Protokoll:
14165

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 165

  • date_rangeDatum: 6. April 2001

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 14:03 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Tagesordnungspunkt 14: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Sozialgesetzbuchs – Neuntes Buch – (SGB IX) Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (Drucksachen 14/5074, 14/5786, 14/5800) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16113 A – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Sozialgesetzbuchs – Neun- tes Buch – (SGB IX) Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (Drucksachen 14/5531, 14/5639, 14/5786, 14/5800) . . . . . . . . . . . . . . . . 16113 B Silvia Schmidt (Eisleben) SPD . . . . . . . . . . . 16113 B Claudia Nolte CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 16114 D Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16117 B Dr. Heinrich L. Kolb F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . 16119 A Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16120 C Walter Riester, Bundesminister BMA . . . . . . 16121 B Matthäus Strebl CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 16123 A Karl-Hermann Haack, Behindertenbeauftragter der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16124 A Tagesordnungspunkt 15: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU: Sofortmaßnahmen zur Verbesserung des Verbraucherschutzes und zur Unterstützung der landwirtschaftli- chen Betriebe erforderlich (Drucksachen 14/5544, 14/5722) . . . . 16126 B b) Antrag der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Marita Sehn, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der F.D.P.: Hungernden Menschen in Nordkorea BSE-negativ getestetes Rindfleisch liefern und nicht vernichten (Drucksache 14/5479) . . . . . . . . . . . . . 16126 C Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 16126 C Iris Hoffmann (Wismar) SPD . . . . . . . . . . . . . 16128 D Ulrich Heinrich F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16129 D Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16130 C Renate Künast, Bundesministerin BMVEL 16131 C Ulrich Heinrich F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 16132 C Annette Widmann-Mauz CDU/CSU . . . . . 16133 A Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 16134 C Jürgen Koppelin F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16135 D Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16136 A Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . 16136 C Albert Deß CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16138 A Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16140 A Ulrich Heinrich F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 16140 D Matthias Weisheit SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16141 D Heinrich-Wilhelm Ronsöhr CDU/CSU . . . . . 16143 A Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16143 D Plenarprotokoll 14/165 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 165. Sitzung Berlin, Freitag, den 6. April 2001 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 16: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages (Untersu- chungsausschussgesetz) (Drucksachen 14/2518, 14/5790) . . . . 16144 B – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Wolfgang Gerhardt, Jörg van Essen, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages (Untersu- chungsausschussgesetz) (Drucksachen 14/2363, 14/5790) . . . . 16144 B Hermann Bachmaier SPD . . . . . . . . . . . . . . . 16144 C Andreas Schmidt (Mülheim) CDU/CSU . . . . 16146 C Dieter Wiefelspütz SPD . . . . . . . . . . . . . . 16147 D Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16148 D Jörg van Essen F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16150 D Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 16152 B Erika Simm SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16153 B Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/CSU 16154 B Dieter Wiefelspütz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 16155 C Tagesordnungspunkt 17: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Gunnar Uldall, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Herstellung fairer Wettbe- werbsbedingungen für die deutsche und europäische Werftenindustrie (Drucksachen 14/5137, 14/5797) . . . . . . . 16157 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel, Dr. Ditmar Staffelt, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Kersten Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Siche- rung eines fairen Wettbewerbs für deut- sche und europäische Werften (Drucksache 14/5769) . . . . . . . . . . . . . . . 16157 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 16: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Zukunftschancen des deutschen und eu- ropäischen Schiffbaus nachhaltig ver- bessern (Drucksachen 14/5457, 14/5815) . . . . . . . 16157 C Tagesordnungspunkt 18: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än- derung des Künstlersozialversiche- rungsgesetzes und anderer Gesetze (Drucksachen 14/5066, 14/5792) . . . . 16158 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialord- nung – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer, Hans- Joachim Otto (Frankfurt am Main), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Reform der Künstlersozialversi- cherung gerecht gestalten – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich Fink, Dr. Heidi Knake- Werner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Für eine grundlegende Reform der Künstlersozialversicherung (Drucksachen 14/4929 [neu], 14/5086, 14/5792) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16158 A Ulrike Mascher, Parl. Staatssekretärin BMA 16158 B Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . . . . . . . . 16159 D Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16161 C Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P. . . . . . . . . . . . . 16162 D Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16163 D Angelika Krüger-Leißner SPD . . . . . . . . . . . . 16164 B Tagesordnungspunkt 19: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes und anderer Gesetze (Drucksachen 14/4329, 14/4458, 14/5793) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16166 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001II b) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Tätigkeits- bericht 1997 und 1998 des Bundesbe- auftragen für den Datenschutz – 17. Tätigkeitsbericht (Drucksachen 14/850, 14/1012 Nr. 6, 14/5353) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16166 C Tagesordnungspunkt 20: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Änderung des Zerlegungsmaß- stabs des Gewerbesteuermessbetrags (Drucksache 14/5584) . . . . . . . . . . . . 16167 B b) Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Erhöhung der Gewerbesteuer- umlage rückgängig machen (Drucksache 14/5586) . . . . . . . . . . . . 16167 B Dr. Uwe-Jens Rössel PDS . . . . . . . . . . . . . . . 16167 C Tagesordnungspunkt 21: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörig- keitsgesetzes Drucksachen 14/5335, 14/5798) 16168 D – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Staatsangehörigkeits- gesetzes (Drucksachen 14/5654, 14/5798) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Guido Westerwelle, Dr. Edzard Schmidt- Jortzig, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörig- keitsgesetzes und des Ausländer- gesetzes (Drucksache 14/4537, 14/5798) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Guido Westerwelle, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: „Schlussoffensive“ für erleich- terte Einbürgerung von Kindern (Drucksachen 14/4416, 14/5798) . . . . 16169 A Tagesordnungspunkt 22: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung – zu dem Antrag der Abgeordneten Franz Thönnes, Klaus Wiesehügel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Eckpunkte zur Verbesse- rung der Bekämpfung illegaler Be- schäftigung und Schwarzarbeit – zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Hildebrecht Braun (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Schattenwirt- schaft mit marktwirtschaftlichen Mitteln eindämmen (Drucksachen 14/5270, 14/3024, 14/5784) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16169 D Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Für ein effizi- entes und transparentes Ausfuhrgewähr- leistungssystem (Drucksache 14/5334) . . . . . . . . . . . . . . . 16170 B Zusatztagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Rolf Hempelmann, Dr. Ditmar Staffelt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Für ein modernes Ausfuhrgewährleis- tungssystem (Drucksache 14/5767) . . . . . . . . . . . . . . . 16170 B Zusatztagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Erich G. Fritz, Gunnar Uldall, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Für den Er- halt von Hermes als Instrument der Außenwirtschaftsförderung und eine Reform des Hermes-Instruments im in- ternationalen Rahmen (Drucksache 14/5749) . . . . . . . . . . . . . . . 16170 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16170 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 16171 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 III Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (PDS) zur Abstimmung über den Entwurf eines Sozialgesetzbuches – Neun- tes Buch – (SGB IX) Rehabilitation und Teil- habe behinderter Menschen . . . . . . . . . . . . . . 16172 B Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Rolf Kutzmutz (PDS) zur Abstimmung über die Nr. 2 der Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Wirt- schaft und Technologie zu dem Antrag: Her- stellung fairer Wettbewerbsbedingungen für die deutsche und europäische Werftenindustrie (Tagesordnungspunkt 17) . . . . . . . . . . . . . . . . 16173 C Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – der Beschlussempfehlung: Herstellung fai- rer Wettbewerbsbedingungen für die deut- sche und europäische Werftindustrie – des Antrages: Sicherung eines fairen Wett- bewerbs für deutsche und europäische Werften – der Beschlussempfehlung: Zukunftschan- cen des deutschen und europäischen Schiff- baus nachhaltig verbessern (Tagesordnungspunkt 17 und Zusatztagesord- nungspunkte 13 und 16) . . . . . . . . . . . . . . . . . 16173 C Dr. Margrit Wetzel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 16173 D Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU 16175 A Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16177 B Hans-Michael Goldmann F.D.P. . . . . . . . . . . 16177 C Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16178 C Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes und ande- rer Gesetze – der Unterrichtung: Tätigkeitsbericht 1997 und 1998 des Bundesbeauftragten für den Daten-schutz – 17. Tätigkeitsbericht (Tagesordnungspunkt 19 a und b) . . . . . . . . . . 16179 A Jörg Tauss SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16179 A Beatrix Philipp CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 16181 D Grietje Bettin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16183 D Dr. Edzard Schmidt-Jortzig F.D.P. . . . . . . . . . 16184 C Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16185 A Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI 16185 C Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Änderung des Zerlegungsmaßstabs des Ge- werbesteuermessbetrags – Erhöhung der Gewerbesteuerumlage rück- gängig machen (Tagesordnungspunkt 20 a und b) . . . . . . . . . . 16186 D Bernd Scheelen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16186 D Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU . . . . . . . 16188 A Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16192 A Gerhard Schüßler F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 16193 A Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Entwürfe: – Gesetz zur Änderung des Staatsangehörig- keitsgesetzes – Gesetz zur Änderung des Staatsangehörig- keitsgesetzes und des Ausländergesetzes und zur Beratung des Antrags: „Schlussoffen- sive“ für erleichterte Einbürgerung von Kin- dern (Tagesordnungspunkt 21 a und b) . . . . . . . . . . 16193 B Dr. Michael Bürsch SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 16193 B Thomas Strobl (Heilbronn) CDU/CSU . . . . . . 16194 C Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16196 B Dr. Max Stadler F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16196 D Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16197 B Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatsse- kretärin BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16198 B Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Eckpunkte zur Verbesserung der Bekämp- fung illegaler Beschäftigung und Schwarz- arbeit und – Schattenwirtschaft mit marktwirtschaftli- chen Mitteln eindämmen, (Tagesordnungspunkt 22) . . . . . . . . . . . . . . . . 16198 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001IV Leyla Onur SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16198 D Brigitte Baumeister CDU/CSU . . . . . . . . . . . 16200 B Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16201 B Dirk Niebel F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16202 A Dr. Klaus Grehn PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16203 B Gerd Andres, Parl. Staatssekretär BMA . . . . 16203 D Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Für ein effizientes und transparentes Aus- fuhrgewährleistungssystem, – Für ein modernes Ausfuhrsystem – Für den Erhalt von Hermes als Instrument der Außenwirtschaftsförderung und eine Reform des Hermes-Instruments im inter- nationalen Rahmen (Tagesordnungspunkt 23 und Zusatztagesord- nungspunkte 14 und 15) . . . . . . . . . . . . . . . . . 16204 C Rolf Hempelmann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 16204 C Erich G. Fritz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 16206 A Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16207 D Gudrun Kopp F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16209 B Ursula Lötzer PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16209 D Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16210 C Anlage 10 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16211 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 V Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 Vizepräsidentin Petra Bläss 16170 (C) (D) (A) (B) 1) Anlage 8 2) Anlage 9 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16171 (C) (D) (A) (B) Altmaier, Peter CDU/CSU 06.04.2001 Dr. Bauer, Wolf CDU/CSU 06.04.2001 Behrendt, Wolfgang SPD 06.04.2001** Dr. Berg, Axel SPD 06.04.2001 Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 06.04.2001 Dr. Blank, CDU/CSU 06.04.2001 Joseph-Theodor Bodewig, Kurt SPD 06.04.2001 Bohl, Friedrich CDU/CSU 06.04.2001 Dr. Brecht, Eberhard SPD 06.04.2001***** Breuer, Paul CDU/CSU 06.04.2001 Brüderle, Rainer F.D.P. 06.04.2001 Brudlewsky, Monika CDU/CSU 06.04.2001 Burgbacher, Ernst F.D.P. 06.04.2001 Ehlert, Heidemarie PDS 06.04.2001 Fischer (Berlin), BÜNDNIS 90/ 06.04.2001 Andrea DIE GRÜNEN Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 06.04.2001 Joseph DIE GRÜNEN Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 06.04.2001***** Gleicke, Iris SPD 06.04.2001 Glos, Michael CDU/CSU 06.04.2001 Graf (Rosenheim), SPD 06.04.2001 Angelika Griefahn, Monika SPD 06.04.2001***** Hartnagel, Anke SPD 06.04.2001 Hasenfratz, Klaus SPD 06.04.2001 Hauser (Rednitzhembach) CDU/CSU 06.04.2001 Hansgeorg Dr. Haussmann, F.D.P. 06.04.2001 Helmut Heinen, Ursula CDU/CSU 06.04.2001 Heubaum, Monika SPD 06.04.2001 Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 06.04.2001 DIE GRÜNEN Hirche, Walter F.D.P. 06.04.2001 Irber, Brunhilde SPD 06.04.2001 Jaffke, Susanne CDU/CSU 06.04.2001 Dr.-Ing. Jork, Rainer CDU/CSU 06.04.2001 Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 06.04.2001 Kauder, Volker CDU/CSU 06.04.2001 Klappert, Marianne SPD 06.04.2001 Dr. Köster-Loßack, BÜNDNIS 90/ 06.04.2001***** Angelika DIE GRÜNEN Dr.-Ing. Krüger, Paul CDU/CSU 06.04.2001 Kühn-Mengel, Helga SPD 06.04.2001 Dr. Lamers CDU/CSU 06.04.2001***** (Heidelberg), Karl A. Leidinger, Robert SPD 06.04.2001 Lengsfeld, Vera CDU/CSU 06.04.2001 Link (Diepholz), Walter CDU/CSU 06.04.2001** Lintner, Eduard CDU/CSU 06.04.2001** Dr. Lippelt, Helmut BÜNDNIS 90/ 06.04.2001 DIE GRÜNEN Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 06.04.2001 Erich Maier, Pia PDS 06.04.2001 Mascher, Ulrike SPD 06.04.2001 Michels, Meinolf CDU/CSU 06.04.2001 Moosbauer, Christoph SPD 06.04.2001 Müller (Berlin), PDS 06.04.2001 Manfred Müller (Jena), CDU/CSU 06.04.2001 Bernward Ostrowski, Christine PDS 06.04.2001 Pieper, Cornelia F.D.P. 06.04.2001 Poß, Joachim SPD 06.04.2001 Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 06.04.2001 Raidel, Hans CDU/CSU 06.04.2001***** entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Dr. Riesenhuber, Heinz CDU/CSU 06.04.2001 Rönsch (Wiesbaden), CDU/CSU 06.04.2001 Hannelore Schloten, Dieter SPD 06.04.2001***** Schmidt (Aachen), Ulla SPD 06.04.2001 Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 06.04.2001 Andreas Schuhmann (Delitzsch), SPD 06.04.2001 Richard Schultz (Everswinkel), SPD 06.04.2001 Reinhard Dr. Schuster, R. Werner SPD 06.04.2001 Sehn, Marita F.D.P. 06.04.2001 Steiger, Wolfgang CDU/CSU 06.04.2001 Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 06.04.2001 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 06.04.2001 Tröscher, Adelheid SPD 06.04.2001 Uldall, Gunnar CDU/CSU 06.04.2001 Volquartz, Angelika CDU/CSU 06.04.2001 Wiesehügel, Klaus SPD 06.04.2001 Wistuba, Engelbert SPD 06.04.2001 Wohlleben, Verena SPD 06.04.2001 Wolf, Aribert CDU/CSU 06.04.2001 Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 06.04.2001 Zierer, Benno CDU/CSU 06.04.2001** Zöller, Wolfgang CDU/CSU 06.04.2001 ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- lung des Europarates **** für die Teilnahme an der Sitzung der Parlamentarischen Versamm- lung der NATO ***** für die Teilnahme an der 105. Jahreskonferenz der Interparlamenta- rischen Union Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (PDS) zur Ab- stimmung über den Entwurf eines Sozialgesetz- buches – Neuntes Buch – (SGB IX) Rehabilation und Teilhabe behinderter Menschen (Drucksa- che 14/5074) Der große Wurf in der Behindertenpolitik ist mit dem SGB IX nicht erreicht, obwohl eine Reihe von Verbesse- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116172 (C) (D) (A) (B) entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich rungen erzielt wurde. Gleichzeitig gibt es aber eben auch reale Verschlechterungen. Als am 4. Dezember des vergangenen Jahres der Deutsche Behindertenrat seine 12 Thesen symbolisch an die Tür der Berliner Nikolaikir- che heftete, war klar, dass ein SGB IX nicht ausreichen würde, um die wahrlich nicht neuen Forderungen der Menschen mit Behinderungen und ihrer Verbände zu er- füllen. Gemessen an diesen Thesen ist das SGB IX ein Zwischenschritt, aber nicht der bereits überall verlaut- barte Paradigmenwechsel. In These 10 heißt es beim Deutschen Behindertenrat zum Beispiel: „Die Nachrangigkeit der Eingliederungs- hilfe im Sozialrecht muss beseitigt werden. Eltern, die sich für ein behindertes Kind entschieden haben, dürfen nicht lebenslang durch Unterhaltszahlungen ’bestraft‘ werden.“ Mit dem SGB IX wird die Nachrangigkeit bei der Eingliederungshilfe für Behinderte nicht beseitigt. In- sofern ist das SGB IX kein Leistungsgesetz. Es ist vor- wiegend auf die Zusammenfassung und Weiterentwick- lung des Rechts der medizinischen und beruflichen Rehabilitation ausgerichtet. Hier gibt es in der Tat eine Reihe von positiven Neuerungen, die von der PDS bereits bei Vorlage des Gesetzentwurfs benannt wurden. Da der Grundsatz der Nachrangigkeit für Leistungen der Ein- gliederungshilfe im Bundessozialhilfegesetz verankert bleibt, müssen auch künftig Menschen mit Behinderun- gen Einkommens- und Vermögensnachweise erbringen und Bedürftigkeitsprüfungen über sich ergehen lassen. Positiv ist allerdings, dass jetzt Angehörige von Werkstät- ten für Behinderte und in Fördereinrichtungen von dieser Regelung ausgenommen werden. Hier macht die Bundes- regierung einen Schritt, den die PDS begrüßt. Die Be- grenzung der Unterhaltspflicht für Eltern von erwachse- nen Behinderten auf das 27. Lebensjahr und auf einen Höchstbetrag von 50 DM ist die wohl wichtigste Verbes- serung, die im parlamentarischen Verfahren im SGB IX erzielt wurde. Damit wird zumindest der zweite Teil der genannten These des Deutschen Behindertenrates weitge- hend erfüllt. Wichtig wäre aber, bei diesen Schritten nicht stehen zu bleiben. Deshalb hat die Fraktion der PDS in ihren Anträgen gefordert, schon im SGB IX eine Festle- gung zu treffen, bis wann ein umfassendes Leistungsge- setz für Menschen mit Behinderungen vorgelegt werden soll. Eine solche Festlegung würde sowohl den betroffe- nen Menschen und ihren Angehörigen, aber auch den Städten und Gemeinden, die bisher als Sozialhilfeträger für die Kosten der Eingliederungshilfe aufkommen, eine klare Perspektive bieten. PDS und CDU/CSU hatten ja im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung mit eigenen Anträgen ein Leistungs- gesetz gefordert. Die CDU/CSU ging sogar so weit, allen Verbänden mit Schreiben vom 15. März ihre grundsätzli- che Zustimmung zum SGB IX mitzuteilen. Weiter heißt es im Schreiben von Frau Nolte und Herrn Laumann: „Es ist unsere feste Überzeugung, dass dieser Schritt nicht ausreicht, um elementaren Bedürfnissen der behinderten Menschen gerecht zu werden. Daher fordert die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ein eigenständiges, bun- desfinanziertes Leistungsgesetz für Behinderte, mit dem die Eingliederungshilfe aus dem Sozialhilferecht heraus- gelöst und auf eine eigene Grundlage gestellt wird.“ Da- her habe ich mich in einem Schreiben am 29. März an die behindertenpolitischen Sprecher aller Fraktionen ge- wandt und vorgeschlagen, wenigstens in einer begleiten- den Entschließung zum SGB IX den Willen aller Parla- mentarier zum Ausdruck zu bringen, die Vorlage eines solchen Gesetzentwurfs in der kommenden Legislaturpe- riode zu unterstützen. Ein Gespräch mit dem Behinder- tenbeauftragten der Bundesregierung am 27. März hatte mich zusätzlich zu diesem Schritt ermutigt. Weder von den Fraktionen der Regierungskoalition, noch von CDU/CSU oder der F.D.P. gab es irgendeine Re- aktion auf diesen Vorschlag. Auch bei der abschließenden Beratung im federführenden Ausschuss gab es kein posi- tives Echo. Hier haben Regierung und rechte Opposition eine Chance verpasst, die positiven Ansätze des SGB IX zu stärken und die noch offenen Fragen im nächsten An- lauf zu lösen. Bei allem Respekt gegenüber der persönli- chen Leistung des Behindertenbeauftragten kann man heute nicht darüber hinweggehen, dass das SGB IX zahl- reiche Defizite, offene Fragen und sogar Leistungsein- schränkungen aufweist. Warum wurde zum Beispiel der Kostenvorbehalt im § 3 a des BSHG für ambulante ge- genüber stationären Leistungen, also der so genannte „Heimeinweisungsparagraph“, nicht aufgehoben? Warum hält die Regierungskoalition an einem Behindertenbegriff fest, der mit unnötigen Einschränkungen versehen und eher defektologisch orientiert ist? Und warum weigert sie sich angesichts des immer noch ausstehenden Bundes- gleichstellungsgesetzes, das im Grundgesetz verankerte Benachteiligungsverbot von Menschen mit Behinderun- gen in die Zielbestimmung des SGB IX aufzunehmen? Übrigens – das kostet keinen Pfennig. Weitere Defizite können hier nur summarisch benannt werden. Sie reichen vom Behindertensport über ungelöste Fragen der Versorgung von psychisch kranken Menschen, unbefriedigenden Lösungen für behinderte Studierende, offenen Fragen für hörgeschädigte Menschen, restriktiven Regelungen bei der Gebärdensprache etc. Die Endfassung de SGB IX enthält sogar Leistungs- einschränkungen und Verschlechterungen: Leistungen der Krankenhilfe nach § 37 BSHG werden erheblich ein- geschränkt, anstatt – wie von der nationalen Armutskon- ferenz gefordert – außerhalb des BSHG zu gewährleisten, dass bisher nicht krankenversicherte Sozialhilfeempfän- ger endlich in die GKV einbezogen werden. Die Erho- lungshilfen werden – auf Forderung des Bundesrates – aus Einsparzwecken gestrichen. Sie betreffen eine relativ geringe Anzahl von Menschen, das kann aber kein Grund für Leistungskürzungen sein. Teilhabeleistungen im Be- reich des Wohnens werden restriktiv geregelt, denn von Hilfen beim Um- und Ausbau einer behindertengerechten Wohnung ist nicht mehr die Rede. Die Pflichtquote zur Beschäftigung Schwerbehinderter im Öffentlichen Dienst – 6 Prozent – soll in dieser Höhe nur noch in Einrichtun- gen des Bundes gelten, die diese Pflichtquote bereits bis- her erfüllt haben. Damit wird die angestrebte Vorbildrolle des öffentlichen Dienstes bei der Beschäftigung Schwer- behinderter geschwächt. Unter dem Strich bleibt festzu- halten: Bei diesem SGB IX sind viele Chancen verpasst worden. Daher verdient es eine Stimmenthaltung. Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Rolf Kutzmutz (PDS) zur Abstimmung über die Nr. 2 der Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag: Herstellung fairer Wettbewerbsbedingungen für die deutsche und europäische Werftindustrie (Tagesordnungs- punkt 17) Ich erkläre namens mein Fraktion: Unser Votum lautet Ja. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – der Beschlussempfehlung: Herstellung fairer Wett- bewerbsbedingungen für die deutsche und europä- ische Werftindustrie – des Antrags: Sicherung eines fairen Wettbewerbs für deutsche und europäische Werften – der Beschlussempfehlung: Zukunftschancen des deutschen und europäischen Schiffbaus nachhaltig verbessern (Tagesordnungspunkt 17 und Zusatztagesordnungs- punkte 13 und 16) Dr. Margrit Wetzel (SPD): Kräftiger Rückenwind für unsere Regierung am 15. Mai in Brüssel: Das ist es, was heute alle Fraktionen im Parlament beim Thema Werften eint. Wir wollen, dass die EU energisch weiter mit Korea verhandelt, um das Fairness-Abkommen durchzusetzen. Wir wissen, dass Japan die EU dabei unterstützen wird. Und wir wollen wirksame neue Regelungen, die die Wett- bewerbsfähigkeit der europäischen Werften sichern, so- lange Korea noch mit Dumpingpraktiken die Wettbewer- ber vom Markt zu fegen versucht. Wenn es nur um einen harten Wettbewerb auf dem Weltmarkt ginge, hätte der deutsche Schiffbau unsere Hilfe ganz sicher nicht nötig. Unsere deutschen Werften sind nicht mehr die Stahlbauunternehmen der 50er-Jahre, ihre Kernkompetenz liegt heute in ihrer Systemfähigkeit. Maßgeschneiderte Schiffe von hoher Komplexität werden mit höchster Präzisionstechnologie in enger Abstimmung mit Auftraggebern, Planern, Entwicklern, Zulieferern und Systemlieferanten konzipiert, entworfen, gebaut, zusam- mengeführt und pünktlich in hoher Qualität ausgeliefert. Die Werften selbst erbringen heute nur noch etwa 30 Prozent der Wertschöpfung eines Schiffes, tragen aber die Systemverantwortung und das volle unternehmerische – auch das finanzielle – Risiko. Sie sind belastet durch hohe Entwicklungskosten, oft am einzelnen Schiff. Vor- teile durch Serien- oder gar Massenproduktion sind nie am gesamten Schiff, bestenfalls bei standardisierten Bau- teilen oder einzelnen Modulen zu erzielen. Auf den Werf- ten finden wir heute nicht mehr überwiegend Blaumänner, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16173 (C) (D) (A) (B) sondern Weißkittel: Es gibt mehr Ingenieure, Konstruk- teure und Datenverarbeitungsspezialisten als Schlosser, Tischler oder Stahlbauer. Eine spannende Industrie, eine Wachstumsbranche, in der Innovation Alltag ist. Leider weiß das aber auch unsere asiatische Konkur- renz nur viel zu gut. Nachdem zunächst Japan viele Jahre härtester Wettbewerber unserer Werften mit der über viele Jahre konkret geplanten und gezielt durchgehaltenen stra- tegischen Unterstützung seiner maritimen Industrie war, leiden nun nahezu alle Schiffbaunationen unter der Dum- ping- und Verdrängungspolitik, die Südkorea im Schiff- bau betreibt. Gigantische, hochmoderne Werften, qualifi- zierte, motivierte Arbeiter, hohe Serienproduktionen im Bereich der Standardtanker, Massengutfrachter und Con- tainerschiffe mit allen damit verbundenen Kostenvortei- len wären vielleicht noch zu verkraften, wenn nicht die Dumpingpreise Koreas zu einem brutalen Verdrängungs- wettbewerb führen würden. Werften, die Verkaufspreise bis zu 40 Prozent unter den eigenen Gestehungskosten anbieten, können langfristig zwar nicht durchhalten, kurzfristig aber die Märkte so dra- matisch stören, dass der Weltschiffbau im Hinblick auf Preise und Kapazitäten vollständig aus der Balance gerät. Unterstützung finden die koreanischen Werften bei den staatlich kontrollierten Banken, die sie durch Kredite, Umschuldungen und Anleihen trotz ihres desolaten Bi- lanzierungswesens immer wieder über Wasser halten. Korea hat nicht nur mit Abstand die führende Position im Containerschiffbau erobert, sondern beherrscht inzwi- schen auch das Segment der Flüssiggastanker und dringt in den anspruchsvolleren Passagierschiffsektor ein. Vor allem: Die großen Containerschiffe kommen, und zwar aus Korea. Samsung produziert eine Serie von sechzig 6 500-TEU-Containerschiffen. Die Order für mindestens drei 9 700-TEU-Schiffe ist erteilt. Auch China reagiert auf die koreanische Konkurrenz. Allein im vergangenen Jahr haben die chinesischen Werf- ten ihre Produktion um 12 Prozent gesteigert. Der Schiff- bau soll zur strategischen Industrie ausgebaut werden. Die chinesische Reederei COSCO plant den Neubau zahlrei- cher Großcontainerschiffe zwischen 6 000 und 8 000 TEU und übernimmt gleichzeitig eine chinesische Reparatur- werft nach der anderen. So gehen selbst diese Marktseg- mente den europäischen Werften systematisch verloren. Die japanische Schiffbauindustrie positioniert sich neu gegen den Druck aus Korea und China. Umsatzeinbrüche, eine rückläufige Entwicklung der Forschungsaufwen- dungen und der Mangel an Spezialisten machen sich spür- bar bemerkbar. Was wir dort beobachten, kennen wir doch nur zu genau, verehrte Kollegen: Wir hören die Sorgen unserer Werften um den qualifizierten Nachwuchs für die Hochtechnologieberufe; wir wissen um ihre Klagen über hohe Forschungs- und Entwicklungskosten, die eben nicht nur als Grundlagenforschung, sondern synchron zur Auftragsabwicklung entstehen. Die Werft als Dienstleis- ter trägt das finanzielle Risiko bis zur erfolgreichen Ab- lieferung des Schiffes. Die Sicherheit der qualifizierten Arbeitsplätze hängt vom Auftragsbuch ab. Auslastung ist gefragt, auch wenn der Auftrag noch so speziell ist. Die Japaner haben ähnliche Sorgen. Die niedrigen Lohnkosten in Korea und die neuerliche Won-Abwertung sind harte Wettbewerbsfaktoren, für Japan und China so- gar noch in unmittelbarer Nähe. Japan will neue Schwerpunkte in Forschung und Ent- wicklung setzen, stellt die Produktion um von Masse auf Klasse und wird damit zugleich zum härteren Wettbewer- ber in den Nischen, in die sich europäische und deutsche Werften notgedrungen zurückziehen mussten. Schiff- bau-Studenten werden in Japan systematisch auf die Zu- kunft vorbereitet, Studiengänge wandeln sich, werden komplexer, verbinden den Präzisionsmaschinenbau mit dem Wissen um die Zusammenhänge maritimer Indus- trien. Die Konkurrenz schläft nicht. Sie ist hellwach und ei- gentlich eine absolut spannende Herausforderung nicht nur für den Markt, sondern auch für uns als Politiker. In diesem Wettbewerb nicht nur des internationalen Schiff- baus, sondern auch der staatlichen Rahmenbedingungen, die die Gestaltung der maritimen Zukunft beeinflussen, müssen die deutschen Werften, ja die gesamte eng ver- zahnte maritime Industrie und Dienstleistung, uns aktiv und handlungsbereit an ihrer Seite wissen. Deshalb ist es auch so wichtig, dass es uns endlich ge- lingt, die bedeutenden Schiffbaunationen der Welt unter einem neuen, wirksamen Weltschiffbauabkommen zu vereinen. Langfristig kann nur Fairness im Wettbewerb gut für alle sein. Da auch Verstöße gegen Fairness nie aus- zuschließen sind, müssen die Länder sich auf Handels- und Bilanzierungsvereinbarung, aber auch auf Sanktio- nen verbindlich verständigen. Wir wollen, dass das Welt- schiffbauabkommen politisch schnellstmöglich vorange- bracht wird. Wir erwarten, dass die Verhandlungen auch darüber deutlich vorangetrieben werden. Kurzfristig geht es am 15. Mai in Brüssel darum, wie wir in diesem ohnehin schon harten Wettbewerb die un- lauteren Praktiken Koreas, die Dumpingpreise und die massive Stützung durch staatlich kontrollierte Banken endlich wirksam eindämmen können. Wir sind damit in der wenig angenehmen Situation, dass deutsche und eu- ropäische Werften, die effizient und produktiv arbeiten und sich in jedem fairen Wettbewerb behaupten können – und wollen – wirksame ergänzende Hilfen brauchen, um sich gegen den Verdrängungswettbewerb zu behaupten. Immer wieder betonen die Vertreter der europäischen Werften, dass sie keine Subventionen, sondern faire Wettbewerbsbedingungen wollen. Recht haben sie. Wer sich heute bei den Werften informiert, wird begeis- tert sein, mit welchem Engagement dort für die Zukunft geplant wird: noch mehr Produktivität, noch mehr Effi- zienz durch noch mehr vertikale und horizontale Koope- ration, durch Vernetzung, Systemverbünde, Serieneffekte bei Bauteilen, Schnittstellen, Planungen, Standardisie- rung. Es ist eine Freude, den Zusammenhalt, die Kreati- vität und Innovationsoffenheit auf den Werften zu beob- achten! Und für uns ist dieses Engagement eine drängende Verpflichtung, alles politisch-parlamentarisch Mögliche zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Werften Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116174 (C) (D) (A) (B) auf nationaler Ebene und im europäischen Verbund zu tun. Deshalb möchte ich den Vertretern der Opposition, besonders Ihnen, Herr Kollege Börnsen, der Sie in dieser Frage besonders aktiv waren, noch einmal danken, dass Sie so ausdrücklich und nachdrücklich die Verhand- lungsposition unseres Ministers in Brüssel bei den anste- henden Verhandlungen mit uns unterstützen. Wir wünschen unserer Regierung in Brüssel Geschick, Durchsetzungsvermögen, viel Überzeugungskraft und ei- nen kühlen Kopf für einen klugen Kurs durch die Untie- fen unterschiedlichster Interessen der europäischen Mit- gliedstaaten – zum Wohle unserer Werften und der dort Beschäftigten. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Am 14. Mai wird in Brüssel über die Zukunft der deutschen Werftindustrie entschieden. Auf Initiative der Union wird heute ein gemeinsamer Antrag aller Fraktionen debattiert. Kleinteiliges Parteiengezänk wurde beiseite gelassen, um der Bundesregierung bei den Verhandlungen in Brüssel den Rücken zu stärken – zum Nutzen für 220 000 Arbeits- plätze, für einen hoch komplexen und innovativen Indu- striezweig. Dafür mein Dank an alle Fraktionen. Über 220 000 Schiffbauer, Dienstleister und Zulieferer von Flensburg bis Vilshofen erwarten von den EU-Indus- trieministern eine Perspektive für einen ganzen Industrie- zweig. Nur rund zwei bis drei Jahre reicht der Auftrags- bestand der Werften, aber Folgeaufträge stehen aus. Korea hat in dieser Branche seinen Weltmarktanteil mitt- lerweile aggressiv auf über 50 Prozent erhöht. Noch 1998 lag er bei 26 Prozent. Erreicht hat das Korea nicht allein durch Leistung, sondern durch Abschlüsse zu nicht kos- tendeckenden Preisen. Die Preise der von der EU unter- suchten Aufträge lagen im Mittel 20 Prozent unterhalb der Selbstkosten. Getragen werden sie versteckt vom korea- nischen Staat, so die EU-Kommission. So werden den koreanischen Werften Schulden durch staatliche Banken ohne Bonitätsprüfung abgenommen, im Einzelfall per Gesetz Steuern erlassen und durch Subventionen im Zu- lieferbereich günstige Einkäufe ermöglicht. Bereits mit einer Abwehrbeihilfe von 7 Prozent waren deutsche Werften gegenüber den koreanischen Dumping- preisen konkurrenzfähig, in anderen EU-Mitgliedstaaten waren Abwehrbeihilfen von bis zu 9 Prozent notwendig. Gesichert wurden damit im letzten Jahr in Deutschland 197 Neubauaufträge, mit einer Gesamtsumme von 20,7 Milliarden DM. Dieses erfolgreiche Abwehrinstru- ment ist am 31. Dezember des letzten Jahres ausgelaufen, obwohl die gesamtwirtschaftliche Wirkung die Ausgaben um mehr als das Vierfache übersteigt. Schuld daran ist der EU-Industrieministerrat. Er hatte im Dezember die Ab- wehrhilfen für europäische Werften auslaufen lassen. Die Bundesregierung unterlag in der Abstimmung total. Dies wäre ein falsches Signal an Korea; denn unfaire, aggres- sive Wirtschaftspolitik wurde belohnt, die europäische Werftindustrie fast aufgegeben. Begründet wurde diese Entscheidung unter anderem mit zu hohen Zuschüssen für die Schiffbauindustrie. Experten halten diese Zahlen der Kommission mit über 50 000 DM pro Arbeitsplatz und Jahr für überhöht, was zutrifft. Sollte sich die Bundesregierung am 14. Mai nicht durch- setzen, muss den Werften auf nationaler Ebene geholfen werden. Sie ist aufgefordert, zusammen mit den Betroffe- nen zügig ein schlüssiges Konzept zu erarbeiten und um- zusetzen. Dabei ist auf eine gerechte Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern zu achten. Schiffbaupolitik ist eine nationale Aufgabe. Die Wert- schöpfung findet zu über 75 Prozent bei den Zulieferern statt, überwiegend in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, nur zu knapp 25 Prozent an der Küste. Bei der bisherigen Praxis hat der Bund ein Drittel der Werftenhilfe getragen, die Werften-Länder zwei Drit- tel. Schon jetzt ist in Schleswig-Holstein die Länder-Ko- finanzierung nicht sichergestellt. Bremen und Mecklen- burg-Vorpommern, wesentlich finanzschwächer als Schleswig-Holstein, haben es jedoch geschafft. Statt der 7 Prozent Wettbewerbshilfe erhalten die Werften in Schleswig-Holstein nur 3 Prozent. Es besteht die Gefahr, dass bestehende Aufträge wieder zurückgegeben werden müssen. Dazu darf es nicht kommen! Ich appelliere an die Landesregierung in Kiel, das gegebene Versprechen von Ministerpräsidentin Simonis, dass kein Auftrag wegen fehlender Wettbewerbshilfen für Schleswig-Holsteins Werften verloren gehe, einzuhalten. Wort halten, Frau Mi- nisterpräsidentin! Gleichzeitig muss es endlich zur Einleitung des WTO-Verfahrens kommen und der Abschluss eines Welt- handelsabkommens im Schiffbau über die OECD forciert werden. Die G-7/8-Länder haben sich damit zu befassen. Korea muss gezwungen werden, die im Sommer letz- ten Jahres getroffene Vereinbarung mit der EU umzuset- zen. Ansonsten blamiert sich die EU gegenüber einem Ti- ger-Staat als Papier-Tiger. In der Vereinbarung hatte sich Korea verpflichtet, seinen Werften keine Wettbewerbs- vorteile von staatlicher Seite mehr zu gewähren. Koreani- sche Werften sollten in Zukunft zu Vollkosten kalkulieren müssen. Geändert hat sich nichts. Seit 1999 dokumen- tierte die Kommission den Missstand in drei Berichten, zuletzt im November. Weder die Tatsache, dass die Koreaner bis zu 40 Pro- zent unter den eigenen Herstellungskosten ihre Schiffe verkaufen, hat zu einer kraftvollen Reaktion des EU-Mi- nisterrates geführt, noch der Tatbestand, dass der Interna- tionale Währungsfonds durch die Stützung des koreani- schen Won indirekt die Regierung vor Ort in die Lage versetzte, den Großwerften wieder zu helfen. Am IWF-Großkredit war Deutschland mit fast 6 Prozent be- teiligt. Bundesdeutsches Geld hat zum Aufbau der korea- nischen Konkurrenz beigetragen. Die IG-Metall hat die- sen Sachverhalt mit dem Hinweis auf den Punkt gebracht, wir mästen unseren eigenen Schlächter. Damals war aus Gründen der internationalen Währungsstabilität die Ini- tiative des IWF notwendig. Doch den Kredit ohne Aufla- gen zu geben, war gelinde gesagt grob fahrlässig. Im ver- gangenen Jahr erreichten Europas Werften gerade noch 15, Deutschlands Anteil lag bei 5,5 Prozent. Für beide ist dass der geringste Weltmarktanteil der vergangenen 50 Jahre. Der IWF muss das Mandat erhalten, sich zur Überwachung der Kreditbedingungen auch mit einzelnen Industriezweigen zu befassen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16175 (C) (D) (A) (B) Der letzte Bericht vom November bestätigt noch ein- mal eindeutig den Sachverhalt: Die Schiffbau-Nation Nummer eins, Südkorea, fördert den Bootsbau mit unlau- teren Mitteln. Drei Jahre nach dem ersten Beweis dieses Sachverhaltes reagierte im Dezember der Ministerrat und schaffte das bewährteste Mittel gegen die weltweite Wett- bewerbsverzerrung, die Werftenbeihilfe, zum 1. Januar 2001 ab. Und, was die ganze Hilflosigkeit der EU kenn- zeichnet, es wurden gleichzeitig keine Maßnahmen gegen die einseitige koreanische Schiffbauoffensive beschlos- sen, keine Handelsauflagen gegen koreanische Güter ge- fordert, keine Strategien entwickelt, um weltweites Preis- dumping zu verhindern. Der Stier Europa hat seine Hörner eingebüßt. Deutschlands Schiffbauer und die der anderen Länder bleiben mit ihren Existenzsorgen allein. Noch vor einem Jahr hatte Bundeskanzler Schröder auf der großen maritimen Konferenz in Emden versprochen: „Wir lassen unsere Werften nicht im Stich, wir werden konkret handeln.“ Chefsache wurde die maritime Politik. Nur, der Chef setzte Deutschlands Interessen in Brüssel nicht durch. Er, wie der Wirtschaftsminister, erhielt eine bittere Niederlage trotz der Tüchtigkeit ihrer Mitarbeiter in diesem Politikfeld. Sicher, so etwas kann passieren; doch was ich nicht billigen kann, ist das Spiel mit den betroffenen Menschen: hohe Erwartungen zu wecken, Risiken zu negieren und für den Misserfolg andere ver- antwortlich machen. Menschen werden zur Manipulati- onsmasse, der Demokratie wird damit geschadet. Im ver- gangenen Jahr erreichten Europas Werften gerade noch 15 Prozent, Deutschlands Anteil lag bei 5,5 Prozent. Für beide ist das der geringste Weltmarktanteil der vergange- nen 50 Jahre. Eine letzte Chance, das Ruder herumzureißen, gibt es noch. Am 14. Mai will der EU-Ministerrat noch einmal die Wettbewerbsverzerrungen im Weltschiffbau aufgrei- fen. Doch der Spielraum ist eng. Die Zeit läuft dem Rat, der drei Jahre nichts bewegt hat, davon. Die koreanische Schiffbau-Offensive schafft Tatsa- chen. Bei den „Post-Panamax-Containerschiffen“, die 1988 in Europa entwickelt wurden, gingen im vergange- nen Jahr 82 Prozent des Gesamtvolumens nach Fernost. Japan konnte 4 Prozent der Aufträge akquirieren, die EU-Werften gingen erstmals leer aus. Bei den Kreuz- fahrtschiffen, deren Hersteller bisher in Europa zu Hause waren, gingen im vergangenen Jahr die ersten Aufträge nach Fernost. Auch auf diesem Sektor gibt jetzt Deutsch- land erstmals Marktanteile ab. Jeder zweite Neubauauf- trag geht heute nach Fernost, Tendenz steigend. Im Wind- schatten folgt die Volksrepublik China mit über 7 Prozent Auftragsanteil. Beide bauen ihre Kapazitäten aus. Die EU dagegen fördert mit Prämien die Stilllegungen von Werf- ten. Vor diesem Hintergrund ist die Lage für kleine und mittlere Werften, die nicht durch Marineschiffe ihren Auf- tragsbestand kompensieren können, besonders bedroh- lich, so die Kommission. Die Möglichkeiten, den Marktmissbrauch Südkoreas im Schiffbau zu beenden, nehmen rapide ab. Die Kom- mission ist in Korea gescheitert, jetzt klagt der europä- ische Schiffbauverband CESA. Gut drei Jahre dauert es, bis die WTO eine Entscheidung fällt, falls, ja falls sie überhaupt die Beschwerde annimmt. Koreanischen Ex- perten in Europa die rote Karte zu zeigen wird immer un- wahrscheinlicher. CESAs Aktivität hat aber den Vorteil für den Ministerrat, seine passive Strategie der lustlosen Interessenwahrnehmung fortzusetzen mit dem Hinweis, das Resultat der Klage abzuwarten. Zwei weitere Punkte sollten in der Mai-Debatte nach vorne befördert werden: Durch nachhaltige Umweltpoli- tik wären bessere internationale Umweltstandards im Seeverkehr möglich. 24 Jahre beträgt derzeit das Durch- schnittsalter der Schiffe auf unseren Meeren, Tausende in- stabile Rostlauben sind darunter. Und von 8 500 weltweit eingesetzten Tankern besitzen nur 1 400 eine Doppel- hülle. Meereskatastrophen sind täglich möglich. Umwelt- wie wirtschaftspolitisch gäbe es einen Sinn, bei Alter und Sicherheit der Boote anzusetzen, zu neuen Standards zu kommen, damit auch dem Schiffbau einen neuen Drive zu geben. Und außerdem: Die Kapazitätsbeschränkungen für die Werften in Mecklenburg-Vorpommern auf 327 000 CGT bestehen immer noch. Sie müssen aufgehoben oder zu- mindest gelockert werden. Diese nehmen den Werften in Wismar, Rostock, Stralsund und Wolgast jede Luft, Flexi- bilität und beeinträchtigen ihre Wettbewerbsfähigkeit. Produktivitätsfortschritte können nicht genutzt, zusätzli- che Aufträge nicht hereingenommen werden; statt dessen müssen Arbeitsplätze abgebaut werden. Die kritische Per- sonalgröße ist bereits erreicht, Fachpersonal kann ohne Kompetenzverlust nicht weiter abgebaut werden. Haupt- gewinner der CGT-Beschränkungen ist Südkorea, dessen Werften für ihre unfairen Praktiken noch belohnt werden. Dies kann und darf nicht im Sinne der EU-Kommission sein. Europäische Werften werden im Kernsegment der großen Containerschiffe, die von den ostdeutschen Werf- ten besonders günstig gebaut werden, kaum berührt. Die Bundes- und die Landesregierung in Schwerin muss diese Argumente entschiedener und überzeugender als bisher vortragen. Nur dann wird sich die EU-Kommission für die Chancengleichheit der Werften in Mecklenburg-Vorpom- mern einsetzen. Bei Einführung der Kapazitätsbeschrän- kung wurde ein Prüfungsauftrag nach fünf Jahren fest- gelegt. Dem sollte zugunsten der Werften schleunigst nachgekommen werden. Ob volkswirtschaftlich sinnvoll oder nicht, die EU-Kommission ist grundsätzlich gegen jegliche Staats- hilfen. Deshalb bezeichnen Insider die Mai-Konferenz als Alibitreffen; weil die Mehrheit der EU-Länder von Förderhilfen weg will. Von einem möglichen Schiff- bau-Boom in den nächsten Jahren wären unsere Werften damit ausgeschlossen. Deshalb ist es richtig, hier im Par- lament die Verhandlungen zu unterstützen. In Sorge um über 100 000 direkt betroffene Arbeitsplätze, in Verant- wortung für die Zukunft einer erstklassigen, traditionsrei- chen Industrie ist nichts unversucht zu lassen. Es ist ein Gebot der Stunde, der Bundesregierung eine breite Unter- stützung in Brüssel zu bieten. Außerdem sollte die Anregung aus dem Kommissions- bericht aufgenommen werden, die nationalen und europä- ischen Forschungs- und Entwicklungsprogramme auf die Besonderheiten der Schiffbaubranche auszurichten und ausreichend zu dotieren. Die Innovationsfähigkeit der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116176 (C) (D) (A) (B) Werftindustrie ist, wie die der Luft- und Raumfahrtindus- trie, umfangreich zu fördern, und ihre Technologieführer- schaft zu stärken. Zum Ausgleich von Zinsschwankungen wird von der EU als Finanzierungsinstrument die Anwendung von CIRR empfohlen. Die Bundesregierung ist aufgefordert, eine in der OECD harmonisierte Anwendung sicherzu- stellen, um Wettbewerbsnachteile bei der Exportfinanzie- rung für die deutsche Werftindustrie zu vermeiden. Die Commercial Interest Reverence Rate muss auch für die deutschen Werften uneingeschränkt anwendbar sein. Nach unserer Auffassung wäre eine baldige Verab- schiedung der OECD-Regelung der Königsweg, um end- lich aus dem Wettlauf der Subventionen im Schiffbau aus- zusteigen. Ziel muss der Abbau aller Staatsförderung sein. Unsere Werften könnten dann trotz hoher Produktkosten der Konkurrenz standhalten, so ihre eigene Aussage. Ja- pan und Korea sind, wie die meisten der Schiffbauländer, für ein solches Abkommen. Nur die USA, die es einmal selbst angeboten haben, sperren sich. Warum greifen wir nicht Japans Angebot auf, ohne Amerika zu einer Eini- gung zu kommen? Wir von der Union erwarten, dass der Bundeskanzler das Thema „Weg mit den Subventionen im Schiffbau“ auf die Tagesordnung des kommenden G-7/G-8-Treffens set- zen lässt. Wir erwarten, dass damit nicht weiter gezögert wird. Der augenblickliche Auftragsbestand auf deutschen Werften ist in 24 bis 30 Monaten abgearbeitet. Und sollen die Schiffbauer nicht ein Waterloo erleben, ist es zum Handeln fünf Minuten vor Zwölf. Vergessen wir nicht, Südkorea will seine Marktmacht noch weiter ausbauen, China stößt nach. Was sagte ein Schiffbauer bei meinem letzten Werftenbesuch: „Wir in Deutschland benötigen keine Subventionen, aber einen fairen Wettbewerb.“ Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Bündnis 90/Die Grünen begrüßen, dass es nach ei- nigem Hin und Her doch noch gelungen ist, eine gemein- same Position zu finden. Von Anfang an lagen die Koalitionsfraktionen und die Opposition nicht allzu weit auseinander. Wir alle hoffen jetzt, dass sich die Bundesregierung bei den Verhandlungen am 15. Mai in der Sitzung des EU-In- dustrieministerrats weitgehend durchsetzen kann. Die EU-Kommission kann nicht tatenlos zusehen, wenn die koreanischen Werften gegen Abmachungen verstoßen und somit in erheblichem Umfang Wettbewerbsvorteile gewinnen. Die Verhandlungen mit Südkorea müssen da- her nachdrücklich und energisch weitergehen. Wir möchten, dass mit allen Mitteln auf eine Lösung hingearbeitet wird. Ob dies durch bilaterale Verhandlun- gen erfolgt oder auf dem Klageweg, ist mittlerweile ne- bensächlich. Wir können und wollen es nicht weiter hin- nehmen, dass der europäische, vor allem auch unser deutscher Schiffbau durch manipulationsähnliche Tricks in erheblichem Umfange benachteiligt wird. Es muss jetzt schnellstens eine vernünftige Lösung gefunden werden. Die Kommission darf nicht die Hände in den Schoß le- gen, sie muss die notwendigen Maßnahmen zügig umset- zen. Wir erwarten, dass noch im ersten Halbjahr ein wei- terer Bericht zur Lage der europäischen Werften vorgelegt wird. Darin muss die Kommission darlegen, welcher Sachstand sich aufgrund welcher Aktivitäten ergeben hat. Und wir wollen, dass dieser Bericht darstellt, welche durchgreifenden Sanktionsmöglichkeiten es gibt, bis hin zur Bewertung eines Einfuhrstopps für bestimmte koreanische Güter. Wir wollen darüber hinaus einen Sach- standsbericht über das Welthandelsabkommen im Schiff- bau. Auch wenn sich im Ausschuss nicht alle Fraktionen da- mit anfreunden konnten, werden wir weiter darauf drän- gen, dass sich die Bundesregierung dafür einsetzt, dass der IWF künftig auch das Mandat erhält, sich zur Über- wachung von Kreditbedingungen mit sektoralen Angele- genheiten zu befassen. Über die Detailregelungen ist bereits alles gesagt. Nur einen Punkt möchte ich noch erwähnen, die leidige Sub- ventionsfrage. Natürlich können wir bzw. müssen wir – zumindest moralisch – den heimischen Schiffbau ange- sichts der besonderen Umstände unterstützen. Dies kann aber kein Dauerzustand sein. Meine Fraktion wird auch in diesem Bereich, trotz aller verständlichen Wünsche, da- rauf drängen, dass die Subventionen deutlich zurückge- fahren werden. Von daher ist es umso drängender, zu ei- ner allseits befriedigenden Lösung zu kommen. Hans-Michael Goldmann (F.D.P.): Nur Gemeinsam- keit kann deutschen und europäischen Werften fairen Wettbewerb sichern. Die F.D.P. unterstützt die Bundesre- gierung ausdrücklich in ihrer Verhandlungsposition, am 15. Mai in der Sitzung des EU-Industrieministerrates in Brüssel darauf zu drängen und dafür zu sorgen, dass die südkoreanischen Werften im Welthandelsschiffbau ihre unkorrekten Methoden zur Eroberung hiesiger Marktan- teile endlich einstellen. Die F.D.P. drängt darauf, dass den Werften in den nord- deutschen Küstenländern mit ihren hoch qualifizierten Arbeitsplätzen vor Ort, aber auch mit denen der Zuliefer- betriebe in den süddeutschen Ländern, die Hilfe zuteil wird, die sie weltweit wettbewerbsfähig halten und die sie in die Lage versetzen, gegenüber den Südkoreanern, die im Schiffsbaumarkt nach wie vor Foul spielen, zu be- stehen. Der Dritte Bericht der EU-Kommission an den Rat zur Lage des Weltmarktes im Schiffbausektor macht über- deutlich, dass es die Südkoreaner sind, die für Preisverfall und Wettbewerbsverzerrungen zum Nachteil deutscher Arbeitsplätze verantwortlich sind. Mit Dumpingpreisen zum Teil von mehr als 40 Prozent unter den tatsächlichen Baukosten erobern sich die Südkoreaner auf unkorrekte Weise Marktanteile. Leider hat die Kommission bis jetzt nicht sehr viel erreicht, obwohl die Südkoreaner deutschen Schiffbauern auf der Nase herumtanzen. Es war nach Auf- fassung der F.D.P. ein schwerer Fehler, dass die Kommis- sion auf die Wettbewerbshilfe zum Jahresende verzichtet hat, obwohl die Südkoreaner überhaupt keine Kompro- miss- und Gesprächsbereitschaft gezeigt haben. Das Ab- schieben der Verantwortung an den europäischen Schiff- bauverband CESA war falsch. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16177 (C) (D) (A) (B) Nein, hier sind der Bundeskanzler, die Bundesregie- rung und alle im Deutschen Bundestag vertretenen Par- teien gefordert, sich schützend vor die deutsche Werft- industrie und deren Arbeitsplätze zu stellen. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass unsere Werftindustrie, die hervor- ragende Leistungen vollbringt, durch unfaire Methoden der Südkoreaner zerstört wird. Deshalb fordert die F.D.P. von der Bundesregierung Taten und unterstützt sie bei ihren Verhandlungen am 15. Mai 2001 in der Sitzung des EU-Industrieministerrates in Brüssel: Wir fordern die Bundesregierung auf, darauf zu drän- gen, dass die EU-Kommission den ihr vom Ministerrat im November 1999 erteilten Verhandlungsauftrag mit der südkoreanischen Regierung nachdrücklich und energisch weiterführt und sie zu einem positiven Abschluss bringt. Wir fordern die Bundesregierung auf, darauf zu drän- gen, dass die getroffenen Vereinbarungen der „Agreed mimetes“ von der koreanischen Regierung eingefordert werden. Ziel muss es sein, dass den koreanischen Werften keine Wettbewerbsvorteile von staatlicher Seite gewährt werden, sondern dass diese, wie ihre EU-Wettbewerber, ebenfalls zu Vollkosten kalkulieren müssen. Die F.D.P. drängt darauf, dass entsprechend dem Drit- ten Bericht der Kommission an den Rat zur Lage des Welt- marktes im Schiffbausektor vom 15. März 2000 bis zur Klärung in bilateralen Verhandlungen oder auf dem Kla- geweg vor der WTO gegenüber der Regierung Südkoreas Entschlossenheit demonstriert und auf eine schnelle Lö- sung hingewirkt wird, einen fairen Wettbewerb für deut- sche und europäische Werften zu sichern. Die F.D.P. drängt darauf, dass neue wirksame Rege- lungen zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der euro- päischen Werften bis zur Herstellung fairer Wettbewerbs- bedingungen auf dem Weltschiffbaumarkt gefunden werden. Die F.D.P. unterstützt die Bundesregierung in ihrem Anliegen, Einfluss auf den EU-Industrieministerrat zu nehmen, damit die Kommission sowohl verpflichtet wird, die genannten Maßnahmen unverzüglich umzusetzen, als auch im ersten Halbjahr einen weiteren Bericht zur Lage der europäischen Werften und über den Fortschritt der Ak- tivitäten der Kommission vorzulegen. Wir wollen, dass die Kommission darstellt, welche wirkungsvollen Sankti- onsmöglichkeiten bzw. Möglichkeiten eines Einfuhr- stopps es für bestimmte koreanische Güter gibt. Die F.D.P. drängt darauf, dass die Bundesregierung ei- nen Sachstandsbericht über die Fortschritte beim Ab- schluss des Welthandelsabkommens im Schiffbau abgibt. Die F.D.P. wird die Leistungen der Bundesregierung und speziell des Bundeskanzlers an den Ergebnissen messen, die er bei der Sitzung des EU-Industrieministerrates am 15. Mai 2001 in Brüssel erzielt. Das Foulspiel der südkoreanischen Werften muss ein Ende haben. Deutsche, aber auch europäische Werften insgesamt und deren Arbeitsplätze müssen in einem fai- ren Wettbewerb gesichert werden. Rolf Kutzmutz (PDS): Natürlich unterstützt auch die PDS-Fraktion die vorliegende interfraktionelle Be- schlussempfehlung. Schließlich deckt sie sich mit den außen- und handelspolitischen Forderungen, die wir in unserem eigenen Antrag erhoben haben. Ausdrücklich be- grüße ich dabei, dass sich – anders als ursprünglich von CDU/CSU gewünscht – zur Form denkbarer neuer Bei- hilfen für den heimischen Schiffbau nicht festgelegt wird. Schließlich müsste vor einer Neuauflage tatsächlich erst einmal ernsthaft über die Lastenverteilung für die öffent- lichen Haushalte geredet werden. Dass die Küstenländer zwei Drittel und der Bund den Rest davon tragen sollen, ist für uns jedenfalls nicht län- ger hinnehmbar. Rund 30 Prozent der mit dem Schiffbau verbundenen Wertschöpfung finden schließlich allein in Bayern und Baden-Württemberg statt. Das war erst am Mittwoch wieder zu hören, diesmal auf einem parlamen- tarischen Abend von Blohm & Voss in Hamburg. Im Übrigen muss ich aber bei meiner Feststellung vom vergangenen Monat bleiben: Es ist gut und richtig, dass der Bundestag der Regierung ordentlichen Rückenwind für die Verhandlungen über die Südkorea-Strategie im EU-Ministerrat gibt. Das allein dürfte den deutschen und europäischen Werften aber nicht viel weiter helfen. Wohin die Reise gehen müsste, will ich nur an zwei Meldungen der letzten Tage illustrieren: Die Peene-Werft in Wolgast konnte am Sonntag Aufträge für elf Contai- nerschiffe und die Option auf zwei weitere bekannt geben. Grund des Erfolgs laut Eigentümer Hegemann: neben ge- stiegenem Dollarkurs und anziehenden Charterraten die völlige Neuentwicklung dieser Serie. In Japan fusionieren nach Hitachi Zosen und NKK nun auch IHI und Kawasaki Heavy. Die hiesigen Werften ha- ben es nun nicht mehr nur mit Mitsubishi Heavy, sondern gleich mit drei Giganten zu tun, von denen jeder einen Jahresumsatz zwischen 1,7 und 2,6 Milliarden Euro er- wirtschaftet. Zum Vergleich: Die Thyssen-Werften kamen im vergangenen Jahr auf 842 Millionen Euro, HDW in- klusive seiner Auslandstöchter auf knapp 1 Milliarde Euro. Ob und wie angesichts solcher Trends das neue Tech- nologieprogramm im Hause von Ministerin Bulmahn oder die gewiss verdienstvollen Aktivitäten des mariti- men Koordinators, Herrn Staatssekretär Gerlach aus dem Wirtschaftsministerium, der erst gestern hier in Berlin ei- nen Workshop zu Kooperationsmöglichkeiten ausgerich- tet hat, effektiv und ausreichend sind – das sollten wir kontinuierlich weiter prüfen. Zum Schluss – aber nicht zuletzt – will ich hier aber auch nochmals auf das Problem der Kapazitätsbeschrän- kungen für die ostdeutschen Werften verweisen. Das hat sicher weniger mit Südkorea, aber sehr viel mit dem In- dustrieministerrat zu tun. Zwar könnte diese Frage nach den Vorschlägen der Bundesregierung von der Kommis- sion autonom entschieden werden. Wir vermuten jedoch, dass sie sehr wohl mit dem allgemeinen europäischen Beihilfenregime verknüpft wird. Die Bundesregierung sollte deshalb der Kommission wie auch den anderen Mitgliedstaaten zumindest eines Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116178 (C) (D) (A) (B) klarmachen: Je flexibler die Beschränkung gehandhabt wird, desto kleiner ist der Beihilfebedarf für einen be- achtlichen Teil der deutschen Werftindustrie. Und daran müsste ja allen gelegen sein. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bun- desdatenschutzgesetzes und anderer Gesetze – der Unterrichtung: Tätigkeitsbericht 1997 und 1998 des Bundesbeauftragten für den Datenschutz – 17. Tätigkeitsbericht – (Tagesordnungspunkt 19 a und b) Jörg Tauss (SPD): Der Datenschutz und das Grund- recht auf informationelle Selbstbestimmung sehen sich angesichts der technischen Entwicklungen in der Kom- munikationstechnologie, aber auch beispielsweise in der Biotechnologie, in der medizinischen Forschung und an- gesichts eines wachsenden Missbrauchs personenbezoge- ner Daten in den neuen Medien vor enormen Herausfor- derungen. Mit der zweiten und dritten Lesung zum Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesdatenschutzge- setzes und anderer Gesetze werden heute die Weichen zur Bewältigung dieser Probleme richtig gestellt. Durch die Umsetzung der EG-Datenschutz-Richtlinie wird europaweit ein einheitliches Datenschutzniveau ge- schaffen und werden einheitliche Maßstäbe für die Erhe- bung und Verarbeitung von Daten in der Europäischen Union festgelegt. Die zentralen Ziele der EG-Daten- schutz-Richtlinie lauten zusammengefasst: Transparenz der Datenverarbeitung und Akzeptanz der Verbraucher und Nutzer. Über die Umsetzungspflicht der Richtlinie hinaus sind in diesem Gesetzentwurf bereits einige Elemente eines neuen und modernen Datenschutzrechtes aufgenommen, die auch für die zweite Stufe einer Gesamtreform von Be- deutung sind. Dazu zählen beispielsweise die Aufnahme der Prinzipien der Datenvermeidung und Datensparsam- keit, die Regelungen für mobile Speichermedien – Chip- karten – und Regelungen zur Videoüberwachung, für die es – im privaten Bereich – bislang keine Regelungen gab. Ein wesentliches Modernisierungselement stellt die künftige Möglichkeit eines freiwilligen Datenschutzau- dits dar. Eine solche Auditierung trägt künftig mit dazu bei, die Ergebnisse der Selbstregulierung transparent zu machen. Zugleich könnte sie die Wahrnehmung des Da- tenschutzes als Qualitäts- und Wettbewerbsfaktor stärken und damit deutlich machen, dass Datenschutz eben nicht nur als Kostenfaktor für Unternehmen anzusehen ist, son- dern vor allem einen –, wenn auch nicht kurz-, so aber doch mittel- und längerfristig – entscheidenden Wettbe- werbs- und Standortvorteil darstellen kann. Eine solche Zertifizierung; mit der die Unternehmen werben könnten, hätte nicht nur die unmittelbare Folge, dass aus Perspek- tive des Datenschutzes unbedenkliche Produkte auf den Markt kommen, sondern könnte ebenfalls das Bewusst- sein um die Bedeutung des Datenschutzes in der Infor- mationsgesellschaft erhöhen. Seitens der Wirtschaft gab es hierzu sowohl unterstüt- zende als auch kritische Anmerkungen. Natürlich gilt es, diese Bedenken ernst zu nehmen. Aufgabe der Politik ist es nun, gesetzliche Regelung zur Durchführung und Kon- trolle eines solchen Auditierungsverfahrens zu ent- wickeln, die diesen Bedenken gerecht werden und mit de- nen bestimmte Verhaltensregeln und Mindeststandards vorgegeben werden. Ich möchte nicht noch einmal auf die einzelnen Rege- lungen und die strittigen Punkte dieses Gesetzentwurfes im Detail eingehen, sondern vielmehr den Blick auf die so genannte zweite Stufe der Modernisierung des Informati- onsrechtes lenken und Sie herzlich zur konstruktiven Mit- arbeit einladen. Hierzu haben wir ja heute Morgen auch ein Gespräch geführt. Warum eigentlich eine zweite Stufe? Immer mehr Le- bensbereiche in der sich entfaltenden Wissens- und Infor- mationsgesellschaft werden von den neuen Informations- und Kommunikationstechniken durchdrungen. Damit wird eine dieser Gesellschaftsformation angemessene neue Datenschutzpolitik notwendig; denn ohne einen bes- seren Schutz der Privatsphäre wird es keine demokratisch verantwortbare Informationsgesellschaft geben. Einige Zahlen können dies belegen: 74 Prozent fühlen sich nach einer Umfrage von Opaschowski durch Daten- missbrauch betroffen und 55 Prozent sagen, Datenschutz solle wieder eine größere Bedeutung haben. Nach einer Umfrage der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen aus dem Jahr 2000 haben 62 Prozent der Internetnutzer wegen des „nicht gewährleisteten Datenschutzes“ noch nicht on- line bestellt oder gekauft. Auch die Tätigkeitsberichte des Bundesbeauftragten für den Datenschutz – auch diese stehen ja heute zur Beratung an – können als Beleg hierfür dienen. Dem 18. Tätigkeitsbericht zufolge müssen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland immer häufiger mit Eingriffen in ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung rechnen, sei es durch Überwachungsmaßnahmen, die im- mer häufigere Videoüberwachung im privaten Bereich oder das Ausspähen von Daten bei der Nutzung der neuen IuK-Möglichkeiten, beispielsweise des Internet. Der Bundesdatenschutzbeauftragte äußerte völlig zu Recht am Donnerstag große Sorge, dass zum Beispiel die An- ordnungen von Telefonüberwachung seit 1995 um mehr als 170 Prozent zugenommen hätten, ohne dass ein Grund dafür ersichtlich sei. In der Kriminalitätsentwicklung scheinen diese Gründe, wie die Zahlen belegen, nicht zu liegen, sodass wir hierüber einmal ruhig und sachlich re- den müssen. So ist und bleibt es ein wichtiges Ziel dieser rot-grünen Bundesregierung, die in den vergangenen Jahren einge- führten Regelungen, die eine Erweiterung der Eingriffsbefugnisse der Behörden zum Ziel hatten, hin- sichtlich ihrer Notwendigkeit und Wirksamkeit zu eva- luieren – wobei hier gerade seitens der Bundesländer eine Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16179 (C) (D) (A) (B) größere Bereitschaft notwendig wäre. Dabei ist – wie ge- genwärtig bei der Diskussion um den Entwurf für eine Te- lekommunikationsüberwachungsverordnung – besonders dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Eingriffsmög- lichkeiten in das Telekommunikationsgeheimnis durch „berechtigte“ Stellen immer auch missbräuchliche Ein- griffe durch unberechtigte Dritte zur Folge haben können. Die „Stuttgarter Nachrichten“ schreiben heute zum Thema Datenschutz: „In unserer vernetzten, indiskreten Gesellschaft bleibt wenig geheim, praktisch gar nichts. Nicht die Kreditbelastung, nicht das Konsumverhalten, auch nicht Adresse und Telefonnummer. Von Privatheit keine Spur, nicht mal der Gang durchs Museum ist noch unsere Sache: Wenn wir Pech haben, tauchen wir kurz da- rauf im Internet auf. Es gibt also viele ungute Gründe, wachsam zu sein. Wer finstere Mächte am Werk glaubt, wenn mitgehört und ausgeforscht wird, täuscht sich. Die Absichten sind lauter, stets geht es um die Aufklärung ver- meintlicher Straftaten. Auch der Rechtsstaat ist nicht feh- lerfrei. Fazit: Wer nichts verbirgt, hat viel zu befürchten.“ So weit die „Stuttgarter Nachrichten“, denen ich an dieser Stelle zustimme. Der Schutz der personenbezogen Daten und die Trans- parenz der Datenverarbeitung werden – so können diese Überlegungen zusammengefasst werden – neben dem Schutz von Persönlichkeitsrechten sowohl zu zentralen Akzeptanzvoraussetzungen als auch zu entscheidenden Wettbewerbsfaktoren. Fazit: Will die Gesellschaft beim Übergang zur Wis- sens- und Informationsgesellschaft am Ziel eines freiheit- lich-demokratischen Gemeinwesens festhalten und will sie auch die wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Potenziale nicht gefährden, kommt sie nicht umhin, auch in einer vernetzten und digitalisierten Welt das Grund- recht auf informationelle und kommunikative Selbstbe- stimmung zu bewahren. Die Entwicklung eines modernen Datenschutzkonzeptes ist und bleibt damit ein zentrales Reform- und Modernisierungsprojekt der nächsten Jahre. Schwerpunkte der zweiten Stufe der Modernisierung des Datenschutzrechtes werden insbesondere sein: Erstens: Datenschutz durch Technik. Die Möglichkei- ten der informationstechnischen Sicherheit müssen als ein zentrales Instrument zur Umsetzung eines „neuen Datenschutzes“ verstanden werden. Um zu einem wirk- lich effektiven Datenschutz zu kommen, muss das Zu- sammenwirken zwischen Datenschutz und Datensicher- heit intensiviert werden. Zweitens: Vereinfachung und Verschlankung. Ange- sichts der Unübersichtlichkeit und Kompliziertheit des Datenschutzrechts sollte im Interesse von datenverarbei- tenden Stellen und Nutzern eine erhebliche Vereinfa- chung und Verschlankung des Datenschutzrechts im Vor- dergrund stehen. Nur wenn der Einzelne seine Rechte überhaupt kennt, kann er diese auch wahrnehmen. Ver- einfachung und Verschlankung dürfen natürlich nicht zu einer Aufweichung der verfassungsrechtlich garantierten Rechte oder zur Einschränkung oder Abschwächung be- währter Verfahren des Datenschutzes führen. Diese Ziele erweisen sich aber vor allem deshalb als notwendig, um zu widerspruchsfreien, einheitlichen, praktikablen und vor allem auch verständlichen Regelungen zu gelangen. Selbst die Datenschutzexperten klagen über eine kaum noch zu überblickende Normenflut auf dem Gebiet des Datenschutzrechts. Das allgemeine und das bereichsspe- zifische Datenschutzrecht bedarf daher einer Durchfors- tung und Überprüfung. So hat in den vergangenen Jahren die Bedeutung des Bundesdatenschutzgesetzes durch im- mer neue bereichsspezifische Regelungen tendenziell ab- genommen. Mit der Umsetzung der zweiten Stufe ergibt sich die Möglichkeit, durch eine Aufwertung des BDSG die Menge der bereichsspezifischen Regelungen deutlich zu reduzieren. Dazu zählt – gerade bei den neuen luK- Möglichkeiten – beispielsweise die Frage, wie sich Abgrenzungsprobleme zwischen Telekommunikations- gesetz, Teledienstedatenschutzgesetz und den Da- tenschutzregelungen des Mediendienste-Staatsvertrages vermeiden lassen und ob hier gegebenenfalls Anpas- sungsbedarf besteht. Dazu zählt auch die meiner Meinung nach dringend notwendige Anpassung von Teil 11 des Telekommunikationsgesetzes, TKG, an die neuen daten- schutzrechtlichen Instrumente des Teledienstedaten- schutzgesetzes, des TDDSG. Drittens: Stärkung des Selbstschutzes. Eine große Be- deutung kommt in einem neuen Datenschutzrecht den Möglichkeiten des Selbstschutzes für den einzelnen Nut- zer zu. Dazu bedarf es insbesondere der weiteren Ent- wicklung von Selbstschutzinstrumenten – zum Beispiel der digitalen Signatur und der Verschlüsselungssoft- ware –, was zugleich eine Herausforderung an eine zu- kunftsgerichtete Forschungsförderpolitik ist. Außerdem ist der Aufbau einer Sicherungsinfrastruktur für die Nut- zung dieser Selbstschutzmechanismen unabdingbar, wofür die Politik Rahmenbedingungen formulieren muss. Notwendig ist darüber hinaus die Förderung des Bewusst- seins um die Möglichkeiten des Selbstdatenschutzes und des Systemdatenschutzes. Dies kann zum einen durch Maßnahmen zur Aufklärung über die Chancen und Risi- ken der neuen Informations- und Kommunikationstechni- ken geschehen, zum anderen aber auch dadurch, dass die öffentliche Verwaltung entsprechende Techniken einsetzt und Ansätze zu „electronic government“ gezielt gefördert werden. Viertens: Systemdatenschutz. Um die nun festge- schriebenen Gebote der Datensparsamkeit und der Daten- vermeidung „mit Leben“ zu füllen, sollten die Systeme der Diensteanbieter nach dem Prinzip des Systemdaten- schutzes organisiert werden. Die informationsverarbei- tenden Systeme sollten so konstruiert werden, dass sie möglichst wenig personenbezogene Daten verarbeiten müssen – und können –, um ihre jeweilige Aufgabe zu er- füllen. Fünftens: neue Technologien. In den vergangenen Ta- gen wurde in den Medien die Frage von „heimlichen Gen- tests“ thematisiert. Natürlich stellt sich die Frage eines modernen Datenschutzrechtes also nicht nur im Zusam- menhang mit den neuen Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnik. Auch andere neue Techno- logien bergen erhebliche Gefährdungspotenziale für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Das gilt beispielsweise für diese heimlichen Genomanalysen und Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116180 (C) (D) (A) (B) für die Nutzung dieser Informationen, beispielsweise durch Versicherungen. Auch diese Gefährdungspoten- ziale gilt es auszuloten und – wo nötig – gesetzlich zu regeln. Sechstens: anonyme und pseudonyme Nutzung. Grundlegende Bedeutung kommt gerade bei der Nutzung der neuen Informations- und Kommunikationsmöglich- keiten der pseudonymen Nutzungsmöglichkeit als Mittel des Selbstdatenschutzes zu, die gefördert werden sollte. Mit einer pseudonymen Nutzungsmöglichkeit werden die personenbezogenen Daten zwar nicht reduziert, jedoch wird damit die Zurückverfolgung der gespeicherten und verarbeiteten Daten zu einer tatsächlichen Person wirk- sam verhindert – außer im Streitfall. Siebtens: Schutz der Kommunikation am Arbeitsplatz. Nach jahrelangen Ankündigungen müssen im Rahmen dieser zweiten Stufe – unter Einbeziehung aller Beteilig- ten – Regelungen zum Schutz der Kommunikationspro- zesse am Arbeitsplatz entwickelt werden. Rechtssicher- heit in diesem Bereich ist übrigens sowohl im Interesse der Arbeitgeber als auch der Beschäftigten: Bei der Ent- wicklung zu computergestützter Arbeit im Betrieb und im Rahmen von Telearbeit wachsen die Daten in Umfang und Qualität stark an, ohne dass sie in angemessener Weise ge- schützt sind und einer angemessenen Kontrolle unterlie- gen. Lediglich die Ausweitung des Fernmeldege- heimnisses auch auf innerbetriebliche Kommunikation hat in den letzten Jahren zu einem Zuwachs an Schutz ge- führt. Achtens: Regulierte Selbstregulierung. Die in der EU-Datenschutz-Richtlinie enthaltene Verpflichtung, im nationalen Datenschutzrecht ergänzende Möglichkeiten der Selbstregulierung vorzusehen, sollte nicht als unver- einbare „Systemwidrigkeit“, sondern als Chance begrif- fen werden, dieses Instrument für den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung fruchtbar zu ma- chen. Es kann nicht mehr Regelungen für jedes Detail in jedem Prozess geben – und erst recht nicht durchgesetzt werden. Entsprechende Regelungen sollten sich an den Erfahrungen von Staaten orientieren, die bereits Erfah- rungen mit Selbstregulierung im Bereich des Daten- schutzes gesammelt haben. So können auch mögliche Schwächen im Hinblick auf Repräsentativität und Umset- zung in den jeweiligen Branchen, die diese „codes of conduct“ haben, erkannt und vermieden werden. Selbst- regulierungsmechanismen setzen jedoch gesetzliche Rah- menbedingungen voraus für den Fall, dass diese versagen. Die Betroffenen dürfen in einem solchen Fall nicht schutzlos sein. Neuntens: Verbesserung der Kontrolle. Wirksame und unabhängige Kontrolle ist die Voraussetzung eines erfolg- reichen Datenschutzes. Wenn man Datenschutz zuneh- mend als Querschnittsaufgabe begreifen will, muss dies auch institutionelle Folgen haben. Zu fragen und abzuwä- gen sein wird in dieser zweiten Stufe auch die Stellung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz. Zehntens: Informationsfreiheitsgesetz. Als Kehrseite derselben Medaille müssen wir auch über den Zugang zu Informationen reden. Die Koalition hat in ihrem Koaliti- onsvertrag angekündigt, ein Informationsfreiheitsgesetz vorzulegen. Im Sommer soll dieser Entwurf vorliegen und beraten werden. Auf Initiative der Koalitionsfraktionen hat der Unter- ausschuss „Neue Medien“ beschlossen, diese zweite Stufe der Modernisierung des Informationsrechtes zu- gleich als Pilotprojekt einer elektronischen Demokratie zu begleiten. Hierzu werden in Abstimmung mit allen Fraktionen die letzten Detailfragen geklärt. Ich will als Vorsitzender des Unterausschusses und zugleich im Na- men der Vorsitzenden des Innenausschusses, Ute Vogt, alle Fraktionen auch zur Mitarbeit an diesem E-Demo- kratie-Pilotprojekt herzlich einladen. Dieses E-Demokra- tie-Pilotprojekt bietet eine hervorragende Gelegenheit, die immensen Chancen der neuen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten für den politischen Pro- zess als auch zur Ermöglichung von mehr Partizipation zu erkennen und zu nutzen – im Interesse eines modernen und angemessenen Informationsrechtes der Bürgerinnen und Bürger und im Dialog mit ihnen und der Fachszene. Eine demokratische und verantwortbare Informations- und Wissensgesellschaft darf, wie ausgeführt, die neuen Möglichkeiten des Dialoges nicht verstreichen lassen. Wenn wir dies jetzt auch mit diesem Zukunftsthema verbinden, haben wir für die bürgernahe Informationsge- sellschaft einen weiteren Beitrag geleistet. Heute aber verabschieden wir zunächst die erste Stufe. Dies ist ein wichtiger Schritt und, wie ausgeführt, ein Schritt zu wei- teren interessanten Projekten. Zuletzt möchte ich der Opposition herzlich danken für die konstruktive Zusammenarbeit in der Schlussphase dieses Gesetzgebungsverfahrens. Beatrix Philipp (CDU/CSU): Seit ich mich intensiver mit dem Bereich Datenschutz befasse, habe ich in Ab- wandlung eines Sprichwortes öfters gedacht: „Daten- schutz ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Lei- den schafft.“ Nun ist Leidenschaft an sich nichts Schlechtes – es sei denn, man verliert dadurch völlig die Orientierung. Aber nun Spaß beiseite, Thema ist heute die zweite und dritte Beratung zur Änderung des Bundesdatenschutzge- setzes und die Beschlussempfehlung des Innenausschus- ses zum 17. Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz zu den Jahren 1997 und 1998. Beides sind gewichtige Themen, und es ist schade, dass wir beide Themen in einer nur halbstündigen Debatte „verwursteln“ müssen. Ich möchte nur ein paar kurze Anmerkungen zum 17. Tätigkeitsbericht machen: Wir haben zu einem sehr späten Zeitpunkt über den 17. Tätigkeitsbericht für die Jahre 1997 und 1998 gesprochen, nämlich im Herbst 2000. Das ist eine Verzögerung von zwei Jahren! Wir wa- ren uns alle einig, dass eine zeitnahe Beratung der Sache sicherlich dienlicher gewesen wäre. Insofern bin ich froh, dass der Bundesdatenschutzbeauftragte gestern den Be- richt für 1999 und 2000 vorgestellt hat, den wir ja nun auch bald beraten werden – so hoffe ich doch! Was den Bericht betrifft, so wäre es eine erhebliche Erleichterung, wenn herausgehobene Beanstandungen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16181 (C) (D) (A) (B) als inzwischen erledigt oder als noch nicht erledigt oder als strittig gekennzeichnet würden. Das würde die Lesbar- keit und die Beratung erheblich erleichtern und verkür- zen. Ich gehe auch davon aus, dass die Forderungen aus dem 17. Bericht aufgegriffen und in absehbarer Zeit er- füllt werden. Ich komme nun zur Änderung des Bundesdaten- schutzgesetzes: Sie beinhaltet einerseits die Angleichung an die EU-Richtlinie 94/46 EG, die überfällig war, wie wir alle wissen. Andererseits finden Sie in der Drucksache ein paar Bereiche, die aus der noch für diese Legislaturperi- ode vorgesehenen Novellierung des Datenschutzgesetzes quasi „vorgezogen“ wurden. Wie gesagt, zweifellos war die Umsetzung der EU- Richtlinie überfällig. Insofern war die Bereitschaft zur zü- gigen Beratung auf allen Seiten vorhanden, und auch Kompromissbereitschaft war vorhanden. So konnte bei- spielsweise bei der Aufgabendefinition für den Daten- schutzbeauftragten ein gemeinsamer Kompromiss er- reicht werden. Anders sieht es mit den eben erwähnten so genannten vorgezogenen Punkten aus. Das sind erstens die Einführung eines Datenschutzaudits, zweitens die Videoüberwachung und drittens die Chipkartenregelung. Zwei Anträge unserer Fraktion machen unsere Beden- ken deutlich: Erstens. Das geplante Datenschutzaudit – gemäß BDSG-E § 9 a – wird von uns abgelehnt. Zwei- tens. Die Vorschriften zur Videoüberwachung – BDSG-E § 6 b – erscheinen uns unzureichend. Hinsichtlich des Datenschutzaudits stelle ich fest: Ers- tens. Es belastet die Wirtschaft finanziell in besonderem Maße. Zweitens. Es ist eine Arbeitsbeschaffungsmaß- nahme für einen neuen Berufszweig, nämlich so genannte Auditoren. Drittens. Es regelt einen Bereich, den der Markt selbst regeln kann, und entspricht damit nicht der immer gepriesenen „Entbürokratisierung“ und „Deregu- lierung“. Es ist geplant, den betrieblichen Datenschutzbeauf- tragten – seit Jahren bewährten und engagierten Fach- leuten in Sachen Datenschutz – externe „Kontrolleure“ beizugeben, nämlich einen oder mehrere externe Daten- schutzauditoren, die das Datenschutzkonzept der Betriebe überprüfen und dafür dann ein „Siegel-Zertifikat“ oder Ähnliches vergeben. Wer die Erfahrungen mit der ISO 9000-Norm kennt, weiß, dass – direkt oder indirekt – Druck entsteht, der bis zum kleinsten Zulieferer weiterge- geben wird, nämlich Druck, ein Audit durchzuführen. Dass es sich dabei zunächst noch um eine freiwillige Auf- gabe handelt, verbessert die Situation auch nicht. Wenn der Markt es erforderlich macht, wird der Markt es regeln. Warum ein Gesetz? Auch dass es sich bei dem Datenschutzaudit um ein „Modellprojekt“ – wie betont wird – handelt, hilft nicht, es auf Dauer nicht verbindlich werden zu lassen, zulasten der Wirtschaft. Als NRW-Abgeordnete habe ich bisher schlechte Er- fahrungen mit Modellprojekten gemacht, weil man immer schon zu Beginn wusste, wie das Projekt endet, nämlich immer im Sinne des Projektes, das heißt positiv! Es fehlen die Ausführungsbestimmungen zum Daten- schutzaudit. Da es, wie gesagt, keinen Zeitdruck in dieser Frage gibt, macht mich das ausgesprochen misstrauisch! Nichts ist so haltbar wie ein Provisorium! Heute nur über das „Ob“ und nicht gleichzeitig über das „Wie“ zu ent- scheiden, halte ich vor dem Hintergrund der Belastungen, die Sie zurzeit der Wirtschaft sowieso schon zumuten, für nicht vertretbar! Hier geht es um den untauglichen und kostenintensiven Versuch, in Bewährtes einzugreifen, nämlich in den gut funktionierenden Datenschutz in den Betrieben. Zwar weisen SPD und Bündnis 90/Grüne immer wieder darauf hin, dass es sich hier um die Einführung eines freiwilligen Datenschutzaudits handelt. Aber seit wann und warum müssen wir denn Freiwilligkeit in Gesetzen festschreiben? Die CDU/CSU-Fraktion hat ein intensives Experten- gespräch mit Vertretern der Wirtschaft, des Handwerks und verschiedener Verbände durchgeführt. Einhellig lehnten alle Experten die geplante Einführung eines Da- tenschutzaudits ab. Die Argumente allein von zwei nam- haften deutschen Unternehmen, positiv zum Audit zu ste- hen, haben – das wissen Sie so gut wie ich – sehr durchschaubare und nicht übertragbare Gründe. Ich will noch einmal die Hauptgründe gegen das Da- tenschutzaudit nennen. Erstens. Die Einführung eines Da- tenschutzaudits schwächt die Stellung des betrieblichen Datenschutzbeauftragten. Bisher haben die betrieblichen Datenschutzbeauftragten und die ihnen übergeordneten Aufsichtsbehörden sehr gut zusammengearbeitet, wie beide Seiten betonen. Die betriebliche Selbstkontrolle durch betriebliche Datenschutzbeauftragte hat sich be- währt. So ist es uns unverständlich, warum durch ein Da- tenschutzaudit nun eine Art „Dreifach-Kontrolle“ einge- führt werden soll: neben der Selbstkontrolle durch betriebliche Datenschutzbeauftragte und der Fremdkon- trolle durch die Aufsichtsbehörden nun auch noch ein „Datenschutzaudit“ durch von außen „eingeflogene“, ex- terne Auditoren. Auch die beabsichtigte Verbesserung sehe ich nicht. Datenschutz ist schließlich ein Prozess; beim Daten- schutzaudit handelt es sich jedoch nur um eine Moment- aufnahme! Auch inhaltlich kann ich also keinen Fort- schritt erkennen. Aber viele Fragen bleiben: Welche Konsequenzen hat ein durchgeführtes Audit ? Welche Probleme können ent- stehen – zum Beispiel dann, wenn Gutachter und Daten- schutzkontrollbehörden zu unterschiedlichen Bewertungen gelangen, von der Meinung des betrieblichen Datenschutz- beauftragten einmal ganz abgesehen? Wer garantiert die Unabhängigkeit und vor allem die Qualifikation der Audi- toren? Der TÜV Rheinland bildet bereits innerhalb von zwei Tagen so genannte Auditoren aus! Viele betriebliche Datenschutzbeauftragte haben als Informatiker einen Hochschulabschluss oder zwei Jahre berufsbegleitende Fortbildung absolviert. Sind die bishe- rigen Qualifikationen überflüssig? Führen die bisherigen Ausbildungen zur Überqualifikation? Das sind Fragen, die meines Erachtens vor der Einführung geklärt werden mussten und müssen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116182 (C) (D) (A) (B) Zweitens. Die Kosten für die Wirtschaft sind immens und kaum abschätzbar. Drittens. Ich zitiere aus der Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 14/5793: Die geplante Regelung wird voraussichtlich durch folgende Änderungen zu Mehrbelastungen der Wirt- schaft führen: Durch die Einführung von Informati- onspflichten im Rahmen der Erhebung personenbe- zogener Daten beim Betroffenen auch im nicht öffentlichen Bereich sowie durch die Einführung der sog. Vorabkontrolle für bestimmte automatisierte Verarbeitungen sind Mehrbelastungen zu erwarten. Ferner kann die nach dem Gesetzentwurf gebotene Auswahl von Kommunikationstechnik am Maßstab des Prinzips der Datenvermeidung und -sparsamkeit Mehrausgaben verursachen. Große Automobilkonzerne rechnen mit zusätzlichen Kosten von circa 10 bis 20 Millionen DM für das Daten- schutzaudit, vom personellen und bürokratischen Mehr- aufwand ganz zu schweigen. Viertens. Sollte der Markt auf Dauer tatsächlich ein Datenschutzaudit notwendig machen, dann wird es kom- men. Die Wirtschaft reguliert sich selbst besser und fle- xibler, als jedes Gesetz es tut. Im Gegenteil: Durch die Einführung des Datenschutzaudits droht vielmehr eine Marktverzerrung! Schon bei der „IS0 9000“-Norm war dies zu beobachten. Zertifizierte Betriebe arbeiten nur noch mit kleineren zusammen, wenn diese ebenfalls über das gewünschte Zertifikat verfügen. Denken Sie einmal an den Handwerksbetrieb mit seinem Meister, den drei Gesellen und der Meisterfrau, die die Buchhaltung macht. Die Kosten für ein Datenschutzaudit wären für diese klei- nen Betriebe eine zusätzliche Belastung und kaum zu ver- antworten. In den letzten Tagen ging mir eine Pressemitteilung des Landesbeauftragten für Datenschutz in Schleswig-Hol- stein, Dr. Bäumler, zu. Ab sofort wird in Schleswig-Hol- stein ein Datenschutzaudit für öffentliche Stellen durch- geführt. Für nicht öffentliche Stellen existiert jetzt ein Datenschutz-Gütesiegel. Ich darf aus dieser Pressemitteilung zitieren: „Gütesie- gel sind primär dazu da, den Behörden die Auswahl sol- cher Produkte zu erleichtern, die mit den Datenschutzbe- stimmungen in Einklang stehen.“ Hier zeigt sich doch schon der von mir kritisierte indirekte Zwang, den wir nicht wollen und aufgrund der guten Erfahrungen mit dem betrieblichen Datenschutz auch nicht brauchen. Aus diesen Gründen hat die CDU/CSU-Fraktion den Antrag gestellt, das Datenschutzaudit ersatzlos zu strei- chen. Sollten Ausführungsbestimmungen, also auch das „Wie“, bekannt sein, denken wir neu nach, wenn es uns denn dann sinnvoller erscheint als heute. Auch die Vorschriften zur Videoüberwachung sind im Vorgriff auf die zweite Stufe des BDSG heute Gegenstand der Beratung. Es handelt sich um die Beobachtung öf- fentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen. Eine öffentliche Anhörung des Innenaus- schusses hat sehr unterschiedliche Auffassungen von Sinn und Zweck, von Möglichkeiten und Grenzen der Video- überwachung deutlich gemacht. Insofern hätten wir auch bei diesem Punkt gerne ausschussübergreifende Regelun- gen gefunden. Videoüberwachung hat mehrere Ziele; sie ist schließlich kein Selbstzweck! Es geht um das Sicherheitsempfinden unserer Bürger, von dem wir wissen, dass es sich vom tatsächlichen Be- drohungspotenzial oft erheblich unterscheidet. Dies sollte uns zu denken geben und den Versuch wert sein, die Fak- ten einerseits und das Gefühl andererseits nicht weiter auseinanderdriften zu lassen. Insofern war uns die Formulierung in § 6 b Abs. 3 zu kurz gesprungen. Sie ist nach unserer Auffassung ergän- zungsbedürftig und sollte um den Aspekt der „Gefahren- vorsorge oder Strafverhütung“ ergänzt werden. Jetzt heißt es in Absatz 3 des § 6, dass die Verarbeitung oder Nutzung von Daten aus der Videoüberwachung zulässig ist, wenn nicht schutzwürdige Interessen der Be- troffenen überwiegen. Ich zitiere nun: „Für einen anderen Zweck dürfen sie nur verarbeitet oder genutzt werden, soweit dies zur Ab- wehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit erfor- derlich ist.