahre mit rentenrechtlichen Zeiten. Einerseits
sind es zehn Jahre mehr. Andererseits zählen Zeiten, in de-
nen jemand zum Beispiel krank oder arbeitslos war oder
noch keine Beiträge gezahlt wurden, nicht mit. Auch die
für Frauen so wichtigen Zeiten der Kindererziehung bis
zum 10. Lebensjahr werden bei der 35-jährigen Wartezeit
angerechnet; bei der 45-jährigen Wartezeit fehlen hinge-
gen neun bzw. sieben Jahre.
Zweitens. Begünstigt wären insbesondere diejenigen,
die auch nach Vollendung des 60. Lebensjahres noch er-
werbstätig und die gesundheitlich nicht so beeinträchtigt
sind, dass eine Erwerbsminderung vorliegt.
Drittens. Arbeitslose, Frauen mit kindererziehungsbe-
dingten Lücken in ihrer Erwerbsbiografie und Frühinva-
liden dürften aber kein Verständnis dafür haben, wenn
Versicherte, die das „Glück“ hatten, 45 Jahre lang Bei-
träge zahlen zu können, und deshalb entsprechend hohe
Rentenansprüche haben, wegen fehlender Abschläge
noch einen zusätzlichen „Bonus“ bekämen.
Viertens. Die Forderung nach einer ungeschmälerten,
abschlagsfreien Rente ignoriert auch die Begründung für
die Abschläge und ist deshalb mit dem Versicherungs-
prinzip unvereinbar: Für die Höhe des Abschlags ist allein
der Rentenbeginn und damit die Rentenlaufzeit aus-
schlaggebend, denn über die gesamte Rentenlaufzeit soll
das Rentenvolumen so bestimmt werden, dass es unab-
hängig vom Rentenbeginn gleich bleibt. Die Zahl der Ver-
sicherungsjahre und das versicherte Entgelt bestimmen
bereits die sich ohne Abschlag ergebende Rentenhöhe.
Fünftens. Ihr Vorschlag würde dazu führen, dass ein
Durchschnittsversicherter nach 45 Beitragsjahren eine ab-
schlagsfreie Altersrente mit 60 Jahren in Höhe von
2 186,10 DM erhalten würde, Versicherte mit ebenfalls
45 Entgeltpunkten, zum Beispiel als Erwerbsminde-
rungsrentner, langfristig wegen der Abschläge jedoch
236,10 DM und Versicherte ohne Erwerbsminderung
sogar 393,50 DM weniger.
Ich bitte daher um Ihr Verständnis, dass die Bundesre-
gierung eine Regelung „Rente ohne Abschläge bei 45 Bei-
tragsjahren“ nicht vorschlagen wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir haben jetzt alle ei-
nen Augenblick gezögert, weil wir nach Ihrer Ankündi-
gung einen noch längeren Vortrag erwarteten.
G
Frau Präsidentin, wennSie es wünschen, trage ich noch ein bisschen mehr vor.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2001 16223
Rede von: Unbekanntinfo_outline
So war das nicht ge-
meint. – Herr Kollege Fromme zu einer ersten Nachfrage.
Herr Staats-
sekretär, in der Vergangenheit hat es doch auch Renten-
verläufe mit 45 Beitragsjahren gegeben, bei denen die
Rentenbezieher vorzeitig in den Ruhestand gegangen
sind, ohne dass eine Rentenkürzung stattgefunden hätte.
Die Kürzung ist erst durch eine Systemänderung einge-
führt worden. Das bedeutet, dass so etwas mit dem Versi-
cherungsprinzip vereinbar gewesen sein muss.
G
Herr Abgeordneter
Fromme, ich habe mir natürlich angeschaut, dass Sie
schon der früheren Bundesregierung in diesem Zusam-
menhang Fragen gestellt haben. Sie haben Recht: Es hat
solche Regelungen gegeben, allerdings im Zusammen-
hang mit Vertrauensschutzregelungen. Durch rentenrecht-
liche Änderungen, mit denen das Renteneintrittsalter
angehoben wurde, hat man bestimmten Gruppen, bei-
spielsweise Frauen oder Erwerbslosen oder Menschen,
die einem bestimmten Jahrgang angehörten, einen Ver-
trauensschutz gewährt, damit sie sich auf diese neue
Regelung einstellen konnten. Das ist aber ein ande-
rer – in diesem Falle berechtigter – Begründungszusam-
menhang als der, den ich eben vorgetragen habe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Fromme, eine
weitere Nachfrage, bitte.
Herr Staats-
sekretär, empfinden Sie es als gerecht, dass Menschen, die
45 Jahre gearbeitet und voll eingezahlt haben, dann noch
mit Kürzungen rechnen müssen – es sind ja nur relativ we-
nige Menschen, die das in ihrer Erwerbsbiografie über-
haupt noch schaffen –, während andere über Vorruhe-
standsregelungen und Ähnliches früher in den Ruhestand
gehen konnten und keine oder geringere Kürzungen
erfahren haben?
G
Nein, Herr Fromme. Ich
will noch einmal versuchen, Ihnen unser Rentenversiche-
rungssystem zu erklären.
– Ich will mich gerade bemühen, die Frage zu beantwor-
ten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Herr Staatssekre-
tär antwortet jetzt auf die Frage des Kollegen Fromme.
G
Wenn Sie schreien, bin
ich nicht in der Lage, die Frage zu beantworten.
Unser Rentensystem funktioniert so, dass sich die
Höhe der Rente aus der Dauer der Beitragszahlungen und
aus der Höhe der gezahlten Beiträge ergibt. Dies bedeutet
– ich übertrage das jetzt einmal; das kam auch in meiner
Antwort vor –, dass diejenigen, die das relative „Glück“
hatten, über lange Zeiten Beiträge zahlen zu können, da-
durch auch eine relativ höhere Rente bekommen.
Die spannende Frage, ob jemand, der früher in Rente
geht, eine abschlagsfreie Rente bekommen muss, stellt
sich aufgrund eines ganz anderen Problems. Die Renten-
höhe ergibt sich aus dem Zeitpunkt, zu dem jemand in
Rente geht, und daraus, wie lange eine Rentenleistung
bezogen wird. Es ergäbe eine doppelte Privilegierung,
wenn jemand, der zum Beispiel mit 15 Jahren zu arbeiten
begonnen hat, mit 60 Jahren in Rente geht und damit die
45 Beitragsjahre voll hat, aufgrund dessen eine relativ
hohe Rente erhielte, und jemand anderer, der über die
gleiche Zeit Beiträge gezahlt hat, aber bis zum Alter von
65 Jahren arbeiten muss, erst danach eine Rente beziehen
könnte und diese Rente über eine kürzere Laufdauer be-
zöge.
Von daher ist die Frage der Gerechtigkeit in einem an-
deren Zusammenhang zu sehen. Die Gerechtigkeit stellt
sich über die Rentenbezugsdauer her. Da hier sozusagen
heftige Fragen gestellt wurden – Sie haben schon der al-
ten Bundesregierung ganz ähnliche Fragen gestellt –,
stelle ich Folgendes klar: Die alte Bundesregierung hat
die Abschläge bei frühzeitigem In-Rente-Gehen einge-
führt; die neue Bundesregierung sieht keine Veranlas-
sung, das zu verändern. Ich sage dies, damit wir wissen,
worüber wir reden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt hierzu eine
weitere Nachfrage des Kollegen Peter Dreßen.
Herr Staatssekretär, trifft es zu,
dass das Renteneintrittsalter seit Einführung der Rente
1959 bei Männern bei 65 Jahren liegt und dass unabhän-
gig von den Versicherungszeiten erst ab einem Alter von
65 Jahren Rente bezogen werden kann? Bei Frauen lag
dieses Renteneintrittsalter bei 60 Jahren. Es ist von der al-
ten Bundesregierung sukzessive erhöht worden.
Finden Sie nicht, dass die Frage des Kollegen Fromme
daher sehr populistisch ist? Natürlich würde auch ich gern
mit 45 Versicherungsjahren in Rente gehen. Haben Sie
eine Ahnung, wie viel Milliarden D-Mark Mehrein-
nahmen getätigt werden müssten, um eine solche For-
derung zu erfüllen?
G
Herr AbgeordneterDreßen, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Es steht mirnicht zu, die Frage des Abgeordneten Fromme in ihrer Artund Weise zu werten. An mich stellt sich die Anforderung,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 200116224
nach bestem Wissen und Gewissen zu antworten. Darumbemühe ich mich.Ich gebe eine zweite Antwort. Wir haben bisher in un-serem Rentenrecht keine Versicherungsleistung nach Ver-sicherungsdauer, sondern die Rentenleistung ergibt sichnach dem Renteneintrittsalter. Dieses Eintrittsalter istschon immer definiert. Es hat dahin gehend Veränderun-gen gegeben, dass man frühere Renteneintrittsalter er-möglicht hat. Diese Möglichkeit schaffte die CDU/F.D.P.-Regierung ab, indem sie festlegte, dass das allgemeineund generelle Renteneintrittsalter in Zukunft unter-schiedslos für Männer und Frauen 65 Jahre betragen wird.Wer früher in Rente geht, hat mit Abschlägen zu rechnen.Dies entspricht der Philosophie, die ich eben zu erklä-ren versucht habe, nämlich dadurch Gerechtigkeit herzu-stellen, dass man das auf die Rentenlaufdauer und nichtauf die Zeit, für die man Beiträge bezahlt oder währendder man gearbeitet hat, abstellen muss, denn diese Zeitführt dazu, dass man wegen längerer Beitragszahlung oh-nehin eine höhere Rentenleistung erhält.Im Hinblick auf die Kosten kann ich Ihnen nur sagen,dass beispielsweise die Übergangsregelung der alten Bun-desregierung, nach der von Herrn Fromme auch gefragtworden war, nach einer Aussage des ParlamentarischenStaatssekretärs Kraus vom 28. September 1997 zu Mehr-belastungen in der Rentenversicherung von 1,6 Milli-arden DM geführt hat. Dabei ging es nur um die Vertrau-ensschutzregelungen für Frauen, für Arbeitslose und fürdiejenigen, die Jahrgang 1942 und früher waren und45 Versicherungsjahre voll hatten. Allein diese Regelunghat die Rentenversicherung 1,6 Milliarden DM gekostet.Wenn man sich die Zahl derer anschaut, die unter einesolche Regelung fallen würden, dann kann ich der Aus-sage von Herrn Fromme, dass es verschwindend wenigeseien, nicht zustimmen. Es sind relativ viele und relativumfangreiche Gruppen, sodass es für die Rentenversiche-rung ganz erhebliche Finanzlasten bedeuten würde, wennman eine solche Regelung einführte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der nächste nachfra-
gende Kollege ist der Abgeordnete Hirche.
Herr Staatssekretär, ist es
nicht so, dass ein Teil unserer Probleme mit der Renten-
versicherung daraus resultiert, dass es den so genannten
Eckrentner mit 45 Beitragsjahren heute kaum mehr gibt?
Die meisten haben doch weniger Rentenjahre. Kann man
deswegen unter Gesichtspunkten von Solidarität und Ge-
rechtigkeit nicht durchaus darüber reden, ob man demje-
nigen, der mit 45 Versicherungsjahren seinen Beitrag
mehr als andere erbracht hat – schließlich haben wir das
Umlageverfahren –, einen kleinen Vorteil gibt, der im
Übrigen weniger ausmachte als all das, was im Zusam-
menhang mit dem Vorruhestand gemacht worden ist?
G
Herr Abgeordneter
Hirche, da Sie zum zweiten Mal den Vorruhestand
bemühen, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass Sie hier
Äpfel mit Birnen vergleichen. Auch ich finde, dass man
darüber nachdenken kann. Man kann über alles nachden-
ken; das ist überhaupt kein Problem. Ich frage mich nur,
warum Sie nicht in den Zeiten, in denen Sie Regierungs-
verantwortung hatten, intensiver darüber nachgedacht
haben.
Sie haben das Rentenzugangsalter erhöht. Sie haben
das wegen der Finanzprobleme und wegen der demogra-
phischen Entwicklung für notwendig gehalten. Auch wir
sehen diese Notwendigkeit. Wir nehmen die Erhöhung
des Rentenzugangsalters nicht zurück. Ich erkläre Ihnen
noch einmal: Unser Rentensystem funktioniert nach an-
deren Zusammenhängen. Die Rentenhöhe ergibt sich aus
Beitragszeiten und Beitragshöhe. Die Bundesregierung
will an dem einheitlichen Rentenzugangsalter, das wir ha-
ben, nicht rütteln.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Niebel,
bitte Ihre Nachfrage.
Herr Kollege Andres, es gibt ja
bei der Rentenversicherung drei Variablen: zum Ersten
den Beitragssatz, zum Zweiten das Rentenniveau und
zum Dritten die Lebensarbeitszeit. Wenn ich mich recht
entsinne, haben Sie in Ihrem Konzept sowohl den Bei-
tragssatz als auch das Rentenniveau festgelegt. Die letzte
Variable ist also die Lebensarbeitszeit. Haben Sie denn
vor, diese zu erhöhen? Offenkundig wollen Sie sie nicht
besser ausschöpfen. Die Lebensarbeitszeit ist die letzte
Stellschraube, die Sie haben, um die generationenunge-
rechte Rentenregelung, die Sie diesem Hause vorlegen
wollen, umzusetzen.
G
Herr Abgeordneter, ichbitte um Verständnis: In Ihrer Frage waren so viele Be-hauptungen und Unterstellungen, dass ich nicht in derLage bin, darauf einzugehen, ohne umfangreich zu ant-worten. Ich stelle nur fest, dass sich dieses Haus gerademit einer umfassenden Rentenreform befasst und dassdiese Regierung immer mitgeteilt hat: Eine Erhöhung desRentenzugangsalters kommt unter gegenwärtigen Bedin-gungen für uns nicht in Frage.Ich kann mich auch nicht erinnern, dass Frau Schwaetzeroder andere in diesem Zusammenhang – und sei es nur inParteiengesprächen – konkret den Antrag erhoben hätten,diese Grenze auf 66, 67, 68 oder mehr Jahre anzuheben.
– Meine Haltung habe ich gerade zum Ausdruck gebracht:Die Bundesregierung hat nicht die Absicht, das Rentenzu-gangsalter gegenwärtig auf mehr als 65 Jahre zu erhöhen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2001
Parl. Staatssekretär Gerd Andres16225
Was im Jahre 2012, 2015 oder 2025 ist, weiß ich nicht, daswerden wir dann sehen. Das bleibt abzuwarten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt rufe ich die
Frage 11 der Kollegin Birgit Schnieber-Jastram auf:
Auf welcher offiziellen Statistik oder Berechnungsgrund-
lage beruht die in einem Interview mit der „Bild“-Zeitung vom
6. April 2001 geäußerte Angabe des Bundeskanzlers Gerhard
Schröder, im letzten Jahr der Regierung Kohl habe es in Deutsch-
land 4,8 Millionen Arbeitslose gegeben?
G
Frau Präsidentin, mich
hat im Vorfeld der Beantwortung dieser Frage die Bot-
schaft erreicht, wegen meiner zu erwartenden unzurei-
chenden Beantwortung dieser Frage werde eine Aktuelle
Stunde beantragt. Ich weiß nicht, ob das zutreffend ist.
Ich will hier nur noch einmal versichern, dass ich nach
bestem Wissen und Gewissen antworten möchte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auch ich möchte be-
tonen, dass zunächst einmal jedem Staatssekretär und je-
der Staatssekretärin die Chance gegeben werden muss,
ausreichend zu antworten. Dem Präsidium liegt – aber das
ist auch so üblich – bisher kein entsprechender Antrag vor.
G
In der Runde davor,
Frau Präsidentin, war ja von den Plenarprotokollen des
Deutschen Bundestages die Rede sowie davon, wer in der
Bevölkerung sie liest und wer nicht. Deswegen war mir
diese Vorbemerkung wichtig.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn wir so weiter-
machen, werden unsere Protokolle wirklich bald gelesen;
das wäre vielleicht auch nicht so schlecht.
G
Das erscheint alles re-
lativ wichtig. So muss das sein.
Frau Schnieber-Jastram, die Antwort auf Ihre Frage
lautet: Diese Aussage basiert auf den offiziellen Statisti-
ken der Bundesanstalt für Arbeit. Danach lag die Zahl der
Arbeitslosen im Januar 1998 bei rund 4,823 Millionen
und im Februar 1998 bei rund 4,819Millionen Menschen.
– Soll ich die Frage noch einmal vorlesen, damit Sie wissen,
worauf ich geantwortet habe, Herr Niebel? Kann er lesen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die erste Nachfrage
von Frau Schnieber-Jastram.
Herr Staats-
sekretär, ist Ihnen wie mir bekannt, dass der Jahresdurch-
schnitt bei 4,2 Millionen Arbeitslosen lag?
G
Ich will es noch einmal
sagen, Frau Schnieber-Jastram: Sie haben gefragt, auf
welcher offiziellen Statistik oder Berechnungsgrundlage
die Angabe von 4,8 Millionen Arbeitslosen beruht. Dazu
will ich festhalten: Diese beruht darauf, dass wir im letz-
ten Jahr der Regierung Kohl im Januar und im Februar mit
über 4,8 Millionen gemeldeten Arbeitslosen den absolu-
ten Höchststand der 90er-Jahre und damit – bis in die
50er-Jahre zurück – das absolute Rekordergebnis an Ar-
beitslosigkeit in diesem Land hatten. Darauf habe ich
mich bezogen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Schnieber-
Jastram.
Sehr ge-
ehrter Herr Staatssekretär, ich finde es schon ziemlich
erstaunlich, dass für den Jahresdurchschnitt nur zwei Mo-
nate genommen wurden. In dem Artikel der „Bild“-Zei-
tung ist der Kanzler von dem Jahreswert ausgegangen.
Man kann schwerlich einen Jahreswert von 4,8 Millionen
Menschen nennen, wenn dieser tatsächlich bei 4,2 Milli-
onen lag.
Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Kann es sein,
dass der jetzige Bundeskanzler auch deswegen ein biss-
chen durcheinander war, weil in dem Land Niedersach-
sen, in dem er damals die Verantwortung trug, fast die
höchste Arbeitslosenquote in der Bundesrepublik ge-
herrscht hat, nämlich 12,3 Prozent?
G
Frau Kollegin, zur Be-antwortung muss ich Ihnen noch einmal Ihre Frage vorle-sen.
Sie haben gefragt:Auf welcher offiziellen Statistik oder Berechnungsgrundlageberuht die in einem Interview mit der „Bild“-Zeitung vom6. April 2001 geäußerte Angabe des Bundeskanzlers GerhardSchröder, im letzten Jahr der Regierung Kohl habe es in Deutsch-land 4,8 Millionen Arbeitslose gegeben?Daraufhin habe ich Ihnen geantwortet, dass es im Ja-nuar und Februar des Jahres 1998 4,8 Millionen Arbeits-lose gegeben hat. Sie haben nach der offiziellen Statistikoder Berechnungsgrundlage gefragt.
– Gut.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2001
Parl. Staatssekretär Gerd Andres16226
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine Nach-
frage des Kollegen Meckelburg und des Kollegen Niebel.
Herr Staatsse-
kretär, Sie haben vor Beginn Ihres – so will ich es einmal
nennen – Beantwortungsversuchs gesagt, Sie wollten al-
les klarlegen, damit es hierzu keine Aktuelle Stunde gibt.
Ich möchte noch einmal Gerhard Schröder aus der „Bild“-
Zeitung zitieren: Im letzten Jahr der Regierung Kohl habe
es in Deutschland 4,8 Millionen Arbeitslose gegeben. –
Sie haben richtigerweise festgestellt: Dies war im Januar
so.
G
Und im Februar, damit
wir korrekt sind.
Und im Fe-
bruar.
Würden Sie uns bitte die Arbeitslosenzahlen der darauf
folgenden zehn Monate des Jahres 1998 nennen, damit
wir zu einer wirklichen Aufklärung kommen?
G
Im Januar waren es
4,823 Millionen Arbeitslose – das ist die Statistik, auf die
ich mich bezogen habe –, im Februar 4,819 Millionen, im
März 4,623 Millionen, im April 4,421 Millionen
– nicht weniger als heute, gnädige Frau, darauf kommen
wir gleich –, im Mai 4,197 Millionen, im Juni 4,075 Mil-
lionen, im Juli 4,135 Millionen, im August 4,095 Milli-
onen, im September 3,965 Millionen, im Oktober
3,892 Millionen, im November 3,946 Millionen und im
Dezember 4,197 Millionen Arbeitslose.
– Das ist die korrekte Beantwortung der Frage des Kolle-
gen Meckelburg. Er hat genau nach diesen Daten gefragt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Nachfragen-
der ist der Kollege Dirk Niebel.
Herr Staatssekretär, Sie haben
gerade richtigerweise vorgelesen, dass im September
1998 3,965 Millionen Menschen bei uns arbeitslos ge-
meldet waren. Wie ist das denn vor dem Hintergrund der
heutigen Arbeitslosigkeit zu sehen? Heute verlassen pro
Jahr 250 000 Menschen mehr den Arbeitsmarkt, als hin-
zukommen. Worin besteht denn Ihrer Ansicht nach der
tatsächliche Rückgang der Arbeitslosigkeit?
G
Zunächst einmal will
ich festhalten – bei der nächsten Frage der Kollegin
Schnieber-Jastram werde ich noch einmal darauf zurück-
kommen –, dass es im Jahresdurchschnitt 1998 – es ist ja
gefragt worden: „Auf welcher Statistik oder Berech-
nungsgrundlage ...“ – 4,279 Millionen Arbeitslose gab.
Der Kanzler hat gesagt: Im Jahr gab es 4,8 Millionen. Das
stimmt.
Im Jahresdurchschnitt 1999 gab es 4,099 Millionen Ar-
beitslose. Das bedeutet einen Rückgang von 180 000 im
Jahresdurchschnitt. Im Jahresdurchschnitt 2000 gab es
3,889 Millionen Arbeitslose, war also nochmals ein Rück-
gang von über 200 000 zu verzeichnen. Wir gehen davon
aus – darauf weisen die Daten, auch die April-Daten,
hin –, dass wir im Jahresdurchschnitt rund 200 000 Ar-
beitslose weniger haben werden als im Vorjahr, was
faktisch bedeutet, dass im Jahresdurchschnitt der letzten
beiden Jahre die Arbeitslosigkeit um rund 400 000 zurück-
gegangen ist und am Ende dieses Jahres wahrscheinlich
um 600 000 zurückgegangen sein wird.
– Auf die Aktuelle Stunde bereiten wir uns schon alle vor.
Wir freuen uns schon richtig darauf.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt fragt aber erst
einmal der Kollege Singhammer nach.
Herr Staatsse-
kretär, könnte es sein, dass sich der Bundeskanzler erneut
versprochen hat und dass Sie in Ihrer Antwort bewusst auf
den Jahresbeginn, nicht aber auf den September Bezug
nehmen, als die Regierung gewechselt hat? Der Bundes-
kanzler hat schon im Januar dieses Jahres zunächst gesagt,
sein Ziel sei es, eine Million Arbeitslose abzubauen, um
dann mitzuteilen, dies sei ein Versprecher gewesen, und
darauf hinzuweisen, dass auch älteren Pferden gelegent-
lich so etwas passiere. Könnte dieses Sich-ständig-Ver-
sprechen auch hier vorliegen?
G
Nein. Ich habe daraufhingewiesen, dass sich der Bundeskanzler mit seinerÄußerung auf den Höchststand unter der alten RegierungKohl bezogen hat, der im Frühjahr des Jahres 19984,8 Millionen und mehr betragen hat.Wenn ich noch ein paar Erklärungen über den Ar-beitsmarktverlauf im Jahre 1998 hinzufügen darf, will ichdarauf hinweisen – ich wäre dankbar, wenn Sie mich da-nach fragten; denn dann würde ich Ihnen die konkretenZahlen vorlesen –, dass Sie damals über Wahlkampf-ABM und das kurzfristige Zurverfügungstellen von5 Milliarden DM die Anzahl der Arbeitsbeschaffungs-maßnahmen in der Zeit von Anfang des Jahres bis zum
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2001 16227
Ende des Jahres auf nahezu das Zweieinhalbfache erhöhthaben.Es gibt also eine Reihe von Erklärungen, über die wirgerne diskutieren können. Das werden wir in der Aktuel-len Stunde auch tun. Darauf werden wir zurückkommen.Ich will heute nur sagen: Der Bundeskanzler hat sich nichtversprochen.
Er hat vielmehr von dem Höchststand der Arbeitslosigkeitgesprochen. Die Arbeitslosenzahlen liegen heute deutlichdarunter. Wenn Sie sich die Zahlen dieses Monats anse-hen, so werden Sie feststellen, dass die Reduzierung umeine Million gegenüber dem Höchststand längst erreichtist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bevor ich dem nächs-
ten Nachfragenden das Wort erteile, möchte ich dem Kol-
legen Johannes Singhammer im Namen aller Kolleginnen
und Kollegen herzlich zum Geburtstag gratulieren. Im-
merhin kann nicht jeder an seinem Geburtstag eine Frage
an die Bundesregierung stellen.
Jetzt ist der Kollege Peter Dreßen mit einer Nachfrage
an der Reihe.
Herr Staatssekretär, ich wollte
Sie jetzt sowieso fragen: Ist Ihnen bekannt, wie viele Mil-
liarden und wie viele Arbeitsverhältnisse es ausgemacht
hat, dass im Jahre 1998 gezielt so genannte Wahl-ABM
von der Regierung initiiert worden sind? Können Sie sa-
gen, inwieweit dies den Arbeitsmarkt beeinflusst hat, und
vor allen Dingen, wie lange diese AB-Maßnahmen ge-
dauert haben? Meines Wissens haben sie alle im Oktober
wieder geendet.
G
Herr Dreßen, ich bin Ih-
nen für diese Frage außerordentlich dankbar.
Ich war auf diese Frage präpariert, weil sie natürlich auch
etwas über den Arbeitsmarktverlauf des Jahres 1998 aus-
sagt.
Anfang des Jahres 1998 war die Zahl der ABM-Stellen
auf unter 140 000 gefallen. Sie können sich sicherlich da-
ran erinnern, dass es mit der alten Bundesregierung harte
Auseinandersetzungen über diesen ständigen Stop-and-
go-Kurs – aktive Maßnahmen hoch und wieder runter fah-
ren – gab. Es wurden zunächst Kürzungen vorgenommen
und dann im Frühjahr des Jahres 1998 bei der Bundesan-
stalt für Arbeit kurzfristig 5 Milliarden DM mobilisiert,
die dann im Januar zu 131 500, im Februar zu 129 100, im
März zu 135 900, im April zu 152 700, im Mai zu 176 000,
im Juni zu 209 900, im Juli zu 241 200, im August zu
262 400 und im September zu 281 000 ABM-Stellen ge-
führt haben. Im Oktober waren es – man erinnere sich an
den Wahltermin – 297 300; also von rund 130 000 um
knapp 170 000 hochgefahren. Im November gab es
302 100 ABM-Stellen und im Dezember sank die Zahl auf
284 300.
Wer sich die weiteren Verläufe ansieht, muss dabei be-
denken, dass auf der einen Seite ABM-Stellen kurzfristig
geschaffen werden können – es wurde auch öffentlich auf-
gefordert, irgendjemand für ein halbes oder ein Vierteljahr
zu beschäftigen –, aber auf der anderen Seite die Mehr-
zahl der Maßnahmen eine einjährige Bindung zur Folge
hat, sodass die eingeleitete Bugwelle bis ins Jahr 1999
Wirkung entfaltet hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Nachfragen-
der ist der Kollege Laumann.
Herr Kollege
Andres, noch einmal zurück zu dem Umfang der ABM-
Stellen: Können Sie uns vortragen, wie sich im Jahre
1999, nach dem Regierungswechsel, unter Ihrer Regie-
rung die ABM-Stellen entwickelt haben?
G
Wollen Sie die kom-plette Zeitreihe haben?
Wir waren im Dezember 1998 mit 284 300 Stellen ge-startet. Im Januar 1999 betrug die Zahl der ABM-Stellen255 000, im Februar 253 000, im März 257 000, im April261 000, im Mai 253 000, im Juni 239 000, im Juli226 000, im August 216 000, im September 206 000, imOktober 204 000, im November 204 000 und im Dezem-ber 195 000.
Ich will in diesem Zusammenhang wiederholen, wasich in meiner Antwort auf die vorige Frage bereits gesagthabe: Wer über Wirkungsweisen von ABM Bescheid weiß,muss feststellen, dass im Sommer des Jahres 1998 die Ur-sachen für die hohe Bugwelle gelegt wurden. Man mussweiter wissen, dass man die eingeleiteten Wirkungen ab-brechen kann. Da aber die neue Bundesregierung aus-drücklich der Meinung war, dass die Arbeitsmarktprozesseverstetigt werden sollten, und das System von ABM nichtzusammenbrechen lassen wollte, hat sie die Arbeitsbe-schaffungsmaßnahmen verstetigt, um sie, wie ich meine,in vernünftiger Weise langsam nach unten zu entwickeln.Wie Sie auch wissen, haben wir es im Übrigen durchbestimmte gesetzliche Änderungen den Arbeitsämternvor Ort überlassen, welche Instrumente sie einsetzen; dasheißt, ob sie eher Qualifizierung, SAM oder ABM ma-chen wollen. Dadurch sind die Maßnahmen in vernünfti-ger Weise stabilisiert worden.
Das war eine weitere nette Frage. Ich bin richtig be-geistert.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2001
Parl. Staatssekretär Gerd Andres16228
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt hat Kollege
Wiese das Wort.
Herr Staatsse-
kretär, ich möchte auf den Kern der Frage unserer Kolle-
gin Schnieber-Jastram zurückkommen: Halten Sie es für
denkbar, dass der Bundeskanzler bei der Arbeitslosigkeit
im Jahre 1998 statt der Durchschnittsgröße von 4,2 Milli-
onen Menschen bewusst dem Höchststand von 4,8 Milli-
onen im Januar bzw. Februar genannt hat, um auf diese
Weise zu versuchen, seine bisher wenig erfolgreiche Ar-
beitsmarktpolitik in ein besseres Licht zu rücken? Ge-
schah dies vielleicht vor dem Hintergrund seiner Aussage,
wir hätten demnächst in Deutschland eine Arbeitslosig-
keit von nur noch 3 Millionen zu verzeichnen, die er ei-
nen Tag später auf 3,5 Millionen Menschen korrigierte?
G
Nein, ich halte das nicht
für denkbar.
– Der Abgeordnete hat gefragt, ob ich das für denkbar
halte. Meine Antwort lautet schlicht Nein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der nächste Fragestel-
ler ist der Kollege Dr. Klaus Grehn.
Herr Staatssekretär, in den
elf Jahren, in denen ich in der Arbeitslosenbewegung tätig
war, wurden viele Zahlen genannt und wurde oft davon
gesprochen, dass nun Licht am Ende des Tunnels erkenn-
bar und die Talsohle durchschritten sei. Können Sie mir
im Namen der Bundesregierung bitte sagen, was die be-
troffenen Arbeitslosen von der heutigen Zahlenrechnerei
und Diskussion halten sollen und was sie davon haben,
insbesondere jene Arbeitslosen, die langzeitarbeitslos
sind und bereits damals zu den 4,8 Millionen Arbeitslosen
zählten und sich auch noch heute unter den 3,8 Millionen
Arbeitslosen befinden? Erwarten diese nicht vielmehr,
dass sich der Bundestag mit der Schaffung von Arbeits-
plätzen anstatt mit der Interpretation von Zahlen befasst?
G
Ich denke, dass Sie mit
dem zweiten Teil Ihrer Frage völlig Recht haben. Deswe-
gen haben wir in diesem Hause schon mehrfach – zuletzt,
wenn ich das richtig in Erinnerung habe, am 5. April – in
Aktuellen Stunden über den richtigen Weg in der Arbeits-
marktpolitik gestritten und diskutiert. Wir haben auch
eine ganze Reihe von gesetzgeberischen Maßnahmen auf
den Weg gebracht. Herr Abgeordneter Grehn, Sie wissen,
dass wir beabsichtigen, die Änderung des SGB III hin-
sichtlich der arbeitsmarktpolitischen Instrumente für den
Vermittlungsprozess und ein paar anderer Fragen noch in
diesem Jahr anzugehen. Das werden wir auch tun.
Ich bin der Meinung – das habe ich schon dargelegt –,
dass 4,8 Millionen Arbeitslose im Frühjahr 1998 der ab-
solute Höchststand waren. Im selben Jahr war auch die
Steuer- und Abgabenquote am höchsten. Hinzu kam die
höchste Staatsverschuldung. Dass das alles die Bevölke-
rung nicht besonders erfreut, war klar. Das hat sich auch
im Wahlergebnis ausgedrückt. Wir tun jetzt alles, um die
Arbeitslosigkeit Jahr für Jahr Stück für Stück zu senken.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Kollege Fromme
stellt die nächste Nachfrage.
Herr Staats-
sekretär, es geht um die tatsächliche Entwicklung auf dem
Arbeitsmarkt. Man kann ja auch durch Ändern der statis-
tischen Kriterien und entsprechende Einschätzung der
demographischen Entwicklung etwas „bewirken“. Kön-
nen Sie einmal sagen, wie sich die Zahlen der geleisteten
Arbeitsstunden entwickelt haben? Das ist ein wesentlich
besserer Indikator.
G
Herr Abgeordneter, es
tut mir Leid, diese Zahlen liegen mir gegenwärtig nicht
vor. Ich kann Ihre Frage aus dem Stegreif nicht beantwor-
ten. Ich bitte um Verständnis. Aber ich kann Ihnen die
Zahl nachreichen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schauerte,
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekre-
tär, ich möchte die Zahl der AB-Maßnahmen sozusagen
vor die Klammer stellen. Man kann wohl davon ausgehen,
dass diese Zahl im Januar 1998 bei etwa 200 000 lag und
damit genauso hoch war wie heute.
G
Nein, im Januar 1998
gab es rund 131 000 AB-Maßnahmen. Ich sage das nur,
damit wir nicht mit falschen Zahlen operieren.
Das verbessert ei-
gentlich meine Ausgangsposition. Aber ich möchte, wie
gesagt, die Zahl der AB-Maßnahmen vor die Klammer
stellen, um meine Frage einfach zu halten.
Im Januar 1998 – diese Zahl ist wohl richtig – gab es
4,8 Millionen Arbeitslose.
G
Es gab mehr Arbeits-
lose. Die Zahl lag ein bisschen höher.
Im Dezember 1999gab es 3,9 Millionen Arbeitslose. Auch heute gibt es3,9 Millionen
– in Ordnung, 3,8 Millionen – Arbeitslose. Worin bestehteigentlich der Unterschied zwischen damals und heute,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2001 16229
wenn es am Ende des letzten Regierungsjahres der altenKoalition 3,9 Millionen Arbeitslose gab und es jetzt3,8 Millionen Arbeitslose gibt? Wo sind der Fortschrittund der Abbau der Arbeitslosigkeit geblieben? KönnenSie mir erklären, wie der Bundeskanzler in dem denk-würdigen Interview mit der „Bild“-Zeitung, in dem er ge-sagt hat, dass es kein Recht auf Faulheit gebe, behauptenkonnte, dass es 1 Million Arbeitslose weniger gebe, seit erregiere? Diese Zahl möchte ich von Ihnen gerne einmalverifiziert haben.G
Herr Abgeordneter
Schauerte, eigentlich bin ich nicht bereit, irgendetwas so-
zusagen vor die Klammer zu stellen. Was den Arbeits-
markt angeht, muss man schauen, wie die Berechnungen
der Zahl der Arbeitslosen zustande kommen. Es geht zum
Beispiel darum, ob Menschen in bestimmten Maßnahmen
tätig sind oder nicht. Sie wissen so gut wie ich, dass es
über die Berechnung der Zahl der Arbeitslosen 1998 eine
wichtige Auseinandersetzung gab. Gestern hat ein Kol-
lege aus Ihrer Fraktion öffentlich gefordert – er sprach so-
zusagen für die neuen Bundesländer –, es dürfe auf kei-
nen Fall so etwas wie Wahlkampf-ABM geben. Ich finde
das besonders pikant, wenn ich bedenke, wer 1998, und
zwar ganz massiv – nach dem Motto „Koste es, was es
wolle“ –, sozusagen Wahlkampf-ABM gemacht hat. Das
will ich Ihnen zu diesem Punkt sagen.
Damit wir nur das vergleichen, was vergleichbar ist,
nenne ich Ihnen die Arbeitslosenzahlen des Monats April
der vergangenen Jahre: Im April des Jahres 1998 lag die
Zahl der Arbeitslosen bei 4,421 Millionen; im April des
Jahres 1999 lag die Zahl der Arbeitslosen bei 4,145 Mil-
lionen. Im April 1999 war die Arbeitslosenzahl im Ver-
gleich zum April 1998 also um etwas weniger als 300 000
gesunken. Im April des Jahres 2000 lag die Zahl der Ar-
beitslosen bei 3,986 Millionen. Im Vergleich zum April
1999 war die Zahl der Arbeitslosen also erneut gesunken,
diesmal um knapp 160 000. Im April dieses Jahres – das
sind die aktuellsten Zahlen zu diesem Bereich, über die
wir verfügen – liegt die Zahl der Arbeitslosen bei
3,868 Millionen. Pi mal Daumen gerechnet, ist die Zahl
der Arbeitslosen zwischen April 1998 und April 2001 um
über 550 000 gesunken.
Sie fragen: Wo hat sich etwas verändert? Die Änderung
besteht offensichtlich darin, dass wir in den letzten drei
Jahren die Zahl der Arbeitslosen jeweils um rund 200 000
reduziert haben. Es ist erst einmal ganz wichtig, das fest-
zuhalten; denn es ist ein Erfolg dieser Regierung.
– Wir können von vorne anfangen und ich lese Ihnen die
Antwort vor, die ich Ihrer Kollegin schon gegeben habe.
Es wurde danach gefragt, worauf sich der Kanzler bezo-
gen hat. Ich habe gesagt: Der Kanzler hat sich auf den
Höchststand der registrierten Arbeitslosigkeit in der
Nachkriegszeit bezogen. Dieser Höchststand lag – Ihre
Partei regierte damals – bei mehr als 4,8 Millionen Men-
schen. Von diesem Wert haben wir uns – das kann ich Ih-
nen sagen – deutlich entfernt.
– Nein, das muss ich nicht.
Warten Sie doch einfach einmal die Antwort auf die
zweite Frage von Frau Schnieber-Jastram ab. Im An-
schluss daran können Sie nachfragen und wir können wei-
ter darüber sprechen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Siemann, Ihre Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär,
können Sie uns vor dem Hintergrund Ihrer teilweise un-
zureichenden Antworten einmal Aufklärung darüber ge-
ben, was das JUMP-Programm der Regierung im Hin-
blick auf die Arbeitslosenzahlen bewirkt hat?
G
Frau Präsidentin, teilen
Sie mir bitte mit, wie umfangreich ich diese Frage beant-
worten darf. Ich weise darauf hin, dass der Abgeordnete
Hinsken eine ausführliche Frage zum JUMP-Programm
gestellt hat, für deren Beantwortung ich ganz viele Mate-
rialien habe. Ich weiß jetzt nicht, wie wir verfahren sollen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es handelt sich um die
Frage 14 des Kollegen Hinsken. Es macht durchaus Sinn,
wenn Sie die Zusatzfrage des Abgeordneten Siemann zu-
sammen mit der Frage 14 des Kollegen Hinsken beantwor-
ten.
Ich rufe Frage 12 der Kollegin Birgit Schnieber-
Jastram auf:
Wie ist vor dem Hintergrund, dass die offizielle Erwerbslo-
senstatistik für den September 1998 eine Erwerbslosenzahl von
3 965 328 verzeichnet, bei dem derzeitigen Stand der Arbeitslo-
sigkeit die Angabe des Bundeskanzlers Gerhard Schröder in dem-
selben Interview zu verstehen, seit seiner Regierungszeit habe die
Arbeitslosenzahl um 1 Million abgenommen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
G
Die Arbeitsmarktsitua-
tion in Deutschland hat sich aufgrund der Reformpolitik
der Bundesregierung 1999 und 2000 gegenüber den Vor-
jahren verbessert. Im Vergleich zu den oben genannten
Zahlen für Januar und Februar 1998, die den Höchststand
der Arbeitslosigkeit in Deutschland kennzeichneten, lag
die Zahl der Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt 2000 bei
3,889 Millionen. Gleichzeitig hat sich seit Amtsantritt der
Bundesregierung die Zahl der Erwerbstätigen um rund
1 Million erhöht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Schnieber-Jastram, die erste Nachfrage, bitte.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2001
Hartmut Schauerte16230
Herr Staats-
sekretär, teilen Sie die Einschätzung, das Ergebnis Ihrer
Arbeitsmarktpolitik sei, dass die Arbeitslosenzahlen Ihrer
Regierungszeit weit hinter den Erwartungen des Bundes-
kanzlers zurückgeblieben sind?
G
Nein. Die Frage, ob ich
die Einschätzung teile, kann ich schlicht mit Nein beant-
worten; denn ich teile diese Einschätzung nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich gehe davon aus,
dass Frau Schnieber-Jastram eine zweite Nachfrage stel-
len möchte. Bitte.
Herr Staats-
sekretär, ich möchte gerne wissen, ob nach Kenntnis der
Bundesregierung der Bundeskanzler bereits bei seinen
Ausführungen in dem Interview mit der „Bild“-Zeitung
vom 6.April die neuesten Wachstumsprognosen von circa
2 Prozent berücksichtigt hat oder ging er zu diesem Zeit-
punkt noch von einem Wachstum von etwa 3 Prozent aus?
G
Ich sage jetzt, was ich
glaube. Da es zu dieser Zeit noch keine veränderten Da-
ten für die Bundesregierung gab – die sind, glaube ich,
später mitgeteilt worden –, galten noch die Daten, die wir
im Herbst vergangenen Jahres als die ökonomischen Eck-
daten für alle Planungen wie Haushalt und anderes zu-
grunde gelegt haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Schauerte, Ihre Frage, bitte.
Herr Staatssekre-
tär, Sie haben gerade gesagt, dass wir statistisch 1 Million
mehr Erwerbstätige haben. Können Sie mir Aufklärung
darüber geben, wie viele in etwa von diesen zusätzlichen
Erwerbstätigen ehemalige 630-DM-Beschäftigte oder ge-
ring verdienende Beschäftigte waren?
G
Herr Schauerte, dass
kann ich aus dem Stand nicht tun.
– Quatsch! – Ich bin aber gerne bereit, Ihnen das nachzu-
liefern.
Sie müssen wissen, dass auch in den alten Erwerbstäti-
genzahlen aufgrund unterschiedlicher Verfahren – Mikro-
zensus und Ähnliches – natürlich eine bestimmte Quote
von geringfügig Beschäftigten unterstellt war. Nun haben
wir mit unserer gesetzlichen Neuregelung über die Be-
schäftigung von Menschen unterhalb der 630-Mark-
Grenze deutlichere und genauere Daten bekommen.
Diese Daten werden nach Erhebung Stück für Stück in die
statistischen Grundlagen des Statistischen Bundesamtes
einbezogen und die Zahlen, die ja immer auf Schätzungen
beruhten, werden rückwirkend interpoliert. Das ist ein
ganz kompliziertes Verfahren.
Ich bin jetzt nicht in der Lage, Ihnen die konkrete Zahl
zu nennen. Ich bin aber gerne bereit, das nachzuliefern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Dr. Grehn, Ihre
Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, obwohl
ich mich nicht an Zahlendiskussionen beteiligen wollte
– Zahlen benennt man, und dann sagt man, was man tut –,
will ich Sie trotzdem fragen: Sie haben auf die Nachfrage
nach der 1 Million Arbeitslosen, die es weniger sind, mit
der Januar-Zahl und mit einer Durchschnittszahl geant-
wortet. Ist es nicht richtiger, die Januar-Zahl mit der Ja-
nuar-Zahl zu vergleichen? 4,8 Millionen aus Januar 1998
vergleichen Sie dann von mir aus mit Januar 2000, dort
hatten Sie 4,2 Millionen Arbeitslose. Oder ist es nicht
auch richtig, Jahresdurchschnitt mit Jahresdurchschnitt zu
vergleichen und dann zu sagen, wohin man gekommen ist,
um sich nicht Täuschungen hinzugeben?
G
Herr AbgeordneterGrehn, ich darf Sie auf die Frage der AbgeordnetenSchnieber-Jastram hinweisen. Sie hat gefragt, auf welchestatistischen Größen oder Größenordnungen man sich be-ziehe. Dazu will ich noch einmal festhalten – ich beant-worte jetzt Ihre Frage –: Im Jahre 1998 gab es den abso-luten Höchststand an registrierter Arbeitslosigkeit in derNachkriegsgeschichte dieses Landes mit mehr als4,8 Millionen Arbeitslosen. Auf diese Größenordnung ha-ben wir uns bezogen und das habe ich hier mehrfach ge-sagt.Ich will übrigens darauf hinweisen, dass FrauSchnieber-Jastram in ihrer zweiten Frage sich auch nichtauf den Jahresdurchschnitt bezogen hat, sondern auf dieArbeitslosenzahl im September von 3,965 Millionen.Schauen Sie sich einmal die Frage an. Das hat sie natür-lich bewusst getan, weil da die Zahl unter 4 Millionen lag.Selbstverständlich ist es im politischen Verfahren klar,dass wir unter uns Jahresdurchschnittszahlen oder Spit-zenwerte miteinander vergleichen.
Immer, wenn ich hier gefragt worden bin, habe ich die ent-sprechenden Zahlen miteinander verglichen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2001 16231
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt ist der Kollege
Meckelburg mit seiner Nachfrage dran.
Zumindest ist
bisher klar geworden, dass Sie den Versuch machen, so-
gar mithilfe des Bundeskanzlers, hier Zahlen miteinander
zu vergleichen, die wirklich nur der Irreführung dienen
können. Deshalb habe ich die Frage, ob Sie noch einmal
bestätigen können, dass der Sachverständigenrat zur Be-
gutachtung der wirtschaftlichen Situation der Bun-
desregierung in seinen Ausführungen deutlich gesagt hat,
dass es bei den Arbeitsplätzen eigentlich keinen Auf-
wuchs gibt, wenn man einmal vergleicht, wie sich das Ar-
beitszeitvolumen verändert hat. Der Sachverständigenrat
stellt nämlich fest, dass diesbezüglich auf dem Ar-
beitsmarkt eigentlich nichts passiert ist. Können Sie das
bestätigen?
G
Herr Meckelburg, ich
will kurz sagen, worauf ich mich bezogen habe, und
komme dann zu Ihrer Frage nach meiner Bestätigung.
Wenn Sie sich die Entwicklung der Erwerbstätigen-
zahlen anschauen, dann werden Sie feststellen – daran än-
dern auch Sie nichts –, dass im Jahresdurchschnitt 1998
37 540 000 Erwerbstätige gemeldet waren. Im Jahres-
durchschnitt 1999 waren es 37 940 000 Erwerbstätige,
also 400 000 Erwerbstätige mehr. Ich halte diesen Fakt
fest, damit klar ist, worüber wir reden.
Im Jahresdurchschnitt 2000 gab es 38 530 000 Erwerbs-
tätige, also noch einmal knapp 600 000 Erwerbstätige
mehr.
Die gleiche Entwicklung können Sie auch für dieses
Jahr feststellen. Wir haben nach Aussagen des Statisti-
schen Bundesamtes wachsende Beschäftigungszahlen.
Ich habe zwar eben gesagt, dass ich die konkreten Zahlen
nicht nennen kann – ich werde sie nachliefern –, aber ich
kann schon jetzt sagen, Herr Schauerte, dass es ein Irrtum
ist, wenn man davon spricht, dass diese Entwicklung auf
den 630-Mark-Arbeitsverhältnissen beruht. Ich kann das
auch belegen; ich kann jetzt nur nicht die konkreten Zah-
len nennen.
Wir haben einen deutlichen Aufwuchs an Beschäfti-
gung in diesem Land. Dem steht auf der anderen Seite
aber nicht ein entsprechender Abbau der Arbeitslosigkeit
gegenüber. Dafür gibt es eine Reihe von Erklärungen, die
man sich anschauen muss.
Eine Erklärung ist – es macht keinen Sinn, darüber hin-
wegzusehen – der demographische Effekt. Ältere werden
nämlich nicht mehr durch die Erwerbsstatistik erfasst. Es
gibt aber noch eine zweite Erklärung, die außerordentlich
spannend ist. Wir haben eine deutliche Zunahme der Be-
schäftigung aus der „stillen Reserve“. Es gibt nämlich
eine deutliche Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit;
außerdem wurden andere Erwerbstätigkeiten neu in die
Arbeitsmarktstatistik aufgenommen. Das ist ein ganz
wichtiger Aspekt, den man beachten muss. So lässt sich
die außerordentlich positive Entwicklung bei den Be-
schäftigtenzahlen erklären.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben leider keine
Möglichkeit, eine weitere Nachfrage zu stellen.
– Sie haben auch nicht die Möglichkeit, einen Kommen-
tar abzugeben.
Jetzt eine Zusatzfrage des Kollegen Singhammer.