“ Wir haben hier den Zusatz vorgeschlagen, dass die Daten auch zur „Verfolgung von Straftaten bzw. zur Gefahrenvorsorge oder Straftatenverhütung“ genutzt oder verarbeitet werden können. Denn wir meinen, Videoüberwachung soll auch zur vorbeugenden Bekämpfung von Kriminalität dienen und präventiv wirken. Leider haben wir uns mit beiden Anträgen nicht durch- setzen können. Wir bedauern das sehr und können uns da- her bei der Abstimmung des Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes auf Drucksache 14/4329 ins- gesamt nur der Stimme enthalten. Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit der heute zu beschließenden Reform des Bundesdatenschutz- gesetzes unterstreicht Rot-Grün seine Kompetenz hin- sichtlich eines verantwortungsvollen und modernen Um- gangs mit Daten. Uns gelingt mit dieser Gesetzesreform der Brückenschlag zwischen dem Verbraucherschutz und den berechtigten Interessen öffentlicher und privater Stel- len. Eine effiziente Datenverarbeitung und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Sicherheit ihrer Daten dürfen sich nicht widersprechen. Dieses Anliegen werden wir auch bei der demnächst folgenden zweiten Reform- stufe des Bundesdatenschutzgesetzes berücksichtigen, mit der wir das Vertrauen der Verbraucher in Formen der elektronischen Kommunikation noch weiter verstärken wollen. Datenschutz ist ein sehr wichtiges und nicht zuletzt hochaktuelles Thema! Datenschutz ist moderner Verbrau- cherschutz und ein entscheidender Akzeptanzfaktor für alle Formen des elektronischen Handels und der elektro- nischen Verwaltung. Ein moderner Datenschutz schafft Vertrauen für die Bürgerinnen und Bürger in Staat und Wirtschaft; ohne ausreichenden Datenschutz werden sich Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16183 (C) (D) (A) (B) viele Bürgerinnen und Bürger der Informationsgesell- schaft verweigern. Mit dieser Gesetzesänderung erledigen wir nicht nur unser Pflichtprogramm – die Anpassung an eine EU- Richtlinie von 1995, deren Umsetzung die alte Bundesre- gierung versäumt hatte –, sondern wir setzen eigene, wichtige Akzente, auf die ich jetzt im Einzelnen kurz ein- gehen werde. Insbesondere auf Initiative von Bündnis 90/Die Grü- nen hin wurde der Punkt Datenschutzaudit in diesen Entwurf mit aufgenommen. Zur Verbesserung der Daten- sicherheit können datenverarbeitende Stellen ihr Daten- schutzkonzept durch unabhängige Gutachter prüfen und die Ergebnisse veröffentlichen lassen: Zertifizierung statt Reglementierung – dies ist die Zukunft! Diese Form der Transparenz ist auch im Interesse der Unternehmen; denn diese können nun den verantwortungbewussten Umgang mit Daten aktiv für den Wettbewerb nutzen. Nun zum sensibelsten Punkt des Entwurfs, der „op- tisch-elektronischen Beobachtung öffentlich zugängli- cher Räume“, der so genannten Videoüberwachung. Der häufig zu beklagende „Wildwuchs“ in diesem Be- reich – die Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen und privatwirtschaftlichen Räumen gehört auch in der Bundesrepublik längst zum Alltag – bedarf dringend ge- setzlicher Regelungen, um jede unnötige und überflüssige Maßnahme zu verhindern. Ob uns dies mit den hier for- mulierten Bestimmungen gelingt, bleibt abzuwarten. Doch wir können eines versichern: Bündnis 90/Die Grü- nen werden immer ein wachsames Auge darauf haben, dass unsere Gesellschaft nicht von unerwünschten wach- samen Augen beobachtet wird. „Big Brother“ im Fernse- hen können wir vielleicht gerade noch ertragen, „Big Brother“ im wirklichen Leben nicht mehr. Darum: Datenvermeidung und Datensparsamkeit sind oberste Grundsätze eines modernen Datenschutzrechtes und werden in diesem Gesetzesentwurf so weit wie mög- lich berücksichtigt. Ich möchte betonen, dass wir die Arbeit des Bundes- beauftragten für den Datenschutz ausdrücklich unterstüt- zen – dessen Stellung in diesem Gesetzesentwurf ja auch weiter gestärkt und herausgehoben wird. Auch möchten wir die positive Zusammenarbeit bei der Verabschiedung dieses Gesetzes herausheben: Insbesondere in den Be- richterstatterrunden mit den Ministerien sowie im Dialog mit den Datenschutzbeauftragten der Länder und – dies sei ausdrücklich erwähnt – auch mit der Opposition wurde ausgesprochen konstruktiv gearbeitet, eine Vorgehens- weise, die wir bei der zweiten Reformstufe erfolgreich fortsetzen und ausbauen wollen, unter anderem mit der Einrichtung einer Diskussionsplattform im Internet für alle Bürgerinnen und Bürger. Mit der Modernisierung des Datenschutzrechtes und der demnächst folgenden Verabschiedung eines Informa- tionsfreiheitsgesetzes leisten wir weitere Schritte hin zu einer transparenten und bürgernahen Informationsgesell- schaft, die ohne Bündnis 90/Die Grünen so nicht denkbar wäre. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Der vorlie- gende Gesetzentwurf soll die so genannte erste Stufe der Datenschutzreform darstellen. Dabei handelt es sich um die – darauf sei ausdrücklich hingewiesen: überfällige – Umsetzung der EU-Datenschutz-Richtlinie vom 24. Ok- tober 1995. Insoweit begrüßt die F.D.P. diese Vorlage. Auch dass dabei der gegebene Spielraum genutzt wurde, ist aus unserer Sicht zu begrüßen. Insbesondere beim Da- tenschutz im Sozialhilferecht, der Datenschutzumsetzung bei den Medien und den erneuerten Vorschriften über den Bundesdatenschutzbeauftragten sind gute Fortentwick- lungen gelungen. Leider sind auf diesen ersten Reformschritt jedoch ohne Not drei zusätzliche Regelungsansätze „draufgesat- telt“ worden, die richtigerweise in die zweite Stufe der Datenschutzreform gehört hätten. Diese soll ja der An- gleichung des Datenschutzrechts an die neuen Gegeben- heiten in der Informations- und Kommunikationstechno- logie gewidmet sein. Es handelt sich bei den drei Zusatzpunkten um die Chipkartenregelung, die Video- überwachung und das Datenschutzaudit. Weshalb diese Anliegen schon jetzt unbedingt durch- gezogen werden mussten, obwohl noch vielfältiger Bera- tungsbedarf bestanden hätte, ist trotz mehrfachen Nach- fragens leider unklar geblieben und muss deshalb gleich vielfachen Verdacht hervorrufen. Das Gehetze ist bezüg- lich dieser Punkte nämlich überhaupt nicht einzusehen. Das wird beispielsweise besonders deutlich beim Daten- schutzaudit, weil dort ohnehin alles von einem detaillier- ten „besonderen Gesetz“ abhängt, das aber weit und breit nirgends zu sehen ist. Warum also mussten diese Punkte schon jetzt ohne irgendeine Anhörung und ohne jede Ein- zelkorrekturbereitschaft unbedingt durchgepaukt wer- den? Darüber hätten wir auch jetzt noch gerne Auskunft. Nur exemplarisch greife ich aus jenen drei umstritte- nen Zusatzpunkten noch etwas näher die Videoüberwa- chung heraus. Unbestritten ist, dass es hier dringend einer eigenen Ermächtigungsnorm bedarf. Manche der Einzel- regelungen im Gesetzentwurf sind auch, so meinen wir, durchaus zu begrüßen. Das gilt etwa für die so genannte Erkennbarmachung, die konkrete Benachrichtigungs- pflicht oder die unverzügliche Datenlöschung. Aber wie ist es um die konkrete Zweckbindung be- stellt? Für öffentliche Stellen wird nämlich a priori die Be- obachtung allgemein zugänglicher Räume mit optisch- elektronischen Einrichtungen zur Erfüllung jeder beliebigen Aufgabe zugelassen. Freilich soll das nur dort gelten, wo keine überwiegenden schutzwürdigen Interes- sen der Betroffenen gegenüberstehen. Aber ob etwas überwiegt, lässt sich doch erst beurteilen, wenn man die Bezugsgröße kennt, also den Zweck, zu dessen Erfüllung die Maßnahme vorgenommen wird. Deshalb hätten die zulässigen Zwecke im Gesetz schon noch näher spezifi- ziert werden müssen. Denn da Videoüberwachung doch einen spezifischen, subtileren und also auch heikleren Grundrechtseingriff für die Beobachteten bedeutet, dürf- ten die legitimierenden Einsatzbedarfe auch nur entspre- chend gewichtig sein. Dies muss im Gesetz benannt und sichergestellt werden. Das verlangt ein verfassungsbe- wusster Datenschutz. Allseits ist deshalb im Datenschutz- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116184 (C) (D) (A) (B) recht ja auch anerkannt, dass eine exakte Zweckbindung der Datenerhebung und -verwendung der Schlüssel für eine wirksame Wahrung des datenbezogenen Persönlich- keitsrechts ist. All solche Fragen zu den drei draufgesattelten Sonder- punkten konnten nicht mehr geklärt werden. Deshalb wird die F.D.P. dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, obwohl wir das für die Richtlinienumsetzung eigentlich gerne ge- tan hätten. Petra Pau (PDS): Zuerst möchte ich den Bericht des Bundesdatenschutzbeauftragten würdigen. Auch wenn er schon etwas älter ist, macht er auf aktuelle Probleme und Handlungsbedarf aufmerksam. Bestätigt wird dies durch den seit gestern vorliegenden neuen Bericht. Sie werden darin einen ganzen Katalog von Hausaufgaben finden, welche auch durch uns zu erfüllen sind und durch die vor- liegende Gesetzesnovelle nicht abgedeckt wurden. Nun zu unserem heutigen Problem: Mit der Novellie- rung des BDSG kommt die Bundesregierung mit immen- ser Verspätung der Verpflichtung nach, das bundesdeutsche Recht der EU-Richtlinie zum Schutz personenbezogener Daten aus dem Jahre 1995 anzupassen. Diese Umsetzung hätte bereits bis Oktober 1998 erfolgen müssen. Die ge- planten gesetzlichen Veränderungen beziehen sich auf all- gemeine Regelungen zum Datenschutz: Zulässigkeit von Datenerhebungen, rechtliche Grundlagen der Datenverar- beitung, Stellung von Datenschutzbeauftragten, Auskunft an Betroffene, Videoüberwachung, Datenschutz im So- zial- und Rentenbereich etc. Datenschutzrechtliche Be- stimmungen zu Sicherheitsdiensten bleiben unter alleini- ger nationaler Gesetzesregelung. Bei der Novellierung des BDSG hat die Bundesregie- rung bisher nur die Erfordernisse aus der EU-Richtlinie umgesetzt. In einem zweiten Schritt – Sommer 2001 – kündigt sie neue gesetzliche Veränderungen an, die sich mit den Problemen der Informationsgesellschaft und dem Datenschutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern beschäftigen sollen. Wie ist dies zu bewerten? Die Bundesregierung stützt sich bei der Novellierung auf die Vorarbeiten der Kohl- Regierung. Ein fortschrittlicher Entwurf der Grünen wur- de ignoriert. Die Bundesregierung hält es nicht für nötig, 18 Jahre nach dem Urteil des BVG zur Volkszählung das hier kreierte Recht auf informationelle Selbstbestimmung im BDSG festzuschreiben. Entsprechend ist auch die ge- samte Zielsetzung des Gesetzesentwurfs: Eine Zweckbin- dung von Daten(-erhebungen) wird im Interesse der In- dustrie und der Behörden sowie von Krankenkassen und Rentenversicherungsanstalten aufgehoben. Die Stellung der Datenschutzbeauftragten wird nicht gestärkt. Die Scha- densersatzpflicht ist völlig unzureichend. Die geplante Videoüberwachung ist nur mangelhaft im Gesetzentwurf geregelt. Es wird nicht festgelegt, dass nur in besonderen Ausnahmefällen Videoaufnahmen erlaubt sein dürfen. Eindeutige Speicher- und Löschfristen sind nicht vorge- sehen. Das Gesetz schafft keine juristischen Grundlagen für eine effektive Datenvermeidung. Ein Datenschutzau- dit – Vermeidung von Datenflüssen – wird nur symbolisch festgeschrieben und nicht konkret geregelt. Der Gesetz- entwurf strotzt vor einer Normenüberflutung und Büro- kratisierung sowie einer ins kleinste Detail gehenden Re- gelungsdichte, die den Bürgern den Umgang mit diesem Gesetz erschwert, da es dadurch nur schwer lesbar und kaum verständlich ist. Deshalb hat die PDS mehrere Änderungsanträge in den Bundestag eingebracht. Wir fordern unter anderem, dass erstens das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Gesetzeszweck festgeschrieben wird, dass zweitens der Bundesbeauftragte für Datenschutz nicht mehr dem Innenministerium, sondern dem Parlament unterstellt ist und damit endlich einen unabhängigen Status erhält, dass drittens der Kündigungsschutz von Datenschutzbeauftrag- ten verbessert wird, dass viertens die Zweckbindung von Daten im Gesetz eindeutig festgeschrieben wird, damit keine Persönlichkeitsprofile von Menschen erstellt werden können, und dass fünftens die Videoüberwachung streng geregelt wird. Mit der Annahme dieser Änderungsanträge können Sie wenigstens einen Teil der eingangs genannten Hausauf- gaben erledigen. Damit könnten wir auch manche berech- tigte Kritik des Bundesdatenschutzbeauftragten Jacob zu den aktuellen Entwicklungen ausräumen. Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern: Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung dient der Anpassung des Bundesda- tenschutzgesetzes und anderer Gesetze an die EG-Daten- schutzrichtlinie. Durch die Richtlinie und ihre nationale Umsetzung wird ein einheitliches Datenschutzniveau für die Mitgliedstaaten der EU geschafften. Nach Übernahme der Richtlinie durch den EWR gilt sie inzwischen auch für die übrigen Vertragsstaaten des Europäischen Wirt- schaftsraumes. Zu den wichtigsten unmittelbaren Verbesserungen aus der Sicht des Bürgers zählt die weitere Stärkung seiner In- formationsansprüche. Dem Bürger kommt ebenfalls zu- gute, dass das System interner und präventiver Kontroll- mechanismen ausgebaut wird. Nach der Richtlinie zieht die automatisierte Verarbeitung personenbezogener Da- ten entweder eine Meldepflicht gegenüber der Daten- schutzkontrollstelle oder die Pflicht zur Bestellung eines internen Beauftragten für den Datenschutz nach sich. Dem in Deutschland schon bewährten Institut eines Be- auftragten für den Datenschutz und der internen Selbst- kontrolle wird damit zukünftig eine gesteigerte Bedeu- tung zukommen. Zu der bei den Bundesbehörden ganz überwiegend bereits bisher praktizierten Bestellung von Beauftragten für den Datenschutz besteht – infolge der Richtlinie – zukünftig eine gesetzliche Verpflichtung. Entsprechend den Vorgaben der Richtlinie eröffnet das Bundesdatenschutzgesetz den freien Datenverkehr im Binnenmarkt. Damit wird der innergemeinschaftliche Da- tenverkehr künftig dem inländischen Datenverkehr gleichgestellt. Für die Praxis bedeutet dies eine Vereinfa- chung, da bei der Übermittlung personenbezogener Daten im Binnenmarkt keine besonderen Regeln mehr beachtet Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16185 (C) (D) (A) (B) werden müssen. Angesichts des von der Richtlinie vorge- gebenen gemeinschaftsweit einheitlichen Datenschutz- niveaus ist dies ohne Nachteile für die Rechte der Bürger möglich geworden. Der Datenaustausch mit Drittstaaten wird zwar regle- mentiert; durch einen sachgerechten Ausnahmekatalog wird jedoch dafür Sorge getragen, dass eine Beeinträchti- gung des Wirtschaftsverkehrs nicht eintritt. Der Gesetzentwurf konzentriert sich darauf, die Richt- linie im erforderlichen Umfang umzusetzen. Angesichts des in Deutschland bereits bestehenden hohen Daten- schutzniveaus hielt sich die materielle Tragweite der Än- derungen deshalb in Grenzen. Die teilweise abweichen- den Konzepte der Richtlinie machten jedoch Eingriffe bei fast allen Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes notwendig. Es ließ sich nicht vermeiden, dass das Bun- desdatenschutzgesetz dadurch komplexer geworden und in einzelnen Bestimmungen auch für Fachleute nur noch schwer verständlich ist. Da die Umsetzungsfrist bereits im Oktober 1998 – fast zeitgleich mit dem Regierungswech- sel – abgelaufen ist, kann die richtlinienbedingte Ände- rung des Bundesdatenschutzgesetzes jedoch nicht weiter hinausgeschoben werden. Die Bundesregierung wird eine zweite Stufe der No- vellierung anschließen, in der das Gesetz in einer umfas- senden Neukonzeption vereinfacht und seine Lesbarkeit erhöht wird. Dabei wird es auch darauf ankommen, das Datenschutzrecht im Blick auf die schnelle Entwicklung der Informationsgesellschaft zu modernisieren. Hierzu hat der Bundesbeauftragte für den Datenschutz bereits in seinem 17. Tätigkeitsbericht, zu dem uns heute hier die Beschlussempfehlung des Innenausschusses vorliegt, Stellung genommen. Er greift dieses Thema übrigens auch in seinem gestern vorgestellten 18. Tätigkeitsbericht erneut auf. Gestatten Sie noch einen Satz dazu: Im Innenausschuss ist mit Recht gerügt worden, dass die Beratung des – mitt- lerweile vorletzten – Tätigkeitsberichts erst jetzt erfolgt ist. Die Bundesregierung wird künftig ihren Beitrag dazu leisten, dass die parlamentarische Befassung zeitnäher erfolgen kann. Der vorliegende Gesetzentwurf enthält bereits erste Kernelemente einer Modernisierung, die das Ziel der Richtlinie, die Transparenz der Datenverarbeitung für den Bürger zu erhöhen, verwirklichen. Ich weise auf diesen Zusammenhang deswegen hin, weil die Opposition kriti- siert hat, die Bundesregierung sattle hier unnötigerweise auf die zwingenden Vorgaben der Richtlinie auf. Unter Transparenzgesichtspunkten bestand jedoch be- reits jetzt dringender Handlungsbedarf, so etwa vor allem bei der Videoüberwachung. Sie wird durch den Gesetz- entwurf erstmals in einer allgemeinen Vorschrift ein- deutigen Zulässigkeitsvoraussetzungen unterworfen. Der Entwurf der Bundesregierung ist hier von den Daten- schutzbeauftragten aus Bund und Ländern nachhaltig un- terstützt worden. Dies gilt auch für die Regelung zur Chipkarte und zum Datenschutzaudit. Lassen Sie mich zum Datenschutzaudit nochmals – wir haben dies ja bei der Ausschussberatung des Gesetzentwurfs im Einzelnen diskutiert – betonen: Das Audit beruht auf dem Prinzip der Freiwilligkeit; es setzt zur Verbesserung des Datenschutzes auf die Selbst- verantwortlichkeit der Unternehmen. Eine Pflicht-Audi- tierung wird es nicht geben. Dort, wo sie sinnvollerweise zum Einsatz kommen kann, wird sie sich für die Unter- nehmen im Markt als Wettbewerbsvorteil erweisen und den Verbrauchern die eigenverantwortliche Auswahl un- ter konkurrierenden Anbietern erleichtern. Die Bundesregierung hat darauf Wert gelegt, den Ge- setzentwurf mit allen Fraktionen im Bundestag, dem Bun- desbeauftragten für den Datenschutz, den Ländern und der Wirtschaft so weit wie möglich im Einvernehmen abzustimmen. Die Vorschläge und Prüfbitten des Bundes- rates in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf wurden weitgehend im parlamentarischen Gang des Ge- setzgebungsverfahrens berücksichtigt. Danken möchte ich ausdrücklich den Berichterstattern der Fraktionen für die konstruktive, zielstrebige Beratung des Gesetzent- wurfs. Mit der heutigen Zustimmung des Bundestages werden die Weichen für ein schnelles In-Kraft-Treten des Geset- zes gestellt. Nur so besteht eine Chance, der Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland in dem bereits anhängi- gen Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof zuvorzukommen. Auch vor diesem Hinter- grund bitte ich um Ihre Zustimmung. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Änderung des Zerlegungsmaßstabs des Gewerbe- steuermessbetrags – Erhöhung der Gewerbesteuerumlage rückgängig machen (Tagesordnungspunkt 20 a und b) Bernd Scheelen (SPD): „Immer wieder freitags“ könnte man in Abwandlung des Hits von Cindy und Bert der 60er-Jahre sagen: Immer wieder freitags stellt die PDS vermeintlich kommunalfreundliche Anträge zu den Ge- werbesteuereinnahmen der Städte und Gemeinden. Warum immer wieder freitags? Weil an einem der da- rauffolgenden Sonntage irgendwo in den neuen Ländern Kommunal-, Bürgermeister- oder Landratswahlen sind. Am 6. Mai dieses Jahres sind solche Wahlen in Sach- sen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Da vorher keine Sitzungen des Parlaments mehr stattfinden, muss eben der Freitag vor der Osterpause herhalten. Die Termi- nierung der Antragsberatung entlarvt die Anträge als das, was sie sind: Wahlkampftheater. Die PDS möchte die Erhöhung der Gewerbesteuerum- lage rückgängig machen, die Bestandteil des Steuersen- kungsgesetzes ist, das am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist und die Bürgerinnen und Bürger und den Mit- telstand in diesem Jahr um insgesamt 45 Milliarden DM Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116186 (C) (D) (A) (B) entlastet. Steuerliche Entlastung der Bürgerinnen und Bürger bedeutet natürlich, dass der Staat auf Steuerein- nahmen verzichtet. Das betrifft alle staatlichen Ebenen: Bund, Länder und Gemeinden! Wenn die Bürgerinnen und Bürger mehr Netto vom Brutto behalten sollen, heißt das, dass der Staat sich einschränken, also sparen muss. Die Koalition hat die Steuerreform gemacht, um die Menschen und die Unternehmen im Land zu entlasten und damit die Binnenkonjunktur anzukurbeln. Dass dieses Konzept aufgeht, zeigt die Entwicklung der Konjunktur: Trotz drastisch gestiegener Rohölpreise, trotz drastischer Abkühlung der Konjunktur in den USA, trotz der wirt- schaftlichen Probleme in Japan ist die europäische und insbesondere die deutsche Konjunktur robust. Auch in diesem Jahr ist mit einem Wachstum oberhalb von 2 Pro- zent zu rechnen. Das ist mehr als der Durchschnitt der ge- samten 90er-Jahre, sogar bei stabilem Geld! Es zeigt sich, dass die Steuerreform genau zum richti- gen Zeitpunkt gekommen ist. Bei nachlassender außen- wirtschaftlicher Konjunktur ist eine robuste Binnennach- frage unerlässlich. So freut sich der Einzelhandel in Deutschland erstmals seit Jahren über Umsatzsteigerun- gen. Binnenwirtschaftliches Wachstum bedeutet auch die Schaffung neuer Arbeitsplätze und damit Entlastung der öffentlichen Kassen von Kosten der Arbeitslosigkeit. Seit 1998 ist die Zahl der registrierten Arbeitslosen um 1 Mil- lionen gesunken. In entsprechendem Maße ist die Zahl der Erwerbstätigen gestiegen. Es zeigt sich deutlich: Die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen in Deutschland war überfällig und zum jetzigen Zeitpunkt geboten. Erstaun- lich deshalb, dass die PDS nun wieder Steuererhöhungen fordert; denn nichts anderes bedeutet die Forderung nach der Rückgängigmachung der Veränderung bei der Ge- werbesteuerumlage. Dazu ist es notwendig, zu beleuch- ten, warum die Gewerbesteuerumlage erhöht wurde, warum also die Städte und Gemeinden mehr Gewerbe- steueranteile an Bund und Land abführen sollen. Das Steuersenkungsgesetz sieht eine deutliche Absen- kung des Körperschaftsteuersatzes von 40 Prozent auf 25 Prozent vor. Die dadurch bedingten Steuerausfälle tra- gen Bund und Länder alleine. Zur teilweisen Gegenfinan- zierung sind Veränderungen der AfA-Tabellen vorgese- hen, die zu Steuermehreinnahmen auch der Gemeinden führen. Diese Windfall Profits der Städte und Gemeinden abzuschöpfen und zur Finanzierung der Steuerreform he- ranzuziehen ist Sinn der Gewerbesteuerumlagenerhöhung und nichts anderes. Fazit: Den Gemeinden wird also rein gar nichts weggenommen. Um dem nicht linearen Verlauf der Mehreinnahmen Rechnung zu tragen, ist die Erhöhung der Gewerbe- steuerumlage bis 2005 befristet. Ab 2006 gilt ein um sechs Punkte abgesenkter Vervielfältiger. Außerdem haben wir im Gesetz eine Revisionsklausel für das Jahr 2004 vorge- sehen, um im Lichte der Erkenntnisse, wie die Steuerre- form tatsächlich wirkt, die Erhöhung der Gewerbe- steuerumlage zu überprüfen. Denn eines ist klar: Die Berechnungen des BMF haben den Charakter einer Pro- gnose und dies kann auch gar nicht anders sein. Im Übrigen ist das Steuerentlastungsgesetz in Abspra- che und mit Unterstützung der kommunalen Spitzenver- bände in Kraft gesetzt worden. Dazu zitiere ich Ihnen den Präsidenten des Städte- und Gemeindebundes, Heribert Thallmair, CSU: Die Reform der Unternehmensbesteuerung bildet eine solide Grundlage für wirtschaftliches Wachstum und ist daher ein Schritt in die richtige Richtung. Sie werden sich auch noch daran erinnern, dass bei der gesonderten Anhörung der kommunalen Spitzenverbände die gute Zusammenarbeit mit der Bundesebene hervorge- hoben wurde. Nun zu den Zahlen im PDS-Antrag: Wir stellen fest, dass die PDS wieder einmal hinter der Entwicklung her- hinkt. Es reicht eben nicht, Anträge aus dem Jahr 2000 einfach mit einem neuen Datum zu versehen und sie er- neut in den Deutschen Bundestag einzubringen. Ein biss- chen mehr Sorgfalt wäre schon angebracht! Wenn die PDS die Steuerausfälle der Kommunen in 2001 mit 8,3 Milliarden DM und im Jahr 2005 mit 12 Milliar- den DM beziffert, hinkt sie eben gut eineinhalb Jahre hin- ter der Entwicklung her und nimmt nicht zur Kenntnis, dass das endgültig verabschiedete Steuersenkungsgesetz bei den Kommunen Ausfälle von 4,4 Milliarden in 2001 und 6,9 Milliarden in 2005 bewirkt. Damit werden die Städte und Gemeinden unterproportional an den Steuer- ausfällen beteiligt. Im Jahr 2000 hatten die Gemeinden einen Anteil von 12,3 Prozent an allen Steuereinnahmen. Zur Finanzierung der Nettoentlastung der Steuerreform werden sie aller- dings im Schnitt der Jahre 2001 bis 2006 mit lediglich 8,9 Prozent und damit deutlich unterproportional betei- ligt. Dieses kommunalfreundliche Verhalten ist von den kommunalen Spitzenverbänden ausdrücklich begrüßt worden. Sie haben ihre Bereitschaft erklärt, sich im Rah- men ihres Anteils an den Steuereinnahmen auch an den Steuerausfällen zu beteiligen. Während der Beratungen des Steuersenkungsgesetzes konnte durch Berücksichtigung der Ausfälle infolge der Steuerfreiheit bei den Veräußerungsgewinnen von Unternehmensbeteiligungen der relativ geringe Anteil der Städte und Gemeinden an den Steuerausfällen durchge- setzt werden. Wenn die PDS nun fordert, dass der Aus- gleichsmechanismus der Gewerbesteuerumlage abge- schafft wird, fordert sie Bund und Länder auf, diese Verluste zusätzlich zu tragen, was zwangsläufig Steuerer- höhungen nach sich zieht. Dies lehnen wir ab! Wir sprechen in der Republik über Steuersenkungen und nicht über Steuererhöhungen. Die Bürgerinnen und Bürger haben genug von immer höheren Steuern und Ab- gaben. Sie erwarten zu Recht vom Staat, dass er sich auf seine eigentlichen Aufgaben besinnt, dabei sparsam mit den Mitteln umgeht und Menschen und Unternehmen ent- lastet, um zusätzliche Spielräume für mehr Wachstum und Beschäftigung zu schaffen. Diese Ziele werden auch von den kommunalen Spitzenverbänden mitgetragen. Mit ih- nen wissen wir uns auch einig in der Forderung nach ei- ner umfassenden Gemeindefinanzreform. Das ist ein Vor- haben, das für die nächste Legislaturperiode auf der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16187 (C) (D) (A) (B) Agenda steht, zu dem die Vorarbeiten jetzt zu leisten sind. Deshalb macht der zweite Antrag der PDS, den Zer- legungsmaßstab des Gewerbesteuermessbetrages zu än- dern, auch keinen Sinn. Was wir brauchen, ist eine umfassende Reform, deren Vorbereitung noch Zeit braucht. Einzelmaßnahmen sind deshalb zu diesem Zeitpunkt unsinnig. Wir können die Gemeindefinanzreform auch deshalb in Ruhe und gründ- lich angehen, weil wir mit dem Steuersenkungsgesetz den Kommunen Planungssicherheit bezüglich des Bestandes der Gewerbesteuer gegeben haben. Mit der Unterneh- mensteuerreform ist das Kunststück gelungen, einerseits den Gemeinden die Gewerbesteuer als eigenständige, ge- staltbare Steuerquelle zu erhalten und andererseits den Mittelstand durch die pauschalierte Anrechenbarkeit bei der Einkommensteuer von der Gewerbesteuer zu ent- lasten. Am 6. Mai dieses Jahres sind, wie bereits erwähnt, Bürgermeister- und Landratswahlen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Am 10. Juni wird ent- sprechend in Sachsen gewählt. Wetten, dass die PDS beide Anträge spätestens am 1. Juni wieder einbringt? Dann heißt es erneut: „Immer wieder freitags“. Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Die PDS will sich mit ihren beiden Anträgen zum Anwalt der Kom- munen machen. Sie will die kommunale Finanzausstat- tung in einzelnen Punkten verändern. Dies ist meines Er- achtens völlig unzureichend. Wenn dieses Thema angefasst werden soll, dann richtig; dann muss es um eine Gemeindefinanzreform insgesamt gehen. Die Anträge der PDS als punktuelle Lösung würden den Druck in Rich- tung einer grundsätzlichen Lösung vermindern. Schon deshalb kann ihnen nicht zugestimmt werden. Aber es gibt auch inhaltliche Punkte, auf die ich noch zu sprechen komme. Dennoch gibt der Tagesordnungspunkt Gelegenheit, den Blick auf ein wichtiges Thema zu lenken. Die kom- munale Finanzausstattung ist völlig unzureichend und wurde von der Regierungskoalition entgegen all ihren Versprechungen dramatisch verschlechtert. Ich verweise dazu nur auf die Dokumentation Nr. 16 des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, die die Auswirkung der Eingriffe in die kommunale Finanzausstattung eindrucks- voll schildert. Danach haben die Eingriffe im Jahr 2001 ein Volumen von 6,4 Milliarden DM zuzüglich 4,9 Milli- arden DM Folgewirkungen über den kommunalen Fi- nanzausgleich. Die kommunale Finanzausstattung ist nicht nur ein Thema für Bürgermeister und Kommunalpolitiker. Sie geht uns alle an. Wenn den Kommunen die Finanzkraft fehlt, dann müssen sie bei den Ausgaben für Einrichtun- gen kürzen, die für die Bürgerinnen und Bürger wichtig sind. Sie müssen Schulen, Kindergärten, Kultureinrich- tungen, Schwimmbader und Ähnlichem Geld nehmen oder sie gar schließen. Sie ist aber auch ein wichtiges Thema für Handwerk und Handel. Wenn den Gemeinden Geld fehlt, dann kür- zen sie häufig bei Beschaffungen und insbesondere bei der Bauunterhaltung, weil dies nicht unmittelbar Folgen für die Bürgerinnen und Bürger hat. Jede nicht ausgege- bene Mark bedeutet aber auch weniger Aufträge für Han- del und Gewerbe. Jeder Auftrag weniger bedeutet weni- ger Arbeit und damit weniger Steuern und mehr Arbeitslosigkeit. Mehr Arbeitslosigkeit bedeutet mehr Sozialhilfe. So zeigt sich, in welchem schwierigen Teu- felskreis sich die Städte, Gemeinden und Landkreise be- finden. Viele können ihre laufenden Ausgaben nicht mit laufenden Einnahmen decken. Besorgniserregend ist die Entwicklung der Kassenkredite in vielen großen Städten des Ruhrgebietes. Wie bedrohlich die Lage ist, kann man an einer Schlüs- selzahl ablesen. Das ist der Stand der Kassenkredite zum 31. Dezember 2000. „Kassenkredit“ klingt sehr technisch, ist aber nichts anderes als der Ausdruck dafür, dass lau- fende Ausgaben mit Krediten finanziert wurden, was ei- gentlich nicht sein darf. Der Kassenkredit ist nur eine un- terjährige Liquiditätshilfe und muss am Jahresende, wenn alle Einnahmen und Ausgaben getätigt sind, auf Null ste- hen. Sie betrugen 14,1 Milliarden DM; dazu kommen noch 14,0 Milliarden DM innere Darlehen. Diese beiden Zahlen hätten am 31. Dezember 2000 null betragen müs- sen. 28,1 Milliarden DM sind rund 6,5 Prozent der lau- fenden Ausgaben aller Städte, Gemeinden und Landkreise für Personal, laufenden Sachaufwand, soziale Leistungen und Zinsen. In diesem Maße wurden diese Posten mit Krediten finanziert. Das ist, wie wenn sich ein privater Haushalt ohne Aussicht auf zusätzliche Einnahmen sein Butterbrot auf Kredit kauft oder wenn ein Handwerks- meister das Verbrauchsmaterial mit einem Kontokorrent- kredit finanziert und über die Rechnung nicht wieder he- reinbekommt. Die rot-grüne Koalition hat in der Koalitionsvereinba- rung zum Regierungsantritt 1998 angekündigt, die Fi- nanzkraft der Gemeinden stärken zu wollen. Wörtlich heißt es in Kapitel III Nr. 2 Punkt 3 der Koalitionsverein- barung: Die neue Bundesregierung tritt dafür ein, dass zukünftig Aufgabenverlagerungen im Verhältnis der staatlichen Ebenen – Bund einerseits, Länder und Gemeinden andererseits – im Rahmen des bundes- staatlichen Finanzausgleichs berücksichtigt werden (Konnexitätsprinzip). Wir wollen die Finanzkraft der Gemeinden stärken und das Gemeindefinanzsystem einer umfassenden Prüfung unterziehen. Von einer Gemeindefinanzreform war bisher noch keine Rede. Sie haben in dieser Richtung noch nichts un- ternommen. Das gilt auch für die Umsetzung des Konne- xitätsprinzips: Fehlanzeige! Im Gegenteil: Wie Sie diese Versprechen mit Füßen treten, will ich an zwei Beispielen deutlich machen. Da ist zum einen der Familienleistungsausgleich und zum ande- ren die Grundsicherung im Rahmen der Rentenreform. In der Bundestagsdebatte vom 21. September 1995 (Plenarprotokoll 13/55) führte Bundesfinanzminister Waigel dazu aus: Die von der Koalition angestrebte Systemumstellung auf das steuerrechtliche Optionsmodell und die Ver- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116188 (C) (D) (A) (B) besserungen beim Familienleistungsausgleich waren von Anfang an mit der Zusage an die Länder ver- bunden, für die daraus resultierenden Lastenver- schiebungen einen fairen, vollen Ausgleich zu ge- währen. Im Vermittlungsausschuss haben wir uns auf die dauerhafte Absicherung des bisherigen Lasten- teilungsverhältnisses von 74:26 beim Familienleis- tungsausgleich geeinigt. Dies erfolgt durch die Er- gänzung des Art. 106 des Grundgesetzes. Man kann darüber streiten, ob es schön und wün- schenswert ist, dass eine solche Frage im Grundge- setz geregelt wird. Es war die unabdingbare Voraus- setzung für die Zustimmung der Länder, und darum macht es auch gar keinen Sinn, darüber noch lange Diskussionen zu führen. ... Diese Ergänzung verpflichtet den Gesetzgeber, bei der Festsetzung des Beteiligungsverhältnisses an der Umsatzsteuer die sich durch den neuen Familienleis- tungsausgleich ergebenden Steuermindereinnahmen der Länder auszugleichen. Hierdurch wird die verfas- sungsrechtliche Voraussetzung für die dauerhafte Fortführung des bisherigen Lastenteilungsverhältnis- ses durch die entsprechenden Regelungen im Finanz- ausgleichsgesetz geschaffen. ... Die Länder haben sich verpflichtet, den Gemeinden die Steuerausfälle durch die Neuregelung des Familienleistungsausgleichs fair und voll auszuglei- chen. Wir alle miteinander werden aufmerksam da- rüber wachen, dass dies erfolgt. Die gleiche Fairness, die der Bund den Ländern entgegenbringt, verlangen wir von den Ländern den Kommunen gegenüber. Zu der Grundgesetzänderung führte die CDU-Abge- ordnete Dr. Tiemann in der Debatte aus: Insofern machen die Länder diese Grundgesetzände- rung zur Bedingung, weil sich die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern zu ihren Ungunsten verändern würde. Wir schreiben mit dieser Grundge- setzänderung den Länderanteil fest, bewirken aber dadurch – und darauf möchte ich hinweisen – gewis- sermaßen einen Bund-Länder-Sonderausgleich für den Familienbereich. Ich mache darauf aufmerksam, dass wir mit diesem Sonderausgleich in die Systematik unserer Finanz- verfassung eingreifen. Zu der Grundgesetzänderung führte der CDU-Abge- ordnete Uldall in der Debatte aus: Minister Waigel hat vorgeschlagen, die Ausfälle der Gemeinden in Form eines höheren Anteils der Kom- munen an der Einkommensteuer, nämlich statt heute 15 Prozent dann 16 Prozent, direkt zu kompensieren. (Dr. Kurt Faltlhauser (CDU/CSU): Das war ein hervorragender Vorschlag! Er wurde aber nicht angenommen!) Das lehnte der Bundesrat ab. Auch hier ist der Grund klar. Die Länder wollten natürlich das Geld erst ein- mal in den eigenen Kassen haben, bevor sie den Ge- meinden von den Einnahmen, die sie zusätzlich er- halten, etwas weitergeben. Wir fordern mit allem Nachdruck die Länder auf, den Kommunen den ih- nen zustehenden Anteil aus der gesetzlichen Um- satzsteuer zukommen zu lassen. Zum Jahressteuergesetz 1996 und zu der entsprechen- den Grundgesetzänderung führte der Berichterstatter, Fi- nanzminister Heinz Schleuser (SPD), am 22. September 1995 im Bundesrat (S. 371 f.) aus: ... die Neuregelung des Familienleistungsausglei- ches als steuerliche Lösung führt zu gravierenden Verschiebungen der Finanzverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Bisher trug der Bund 74 Prozent ... der Ausgaben für den Familien- leistungsausgleich, während Länder und Gemeinden die verbleibenden 26 Prozent aufbringen mussten. Die Neuregelung im Rahmen der Einkommensteuer führt zwangsläufig zu einer Lastenverteilung, die der Verteilung der Einkommensteuer entspricht. Das heißt: Statt der bisher 26 Prozent entfallen ab 1996 57, 5 Prozent der Ausgaben für den Familienleis- tungsausgleich auf Länder und Gemeinden. Anmerkung: Dabei sind die Auswirkungen des kommu- nalen Finanzausgleiches – Verschiebung von im Bundes- durchschnitt 20 Prozent der Kosten von der Ebene der Länder auf die Gemeinden – noch nicht berücksichtigt. Nach ziemlich schwierigen, intensiven Diskussionen über diese Lastenverlagerung auf Länder und Ge- meinden wurde ein Kompromiss erzielt: Die bishe- rige Verteilung zwischen Bund und Ländern von 74:26 Prozent bleibt bestehen und wird für die Zu- kunft dauerhaft festgeschrieben. Die Länder erhalten zum Ausgleich ihre durch die Neuregelung entste- henden Steuerausfälle einen erhöhten Anteil an der Umsatzsteuer. Anmerkung: 5,5 Prozentpunkte. Die verfassungsrechtliche Grundlage wird durch eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes ge- schaffen. Das Finanzausgleichsgesetz setzt diese Vorgaben konkret um ... Ab 1998 wird dieser Ausgleichsbetrag der aktuellen Entwicklung angepasst. ... Auch für die Gemeinden, die an diesem Umsatzsteu- erausgleich systembedingt nicht unmittelbar partizi- pieren, ist Sorge getragen: Die Länder haben sich verpflichtet, ihnen einen fairen und vollen Ausgleich für die ihnen durch die Umstellung entstehenden Steuerausfälle zu garantieren. Das waren die Versprechungen. Die Wirklichkeit sieht ganz anders aus: Der Gesamtaufwand für das Kindergeld stieg von 43,3 Milliarden DM im Jahr 1996 auf 57,6 Mil- liarden DM im Jahr 1999. Für das Jahr 2000 liegen leider noch keine endgültigen Daten vor. Der den Ländern als Ausgleich gewährte Anteil von 5,5 Punkten Mehrwert- steuer entwickelte sich von 13 Milliarden DM im Jahre 1996 auf 13,8 Milliarden DM im Jahr 1999. Selbst wenn man unterstellt, dass die systembedingten Lasten der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16189 (C) (D) (A) (B) Kommunen unter Einschluss der Wirkung des kommuna- len Finanzausgleiches im Jahr 1996 von den Ländern voll ausgeglichen worden sind – was leider nicht passiert ist –, dann haben die damals geschaffenen Systeme in den Fol- gejahren nicht ausgereicht, um die systembedingte Belas- tung der Städte, Gemeinden und Landkreise auszuglei- chen. In den Jahren 1997 bis 1999 entwickelt sich das Defizit über 1,4 Milliarden DM auf 2,7 Milliarden DM. In den Jahren 1997 bis 1999 haben die Kommunen allein 5,5 Milliarden, DM des Kindergeldes getragen, obwohl sie zu 100 Prozent entlastet werden sollten. Große zusätzliche Risiken für die kommunale Finanz- ausstattung lassen die geplanten Veränderungen beim Kindergeld erwarten. Wenn nun das Kindergeld, wie zu vernehmen ist, um 30 DM erhöht werden soll, dann be- deutet das laut Bundesfinanzminister Waigel in der „Welt“ vom 27. März 2001 einen zusätzlichen Steueraus- fall in Höhe von 5,5 Milliarden DM. Rechnete man die- sen Betrag auf den Steuerausfall von 1999, so ergäbe das einen Aufwand für den Familienleistungsausgleich von 63,1 Milliarden DM. Auf die Kommunen entfielen dann nach kommunalem Finanzausgleich 4,1 Milliarden DM. In den Jahren 1996 bis 2000 haben sie dann 9,6 Milliar- den DM zum Kindergeld zugeschossen, obwohl sie über- haupt nicht belastet. werden sollten. Das sind dann 6,4 Prozent. Länder und Kommunen zusammen tragen dann 35,6 Prozent des Kindergeldes, obwohl sie nur 26 Prozent tragen sollten. Das ergibt einen Zahlungsüber- hang von 15,9 Milliarden DM. Die Bundesregierung lehnt ab, aufgrund dieser Situa- tion tätig zu werden. Sie ist der Auffassung, dass das eine Frage der allgemeinen Deckungsquotenberechnung sei und kein Handlungsbedarf gegeben sei. Wer soll bei die- sen Lastenverschiebungen und bei diesem plötzlichen Meinungsumschwung der Beteiligten, die noch als Mi- nisterpräsidenten an einer völlig anderen Front gekämpft haben, darauf vertrauen, dass der Bund einen fairen Las- tenausgleich vornimmt – von einer Verwirklichung des versprochenen Konnexitätsprinzips ganz zu schweigen? Die Koalition hat bei Regierungsantritt versprochen, dass nicht alles anders, aber vieles besser werden solle. Darauf hatten die Kommunen große Hoffnungen gesetzt, zumal in der Koalitionsvereinbarung vollmundige Ver- sprechungen gemacht worden sind. Konnexität heißt nichts anderes als: Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen. Sie machen große Versprechungen auf Kosten anderer. Sie lassen sich für eine Haushaltssanierung feiern und schieben die Lasten den Kommunen zu. Mit dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsi- cherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG) soll eines der kostenträchtigsten Gesetze für die Kommunen in den letzten 30 Jahren ins Werk gesetzt werden. Unab- hängig davon, wie man dazu steht – ich halte diesen Weg für falsch –, wäre dies nun die beste Gelegenheit gewesen, zu beweisen, dass man das Versprechen auch ernst meint. Nichts davon ist zu spüren. Wie immer liegen Anspruch und Wirklichkeit bei dieser Koalition meilenweit ausei- nander. Statt bei diesem Vorhaben einen ehrlichen Finanzie- rungsweg zu wählen und den Kommunen das Geld direkt über den Gemeindeanteil an der Einkommensteuer zu ge- ben, machen Sie doppelte Winkelzüge: Die Aufgabenzuweisung an die Landkreise und kreis- freien Städte erfolgt durch bundesrechtliche Regelungen: § 4 GSiG in der Fassung von Artikel 8 a des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermö- gens (zustimmungspflichtiger Teil). Dies hat für Städte, Gemeinden und Landkreise fatale Folgen. Der Bund steht in keiner direkten finanziellen Verpflichtung gegenüber den Kommunen und kann deshalb wegen der Mehrauf- wendungen von diesen rechtlich nicht direkt belangt wer- den. Die Aufgabenzuweisung ist übrigens rechtlich be- denklich, weil entgegen Artikel 84 GG hier in die Organisationshoheit der Länder eingegriffen wird. Weil die neue Aufgabe nicht durch ein Landesgesetz erfolgt, können die Kommunen die neue Aufgabenzuweisung und die damit verbundenen Mehraufwendungen nicht direkt vor den Verfassungsgerichten angreifen. Es bleibt ihnen nur der Weg über Klagen wegen mangelnder Finanzaus- stattung allgemein, in deren Rahmen dann diese Frage mit geprüft wird. Das ist ein wesentlich stumpferes Schwert als der direkte Angriff. Es ist ein klarer Bruch des mit der Koalitionsvereinbarung gegebenen Versprechens. Zur Finanzierung wählt die Koalition den Finanzfluss über mehrere Umwege durch die Landeskassen. Durch eine Änderung des Wohngeldgesetzes in Artikel 9 will der Bund den Ländern diejenigen Mehrausgaben ausglei- chen, die den Kreisen und kreisfreien Städten als Trägern der Grundsicherung und der entsprechenden Mehrauf- wendungen in der Sozialhilfe entstehen. Damit landet das Geld zunächst einmal in den Landeskassen. Aufgrund der Erfahrung ist keineswegs anzunehmen, dass diese Mittel auch voll den Kommunen weitergegeben werden. Die Er- fahrungen zeigen, dass die Finanzminister „klebrige Fin- ger“ haben und die Mittel praktisch nie vollständig wei- tergereicht wurden. Bei landesinternen Umsetzungsregelungen wurden häufig Wege gewählt, die schon nach wenigen Jahren nicht mehr nachvollziehbar waren und damit geradezu eine Einladung an die Länder waren, Mittel für sich selbst abzuzweigen. Der Familienleistungsausgleich ist ein be- redtes Beispiel dafür. So wurden zum Beispiel in Nieder- sachsen die Mittel in den kommunalen Finanzausgleich eingerechnet, und dies auch noch unvollkommen, sodass die Städte, Gemeinden und Landkreise zusätzlich auf er- heblichen Teilen der Kosten sitzen geblieben sind. Außerdem verfügen wir auch über Erfahrung mit dem Ausgleichsmechanismus „Wohngeld“. Als sich der Bund in den 80er-Jahren aus der Krankenhausfinanzierung zurückgezogen hat, erfolgte der finanzielle Ausgleich un- ter anderem – ähnlich wie das jetzt geschehen soll – da- durch, dass der Bund von der eigentlich durch die Länder zu finanzierenden Wohngeldhälfte einen Festbetrag über- nahm. Zum Ende des Jahres 2000 hat er sich aus dieser Mitfinanzierung verabschiedet, sodass nachträglich der Ausgleich entfallen ist. Wer will bei diesem Erfahrungs- horizont eigentlich darauf vertrauen, dass hier ein dauer- hafter Ausgleich zugunsten der Kommunen stattfindet? Wie auf einer so brüchigen Vertrauensbasis die Kosten- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116190 (C) (D) (A) (B) entwicklung auf Dauer gerecht ausgeglichen werden soll, kann ich mir nicht vorstellen. Daneben ist die Finanzierungsnotwendigkeit umstrit- ten; Der Bund geht in der Ursprungsdrucksache 14/4595 und auch noch in der Drucksache 14/5150 von 600 Milli- onen DM aus. Im Laufe des Vermittlungsverfahrens hat er bereits 800 Millionen DM angeboten. Die kommunalen Spitzenverbände gehen von 2 Milliarden DM aus. Die Be- rechnung des Bundes scheint wenig glaubwürdig, zumal sie auf Berechnungen und Schätzungen Datenmaterial aus dem Jahre 1997 beruht. Für den Zeitraum 1997 bis 2001 wird eine Preissteigerungsrate von 5,1 Prozent un- terstellt. Angesichts der Tatsache, dass wir im Jahre 2001 allein eine Inflationsrate von 2,5 bis 3 Prozent haben wer- den, ist das völlig unrealistisch. Nun zur Gewerbesteuerumlage. Die Gewerbesteuer- umlage wurde 1969 im Rahmen der Gemeindefinanz- reform als Ausgleich für die Beteiligung der Kommunen an der Einkommensteuer eingeführt. Richtig ist, dass in den Folgejahren die jeweiligen Bundesregierungen häufig die Gewerbesteuerumlage als direktes Ausgleichsinstru- ment zwischen Bund und Ländern einerseits und den Städten und Gemeinden andererseits gebraucht haben. Das hat dazu geführt, dass die Gewerbesteuer für die Kommunen an Bedeutung verloren hat. Ob dies richtig war oder nicht, darüber kann man streiten. Jedenfalls ist es einvernehmliche Praxis in Deutschland gewesen und deshalb müssen sich alle auch daran halten. Mit dem jetzigen Umfang der Abschöpfung gemeind- licher Einnahmen durch die Gewerbesteuerumlage ist die- ses Instrument unter systematischen Gesichtspunkten zu kritisieren. Durch den wachsenden Anteil der Gewerbe- steuerumlage am Bruttoaufkommen der Gewerbesteuer wird auf kommunaler Ebene nicht nur der Interessenzu- sammenhang zwischen Wirtschaft und Standortgemein- den, sondern auch der Charakter der Gewerbesteuer als Gemeindesteuer geschwächt. Entgegen der Behauptung des Bundes, es gebe keine unmittelbare Finanzbeziehung zwischen Bund und Kommunen, nutzt er die Gewerbe- steuerumlage immer häufiger und in großem Umfang als unmittelbares Instrument zur Abschöpfung gemeindlicher Einnahmen. Im Rahmen des Steuersenkungsgesetzes sollte die Ge- werbesteuerumlage von Bund und Ländern von rund 20 auf fast 30 Prozent angehoben werden. Dies ist zwar nicht im vollen Umfang geschehen; aber dennoch kam es im Ergebnis zu einer erheblichen Anhebung und zu einer dauerhaften Festschreibung auf einem zu hohen Niveau. Damit ist der Grad des Erträglichen überschritten. Die Verlängerung der Nutzungsdauer in den AfA-Ta- bellen schafft in den ersten Jahren Steuermehreinnahmen, weil geringere Abschreibungen erfolgen. Dadurch ent- steht bei den Steuereinnahmen eine Spitze. Wenn diese abflaut, tritt ein Loch ein, weil die vorgezogenen Steuer- mehreinnahmen dann entfallen. Im Rahmen des Steuer- senkungsgesetzes wurden diese Mehreinnahmen bei den Kommunen im Finanztableau berücksichtigt und waren Anlass zu einer unbefristeten Erhöhung der Gewerbe- steuerumlage. Hier bedarf es einer Anpassung. Mittelfris- tig sind die Mehreinnahmen, die als Basis für die Er- höhung der Gewerbesteuerumlage genommen wurden, rückläufig. Deshalb muss aus der gestreckten Abschrei- bung eine Anpassung folgen. Bei der Gewerbesteuerumlage sind noch Anpassungen offen, weil die Begründung für vormalige Erhöhungen ganz oder teilweise entfallen ist: Zur kommunalen Mitfinanzierung des Solidarpaktes wurde die Gewerbesteuerumlage in den alten Ländern er- höht. Trotz einer gesetzlichen Revisionsklausel wurde eine Neuberechnung von den Ländern ohne Begründung blockiert, obwohl die kommunalen Spitzenverbände schon für das Jahr 1995 belegt hatten, wie stark die tatsächlichen Transfers der alten an die neuen Länder un- ter den ursprünglichen Erwartungen geblieben waren. Schon im ersten Jahr des Solidarpaktes war nur eine Er- höhung der Gewerbesteuer um 16 statt der gesetzlich fi- xierten 29 Vervielfältigerpunkte gerechtfertigt. Bei der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage im Rah- men des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmensteu- erreform um zunächst 7 und ab 2001 um 6 Vervielfälti- gerpunkte hat der Gesetzgeber auf eine Befristung verzichtet, obwohl die damit abzuschöpfenden gemeind- lichen Mehreinnahmen aus dem Abbau der Drohverlust- rückstellungen 2003 auslaufen und damit die Berechti- gung auch für diese Erhöhung der Gewerbesteuerumlage weitestgehend entfällt. Als Fazit bleibt festzustellen: Es besteht bei der Ge- werbesteuerumlage dringender Handlungsbedarf. Die Bundesregierung verweigert sich diesem, obwohl sie eine Besserung der kommunalen Finanzverhältnisse verspro- chen hatte. Dies ist Ausdruck der kommunalfeindlichen Haltung der Regierung Schröder. Die Zerlegung der Gewerbesteuer hat die Aufgabe, das Steueraufkommen an Gemeinden zu verteilen, wenn ein Betrieb mehrere Betriebsstätten hat. Dabei gilt es, den richtigen Kompromiss zwischen einfacher Durchführung und Ergebnisgerechtigkeit zu erzielen. Grundsätzlich gilt nach § 29 Gewerbesteuergesetz (GewStG) der Arbeits- lohn an den einzelnen Betriebsstätten als Zerlegungsmaß- stab. Allerdings sind auch andere Formen der Zerlegung denkbar. Nach § 33 GewStG kann, wenn die Regelzerle- gung zu offenbar unbilligen Ergebnissen fährt, die Auf- teilung auch nach einem anderen Maßstab, der die tatsächlichen Verhältnisse besser berücksichtigt, erfolgen. Dabei ist gemäß § 33 Abs. 2 einer Einigung zwischen den beteiligten Gemeinden über die Steuerschuld der Vorrang zu geben. Von dieser Regelung wird im großen Umfang Gebrauch gemacht. So wurden für die Telekom und bei- spielsweise viele Energieversorgungsunternehmen, zum Beispiel in Niedersachsen die Avacon, besondere Maß- stäbe entwickelt. Wenn es keine Einigung unter den Beteiligten gibt, kann auch die Finanzverwaltung ihre Regelungen treffen. Diese flexible Regelung trägt den Be- dürfnissen der Praxis ausreichend Rechnung, sodass der Antrag auf Veränderung der Zerlegung abzulehnen ist. Das Lohngefälle vermag allein ein Abweichen von denn bisherigen grundsätzlichen Zerlegungsmaßstab nicht zu rechtfertigen, denn es ist auch eine unterschiedli- che Produktivität gegeben. Wäre das nicht der Fall, hätte Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16191 (C) (D) (A) (B) es schon längst eine Angleichung der Tariflöhne gegeben. Insofern geht Ihr Antrag in die falsche Richtung. Die Auswirkungen des Kaufes der UMTS-Mobilfunk- Lizenzen auf die Steuerzahlung der Unternehmen recht- fertigen eine Änderung bei der Gewerbesteuerumlage nicht. Hier wäre es vielmehr angebracht gewesen, die Kommunen direkt an den Einnahmen zu beteiligen. Ich fasse zusammen: Weil der Antrag zur Zerlegung der Gewerbesteuer sachlich verfehlt ist und der Antrag zur Gewerbesteuerumlage nur einen berechtigten Teilaspekt aufgreifen würde, der den Blick die Gesamtproblematik eher versperrt, wird die CDU/CSU-Bundestagsfraktion beide Anträge ablehnen. Unter der Regierung Kohl ging es uns gut. Unter der Regierung Schröder geht es uns besser. Aus kommunaler Sicht kann die Forderung nun lauten: Ach, ginge es uns doch wieder gut! Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Auswirkungen der Steuerreform werden natürlich nicht nur von Bund und Ländern getragen, sondern auch von den Kommunen. Im Rahmen der föderalen Finanzvertei- lung erhalten die Kommunen ihren Anteil an den Steuer- einnahmen und umgekehrt tragen sie natürlich auch an- teilig die Steuermindereinnahmen in Folge der Steuersenkungen. Auf eines muss an dieser Stelle einmal ganz deutlich hingewiesen werden: Wir sind es gewesen, die sich von Anfang an für den Erhalt der Gewerbesteuereinnahmen in voller Höhe und vollem Hebesatzrecht und damit der Fi- nanzautonomie der Kommunen eingesetzt haben. Wir ha- ben deshalb schon bei den konzeptionellen Überlegungen zur Steuerreform die Variante der Gewerbesteueranrech- nung auf die Einkommensteuerschuld favorisiert. Mit der Gewerbesteueranrechnung sind gleich zwei Probleme gelöst. Die Personenunternehmen sind nahezu vollständig von der Gewerbesteuer entlastet und die Kommunen behalten ihre Gewerbesteuereinnahmen und Finanzauto- nomie. Gerade dieses Element der Steuerreform bewirkt zu- sammen mit der Absenkung des Einkommensteuertarifs und des Eingangsteuersatzes eine Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen in den Städten und Gemeinden. Für uns stand die ganze Zeit fest. Die Reform der Un- ternehmensbesteuerung und dreistufige Absenkung der Einkommensteuer sind gemeinsame Reformanstrengun- gen von Bund, Ländern und Kommunen. An der Finan- zierung dieser Entlastungen für Bürger und Unternehmen sind alle staatlichen Ebenen anteilig beteiligt, also auch die Kommunen. Unsere Steuerentlastungen verbessern die Bedingungen für Investitionen, erhöhen die verfüg- baren Einkommen in den Kommunen und begünstigen damit die Schaffung von Arbeitsplätzen. Die Früchte dieser Politik werden steigende Einnah- men bei der Gewerbesteuer und geringere Belastungen aus der Finanzierung zum Beispiel von Sozialleistungen sein. Dies kommt vor allem den Kommunen zugute. Der Anteil der Kommunen an den reformbedingten unmittel- baren Steuerausfällen liegt mit durchschnittlich rund 9 Prozent von 2001 bis 2006 noch wesentlich unterhalb ihres Anteils an den gesamten Steuereinnahmen der Ge- bietskörperschaften. Dieser Anteil beträgt rund 12 Pro- zent. Erst ab 2005 steigen die Steuerausfälle der Kommu- nen deutlich an, bleiben aber anteilig mit rund 11 Prozent weiterhin unterhalb des Anteils der Kommunen an den gesamten Steuereinnahmen. Ich halte fest: Die Kommunen sind demzufolge unter- proportional an der Finanzierung der Steuerreform betei- ligt. Auch aus der Statistik über die kommunalen Einnah- men der Kommunen für das Jahr 2000 ergibt sich, dass sich die finanzielle Lage in der Summe – Finanzierungs- saldo oder Nettokreditaufnahme – eher entspannt hat. Un- abhängig davon befinden sich die einzelnen Kommunen in sehr unterschiedlichen Haushaltslagen. Dies gilt im Grunde auch für Kommunen in den neuen Ländern, je nach wirtschaftlicher Entwicklung und Höhe der Arbeits- losigkeit. Die PDS fordert in dem einen Antrag die Rücknahme der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage im Rahmen der Steuerreform. Diesem Begehren werden wir nicht zu- stimmen, weil von der Tendenz her die Städte und Ge- meinden die Gewinner der Unternehmensteuerreform sind. Die Mehreinnahmen ergeben sich im Wesentlichen aus den zur Gegenfinanzierung der Steuerreform vorge- sehenen veränderten Abschreibungsbedingungen. Diese verbreitern die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer und führen so unter dem Strich sogar zu mehr Gewerbe- steuereinnahmen. Durch die Erhöhung der Gewerbe- steuerumlage in der verabschiedeten Form wird in der Summe eine angemessene Beteiligung der Kommunen an der Steuerreform erreicht. An der Finanzierung der Tarif- reform in der Einkommensteuer sind die Kommunen in etwa in Höhe ihres 15-prozentigen Anteils am Gesamt- aufkommen beteiligt. Die Erhöhung der Gewerbesteuer- umlage ist ansteigend gestaltet in den Jahren 2001 bis 2005 und wird ab 2006 abgemildert. Da die finanziellen Mehreinnahmen der Kommunen wegen der veränderten Abschreibungsbedingungen zwangsläufig auf Schätzwer- ten beruhen, hat sich die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dafür eingesetzt, dass spätestens Anfang des Jahres 2004 eine Überprüfung der Höhe der Gewerbesteuerumlage er- folgt. So wird es jetzt auch gemacht. In einem weiteren Antrag der PDS wird eine Änderung des Zerlegungsmaßstabs des Gewerbesteuermessbetrages vorgeschlagen. Die PDS schlägt vor, von der bisherigen Lohnsumme abzugehen und die Gewerbesteuer nach Maßgabe der Arbeitsplätze und des Wertes der Betriebs- anlagen aufzuteilen. Sie erweckt damit den Eindruck, als könne eine veränderte Gewerbesteueraufteilung das Ein- nahmeproblem vieler ostdeutscher Städte und Gemeinden lösen. Erst mehr wirtschaftliche Aktivitäten werden die- ses Dilemma beseitigen. Den vorgeschlagenen veränder- ten Maßstab halten wir nicht für geeignet. Solange es die Gewerbesteuer gibt, ist der Anteil der Arbeitslöhne besser geeignet als die Anzahl der Arbeitsplätze, weil die Ge- werbesteuer eine Steuer auf einen Teil der Wertschöpfung ist. Deswegen sollte auch eine Aufteilung entsprechend der Höhe der Wertschöpfung je Kommune erfolgen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116192 (C) (D) (A) (B) Kommt man im Rahmen der ausstehenden kommuna- len Finanzreform zu dem Ergebnis, dass die Gewerbe- steuer abgeschafft wird und ein Hebesatzrecht der Kommunen im Rahmen der Einkommenssteuer oder Um- satzsteuer eingeräumt wird, dann muss auch der Vertei- lungsschlüssel neu gestaltet werden. Strukturschwachen Gemeinden und Kommunen, also insbesondere auch für viele Gegenden der neuen Länder, muss im Rahmen einer gezielten Strukturpolitik geholfen werden, und zwar nicht mit veränderten Schlüsselzahlen im Rahmen der Gewer- besteuer. Gerhard Schüßler (F.D.P.): Das Grundanliegen der beiden vorliegenden Anträge der PDS-Fraktion ist die ausreichende Finanzausstattung der Gemeinden. Diesem Anliegen wird jedes Mitglied dieses Hauses uneinge- schränkt zustimmen. Bei der Frage, wie wir für eine aus- reichende Finanzausstattung der Gemeinden sorgen kön- nen, scheiden sich allerdings die Geister. Um es gleich vorwegzunehmen: Die F.D.P. bleibt bei ihrer Forderung, die Gewerbesteuer endgültig abzuschaf- fen. Bei der Gewerbekapitalsteuer ist das bereits gelun- gen. Grund dafür war allerdings nicht die Einsicht, dass diese Steuer die Unternehmen schwächt. Alles, weil die Einführung dieser Substanzsteuer in den neuen Ländern drohte, konnte beseitigt werden. Die Kommunen benöti- gen eine wirtschaftskraftbezogene eigene Steuerquelle, das heißt, sie müssen mittels eines Hebesatzrechtes die Höhe der Steuer festlegen können. Die F.D.P. schlägt vor, im Gegenzug zum Wegfall der Gewerbeertragsteuer auf Gemeinden ein eigenes Hebe- satzrecht auf die Einkommensteuer, alternativ auf die Umsatzsteuer, einzuräumen. Die Gewerbeertragsteuer ist eine Sonderbelastung der Unternehmen. Gerade die PDS müsste daran interessiert sein, diese Belastung zu beseiti- gen, um dadurch Entlastungseffekte auch für ostdeutsche Unternehmen zu erzielen. Der Wegfall der Gewerbeer- tragsteuer wäre gleichzeitig ein spürbarer Beitrag zur Ver- einfachung unseres Steuerrechts. Wir müssten uns dann nicht mit hochkomplizierten Verrechnungsmodalitäten und mit der Höhe der Gewerbesteuerumlage befassen. Die vorliegenden Anträge lehnt die F.D.P. daher ab. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Entwürfe: – Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsge- setzes – Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsge- setzes und des Ausländergesetzes und zur Beratung des Antrags: „Schlussoffensive“ für erleichterte Einbürgerung von Kindern (Tagesordnungspunkt 21 a und b) Dr. Michael Bürsch (SPD): Nahezu zwei Jahre sind seit der Verabschiedung des neuen Staatsangehörigkeits- rechts durch den Deutschen Bundestag vergangen, das reformierte Staatsangehörigkeitsgesetz ist seit dem 1. Ja- nuar 2000 in Kraft. Heute haben wir über die Verlänge- rung der Regelungen zur vereinfachten Kindereinbürge- rung zu entscheiden. Dies ist eine gute Gelegenheit, eine erste Bilanz über das neue Staatsangehörigkeitsrecht zu ziehen. Zwar ist die Datenbasis noch zu schmal, um quantita- tive Aussagen zu treffen, da die Einbürgerungsbehörden erst jetzt damit beginnen, ihre Angaben dem Statistischen Bundesamt zu übermitteln. Aber in einer ersten qualitati- ven Bewertung können wir bereits feststellen, dass die Kernpunkte der Reform greifen – und dass sich das Be- wusstsein in der Bevölkerung ändert, dass über Integra- tion, Staatsangehörigkeit und Zuwanderung heute diffe- renzierter diskutiert werden kann, als dies noch vor zwei Jahren der Fall war. Ich nenne hier Staatsangehörigkeit, Integration und Zuwanderung bewusst in einem Zusam- menhang, denn die Reform des Staatsangehörigkeitsge- setzes war nur der erste Schritt bei der grundlegenden Er- neuerung unseres Ausländer- und Einwanderungsrechts. Dies wird eines der wichtigsten politischen Vorhaben der nächsten Jahre sein und wir sollten hier die Mahnung des Bundespräsidenten beherzigen: Die Diskussion muss so geführt werden, dass weder Angst geschürt noch Illusio- nen geweckt werden. Am heutigen Tag können wir eine weitere erfreuliche Feststellung treffen: Alle Bundestagsfraktionen außer der CDU/CSU sind sich einig, dass der frühzeitigen Integra- tion der in Deutschland aufwachsenden Kinder ausländi- scher Familien eine überragende Bedeutung zukommt. SPD, Bündnis 90/Die Grünen, F.D.P. und PDS tragen ge- meinsam den Antrag, die Regelung zur erleichterten Kin- dereinbürgerung zu verlängern. Bei den Kolleginnen und Kollegen aus den Reihen der Union fehlt es leider auch heute an der Bereitschaft, sich an der Suche nach den bes- ten Lösungen für die zentralen Fragen der Innenpolitik zu beteiligen. Das ist umso bedauerlicher, als viele von ihnen heute schon ganz anders über Zuwanderung denken als vor zwei Jahren. Vor einer Woche haben Sie sich einem gemeinsamen Antrag gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus verweigert. Beim NPD-Verbotsan- trag haben Sie nicht zu einer einheitlichen Linie gefunden. Während die bayerische Landesregierung den Verbotsan- trag nachdrücklich gefordert hat, konnten Sie sich hier im Bundestag nicht zu einem gemeinsamen Vorgehen aller demokratischen Parteien entschließen. Heute stellen Sie sich wiederum gegen ihre Landesregierungen. Die hessi- sche CDU/F.D.P.-Koalition – man höre und staune – hat in den Ausschussberatungen des Bundesrates die Verlän- gerung der bisherigen Regelung zur vereinfachten Kin- dereinbürgerung um ein Jahr vorgeschlagen. Hier können Sie sich an Roland Koch ausnahmsweise einmal ein Vor- bild nehmen! Wieder einmal kann man es nicht besser sagen als mit den Worten von Willy Brandt: „Ich dachte, wir wären schon weiter.“ Wie wollen Sie glaubwürdig über Zuwan- derung diskutieren, wenn Sie schon der Integration der hier im Lande geborenen Kinder Steine in den Weg legen? Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16193 (C) (D) (A) (B) Die Debatte über Zuwanderung und Integration von Ausländern ist in Bewegung geraten und zum Glück wird sie zunehmend sachlicher geführt. Wir haben mit der Än- derung des Staatsbürgerschaftsrechts den Anfang ge- macht. Millionen Menschen, die dieses Land mit aufge- baut haben, die erheblich zum wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands beitragen, die sich ehrenamtlich engagieren und unsere Gesellschaft nachdrücklich geprägt und berei- chert haben, wurde mit der Reform das Angebot rechtli- cher Gleichstellung und politischer Teilhabe gemacht. Staatsangehörigkeit kann Integration nicht ersetzen, aber sie kann und muss sie ergänzen. Die Bedeutung der Staatsangehörigkeit für die Integration darf nicht über- schätzt, sie darf aber auch nicht unterschätzt werden. Erst die Staatsangehörigkeit gewährleistet einen verlässlichen Status, der ein wirklich gleichberechtigtes Zusammenle- ben erst ermöglicht. Wenn dies schon für die Elterngeneration richtig ist, dann gilt dies erst recht bei den Kindern. Der Kernpunkt der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, die Ergän- zung des Abstammungsprinzips durch das Geburtsrecht, das Jus soli, soll es den hier geborenen Jugendlichen er- leichtern, sich mit ihrem Heimatland Deutschland zu identifizieren. Rund 50 000 der im vergangenen Jahr in Deutschland geborenen Kinder ausländischer Eltern be- sitzen aufgrund der neuen Regelung bereits von Geburt an die deutsche Staatsangehörigkeit. Diese Möglichkeit soll auch weiterhin ihren nur we- nige Jahre älteren Geschwistern offen stehen. Leider blieb die Zahl der Einbürgerungsanträge auf Grundlage der be- fristeten Regelung des § 40 b des Staatsangehörigkeitsge- setzes hinter den Erwartungen zurück. Bis zum Ablauf der Antragsfrist wurde nur für höchstens 30 000 der über 300 000 einbürgerungsberechtigten Kinder ein Antrag ge- stellt. Nach den Erfahrungen der Einbürgerungsbehörden haben vor allem die überhöhten Gebühren von 500 DM dazu beigetragen, dass die vielfach einkommensschwa- chen Familien vor einem Antrag zurückschreckten. Am Sinn der Regelung zur Kindereinbürgerung be- steht kein Zweifel. Wir wollen diesen Kindern im Klein- kind-, Kindergarten- und Grundschulalter die bestmögli- chen Integrationsbedingungen bieten. Denn in den Kindergärten und Schulen entscheidet sich, ob die Inte- gration in unserem Land gelingt. Dies sind die Lernorte des Zusammenlebens. Es wäre für die Betroffenen nicht nachvollziehbar, wenn in einer Familie die beiden älteren Geschwister – sa- gen wir einmal: im Alter von zwei und vier Jahren – nicht das Optionsrecht auf die deutsche Staatsangehörigkeit ha- ben, während ihre neugeborene Schwester den deutschen Pass in die Wiege gelegt bekommt. Einen solchen Riss durch die Familien wollen wir vermeiden. Deshalb wollen wir die Antragsfrist um zwei Jahre, bis zum 31. Dezember 2002, verlängern. Wir wollen darum werben, den Rechtsanspruch auch zügig einzulösen, des- halb bleibt es bei einer Befristung. Wir senken aber gleichzeitig die Einbürgerungsgebühr von 500 DM auf 100 DM, da sich die Höhe der Gebühr, zumal bei kinder- reichen Familien, als erhebliches Hemmnis für die Ein- bürgerungsbereitschaft erwiesen hat. Diese Absenkung um 400 DM pro Kind bedeutet ver- kraftbare Einnahmeausfälle heute, aber eine erhebliche Ersparnis an Anstrengungen und Kosten in der Zukunft, wenn die Integration im Erwachsenenalter mit ungewis- sen Erfolgsaussichten nachgeholt werden muss. Einen kleinkarierten Streit über die angemessene Höhe der Ver- waltungsgebühren sollten wir uns ersparen und stattdes- sen klarstellen, wie wichtig – und wie viel wert – uns die frühzeitige Integration der in Deutschland aufwachsenden Kinder ausländischer Familien ist. Wir machen mit der heutigen Entscheidung einen wei- teren Schritt zur erleichterten Einbürgerung von Auslän- dern. Der nächste, erheblich größere Schritt wird die Regelung von Zuwanderung und Integration sein, die wir noch in diesem Jahr auf den Weg bringen werden. Ich hoffe, dass wir dann alle Fraktionen dieses Hauses im Boot wiederfinden. Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Das Thema gibt Anlass darauf hinzuweisen, dass es hinsichtlich der Integration von in Deutschland lebenden Ausländern un- terschiedliche Lösungsansätze und Grundpositionen gibt, die verschiedener kaum sein könnten. Da ist zum einen die Position derer, die das deutsche Staatsangehörigkeits- recht zum 1. Januar 2000 geändert haben, die heute zu die- sem Gesetz das fünfte oder sechste Änderungsgesetz – irgendwann hört man mal auf zu zählen – einbringen und die der Auffassung sind, der Pass sei das geeignete Mittel zur Integration. In der Konsequenz bedeutet diese Meinung nichts anderes als: Wenn man nur möglichst viele Pässe verteilt, dann gibt es möglichst wenig Pro- bleme mit der Integration. Das ist aber nicht unsere Posi- tion. Wir sehen es genau umgekehrt: Zunächst kommt für uns die Integration, und dann – nach erfolgtem und erfol- greichem Integrationsprozess – kommt der Pass. Also nicht der Pass als Mittel zur Integration, sondern die Ver- leihung der Staatsbürgerschaft am Ende des Integrations- prozesses. Dass der Pass nicht automatisch zur Integration in Deutschland führt, kann man, wenn man nicht völlig blind ist, wirklich klar beobachten. Mehr als eine Million Men- schen haben sofort einen deutschen Pass erhalten, als sie aus einem völlig anderen Kulturkreis nach Deutschland kamen. Sie hätten eigentlich sofort und ohne Probleme nach rot-grüner Logik integriert sein müssen. Aber wol- len Sie im Ernst die Probleme bestreiten, die wir mit Spätaussiedlern – etwa aus Kasachstan – haben? Wollen Sie im Ernst behaupten, gerade die Jüngeren aus dieser Gruppe würden sich dank des deutschen Passes hier gera- dezu optimal und problemfrei integrieren? Ich müsste Sie dann schon fragen, wo Sie eigentlich leben. Wer diese Probleme nicht sieht oder nicht sehen will, der leidet ent- weder unter Realitätsverlust oder unter einer schlimmen Ideologie. Beides wäre bedenklich. Im Übrigen, gestatten Sie den Hinweis, ging und geht es Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von Rot- Grün, natürlich um mehr: Sie wollen allen in Deutschland lebenden Ausländern die generelle doppelte Staatsbürger- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116194 (C) (D) (A) (B) schaft geben, sind damit aber am Widerstand der Bevöl- kerung und der Opposition von CDU und CSU geschei- tert. Aufgegeben haben Sie Ihr Vorhaben, so ist zu be- fürchten, dass sie es jetzt in kleinen Schritten nicht nur verwirklichen. Damit hatten Sie allerdings die Menschen hinters Licht geführt. Wir werden Ihnen das nicht so ohne weiteres durchgehen lassen. Sie setzen ihr Stückwerk fort, allerdings so, dass wie- der Stückwerk entsteht, sodass die nächsten Änderungs- gesetze schon vorprogrammiert sind. Vielleicht möchte der Bundesinnenminister in Sachen Änderungsgesetzge- bung – von der Anzahl her gesprochen, über Qualität ist in diesem Zusammenhang schon lange nicht mehr zu re- den – seinen Kollegen Riester oder die ehemalige Kolle- gin Fischer noch toppen. Nur möchte ich klar sagen: Das Staatsangehörigkeitsrecht ist eine sensible Materie, es ist ein Rechtsgebiet, welches mehr als andere auf Kontinuität und Berechenbarkeit angelegt ist. Das liegt in der Natur der Sache. Wenn ihre Änderungsgesetzgebung nun nicht aus handwerklichem Unvermögen, sondern gar aus Ab- sicht geschähe, dann wäre dies bei dieser Materie sehr zu kritisieren. Es wäre nämlich in hohem Maße verantwor- tungslos. Nun soll also, vermutlich nach dem Willen einer Mehr- heit hier im Deutschen Bundestag, das Staatsangehörig- keitsrecht erneut geändert werden. Im Wesentlichen soll für die Kinder von Ausländern, die bei In-Kraft-Treten des Gesetzes am 1. Januar 2000 noch keine zehn Jahre alt gewesen sind, die Frist, innerhalb der erklärt werden kann, dass auch diese Kinder zusätzlich die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten und die am 31. Dezember 2001 ablaufen wird, gleich um zwei Jahre verlängert wer- den; außerdem soll die Gebühr für diese Einbürgerungen von 500 DM auf 100 DM gesenkt werden, was dann zwar nicht mehr kostendeckend, aber, nach Auffassung von Rot-Grün und leider auch der F.D.P., ein Integrations- hemmnis beseitigen würde. Es wird sicherlich niemanden verwundern, dass wir von CDU/CSU dem kei- nesfalls zustimmen können. Die vorgesehene Verlänge- rung der Antragsfrist für Einbürgerungen nach § 40 b StAG betrifft eine Gesetzesbestimmung, welcher wir im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts bereits von Anfang an aus grundsätzlichen Erwägungen widersprochen haben. Mit dieser Vorschrift wird nämlich der Grundsatz der Vermei- dung von Mehrstaatigkeit massiv infrage gestellt. Damit wird ein das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht maßgeb- lich prägender Grundsatz eklatant verletzt. Wir wollen auch in Zukunft im Grunde genommen mehrere Staats- bürgerschaften bei einer Person vermeiden, Sie aber, Kol- leginnen und Kollegen von Rot-Grün, haben ja eine an- dere Auffassung, können mit der Verletzung dieses Eckpfeilers des Staatsangehörigkeitsrechts aber gut leben. Mit einem müssen Sie allerdings auch leben, nämlich, dass wir unsere Meinung sagen und als Opposition im Deutschen Bundestag Ihre Meinung, die übrigens ja auch von einer ganz klaren Mehrheit der Bevölkerung für falsch und inakzeptabel gehalten wird, deutlich kritisie- ren. Also: Mit dieser berechtigten Kritik unsererseits wer- den Sie heute, aber auch bei Ihren weiteren Vorhaben, ein- fach leben müssen, auch wenn es weh tut. Auch unter integrationspolitischen Gesichtspunkten ist das rot-grün-gelbe Gesetzeswerk durchgreifenden Beden- ken ausgesetzt. Die Vorschrift eröffnet auch dann einen Einbürgerungsanspruch, wenn Kinder von Ausländern gar nicht in Deutschland leben, sondern im Ausland auf- wachsen, dort die Schule besuchen, kein Wort Deutsch sprechen, Deutschland nie kennen gelernt oder vielleicht überhaupt noch nie gesehen haben. In diesen, in der Pra- xis nicht seltenen, Fällen kann die mit der Einbürgerung intendierte Integrationserleichterung überhaupt nicht funktionieren, sie ist von vornerherein absolut ausge- schlossen. Gesetzeszweck und das vorgelegte Gesetz ste- hen einander wirklich diametral gegenüber. Behaupten Sie bitte nicht, dass dies Einzelfälle wären. Ausländer- behörden beantworten die Frage, wie viele dieser jungen, bei uns geborenen Menschen zum Zwecke des Schulbe- suchs und der Ausbildung in das Heimatland Türkei ver- bracht werden, mit 30 bis 40 Prozent. Das sind also nicht nur Ausnahmefälle, die man vernachlässigen könnte! Mit der geplanten Verlängerung der Antragsfrist nach § 40 b StAG um weitere zwei Jahre verantworten Sie, dass die integrationspolitisch bedenklichen Fälle in Zukunft deut- lich zunehmen könnten. Sie leisten der Sache insgesamt damit allerdings einen Bärendienst. Sie wollen die Einbürgerungsgebühr von 500 DM auf 100 DM senken. Auf Länderebene – und da sitzen ja die Praktiker – geht man davon aus, dass die nach rot-grüner Auffassung zu niedrigen Antragszahlen überhaupt nicht auf die Höhe der Einbürgerungsgebühr zurückzuführen sind. Schon deshalb ist die entsprechende Behauptung in der Gesetzesbegründung des Gesetzentwurfs von SPD, Grünen und F.D.P. nicht zutreffend. Aber es gibt weitere Gründe, warum diese drastische Gebührenabsenkung nicht akzeptiert werden kann. Mit der „Discount-Gebühr“, die jetzt eingeführt werden soll, werden die entstehenden Kosten bei weitem nicht ge- deckt. Die tatsächlichen Kosten betragen mindestens das Doppelte. Nun verfährt die rot-grüne Bundesregierung hier nach einem Grundsatz, den wir leider aus vielen an- deren Bereichen nur zu gut kennen: In Berlin beschließen Rot und Grün, bezahlen dürfen dann die Länder und Kom- munen. So geht das nicht! Diese kommunalfeindliche Einstellung wird immer auf unseren erbitterten Wider- stand treffen! Was ist eigentlich mit dem viel zitierten Verursacher- prinzip, das Sie hier mit Füßen treten? Ich vermag nicht einzusehen, warum die tatsächlich entstehenden Kosten bei Einbürgerungsverfahren von der Allgemeinheit der kommunalen Gebühren- und Steuerzahler gezahlt werden soll, nur weil es einer rot-grün-gelben Mehrheit im Deut- schen Bundestag so in den Kram passt. Wer bestellt, soll auch bezahlen! Das muss auch bei der Einbürgerung gel- ten! Die Gebühr wäre bei Kostendeckung ja ganz sicher nicht so hoch, dass jemand, dem es Ernst ist mit der deut- schen Staatsangehörigkeit, sich davon abhalten ließe. Das wäre doch geradezu absurd! Zu absurden Ergebnissen würde im Übrigen das Wei- terentwickeln ihrer Logik führen. Wissen Sie, meine Da- men und Herren von SPD, Grünen und F.D.P. und PDS: Wenn die Einbürgerungsgebühr ein Hemmnis für den Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16195 (C) (D) (A) (B) Einbürgerungsantrag ist und sich nach Absenken der Ge- bühr nach zwei Jahren immer noch nach Ihrer Lesart zu wenig Einbürgerungsanträge angesammelt haben, dann müssten sie eigentlich eine Einbürgerungsprämie ausset- zen. Ja, das wäre dann in der Tat absurd, aber diese Zu- spitzung zeigt, wie falsch sie schon im Ansatz liegen. Auch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten ist übrigens die Senkung der Gebühr von 500 DM auf 100 DM be- denklich. Was ist eigentlich mit den Eltern, welche den Antrag nach geltendem Recht fristgerecht gestellt haben, sich also rechtstreu verhalten haben, und eine fünfmal so hohe Gebühr bezahlt haben? Was werden Sie diesen El- tern sagen, wenn diese Sie fragen: Wie ist das gerechtfer- tigt oder ist das nicht sogar eine willkürliche Ungleichbe- handlung? Darauf hörte ich gerne eine Antwort von Ihnen, was Sie diesen Menschen dann sagen. Und wie Sie die in- nere Logik auch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten ih- rer Regierungs- und Gesetzgebungskunst dann auch im Grundsätzlichen rechtfertigen. Aber vielleicht ist diesen Menschen ja auch zu antwor- ten: Wartet noch ein bisschen zu, mit euren hunderttau- sendfachen Einbürgerungsanträgen. SPD, F.D.P. Grüne und PDS im Deutschen Bundestag, eine satte Mehrheit je- denfalls, will euch alle einbürgern. Koste es, was es wolle. Und vielleicht kostet es in zwei Jahren nicht einmal mehr die hundert Mark, vielleicht gibt es die deutsche Staats- angehörigkeit dann ganz umsonst. Vielleicht, wer weiß, kommt sie irgendwann ja doch noch, die rot-grüne Ein- bürgerungsprämie dafür, dass man endlich die deutsche Staatsbürgerschaft annimmt. Hoffentlich kommt es aber nie so weit. Denn bis dahin haben wir, das hoffe jedenfalls, wieder andere Mehrheits- verhältnisse im Deutschen Bundestag. Und diese Mehr- heit wird dann dem absurden Spuk im Interesse einer ganz großen Mehrheit der Deutschen, in Wahrheit aber auch im Interesse der Integration der bei uns lebenden Ausländer, ein Ende bereiten. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeits- gesetzes vom Juli 1999 sieht eine erleichterte Einbürge- rung für Minderjährige, die nach dem 1. Januar 1990 geboren wurden, bis zum 31. Dezember 2000 vor. Von diesem Recht haben bis zum Ende letzten Jahres jedoch lediglich zehn Prozent der etwa 300 000 berechtigten Kin- der Gebrauch gemacht. Vor allem die Einbürgerungsgebühr von 500 DM ist für viele Eltern ein Hindernis, den für die frühzeitige Integra- tion der Kinder notwendigen Antrag zu stellen. Dies wird uns vor allem von Beratungsstellen und Ausländerbeauf- tragten immer wieder berichtet. Es ist den betroffenen El- tern oft nur schwer zu vermitteln, weshalb ihr Kind, das im Jahr 2000 hier geboren wurde, kraft Gesetz und damit gebührenfrei die deutsche Staatsangehörigkeit erhält, während sie für jedes noch nicht zehnjährige Kind einen gesonderten Antrag stellen und die Gebühr von 500 DM wie bei der Einbürgerung eines Erwachsenen zahlen müssen. Die heute zur Beratung anstehenden Gesetzentwürfe sind vor diesem Hintergrund ein positiver Schritt. So soll die Frist für die Einbürgerung ausländischer Kinder um zwei Jahre bis zum 31. Dezember 2002 verlängert wer- den. Gleichzeitig soll die Hürde hoher Verwaltungskosten entfallen und die Gebühren für die Kindereinbürgerung auf 100 DM gesenkt werden. Dies soll auch für alle sons- tigen Einbürgerungen Minderjähriger gelten. Erfreulich ist auch, dass die Gesetzentwürfe der Koali- tion und der F.D.P. in den Ausschüssen zusammengeführt werden konnten – sozusagen als Konsens der Demo- kraten. Für sich selbst spricht das Verhalten der Union: Wie schon bei der Ablehnung eines gemeinsamen Antrags zum Thema „Bekämpfung des Rechtsextremismus“ in der vergangenen Woche verweigert sie sich auch bei diesem wichtigen integrationspolitischen Thema und gerät so im- mer weiter ins Abseits. Denn die vorgeschlagenen Geset- zesänderungen bieten eine neue Chance für die rechtliche Integration ausländischer Kinder. Auch wenn die Zahl der berechtigten Kinder nicht größer wird, so besteht doch eine erneute Möglichkeit zur Einbürgerung für diejeni- gen, die diese bisher nicht wahrgenommen haben. Vor dem Hintergrund, dass in fast allen Parteien und bei den Bürgerinnen und Bürgern die Einsicht wächst, dass Inte- gration möglichst früh beginnen sollte, verschenken wir eine einmalige Chance, wenn wir nicht alles Mögliche tun, auch den Integrationsprozess der bereits heute hier le- benden Kinder bis zu zehn Jahren, die in Kindergarten und Schule erste prägende Erfahrungen gemacht haben, möglichst frühzeitig zu erleichtern. Um der Gesetzesinitiative zum Erfolg zu verhelfen, sind allerdings insbesondere die Bundesländer gefragt. Ich fordere daher die Länder auf, bei den Beratungen im Bundesrat ihre teilweise kleinmütige Haltung gegenüber dieser Gesetzesänderung aufzugeben und ihr zuzustim- men. Bornierte haushaltspolitische Vorbehalte gegen die abgesenkte Einbürgerungsgebühr helfen nicht weiter. Ich appelliere ausdrücklich an die Kolleginnen und Kollegen der F.D.P., darauf hinzuwirken, in den Koalitionsver- handlungen in Baden-Württemberg ihr eigenes Anliegen nochmals einzubringen. Wer der rechtlichen Gleichstellung selbst hier gebore- ner ausländischer Kinder Steine in den Weg legt, dem liegt deren Integration offensichtlich nicht am Herzen. Dr. Max Stadler (F.D.P.): Die Erfahrung der letzten Jahre hat gezeigt, dass der Gesetzgeber gut beraten ist, bei Änderungen des Staatsangehörigkeitsrechts behutsam vorzugehen. Nur dann ist die Akzeptanz in der Bevölke- rung gewährleistet. Die grundlegende Modernisierung des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 1999 hat unter maßgeblichem Einfluss der F.D.P. diese Anforde- rungen erfüllt. Nun muss sich das neue Recht in der Pra- xis bewähren. Für einschneidende Änderungen ist daher kein Raum. Dennoch muss der Gesetzgeber korrigierend eingreifen, wenn einzelne Vorschriften des neuen Rechts sich schon nach kurzer Zeit nicht als praxistauglich er- wiesen haben. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116196 (C) (D) (A) (B) Die F.D.P. war der Überzeugung, dass ein möglichst frühzeitiger Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit den hier aufwachsenden Kindern ausländischer Eltern die Integration in Deutschland wesentlich erleichtert. Dieses Integrationsangebot wurde auch den Kindern gemacht, die bereits vor der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts geboren worden sind, wenn sie das zehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Die Frist hierfür ist Ende 2000 abgelaufen. Es hat sich gezeigt, dass eine Verlängerung dieser Frist geboten ist. Von der Regelung ist nicht in dem von uns er- hofften Umfang Gebrauch gemacht worden. Dafür gibt es sicherlich unterschiedliche Gründe. Von den Betroffenen wird aber als einer der Hauptpunkte die zu hohe Einbür- gerungsgebühr von 500 DM pro Kind genannt. Von der Möglichkeit der Gebührenermäßigung oder Gebührenbe- freiung zugunsten der Antragsteller wurde in der Praxis kaum Gebrauch gemacht. Daher hat die F.D.P. die Initia- tive ergriffen, dieses finanzielle Einbürgerungshindernis zu beseitigen, und vorgeschlagen, die Einbürgerungs- gebühr für minderjährige Kinder generell auf 100 DM herabzusetzen. Selbst wenn die Verwaltungskosten etwas höher sein sollten, erscheint uns der erzielbare Integrati- onsfortschritt diesen Preis wert. In der Konsequenz dieses Vorschlages haben wir auch für eine Verlängerung der Einbürgerungsfrist um ein Jahr plädiert. Diese Initiative der F.D.P. hatte den Erfolg, dass seitens der Koalition ein eigener Gesetzentwurf vorgelegt wurde, der sich vom F.D.P.-Entwurf nur darin unterscheidet, dass die Einbürgerungsfrist bis 31. Dezember 2002 verlängert werden soll. Dem ist jetzt zuzustimmen, da das Gesetz- gebungsverfahren bereits mehrere Monate in Anspruch genommen hat, sodass eine Fristverlängerung bis Ende 2001 nicht mehr ausreichen würde. Die F.D.P.-Fraktion begrüßt die jetzt im Innenaus- schuss gefundene gemeinsame Beschlussvorlage aus- drücklich, hat doch noch im letzten Jahr die Bundesregie- rung auf eine Anfrage unserer Fraktion erklärt, keinerlei Änderungsbedarf in dem von uns gewünschten Sinne zu sehen. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie konstruktive Oppositionspolitik betrieben wird und auch aus der Min- derheitenposition heraus Verbesserungen erreicht werden. Unser weiterer Antrag, eine „Schlussoffensive“ für die Einbürgerung minderjähriger Kinder zu starten, hat sich damit derzeit erledigt Ulla Jelpke (PDS): Das so genannte reformierte Staatsangehörigkeitsrecht war bisher eine einzige Enttäu- schung. Die Zahlen der tatsächlichen Einbürgerungen entsprechen bei weitem nicht den hoch gesteckten Erwar- tungen, die mit dem In-Kraft-Treten des neuen Staatsan- gehörigkeitsgesetzes verbunden waren. Die Bundesregie- rung hat damals von einer halben bis 1 Million potenzieller Einbürgerungen gesprochen. Die Realität sieht anders aus: Im Februar 2001 wurde die Staatssekretärin Dr. Sonntag- Wolgast in der Presse mit der Aussage zitiert, es habe im Jahre 2000 „etwa 200 000 Einbürgerungen“ gegeben. Ge- naue Zahlen ist die Bundesregierung auch nach einer Klei- nen Anfrage der PDS schuldig geblieben. Die Entwicklung ist für die Bundesregierung enttäu- schend, und sie lässt sich nicht mehr schönreden. Die Gründe dafür sind vielfältig und beruhen auf den gravie- renden Schwachstellen des geltenden Rechts. Vor diesem Hintergrund hat der Innenausschuss mit seiner Beschluss- empfehlung einen wichtigen Schritt gemacht. Auf Antrag der PDS schlägt er vor: Die Bundesregierung soll aufge- fordert werden, das Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit zu unterzeichnen und zur Ratifi- zierung vorzulegen. Worum geht es dabei? Das Staatsangehörigkeitsgesetz zwingt die in Deutschland geborenen Kinder ausländi- scher Eltern, die eine „Schnupperstaatsangehörigkeit“ un- ter Beibehaltung ihrer bisherigen Nationalität erworben haben, sich bis zum 23. Lebensjahr für eine der beiden Staatsangehörigkeiten zu entscheiden. Das Ausländerge- setz verlangt in den übrigen Fällen, dass der Einbürge- rungsbewerber vor Antragstellung die bisherige Staatsan- gehörigkeit verloren hat oder aufgibt. Man kann sich vorstellen, welche seelischen Konflikte damit ausgelöst werden. Viele Menschen haben noch enge – emotionale, kulturelle, rechtliche – Beziehungen zu dem Land, aus dem sie gekommen sind. Diese Bin- dungen drohen zu zerreißen, wenn sie die bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben. Viele Eltern haben Angst vor „Loyalitätskonflikten“ zwischen ihnen und der alten Heimat einerseits und den Kindern andererseits. Für sie ist es undenkbar, dass ihre Kinder die alte Staatsangehörig- keit aufgeben, weil sie noch enge emotionale und auch bürgerlich-rechtliche Bindungen an das Herkunftsland haben, die sie nicht aufgeben, sondern im Gegenteil pfle- gen und erhalten wollen. Weil man auf Teufel komm raus an der Fiktion festhalten wollte, es dürfe keine – oder zu- mindest nur in äußerst geringem Umfang – Mehrstaatig- keit geben, zwingt man Menschen zu solchen Konflikten. Soweit das derzeitige deutsche Recht. Der Europarat hat am 6. November 1997 in Straßburg das Europäische Übereinkommen über die Staatsan- gehörigkeit zur Unterzeichnung aufgelegt. Das Abkom- men ist am 1. März 2000 in Kraft getreten. Deutschland gehört bisher zu den wenigen Mitgliedstaaten des Euro- parates – und zu der kleinen Minderheit innerhalb der Eu- ropäischen Union –, die dieses Abkommen nicht unter- zeichnet haben. Art. 14 des Vertrages sieht vor, dass ein Vertragsstaat Kindern, die bei der Geburt ohne weiteres verschiedene Staatsangehörigkeiten erworben haben, die Beibehaltung dieser Staatsangehörigkeiten gestattet, also Mehrstaatig- keit ausdrücklich und ohne jedes „Optionsmodell“ er- möglicht. Nach Art. 17 Abs. 1 des Abkommens haben die Staatsangehörigen eines Vertragsstaates, die eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen, im Hoheitsgebiet des Ver- tragsstaates dieselben Rechte und Pflichten wie jeder an- dere Staatsangehörige des Vertragsstaates auch. Mehrstaatigkeit ist danach kein Problem mehr. Der Vertrag gibt der Bundesrepublik Deutschland somit die Möglichkeit an die Hand, ihre eigenen hausgemachten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16197 (C) (D) (A) (B) Probleme zumindest zum Teil zu lösen. Daher der vom Innenausschuss übernommene Appell an die Bundesregie- rung: Unterzeichnen Sie endlich das Europäische Über- einkommen über die Staatsangehörigkeit und legen Sie es dem Parlament zur Ratifikation vor! Zugegeben: Nicht alle Probleme sind damit gelöst. Im Gegenteil: Es gibt noch viel zu tun. Wir müssen uns zum Beispiel mit den in § 85 des Ausländergesetzes normier- ten weiteren Anforderungen an den Einbürgerungsbewer- ber beschäftigen. Er muss erklären, dass er sich immer brav und verfassungstreu verhalten wird. Zweifel an der „Ernsthaftigkeit“ der Erklärung führen zur Verweigerung der Einbürgerung. Was soll das? Bestrebungen, die ernst- haft die Werte des Grundgesetzes angreifen, bekämpft man mit dem Strafrecht. Welcher Skinhead hat jemals seine deutsche Staatsangehörigkeit verloren, weil er Mit- glied einer Nazibande war? Aber bei Ausländern soll die Staatsangehörigkeit an eine Gesinnungsprüfung geknüpft sein. Viele gerade politisch engagierte Menschen, die für unser demokratisches Gemeinwesen eine Bereicherung darstellen, weigern sich, diese entwürdigende Prozedur über sich ergehen zu lassen. Beim Staatsangehörigkeitsrecht geht es um Menschen, die seit Jahren, wenn nicht seit Generationen in Deutsch- land leben. Sie haben sich hier integriert, haben zur Ent- wicklung dieses Landes einen großen Beitrag geleistet. Sie zahlen Steuern, Versicherungsbeiträge; sie engagieren sich in Vereinen und Organisationen; sie bereichern auf vielfältige Weise das alltägliche Leben in unserem ge- meinsamen Land. Sie als deutsche Staatsangehörige an- zuerkennen mit allen Rechten und Pflichten ist somit ei- gentlich nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit. Die künstlichen Hürden, die das Gesetz dagegen errichtet, müssen endlich abgebaut werden. Das Staatsangehörig- keitsrecht wird somit heute nicht zum letzten Mal den Deutschen Bundestag beschäftigen. Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä- rin beim Bundesminister des Innern: Es gibt Positives zu melden. Zwar haben wir noch keine endgültigen statisti- schen Ergebnisse darüber, in welchem Maße das neue Staatsangehörigkeitsrecht im ersten Jahr seines Bestehens genutzt worden ist. Aber eines lässt sich schon jetzt sagen: Die Kernpunkte der Reform greifen. In fast allen Ländern, die schon Daten und Erkenntnisse geliefert haben, sind die Einbürgerungsanträge im Jahr 2000 im Vergleich zu 1999 angestiegen – und zwar in einem Bereich zwischen 25 und 100 Prozent. Das Signal, das die Reform geben wollte, hat also gewirkt. Wir wollen die Einbürgerungen erleichtern und wir wollen den ausländischen Familien, die lange in Deutschland leben, sagen: Ihr seid uns als gleichberechtigte Partner willkommen, ihr seid zur vollen politischen Teilhabe mit allen Rechten und Pflichten ein- geladen und die Kinder sollen vom ersten Lebenstag an zur deutschen Gesellschaft dazugehören. Deshalb ist das Jus soli, die Ergänzung des Abstammungsprinzips durch das Territorialprinzip in unserem Einbürgerungsrecht, das Kernstück der Neuerung. Aber es gibt einen Punkt innerhalb der Reform, der bis- her absolut unbefriedigend ist. Er betrifft das Angebot des Gesetzgebers, auch den bis zu zehn Jahre alten Kindern die gleichen Startchancen zu bieten wie denjenigen, die nach dem 1. Januar 2000 zur Welt gekommen sind. Wir gehen von rund 280 000 Kindern aus, die einen Anspruch auf Einbürgerung hätten. Aber nur für 30 000 sind bis Jah- resende Anträge gestellt worden. Man mag über die Gründe rätseln. Eines aber ist mir in vielen Diskussionen mit Migranten oft gesagt worden: Ein deutliches Hinder- nis war die Frist, innerhalb derer der Antrag gestellt wer- den musste. Hinzu kamen die Kosten von im Regelfall 500 DM. Diese Hemmnisse will die Bundesregierung be- seitigen. Wir haben seitens des Bundesinnenministeriums schon seit dem vergangenen Sommer – als sich die kärg- liche Resonanz auf diesen Teil des Gesetzes abzeichnete – bei den Ländern gezielt und nachdrücklich für eine gene- relle Gebührenermäßigung auf 100 DM geworben. Einige Länder folgten dieser Aufforderung, andere aber nicht. Wir wollen aber eine einheitliche Praxis und wir wollen, dass das Staatsangehörigkeitsrecht mit allen seinen Ange- boten kräftig genutzt wird. Deshalb hat die Bundesregie- rung am 24. Januar 2001 im Kabinett den Gesetzentwurf beschlossen, der heute zur Abstimmung steht. Er sieht vor, die Antragsfrist für Einbürgerungen nach dem § 40 b das Staatsangehörigkeitsrecht um zwei Jahre zu verlän- gern und die Gebühr auf 100 DM herabzusetzen. Das ver- schafft den Familien ausreichend Zeit und strapaziert das Portemonnaie nicht unangemessen. Ich weiß wohl, dass es in einigen Ländern noch Vorbe- halte gibt und dass dabei auch finanzielle Gründe ange- führt werden. Allerdings: Auch wenn die Absenkung der Gebühren kurzfristig zu Mindereinnahmen führt – län- gerfristig kommt sie uns allen zugute. Denn eine frühe In- tegration, die im Kindergarten und in der Grundschule einsetzt, erspart uns Kosten, die später aufgebracht wer- den müssen, wenn sich Jugendliche von der deutschen Gesellschaft abgewendet haben und die negativen sozia- len Folgen spürbar werden. Ich freue mich, dass alle Fraktionen – außer der Union – sich im Nutzen dieser Gesetzesinitiative einig wissen. Und ich appelliere an die Freien Demokraten hier im Hause, ihren politischen Willen auch in den Ländern zu verankern, in denen sie an der Regierung beteiligt sind. An der Verwaltungsgebühr und an Fristen, sollte die Inte- grationsbereitschaft der Zuwanderer in unserem Land nicht scheitern. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Eckpunkte zur Verbesserung der Bekämpfung ille- galer Beschäftigung und Schwarzarbeit und – Schattenwirtschaft mit marktwirtschaftlichen Mit- teln eindämmen (Tagesordnungspunkt 22) Leyla Onur (SPD): Wir reden heute abschließend über den SPD-Antrag „Eckpunkte zur Verbesserung der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116198 (C) (D) (A) (B) Bekämpfung illegaler Beschäftigung und Schwarzar- beit“. Weil Sie, meine Damen und Herren von der Oppo- sition, den Ernst der Lage immer noch nicht begriffen ha- ben, bringe ich es noch einmal auf den Punkt: Menschen, die schwarzarbeiten oder -arbeiten lassen, betrügen unseren Staat, unsere Gesellschaft um Steuern und Sozialabgaben. Sie vernichten ordentliche Arbeits- plätze und treiben kleine Unternehmen und Handwerks- betriebe in den Ruin. Rund 100 Milliarden Mark an Steu- ern und Sozialversicherungsabgaben werden dem Staat vorenthalten. Dahinter stecken in immer stärkerem Maße mafiose Strukturen. Es gibt ganze Ketten von Subunternehmern. Menschen und ihre Arbeitskraft werden gezielt ausgebeu- tet. 100 000 illegal Beschäftigte drängen 60 000 legal be- schäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus ihren Berufen. Dieser geradezu menschenverachtenden Ausbeutung hat diese Koalitionsregierung den Kampf angesagt. Die Maßnahmen, die von der Bundesregierung bisher ergrif- fen wurden, sprechen eine deutliche Sprache. Wir haben: erstens die Zahl der Zollbeamten, die die illegale Be- schäftigung bekämpfen, Erhöhung von 1100 auf 2 500 in zwei Jahren mehr als verdoppelt. Zweitens wurden in al- len Arbeitsämtern einheitlich zuständige Organisations- einheiten geschaffen und der Informationsaustausch in- tensiviert. Die hohe Zahl von 2 800 Mitarbeitern in diesem Bereich wird auch weiterhin gehalten. Die Bundesregierung hat drittens das Arbeitnehmer- Entsendegesetz geändert. Viertens wurde das Arbeitserlaubnisrecht stark verein- facht. Die Wartefristen bis zur Erteilung der Arbeitser- laubnis wurden vereinheitlicht und auf ein Jahr verkürzt. Wie sich diese Maßnahmen konkret vor Ort auswirken, sehe ich selbst in meinem Wahlkreis Braunschweig. Dort wurde übrigens die Zahl der Mitarbeiter der Fahndungs- gruppe des Zolls zur Bekämpfung der illegalen Beschäf- tigung von 10 auf 21 erhöht und damit mehr als verdop- pelt. Diese Ermittlungsgruppe des Hauptzollamtes Braun- schweig hat im Sommer letzten Jahres in einem privaten Neubaugebiet eine sechs Mann starke Truppe von Schwarzarbeitern dingfest gemacht. Zwei weitere Män- ner waren nur damit beschäftigt, den optimalen Einsatz dieser Schwarzarbeiter zu organisieren. Diese Truppe hat das seit zehn Jahren so gemacht, bis sie letztes Jahr end- lich geschnappt wurde. Allein durch diesen Trupp sind der Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung 600 000 Mark an Beiträgen entgangen; 600 000 Mark, die von anderen Ar- beitgebern und Arbeitnehmer zusätzlich aufgebracht wer- den müssen. Es gibt also Erfolge. Aber es muss noch mehr getan werden, das gebe ich offen zu. Damit noch wirksamer ge- gen solche betrügerischen Machenschaften vorgegangen werden kann, wollen wir heute unseren Antrag „Eck- punkte zur Verbesserung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit“ verabschieden. Un- sere Maßnahmen wirken in drei Stoßrichtungen: Erstens. Prävention verstärken: Die Bevölkerung soll besser aufgeklärt werden. Wir wollen die Vorbildfunktion der öffentlichen Hand stärken und damit positiv auf die Bürgerinnen und Bürger einwirken. Die Unternehmen sollen ebenfalls in die Verantwortung genommen werden, zum Beispiel durch eine Haftung für die Sozialversiche- rungsbeiträge der Nachunternehmer. Hierdurch kann eine verstärkte vorbeugende Kontrolle der nachgeordneten Auftragnehmer erreicht werden. Zweitens. Effizienz der Arbeit der Verfolgungsbehör- den verbessern: Informationen sollen rasch zwischen den Behörden ausgetauscht werden. Durch besseren Informa- tionsaustausch sollen Sanktionen wie der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen besser greifen. Gemeinsame Er- mittlungsgruppen sollen gebildet werden. Drittens. Abschreckungswirkung erhöhen und Voll- zugsdefizite ausräumen: Dazu gehören zum Beispiel die Forderung, dass Bußgeld- und Strafrahmen verschärft so- wie neue Tatbestände eingeführt werden. Damit Schwarz- arbeiter und ihre Hintermänner nicht mehr ins Ausland flüchten können, fordern wir transnationale Amtshilfe und Vollstreckungsabkommen. Bei den Landgerichten sollen Schwerpunktstaatsanwaltschaften für illegale Be- schäftigung, Schwarzarbeit und damit verbundene Steu- erstraftaten eingerichtet werden. Auch die Länder ziehen mit uns an einem Strang, wie der Gesetzentwurf des Bundesrates zur Eindämmung ille- galer Betätigung im Baugewerbe zeigt. Ganz aktuell: Bei dem „Bündnisgespräch Bau“ hat Bundeskanzler Gerhard Schröder gestern zugesagt, das geplante Steuerabzugsverfahren zur Bekämpfung der ille- galen Beschäftigung zügig umzusetzen. Sogar die CDU/CSU unterstützt uns; eigentlich jeden- falls, denn so genau scheinen sie das selbst noch nicht zu wissen. Ich zitiere aus der Rede von Frau Kollegin Schnieber-Jastram vom 9. März: „Zum Abschluss möchte ich noch etwas zu Ihrem Antrag ,Eckpunkte zur Verbes- serung der Bekämpfung illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit‘ sagen. Wir stimmen zwar der darin zum Ausdruck kommenden Grundintention durchaus zu. Aber wir sind natürlich mit der dort enthaltenen Passage über die erfolgreiche Wirtschafts- und Steuerpolitik der rot-grünen Regierungskoalition überhaupt nicht einver- standen. An dieser Stelle können wir den Antrag nicht mehr mittragen“. Wenn Sie keine Argumente und kein Programm zur Bekämpfung der Schwarzarbeit haben, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, dann verwundert es nicht, dass Kollegin Schnieber-Jastram, als wir unseren Antrag in erster Lesung debattiert haben, in ihrer zehn- minütigen Rede nur ganze vier Sätze für das eigentliche Thema übrig hatte. Auch das Problembewusstsein der F.D.P. ist offen- sichtlich hoffnungslos unterentwickelt. Glauben Sie ernsthaft, Sie könnten mit den von Ihnen geforderten „marktwirtschaftlichen Mitteln“ etwas gegen die mafiose Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16199 (C) (D) (A) (B) Struktur der illegalen Beschäftigung ausrichten? Ich will nur mal einige der „knallharten Forderungen“ ihres An- trages nennen. Sie wollen vier Berichte zu unterschiedli- chen Teilaspekten, ein Sondergutachten und eine neue Statistik. Als ganz schweres Geschütz fahren sie die Forderung auf, die Verknüpfung von Rentenversicherung und Öko- steuern – ich zitiere – „im Lichte der Effizienzvorteile des Äquivalenzprinzips erneut zu überprüfen“. Eines weiß ich auch ohne Sondergutachten: Mit diesen Maßnahmen wird nicht ein einziges illegales Beschäftigungsverhältnis ver- hindert. Lassen Sie mich noch einmal festhalten: Wir haben ei- niges getan, es zeigt bereits Wirkung, aber wir müssen deutlich mehr tun. Vor allem müssen die Bürgerinnen und Bürger aufgeklärt werden, welche Schäden Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung anrichten und wer die Zeche für diesen Betrug letztendlich zahlt. Wir müssen dagegen angehen, dass Schwarzarbeit in unserer Gesellschaft zur akzeptierten Normalität geworden ist. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben leider in den 16 Jahren, in denen Sie verantwortlich waren, dazu bei- getragen, dass das Unrechtsbewusstsein bezüglich Schwarzarbeit in Wirtschaft und Gesellschaft gegen Null gegangen ist. Wir fordern Sie auf, mit uns gemeinsam als Vorbilder in Wort und Tat dieser Entwicklung entgegen zu wirken. Nur so können wir Schwarzarbeit und illegale Be- schäftigung zurückdrängen. Brigitte Baumeister (CDU/CSU): Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung sind eine Bedrohung für den re- gulären Arbeitsmarkt. Darin sind wir uns alle einig. Über das Ausmaß von Schwarzarbeit und illegaler Beschäfti- gung gibt es keine exakten Angaben. Schätzungen gehen davon aus, dass der Anteil der Schattenwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt mehr als 16 Prozent beträgt. Der Schaden für Volkswirtschaft und Arbeitsmarkt ist im- mens. Die von SPD und Grünen vorgelegten „Eckpunkte“ versuchen uns vorzumachen, dass die Koalition eine Lö- sung zur Bekämpfung der Schwarzarbeit gefunden hat. Dabei setzt Rot-Grün einseitig auf vermehrte Sanktionen und die Erhöhung des Strafmaßnahmen-Katalogs. Das greift aber viel zu kurz. SPD und Grüne wollen die Symp- tome bekämpfen, lassen die Ursachen jedoch völlig außer Acht. Doch haben stärkere Kontrollen und härtere Sanktio- nen so lange wenig Erfolg, solange die Ursachen der Schwarzarbeit bestehen bleiben. Deregulierung des Ar- beitsmarktes und Senkung von Steuern und Abgaben sind das Gebot der Stunde. Dies wird auch bei der Einschät- zung der augenblicklichen wirtschaftlichen Lage deut- lich. Die Steuermoral der Bundesbürger war noch in den 60er-Jahren im Vergleich zu unseren Nachbarländern her- vorragend. Heute haben die komplizierte und komplexe Steuergesetzgebung, die geringe Entlastung der Steuerre- form, das Gesetz zur Teilzeitarbeit, die Veränderung der 630-Mark-Jobs und die Frühverrentungsprogramme den Anreiz zur Schwarzarbeit deutlich erhöht. Stagnierender Nettoverdienst, vermehrte Freizeit, hohe Abgaben bei Ge- ringverdienenden führen zwangsläufig zum Ausweichen in die Schwarzarbeit. Hier muss die Regierung Verände- rungen herbeiführen. Sie darf es nicht dabei belassen, ein- seitig über die Erhöhung von Strafen nachzudenken. Warum findet Schwarzarbeit bei vielen Bürgerinnen und Bürgern eine so hohe Akzeptanz? Handwerkliche Ar- beiten sind vielen Menschen in unserem Land zu teuer. Ob der Garten gepflegt oder die Wohnung tapeziert werden muss, es sind immer weniger Bürger bereit oder in der Lage, die gegenwärtigen Kosten für diese Arbeiten zu be- zahlen. Einen Grund hierfür sehen wir in der unvertretbar hohen Belastung der Bruttolöhne mit Steuern und Abga- ben. Wer schon einmal seine Waschmaschine reparieren lassen musste, weiß, dass selbst eine kleine Reparatur in aller Regel um die 100 DM kostet. Der Handwerker erhält hiervon netto circa 15 DM. Diese Spanne, die sich zwi- schen Auftraggeber und Auftragnehmer schiebt, verlockt beide Seiten geradezu zur Schwarzarbeit. Zwar hatte sich die Bundesregierung selbst bereits in der Koalitionsvereinbarung eine Senkung der Sozialabga- ben auf 40 Prozent zum Ziel gesetzt. Im Jahr 2001 führen Beschäftigte und Betriebe jedoch immer noch eine Quote von 40,8 Prozent im Westen und von 41,1 Prozent im Osten an die Sozialversicherungen ab. Zum Vergleich: In den Jahren 1997 und 1998 lag die Sozialabgabenquote bei knapp 42 Prozent. Diese geringfügige Senkung der Lohnnebenkosten konnte nur durch eine Kostenverschiebung von den Bei- tragszahlern auf die Steuerzahler realisiert werden – also durch Steuererhöhungen. Hier ist die Ökosteuer ein gutes Beispiel: Wenn ich einmal die Einnahmen aus der Öko- steuer einrechne und dann auch noch die Einnahmen der Rentenversicherung aus der Erhöhung der Mehrwert- steuer seit dem 1. April 1998 berücksichtige, ergibt sich eine tatsächliche Belastung in Höhe von 42,4 Prozent im Westen und 41,1 Prozent im Osten. Von einer realen Sen- kung kann also keine Rede sein. Eine weitere Ursache für die starke Zunahme der Schwarzarbeit in Deutschland in den vergangen Jahren ist die zum 1. April 1999 in Kraft getretene Regelung zu den 630-Mark-Jobs. So sind beispielsweise für geringfügig Nebenbeschäftigte deutliche Mehrbelastungen entstan- den: Während diese zuvor mit einem Pauschalsteuersatz von 20 Prozent zuzüglich Solidaritätsbeitrag und Kir- chensteuer alle Abgaben erfüllt haben, sind seit der Neu- regelung auch noch Beiträge für Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung zu bezahlen. So betrachtet ist die Neuregelung der 630-Mark-Jobs für viele ein Anreiz, die eigene Arbeit schwarz anzubieten. Um diese Fehlsteuerungen der neuen Regelungen zu den 630-Mark-Jobs zu stoppen und gleichzeitig die An- reize zur Schwarzarbeit zu mindern, wäre die einzig kon- sequente Lösung, das ganze Gesetz rückgängig zu ma- chen. Dies wäre eine wirklich präventive Maßnahme gegen Schwarzarbeit. Außerdem kritisiert die CDU/CSU-Fraktion, dass die Regierung den Gewerkschaften bei ihren Forderungen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116200 (C) (D) (A) (B) nach Frühverrentungen und Kürzungen der Arbeitszeiten entgegengekommen ist. Denn was zunächst gut klingt – mehr Freizeit –, wirkt sich im Ergebnis negativ auf ver- schiedene Bereiche des Arbeitsmarktes aus. Schnell ist ein handwerklich begabter Vorruheständler bereit, seine Fähigkeiten einzusetzen. Ich nenne das Beispiel VW: Hier wurde die Arbeitszeit seinerzeit auf 28,8 Stunden heruntergefahren und der Bruttolohn auf 85,5 Prozent gesenkt. Im Klartext: Bei ei- ner monatlichen Bezahlung von 4000 Mark hat ein VW- Mitarbeiter nach Einführung dieser Regelung 600 Mark weniger Verdienst und vier freie Tage mehr im Monat. Wie er diese finanziellen Verluste kompensieren kann, liegt auf der Hand. Das grundsätzliche Problem, das wir in Deutschland haben, ist, dass der Arbeitsmarkt für ein- fache und geringer qualifizierte Arbeiten nach wie vor nur unzureichend erschlossen ist. Ziel muss es sein, Anreize zur Aufnahme einfacher Tätigkeiten in reguläre Beschäftigungsverhältnisse zu verbessern. Solange für viele die Aufbesserung ihrer So- zialhilfe und ihres Arbeitslosengeldes durch Schwarzar- beit lukrativer ist als die Aufnahme einer regulären, aber insgesamt niedriger entlohnten Beschäftigung, solange ist das System falsch: Verstärkte Kontrollen und höhere Stra- fen helfen nicht weiter. Ziel muss auch ein einfaches und transparentes Steuer- system sein, das geringe Grenzsteuersätze aufweist. Denn nur ein Steuersystem, das der Bürger versteht und das er auch für sinnvoll hält, wird von ihm beachtet und führt zu unserem gemeinsamen Ziel: zu einer höheren Steuermoral. Ziel muss eine deutliche Absenkung der Sozialabgaben sein. Denn nur so kann die enorme Spanne zwischen den Kosten für den Auftraggeber und dem Nettoverdienst für den Auftragnehmer verringert werden. Auf diese Weise wächst die Bereitschaft der Kunden, reguläre Arbeitnehmer zu beschäftigen, anstatt auf Schwarzarbeiter auszuweichen. Wenn wir die Schwarzar- beit bekämpfen wollen, dürfen wir uns nicht auf die Bekämpfung der Symptome beschränken. SPD und Grüne verfolgen mit ihrem Antrag einen falschen Ansatz. Wir müssen die Ursachen im Kern bekämpfen. Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Il- legale Beschäftigung und Schwarzarbeit können nicht hingenommen werden. Ihr dramatischer Anstieg in den letzten Jahren belastet nicht nur den Arbeitsmarkt und die sozialen Sicherungssysteme. Es kommt auch zu erhebli- chen Steuerausfällen und Wettbewerbsverzerrungen, ins- besondere in Branchen wie der Bauwirtschaft und im Be- reich der privaten Haushalte. Immer mehr reguläre Arbeit von Selbstständigen, immer mehr abhängige Beschäfti- gung wird verdrängt. Durch die konsequente Senkung der Steuern und der Sozialbeiträge hat die rot-grüne Bundesregierung die Bürger und Arbeitgeber bereits entlastet und die Anreize zur Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung gesenkt. Das sind wichtige Schritte in die richtige Richtung. Wir wer- den diesen Weg der Steuer- und Beitragssenkung weiter gehen. So richtig und begrüßenswert es ist, auch die fiskali- schen Anreizstrukturen für die Schwarzarbeit in das Visier zu nehmen, so wenig reicht es aus. Es ist auch notwendig, in einer ordnungspolitisch eindeutigen Weise die rechtli- chen, administrativen Möglichkeiten zur Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit zu verbessern. Wenn sich aber alle über die negativen Folgen einig sind, gilt es mehr als bisher zu handeln. Die Regierungs- fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD haben deshalb einen gemeinsamen Antrag eingebracht, um mit verschiedenen Maßnahmen die Schattenwirtschaft einzu- dämmen. Dies ist ein schwieriges Unterfangen, denn Schwarzar- beit ist überall und besitzt eine vielfältige Gestalt. Es ist nicht nur die organisierte Kriminalität, nicht nur die ille- gale Beschäftigung – und dabei in besonders ausbeuteri- scher Weise von Ausländern – auf dem Bau, sondern sie findet auch in vielen deutschen Haushalten statt. Wer kennt nicht die Praxis bei Putzhilfen und anderen häusli- chen Tätigkeiten oder die Nachbarschaftshilfe beim „Häuslebau“. Hierher gehört auch die Leistungserbrin- gung, zum Beispiel in Handwerksbetrieben gegen Zah- lung, aber ohne Rechnung. Weil die Beauftragung von Schwarzarbeitenden immer mehr zur gesellschaftlich akzeptierten Normalität gewor- den ist, gilt es auf verschiedenen Ebenen anzusetzen. Denn es sind nicht nur Unternehmen, die profitieren, son- dern alle Beteiligten. Das macht es so schwierig, die Schwarzarbeit effektiv zu bekämpfen. Die verschieden- artigen Maßnahmen zur Bekämpfung der illegalen Be- schäftigung und Schwarzarbeit sind: Erstens. Die Abschreckungswirkung erhöhen und Voll- zugsdefizite ausräumen. Hier haben uns die Sachverstän- digen der Bundesanstalt für Arbeit, der Zollämter und der Zusammenarbeitsbehörden wichtige Hinweise gegeben. Sinnvoll sind etwa die Anpassung der Strafvorschriften an gesetzliche Änderungen im Sozialversicherungsrecht hin- sichtlich der Neuregelung der Kassenwahlfreiheit und der geringfügigen Beschäftigung. Durch die Einbeziehung des Arbeitgeberanteils in den § 266 a StGB sollte erreicht werden, dass sich der Schaden grundsätzlich aus dem Ge- samtsozialversicherungsbeitrag bemisst. So kann ohne Verschärfung die Abschreckung erhöht werden, denn die Schadenshöhe ist ein wesentliches Kriterium für die Straf- zumessung der Gerichte. Denn eigentlich sind die ver- schiedenen Straf- und Bußgeldvorschriften ausreichend, sie müssen aber praktisch durchgesetzt werden. Zweitens. Effizienz der Arbeit der Verfolgungsbehör- den verbessern. Auch hier hat die Anhörung eindrucks- voll gezeigt, dass die Zusammenarbeit der Behörden in den letzten Jahren immer enger und effektiver geworden ist – und dies auf „untergesetzlichem Wege“. In unserem Antrag haben wir deshalb die Überprüfung angeregt, ob in mittlerer Frist durch Zusammenfassung der Kompe- tenzen der Bundes- und Landesbehörden weitere Effi- zienzvorteile erzielt werden können. Und drittens ist die Verstärkung von präventiven Maß- nahmen besonders wichtig. Angesichts der weit verbrei- teten Akzeptanz derartiger Beschäftigungsformen in der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16201 (C) (D) (A) (B) Bevölkerung ist eine verbesserte Aufklärung über die ein- schneidenden Folgen für unseren Sozialstaat notwendig. Schwarzarbeit, das Unterlaufen der Sozialversicherungs- pflicht und Steuerhinterziehung sind strafwürdige Akti- vitäten, in vielen Fällen mit erheblicher krimineller Ener- gie verbunden. Sie verringern die Finanzgrundlagen des Staates und zerstören vor allem den solidarischen Zusam- menhalt unserer Gesellschaft. Deshalb kommt der öffent- lichen Hand, zum Beispiel in ihrer Funktion als Bauträ- ger, eine besondere Vorbildfunktion zu. Dirk Niebel (F.D.P.): Illegale Beschäftigung, Dum- pinglöhne und die Unterschlagung von Sozialversiche- rungsabgaben verzerren den Wettbewerb und vernichten reguläre Arbeitsplätze. Die Rekordeinnahmen des Fi- nanzministeriums von 325 Millionen DM für das Jahr 2000 bei den Geldbußen gegen illegale Beschäftigung und Leistungsmissbrauch zeigen, dass die Schattenwirt- schaft boomt. Diese Konjunktur wünschen wir uns für die reguläre Wirtschaft, deren Wachstumsprognosen jetzt ge- rade wieder von den Forschungsinstituten nach unten kor- rigiert wurden. Die Ursachen sind vielfältig: Es ist bekannt, dass Schwarzarbeit für die Beteiligten finanziell günstiger ist als ein reguläres Arbeitsverhältnis. Der Faktor Arbeit ist mit Steuern und Abgaben zu hoch belastet. Und es gibt immer mehr Regulierungen auf dem Arbeitsmarkt, die die Begründung und Beendigung von Arbeitsverhältnissen erschweren. Faktoren, die zur Schwarzarbeit verleiten, müssen ab- geschafft werden. Wir brauchen eine vernünftige Steuer- reform, die Arbeit für den Arbeitgeber billiger und für den Arbeitnehmer attraktiver macht, weil ihm mehr Geld in der Tasche bleibt. Hohe Steuern und Abgaben machen einfache Arbeit für Unternehmen unrentabel und unbe- zahlbar. Die Lohnnebenkosten sind zu hoch. Ihre Steuerreform darf nur ein erster Schritt sein! Bun- desfinanzminister Eichel will keine weitere Reform bis 2006. Wir fordern Sie auf, die nächste Stufe der Steuerre- form mit dem von uns vorgeschlagenen einheitlichen und gerechten Tarif von 15, 25 und 35 Prozent anzugehen. Mindestbeiträge für Krankenkassen, wie die Regie- rung sie fordert, sind exakt das Gegenteil dessen, was wir brauchen. Die Regierung hätte übrigens schon längst die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung senken können. Auch das hätte die Lohnnebenkosten verringert. Das kommt aber erst im Wahljahr! Das Lohnabstandsgebot muss eingehalten werden. Dem Arbeitnehmer muss mehr von seinem Lohn in der Tasche bleiben. Umfragen bei der Neuregelung der 630- Mark-Jobs haben ergeben, dass dieses Geld für den Le- bensunterhalt dringend gebraucht wurde. Viele können sich ohne Schwarzarbeit ihren Lebensstandard nicht mehr leisten. Hier liegt die Schlussfolgerung nahe, dass ein grosser Teil der geringfügigen Beschäftigungen in die Schattenwirtschaft abgewandert ist. Einzig positiv zu ver- merken ist, dass dieses Geld sofort wieder ausgegeben wird. Also: Schaffen Sie die Neuregelung für die geringfü- gige Beschäftigung ab! Kehren Sie zur alten Regelung zurück! Die Erfolge, die Sie vor kurzem bekannt- gegeben haben, sind nur Scheinerfolge für die Senkung der Arbeitslosigkeit, ein statistischer Taschenspielertrick. Bei Sozialhilfebezug müssen die Anreize zur Arbeits- aufnahme verbessert werden. Der nicht anrechenbare Hinzuverdienst muss angehoben werden. Als weiter- führender Schritt beseitigt die Zusammenlegung der So- zialhilfe mit der Arbeitslosenhilfe als Grundsicherung in Richtung Bürgergeld einen hohen bürokratischen Auf- wand und setzt für die Arbeitsvermittlung Ressourcen frei. Dadurch können Hilfeempfänger individuell betreut und integriert werden. Die F.D.P. ist auch deshalb die Partei der sozialen Ver- antwortung, weil wir dafür sorgen wollen, dass jeder Aus- länder für die Dauer seines erlaubten Aufenthalts in Deutschland für seinen eigenen Lebensunterhalt arbeiten darf. Das Arbeitsgenehmigungsrecht muss grundlegend reformiert werden. Wenn die Restriktionen bei Flüchtlin- gen und Asylbewerbern weiter gelockert werden, könnten Arbeitsverhältnisse legalisiert werden und die illegale Ausländerbeschäftigung würde sinken. Das bedeutet mehr Einnahmen an Steuern und Sozialabgaben für die öffentlichen Hände, weniger Transferzahlungen und mehr Sicherheit für die Arbeitskräfte gegen menschenunwür- dige Bedingungen und Lohndumping. Die Änderung der Arbeitsgenehmigungsverordnung für Kriegsflüchtlinge war ein Schritt in die richtige Rich- tung. Die Wartefrist für Asylbewerber ist ein Arbeitsver- bot und Arbeitsverbote schaden den Betroffenen und der deutschen Wirtschaft. Sie fördern Schwarzarbeit. Es gibt keine Konkurrenz um die infrage kommenden Arbeitsplätze. Einerseits werden zu hohen Kosten auslän- dische Arbeitskräfte eingeflogen, auf der anderen Seite verbietet man ihnen die Arbeit, obwohl sie sich in Deutschland aufhalten dürfen. Es kann nur Spekulationen geben, wie viele Arbeits- plätze durch Abschaffung der Schwarzarbeit legal entste- hen. Viele Jobs würde es dann nämlich gar nicht geben. Es wurden schon von der christlich-liberalen Regierung viele Versuche gemacht, Arbeitsstellen in Haushalten zu legalisieren, was aber von den jetzt Regierenden als „Dienstmädchenprivileg“ abgekanzelt wurde. Eine Rege- lung ist dringend notwendig, damit Frauen der Weg in ein reguläres Arbeitsverhältnis ermöglicht wird. In den vier Millionen deutschen Haushalten, in denen regelmäßig oder gelegentlich Haushaltshilfen beschäftigt sind, sind nur 38 000 sozialversicherungspflichtige Ar- beitsverhältnisse erfasst. Schwarzarbeit dominiert, weil sich für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen eine Anstellung nicht lohnt, da die Höhe der Sozialversiche- rungsabgaben eine mögliche Steuereinsparung überwiegt. Nicht ohne Grund konnte Herr Momper in Berlin keine Haushaltshilfe zu bezahlbaren Konditionen für ein lega- les Arbeitverhältnis finden. Eine stärkere Flexibilisierung der Arbeitszeiten kann zum Abbau der Schwarzarbeit beitragen, während eine generelle Arbeitszeitverkürzung und ein Überstundenver- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116202 (C) (D) (A) (B) bot das Schwarzarbeitspotenzial eher erhöhen. So inves- tieren Frührentner einen Teil ihrer Freizeit in Schwarzar- beit. Der neueste Vorstoß von DGB-Chef Schulte, dass auch eine Arbeitszeit von 48 Stunden vorstellbar sein muss, ist eine ausgesprochen gewagter Gedanke für einen Gewerkschaftler. Er zeigt aber ein bisher nicht gekanntes Maß an Einsichtsfähigkeit. Fazit: Schwarzarbeit ist kein Kavaliersdelikt. Das Ge- schäft blüht und die Tricks werden immer raffinierter. Bei dem Geschäft mit billigen Arbeitskräften mischen mehr und mehr kriminelle und international operierende Ban- den mit. Dies betrifft besonders die Bauwirtschaft, dort liegt der Anteil mit 45 Prozent am höchsten. Nach Anga- ben des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes sind schätzungsweise 250 000 Illegale dort beschäftigt. Oft arbeiten sie unter unzumutbaren Bedingungen bei ausländischen Subunternehmern, die durch mögliche Bußgelder nicht genügend abgeschreckt werden. Der Bundesrat hat einen Gesetzentwurf zur Eindäm- mung illegaler Beschäftigung im Baugewerbe einge- bracht. Wir bezweifeln, dass damit nur die „schwarzen Schafe“ aussortiert werden. Durch eine neue Abzugs- steuer werden redliche Unternehmen zusätzlich belastet, während illegale Tätigkeiten im Baugewerbe auch durch die geplanten Regelungen nicht oder nur unzureichend unterbunden werden. Mit staatlichen Kontrollen und Prüfverfahren lassen sich nur begrenzte Erfolge gegen Schwarzarbeit erzielen. Viele Strafen werden aus der Portokasse bezahlt. Die Sanktionen müssen verschärft und das persönliche Risiko der Täter erhöht werden. Vor allem aber muss der Anreiz, illegal zu arbeiten und illegal zu beschäftigen, verringert werden. Klaus Grehn (PDS): Vor wenigen Wochen hat dem Parlament der 9. Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen des Gesetzes zur Bekämpfung der ille- galen Beschäftigung vorgelegen. Er hat deutlich gemacht, welche Maßnahmen zur Bekämpfung illegaler Beschäfti- gung und Schwarzarbeit eingeleitet wurden. Offen- sichtlich fußt der Antrag der Regierungskoalition auf den Ergebnissen des Berichts der Bundesregierung. Wir stimmen mit den Antragstellern überein, dass allen Formen der illegalen Beschäftigung und der Schwarz- arbeit begegnet werden muss, und das möglichst wirk- sam. Das ist ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit; denn durch sie wird auch die soziale Sicherheit der übrigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gefährdet. Aus- stieg aus Tarifverträgen, ruinöses Lohndumping und unter- tarifliche Bezahlung sind unter anderem Folgen zuneh- mender Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung. Der Antrag fordert in drei Schwerpunkten die Bundes- regierung auf, organisatorische und rechtliche Gegen- maßnahmen einzuleiten. Die dafür gegebenen Vorgaben werden dem Ziel nur teilweise gerecht. Bereits im vergangenen Zeitraum wurden die Kon- trollen verschärft und die Zahl der Folgemaßnahmen wie Ermittlungsverfahren und Bußgelder deutlich erhöht. Nun soll eine weitere Verschärfung erfolgen, obwohl sich dieser Weg als wenig erfolgreich erwiesen hat. Das ist für uns schwer nachvollziehbar. Zusätzlich soll die Bundes- anstalt für Arbeit Strafverfolgungskompetenzen erhalten. Das scheint rechtlich bedenklich. Andererseits verfügt die Bundesanstalt weder über ausreichendes Personal noch über die fachlichen Kapazitäten. Für uns ist die Sicher- stellung der Hauptaufgabe der Bundesanstalt, die Vermitt- lung der Arbeitslosen in Arbeit, ihre Betreuung und Be- gleitung zu wichtig, dass wir der Zuteilung von neuen Aufgaben an die Bundesanstalt eher skeptisch gegenüber stehen. Für sinnvoll halten wir, die Möglichkeiten der beste- henden rechtlichen Regelungen besser auszuschöpfen und die bestehenden Rechtsinstitutionen zu entlasten. Re- alisierung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung funktioniert nur über das Zusammenspiel von anbie- tendem Arbeitgeber und annehmendem Arbeitnehmer. Die größere Verantwortung liegt unseres Erachtens bei den Anbietern: ohne Angebot keine Schwarzarbeit. Fol- gerichtig sollte an dieser Stelle bei der Bekämpfung ange- setzt werden. Dazu könnten Maßnahmen dienen, die durch eine Bewertung von Auftragsangeboten bereits deren Unterkalkulation feststellen. Aus der Praxis kom- men immer wieder Hinweise, dass Angebote unterbreitet werden, die nur durch die aus dem Bereich der Schwarz- arbeit und der illegalen Beschäftigung bekannten Nied- riglöhne abgedeckt sind. Damit werden seriöse Anbieter im Wettbewerb ausgebremst und zum Teil in den Konkurs getrieben. Eine wirksame Kontrolle der Aufträge durch die Auftraggeber wäre erfolgversprechender als eine wei- tere Verschärfung der Bußgelder und die Erhöhung der schwierigen Kontrollen im Produktionsprozess. Damit würde die Bekämpfung an der wahren Ursache, dem ego- istischen Gewinnstreben auf einem ungeregelten Markt, ansetzen. Dem Antrag der F.D.P. können wir nicht zustimmen. Er wird dem Anliegen der Thematik insofern nicht gerecht, als er mehr auf die Aufhebung des 630-Mark-Gesetzes und die Rücknahme von Arbeitszeitverkürzungen sowie auf Steuersenkungen abzielt. Themen, die von der F.D.P. immer wieder aufgewärmt werden, auch bei nicht pas- senden Anlässen. Bei der Abstimmung über den Antrag der Regierungskoalition werden wir uns trotz Anerken- nung von richtigen Ansätzen wegen der genannten Män- gel enthalten. Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- nister für Arbeit und Sozialordnung: Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung schaden uns allen. Sie verhindern das Entstehen neuer Arbeitsplätze und zerstören legale Arbeitsplätze. Es ist unerträglich, dass seriöse Unterneh- men im Baubereich in finanzielle Schwierigkeiten gera- ten, weil sie mit den Dumpinglöhnen der illegalen Kon- kurrenz nicht mithalten können. Die Bundesregierung begrüßt deshalb den Entschlie- ßungsantrag. Er ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung und unterstützt uns bei unseren Bemühungen, gerade im Bausektor wieder faire Chancen für diese se- riösen Marktteilnehmer zu schaffen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16203 (C) (D) (A) (B) Die Bundesregierung hat seit ihrem Amtsantritt bereits wichtige Schritte zur Verbesserung der Bekämpfung ille- galer Beschäftigung unternommen. Ich erinnere an die Änderung des Arbeitnehmerentsendegesetzes vom 19. Dezember 1998, das Dumpinglöhne im Baubereich für illegal erklärt hat. Ich weise darauf hin, dass die Zahl der Beamten der Hauptzollämter, die sich der Bekämpfung illegaler Be- schäftigung widmen, von 1100 auf 2 500 bis Ende dieses Jahres erhöht wird. Der Zoll kann die Arbeitsverwaltung bei dieser wichtigen Aufgabe tatkräftig unterstützen. Die Arbeitsverwaltung setzt rund 2 800 Mitarbeiter zur Ver- folgung von illegaler Beschäftigung und Leistungsmiss- brauch ein. Sie vereinheitlicht die Organisation und richtet „Mitarbeiterteams zur Bekämpfung illegaler Be- schäftigung“ in den Arbeitsämtern 2000 ein – neudeutsch: „task forces“. Die Erfolge brauchen sich schon heute nicht zu ver- stecken. Im Jahre 1999 wurden 436 626 Fälle von illega- ler Beschäftigung und Leistungsmissbrauch allein von den Dienststellen der Bundesanstalt für Arbeit aufgegrif- fen und über 162 Millionen DM Bußgelder verhängt. Die Bekämpfungsmöglichkeiten können und müssen jedoch verbessert werden. Das Ergebnis der öffentlichen Anhörung von Sachverständigen vor dem Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung am 28. März 2001 ist eindeu- tig: Es sind weitere Maßnahmen zur Bekämpfung von il- legaler Beschäftigung und Schwarzarbeit erforderlich. Vor allem haben wir es nicht mit einem allein auf na- tionaler Ebene zu lösenden Problem zu tun. Die Bundes- regierung ist deshalb auch auf EU-Ebene aktiv geworden. Während unserer Präsidentschaft wurde vom Rat der Eu- ropäischen Union ein Verhaltenskodex zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden illegalen Beschäftigung, des Leistungsmissbrauchs und der Schwarzarbeit verabschie- det. Diesen müssen wir in bilaterale Abkommen umset- zen. Mit Frankreich, den Niederlanden, Dänemark und außerhalb der Europäischen Union mit der Tschechischen Republik wird intensiv verhandelt. Innerhalb Deutschlands sind die gegenseitigen Infor- mations- und Zusammenarbeitspflichten der verschiede- nen Behörden auszubauen. Erkenntnisse über illegale Be- schäftigung und Schwarzarbeit müssen leichter und häufiger als bisher ausgetauscht werden. Wir setzen uns auch dafür ein, dass die öffentliche Hand bei der Bekämpfung illegaler Beschäftigung noch stärker aktiv wird und Missbräuchen konsequent entge- gentritt. Die Entschließung greift die Forderungen der Koalitionsvereinbarung nach fairen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt auf, zum Beispiel bei der Haftung des Hauptunternehmers für die Sozialversicherungsbeiträge der Subunternehmer. Ich halte das für einen der wesentli- chen Punkte, den wir auch in eine künftige gesetzliche Regelung einbeziehen müssen. Die Umsetzung der Entschließung wird zahlreiche ge- setzliche Änderungen erfordern. Entsprechende Vor- schläge werden vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung erarbeitet. Ich kann Ihnen versprechen: Die Bundesregierung wird den gesetzgebenden Körper- schaften zügig einen Gesetzentwurf zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzar- beit vorlegen. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Für ein effizientes und transparentes Ausfuhrge- währleistungssystem – Für ein modernes Ausfuhrsystem – Für den Erhalt von Hermes als Instrument der Außenwirtschaftsförderung und eine Reform des Hermes-Instruments im internationalen Rahmen (Tagesordnungspunkt 23 und Zusatztagesordnungs- punkte 14 und 15) Rolf Hempelmann (SPD): Der Export ist ein wichti- ger Motor für unsere Wirtschaft. Im Jahr 1999 exportier- ten deutsche Unternehmen Waren im Wert von rund 1 Bil- lion DM. Damit tragen Exportgeschäfte wesentlich zur Schaffung und Sicherung von heimischen Arbeitplätzen bei. Ein Ziel, das bei der rot-grünen Koalition ganz oben auf der Agenda steht. Besondere Bedeutung bekommt in diesem Zusammen- hang die Exportförderung, deren wichtigstes Instrument die Hermesbürgschaften sind. Diese Ausfuhrgewährleis- tungen des Bundes leisten einen wesentlichen Beitrag zur Unterstützung deutscher Unternehmen im internationalen Wettbewerb. Im Jahr 1999 konnten durch Hermesbürg- schaften Exportgeschäfte mit Auftragswerten in Höhe von 26,7 Milliarden DM realisiert werden. Im ersten Halbjahr 2000 waren es 17 Milliarden DM. Durch Ex- portkredite wird Chancengleichheit für deutsche Unter- nehmen im intensiven internationalen Wettbewerb bei der Erschließung neuer oder dem Erhalt und Ausbau traditio- neller Märkte geschaffen. Besonders bei Exporten in die Entwicklungs- und Schwellenländer sowie in die Staaten Mittel- und Osteuropas ist das von herausragender Be- deutung. Denn gerade diese Märkte wären besonders für mittelständische Unternehmen ohne eine Exportbürg- schaft des Bundes kaum zu erschließen. Gleichzeitig werden durch Hermesbürgschaften die partnerschaftlichen Beziehungen insbesondere zu diesen Staaten gefördert. Dort tragen die so ermöglichten Inves- titionen zum Aufbau von Infrastruktur und Industrie bei und stellen damit einen unerlässlichen Beitrag zur Inte- gration dieser Länder in die Weltwirtschaft dar. Trotz dieser Erfolge stand das Instrument in den letz- ten Jahren immer wieder in der Kritik. In zwei entspre- chenden Anträgen haben sich auch die heutigen Koaliti- onsfraktionen in der vorigen Legislaturperiode für eine Modernisierung dieses wichtigen außenwirtschaftspoliti- schen Instruments ausgesprochen. Die wichtigste Forde- rung dieser Anträge war, neben wirtschaftlichen und fi- nanzpolitischen Gesichtspunkten künftig auch stärker umweltpolitische, soziale und entwicklungspolitische Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116204 (C) (D) (A) (B) Aspekte in die Entscheidungen über die Vergabe von Her- meskrediten einzubeziehen. Außerdem soll das Instru- ment effektiv und für deutsche Unternehmen attraktiv bleiben. Das ist nur dann möglich, wenn die Vergabepra- xis so schnell und unbürokratisch wie möglich verlaufen kann; nicht umsonst sind die Bürgschaften nach Hermes, dem Götterboten mit den Flügelschuhen, benannt. Aus diesen Gründen haben SPD und Bündnis 90/Die Grünen in ihrer Koalitionsvereinbarung 1998 beschlossen, eine Reform der Außenwirtschaftsförderung nach ökolo- gischen, sozialen und entwicklungsverträglichen Gesichts- punkten in die Wege zu leiten. Dies ist auch geschehen: Vor rund einem Jahr hat eine Koalitionsarbeitsgruppe damit be- gonnen, vor dem Hintergrund der Diskussionen in NGOs, Wirtschaftsverbänden und Institutionen in Deutschland wie auf OECD-Ebene die nationale wie die internationale Vergabepraxis zu analysieren. Dabei wurde deutlich, dass allein die Diskussion um die Einbeziehung ökologischer, sozialer und entwicklungspolitischer Aspekte bei der Ver- gabe von Hermesbürgschaften zu einer Veränderung der Praxis geführt hat. So wurde beispielsweise bei größeren Projekten oder bei Lieferungen von Anlagen oder Teilan- lagen ein Screening-Verfahren eingeführt. Auf diese Weise werden genau die Anträge identifiziert, bei denen ökologi- sche, soziale oder entwicklungspolitische Gesichtspunkte eine Rolle spielen könnten. Wenn die negativen Effekte bei der Abwägung der unterschiedlichen Kriterien dominie- ren, hat der IMA die Möglichkeit, die Übernahme einer Ausfuhrgewährleistung abzulehnen oder an Bedingungen bzw. Auflagen zu knüpfen. Auch auf internationaler Ebene werden Umweltbe- lange berücksichtigt: Seit 1994 tagt regelmäßig eine OECD-Exportkreditgruppe, um international gültige Re- gelungen für Ausfuhrgewährleistungen zu erarbeiten, um die genannten Aspekte stärker zu berücksichtigen. An die- sem Diskurs beteiligt sich auch die Bundesregierung. Daneben hat die Koalitionsarbeitsgruppe mit dem fe- derführenden Bundeswirtschaftsministerium im letzten Jahr einen intensiven und fruchtbaren Dialog über Moder- nisierungsansätze für das deutsche Ausfuhrgewährleis- tungssystem geführt. Als Ergebnis hat der IMA Leitlinien für die Berücksichtigung von ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen Gesichtspunkten bei der Über- nahme von Ausfuhrgewährleistungen des Bundes ent- wickelt. Danach sind Exporte grundsätzlich als förde- rungswürdig zu betrachten, wenn sie den gesetzlichen Vorschriften des Außenwirtschaftsrechts, den allgemeinen Gesetzen, den Rechtsvorschriften zwischenstaatlicher Einrichtungen und relevanten internationalen Vereinba- rungen nicht widersprechen. Zusätzlich haben ökologi- sche, soziale und entwicklungspolitische Auswirkungen Einfluss auf die Förderungswürdigkeit eines Projektes. Diese Leitlinien wird der IMA offiziell beschließen, damit die veränderte Praxis festschreiben und in einigen Berei- chen auch darüber hinausgehen. Gleichzeitig enthalten die Leitlinien eine „Anpassungsklausel“, um das Vergabever- fahren zeitnah an die internationale Entwicklung – insbe- sondere im Rahmen der OECD – anzugleichen. Durch die konsequente Anwendung dieser Leitlinien wird das Instrument der Ausfuhrgewährleistung zeit- gemäß weiterentwickelt und gerade damit entscheidend stabilisiert. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass der IMA sich diese Leitlinien geben wird. Jetzt wird es darauf ankommen, die Leitlinien in der Vergabepraxis besonders bei hochsensi- blen Projekten wie Kernkraftwerken, Rüstungsexporten, Exporten gefährlicher Chemikalien und bei großen Stau- dammprojekten konsequent anzuwenden. Außerdem er- warten wir, dass sich die Bundesregierung aktiv an den Beratungen im Rahmen der OECD beteiligt und die Erar- beitung international verbindlicher Leitlinien zur Vergabe von Exportkreditversicherungen intensiv vorantreibt. Um auch das Parlament in angemessenem Maße an den Vergabeverfahren zu beteiligen, soll künftig neben dem Haushaltsausschuss auch der für Hermesbürgschaften fe- derführende Wirtschaftsausschuss über die Übernahme von Ausfuhrgewährleistungen von hochsensiblen Ge- schäften und Großprojekten unterrichtet werden. Zusätzlich ist uns ein weiterer Punkt wichtig: Da deut- sche Exporteure zukünftig immer häufiger auch die Rolle des Investors und Betreibers eines Projektes übernehmen werden, um international wettbewerbsfähig bleiben zu können, sollte die Bundesregierung Möglichkeiten für eine bessere Koordinierung der Ausfuhrgewährleistungen mit der Investitionsabsicherung prüfen. Auf diese Weise könnte ein entscheidender Beitrag zu einer besseren Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen geleistet werden. Es ist uns gelungen, das Instrument der Exportkredit- versicherung zu modernisieren, ohne aus dem Auge zu verlieren, dass es sich primär um ein außenwirtschaftspo- litisches Instrument handelt, das es auch bleiben muss. Zu den Anträgen der Opposition: Den Damen und Her- ren von der CDU/CSU Fraktion kann ich sagen: Schon der Titel Ihres Antrags „Für den Erhalt von Hermes als In- strument der Außenwirtschaftsförderung und eine Reform des Hermes-Instruments im internationalen Rahmen“ ist irreführend. Meine Ausführungen haben, denke ich, deut- lich gemacht, dass der Erhalt dieses wichtigen außenwirt- schaftspolitischen Instruments bei uns nie infrage gestellt wurde. Ganz im Gegenteil: Erst durch die Modernisierung von Hermes haben wir seinen Erhalt auf lange Jahre gesi- chert. Ein Instrument, das an veränderte Bedingungen nicht angepasst wird, ist dagegen nicht überlebensfähig. Zum F.D.P.-Antrag: Es steht ja viel Richtiges drin; aber er ist an einigen Stellen leider obsolet geworden. Es geht eben nicht mehr um den „Hermes-Umweltleitfaden“, von dem Sie sprechen. Es geht vielmehr um umfassendere Leitlinien, die bei diesem primär wirtschaftspolitischen Instrument in angemessener Form auch ökologische, so- ziale und entwicklungspolitische Gesichtpunkte zeit- gemäß berücksichtigen. Im Übrigen: Wie man ja weiß, ist das Bessere der Feind des Guten. Deshalb lehnen wir den F.D.P.-Antrag ab und stimmen dem weitaus umfassenderen und konkreteren ei- genen Antrag zu. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16205 (C) (D) (A) (B) Erich G. Fritz (CDU/CSU): Die Außenwirtschafts- politik war in der Vergangenheit von großer Gemeinsam- keit der Fraktionen des Deutschen Bundestages getragen. Ich erinnere an den von allen Fraktionen beschlossenen Antrag aus dem Jahre 1996. Ausfuhrgewährleistungen, Auslandshandelskammern, Bundesstelle für Außenhan- delsinformation und Messeförderung bleiben die wich- tigsten Instrumente der deutschen Außenwirtschaftspoli- tik. Leider legt die Bundesregierung wenig Wert auf die Pflege dieser Instrumente: Bei der BfAI wird gekürzt, das Informationsnetz wird ausgedünnt, das Netz der Aus- landshandelskammern wird trotz mittlerweile guter Selbstfinanzierungsanteile von bis zu 75 Prozent nicht in der Weise entwickelt, wie das nötig wäre. Die Messeför- derung bleibt hinter den interfraktionell vereinbarten Zie- len zurück und die Hermes-Reform-Debatte findet hinter verschlossenen Türen als Koalitionshickhack statt. Weder gibt es über die Diskussion in der Regierung Berichte im Wirtschaftsausschuss, noch wollten die Koalitionspar- teien die Debatte im Plenum des Deutschen Bundestages. Erst im letzten Augenblick kommt die Koalition mit ei- nem Antrag. Dass die Debatte über die Reform von Hermesbürg- schaften an einem Freitagnachmittag stattfindet, zeigt, welch geringe Bedeutung die rot-grüne Mehrheit diesem seit mehr als 50 Jahren bestehenden und effizienten Mit- tel der Exportförderung beimisst. Dies darf angesichts der aktuellen politischen Diskussion um eine Reform der Ausfuhrgewährleistungen des Bundes verwundern. Dies verwundert auch besonders deshalb, weil es gerade von- seiten der rot-grünen Regierung seit geraumer Zeit Bestrebungen gibt, entwicklungspolitische, soziale und ökologische Aspekte im Rahmen des Hermes-Vergabe- verfahrens stärker zu berücksichtigen. Mit dem jüngst von Rot-Grün gefundenen Kompro- miss, bei der Vergabe staatlicher Bürgschaften für Exporte die Folgen für Umwelt, Soziales und Entwicklungspolitik zu berücksichtigen, ändert sich zunächst nach Aussagen des Wirtschaftsministers nichts. Mit Recht stellte daher ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums gegenüber der „taz“ fest, dass man den Leitfaden gar nicht gebraucht hätte. Denn der Leitfaden sieht Regelungen vor, die oh- nehin bereits gängige Praxis sind. Die Bundesregierung wäre bereits heute in der Lage gewesen, bei Großprojek- ten Umweltprüfungen von den Antragstellern zu verlan- gen. Ökologische, soziale und entwicklungspolitische Gesichtspunkte werden schon jetzt im Rahmen der För- derungswürdigkeit und der risikomäßigen Vertretbarkeit berücksichtigt. Die Praxis, bei der Vergabe staatlicher Bürgschaften für Exporte auch umwelt-, sozial- und entwicklungspoli- tische Folgen zu prüfen, hat sich also bereits bewährt. Dass dabei immer wieder der Eindruck von undurch- schaubaren Verfahren und Geheimniskrämerei entstanden ist, der vor allem bei kritischen NGOs den Eindruck er- weckte, der IMA sei ein Ausschuss zur Durchsetzung von Wirtschaftsinteressen gegen Umwelt- und Entwicklungs- erfordernisse, liegt an einer eher altertümlich anmutenden Verwaltungsarbeit, die wenig transparent und kommuni- kativ ist und nicht mehr dem Standard großer Industrie- staaten entspricht. Dabei kann das Instrument nur gewin- nen, wenn an den Entscheidungen sichtbar wird, dass Prin- zipien, die in der sozialen Marktwirtschaft gemeinsame Grundlage und einer nachhaltigen und kohärenten Politik verpflichtet sind, natürlich nicht bestimmte Bereiche aus- klammern können. Die Abwägung muss aber verantwort- lich von den beteiligten Entscheidern im Bewusstsein der Verantwortung ihres Handelns geschehen, von diesen in Zweifelsfällen öffentlich begründet und müssen nicht un- bedingt in formale und bürokratische Verfahren gepresst werden. In der Regel umstrittene Ausfuhren für sozial-, umwelt- oder entwicklungsrelevante Großprojekte kom- men mit oder ohne festgelegte Grundsätze in die öffent- liche Diskussion und erfordern schon deshalb eine parla- mentarische Diskussion, die sich bisher kein Bundestag entgehen ließ. Das Hauptproblem beim Vorgehen der Koalition mit ihren Grundsätzen oder Leitsätzen für die Hermes-Ent- scheidungen ist, dass aus diesen schriftlich fixierten Kri- terien die Forderung nach exekutiver Perfektionierung und nach jedem Streitfall die Erweiterung des Regelungs- bedarfs entstehen wird. Wir kennen doch die Neigung der beteiligten Parteien. Hermes muss aber vor allem ein handhabbares und flexibles, vor allem schnelles Instru- ment bleiben. Die vom amerikanischen Kongress per Ge- setz festgelegten Regelungen zeigen, dass man innerhalb eines weiten Rahmens verantwortlich handeln kann. Das Hermes-Instrument sollte daher nicht durch die in den neuen Umweltleitlinien der rot-grünen Bundesregie- rung aufgestellte Forderung, bei Hermes-Anträgen ver- stärkt umwelt-, sozial- und entwicklungspolitische Krite- rien zu berücksichtigen, überfordert werden. Hermes muss vielmehr auch in Zukunft ein Instrument der Wirt- schafts- und Exportförderung bleiben. Nur so kann Her- mes den Zugang der deutschen Industrie zu den Märkten der Schwellen- und Entwicklungsländer ermöglichen, dem deutschen Mittelstand eine effiziente Form der Ex- portförderung bieten und dem Ziel der staatlichen Aus- fuhrgewährleistung gerecht werden, den Export zu för- dern und damit weiterhin Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern. Dass Hermes für deutsche Unternehmen als Instrument zur Absicherung ihrer Exporte gegen politische und wirt- schaftliche Risiken in unterentwickelten und risikorei- chen Regionen der Welt unverzichtbar geworden ist, be- weisen die Zahlen aus dem Jahr 2000: Danach konnte im Geschäft mit Hermesbürgschaften ein Überschuss von 67 Millionen DM erzielt werden. Insgesamt übernahm der Bund im vergangenen Jahr Bürgschaften in Höhe von 38,1 Milliarden DM, was rund 3,3 Prozent des gesamten deutschen Exports entspricht. Etwa 97 Prozent der vom Bund übernommenen Deckungen entfielen dabei auf Ex- porte in Entwicklungsländer bzw. die Staaten Mittel- und Osteuropas. Gegenüber 1999 sind die neu übernommenen Hermes-Deckungen um 43 Prozent gestiegen – ein An- stieg, der auf eindrucksvolle Weise die Bedeutung von Hermes für die deutsche Exportwirtschaft bestätigt. Nicht zu vergessen sind die 140 000 bis 260 000 Arbeitsplätze in Deutschland, die laut einer Studie der Prognos AG vom Dezember 2000 allein durch Hermes gesichert werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116206 (C) (D) (A) (B) Damit dies so bleibt, sollte das Hermes-Instrument kontinuierlich weiterentwickelt werden, und zwar ausge- richtet am Bedarf der Exportwirtschaft. Dabei kommt in einer immer stärker verflochtenen Wirtschaft zwischen den großen Wirtschaftsregionen der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen durch unterschiedliche Ge- währleistungspolitiken eine große Bedeutung zu. Es kann nicht richtig sein, dass deutsche Unternehmen nach deut- schen Richtlinien keine Gewährleistung bekommen kön- nen, sie aber in anderen Ländern durch dortige Export- kreditversicherer sehr wohl erhalten. Deshalb hat eine Reform des Hermes-Instruments nur international mit den Partnerländern in der OECD koordiniert einen wirklichen Sinn. Deshalb fordert die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Bundesregierung auf, für den Erhalt von Hermes als ei- nem praktikablen Instrument der Außenwirtschaftsförde- rung einzutreten und vor dem Hintergrund der zuneh- menden Globalisierung und der damit einhergehenden Verschärfung des internationalen Wettbewerbs jegliche Reform des Hermes-Instruments im internationalen Rah- men durchzuführen. Nationale Alleingänge verbieten sich aufgrund der bereits vorhandenen hohen Standards, die erhebliche Wettbewerbsnachteile für die deutsche Export- wirtschaft mit sich bringen würden. Wir fordern ferner, angesichts der hohen deutschen Umweltstandards im internationalen Vergabeverfahren auf eine Harmonisierung der staatlichen Exportkreditver- sicherung zu drängen. Hinsichtlich verschärfter Umwelt- standards muss Harmonisierung unser vorderstes Inte- resse sein. Außerdem mahnen wir an, auf OECD-Ebene für eine Beschleunigung der Verhandlungen über die Entwicklung gemeinsamer Umweltleitlinien einzutreten sowie aktiv an den Verhandlungen und der Arbeit der OECD-Working Party on Export Credits and Export Credit Guarantees mitzuwirken. Ziel muss die beim Kölner G-8-Gipfel ver- einbarte Erarbeitung gemeinsamer Umweltrichtlinien für die Exportkredit-Agenturen bis zum G-8-Gipfel 2001 in Rom sein. Dieser klare politische Auftrag zur Konsens- bildung muss von den OECD-Staaten erfüllt werden. Wir fordern, bei den Verhandlungen über die Entwick- lung von Umweltleitlinien auch die Erfahrungen der US Export-Import-Bank, Ex-Im-Bank, zu berücksichtigen, die in ihren Richtlinien vom April 1998 Umweltkriterien vorsieht, sich für den Erhalt einer flexiblen und unbüro- kratischen Handhabung bei der Vergabe von Hermesbürg- schaften einzusetzen, damit sich die deutschen Unterneh- men mit ihren Produkten und hohen technologischen Standards auf den Weltmärkten behaupten können, sowie darauf hinzuwirken, dass das Hermes-Instrument einfach und bürokratisch handhabbar bleibt. Schnelligkeit und Flexibilität der Entscheidungsprozesse sind für die deut- sche Exportwirtschaft oft entscheidende Elemente im in- ternationalen Wettbewerb. Bei dem von Rot-Grün vorge- sehenen Umweltleitfaden steckt der Teufel allerdings im Detail, wenn es künftig bei Umweltprüfungen um Ab- grenzungsfragen zwischen den Sektoren geht, die prü- fungsfrei sind oder einer zusätzlichen Prüfung unterlie- gen. Rot-Grün beeinträchtigt damit die internationale Wettbewerbsfähigkeit vor allem mittelständischer Ex- portunternehmen, weil Projektprüfungszeiträume, die sich in Deutschland bereits heute sehr langwierig gestal- ten, weiter in die Länge gezogen werden. Es soll auf internationaler Ebene mehr Transparenz durch die Erstellung einer im Internet veröffentlichten Liste über Großprojekte durch die OECD-Mitglieder in freiwilliger und anonymisierter Form geschaffen werden sowie auf nationaler Ebene die Transparenz durch die zeitnahe Veröffentlichung von Entscheidungen des Inter- ministeriellen Ausschusses, IMA, durch das Bundeswirt- schaftsministerium und durch eine frühzeitige und um- fassende Information der Bundestagsausschüsse, deren Ressorts im IMA vertreten sind, erhöht werden. Zur Er- höhung der Transparenz von Hermes-Entscheidungen sagt der Umweltleitfaden bisher leider nur sehr wenig. Auf nationaler Ebene wird die Debatte, inwieweit Her- mes nicht nur als Instrument der Exportsicherung, son- dern auch als ein Instrument der Umweltpolitik taugt, trotz der absehbaren Einigung der Regierungsparteien kaum beendet sein. Vielmehr wird die politische Praxis sehr schnell zeigen, dass der Grundsatzstreit über die Re- form der Hermes-Exportgarantien angesichts der weit hinter den von Bündnis 90/Die Grünen zurückgebliebe- nen Forderungen nur vertagt worden ist. Rot-grüner Streit wird spätestens dann wieder aufbrechen, wenn über die Vergabe von Hermesbürgschaften für Nuklearanlagen, Rüstungslieferungen und gefährliche Chemieexporte ent- schieden werden soll. Zunächst dürfen wir jedoch gespannt sein, wann der „Umweitleitfaden“, der nach Informationen aus dem Bundeswirtschaftsministerium in „Umweltleitlinien“ um- benannt werden soll, auch tatsächlich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Die Einigung im Interministe- riellen Ausschuss jedenfalls lässt noch immer auf sich warten. Für die CDU/CSU ist der Weg eindeutig: Am sinn- vollsten bleibt unsere Forderung, dass jegliche Reform des Hermes-Instruments im internationalen Rahmen er- folgen muss, weil nationale Alleingänge aufgrund der bereits existierenden hohen Standards erhebliche Wettbe- werbsnachteile für die deutschen Exporteure im interna- tionalen Vergabeverfahren mit sich bringen würden. Inso- fern müssen OECD-Regeln Vorrang vor den von Rot-Grün eingeschlagenen Sonderegelungen haben. Es gibt angesichts der weit fortgeschrittenen Verhandlungen keinen vernünftigen Grund für nationale Alleingänge. Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wie Sie wissen, hat sich die rot-grüne Regierungs- koalition eine Reform der Hermesbürgschaften nach ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen Ge- sichtspunkten vorgenommen. Damit wollen wir der Tatsache Rechnung tragen, dass die Vergabe von Hermesbürgschaften nicht nur ein be- währtes Instrument der Außenwirtschaftsförderung bleibt, sondern auch dafür sorgen, dass bei solchen durch den Fis- kus gedeckten Lieferungen und Investitionen keine nega- tiven Auswirkungen auf die Umwelt und Bewohner im Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16207 (C) (D) (A) (B) Bestellerland eintreten. Denn leider hat es in der Vergan- genheit immer wieder Beispiele gegeben, dass auch deut- sche Exportfirmen an der irreversiblen Zerstörung und Belastung unserer natürlichen Umwelt beteiligt waren. Traurige Fälle, welche die ansonsten erfolgreiche Bilanz der letzten 52 Jahre trüben. Doch der Wettbewerb einer global agierenden Wirtschaft darf sich nicht nur um lukra- tive Aufträge und profitable Geschäfte drehen, sondern muss sich auch an dem Leitbild einer nachhaltigen Ent- wicklung messen lassen. Wer die Bedeutung der Hermes-Reform richtig verste- hen will, muss sich den Umfang der Ausfuhrgewährleis- tungen vor Augen führen. Im letzten Jahr hat der Bund Bürgschaften in Höhe von 38,1 Milliarden DM übernom- men – ein Zuwachs von fast 50 Prozent gegenüber 1999. Das entspricht einem Anteil von circa 3,3 Prozent am Ge- samtexport. Das hört sich gering an. Doch klingt es an- ders, wenn man weiß, dass 97 Prozent aller verbürgten Exporte in Entwicklungs- und Schwellenländer gehen und damit Geschäfte abdecken, die in ihrem Wertumfang weit über die internationale Entwicklungshilfe hinaus- gehen. Damit werden Arbeitsplätze in Deutschland gesichert. Wie aus einer Studie des Basler Prognos-Institutes hervor- geht, etwa 216 000. Das Gros der Anträge, circa 72 Pro- zent, kommt aus mittelständischen Unternehmen, für die bei oftmals geringer Kapitaldecke eine finanzielle Absi- cherung außerordentlich wichtig ist. Zudem gehören staatliche Ausfallbürgschaften zum Garantiebestand in- ternationaler Geschäfte und sind damit ausschlaggebend für die Wettbewerbssituation deutscher Firmen. Was bis- her zu wenig beachtet wurde, ist die nachhaltige Ent- wicklung im Bestellerland. Eine sicherlich sensible An- gelegenheit, weil sich die Besteller ungern Vorschriften machen lassen, die über die in ihrem Land geltenden Stan- dards hinausgehen. Gerade bei den kontroversen Diskus- sionen im Rahmen der WTO ist der Vorwurf der Protek- tion an die industriellen Erzeugerländer erhoben worden, die angeblich mit ihren hohen Qualitätsanforderungen die Beteiligung und Zulieferung von einheimischen Unter- nehmen verhindern wollen. Darum sollte die Hermes-Re- form keine restriktiven, starren Vorgaben machen, son- dern eine flexible Herangehensweise mit Anpassung an internationale Standards ermöglichen. Doch nun im Einzelnen, was wir bisher in anstrengen- der Arbeit und zähen Verhandlungen – ich will das gar nicht verschweigen – mit dem federführenden Bundes- wirtschaftsministerium erreicht haben: Erstens. Dem IMA – Interministeriellen Ausschuss – liegt ein Entwurf vor, der die „Leitlinien für die Berück- sichtigung von ökologischen, sozialen und entwicklungs- politischen Gesichtspunkten bei der Übernahme von Aus- fuhrgewährleistungen des Bundes“ beschreibt. Keine folgenlose Prosa oder Sammlung von unverbindlichen Absichtserklärungen – wie von Kritikerinnen gesagt wird –, sondern erstmalig ein Prüfungs- und Entschei- dungsleitfaden, der das bisher praktizierte Freihand-Ver- gabeverfahren auf empirischer Grundlage ablöst. Zweitens. Damit richtet sich die Exportförderwürdig- keit künftig nicht nur an wirtschaftlichen Erwägungen, sondern auch an dem Leitbild einer nachhaltigen Ent- wicklung aus. Das wird sich insbesondere auf den Export von Umwelttechnik und regenerativen Energietechnolo- gien auswirken. Zwei Wirtschaftszweige, die weltweite Verbreitung verdienen. Drittens. Von einer Förderung ausgeschlossen sind Nu- kleartechnologien. Sowohl für Neubauten als auch für Nachrüstungen bei bestehenden AKWs. Damit wollen wir einen national beschrittenen Ausstiegsweg auch interna- tional fortsetzen. Viertens. Die Leitlinien enthalten, was für ähnliche Richtlinien ungewöhnlich und neu ist, eine Anpassungs- und Änderungsklausel. Damit soll eine zeitnahe Anpas- sung an die internationale Entwicklung und eine ständige Verbesserung aufgrund der gewonnenen Erfahrungen ge- schehen. Hier sind vor allem die Kritiker aufgerufen mit- zuwirken. Nicht das Papier, sondern die Praxis wird die Tauglichkeit der Leitlinien beweisen. Fünftens. Die Leitlinien schreiben ein verbindliches, zweistufiges Prüfungsverfahren vor: Erste Stufe Vorprüfung/Screening: Alle Projekte ab ei- nem Auftragswert von 15 Millionen Euro und relevantem deutschen Lieferanteil werden künftig eine Vorprüfung, ein Screening durchlaufen. Bei konkreten Anhaltspunkten für die Umweltrelevanz eines Projektes wird die Vorprü- fung auch auf Anträge mit niedrigerem Auftragswert aus- geweitet. Hier ist vor allem das Projektumfeld entschei- dend. Also die Einbeziehung solcher sensiblen Punkte wie Primärwälder, Bioreservate, Siedlungsgebiete indigener Völker, anerkannte Kulturgüter, Dimension der Umsied- lung usw. Zweite Stufe Tiefenprüfung/Review: Wenn sich aus dem Screening ein weiterer Prüfungsbedarf ergibt, schließt sich eine sektorenunabhängige und sektorenspe- zifische Überprüfung an, die in der Regel einzelfall- und projektbezogen erfolgt. Hierzu können ergänzende und vertiefende Umweltgutachten angefordert werden. Wich- tig ist, dass die Umweltstandards des Bestellerlandes mit international anerkannten und üblichen Umweltvor- schriften – WCD, Weltbank, EBRD – verglichen werden – Benchmarking – und entsprechende Übereinstimmung erzielt werden soll. Einordnung in Kategorien: Wie bei den Weltbankkrite- rien vorgesehen, erfolgt dann eine Einordnung der ge- prüften Projekte in die drei Kategorien A, B und C. Wo- bei die Kategorie A darauf hinweist, dass starke ökologische, soziale und entwicklungspolitische Auswir- kungen zu erwarten sind, die nicht lokal begrenzt und/oder irreversibel erscheinen. Also Projekte, bei denen ein hohes Risiko bzw. Gefahren für Umwelt und Men- schen und dementsprechende Konflikte absehbar sind. Sechstens. Sofern die Prüfung Verbesserungsbedarf er- gibt, kann die Deckungsentscheidung mit konkreten Um- weltauflagen verbunden werden. In solchen Fällen erfolgt eine spezielle Überwachung und Kontrolle durch „Moni- toring Reports“. Siebtens. Ein wichtiges Kapitel ist die Einbeziehung von verfügbaren Informationsquellen. Hier sind aus- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116208 (C) (D) (A) (B) drücklich die Nichtregierungsorganisationen genannt, von denen in der Vergangenheit oft wichtige Hinweise ka- men. Aber auch Informationen aus den Botschaften und der Bevölkerung im Bestellerland werden künftig stärker zur Beurteilung der Projekte herangezogen. Der Bund wird diesbezüglich eine fachkompetente Bewertung der Umweltinformationen sicherstellen. Achtens. Die Wirksamkeit der Leitlinien wird sehr da- von abhängen, inwieweit es gelingt, die Vorhaben und Entscheidungen öffentlich und nachvollziehbar zu ma- chen. Deswegen sollen künftig Projekte der Kategorie A in Deutschland frühzeitig transparent gemacht werden. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich im Rahmen der laufenden OECD-Verhandlungen aktiv dafür einsetzt, dass demnächst ein abgestimmtes Verfahren zur Veröffentlichung von Projektort und Projektart bereits im Prüfstadium realisiert wird. Hinsichtlich Parlament soll- ten nicht nur der Haushaltsausschuss, sondern sämtliche Ausschüsse der im IMA vertretenen Ressorts informiert werden. Die Hermes-Reform ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Vielleicht kein Meilenstein. Aber das wird sich zeigen. Meine Fraktion – ich will das nicht ver- hehlen – ist nicht vollauf zufrieden damit. An unseren Ausgangsvorstellungen und den jahrelangen Bemühun- gen und Erfahrungen gemessen, gibt es etliche Punkte, die wir als neuralgisch ansehen. Nicht das Papier, sondern die Praxis wird den Gebrauchswert dieser Leitlinien bestim- men. Wir werden deswegen die Bürgschaftsvergabe auch in Zukunft kritisch begleiten, um sicherzustellen, dass die Leitlinien dazu beitragen, deutsche Exporte zu fördern, ohne in Konflikt mit Umwelt und Menschen in der Zwei- drittelwelt zu geraten. Wir verstehen die Leitlinien als dy- namische Vorgaben mit zeitnaher Anpassung, welche die Möglichkeit geben, neue Erfahrungen und Veränderun- gen auf internationaler Ebene konstruktiv aufzugreifen. Gudrun Kopp (F.D.P.): Die Hermes-Exportbürg- schaften sind ein zuverlässiges und flexibles Instrument der Außenwirtschaftsförderung. Insgesamt übernahm der Bund im Jahr 2000 Bürgschaften in Höhe von 38 Milliar- den DM und erwirtschaftete sogar zum wiederholten Male einen Überschuss von 67 Millionen DM. Hermes-Exportgarantien sichern inzwischen – laut ei- ner Studie – circa 200 000 Arbeitsplätze in Deutschland, und zwar überwiegend in der mittelständischen Export- industrie, auf die 80 Prozent der Einzeldeckungen entfal- len. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass dieser er- folgreiche Förderbereich nicht immer wieder mit Förderinteressen von SPD und vor allem Grünen über- frachtet wird. Es ist unverantwortlich, die Vergabe von Hermesbürg- schaften auch noch an Forderungen zu Frauenförderung, Entwicklungshilfe und Beteiligungen von Nichtregie- rungsorganisationen zu knüpfen. Die F.D.P. setzt sich des- halb mit ihrem Antrag gezielt ein für ein effizientes und transparentes Ausfuhrgewährleistungssystem. Hermes-Deckungen müssen mit so wenig Bürokratie wie möglich gehandhabt werden, damit sich deutsche Unternehmen mit ihren innovativen Produkten und ihren hohen technischen Standards auch in Zukunft auf den Weltmärkten durchsetzen können. Der geltende Umwelt- leitfaden für Hermesbürgschaften ist ausreichend und darf nicht mit noch mehr Auflagen für den exportierenden Mit- telstand befrachtet werden. Die F.D.P. unterstützt die entsprechende Position des Bundeswirtschaftsministers und stellt mit ihrem Antrag sieben Forderungen an die Bundesregierung: Erstens. Keine Abweichungen von den vereinbarten OECD-Umweltleitlinien für Ausfuhrgewährleistungen. Zweitens. Unterstützung des Hermes-Umweltleitfa- dens des BMWi, verbunden mit der Entwicklung von ef- fizienteren, flexibleren Instrumentarien. Drittens. Die vorgesehenen Schwellenwerte für das Screening-Verfahren sind hinreichend. Viertens. Ablehnung einer Ausschlussliste für Hermes- bürgschaften. Fünftens. Unterstützung für einheitliche Kriterien ei- ner Präsentation im Internet im Rahmen der OECD. Sechstens. Einzelfallentscheidungen durch den Inter- ministeriellen Ausschuss. Siebtens. Über besondere Charakteristika zu anstehen- den Projekten informiert der IMA die zuständigen Res- sorts und Ausschüsse. Zu dem von den Regierungsfraktionen vorgelegten Antrag ist die Frage zu klären, in welchem Zusammen- hang der IMA bei der Bearbeitung von Hermesbürgschaf- ten menschenrechtliche Aspekte einbeziehen soll. Er- klärungsbedürftig ist außerdem, in welcher Form in den Leitlinien eine eingeschränkte Exportförderfähigkeit bei hoch sensiblen Projekten wie Kernkraftwerken, Rüs- tungsexporten oder gefährlichen Chemikalien festgelegt werden soll. Darauf geben SPD und Grüne keine Ant- worten. Wichtig ist uns Liberalen, dass die politischen Ent- scheidungen über die Exportfähigkeit von Produkten dem Bundessicherheitsrat vorbehalten bleiben und die Export- kontrollen dem Bundesausfuhramt vorbehalten bleiben. Das Parlament ist rechtzeitig über solche Entscheidungen zu informieren und alle Instrumente müssen unter beson- derer Berücksichtigung des Mittelstandes gehandhabt werden. Ursula Lötzer (PDS): Was Sie heute in Ihrem Antrag an Neuerungen hinsichtlich des Ausfuhrgewährleistungs- systems vorlegen, hat nichts mit der Reform zu tun, die Sie in Ihrer Koalitionsvereinbarung versprochen hatten. Es handelt sich um eine Ansammlung unverbindlicher Absichtserklärungen. Damit hat sich das Wirtschaftsmi- nisterium mit seiner eindeutigen Orientierung an den Ex- portinteressen durchgesetzt. Die Kernforderung der Hermes-Kampagne, verbind- liche Standards für Exportbürgschaften und unabhängige Umwelt- und Sozialprüfungen, wären die Voraussetzung für eine glaubwürdige Reform. Außer dem Ausschluss Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16209 (C) (D) (A) (B) der weiteren Exportförderung von Nukleartechnologie für den Neubau und die Umrüstung von Atomanlagen findet sich in ihrem Entwurf nichts davon. Dabei wäre in diesem Zusammenhang eine Festlegung auf die Weltbankstan- dards eine mögliche Mindestfestlegung gewesen, da sie bereits international gültiges Regelwerk darstellen. Nicht ohne Grund sind große Staudammprojekte einer der Hauptauseinandersetzungspunkte um die Hermes- Reform gewesen. In vielerlei Hinsicht verkörpern sie die Diskussion über den Stellenwert von Menschenrechten, der Absicherung der Lebensumstände von Menschen ge- genüber Zwangsumsiedlungen sowie des Schutzes vor ökologischem Raubbau. Die World Commission of Dams hat zweieinhalb Jahre lang die erste unabhängige Untersuchung großer Dammprojekte durchgeführt. Ex- perten, Vertreter von Regierungen, Nichtregierungsorga- nisationen und Industrie haben sich auf gemeinsame Empfehlungen für einen internationalen Standard in der Bewertung großer Dammprojekte geeinigt. Die Bun- desregierung hat die Arbeit mitfinanziert, das BMZ hat Initiativen zur Umsetzung ergriffen. Dass nicht einmal die als Standard für Hermesbürgschaften aufgenommen wur- den, ist nicht akzeptabel. Dabei vergab die Bundesregierung bereits zweimal Hermesbürgschaften – einmal 1997 in Höhe von 270 Mil- lionen US-Dollar und einmal 1999 53 Millionen US- Dollar – für das „Tschernobyl der Wasserkraft“, den Drei- Schluchten-Staudamm. Und mit 75 Millionen DM und einer Grundzusage von 50 Millionen beteiligen Sie sich an weiteren Ausbaustufen der Zellstoffproduktion in India Kiat. Insgesamt wurden dafür über 500 Millionen DM ge- währt. Geliefert wurden veraltete Technologien, die er- wiesenermaßen hohe Gesundheitsrisiken für die Bevölke- rung mit sich brachten. Der Urwald wird illegal gerodet, bisher 855 000 Hektar. Jährlich hat der seit mehr als zehn Jahren anhaltende Zellstoffboom 1 Prozent des Regen- waldes zerstört. Das dringend benötigte Trinkwasser wird durch den Chlorausstoß verseucht. Haut- und Atemwegs- erkrankungen, verursacht durch illegale Fabrikabwässer, breiten sich weiter aus. Bereits 1999 standen die auf sol- chen Pump gebauten indonesischen Zellstofffabriken mit 13 Milliarden US-Dollar in der Kreide. Solche Hermes- bürgschaften treiben die Verschuldung in die Höhe. Hermesbürgschaften sind ein staatliches Instrument, entsprechend sind auch öffentliche und parlamentarische Kontrolle notwendig. Bisher wurde das geheime Proze- dere der Bearbeitung von 30 000 bis 50 000 Anträgen jährlich nur in wenigen Fällen und nur auf Druck von Nichtregierungsorganisationen und Betroffenen bei be- sonders umstrittenen Projekten aufgehoben. Selbst bei diesen wurden relevante Umwelt- und Sozialverträglich- keitsprüfungen nicht öffentlich zugänglich. Das Parla- ment hatte keinen Einfluss auf die Entscheidungspro- zesse. Doch auch hinsichtlich der Transparenz und der Ein- beziehung der Zivilgesellschaft und der Betroffenen ist die vorgelegte Regelung keine Verbesserung. Weder wird die Öffentlichkeit informiert, noch ist ein Dialog mit NGOs vorgesehen. Obwohl 97 Prozent aller verbürgten Exporte in Entwicklungsländer gehen, soll nicht einmal der Entwicklungsausschuss bei besonders problemati- schen Projekten einbezogen werden. Die G-8-Staaten haben sich verpflichtet, ihre jeweili- gen Exportkreditagenturen und deren politische Ziele an die Förderung einer wirtschaftlichen und sozialen Ent- wicklung anzupassen und zentrale Forderungen nach Transparenz und demokratischen Entscheidungen in den G-8-Staaten selbst umzusetzen. Gestern wurde hier das Programm zur Armutsbekämp- fung vorgestellt. Die Bundesregierung wolle bei der Bekämpfung der Armut und der Wahrung der Interessen der Entwicklungsländer eine Vorreiterrolle spielen. Mit diesem vorgelegten Entwurf spielen Sie nicht nur keine Vorreiterrolle, sie fallen hinter internationale Regelungen und die Regelungen anderer Staaten zurück und werden zum Bremser in der OECD. Das hier gestern vorgestellte Programm zur Armuts- bekämpfung verkommt zum Lippenbekenntnis. Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Wirtschaft und Technologie: Uns liegen drei Anträge zum Ausfuhrgewährleistungssystem vor. Die F.D.P.-Fraktion hat den Antrag „Für ein effizientes und transparentes Ausfuhrgewährleistungssystem“ vorgelegt. Sie unterstützt darin das Umweltverfahren des Interminis- teriellen Ausschusses für Ausfuhrgarantien und Ausfuhr- bürgschaften, IMA, sowie die Verhandlungen der Bun- desregierung in der OECD über gemeinsame Umwelt- leitlinien für Exportkreditagenturen. 1997, als die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen für Hermes ein Umweltprüfverfahren forderten, stufte der frühere Bundeswirtschaftsminister Dr. Günter Rexrodt Umweltaspekte noch als „sachfremd“ ein. Das Umdenken der F.D.P. in Richtung Umweltprüfung – und die CDU/CSU folgt in ihrem Entschließungsantrag die- sem Kurs – macht es heute möglich, Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Dies ist umso wichtiger, als die deut- sche Exportwirtschaft im internationalen Wettbewerb die nachdrückliche Unterstützung von Bundesregierung und Bundestag braucht, um Chancengleichheit zu erhalten. Unser Land muss ein zuverlässiger Partner sein, damit unsere Unternehmen ihre innovativen Produkte mit hohen technologischen und Umweltstandards weltweit absetzen und zugleich zur Verbesserung der wirtschaftlichen Ent- wicklung in den Bestellerländern beitragen können. Die Zuverlässigkeit muss sowohl für die vertraglichen Ver- pflichtungen zur Produktqualität als auch für die Finan- zierung und, soweit erforderlich, die Begleitung mit den Ausfuhrgewährleistungen des Bundes gelten. Zur Er- schließung schwieriger, aber dynamischer Märkte ist eine Hermes-Absicherung häufig unverzichtbar. Zur Förderung der partnerschaftlichen Zusammenar- beit mit den Bestellerländern und in Verantwortung für die Umwelt hat der IMA ein Verfahren zur Berücksichtigung von ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen Gesichtspunkten bei der Vergabe von Ausfuhrgewährleis- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116210 (C) (D) (A) (B) tungen entwickelt. Das neue Verfahren stellt sicher, dass ökologische, soziale und entwicklungspolitische Auswir- kungen von Exportgeschäften erkannt und im Entschei- dungsverfahren verantwortungsbewusst berücksichtigt werden. Insgesamt bleibt das Verfahren unbürokratisch, effizi- ent und mittelstandsfreundlich. Nach einem Screening- Verfahren wird bei kritischen Einzelfällen im Rahmen ei- nes Benchmarkings projektbezogen ein Abgleich mit international anerkannten Standards, wie zum Beispiel denen der Weltbank, durchgeführt. Können Umweltbe- denken nicht ausgeräumt werden, wird versucht, in Kon- takten mit dem Exporteur zu einer Verbesserung des Pro- jekts zu kommen. Die Transparenz nach außen wird erhöht, ohne die Ver- traulichkeit von Geschäftsgeheimnissen zu gefährden. Zur Erhöhung der Transparenz gegenüber dem Parlament wird der für Hermes federführende Wirtschaftsausschuss in Zukunft neben dem Haushaltsauschuss über die Über- nahme von Ausfuhrgewährleistungen von grundsätzlicher Bedeutung, das heißt von sensiblen und Großprojekten unterrichtet. Der IMAwird das von ihm entwickelte und praktizierte Verfahren in „Leitlinien“ festhalten. Die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen unterstützen mit ihrem Entschließungsantrag ausdrücklich dieses Ver- fahren. Die Bundesregierung befolgt und unterstützt mit ihrem Vorgehen das im „Action Statement“ der OECD im Fe- bruar 2000 gemeinsam beschlossene parallele Vorgehen: Die OECD-Mitglieder entwickeln ihre nationalen Verfah- ren und Methoden zur Identifizierung und Prüfung von Umwelteinflüssen. Gleichzeitig tauschen sie unterei- nander ihre Erfahrungen zu den von ihnen entwickelten Verfahren aus. So verfahren auch die anderen OECD- Länder. Ziel ist es, den Auftrag des Kölner Weltwirtschaftsgip- fels vom Juni 1999 auszuführen, bis zum G-8-Gipfel im Juli 2001 auf gemeinsame Umweltleitlinien in der OECD hinzuarbeiten. Die Bundesregierung setzt sich nach- drücklich dafür ein, dass bereits der OECD-Ministerrat im Mai gemeinsame Umweltleitlinien verabschieden kann. Der Entwurf für gemeinsame Leitlinien ist so weit fortge- schritten, dass eine Einigung bis dahin möglich erscheint. Alle Teilnehmer der OECD-Exportkreditgruppe ein- schließlich der G-8-Mitglieder anerkennen die konstruk- tive Unterstützung der deutschen Delegation für einen gemeinsamen Ansatz zur verantwortungsvollen Berück- sichtigung von Umweltbelangen bei den Exportkredit- agenturen. Mit diesen Verhandlungen über ein gemein- sames Vorgehen sichern wir zugleich die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und damit Arbeitsplätze bei uns. Die jetzt anstehenden Beratungen in den Ausschüssen geben Gelegenheit, auf alle Fragen im Einzelnen vertieft einzugehen. Anlage 10 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 761. Sitzung am 30. März 2001 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- stimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 Grundgesetz nicht zu stellen: – Gesetz zur Neuordnung des Gerichtsvollzieher- kostenrechts – GvKostRNeuOG – – Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Verarbeitung und Nutzung der zur Durch- führung der Verordnung (EG) Nr. 820/97 des Rates erhobenen Daten – Gesetz zu dem Abkommen vom 15. September 1998 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- land und der Gabunischen Republik über die gegenseitige Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen – Gesetz zu dem Abkommen vom 15. Februar 1999 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Kambodscha über die För- derung und den gegenseitigen Schutz von Kapi- talanlagen – Gesetz zur Änderung des Übereinkommens zum Schutz der Meeresumwelt des Nordost- atlantiks (OSPAR-Übereinkommen) – Gesetz zu dem Internationalen Übereinkom- men von 1989 über Bergung – Gesetz zur Neuregelung des Bergungsrechts in der See- und Binnenschifffahrt (Drittes Seerechtsän- derungsgesetz) – Gesetz zur Neuordnung des Bundesdisziplinar- rechts – Gesetz über die Anpassung von Dienst- und Ver- sorgungsbezügen in Bund und Ländern 2000 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpas- sungsgesetz 2000 – BBVAnpG 2000) – Gesetz zur Änderung des Krankenhausfinanzie- rungsgesetzes und der Bundespflegesatzverord- nung (DRG-Systemzuschlags-Gesetz) Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Neunundzwanzigster Rahmenplan der Gemeinschaftsauf- gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ für den Zeitraum 2000 bis 2003 (2004) – Drucksache 14/3250 – Ausschuss für Kultur und Medien – Unterrichtung durch die Bundesregierung Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16211 (C) (D) (A) (B) Konzeption zur Erforschung und Präsentation deutscher Kultur und Geschichte im östlichen Europa – Drucksachen 14/4586, 14/4992 Nr. 1 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla- ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Innenausschuss Drucksache 14/5172 Nr. 2.63 Drucksache 14/5172 Nr. 2.94 Haushaltsausschuss Drucksache 14/5503 Nr. 2.1 Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Drucksache 14/5363 Nr. 1.3 Drucksache 14/5363 Nr. 2.14 Drucksache 14/5363 Nr. 2.15 Drucksache 14/5363 Nr. 2.18 Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 14/5172 Nr. 2.13 Drucksache 14/5363 Nr. 2.19 Drucksache 14/5503 Nr. 2.3 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116212 (C)(A) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416500000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Sozialgesetz-
buchs – Neuntes Buch – (SGB IX) Rehabilita-
tion und Teilhabe behinderter Menschen
– Drucksache 14/5074 –