Herr Staatsse-
kretär, ich stelle bewusst eine einfache Frage.
G
Als Geburtstagskind
dürfen Sie das.
Herr Staatsse-
kretär, zur Gedächtnisauffrischung möchte ich fragen:
Wie hoch war die Zahl der Arbeitslosen zum Zeitpunkt
der Regierungsübernahme im September 1998? Wie hoch
ist die Zahl der Arbeitslosen zum Stichtag 1. Mai 2001?
Wie sind Sie mit dem Abbau der Arbeitslosigkeit voran-
gekommen?
G
Die Beantwortung Ihrer
Frage macht mir kein Problem: Im September 1998 be-
trug die Zahl 3,965 Millionen. Die Zahl für den Mai die-
ses Jahres liegt noch nicht vor. Ich kann Ihnen aber die
Zahl für den April sagen.
Sie betrug 3,868 Millionen.
Ich möchte noch eine kleine Korrektur anführen: Die
Regierungsübernahme war nicht im September, sondern
im Oktober.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe die Frage 13des Kollegen Dr. Norbert Lammert auf:Nach welchen Kriterien entscheidet die Bundesregierung überden Sitz der geplanten zentralen Zahlstelle des Bundes für das Zu-lageverfahren im Rahmen der ergänzenden Altersvorsorge, undwann ist mit einer verbindlichen Entscheidung zu rechnen?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 200116232
G
Über den Sitz der ge-
planten Zahlstelle des Bundes für das Zulageverfahren im
Rahmen der ergänzenden Altersvorsorge hat letztlich der
Gesetzgeber zu entscheiden. Dieser wird voraussichtlich
diese Woche seine Beratung abschließen. Das Ergebnis
muss abgewartet werden. Für uns gelten unter anderem
Kriterien bezüglich Praktikabilität und Fähigkeit, ent-
sprechende Daten bereitzustellen und mit ihnen umzuge-
hen. Im Übrigen verweise ich auf den Antrag, der schon
angekündigt war.
– Die Beantwortung der Frage spielt doch keine Rolle. Ihr
Antrag war doch schon angekündigt. Sie wollen meine
Antwort nur für das Protokoll festgehalten haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Lammert,
Ihre Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekre-
tär, ist mein Eindruck völlig falsch, dass der Antworttext,
den Sie gerade vorgelesen haben, unter der Voraussetzung
eines noch nicht abgeschlossenen Vermittlungsverfahrens
verfasst wurde, aber dass das, was Sie in Ihrer Antwort als
anscheinend offene Frage darstellen, durch den Abschluss
des Vermittlungsverfahrens längst entschieden ist? Inwie-
weit entspricht die offensichtlich getroffene Entschei-
dung, diese zentrale Stelle bei der Bundesversicherungs-
anstalt für Angestellte in Berlin anzusiedeln, eigentlich
den sachlichen Kriterien, die sowohl vonseiten des Ar-
beits- und Sozialministeriums als auch insbesondere von-
seiten des Finanzministeriums bezüglich dieser Frage in
den letzten Wochen vorgetragen worden sind?
G
Sie haben Recht. Es hat
gestern – dies wurde auch in allen Papieren so angekün-
digt – eine Entscheidung darüber gegeben, diese Aufgabe
der BfA, unabhängig davon, wo sie verortet ist, zuzuord-
nen. Wir gehen davon aus, dass die BfA in Bezug auf den
Umgang mit Daten und Ähnlichem aufgrund ihrer Mög-
lichkeiten diesen Kriterien entspricht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine zweite Nach-
frage, bitte, Herr Kollege Lammert.
Herr Staatssekre-
tär, in der Antwort Ihrer Kollegin Barbara Hendricks aus
dem Finanzministerium auf eine entsprechende Nach-
frage von mir wurde zu einem Zeitpunkt, als diese Frage
anscheinend wirklich noch nicht entschieden war, darauf
hingewiesen, dass keine neue Behörde geschaffen, son-
dern auf eine existierende Bundesbehörde zurückgegrif-
fen werden solle, die einen Bezug zu den vorgesehenen
Aufgaben der zentralen Stelle hat und die aufgrund ver-
änderter Aufgabenstellung derzeit über einen Personal-
überhang verfügt.
Das erste dieser angedeuteten Kriterien trifft sicherlich
sowohl auf die Bundesversicherungsanstalt als auch auf
die Bundesknappschaft zu. Das zweite trifft ganz offen-
sichtlich eher auf die Bundesknappschaft als auf die Bun-
desversicherungsanstalt zu. Unter Berücksichtigung der
sich aus offensichtlichen Gründen kontinuierlich und in
Zukunft dramatisch verringernden Versichertenbestände
der Bundesknappschaft hätte unter arbeitsmarktpoliti-
schen Gesichtspunkten alles für eine Entscheidung zu-
gunsten der Bundesknappschaft gesprochen.
Teilen Sie die Einschätzung Ihres Fraktionskollegen
Hasenfratz, der zu dieser Frage erklärt hat, dass eine Ver-
gabe der neuen Behörde an Berlin ein fatales Signal für
ganz Deutschland sei?
G
Nein.
– Wieso? Ich habe doch seine Frage völlig korrekt beant-
wortet. Er hat gefragt, ob ich die Einschätzung teile. Ich
habe gesagt: Nein. Ich teile sie nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Fromme,
Sie haben eine Nachfrage.
Herr Staats-
sekretär, wie bewerten Sie die Vergabe einer neuen
Behörde an das Zentrum Berlin unter dem Gesichtspunkt,
dass nach Raumordnungskriterien neue Behördenarbeits-
plätze eigentlich in strukturschwachen Gebieten in der
Fläche entstehen sollen?
G
Herr Abgeordneter
Fromme, mit der Entscheidung für die BfA ist ja keine
Entscheidung für Berlin gefallen. Die BfA hat – ich bitte
Sie, sich dieses anzuschauen – eine ganze Reihe von
Standorten, die sich nicht in Berlin befinden. Im Zuge des
Prozesses der deutschen Einheit gibt es übrigens auch die
Verpflichtung, Behörden in bestimmten Regionen unter-
zubringen, sodass schon die Grundannahme Ihrer Frage
nicht zutreffend ist. Es bleibt offen, welcher Standort end-
gültig gewählt wird. Wir glauben, dass die BfA nach Ab-
schätzung der Kriterien dazu in der Lage ist. Deswegen
hat es diese Entscheidung gegeben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Laumann,
auch Sie haben noch eine Nachfrage. Bitte.
Herr Staatssekre-tär, Sie haben gerade gesagt, dass Sie es im Grundsatzauch so sehen, dass Arbeitsplätze von großen Behörden inder Fläche geschaffen werden sollten. Schließen Sie mitIhrer vorhergehenden Aussage aus, dass diese neuen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2001 16233
Arbeitsplätze, die im Zusammenhang mit dem Aufbau derZertifizierungsbehörde entstehen, hier in Berlin, wo es diemeisten öffentlichen Arbeitsplätze gibt, angesiedelt wer-den?G
Herr Abgeordneter
Laumann, ich bitte Sie um Entschuldigung. Ich habe es
vorhin in meiner Antwort schon gesagt: Es gab die Ent-
scheidung, sie der BfA, unabhängig von einer Standort-
entscheidung, zuzuordnen. Deswegen möchte ich jetzt
weder etwas aus- noch einschließen, weil das eine Frage
ist, die erst in Zukunft entschieden wird. Darüber möchte
ich nicht spekulieren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Meckelburg, Sie haben wiederum eine Nachfrage.
Herr Staatssek-
retär, Sie können jetzt auch mit Ja oder Nein antworten:
Ist es nach Auffassung der Bundesregierung zumindest
denkbar, dass diese Arbeitsplätze nicht in Berlin ge-
schaffen werden?
G
Ich habe ja in der vor-
hergehenden Antwort schon gesagt, dass ich nichts aus-
oder einschließen werde, dass nichts denkbar oder
undenkbar ist. Es gibt die Entscheidung, das Ganze der
BfA zuzuordnen. Alles Andere ist Spekulation, an der ich
mich hier nicht beteilige.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Frage 14 des Kol-
legen Ernst Hinsken wird schriftlich beantwortet.
Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Arbeit und Sozialordnung beendet. Ich bedanke
mich beim Parlamentarischen Staatssekretär Gerd Andres
für den Antwortmarathon.
Die Fraktion der CDU/CSU hat – wie wir bereits ge-
ahnt haben – die Antwort der Bundesregierung auf die
Fragen 11 und 12 als nicht ausreichend empfunden und
deshalb eine Aktuelle Stunde verlangt. Das entspricht
Nummer 1 b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde. Wie
üblich wird unmittelbar nach Abschluss der Fragestunde
die Aktuelle Stunde aufgerufen.
Jetzt aber kommen wir erst einmal zum Geschäftsbe-
reich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Be-
antwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin
Brigitte Schulte zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Hartmut
Koschyk auf:
Wie begründet die Bundesregierung die von der Parlamentari-
schen Staatssekretärin beim Bundesministerium der Verteidigung,
Brigitte Schulte, in der Fragestunde des Deutschen Bundestages
am 28. März 2001 hinsichtlich des Bundeswehrstandortes Bay-
reuth geäußerte Auffassung, dass es ein „Fehler“ war, „eine mit
zwei Bataillonen besetzte, viel zu große Kasernenanlage an-
schließend mit einem Luftwaffenausbildungsregiment zu beset-
zen“ – vgl. Plenarprotokoll 14/160, S. 15609 B –, vor dem Hin-
tergrund, dass zum Zeitpunkt der Nutzung dieser Kasernenanlage
durch das 1. Panzergrenadierbataillon 102 und das Panzerartille-
riebataillon 125 die Belegungsstärke 1 325 betrug, die derzeitige
Belegungsstärke gemäß Stärke- und Ausrüstungsnachweisung,
STAN, 984 Personen beträgt?
B
Frau Präsidentin, ich danke Ih-
nen und hoffe, dass wir unsere Antworten ausreichend ge-
ben können.
Lieber Herr Kollege Koschyk, die Entscheidung zur
Verlegung des 2. Bataillons des Luftwaffenausbildungs-
regiments III von Roth nach Bayreuth wurde mit der Fort-
schreibung des Ressortkonzepts zur Stationierung der
Bundeswehr vom 30. März 1993 unter dem Bundesmi-
nister Volker Rühe getroffen. Als Begründung für die Ver-
legung gab die damalige Bundesregierung den Erhalt des
Standortes Bayreuth an. Die Luftwaffe selbst hatte diese
Verlegung nicht vorgeschlagen.
Das 2. Luftwaffenausbildungsbataillon hat eine Stärke
von 824 Dienstposten. Zusammen mit weiteren, kleinen
Dienststellen, wie zum Beispiel dem Verteidigungsbe-
zirkskommando 67, beträgt die Belegungsstärke der
Markgrafenkaserne in Bayreuth 951 Dienstposten.
Die Kaserne ist aber, weil sie früher eine Heereska-
serne war, und zwar für gepanzerte Verbände, mit dieser
Belegung bei weitem nicht ausgelastet. Insbesondere
bleibt der umfangreiche technische Bereich, der ehemals
zur Wartung und Pflege der gepanzerten Fahrzeuge der
dort stationierten Panzergrenadierbataillone diente, weit-
gehend ungenutzt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Koschyk,
bitte die erste Nachfrage.
Frau Staatssekretä-
rin, sind Sie bereit, einzuräumen, dass ein Rückgang der
Belegung der Markgrafenkaserne in Bayreuth auch auf
folgenden Grund zurückzuführen ist: Die Wehrbereichs-
verwaltung VI hat mit Schreiben vom 31. Mai 1994 alle
Standortverwaltungen in ihrem Bereich darauf hingewie-
sen, dass nach Untersuchung der Landesgewerbeanstalt
Nürnberg die Sicherheit von Bundeswehrbettgestellen,
die dreifach aufgebaut worden sind, nicht mehr gewähr-
leistet ist. Deshalb wurde angewiesen, dass nur noch Bett-
gestelle mit zweifacher Überbauung verwendet werden
durften. Musste dies nicht auch zu einem Rückgang der
Kapazitäten in der Markgrafenkaserne führen?
B
Nein, Herr Kollege, dazu binich überhaupt nicht bereit. Es war zwar hinreißend, wasSie eben vorgelesen haben, aber es hatte überhaupt nichtsmit der Sache zu tun. Es ging um eine Heereskaserne; dashabe ich schon das letzte Mal erklärt. Auch Ihnen, HerrKollege Koschyk, ist bewusst, wie ein Ausbildungsregi-ment der Luftwaffe aussieht und wie gepanzerte Verbändeaussehen. Die Kaserne war, weil die Verbände damals zu
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2001
Karl-Josef Laumann16234
Recht aufgelöst wurden, eigentlich eine derjenigen, dieman bedauerlicherweise nicht mehr gebraucht hätte. Er-freulich war das für die politische Sicherheit. Man hatdann vergebens versucht – deswegen sage ich Ihnen: dieLuftwaffe war nicht der Meinung, dass dorthin Teile ver-legt werden müssen –, diese Kaserne noch zu nutzen. Esgab eigentlich keinen Grund, sie zu diesem Zeitpunktweiterzuführen, außer dem einen, dass man sich in Bay-reuth – wie auch bei vielen anderen Standorten – von derBundeswehr nicht gern trennen wollte. Wer hat nicht lie-ber ein Luftwaffenausbildungsregiment als gepanzerteVerbände? Diese jungen Männer machen keinen Krach.Das von Ihnen angeführte Argument ist also nicht derGrund für die Entscheidung gewesen, sondern es ist dieKorrektur einer meines Erachtens falschen Entscheidungder Vergangenheit gewesen, so viel Verständnis ich dabeifür Bayreuth habe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine zweite
Frage des Kollegen Koschyk, bitte.
Wie kommt es dann,
Frau Staatssekretärin, wenn es angeblich eine falsche Ent-
scheidung der damaligen Bundesregierung gewesen ist,
dass sowohl Herr Bundesminister Scharping gegenüber
dem Oberbürgermeister der Stadt Bayreuth in einem per-
sönlichen Gespräch als auch Ihr Kollege Kolbow bei zwei
Besuchen in Bayreuth Standortgarantien abgegeben – in
der Öffentlichkeit nachweislich mit Presseberichter-
stattungen – und darauf hingewiesen haben, dass dies ein
hervorragender Standort sei, dass dieser Standort sicher
sei und dass man an diesem Standort festhalten wolle?
Wie ist es zu erklären, dass solche Standortgarantien ge-
geben wurden, wenn es 1994 ein Fehler gewesen sein soll,
die Luftwaffe von Roth nach Bayreuth zu verlegen?
B
Herr Koschyk, ich muss Ihnen
glauben, dass die beiden Herren das so gesagt haben; denn
ich habe darüber keine Unterlagen.
Der Oberbürgermeister von Bayreuth war auch bei mir.
Mich haben Sie dabei nämlich vergessen. Ich habe ver-
sucht, ihm zu erklären, dass ich natürlich viel Verständnis
für den Wunsch einer Kommune habe, einen Bun-
deswehrstandort zu behalten, dass es aber nicht sinnvoll
war, damals diese Aufteilung vorzunehmen. Das ist die
Situation, in der wir uns befinden. Leider ist der Kollege
Friedrich nicht mehr da, sonst hätte ich seine Antworten
zu Bayreuth hier noch gegeben; so werden Sie sie schrift-
lich bekommen.
Ich finde, wir sollten uns da nichts in die Tasche lügen.
Es ist wünschenswert, dass die Bundeswehr möglichst in
der Fläche bleibt; aber es muss auch in einem gewissen
Kostenrahmen und Aufgabenrahmen bleiben. Das hat
dazu geführt, dass die Luftwaffe bei der Überlegung, wo
sie ihre Ausbildungsbataillone ansiedeln soll, zu dem
Schluss gekommen ist, den Standort wieder aufzugeben.
Ich finde, hier muss sich der Bundesminister der Verteidi-
gung oder müssen auch wir uns wenigstens diesen Argu-
menten gegenüber offen zeigen.
Wir kom-
men dann zur Frage 16 des Kollegen Koschyk:
Auf welche Ursache führt die Bundesregierung die Re-
duzierung der Nutzungskapazität der Markgrafenkaserne in
Bayreuth zwischen 1993 und 2001 zurück?
B
Die Nutzung der Markgrafen-
kaserne in Bayreuth ist durch die Auflösung der beiden
Heeresverbände nie voll erfolgt. Die von den Luftwaffen-
ausbildungsbataillonen nicht benötigten Liegenschaften
wurden, wie Sie wissen, zum Teil stillgelegt. Die Luft-
waffe kann die Ausbildung ihrer Grundwehrdienstleisten-
den an den verbleibenden Standorten, nämlich – ich nenne
sie noch einmal, Herr Koschyk – Roth, Germersheim, Ho-
hentengen, Goslar, Heideck, Budel und Heide, durch-
führen.
Zusatz-
frage, Herr Kollege Koschyk? – Bitte schön.
Wenn Sie, Frau
Staatssekretärin, also nach wie vor von einer nicht optima-
len Nutzung ausgehen, ist dann auch geprüft worden, zum
Beispiel noch in Bayreuth befindliche Bundeswehr-
einrichtungen in die Markgrafenkaserne hinaus zu verlegen
– ich denke beispielsweise an die Außenstelle der Stand-
ortverwaltung oder auch an das Kreiswehrersatzamt –,
um dann an diesem Standort eine optimale Auslastung zu
erreichen?
B
Auch der Kollege Friedrich hat
mich danach gefragt. Deswegen kann ich Ihnen sagen,
dass untersucht wird, ob das Kreiswehrersatzamt Bay-
reuth dorthin verlegt wird. Die Verlegung der Außenstelle
der Standortverwaltung erübrigt sich deshalb, weil der
Standort als Bundeswehrstandort aufgegeben wird, also
die Präsenz der Bundeswehr nicht bestehen bleibt, was
das Militär betrifft. Das verbleibende Verteidigungskom-
mando und das Kreiswehrersatzamt werden die Kaserne
auf keinen Fall auslasten. Deswegen kann man darüber
nachdenken, ob das Verteidigungskommando nicht in das
ehemalige Gebäude der Standortverwaltung in Bayreuth
ziehen und auch das Verteidigungskommando anders un-
tergebracht werden kann, sodass die Markgrafenkaserne
völlig aufgegeben und damit für die Pläne der Kommune
und von privaten Interessenten genutzt werden kann.
Zweite
Zusatzfrage, Herr Kollege Koschyk.
Frau Staatssekretä-rin, Sie zäumen das Pferd jetzt falsch herum auf. Ich habenicht gefragt, wie Sie jetzt optimieren, sondern ich habe
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2001
Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte16235
die Frage gestellt, ob nicht dann, wenn Sie die Auflösungdes Bataillons mit mangelnder Auslastung der Kasernebegründen, im Vorfeld der Entscheidung – auch aus Grün-den einer gewissen Fairness gegenüber der Region, ausTreue zur Bundeswehr dort, denn seitdem Streitkräfte auf-gestellt worden sind, ist Bayreuth Garnisonsstandort derBundeswehr, und aus Verantwortung gegenüber demStandort – auch die Alternative hätte geprüft werden müs-sen – und ist sie geprüft worden –, die Einrichtung, die ichgenannt habe, in den Bereich der Markgrafenkaserne zuverlegen, die dann frei werdenden Liegenschaften zu ver-äußern und so in der Markgrafenkaserne eine hinrei-chende Auslastung zu bekommen.B
Ich sage Ihnen noch einmal:
Die Markgrafenkaserne war von vornherein zu groß.
Außerdem handelte es sich um andere Truppenteile.
Sie in Bayreuth sind nicht allein betroffen. Auch bei
mir im Wahlkreis wird ein sehr guter Standort geschlos-
sen. Es handelt sich um die York-von-Wartenburg-Ka-
serne in Stadtoldendorf, in der sich die Soldaten ebenso
wohl fühlen. Auch von dort werden wir gefragt: Warum
nutzt ihr die Kaserne nicht weiter?
Die positive Situation, Herr Kollege, ist, dass eine an-
dere sicherheitspolitische Perspektive besteht, dass wir
die dort stationierten Panzerbataillone nicht mehr brau-
chen und dass auch die Luftwaffe in der Zukunft weniger
Wehrpflichtige haben wird. Auf diese Weise versuchen
wir zu optimieren. Man könnte noch das eine oder andere
zusätzlich tun. Wenn wir allein den Erfordernissen der
Truppe gefolgt wären, hätte das bedeutet, dass wir noch
mehr Standorte aufgegeben hätten.
Wir kom-
men dann zur Frage 17 des Kollegen Lensing:
In welcher Weise beabsichtigt die Bundesregierung, die im
jüngsten Jahresbericht des Wehrbeauftragten des Deutschen Bun-
destages, Dr. Willfried Penner, festgestellten Defizite in der über-
arbeiteten Zentralen Dienstvorschrift 12/1 „Politische Bildung in
der Bundeswehr“ zu beheben, damit die für die politische Bildung
verantwortlichen Disziplinarvorgesetzten Gelegenheit erhalten,
genügend „Zeit und Sorgfalt“ in die Vorbereitung und Durch-
führung der politischen Bildung zu investieren?
B
Herr Kollege Lensing, die An-
forderungen und Belastungen der Vorgesetzten in der
Truppe sind hoch. Vielfach erschweren auch Zusatzauf-
träge und die Vorbereitung auf Einsätze im Rahmen der
erweiterten Aufgaben die planvolle Ausbildungsgestal-
tung. Hiervon ist natürlich auch die politische Bildung be-
troffen, die in der Regel vorausschauender Planung und
sorgfältiger Vorbereitung bedarf. Die auch im Zusam-
menhang mit der politischen Bildung spürbare Schere
zwischen Auftrag und Mitteln zur Auftragserfüllung kann
durch eine aufgabengerechte Struktur der Streitkräfte und
durch eine angemessene Personalausstattung gelöst wer-
den.
Soeben waren ja Soldaten aus dem Wahlkreis des Kol-
legen Siemann auf der Besuchertribüne. Wenn die Fragen
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Ver-
teidigung zu der Zeit, als die Soldaten hier anwesend wa-
ren, beantwortet worden wären, hätte ich eingehender da-
rauf hingewiesen, dass wir uns alle gemeinsam darum
bemühen, dass in der Bundeswehr genügend für die poli-
tische Bildung getan wird. Ich bin der Überzeugung, dass
seit 1997/1998, der Zeit, in der es in der Bundeswehr zu
rechtsextremen Vorfällen kam, noch mehr Sorgfalt bei der
Durchführung von Maßnahmen der politischen Bildung
verwandt wird.
Zusatz-
frage, Herr Kollege Lensing? – Bitte schön.
Frau Staatssekretärin,
es ist natürlich richtig, wenn Sie erklären, dass wir uns um
die politische Bildung bemühen. Dies setzt aber voraus,
festzustellen, dass es dringend notwendig ist, in dieser
Angelegenheit etwas zu tun. Dies alles garantiert jedoch
noch keinen Erfolg.
Von daher habe ich folgende Zusatzfrage: Uns beiden
ist ja bekannt, dass die Dienstvorschrift 12/1 „Politische
Bildung in der Bundeswehr“ überarbeitet worden ist. In
der neuen Fassung steht, dass der Disziplinarvorgesetzte
eines jeden Soldaten, der an einer Bildungsmaßnahme
teilnimmt, und erst recht der eines Soldaten, der diese Bil-
dungsmaßnahme durchzuführen hat, währenddessen im-
mer anwesend sein soll. Halten Sie so etwas für denkbar?
Ist hier also nicht nur eine Traumvorstellung schriftlich fi-
xiert worden, sondern entspricht dies gerade vor dem Hin-
tergrund Ihrer ersten Einlassung wirklich der Realität und
ist dies überhaupt durchführbar?
B
Genau das betrifft natürlich die
Struktur der Bundeswehr. Das ist ein Problem; das will ich
gar nicht bestreiten. Das hat auch nichts damit zu tun, aus
welchen Parteien die Regierung zusammengesetzt ist. Wir
werden bei der Feinausplanung der Bundeswehr und bei
der personellen Ausstattung der Bataillone und Kom-
panien genau auf solche Dinge zu achten haben. Das muss
wirklich ernst genommen werden.
Wir beide kennen Beispiele, wo das hervorragend
klappt, wo ein Kommandeur, ein Kompaniechef oder ein
Kompaniefeldwebel solche Aufgaben selbstverständlich
ernsthaft wahrnimmt. Es sind ja – Gott sei Dank – nur we-
nige negative Fälle, über die wir heute Morgen im Innen-
ausschuss gesprochen haben.