(Erste Beratung 144. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Sozialge-
setzbuchs – Neuntes Buch – (SGB IX) Rehabili-
tation und Teilhabe behinderter Menschen
– Drucksachen 14/5531, 14/5639 –

(Erste Beratung 161. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss)

– Drucksachen 14/5786, 14/5800 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Katrin Göring-Eckardt
Dr. Heinrich L. Kolb
Claudia Nolte
Silvia Schmidt (Eisleben)

Dr. Ilja Seifert

Es liegen fünf Änderungsanträge der Fraktion der PDS
sowie je ein Entschließungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU und der Fraktion der PDS vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Kolle-
gin Silvia Schmidt, SPD-Fraktion.


Silvia Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1416500100
Sehr geehrter Herr
Präsident! Bevor ich mit meiner Rede beginne, möchte ich
eine Bemerkung für das Protokoll machen. – Beim Lesen

der Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/5786 ist uns
aufgefallen, dass sie einen redaktionellen Fehler enthält,
der wie folgt korrigiert werden muss: In Art. 60 Abs. 6 ist
die Datumsangabe 1. Januar 2002 durch die Datumsan-
gabe 1. August 2001 zu ersetzen. Das ist mit den Bericht-
erstattern und den Fraktionen abgesprochen. – Danke.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-
ren! Selten wurde ein Gesetz, ein ganzes Gesetzbuch in
diesem Hause verabschiedet, das von einer vergleichbar
breiten gesellschaftlichen und politischen Zustimmung
getragen wurde. Unser innovatives Verständnis von Poli-
tik und Demokratie, unser Ansatz, der seine Impulse in
der Gesellschaft sucht, erklärt diese Zustimmung.

Wenn heute das Sozialgesetzbuch IX dem Deutschen
Bundestag zur Annahme vorliegt, hat das mit einem neuen
Verständnis von Demokratie zu tun. Damit ist gemeint,
dass dieser vorliegende Gesetzentwurf nicht, wie oft zi-
tiert, am grünen Tisch entstanden ist. Er ist vielmehr das
Ergebnis von intensiven Beratungen, Diskussionen, Fach-
tagungen, Workshops und Anhörungen. Er ist das Ergeb-
nis einer praktizierten partizipativen Demokratie. Dieses
Sozialgesetzbuch IX ist inmitten unserer Bürgergesell-
schaft, im Dialog mit allen Beteiligten, mit allen Betrof-
fenen, entstanden. Das ist der Politikwechsel, den wir
meinen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Sozialgesetzbuch IX ist nicht nur für die Men-
schen, sondern auch mit und von den Menschen geschaf-
fen worden, also mit den Bürgern und Bürgerinnen, die im
Alltag unmittelbar davon betroffen sind. Den behinderten
Menschen muss zugestanden werden, dass sie Experten in
eigener Sache sind, mit Fähigkeiten und Kompetenzen,
die es endlich wahrzunehmen gilt.

Deshalb richtet sich unser Dank ausdrücklich an alle
Mitbürger und Mitbürgerinnen, die mit dazu beigetragen
haben, dass wir heute das Sozialgesetzbuch IX in einem
breiten parlamentarischen Konsens verabschieden wer-
den.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


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165. Sitzung

Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Beginn: 9.00 Uhr

Lassen Sie mich kurz einige Punkte unseres Gesetz-
entwurfs hervorheben. Sie zeigen nämlich exemplarisch,
welche innovative Kraft dem Sozialgesetzbuch IX inne-
wohnt und dass es neue Gedanken in die Behindertenpo-
litik nicht nur hineinträgt, sondern sie aufnimmt. Wir sind
entschlossen, neue Wege zu gehen, entschlossen, den Pa-
radigmenwechsel in der Behindertenpolitik einzuleiten.

Eine von den Behindertenverbänden stets mit Nach-
druck gestellte Forderung ist die Neuregelung des Unter-
haltsrückgriffs bei unterhaltspflichtigen Eltern von behin-
derten und pflegebedürftigen Hilfeempfängern.
Bedürftigkeitsprüfungen wird es nach dem SGB IX im
Normalfall nicht mehr geben. Nach unserem Entwurf zah-
len diese Eltern einen Pauschalbetrag von monatlich
50 DM. Es besteht jedoch für diejenigen Eltern, denen
eine solche Zahlung nicht zugemutet werden kann, die
Möglichkeit, die Alternative der Bedürftigkeitsprüfung zu
wählen, um sich von dieser Zahlung zu befreien. Das
Prinzip der Bedürftigkeitsprüfung wird also praktisch
umgekehrt.

Überhaupt ist es unser Anliegen, das Prinzip der Be-
dürftigkeitsprüfung und das des Nachrangs in der Sozial-
hilfe deutlich einzuschränken. Das wird durch die gegen-
seitige sinnvolle Ergänzung von SGB IX und einer
zukünftigen sozialen Grundsicherung erreicht. Diese Er-
gänzung garantiert behinderten Menschen einerseits die
materielle Absicherung des Lebensunterhaltes im Rah-
men der Grundsicherung, das heißt im Alter und bei
Erwerbsunfähigkeit. Andererseits steht ihnen im Rahmen
des SGB IX ein breites Angebot bedürftigkeitsunab-
hängiger Leistungen zur Verfügung. Gemeint sind hiermit
die medizinische Rehabilitation und die Leistungen zur
Teilhabe am Arbeitsleben. Dazu gehören ebenso Leistun-
gen in den Werkstätten und in vergleichbaren sonstigen
Beschäftigungsstätten, auch in so genannten Fördergrup-
pen oder Tagesfördereinrichtungen. Der Anspruch behin-
derter Menschen auf Selbstbestimmung und Teilhabe am
Leben in der Gesellschaft wird damit grundlegend ver-
bessert.

Auch im Rahmen der Frühförderung und Früherken-
nung gehen wir einen neuen Weg. Der hier geschaffene in-
novative Ansatz lässt sich unter dem Begriff Komplexleis-
tung zusammenfassen. § 30 des SGB IX sieht ausdrücklich
besondere nicht ärztliche Leistungen zur Früherkennung
und Frühförderung vor, wobei auch interdisziplinäre heil-
pädagogische Förderstellen mit einbezogen werden. Wir
werden darauf achten, dass Menschen, die von Behinderung
bedroht sind und die in unserer Gesellschaft behindert wer-
den, sofort und unbürokratisch Hilfe bekommen – und das
so früh und so umfassend wie möglich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Unsere Gesetzgebung legt – das ist den daran beteilig-
ten Frauen ein Herzensanliegen – einen ganz besonderen
Schwerpunkt darauf, dass vor allem behinderte Mütter
und Väter, die in unserer Gesellschaft mehrfach benach-
teiligt werden, mehr Chancengleichheit erhalten. Der
erste Schritt, hier Benachteiligung abzubauen, besteht
darin, den besonderen Bedürfnissen dieser behinderten
Mütter und Väter Rechnung zu tragen. Ich nenne nur ein

paar Stichworte: wohnortnahe Leistungen, Einbeziehung
von familienentlastenden Diensten und Anspruch auf
Teilzeitarbeit für Erziehungspflichtige. Weiterhin werden
die Interessenvertretungen behinderter Frauen in allen
Bereichen der Integration beteiligt.

Schließlich erhalten behinderte Frauen zur Stärkung
ihres Selbstbewusstseins einen Rechtsanspruch auf Re-
habilitationssport. Denn besonders behinderte Frauen
sind im Alltag Diskriminierungen ausgesetzt. Nicht we-
nige von ihnen – das musste ich sehr oft erfahren – fühlen
sich hilflos und trauen sich kaum aus ihren Wohnungen.
Diese Form von Rehabilitationssport kann ein erster
Schritt sein, Frauen dabei zu unterstützen, ihre Ängste ab-
zubauen.

Lassen Sie mich noch kurz eine weitere Gruppe behin-
derter Menschen nennen, die mehrfach benachteiligt wer-
den und deshalb oft Spielball behördlicher Willkür und
Opfer von Sparmaßnahmen sind. Ich spreche von den
behinderten Menschen, die, weil es einfach und billig ist,
ohne ihre Einwilligung in Pflegeheime abgeschoben wer-
den. Das wird es nicht mehr geben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


§ 40 a des Bundessozialhilfegesetzes gibt hier eindeutige
Regelungen zugunsten der Pflegebedürftigen vor.

Behinderte Mitbürger und Mitbürgerinnen sind ein Teil
unserer Gesellschaft; sie gehören dazu. Mit dem Sozial-
gesetzbuch IX haben wir die ersten Barrieren zur gleich-
berechtigten Teilhabe an der Gesellschaft beseitigt. Wir
haben einen guten Anfang gemacht. Wir werden weiter
daran arbeiten. Wir werden genau beobachten, ob uns die
Regelungen des SGB IX dem Ziel näher bringen, Chan-
cengleichheit für alle in unserer Bürgergesellschaft zu
schaffen.

Deshalb fordern wir, den Dialog mit allen Beteiligten
und Betroffenen nicht nur fortzuführen, sondern auch aus-
zubauen. Wir stehen vor einer Herausforderung. Ich for-
dere auch Sie auf mitzuwirken.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416500200
Ich erteile das Wort
der Kollegin Claudia Nolte, CDU/CSU-Fraktion.


Claudia Nolte (CDU):
Rede ID: ID1416500300
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen
Verabschiedung des Sozialgesetzbuches IX wird ein
langjähriges Vorhaben seinen vorläufigen Abschluss fin-
den. Schon Mitte der 70er-Jahre, bei der Schaffung des
Reha-Angleichungsgesetzes, gab es Überlegungen, ein
eigenständiges Sozialgesetzbuch für die Rehabilitation zu
schaffen. Schon die Tatsache, dass wir dieses Gesetz
heute verabschieden, verschafft Genugtuung und ist ein
Grund zur Freude.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


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Silvia Schmidt (Eisleben)


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Das darf uns aber nicht den Blick dafür verstellen, dass
an ein solches Sozialgesetzbuch hohe Erwartungen ge-
knüpft werden – schon von jeher, aber auch aufgrund der
Eckpunkte der Koalitionsarbeitsgruppe. Die Erwartungen
hängen natürlich davon ab, von welchem Blickwinkel aus
man auf das Rehabilitationsrecht schaut. Die Betroffenen
interessiert in erster Linie, welche Leistungsver-
besserungen vorgesehen sind, welche Ansprüche neu ge-
schaffen werden und wie sich das System auf sie persön-
lich auswirkt. Die Rehaträger achten darauf, dass ihnen
die Kosten nicht davonlaufen und wie es ihren Ein-
richtungen geht. Deshalb sind Zielkonflikte in einem ge-
wissen Maße vorgegeben.

Ich möchte von den Erwartungen ausgehen, die die
Koalition selber aufgestellt hat. Das sind in der Tat recht
hohe Ansprüche. So heißt es:

Das SGB IX beendet die Divergenz und
Unübersichtlichkeit des bestehenden Rehabilitati-
onsrechtes. Es wird angestrebt, dass ... Begriffe und
Abgrenzungskriterien aller einschlägigen Regelun-
gen unabhängig von ihrem Standort vereinheitlicht
werden.

Das SGB IX errichtet eine gemeinsame Plattform,
auf der durch Koordination, Kooperation und Kon-
vergenz ein gemeinsames Recht und eine einheitli-
che Praxis der Rehabilitation und der Behinderten-
politik errichtet werden können.