Wir legen aber auch Wert darauf, dass die betroffenen
Soldaten Maßnahmen der politischen Bildung in An-
spruch nehmen. Da hat meiner Meinung nach ein Um-
denken stattgefunden. Auch durch die Einsätze der Teil-
streitkräfte hat sich in erheblicher Weise das Bewusstsein,
dass man nicht in einem politikfreien Raum lebt, ent-
wickelt.
Eine wei-tere Zusatzfrage? – Bitte schön, Herr Lensing.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2001
Hartmut Koschyk16236
Frau Staatssekretärin,
wir haben uns wiederholt auch im Verteidigungsaus-
schuss über den Beutelsbacher Konsens unterhalten.
Darin steht unter anderem, wie wichtig die politische Bil-
dung ist. Gleichzeitig ist dort vermerkt, dass eine Maß-
nahme der politischen Bildung nur sinnvoll durchgeführt
werden kann, wenn auch die Rahmenbedingungen stim-
men.
Vor diesem Hintergrund stelle ich die Frage: Glauben
Sie, dass die Defizite, die wir, ganz objektiv betrachtet,
heute nach wie vor in der politischen Bildung zu beklagen
haben, auch damit zusammenhängen, dass die Rahmen-
bedingungen zum einen aufgrund der personellen wie
zeitlichen Belastungen derjenigen, die diese Maßnahmen
durchführen sollen, und zum anderen durch die beträcht-
lichen Reduzierungen innerhalb des Verteidigungsetats,
die – so fürchte ich – in Zukunft noch zunehmen werden,
nicht stimmen?
B
Das kann es nun wirklich nicht
sein! Eben hat Ihr Kollege darüber geklagt, dass wir Ver-
bände und Standorte auflösen. Wir wollen das qualifi-
zierte, erfahrene und von der Dienstzeit her ältere Perso-
nal, das wir noch haben, und hier vor allen Dingen bei den
Berufssoldaten, für solche Zwecke nutzen. Dies ist nicht
in erster Linie eine materielle, sondern eine organisatori-
sche Frage. Dies hängt auch davon ab, welche Bedeutung
diesen Aufgaben – vom Generalinspekteur angefangen –
zugewiesen wird. Herr von Kirchbach hat als Generalin-
spekteur diese Aufgabe – das muss man wirklich sagen –
sehr ernst genommen. Er ist einer derjenigen, der dies für
das 4. Korps entwickelt hat. Der jetzige Generalinspek-
teur ist der gleichen Meinung, dass hier ein Schwerpunkt
liegen muss.
Wir haben Glück gehabt – ich sage nicht, dass dies nur
das Verdienst der jeweiligen Regierung ist –, dass es in der
Bundeswehr zurzeit keine spektakulären Vorfälle gibt.
Bei den Vorkommnissen handelt es sich zu 90 Prozent um
antisemitische oder ausländerfeindliche Übergriffe von
Wehrpflichtigen. Auf diese, lieber Herr Kollege Lensing
– das werden Sie mir bestätigen –, haben wir relativ we-
nig Einfluss.
Wir müssen uns gemeinsam Gedanken darüber ma-
chen, wie viele Leute überhaupt daran interessiert sind,
sich mit Politik zu beschäftigen. Wir brauchen uns nur an-
zuschauen, wie viele junge Männer zwischen 18 und 21
Jahren zur Wahl gehen und was sie wählen. Das Augen-
merk des gesamten Parlaments muss darauf liegen.
Vorhin hat mir mein Kollege Fritz Körper gesagt, dass
bei der Auswertung der Wahlergebnisse in Rheinland-
Pfalz mit Erstaunen festgestellt worden ist, wie gering die
Wahlbeteiligung der jungen Frauen und Männern dort
war. Ich hatte ihn danach gefragt, weil ich mir darüber
große Sorgen mache. Sie erinnern sich sicher auch daran,
dass wir über Sachsen-Anhalt gesprochen haben, wo über
50 Prozent der jungen Männer, die zur Wahl gegangen
sind, die DVU oder die PDS gewählt haben. Darüber soll-
ten wir uns Gedanken machen. Dies können wir als Bun-
deswehr allein nicht leisten. Wir können es für unsere
Zeit- und Berufssoldaten leisten und machen dies auch.
Wir leisten es auch für die jungen Wehrpflichtigen in der
Zeit, in der sie bei uns sind. Aber über das, was vorher
passiert, werden wir uns wohl alle Gedanken machen
müssen.
Wir kom-
men jetzt zur Frage 18 des Kollegen Lensing:
Wie beabsichtigt die Bundesregierung, die im jüngsten Jah-
resbericht des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages,
Dr. Willfried Penner, festgestellten Defizite im Bereich des Infor-
mationsangebots zur politischen Bildung – insbesondere nach der
Einstellung wichtiger Printmedien – zu verbessern?
B
Herr Lensing, der Wehrbeauf-
tragte hat in seinem jüngsten Jahresbericht keine Defizite
im Bereich des Informationsangebots zur politischen Bil-
dung festgestellt. Durch die Aufgabe einiger Zeitschriften
ist es nicht zu einer reduzierten Informationsvorsorge ge-
kommen. Im Gegenteil: Die Anbindung der Dienststellen
der Bundeswehr an das Intranet wird durch die Sparte
„Aktuell“ weiter verbessert. Darüber hinaus wird das An-
gebot an bereitgestellten Informationen ständig erweitert.
Anstelle der bisherigen Printmedien, die auch ein biss-
chen in die Jahre gekommen waren, erscheint seit April
2001 „Y.“, ein monatlich erscheinendes Magazin der Bun-
deswehr. Es ist ein Printmedium, das sich an alle An-
gehörigen der Bundeswehr wendet. Ich zeige es Ihnen,
obwohl es viele von Ihnen wahrscheinlich schon in der
Post gehabt – jeder Abgeordnete bekommt es –, aber
wahrscheinlich noch nicht gelesen haben. Herr Lensing,
Sie haben es selbstverständlich gelesen.
Zusatz-
frage, Kollege Lensing, bitte.
Ich möchte jetzt keine
unfaire Frage stellen. Sonst würde ich Sie fragen, ob Sie
Angaben darüber machen können, wie viele Soldaten pro
Einheit tatsächlich Zugang zum Internet und dergleichen
haben.
Ich habe aber noch eine andere Frage: Bietet die Bun-
deswehr aus Ihrer Sicht hinreichend Schulungen für den
Umgang mit den neuen Medien an, damit auch Wehr-
pflichtige, die über keine Computerkenntnisse verfügen,
dieses Informationsangebot nutzen können?
B
Dazu kann ich Ihnen nur sagen:Besuche in den Kasernen erfreuen mich zunehmend, weildort Internetcafés eingerichtet werden und die jungenWehrpflichtigen sehr daran interessiert sind. Nun kommtes darauf an, dass sich unter diesen jungen Leuten welche
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2001 16237
finden, die bereit sind, diejenigen, die noch nicht so gutgeschult sind, in der Freizeit einzuführen.Während der Dienstzeit wird der junge Wehrpflichtigedann damit vertraut gemacht, wenn er eine Aufgabe wahr-nehmen muss, bei der er sich der Informations- und Kom-munikationstechniken bedienen muss.Ich gehe davon aus, dass wir uns in solchen Aufgabenbe-reichen überwiegend derer bedienen, die schon Vorkennt-nisse haben. Aber die Internetcafés, die wir anbieten, wer-den wirklich gut angenommen.
Vielen
Dank, Frau Staatssekretärin. Die Fragen 19 bis 23 sollen
schriftlich beantwortet werden.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen.
Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Achim Großmann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Dr. Gerd
Müller auf:
In welchem Zeitraum ist die Bundesregierung bereit, für den
dringend notwendigen Weiterbau der Bundesstraße 19 als einzige
Zufahrtsstraße nach Oberstdorf und vor dem Hintergrund der Nor-
dischen Skiweltmeisterschaften 2005 Finanzmittel bereitzustel-
len?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
A
Vielen
Dank, Herr Präsident. – Lieber Herr Kollege Müller, an-
gesichts des engen Zusammenhangs möchte ich beide
Fragen gemeinsam beantworten.
Ich rufe
dann auch die Frage 25 auf:
Zu welchem Zeitpunkt ist die Bundesregierung bereit, den
Weiterbau der B 19 und in welcher Höhe zu finanzieren vor dem
Hintergrund, dass 4 200 Bürger neben Mandatsträgern und der
örtlichen Wirtschaft auf den dringlichen Weiterbau der B 19 er-
neut aufmerksam gemacht haben?
A
Zunächst
bestätige ich Ihnen noch einmal grundsätzlich die Ant-
wort des damaligen Parlamentarischen Staatssekretärs
Bodewig auf Ihre Frage vom November 2000, in der er auf
eine Finanzierungsmöglichkeit des Baus der Ortsumge-
hung Waltenhofen im Anschluss an das Investitionspro-
gramm 1999/2002 hingewiesen hat. Darüber hinaus wird
die Bundesregierung prüfen, ob zusätzlich zu den bereits
laufenden Arbeiten zur Bahnüberführung bei Kuhnen
Möglichkeiten zur Finanzierung des gesamten dritten
Bauabschnittes der B 19 zwischen Lanzen und Herzmanns
einschließlich der Ortsumgehung Waltenhofen bestehen.
Zusatz-
frage, Kollege Müller.
Herr Staatssekretär, ge-
statten Sie mir zu dieser unbefriedigenden Antwort die
Frage, welche Gründe maßgeblich waren, die Bundes-
straße 19, Bauabschnitt Nord, mit der dringend notwendi-
gen Ortsumfahrung in Waltenhofen nicht in das ZIP und
nicht in das Anti-Stau-Programm aufzunehmen, obwohl
Baurecht besteht, eine Baumaßnahme mitten in diesem
Bauabschnitt, nämlich in Kuhnen, bereits läuft und die ge-
samte Baumaßnahme als vordringlicher Bedarf eingestuft
ist. Können Sie mir das erklären?
A
Herr
Kollege Müller, Sie wissen, dass Fragen, wie Sie sie mir
jetzt stellen, fast jede und jeder Abgeordnete aus ihrem
bzw. seinem Wahlkreis stellen könnte. Wir haben von der
alten Regierung ein relativ schlecht finanziertes Ausbau-
programm für den vordringlichen Bedarf übernommen;
Sie wissen, dass es eine riesige Schleppe gibt. Deshalb ist
in Zusammenarbeit mit den Ländern das IP aufgestellt
worden. Dabei ist Gott sei Dank ein Teilstück der B 19 fi-
nanziert worden.
Jetzt werden wir prüfen, ob darüber hinaus die Mög-
lichkeit besteht, weitere Maßnahmen an der B 19 zu fi-
nanzieren. Sie wissen, dass wir drei Bauabschnitte haben,
dass der Bauabschnitt III baureif ist und dass wir dort mit
den Arbeiten begonnen haben, während bei den Ab-
schnitten I und II, die wir nach dem Hochwasser Pfings-
ten 1999 abtrennen mussten, erhebliche Schwierigkeiten
mit der Planfeststellung bestehen. Die Planfeststellung ist
ja nicht nur unsere Aufgabe. Wir tun, was wir können,
wenngleich ich auch verstehen kann, dass Sie als Abge-
ordneter wenig zufrieden sind. Ich kann auch die Men-
schen in Waltenhofen verstehen, die auf die Ortsumge-
hung dringend warten.
Weitere
Zusatzfrage? – Bitte.
Herr Staatssekretär, die
laufende Baumaßnahme war vor Ihrer Zeit auf der Grund-
lage des Eisenbahnkreuzungsgesetzes anfinanziert. Sie
haben nicht beantwortet, welche Begründung es dafür
gibt, diese Maßnahme nicht in das Anti-Stau-Programm
und das Ortsumfahrungsprogramm aufzunehmen.
Ich frage Sie deshalb nach der Perspektive Ihrer Prü-
fung: Ist die Bundesregierung bereit, bei der Finanzierung
dieser Bundesstraße von Waltenhofen bis Oberstdorf zu
berücksichtigen, dass im Jahre 2005 in Oberstdorf die
Nordische Skiweltmeisterschaft stattfindet, wodurch eine
besondere Dringlichkeit gegeben ist, und dass bereits mit
dem Bau begonnen werden kann, weil Baurecht besteht?
Sie müssen nichts mehr planen und können sich auch
nicht auf Äußerungen zurückziehen, dass erst noch eine
Planfeststellung erforderlich sei. Dies trifft für den süd-
lichen, nicht aber für den nördlichen Bauabschnitt zu.
Welche konkrete Perspektive der Finanzierung sehen Sie?
A
Die Aus-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2001
Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte16238
sage, die ich für die B 19 machen kann, trifft auch auf alleanderen Straßenbaumaßnahmen zu. Sie wissen, es gibt einInvestitionsprogramm 1999/2002 und ein Zukunftsinves-titionsprogramm. Es gibt somit feste Straßenbauprogram-me, die auch finanziert sind.Es hängt von folgenden beiden Faktoren ab, ob wir da-rüber hinaus Möglichkeiten haben werden:Erstens. Schaffen wir es, zusätzliches Investitionsvolu-men zu erzielen? Es handelt sich um Maßnahmen, dieauch der Gesetzgeber, also das Parlament, bei den Haus-haltsberatungen und bei der mittelfristigen Finanzplanungbeeinflussen kann.Zweitens. Gibt es Möglichkeiten, im Rahmen der jet-zigen Finanzierung zu anderen Finanzierungsstrukturenzu kommen, weil Maßnahmen kostengünstiger als vorge-sehen abgeschlossen werden können oder weil Maßnah-men später begonnen werden? Hierbei ist auch der Frei-staat Bayern gefordert.Die Bundesregierung kennt die besondere Dringlich-keit wegen der Weltmeisterschaften, die Sie gerade ange-führt haben.Ich habe bereits in meiner ersten Antwort namens derBundesregierung zugesagt, dies zu prüfen, wenn wir dieRahmenbedingungen, die ich gerade genannt habe, ab-gleichen. Das bezieht sich auf das Investitionsvolumenund den Fortgang der in den Programmen enthaltenen an-deren Straßenbaumaßnahmen; denn wir sind an das ge-bunden, was in den Programmen festgelegt wurde undderzeit finanziert ist. Wir müssen Abweichungen davonfinden, die es uns ermöglichen, mit der einen oder ande-ren Straßenbaumaßnahme früher zu beginnen.
Es gibt
eine weitere Frage der Kollegin Skarpelis-Sperk.
Herr Staatssekre-
tär, ich kann die Frage des Kollegen Dr. Müller aus dem
Allgäu dahin gehend ergänzen, dass die Dringlichkeit die-
ser Maßnahme über den Bundestagswahlkreis Allgäu hi-
naus von der gesamten Bevölkerung in der Region er-
kannt wird, weil die Nordischen Skiweltmeisterschafen
für den Tourismus der Gesamtregion ein wichtiges Ereig-
nis sind. Deswegen gibt es natürlich ein großes Interesse,
dass mit dieser Maßnahme schnell begonnen wird.
Erstens. Ist die Bundesregierung – Sie haben das vor-
sichtig angedeutet – bereit, nach der Verabschiedung
des Bundeshaushaltsplanes im Kabinett und bei den
anschließenden Beratungen im Parlament eine gründliche
Prüfung dieser Maßnahme vorzunehmen, falls es zu Er-
höhungen der zur Verfügung stehenden Investitionsmittel
kommen sollte?
Zweitens. Ist die Bundesregierung bereit, einen
Wunsch des Freistaates Bayern, diese Maßnahme im
Rahmen des bayerischen Kontingents zu finanzieren,
wohlwollend aufzunehmen, falls sich im Gespräch mit
dem Freistaat Bayern solche von Ihnen angedeuteten Fle-
xibilitäten abzeichnen?
A
Genau
das habe ich in der zweiten Antwort angedeutet. Wir ha-
ben ein Finanzierungsvolumen und ein Finanzierungspro-
gramm. Damit haben wir Planungs- und Realisierungs-
sicherheit für viele Baumaßnahmen geschaffen, die wir
jetzt nicht mehr infrage stellen können und wollen. Es
wird also darauf ankommen, ob bei den Haushaltsbera-
tungen zusätzliches Investitionsvolumen generierbar ist.
Weiter wird es darauf ankommen, ob es bei anderen
Straßenbaumaßnahmen im Rahmen des Straßenausbau-
programms zu Verzögerungen oder zu kostengünstigeren
Realisierungen kommt.
Ich wiederhole noch einmal: Gerade im Hinblick auf
die Dringlichkeit, die wir im Zusammenhang mit den be-
vorstehenden Weltmeisterschaften im Jahre 2005 eben-
falls sehen, wird die Bundesregierung im Laufe des Jah-
res sehr wohl prüfen, ob aus den von mir genannten
Variablen herzuleiten ist, dass wir die Maßnahmen an der
B 19 forcieren können.
Damit
kommen wir zur Frage 25 des Kollegen Dr. Müller.
A
Herr
Präsident, ich hatte die Frage im Sachzusammenhang mit
der vorhergehenden Frage bereits beantwortet, bin aber
gern bereit, weitere Zusatzfragen zu beantworten.
Dann ha-
ben Sie noch Gelegenheit, zwei weitere Zusatzfragen zu
stellen, Herr Müller.
Herr Staatssekretär, Sie
suchen nach Milliarden oder Millionen zusätzlicher Mit-
tel. Das ist keine befriedigende Antwort.
Sind Sie bereit, die ländlichen Regionen, die wie die
genannte Region durch die Erhöhung der Mineralölsteuer
– 1 Prozentpunkt bedeutet Mehreinnahmen von 700 Mil-
lionen DM für den Bund –, zusätzlich belastet werden,
zweckbezogen bei der Verbesserung der Infrastruktur,
hier beispielsweise bei dieser in Rede stehenden Bundes-
straße, entsprechend zu berücksichtigen? Nennen Sie mir
jetzt ein Zieldatum der Anfinanzierung der weiteren Bau-
abschnitte.
A
HerrKollege Müller, ich weise Sie noch einmal darauf hin,dass wir alle aus unseren Wahlkreisen mit ähnlichen Pro-blemen nach Berlin kommen.Wir haben ein festes Ausbauprogramm für die Straßen,das finanziert ist. Deshalb habe ich zwar Verständnis fürzusätzliche Forderungen; aber diese zusätzlichen Forde-rungen müssen finanziert werden. Dafür habe ich Ihnengerade zwei Wege aufgezeigt. Das kann entweder durcheine nochmalige Erhöhung des Investitionsvolumens, das
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2001
Parl. Staatssekretär Achim Großmann16239
über das Zukunftsinvestitionsprogramm bereits deutlicherhöht worden ist – wir geben deutlich mehr Geld als diealte Regierung für den Straßenbau aus –, geschehen oderdadurch, dass es im bestehenden Straßenausbaupro-gramm zu Verschiebungen bei der Fertigstellung und beider Anfinanzierung, also zu einem preiswerteren Bau vonStraßen, kommt. Diese beiden Variablen werden wir zu-sammen mit dem Freistaat Bayern, der ist hier gefordert,sehr wohlwollend prüfen, um zu sehen, ob es andere Fi-nanzierungsmöglichkeiten gibt, die es uns erlauben, mitdem Bauabschnitt III zwischen Lanzen und Herzmannsfrüher zu beginnen.
Der Kol-
lege Müller hat eine weitere Zusatzfrage.
Eine kurze Zusatz-
frage: Bis wann werden Sie Ihre Planungen und Über-
prüfungen abgeschlossen haben? Der Zeitpunkt 2005
lässt sich nicht verschieben. Die Planungen müssen
jetzt starten, um den Bauabschnitt überhaupt fertig stel-
len zu können. Wenn Sie zwei weitere Jahre planen,
können wir auf 2006 oder 2010 verschieben. Wir hof-
fen, dass es bis dahin einen Regierungswechsel gegeben
hat. Dies ist dann die einzige Hoffnung der Menschen
in der Region.
A
Na
ja, Herr Müller, wollen wir es nicht übertreiben! Jede an-
dere Regierung müsste ein Investitionsvolumen in die-
ser Höhe, wie wir es jetzt bereitstellen, erst einmal
schaffen.
Ich sage Ihnen noch einmal: Wir sind dabei, dies zu
prüfen. Es ist völlig klar, dass eine Straßenbaumaßnahme
einen Vorlauf hat. Das Vorhaben muss ja ausgeschrieben
werden. Von daher hoffen wir, dass wir im Verlaufe die-
ses Jahres die Frage beantworten können, ob und wie wir
diese Maßnahme finanzieren können. Aber dies ist eben
nicht nur vom Willen der Bundesregierung abhängig – der
sehr wohl vorhanden ist –, sondern auch von den Varia-
blen, die ich Ihnen eben genannt habe.
Frau
Skarpelis-Sperk.
Herr Staatssekretär,
Sie haben sich ja bereit erklärt, dies zusammen mit der
Bayerischen Staatsregierung wohlwollend zu prüfen. Ich
gehe davon aus – es sei denn, Sie widersprechen mir jetzt –,
dass diese Prüfung im Laufe des Sommers, auf jeden Fall
aber im Zuge der Haushaltsberatungen stattfinden wird.
Hat denn die Bayerische Staatsregierung bei Ihren bis-
herigen Gesprächen über die Umsetzung des Haushaltes
2001 nicht nur den Wunsch vorgebracht, dass dieser Bau-
abschnitt finanziert werden soll, sondern sich auch bereit
erklärt, sich flexibel zu zeigen und andere Projekte – und
sei es auch nur teilweise und kurzfristig – zurückzustel-
len? Welche Bemühungen hat also die Bayerische Staats-
regierung gegenüber der Bundesregierung in diesem
Punkt sichtbar werden lassen?
A
Frau
Kollegin, Sie sprechen einen richtigen Aspekt an: Wenn
man Straßenbaumaßnahmen innerhalb feststehender Pro-
gramme vorzieht, dann muss dies zulasten anderer
Straßen gehen. Von daher ist es immer schwierig für eine
Länderregierung, sich dazu zu äußern. Wir sind mit dem
Freistaat Bayern im Gespräch und hoffen, dass wir even-
tuell bestehende Vorbehalte aufnehmen können.
Uns ist daran gelegen, dass wir in diesem Jahr zu einer
Entscheidung kommen. Diese Entscheidung kann natür-
lich nur im Einvernehmen mit dem Freistaat Bayern er-
folgen. Wenn dieser sagt, man wolle Gelder, die mögli-
cherweise dadurch frei werden, dass andere Straßen nicht
oder später gebaut werden, lieber für eine andere Straßen-
baumaßnahme ausgeben, dann müssen wir versuchen,
diesen Konflikt zu lösen. Wir haben großes Interesse da-
ran, hier zu einer Entscheidung zu kommen, damit wir
zumindest Sicherheit haben, ob die Maßnahme finanzier-
bar ist oder nicht.
Sie haben noch nach dem Datum gefragt: Ich möchte
eine Festlegung auf den Sommer eigentlich nicht gerne
vornehmen. Der Herbst beginnt am 21. September und die
Haushaltsberatungen reichen darüber hinaus. Also: Ge-
hen Sie davon aus, dass wir im Laufe des Jahres zu einer
Entscheidung kommen, ob und wie eine vorzeitige Fi-
nanzierung des Baus möglich ist.
Die
Frage 26 soll schriftlich beantwortet werden. Vielen
Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums des Innern. Zur Beantwortung steht der Parla-
mentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur Ver-
fügung. Ich weise bereits an dieser Stelle darauf hin, dass
die Fragen 29 und 30 schriftlich beantwortet werden sol-
len. Für die beiden Fragen der Kollegin Renate Blank ha-
ben wir deshalb noch genau sechs Minuten Zeit.
Zunächst rufe ich also die Frage 27 auf:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der ka-
tastrophalen Logistik, die, trotz entsprechender Vorlaufzeit, beim
Polizeieinsatz zum Schutz des Castortransports in Niedersachsen
vom 23. bis 29.März 2001, an dem unter anderem auch 1 300 junge
Männer und Frauen der bayerischen Bereitschaftspolizei einge-
setzt waren, dazu geführt hat, dass jeder Beamtin bzw. jedem Be-
amten nur 1,5 Quadratmeter Platz ohne Rückzugsmöglichkeit zur
Verfügung hatte, während jedem Straftäter mindestens 3,5 Qua-
dratmeter zustehen, und durch die unhygienischen Verhältnisse vor
Ort zahlreiche Beamte erkrankt sind?
F
Frau Kollegin, wegen des sachli-chen Zusammenhangs möchte ich die beiden Fragen zu-sammen beantworten.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2001
Parl. Staatssekretär Achim Großmann16240
Dann rufe
ich auch noch die Frage 28 auf:
Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass im Rahmen
ihrer Zuständigkeit und Fürsorgepflicht bei der Vorbereitung von
künftigen Großeinsätzen Unterbringung, Ausbildung und Ausrüs-
tung der Einsatzkräfte gleichwertig gut sind, alle geltenden Ar-
beitsschutzbestimmungen beachtet und die Beschwerden einge-
setzter Beamtinnen/Beamter genauso korrekt bearbeitet werden
wie Beschwerden aus der Bevölkerung?