Ein erfolgreiches Rehabilitationsmanagement be-
ginnt mit der ersten Klärung von Rehabilitationsbe-
dürftigkeit und der Bestimmung von Rehabilitations-
zielen; es muss von Anbeginn durchgehend gesichert
sein und umfasst immer soziale, berufliche und me-
dizinische Eingliederung.

Auch ich weiß, dass es sicherlich zu früh ist, um beur-
teilen zu können, wie sich das Gesetz in der Praxis aus-
wirken wird, ob es diesen Ansprüchen genügt. Deshalb
unterstütze ich ausdrücklich, dass wir nach einem gewis-
sen Zeitraum – etwa vier Jahre; das ist gesagt worden –
die Erfahrungen mit dem Sozialgesetzbuch prüfen und
zusammenfassen und dann gucken, ob unsere Erwartun-
gen an das Sozialgesetzbuch erfüllt wurden oder ob es
noch Änderungsbedarf gibt – und das, obwohl ich in der
Regel starke Bedenken gegen das Berichtsunwesen habe.
Aber in diesem Falle halte ich einen Bericht für an-
gemessen.

Trotzdem sage ich jetzt schon, dass ich befürchte, dass
wir in einigen Bereichen unsere Ziele nicht erreichen wer-
den. Dies gilt beispielsweise für eine angestrebte größere
Transparenz oder eine bessere Verzahnung. Denn wir ha-
ben uns – ich denke: zu Recht – entschieden, beim ge-
gliederten Rehabilitationsrecht zu bleiben. Es hat in den
vergangenen Jahren seine Leistungsfähigkeit unter Be-
weis gestellt.

Die Einzelvorschriften im Reharecht werden aber
durch das SGB IX nicht geändert. Sie bekommen jetzt
mehr oder weniger nur ein gemeinsames Dach. Das heißt,
die Gliederung und die daraus resultierende Unübersicht-
lichkeit bleiben erst einmal bestehen. Der Einzelne wird

nach wie vor Probleme haben, seine Leistungsansprüche
zusammenzusuchen und zu verstehen.

Das Gleiche gilt für die einheitliche Praxis im Rehabi-
litationsrecht. Denn die Leistungskataloge sind nicht an-
geglichen und aufeinander abgestimmt worden. Es gibt
unterschiedliche Leistungsvoraussetzungen und -kata-
loge. Das heißt, an diesem Punkt bleiben wir eindeutig
hinter dem zurück, was wir vorgehabt haben. Ich hoffe
nur, dass die Gremien für gemeinsame Empfehlungen und
für die Qualitätssicherung, die wir schaffen, zu der Platt-
form werden, die in den Eckpunkten beschrieben wird,
und dass Zusammenarbeit, Koordination und Aufeinan-
derzugehen möglich werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Der größte Schwachpunkt des Gesetzes bleibt aller-
dings, dass es keine wesentlichen neuen Weichenstellun-
gen im Reharecht enthält.


(Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Was notwendig gewesen wäre, wissen Sie in der Koalition
ganz genau: eine klarere Abgrenzung von Reharecht auf
der einen Seite und Eingliederungsrecht bzw. -hilfe auf
der anderen Seite.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Teilhaberecht heißt das! Aber sonst haben Sie Recht!)


– Herr Kollege, wir sind da nicht auseinander.

Im Rahmen der Rehabilitation werden Leistungen zu-
meist in einem genau beschriebenen Zeitraum mit einem
klar definierten Leistungserfolg erbracht. Bei den Leis-
tungen der Eingliederungshilfe sieht das anders aus. Dort
erfolgt die Leistung meistens ein Leben lang und es gibt
keinen abhakbaren Erfolg nach dem Motto: Der Patient ist
nun gesund. Der Erfolg bemisst sich daran, ob es gelun-
gen ist, dem Behinderten sowohl im beruflichen als auch
im sozialen Bereich Teilhabe zu sichern.


(Beifall bei dem Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


Dass das Unterbleiben einer solchen klaren Trennung
zu grundsätzlichen Problemen führt, ist unbestritten. Die
Eingliederungshilfe hat im Bundessozialhilfegesetz
nichts verloren; sie ist ein Überbleibsel der Geschichte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Deshalb war es unser Ziel, sie dort herauszubekommen.
Dieses Ziel haben auch Sie im Wahlkampf vertreten. Des-
wegen hatten wir die Hoffnung, dass das, was wir nicht
geschafft haben, wenigstens Sie schaffen.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Ja, genau! Sehr richtig!)


Wir haben Ihnen viel zugetraut. Das ist doch auch einmal
etwas Schönes, oder nicht?

Dass Sie das nicht erreicht haben, führt jetzt dazu, dass
Sie Hilfskonstruktionen schaffen und im Sozialhilferecht
verankerte Prinzipien durchbrechen müssen, damit den
Menschen, die für ihre Kinder ein Leben lang sorgen,
nicht auch ein Leben lang die finanzielle Verantwortung

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Claudia Nolte

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allein überlassen bleibt. Wir dürfen diese Menschen nicht
allein lassen. Wenn wir wollen, dass werdende Eltern zu
ihren Kindern auch dann Ja sagen, wenn sie wissen, dass
sie mit Behinderungen auf die Welt kommen, dann müs-
sen sie darauf vertrauen können, dass unsere Gesellschaft
sie nicht allein lässt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz dieser
grundsätzlichen Bedenken wird die CDU/CSU-Fraktion
dem Entwurf des Sozialgesetzbuches IX zustimmen;
denn er enthält Ansätze, auf denen man weiter aufbauen
kann und die geeignet sind, das Selbstbestimmungsrecht
und die Autonomie der von Behinderung betroffenen
Menschen zu stärken und damit ihre Lebensumstände zu
verbessern. Dazu zählen vor allen Dingen das verbesserte
Wunsch- und Wahlrecht und die stärkere Nutzung des
Prinzips „ambulant vor stationär“, was den Betroffenen
die Möglichkeit gibt, selbst zu entscheiden, unter welchen
Bedingungen ihre Eingliederung, ihre Rehabilitation er-
folgreich ablaufen wird.

Wir sind auch sehr für die modellhafte Erprobung des
persönlichen Budgets; denn wir glauben, dass das Prin-
zip der Geldleistung die Autonomie stärkt, auch wenn wir
wissen, dass es dagegen erhebliche Widerstände gibt.
Natürlich gibt es ein Interesse daran, die stationäre Reha-
bilitation aufrechtzuerhalten, weil wir diese Einrichtung
nun einmal haben. Wir kommen aber nicht umhin, bei Re-
haleistungen immer auch nach dem medizinisch Notwen-
digen zu entscheiden, auch unter dem Gesichtspunkt der
Wirtschaftlichkeit. Hier gibt es eine Reihe von Interes-
senkonflikten, denen wir uns stellen müssen.

Es war sicherlich auch ein Anliegen aller, die Aus-
kunfts- und Beratungsrechte der Menschen mit Be-
hinderungen zu verbessern. Ich habe schon angespro-
chen, dass das Rehabilitationsrecht sehr kompliziert ist.
Für den Einzelnen erschließt sich eben nicht ganz einfach,
wer der zuständige Rehaträger ist, welche Leistungen ihm
zustehen, wie die Verfahren ablaufen und an wen er sich
wenden muss. Da ist das Prinzip „Beratung aus einer
Hand“ gut und unterstützenswert: Ich habe nur eine An-
laufstelle, weiß, wie sie aussieht, und bekomme dort auch
umfassende Beratung.


(Beifall der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir haben dies schon immer unterstützt, dabei aber
auch das Problem gesehen, dass verhindert werden muss,
dass neue teure Strukturen aufgebaut werden.


(Silvia Schmidt [Eisleben] [SPD]: Das ist doch gar nicht wahr! Das ist doch Unsinn!)


– Wir haben lange darüber diskutiert. Wir haben ferner das
Problem gesehen, dass die Entscheidungsverantwor-
tung und die Finanzverantwortung in einer Hand blei-
ben müssen und nicht getrennt werden dürfen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das war, Frau Kollegin Schmidt, ein entscheidender
Streitpunkt in unserer Diskussion. Hier verstehe ich auch
die Sorgen der Rehabilitationsträger sehr gut.

Ich bin froh, dass wir nun eine befriedigende Lösung
gefunden haben. Sie haben in der Tat Recht: Wir können
die bestehenden Strukturen nutzen. Dadurch werden Kos-
ten vermieden und die Entscheidungs- und Finanzverant-
wortung bleibt in einer Hand. Anderenfalls müssten wir
nämlich das Prinzip der Selbstverantwortung und Selbst-
verwaltung aufgeben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Regierungs-
fraktionen, vielleicht wäre der eine oder andere Streit we-
niger heftig gewesen – einige von Ihnen nehme ich jetzt
aus, weil mit ihnen immer eine gute Kooperation be-
stand –, wenn die Opposition frühzeitig ernsthaft einge-
bunden worden wäre. Es war allerdings für die Beratung
des Gesetzentwurfs ausgesprochen hinderlich, dass
während des Gesetzgebungsverfahrens ein Entwurf den
anderen jagte.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das ist immer so! Bei der Rente war das auch so!)


Während der Beratungen hatte man das Gefühl, dass man
immer hinterher hinkte. Das hat nicht nur uns, sondern
auch den betroffenen Verbänden die Arbeit erschwert; das
muss man eindeutig sagen. Ich erinnere mich an Podi-
umsdiskussionen, bei denen wir wussten, dass es schon
wieder ein veralteter Gesetzentwurf ist, über den wir re-
den. Das hat es etwas schwierig gemacht.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das ist der Arbeitsstillstand unter Rot-Grün!)


Deshalb möchte ich an dieser Stelle insbesondere den
Verbänden und den betroffenen Institutionen sehr herzlich
danken, die sich dort durchgebissen und uns in einer un-
glaublichen Weise mit ihrem Fachwissen zur Verfügung
gestanden haben. Das war eine sehr gute Kooperation.
Wir werden auch in Zukunft auf sie angewiesen sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte ausdrücklich betonen, dass sich seit der öf-
fentlichen Anhörung im Ausschuss für Arbeit und So-
zialordnung die Zusammenarbeit mit dem Ministerium
sehr konstruktiv gestaltet und deutlich verbessert hat. An
erster Stelle danke ich Herrn Wilmerstadt. Es war eine
sehr zufrieden stellende Zusammenarbeit. Außerdem be-
danke ich mich bei dem Beauftragten der Bundesregie-
rung für die Belange der Behinderten, Herrn Haack, für
das Zusammenwirken.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es freut uns, dass es dadurch möglich war, eine Reihe von
Anliegen, die uns wichtig waren, mit in den Gesetzent-
wurf aufzunehmen.

Beispielsweise ging es uns um bessere Rahmenbedin-
gungen für die Werkstätten für Behinderte. Es war ur-
sprünglich vorgesehen, bei Aufträgen an die Werkstätten
den Betrag, den man auf seine Ausgleichsabgabe anrech-
nen konnte, anders zu berechnen, was zu einer erhebli-
chen Bürokratie geführt und den Anreiz genommen hätte,
Aufträge bei den Werkstätten auszulösen. Dass das jetzt
nicht mehr in dem Gesetzentwurf steht, ist wohl auch un-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Claudia Nolte

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serem Bemühen zu verdanken. Darüber bin ich froh, weil
wir den Werkstätten das Leben nicht noch schwerer ma-
chen dürfen. Das ist schon schwer genug.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ein weiterer Punkt ist: Das Angebot der beruflichen
Bildung in den Werkstätten wurde in dem Gesetzent-
wurf ausdrücklich verankert. Dies geht in die richtige
Richtung. Es muss uns ja ein Anliegen sein, dass Werk-
stattmitarbeiter die nötige Qualifikation bekommen, um
in den ersten Arbeitsmarkt zu gehen. Aus diesem Grunde
ist die Verankerung der beruflichen Bildung richtig. Ein
erster Schritt dafür ist, dass sie für zwei Jahre einen An-
spruch auf Leistungen im Berufsbildungsbereich haben.
Ebenso haben wir erreichen können, dass die Träger von
Rehaeinrichtungen genauso Partner bei der Erarbeitung
von Empfehlungen und Qualitätssicherung sind wie an-
dere Partner auch. Denn sie sind diejenigen, die am Ende
die Rehaleistung ausführen müssen. Sie kennen sich am
besten aus und wissen, wie die Rahmenbedingungen be-
schaffen sein müssen. Deshalb wäre es töricht gewesen,
sie außen vor zu lassen.

Nicht erfolgreich waren wir jedoch – das bedauere ich
ausdrücklich – bei der Beteiligung der Länder an der Ver-
sorgungsplanung. Die Länder haben in diesem Bereich
keine Finanzverantwortung. Es ist zu befürchten, dass in
die Entscheidung über die Errichtung von neuen sta-
tionären Rehaeinrichtungen und über andere Dinge sach-
fremde Erwägungsgründe einfließen. Dies bedauere ich
ausdrücklich. Ich hoffe, dass die Länder, in denen die SPD
und die Grünen Regierungsverantwortung tragen, dies
nicht eines Tages bereuen. Die Wirkung, die Folge darf
nicht sein, dass wir Überkapazitäten in diesem Bereich
schaffen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, dass die
kritischen Anmerkungen nötig waren, auch wenn ich
mich freue, dass wir heute mit großer Mehrheit das Sozi-
algesetzbuch IX verabschieden werden, gerade weil es am
Anfang nicht danach aussah. Uns ist klar, dass mit der
Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs das Kapitel SGB
IX nicht beendet ist, sondern fortgesetzt werden muss.
Viele Ansätze, die jetzt neu sind – ich sprach zum Beispiel
vom persönlichen Budget und von Arbeitsassistenz –,
müssen weiterentwickelt und als langfristige Hilfen aus-
gebaut werden. Für unsere Fraktion sage ich: Wir sind
dazu ausdrücklich bereit.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie der Abg. Silvia Schmidt [Eisleben] [SPD])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416500400
Ich erteile das Wort
der Kollegin Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die
Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

gen! Auch ich freue mich, dass wir heute mit einer breiten
parlamentarischen Mehrheit – Frau Nolte hat gerade da-
rauf hingewiesen – das neue SGB IX beschließen werden,
mit dem das Recht auf Rehabilitation für Menschen mit

Handicap weiterentwickelt und in ein Recht auf Teilhabe
umgewandelt wird. Man kann sicherlich sagen, dass das
noch nicht die Jahrhundertreform ist; aber es ist ein qua-
litativ neuer Schritt, der vor allem eine neue Herange-
hensweise beinhaltet, nämlich: Wir wollen nicht mehr
Fürsorge, sondern Teilhabe. Insofern ist dieser Schritt an
dieser Stelle richtig. Jahrhundertreformen haben ja
manchmal den Nachteil, dass man Jahrhunderte oder zu-
mindest Jahre darauf warten muss. Ich finde, dass wir es
richtig gemacht haben.

Sie wissen, dass wir mit dem Gesetzesvorhaben in die-
sem Hause, aber auch draußen lange Zeit auf Widerstände
gestoßen sind. Das mag daran gelegen haben, dass alles,
was neu ist, immer mit Skepsis betrachtet wird. Viele Wi-
derstände gab es aber vielleicht auch deshalb, weil man
nach den Erfahrungen, die heute Morgen schon beschrie-
ben worden sind, nicht mehr glaubte, dass dieses Re-
formwerk tatsächlich realisiert werden würde. Einige Wi-
derstände gibt es noch heute. Diese sind zum Teil bereits
erwähnt worden.

Ich möchte diejenigen, die noch zweifeln, auffordern:
Gehen Sie mit uns diesen Weg und schauen Sie sich an,
was die Praxis zeigen wird! Wenn Sie dann noch immer
zweifeln, will ich Ihnen sagen: Wir als Grüne sind nicht
mehr bereit, die Rechte von Menschen mit Handicap wei-
ter hintanzustellen, weil Veränderungsangst oder Ver-
änderungsmüdigkeit das Alltagshandeln zu lähmen droht.
Deswegen ist dieses Gesetz ein erster großer Schritt, den
wir hier gemeinsam tun.

Nach der Erweiterung von Art. 3 des Grundgesetzes
um das Verbot der Diskriminierung von Menschen mit
Behinderungen ist das SGB IX der erste wirksame
Schritt zur rechtlichen Umsetzung des Gleichstellungsge-
botes des Grundgesetzes. Das ist ein Erfolg, den wir nicht
unterschätzen sollten, weil wir hiermit andeuten: Es wird
weitere Schritte geben, um die rechtliche Umsetzung der
im Grundgesetz geforderten Gleichstellung tatsächlich
auf den Weg zu bringen. Der nächste Schritt wird selbst-
verständlich ein Antidiskriminierungsgesetz sein müssen,
das noch weiter geht.

Wir haben in den zwei Jahren, in denen wir am
SGB IX gearbeitet haben, von manchen gehört: Was
wollt ihr eigentlich ändern? Das gibt es doch schon al-
les. – Das ist richtig. Vieles von dem, was in diesem Ge-
setzentwurf steht, gibt es theoretisch schon jetzt. Doch
die unzähligen Briefe und die Gespräche, die wir wohl
alle geführt haben, sprechen eine deutliche Sprache: Ver-
ordnungen werden nicht umgesetzt, Ansprüche werden
in der Praxis nicht gewährt, vor allem dauert die Bear-
beitung von Anträgen viel zu lange und Anträge werden
mitunter pauschal negativ beschieden. Das kann im All-
tagshandeln passieren. Wenn es aber – das ist die Rea-
lität – zu häufig geschieht und wenn es vor allen Dingen
diejenigen trifft, die mehr als andere auf Unterstützung
angewiesen sind, dann ist die Politik aufgefordert zu han-
deln. Das tun wir hiermit.

Wir wollen, dass sich Menschen mit Handicap in Zu-
kunft an eine zuständige Stelle wenden, die die weiteren
Hilfen verantwortlich und zielgerichtet koordiniert. Dazu
haben wir die Servicestellen geschaffen, die – das ist ein

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Claudia Nolte

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(C)



(D)



(A)



(B)


Punkt, über den wir lange geredet haben – die vorhande-
nen Ressourcen und Strukturen nutzen sollen. Wichtig
und neu ist aber, dass sie leistungsübergreifende Beratung
und Unterstützung bieten müssen. Menschen mit einem
Rehaanspruch sollen und dürfen nicht länger von
Person A zu Person B und von dieser wieder zu Person C
geschickt werden, die sie dann wieder zu Person A
schickt.

Wir alle wissen, dass der Erfolg von Rehabilitation
ganz maßgeblich davon abhängt, dass sie nahtlos und di-
rekt erfolgt. Aus diesem Grund haben wir nicht nur einen
verbindlichen Rahmen für den Zeitraum zwischen An-
tragstellung und Beginn der Rehamaßnahme festgelegt,
sondern wir haben uns auch auf Sanktionsmaßnahmen
verständigt. Dies ist ein Erfolg, weil somit eine hohe
Verbindlichkeit gewährleistet wird.

In den Ausschussanhörungen, in denen über 80 Ver-
bände, Vertreter von Ländern und Kommunen, Leistungs-
träger und -anbieter im Bundestag zusammengekommen
sind, hat sich abgezeichnet, dass auch hier eine breite
Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf vorliegt. Das hat
selbstverständlich damit zu tun, dass dieser Gesetzentwurf
gut ist, aber wohl auch damit, dass wir ihn in einem neuen
Stil erarbeitet haben: Wir haben von Anfang an alle Be-
teiligten, die Verbände bis hin zu den Selbsthilfegruppen,
in einer Weise eingebunden, wie wir es noch bei keinem
anderen Vorhaben gemacht haben. Wir haben deutlich ge-
macht, was bürgernahe Politik ist. Auch deswegen wird
dieses Gesetz ein großer Erfolg sein.

Wir haben endlich festgeschrieben, dass Menschen, die
in einer Behinderteneinrichtung leben, auch dort An-
spruch auf Pflegeleistungen haben. Kein behinderter
Mensch darf in Zukunft aus Kostengründen in eine Pfle-
geeinrichtung abgeschoben werden.

Es ist nach langen Verhandlungen gelungen, den Un-
terhaltsrückgriff auf Eltern behinderter Kinder aufzu-
heben – darauf ist heute Morgen schon hingewiesen wor-
den – und durch eine Pauschalierung zu ersetzen. Dies
freut mich sehr, weil damit eine große Ungerechtigkeit
beseitigt worden ist, die wir in der Vergangenheit hatten.
Wir werden damit ein Aufatmen nicht nur in den Fami-
lien, sondern auch in den Amtsstuben erreichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Leben mit einem behinderten Kind darf in dieser
Gesellschaft eben nicht mehr als Schicksal oder schweres
Los aufgefasst werden. Das Leben mit einem behinderten
Kind ist einfach nur anders. Wir als Gesellschaft haben die
Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Schwierigkeiten, Handi-
caps oder Barrieren, die wir aufgebaut haben, abgebaut
werden und dass das Leben mit einem behinderten Kind,
wie überhaupt das Leben mit Handicap, nicht durch
gesellschaftliche Barrieren zusätzlich erschwert wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dabei geht es nicht allein um das Verteilen von finan-
ziellen Mitteln; denn das entwürdigt und entmündigt. Die
Ermöglichung persönlicher Budgets ist ein Beispiel für

eine kreative Lösung, die deutlich macht: Es geht um
Selbstbestimmung. Die Erfüllung des von den Betroffe-
nen erhobenen Anspruchs auf die Wahrnehmung und Ver-
wirklichung ihrer Bedürfnisse hat nichts damit zu tun, sie
mit einer „Sozialdecke“ einzuengen, sondern soll die ei-
gene Verantwortung stärken.

In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinwei-
sen, dass es zu den Nebeneffekten unseres Gesetz-
entwurfes zählt, dass Beratungsstellen bei uns nun Ser-
vicestellen und Hauptfürsorgestellen in Zukunft Inte-
grationsämter heißen werden. Das mag so klingen, als
sei dies nur eine einfache Umbenennung. Aber dahinter
steckt mehr. Es wird tatsächlich Veränderungen geben:
Menschen mit Behinderungen werden zu Kunden und
Verbrauchern. Das ist das Neue an der Herangehensweise
dieses Gesetzentwurfes.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es geht um Selbstbestimmung, um Selbstverantwor-
tung, ja um Mitbestimmung. Wir wollen einklagbare
Rechte, mit denen man sich wirklich gegen Benachteili-
gungen zur Wehr setzen kann. Im SGB IX haben wir das
unter anderem durch die Beweislastumkehr bei Nicht-
berücksichtigung im Bewerbungsverfahren, durch die
Festschreibung eines Verbandsklagerechtes sowie durch
die Sicherung eines barrierefreien Zugangs zu Soziallei-
stungen verwirklicht. Dazu gehört auch das, was wir zum
Thema Integration in den Arbeitsmarkt bereits in der
Vergangenheit beschlossen haben. Wir alle wissen, dass
das ein ganz zentraler, wenn nicht der zentrale Punkt beim
Thema Integration ist. Wir haben die Integration mit dem
Rechtsanspruch auf Arbeitsassistenz und vor allen Din-
gen dadurch verwirklicht, dass für Menschen mit Handi-
cap der erste Arbeitsmarkt Vorrang hat. Arbeitsassistenz,
die Unterstützung von Integrationsunternehmen und die
flächendeckende Einrichtung von Integrationsfachdien-
sten sind sehr bedeutende Instrumente zur Verwirklichung
unserer Ziele.

Wir haben im SGB IX hervorgehoben, dass den Belan-
gen von Frauen – darauf ist schon hingewiesen worden –
ebenso wie den spezifischen Bedürfnissen von seelisch
Behinderten Rechnung getragen werden muss. Das halte
ich insofern für wichtig, als manche Handicaps nicht
sichtbar, nicht offensichtlich, nicht mitteilbar oder
schwierig zu vermitteln sind, sodass diese Menschen aus
unserer Solidarität herauszufallen drohen.

Man soll mit großen Worten nicht um sich werfen, aber
ich muss sagen: Ich bin froh, dass wir dieses Gesetz heute
beschließen werden. Ich glaube, heute ist ein guter Tag,
und zwar nicht nur für die Menschen mit Behinderungen,
sondern für die gesamte Gesellschaft. Wenn wir uns in un-
serer Unterschiedlichkeit gegenseitig anerkennen, wahr-
nehmen und als Gleiche stützen, so würde ich das als so-
zialstaatliche Modernität bezeichnen.

Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Dank an die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums und
der Fraktionen sagen, die in einem langen Arbeitsprozess
vielleicht manchmal selbst nicht mehr daran geglaubt ha-
ben, zu einem Ende zu kommen. Lassen Sie mich einen

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Katrin Göring-Eckardt

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(B)


Dank an die vielen engen Beraterinnen und Berater sagen,
die dafür gesorgt haben, dass wir ein Gesetz auf den Weg
bringen, das in vielen Details sehr lange diskutiert worden
ist und – wie ich glaube – tatsächlich neuen Schwung in
die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behin-
derung bringt, in ein Miteinander, das auf Gleichheit und
Gleichberechtigung beruht.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416500500
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Heinrich Kolb, F.D.P.-Fraktion.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1416500600
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Auch die F.D.P.-Bundestags-
fraktion wird dem vorliegenden Gesetzentwurf unter Ab-
wägung der erreichten Fortschritte und der weiterhin of-
fenen Fragen zustimmen. Ich denke, dass dieser breite,
übergreifende Konsens, mit dem wir diese Neuregelung
auf den Weg bringen, für die behinderten Menschen in un-
serem Lande ein Signal dafür ist, dass wir auf dem Weg
voranschreiten, der bei Art. 3 Abs. 3 begonnen hat und in
der letzten Legislaturperiode mit der Entschließung zur
Pflegeproblematik weiter beschritten worden ist. Das ist
ein ganz wichtiger Punkt.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist schon gesagt worden: Zäh war das Verfahren von
der Koalitionsvereinbarung über die relativ hoch fliegen-
den Eckpunkte, über verschiedene Schritte im Nähe-
rungsverfahren und über Referentenentwürfe zu dem, was
wir heute beraten und beschließen werden. Ich glaube, die
rot-grüne Koalition brauchte auch entsprechende Zeit, um
wieder auf den Boden des Machbaren zurückzukehren.

Ich möchte nicht anstehen, mich ausdrücklich dafür zu
bedanken, dass es in der Schlussphase des Gesetzgebungs-
prozesses doch noch gelungen ist, die Opposition in die
Beratungen einzubeziehen. Ich bedanke mich in diesem
Zusammenhang persönlich bei dem Behindertenbeauf-
tragten Karl-Hermann Haack. Ich denke, dass unsere Ge-
spräche sehr hilfreich und sachdienlich gewesen sind.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Allerdings hätte manches von dem, was wir heute an Be-
denken vortragen, ausgeräumt werden können, wenn die
Opposition schon zu einem früheren Zeitpunkt ihren
Sachverstand hätte einfließen lassen können.


(Susanne Kastner [SPD]: Kam der Sachverstand sehr spät, Herr Kolb?)


Ich will Ihnen sagen, warum wir dem Gesetzentwurf
zustimmen werden: Der Gesetzentwurf berührt Probleme,
mit denen ich schon seit Beginn der Beratungen konfron-
tiert werde. Ich hatte Gespräche mit Eltern, die ein behin-
dertes Kind haben. Sie haben sich nicht beklagt, sondern
mir gesagt: Wir sind in einer besonderen familiären Si-

tuation. Unser Alltag sieht anders aus als der von Familien
mit nicht behinderten Kindern. – Sie haben gefragt:
Warum mutet uns dieser Staat Jahr für Jahr eine unwür-
dige Zeremonie zu, warum müssen wir uns Jahr für Jahr
einer Bedürftigkeitsprüfung unterziehen, obwohl am
Ende keine nennenswerten Förderbeträge fließen? – Ich
glaube, es ist sehr wichtig, dass wir es mit diesem Gesetz
schaffen, hier eine Änderung zu erreichen und die betrof-
fenen Familien entsprechend zu entlasten.


(Beifall bei der F.D.P.)


Es wurde weiter gefragt: Warum kann ich meinem be-
hinderten Kind nicht, wie anderen Kindern auch, ein Erbe
übergeben? Warum muss, wenn mein behinderter Sohn
oder meine behinderte Tochter nach der Erbschaft weiter
in einer Behindertenwerkstatt ist, das ererbte Vermögen
dafür eingesetzt werden? Auch diesem Problem hat sich
der Gesetzentwurf gestellt. Das ist wichtig, weil wir erst-
mals, bedingt durch unsere Geschichte, eine Erbengenera-
tion haben und es viele behinderte Menschen gibt, die ein
Erbe antreten werden. Diesen Menschen kann mit diesem
Gesetz geholfen werden.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Natürlich profitieren auch die Geschwister behinderter
Menschen von der Abschaffung der Bedürftigkeitsprü-
fung, die der Gesetzentwurf vorsieht. All das kommt in ei-
ner Vielzahl von Fällen zum Tragen, in denen Familien
schwerbehinderte oder schwerstbehinderte Kinder groß-
ziehen. Auch die Entlastung nach dem 27. Lebensjahr ist
ein ganz wichtiger Punkt.

Ich möchte auch nicht vergessen, die Regelungen zu
den heilpädagogischen Maßnahmen für schwerstbe-
hinderte Kinder zu erwähnen. Diese Maßnahmen wer-
den sicherlich Geld kosten. Aber das ist ein überschau-
barer Rahmen von – ich schätze einmal – 20 Millionen bis
30 Millionen DM. Ich glaube, dass gerade dieses Geld
sehr gut angelegt ist, und begrüße deshalb diese Regelun-
gen ausdrücklich.


(Beifall bei der F.D.P. sowie der Abg. Erika Lotz [SPD])


Es gibt aber auch Kritikpunkte. Das sind die Pro-
bleme an den Schnittstellen zwischen SGB IX, SGB XI
und SGB V sowie dem Bundessozialhilfegesetz. In der
Anhörung und in den weiteren Beratungen wurde dazu
einiges angesprochen und danach wurden auch einige
Verbesserungen eingearbeitet. Die Regelungen zum per-
sönlichen Budget und zum Wunsch- und Wahlrecht – die
können sicherlich noch verbessert werden – gehen uns
beileibe nicht weit genug. Für die F.D.P. – das möchte ich
hier klar sagen – ist es unabdingbar, auch behinderten
Menschen ein weitgehend selbstbestimmtes, selbstständi-
ges und auch eigenverantwortliches Leben zu ermögli-
chen. Ich glaube, in dieser Hinsicht ist das Gesetz noch
ausbaufähig.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es gab – wenn mich nicht alles täuscht – in allen Frak-
tionen viele Nachfragen der Gesundheitspolitiker, die ich

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Katrin Göring-Eckardt

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(B)


hier punktuell wiedergeben möchte. Bezüglich der Ser-
vice- und Beratungsstellen hat sich im Vergleich zum ur-
sprünglichen Gesetzentwurf sicherlich eine Verbesserung
dadurch ergeben, dass auch auf bestehende Strukturen
zurückgegriffen wird. Aber man muss abwarten, ob die
Zusatzkosten, die durch die Einrichtung einer zentralen
Anlaufstelle entstehen, in der Praxis auch tatsächlich den
erhofften zusätzlichen Nutzen bringen werden. Mit dem
Gesetzentwurf – das ist wichtig – wird dafür gesorgt, dass
die behinderten Menschen nicht mehr von Pontius zu
Pilatus geschickt werden, sondern nach relativ kurzem
Weg Sicherheit haben, welche Ansprüche ihnen zustehen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dann ist sicherlich zu kritisieren, dass der Weg wieder
stärker in Richtung Staatsplanung beschritten wird, statt
den Weg in Richtung mehr Wettbewerb auch im Bereich
der Rehabilitation zu gehen und zum Beispiel die Ein-
richtungen der Rentenversicherungsträger endlich zu pri-
vatisieren. Zukünftig wird es eine gemeinsame Bedarfs-
planung der Rehabilitationsträger unter Beteiligung
der Bundesregierung und der Landesregierungen geben.
Das heißt im Klartext, dass das, was man im Kranken-
hausbereich gerade auf eine Rahmenplanung zurückzu-
führen versucht, nun im Bereich der Rehabilitation neu
eingeführt wird. Das ist für uns unbefriedigend.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Insgesamt wird das Gesetz entgegen den Ankündigun-
gen in den Eckpunkten der Koalition nicht kostenneutral
sein. Es ist nicht ganz klar, wie die Kosten gegenfinanziert
werden sollen, zumindest dann nicht, wenn man wie die
Bundesgesundheitsministerin am Grundsatz der Beitrags-
satzstabilität festhält. Es wird sicherlich Geld für die Be-
handlung kranker Menschen fehlen. Das sind zwar Punk-
te, die wichtig sind und die angesprochen werden müssen;
aber insgesamt überwiegen für uns aus den eingangs ge-
nannten Gründen die Aspekte, die es uns ermöglichen,
dem Gesetzentwurf zuzustimmen.

Auch ich möchte den Behindertenverbänden danken.
Ich bin vor zwei Jahren in die Sozialpolitik eingestiegen.
Ich muss sagen, es hat Spaß gemacht, mit den sehr enga-
gierten Vertretern dieser Verbände zusammenzuarbeiten,
die das Wohl von Mitbürgern im Auge haben, die sicher-
lich kein einfaches Leben haben. Ich bin stolz darauf, dass
meine Fraktion bzw. wir alle heute einem Gesetzentwurf
zustimmen werden, der das Leben der behinderten Men-
schen in Deutschland ein Stück einfacher machen wird.

Danke schön.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Konrad Gilges [SPD]: Die Lehrzeit beträgt drei Jahre! Sie haben noch ein Jahr vor sich!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416500700
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Ilja Seifert, PDS-Fraktion.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1416500800
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von
der Koalition, wenn es doch der große Wurf wäre, den Sie
hier verkünden! Ich würde dann gerne zustimmen und die
ganze PDS auch.


(Zuruf von der SPD: Man entzieht sich gern der Verantwortung, nicht?)


Aber es reicht nicht aus, mit vielen betroffenen Menschen
und den Vertretern der Behindertenorganisationen zu
sprechen. Man muss auch hören, was sie sagen, und auch
tun, was sie wollen. Sie können doch nicht leugnen, dass
die Hauptaussage in der Anhörung war: Da wir leider kein
Leistungsgesetz bekommen können, diskutieren wir jetzt
über SGB IX und stimmen zu.


(Detlev von Larcher [SPD]: Was ist denn der richtige Weg?)


– Der richtige Weg wäre ein Leistungsgesetz gewesen.
Das wissen Sie auch. Alle haben ein solches Gesetz ge-
fordert. Ich füge hinzu: Eigentlich bräuchten wir auch
noch ein Barrierenbeseitigungsgesetz, das sicherstellt,
dass wenigstens in Zukunft keine neuen baulichen und
kommunikativen Barrieren mehr errichtet werden, und
das uns dabei hilft, die bestehenden Barrieren nach und
nach zu beseitigen.

Die PDS wird diesem Gesetz nicht zustimmen, son-
dern sich der Stimme enthalten, weil wir unseres Erach-
tens hier nicht in der Situation der Echternacher Spring-
prozession sind, die der Kollege Behindertenbeauftragte
gerne bemüht; vielmehr springen wir einen Schritt vor
und einen zurück, und es bleibt am Ende nichts.

Die positiven Dinge sind hier von vielen bereits ge-
nannt worden. Ich will die durchaus nicht kleinreden. Ich
freue mich auch darüber, dass sogar einige Anregungen
der PDS zumindest teilweise aufgenommen wurden, zum
Beispiel, dass jetzt wenigstens anderthalb Berichte ge-
macht werden, also einer für Reha und einer für die Teil-
habe von Menschen mit Behinderungen am Leben der
Gemeinschaft. Eines Tages werden wir auch noch zwei
bekommen, und dann wird man sehen, dass Rehabilita-
tion und Teilhabe zwei verschiedene Dinge sind.

Aber – das ist das Entscheidende – in vielen Punkten
konnten Sie sich nicht dazu durchzuringen, tatsächlich ei-
nen Paradigmenwechsel vorzunehmen. Sie haben sich
nicht einmal dazu durchringen können, den Bezug zum
Artikel 3 des Grundgesetzes in diesem Gesetz herzustel-
len. Sie haben ja nachher noch die Möglichkeit, unseren
Änderungsanträgen zuzustimmen. Leider sieht es nicht so
aus, als ob Sie es täten. Sie haben einen Behindertenbe-
griff angewandt, der in der Hauptsache defizitär angelegt
und mit Einschränkungen versehen ist, die den Menschen
mit Behinderungen eher zum Nachteil gereichen. Leider
ist das von Ihnen nicht geändert worden. Diese entschei-
denden Punkte muss man schon einmal nennen dürfen.

Auch der seit Anbeginn von allen Behindertenorgani-
sationen stark kritisierte § 3a des Bundessozialhilfegeset-
zes wird von Ihnen in keiner Weise geändert, geschweige
denn abgeschafft, wie es sich eigentlich gehört. Das muss
endlich geschehen! Wir brauchen diesen Heimeinwei-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Dr. Heinrich L. Kolb

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(A)



(B)


sungsparagraphen nicht. Er schwebt wie ein Damokles-
schwert über allen Betroffenen.


(Beifall bei der PDS)


Leider haben Sie auch den Weg verlassen, den wir im
Mai des vergangenen Jahres mit der gemeinsamen Verab-
schiedung einer Entschließung dieses Bundestages – aller
Fraktionen – eingeschlagen haben, nämlich gemeinsam
zu sagen, wie es weitergehen soll. Wenn Sie sagen wür-
den: „Das ist ein Schritt auf dem Weg; der nächste ist das
Gleichstellungsgesetz, dann folgt das Leistungsgesetz,
und dann kommt das Barrierenbeseitigungsgesetz“, dann
wäre es gut. Aber Sie haben sich nicht dazu durchringen
können, wenigstens das verbindlich festzulegen. Wir bie-
ten Ihnen dazu nachher noch einmal die Chance mit dem
Entschließungsantrag. Vielleicht können Sie sich doch
noch dazu aufraffen?

Es gibt auch ganz entscheidende Bereiche, wo nichts
verbessert oder sogar etwas verschlechtert wird. Das be-
trifft den Behindertensport, ungelöste Fragen der Versor-
gung von psychisch kranken Menschen, unbefriedigende
Lösungen für behinderte Studierende, offene Fragen bei
hörgeschädigten Menschen, restriktive Regelungen bei
der Gebärdensprache usw. usf. Kurz vor Toresschluss ha-
ben Sie sogar noch bei der Krankenhilfe – § 37 BSHG –
eine Verschlechterung herbeigeführt. Die Streichung der
Erholungshilfen steht für Verschlechterung. Anstatt Men-
schen, die diese Hilfen brauchen, besser zu stellen, haben
Sie dort eher noch Verschärfungen eingeführt. Warum
das? Das können wir uns nicht gefallen lassen.

Lassen Sie uns nicht nur den Weg der Evaluierung die-
ses Gesetzes gehen, sondern lassen Sie uns von vornhe-
rein sagen: Wir brauchen weitere Schritte, die weit über
den Ansatz dieses Gesetzes hinausgehen. Dieses Gesetz
ist ein Rehabilitationsgesetz, aber es wird die Teilhabe
von Menschen mit Behinderungen am Leben der Ge-
meinschaft nicht so entscheidend fördern, wie dies nötig
wäre und wie Sie es eigentlich selbst erklären.


(Beifall bei der PDS)


Dann haben Sie doch den Mut zu sagen: Wir sind auf ei-
nem Weg und nicht an einem Ziel. Das wäre gut, würde in
der Öffentlichkeit verstanden und wäre in keiner Weise
herabwürdigend, auch nicht im Blick auf Ihre Leistungen.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Sie können
sicher sein: Unsere kritische Begleitung dieses Gesetzes
wird die Menschen, die es betrifft, mobilisieren und uns
alle voranbringen.


(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416500900
Ich erteile Bundesmi-
nister Walter Riester das Wort.

Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da-
men und Herren! Wir entscheiden heute über einen Mei-
lenstein der Sozialpolitik. Wir entscheiden über nichts
Geringeres als über das neue Recht für viele Menschen
mit Behinderungen in unserem Lande. Es geht um ein

besseres Recht, aber vor allem geht es um ein besseres Le-
ben für diese Menschen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich erinnere daran, dass 6,6 Millionen Menschen in un-
serem Land als Schwerbehinderte anzusehen sind und
dass der Kreis der Betroffenen – man denke an die An-
gehörigen – weit über diesen Bereich hinausgeht. Wir re-
den also nicht über Randgruppen, nicht über Nebensäch-
lichkeiten, sondern über Menschen, die wir alle kennen,
und über Lebenslagen, in die wir alle kommen können.

Es ist ein zentrales Anliegen der Bundesregierung, für
Menschen mit Behinderungen das Leben einfacher und
vor allem besser zu machen. Wir haben uns darauf bereits
in der Koalitionsvereinbarung verpflichtet. Sie kennen die
ersten Schritte, die getan wurden. Ich verweise auf das
Schwerbehindertenrecht, auf unsere Kampagne, mit der
wir 50 000 behinderte Menschen in Arbeit bringen wol-
len, und auf die intensiven Anstrengungen der Bundesan-
stalt für Arbeit. Erste Erfolge stellen sich ein. Wir haben
inzwischen 13 000 Schwerbehinderte in Arbeit gebracht,
und wir haben die Vermittlungsquote erheblich, nämlich
um fast 30 Prozent, angehoben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das sind erste und sehr wichtige Schritte. Nicht nur im
Hinblick auf das Arbeitsleben brauchen wir aber umfas-
sende und weit reichende systematische Lösungen für die
Probleme von Menschen mit Behinderungen. Wir brau-
chen Antworten auf die Fragen, die sich im Alltag, in der
Familie oder in der Reha stellen. Es geht um die gleich-
berechtigte Teilhabe in der Gesellschaft und um die
Umsetzung des Benachteiligungsverbots des Grund-
gesetzes.

Sie alle wissen, wie schwer das Schicksal jemanden
treffen kann, wenn er eine Behinderung erleiden und
obendrein noch feststellen muss, dass die Gesellschaft da-
mit nicht immer sehr menschlich umgeht. Viele können
ein trauriges Lied von endlosen Wartezeiten – manch ei-
ner musste von Pontius zu Pilatus laufen – und vom
unsäglichen Dschungel des Behindertenrechts singen.
Leider gibt es auch immer wieder Klagen über die Will-
kür des Amtsschimmels, über Kompetenzstreitigkeiten,
die zulasten von behinderten Menschen und ihren An-
gehörigen ausgetragen wurden, über die schweren Lasten
für die betroffenen Familien oder über die schmerzhaften
Erfahrungen, nicht wie ein gleichberechtigter Mensch be-
handelt zu werden. Die Vielzahl der Probleme ist Legion.
Ich brauche sie hier nicht im Einzelnen vorzustellen. Ich
bin sicher, dass mir niemand widersprechen wird, wenn
ich sage, dass diese Missstände überwunden werden müs-
sen, damit unsere Gesellschaft und unsere Arbeitswelt im
Ganzen menschlicher werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Schon am 19. Mai des vorigen Jahres wurde im Plenum
des Bundestages ein entsprechender Entschließungsan-
trag einstimmig angenommen. Der Bundestag hat über

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Dr. Ilja Seifert

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alle Parteigrenzen hinweg beschlossen, dass die Integra-
tion von Menschen mit Behinderungen eine zentrale, eine
dringliche politische und gesellschaftliche Aufgabe ist.
Damals haben Sie, meine sehr verehrten Damen und Her-
ren, uns, die Bundesregierung, aufgefordert, das Recht
der Reha möglichst umgehend in einem neuen Sozialge-
setzbuch zusammenzufassen und weiterzuentwickeln.
Wir haben dies mit einem politischen Selbstverständnis
gemacht, das von einem engen Austausch und von einer
engen Zusammenarbeit mit allen Beteiligten geprägt ist.

Ich nenne die Organisationen der behinderten Men-
schen, die Sozialversicherungsträger, die Wohlfahrtsver-
bände, die Vertreter der Länder und Kommunen sowie die
vielen anderen, die mitberaten und mitgearbeitet haben.
In zahlreichen Abstimmungsrunden wurden offene Fra-
gen geklärt, Meinungsverschiedenheiten beigelegt, Vor-
schläge besprochen und – soweit möglich – berücksich-
tigt. Für die gute Zusammenarbeit möchte ich mich bei
allen in diesem Saale und draußen im Lande bedanken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich freue mich aber auch über die gute parteiübergrei-
fende Zusammenarbeit gerade in der Schlussphase zwi-
schen den Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Es
wurde auf Profilierung und in vielen Punkten auch auf Po-
larisierung verzichtet. Ich bin überzeugt: Die Menschen
draußen im Lande würden diesen Politikstil in sehr vielen
Punkten gerne häufiger sehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ihnen liegt heute der Entwurf für das neue Sozialge-
setzbuch IX zur Abstimmung vor. Bevor der Gesetzent-
wurf in seiner endgültigen Fassung vorlag, konnten wir
schon viel Positives darüber hören. Beispielsweise wurde
gesagt: Behinderte Menschen werden künftig nicht mehr
nur Gegenstand der Fürsorge sein. Sie werden befähigt,
ihr Leben und ihre Teilhabe in der Gesellschaft selbst-
ständig und gleichberechtigt in die Hand zu nehmen. – So
ließe sich das zusammenfassen, was die Menschen vom
neuen Sozialgesetzbuch zu erwarten haben. Ich meine,
diese Einschätzung ist richtig.

Ich will dies mit einigen Beispielen belegen: Wir er-
weitern die Wunsch- und Wahlrechte der Menschen;
denn in der Regel wissen diese Menschen besser, was sie
selbst notwendig brauchen. Deshalb können sie etwa
Geldleistungen wählen, falls Sachleistungen nicht zwin-
gend erforderlich sind. Wir berücksichtigen die Bedürf-
nisse von Frauen und Kindern auf vielfältige Weise.
Wir geben wohnortnahen, ambulanten Leistungen den
Vorrang. Wir erstatten Reisekosten für Kinder und er-
möglichen passgenaue Leistungsangebote etwa bei der
Teilzeitarbeit. Besonders behinderte Frauen und Kinder
profitieren von den rund 60 Leistungsverbesserungen.
Frauen sollen nicht mehr doppelt benachteiligt sein – als
Frau und Behinderte.

Wir stellen behinderte Menschen aber auch finanziell
besser. So verbessern wir die Entlohnung für die Be-
schäftigten in den Werkstätten für behinderte Menschen,
und wir verzichten auf die Einkommens- und Vermö-

gensüberprüfung unterhaltspflichtiger Eltern von erwach-
senen behinderten Kindern, wenn sie für die Kosten einer
vollstationären Unterbringung einen gewissen Beitrag
aufbringen müssen. Wir machen den Zugang zu den Leis-
tungen, mit denen behindertenbedingte Benachteiligun-
gen vermieden, ausgeglichen oder überwunden werden,
schneller und vor allem weniger bürokratisch. Wir führen
dafür wohnortnahe Servicestellen ein. Lange Wartezeiten
und mühsame Behördengänge sollen endlich der Vergan-
genheit angehören.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden dem Benachteiligungsverbot des Grund-
gesetzes gerecht. Dafür verzichten wir auf die Bedürftig-
keitsprüfung, um bisherige Formen der Ungleichbehand-
lung von behinderten Menschen abzuschaffen. Wir
werden dem gewandelten Selbstverständnis von behin-
derten Menschen besser gerecht. Deshalb nehmen wir
Rücksicht auf die persönliche Lebenssituation von Fami-
lien und auch auf Religion und Weltanschauung. Wir
schaffen das Recht auf Verwendung der Gebärdensprache
im Verfahren vor Sozialverwaltungen und bei der Aus-
führung von Sozialleistungen.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Sie erkennen die Gebärdensprache nicht an!)


Dies sind nur einige der wichtigsten Neuerungen.
Doch sie zeigen deutlich, wie weit die Reform reicht. Das
Sozialgesetzbuch IX reformiert die Behindertenpolitik in
unserem Lande von Grund auf. Wir erhalten eine neue und
einheitliche Grundlage für die Praxis. Damit versetzen
wir behinderte Menschen in die Lage, ihre eigenen Be-
lange so weit wie möglich selbst und in Eigenverant-
wortung zu bestimmen. Wir verbessern das Leistungsan-
gebot so, dass es zeitgemäß und sozialer wird.

Es liegt nun an den Leistungsträgern, die neuen Mög-
lichkeiten so zu nutzen und sie mit Leben zu erfüllen, dass
die gesteckten Ziele und Erwartungen erfüllt werden. Ich
wünsche mir, dass alle Beteiligten die notwendigen An-
strengungen unternehmen. Unser gemeinsames Ziel muss
es sein, die Dienstleistung zu den Menschen zu bringen
und den Dienstleistungen sozusagen ein konkretes Ge-
sicht zu geben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bin überzeugt, es wird uns gelingen.

Ich freue mich, dass wir uns im Plenum des Bundesta-
ges und in seinen Ausschüssen über Inhalte und Ziele die-
ses Gesetzes so sachlich und so kooperativ verständigen
konnten. Wir sind aufeinander zugegangen und haben uns
in fast allen Fragen einigen können. Dafür bedanke ich
mich.

Das Tor ist nun weit offen, die Behindertenpolitik jetzt
gemeinsam auf eine neue und gesicherte Grundlage zu
stellen. Damit können wir unserem Land ein menschli-
cheres Gesicht geben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Bundesminister Walter Riester

16122


(C)



(D)



(A)



(B)


Das ist wichtig; denn vor allem die Menschen mit Behin-
derungen erwarten, dass wir diese Chance ergreifen.

Ich hoffe auf Ihre Zustimmung und möchte mich dafür
recht herzlich bedanken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416501000
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Matthäus Strebl, CDU/CSU-Fraktion.


Matthäus Strebl (CSU):
Rede ID: ID1416501100
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Der heute vorliegende
Gesetzentwurf ist ein erster Schritt in die richtige Rich-
tung. Er könnte zwar größer sein, doch entscheidend ist,
dass es für die betroffenen Menschen vorangeht. 6,6 Mil-
lionen Menschen in Deutschland sind Schwerbehinderte;
das sind 8,1 Prozent der Gesamtbevölkerung. Verglichen
mit nichts ist das, was Sie heute vorlegen, immer noch
besser als gar nichts. Deshalb bestehen wir zwar auf qua-
litativen Änderungen, werden dem Gesetz aber zustim-
men, denn zumindest die grobe Richtung stimmt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben uns 1994 gemeinsam verpflichtet, die Lage
der Behinderten nachhaltig zu verbessern und statt Für-
sorge mehr Selbstbestimmung anzustreben. Die alte Bun-
desregierung hatte nach der Grundgesetzänderung in
Art. 3 im Jahre 1994 gesetzliche Schritte angestrebt. Mit
der Pflegeversicherung ist uns ein wichtiger Baustein ge-
lungen.

Bei allen Wünschen, die wir seitens der CDU/CSU für
das SGB IX noch haben: Blockieren werden wir nicht.
Wir sagen, was wir für falsch und was wir für korrektur-
bedürftig halten, werden aber grünes Licht geben.


(Erika Lotz [SPD]: Sagen Sie mal, was Sie nicht gemacht haben!)


Die Behinderten, ihre Angehörigen und die vielen Ehren-
und Hauptamtlichen bei den Verbänden und Einrichtun-
gen brauchen Perspektiven. Deshalb ist es gut, dass die
SPD beim SGB IX noch in den letzten Stunden, wie heute
schon angeschnitten worden ist, Verbesserungen, die von
der Union vorgeschlagen wurden, ermöglicht hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dies gilt vor allem für den Regressverzicht bei Familien
mit Behinderten und das gilt für eine weniger bürokrati-
sche Überprüfung der Leistungsbedürftigkeit durch den
Medizinischen Dienst. Die betroffenen Menschen und
ihre Angehörigen haben dies mehr als verdient.

Fast 30 Millionen Menschen, Betroffene mit ihren An-
gehörigen und die ehren- und hauptamtlich im Behinder-
tenbereich tätigen Menschen, erwarten heute ein klares
Signal für mehr Integration und mehr Selbstbestimmung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Diese Menschen werden wir nicht enttäuschen. Denn die
Entwicklung unserer Bevölkerung zeigt, dass diese Inte-
grationsaufgabe wachsen wird.

Mit der Pflegeversicherung hat noch die unionsge-
führte Bundesregierung – darauf möchte ich hinweisen –
hierauf eine Antwort gegeben, an der wir weiterbauen
wollten. Nun, da Sie regieren, testen Sie die finanzielle
Belastbarkeit der 44 Pflegekassen.

Ich bin überaus dankbar für das aktuelle Urteil des
Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe zur Familien-
komponente in der Pflegeversicherung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dieses Urteil geht weit über den Beurteilungstatbestand
hinaus.


(Claudia Nolte [CDU/CSU]: So ist es!)


Es fordert im Kern eine Reform aller Sozialversiche-
rungsbereiche, beispielsweise auch der Rentenversiche-
rung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zwei weitere Urteile stehen noch aus: ein Urteil zur
Rentenbesteuerung und ein Urteil über die letztjährige
Willküranpassung bei der gesetzlichen Rentenversiche-
rung.

Beim SGB IX wünschen wir uns auch in Zukunft mehr
Handeln, eine bessere Finanzierung durch ein Leistungs-
gesetz des Bundes und weniger Bürokratie.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ein bundeseinheitliches Leistungsgesetz, mit dem die
etwa 500 Millionen DM Regressleistungen über die So-
zialhilfe aufgefangen würden, wäre hier die adäquate Lö-
sung gewesen. Es hätte wesentlich zur Vereinfachung, zu
mehr Effizienz und zu weniger Bürokratie geführt. Wir
hätten für einen solchen mutigen Schritt – vergleichbar
mit Blüms Pflegeversicherung – heute im Deutschen
Bundestag eine parteiübergreifende Mehrheit gefunden.

Etwa 15 Milliarden DM werden derzeit alljährlich für
die Eingliederung behinderter Menschen gezahlt. Auf die
Regressleistungen der Sozialhilfeträger in Höhe von etwa
500 Millionen DM zu verzichten würde etwa 3 Prozent
der ohnehin schon mobilisierten Gelder ausmachen.

Mehr Mut wünschten wir uns auch bei der Bereitstel-
lung eines persönlichen Budgets. Für die Menschen, die
dieses in Anspruch nehmen könnten, wäre dies ein echter
qualitativer Quantensprung. Ich betone: Wir von der
CDU/CSU sagen Ja zu mehr Selbstverantwortung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Unsere Pflegeversicherung zeigt, dass der Weg, aus
Leistungsempfängern Hilfe einkaufende Kunden zu ma-
chen, aus menschlicher und ökonomischer Sicht richtig
ist. Gerade hierdurch haben wir die familiären Kräfte ge-
stärkt und das Prinzip, häusliche geht stationärer Pflege
vor, erfolgreich umgesetzt. Ich stelle fest, dass das SGB
IX von der Pflegeversicherung lernen kann. Wer durch die
Einführung persönlicher Budgets mehr Selbstbestim-
mung erreichen will, darf sich nicht in zaghaften kleinen
Modellversuchen verlieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Bundesminister Walter Riester

16123


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir sollten uns in den kommenden Monaten und Jah-
ren darauf verständigen, dass in überschaubarer Zeit,
nicht irgendwann, sondern spätestens in drei Jahren, klare
Ergebnisse erarbeitet werden, mit denen wir politisch
weiterarbeiten können. Rehabilitation und Teilhabe be-
hinderter Menschen sind nämlich Ausdruck einer huma-
nen Gesellschaft.

Eine Bemerkung zum Schluss: Warum soll das, was in
den skandinavischen Ländern erfolgreich erprobt wurde,
nicht auch in Deutschland funktionieren? Wir wünschen
uns, dass das Leben von Behinderten und ihren Ange-
hörigen durch mehr Mut, mehr Selbstbestimmung und
mehr Tatkraft gekennzeichnet ist.

Auch wenn wir dem Gesetzentwurf heute zustimmen,
bleiben wir am Ball. Beim SGB IX gilt das Gleiche, was
für die Renten- und die Steuerreform dieser Bundesregie-
rung gilt: Die Reform nach der Reform ist absehbar.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416501200
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Karl-Hermann Haack, Behindertenbeauf-
tragter der Bundesregierung.

Karl-Hermann Haack, Beauftragter der Bundesregie-
rung für die Belange der Behinderten: Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute ist zu
diesem Thema Feldgottesdienst angesagt – nachdem wir
uns die letzten Male dazu kräftig auseinander gesetzt ha-
ben. Wir wollen also die Orgel gemeinsam spielen.

Dennoch möchte ich mir zwei Bemerkungen erlauben:
Herr Strebl, wenn Sie dankbar für das jüngste Verfas-
sungsgerichtsurteil zur Pflegeversicherung sind, dann sind
Sie dankbar dafür, dass das Bundesverfassungsgericht ein
Gesetz korrigiert hat, welches Sie verabschiedet haben.
Das möchte ich hier einmal öffentlich feststellen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der F.D.P.: Ihr auch!)


– Das war Ihr Gesetz.

(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Ich kann mich erinnern, dass Herr Haack dem Gesetz auch zugestimmt hat! –Heinz Schemken [CDU/ CSU]: Keine Beschimpfungen, Hermann!)


– Gleich wird es moderater.
Als Zweites möchte ich generell etwas zu der Debatte

sagen: Seit 18 Jahren wird um ein SGB IX gerungen. Bis
zum heutigen Tage war das Glas leer. Ich freue mich da-
rüber, dass das Glas jetzt halb voll ist und ich es in einem
Zug genüsslich austrinken kann.


(Beifall bei der SPD)

Ich möchte mich für die konstruktive Zusammenarbeit

in den letzten Beratungsrunden bei allen – auch bei den
Damen und Herren der CDU/CSU- und der F.D.P.-Frak-
tion – bedanken. Ich hätte mich gefreut, wenn die PDS-
Fraktion ebenfalls zugestimmt hätte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Claudia Nolte [CDU/CSU]: So sind wir!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, richtig ist,
dass diese rot-grüne Koalition das Verfassungsverspre-
chen einlöst, welches die damalige Regierung gegeben
und 1994 in das Grundgesetz hineingeschrieben hat – Sie
wissen, dass die Einführung dieses Verfassungsgrund-
satzes seinerzeit von allen Vertretern des Hauses be-
schlossen worden ist –, dass nämlich Menschen mit Be-
hinderungen nicht benachteiligt werden dürfen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


In der Zwischenzeit mussten wir uns mit dem Problem
auseinander setzen, dass uns die betroffenen Organisatio-
nen diesen Satz immer wieder vorgehalten haben: Men-
schen mit Behinderungen dürfen nicht benachteiligt wer-
den, ihnen muss es möglich werden, ein selbstbestimmtes
Leben zu führen. Wir lösen, wenn dieses Gesetz zum
1. Juli dieses Jahres in Kraft tritt, dieses Versprechen ein.
Darin, dass sie nun nicht länger nur Objekt der Fürsorge
sind, liegt der Paradigmenwechsel zur bisherigen – ge-
meinsam getragenen – Politik zu Lebensentwürfen von
Menschen mit Behinderungen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Begriff der Zivilgesellschaft meint, dass in ihrem
Kernbereich Teilhabe und für Menschen mit Behinderun-
gen selbstbestimmtes Leben ermöglicht werden sollen.
Der Grundsatz gilt also auch für Menschen mit Behinde-
rungen, dass wir von der Möglichkeit gesellschaftlicher
Teilhabe ausgehen – das ist ein Projekt modernen Regie-
rens.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Oh, oh, oh!)


Ich nenne drei Kernelemente, an denen ich dies klar-
machen möchte. Das erste ist das Instrumentarium zur In-
tegration von Menschen mit Behinderungen in die Ar-
beitswelt, in den ersten Arbeitsmarkt; das zweite ist,
Selbstbestimmung durch die Eröffnung von Wunsch- und
Wahlleistungen zu ermöglichen; das dritte ist der Abbau
bürokratischer Hemmnisse bei der Erlangung von Instru-
menten sozialer Teilhabe in unserem sozialen Siche-
rungssystem.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Integration in den ersten Arbeitsmarkt bedeutet für
uns, über Integrationsberatung, über die Verankerung ei-
nes Rechtsanspruches auf Arbeitsassistenz – zum Beispiel
Gebärdendolmetscher, Vorlesekraft oder Arbeitsassistenz
für Querschnittsgelähmte – allen Menschen die Möglich-
keit zu geben, nach Beratung in den ersten Arbeitsmarkt
zu kommen. Der Bundesarbeitsminister hat eine vorläu-
fige Bilanz gezogen: Bis zum Ende des Jahres 2000 sind
rund 13 000 Menschen auf diese Art in Arbeit gekommen.
Es werden mehr werden. Ich bin optimistisch: Wir werden
die Zielmarke 50 000 erreichen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Soweit zum ersten Kernelement.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Matthäus Strebl

16124


(C)



(D)



(A)



(B)


Das zweite Kernelement sind die Wunsch- und Wahl-
leistungen. Bisher hatte der Mensch mit Behinderungen,
wenn er denn einen Antrag auf Leistungen der sozialen Si-
cherungssysteme stellte, sich in seiner Bedürftigkeit mehr
oder weniger zu inszenieren – ein unwürdiger Zustand.
Wir machen nun damit Schluss, indem wir ermöglichen,
dass neben der Sachleistung auch eine Geldleistung ge-
währt werden kann. Das heißt, ein Mensch mit Behinde-
rung kann in bestimmten Bereichen zukünftig seinen
Hilfsbedarf selber organisieren. Ich meine, hiermit stär-
ken wir ein liberales Element im Grundsatz der gesell-
schaftlichen Teilhabe. Die Behinderten werden an dem
Punkt künftig selber entscheiden können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich will auch darauf hinweisen, dass es auch das so ge-
nannte Einweisungsverfahren nicht mehr gibt. In der Ver-
gangenheit konnte ein Mensch mit Behinderungen durch
einen bürokratischen Akt in eine stationäre Einrichtung
eingewiesen werden. Jetzt ist das geändert worden, sodass
auch an dieser Stelle im Rahmen wirtschaftlicher Be-
gründbarkeit eine Wahlmöglichkeit besteht.


(Beifall bei der SPD)


Ein weiterer Punkt: Wir haben einen Riegel vorge-
schoben, sodass es den Landesfinanzministern nicht mehr
möglich ist, sich auf Kosten der Pflegeversicherung – zu-
gunsten der Eingliederungshilfe – zu entlasten. Es ist also
nicht mehr möglich, dass ältere Menschen mit Behinde-
rungen, die in stationären Reha-Einrichtungen leben, ge-
wissermaßen in Pflegefälle umgetauft werden, aus ihrer
Lebensumwelt herausgenommen und in Pflegeeinrich-
tungen untergebracht werden. Hier ist eine einvernehmli-
che Regelung mit den Ländern gefunden worden. Ich be-
grüße das außerordentlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zu dem dritten Punkt, dem Abbau bürokratischer
Hemmnisse, möchte ich uns in Erinnerung rufen, dass
diese Bundesregierung den Umbau des Sozialstaates
nicht ausschließlich als Neuorganisation der finanziellen
Grundlagen begreift. Vielmehr beinhaltet dieser Umbau
des Sozialstaates ein weiteres Kernelement, nämlich den
Abbau bürokratischer Hemmnisse beim Zugang zu Leis-
tungen unseres Sozialstaates zu ermöglichen. Der Kraft-
akt, den wir jetzt hier, im Sozialgesetzbuch IX, vollzie-
hen, nämlich die Beratungssysteme von sieben sozialen
Sicherungssystemen nach dem Grundsatz „Die Dienstleis-
tung folgt dem Menschen und nicht der Mensch der
Dienstleistung!“ neu zu organisieren, bedeutet einen Pa-
radigmenwechsel in der Selbstverwaltung der sozialen Si-
cherungssysteme. An diesem Punkt will ich Dank sagen:
Nach anfänglichem Zögern und Widerständen ist nun si-
chergestellt, dass zum 1. Juli die gemeinsamen Auskunfts-
und Beratungsstellen nach diesem genannten Grundsatz
organisiert werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das bedeutet: Die Dienstleistung wird zukünftig orts-
nah sein, nämlich auf Landkreisebene geregelt. Sie wird

zeitnah sein: Maximal nach sieben Wochen muss ent-
schieden werden; bisher dauerte die Entscheidung im
Durchschnitt 48 Wochen. Danach hat der Petent das
Recht, sich seinen Hilfsbedarf selber zu besorgen. Und:
Einmal entschieden, ist immer entschieden. Wenn ich also
von einem System in ein anderes übergeleitet werde, wird
meine gesamte Biografie nicht noch einmal von Sachver-
ständigen neu durchgearbeitet.

Das sind die drei Kernelemente unseres Entwurfs, auf
die wir als Bauelemente gesellschaftlicher Teilhabe Wert
legen.

Ich möchte Ausblick geben, meine sehr verehrten Da-
men und Herren: Wir werden Evaluation einführen, ein
Novum in der Sozialpolitik, und beobachten, wie sich die-
ses Gesetz bis 2004 entwickelt. Externe Experten werden
uns dabei helfen, Berichte zu schreiben, Vorschläge zu
machen und Kritik zu üben, aber auch Gutes zu benennen.

Des Weiteren werden wir noch in dieser Legislaturpe-
riode ein Gleichstellungsgesetz verabschieden. Eine Pro-
jektgruppe hat sich gebildet, eine Koalitionsarbeitsgruppe
hat ihre Arbeit bereits aufgenommen. Ich lade Sie alle ge-
meinsam noch einmal ein, mit uns dieses Gleichstel-
lungsgesetz zu erarbeiten. Ich habe die Hoffnung, dass der
Paradigmenwechsel gelingt, der darin besteht, Menschen
mit Behinderungen nicht als Objekte von Fürsorge zu de-
finieren, sondern ihnen gesellschaftliche Teilhabe zu er-
möglichen, damit wir diesen großen Felsbrocken auf dem
Lebensweg von Menschen mit Behinderungen gemein-
sam mit den Betroffenen zur Seite schieben.

Ich darf mich noch einmal bei Ihnen allen, bei den Ver-
bänden, auch bei meinen Kritikern recht herzlich bedan-
ken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416501300
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie
über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf
eines Sozialgesetzbuches – Neuntes Buch – Rehabilita-
tion und Teilhabe behinderter Menschen, Drucksa-
chen 14/5074, 14/5531 und 14/5786. Der Ausschuss für
Arbeit und Sozialordnung empfiehlt die Annahme der zu-
sammengeführten Gesetzentwürfe in der Ausschussfas-
sung.

Zum Gesetzentwurf liegen fünf Änderungsanträge der
Fraktion der PDS vor, über die wir zuerst abstimmen.

Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 14/5826? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS ab-
gelehnt.

Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 14/5827? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Änderungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenver-
hältnis abgelehnt.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Beauftragter der Bundesregierung Karl-Hermann Haack

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(C)



(D)



(A)



(B)


Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 14/5828? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Änderungsantrag ist wiederum mit dem gleichen
Stimmenverhältnis abgelehnt.

Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 14/5829? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Änderungsantrag ist wiederum mit dem gleichen
Stimmenverhältnis abgelehnt.

Schließlich: Wer stimmt für den Änderungsantrag auf
Drucksache 14/5830? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Änderungsantrag ist mit dem gleichen
Stimmenverhältnis abgelehnt.

Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung mit der vorhin von der Berichterstatte-
rin vorgetragenen Berichtigung zustimmen wollen um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Stimmenthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die
Grünen und F.D.P. bei Stimmenthaltung der PDS ange-
nommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Hierzu liegt mir eine Erklärung
zur Abstimmung des Kollegen Dr. Ilja Seifert vor.1) – Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Stimment-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von
SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. bei
Stimmenthaltung der PDS angenommen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Wir kommen zu den Entschließungsanträgen. Wer
stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/5804? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit
den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen
die Stimmen von CDU/CSU bei Enthaltung von F.D.P.
und PDS abgelehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der PDS auf Drucksache 14/5823? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist ge-
gen die Stimmen der PDS abgelehnt.

Damit kommen wir zum Tagesordnungspunkt 15 a und
15 b:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
Sofortmaßnahmen zur Verbesserung des Ver-
braucherschutzes und zur Unterstützung der
landwirtschaftlichen Betriebe erforderlich
– Drucksachen 14/5544, 14/5722 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Matthias Weisheit

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich
Heinrich, Marita Sehn, Gudrun Kopp, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Hungernden Menschen in Nordkorea BSE-ne-
gativ getestetes Rindfleisch liefern und nicht
vernichten
– Drucksache 14/5479 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen.

Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Klaus Lippold, CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1416501400
Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! So
viel öffentliche Aufmerksamkeit für den Verbraucher-
schutz und für die Agrarpolitik wie in diesen Tagen hat es
wohl selten gegeben. Es gab aber auch noch nie so viele
traurige Anlässe dafür.

Bevor ich darauf näher eingehe, möchte ich eines in
den Mittelpunkt des Interesses rücken, meine Damen und
Herren von der Regierungskoalition: Was bei Ihrer Ver-
braucherschutz- und Landwirtschaftspolitik zunehmend
in Vergessenheit gerät, sind die Verbraucher und die Land-
wirte selbst: die Verbraucher, die nicht mehr wissen, was
sie guten Gewissens und ohne Angst essen können, und
die Landwirte mit ihren Familien, die wegen BSE- und
MKS-Krise um ihre Existenz fürchten müssen – ganz zu
schweigen von denjenigen Bauern, die hilflos zusehen
müssen, wie ihre Herden gekeult werden, die ohne wirk-
same Hilfe bleiben und die in immer größerer Zahl vor der
Vernichtung ihrer Existenz stehen.

Ihre Unfähigkeit zu handeln bzw. Ihr fehlender Wille,
aber auch das fehlende Durchsetzungsvermögen im zu-
ständigen Ressort bzw. der zuständigen Ministerin sind
für die Menschen ein Skandal. Das grenzt beinahe an un-
terlassene Hilfeleistung.

Ich will daran erinnern, was alles zum Verbraucher-
schutz und zu anderen landwirtschaftspolitischen Fra-
gestellungen in den Raum gestellt worden ist: Frau
Künast, was ist aus dem magischen Sechseck in Ihrer An-
trittsrede als Ministerin geworden,


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ja!)


was aus dem burschikosen „Hoppla, jetzt komme ich und
mache alles besser“, der angekündigten Agrarwende und
dem allumfassenden vorsorgenden Verbraucherschutz?

Wer Politik als Zickzackkurs zwischen den Zwängen
der Tagespolitik versteht, dem geht schnell die konzeptio-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Präsident Wolfgang Thierse

16126


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 2

nelle Luft aus. Wer darüber hinaus in Brüssel so oft wie
Sie gegen die Wand rennt, der kann sich logischerweise
kaum mehr bewegen, was Sie durch Ihr Statement in Sa-
chen Maul- und Klauenseucheimpfung selbst bestätigt
haben. Sie sagten dazu: Alleingänge wird es von mir nicht
geben. – Für mich ist das ein ganz klarer Fall von Domes-
tizierung.

Ich will aber auch sagen, Frau Ministerin Künast: An
diesem Punkt wird deutlich, dass Sie Ihre Haltung vorher
nicht gründlich durchdacht haben, sondern sie permanent
ändern. Sie haben in der Frage der Impfungen mit Frau
Höhn einen Streit vom Zaun gebrochen; ich werde darauf
noch zurückkommen. Wenn ich es heute der Presse rich-
tig entnehme, sind Sie – wie auch in anderen Fragen – da-
bei, einzulenken und einen anderen Kurs einzuschlagen.
Warum denken Sie nicht erst nach, entscheiden dann und
kommen anschließend zu einem vernünftigen Weg, an-
statt solche Auftritte von beiden Seiten zu veranstalten?


(Beifall bei der CDU/CSU)


Frau Künast, Sie waren bei Herrn Gauck in der Talk-
show und wurden gefragt, was denn der Ausweg aus der
BSE-Krise sei. Ihre Antwort war: Die Verbraucher müs-
sen qualitätsbewusster kaufen. – Ich übersetze das in mein
einfaches Deutsch: Die Verbraucher sind an der BSE-
Krise selber schuld.

Dieser Zynismus, den Sie nicht müde werden zu ver-
breiten, ist unerträglich. Es gibt Menschen in unserem
Land, die nicht so gut wie Sie verdienen. Diese müssen
auf den Pfennig achten. Natürlich kaufen sie, was günstig
ist. Sie können diese Menschen doch nicht zu Schuldigen
machen, nach dem Motto: Wäret ihr nicht so geizig, gäbe
es kein BSE. Nein, Frau Künast, Pflicht und Schuldigkeit
Ihrer Politik muss es sein, dass Qualität, Qualität und nur
Qualität in die Fleischtheke kommt, selbst wenn es sich
um Sonderangebote handelt. Auch hier genießt der Ver-
braucher Vertrauensschutz.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Frau Ministerin, ich glaube fast, dass Sie die MKS-
Krise im Moment schon deshalb innerlich begrüßen, weil
sie von der BSE-Krise und ihrer Lösung ablenkt. Ich
glaube, das kann man so nicht belassen. Denn Sie haben
in dieser Frage auf den verschiedensten Ebenen immer
nur angekündigt – wieder und wieder!

Sie haben angekündigt, auf EU-Ebene ein unbefriste-
tes Verbot der Verfütterung von Tiermehlen und Tier-
fetten durchzusetzen – nicht geschehen! –,


(Widerspruch bei der SPD)


das Verbot der derzeit noch legalen antibiotischen Futter-
zusatzstoffe sowie von Hormonen voranzutreiben – nicht
realisiert! –, EU-Subventionen für Lebendtransporte zu
streichen, die EU-Tiertransportrichtlinie zu überarbeiten,
kürzere Transportzeiten durchzusetzen – Dringlichkeits-
antrag auf Ihrem Parteitag; bisher nichts geschehen.

Sie haben darüber hinaus einen Zickzackkurs in der
Frage der Bewältigung der BSE-Krise gefahren: Sie ha-
ben sich für den Einsatz einer Arbeitsgruppe von Fach-
leuten zur Erarbeitung von Reformvorschlägen für die

Agrarwende eingesetzt, jedoch davon Abstand genom-
men, als Sie im Agrarministerrat keine Mehrheit gewin-
nen konnten. Sie haben sich in Brüssel gegen den Sieben-
punkteplan von EU-Kommissar Fischler, insbesondere
gegen das zweite Schlachtprogramm, zur Wehr gesetzt,
dann aber auf dessen schnelle Umsetzung gedrängt.
Gleichzeitig haben Sie durch Ihre Blockadepolitik die
schnelle Umsetzung des ersten Ankaufprogramms ver-
hindert, das nunmehr zusätzlich durch das Auftreten der
Maul- und Klauenseuche-Krise gehemmt wird. Sie woll-
ten sich für die europaweite Umstellung des Prämiensys-
tems auf die Weideflächen einsetzen. Was ist daraus ge-
worden?


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mann! Sie ist nicht mal 100 Tage im Amt!)


Auch auf der nationalen Ebene haben Sie Ihre Ver-
sprechen bislang nicht gehalten. Die Liste der angekün-
digten und nicht realisierten Maßnahmen ist lang. Frau
Künast, Sie haben sich bislang im Wesentlichen auf
Absichtserklärungen beschränkt. Sie haben sich zu Be-
ginn Ihrer Amtszeit mit starken Worten als die Retterin der
Verbraucher vorgestellt, als jemand, der die Probleme der
Verbraucher in die Hand nimmt und sowohl für eine kurz-
fristige Lösung der BSE-Krise als auch langfristig für eine
umfassende Gestaltung von Verbraucherschutz nicht nur
im Lebensmittelbereich sorgt. Das alles ist nicht gesche-
hen.

Frau Ministerin, insbesondere in der Frage der
flächendeckenden Impfung streiten Sie sich derzeit mit
Frau Höhn. Sie waren zunächst gegen flächendeckende
Impfungen und beginnen jetzt darüber nachzudenken, ob
Sie sich nicht auf europäischer Ebene dafür einsetzen.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tut sie schon lange – wenn Ihnen das entgangen ist!)


In der Öffentlichkeit wird dies als Machtkampf zwischen
zwei Frauen interpretiert. Ich sage ganz deutlich: Frau
Künast, es ist keine Zeit für Machtkämpfe. Es geht um die
Lösung von Fragen. Statt Frau Höhn Panikmache vorzu-
werfen und sich heute mit ihr zu einem innergrünen Gip-
fel zu treffen, hätten Sie besser im Vorhinein einen ver-
nünftigen Weg miteinander abgesprochen. Jetzt gehen Sie
im Grunde denselben Weg.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich unterstreiche noch einmal ganz deutlich, dass wir die-
sen Weg gehen müssen.


(Matthias Weisheit [SPD]: Welchen?)


Dass meine Kritik gerechtfertigt ist, zeigen auch die
folgenden Zitate. Ich zitiere aus der „taz“:

Renate Künast hat ihr neues Amt als Verbraucher-
schutz- und Landwirtschaftsministerin mit viel Elan an-
getreten und auch schon einige starke und schöne Reden
gehalten, Visionen entwickelt und Veränderungen gefor-
dert. Sonst ist in ihrem Ressort allerdings noch nicht viel
passiert.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)


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(C)



(D)



(A)



(B)


Ich zitiere das „Handelsblatt“:

Renate Künast hat in Brüssel den Glanz, den sie in
den ersten Tage nach ihrem Amtsantritt auf dem
Höhepunkt der BSE-Krise in Deutschland gewonnen
hatte, wieder verloren. Mit forschen Sprüchen ist auf
dem glatten EU-Parkett keine gemeinsame Agrarpo-
litik zu machen.

So lassen sich die Zitate fortführen. In der „FAZ“ steht:

Die Neue ist acht Wochen im Amt, die Schonzeit geht
langsam zu Ende. Grüne riefen entsetzt im Büro
Künast an, als die Ministerin mit leeren Händen von
der letzten EU-Agrarministerrunde aus Brüssel
zurückkam. „Künast in Brüssel gescheitert“, titelten
die Blätter.

Weiter heißt es in der „FAZ“:

Ihr Widerstand in Brüssel wurde nur belächelt. Sie
gab ihn auf.

Die „taz“ zitiert aus ihrem eigenen Hause:

Außer neuer Lyrik im Verbraucherschutz tut sich
nicht viel.

Das sollen ihre eigenen Mitarbeiter gesagt haben.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416501500
Kollege Lippold, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hustedt?


Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1416501600

Nein, ich möchte meine Gedanken im Zusammenhang
darstellen.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er traut sich nicht!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muss hier
auch noch das Stichwort „Tierethik“ ansprechen. Frau
Künast, Sie haben sich nicht für die sinnvolle Kohorten-
keulung eingesetzt. Was bleibt, ist die unnötige und sinn-
lose Tötung ganzer Herden. Wie wollen Sie das mit den
ethischen Grundsätzen vereinbaren, die Sie stets propa-
gieren?

Auch zeichnet sich bislang keine mittel- und langfris-
tige Verbesserung des Verbraucherschutzes im Ernäh-
rungsbereich ab. Es ist dringend erforderlich, die BSE-
Forschung auch im Hinblick auf andere Schlachttiere vo-
ranzutreiben. Die Entwicklung von BSE-Tests am leben-
den Tier muss vorangebracht werden. Es muss ein
EU-weites BSE- und Scrapie-Überwachungsprogramm
für Schafe und Ziegen eingeführt werden. Ich könnte
diese Reihe beliebig fortsetzen; überall muss noch etwas
getan werden, aber überall sehen wir dafür noch keine
vernünftigen Ansätze.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Union
hat, weil sie nicht beim Negativen stehen bleiben will, ein
umfassendes Verbraucherschutzkonzept vorgelegt. Frau
Ministerin, wir sind gerne bereit, mit Ihnen über eine kon-
struktive Weiterentwicklung der Verbraucherschutzpoli-
tik zu reden. Nach unserer Auffassung brauchen wir ein
Verbraucherschutzministerium und nachgeordnete Be-

hörden, die sich intensiv mit wissenschaftlichen Fragen
auseinander setzen. Die Beratung aus dem Wissen-
schaftsbereich muss systematisiert werden, und zwar
nicht nur auf EU-Ebene, sondern auch in Deutschland.
Wir brauchen entsprechende wissenschaftliche Beiräte.
Die Grundzüge dessen wollen wir in einem Verbraucher-
schutzgesetz zusammenfassen. Das halte ich für eine ver-
nünftige Form der Vorgehensweise, über die wir kon-
struktiv miteinander reden sollten.

Dies sollten wir auch in der Frage der Landwirt-
schaftspolitik tun, weil es wenig Sinn macht, eine Zwei-
klassenpolitik zu betreiben und zwischen den Guten und
den Bösen, zwischen Kleinen und Großen oder zwischen
ökologischer und konventioneller bzw. klassischer Land-
wirtschaft zu unterscheiden. Die Landwirtschaft der Zu-
kunft ist eine gesunde Landwirtschaft in allen Bereichen:
sowohl in den bäuerlichen Familienbetrieben als auch auf
den größer strukturierten Höfen. Mehr Ökologie ist gut
und richtig, aber sie muss in allen Bereichen gleicher-
maßen gefördert werden. Wir wollen eine Landwirtschaft,
die gesunde Lebensmittel zu angemessenen Preisen pro-
duziert – egal, ob auf dem Wege der konventionellen oder
der ökologischen Landwirtschaft –, die Naturschutz, Um-
weltschutz und artgerechte Haltung berücksichtigt – egal,
ob es sich um konventionelle oder um Biohöfe handelt –
und die naturnah und wirtschaftlich produziert.

In diesem Zusammenhang werben wir dafür, dass der
Gedanke des Vertragsnaturschutzes immer stärker in
die Diskussion eingeführt wird und stärkere Beachtung
findet, wie es zum Beispiel in den süddeutschen Ländern
schon heute der Fall ist. Auch brauchen wir gute Rege-
lungen nicht nur für die Bundesrepublik selbst. Wir brau-
chen solche guten Regelungen, wie es vorhin deutlich ge-
macht wurde, in ganz Europa. Dies gilt auch für Importe
aus Drittländern: Unabhängig davon, ob es sich um ein-
heimische Produkte oder um Produkte aus Drittländern
handelt, müssen die Anforderungen, die wir stellen,
flächendeckend erfüllt sein, damit der Verbraucher wirk-
lich geschützt ist und sich keine Sorgen darüber machen
muss, was er in Zukunft verzehren kann. Dafür lohnt sich
eine gemeinschaftliche Anstrengung.

Deshalb bitten wir Sie, Frau Künast, auf Ankündigun-
gen in Zukunft zu verzichten und statt dessen eine kon-
struktive Kooperation mit uns zu beginnen. Wir sind dazu
bereit.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416501700
Ich erteile Kollegin
Iris Hoffmann, SPD-Fraktion, das Wort.


Iris Hoffmann (SPD):
Rede ID: ID1416501800
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Bei dem Antrag der
CDU/CSU „Sofortmaßnahmen zur Verbesserung des Ver-
braucherschutzes und zur Unterstützung der landwirt-
schaftlichen Betriebe erforderlich“ mögen Sie, liebe Kol-
leginnen und Kollegen von der CDU/CSU, tief, vielleicht
sogar sehr tief in sich gegangen sein. Trotzdem haben Sie
sich dabei leider wieder einmal verlaufen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)


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(C)



(D)



(A)



(B)


Der Großteil Ihres Antrags ist zum einen zeitlich über-
holt, und zum anderen argumentieren Sie schlicht mit Un-
wahrheiten. Wir lassen die deutschen Bauern und die
deutschen Verbraucher nicht allein, Herr Dr. Lippold.
Realität ist, dass im Rahmen der bereitgestellten mehr als
900 Millionen DM für BSE-Folgekosten die Heraus-
kaufaktion der bis zu 400 000 Rinder mit 362 Mil-
lionen DM finanziert wird.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das passt doch hinten und vorne nicht! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch Makulatur! Hören Sie doch auf!)


Meine Damen und Herren, die Bundesregierung be-
hindert dies nicht, wie von der CDU/CSU-Fraktion be-
hauptet wird, sondern die erste Herauskaufaktion ist be-
reits vor zwei Wochen angelaufen. Nicht wir, sondern die
CDU/CSU-Fraktion kommt mal wieder zu spät. Vorsich-
tige Schätzungen sprechen von etwa 100 000 Rindern in
der ersten Stufe der Ankaufaktion. In der zweiten Stufe ist
von zurzeit 200 000 Rindern auszugehen. Der derzeitige
Stand ist, dass hierfür circa 300 Millionen DM der insge-
samt 362 Millionen DM benötigt werden.

Sicherlich ist es so, dass die insgesamt 362 Milli-
onen DM zu rund einem Drittel aus der abgesenkten Ge-
meinschaftsaufgabe in Höhe von 125 Millionen DM fi-
nanziert werden. Außer Frage steht auch, dass dies ein
schmerzlicher Einschnitt für das Jahr 2001, aber gleich-
zeitig der Beginn und die Chance ist, die Gemeinschafts-
aufgabe an den Zielen der Agrarwende zu orientieren, das
heißt, Schwerpunkte gemeinsam mit den Ländern neu zu
definieren, zum Beispiel die Förderung der ländlichen
Entwicklung und die Förderung des ökologischen Land-
baus. Um diesen Weg fortzuführen, wird hierzu zum
29. Juni 2001 mit den Länderagrarministern eine Kon-
zeption für die Fördergrundsätze 2002 vorbereitet wer-
den, um so den Ländern ab dem 1. Januar 2002 an den
neuen Eckpunkten orientierte Förderprogramme anbieten
zu können. Eines ist klar: Als Regierungsfraktion ist es
unser erklärtes Ziel, die Gemeinschaftsaufgabe entspre-
chend der mittelfristigen Finanzplanung 2002 mit
1,8 Milliarden DM fortzuführen.

Im Antrag der CDU/CSU-Fraktion erfährt man, dass
das gelobte Land Bayern 600 Millionen DM für die Be-
wältigung der BSE-Krise bereitstellt.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Da könnt ihr nur vor Neid erblassen!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist schlichtweg
falsch. Allenfalls sind dies 245 Millionen DM, aufgeteilt
auf zwei Jahre. Mit den anderen Mitteln werden nicht
BSE-bedingte Folgekosten finanziert.

Wir begrüßen ausdrücklich den Kabinettsbeschluss
vom vergangenen Mittwoch. Die Bundesregierung geht
den richtigen Weg, große Teile der Ankaufaktion von
Rindern humanitären Zwecken zuzuführen und damit der
hungerleidenden Bevölkerung in Nordkorea zu helfen.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das haben wir lange vermisst bei euch! Da habt ihr euch aber gewaltig gewandelt!)


– Sie hätten ja schon längst einen Antrag stellen können,
Herr Ronsöhr.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das wurde hier doch immer anders dargestellt!)


Fast alle der rund 24 Millionen dort lebenden Men-
schen leiden unter erheblichem Nahrungsmittelmangel.
Recherchen der dort wirkenden Hilfsorganisationen bele-
gen, dass von den pro Tag und pro Kopf benötigten 2 000
Kilokalorien lediglich 600 Kilokalorien zur Verfügung
stehen. Völlig klar ist, dass hierunter insbesondere Kin-
der, Alte und Kranke leiden. Angesichts dieser dramati-
schen Lage und der offensichtlich vorhandenen bitteren
Armut in Nordkorea wäre es fatal, in Deutschland Tau-
sende Tonnen von Rindfleisch zur Marktbereinigung zu
verbrennen.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: So ist es!)


Eine Tonne Rindfleisch verbrennen belastet den Bundes-
haushalt mit 350 DM. Die Lieferung einer Tonne BSE-ne-
gativ getestetes Rindfleisch nach Nordkorea kostet
1 700 DM. Diese Mehrkosten werden wir im Rahmen der
für die Herauskaufaktion bereitgestellten 362 Millio-
nen DM finanzieren.

Ich machte bereits darauf aufmerksam, dass nach jet-
zigen Schätzungen davon auszugehen ist, dass nicht alle
Mittel zum Ankauf von Rindern benötigt werden. Mo-
mentan gehen wir davon aus, dass bis zu 50 Mil-
lionen DM für humanitäre Zwecke bereitgestellt werden.
Das heißt, dass zunächst einmal drei Lieferungen zu je-
weils 6 000 Tonnen Rindfleisch nach Nordkorea erfolgen
werden. Diese können in der Folgezeit bis auf 30 000
Tonnen ausgebaut werden. Eines ist aber Fakt: Rind-
fleischkonserven zu produzieren und für Nordkorea be-
reitzustellen übersteigt den finanziellen Spielraum bei
weitem.

Meine Damen und Herren, den Antrag von CDU/CSU
lehnen wir natürlich ab, da er der Realität nicht entspricht
und auch noch nie entsprochen hat. Er ist eben ein Antrag
von gestern.


(Beifall bei der SPD – Albert Deß [CDU/ CSU]: Ihr habt keinen besseren!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416501900
Ich erteile dem Kolle-
gen Ulrich Heinrich, F.D.P.-Fraktion, das Wort.


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1416502000
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Leider Gottes steht heute diese
Debatte auf der Tagesordnung: Die Situation in der deut-
schen Landwirtschaft ist wirklich dramatisch. Nicht nur
BSE, sondern auch die Maul- und Klauenseuche sind
die beherrschenden Themen. Wie die zukünftige Politik
diesbezüglich aussehen soll, ist kaum erkennbar. Sie hat
keine klare Linie und die Bäuerinnen und Bauern wissen
nicht, wie es weitergeht. Nicht einmal die durch die Ge-
setzgebung des Deutschen Bundestages von Ende 2000
entstandenen finanziellen Fragen sind geklärt. Es ist ein
Skandal, die Familien so allein zu lassen. Es ist nicht

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Iris Hoffmann (Wismar)


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(A)



(B)


verantwortbar, hier so viel über „Öko“ oder „Nicht-Öko“
zu reden, aber 97 Prozent der Bauern im Stich zu lassen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Ich halte es für unverantwortlich, wie hier mit einem
ganzen Berufsstand umgegangen wird und dass man
wirklich von Tag zu Tag eine andere Politikausrichtung
zur Kenntnis zu nehmen hat.

Das Marktentlastungsprogramm ist sehr spät ange-
laufen, nämlich gerade jetzt, zu einem Zeitpunkt, in dem
die Maul- und Klauenseuche eigentlich jeden zusätzli-
chen Transport verbietet.


(Beifall des Abg. Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU] – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das haben wir mit Absicht gemacht! Daran sind wir schuld!)


Ich verstehe nicht, warum man diese Aktionen gerade
jetzt anlaufen lässt.

Als die Maul- und Klauenseuche auch die Niederlande
und Frankreich erreicht hatte, habe ich gesagt: Es ist nicht
mehr verantwortbar, dass wir mit dieser Herauskaufaktion
– nachdem wir sie überhaupt noch nicht gestartet hatten –
jetzt anfangen.


(Beifall bei der F.D.P. – Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Richtig!)


Frau Ministerin, das ist seuchenpolitisch nicht verant-
wortbar. Sagen Sie bitte nicht „Quatsch“. Sehr viele ernst
zu nehmende Wissenschaftler sagen genau das Gleiche
wie ich. In einer solchen Situation – ich erinnere nur an
die Fernsehbilder aus Hessen von vor zwei Tagen und
auch von gestern – zusätzliche Tiertransporte zuzulassen
und dazu noch zu ermuntern, damit es überhaupt dazu
kommt, ist unverantwortbar.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich meine, wir hätten gut daran getan, die erste
Tranche auslaufen zu lassen und in die zweite einzustei-
gen. Ich sage Ihnen auch, warum. Die erste Marktentla-
stungsmaßnahme war von der Europäischen Kommission
ganz klar als Vernichtung des Fleisches definiert. Ich habe
von Anfang an gesagt: Eine Herauskaufaktion aussch-
ließlich zur Vernichtung des Fleisches kommt für die
F.D.P.-Fraktion nicht infrage.


(Beifall bei der F.D.P.)


Ich habe alles unternommen, um Verbindungen zu
Nordkorea herzustellen, um mit Cap Anamur und ande-
ren Hilfsorganisationen Verbindung aufzunehmen, damit
es zu der Fleischvernichtung nicht kommen muss.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Populismus, was Sie machen! Echt unverantwortlich!)


Jetzt lässt man unter seuchenpolizeilichen Gesichts-
punkten mit der Vernichtung des Fleisches eine Aktion
laufen, die nicht zu verantworten ist, statt solche Maß-
nahmen zu ergreifen, die es ermöglichen, das Fleisch noch
zu verwerten. Wenn das Maul- und Klauenseuchenrisiko

etwas abgeebbt ist, können wir Tiertransporte auch wie-
der verantworten.

Aus Ihrem Hause, Frau Künast, habe ich am Mittwoch
auf meine Nachfrage hin, wo die Hauptübertragungsrisi-
ken bei der Maul- und Klauenseuche liegen, erfahren,
dass bis auf ganz wenige Fälle, in denen es durch ver-
wandtschaftliche Beziehungen zu einer Übertragung ge-
kommen ist, die Übertragung ausschließlich durch Tier-
transporte erfolgt ist. Wenn es so ist, dass die
Übertragung hauptsächlich auf den Tiertransporten er-
folgt, halte ich es für nicht verantwortbar, die erste He-
rauskaufaktion zum jetzigen Zeitpunkt vorzunehmen.


(Beifall bei der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416502100
Kollege Heinrich, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Stetten?
– Bitte.


Dr. Freiherr Wolfgang von Stetten (CDU):
Rede ID: ID1416502200

Herr Kollege Heinrich, können Sie mir, damit auch die
Bevölkerung weiß, um welche Mengen es bei der He-
rauskaufaktion geht, bestätigen, dass es in Deutschland
rund 15 Millionen Rinder gibt, von denen jährlich rund
4 Millionen geschlachtet werden, und dass bei einer He-
rauskaufaktion von 400 000 Rindern etwa 100 Milli-
onen Kilogramm Fleisch anfallen? Das würde bedeuten,
dass wir dann, wenn jeder im Monat nur ein kleines Steak
essen würde, kein Fleisch vernichten, also verbrennen
müssten.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Langsam. Seien Sie vernünftig. So gutes Fleisch wie
das, was im Moment auf dem Markt ist, haben wir über-
haupt noch nicht gehabt; es ist nämlich getestet. Deswe-
gen sollte man dies dem Verbraucher einmal sagen.

Aber meine Frage ist folgende: Wäre es angesichts der
Tatsache, dass wir gerade über die Verwertung diskutie-
ren, nicht sinnvoll, außer den 30 Millionen Kilogramm
Fleisch, die wir nach Nordkorea liefern, für die anderen
70 Millionen Kilogramm Fleisch eine Werbeaktion zu
starten, damit die Verbraucher wieder Fleisch kaufen?
Das Geld für diese Aktion – das sind die Millionen, die
sonst für die Verbrennung des Fleisches genutzt werden –
steht der Ministerin zur Verfügung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1416502300
Herzlichen Dank für die
Frage, Herr von Stetten. Die Verbraucher sollten jetzt in
der Tat wieder zur Normalität, zur Vernunft zurückfinden.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum Beispiel alle Mitglieder der F.D.P.!)


Die Verhältnisse haben sich wieder verbessert. Wir liegen
derzeit wieder bei 70 Prozent des Verbrauches von Fleisch
von vor der BSE-Krise.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwangsverfütterung von Rindfleisch!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Ulrich Heinrich

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(C)



(D)



(A)



(B)


Aber es muss weiter für den Verzehr von Rindfleisch
geworben werden. Auch dieses Hohe Haus hat Mitver-
antwortung dafür, wie wir mit diesem Thema umgehen.
Sind wir hysterisch oder gehen wir mit diesem Thema
verantwortungsvoll um?


(Beifall bei der F.D.P.)


Ich kann nur dafür plädieren, dass wir verantwortungsvoll
damit umgehen und dass wir den Bürgerinnen und Bür-
gern mitteilen, dass das Fleisch, das heute verkauft wird,
unbedenklich und einwandfrei sowie für den Verzehr ge-
eignet ist.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn dieses Fleisch nicht einwandfrei wäre, könnten
wir es auch nicht verschenken. Ich erinnere mich noch an
die Diskussion Mitte Februar, als das Thema Hilfsliefe-
rungen nach Nordkorea aufgekommen ist. Diese Diskus-
sion hat sich auf meinen Antrag ausgewirkt. Nahezu das
gesamte Kabinett stand diesem Vorschlag ablehnend ge-
genüber. Fast alle zuständigen Ministerien haben gesagt:
Das ist Unsinn. Der Markt vor Ort wird gestört. In dieser
Art und Weise kann man keine Hilfe leisten.

Dass wir auf Dauer mit Verschenkungsaktionen keine
Hilfe leisten können, wissen wir selber. Aber in der Situa-
tion, in der sich jetzt Nordkorea befindet, wo die Men-
schen Gras essen müssen und die Verhältnisse menschen-
unwürdig sind, muss eine solche Lieferung zumindest
überlegt werden. Wenn wir überhaupt noch einen Gedan-
ken daran verschwenden, ob wir dieses Fleisch verbren-
nen oder als Hilfslieferung dorthin senden sollen, dann
zeigt dies doch, wie verknöchert wir sind und dass dies
nicht dem entspricht, was man an humanitärer Grundein-
stellung von diesem Kabinett erwarten müsste.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich muss schon sagen: Ich war tief enttäuscht, wie
lange man in der Presse darüber lesen musste, wie knall-
hart die Bundesregierung diese Hilfslieferungen ablehnte.
Ich bin sehr froh, dass zum Beispiel die Welthungerhilfe
und andere Institutionen, die durch ihre Arbeit vor Ort
mehr Kenntnisse als diejenigen haben, die sich in
Deutschland aufhalten, die dringende Notwendigkeit er-
kannt haben, dass hier Hilfe zu leisten ist.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Brot für die Welt“ lehnt das ab!)


Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zu Ihnen sa-
gen, Frau Ministerin Künast. Die Landwirte haben nicht
nur einen Anspruch auf finanzielle Hilfe – das habe ich
eingangs betont –, sondern auch darauf, endlich von Ih-
nen zu erfahren, wie Sie sich zu Impfungen in der Bun-
desrepublik Deutschland stellen. Ich bin schon einiger-
maßen erstaunt darüber, was man heute in der Zeitung
lesen kann. Sie sind uns hier und heute eine klare Antwort
schuldig. Ich erwarte jetzt von Ihnen, dass Sie sagen, was
Sie wollen, was Sie für richtig halten und was in Zukunft
die Politik der Bundesrepublik Deutschland ist.

Ich weiß sehr wohl, dass die Impfung in die Hoheit der
Länder fällt. Aber Sie sind in Brüssel das Sprachrohr.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat Ihre Koalition gemacht?)


Die Länder können überhaupt nichts gegen Brüssel
durchsetzen,


(Matthias Weisheit [SPD]: Wir auch nicht!)

sondern Sie müssen in Brüssel die Dinge entsprechend
zur Sprache bringen. Bisher hatte ich gedacht, Sie hätten
eine Linie. Seit heute weiß ich: Sie haben keine Linie.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der F.D.P. gibt es bei BSE auch keine!)


In einer solch existenziellen und wichtigen Frage kann
man so nicht vorgehen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416502400
Ich erteile der Bun-
desministerin Renate Künast das Wort.

Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Ich will mit der Nahrungs-
mittelhilfe für Nordkorea beginnen und dann auf einige
andere Fragen eingehen.

Über viele Jahre hinweg wurde die Nahrungsmittel-
hilfe nach dem Motto betrieben: Hauptsache, die hiesigen
Berge an Butter, Magermilchpulver oder Rindfleisch wer-
den kleiner.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Hört! Hört! – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch schon 100 Jahre her!)


– Der Zwischenruf „Das ist doch schon 100 Jahre her!“
stimmt nicht. Das ist ungefähr so lange her, wie es eine
neue rot-grüne Bundesregierung gibt.


(Beifall bei der SPD – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Ihr habt doch die Produktion ausgeweitet! Lügen Sie doch nicht dauernd! – Gegenruf des Abg. Dr. Uwe Küster [SPD]: Herr Ronsöhr, was habe ich da gehört?)


Frühere Regierungen haben die Frage der Wirkung von
Lieferungen auf Empfängerländer immer nur am Rande
als interessant empfunden. Ich erinnere Sie nur daran, wie
intensiv Rindfleischexporte der EU aus dem Überschuss
nach Westafrika stattgefunden haben. Die dortigen
Märkte sind kaputt gemacht worden, wir haben den Men-
schen vor Ort nicht geholfen, eine eigene Rindfleischpro-
duktion aufzubauen, sondern haben die dort vorhandenen
Herden noch zerstört.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Das ist doch ein alter Hut! Das liegt über zehn Jahre zurück!)


Ein solches Vorgehen ist nicht Politik dieser Bundesre-
gierung und deshalb haben wir uns schwer getan – ich
gebe das zu –, an dieser Stelle zu sagen: Der jetzt existente

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Ulrich Heinrich

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(A)



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Überschuss an Rindfleisch aus Deutschland wird an ein
anderes Land verschenkt. – Wir tun uns schwer damit und
werden solche Aktionen nur in begrenztem Maße durch-
führen. Es muss weiterhin gelten: Entwicklungshilfe
muss heißen, vor Ort Strukturen und Arbeitsplätze aufzu-
bauen sowie dort Reis und Getreide anzubauen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der PDS)


Die Menschen brauchen 365 Tage im Jahr Essen und nicht
nur dann, wenn wir Überfluss abzugeben haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Zynisches Weib!)


Ich bin deshalb froh – das ist einer der Erfolge, den ich
in Brüssel hatte und den die Opposition natürlich nicht se-
hen will –, dass die zweite Herauskaufaktion nicht erst am
1. Juli stattfinden wird, sondern wir die Möglichkeit ha-
ben, sie vorzuziehen. Wir können bezüglich der zweiten
Herauskaufaktion von Brüssel die Erlaubnis bekommen,
Rindfleisch an Nordkorea zu verschenken. Herr Fischler
hat mir gegenüber klar gesagt, wir bekämen die Erlaub-
nis, sobald wir konkret den Antrag stellen.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Na also!)


Aber erst wenn ungefähr Anfang Mai die zweite Heraus-
kaufaktion beginnen kann und rechtlich beginnen darf,
werden wir das Verfahren durchführen können. Die
Bundesregierung hat eine Delegation aus drei Ressorts
gebildet.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Wenn es dann richtig ist, ist es jetzt auch richtig!)


– Jetzt geht es nicht, weil es rechtlich verboten ist. Sie ha-
ben sich doch gerade gestern um mein Rechtsverständnis
Sorgen gemacht. Ich bitte Sie heute, auf dem Boden der
Gesetze zu stehen. Das ist doch nicht so schwierig, wie
wir beide wissen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/ CSU]: Über Ihr Rechtsverständnis machen wir uns Sorgen!)


Wir können also die Aktion ab 1. Mai durchführen, wir
haben eine Delegation nach Nordkorea entsandt und fest-
gestellt: 6 000 Tonnen können mit der Zielsetzung – Frau
Hoffmann hat das schon gesagt –, alte und kranke Men-
schen zu ernähren, dorthin gebracht und so verteilt werden,
dass es nicht zu Auftauerscheinungen kommt. Ich sage
ganz klar: Die Tatsache, dass die zweite Herauskaufaktion
inhaltlich anders gestaltet ist, als sie ursprünglich von Herrn
Fischler geplant war, ist Ergebnis meiner Politik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416502500
Frau Ministerin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heinrich?

Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Ja.


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1416502600
Ich bin sehr dankbar dafür,
dass Sie die Daten genannt haben, ab wann die zweite
Herauskaufaktion starten kann. Ich möchte Sie aber bit-
ten, die erste Herauskaufaktion, bei der Fleisch zur Ver-
nichtung bestimmt ist, zu stoppen, und zwar erstens, weil
wir das Fleisch nicht vernichten wollen, und zweitens,
weil wir das Risiko einer Ausbreitung der Maul- und
Klauenseuche durch die Tiertransporte nicht erhöhen
wollen.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Wo ist die Frage?)


Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Setzen wir ein-
fach ein Fragezeichen dahinter, dann haben wir eine
Frage. Ich verstehe Ihr Anliegen.

Herr Heinrich, es gibt seuchenpolitisch Hinweise da-
rauf, dass es Sinn macht, Ställe zu leeren, anstatt sie über-
voll zu lassen. Je dichter die Tiere stehen, desto größer ist
die Gefahr. Der andere Punkt ist: Ich bin rechtlich zu die-
sem Herauskaufprogramm verpflichtet und könnte
sonst von den Bauern verklagt werden. Ich habe aber
Druck gemacht, dass die zweite Herauskaufaktion nicht
am 1. Juli beginnt, sondern vorgezogen werden kann.

Ich muss Ihnen auch sagen, dass ich für dieses Vorzie-
hen der zweiten Herauskaufaktion erst die Erlaubnis der
EU brauche und in diesem Zusammenhang noch einige
Prüfungen – ich denke an die volle BSE-Testkapazität in
Deutschland – durchgeführt werden müssen. Dieses
Genehmigungsverfahren wird einige Wochen dauern.

Ich muss Ihnen aber auch sagen, dass wir im Augen-
blick nicht in der Lage sind – ich lasse mir dabei von Ih-
nen gerne Hilfestellung geben –, die erforderlichen
mehrstelligen Millionenbeträge aufzubringen, um das
aufgekaufte Fleisch zu verschenken. Eine solche Aktion
könnte auch nur dort durchgeführt werden, wo es keine
Konkurrenz zum Export gibt. Wir alle, Herr Heinrich,
wollen doch gemeinsam, dass die Bauern weiterhin Rind-
fleisch verkaufen können, um Geld einzunehmen. Des-
halb bekomme ich auch keine globale Verschenkungs-
genehmigung aus Brüssel. Das sind klare Punkte.

Ich weise Ihren Vorwurf zurück, dass die in diesem Zu-
sammenhang notwendigen Transporte zur Ausbreitung
von MKS beitragen würden. Es ist ganz klar: Es darf nur
Direkttransporte geben, keine anderen Kontakte. Die be-
troffenen Tiere müssen getrennt von anderen Tieren in den
Schlachthöfen getötet werden. Es muss vorher und nach-
her desinfiziert werden. Insofern besteht das von Ihnen
befürchtete Infektionsrisiko nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416502700
Frau Ministerin, er-
lauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Widmann-
Mauz?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Bundesministerin Renate Künast

16132


(C)



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(A)



(B)


Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Ja, aber danach
lasse ich keine Zwischenfragen mehr zu.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416502800
Bitte schön.


Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1416502900
Frau Minis-
terin Künast, Sie haben gerade dargestellt, mit welcher
Verve Sie für die Aktion eintreten, Nordkorea BSE-nega-
tiv getestetes Rindfleisch zu schenken. Ich denke, dass
das ziemlich zynisch war. Können Sie uns erklären,
warum Sie es bis heute noch nicht einmal für nötig gehal-
ten haben, die zwei Schreiben des Ministerpräsidenten
von Baden-Württemberg zu beantworten, in denen er
seine finanzielle Unterstützung für die Verschenkungsak-
tion angeboten hat, und können Sie, nachdem Sie gerade
davon gesprochen haben, dass die Millionenbeträge, die
zur Finanzierung dieser Aktion notwendig sind, noch
nicht bereitgestellt sind,


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Kommen Sie einmal mit dem Fragezeichen rüber!)


– wenn Sie damit nicht zurechtkommen, ist das Ihr Pro-
blem –, dem Hohen Hause erklären, wie der Stand der
Gespräche zwischen dem Bundesentwicklungshilfemi-
nisterium, dem Bundesfinanzministerium und Ihrem Res-
sort bezüglich der Frage ist, woher schließlich und letzt-
endlich die Mittel für diese Aktion kommen sollen, wenn
Sie schon auf das Hilfsangebot eines Bundeslandes
zumindest nicht positiv reagieren?

Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Punkt eins. Ich
habe den Brief, in dem mir der Ministerpräsident von
Baden-Württemberg 1 Million DM als Unterstützung
angeboten hat, vor zwei, drei Tagen beantwortet. Wie
lange die Post braucht, um einen Brief von hier nach Stutt-
gart zu transportieren, weiß ich nicht. Aber ich habe mich
beim Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg be-
dankt. Er war der Einzige, der sich bereit erklärt hat, diese
Aktion zu unterstützen. Mein herzliches Dankeschön!
Vielleicht ist sein Angebot auch eine Anregung für andere
Ministerpräsidenten.

Punkt zwei – zur Frage, woher das Geld kommen
soll –: Das AA, das Ressort von Frau Heidemarie
Wieczorek-Zeul und mein Ministerium haben eine Dele-
gation nach Nordkorea geschickt. Es waren auch Vertre-
ter vom World-Food-Program und von Cap Anamur dort.
Es wurde sehr sorgfältig geprüft, in welchem Umfang
Rindfleisch nach Nordkorea geliefert werden kann. Es
wurde festgestellt, dass 6 000 Tonnen monatlich möglich
sind. Dementsprechend haben wir in der Kabinettssitzung
vom letzten Mittwoch beschlossen, dass Hans Eichel und
ich Geldquellen zur Finanzierung der Verschenkungsak-
tion finden werden.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! Oh! – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Die Findungskommission!)


– Wir haben bis zum 1. Mai Zeit.

Ich möchte jetzt nicht mehr auf das Thema Nordkorea,
sondern auf ein paar andere Punkte eingehen, die auch an-
gesprochen worden sind, unter anderem auf die Maßnah-
men zur Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche. Ich
sage Ihnen ganz klar: Bei der Bekämpfung der Maul- und
Klauenseuche fahren wir eine Politik der Risikominimie-
rung und bis zu diesem Augenblick – nun kann man dreimal
auf Holz klopfen – hat sie offensichtlich funktioniert. An-
ders als in England ist in Deutschland viel früher eingegrif-
fen worden. Deshalb haben wir bisher das Glück gehabt,
dass keine positiven Fälle in Deutschland aufgetreten sind.

Ich sage Ihnen auch klar: Ich habe Bedenken bezüglich
einer prophylaktischen Impfung gegen MKS, wenn der
Virus schon ausgebrochen ist, weil mir verschiedene Per-
sonen nicht nur aus meinem Haus, sondern auch von
nachgeordneten Behörden und anderen Institutionen ge-
sagt haben, dass man dann, wenn man zu dem Zeitpunkt
prophylaktisch gegen MKS impft, zu dem die Seuche
schon ausgebrochen ist, die Ausbreitung der Seuche nicht
mehr verfolgen kann. Ich weiß, es gibt auch andere Auf-
fassungen. Ich habe in der Vergangenheit – insofern habe
ich meinen Kurs nicht geändert, Herr Lippold und Herr
Heinrich – wiederholt im EU-Agrarrat gesagt: Die bishe-
rige Impfpolitik kann nicht fortgesetzt werden.

Der nationale


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das ist uns in Ausschuss anders dargestellt worden! Das ist nicht wahr! – Nein!)


Krisenstab hat am 26. Februar einen Dreistufenplan be-
schlossen. Die AMK hat am 23. März diese Position über-
nommen und damit sichergestellt – Dank Richtung Bay-
ern und anderer Länder, die weit entfernt von den
aktuellen Seuchengebieten liegen –, dass für Niedersach-
sen und Nordrhein-Westfalen im Falle eines positiven
Tests sofort klar ist, was zu tun ist. Ich habe auch öffent-
lich gesagt, dass ich der AMK auf deren Wunsch hin am
23. März zugesichert habe, dass ich die grundsätzliche
Frage der Impfpolitik im Agrarrat in Brüssel und auch bei
dem an diesem Wochenende stattfindenden informellen
Treffen weiter ansprechen werde. Ich glaube nicht, dass
uns die Klärung dieser Frage im Augenblick weiterhelfen
wird. Aber wir sind für den Fall, dass ein Tier positiv ge-
testet wird, gerüstet.

Den Ländern, die schon heute eine vorbeugende
flächendeckende Impfung gegen MKS wollen, muss ich
aus Gründen des Respekts sagen: Nicht ich bin für das
Impfen zuständig, sondern die Länder. Sie müssen ent-
sprechende Impfaktionen beschließen und die entspre-
chenden Impfdosen vorhalten. Ich bin die Botin und das
Bindeglied zur EU. Wenn die Länder eine flächen-
deckende Impfung beschließen, werde ich das mit we-
henden Fahnen im Agrarrat verteidigen. Ich habe schließ-
lich auch dafür gesorgt, dass das Notprogramm umgesetzt
wurde, und habe erste gute Erfolge bei den Zootieren er-
zielt. Ich werde weiterkämpfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn die Agrarministerkonferenz ihren Beschluss
vom 23. März auflöst und sagt: „Wir wollen auch

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16133


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prophylaktische Impfungen“, werde ich mich mit ent-
sprechender Verve für prophylaktische Impfungen ein-
setzen. Da kenne ich nichts.


(Zuruf von der CDU/CSU: Warum kritisieren Sie dann Frau Höhn? – Heinrich-Wilhelm Haben Sie auch eine eigene Position?)

Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU):
Rede ID: ID1416503000

Aber noch ist dieses nicht Agrarministerkonzeption, und
noch – das wissen Sie alle – ist mindestens umstritten,


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Sie haben keine Position, das ist das Entscheidende! Sie sind das klassische Sowohl-alsAuch!)


wie es an dieser Stelle weitergeht. Der Punkt ist auf alle
Fälle der, dass in den letzten Jahren auch die alte Bundes-
regierung meinte, klassische Maßnahmen reichen. Da bin
ich ausnahmsweise einmal ein Stück in Kontinuität.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das ist nicht wahr! Sie müssen sich inzwischen informiert haben!)


Jetzt muss ich aber noch zwei, drei Worte zu der Frage
sagen, was ich in dieser Zeit alles gemacht habe. Das
zweite Schlachtprogramm ist verbessert, der Siebenpunk-
teplan befindet sich in Brüssel in einer Veränderungsdis-
kussion. Ein Punkt wird auf deutschen Druck hin wohl
vorgezogen, nämlich dass der Kleegrasanbau auf Stillle-
gungsflächen schon in diesem Jahr erlaubt sein wird. Ich
habe die Bestimmungen über die Führung eines Stall-
buchs unterzeichnet, in dem Bauern und Tierärzte in Zu-
kunft beim Umgang mit Antibiotika genau nachweisen
müssen, wo und bei welchem Tier diese eingesetzt wer-
den. Ich sehe mit Freude Ihrer Zustimmung im Bundesrat
entgegen. Ich sage nur: Das hätten Sie schon 1996 haben
können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich habe zwei Aromastoffe verboten, weil sie karzinogen
sind. Ich werde nächste Woche dem BMJ den Entwurf ei-
ner Legehennenverordnung zusenden. Auch da dürfen
Sie dann zustimmen, wenn es in Zukunft heißt: keine Bat-
terien, keine Käfige mehr für Hühner. Ich habe eine neue
Nutztierverordnung unterschrieben.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Keine Eier mehr aus Käfigen, dann auch aus dem Ausland!)


Ich habe die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur für
dieses Jahr gemeinsam mit den Ländern mit einem neuen
Schwerpunkt versehen. Das war ein diplomatischer Akt.
Schwerpunkt in diesem Jahr ist die Umstellung auf Öko-
landbau, auf artgerechte Tierhaltung, auf regionale Verar-
beitung und Vermarktung. Das hätten Sie schon vor vie-
len Jahren machen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Wir haben die Eckpunkte für die Gemeinschaftsauf-
gabe des Jahres 2002 verabschiedet. Die Arbeitsgruppen

zwischen Bund und Ländern haben angefangen zu arbei-
ten. Wir haben erste Termine mit 26 Verbänden zum
Thema Qualitätssiegel. Das Siegel wird diesen Herbst
kommen, und dann haben die Landwirte wieder einen
Wettbewerbsvorteil. Bei der Krise, die andere organisiert
haben, packen wir uns gemeinsam am Schopf und ziehen
uns heraus.


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Anke Fuchs)


Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich Ihnen noch mehr
Maßnahmen mitteilen, die ich in meinen noch nicht ein-
mal 100 Tagen Amtszeit ergriffen habe. Aber da will ich
anderen nicht die Redezeit stehlen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das war aber schwach! Das war aber eine schwächelnde Rede! – Abg. Norbert Schindler [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1416503100
Frau Kollegin, es be-
steht noch der Wunsch nach einer Zwischenfrage. – Jetzt
nicht mehr. Danke schön.

Nun erteile ich das Wort der Kollegin Kersten
Naumann für die PDS-Fraktion.


Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1416503200
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ausgerechnet immer dann, wenn die
wohlhabenden Länder an Überschuss leiden, stellt sich in
Deutschland die Frage, ob nicht denen etwas abgegeben
werden soll, die Hunger leiden. Das ist auch der Kern-
punkt des F.D.P.-Antrags, auf den ich mich hier konzen-
trieren will.

Ein Vorschlag, medienwirksam in Umlauf gebraucht,
heißt Nordkorea. Die Bedarfsanfrage des koreanischen
Landwirtschaftsministeriums erfolgte auf deutsche Ini-
tiative durch Cap Anamur und nicht, weil die Koreaner
vorher keinen Bedarf gehabt hätten.

In Korea hungern die Menschen. Aber erstens hungern
die Menschen dort nicht erst seit der BSE-Krise. Zweitens
ist diese Tatsache seit Mitte der 90er-Jahre, als die Hun-
gersnot dort wesentlich größer war, bekannt. Drittens
hungern nicht nur dort Menschen. Und schließlich wäre
den hungernden Menschen mit einer wirklichen und ste-
tigen Hungernothilfe wie Getreide oder Milchpulver bes-
ser geholfen.

Schon 1996 hat die PDS Entwicklungszusammen-
arbeit und Hungerhilfe für Nordkorea gefordert. Damals
verhungerten nach jahrelangen Missernten bereits
100 000 Menschen, darunter sehr viele Kinder. Wo war
denn damals der Antrag der F.D.P. für eine Hungerhilfe?
Aber leider Gottes gab es damals in Deutschland keine
BSE-Krise und noch bis heute gibt es keinerlei Entwick-
lungszusammenarbeit mit Nordkorea.

Meine Damen und Herren von der F.D.P., das zeigt
umso deutlicher, worum es Ihnen in Ihrem Antrag eigent-
lich wirklich geht. Hunger fällt Ihnen nur ein, wenn wir

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Bundesministerin Renate Künast

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im Überfluss leben. Hier geht es einzig und allein um
Überschussverwertung.

Das ist auch die Einschätzung der NGOs. In ihrem
jahrzehntelangen Kampf um Entwicklungszusammenar-
beit und Nahrungsmittelhilfe sehen sie darin eine Verlet-
zung der Prinzipien des Umgangs mit Nothilfe.

Meine Damen und Herren, die PDS spricht sich klipp
und klar für eine kontinuierliche Hungerhilfe in Nord-
korea aus.


(Beifall bei der PDS)


Diese sollte aus den dafür vorgesehenen Töpfen des BMZ
mit den erforderlichen Mitteln und Maßnahmen zur Ver-
fügung stehen.

Aber Hungerhilfe ist in erster Linie eine Frage des
wirksamen und gut handhabbaren Einsatzes von Nah-
rungsmitteln zur Linderung der Not. Tatsache ist doch,
dass sich mit dem gleichen Geld für den Transport von
Frostfleisch, das sinnvoller in wirkliche Nahrungsmittel-
hilfe investiert wird, viel mehr Mäuler stopfen ließen und
noch dazu viel mehr Kinder gerettet werden könnten. Fakt
ist – Kollegin Hoffmann hat das eben verdeutlicht –, dass
die Hungerhilfe für Nordkorea sogar als Kostenein-
sparungsmaßnahme im Rahmen der Vernichtung des
Fleisches diskutiert wird. Das halte ich schon für makaber.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS – Iris Hoffmann [Wismar] [SPD]: Das ist keine Kosteneinsparung! – Matthias Weisheit [SPD]: Mehrkosten!)


Erfahrungen der Welthungerhilfe mit einer Lieferung
von 4 500 Tonnen Gefrierfleisch Ende der 90er-Jahre
nach Nordkorea belegen, dass die Vorbedingungen nicht
erfüllt sind. Zwar sind Gefrierlagerkapazitäten vorhan-
den. Was nützt es jedoch, wenn wir das Zeug hier zwar los
sind, dort aber Energiemangel herrscht – der Strom wird
öfter abgeschaltet – und Gefrierfleisch demzufolge, wie
die Erfahrung zeigt, sogar verklappt werden muss?


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: So arbeiten eben die Kommunisten!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1416503300
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?


Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1416503400
Nein.
Wenn in Deutschland wenigstens in die Verarbeitung

zu Dosenfleisch investiert würde! Aber auch was diese
Idee angeht – Kollegin Hoffmann hat das vorhin ebenfalls
getan –, rechnet man sofort die höheren Kosten vor. Wenn
es schon nur um Kosten geht – diese Debatte zeigt das –:
Die Rindfleischentsorgung sollte weder aus dem Etat für
Entwicklungszusammenarbeit noch aus dem Agrarhaus-
halt bestritten werden, sondern einzig und allein aus dem
Einzelplan 60, Allgemeine Finanzverwaltung.

Man muss sich einmal darüber klar werden, über wel-
che Dimensionen man hier diskutiert: Von 30 000 Tonnen
Frostfleisch – darüber ist gestern ein Beschluss gefasst
worden – wird pro Kopf – es gibt 23 Millionen Nord-

koreaner – gerade einmal 1 Kilo Fleisch ankommen. An-
gesichts der Millionen Rinder, die in Europa vernichtet
werden, macht das Ganze mehr als deutlich: Es geht nicht
wirklich um Nahrungsmittelhilfe und Nothilfe; es handelt
sich um eine populistisch gut verpackte Abfallverwen-
dung des Markthorrors. Auf dem Rücken von Hungern-
den werden Marktbereinigungsinteressen ausgetragen.
Nordkorea wird benutzt, um das deutsche Gewissen zu er-
leichtern.

Aber worin liegt eigentlich das politische Problem,
das hinter der Entsorgung von Fleisch zwecks Nahrungs-
mittelhilfe steht? Fakt ist, dass hoch subventioniertes
Fleisch, produziert mit importierten Futtermitteln aus
dem Süden, nun plötzlich humanitären Zwecken zuge-
führt werden soll. Erst haben wir Entwicklungsländern
die Flächen für ihre eigene Ernährungsbasis entzogen und
nun soll ihnen unter dem Mantel der humanitären Großzü-
gigkeit Hungerhilfe zugeführt werden. Welch ein Irrsinn!

Zur Lösung des grundsätzlichen Problems gehört auch,
dass sich Frau Künast in Brüssel weiterhin dafür einsetzt,
dass Futtermittel, die unter den natürlichen Standortbe-
dingungen Mitteleuropas produziert werden können, auch
in Deutschland produziert werden dürfen, und zwar nicht
nur in Betrieben des Ökolandbaus, auch wenn das in
Brüssel mehr kostet.

Die PDS fordert in Haushaltsdebatten Jahr für Jahr
– sie bringt dazu Anträge ein –, dass der Umfang der hu-
manitären Hungerhilfe nicht weiter sinkt und dass sich
der Etat für die Entwicklungszusammenarbeit auf 0,7 Pro-
zent des Bruttosozialprodukts beläuft. Dass auch Sie,
werte Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P., diesen
Anträgen nicht zugestimmt haben, stößt gerade nach dem
von Ihnen vorgelegten Antrag auf mein Unverständnis.
Die PDS-Fraktion wird den Antrag der F.D.P. ablehnen
und sie wird sich bei der Abstimmung über den Antrag der
CDU/CSU enthalten, da ein Teil der Forderungen schon
überholt ist und wir unter anderem der Auffassung sind,
dass der Einsatz von antibiotischen Leistungsförderern
nicht erst in eineinhalb Jahren, sondern sofort, auch im na-
tionalen Alleingang, verboten werden muss.

Danke schön.


(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1416503500
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich dem Kollegen Koppelin das Wort.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1416503600
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon ein starkes Stück,
dass jemand in einer Rede hier allen, egal auf welcher Seite
dieses Hauses sie sitzen – außer natürlich der PDS –, Vor-
würfe macht, was das Verhalten gegenüber Nordkorea an-
geht. Sie haben mit keinem Wort erwähnt, dass sich die-
ser Staat über Jahre total abgeschottet hat. Vor allem
haben Sie – das ärgert mich am meisten – mit keinem Wort
den hohen Militäretat in Nordkorea erwähnt. Wenn der
Militäretat dort nicht so hoch wäre, dann hätten die Men-
schen dort wahrscheinlich mehr zu essen. Vielleicht sollte
sich die PDS darum kümmern.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Kersten Naumann

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(C)



(D)



(A)



(B)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1416503700
Nun erteile ich der
Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung, Frau Heidemarie Wieczorek-Zeul, das
Wort.

Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte
in dieser Diskussion daran erinnern, dass unser Ministe-
rium bereits seit 1997 durch die Unterstützung des Welt-
ernährungsprogramms Nahrungsmittelhilfe für die Hun-
gernden in Nordkorea leistet. Das Welternährungspro-
gramm erfüllt einen wichtigen Auftrag, indem es Getreide,
Hülsenfrüchte und weitere Produkte der Nahrungsmittel-
hilfe dorthin transportiert und dazu beiträgt, dass diese Pro-
dukte der Bevölkerung zugute kommen.

Die Deutsche Welthungerhilfe leistet insofern eine
bewundernswerte Arbeit, als sie dort durch die Schaffung
von Arbeitsplätzen, etwa in örtlichen Bäckereien, dazu
beiträgt, bei Schulspeisungen 60 000 Kindern zu Brot ver-
arbeitetes Getreide zur Verfügung zu stellen. Ich sage das,
damit nicht der Eindruck entsteht, diese Diskussion sei
neu. Die von mir dargestellte Arbeit findet bereits seit Jah-
ren statt. Es ist wichtig, das zu wissen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


Diejenigen unter Ihnen, die der Meinung sind, die Ent-
scheidung sei einfach, sollten hier das Wort ergreifen. Ich
gestehe freimütig, dass mir der Abwägungsprozess
schwer gefallen ist. Diese Diskussion eignet sich nicht für
Schwarz-Weiß-Debatten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auf der einen Seite sagt die Bevölkerung zu Recht,
dass es Wahnsinn ist, wenn BSE-negativ getestetes Rind-
fleisch, das verzehrt werden könnte, verbrannt wird. Auf
der anderen Seite gab es einen über Jahre andauernden
Lernprozess der internationalen Gemeinschaft, an dem
ich selber im Rahmen der Debatten des Europäischen Par-
lamentes beteiligt war. Man kam zu der Erkenntnis, dass
sich Agrarüberschüsse und Überschüsse in der Fleisch-
produktion aus entwicklungspolitischer Sicht generell
nicht für Exporte eignen, weil dadurch die Märkte in den
Entwicklungsländern zerstört werden und damit die Men-
schen auf Dauer abhängig von Nahrungsmittelhilfe wer-
den. Das ist doch die Wahrheit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Albert Deß [CDU/CSU] : Von dieser Sicht ist man längst weg !)


– Ich werbe doch nur dafür, dass wir den Abwägungspro-
zess gemeinsam nachvollziehen, den die Bundesregie-
rung vollzogen hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Wenn wir nicht so viel Druck gemacht hätten!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1416503800
Frau Ministerin, es
besteht der Wunsch nach einer Zwischenfrage. Gestatten
Sie diese Zwischenfrage?

Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Ja.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1416503900
Bitte sehr.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1416504000
Frau Ministerin,
Sie haben gerade den gleichen Sachverhalt erwähnt, den
schon Frau Künast angesprochen hat. Sinngemäß wurde
gesagt: Es gibt in den betroffenen Ländern Hunger; Kin-
der können nicht überleben. Daher wäre Hilfe zwar
nötig. Wir können sie aber nicht leisten, weil wir damit
den Aufbau der Märkte in diesen Ländern behindern
würden. – Halten Sie diesen Standpunkt nicht für zy-
nisch?


(Widerspruch bei der SPD)


Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Herr
Kollege, ich bitte um Nachsicht, dass ich nachher auf die-
sen Punkt eingehen werde. Ich werde ihn auf jeden Fall
ansprechen. Aber er gehört in einen Gesamtzusammen-
hang.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1416504100
Sie hätten aber mehr
Redezeit, Frau Ministerin, wenn Sie direkt antworten
würden.

Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Das
ist richtig. Ich möchte trotzdem fortfahren.

Die Europäische Union hat in den letzten Jahren zu
Recht auf den Export solcher Nahrungsmittelüber-
schüsse verzichtet, weil sie erkannt hat, dass die lokalen
Märkte beispielsweise in Afrika dadurch zerstört worden
sind. Die Bundesregierung gehört der internationalen
Nahrungshilfekonvention an, die 1999 entsprechend
verändert worden ist, um diesen alten Fehlern Rechnung
zu tragen und entsprechende Schlussfolgerungen zu zie-
hen.

Nach der Abwägung der Argumente für und gegen bin
ich zu der Überzeugung gekommen, dass wir in diesem
Sonderfall – Nordkorea ist ein Sonderfall – liefern sollten.
Andernfalls würde das Fleisch verbrannt, obwohl es eine
Notlage in Nordkorea gibt und es dort keinen lokalen
Markt gibt, der durch diese Lieferung zerstört werden
würde. Wir sind deshalb der Meinung, dass in einem sol-
chen Fall eine Lieferung ausnahmsweise stattfinden kann.
Dazu bekenne ich mich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Die Erkenntnis gab es nur aufgrund unseres Drucks! Geben Sie es zu!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116136


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(D)



(A)



(B)


Ich werbe also dafür, dass wir nicht nach dem Muster
„Das eine ist richtig und das andere ist falsch“ argumen-
tieren.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das ist ein bisschen einfach! – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Geben Sie zu, dass Sie sich getäuscht haben!)


Ich komme auf die Punkte zu sprechen, die für uns von
Bedeutung sind: Wir wollen vor allem sicherstellen, dass
das Fleisch der hungernden Bevölkerung und nicht ir-
gendwelchen privilegierten Gruppen oder dem Weltmarkt
zugute kommt. Das ist ein wichtiger Punkt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das hat niemand gefordert!)


Deshalb haben wir die Expertenkommission unter Lei-
tung unseres Ministeriums in das Land geschickt. Nach
der Rückkehr hat diese Kommission deutlich gemacht,
dass es in der Tat notwendig ist, dieser Fehlernährung
entgegenzuwirken; denn es gibt einen akuten Protein-
mangel bei Kindern, schwangeren Frauen sowie bei Alten
und Kranken.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das gilt auch für Afrika und nicht nur für Nordkorea!)


Diese Tatsache müssen auch die Vertreter der PDS
berücksichtigen.

Ich komme jetzt zu einem Punkt, den wir in unseren
Debatten nicht vergessen dürfen. Die Ursachen – sie wur-
den eben schon von Ihnen angesprochen – sind sehr kom-
plex. Sie hängen zusammen mit dem zurückgehenden An-
teil von Ackerland im Land, mit der langjährigen
Selbstabschottung des Landes, mit der Fehlleitung von
Finanzmitteln des Landes in den Militärsektor – das ist
doch die Wahrheit und das muss man sehr deutlich an-
sprechen –,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


aber natürlich auch mit der Weigerung, marktwirt-
schaftliche Elemente zuzulassen, und ebenso mit den im-
mer wieder auftretenden Naturkatastrophen.

Ich meine, dass uns die Notwendigkeit langfristiger
Maßnahmen nicht daran hindern darf, jetzt Lieferungen
zu leisten; denn es gibt eine Notlage und unsere Hilfe wird
gebraucht.

Der Vorrednerin von der PDS möchte ich sagen: Wer
sind wir, dass wir, wenn uns die dortige Regierung darum
bittet und wir sicherstellen können, dass das Fleisch
tatsächlich den Bedürftigen zugute kommt, sagen, wir
wissen es aber besser? Ich bitte, das zu berücksichtigen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Um die Transparenz der Verteilung sicherzustellen,
wollen wir die örtliche Mission des Welternährungspro-
gramms bitten, die Verteilung und Auslieferung vor Ort zu

überwachen und zum Beispiel sicherzustellen, dass die
besonders betroffenen Gruppen der Bevölkerung, bei-
spielsweise Kranke, versorgt werden können. Deshalb
werden Lieferungen vorrangig unter anderem an Kran-
kenhäuser gehen, um die Menschen dort zu erreichen.

In meiner Abwägung – vielleicht können Sie das mit
mir vollziehen – spielt noch eine andere Frage eine Rolle.
Mit der erbetenen Lieferung ist doch auch ein Zeichen der
Öffnung des Landes verbunden. Die Rindfleischliefe-
rungen für die Menschen in Nordkorea könnten doch auch
einen ersten Schritt für die Öffnung des Landes bedeuten.
Die Öffnung des Landes ist wiederum Voraussetzung und
Grundlage für weitere politische Gespräche und
entwicklungspolitische Möglichkeiten im Interesse der
Menschen des Landes. Deshalb komme ich bei der Ab-
wägung aller Argumente für und gegen zu dem Schluss:
Der umfassende entwicklungspolitische Nutzen spricht
dafür, andere Bedenken zurückzustellen. Ich bitte, das mit
zu vollziehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Die Öffnung, die sich in der internationalen Zusam-
menarbeit bezüglich Nordkorea abzeichnet, sollte auch
für andere Bereiche der Außen- und Sicherheitspolitik des
Landes Nordkorea gelten. Die Öffnung darf angesichts
der verhärteten Politik der neuen amerikanischen Regie-
rung nicht verschüttet werden. Auf diese Situation wollte
ich verweisen.

Noch zwei Anmerkungen zum Schluss. Aus dem, was
die Kollegin Künast gesagt hat, wird ersichtlich, dass die
Lieferungen nicht aus Mitteln der Entwicklungszusam-
menarbeit finanziert werden, sondern aus Mitteln, die für
die Folgen der BSE-Krise zur Verfügung gestellt worden
sind. Das ist richtig und auch notwendig.

Zuletzt eine nachdenkliche Anmerkung. Amartya Sen,
der Nobelpreisträger, hat darauf hingewiesen, dass es ei-
nen engen Zusammenhang zwischen Demokratie und
guter Versorgung der Bevölkerung gibt. Er hat gesagt: In
Demokratien gibt es fast niemals Hungersnöte, weil die
öffentliche Berichterstattung, weil die Beteiligung der Zi-
vilgesellschaft an der Diskussion in einem solchen Land
dazu beitragen, dass frühzeitig gehandelt werden kann
und dass falsche Entscheidungen korrigiert werden kön-
nen.

Auch das ist ein Appell, den die Betroffenen hören mö-
gen.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das sagen Sie doch mal der PDS!)


Denn es geht jetzt um einen bestimmten Fall von Hilfe.
Aber wir sind doch alle zusammen dafür verantwortlich,
dass damit im Interesse der Menschen ein Prozess der
Veränderung in Nordkorea insgesamt in Gang gesetzt
wird. In diesem Sinn verstehe ich die Debatte heute hier
im Deutschen Bundestag.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul

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Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1416504200
Bevor ich dem Kolle-
gen Albert Deß das Wort erteile, möchte ich mich mit
Herrn Ronsöhr ins Gespräch begeben. Sie haben Frau
Künast vorgeworfen: Lügen Sie doch nicht dauernd. –
Das ist nicht sehr parlamentarisch.


(Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] [CDU/CSU]: Aber zutreffend!)


Ich belasse es einmal dabei.

Nun hat das Wort der Kollege Albert Deß, CDU/CSU-
Fraktion.


Albert Deß (CSU):
Rede ID: ID1416504300
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Frau Ministerin Künast, wenn Sie
Nahrungsmittelhilfe als Überschussbeseitigung bezeich-
nen, dann beleidigen Sie damit die Bundeswehrpiloten,
die unter Einsatz ihres Lebens im Tiefflug über Somalia
und Äthiopien Nahrungsmittel abgeworfen haben,


(Gustav Herzog [SPD]: Das hat sie doch gar nicht so gemeint!)


um etwas gegen den Hunger dort zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Erika Lotz [SPD]: Darum geht es doch gar nicht!)


Die Politik, Überschüsse durch Abgabe an Entwicklungs-
länder zu beseitigen, ist schon in der Ägide der früheren
Regierung eingestellt worden. Ich selber kann mich an
Gespräche im Jahre 1991 mit Vertretern der Bauern aus
Westafrika erinnern.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Richtig!)


Es sei eine kurze Rückblende in den Januar 2001 er-
laubt: Ein neuer Politstar betritt in Berlin die Bühne. Mit
schrillen Tönen, flotten Sprüchen und großmundigen
Ankündigungen wurde eine neue Zeitrechnung für die
deutsche Verbraucher- und Agrarpolitik angekündigt. Die
neue Ministerin schließt damit nahtlos an die Sprüche-
klopferei unseres Bundeskanzlers an. Er hat sich Ende No-
vember 2000 angesichts der BSE-Krise für einen tief grei-
fenden Wandel in der Landwirtschaft ausgesprochen. Er
verband die Parole „Weg von den Agrarfabriken!“ mit
einer Perspektive für eine verbraucherfreundliche Land-
wirtschaft. Diese unqualifizierten Aussagen des Bundes-
kanzlers haben den Eindruck erweckt, die Agrarproduk-
tion in Deutschland erfolge in Agrarfabriken und die
bisherige Agrarpolitik sei verbraucherunfreundlich gewesen.


(Erika Lotz [SPD]: Das ist eine Beschimpfung unseres Bundeskanzlers!)


Diese Aussagen haben sehr zur Verunsicherung der Ver-
braucher in Deutschland beigetragen und stellen eine Be-
leidigung für Hunderttausende Bäuerinnen, Bauern und
Beschäftigte in der deutschen Landwirtschaft dar.

Die deutsche Landwirtschaft ist durch die unverant-
wortlichen Aussagen des Bundeskanzlers und die flotten
Sprüche seiner neuen Ministerin in ihrer Gesamtheit an
den Pranger gestellt worden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.])


Heute, über vier Monate später, hat der Bundeskanzler
trotz wiederholter Aufforderungen nicht definiert, was
eine Agrarfabrik ist. Wenn er dazu schon nicht in der
Lage ist, dann soll er seinen Vorwurf zurücknehmen und
sich bei den Rinder haltenden Betrieben in Deutschland
entschuldigen. Die Rinderhaltung hat am wenigsten etwas
mit Agrarfabriken zu tun.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)


Bundeskanzler Schröder ist zumindest mitverantwort-
lich für den Abschluss der Agenda 2000. Die Agenda
2000 beschleunigt die Ausrichtung der europäischen
Agrarpreise an den Weltmarktagrarpreisen.


(Erika Lotz [SPD]: Und die Agenda 21?)


Weltmarktagrarpreise bewirken einen massiven Struktur-
wandel hin zu einer industriellen Agrarproduktion. Bun-
deskanzler Schröder hat die Agenda 2000 unterschrieben
und ihren Abschluss als großen Erfolg dargestellt. Keine
zwei Jahre später kündigt er eine große Wende an. Fazit:
Er muss vor zwei Jahren schlecht verhandelt und die
falsche Richtung eingeschlagen haben.

Frau Ministerin Künast kündigt dann medienwirksam
eine Agrarpolitik nach dem Motto „Klasse statt Masse“
an. Dieser Spruch passt nahtlos zur Politik dieser Bun-
desregierung. Nach einem Zweiklassensteuerrecht, einer
Zweiklassengesundheitspolitik will Frau Künast eine
Zweiklassenversorgung mit Nahrungsmitteln:


(Zuruf von der CDU/CSU: Zweiklassengesellschaft!)


für Bürger mit dicker Brieftasche die Klasse, für die übri-
gen Bürger die Masse. Das Motto für eine vernünftige
verbraucherpolitische Zielsetzung lautet nicht „Klasse
statt Masse“, sondern „Masse muss klasse sein“, und zwar
für alle Bürger in unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn es nach Frau Künast geht, brauchen wir zukünf-
tig für Landwirte keine Ausbildung mehr.


(Erika Lotz [SPD]: Sie tun so, als ob es BSE nicht gäbe!)


Es reicht, wenn sie wissen, dass man Kühe mit Wasser,
Gras und Getreide füttert. Frau Ministerin, geben Sie doch
bitte weitere Fütterungsempfehlungen auch für die ande-
ren Nutztiere.


(Gustav Herzog [SPD]: Bemühen Sie sich um etwas mehr Niveau!)


So könnten Sie empfehlen, dass Schweine nur mit Was-
ser, Getreide und Kartoffeln, Hühner nur mit Wasser und
Getreide gefüttert werden sollen. Es wären noch weitere
solcher Empfehlungen denkbar. Ich würde mich nicht
wundern, wenn demnächst in Gesetzen oder Verordnun-
gen festgelegt würde, wie unsere Bauern ihre Tiere füttern
müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD]: Für Sie Wasser und Brot!)


Ich bin aber schon überrascht, dass von der Bundesre-
gierung angekündigt wurde, dass demnächst in Deutsch-

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land wieder Fischmehl verfüttert werden darf. Ich habe
zwar nichts dagegen, aber es ist doch ein Widerspruch,
dass man dieses erst großmundig verbietet und dann
ankündigt, dass es wieder erlaubt ist.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Unglaublich!)


Ich würde mich nicht wundern und wäre durchaus bereit,
darauf zu wetten, dass irgendwann die Frau Ministerin
hier im Deutschen Bundestag verkündet, dass auch Tier-
mehl wieder in der Tiermästung eingesetzt werden darf.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, bis heute
habe ich nicht sehen können, wie und wo Frau Künast ihre
Ankündigungen einer Agrarwende umgesetzt hat. Im Ge-
genteil: Als die Kommission in Brüssel Obergrenzen für
Rinderprämien vorgeschlagen hat, sprach sich Frau
Künast dagegen aus. Man kann ja durchaus über die Be-
rechtigung von Obergrenzen sprechen. Aber einerseits
Agrarfabriken anprangern und andererseits Obergrenzen
ablehnen, das passt schlichtweg nicht zusammen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen des Abg. Matthias Weisheit [SPD])


In einem Leserbrief im „Landwirtschaftlichen Wo-
chenblatt in Bayern“ vom 10. März war zu lesen:

Ich kann die Auftritte der berufsfremden Ministerin
nicht mehr sehen und hören, denn sie hat keine Ah-
nung, keinen Anstand. Haben wir Landwirte alles
verkehrt gemacht


(Brigitte Adler [SPD]: Ja!)


oder sind wir wirklich so dumm, haben unser Vieh
generationenlang falsch gefüttert, den Boden vergif-
tet, die Luft verpestet, die Landschaft verschandelt,
schlechtes und billiges Fleisch erzeugt?

Das sind Fragen, Frau Ministerin, die mehr als berechtigt
sind. Sie sollten sich nicht nur von Ihrem Aufruf zur Frei-
lassung von der Mitgliedschaft in einer terroristischen
Vereinigung verdächtigter Personen distanzieren,


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Erika Lotz [SPD]: Das darf doch nicht wahr sein!)


sondern auch von Ihren unqualifizierten Vorwürfen gegen
die Bäuerinnen und Bauern in unserem Land. Oder sagen
Sie den Bauern doch konkret, was sie bisher falsch ge-
macht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Krise in unserem Land erfordert schnelles und ent-
schlossenes Handeln; die Zeit des Schönredens ist vorbei.
Die Landwirte lassen es sich auch nicht mehr gefallen,
dass sie mit falschen Vorwürfen konfrontiert werden und
dass man sie als „Täter“ an den Pranger stellt. Notwendig
sind jetzt konkrete Maßnahmen, um die wirtschaftliche
Existenz unserer bäuerlichen Betriebe zu sichern. Die
Landwirte warten auf konkrete Taten, Frau Künast. Wer
auch künftig „neue Agrarpolitik“ machen will, braucht
dazu Landwirte und leistungsfähige Betriebe. Aufgrund
der jetzigen Krisen und vor allem auch wegen des unent-
schlossenen Handelns gehen die Ausbildungszahlen im

landwirtschaftlichen Bereich sehr zurück. Es ist zu be-
fürchten, dass künftig nicht mehr genügend landwirt-
schaftliche Betriebsleiter zur Verfügung stehen. Green
Card für die grünen Berufe in Deutschland? – Das kann
doch wohl nicht die Lösung für die Zukunft sein.

Ich fordere die Bundesregierung auf, die Landwirt-
schaft dahin gehend zu unterstützen, dass eine nachhal-
tige Bewirtschaftung erleichtert wird. Die Nachhaltig-
keit war und bleibt ein ganz besonderes Merkmal unserer
Landwirtschaft.


(Iris Hoffmann [Wismar] [SPD]: Das machen wir doch! Die ganze Zeit machen wir das!)


Unsere Landwirtschaft ist in die Europäische Union
eingebunden. Wir brauchen deshalb einen EU-weiten ver-
bindlichen Verbraucherschutz und vor allem langfristige,
feststehende Absicherungen, damit ein weitsichtiges
Planen auch für unsere landwirtschaftlichen Betriebe
möglich ist. Dazu gehört auch ein gesicherter Finanzrah-
men, der den landwirtschaftlichen Betrieben ein ange-
messenes Einkommen gewährleistet.

Die Bauern in Deutschland sind jederzeit bereit, wei-
tere Auflagen, Vorschriften und Qualitätsnormen zu erfül-
len, wenn diese sinnvoll sind. Unsere Bauern haben aber
im harten Wettbewerb nur dann eine Chance, wenn diese
Standards europaweit umgesetzt und bei den WTO-Ver-
handlungen abgesichert werden. Wo bleiben Ihre Vor-
schläge, Frau Ministerin, zur Modulation der EU-Aus-
gleichszahlungen? Wo bleibt das groß angekündigte
Qualitätssiegel? Wo bleibt das langfristige Verbot der Ver-
fütterung von Tiermehl? Wo bleibt das EU-weite Verbot
der Verwendung von nicht lebensmitteltauglichen Fetten?
In anderen Ländern Europas sind weiterhin Fettschmel-
zen im Einsatz. Wie sollen unsere Bauern Vertrauen in die
Zukunft haben, wenn in Europa mit Rückendeckung der
deutschen Verbraucherministerin eine Seuchenbekämp-
fungspolitik aus dem Mittelalter – ich meine den Schei-
terhaufen – umgesetzt wird?