F
Die Versorgung und die Unter-
bringung der beim Castortransport eingesetzten Polizei-
vollzugsbeamtinnen und -beamten aus den Ländern und
des Bundesgrenzschutzes lagen und liegen in der Verant-
wortung der niedersächsischen Landesregierung. Die Be-
amten waren dem Land Niedersachsen unterstellt, das die
Gesamteinsatzleitung der Polizei hatte. Das Land Nieder-
sachsen hat eine Arbeitsgruppe zur Überprüfung der an-
gemessenen Unterbringung geschlossener Einheiten bei
länderübergreifenden Einsätzen auf der Grundlage der Er-
fahrungen und der Erfahrungsberichte der beim jüngsten
Castortransport verwendeten Einheiten eingesetzt. Dies
hat der Arbeitskreis 2 der Ständigen Konferenz der In-
nenminister und Innensenatoren der Länder auf seiner Sit-
zung am 3. und 4. April dieses Jahres ausdrücklich
begrüßt. Er bittet Niedersachsen, den Mitgliedern des
Arbeitskreises 2 das Ergebnis der Überprüfung über die
Unterausschüsse „Führung, Einsatz und Kriminalitäts-
bekämpfung“ sowie „Recht und Verwaltung“ unver-
züglich vorzulegen.
Die Bundesregierung begrüßt diese Vorgehensweise
ebenfalls. Zielsetzung sollte aus hiesiger Sicht vor allem
sein, die Inhalte der Orientierungshilfe zu überprüfen und
gegebenenfalls verbindlicher zu gestalten.
Auf Initiative des Bundesministeriums des Innern
wurde bereits mit Beschluss des Unterausschusses
„Führung, Einsatz und Kriminalitätsbekämpfung“ vom
30. September 1999 eine Projektgruppe mit der Erarbei-
tung einer „Orientierungshilfe für angemessene Unter-
bringung und Verpflegung geschlossener Einheiten“ bei
länderübergreifenden Einsätzen beauftragt. Der Arbeits-
kreis 2 hat die von der Projektgruppe des Unterausschus-
ses „Führung, Einsatz und Kriminalitätsbekämpfung“ er-
arbeitete „Orientierungshilfe“ zur Kenntnis genommen.
Darüber hinaus ist der Unterausschuss „Führung, Ein-
satz und Kriminalitätsbekämpfung“ der Auffassung, dass
eine angemessene Unterbringung und Verpflegung si-
chergestellt sein muss. Die Länder wurden infolgedessen
gebeten, dies im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten
zu gewährleisten. Das für den Bundesgrenzschutz feder-
führende Grenzschutzpräsidium Nord hat diese Anre-
gungen in die Einsatzvorbereitungen des Transportes im
März 2001 nach Gorleben vorrangig einbezogen.
Beschwerden über die Unterbringung von Einsatzkräf-
ten des Bundesgrenzschutzes sind dem Ministerium bis-
her nicht bekannt geworden. Gleiches gilt für die dem
Land Niedersachsen gemäß § 11 des Bundesgrenzschutz-
gesetzes unterstellten BGS-Beamten.
Eine Zu-
satzfrage der Kollegin Blank.
Ich bitte darum, die Fragen kurz zu beantworten, weil
die Zeit knapp wird.
F
Ich gebe mir Mühe.
Herr Staatssekretär, drängt
sich der Bundesregierung nicht die Vermutung auf, dass auf
dem Rücken der Polizistinnen und Polizisten eine politi-
sche Entscheidung ausgetragen wurde? Der stellvertreten-
de Bundesvorsitzende der Polizeigewerkschaft hat gesagt,
dass in einer vor acht Jahren stillgelegten Kaserne, die für
die Unterbringung von 800 Personen ausgelegt war, mehr
als die doppelte Zahl an Polizisten untergebracht wurde.
Dies führte dazu, dass zu wenig Toiletten vorhanden und
diese oft verstopft waren. Es gab kein warmes Wasser, die
Duschen waren defekt und zeitweise war kein Strom da.
Zudem standen zu wenige Stühle und Tische zur Verfü-
gung. Ist Ihnen bekannt, dass der stellvertretende Bundes-
vorsitzende der Polizeigewerkschaft dies kritisiert hat?
F
Mir ist bekannt, dass der stellver-
tretende Vorsitzende der Polizeigewerkschaft dies getan
hat. Auch ist mir bekannt, dass es einen Prüfungsauftrag
gibt, der sich mit diesen Dingen beschäftigt. Ich habe Ihnen
das eben geschildert. Die Frage der Unterbringung ist nicht
einfach, zumal auch im näheren Umfeld einige Liegen-
schaften und Einsatzstandorte nicht mehr so zur Verfügung
stehen, wie dies der Fall sein sollte. Dies steht außer Frage.
Frau Kollegin Blank, wir haben überhaupt kein Pro-
blem, mit diesen Fragen umzugehen. Sie haben in einem
Punkt völlig Recht: Dies kann nicht auf dem Rücken der
Beamtinnen und Beamten ausgetragen werden. Deswegen
wird sich das Bundesministerium des Innern im Rahmen
seiner Möglichkeiten und Kompetenzen – das sage ich
ganz deutlich – dieser Fragen entsprechend annehmen.
Die Fra-gen 29 und 30 werden schriftlich beantwortet. VielenDank, Herr Staatssekretär.Damit sind wir am Ende der Fragestunde.Gemäß I 1 b der Richtlinien für Aussprachen zu The-men von allgemeinem aktuellen Interesse hat dieCDU/CSU-Fraktion im Zusammenhang mit den Antwor-ten der Bundesregierung auf die Fragen 11 und 12 eineAktuelle Stunde beantragt. Diese ist unmittelbar nach derFragestunde durchzuführen.Ich rufe daher auf:Aktuelle StundeArbeitsmarktsituationAls erster Redner für die Fraktion der CDU/CSU hatdie Kollegin Birgit Schnieber-Jastram das Wort.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2001 16241
Birgit Schnieber-Jastram (von derCDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hatzwar im Bereich der Arbeitsmarktpolitik keine Ideen,dennoch beweist sie eine Menge Fantasie im Ersinnen im-mer neuer Märchen.
Drei Beispiele aus der letzten Zeit: etwa die Münch-hausen-Geschichte vom angeblich so erfolgreichenJUMP-Programm, für das sage und schreibe 4 Milli-arden DM ausgegeben werden und mit dem die Jugend-arbeitslosigkeit gerade einmal um 20 000 gesenkt wordenist. Kosten pro Kopf: 200 000 DM. Das muss man sich zuGemüte führen!
Dann das Märchen von des Riesters neuen Kleidern,der angeblich so umfassenden Reform des Arbeitsförde-rungsrechtes, bei dem der Arbeitsminister am Ende mitein paar kosmetischen Korrekturen und ansonsten ver-mutlich nackt dastehen wird.Jetzt folgt eine ganz neue Qualität, nämlich die des his-torischen Märchens, der Geschichtsklitterung.
Jeder hier weiß, dass ein viel beschäftigter Mann wie derBundeskanzler Fehler machen kann. Der Bundeskanzlermacht sie ja auch.
So hat er nach dem letzten Treffen des so genanntenBündnisses für Arbeit seinem Wunschgedanken Ausdruckverliehen, die Arbeitslosigkeit im nächsten Jahr unter3 Millionen zu sehen. Ich halte das für vertretbar. Auch einBundeskanzler darf träumen. Fünf Stunden später aller-dings hatte ihn die Realität eingeholt.
Seine Prognose hat er um eine halbe Million nach obenkorrigiert.Dass die Erreichbarkeit des Ziels auch unter dieserVoraussage in immer weitere Ferne rückt, steht auf einemanderen Blatt. Darauf möchte ich später noch eingehen.Zunächst möchte ich darauf eingehen, was der Bun-deskanzler in seinem berüchtigten „Faulenzer“-Interviewin der „Bild“-Zeitung verkündet hat. Der Bundeskanzlerhat gesagt, im letzten Jahr der Regierung Kohl habe es4,8 Millionen Erwerbslose gegeben. Das ist nicht wahr.
Der Jahresdurchschnitt 1998 lag bei 4,2 Millionen. Ichbitte Sie im Interesse einer anständigen Diskussion, beisolchen Erörterungen fair zu bleiben.
Der Bundeskanzler hat gesagt, während seiner Regie-rungszeit habe die Arbeitslosenzahl um 1 Million abge-nommen. Das ist nicht wahr. Im September 1998 lag dieErwerbslosenzahl bei 3,965 Millionen, nach den gestri-gen Zahlen lag sie im April 2001 bei 3,867 Millionen.
Ich gestehe Ihnen gerne zu, dass Arbeitslosenzahlen imSeptember anders aussehen als im April. Aber nicht ein-mal 100 000 Arbeitslose weniger seit dem Regierungsan-tritt der rot-grünen Koalition! Das ist nach den starkenSprüchen dieser Regierung eine sehr schwache Vorstel-lung.
Und das unter der Vorgabe, dass schon allein der demo-graphische Rückgang des Erwerbspersonenpotenzialsjährlich 200 000 Personen ausmacht.
Das können Sie sich nun wirklich nicht guten Gewissensan Ihre Fahnen heften. Denn dafür haben Sie wirklichnichts getan. Sie haben vielmehr Däumchen gedreht, an-statt wirklich etwas zu bewegen.
Fakt ist: Der Bundeskanzler hat in dem besagten Inter-view falsche Zahlen genannt. Ich bin sicher, er hat diesnicht in unlauterer Absicht getan, denn er ist ja ein ehren-werter Mann. Man hat ihn vermutlich schlichtweg falschinformiert – und die Grünen, Frau Dr. Dückert, offen-sichtlich gleich dazu; denn sie hat in der Debatte die glei-che Zahl genannt.Ich bin mir sicher, der Bundeskanzler wird dies in sei-nem nächsten Interview zum Arbeitsmarkt wieder richtigstellen.
Nun möchte ich noch kurz auf die seit gestern vorlie-genden Zahlen für den April 2001 eingehen. Die Fußball-freunde unter Ihnen wissen sicherlich, dass der FC Bay-ern heute Abend in der Europäischen Champions Leagueum den Einzug ins Finale kämpft. Die Bayern wissen dasganz besonders gut. Die Bundesregierung hat sich – dieszeigen die gestrigen Zahlen – auf den Feldern Konjunkturund Arbeitsmarkt bereits in die zweite europäische Ligaverabschiedet, und dies kampflos, wenn man von groß-spurigen Ankündigungen absieht.
Rot-Grün steht in Europa für die niedrigsten Wachs-tumsraten, für einen der hintersten Plätze beim Abbau derErwerbslosigkeit und für das schlechte Mittelfeld bei denErwerbslosenzahlen.
Daran gibt es nichts zu deuteln, und das sollten Sie auchwahrnehmen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 200116242
Die Arbeitslosenquote stagniert mit 9,5 Prozent weiterauf einem hohen Niveau. Saisonbereinigt hat die Arbeits-losigkeit bereits im vierten Monat in Folge nicht abge-nommen.
Nach Aussage der Bundesanstalt für Arbeit verebbt beiden Jobvermittlern der Zugang neuer Stellen.Die rot-grüne Mannschaft um Kanzler Schröder hatkeinen Biss, sie hat keine Ideen und keine Technik. Eineähnlich eingestellte Truppe hat Deutschland letztes Jahrbei der Fußballeuropameisterschaft unendlich blamiert.
Deutschlands Nationalmannschaft ist inzwischen bessergeworden. Die neuesten Arbeitsmarktzahlen beweisen,dass die Bundesregierung im europäischen Vergleich im-mer schlechter wird.
Deswegen ist es höchste Zeit, diese Mannschaft im nächs-ten Jahr auszuwechseln.Lassen Sie sich an Ihren eigenen Aussagen messen undtreten Sie freiwillig ab!
Erinnern Sie sich an Ihre Regierungserklärung, in der Sieversprochen haben, Sie wollten sich an der Entwicklungdes Arbeitsmarktes messen lassen. Stattdessen Versagenauf der ganzen Linie!
Das Wort
hat jetzt der Kollege Klaus Brandner von der SPD-Frak-
tion.
Sehr geehrter Herr Präsident!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, wirhaben gerade wieder erlebt, wie mit Rhetorik und Sprech-blasen eine erfolgreiche Politik kleingeredet werden soll.Ich glaube, dass die Bürger in diesem Land ein solchesVorgehen erkennen.
Wenn es eine Deutsche Meisterschaft im Kleinreden ge-ben würde, wären Sie, Frau Schnieber-Jastram, die ersteTitelaspirantin.
Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die Schaf-fung neuer Arbeitsplätze ist und bleibt für die Bundesre-gierung natürlich das politische Ziel Nummer eins. DieTatsache, dass dieses Thema in einer Aktuellen Stunde be-handelt wird, ist für uns Ansporn, mit unserem erfolgrei-chen Kurs fortzufahren.
Darin sind wir uns im Übrigen auch mit der großen Mehr-heit der Bevölkerung einig.Wichtig ist: Die Arbeitsmarktlage hat sich im Vergleichzur Regierungszeit der alten Bundesregierung deutlichverbessert; Sie wollen das vielleicht nicht hören. Im letz-ten Jahr gab es 590 000 mehr Arbeitsplätze als 1999.
Gegenüber 1998 beträgt die Zunahme sogar fast 1 Mil-lion. Gleichzeitig ist die Zahl der Arbeitslosen in diesenzwei Jahren um 390 000 zurückgegangen. Die Behaup-tung der Opposition, der Rückgang der Arbeitslosigkeitsei vor allem demographisch bedingt, ist damit meinesErachtens eindeutig widerlegt.Die Verbesserung betrifft nahezu alle Gruppen. DieJugendarbeitslosigkeit ist um 9 Prozent gesunken – da-hinter steht ein erfolgreiches JUMP-Programm –, die Ar-beitslosigkeit bei den Älteren ist um 12 Prozent zurück-gegangen und die Langzeitarbeitslosigkeit nahm um10 Prozent ab. Sie erkennen: Das ist ein konkreter Rück-gang, der durch Zahlen belegbar ist; das sind keineSprechblasen.Auch in diesem Jahr setzt sich der Aufschwung fort.
– Herr Michelbach, Sie mögen darüber schmunzeln.Wenn ich an Ihre Daten zum Aufschwung denke, muss ichfeststellen: Sie sollten sich schämen und sollten den posi-tiven Aufschwung jetzt nicht kleinreden. Das Tempo lässtetwas nach, aber im Kern gibt es keinen Anlass zum Pes-simismus.
An diesem Punkt – das will ich ganz deutlich sagen –setzt meine Kritik an der Opposition an: Miesmachen istzwar Ihr Recht, aber Miesmachen ist nicht gut fürDeutschland, ist nicht gut für die Menschen in diesemLand. Wir brauchen eine Vorwärtsstrategie. Wir habengute Rahmenbedingungen geschaffen.
Mit Ihrer Miesmachpolitik und Strategie des Kleinredenshaben Sie in diesem Land noch keinem Arbeitslosen ge-holfen.
Die Entlastung bei der Einkommensteuer greift, imGegensatz zu früher sinken die Beiträge zur Sozialver-sicherung.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2001
Birgit Schnieber-Jastram16243
– Sie haben anscheinend ein kurzes Gedächtnis; heutehaben die Menschen mehr im Portemonnaie und nichtweniger. –
Ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von über2 Prozent ist immer noch erheblich mehr als die durch-schnittlichen 1,5 Prozent, die Sie in den 90er-Jahrenerreicht haben.Wichtiger noch: Die positive Entwicklung setzt sichfort. Im Februar 2001 hatten wir gegenüber dem Vorjahrnoch einmal 366 000 zusätzliche Arbeitsplätze zu ver-zeichnen. Nach der Frühjahrsprognose der Wirtschafts-forschungsinstitute ist in diesem und im nächsten Jahr mitinsgesamt 640 000 neuen Arbeitsplätzen zu rechnen.Realistisch ist auch unser Ziel, im Jahre 2002 dieMarke von 3,5 Millionen Arbeitslosen zu unterschreiten.Das ist keine Schönfärberei der Bundesregierung, son-dern eher eine vorsichtige Prognose der Fachleute, dieüberall bestätigt wird.Die Werte können sich auch im internationalen Ver-gleich sehen lassen. Nach der Berechnungsmethode derEU – Sie wissen, dass diese etwas von unserer nationalenabweicht – liegt Deutschland zurzeit mit 7,7 Prozent un-ter dem Durchschnitt der EU von 8 Prozent, erst recht un-ter dem Durchschnitt der Eurozone von 8,7 Prozent. Auchdas müssen Sie einmal ganz wertfrei zur Kenntnis neh-men.Das allein ist allerdings kein Grund, sich zufriedenzurückzulehnen, auch nicht die Tatsache, dass eine deut-liche Mehrheit der Deutschen die SPD auf diesem Feld fürdie kompetenteste Partei hält. 43 Prozent trauen ihr amehesten zu, bestehende Arbeitsplätze zu sichern und neuezu schaffen. Die CDU/CSU kommt bei der zentralenFrage nach der Kompetenz auf diesem Feld nur auf28 Prozent und liegt damit klar zurück, und das bei fal-lender Tendenz.
Die Menschen in diesem Land merken, dass Sie nicht sokompetent wie wir sind. Deshalb ärgern Sie sich.
Wir wollen aber noch besser werden. Das gilt vor allenDingen für die neuen Länder. Wir werden alle Anstren-gungen darauf konzentrieren, dass der Osten aufholt. Wirwerden noch vor der Sommerpause einen Gesetzentwurfvorlegen, der sich am Konzept des Förderns und Fordernsorientiert. In den Vordergrund stellen wir dabei die Ver-mittlung und die Unterstützung des einzelnen Arbeits-losen. Eine Koalitionsarbeitsgruppe hat bereits Vorarbei-ten für ein Job-aktiv-Gesetz geleistet und Vorschlägegemacht. Wie Sie wissen, sind im Bundestag Anträge zurJobrotation und zur Bekämpfung illegaler Beschäftigungaufgrund der gemeinsamen Initiative von Rot-Grün schonverabschiedet worden.Dies alles geht auf einen recht breiten Konsens über dieWeiterentwicklung der aktiven Arbeitsmarktpolitik imBündnis für Arbeit zurück. Wir wollen an diesem Konsensfesthalten. Wir setzen dabei auf die Mitwirkung derTarifvertragsparteien und auch auf einen breiten Konsensin der Bevölkerung. Falsch und nicht im Bündnis verab-redet sind Leistungskürzungen, etwa eine Bestrafung vonälteren Arbeitslosen durch eine Verkürzung der Dauer desArbeitslosengeldbezugs; denn die Höchstdauer von32 Monaten kann ohnehin erst mit 57 Jahren und nachlangjähriger Beitragszahlung in Anspruch genommenwerden.
Kommen
Sie bitte zum Schluss.
Ich möchte deutlich sagen:
Wir wiederholen nicht die Fehler der Vergangenheit. Wir
setzen vielmehr auf aktive Instrumente, auf eine aktive
Arbeitsmarktpolitik und auf eine Modernisierung des So-
zialstaats und nicht auf Demagogie, wie Sie es heute ge-
tan haben.
Danke sehr.
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Dirk Niebel von
der F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr ver-ehrten Damen und Herren! Die Kollegin Schnieber-Jastram hat mit ihrem Vergleich zum Fußball ein gut ver-ständliches und einleuchtendes Bild gefunden. Sie hatallerdings eine ganz wichtige Information nicht genannt:In der Bundesliga spielen 18 Vereine und Schalke 04 wirdwahrscheinlich Meister.
Die Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung siehtnicht ganz so vorteilhaft aus. Es muss klar festgestelltwerden, dass die saisonbereinigte Arbeitslosenquote seitvier Monaten wieder steigt, dass die Erwerbstätigenzahlstagniert und dass das Arbeitszeitvolumen rückläufig ist.Sie haben also trotz einer hervorragenden Ausgangssitua-tion, die darin besteht, dass die Konjunktur seit fast zweiJahren brummt und dass aufgrund der demographischenEntwicklung 250 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-mer pro Jahr mehr aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden alshinzukommen, nichts erreicht außer einer ganz kleinen– ich möchte nicht sagen „kläglich“, weil dahinter Ein-zelschicksale stehen – Verbesserung in der Arbeitslosen-statistik. Das ist mit Sicherheit nicht der Erfolg, den Siesich gewünscht haben. Ich persönlich finde das schade;
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2001
Klaus Brandner16244
denn ich hätte Ihnen und vor allem den Betroffenen denErfolg gegönnt.
Die „Wirtschaftswoche“ hat am 19. April eine Studiedes Fraser-Institutes veröffentlicht, in der die Effektivitätder Arbeitsmarktpolitiken von 58 Staaten verglichen wor-den ist. Bei diesem internationalen Vergleich erreicht dieBundesrepublik Deutschland Platz 58, also den letztenPlatz.
Das haben Sie, Herr Andres, Ihr Minister und Ihr Bun-deskanzler zu verantworten, der sich nach eigenem Be-kunden jederzeit am versprochenen Abbau der Arbeitslo-sigkeit messen lassen will.
Sie haben die Weichen in der Arbeitsmarktpolitik vonAnfang an kontinuierlich falsch gestellt. Es begann damit,dass Sie den Schwellenwert beim Kündigungsschutz vonzehn auf fünf Arbeitnehmer verringert haben. Das hatdazu geführt, dass ab dem fünften Arbeitnehmer niemandmehr eingestellt worden ist.Der nächste Schritt war die Neuregelung der so ge-nannten 630-Mark-Beschäftigungsverhältnisse. Sie ha-ben diese Neuregelung ausgenutzt, um die Zahl der sozi-alversicherungspflichtig Beschäftigten in die Höhe zutreiben. Dadurch wurde Ihre Statistik zwar eine Zeit langetwas verschönert; aber im Endeffekt hat es dazu geführt,dass Arbeitsplätze weggefallen sind, dass Menschen, diesich aus eigenem Antrieb durch Arbeit zusätzlich etwasGeld verdienen wollten, demotiviert worden sind, die Er-werbstätigkeit in diesem Bereich verlassen haben, unddass das Wirtschaftswachstum beschädigt wurde.Danach haben Sie die so genannte Scheinselbstständig-keit zu bekämpfen versucht. Als Beispiel des klassischenScheinselbstständigen zur damaligen Zeit – es war die Zeitder Euro-Einführung – nenne ich den Informatiker, der ineiner Bank oder in einer Sparkasse dafür gesorgt hat, dassdie EDV auf den Euro umgestellt wird. Ein solcher Infor-matiker war nur bei einer Bank beschäftigt, und das auchnur, während sie geöffnet war. Seiner Tätigkeit ist er ganzalleine nachgegangen und weil sein Vertrag für mindestensein halbes Jahr bestand, hat er in dieser Zeit auf dem Ar-beitsmarkt nicht aktiv um andere Auftraggeber geworben.Dann kamen Sie – und schwups war er scheinselbstständigund musste Beiträge an die Sozialversicherungen ab-führen. Durch Ihre Politik sind massenhaft Branchen ver-unsichert worden und Arbeitsplätze wurden verspätet odergar nicht geschaffen. Das ist Ihr „Verdienst“.
Der nächste Schritt: das Teilzeitpflichtgesetz. Heutzu-tage wissen die Menschen noch gar nicht, was auf sie zu-kommt. Wenn jemand in einem Betrieb plötzlich in einemganz bestimmten Rahmen einer Teilzeitbeschäftigungnachgehen möchte, während der Arbeitgeber einen Ganz-tagsarbeitsplatz besetzen möchte, dann fehlt es womög-lich an einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitszeitvorstel-lungen mit der Situation in diesem Betrieb zu vereinbarensind. Es gibt in vielen Bereichen nicht nur einen Fach-kräftemangel, sondern auch – trotz 3,8 Millionen Arbeits-losen – einen Arbeitskräftemangel. An diesem Punktmüssten Sie ansetzen.Ihr Ansatz bringt mit sich, dass wir im Ausschuss fürArbeit und Sozialordnung heute über eine Verschärfungdes Betriebsverfassungsgesetzes beraten, die dazu führt,dass die Kommunikation gerade in kleineren und mittle-ren Betrieben,
die 80 Prozent der Arbeitsplätze und 70 Prozent aller Aus-bildungsplätze stellen, von Kollektiven übernommenwird und nicht mehr direkt stattfindet. Das ist mit Sicher-heit der falsche Weg, wenn man bedenkt, dass 50 Prozentall dessen, was in der Arbeitsmarktpolitik passiert, Psy-chologie ist.