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Das ist doch gar nicht wahr!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1416504400
Herr Kollege, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.


Albert Deß (CSU):
Rede ID: ID1416504500
Ja. – Bis heute gibt es auch
kein verantwortbares Vorgehen beim Auftreten eines
BSE-Falles. Die Tötung ganzer Herden bei BSE oder
Maul- und Klauenseuche kann nicht Sinn und Ziel einer
europäischen und deutschen Agrarpolitik sein. Wenn Sie,
Frau Ministerin, diese Politik weiterhin mit vertreten – da-
mit komme ich zum Schluss –, dann sollten Sie Ihr Mi-
nisterium in Schall-und-Rauch-Ministerium umtaufen.
Dieser Name würde das Ministerium, dem Sie vorstehen,
treffend beschreiben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


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Albert Deß

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Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1416504600
Nun hat die Kollegin
Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416504700
Sehr
geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Es ist wirklich unglaublich, nach welch kurzer Zeit
die CSU glaubt, zu den Grundfesten einer Politik zurück-
kehren zu können, die mit Verbraucherschutz – das ist ja
das Thema dieser Debatte – gar nichts zu tun hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Albert Deß [CDU/CSU]: Ich habe gesagt, dass wir Verbraucherschutz wollen!)


Das geht in die Richtung: Man braucht gar nichts zu
tun.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Mit gutem Beispiel vorangehen!)


Man ignoriert die Verbrauchernachfrage, die Anliegen des
Umweltschutzes, die Anliegen des Tierschutzes und kehrt
in eine alte Ideologie zurück, obwohl man feststellen
musste, dass uns diese alte Politik in diese Katastrophe
geführt hat, in der wir jetzt stehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


BSE, Herr Albert Deß, ist doch wohl zu Zeiten der alten
Bundesregierung, die Sie getragen haben, in dieses Land
gekommen und nicht bekämpft worden. Wir haben uns
jetzt mit all diesen Konsequenzen herumzuschlagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Herr Lippold hat beklagt, dass die Auseinandersetzung
im Fall der Maul- und Klauenseuche an Schärfe zuge-
nommen hat. Er hat dabei allerdings vergessen zu erwäh-
nen, dass es Herr Sinner ist, der bayerische Verbraucher-
minister, der sich heftig gegen die Impfungen einsetzt,
während Ministerpräsident Koch in Hessen genau das Ge-
genteil tut.

Wir könnten diese Debatte noch ein bisschen fort-
setzen. Aber man muss vielleicht auch ein Stück weit Ver-
ständnis haben – das sage ich jetzt nicht polemisch –: Das
ist ja eine Debatte, die auf einer sehr ernsten Grundlage
beruht, nämlich auf dem Abwägungsprozess, was in einer
solchen Situation notwendig ist. Es gibt eine berechtigte
Angst von Verbrauchern und von Bauern und natürlich
den Druck auf die politisch Verantwortlichen. Insofern
gibt es hier auch einen entsprechenden Prozess der Aus-
einandersetzung. Ich finde es absolut richtig, dass Frau
Ministerin Künast die Initiative mit ergriffen hat, am
Wochenende die Agrarminister zu treffen und sich mit
dieser Frage auseinander zu setzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Ihr habt doch erst die britischen Verhältnisse verteidigt, im Ausschuss mehrmals! Das ist die Wahrheit! Das ist ein Scheiterhaufen!)


Selbstverständlich muss es auch eine Diskussion über
einen Plan B geben, nämlich für den Fall, dass die bishe-
rigen konventionellen Maßnahmen der Bestandstötung
und Quarantäne nicht mehr vernünftig funktionieren, für
den Fall, dass es eine Art Schadschwellenüberschreitung
gibt, oder den Fall, dass es außer Kontrolle gerät.

Man muss natürlich auch auf etwas mehr Trennschärfe
in dieser Diskussion achten. Es hat niemand von all den
Beteiligten gefordert, eine prophylaktische Impfung für
die nächsten Jahre durchzuführen, sondern es geht einzig
und allein darum, wie man mit einem konkreten Erreger
und entsprechenden Entwicklungen verfährt. Diese Vor-
bereitung ist bereits eingeleitet worden, auch mit der Un-
terstützung durch Renate Künast. Der erste Erfolg ist mei-
nes Erachtens schon einmal, Zootiere, artgefährdete
Tierrassen zu schützen. Ich denke, in dieser Richtung
muss man weitergehen.

Meine Damen und Herren von der Opposition, in einer
solchen Situation sollten wir die Krisenbewältigung ge-
meinsam betreiben und an dieser Krisenbewältigung mit-
wirken, statt die Diskussion für eine populistische und
kleinkarierte Auseinandersetzung zu nutzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] [CDU/CSU]: Über eure Schwächen soll man nicht reden! So geht es nicht!)


Ich komme, um zur Ursprungsdebatte zurückzukehren,
zu den Maßnahmen für den Verbraucherschutz und zur
Unterstützung der landwirtschaftlichen Betriebe. Der An-
trag der CDU/CSU, über den wir heute debattieren, bleibt
weit hinter dem zurück, was die Koalitionsfraktionen in
ihren Anträgen zur BSE-Bekämpfung und zur Neuorien-
tierung der Landwirtschaft sowie zum Verbraucherschutz
formuliert haben. Was aber das Wichtigste ist: Es ist be-
reits konsequent und schnell gehandelt worden. Über das
rasche Krisenmanagement hinaus sind durch Renate
Künast Schritte zur Neuorientierung der Landwirtschafts-
politik und der Verbraucherschutzpolitik eingeleitet und
die konkreten Schritte für den Verbraucherschutz bereits
getan worden.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1416504800
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heinrich?


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416504900
Ja.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1416505000
Bitte sehr.


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1416505100
Frau Kollegin Höfken, Sie
haben hier gerade populistische Methoden angeprangert.
Ich teile die Meinung. Wie würden Sie dann aber das Ver-
halten der Frau Kollegin Höhn in den letzten Wochen ein-
schätzen?


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416505200
Das
ist eine einfach zu beantwortende Frage. Genauso wie ich
das Verhalten der Ministerinnen von Hessen und Rhein-
land-Pfalz einschätze, so tue ich das eben auch im Falle
Nordrhein-Westfalens. Das sind die Ministerinnen, die in

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116140


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den Ländern in der Verantwortung stehen, die damit ihre
Sorgen zum Ausdruck bringen und natürlich die Diskus-
sion um die Zukunft der Tierbestände in ihren Ländern
führen müssen. Das ist genau diese Sorge, die die Lan-
desminister gegenüber der EU – so muss man an diesem
Punkt sagen – umtreibt. Die Verantwortung – das wissen
Sie auch, Herr Heinrich – liegt letztlich bei den Ländern.
Frau Künast hat es so ausgedrückt: Sie ist die Botschaf-
terin hin zur EU und genau diese Funktion nimmt sie ver-
antwortlich wahr.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Aber gerade haben Sie von Populismus gesprochen!)


Wir haben auf deutsche Initiative hin in Europa eine
schnelle Einführung der BSE-Tests erreicht. Auf natio-
naler Ebene wurden die Tests auf Rinder in einem Alter
bis zu 24 Monaten ausgedehnt.

Es wurde erreicht, dass seit dem 14. März dieses
Jahres ein Verbot der Verwendung von Separatoren-
fleisch von Rindern, Schafen und Ziegen besteht.
Deutschland hat sich im Übrigen über diese Maßnahme
hinaus für ein generelles Verbot eingesetzt. Zudem müs-
sen in Zukunft – eine entsprechende Verordnung ist schon
auf dem Weg – alle verwendeten Fleischsorten in der Zu-
tatenliste angegeben werden. Unsere Maßnahmen sind
also weitreichend.

Die Einfuhr von nicht BSE-getestetem Fleisch ist ein
großes Problem. Dieses Problem ist EU-weit zu lösen.
Dafür setzen wir uns entschieden ein. Nationale Maßnah-
men sind, wie Sie sehr wohl wissen, aufgrund des Binnen-
marktes begrenzt wirksam.

Wir haben ebenso die Frage des Tiermehls sehr ent-
schieden – übrigens parteiübergreifend – gelöst. Natürlich
setzen wir uns auch auf der EU-Ebene weiter dafür ein,
dass das Verbot der Verfütterung von Tiermehl bestehen
bleibt.

Bezüglich der Verwendung von antibiotikahaltigen
Leistungsförderern ist es in ungeheurer Schnelligkeit zu
einer Ausstiegsperspektive durch die EU-Kommission
gekommen. Auf nationaler Ebene werden wir uns dafür
einsetzen, dass hier sehr schnell eine Lösung zustande
kommt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zur Existenzsicherung der Fleischerzeuger – um das
letzte Stichwort aufzugreifen –: Die Diskussion über das in
diesem Zusammenhang bestehende Ankaufprogramm
ist unglaublich scheinheilig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist kaum zu fassen: Auf der einen Seite kritisiert gerade
die F.D.P., dass das Ankaufprogramm nicht angelaufen
ist. Auf der anderen Seite besteht das Problem der Trans-
porte. Wie, bitte schön, soll denn das Fleisch nach Nord-
korea kommen? Soll es vielleicht auf fliegenden Teppi-
chen oder in einer anders gearteten Form dorthin
transportiert werden?


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Sie haben leider nicht zugehört!)


Ich finde es zudem unsäglich, dass die Hungernden in
Nordkorea für eine populistische Scheindebatte instru-
mentalisiert werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich will ganz deutlich feststellen: Ich unterstütze aus
vollem Herzen die Position von Frau Ministerin Künast
und von Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, an diese Ange-
legenheit abwägend und vorsichtig heranzugehen. Das ist
der einzig verantwortbare Weg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Die haben wir zum Jagen tragen müssen!)


Das Ankaufprogramm ist jedenfalls angelaufen. Es
wird weiter auf der rechtlichen Grundlage der EU zur An-
wendung kommen.

Ich will noch das Stichwort Agrardiesel nennen. Auch
hier haben wir eine Verbesserung der Situation der Erzeu-
ger bewirkt.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Aber noch zehnmal schlechter als in Frankreich!)


Es gibt eine Unterstützung der artgerechten Tierhaltung
und entsprechender Grünlandwirtschaft im Rahmen der
Gemeinschaftsaufgabe. Dies wurde übrigens gemeinsam
mit den Ländern erarbeitet. Es ist auch eine Herabsetzung
der Schlachtgewichte, das heißt eine Umgestaltung der
entsprechenden Prämien, vorgesehen.

Ich möchte Sie auffordern – das hat Herr Lippold an-
geboten; das muss ich ihm zugestehen –, dass Sie sich
gemeinsam mit uns dieser schwierigen Situation der Kri-
senbewältigung und der Neuausrichtung der Landwirt-
schaft zuwenden.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber mit eigenen Vorschlägen!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1416505300
Als Letztem in dieser
Debatte erteile ich das Wort dem Kollegen Matthias
Weisheit für die SPD-Fraktion.


Matthias Weisheit (SPD):
Rede ID: ID1416505400
Frau Präsidentin! Ge-
schätzte Kolleginnen und Kollegen! Schon als ich mir die
zur heutigen Debatte vorliegenden Anträge noch einmal
angesehen habe, war mir bewusst: Dabei kann nicht viel
herauskommen. Denn der Inhalt der Anträge ist, soweit er
auf nationaler Ebene umsetzbar ist, durch konsequentes
Handeln der Regierung erledigt. Die Anträge sind über-
flüssig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb war es für mich kein Wunder, dass Herr
Lippold hier eine riesige Litanei an Forderungen bezüg-
lich des Verbraucherschutzes vorbringt. Dazu muss ich

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Ulrike Höfken

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sagen: Dieses Thema haben Sie offenbar neu erfunden,
seit Sie in der Opposition sind. Denn bisher hat es bei
Ihren Kollegen, deren Position mir seit vielen Jahren aus
dem Agrarausschuss bekannt ist, keine Rolle gespielt.
Das, was Albert Deß in seinem Beitrag, der vonseiten der
CSU kam, angesprochen hat, widersprach zum Teil dia-
metral dem, was Sie vorhin hinsichtlich des Verbraucher-
schutzes gefordert haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


So habe ich mir die heutige Debatte von vornherein
vorgestellt. Ich erinnere an den Satz, den Bundesminister
Müller letzte Woche gesagt hat, nämlich dass wir eigent-
lich eine bessere Opposition verdient hätten, eine, mit der
man sachlich arbeiten könnte; denn dann könnte man auf
den gesamten Bundestag stolz sein. Aber auf eine solche
Art und Weise, indem man nämlich die Ministerin nur dif-
famiert und sagt, dass all das, was sie macht, schlecht ist,
und dass all das, was man selber will, gut ist, sollte man
nicht miteinander umgehen. Leider ist dies so passiert,
zum Beispiel durch die Zurufe meines geschätzten Kolle-
gen Ronsöhr.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Durch unsere Politik ist es doch erst dazu gekommen! Wir haben uns doch durchgesetzt!)


– Lieber Herr Kollege Heinrich, um noch einmal auf die
Geschichte mit Nordkorea einzugehen:


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Es ist doch unsere Politik gewesen!)


Es ist nicht Ihre Politik gewesen.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Aber natürlich!)


Vielmehr ist die Sache aus der Öffentlichkeit auf uns zu-
gekommen.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Sie konnten doch gar nicht anders!)


Wir haben sie geprüft und konnten Gott sei Dank zu dem
Schluss kommen: Bei Korea handelt es sich um eine Aus-
nahme, wo wir das machen können. Aber es soll doch nie-
mand sagen – und damit persönlich diffamieren, nichts
anderes ist geschehen –,


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Ich habe niemanden persönlich diffamiert!)


wer solche Nahrungsmittelhilfe aus Überschüssen der
Industrienationen für schlecht hält, der beleidigt Bundes-
wehrpiloten. Die werfen üblicherweise keine Über-
schüsse ab. Inzwischen wird das Zeug in den benachbar-
ten Regionen gekauft und kommt eben nicht mehr aus
unseren Überschüssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Albert Deß [CDU/CSU]: Alles in einen Topf geschmissen!)


Wenn wir mittelfristig aus dieser Zwickmühle heraus-
kommen wollen – die darin besteht, dass es auf der einen
Seite in den armen Ländern im Süden hungernde Men-
schen und auf der anderen Seite bei uns Veredelungs-
überschüsse – Schweinefleisch, Rindfleisch und anderes

mehr – gibt, die eigentlich nur dadurch entstehen können,
dass wir Futter aus Ländern importieren, wo Hunger
herrscht, dann dürfen bei uns nur noch so viele Tiere
gemästet und großgezogen werden, wie wir selber inner-
halb der Europäischen Union ernähren können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aber diese Politik hat bisher noch niemand eingeleitet.
Jetzt sagen Sie: Macht es doch endlich! Ja, wir sind dabei.

Sie wissen aber ganz genau, dass wir weder die Ge-
setzmäßigkeiten des Föderalismus in der Bundesrepublik
Deutschland von heute auf morgen umwerfen können – da
gibt es Zuständigkeiten; das gilt übrigens auch für die Fi-
nanzierung der BSE-Folgen – noch die EU von heute auf
morgen von ihren Beschlüssen abbringen und zum Um-
kehren auf ihren Pfaden bringen können. Das dauert län-
ger. Aber in den Gesprächen, die wir mit unseren Kolle-
gen in wichtigen europäischen Partnerstaaten führen,
stellen wir fest: Es findet ein Umdenken statt. In ein paar
Jahren, beim Mid-Term-Review, sind wir bestimmt so
weit, dass wir in die Richtung marschieren können, dass
die Futtergrundlage, die wir in der EU haben, für die tie-
rische Erzeugung, die wir betreiben, ausreichen muss.
Nur so kommen wir aus diesem Dilemma mit den hun-
gernden Ländern auf der einen Seite und den Überschüs-
sen bei uns auf der anderen Seite heraus.

Lassen Sie mich an dieser Stelle einen ganz bemer-
kenswerten Vorgang aufgreifen. Albert Deß, ich habe mit
großem Vergnügen zur Kenntnis genommen, dass der
Sprecher der CSU und damit auch der gesamten
CDU/CSU-Fraktion hier gesagt hat, wir sollten die 90-
Tiere-Obergrenze, die Herr Fischler gefordert hat, ak-
zeptieren.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Ich habe den Widerspruch von Frau Künast dargestellt!)


– Das hast du hier gefordert. –


(Albert Deß [CDU/CSU]: Nein!)


Ich möchte gerne hören, was in Bayern los ist, wenn wir
das akzeptieren würden: Mord und Totschlag! Diese böse
Bundesregierung!

Die 90-Tiere-Obergrenze beträfe nicht nur die Be-
stände in den neuen Bundesländern, sondern die Bestände
in allen Ländern, auch in Süddeutschland. Die 90-Tiere-
Obergrenze ist ein Unfug. Denn von der Zahl der Tiere in
einem Betrieb hängt weder Qualität noch Umweltschutz
oder artgerechte Haltung ab. Von der Fleischmenge kom-
men wir nur herunter, wenn wir das Schlachtgewicht sen-
ken. Darüber verhandelt die Ministerin in Brüssel. Da
kommen wir auch voran.

Die Ministerin hat selber vorhin dargestellt, was sie
alles in dieser kurzen Zeit angestoßen und wo sie sich
durchgesetzt hat. Ich kann deshalb darauf verzichten, das
noch einmal zu tun.

Ich danke für die Aufmerksamkeit und wünsche erhol-
same Ostern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Matthias Weisheit

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Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1416505500
Dahin kommen wir
noch nicht, weil nun der Kollege Ronsöhr noch den
Wunsch nach einer Kurzintervention hat. Bitte sehr, Herr
Kollege.


(Zurufe von der SPD: Er entschuldigt sich! – Als Kavalier alter Schule! – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jetzt bringt er ein Konzept!)



Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU):
Rede ID: ID1416505600
Frau Prä-
sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier
wurde behauptet, nichts aus unserem Antrag sei umsetz-
bar.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat sich erledigt!)


– Ulrike, ich wäre ja sehr froh, wenn er sich erledigt hätte.
Aber wo ist denn das Verbot des Tiermehltourismus? Du
hast im Ausschuss selbst angekündigt, dass ihr


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht nicht in dem Antrag!)


– das steht drin – den Tiermehltourismus verbieten wür-
det. Zumindest gibt es eine gesetzliche Grundlage, die wir
gemeinsam mit der Koalition verabschiedet haben. Aber
diese gesetzliche Grundlage wird nicht genutzt.

Was ist mit dem Verbot der Fettschmelzen? Wir sind
uns doch alle einig und verfügen inzwischen auch alle
über entsprechende Erkenntnisse, dass Fettschmelzen
Prionenschleudern sind, die stillgelegt werden müssen.
Wenn wir dies hier problematisieren, tun wir das mit al-
lem Recht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Hinblick auf Antibiotika hat sich unser Antrag doch
auch nicht erledigt. In Europa war die Tür sehr weit offen,
als es um das Verbot der letzten vier antibiotischen „Leis-
tungsförderer“ ging.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Leistungsförderer?)


– Herr Kollege, ich habe doch das in Anführungsstriche
gesetzt.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das habe ich gehört!)


– Es ist ja schön, dass Sie das zur Kenntnis nehmen.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Ich lache nur über diesen Euphemismus!)


Wenn ein solches Verbot aber erst im Jahre 2005 greift,
dann ist dies aus unserer Sicht nicht der richtige Zeit-
punkt.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätten Sie mal früher machen sollen!)


– Wir haben zehn antibiotische „Leistungsförderer“ in un-
serer Regierungszeit verboten.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Richtig! – Widerspruch der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Jetzt wird im Grunde genommen innerhalb einer Legisla-
turperiode europaweit kein weiteres Antibiotikum verbo-
ten. Solche Tatbestände sind so unmöglich, dass eine Op-
position sie zu Recht aufarbeiten muss.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, Ähnliches gilt für den öko-
logischen Landbau. In Bayern wird ganz anders als bei-
spielsweise in Nordrhein-Westfalen gefördert. Nordrhein-
Westfalen fördert mit 191 DM, Bayern mit 707 DM.


(Matthias Weisheit [SPD]: Hat er jetzt eine zusätzliche Redezeit?)


Schauen Sie sich die Verbreitung des ökologischen Land-
baus in Baden-Württemberg an und vergleichen Sie dies
mit Nordrhein-Westfalen, mit Schleswig-Holstein oder
dem Land, das der Kanzler früher als Ministerpräsident
regiert hat!


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1416505700
Jetzt müssen Sie zum
Schluss kommen. Ihre Redezeit ist beendet.


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU):
Rede ID: ID1416505800
Frau Prä-
sidentin, ich bedanke mich für diesen Hinweis.

Wir haben keine Belehrungen nötig. Eher muss die rot-
grüne Koalition belehrt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1416505900
Zu einer Erwiderung
erteile ich der Kollegin Höfken das Wort.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416506000
Man
könnte den Gesinnungswandel der CDU/CSU in gewisser
Weise begrüßen, wäre sie denn in den Abstimmungen, in
den Konzepten und in der Durchsetzungsstrategie – auch
in den Ländern – konsequent. Aber wenn das ein Angebot
war, in Zukunft in Richtung Verbraucher-, Umwelt- und
Tierschutz zu gehen, nehmen wir das gerne auf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Allerdings wies die Rede des Kollegen Albert Deß lei-
der in eine ganz andere Richtung. Er argumentierte nach
dem Motto, jedes landwirtschaftliche Produkt sei gleich,
es gebe keine Unterschiede, Ökolandbau sei mieser
Kram und im Grunde nicht geeignet, um der steigenden
Nachfrage gerecht zu werden. Sie müssen eine Abkehr
von der Sichtweise finden, dass es in der Landwirtschaft
keine unterschiedlichen Angebote zu geben brauche.
Auch Sie müssen einen neuen Weg finden, um der Nach-
frage der Verbraucher zu entsprechen. Dafür bietet Öko-
landbau eine riesige Chance. Wir werden sie wahrneh-
men und haben uns 10 Prozent in fünf Jahren und
20 Prozent in zehn Jahren zum Ziel gesetzt. Dies halten
wir für eine positive Entwicklung der Landwirtschaft ins-
gesamt.

Zum Zweiten möchte ich Sie an die Diskussionen er-
innern, die wir um die Herausnahme des Risikomaterials
geführt haben. Damals haben Sie, Herr Ronsöhr, mit aller

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16143


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Kraft dafür gekämpft, dass das nicht passiert. Ein weite-
res Beispiel ist das Tiermehl. Es hat sehr viel Energie ge-
kostet, Tiermehl in Futtermitteln endlich zu verbieten.
Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, dann hätten wir bis
heute keine BSE-Erkrankungen festgestellt, weil alles
verdeckt worden wäre. Das gleiche gilt für Antibiotika.
Wir haben unglaubliche Diskussionen darüber geführt, ob
die tägliche Einnahme von antibiotischen Leistungsförde-
rern unvermeidlich ist.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Die rot-grüne Bundesregierung war genauso dabei!)


Ich finde, wir kommen erst jetzt an einen Punkt, an
dem wir uns gemeinsam verständigen müssen, um viel-
leicht in Zukunft eine gute Verbraucherpolitik zu betrei-
ben.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Auf keine konkrete Sache eingegangen!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1416506100
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir stimmen ab über die Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit
dem Titel „Sofortmaßnahmen zur Verbesserung des Ver-
braucherschutzes und zur Unterstützung der landwirt-
schaftlichen Betriebe erforderlich“, Drucksache 14/5722.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/5544 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Mit den
Stimmen der Fraktion der SPD und der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen ist diese Beschlussempfeh-
lung angenommen.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5479 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie ein-
verstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Regelung des Rechts der Untersuchungs-

(Untersuchungsausschussgesetz)

– Drucksache 14/2518 –

(Erste Beratung 82. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Dr. Wolfgang Gerhardt, Jörg van Essen,
Rainer Funke, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Regelung des Rechts der Un-
tersuchungsausschüsse des Deutschen Bundes-
tages (Untersuchungsausschussgesetz)


– Drucksache 14/2363 –

(Erste Beratung 82. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung (1. Ausschuss)

– Drucksache 14/5790 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hermann Bachmaier
Andreas Schmidt (Mülheim)

Hans-Christian Ströbele
Jörg van Essen
Dr. Evelyn Kenzler

Zu diesen Gesetzentwürfen liegt ein Änderungsantrag
der PDS-Fraktion vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Damit sind Sie
einverstanden.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Hermann Bachmaier, SPD-Fraktion.


Hermann Bachmaier (SPD):
Rede ID: ID1416506200
Frau Präsidentin! Mei-
ne verehrten Kolleginnen und Kollegen! Vor mehr als
einem Jahr haben wir in erster Lesung die beiden Gesetz-
entwürfe der Koalitionsfraktionen und der F.D.P.-Frak-
tion im Bundestag beraten. Damals hatte ich immer noch
meine Zweifel, ob es uns nach 50 Jahren endlich gelin-
gen würde, der Arbeit der Untersuchungsausschüsse des
Deutschen Bundestages eine vernünftige gesetzliche
Grundlage zu geben. Es sieht aber so aus, als ob dieser
– mittlerweile achte – Versuch endlich Erfolg haben wird.
Besonders erfreulich ist, dass der heute zu beschließende
Gesetzentwurf eine breite, möglicherweise einstimmige
Zustimmung erfahren wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dies ist gut so und wird dem Gesetz über seine rechtliche
Verbindlichkeit hinaus hohe Legitimation für die Arbeit
zukünftiger Untersuchungsausschüsse mit auf den Weg
geben.

Es ist schon interessant, der Frage nachzugehen, worin
denn die Gunst der Stunde besteht, dass wir gerade jetzt,
während der Parteispenden-Untersuchungsausschuss noch
höchst kontrovers um Erkenntnisse und Ergebnisse ringt,
die Kraft aufbringen, endlich die gesetzlichen Grundlagen
für die weitere Arbeit von Untersuchungsausschüssen zu
schaffen. Möglicherweise haben gerade die höchst unter-
schiedlichen Erfahrungen der Fraktionen in diesem Un-
tersuchungsausschuss mit dazu beigetragen, die längst
überfällige gesetzliche Regelung zu schaffen. Schließlich
ist es ein entscheidendes Anliegen des Gesetzes, das Ver-
fahren zukünftig so zu strukturieren, dass die Sacharbeit
in Untersuchungsausschüssen nicht im ständigen Verfah-
renshickhack zu ersticken droht.

Entscheidend war sicherlich auch, dass einerseits die
Koalitionsfraktionen die zum Teil bitteren Erfahrungen in
ihrer Oppositionszeit noch nicht vergessen haben und an-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Ulrike Höfken

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dererseits die heutige Opposition mittlerweile gelernt hat,
dass auch Untersuchungsausschüsse Regeln benötigen,
die ein gerechtes und zügiges Verfahren und somit eine
vernünftige Sacharbeit ermöglichen.

Machen wir uns aber keine Illusionen! Trotz dieses
recht gelungenen ersten Untersuchungsausschussgesetzes
des Deutschen Bundestages wird es auch in Zukunft hef-
tigen Streit um den richtigen Weg zur Aufklärung und vor
allem um die Bewertung der in den Ausschüssen ge-
wonnenen Erkenntnisse geben. Dies ist gut und richtig so,
denn Untersuchungsausschüsse sind keine gerichtlichen
Entscheidungskörper – und sollen es auch nicht sein – in
denen am Ende ein allgemeingültiges Urteil gesprochen
wird. Es wird immer mehrere und unterschiedliche Beur-
teilungen geben. Dieses Gesetz soll allerdings dazu bei-
tragen, dass die Auseinandersetzungen mehr um die Sa-
che und weniger um das jeweilige Verfahren geführt
werden.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf hat die gründ-
liche parlamentarische Beratung gut getan. Er ist besser,
realitätsgerechter und in seinen Folgen weitreichender
geworden als die Entwürfe, die ihm zugrunde lagen. Das
ist nicht immer so.

Nach einer hochinteressanten Sachverständigenanhö-
rung, einer höchst informativen Berichterstatterreise in
die USA und gründlichen Berichterstattergesprächen un-
ter Einbeziehung vielfältiger weiterer Anregungen haben
wir ein, wie ich meine, recht gutes Untersuchungsaus-
schussgesetz entwickelt. Dieses Gesetz führt nicht nur die
bisherigen Streitfragen einer vernünftigen Lösung zu,
sondern wird zukünftigen Untersuchungsausschüssen
auch neue Impulse geben.

Unser Ziel war es, das Verfahren zügiger, effizienter
und ergebnisorientierter auszurichten. Die interessanteste
Neuerung dabei ist sicherlich die gesetzlich geschaffene
Möglichkeit, in Zukunft einen Ermittlungsbeauftragen
bzw. eine Ermittlungsbeauftragte dem Untersuchungs-
ausschuss zuzuordnen und ihn bzw. sie mit Vorermittlun-
gen zu beauftragen. Wenn der Untersuchungsausschuss
von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, bleiben ihm
mühsame und zeitraubende Vorstrukturierungen erspart.
Der Untersuchungsausschuss weiß auch möglicherweise
früher als bislang, was er von den jeweils zu ladenden
Zeugen zu erwarten hat.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Sehr richtig!)


Es kann dann schon im Vorfeld Wesentliches leichter von
Unwesentlichem getrennt werden. Das Verfahren kann
konzentrierter und zügiger vorangebracht werden.

Allerdings werden diejenigen, die in Zukunft einen Er-
mittlungsbeauftragten bzw. eine Ermittlungsbeauftragte
fordern, viel Fingerspitzengefühl benötigen, wenn es da-
rum geht, eine geeignete Person vorzuschlagen, die neben
Erfahrung, Kompetenz und Sachverstand


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Hirsch!)


auch gleichzeitig das notwendige Vertrauen aller Grup-
pierungen im Untersuchungsausschuss haben muss. Das
in § 10 des Gesetzentwurfs vorgesehene Verfahren zwingt
dazu, über den eigenen politischen Tellerrand hinaus zu
denken. Mir fallen viele Personen mit höchst unterschied-
lichem politischen Hintergrund ein, die ich mir für diese
interessante Aufgabe vorstellen könnte.

Einen Punkt möchte ich noch besonders hervorheben,
weil sich gerade an ihm in der Vergangenheit immer wie-
der heftiger und unnötiger Streit entzündet hat. Die Frage,
wann welche Zeugen zu vernehmen sind und in welcher
Reihenfolge die jeweilige Vernehmung zu erfolgen hat,
haben wir durch einen ganz einfachen Verweis gelöst. In
Zukunft werden die Regeln der Geschäftsordnung des
Deutschen Bundestages im Untersuchungsausschuss
dann sinngemäß angewendet, wenn sich die unterschied-
lichen Gruppierungen nicht auf ein vernünftiges Verfah-
ren verständigen können. Dieser unersprießliche und fast
jeden Untersuchungsausschuss begleitende Streit, der die
Arbeit nicht selten schwer belastet und manchmal fast er-
stickt hat, wird, so meinen wir, bald der Vergangenheit an-
gehören.

Ein weiterer Punkt: In Zukunft wird für alle Verfah-
rensstreitigkeiten, für die nicht von vornherein das Bun-
desverfassungsgericht zuständig ist, der Bundesgerichts-
hof bzw. der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof
zuständig sein. Die Folge ist, dass es nur noch eine Instanz
gibt. Die Konsequenz ist, dass schnell und zügig Rechts-
sicherheit geschaffen wird. Außerdem wird sich durch die
Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs auch schnell eine
gefestigte Rechtsprechung für alle alltäglichen Streitfra-
gen eines Untersuchungsausschusses herausbilden, so-
dass viele Verfahren überflüssig werden dürften.

Diese Regelung wird ihre Wirkung auf grundlos un-
willige Zeugen und diejenigen, die die Herausgabe von
Beweismitteln grundlos verweigern, nicht verfehlen.
Auch die deutliche Erhöhung der Ordnungsgelder auf bis
zu 10 000 Euro wird bei denjenigen, die ihren Pflichten
gegenüber einem Untersuchungsausschuss nicht nach-
kommen wollen, nicht ohne Wirkung bleiben.

Während der Beratungen haben wir uns auch intensiv
mit der Frage der Fernsehöffentlichkeit von Zeugenver-
nehmungen im Untersuchungsausschuss beschäftigt und
eine Vielzahl von Gesprächen mit sachkundigen Personen
geführt. Die jetzt gefundene Lösung führt zu einer behut-
samen Öffnung und lässt Fernsehübertragungen von Zeu-
genvernehmungen dann zu, wenn zwei Drittel der Mit-
glieder des Untersuchungsausschusses und die jeweils
betroffene Zeugin oder der betroffene Zeuge derartigen
Aufnahmen zustimmen. Ich meine, dass wir damit den
schwer in Einklang zu bringenden Belangen der Wahr-
heitsfindung, des Persönlichkeitsschutzes und des Öffent-
lichkeitsprinzips des Parlaments hinreichend Rechnung
tragen.

Wir konnten dabei auch nicht außer Acht lassen, dass
das Bundesverfassungsgericht erst jüngst Fernsehübertra-
gungen von Gerichtsverhandlungen und vor allem auch
von Zeugenvernehmungen strikt untersagt hat. In unse-
rem Verfassungssystem sind eben – anders als in den Ver-
einigten Staaten von Amerika – der Mediengesellschaft

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Hermann Bachmaier

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nach wie vor gewisse Grenzen gesetzt. Auch dies hatten
wir zu berücksichtigen.

Wir haben uns auch mit der im Parteispenden-Unter-
suchungsausschuss höchst umstrittenen und brisanten
Frage des Rechtes der Auskunftsverweigerung von
Zeugen intensiv auseinandergesetzt. Ich habe viel Ver-
ständnis für den Ärger meiner Kolleginnen und Kollegen
im Parteispenden-Untersuchungsausschuss, die häufig
mit einer Wand des Schweigens konfrontiert sind, wenn
zentrale Zeugen vor dem Ausschuss erscheinen. Dennoch
war für uns der Grundsatz, dass letztlich kein Zeuge ge-
zwungen werden kann, sich durch seine Aussage der Ge-
fahr einer strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen, immer
unbestritten. An eine Lockerung dieses rechtsstaatlichen
Grundprinzips in Untersuchungsausschüssen wäre des-
halb nur dann zu denken gewesen, wenn gleichzeitig ei-
nem aussagebereiten Zeugen zugesichert werden könnte,
dass ihm aus dem dann geschilderten Sachverhalt keine
strafrechtliche Verfolgung mehr droht.

Wir haben uns sehr ernsthaft und gründlich mit dieser
Frage auseinandergesetzt, auch in langen Gesprächen, die
wir in den Vereinigten Staaten geführt haben; denn dort
– das wissen Sie – gibt es eine andere Regelung. Einen so
weitgehenden, dem Kronzeugenprinzip angenäherten
Verzicht auf Strafverfolgung, ausschließlich bezogen auf
ein parlamentarisches Untersuchungsausschussverfahren,
haben wir letztlich nicht gewollt. Auch das Untersu-
chungsrecht des Parlamentes sollte dort seine Grenzen
finden, wo die Ermittlungsmöglichkeiten in einem ge-
richtlichen Strafverfahren enden.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geben wir
zukünftigen Untersuchungsausschüssen eine vernünftige
rechtliche Grundlage. Wir erheben nicht den Anspruch,
dass wir damit für alle Zeit alle Streitfragen erledigt hät-
ten. Jedes neue Gesetz muss sich zunächst in der Praxis
bewähren.

Das heute zu beschließende Untersuchungsausschuss-
gesetz ist eine Chance, Untersuchungsausschussarbeit
in Zukunft sachorientierter in Angriff zu nehmen und
schneller als bisher zu Ergebnissen zu kommen. Das Ge-
setz liefert aber nur einen vernünftigen Rahmen und, wie
wir meinen, ein vernünftiges Verfahren. Damit ist noch
nicht gewährleistet, dass sich die konkrete Arbeit an die-
sen Zielvorstellungen orientiert. Mit Leben erfüllt werden
muss dieses Gesetz erst durch die Parlamentarierinnen
und Parlamentarier, die in Zukunft in Untersuchungsaus-
schüssen Verantwortung tragen.

Manches wird nicht mehr nach den eingefahrenen
Schemata der letzten 50 Jahre gehen. Daran werden sich
diejenigen gewöhnen müssen, die sich in dieser Grauzone
bislang gut eingerichtet haben. Die eigentliche Bewäh-
rungsprobe steht dem heute zu beschließenden Gesetz
erst noch bevor.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Vielen Dank an diejenigen, die an dieser schwierigen
Aufgabe im Parlament, in den Ministerien und vor allem
auch in dem Sekretariat des Geschäftsordnungsaus-
schusses so tatkräftig mitgewirkt haben.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1416506300
Ich erteile dem Kolle-
gen Andreas Schmidt für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.


Andreas Schmidt (CDU):
Rede ID: ID1416506400
Frau Prä-
sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird heute dem vorlie-
genden Entwurf zum Untersuchungsausschussgesetz in
der Fassung der Beschlussempfehlung des Geschäftsord-
nungsausschusses zustimmen. Dieses Gesetz ist aufgrund
der Erfahrungen, die wir im laufenden Untersuchungsaus-
schuss mit der rot-grünen Mehrheit gemacht haben, drin-
gend notwendig und in der Sache geboten.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hört man gerne!)


Wir erreichen mit diesem Gesetz drei wichtige Ziele:
Erstens. Die Minderheitenrechte werden in zentralen
Punkten gestärkt.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So sind wir!)


Zweitens. Die einseitige parteipolitische Instrumenta-
lisierung eines Untersuchungsausschusses durch die
Mehrheit wird durch das Gesetz zwar nicht gänzlich
ausgeschlossen, aber zumindest erschwert.

Drittens. Minderheit und Mehrheit erhalten durch
das Gesetz gemeinsam die Chance, sich gegenseitig zu
zwingen, sich in künftigen Untersuchungsausschüssen
konzentrierter und zielgerichteter am eigentlichen Unter-
suchungsauftrag zu orientieren. Wir haben im Untersu-
chungsausschuss die wichtige Erfahrung gemacht, dass
sich hier etwas ändern muss.

Zu einer parlamentarischen Demokratie gehört nicht
nur die Debatte. Zur Demokratie gehört vor allen Dingen
auch der Streit. Für diesen notwendigen Streit gibt es in
einem Rechtsstaat Spielregeln. Das heute hier vorlie-
gende Untersuchungsausschussgesetz wird nach seiner
Verabschiedung zu diesen Spielregeln gehören. Ich finde,
es ist ein Wert an sich, wenn die Spielregeln für die strei-
tigen Auseinandersetzungen im Konsens beschlossen
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich begrüße daher sehr, dass es uns gelungen ist, in die-
sem Punkt einen solchen Konsens, eine gemeinsame Po-
sition, erreicht zu haben.

Ich habe gerade gesagt, dass die Erfahrung, die wir im
laufenden Untersuchungsausschuss mit der rot-grünen
Mehrheit gemacht haben, der entscheidende Grund dafür
ist, dass die Union den vorliegenden Gesetzentwurf für
notwendig und richtig hält. Die rot-grüne Mehrheit im
Untersuchungsausschuss hat in den vergangenen Mona-
ten gegen jedes rationale Aufklärungsinteresse diesen

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Hermann Bachmaier

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Ausschuss in einer unglaublichen Art und Weise zu partei-
politischen Zwecken gegen die Union instrumentalisiert.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätten Sie sich sparen können! Das ist doch nun wirklich nicht wahr!)


SPD und Grüne haben immer wieder gegen besseres Wis-
sen, ohne Belege oder Beweise zu haben, den Verdacht
kolportiert, es gebe einen Zusammenhang zwischen
Spenden und bestimmten Entscheidungen der früheren
Bundesregierung.


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Ob wir dem Gesetzentwurf jetzt noch zustimmen, ist fraglich!)


Um diese Diffamierungskampagne fortsetzen zu kön-
nen, hat Rot-Grün die Vernehmung der entscheidenden
Zeugen, die diese schweren Vorwürfe hätten aufklären
können, über Monate nicht zugelassen. Unseren Anträ-
gen, den ehemaligen Bundeskanzler, Dr. Kohl, und die
übrigen Regierungsmitglieder zu Beginn dieses Untersu-
chungsausschusses als Zeugen zu vernehmen, hat sich die
Mehrheit aus rein parteitaktischen Gründen über Monate
widersetzt.

Der entscheidende Vorteil des Untersuchungsaus-
schussgesetzes liegt darin, dass eine einseitige Festle-
gung der Zeugenreihenfolge aus rein parteitaktischen
Gründen zukünftig nicht mehr möglich sein wird.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es! Das hätten Sie schon in der letzten Legislaturperiode machen können!)


Durch das Gesetz wird sichergestellt, dass auch die Min-
derheit das Recht hat, eine Vernehmung von ihr benann-
ter Zeugen zeitnah und sachgerecht zu terminieren. Das
ist für mich der entscheidende Fortschritt durch dieses
Gesetz.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn dieses Gesetz schon bei Einsetzung des laufen-
den Untersuchungsausschusses Geltung gehabt hätte,
wären auf unseren Antrag hin zum Beispiel die Zeugen
Kohl, Genscher und Stoltenberg zu Beginn der Arbeit des
Untersuchungsausschusses vernommen worden. Der
Ausschussvorsitzende Neumann hätte dann viele Monate
früher – als er es jetzt getan hat – vor der Öffentlichkeit
zugeben müssen, dass beispielsweise die Vorwürfe der
Bestechlichkeit bezüglich der Panzerlieferung völlig ge-
genstandlos sind.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hermann Bachmaier [SPD]: Lieber Herr Schmidt, reden Sie doch über diesen Gesetzentwurf und nicht über den Ausschuss!)


Das heute zu verabschiedende Gesetz wird formal erst
für den nächsten Untersuchungsausschuss Geltung haben;
darüber sind wir uns einig. Wir erwarten allerdings, dass
die rot-grüne Mehrheit auch im laufenden Untersuchungs-
ausschuss den klaren Willen des Gesetzgebers akzeptiert
und zur Kenntnis nimmt, dass auch die Minderheit das
Recht haben soll, die Reihenfolge der Vernehmung der
Zeugen mitzugestalten.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätte Ihnen eher einfallen müssen!)


Wir haben im laufenden Untersuchungsausschuss eine
zweite Erfahrung gemacht, die dazu geführt hat, dass wir
heute sagen: Wir brauchen dieses Gesetz. Wir wissen
heute – Sie können das nicht bestreiten –, dass auch die
SPD massiv gegen das Transparenzgebot des Grundge-
setzes und gegen das Parteiengesetz verstoßen hat,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit dem Gesetzentwurf zu tun?)


und zwar durch eine systematische Verschleierung eines
riesigen Beteiligungsvermögens. Der Untersuchungsauf-
trag im laufenden Untersuchungsausschuss verlangt auch
hierüber Aufklärung.

Unsere Erfahrung ist völlig eindeutig: Rot-Grün hat
immer dann, wenn es für die SPD unangenehm wurde,
ihre Mehrheit missbräuchlich eingesetzt,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja schon wieder Polemik! Sie wollten doch brav sein!)


indem sie unsere Beweisanträge zur Aufklärung des
SPD-Parteivermögens durch Abstimmung für unzulässig
erklärt hat. Die rot-grüne Arroganz der Macht gegenüber
unseren Minderheitenrechten war nur deshalb so scham-
los möglich, weil uns aufgrund der geltenden Rechtslage
kein Rechtsmittel gegen dieses missbräuchliche Verhalten
zur Verfügung gestanden hat. Das neue Gesetz bringt hier
eine wichtige Verbesserung. Durch das neue Unter-
suchungsausschussgesetz erhält eine Fraktion das Recht,
bei Ablehnung eines eigenen Beweisantrages den Rechts-
weg zum BGH zu beschreiten.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1416506500
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Wiefelspütz?


Andreas Schmidt (CDU):
Rede ID: ID1416506600
Ja, sehr
gerne, Herr Kollege.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1416506700
Bitte sehr.


Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Rede ID: ID1416506800
Lieber Herr Kollege
Schmidt, können Sie uns eigentlich verraten, warum wir
uns fraktionsübergreifend auf das neue Untersuchungs-
ausschussgesetz verständigt haben?


Andreas Schmidt (CDU):
Rede ID: ID1416506900
Herr
Kollege Wiefelspütz, wir machen das gemeinsam, weil es
bei Ihnen doch noch einige nachdenkliche Leute gibt,


(Zuruf von der SPD: Die ganze Fraktion!)


die erkennen, dass sich die Arroganz der Macht, die sie im
Untersuchungsausschuss an den Tag gelegt haben, jetzt
gegen sie selbst richtet.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum Beispiel der Kollege Ströbele!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Andreas Schmidt (Mülheim)


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(A)



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Damit dies nicht noch einmal geschieht, sind sie offen-
sichtlich zu der Erkenntnis gelangt, dass es richtig ist, hier
etwas zu verändern.

Ich nenne Ihnen ein zweites Argument: Sie müssen
natürlich damit rechnen – das wissen Sie auch –, bald wie-
der eine Minderheit zu sein,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie kommen Sie denn darauf?)


und Sie wollen nicht, dass wir dann Ihre Erfahrungen nut-
zen und mit Ihnen genauso umgehen, wie Sie es mit uns
als Minderheit getan haben.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1416507000
Herr Kollege
Wiefelspütz möchte eine weitere Zwischenfrage stellen.
Ich denke aber, ich lasse diese Frage nicht mehr zu, weil
die Zeit inzwischen fortgeschritten ist.

Herr Kollege, Sie dürfen fortfahren.


Andreas Schmidt (CDU):
Rede ID: ID1416507100
Ich will
im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf zwei wei-
tere Punkte ansprechen:

Erstens. Wir schaffen mit dem Gesetz die neue Institution
eines Ermittlungsbeauftragten im Untersuchungsaus-
schussverfahren. Ich sage Ihnen ganz klar: Weder Kenneth
Starr noch Herr Hirsch haben hierbei Pate gestanden; bei
unserer Diskussion über die neue Funktion waren sie eher
abschreckende Beispiele. Der Ermittlungsbeauftragte hat
lediglich – darüber sind wir uns einig – im Innenverhältnis
eine dienende Funktion. Er soll nämlich die Arbeit des
Untersuchungsausschusses vorbereiten und dadurch hel-
fen, die Arbeit zu straffen und zu forcieren.

Zweitens. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schrei-
ben wir den Grundsatz fest, dass Fernsehübertragungen
aus einem Untersuchungsausschuss grundsätzlich nicht
zulässig sind. Diese Position ist nach meiner Auffassung
richtig und wichtig, weil eine Fernsehübertragung eher der
parteipolitischen Instrumentalisierung als der Wahrheits-
findung dient und die Persönlichkeitsrechte der Zeugen
bei einer Fernsehübertragung übermäßig beeinträchtigt
würden. Im Wege des Kompromisses haben wir die Mög-
lichkeit ins Gesetz geschrieben, eine Ausnahme von der
Regel zuzulassen. Allerdings ist die Hürde dafür durch
eine notwendige Zweidrittelmehrheit im Ausschuss und
die notwendige Zustimmung des Zeugen bewusst sehr
hoch angesetzt worden. Nach den bisher geltenden IPA-
Regeln hatte der Ausschussvorsitzende allein über die
Zulässigkeit von Fernsehübertragungen zu entscheiden.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir eine
klarere Rechtslage und zementieren den Grundsatz: Öf-
fentlichkeit im Untersuchungsausschuss ja, Fernseh-
übertragungen prinzipiell nein.

Der Konsens im Hinblick auf den Gesetzentwurf, den
wir partei- und fraktionsübergreifend begrüßen, war auch
deshalb möglich, weil sich der Kollege Ströbele mit sei-
ner Vorstellung, Zeugenrechte einzuschränken, nicht
durchsetzen konnte.


(Dr. Wolfgang Freiher von Stetten [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Die rechtsstaatlichen Prinzipien müssen auch in einem
Untersuchungsausschussverfahren Geltung haben. Des-
halb ist es wichtig und richtig, dass im Gesetzentwurf klar
und unmissverständlich festgestellt wird: Die Aussage-
verweigerungsrechte der Strafprozessordnung haben
uneingeschränkt Geltung auch im Untersuchungsaus-
schussverfahren.

Ich möchte als abschließenden Punkt das Thema Be-
troffenenstatus ansprechen. Wir haben diesen Status im
Gesetzentwurf ausdrücklich nicht geregelt. In diesem
Punkt hat es keinen Konsens, keine Einigung gegeben.
Aber wir sind uns einig, dass der Gesetzentwurf im Hin-
blick auf die Geltung des Art. 44 des Grundgesetzes den
Betroffenenstatus im Einzelfall nicht ausschließt. Des-
halb haben wir in den Bericht folgende Formulierung zu
§ 20 des Gesetzentwurfs einvernehmlich aufgenommen:

Bei Erörterung des Verzichts auf einen gesetzlich
vorzusehenden Betroffenenstatus und vor dem Hin-
tergrund der weiterhin von Art. 44 GG angeordneten
sinngemäßen Anwendung der Regeln über den Straf-
prozess war dem Ausschuss bewusst, dass eine über
die Regelungen des Untersuchungsausschussgeset-
zes hinausgehende Zuerkennung von Rechten für
Zeugen in bestimmten Sonderkonstellationen durch
die Rechtsprechung nicht ausgeschlossen werden
könne.

Als Fazit halte ich fest: Aufgrund der gemachten Er-
fahrungen im laufenden Untersuchungsausschuss halten
wir den vorliegenden Gesetzentwurf für notwendig und
zielführend. Mit diesem Gesetzentwurf, vor allem durch
die Stärkung der Minderheitenrechte, stellt sich der Ge-
setzgeber eindeutig gegen den Missbrauch der rot-grü-
nen Mehrheit im laufenden Untersuchungsausschussver-
fahren.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Herr Schmidt!)


Die CDU/CSU-Fraktion wird deswegen dem Gesetzent-
wurf in zweiter und dritter Lesung zustimmen.

Auch ich möchte abschließend die Gelegenheit nutzen,
um mich für die sachgerechte und sachliche Diskussion
zu bedanken, die ohne Kameras stattfand.


(Hermann Bachmaier [SPD]: Die im wohltuenden Gegensatz zu dieser Rede stand!)


Ich bedanke mich auch bei den Mitarbeitern, die uns hilf-
reich zur Seite gestanden haben. Ich glaube, wir be-
schließen heute ein wichtiges und notwendiges Gesetz.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1416507200
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hans-Christian Ströbele für die Fraktion
von Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

legen! Das Parlament gibt sich kurz vor Ostern ein Gesetz
für die Arbeit des Parlaments, um die Kontrolle, eine der

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Andreas Schmidt (Mülheim)


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(D)



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(B)


wichtigsten Aufgaben des Parlaments, in Zukunft noch
besser ausüben zu können. Den vorliegenden Gesetzent-
wurf werden wir wahrscheinlich einstimmig verabschie-
den. Das wäre prima. Dass die CDU/CSU mitmacht – das
ist schon signalisiert worden –, ist sehr gut.

Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass der Kollege
Schmidt,


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Ein guter Mann!)


anstatt die Platte aus dem Untersuchungsausschuss hier
noch einmal abzuspielen, einige kleine selbstkritische
Äußerungen gemacht hätte. Herr Kollege Schmidt, Sie
hätten ruhig erwähnen können, dass Sie am Anfang, als
das Gesetz eingebracht und die Begleitmusik in der Öf-
fentlichkeit gemacht worden ist, gegen das Gesetz und ge-
gen die Ausdehnung der Minderheitenrechte gewesen
sind, obwohl Sie in der Opposition sind, und zwar des-
halb, weil Sie Ihre Rolle in der Opposition vor einem Jahr
noch nicht richtig gefunden hatten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie hätten sich auch kritisch dazu äußern können,
warum Sie eigentlich in den 16 Jahren, in denen Sie mit
anderen hier die Mehrheit hatten – die F.D.P. war ja schon
früher für ein solches Gesetz, sie hat auch einen eigenen
Entwurf eingebracht –, nicht die Gelegenheit wahrge-
nommen haben, ein vernünftiges, schönes, gutes Gesetz
– ähnlich wie dieses – zu verabschieden. Dann wären all
Ihre Litaneien, die Sie uns heute wieder dargeboten ha-
ben, nicht nötig gewesen, weil sie im laufenden Untersu-
chungsausschuss nach diesem Gesetz hätten verfahren
können. Auch diese Chance haben Sie verpasst.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD Man fragt sich: Warum hat der Deutsche Bundestages – in den 50 Jahren seiner Tätigkeit – auch in Untersuchungsausschüssen – eigentlich nicht fertig gebracht, ein solches Gesetz zu schaffen? Der Grund dafür ist, dass die jeweiligen Mehrheiten es in der Vergangenheit nicht über sich gebracht haben, den Minderheiten mehr Rechte zu geben, (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Recht haben sie gehabt!)


weil sie sich in ihrer Regierungstätigkeit, in ihrer Tätig-
keit als Mehrheitskoalition nicht stören lassen wollten.
Das war nicht sehr demokratisch, aber das waren die Fak-
ten.

Die Bündnisgrünen und die SPD, das heißt die neue
Koalition,


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Herr Ströbele, die SPD und die Bündnisgrünen, bitte schön! Das ist ja unglaublich!)


haben mit dieser Vergangenheit gebrochen, sind über
ihren Schatten gesprungen


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Über den grünen Schatten oder den roten Schatten?)


und haben gesagt: Wir schaffen jetzt ein Gesetz, aufgrund
dessen die Minderheit, die Opposition – CDU/CSU und
F.D.P., aber auch die ganz kleine Fraktion – in Zukunft das
Recht bekommt zu sagen: An dem Tag hätten wir gerne
einen bestimmten Zeugen vernommen. Sie haben in Zu-
kunft einen Rechtsanspruch darauf,


(Zuruf von der CDU/CSU: Mit Betonung auf „in Zukunft“!)


das jedenfalls in der Reihenfolge, die die Geschäftsord-
nung des Bundestages auch in anderen Fällen vorsieht,
durchzusetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist eine ganz positive Neuerung, wozu man als
große Mehrheit in diesem Hause über seinen Schatten
springen musste. Wir hätten uns gewünscht, Sie hätten
diese Größe damals gehabt oder hätten jetzt mindestens
die Größe, heute hier anzuerkennen, dass wir dies getan
haben, dass wir also insoweit die Rechte der Opposition
und der Minderheiten ernst nehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das Hervorragende an dem Gesetz ist also erstens – da-
rauf ist von beiden Vorrednern hingewiesen worden –,
dass diese Minderheitsrechte geschaffen worden sind. In
der nächsten Legislaturperiode, wenn wir wieder einen
Untersuchungsausschuss haben,


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Auf das Betreiben von Herrn Ströbele!)


können Sie maßgeblich mitbestimmen, wann Herr
Dr. Kohl oder andere Zeugen gehört werden. Das ist für
die Zukunft sicherlich auch für Sie eine Errungenschaft,
weil Sie ja weiterhin in der Opposition bleiben


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Aber Kohl ist sicher nicht mehr Untersuchungsgegenstand!)


und dann das Handeln Ihrer früheren Regierung besser
mit uns aufklären können.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Eine zweite wichtige Änderung ist, dass wir uns in Zu-
kunft an eine moderne Entwicklung anpassen. Wir alle sit-
zen viel vor dem Fernseher, hören viel Radio und wün-
schen uns vielleicht manchmal, auch die Aussage so
bedeutender Zeugen wie des Herrn Dr. Kohl live im Fern-
sehen miterleben zu können, um nicht darauf angewiesen
zu sein, wie es heute geschieht, dass er vor dem Saal für
die Weltöffentlichkeit erzählt, was im Untersuchungsaus-
schuss zur Sprache gekommen ist.


(Zuruf von der CDU/CSU: Herr Kohl wird dann schon zustimmen!)


Mit unserem Gesetz öffnen wir ein bisschen die Tür. Mit
Zweidrittelmehrheit kann der Ausschuss die Fernsehüber-
tragung beschließen, allerdings nur mit Zustimmung der
betroffenen Person. Es gab schon entsprechende Signale.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Hans-Christian Ströbele

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(B)


Der dritte wesentliche Punkt – auch das erleichtert die
Arbeit des Untersuchungsausschusses in Zukunft – ist,
dass seine Arbeit durch Rechtsmittel in Zukunft wirksa-
mer und auch glaubwürdiger überprüft werden kann. Es
ist ja heute so, dass ein Richter – früher am Amtsgericht
in Bonn, jetzt am Amtsgericht Tiergarten –, ein Assessor,
der vielleicht erst drei Monate in diesem Amt ist – wir ha-
ben diese Erfahrung gemacht – darüber entscheidet, ob
eine Entscheidung, die ein Untersuchungsausschuss des
Deutschen Bundestages mit Mehrheit getroffen hat, Gül-
tigkeit behalten soll. Wir meinen, dass darüber der Bun-
desgerichtshof in Karlsruhe bzw. in Leipzig entscheiden
muss. In Zukunft wird darüber also ein Ermittlungsrichter
entscheiden. Es gibt die Beschwerdemöglichkeit und die
Möglichkeit, vor dem Bundesverfassungsgericht zu kla-
gen. Das ist eine ganz wichtige Veränderung.

Nun komme ich zu einer Neuerung, die wir in der
letzten Phase der Beratungen – am letzten Sitzungstag –
eingebaut haben. Kurz vor Ostern ist es richtig und wich-
tig, zu erwähnen, dass diese Neuerung eine Errungen-
schaft ist.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Aha!)


Mit diesem neuen Gesetz – wir haben nicht alte Gesetze
nachgebessert oder neu formuliert – haben wir uns als Ge-
setzgeber auf ein ganz neues Feld gewagt. In diesem Ge-
setzentwurf ist zum ersten Mal nicht nur von „der Vorsit-
zende“, sondern auch von „die Vorsitzende“, nicht nur
von „der Stellvertreter“, sondern auch von „die Stellver-
treterin“ die Rede. In diesem Gesetzentwurf heißt es an-
ders als in allen anderen Gesetzen – das gilt auch für die
Strafprozessordnung – nicht nur „der Zeuge“, sondern
auch „die Zeugin“. Dass es Frauen in all diesen Bereichen
gibt, findet seinen Niederschlag darin, dass sie im Gesetz
benannt werden.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)


Wenn der Gesetzgeber seine Forderungen ernst nimmt
– in diesem Fall handelt es sich um eine Forderung, de-

ren Umsetzung sich die Koalition von Anfang an vorge-
nommen hat –, dann ist das ein gutes Signal an die Öf-
fentlichkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Wir setzen mit diesem Gesetz in dieser Hinsicht Maß-
stäbe. Wir hoffen, dass der Gesetzgeber, dieses Parlament,
dieses Vorhaben auch in Bezug auf andere neue Geset-
zeswerke beherzigen wird.

Ich war und ich bin dafür – allerdings war diese Posi-
tion auch in meiner eigenen Fraktion bisher nicht mehr-
heitsfähig –, dass in Zukunft Auskunftsverweigerungs-
rechte von Zeugen nicht ignoriert werden, sondern in
anderer Weise goutiert werden, so wie es beispielsweise
im Rechtsstaat Vereinigte Staaten von Nordamerika der
Fall ist.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Über Folter! – Gegenruf des Abg. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Herr von Stetten, das war sehr sachbezogen!)


Das heißt, dass der Ausschuss in wenigen, wichtigen Ein-
zelfällen die Möglichkeit haben sollte, einen Zeugen zu
einer Aussage zu veranlassen, wenn er Fragen nicht be-
antworten möchte, die für die Aufklärungsarbeit des Un-
tersuchungsausschusses von entscheidender Bedeutung
sind. Das sollte allerdings mit der Maßgabe geschehen,
dass der Zeuge wegen dieser Aussage strafrechtlich nicht
zur Verantwortung gezogen werden kann und dass eine
Immunitätsregelung geschaffen wird, wie sie für die
US-Amerikaner selbstverständlich ist.

Wir sind extra in die Vereinigten Staaten geflogen, um
die Erfahrungen der USA in dieser Angelegenheit kennen
zu lernen. In den USA verstehen kein Abgeordneter
– ganz egal, von welcher Partei –, kein Mitarbeiter, kein
Staatsanwalt, kein Zeuge, kein Wissenschaftler und kein
Journalist, wie in Deutschland ein Untersuchungsaus-
schuss arbeiten kann, ohne die Möglichkeit zu besitzen, ei-
nen Zeugen dazu zu veranlassen, von seinem Auskunfts-
verweigerungsrecht, das er grundsätzlich hat, nicht
Gebrauch machen zu dürfen und stattdessen eine Immu-
nitätsregelung in Anspruch nehmen zu müssen.

Eine solche Regelung fehlt in diesem Gesetzentwurf;
dennoch ist dieses Gesetz ein erster wichtiger Schritt in
Richtung Kodifizierung der Rechte eines Untersuchungs-
ausschusses. Ich sehe diesen Schritt als Anfang. Ich bin si-
cher, dass wir Erfahrungen machen werden. Dieses Ge-
setz wird in 50 Jahren anders als heute aussehen.
Zusätzliche Erfahrungen, die man in Untersuchungsaus-
schüssen macht, werden zu wichtigen Neuerungen
führen. Irgendwann wird dieses Gesetz eine Regelung
enthalten, die die Arbeit des Untersuchungsausschusses
noch effektiver macht, als sie heute schon ist.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Effektiv war sie noch nicht!)


Ich wünsche uns allen, dass wir diesen Gesetzentwurf
mit gutem Gewissen verabschieden und damit einen
wichtigen Schritt in die richtige Richtung tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1416507300
Ich erteile dem Kolle-
gen Jörg van Essen für die F.D.P.-Fraktion das Wort.


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1416507400
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein guter Tag für den
Deutschen Bundestag. Wer die vielen Versuche kennt, zu
einem Untersuchungsausschussgesetz zu kommen, der
weiß, wie schwierig der hinter uns liegende Weg war. Alle
Beteiligten freuen sich sehr darüber, dass alle Fraktio-
nen – der Bundestag hat zu einer einheitlichen Meinung
gefunden; das gilt vom einen bis zum anderen Ende des
Plenarsaals – diesem Gesetzentwurf zustimmen.


(Beifall des Abg. Dr. Max Stadler [F.D.P.])


Ich freue mich besonders als Angehöriger der F.D.P.-
Bundestagsfraktion über diese einheitliche Meinung, weil

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Hans-Christian Ströbele

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sie ein Beispiel dafür ist, wie eine Oppositionsfraktion
durch einen vernünftigen Vorschlag dazu beitragen kann,
dass man zu Regelungen kommt, die von allen Fraktionen
akzeptiert werden.


(Beifall bei der F.D.P.)


Wir waren die ersten, die unmittelbar nach der Bundes-
tagswahl einen entsprechenden Gesetzentwurf einge-
bracht haben, der sich in dem heutigen Entwurf wiederfin-
det. Sowohl der Entwurf der F.D.P.-Bundestagsfraktion als
auch der Entwurf der Regierungskoalition ist ja Grundlage
für unsere Einigung geworden.

Ich denke, dass wir einen ganz besonders günstigen
Zeitpunkt erwischt haben. Wir Liberalen sind immer für ein
solches Gesetz gewesen. Aber wir mussten in der Vergan-
genheit erkennen, dass insbesondere die CDU/CSU-Frak-
tion schwieriger von der Notwendigkeit zu überzeugen
war. Deswegen war es uns während unserer Koalitionszeit
leider nicht gelungen, ein Untersuchungsausschussgesetz
auf den Weg zu bringen. Erst die Erfahrungen als Minder-
heit, die von Ihnen vorgetragen worden sind, haben zu ei-
nem Sinneswandel beigetragen.

Es war auch deshalb ein günstiger Zeitpunkt – dies ist
von Ihnen, Herr Bachmaier, schon angesprochen wor-
den –, weil Sie natürlich noch wussten, wie es ist, wenn
man als Minderheit überstimmt wird. Ich bin froh, dass
wir diesen günstigen Zeitpunkt genutzt haben, um ein Ge-
setz auf den Weg zu bringen, das nach meiner Auffassung
die Untersuchungsausschussarbeit ganz erheblich er-
leichtern und, wie ich hoffe, auch versachlichen kann.

Was ist für uns wichtig? Für uns Liberale ist insbeson-
dere wichtig, dass es einen Ermittlungsbeauftragten
gibt. Die Vorteile des Ermittlungsbeauftragten sind von
den anderen Rednern schon angesprochen worden; ich
brauche sie also nicht zu wiederholen. Ich will aber auf ei-
nen Aspekt hinweisen, der gerade für die kleinen Fraktio-
nen ganz außerordentlich wichtig ist: Im Gegensatz zu den
großen Fraktionen haben wir nämlich keinen Stab, den wir
unseren Mitgliedern im Untersuchungsausschuss zur Ver-
fügung stellen können. Der Ermittlungsbeauftragte hinge-
gen arbeitet für alle. Deshalb können gerade die kleinen
Fraktionen in besonderer Weise von seiner Arbeit profi-
tieren.

Ich denke, dass das eine Entwicklung befördern kann,
wie wir sie gerade im Augenblick beim laufenden Unter-
suchungsausschuss erleben. Ich sehe mit großem Vergnü-
gen, dass Sie, Herr Kollege Stadler, aber auch Sie, Frau
Kollegin Kenzler von der PDS, von den Journalisten, die
die Arbeit des Untersuchungsausschusses begleiten, in
besonderer Weise hervorgehoben werden, weil Sie mit ru-
higen, sachlichen und an der Aufklärung orientierten Fra-
gen zur Arbeit des Untersuchungsausschusses beitragen.


(Beifall bei der F.D.P. und der PDS)


Ich denke, dass Ihre Arbeit ein Lob verdient, weil sie
stilbildend ist. Gerade Sie, die Sie auf eine wirklich ver-
nünftige Vorgehensweise des Untersuchungsausschusses
hinwirken, werden durch dieses Untersuchungsaus-
schussgesetz und durch die Einsetzung des Ermittlungs-

beauftragten in besonderer Weise in Ihrer Arbeit gestärkt.
Darüber freue ich mich sehr.


(Beifall bei der F.D.P. und der PDS)


Ich will darauf hinweisen, dass auch für uns wichtig ist,
dass als Ermittlungsbeauftragter eine Persönlichkeit ge-
funden werden muss, die von allen Seiten des Hauses an-
erkannt wird. Deshalb haben wir aus guten Gründen eine
Zweidrittelmehrheit für die Ernennung dieses Beauftrag-
ten vorgesehen. Jemand, der sich nur in der Öffentlichkeit
profilieren will und der etwas aus der Vergangenheit auf-
arbeiten will, ist für diese Position nicht geeignet. Es muss
jemand sein, der für alle Seiten des Hauses akzeptabel ist
und der an der Sache orientiert arbeitet.

Ein zweiter Punkt, der mir im Zusammenhang mit dem
Untersuchungsausschussgesetz wichtig ist, Herr Kollege
Ströbele, ist, dass wir Ihren Vorstellungen mit einer brei-
ten Mehrheit nicht nachgekommen sind.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht allen! – Irmingard ScheweGerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber den meisten!)


Wie die Vereinigten Staaten von Amerika, obwohl sie ein
Rechtstaat sind, für uns, bezogen auf die Vollstreckung
von Todesurteilen, kein Vorbild sein können,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber! Aber!)


können sie nach meiner Auffassung auch kein Vorbild
sein, was den Umgang mit originären Rechten von Zeu-
gen, insbesondere den Umgang mit Auskunftsverweige-
rungsrechten anbelangt.


(Beifall bei der F.D.P.)


Ich danke daher insbesondere dem Kollegen
Bachmaier – auch ihm war dies ein Anliegen –, dass wir
in die Rechte der Zeugen, insbesondere in das Aus-
kunftsverweigerungsrecht, nicht eingegriffen haben.
Ich glaube, dass das ein wichtiges Signal ist.

Ich will aber auch deutlich machen, dass es einen Punkt
gibt, an dem ich die Freude, die der Kollege Ströbele vor-
hin gezeigt hat, nicht ganz teile. Ich habe großes Ver-
ständnis für den Anspruch der Kolleginnen – die Frauen
bilden ja die Mehrheit in unserem Lande –, dass sie sich
auch in der Gesetzessprache wiederfinden wollen.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.] sowie beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich fand es gut, dass wir den Versuch einer geschlechts-
neutralen Formulierung unternommen haben. Dies ist ein
erster Einstieg. Ich denke aber, dass dadurch die Lesbarkeit
nicht unbedingt verbessert wurde. Um allerdings zu einer
genauen Bewertung zu kommen, müssen wir die gesam-
melten Erfahrungen auswerten. Es macht mich nachdenk-
lich, dass es insbesondere Kolleginnen waren, die mich
angesprochen und gefragt haben, ob das, was wir in die-
sem Zusammenhang gemacht haben, wirklich gut gewe-
sen sei.

Aber das beeinträchtigt natürlich nicht die Qualität des
Gesetzes insgesamt. Es war ein unterstützenswertes

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Jörg van Essen

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Vorhaben, dass sich die Mehrheit der Bundesbürger – das
sind nun einmal Frauen – im Gesetzestext wiederfinden
kann. Deshalb findet dieses Gesetz unsere ausdrückliche
Zustimmung.

Wir appellieren daran – ich bin deshalb ein bisschen er-
staunt, Herr Kollege Schmidt, dass ein Teil der Stimmung
im Ausschuss auch in Ihren Redebeitrag hinüberge-
schwappt ist –, dass die Untersuchungsausschussarbeit
versachlicht wird. Das dient dem Parlament insgesamt.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!)


Es dient insbesondere der Minderheit. Mit Polemik ge-
winnt man nichts. Man gewinnt kein Vertrauen und man
kommt der Wahrheit kein Stückchen näher.


(Beifall bei der SPD)


Deshalb, denke ich, ist das ein Punkt, an den in diesem
Zusammenhang noch einmal erinnert werden muss. Das
Untersuchungsausschussgesetz wird jedenfalls dazu bei-
tragen, dass das Ganze sachlicher wird, und das ist gut.

Vielen Dank.


(Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1416507500
Jetzt hat die Kollegin
Dr. Evelyn Kenzler für die PDS-Fraktion das Wort.


Dr. Evelyn Kenzler (PDS):
Rede ID: ID1416507600
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es grenzt schon fast an ein
Wunder, dass wir heute vor der Verabschiedung eines Un-
tersuchungsausschussgesetzes des Deutschen Bundesta-
ges stehen. Endlich ist die Ablösung der IPA-Regeln aus
der 5. Wahlperiode in greifbare Nähe gerückt. Nach di-
versen Anläufen und nachdem fast neun Wahlperioden
vergangen sind, liegen nun klare gesetzliche Vorgaben auf
dem Tisch. Das ist ein deutlicher Fortschritt für die Arbeit
zukünftiger Untersuchungsausschüsse.

Auch wenn es unüblich ist, politische Konkurrenten im
Parlament zu loben: Die Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen wie auch der F.D.P. haben für
das Zustandekommen des vorliegenden Entwurfs durch
ihre fundierten Vorschläge eine anerkennenswerte und
wichtige Grundlage geschaffen.


(Beifall bei der PDS und der F.D.P.)


Am Ende waren es aber auch die Berichterstatterge-
spräche, die, überaus konstruktiv und ergebnisorientiert,
zu einem parteiübergreifenden Kompromiss geführt ha-
ben, einem Kompromiss, von dem ich glaube, dass er
keine Verlierer kennt. Das ist wichtig für die Arbeit der
zukünftigen Ausschüsse; dies wurde hier schon mehrfach
betont.

Aber auch ein guter Gesetzentwurf ist nicht so gut, dass
er nicht noch verbessert werden könnte.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Die Praxis wird insbesondere da, wo Neuland betreten
wurde, beispielsweise bei der Einsetzung eines Ermitt-
lungsbeauftragten, zeigen, ob und inwieweit an der ei-
nen oder anderen Stelle später noch nachgebessert werden
muss.

Aber auch die Tatsache, dass wir einen Kompromiss
zustande bekommen haben, ist erfahrungsgemäß nicht
nur von Vorteil. So sind im Vorfeld besonders kontrovers
diskutierte Fragen – der Kollege Ströbele ist bereits darauf
eingegangen; ich denke hier nur an das Auskunftsver-
weigerungsrecht von Zeugen oder auch an die Frage des
Verhältnisses von Untersuchungsausschussmitgliedern zu
Zeugen – bei der Regelung bewusst ausgeklammert wor-
den, um das Gesamtprojekt nicht zu gefährden. Diese Fra-
gen werden uns dennoch auch in Zukunft weiter beschäf-
tigen.

Schließlich dürfen wir nicht die öffentliche Kritik ver-
gessen, dass Untersuchungsausschüsse oft hinter den an
sie gestellten Erwartungen zurückbleiben. Wir können
deshalb auch bei der heutigen Debatte nicht der Frage
nach dem Sinn solcher Untersuchungsinstrumente aus-
weichen. Denn das Untersuchungsausschussgesetz hat
wesentlichen Einfluss darauf, ob ein Ausschuss seinen
Auftrag flexibel, ergebnisorientiert und zeitgemäß abar-
beiten kann oder ob er durch bürokratische, streitträchtige
und ineffektive Regelungen blockiert wird. Den Praxis-
test muss unser Gesetz erst noch bestehen; aber ich denke,
wir haben eine gute Grundlage geschaffen.