Sie haben die Psychologie, die nötig ist, damit Arbeits-plätze geschaffen werden, kaputtgemacht. Die Menschenin diesem Land sind nicht mehr bereit zu investieren. HerrBrandner, das ist kein Schlechtreden, sondern ein Ausflussdessen, was Sie entschieden haben, also ein Ergebnis derPolitik, die Sie vor zweieinhalb Jahren eingeleitet haben.
Der Kanzler hat nichts Besseres zu tun, als sich hinzu-stellen und zu sagen, die Arbeitslosen seien alle selberschuld. Das ist nicht in Ordnung! Die Arbeitslosen sindnicht schuld. Zwar gibt es vieles, was man regeln muss;aber in erster Linie fehlen Arbeitsplätze. Sie werden nichtgeschaffen, weil die Konjunktur lahmt. Was im Hinblickauf die Beseitigung der Arbeitslosigkeit gemacht werdenmuss, habe ich Ihnen schon in mehreren Debatten gesagt.Wir werden morgen der Öffentlichkeit einige Vorschlägevorstellen, mit denen gezeigt wird, wie die Motivationbzw. der Anreiz, einen schlechter bezahlten Arbeitsplatzanzunehmen, erhöht werden kann.Ihre bisherigen Modellversuche haben sich als Floperwiesen. Der Gewerkschaftsflügel der SPD, HerrBrandner, sorgt dafür, dass Sie einfach nicht bereit sind,neue Wege in der Tarifpolitik zu gehen.
Sie haben unsere Anträge zu einer modernen Tarifrechts-gestaltung abgelehnt, statt die Möglichkeiten zu nutzen,Arbeitsplätze zu schaffen und gerade gering Qualifizier-ten – es geht um Menschen, die heute außen vor gelassenwerden – Chancen zu eröffnen. Ihre Politik begünstigt bes-tenfalls diejenigen, die einen Arbeitsplatz besitzen, undgeht zulasten derjenigen, die sozusagen draußen vor derTür stehen und nicht hereinkommen können. Das ist nichtwegweisend und wir werden es Ihnen, Herrn Andres, undauch dem Kanzler immer wieder vorhalten.Vielen Dank.
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Dirk Niebel16245
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Thea Dückert vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! FrauSchnieber-Jastram, Sie können beliebige Vergleiche zwi-schen den Zahlen ziehen. Nach jedem Vergleich stellt sichsehr deutlich dar – das kann nicht geleugnet werden –,dass der Trend der Entwicklung des Arbeitsmarktes in denletzten zwei Jahren
positiv war.Im Januar bzw. im Februar 1998 gab es zum Beispiel4,8 Millionen Arbeitslose; im April 2001 waren es3,8 Millionen Arbeitslose.
Der Jahresdurchschnitt 1998 – Sie zitieren diesen Jahres-durchschnitt immer gern – lag bei 4,3 Millionen, währendder Jahresdurchschnitt 2000 bei 3,8 Millionen Arbeitslo-sen lag. Sie können es drehen und wenden, wie Sie wol-len: Die Situation auf dem Arbeitsmarkt hat sich in denletzten zwei Jahren verbessert. Wenn Sie sich die Zahl derErwerbstätigen anschauen, dann werden Sie feststellen,dass sich die Zahl der Erwerbstätigen in den letzten zweiJahren um 1 Million erhöht hat.Es ist richtig: Die Zahl der 630-Mark-Jobs hat zuge-nommen. Auch richtig ist aber, dass die Steigerung der Er-werbstätigkeit größer ist als der Rückgang der Arbeitslo-senzahlen. Richtig ist auch, dass wir in den letzten zweiJahren mit der Wirtschafts-, Konjunktur- und Arbeits-marktpolitik ein Klima haben herstellen können, das dazubeigetragen hat, dass die stille Reserve geringer gewordenist, dass endlich wieder mehr Frauen in den Erwerbsar-beitsmarkt drängen. Das ist ein positiver Effekt, der sichin Statistiken gar nicht messen lässt.
Nehmen wir diese Effekte Arbeitslosigkeit und Er-werbstätigkeitsentwicklung zusammen, dann ist aller-dings festzustellen – das ist richtig und ich denke, darübermüssen wir uns unterhalten –, dass sich die positive Ent-wicklung in den letzten Monaten abgeschwächt hat, dasssich diese positive Entwicklung vor allen Dingen auf diewestlichen Bundesländer konzentriert und dass wir eineStagnation in den ostdeutschen Bundesländern haben.Darüber müssen wir reden.Vor diesem Hintergrund ist es auch richtig festzustel-len, dass das Ziel, die Arbeitslosigkeit unter 3,5 Millionenzu senken, ein sehr ehrgeiziges Ziel ist.
Das wird kein Sonntagsspaziergang. Aber es markiertauch, dass für uns die Arbeits- und Beschäftigungspolitik,der Abbau von Arbeitslosigkeit ganz oben auf der politi-schen Agenda steht.Dazu gehört unter anderem ein gesamtpolitischer Rah-men. Der Rahmen wird gesetzt durch die Finanz-, Wirt-schafts- und Haushaltspolitik. Wir haben viel dazu beigetra-gen, dass die Steuer- und Abgabenbelastung gesenkt wurde.
Wir haben viel dazu beigetragen, dass der Mittelstand ent-lastet wird, was Sie jetzt immer wieder falsch zitieren. DieEntlastung für den Mittelstand liegt 2001 effektiv bei23 Milliarden DM. Wenn man alles zusammen nimmt– ich erwähne die Steuerreform –, liegt sie bei 30 Milliar-den DM. Ich will das nur sagen, weil das auch ein wichti-ger Ansatzpunkt ist,
weil das ein Wirtschaftsbereich ist, in dem es sehr vieleArbeitsplätze gibt, in dem viele Arbeitsplätze geschaffenwerden und in dem sehr viel Ausbildung angeboten wird.Aber das ist nur ein Effekt, das ist nur ein Stein, auf demwir uns nicht ausruhen können.
Es ist eine riesengroße Illusion, zu glauben, wenn dieWirtschaft nur brummt, brauche man keine aktive Arbeits-marktpolitik zu machen. Wir haben Verwerfungen am Ar-beitsmarkt, wir haben strukturelle Probleme, vor allen Din-gen im Osten. Wir haben ein „mismatch“ zwischenQualifikationsangeboten. Deswegen wollen wir Ihnen nochvor der Sommerpause eine vernünftige Reform des SGB IIIvorstellen, die den Kern der Arbeitsmarktpolitik, die aktivenarbeitsmarktpolitischen Maßnahmen beinhalten wird.
Lassen Sie mich eines sagen: Das wird eine engagierteReform sein, die sich sehr von dem unterscheiden wird,was Sie beispielsweise im Wahljahr präsentiert haben. ImJahre 1998 haben Sie als reines Wahlkampfgeschenk dieAB-Maßnahmen – wir haben das vorhin gerade gehört –um ungefähr 170 000 heraufgefahren.
Das war keine Antwort auf die strukturellen Probleme desArbeitsmarktes.Wir wollen in diesem Jahr eine Reform vorlegen, durchdie sich die Arbeitsmarktpolitik in ihrer Ausrichtung ver-ändert. Wir werden eine präventive Arbeitsmarktpolitikmachen mit dem ersten Ziel, die Langzeitarbeitslosigkeitherunterzufahren
durch eine vernünftige Politik der Vermittlung, durch eineveränderte Politik, beispielsweise auch durch die Bereit-stellung von Eingliederungsplänen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 200116246
Wir werden die Arbeitsmarktpolitik zielgenauer ausrich-ten und die Unübersichtlichkeit der sehr unterschiedli-chen Formen der Lohnsubventionierung durch eine Zu-sammenführung und Vereinfachung beseitigen. Wirwerden eine ganze Reihe von Maßnahmen ergreifen – ei-niges haben wir schon vorgeschlagen – zur Jobrotation.
Die kurze Redezeit in einer Aktuellen Stunde reichtnicht aus, um über dieses engagierte Konzept hier zu dis-kutieren. Wir werden dafür gemeinsam noch Zeit haben.Ich bin gespannt, wie Sie sich da aus der Verantwortungstehlen werden. Ich glaube, dass wir die Herausforderung,die sich gerade in der Arbeitsmarktentwicklung heutestellt, als Koalition sehr umfassend und sehr konstruktivannehmen.Danke schön.
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Klaus
Grehn von der PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Das Problem Arbeitslosigkeit
bleibt. Ob 0,1 Prozent mehr oder 0,1 Prozent weniger: Die
unerträgliche Massenarbeitslosigkeit in diesem Land
bleibt. Da hilft weder Schönreden auf der einen Seite noch
Schwarzmalen auf der anderen Seite. Die Realität ist so,
wie sie ist.
Darum ist es richtig und wichtig, dass sich der Deut-
sche Bundestag wiederholt und sehr häufig mit diesem
Problem befasst. Es hilft allerdings nicht, die Schuldigen
unter den Arbeitslosen zu suchen. Vielmehr müssen sich
dieses Hohe Haus und die Bundesregierung fragen, wie
groß ihr Anteil an dieser Entwicklung ist. Seit der Dis-
kussion um die „soziale Hängematte“ im „Freizeitpark
Deutschland“ ist mir nicht mehr so etwas Unerträgliches
vorgekommen
– Ja, unerträglich, Frau Kollegin – wie die Aussage des
Regierungschefs über das Faulenzertum unter den Ar-
beitslosen.
Sie müssen nicht weit schauen, um festzustellen, wie
die reale Situation der Arbeitslosen ist. Vor fast 100 Jah-
ren hat der Schweizer Moralist Hilty in seiner Trilogie
über das Glück einmal geschrieben, dass die Arbeitslosen
die wahren Unglücklichen sind. Es ist unanständig, wenn
man jemanden, der unglücklich ist und erniedrigt am Bo-
den liegt, dann auch noch tritt.
Es gibt schlicht und einfach nicht „den Arbeitslosen“.
Namens der 3,8 Millionen offiziell Betroffenen und na-
mens der zusätzlich knapp 2Millionen Betroffenen, die es
nach der Dunkelziffer gibt, verlange ich vom Bundes-
kanzler, dass er sich für diese unzulässige Verallgemeine-
rung entschuldigt
und es nicht dabei belässt, sich bei den ostdeutschen Ar-
beitslosen zu entschuldigen und damit den schwarzen
Peter den Arbeitslosen in den alten Bundesländern zuzu-
schieben.
Ich will in aller Deutlichkeit sagen: Vermeintliche oder
tatsächliche Arbeitsunwilligkeit Einzelner ist keine ge-
sellschaftliche Massenerscheinung. Wenn man sich an-
schaut, dass in Mecklenburg-Vorpommern von 180 000 Ar-
beitslosen nur 0,7 Prozent mit einer Sperrfrist belegt wor-
den sind, weil sie arbeitsunwillig waren, dann erkennt
man, wie gering das Ausmaß der Arbeitsunwilligkeit ist.
Ich verlange vom Bundeskanzler, dass er sich mit den
99,3 Prozent Arbeitswilligen mehr beschäftigt als mit
den 0,7 Prozent Arbeitsunwilligen.
Was mit einer solchen Diskussion bewirkt wird, ist
nichts anderes, als dass Stammtischparolen und Vorurteile
gegen Arbeitslose bedient werden, die auf diese Weise
instrumentalisiert werden. Zu welchem Ergebnis das
führt, zeigen Umfragen, in denen 65 Prozent der Befrag-
ten sagen, es sei richtig, dass nur diejenigen Geld erhalten
sollen, die arbeiten. Was aber wären die Folgen für die Ar-
beitnehmer, wenn man für ein Arbeitslosengeld von
60 Prozent des ursprünglichen Nettolohnes arbeiten
muss?
Der Kanzler hat folgende Tatsache nicht bedacht: Die
Sperrfristen sowie das Setzen auf die finanzielle und die
Qualifikationsrutsche sind schon längst geregelt. Wir ha-
ben doch im SGB III und im BSHG bereits eine Fülle von
Regelungen, die Sanktionen gegen arbeitsunwillige Ar-
beitslose ermöglichen. Über eine Frage wird aber nicht
diskutiert: Wo bleibt denn die Existenzsicherung der Ar-
beitslosen? Wenn sie nach einem halben Jahr Arbeitslo-
sigkeit jede Arbeit – unabhängig von der freien Berufs-
wahl und von dem Berufsschutz – annehmen müssen,
wobei der Lohn in der Höhe des Arbeitslosengeldes von
60 Prozent liegt, erwerben sie einen neuen Anspruch auf
Arbeitslosengeld, das dann bei nur 60 Prozent von diesen
60 Prozent liegt. Es ist doch erklärlich, dass nicht alle Ar-
beitslosen dies mitmachen wollen und dass auf diese
Weise nicht mehr entsprechend der Qualifikation vermit-
telt werden kann, obwohl in diesem Land qualifizierte Ar-
beitskräfte gesucht werden.
Ich sage deswegen: Verlassen wir den Weg des
Bekämpfens der Arbeitslosen und der Schuldzuweisung
an die Arbeitslosen! Schlagen wir vielmehr den Weg ein,
den Menschen, die ausgegrenzt und ohnehin genug be-
straft sind, zu helfen und sie in die Gesellschaft zu inte-
grieren. Das ist für die Menschen, für dieses Land und
auch für die Politik gut.
Alsnächster Redner hat das Wort der Kollege WolfgangGrotthaus von der SPD-Fraktion.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2001
Dr. Thea Dückert16247
Herr Präsident! Meinesehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte den Ver-gleich von der Kollegin Schnieber-Jastram aufgreifen; siehat die Politik mit dem Sport verglichen. Ich glaube, die-ser Vergleich ist realistisch, insbesondere dann, wenn manden Zeitraum von 1996 bis 1998 betrachtet, den sie wohlauch meinte.
Zu dieser Zeit gab es zwei Versager: Der eine war in derPolitik tätig und wurde 1998 abgewählt, denn er hatte dieZeichen der Zeit nicht erkannt. Der andere war Bundes-trainer und ist von selbst gegangen, weil der öffentlicheDruck so groß wurde.
Von daher kann ich den Vergleich nur als richtig bezeichnen.Bei solchen Vergleichen sollten Sie sich natürlich immerwieder vor Augen halten, von welcher Zeit Sie sprechen.Ich möchte noch einen Vergleich mit dem Sport ziehen:Mir scheint es, dass sich die CDU bemüht, Weltmeister imbewussten Verdrängen der Arbeitslosigkeit, die sie er-zeugt hat, zu werden.
Ich kann mich daran erinnern, dass wir, als ich als jungerAbgeordneter im Jahre 1998 in den Bundestag gekommenbin, eine Arbeitslosigkeit von über 4 Millionen hatten.
Zwei Monate später hieß es: Das sind eure Arbeitslosen,ihr müsst euch mehr um die Arbeitslosen kümmern undihr von der Regierung habt Programme aufzulegen, diediese Arbeitslosigkeit ad hoc beseitigen.
– Ich freue mich immer, wenn Sie so prima reagieren. Beiuns im Ruhrgebiet sagt man: Wer so reagiert, hat meistensUnrecht. Das sollten Sie sich auch einmal auf die Hut-schnur schreiben.
Sie haben verdrängt, dass Sie sich nach Ihrer Regierungs-übernahme im Jahre 1982 dadurch „ausgezeichnet“ haben,dass die Arbeitslosenzahlen stetig gestiegen sind. Wirkonnten keine gravierenden Reduzierungen feststellen.Diese Politik hat dazu geführt, dass bis zu 4,8 MillionenMenschen arbeitslos waren. Dass Sie dies verdrängen wol-len, kann man ja verstehen, denn wer lässt sich schon gerndie Schicksale von 4,8 Millionen Menschen vorhalten.Dass wir dagegen heute nur noch 3,867 Millionen Ar-beitslose haben, sollten Sie nicht verdrängen; Sie tun dasauch nicht. Sie klagen es aber an. Ich sage Ihnen: Dies istder verkehrte Weg. Sie sollten sich mit uns freuen, dass wirmehr als einer Million Menschen zu Arbeit verholfen ha-ben. Sie sollten sich mit uns freuen, dass wir mehr als eineMillion neue Arbeitsplätze geschaffen haben. Sie haben indieser Zeit – das sagte ich schon – immer nur Arbeitsplätzeabgebaut. Ihre Regierungszeit war das Gegenteil dessen,was wir in zweieinhalb Jahren gemacht haben.
Sie sollten sich mit uns freuen und somit auch für dieMenschen, die in den letzten zwei Jahren einen Arbeits-platz erhalten haben. Diesen Menschen wurde eine neueZukunft gegeben. Diese Menschen können wieder Lichtam Ende des Tunnels sehen, den Sie in den letzten Jahrengebaut haben.Ich muss aber feststellen: Freude kommt bei Ihnennicht auf. Das Gegenteil ist der Fall. Sie scheinen immernoch nach Ihrer Sonthofen-Strategie zu verfahren: mies-machen, verunsichern, kaputtreden. Lassen Sie sichsagen: Das kommt nicht an! Die Menschen, die Arbeits-plätze erhalten haben, und zwar – dies gilt es festzuhal-ten –, weil die Industrie und der Mittelstand sie geschaffenhaben, aber auch weil die Regierung die notwendigenRahmenbedingungen gesetzt hat, lassen sich durch IhreMiesmacherei nicht verunsichern.
Auf den Zugewinn an Arbeitsplätzen in den Jahren1999 und 2000 hat der Kollege Brandner hingewiesen.Wenn Sie diese beiden Zahlen addieren – ich hoffe, dassSie das können –, werden Sie einen Zugewinn an Ar-beitsplätzen von circa 1 Million feststellen.
Diese Zahlen ignorieren Sie und reden wider besseresWissen. Ich sage Ihnen: Wir lassen uns dadurch nicht be-irren. – Herr Michelbach, Sie haben sich auch im Finanz-ausschuss schon immer dadurch ausgezeichnet, dass Siehervorragende Zwischenrufe machen, die aber keinenSinn und Verstand haben.
Ich sage Ihnen, wir sind auf dem richtigen Weg. Wirwissen, dass die Konjunktur zurzeit eine kleine Delle auf-weist; dies haben die Wirtschaftsweisen bestätigt, dies hatdie Regierung auch noch einmal gesagt.
Aber wir sagen Ihnen auch, die Programme, die wir in denletzten Monaten, in den letzten zwei Jahren aufgelegt ha-ben, nämlich das Programm zur Förderung arbeitsloserJugendlicher, die Förderung älterer Arbeitsloser durchJobrotation, die Bekämpfung illegaler Beschäftigung undder Rechtsanspruch auf einen Teilzeitarbeitsplatz, sindMaßnahmen, die sich innovativ auf den Arbeitsmarkt aus-
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wirken werden. Wir werden auch weiterhin eine Reduzie-rung der Arbeitslosenzahlen bekommen.Ich meine, Sie hätten sich in den letzten zwei Jahren ei-gentlich damit hervortun müssen, zusätzliche, ergänzendeVorschläge zu machen, wie wir mehr Arbeitslose wiederin Arbeit bringen. Das vermisse ich bei Ihnen.
Dazu waren Sie anscheinend auch nicht in der Lage, dennich stelle fest, Sie haben seit anderthalb Jahren Ihre unge-ordneten Finanzverhältnisse zu ordnen versucht. Dies istdraußen bei den Menschen angekommen, aber es ist Ih-nen bis heute auch noch nicht gelungen.
Vielleicht können wir das morgen noch vertiefen. Aberwir werden auf dem von uns aufgezeigten Weg zumWohle der arbeitslosen Menschen weitergehen. Wir wer-den uns durch Sie nicht beirren lassen.
Das Worthat jetzt die Kollegin Dagmar Wöhrl von der CDU/CSU.Dagmar Wöhrl (von der CDU/CSU mitBeifall begrüßt): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kol-leginnen, liebe Kollegen! Die gestrigen Arbeitsmarktzah-len reihen sich in eine ganze Serie schlechter Nachrichtenein. Minister Eichel musste vor zwölf Tagen seine Wachs-tumsprognose von 2 ¾ auf 2 Prozent korrigieren. Der IWFspricht sogar von 1,9 Prozent. Das ist schon bedenklich,vor allem wenn man daran denkt, dass Beschäftigung erstab 2 Prozent Wachstum wieder greifen soll.Zeitgleich hat das Bundesamt für Statistik die Infla-tionsrate für April festgelegt: 2,8 Prozent, meine liebenDamen und Herren.
2,8 Prozent! Als Sie an die Regierung gekommen sind,gab es eine Inflationsrate von 0,7 Prozent! Gestern erfuh-ren wir, dass am Arbeitsmarkt totale Stagnation herrscht.Dass das Arbeitsvolumen in Stunden gerechnet seit 1999stagniert, wissen wir ja inzwischen, aber dass inzwischenauch kein Arbeitslosigkeitsabbau mehr stattfindet, ist neu.Wenn man sieht, dass es im April saisonbereinigt sogar ei-nen leichten Zuwachs von 6 000 Arbeitslosen gibt, wissenwir leider, wohin der Zug mit Ihnen geht.Aber was sagt die Regierung dazu? Das sei überhauptkein Grund zur Beunruhigung. Ich glaube aber, Sie solltenschon ein bisschen beunruhigt sein, vor allem, wenn Sieauch Ihr Ziel erreichen wollen, auf unter 3,5 Millionen Ar-beitslose zu kommen. Denn Ihre Tricks vom April 1999, dieStatistik mit den 630-Mark-Jobbern zu verändern, könnenSie nicht beliebig wiederholen. Das wissen Sie ja auch.
Aber Sie denken sich natürlich, Gott sei Dank, was solldas, wir haben ja noch die Demographie. Sicher haben SieRecht, Sie haben die Demographie. Die wird Ihnen auchhelfen. Das IAB Nürnberg hat festgestellt, dass allein1999/2000 nur aufgrund der Demographie die Zahl der Ar-beitslosen um 436 000 geringer geworden ist. Sie werdensich auch sagen: Ach Gott, was soll’s, Gott sei Dank habenwir auch noch die AB-Maßnahmen. Dann werden wir se-hen, was Sie vor der Wahl in diesem Zusammenhang ma-chen. Das wird auch nicht beliebig zu erhöhen sein.
1,7 Millionen Menschen sind momentan in Deutschlandin arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen aller Art. 45 Mil-liarden DM lassen Sie sich das momentan pro Jahr kosten.Wir wissen, dass das leider ein ineffizientes Mittel ist, einineffizientes Mittel!
Nur 15 Prozent werden vermittelt, und ein Viertel brichtab. Von den Folgekosten, weil sie jetzt einen Anspruch aufArbeitslosengeld haben, und von den Auswirkungen aufden Mittelstand will ich in diesem Zusammenhang garnicht werden.Sie machen es sich hier natürlich sehr leicht. Sie sagen:Ja, wir sind überhaupt nicht schuld. Schuld ist, was dasWirtschaftswachstum angeht, das Ausland, sind außen-wirtschaftliche Einflüsse: Amerikas Wirtschaftsschwäche,Japans Wirtschaftsschwäche. Sicher stimmt das in einemgewissen Rahmen. Aber das erklärt nicht, warum wir im-mer Schlusslicht sein müssen. Letztes Jahr waren wirtrotz unseres guten Wirtschaftswachstums von 3 ProzentSchlusslicht in Europa. Es waren nur noch Portugal undItalien schlechter. In diesem Jahr aber sind wir wirklichder „Champion“: Wir bilden mit unserem Wirtschafts-wachstum in Europa nämlich das Schlusslicht. Das isteine Schande, denn so etwas hat es bis jetzt überhauptnoch nicht gegeben. Wir werden dieses Jahr das erste Maldie rote Laterne von Europa bekommen.
Da nützt es Ihnen nichts, wenn Sie sich hinter außen-wirtschaftlichen Einflüssen verstecken. Die britische Öko-nomie zum Beispiel ist von den USA genauso abhängigwie wir, aber dort wurden Gegenmaßnahmen ergriffen.
Diese fehlen bei Ihnen. Sie machen eine verfehlte Wirt-schaftspolitik, eine verfehlte Steuerpolitik und eine verfehlteArbeitsmarktpolitik – keine Korrekturen, keine Reformen,wie sie unsere Nachbarn auf den Weg gebracht haben.Deregulierung wäre notwendig. Was machen Sie? –Regulierung: bei den 630-Mark-Jobs, beim Rechtsan-spruch auf Teilzeit, beim Betriebsverfassungsgesetz, umhier nur einige Beispiele zu nennen.
Diese Gesetze, die Sie in letzter Zeit auf den Weg gebrachthaben, werden nicht dazu beitragen, die Wirtschaft undden Arbeitsmarkt wieder nach vorne zu bringen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2001
Wolfgang Grotthaus16249
Eine Steuerreform, die dem Mittelstand schadet, demWachstumsmotor, der Arbeitsplätze schaffen soll; eineÖkosteuer, die die Binnenkonjunktur abwürgt; Sie schaf-fen es nicht, die Sozialversicherungsbeiträge unter40 Prozent zu bringen, was Sie versprochen haben;
eine Investitionsquote auf dem Tiefstand von 12 Prozent,das sind Ihre Zahlen, und zwar die richtigen Zahlen.
Ihr allergrößter Schwachpunkt ist Ihre Arbeitsmarkt-politik. Da tut sich nämlich überhaupt nichts; da ist nurStagnation. Wir haben einen „mismatch“, wie es ihn bisjetzt noch nie gab: auf der einen Seite Arbeitslose, auf deranderen Seite Firmen, die Leute suchen. Wie Sie diesenMissstand zukünftig beseitigen wollen, müssen Sie ersteinmal erklären.Wir haben einen deutschen Arbeitsmarkt, der hoff-nungslos überreguliert ist.
– Sie sind inzwischen drei Jahre an der Regierung, lieberHerr Kollege.
Gehen Sie endlich die strukturellen Reformen am Ar-beitsmarkt an; denn sonst werden Sie es nicht schaffen,mehr Beschäftigung zu erreichen, vor allem nicht, wennsich die Konjunktur nach unten entwickelt.Vielen Dank.
Für die
Bundesregierung hat jetzt der Parlamentarische Staatsse-
kretär Gerd Andres das Wort.
G
Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Diese Debatten scheinen in jeder Sit-zungswoche mehr dadurch ausgezeichnet zu sein, dassman sich hier einen Schaukampf liefert und sich auf dieArgumente der anderen eigentlich überhaupt nicht mehreinlässt. Frau Wöhrl, ich weiß nicht, woran es liegt. MeinKollege Brandner hat Ihnen eben die aktuellen Zahlenvon Eurostat genannt.
– Da kommt der Zwischenruf „selbst gefälscht“. WissenSie was, mein Herr? Diese Debatte hat ein Niveau ange-nommen, dass einem ganz übel werden kann!
Ich lese die Zahlen noch einmal ganz langsam, zumMitschreiben, vor, Frau Wöhrl – Sie können sie glauben,Sie können es auch sein lassen –:
In der Euro-Zone beträgt die durchschnittliche Arbeitslo-sigkeit 8,4 Prozent, in der EU der 15 liegt sie bei 7,8 Pro-zent und, nach den gleichen Quoten gerechnet, inDeutschland bei 7,7 Prozent. Vielleicht können Sie dasProtokoll ja noch korrigieren. Schlechter als wir liegenFrankreich, Finnland und Spanien. Selbst die Fakten, dieSie vorgetragen haben, stimmen also nicht.
Der zweite Punkt. Ich finde es unglaublich, wie hier in-zwischen über bestimmte Instrumente geredet wird. Danenne ich einmal Frau Schnieber-Jastram. Was sie hierüber das Jugendsofortprogramm vorgetragen hat, istschlicht eine Bodenlosigkeit.
Es ist eine Bodenlosigkeit, zu sagen, diese Programmehätten nur einen Rückgang der Zahl der jugendlichen Ar-beitslosen um 20 000 gebracht.
– Hören Sie doch auf zu schreien, hören Sie einfach malzu.Ich nenne Ihnen zwei Zahlen. Wer so etwas behauptet,muss einfach einmal zur Kenntnis nehmen, dass wir ge-genwärtig 29251 junge Menschen in Eingliederungs-maßnahmen im ersten Arbeitsmarkt mit Lohnkostenzu-schüssen haben. Er muss zur Kenntnis nehmen, dass wirgegenwärtig 18 291 junge Menschen in Maßnahmen deraußerbetrieblichen Ausbildung haben. Sie sollten sicheinmal die Frage stellen, wo eigentlich, wenn wir diesesProgramm nicht gemacht hätten, gegenwärtig diese bei-den Gruppen von jungen Menschen wären. Eine solcheVerfahrensweise wie die Ihre nenne ich zynisch!
Sie können hier erzählen, was Sie wollen. Sie könnenauch in jeder Sitzungswoche eine Aktuelle Stunde zu die-sem Thema beantragen. Es macht große Freude, sich mitIhnen auseinander zu setzen. Frau Wöhrl, ich würde Ihnenübrigens empfehlen, das Protokoll der Fragestunde nach-zulesen. Sie waren ja nicht anwesend.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2001
DagmarWöhrl16250
Da bekommen Sie viele praktische Hinweise.An einem Punkt kommen Sie nicht vorbei: Im letztenJahr Ihrer Regierungsverantwortung war die Arbeitslosig-keit in Deutschland mit mehr als 4,8 Millionen arbeitslosgemeldeten Menschen auf dem historischen Höchststand.
Seitdem wir regieren, gibt es eine Trendwende. Wir kön-nen Ihnen Folgendes nachweisen – Sie können das glau-ben; Sie können es auch sein lassen; das ist egal –: DieZahl der Beschäftigten hat um mehr als 1 Million zuge-nommen
und in den letzten beiden Jahren ist die ArbeitslosigkeitSchritt für Schritt gesunken. Im Jahre 1999 reduzierte siesich im Jahresdurchschnitt um 180 000 und im Jahre 2000um 210 000. In diesem Jahr werden es im Jahresdurch-schnitt auch wieder um die 180 000 oder mehr Arbeitsloseweniger sein. Daran können Sie überhaupt nichts ändern,und draußen wird das auch so wahrgenommen; das soll-ten Sie wissen.Bei Ihnen bestand ein negativer Trend: Von 1991 an istdie Arbeitslosigkeit Monat für Monat und Jahr für Jahr ummehr als 1,3 Millionen angestiegen. Die neue Regierung,die rotgrün geführte Bundesregierung, hat eine Trend-wende eingeleitet. Darauf sind wir stolz und das ist auchvernünftig.
Nun zu einem weiteren Punkt: Ich würde es für sinn-voll halten, in einen Wettbewerb darüber einzutreten, wiedie besten Wege und die besten Möglichkeiten, die Ar-beitslosigkeit zu senken, aussehen. Denn eines ist klar– daran kann keiner vorbeireden –: Die Politik kann nichtmit einem Knopfdruck 1 Million, 2 Millionen oder 3 Mil-lionen Arbeitsplätze schaffen. Wer das behauptet, redetdummes Zeug.
Die Politik kann nur eines: Sie kann dafür sorgen, dass dieRahmenbedingungen so gesetzt werden, dass wir einenmöglichst raschen Aufbau von Beschäftigung hinbekom-men und einen möglichst raschen Abbau der Arbeitslo-sigkeit erreichen.
Eines, was hier behauptet worden ist, will ich anspre-chen, damit das nicht weiter im Raum steht: Der derzei-tige Rückgang der Arbeitslosigkeit ist nicht auf die De-mographie zurückzuführen, Frau Wöhrl.
– Es wäre doch Quatsch, das zu leugnen.
Selbstverständlich ist der Rückgang zum Teil auf dieDemographie zurückzuführen. Aber auf der anderen Seitehat das Erwerbstätigenpotenzial zugenommen. Frauen,die vorher nicht arbeitslos gemeldet waren, haben ver-mehrt Beschäftigung gesucht und sind zusätzlich Teil desArbeitsmarktes geworden.
Wir erleben die Situation, dass die Zuführung aus dieserso genannten stillen Reserve deutlich über dem liegt, wasder demographische Faktor in diesem Bereich ausmacht.Darauf sind wir stolz.Jetzt haben wir ein Problem, über das man offen spre-chen kann: Trotz wachsender Beschäftigung besteht einesich verstetigende Langzeitarbeitslosigkeit – da müssenwir etwas tun – und trotz wachsender Beschäftigung gehtuns der Rückgang der Arbeitslosigkeit nicht schnell ge-nug, wobei ich hoffe, dass er uns allen nicht schnell genuggeht. Möglichkeiten zu finden, wie man die Arbeitslosig-keit deutlicher reduzieren und für mehr Beschäftigungsorgen kann, das sind spannende Fragen in der Politik.Damit komme ich zu einer PDS-Position, über die wirschon einmal am 5. April dieses Jahres diskutiert haben:Erstens hat der Bundeskanzler nicht alle Arbeitslosen zuFaulenzern erklärt. Wer das hier an diesem Pult behaup-tet, sagt die Unwahrheit. Ich bitte Sie ausdrücklich, HerrGrehn, sich noch einmal über die genauen Worte desBundeskanzlers zu informieren. Zweitens muss man wis-sen, dass jede Politik in diesem Bereich damit beginnt, zusagen, was ist. Jede Wahrheit muss auf den Tisch. Darü-ber müssen wir reden und wir müssen darüber streiten,welche Wege und welche Möglichkeiten es gibt, die be-stehende Situation zu ändern.
– Sie können darüber streiten, wie Sie wollen. Ich bitte Sieherzlich um eine sachlich vernünftige Form.Wir haben ein paar Probleme, die man offen benennenkann: Bis zum Jahre 2006 wird in den neuen Bundeslän-dern die Zahl der jungen Menschen, die aus den Schulsys-temen entlassen werden, steigen. Trotz kräftiger Anstren-gungen, die Jugendarbeitslosigkeit dort zu bekämpfenund Maßnahmen auf den Weg zu bringen, müssen wir unsdarum kümmern, dass die jungen Leute eine Ausbildungbekommen. Da hat als Erstes die Wirtschaft eine Ver-pflichtung, weil die Wirtschaft aus denjenigen besteht, dieauf dem dualen Markt Ausbildungsplätze zur Verfügungzu stellen haben.
Als Zweites ist der Staat gefordert. Wir tun viel überProgramme des Bundes, zum Beispiel über unser Jugend-sofortprogramm, und zusammen mit den Ländern. Das istauch richtig so.Wir müssen uns über eine zweite Position unterhalten:Wie können wir die Vermittlung von Arbeitsplätzen pass-genauer machen? Die auch als „mismatch“ bezeichnete
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Parl. Staatssekretär Gerd Andres16251
Situation ist festzustellen. Das wissen auch alle Fachleute.Wir müssen Reformen auf den Weg bringen. Wir müssendafür sorgen, dass bestimmte Instrumente der aktiven Ar-beitsmarktpolitik so eingesetzt werden können, dass siedas Entstehen von Langzeitarbeitslosigkeit verhindern.Alles auf die Beschäftigung im ersten Arbeitsmarktausrichten, das ist der erste Grundsatz. Der zweite Grund-satz heißt: alles tun, um Qualifikation bei den Menschenzu erhalten, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind,
und alles tun, um die Rahmenbedingungen für mehrWachstum zu setzen. Dies kann aber die Arbeitsmarktpo-litik nicht allein. Wir müssen über weitere Stufen derSteuerreform, wirtschaftliches Wachstum, Maßnahmender Wirtschaftspolitik sowie Maßnahmen der Infrastruk-tur- und Strukturpolitik dafür sorgen, das Problem derMassenarbeitslosigkeit, das wir für ein Kernproblem hal-ten, in den Griff zu bekommen. Wir wollen die Massen-arbeitslosigkeit senken. Daran hält diese Regierung fest.Auf diesem Kurs machen wir unbeirrbar weiter.Schönen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Als
nächster Redner hat der Kollege Peter Rauen von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Ich stimme HerrnStaatssekretär Andres ausdrücklich darin zu,
dass wir beim Thema Arbeitsmarkt, wo es um Beschäfti-gung, um Arbeitsplätze, um Arbeitslosigkeit geht, sehrernsthaft miteinander reden. Aber wir müssen dabei auchdie Wahrheit darüber sagen, was wirklich los ist:Als Schröder im Frühjahr 1998 Kanzlerkandidat wurde,hat er in einem Anflug von Größenwahn den damaligenAufschwung als seinen Aufschwung bezeichnet. Das warnatürlich Unfug. Der Arbeitsmarkt ist so etwas wie einschwerer Tanker, der nur zeitversetzt dreht. Ich glaube aber,wir sind uns darüber einig, dass sich dieser Kanzler, der mitseinen Erfolgen am Arbeitsmarkt gemessen werden wollte,all das vorhalten lassen muss, was ab Januar 1999 in die-sem Bereich vor sich gegangen ist. Deshalb müssen wir mitdem Märchen aufräumen, dass diese Regierung auf demArbeitsmarkt in Deutschland erfolgreich ist.Ich habe Ihnen eine Grafik mitgebracht. Sie zeigt deut-lich, dass die Zahl der Arbeitslosen in der Zeit von 1999bis 2001 um 390 000 zurückging.
Im gleichen Zeitraum ging die Zahl des Erwerbsperso-nenpotenzials um 435 000 zurück, und zwar deshalb, weilmehr alte Menschen in den Ruhestand gegangen als jungeMenschen in das Erwerbsleben eingetreten sind. Ohneden Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials hätten wirbeim Abbau der Arbeitslosigkeit überhaupt keine Erfolgezu verzeichnen.
Das gehört schlicht und einfach zur Wahrheit dazu.Aus meiner Sicht ist eines noch viel gravierender: Ichfrage mich oft, wie in der Öffentlichkeit der Eindruck ent-stehen konnte, dass diese Regierung auf dem Arbeits-markt Erfolg hätte. Ich weiß mittlerweile, warum
– Herr Brandner, hören Sie auf zu stören; Sie können dieWahrheit nicht vertragen; hören Sie jetzt einfach einmal zu,
ich habe Ihnen auch zugehört – , nämlich durch die Um-stellung der Zählweisen sowohl bei den Beschäftigten alsauch bei den Arbeitslosen. Das hat von April 1999 bis zumJanuar dieses Jahres gedauert. Die Zählweisen wurdenumgestellt. Heute werden bei der Ermittlung der Zahl derBeschäftigten die 630-Mark-Jobs mitgezählt, was frühernicht der Fall war.
Es werden auch die Teilzeitbeschäftigten mitgezählt, wasfrüher nicht der Fall war. Es werden auch die Teil-Teil-zeitbeschäftigten mitgezählt, also etwa Studentenjobswährend der großen Ferien, die früher nicht mitgezähltwurden.
Dadurch ist die Zahl der Beschäftigten größer, das istwahr. Dagegen werden die über 58-Jährigen, die arbeits-los sind, nicht mehr zu den Arbeitslosen hinzugezählt,was früher selbstverständlich der Fall gewesen ist.Die Quintessenz daraus ist – das wissen wir seit langerZeit, es wird nur noch nicht von der Öffentlichkeit wahr-genommen, was sich aber angesichts der Presse der letzten14 Tage ändern wird, da bin ich mir sicher –, dass der Ar-beitsmarkt in Deutschland zum Erliegen gekommen ist.
– Sehen Sie, jetzt stöhnen Sie.Ich habe eine zweite Grafik mitgebracht, auf der Siedie für die Konjunktur entscheidende Zahl der geleistetenArbeitsstunden erkennen können. Von ihnen werden Steu-ern und Sozialversicherungsbeiträge gezahlt. In Erwerbs-tätigenstunden gerechnet hatten wir 1997 und 1998 einenAufschwung, während der Arbeitsmarkt, wiederum in Er-werbstätigenstunden gerechnet, seit 1999 zum Erliegengekommen ist.
– An diesen Fakten kommen Sie nicht vorbei.
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Parl. Staatssekretär Gerd Andres16252
Ich sage Ihnen voraus, dass das von Schröder prognos-tizierte Ziel von Ihnen nicht erreicht werden wird.
Wir sind in Europa im Hinblick auf Wachstum die Fuß-kranken; davon hat Frau Wöhrl gesprochen. Wir sind dieFußkranken im Hinblick auf die Zunahme von Beschäfti-gung.
Wir sind die Fußkranken im Hinblick auf die Abnahmeder Arbeitslosigkeit in Europa. Wir haben das geringsteWachstum.Das wundert mich nicht, aber ich sage Ihnen voraus,dass es noch schlimmer werden wird. Wir hatten im letz-ten Jahr ein Phänomen, das noch gar nicht genug beach-tet wird: Zum ersten Mal seit vielen Jahren war das realeWachstum höher als das nominale Wachstum. Das gab eszuletzt 1953 nach der Koreakrise, davor 1930 nach derWeltwirtschaftskrise.Ich habe die Regierung angeschrieben und gefragt, wiesie sich dazu stellt. In der Antwort wird klar festgestellt,dass es der Wahrheit entspricht, dass die Firmen inDeutschland, die nicht am Export hängen und nicht überGrenzen hinweg operieren können, sondern auf den Bin-nenmarkt angewiesen sind, im letzten Jahr keine Chancehatten, die Mehrkosten aufgrund der Energiepreisverteue-rung in eigenen Preisen weiterzugeben. Das hat natürlichverheerende Wirkungen auf die Gewinnsituation dieserFirmen. Das hat mir Ihre Regierung bestätigt.Meine Damen und Herren, ich rede hier nicht wie einBlinder von der Farbe. Ich bin seit 35 Jahren Unterneh-mer. Ich habe noch niemals eine so desolate Situation inder Bauwirtschaft wie gegenwärtig erlebt. Das Schlimmeist, dass man kein Licht am Ende des Tunnels sieht. Glau-ben Sie mir eines: Die wirtschaftswissenschaftlichenInstitute, deren Wachstumsprognosen ohnehin schonschlecht genug sind, haben keinen Einblick in die Herzenund Denkweisen von 3 Millionen Selbstständigen.
Herr Kol-
lege Rauen, kommen Sie bitte zum Schluss.
Die Lage des Mittelstan-
des in Deutschland ist wesentlich schlechter als die Stim-
mung, die diesbezüglich regierungsamtlich verkündet
wird. Ich sage Ihnen voraus: An dem großen Ziel, auf
dem Arbeitsmarkt Erfolge zu haben, wird Schröder
scheitern; denn wer eine Steuer- und Regulierungspolitik
gegen den Mittelstand und gegen Arbeitnehmer macht,
kann arbeitsmarktpolitisch nichts gewinnen. Darüber
werden wir uns an dieser Stelle noch einige Male in die-
sem Jahr sprechen.
Danke schön.
Das Worthat jetzt der Kollege Werner Schulz vom Bündnis 90/DieGrünen.Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es istgut, Kollege Rauen, dass Sie wieder ein bisschen Sach-lichkeit in die Debatte gebracht haben. Ich war mir nichtganz sicher, ob Ihre Kollegin Schnieber-Jastram hier mehrüber Fußball reden wollte. Dass sie nach ihrem Anpfiffder Bundesregierung und ihrem kurzen Einwurf gleichwieder in der Kabine verschwunden ist, ist, ehrlich gesagt,etwas befremdlich.
Gerade eine Oppositionsvertreterin, die immer Wert da-rauf legt, dass die Regierungsvertreter anwesend sind,sollte nicht unmittelbar nach ihrem Redebeitrag den Saalverlassen. Aber ich will mich an diesem Punkt nicht fest-beißen.
– Trotzdem hat das ein „Gschmäckle“.Lassen Sie mich auf das eigentliche Thema zu spre-chen kommen. Herr Kollege Rauen, in Ihrer Grafik fehlteigentlich eine Kurve, ohne die man die Sache nicht nüch-tern und sachlich diskutieren kann: der Anstieg der Er-werbstätigen, den Sie hier als unrealistische Zählweiseabgetan haben.
– Fakt ist, dass viele dieser 630-Mark-Jobs in reguläre Be-schäftigung umgewandelt worden sind.
– Doch, aus jeweils zwei oder drei dieser Jobs sind re-guläre Beschäftigungsverhältnisse entstanden.
Dieser Effekt hat durchaus damit zu tun, dass wir seit derRegierungsübernahme im Herbst 1998 eine andere Poli-tik eingeleitet haben.
Im Januar 1998 waren Sie bei 4,8 Millionen Arbeitslo-sen angelangt. Das heißt, Sie waren näher an der Fünf-millionengrenze als an der Viermillionengrenze. Die Hal-bierung der Arbeitslosigkeit, von der Helmut Kohlgesprochen hat, hätten wir beinahe wie folgt erreicht:2 Millionen im Osten, 2 Millionen im Westen.
– Nein, ich greife nur einmal die Schlagworte aus dieserZeit auf. Eines dieser Schlagworte war beispielsweise die
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Peter Rauen16253
private Arbeitsvermittlung. Damit komme ich auf die ge-niale, grandiose Arbeitsmarktpolitik der F.D.P. Sie hattenin den 90er-Jahren das Arbeitsvermittlungsproblem ent-deckt; daran kann ich mich bestens erinnern. Plötzlichwurde die Arbeitsvermittlung privatisiert,
weil die verkrusteten Arbeitsämter angeblich nicht mehrin der Lage waren, die vielen, vielen Arbeitsplätze zu ver-mitteln.Was war denn der Erfolg Ihrer großartigen Vermitt-lungspolitik? – 4,8 Millionen Arbeitslose im Januar 1998!Das muss man festhalten.
– Da können Sie reden, was Sie wollen.
In der Regierung Kohl wurde mehr Energie für dasSammeln von Spenden als für den Abbau der Arbeitslo-sigkeit aufgebracht.
Das konnte man in gewissem Umfang miterleben.Wir können uns natürlich relativ schnell darüber einigwerden, dass die Arbeitslosigkeit dennoch zu hoch ist.Das erfreut hier niemanden. Wir können uns möglicher-weise auch sehr schnell einig darüber werden, dass diewirtschaftliche Lage und die Weltkonjunkturentwicklungdarauf Einfluss haben.
– Ich freue mich, dass ich so belebend auf Sie wirke. IhreSeite war ja schon fast am Einschlafen.
– Herr Niebel, können Sie mal damit aufhören? KriegenSie sich wieder ein?
– Sie hätten beantragen sollen, noch einmal fünf MinutenRedezeit zu bekommen.Wir haben eine Wirtschaftslage, die im Vergleich zuder in den USAund in Japan und im Vergleich zum Welt-handel, der sich in diesem Jahr von 12 Prozent auf 7 Pro-zent verringert hat, die im Vergleich mit dem Weltsozial-produkt, das von 4,8 Prozent auf 3 Prozent zurückging,nicht schlecht ist. Aus weltwirtschaftlicher Sicht istinsgesamt eine Abschwächung der Konjunktur zu ver-zeichnen.2 Prozent Wirtschaftswachstum in Deutschland sindfür ein entwickeltes Industrieland gar nicht so schlecht.Sie hatten in den 90er-Jahren eine Steigerung des Brut-toinlandsprodukts von 1,4 Prozent, und das mit einem rie-sigen Konjunkturprogramm, das in Ostdeutschland vieleFehlallokationen von Kapital hinterlassen hat.
Die Probleme, die wir heute in der Bauwirtschaft haben– beispielsweise die Überkapazitäten, die Arbeitslosig-keit, die dadurch in Ostdeutschland entstanden ist –, ha-ben viel mit den hochrentierlichen Staatsanleihen zu tun,mit denen der Bauboom ausgelöst worden ist. Das mussman doch im Hinblick auf diese 1,4 Prozent deutlich ma-chen. Darüber sollten wir streiten, wenn es darum geht,über den Abbau von Arbeitslosigkeit zu reden. – Sie wis-sen übrigens, dass unterhalb von 3 Prozent Wirtschafts-wachstum die Effekte auf den Arbeitsmarkt ohnehin nichtso großartig ausfallen.Wir sollten darüber sprechen, was die Regierung ge-rade im Bereich der Tarifvereinbarungen getan hat: Wirhaben moderate Tarifvereinbarungen erreicht. Das Klimaauf dem Arbeitsmarkt hat sich dadurch entspannt. Die Ar-beitszeit hat sich um 1,4 Prozent verringert. Das alles hatzu dieser schrittweisen Abnahme der Arbeitslosigkeit ge-führt. Das Ziel, die Zahl der Arbeitslosen auf 3,5 Milli-onen zu senken, ist sicherlich ehrgeizig und anspruchs-voll,
aber auch realistisch. Es ist nicht, wie Sie, Herr Rauen, be-haupten, nur auf dem Wege demographischer Schönrech-nerei zu erreichen.
Nein, viele Menschen in diesem Land haben es erlebt:Es hat neue Arbeitsplätze gegeben, es gibt eine verbes-serte Stimmung in diesem Lande. Dies hat sich in der Sta-tistik für den Westen der Bundesrepublik ausgedrückt.Die Statistik für den Osten Deutschlands ist komplizier-ter; ich müsste mehr Zeit haben, um das genauer zu ana-lysieren. Aber auch dort sind in einer gewissen Weise po-sitive Effekte feststellbar.Insgesamt sind wir auf dem richtigen Weg, auch wennunsere Hoffnungen noch höher gesteckt waren.
Alsnächster Redner hat der Kollege Johannes Singhammervon der CDU/CSU-Fraktion das Wort.Ich höre, dass Sie heute Geburtstag haben, HerrSinghammer. Ich gratuliere Ihnen herzlich.
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Werner Schulz
16254
Danke. – Es
geht mir heute gut. Es fällt mir direkt schwer, jetzt den
richtigen kritischen Ton zu finden.
Ich werde mich aber überwinden.
Nach diesen rechthaberischen Vorträgen von Ihnen,
H
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese Bundesregie-rung hat ihr Minimalziel, die Arbeitslosigkeit in zweiein-halb Jahren um 500 000 zu senken, nicht erreicht.
Ohne die Konjunkturlokomotiven Bayern, Baden-Würt-temberg,
Hessen, Sachsen und Thüringen gäbe es auf dem Arbeits-markt eine Katastrophenbilanz.
Sie hatten von Anfang an nicht einmal eine Vision. Siehaben sich nicht einmal ein ehrgeiziges Ziel gesteckt. Siehaben lediglich gesagt, Sie wollten 500 000 Arbeitsloseweniger. Ich sage Ihnen: Selbst ohne irgendetwas zu tun,selbst wenn Sie alle in die Toskana fahren und dort Urlaubmachen, wird die Zahl der Arbeitslosen innerhalb dieserLegislaturperiode um 500 000 sinken – eben aufgrund derdemographischen Entwicklung.
Weil diese Bilanz so schlecht ist, weil der Arbeitsmarktzum Stillstand gekommen ist, ist es eine besondere Schänd-lichkeit, jetzt Nebelkerzen zu zünden, von den Problemenabzulenken und plötzlich das Verhalten der Arbeitslosenunter einen Pauschalverdacht zu stellen. Das ist schäbig.
Natürlich gibt es unter den Arbeitslosen jene, die zu UnrechtLeistungen beziehen. Für diese haben auch wir keinerlei Ver-ständnis; sie müssen dem Arbeitsmarkt zugeführt werdenoder mit Leistungskürzungen rechnen. Aber einen Pauschal-verdacht auszusprechen und auf diese Weise eine „Faulen-zer“-Diskussion zu beginnen, das nenne ich ungerecht.Wo soll denn zum Beispiel der 55-Jährige, der ausge-gliedert worden ist
und der sich seit Jahren bemüht, wieder eingegliedert zuwerden, einen Arbeitsplatz finden? Das ist in bestimmtenBranchen einfach nicht möglich. Und wie wollen Sie ei-ner jungen, allein erziehenden Mutter, die keine Unter-bringungsmöglichkeit für ihr Kind findet,
gerechterweise vorhalten, sie müsse sich mehr um einenArbeitsplatz bemühen?
Wenn Sie uns als Opposition nicht glauben, dann hörenSie wenigstens auf das, was die EU-Kommission und derEuropäische Rat – auf Empfehlung der Kommission – vorwenigen Tagen festgestellt haben. Der Rat hat in seinemJahreszeugnis, das den Mitgliedstaaten der EuropäischenUnion für ihre Beschäftigungspolitik erteilt wird, in Bezugauf Deutschland konstatiert: Die Quote der Langzeitar-beitslosen ist unverändert hoch, die Gesamtbelastung derArbeit ist weiterhin eine der höchsten in der EuropäischenUnion und der Anteil der Erwerbstätigen in der Alters-gruppe zwischen 50 und 64 Jahren ist gering. Die Kom-mission und der Rat empfehlen dieser Bundesregierungnach umfangreichen Konsultationen eine weitere Verrin-gerung der Steuer- und Abgabenbelastung sowie dasSchließen von Qualifikationslücken auf dem Arbeits-markt.
Das sollten Sie tun. Diese Empfehlung der Kommissionund des Rates ist eine Bankrotterklärung für Ihre Wirt-schaftspolitik. Die aufgezählten Punkte sind auch die Ur-sache dafür, dass sich die Arbeitslosenzahlen nicht in derWeise entwickeln, wie wir es uns wünschen.Deutschland hat im Konjunkturzug der EU mittler-weile die rote Laterne übernommen. Für dieses Jahr wirdals Wirtschaftswachstum prognostiziert: Niederlande3,4 Prozent, Spanien 3,2 Prozent, Belgien 3 Prozent,Frankreich 3,9 Prozent, Italien 2,5 Prozent – und Deutsch-land nur noch 2,1 Prozent, mit fallender Tendenz. Daslässt nichts Gutes erwarten. Deshalb sind statt dummerSprüche mehr Konjunkturdampf und echte Reformen ge-fragt.
– Wie war denn das mit dem Bundeskanzler noch im Ja-nuar dieses Jahres? Da hat er plötzlich davon gesprochen,er wolle die Zahl der Arbeitslosen um 1 Million abbauen.Eine halbe Stunde später hat ihn der Regierungssprecherkorrigiert und gesagt: Mit dem, was der Bundeskanzlergesagt hat, war eine halbe Million gemeint. – Das meineich mit „dummen Sprüchen“.
Was für den Arbeitsmarkt nötig ist, sind eine echteWirtschaftsreform, eine echte Steuerreform und ein ech-tes Ankurbeln der Konjunktur.
Dann wird die Zahl der Arbeitslosen abnehmen, mit IhrerPolitik nicht.
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Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Andrea Nahles von der
SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident!Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen undKollegen von der CDU, lirum, larum, Löffelstiel:
Ehe man sich versieht, wird auf einmal aus der besten Ar-beitslosenzahl im April seit 1995 eine Riesenkatastropheauf dem Arbeitsmarkt.
Aber mit dieser Zahlenmeierei können Sie in Wirklichkeitnicht überzeugen.
Sie schaffen weder Klarheit noch nennen Sie Lösungs-ansätze, wie wir die Arbeitslosigkeit bekämpfen können.
Sie, Herr Grehn,
haben heute außer der Dramatisierung einer, wie auch ichfinde, bedrückenden Situation keine konstruktiven Vor-schläge gemacht.
Insoweit kann ich nur sagen, dass wir mit unserer Bilanztrotz der Konjunkturdelle sehr gut dastehen. Wir haben imWesten die niedrigsten Arbeitslosenzahlen seit 1993. Dasist ein Fakt. Wir haben – damit kommen wir dem Problemein Stück näher – Gleiches in Ostdeutschland bis zum jet-zigen Zeitpunkt nicht erreichen können. Es gibt keine Ver-schlechterung, aber eine Stagnation. Deswegen ist es er-forderlich, dass wir mit unseren Anstrengungen nichtnachlassen.Wahr ist, Herr Grehn: Kein Recht auf Faulheit gibt esnur bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Dies giltaber für alle. Dies gilt für diejenigen, die Arbeit suchen.In ihrem eigenen Interesse müssen wir dafür sorgen, dasssie ihre Chancen nutzen und bei der Arbeitssuche aktivbleiben.Das gilt aber auch für die Unternehmen. Auch sie ha-ben kein Recht, sich auszuruhen. Wir müssen klarmachen,dass auch von ihrer Seite weitere Anstrengungen erfor-derlich sind. Gleiches gilt natürlich auch für die Länderund die Bundesregierung.Wir haben eine Verstetigung der Mittel der Arbeits-marktpolitik auf hohem Niveau erreicht. Wir haben dasJUMP-Programm aufgelegt. Wir haben durch die Sen-kung der Lohnnebenkosten 15 Milliarden DM an Ent-lastung für den Mittelstand erreicht. Dies kommt den Un-ternehmen zugute. Damit haben wir sie befähigt, Arbeits-plätze zu schaffen.
Hier wird die Mittelstandspolitik kritisiert. UnsereDe-facto-Abschaffung der Gewerbesteuer bringt den klei-nen und mittleren Betrieben in diesem Jahr 13,7 Milli-arden DM an Entlastung, verehrte Damen und Herren vonder Opposition.
Wir ruhen uns auf diesen Lorbeeren nicht aus. Wir wol-len die SGB-III-Reform auf den Weg bringen. Wir werdendie Qualifizierung in den Vordergrund stellen. Wir wollennicht höhnisch über Kosten und Rechenschieberei reden,wie Sie, Frau Wöhrl, das getan haben. Sie als Unterneh-merin sind doch auf qualifiziertes Personal angewiesen.Deswegen wundere ich mich, dass Sie für die Qualifizie-rung nichts tun wollen. Qualifizierung bedeutet eben nichtnur eine Finanzierung durch den Bund, sondern auchdurch die Unternehmer. Sie sollten es im Gegenteil be-grüßen, dass wir endlich in die Gänge kommen und dasschaffen, was Ihnen nicht gelungen ist.
Wir werden im Rahmen der SGB-III-Reform berück-sichtigen müssen, dass es Regionen gibt, die aufgrund derArbeitslosenzahlen keine Unterstützung mehr brauchen,sondern wo es an fähigen Leuten fehlt. Das ist die eineSeite. Auf der anderen Seite gibt es Regionen, in denen esauf absehbare Zeit – da können wir uns auf den Kopf stel-len – eine öffentliche Förderung geben muss und eine guteArbeitsmarktpolitik vonnöten sein wird. Das ist leidervielfach im Osten der Fall.Deswegen werden wir keine Wahlkampf-ABM schaf-fen. Wir werden vielmehr durch eine Infrastrukturpolitik,durch eine gezielte Arbeitsmarktpolitik, die sich den Re-gionen, die wirklich Unterstützung brauchen, auch an-passt, versuchen zu verstetigen, auszubauen und präziseArbeitsmarkthilfen zu leisten.
Lassen Sie mich als Letztes noch Folgendes sagen. Ichwundere mich immer darüber: Sie haben die höchste Ju-gendarbeitslosigkeit hinterlassen, die es in der Bundesre-publik Deutschland jemals gab, und Sie haben gegendiese Jugendarbeitslosigkeit nichts unternommen. Wirhingegen haben ein Sonderprogramm zur Bekämp-fung der Jugendarbeitslosigkeit aufgelegt und damit300 000 jungen Leuten eine neue Perspektive gegeben.
Deswegen sage ich: Sie haben keinen Anlass, uns dafür zukritisieren. Sie sollten uns vielmehr darin unterstützen,auch weiterhin für die Ausbildung und für die Bekämp-fung der Jugendarbeitslosigkeit alles Mögliche zu tun. Ichfordere Sie auf: Seien Sie konstruktiv, wenn es um dieBekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit geht! Nehmen
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 200116256
Sie sich lieber an uns ein gutes Beispiel und vergessen Siedas, was Sie unterlassen haben.Vielen Dank.
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Christa Reichard von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsi-dent! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Bei den mo-natlichen Arbeitsmarktzahlen kommt bei mir weder Freudenoch Schadenfreude auf. Der Bundeskanzler will sich anden Arbeitslosenzahlen messen lassen. Man wird ihn daranmessen, und dies besonders in den neuen Ländern.
Aber man kann ihn nicht nur an gesamtdeutschen Durch-schnittszahlen messen. Nehmen Sie doch endlich zurKenntnis, dass die deutsche Teilung auf dem Arbeitsmarktnoch lange nicht überwunden ist, und vernebeln Sie nichtmit diesen unredlichen Durchschnittszahlen die Augender Öffentlichkeit!Herr Kollege Schulz, ich habe den Eindruck, auch Siehaben den Osten schon langsam abgeschrieben. Wo bleibtdie engagierte Verteidigung, die ich aus Ihren Opposi-tionszeiten gewohnt bin?Der Abstand zwischen Ost und West vergrößert sichwieder. Reden Sie dies doch nicht mit Zweckoptimismusherunter. Krempeln Sie lieber die Ärmel hoch und küm-mern Sie sich um den Osten!
Tun Sie dies nicht mit Trostpflästerchen und einem Wirr-warr undurchsichtiger Programme oder deren Ankündi-gung. Wir brauchen einen soliden Solidarpakt II, derwirkliche Perspektiven für den weiteren Aufbau Ost gibtund damit Arbeitsplätze sichert.Wenn wir beim Thema Arbeitsmarkt im Osten zuerstan Arbeitsamt und ABM denken, halte ich das für grund-verkehrt. Was wir am dringendsten brauchen, ist die Un-terstützung des Mittelstandes hinsichtlich des gewaltigenStrukturanpassungsprozesses, in dem wir uns nach wievor noch befinden. Nur eine gesunde wachsende Wirt-schaft schafft auch neue Arbeitsplätze und kann beste-hende erhalten. Der Mittelstand braucht Luft zum Atmen.Eine Umfrage der Vereinigung der Sächsischen Wirt-schaft hat ergeben, dass die Unternehmen trotz hoher Ar-beitslosenquote zunehmend Probleme bei der Suche nachneuen Mitarbeitern haben. Der Kampf um die Köpfe hatauch bei uns begonnen.Was haben Sie denn für das Rückgrat der Wirtschaft,nämlich für den Mittelstand, in den vergangenen zweiJahren im Osten wirklich getan? Die Politik kann und sollkeine Arbeitsplätze schaffen. Die Wirtschaft findet in derWirtschaft statt. Dann lassen wir doch die Unternehmensich endlich entwickeln!
Und knebeln Sie sie nicht mit wachstumsfeindlichenÜberregulierungen! Die Überregulierung des Arbeits-marktes ist in den neuen Ländern neben der mangelndenZahlungsmoral wesentliche Ursache für die hohen Ar-beitslosenzahlen.
Die Anzahl der Unternehmen in Sachsen entspricht,auf die Einwohnerzahl bezogen, in etwa der Anzahl derUnternehmen in den alten Ländern. Aber die Unterneh-men sind viel zu klein und der Strukturanpassungsprozessist noch nicht abgeschlossen. Statt nun günstige Rahmen-bedingungen für Wachstum zu schaffen, haben Sie denKündigungsschutz verschärft und wollen nun mit der No-velle des Betriebsverfassungsgesetzes eine weitereWachstumsbremse beschließen.
Auch wir halten die Mitbestimmung für wichtig, aber wasSie einführen wollen, ist das Diktat der Großgewerk-schaften gegen den Willen der Unternehmer und der Ar-beitnehmer,
die diesen Großgewerkschaften im Osten weitgehend da-vongelaufen sind, und das aus guten Gründen.Was dabei besonders verwerflich ist: Mit all diesenMaßnahmen verfestigen Sie das Bild vom bösen Unter-nehmer. Das wurde uns in der DDR 40 Jahre lang einge-bläut. Sie sollten stattdessen mit uns gemeinsam alles da-ran setzen, diese Erblast des Sozialismus aus den Köpfenzu bringen.
Wir brauchen Unternehmer und wir brauchen Mitbe-stimmung, auch im Osten, aber auf Unternehmensebeneund mit Beteiligung an Erfolg und Risiko. Mit Ihrem Ge-setzesvorhaben vergiften Sie das Klima und bremsen Siedas Wachstum der Wirtschaft und damit das Entstehen zu-sätzlicher Arbeitsplätze.
Die ostdeutsche Wirtschaft sagt Ihnen sehr deutlich, wassie braucht: nicht vor allem Fördermittel und Sonderpro-gramme, sondern verlässliche Rahmenbedingungen,
die Wachstum zulassen.Wachstum entsteht vor allem durch Investitionen inMaschinen und Anlagen und durch Innovationen. Sie re-den viel darüber. Aber was geschieht denn? Die gut ge-starteten Inno-Regio-Projekte erstarren mittlerweile inBürokratie und es fließt kein Geld.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2001
Andrea Nahles16257
Kümmern Sie sich und missbrauchen Sie nicht denEnthusiasmus der beteiligten Menschen! Diese Projektemüssen ein Erfolg werden, um Innovation und Vernet-zung gerade in den neuen Ländern voranzubringen.Die ostdeutsche Wirtschaft braucht in Vorbereitung derEU-Osterweiterung dringend den Ausbau der Infrastruk-tur. Das gilt nicht nur, weil die ostdeutschen Länder dieneuen Länder sind, sondern auch, weil sie an der EU-Außengrenze liegen. Den guten Willen hat die Regierunghäufig geäußert. Was fehlt, sind wirkliche Planungen.Bitte legen Sie sie auf den Tisch! Gute Worte allein schaf-fen keine Perspektive.Ich kann die Arbeitslosen, die mich um Hilfe bitten,nicht damit trösten, dass sich das Problem in einigen Jah-ren von selbst erledigt: durch Abwanderung in den Wes-ten und die demographische Entwicklung. Sehen Sie bittenicht nur die Durchschnittszahlen in der Statistik! DasAusbleiben des Aufschwungs in den neuen Ländern be-lastet vor allem Frauen, junge Leute und ältere Arbeit-nehmer. Die Bundesregierung bemüht sich zwar – das er-kenne ich an –,
aber sie tut das Falsche. Das JUMP-Programm für Jugend-liche beispielsweise ist viel zu teuer. Der Einsatz ist wesent-lich zu hoch für den Erfolg, den Sie damit erreicht haben.
Frau Kol-
legin Reichard, kommen Sie bitte zum Schluss.
Vor allem
Frauen werden zunehmend in Billigjobs abgedrängt. Äl-
tere Arbeitnehmer haben kaum eine Chance. Diese Men-
schen sind nicht faul. Sie suchen Arbeit. Manche finden
sie auch, aber in der Schattenwirtschaft, der stärksten
Boombranche.
Sie müssen die Arbeitsplätze im Osten nicht zur Chef-
sache machen. Das machen die ostdeutschen Unterneh-
mer selber. Sie müssen sich nicht um alles kümmern. De-
regulieren Sie den Arbeitsmarkt! Ziehen Sie die nächste
Stufe der Steuerreform vor! Geben Sie den Menschen in
den neuen Ländern die richtigen Rahmenbedingungen!
Dann werden Sie sich über die Tatkraft und die Fantasie
der Ostdeutschen wundern, die Erfahrung darin haben,
auch aus wenig etwas zu machen.
Als
nächster Redner hat der Kollege Franz Thönnes von der
SPD-Fraktion das Wort.
Meine sehr geehrten Damenund Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Es ist schon er-staunlich, dass Sie sich hier zweieinhalb Jahre nach demRegierungswechsel so aufbauschen und Erwartungenformulieren, die Sie gerne eingelöst hätten,
die aber vor dem Hintergrund Ihrer Hinterlassenschaftvon 1,5 Billionen DM Staatsschulden, 150 000 DM Zin-sen jede Minute und 4,3 Millionen Arbeitslosen imDurchschnitt des Jahres 1998 nicht so schnell erfüllbarsind, wie Sie es gerne hätten und wie wir es gerne tun wür-den. Das muss man an dieser Stelle einmal deutlich sagen.
Sie haben in 16-jähriger Regierungszeit Mauern und Hür-den aufgebaut, die unheimlich erschweren, was die Ar-beitsmarktsituation und die Situation in der Republik ei-gentlich erfordern: Flexibilität, Mobilität und dieBereitstellung der erforderlichen Finanzmittel.
Wir sind angetreten, um Brücken für die jungen Men-schen zu bauen, die jetzt aus der Schule in die Berufsweltwollen. 1998 suchten 12 000 junge Menschen vergeblicheinen Ausbildungsplatz. Das ist die Minusbilanz, die Siehinterlassen haben. Im Jahr 2000 war es umgekehrt. Wirhatten 2 000 Ausbildungsplätze mehr, als junge Menschennachgefragt haben. Das ist ein Erfolg aus der gemeinsa-men Politik im Bündnis für Arbeit.
Das ist ein Erfolg von Gewerkschaften und Arbeitgebern.Das haben Handwerker und Handwerkerinnen und derMittelstand geleistet. Das ist nach Ihrer Regierungszeitund nicht in Ihrer Regierungszeit entstanden. Auch diessei deutlich gesagt.
Durch den Abbau der Jugendarbeitslosigkeit verschaf-fen wir jungen Menschen eine neue Perspektive. ZerredenSie das JUMP-Programm nicht. Schauen Sie nicht nur aufdie gesunkene Zahl der jugendlichen Arbeitslosen!Berücksichtigen Sie auch diejenigen, die gar nicht gemel-det waren, weil sie vorher Sozialhilfe bekommen habenund nun endlich aus der Sozialhilfe herausgeholt wordensind.
Wir haben Brücken von der Arbeitslosigkeit in die Be-schäftigung gebaut. Von April 1998 bis April 2001 hatsich die Zahl der Arbeitslosen um 560 000 reduziert. Dasist ein Erfolg, den wir uns hier nicht zerreden lassen, ge-nauso wenig wie den Erfolg, dass 1Million neuer Jobs ge-schaffen worden sind. Wenn Sie sagen, das liege an derdemographischen Entwicklung, antworte ich Ihnen: Dasstimmt. – Natürlich ist darin auch die Zahl der 630-Mark-Jobs enthalten. Aber Sie müssen sich auch an Ihre Argu-mentation erinnern, als wir diese Arbeitsverhältnisse
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Christa Reichard
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sozialversicherungspflichtig machen wollten. Damalssind Sie durch das Land gezogen und haben gesagt: Da-durch werden Arbeit und Arbeitsplätze vernichtet. – Wennwir also jetzt die Zahl der 630-Mark-Jobs in die Gesamt-zahl der neu geschaffenen Arbeitsplätze einbeziehen,dann ist das nur gerecht; denn schließlich sind dassozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze.
Wissen Sie, was Ihnen die Menschen am BrandenburgerTor antworten würden, wenn Sie sie fragen würden, wassie davon halten, wenn jemand erst so und nachher andersargumentiert und dies hinterher nicht mehr wahrhabenmöchte? – Sie würden Ihnen antworten: So jemand hatschlichtweg einen an der Waffel.
Wir lassen uns auch nicht die Erfolge zerreden, die wirbei der Eingliederung von Menschen in den Arbeitsmarkterzielt haben, die erhebliche Schwierigkeiten haben. DieZahl der arbeitslosen Schwerbehinderten ist im Vergleichzum April des letzten Jahres um 12 500 zurückgegangen.Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist um 106 000 zurück-gegangen. Die Zahl der arbeitslosen ausländischen Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist um 24 600 zurück-gegangen. Für diese Personengruppen hat sich auf demArbeitsmarkt sukzessiv etwas getan, weil man ganz ge-zielt auf sie eingegangen ist.Ich möchte auch noch etwas zu dem Thema „Drücke-berger“ sagen, das Sie angeschnitten haben. Es geht da-rum, dass Solidarität keine Einbahnstraße ist und dassman von denjenigen, die Hilfe bekommen, erwarten kann,dass sie die angebotene Hilfe auch annehmen. Dazu sindsie verpflichtet.
Aber Angebote müssen vorhanden sein. Wir versuchen,solche Angebote zu organisieren, indem wir die Arbeits-marktpolitik passgenauer und flexibler im Bereich derArbeitsvermittlung gestalten, zum Beispiel über Einglie-derungsverträge Qualifizierungs- und Trainingsmaßnah-men anbieten. Bei der Maxime „Fördern und fordern“kommt es auf den Gleichklang an. Zu dem Thema„Drückeberger“ möchte ich Ihnen sagen: Die Wirtschaftdarf sich nicht länger davor drücken, die 1,9 MilliardenÜberstunden abzubauen und sie in Beschäftigung undTeilzeitarbeit umzuwandeln. Das ist die Herausforderung.
Zu Ihren schönen Vergleichen mit dem Fußballfeld undder Lokomotive möchte ich Ihnen eines sagen: Die Tatsa-che, dass die Arbeitslosigkeit während Ihrer Regierungs-zeit immer gestiegen ist, hat den Menschen den Eindruckvermittelt, als ob sie in einen Tunnel hineinschauen wür-den, an dessen Ende kein Licht, sondern ein Zug, der ih-nen entgegenkam, zu sehen war. Deswegen werden wirdie von Ihnen eingeleitete Politik nicht fortsetzen.Frau Reichard, Ihre arbeitsmarktpolitischen Vorstel-lungen kennen wir ja. Sie geben vor einem WahlkampfAnzeigen auf, in denen Sie die Unternehmer bitten, Ar-beitslose einzustellen, sei es auch nur kurzfristig, damitCDU gewählt wird. Wenn Sie uns jetzt einreden wollen,man könne mit Lohndumping bzw. mit niedrigen Löhnenversuchen, mehr Arbeitsplätze zu schaffen, dann kann ichIhnen darauf nur sagen: Wenn das Erfolg versprechendwäre, dann müsste der Großteil des Ostens angesichts desvorhandenen Lohngefälles blühen. – Es kommt vielmehrauf eine abgestimmte Finanz-, Steuer-, Wirtschafts- undArbeitsmarktpolitik an. Wir haben die Arbeitsmarktpoli-tik so ausgerichtet, dass das eine Zähnchen in das anderehineingreift. Deswegen sage ich Ihnen: Die Arbeitsmarkt-politik ist bei dieser Regierung in guten Händen, auch inschwierigen Zeiten, also auch jetzt, wenn es eine Kon-junkturdelle gibt.
Wir sind
damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 10. Mai 2001,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.