Nun noch zu einem Punkt mit gewissem Neuigkeits-
wert; das ist unser Änderungsantrag. Auch wenn es bei der
Stärkung parlamentarischer Minderheiten durchaus Be-
wegung gegeben hat – das erkenne ich an –, hat der vorlie-
gende Entwurf beispielsweise bei diesem Punkt durchaus
noch Reserven. Wir schlagen vor, dass ein parlamentari-
scher Untersuchungsausschuss im Falle von Minderheits-
enqueten nicht erst dann eingesetzt werden kann, wenn
ein Viertel der Bundestagsabgeordneten einen entspre-
chenden Antrag stellt. Vielmehr soll jede Fraktion unab-
hängig von ihrer Stärke bzw. sollen mindestens 5 Prozent
der Abgeordneten die Möglichkeit dazu erhalten.


(Beifall bei der PDS)


Damit würden Fraktionen unterhalb der 25-Prozent-
Grenze nicht darauf angewiesen sein, sich bei der Einset-
zung in die Abhängigkeit von größeren Fraktionen zu be-
geben. Es steht nicht zu befürchten, dass durch eine solche
Absenkung des Einsetzungsquorums eine Flut von Unter-
suchungsausschüssen auf uns zukommt. Jede Fraktion
wird sich in Anbetracht der jetzigen Erfahrungen nämlich
sehr gut überlegen, ob sie einen solchen Antrag stellt;
denn es besteht ja die nicht geringe Gefahr, dass der An-
trag scheitert.

Aus diesem Ansatz ergeben sich eine Reihe von Fol-
geänderungen für die Arbeit von Untersuchungsausschüs-
sen, damit die antragstellende Minderheit in die Lage ver-
setzt wird, ihr Untersuchungsinteresse durchzusetzen,
ohne dabei von größeren Fraktionen blockiert zu werden.
Die antragstellende Minderheit sollte unter anderem
größere Rechte bei der Einberufung von Sitzungen, der
Einsetzung eines Ermittlungsbeauftragten, der Beweis-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Jörg van Essen

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erhebung, der Festlegung der Reihenfolge der Zeugen-
vernehmungen usw. erhalten.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Darüber hinaus sollte die antragstellende Fraktion
grundsätzlich, das heißt unabhängig von ihrer Größe, ge-
stärkt werden: Die Antragsteller sollten zukünftig den
Vorsitzenden stellen können und im Ausschuss beispiels-
weise auch als erste das Fragerecht erhalten. Dem liegt die
Überlegung zugrunde, dass die Antragsteller naturgemäß
das größte Interesse an einer zügigen Aufklärung des
Untersuchungsgegenstandes und Erledigung des Unter-
suchungsauftrages haben. Somit würde die gesamte Aus-
schussarbeit effektiver werden.

Auch wenn Sie unserem Änderungsantrag wider Er-
warten nicht zustimmen sollten – wobei ich davon aus-
gehe, dass gerade die F.D.P. und das Bündnis 90/Die Grü-
nen gewisse Sympathien für die Intentionen des Antrages
haben –,


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Das kann ich nicht verhehlen! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben Sympathien, lehnen aber trotzdem ab!)


werden wir im Interesse einer gemeinsamen Arbeits-
grundlage und eines möglichst breiten Konsenses dem
heute vorliegenden Entwurf zustimmen.


(Beifall bei der PDS sowie des Abg. Dr. Max Stadler [F.D.P.])



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1416507700
Nun hat das Wort die
Kollegin Erika Simm, SPD-Fraktion.


Erika Simm (SPD):
Rede ID: ID1416507800
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im vorigen Jahr konnte
ich mit einer kleinen Delegation im österreichischen Na-
tionalrat über unsere Erfahrungen mit Minderheits-
untersuchungen, also Minderheitsenqueten, berichten. In
Österreich gibt es so etwas bisher nicht. Es war schon et-
was eigenartig, zwar Erfahrungen vermitteln zu können,
aber auf die Frage, seit wann wir ein Untersuchungs-
ausschussgesetz hätten, beschämt eingestehen zu müssen,
dass das deutsche Parlament ein solches bis heute noch
nicht zustande gebracht habe.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Aber heute, Frau Kollegin!)


– Heute verabschieden wir ein Gesetz. Bis vor kurzem
hätten nur wenige geglaubt, dass es zustande käme. Wenn
ich mit Kollegen, Journalisten und Wissenschaftlern da-
rüber gesprochen habe, haben sie an die Erfahrungen aus
der Vergangenheit erinnert und Skepsis geäußert, ob wir
es diesmal schaffen würden.

Ich möchte deswegen einen kurzen Rückblick geben,
weil ich denke, dass vor dem Hintergrund der Historie zu-
sätzlich deutlich wird, wie wichtig das Erreichte ist: In der
Vergangenheit hat es sowohl außerhalb als auch innerhalb
des Bundestages unendlich viele Anläufe gegeben. Drei
Juristentage waren diesem Thema gewidmet, einer be-

reits während der Weimarer Republik. Bereits der erste
der bis heute 33 Untersuchungsausschüsse, der sich da-
mals schon mit der Hauptstadtfrage befasste, plädierte
1951 – wir begehen also das 50-jährige Jubiläum – für
eine Verfahrensordnung, um gerade die Minderheiten-
rechte sicherzustellen. Gleichzeitig sollte über die Reich-
weite des Aussage- und Zeugnisverweigerungsrechtes
Klarheit geschaffen werden.

Im Jahre 1961 gab es Empfehlungen der Konferenz der
Präsidenten der Länderparlamente. 1972 folgte ein Mus-
terentwurf auf Länderebene. Im Ergebnis waren uns die
Länder voraus. Die meisten Landtage verfügen – teil-
weise schon länger – über das hier immer wieder ange-
strebte Gesetz.

1967 trat die viel zitierte IPA – die Interparlamenta-
rische Arbeitsgemeinschaft – in Erscheinung. Deren
Entwurf von 1969 – die so genannten IPA-Regeln – bildet
bis heute die Sondergeschäftsordnung für unsere Unter-
suchungsverfahren. Die Enquete-Kommission „Verfas-
sungsreform“ hat dann 1976 Vorschläge unterbreitet. Ihr
folgten Fraktions-, Gruppen- und Ausschussinitiativen.
Seit dem ersten Vorschlag in der 5. Wahlperiode hat es bis
einschließlich der 13. Wahlperiode elf Vorstöße gegeben.
Wichtig für die weiteren Beratungen bis zur heute vorge-
legten Fassung waren die Bemühungen des Ausschusses,
dessen Vorsitzende ich jetzt bin.

In der 10. Wahlperiode hat der 1. Ausschuss unter sei-
nem damaligen Vorsitzenden Manfred Schulte einen ei-
genen Entwurf erarbeitet und eingebracht. Dieser Entwurf
ist in der 11. Wahlperiode von einer Gruppe von Abge-
ordneten aus CDU/CSU, SPD und F.D.P. wieder aufge-
griffen worden. Er war zusammen mit einer SPD-Initia-
tive, durch die ein Mehr an Minderheitsrechten gewährt
werden sollte, die Basis für die weitere Arbeit im Ge-
schäftsordnungsausschuss. Dort hat man sich damals
– genauso wie heute – auf einen gemeinsamen Text ver-
ständigt. Er hatte eine große Chance, verabschiedet zu
werden, ist letzten Endes aber – das muss ich leider zuge-
ben – am Widerstand aus meiner Fraktion gescheitert.

Diese Ausschussfassung der 11. Wahlperiode hat Maß-
stäbe gesetzt. Sie ist in der Folge mehrfach wiederbelebt
worden und hat unverkennbar auch bei beiden Entwürfen
der jetzigen Wahlperiode Pate gestanden.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: So ist das!)


Auch dieses Mal haben wir es uns nicht einfach ge-
macht. Ich habe nachgezählt: Neun Ausschusssitzungen
und eine Anhörung haben stattgefunden; daneben gab es
zehn Berichterstattergespräche,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt! Das war zu viel!)


nicht zu vergessen die vielen informellen Kontakte im
Hintergrund und Vorfeld.

Meines Erachtens kann sich das Ergebnis sehen lassen.
Dem Bundestag – und zwar im Bundestag – ist es gelun-
gen, dieses Gesetzesprojekt zu verwirklichen. Dabei will
ich die freundliche Unterstützung aus dem Justizministe-
rium und dem Innenministerium nicht unterschlagen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Dr. Evelyn Kenzler

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Aber wir waren bei diesem Parlamentsgesetz doch in ers-
ter Linie auf uns gestellt.

Ich finde es sehr wichtig, dass wir einen Konsens er-
zielt haben. Das ganze Haus trägt dieses Gesetz mit, das
ja einen wesentlichen Aspekt aus dem Aufgabenbereich
eines Parlamentes regelt. Ich begrüße es sehr, dass alle
Seiten zugestimmt und abweichende Vorstellungen zu
Einzelfragen zugunsten des Gesamtergebnisses, Herr
Ströbele, hintangestellt haben.

Bedanken möchte ich mich bei allen, die zu unserem
erfolgreichen Abschluss beigetragen haben. Das sind
zunächst diejenigen aus der Vergangenheit, die ich na-
mentlich nicht aufzählen kann; einen Namen habe ich ge-
nannt: Manfred Schulte. Mein Dank gilt aber vor allem
den jetzigen Berichterstattern des 1. Ausschusses, von de-
nen mehrere zugleich Mitglied im laufenden Untersu-
chungsausschuss sind und die sich trotzdem oder viel-
leicht gerade deswegen engagiert und konstruktiv an den
Beratungen beteiligt haben.

Als Parlamentarier sind wir aber auch auf Zuarbeit und
Unterstützung angewiesen. Diese haben wir aus den bei-
den bereits genannten Bundesministerien, den Fraktionen
und vor allem auch aus dem Ausschusssekretariat unter
der Leitung von Herrn Dr. Winkelmann erhalten.


(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)


Ihnen allen möchte ich meine Anerkennung für das Ge-
leistete aussprechen.


(Beifall im ganzen Hause – Ludwig Stiegler [SPD]: Ein ausgleichender Beitrag!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1416507900
Nun hat der Kollege
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten für die CDU/CSU-
Fraktion das Wort.


Dr. Freiherr Wolfgang von Stetten (CDU):
Rede ID: ID1416508000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Manchmal
dauern Dinge etwas länger, zum Beispiel das Gesetz über
die Untersuchungsausschüsse. Seit Jahrzehnten wurde
darüber diskutiert, es wurden Entwürfe vorgelegt und in
Ausschüssen verabschiedet. Aber im Plenum des Bundes-
tages fanden sie, mal auf der linken Seite, mal in der
Mitte, keine Mehrheit. Im Schatten des jetzigen Untersu-
chungsausschusses aber hat es nun endlich eine Überein-
stimmung für ein solches Gesetz gegeben, weil die Un-
zulänglichkeiten gerade bei diesem sehr emotional
ablaufenden Untersuchungsausschuss gezeigt haben, dass
es Zeit wird, zumindest einen Rahmen zu schaffen.

Ob nun die Abkürzung PUAG für Parlamentarisches
Untersuchungsausschussgesetz besonders glücklich ist,
Herr Wiefelspütz, oder nicht, sei dahingestellt.


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das kommt von einem Mitarbeiter der CDU!)


Auch kann die Besonderheit der geschlechtsneutralen Be-
zeichnung meines Erachtens nur eine Nebensache sein,
auch wenn Herr Ströbele es als besonders wichtig ansieht.

Wichtig ist für mich, dass nun das Gesetz vorliegt, das
sich in den nächsten Jahren in der Praxis bewähren muss.
Es wird gegebenenfalls aufgrund von Erfahrungen verän-
dert oder verbessert werden, zum Beispiel in Bezug auf
das Betroffenenstatut. Dies gilt sowohl für die Rechte
der Minderheit – in der Regel ein Viertel der Mitglieder
des Bundestages bzw. ein Viertel der Mitglieder des Aus-
schusses – als auch für den Schutz der Zeugen und der zu
Befragenden. Wichtig ist, dass der im Einsetzungsbe-
schluss festgelegte Untersuchungsgegenstand nicht will-
kürlich von der Mehrheit geändert werden darf, ohne dass
die Antragstellenden zustimmen.

Herr Ströbele, wenn Sie Zeugen mit staatlichen Mitteln
„weichkochen“ wollen, empfehle ich Ihnen die Folter des
Mittelalters. Ich könnte Ihnen ein Verlies zur Verfügung
stellen. Zeugen müssen den nach der StPO geltenden
Schutz auch im Untersuchungsausschuss haben.

Bei der Zusammensetzung der Mitglieder und der
Wahl des Vorsitzenden wurde auf Bewährtes aus der Ge-
schäftsordnung oder auf geübte Praxis zurückgegriffen.

Neu ist, dass es ein abgestuftes Verfahren zur Be-
schlussfähigkeit gibt, um zu verhindern, dass willkürlich
eine Beschlussunfähigkeit hergestellt wird.

Neu und nicht ganz unumstritten ist der in § 10 festge-
legte Ermittlungsbeauftragte, der auf Antrag eines Vier-
tels der Mitglieder des Untersuchungsausschusses einzu-
setzen und mit Zweidrittelmehrheit zu wählen ist. Dieser
Ermittlungsbeauftragte soll unabhängig sein, kann jedoch
wiederum mit Zweidrittelmehrheit abberufen werden.
Unklar ist, was geschieht, wenn keine Mehrheit bei der
Wahl zustande kommt und bei dem dann vorgesehenen
Ersatzverfahren kein Einvernehmen erzielt wird.

Aber, meine Damen und Herren, Sie können versichert
sein: Unsere Wahl wäre nie auf Herrn Hirsch gefallen, den
so genannten Beauftragten des Kanzleramtes, der als Son-
derermittler quasi als Handlanger der Diffamierungskam-
pagne gegen Bohl und rechtschaffene Mitarbeiter ein-
gesetzt wurde. Ihn hätten wir mit Sicherheit nicht ge-
nommen.

Neu ist, dass mit Zustimmung von zwei Dritteln der an-
wesenden Mitglieder und mit Zustimmung der zu verneh-
menden oder anzuhörenden Person Ton- und Filmauf-
nahmen sowie Übertragungen zulässig sind. Durch diese
hohen Hürden sind Bedenken im Wesentlichen aus-
geräumt, dass die Untersuchungsausschüsse noch mehr
als bisher als politische Instrumente genutzt werden.
Denn wir sind uns doch alle klar darüber, dass es nicht im-
mer nur um die Wahrheit geht, sondern auch um politische
Vorstellungen.

Ob sich die Bestimmungen zum Geheimnisschutz und
zum Zugang zu Verschlusssachen in den §§ 15 und 16 be-
währen, wird sich zeigen, weil zwischen Staatsinteresse
und persönlicher Integrität ein ausgewogenes Verhältnis
erreicht werden muss.

Die Beweiserhebung – darauf wurde schon hingewie-
sen – kann nun auch schon von einem Viertel der
Mitglieder beantragt werden. Hilfsweise wird zur
Reihenfolge die Geschäftsordnung des Bundestages

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Erika Simm

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angewendet, die dann notfalls im Ältestenrat bestimmt
wird.

Bewähren muss sich noch, dass bei Streitigkeiten in der
Regel der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes
entscheidet, zum Beispiel bei Entscheidungen des Unter-
suchungsausschusses über die Erhebung bestimmter Be-
weise bzw. Anwendung beantragter Zwangsmittel oder
über die Einstufung als Verschlusssache. Das Verfas-
sungsgericht dagegen entscheidet über die Rechtmäßig-
keit der Ablehnung eines Ersuchens des Untersuchungs-
ausschusses durch die Bundesregierung oder Ministerien.
Insgesamt ist richtig, dass alle Entscheidungen vom Ver-
fassungsgericht noch einmal überprüft werden können.

Die deutliche Erhöhung des Ordnungsgeldes für nicht
erschienene Zeugen auf 10 000 Euro, also immerhin
20 000 DM, und gegebenenfalls ihre zwangsweise Vor-
führung ist nicht ganz unstrittig, kann aber einen Sinn ha-
ben, auch zur Aufwertung des Untersuchungsausschus-
ses.

Der Vorwurf der einen oder anderen Gruppe – auch
noch in unseren Parteien –, dass die Rechte der Minder-
heit zu groß oder zu klein seien und die der Mehrheit nicht
genügend berücksichtigt würden, wird parteiübergreifend
natürlich auch nur deswegen geltend gemacht, weil der
eine jetzt in der Opposition und der andere in der Regie-
rung ist. Das kann sich ja, wie wir hoffen, bald wieder än-
dern.

Wir werden auch bei diesem Gesetz in der Praxis se-
hen, dass das eine oder andere fehlt, wie wir dies beim
Parteiengesetz in den letzten Monaten erfahren haben.
Ich will schon ansprechen, dass wir die nicht ordnungs-
gemäße Vermögensangabe nicht im Parteiengesetz sank-
tioniert haben, wie das Verwaltungsgericht Berlin richti-
gerweise feststellte. Offen ist auch in der Zukunft die
Frage, wie zum Beispiel Milliardenvermögen der
Treuhänder der SPD in den Geschäftsbericht eingebracht
werden, wie tatsächliche Vermögenswerte oder wie Buch-
werte. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir auch dieses Ge-
setz dringend ergänzen und die Lücken schließen, damit
Einnahmen und Vermögen der Parteien dem Bürger und
Wähler gegenüber lückenlos aufgezeigt werden können.
Dann kommt es nicht mehr zu solchen Untersuchungs-
ausschüssen.

Meine Damen und Herren Kollegen von den Regie-
rungsfraktionen – die Frau Ministerin ist nicht hier – wir
sollten schnell handeln, damit dieses Parteiengesetz dem
Hohen Hause bald vorgelegt wird. Wenn wir alle wirklich
das wollen, was wir unseren Wählern tagtäglich sagen,
müsste dieses Gesetz in Kürze verabschiedet werden kön-
nen.

Erfreulich ist – damit möchte ich dann auch schlie-
ßen –, dass die Tradition des Geschäftsordnungsaus-
schusses beibehalten wurde, dass Beschlüsse und Gesetze
in der Regel einmütig sein sollen. Es gibt sie noch, die par-
teiübergreifende Zusammenarbeit, wenn auch seltener als
früher. Das Gesetz zur Regelung des Rechts der Untersu-
chungsausschüsse des Deutschen Bundestages ist ein
gutes Beispiel dafür und sollte zur Nachahmung empfoh-
len werden. Wir stimmen freudig zu.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1416508100
Als letztem Redner
erteile ich dem Kollegen Dieter Wiefelspütz, SPD-Frak-
tion, das Wort.


Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Rede ID: ID1416508200
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Um Legenden vorzubeugen:
Der vorliegende Entwurf eines Untersuchungsaus-
schussgesetzes hat mit dem 1. Untersuchungsausschuss
der 14. Wahlperiode überhaupt nichts zu tun. Wir hätten
diesen Gesetzentwurf völlig unabhängig von der Existenz
dieses Untersuchungsausschusses eingebracht. Bei allem
Respekt, man würde Helmut Kohl viel zu viel Ehre antun!
Wir beschließen dieses Gesetz nicht wegen bzw. für oder
gegen Helmut Kohl, sondern in eigener Sache. Wir schaf-
fen Parlamentsrecht, weil wir 50 Jahre lang auf diesem
Sektor kein Gesetz hatten.

Die erste Sitzung des ersten Untersuchungsausschus-
ses fand – ich habe das einmal nachgeschaut – am
22. März 1950, also vor über 50 Jahren, statt. Erst heute
sind wir gemeinsam so weit und beschließen ein entspre-
chendes Gesetz, das Generationen von Kollegen vor uns,
die sich bemüht haben, und übrigens auch sehr viele
Rechtswissenschaftler gefordert haben. Wir sind es, die
heute – wenn man so will: erst heute – dieses wichtige Ge-
setz verabschieden. Ich denke, das ist ein wichtiger Tag;
das ist hier mehrfach gewürdigt worden. Es ist aber auch
höchste Zeit.

Nur, Herr Schmidt, mit Ihren positiven oder weniger
positiven Erfahrungen im 1. Untersuchungsausschuss
dieser Wahlperiode hat dieses Gesetz überhaupt nichts zu
tun.


(Beifall bei der SPD – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Aber wir haben Erfahrungen gesammelt!)


Ich will deutlich feststellen: Ich bin dankbar dafür und
finde es in Ordnung, dass Sie sich so konstruktiv daran be-
teiligt haben und dass Sie voraussichtlich zustimmen.
Aber ich will auch deutlich machen: Wir hätten dieses Ge-
setz auch dann verabschiedet, wenn Sie nicht zugestimmt
hätten. Denn dieses Gesetz ist für die Arbeit zukünftiger
Untersuchungsausschüsse wirklich notwendig. Das hat
mit engeren parteipolitischen Interessen Ihrer Fraktion
überhaupt nichts zu tun.

Ich bin gleichwohl dankbar dafür, dass wir eine solch
breite Mehrheit haben. Es entbehrt ja nicht einer gewissen
Ironie, dass viele bisherige Versuche, ein solches Gesetz
zu verabschieden, vergeblich waren – Frau Simm hat da-
rauf hingewiesen – und dass wir ausgerechnet jetzt dieses
Gesetz einstimmig verabschieden. Das ist, denke ich, eine
ganz wertvolle Angelegenheit.

Dieses Gesetz ist – wie immer; es kann gar nicht anders
sein – ein Kompromiss. Wenn fünf Fraktionen dazu Ja sa-
gen, wird man sich einander angenähert haben müssen;
anders geht es nicht. Ich will einmal den von mir ge-
schätzten Kollegen Lammert, der vor vielen Jahren auf

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten

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dem 57. Deutschen Juristentag vor dem Hintergrund sei-
ner eigenen Bemühungen um die Einbringung eines Un-
tersuchungsausschussgesetzes Folgendes gesagt hat, zi-
tieren:

Wir haben in unseren Beratungen im Geschäftsord-
nungsausschuss im Wesentlichen in der letzten Wahl-
periode die feste Überzeugung gewonnen, dass es
den großen Wurf nicht geben wird; aus einer Reihe
von Gründen im Übrigen. Die in sich stringente, un-
ter jedem Gesichtspunkt konsequente Lösung wird
es günstigstenfalls im Entwurf geben, aber nicht im
Gesetz. Denn wir reden hier natürlich nicht nur über
sozusagen theoretisch schlüssige Ansätze und Lö-
sungen, sondern wir müssen am Ende auch noch die
Kleinigkeit klären, wie man für den für zweckmäßig
gehaltenen Entwurf eine Mehrheit auf die Beine
bringt.

Genau diese Mehrheit ist früher nie zustande gekom-
men. Jetzt kommt sie zustande. Dieses Gesetz wird si-
cherlich auch in der Fachöffentlichkeit viel Kritik erfah-
ren,


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Das werden wir überleben! – Jörg van Essen [F.D.P.]: Es werden genug Dissertationen darüber geschrieben werden!)


weil dem einen dies und dem anderen jenes nicht passt.

Ich denke, dass der Ertrag dieses Gesetzes nicht uner-
heblich ist. In diesem Gesetz werden die Rechte der qua-
lifizierten Minderheit bei der Einsetzung eines Untersu-
chungsausschusses präzisiert. Es gibt eine Neuerung, den
Ermittlungsbeauftragten, um die parlamentarische Unter-
suchung zu straffen und zu beschleunigen. Grundsätzlich
bleibt den elektronischen Medien der Zugang zur Be-
weiserhebung im Untersuchungsausschuss versperrt. Sie
sehen, dass ich die Akzente etwas anders setze als meine
Vorredner. Ich bin kein Freund von elektronischen Me-
dien im Untersuchungsausschuss.


(Beifall des Abg. Joachim Stünker [SPD])


Aber das, was wir hier gemacht haben, ist insgesamt ge-
sehen ein vernünftiger Kompromiss.

Die qualifizierte Minderheit hat einen gesetzlichen An-
spruch auf Erhebung der von ihr beantragten Beweise.
Die Reihenfolge der Vernehmung von Zeugen und Sach-
verständigen kann von der qualifizierten Minderheit
wirksam beeinflusst werden. Im Gesetz wird auf den
Rechtsstatus des Betroffenen verzichtet. Es wird aber
nicht die Forderung nach einer uneingeschränkten Aus-
sagepflicht der Auskunftsperson aufgegriffen, die von ge-
schätzten Kollegen wie zum Beispiel Herrn Ströbele und
Herrn Danckert gefordert worden ist. Ich finde diese
Aspekte sehr interessant. Herr Danckert hat sich in einem
lesenswerten Aufsatz dazu geäußert; es gibt Kollegen mit
wissenschaftlicher Kompetenz unter uns. Es wäre aber ein
Paradigmenwechsel und hätte vermutlich einer Verfas-
sungsänderung bedurft, solche Gedanken umzusetzen.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Sehr richtig!)


Wir bleiben auf der Mitte des Weges, „middle of the
road“, lieber Herr Ströbele,


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Und zwar aus guten Gründen, Herr Wiefelspütz!)


und machen keine Experimente, die im Übrigen auch
keine Mehrheit gehabt hätten.

Wir brauchen für dieses Gesetz breite Mehrheiten.
Deswegen bleiben wir bei der bewährten Strafprozess-
ordnung. Es bleibt also bei dem Zeugnis- und Aus-
kunftsverweigerungsrecht der Strafprozessordnung.
Zwangsrechte erhalten eine deutliche gesetzliche Grund-
lage. Ein Gegendarstellungsrecht wird eingeräumt. Das
Rechtswegchaos, das es bis heute gibt, wird durch die
alleinige Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichtes
und des Bundesgerichtshofes beseitigt. Das ist schon be-
deutend.

Ich würde mir gerne noch eine halbe Minute erlauben –
mit Ihrer Zustimmung, Frau Präsidentin.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1416508300
Fragen Sie nicht
lange, reden Sie! Sonst wird es eine Minute.


Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Rede ID: ID1416508400
Ich möchte nicht versäu-
men, einen Blick zurück zu werfen. Wir haben das alles
nicht erfunden; Frau Simm hat das angedeutet.

Ich möchte erwähnen, wer sich vor uns ganz maßgeb-
lich beteiligt hat: Manfred Schulte, Norbert Lammert,
Konrad Porzner, Manfred Langner, Helmut Buschbom,
Horst Eylmann, Detlef Kleinert, Kollegen aus der 10. und
der 11. Legislaturperiode – nur wenige sind heute noch
hier dabei –, die damals, vor zehn, zwölf, 15 Jahren, maß-
gebliche Vorarbeiten gemacht haben.

Durchgesetzt haben es die Berichterstatter Hermann
Bachmaier aus Crailsheim, Erika Simm, Hans-Christian
Ströbele,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bin ich!)


Jörg van Essen und Dr. Evelyn Kenzler, die einen wichti-
gen Anteil an diesem Erfolg haben.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Und wir sind überhaupt nicht dabei, Herr Kollege?)


Ihnen allen ist zu danken.

Ein bisschen feiern wir uns heute selber. Aber es ist
hohe Zeit, dass wir endlich ein Untersuchungsausschuss-
gesetz haben. Wir haben nicht das Rad neu erfunden, aber
eine wichtige Grundlage geschaffen. In Zukunft arbeiten
sich alle am Gesetz ab und geben nicht immer die eigene
Meinung als Gesetz aus. Das ist eine wichtige Grundlage
für die zukünftige Arbeit des Parlamentes in Unter-
suchungsausschüssen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Dieter Wiefelspütz

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Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1416508500
Wir freuen uns, dass
der Kollege Buschbom heute den Beratungen folgt. Herz-
lich willkommen im Deutschen Bundestag!


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie
der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Gesetzentwürfe zur
Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des
Deutschen Bundestages.

Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung empfiehlt die Annahme der zusammenge-
führten Gesetzentwürfe in der Ausschussfassung.

Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS vor,
über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Än-
derungsantrag auf Drucksache 14/5819? – Wer stimmt da-
gegen? – Der Änderungsantrag ist bei Zustimmung der
PDS und Stimmenthaltung der F.D.P. im Übrigen abge-
lehnt.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Das ist einstimmig.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Eine
Gegenprobe brauche ich gar nicht. Der Gesetzentwurf ist
einstimmig angenommen.

Ich beglückwünsche alle, die daran mitgearbeitet ha-
ben. Das ist ein wichtiger Tag für den Deutschen Bundes-
tag.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS)


Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 17 sowie Zusatz-
punkt 13 auf:

17. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Gunnar
Uldall, Hansjürgen Doss, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Herstellung fairer Wettbewerbsbedingungen
für die deutsche und europäische Werften-
industrie
– Drucksachen 14/5137, 14/5797 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Margrit Wetzel

ZP 13 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Margrit Wetzel, Dr. Ditmar Staffelt, Gerd
Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD sowie der Abgeordneten Kerstin Müller


(Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des

BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Sicherung eines fairen Wettbewerbs für deut-
sche und europäische Werften
– Drucksache 14/5769 –

Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesord-
nung um den folgenden Zusatzpunkt 16 zu erweitern und
ihn mit den beiden genannten Punkten zu verbinden:

ZP 16 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Rolf Kutzmutz, Dr. Dietmar Bartsch,
Dr. Heinrich Fink, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der PDS
Zukunftschancen des deutschen und europä-
ischen Schiffbaus nachhaltig verbessern
– Drucksachen 14/5457, 14/5815 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Börnsen (Bönstrup)


Die Reden sind zu Protokoll gegeben worden1), sodass
ich die Aussprache eröffne und sogleich wieder schließe.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie
zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Herstel-
lung fairer Wettbewerbsbedingungen für die deutsche und
europäische Werftenindustrie, Drucksache 14/5797.

Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-
empfehlung, den Antrag auf Drucksache 14/5137 für er-
ledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Alle sind damit einverstanden. Damit ist die
Beschlussempfehlung angenommen.

Des Weiteren empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 2 sei-
ner Beschlussempfehlung die Annahme einer Entschlie-
ßung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Diese Entschließung ist bei
Enthaltung der PDS einstimmig angenommen.2)

Die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen beantragen, ihren Antrag zur Sicherung eines fai-
ren Wettbewerbs für deutsche und europäische Werften
auf Drucksache 14/5769 für erledigt zu erklären. – Das ist
so beschlossen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der
Fraktion der PDS mit dem Titel „Zukunftschancen des
deutschen und europäischen Schiffbaus nachhaltig ver-
bessern“, Drucksache 14/5815. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 14/5457 abzulehnen. Wer ist
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Gegen die Stimmen der PDS ist die Beschluss-
empfehlung angenommen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16157


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 4
2) Anlage 3

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 18 a und b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Künstlersozialver-
sicherungsgesetzes und anderer Gesetze
– Drucksache 14/5066 –

(Erste Beratung 143. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss)

– Drucksache 14/5792 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Angelika Krüger-Leißner

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialord-
nung (11. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Irmgard

Schwaetzer, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der F.D.P.
Reform der Künstlersozialversicherung ge-
recht gestalten

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich
Fink, Dr. Heidi Knake-Werner, Pia Maier,
Maritta Böttcher und der Fraktion der PDS
Für eine grundlegende Reform der Künst-
lersozialversicherung

– Drucksachen 14/4929 (neu), 14/5086, 14/5792 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Angelika Krüger-Leißner

Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt je ein
Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und der
Fraktion der F.D.P. vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Nach meiner Redefolge hat
als Erste die Parlamentarische Staatssekretärin Ulrike
Mascher das Wort.

U
Ulrike Mascher (SPD):
Rede ID: ID1416508600
Frau Präsidentin!
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heute
zur Verabschiedung anstehenden Gesetzentwurf verbes-
sern wir den sozialen Schutz selbstständiger Künstlerin-
nen und Künstler und Publizisten. Zugleich passen wir die
Künstlersozialversicherung den aktuellen Erfordernissen
an und machen sie zukunftssicher.

Es geht um wichtige Rahmenbedingungen für heute
rund 110 000 selbstständige Künstlerinnen und Künstler
und Publizisten. An ihrer sozialen Absicherung beteiligen
sich die Verwerter mit der Künstlersozialabgabe und der
Bund mit dem Bundeszuschuss. Die Bundesregierung ist
sich der Verantwortung für die Künstlersozialversiche-

rung sehr wohl bewusst. Wir haben deshalb bei dieser No-
vellierung den wesentlichen Schwerpunkt auf den sozial-
politischen Bereich gesetzt.

An der Spitze steht der erleichterte Zugang zur Kran-
kenversicherung der Rentner. Für die selbstständigen
Künstlerinnen und Künstler und Publizisten hat der güns-
tige Krankenversicherungsschutz besondere Bedeutung.
Dieser fällt weg, wenn die künstlerische oder publizisti-
sche Tätigkeit altersbedingt aufgegeben wird. Viele ältere
Künstlerinnen und Künstler und Publizisten können die
Voraussetzungen der Krankenversicherung der Rentner
– eine fast lückenlose Pflichtversicherung in der zweiten
Hälfte des Erwerbslebens – nicht erfüllen, weil das Künst-
lersozialversicherungsgesetz erst 1983 in Kraft getreten
ist. Deshalb öffnen wir den Zugang zur Krankenversiche-
rung der Rentner für Künstler und Publizisten, die ihre
Tätigkeit vor 1983 aufgenommen haben und zwischen
dem 1. Januar 1985 und der Rentenantragstellung fast
durchweg in der Krankenversicherung nach dem KSVG
pflichtversichert waren. Damit schließen wir eine noch
bestehende Lücke in der sozialen Absicherung der Künst-
lerinnen und Künstler und Publizisten, die für die Betrof-
fenen besonders schmerzhaft war.

Außerdem gestalten wir die Voraussetzungen für den
Versicherungsschutz flexibler als bisher, indem wir den
Einkommensschwankungen bei Künstlern und Publi-
zisten Rechnung tragen. Künftig kann die Geringfügig-
keitsgrenze innerhalb von sechs Jahren bis zu zweimal
unterschritten werden, ohne dass der Versicherungs-
schutz entfällt. Dies bedeutet für gering verdienende
Künstler und Publizisten eine größere Sicherheit.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)


Für die Berufsanfänger haben wir eine befriedigende
Lösung gefunden. Nach dem Ende der von fünf auf drei
Jahre verkürzten Berufsanfängerfrist, in der der Versi-
cherungsschutz auch bei einem Einkommen unterhalb der
Geringfügigkeitsgrenze besteht, können die Versicherten
unmittelbar im Anschluss hieran die Neuregelung zur
Flexibilisierung der Geringfügigkeitsgrenze in Anspruch
nehmen. Im Ergebnis verlängert sich dadurch die Frist, in
der ein Mindesteinkommen nicht erforderlich ist, auf bis
zu fünf Jahre. Ferner wird die Berufsanfängerfrist um
Zeiträume verlängert, in denen eine Versicherungspflicht
zum Beispiel wegen Mutterschafts- und Erziehungsur-
laub oder wegen einer Arbeitnehmertätigkeit nicht be-
standen hat.

Um einer ungerechtfertigten Inanspruchnahme der
Künstlersozialversicherung entgegenzuwirken, können
künftig Studenten, die hauptsächlich studieren, nicht
mehr auf die günstigere Krankenversicherung nach dem
KSVG ausweichen. Das Gleiche gilt für über 65-Jährige.
Auch für sie gibt es nicht mehr die Möglichkeit, nach ei-
ner Zeit der Privatversicherung auf die günstigere Kran-
kenversicherung der Künstlersozialkasse auszuweichen.

Für die abgabepflichtigen Verwerter ergeben sich nur
wenige Änderungen. Verschiedene Vorschriften dienen
der Verwaltungsvereinfachung. In diesem Zusammen-
hang sind insbesondere die Ausgleichsvereinigungen zu
nennen, zu denen sich Verwerter zusammenschließen

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Vizepräsidentin Anke Fuchs

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(D)



(A)



(B)


können. Die Verbände der Verwerter haben begrüßt, dass
die Bildung von Ausgleichsvereinigungen attraktiver ge-
macht wird.

Für Musikvereine – jetzt sind hier wohl einige beson-
ders aufmerksam –,


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)


deren Vereinszweck nicht überwiegend auf öffentliche
Aufführungen gerichtet ist, sondern bei denen, wie in der
Regel, die Freude am gemeinsamen Musizieren im Vor-
dergrund steht, haben wir sichergestellt, dass grundsätz-
lich keine Abgabepflicht besteht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS – Zuruf von der CDU/CSU: Das haben Sie sehr gut geändert!)


Wenn ein Musikverein nicht nur gelegentlich eintritts-
pflichtige Veranstaltungen durchführt und Honorare an
Solisten zahlt, sind diese Honorare abgabepflichtig. Eine
Abgabepflicht besteht aber erst dann, wenn innerhalb ei-
nes Jahres mehr als drei Veranstaltungen durchgeführt
werden. Ferner kann eine Abgabepflicht bestehen, wenn
ein Verein eine einer Musikschule vergleichbare Ausbil-
dungseinrichtung betreibt.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Hier müssen noch Verbesserungen geschaffen werden!)


Hinsichtlich der vereinseigenen Chorleiter und Dirigen-
ten wird klargestellt, dass auf die an sie gezahlten Ho-
norare keine Künstlersozialabgabe entfällt. Damit sollen
etwaige Verunsicherungen ausgeräumt werden.

Schließlich haben wir einen weiteren Beitrag zur För-
derung des bürgerschaftlichen Engagements und der
ehrenamtlichen Tätigkeit geleistet. Künftig ist auf die so
genannte Übungsleiterpauschale keine Künstlersozial-
abgabe zu zahlen. Musikvereine, die eine Ausbildungs-
einrichtung betreiben und nebenberufliche Ausbilder ein-
setzen, werden entlastet. Diese Regelung kommt auch
Volkshochschulen zugute, die künstlerische Kurse anbieten
und dabei auf nebenberufliche Lehrkräfte zurückgreifen.

Ich komme nun zu einer organisatorischen Änderung.
Die Künstlersozialkasse ist zurzeit eine Abteilung der
Landesversicherungsanstalt Oldenburg-Bremen.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Eine grauenvolle Organisation!)


Mit dem In-Kraft-Treten der Novelle soll die Künstler-
sozialkasse organisatorisch wieder in die Bundesverwal-
tung einbezogen und dazu der Bundesausführungsbehörde
für Unfallversicherung in Wilhelmshaven angegliedert
werden. Das unterstreicht die politische Verantwortung des
Bundes für die Durchführung der Künstlersozialversi-
cherung. Der Standort und die Arbeitsplätze bleiben in der
Region erhalten.

Eine Erhöhung des Bundeszuschusses zur Künstler-
sozialversicherung ist aus haushaltspolitischen Gründen
nicht möglich. Die finanzielle Beteiligung des Bundes in
Höhe von 20 Prozent der Ausgaben der Künstlersozial-
kasse ist eine verlässliche Größe. Bei den Ausschussbera-

tungen habe ich festgestellt, dass es bei keiner Fraktion
Überlegungen für eine weitere Absenkung gibt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Na ja! – Zuruf der Abg. Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.])


Der Abgabesatz, der im Jahre 2001 von 4 Prozent auf
3,9 Prozent gesunken ist, Frau Dr. Schwaetzer, was für die
Verbände wichtig ist, zeigt, dass die Verwerter auch wei-
terhin nicht unverhältnismäßig belastet werden. Auf die
Höhe der Renten von Künstlern und Publizisten hat der
Bundeszuschuss keinen Einfluss.

Ich möchte nun auf den Entschließungsantrag der
F.D.P.-Fraktion eingehen, wonach die Bundesregierung
aufgefordert werden soll, gegenüber gemeinnützigen Or-
ganisationen rückwirkend erlassene Schätzbescheide zu-
rückzunehmen. Die Künstlersozialversicherung ist nach
geltendem Recht verpflichtet, solche Bescheide heraus-
zugeben. Sie hat die kritisierten Bescheide erlassen, weil
die Volkshochschulen als Anbieter künstlerischer Kurse
zur Künstlersozialabgabe verpflichtet sind und eine dro-
hende Verjährung ihrer Ansprüche verhindert werden
musste. Die Vorgehensweise der Künstlersozialkasse hat
daher absolut nichts mit der derzeitigen Höhe des
Bundeszuschusses zur Künstlersozialversicherung zu tun,
und ich gehe davon aus, dass dies auch den Antragstellern
der F.D.P. bewusst ist.

Kein Geheimnis dürfte es auch sein, dass jetzt die
langjährigen Verhandlungen über die Bildung einer Aus-
gleichsvereinigung auf einem guten Weg sind. Ein ver-
bindliches Angebot der Künstlersozialkasse liegt den
Volkshochschulen vor. Es muss allerdings noch den Ver-
besserungen dieses Gesetzes angepasst werden. Im Hin-
blick auf die bevorstehende Ausgleichsvereinigung hat
die Künstlersozialkasse den Volkshochschulen jedoch
mitgeteilt, dass sie die Künstlersozialabgabe zunächst
nicht erheben wird und Widersprüche gegen die Be-
scheide entbehrlich sind. Aus diesem Grunde sind bisher
den Volkshochschulen keine zusätzlichen Kosten entstan-
den. Ich denke, wir werden mit den Volkshochschulen und
der Künstlersozialkasse eine gute Lösung finden.

Den Mitgliedern des federführenden Ausschusses, der
mitberatenden Ausschüsse, aber auch der Enquete-Kom-
mission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“
danke ich sehr herzlich für ihre engagierte Mitarbeit. Da-
durch ist es gelungen, den sozialen Schutz der Künstle-
rinnen und Künstler sowie der Publizisten weiterzuent-
wickeln. Ich bitte Sie daher um Ihre Zustimmung.

Danke.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416508700
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Karl-Josef Laumann.


Karl-Josef Laumann (CDU):
Rede ID: ID1416508800
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf zur
Novellierung des Künstlersozialversicherungsgesetzes ist
für unsere Fraktion enttäuschend. Er ist nicht mehr als

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Parl. Staatssekretärin Ulrike Mascher

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eine Reparaturnovelle. Einige der Vorschläge sind zwar
sinnvoll,


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Ja!)


aber die wirklichen Notwendigkeiten fehlen in diesem
Gesetz.

Vor allen Dingen wird die Alterssicherung der
Künstler nicht verbessert. Im Jahre 2000 lag das Durch-
schnittseinkommen der Künstler und Publizisten bei un-
ter 22 000 DM im Jahr. Damit liegt es bei etwa 40 Prozent
des Durchschnittseinkommens der Versicherten in der ge-
setzlichen Rentenversicherung. Dementsprechend schlecht
ist die Alterssicherung der Künstler: Ein Versicherter, der
auf der Basis dieses Einkommens 40 Jahre lang Beiträge
in die Künstlersozialversicherung einzahlt, bekommt
nach 40 Jahren eine monatliche Rente in Höhe von
800 DM.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Jemand, der 30 Jahre lang eingezahlt hat, bekommt eine
Rente in Höhe von nur 600 DM pro Monat.

Statt Vorschläge zu machen, wie die Alterssicherung
der Künstler verbessert werden kann, zieht sich der Bund
aus der Finanzierung der Künstlersozialversicherung
zurück.


(Angelika Krüger-Leißner [SPD]: Das stimmt doch gar nicht! – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Unglaublich!)


Mit der Absenkung des Bundeszuschusses zur Künst-
lersozialversicherung haben Sie das finanzielle Funda-
ment und die Stabilität des Systems der Künstlersozial-
versicherung schwer beschädigt. Kompensationen für
diese Einschnitte sieht der Gesetzentwurf nicht vor.

Lediglich bei den Laienmusikvereinen sind Sie einen
kleinen Schritt in die richtige Richtung gegangen. Die ur-
sprüngliche Regelung in Ihrem Entwurf hätte zu großen
finanziellen Belastungen für die Laienmusikvereine ge-
führt. Das Fortbestehen vieler Musikvereine stand auf
dem Spiel. Zu begrüßen ist, dass Sie der Forderung der
Union und auch der Enquete-Kommission „Zukunft des
Bürgerschaftlichen Engagements“ hinsichtlich einer Be-
freiung der Laienmusikvereine von der Pflicht zur Zah-
lung von Abgaben an die Künstlersozialversicherung zu-
mindest teilweise nachgekommen sind.

Aber es geht ja weiter: In letzter Sekunde haben Sie an
das Künstlersozialversicherungsgesetz noch eine Kor-
rektur des Rentenniveaus in der Niveausicherungsklau-
sel in der Rentenversicherung angehängt. Diese Korrek-
tur ist notwendig geworden, weil im Hause Riester wieder
einmal geschlampt wurde.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Wie so oft!)


Sie haben groß verkündet, dass durch die Rentenre-
form im Jahre 2030 ein Rentenniveau von fast 68 Prozent
erreicht werden wird. In der Niveausicherungsklausel
standen aber immer noch die 64 Prozent. Auf Druck der

Gewerkschaften musste nachgebessert werden. Dies ist
wieder ein Beweis dafür, wie reparaturanfällig die Ren-
tenreform aus dem Hause Riester ist. Einem solchen Re-
paraturgesetz kann die Union auf keinen Fall zustimmen.


(Peter Dreßen [SPD]: Ich denke, ihr wollt auch das hohe Niveau!)


Besonders schlimm ist aber, dass der in der Niveau-
sicherungsklausel angegebene Beitragssatz von 22 Pro-
zent sowie das Rentenniveau von 67 Prozent nicht stim-
men. Die Anhörung zur Niveausicherungsklausel in die-
ser Woche hat ein weiteres Mal gezeigt: Sie haben bei der
Berechnung von Rentenniveau und Beitragssatz ge-
schönte Zahlen vorgelegt.


(Zustimmung bei der CDU/CSU)


Die Experten haben deutlich gemacht: Der Beitrags-
satz in der Rentenversicherung von 22 Prozent im Jahre
2030 ist nicht zu halten. Sie sind insbesondere bei der Be-
schäftigungsentwicklung und der Beitragsentwicklung in
der Kranken- und Pflegeversicherung von geschönten
Zahlen ausgegangen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Rentenniveau wird im Jahre 2030 nach realisti-
schen Berechnungen nicht bei 68 Prozent, sondern bei
64 Prozent liegen. Bei der blümschen Rentenreform hätte
das vergleichbare Rentenniveau 2030 bei 65,4 Prozent ge-
legen. Dieses Rentenniveau wurde von Ihnen im Wahl-
kampf – wenn Sie sich noch erinnern


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Das tun sie nicht gerne!)


– als unanständig beschimpft.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das nennt man Regierungsamnesie!)


Jetzt liegen Sie mit Ihrem Rentenniveau noch weit da-
runter.


(Widerspruch bei der SPD)


Im Frühsommer des letzten Jahres haben Sie zum
ersten Mal Vorschläge gemacht, die einen Rentenbei-
trag von 22 Prozent im Jahre 2030 vorsahen. Das Renten-
niveau sollte nach Ihrem ersten Vorschlag 2030 bei
62 Prozent liegen. Nach Ihren aktuellen Rentenplänen soll
das Rentenniveau 2030 nun nicht unter 67 Prozent sinken,
und zwar wieder bei einem Beitragssatz von 22 Prozent.

Sie haben es also bei dieser Reform wirklich fertig ge-
bracht, den Beitragssatz von 22 Prozent in Ihren Plänen
festzuschreiben, haben aber mittlerweile das Rentenni-
veau viermal nach oben korrigiert. Wie Sie das mit einem
gleichen Beitragssatz und mit der gleichen Beschäfti-
gungsgrundlage errechnet haben, ist mir schleierhaft und
höchstens durch die Ausbildung in einer sozialistischen
Gesamtschule erklärbar.


(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Brandner [SPD]: Was ist daran so schlimm, den Beitragssatz festzulegen?)


Viel schlimmer ist, dass Sie nach der Festschreibung
des Beitragssatzes zur Rentenversicherung im Gesetz

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Karl-Josef Laumann

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auch das Rentenniveau festlegen. Damit lassen Sie sich
jede Stellschraube, die man in der Rentenversicherung
braucht, aus der Hand nehmen. Nur eine einzige Stell-
schraube haben Sie noch, nämlich die Möglichkeit, das
Renteneintrittsalter heraufzusetzen.


(Klaus Brandner [SPD]: Was Merz vorgeschlagen hat!)


Lieber Kollege Brandner, die Wahrheit ist, dass Sie
sich uns bei den anstehenden Rentenkonsensgesprächen
im Vermittlungsausschuss überhaupt nicht nähern kön-
nen.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: So ist es!)


Sie haben den Gewerkschaften ein Rentenniveau von
67 Prozent garantiert, und die Witwen in Deutschland sol-
len jetzt dafür bluten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist eine Sauerei! – Peter Dreßen [SPD]: Sie sagen die Unwahrheit! – Weiterer Zuruf von der SPD: Lüge!)


Das ist die Wahrheit. Diesen Zusammenhang können wir
aus sozialpolitischer Sicht schlicht und ergreifend nicht
verantworten.

In der Anhörung am letzten Dienstag hat Herr Profes-
sor Schmähl sehr deutlich gesagt, dass die Bedürfnisprü-
fung in einer beitragsfinanzierten Rentenversicherung,
die Sozialdemokraten das erste Mal eingeführt haben
– nichts anderes ist die Anrechnung aller Einkommensar-
ten beim Freibetrag der Witwenrente –, einem System-
wechsel gleichkommt. Dafür stehen Sozialdemokraten in
diesem Bundestag!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Weil Herr Zwickel zum Telefonhörer gegriffen hat
– das weiß ich aus Gesprächen mit dem einen oder ande-
ren Kollegen von Ihnen –, haben Sie eine Sondersitzung
der Grünen- und der SPD-Fraktion durchgeführt. Damit
haben Sie sich gegen die Witwen und für ein geschöntes
Rentenniveau im Sinne der Gewerkschaften entschieden.
Das ist die Wahrheit.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: In Widersprüche verzwickelt!)


Dass Sie es wagen, einen so hochpolitischen Vorgang ne-
benbei mit dieser Künstlersozialversicherung zu verbin-
den, macht den Skandal komplett.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Deswegen werden wir diesem Gesetz nicht zustimmen
können. Wenn Sie etwas für die Alterssicherung der
Künstler in unserem Land tun wollen, dann heben Sie für
Leute, die nach 40 Jahren Beitragszahlung eine Rente von
800 DM bekommen, den Bundeszuschuss wieder auf die
25 Prozent an, bei denen er in Zeiten der CDU/CSU-Re-
gierung 16 Jahre lang gelegen hat. Dann haben Sie we-
nigstens in diesem Punkt ein Stückchen Glaubwürdigkeit
gewonnen. Mancher Künstler, der bei den Wahlen 1998
für einen Regierungswechsel gestimmt hat, wird nach die-
ser gesetzlichen Änderung nicht mehr für Rot-Grün sein.

Schönen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Er wird wieder für einen Regierungswechsel sein!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416508900
Das Wort hat die Kol-
legin Dr. Thea Dückert für die Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416509000

Sehr verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Die Rede von Herrn Laumann hat zwei Sachen deut-
lich gemacht: Erstens. Die CDU interessiert sich nicht für
die Reform der Künstlersozialversicherung.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Quatsch! Das ist weit unter Ihrem Intelligenzniveau, Frau Dückert!)


Zweitens. Sie ist sich nicht zu schade, hier zum wieder-
holten Male – ich weiß nicht, zum wievielten Male – Un-
wahrheiten über die Rentenreform zu verbreiten,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


und zwar mit dem platten und dummen Ziel, die Bevöl-
kerung mit Märchen über die zukünftige Rente in die Irre
zu führen.

Die Rentenreform – das wissen Sie ganz genau – und
gerade die Reform der Witwenrente wird die heutigen
Rentnerinnen und Rentner überhaupt nicht betreffen. Es
ist eine Reform der Hinterbliebenenrente,


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Sie wollen sie doch 2010 aussetzen!)


die erst in der Zukunft gilt. Das heißt, nur die heute jun-
gen Ehefrauen werden von dieser Regelung berührt. Sie
wissen, dass sich deren Erwerbsbiografien sehr stark von
denen unserer Mütter und von unseren eigenen unter-
scheiden, die wir weniger in die Rentenkassen eingezahlt
haben.


(Klaus Brandner [SPD]: Das muss gesagt werden!)


Hier werden Unwahrheiten verbreitet, und zwar zum wie-
derholten Male. Ich kann das in keiner Weise konstruktiv
und vernünftig finden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir reden jetzt aber über die Reform der Künstlersozi-
alversicherung. Im Zusammenhang mit dieser Reform bin
ich sehr froh, dass es uns gelungen ist, sie in einem über-
sichtlichen Zeitraum und unter Beteiligung von vielen
Fachverbänden auf den Weg zu bringen. Natürlich gibt es
vonseiten der Fraktionen die üblichen Nörgeleien, aber in
Wirklichkeit kann niemand in diesem Hause ernsthaft be-
streiten, dass die Reform der Künstlersozialversicherung
Verbesserungen mit sich bringt, und zwar gerade auch für
die Künstlerinnen und Künstler. Die Herabsetzung des
Bundesanteils von 25 Prozent auf 20 Prozent im Zusam-
menhang mit dem Haushaltssanierungsgesetz war damals

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Karl-Josef Laumann

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natürlich ein schwieriger Schritt; er war aber rechtlich ge-
boten, weil sich der Selbstvermarktungsanteil reduziert
hat, und er war auch haushaltspolitisch sinnvoll.

Herr Laumann, ich muss Ihnen vorhalten, dass Sie
heute wieder mit falschen Zahlen operiert haben, wenn
Sie behaupten, die Herabsetzung des Bundesanteils habe
sich in irgendeiner Weise auf den Rentenbezug der Künst-
lerinnen und Künstler ausgewirkt. Diese Behauptung ist
unwahr. Die Reduzierung des Bundesanteils wirkt sich in
keiner Weise nachteilig auf die Sozialleistungen der
Künstlerinnen und Künstler aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Mit dieser Reform werden der Versicherungsschutz für
die Künstlerinnen und Künstler insgesamt verbessert, die
Versicherungspflicht eingegrenzt und das Verfahren ver-
einfacht. Die Künstlersozialversicherung, die bereits seit
1983 existiert, ist sehr gut angenommen worden. Dies
liegt vor allem daran, dass sie freischaffenden Künstlerin-
nen und Künstlern die Möglichkeit gibt, sich mit einem
Eigenanteil von 50 Prozent rentenversichern zu können.
Wir vom Bündnis 90/Die Grünen wissen, dass zum Bei-
spiel bildende Künstler, Übersetzer und Kleinkünstler
trotz hervorragender Arbeit ohne diese Künstlersozial-
kasse finanziell oft nicht überleben könnten. Gerade des-
halb wollten wir durch diese Reform die Künstlerinnen
und Künstler besser absichern. Nach unserer Auffassung
leisten viele Künstlerinnen und Künstler für Unternehmen
eine gute Arbeit, leider sehr oft zu schlechten Konditio-
nen. Dennoch denke ich, dass diese Arbeiten mit einem
Eigenbeitrag von 4 Prozent für die Verwerter angemessen
berücksichtigt sind.

Der Selbstvermarktungsanteil – ich habe bereits darauf
hingewiesen – ist zurückgegangen. Deshalb war es uns
wichtig, im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf die
Eigenbeteiligung des Bundes auf 20 Prozent festzuschrei-
ben. Diese Tatsache reduziert im Übrigen auch die Un-
sicherheit über die zukünftige Entwicklung und schafft
mehr Sicherheit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Durch das In-Kraft-Treten des Gesetzes wird es auch
wesentliche andere Verbesserungen geben. So ist nun bei-
spielsweise festgelegt, dass Künstlerinnen und Künstler
in einem Zeitraum von sechs Jahren die Geringfügigkeits-
grenze zwei Mal unterschreiten können. Ich denke, diese
Flexibilisierung war notwendig, weil das Einkommen der
Betroffenen in diesem Bereich sehr häufig schwankt. Es
wäre nicht gerechtfertigt, den Versicherten aus diesem
Grunde den Versicherungsschutz zu entziehen.

Des Weiteren – auch das ist eine wesentliche Verbes-
serung – können ältere Künstlerinnen und Künstler sowie
Publizistinnen und Publizisten Zugang zu der Kranken-
versicherung der Rentner erhalten; das gilt auch für jene,
die bereits vor In-Kraft-Treten der Künstlersozialversiche-
rung in diesem Bereich tätig waren. Außerdem macht der
Gesetzentwurf die Bildung von Ausgleichsvereinigungen
attraktiver.

Insgesamt ist zu sagen, dass sowohl im parlamentari-
schen Verfahren Einlassungen der Opposition als auch im
Anhörungsverfahren Einlassungen der angehörten Ver-
bände zu wesentlichen Veränderungen am Gesetzentwurf
geführt haben. Insbesondere gilt das – die Frau Staats-
sekretärin hat das vorhin bereits dargelegt – für die Be-
rücksichtigung von Dirigenten und Übungsleitern in Mu-
sikvereinen. Auf diesem Feld werden Erleichterungen
geschaffen; das wird von allen – sogar von der CDU/CSU,
die den Gesetzentwurf im Übrigen ja bemängelt – be-
grüßt.

Alle Veränderung im Rahmen dieser Reform sind im
großen Einklang mit dem Deutschen Kulturrat erfolgt. Si-
cherlich gibt es in Detailfragen noch Kritik, insgesamt
aber wird diese Reform begrüßt. Ich denke, die rot-grüne
Koalition hat mit dieser Reform ein klares Bekenntnis zu-
gunsten der Künstler- und Publizistenszene in der Bun-
desrepublik Deutschland abgelegt,


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Dafür müsst ihr aber noch was machen!)


und zwar unter den Bedingungen eines Sparhaushaltes.
Ich finde, das ist eine reife Leistung und bedeutet eine
Verbesserung für die betroffenen Künstlerinnen und
Künstler.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416509100
Jetzt spricht die Kol-
legin Dr. Irmgard Schwaetzer für die F.D.P.-Fraktion.


Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1416509200
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Reform der
Künstlersozialversicherung war in der Tat längst über-
fällig. Sie war von der Koalition lange angekündigt wor-
den. Es sind zwar durch ein paar Änderungen, die
während der Beratungen vorgenommen worden sind,
leichte Verbesserungen erzielt worden. Insofern hat
sich – Frau Dückert, das ist das Einzige, was Sie in Ihrer
Rede richtig dargestellt haben – im Vergleich zum ur-
sprünglichen Entwurf etwas verbessert. Aber der
Gesetzentwurf, der heute zur Verabschiedung vorliegt,
bleibt weit hinter den Erwartungen sowohl der Künstle-
rinnen und Künstler und der Verwerter als auch hinter
den notwendigen Verbesserungen zurück, die diese Re-
form eigentlich hätte bringen sollen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte mit den Verbesserungen beginnen. Sie ha-
ben dem massiven Drängen vor allem der F.D.P.-Fraktion
nachgeben müssen, die gemeinnützigen Vereine wenigs-
tens teilweise außen vor zu lassen. Unser Antrag ging al-
lerdings weiter, nämlich alle gemeinnützigen Vereine
freizustellen. Das wäre eine angemessene Regelung ge-
wesen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Dr. Thea Dückert

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Das, was Sie machen, ist wieder nur eine Krücke.


(Zuruf von der SPD: Warum haben Sie es nicht gemacht? Sie hatten 16 Jahre lang Zeit!)


Kein Wort in Ihrer Rede, Frau Dückert, kam – das ist
schon bezeichnend – so oft vor wie „Sparhaushalt“ und
„Notwendigkeit des Sparens“. Warum Sie ausgerechnet
bei den Künstlern mit dem Sparen beginnen, bleibt mir al-
lerdings verschlossen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Hier die Vorstellungen des Kulturrates, die wesentlich
weitergingen – die Opposition hat diese Vorstellungen
aufgegriffen und Sie haben uns anschließend vorgewor-
fen, es seien Nörgeleien –, als Nörgeleien zu bezeichnen
ist schon Frechheit.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Wir sind nicht damit einverstanden, dass Sie die Be-
rufsanfängerzeit von fünf auf drei Jahre verkürzen. Wir
sind auch nicht damit einverstanden, dass Sie den Bun-
deszuschuss zur Künstlersozialkasse auf 20 Prozent
gekürzt lassen. Wir sind des Weiteren nicht damit einver-
standen, dass Sie den sehr guten Vorschlag des Kulturra-
tes, bei der Bemessung des Bundeszuschusses flexibler
vorzugehen, nicht umgesetzt haben. Der Kulturrat hat uns
vorgeschlagen, den Bundeszuschuss zur Künstlersozial-
versicherung in einem Korridor von 20 Prozent bis
25 Prozent der Ausgaben zu bemessen und danach die
Verwerterabgabe und die Beiträge der Künstler festzule-
gen. Es hätte die finanziellen Möglichkeiten des Bundes
keinesfalls überfordert, wenn Sie diesen angemessenen
Vorschlag aufgegriffen hätten. Aber Sie haben das nicht
getan. Das ist eine Negierung der Interessen der Künstler.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Sie haben noch nicht einmal versucht, den Kreis der
Personen, die in die Künstlersozialversicherung aufge-
nommen werden können, zu begrenzen. Damit lassen Sie
eine Ausweitung dieses Personenkreises zu, ohne aber die
Finanzierung der neuen Mitglieder in angemessener Weise
sicherzustellen. All das kann keinen Bestand haben.

Wir erhalten die Forderungen aus unserem Entschlie-
ßungsantrag – Frau Mascher hat dazu etwas gesagt – auf-
recht und bitten um Zustimmung. Die Volkshochschu-
len in der Bundesrepublik Deutschland sind wirklich
flächendeckend mit Abgabenbescheiden überzogen wor-
den, in denen Rückforderungen in Höhe von 25 000 bis
40 000 DM für angeblich nicht gezahlte Beiträge in den
letzten Jahren erhoben werden. Jetzt sagt die Bundesre-
gierung den Volkshochschulen: „Legt dagegen mal keine
Beschwerde ein“, ohne zuzusagen, dass diese Bescheide
geändert oder zurückgenommen werden. Sie hätten mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf die Möglichkeit gehabt,
das zu tun. Aber Sie haben es nicht getan. Deswegen
werde ich allen Volkshochschulen weiterhin empfehlen,
auf jeden Fall Widerspruch gegen diese Bescheide einzu-
legen und sich nicht auf finanzielle Zusagen der Bundes-
regierung zu verlassen, die noch nicht einmal beziffert
sind, geschweige denn durchgesetzt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Eine letzte Bemerkung zu dem wirklich sachwidrigen
Anhängsel, das Sie diesem Gesetzentwurf verpasst haben,
nämlich der so genannten Niveausicherungsklausel von
67 Prozent in der gesetzlichen Rentenversicherung. Das,
was Sie hier auf Druck der Gewerkschaften versuchen, ist
wirklich die Quadratur des Kreises. Jeder weiß, dass das
nicht funktionieren wird. Sie haben im Gesetzentwurf ei-
nen Beitragssatz von 22 Prozent festgeschrieben. Sie
schreiben darüber hinaus eine Niveausicherungsklausel
von 67 Prozent fest. Beides werden Sie innerhalb der
nächsten Jahre zurückziehen müssen, weil Sie es nicht
halten können.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ihre Berechnungsgrundlagen stimmen einfach nicht; sie
sind zu optimistisch. Das hat die Anhörung ganz eindeu-
tig ergeben.

Meine Damen und Herren, wenn die Gewerkschaften
hier jetzt Politik machen, dann ist die Sozialpolitik in der
Tat einseitig und wird eine Katastrophe erleben.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: So ist es!)


Deswegen werden wir dem nicht zustimmen.
Danke schön.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416509300
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Dr. Heinrich Fink.


Dr. Heinrich Fink (PDS):
Rede ID: ID1416509400
Sehr geehrte Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn es gelungen
wäre, die Vorschläge unseres Antrags im Novellierungs-
prozess des Künstlersozialversicherungsgesetzes umzu-
setzen,


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das wäre noch schlechter!)


dann könnten wir heute ein wesentlich besseres Ergebnis
vorweisen:


(Beifall bei der PDS – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das wäre noch viel schlechter!)


Erstens. Es wäre gesichert, dass alle hauptberuflich
künstlerisch oder publizistisch Tätigen, die nicht im Rah-
men von Beschäftigungsverhältnissen sozial abgesichert
sind, in den Versicherungsschutz nach dem KSVG
einbezogen würden.

Zweitens. Die Gefahr für den Bestand der Künstlerso-
zialkasse, die von den bestehen bleibenden Festlegungen
im Haushaltssanierungsgesetz von Ende 1999 ausgeht,
wäre mit Sicherheit gebannt.

Drittens. Es würde von der Bundesregierung eine um-
fassende Kulturenquete in Auftrag gegeben, von deren Er-
gebnissen aus der Ausbau der Künstlersozialversicherung
verantwortungsvoll betrieben werden könnte.

Denn nach wie vor sind noch Fragen offen – die hier
auch gestellt wurden –, wie die nach einem Versicherungs-
schutz für Zeiten ohne Einkommen, nach der Einführung

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Dr. Irmgard Schwaetzer

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einer Arbeitslosenversicherung und nach der Gewährleis-
tung einer angemessenen Rente für die Künstler und Künst-
lerinnen sowie die Publizisten und Publizistinnen.

Unser Antrag hat allerdings mit dazu beigetragen, das
zwei wichtige Korrekturen an dem Gesetz vorgenommen
wurden. Die beabsichtigte Verkürzung der Berufsan-
fängerzeit von fünf auf drei Jahre ist durch die vorge-
schlagene Regelung so gut wie aufgehoben. Zudem soll
die Einstandspflicht des Bundes von ihrer engen Bindung
an die so genannte Selbstvermarktungsquote gelöst wer-
den. Dies ist die wohl folgenreichste Änderung. Sie führt
dazu, dass für die Begründung des Bundeszuschusses die
kulturpolitische Verantwortung des Bundes für die so-
ziale Absicherung der Künstler und Künstlerinnen sowie
der Publizisten und Publizistinnen noch stärker als bisher
in den Vordergrund rückt.


(Beifall bei der PDS)


Das ist eine wichtige Weichenstellung für die gesamte
Fortentwicklung der Künstlersozialversicherung.

Nun muss die Bundesregierung auf die noch immer im
Raume schwebende isolierte Studie zur Selbstvermark-
tung endgültig verzichten und es ist auch neu über eine
Erhöhung des Bundeszuschusses zu diskutieren. Natür-
lich unterstützen wir auch die noch nachträglich er-
reichten Verbesserungen, die nicht in unserem Antrag ent-
halten sind, also die Behebung der Sorgen bei den
Laienmusikvereinen und die generelle Herausnahme der
Übungsleiterpauschale aus der Bemessungsgrundlage für
die Künstlersozialabgabe.

Wir beschließen heute – das ist ja hier schon hinrei-
chend diskutiert worden – über die „Sicherung“ des Ren-
tenniveaus auf 67 statt bisher 64 Prozent. Ich muss schon
sagen, für die PDS ist das eine sophistische Frage. Unsere
Rentenreformvorschläge hätten ein deutlich höheres Ren-
tenniveau sichergestellt. Eine wirkliche Rentenreform
wäre dann möglich gewesen – und diese ist fällig.

Wir begrüßen die erreichten Verbesserungen, halten
sie aber für nicht ausreichend, um dem Gesetzentwurf zu-
zustimmen. Wir werden uns deshalb enthalten. Also:
Weiter kämpfen für eine bessere Existenz der Künstle-
rinnen und Künstler und damit auch für die Kunst in un-
serem Land!


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416509500
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Angelika Krüger-Leißner
für die SPD-Fraktion.


Angelika Krüger-Leißner (SPD):
Rede ID: ID1416509600
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin
doch sehr erstaunt, wie die Opposition heute diese De-
batte um eine sehr wichtige soziale Reform, die wir zu-
gunsten der Künstler und Publizisten heute umsetzen wol-
len, nutzt, um ihren Boykott gegen die Rentenreform
fortzuführen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Nur gegen den Unsinn der Rentenreform! – Eckart von Klaeden [CDU/ CSU]: Die können wir doch gar nicht boykottieren!)


Ich glaube, Sie haben bis heute nicht verstanden, dass
wir dabei sind, auch diesen Part der Hinterbliebenenrente
zu modernisieren. Mit der Verbesserung der Familienför-
derung in den nächsten Jahren tragen wir auch zur Ab-
sicherung der Eigenständigkeit der Frauen bei. Außerdem
haben Sie bis heute nicht begriffen, dass Niveaustabilität
und Beitragsstabilität für uns ein verlässlicher Faktor in
der Rentenpolitik sind und bleiben.


(Beifall bei der SPD – Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Damit werden Sie doch die Grundrechenarten nicht aufheben! Die lassen sich nicht verändern!)


Bevor ich in dieser Rede inhaltlich auf die Reform der
Künstlersozialversicherung eingehe, möchte ich – da-
rüber ist mit Ihnen im Vorfeld im Einvernehmen beraten
worden – eine kleine Berichtigung zur Beschlussemp-
fehlung anführen. In der Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Arbeit und Sozialordnung zum Entwurf eines
Zweiten Gesetzes zur Änderung des Künstlersozialver-
sicherungsgesetzes und anderer Gesetze muss es unter
Art. 1 Ziffer 10 Buchstabe b Doppelbuchstabe bb statt
„Satz 3 zweiter Halbsatz“ heißen „Satz 2 zweiter Halb-
satz“. Ich bitte, diese Korrektur zu protokollieren und bei
der Abstimmung entsprechend zu berücksichtigen. –
Danke.

Einige von uns haben den im März erschienenen Arti-
kel des Deutschen Kulturrats in der Zeitschrift „Kultur ak-
tuell“ gelesen. Die Überschrift dieses Artikels lautete:
„Ende gut, alles gut?“ Dies bezog sich auf die Reform der
Künstlersozialversicherung. Ich freue mich, dass wir
diese Frage heute in der abschließenden Lesung dieses
Gesetzentwurfs positiv beantworten können;


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Sie schon!)


denn wir haben die Reform des Künstlersozialversiche-
rungsgesetzes auf die Zielgerade gebracht. Damit halten
wir unser Wort – es ist im Koalitionsvertrag festgeschrie-
ben –, dass wir die Künstlersozialversicherung zur weite-
ren Absicherung der Künstlerinnen und Künstler verbes-
sern werden.


(Beifall bei der SPD)


Die Künstlersozialversicherung stellt seit 1983 das ge-
setzliche Fundament vieler Künstler und Publizisten in
Deutschland für die Vorsorge bei Krankheit und für das
Alter dar. Ist der Kreis der von diesem Gesetz erfassten
Versicherten im Vergleich zu den Beitragszahlern und
Rentnern der gesetzlichen Rentenversicherung auch ge-
ring, so hat die Künstlersozialversicherung für die dort
heute 110 000 Versicherten dennoch eine ähnlich große
sozialpolitische Bedeutung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie ist letztendlich zugleich die Grundbedingung für kre-
atives künstlerisches und publizistisches Schaffen. Bei ei-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Dr. Heinrich Fink

16164


(C)



(D)



(A)



(B)


nem jährlichen Durchschnittseinkommen der in der Künst-
lersozialkasse versicherten Künstler von sage und schreibe
21 852 DM wird uns der Wert dieser sozialen Absicherung
erst so richtig bewusst.

Aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen galt es
für die Regierungskoalition zum einen, diese soziale und
kulturpolitische Errungenschaft zu erhalten und durch
Verbesserungen zu stärken. Dabei gelang uns in enger
Zusammenarbeit mit den Interessenvertretern aller künst-
lerischen Sparten – mit Künstlern, mit Vertretern der Kul-
turwirtschaft und mit den Laienschaffenden – ein inten-
siver Austausch über den Reformbedarf. Die Diskussion
strahlte ins Land aus. Sie wurde in Verbänden, mit der
Gewerkschaft und vor allem mit den Betroffenen selbst
geführt. Sie hat Anregungen – natürlich auch kritische –
hervorgerufen. Somit hat sie auf jeden Fall für die not-
wendige Transparenz gesorgt. Diese Diskussion hat vor
allem eines deutlich gemacht: In vielen Punkten gibt es
Übereinstimmung und auch Anerkennung im Hinblick
auf die heute vorliegende Novellierung.


(Beifall bei der SPD)


Die Anhörung hat in vielen Sachpunkten Klarheit ge-
schaffen, die zu Änderungsanträgen der Koalitionsfrak-
tionen führten.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Richtig! Im Entwurf waren die überhaupt nicht drin!)


Auch die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kul-
tur und Medien war für die Entscheidungsfindung wichtig.
Die Änderungen im vorliegenden Gesetzentwurf haben
vor allem eines zur Folge: Sie schaffen mehr Gerechtigkeit
für die jungen Künstler, für die Publizisten, aber auch für
die Älteren, die in den nächsten Jahren das Rentenalter er-
reichen werden.

Kernstück der Novelle ist daher der erleichterte Zu-
gang älterer Künstler und Publizisten zur Kranken-
versicherung der Rentner, auch wenn sie schon vor Ent-
stehung der Künstlersozialversicherung tätig waren.
Damit schließen wir eine Lücke in der sozialen Absiche-
rung dieser Menschen. Ich bin froh, dass wir dieses drän-
gende Problem auf diese Weise gelöst haben.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Da ist wenigstens einer froh!)


Begrüßt wird vor allem auch die Möglichkeit, die Be-
rufsanfängerzeit zu unterbrechen: zum Beispiel durch
Mutterschafts- und Erziehungsurlaub, Zivil- bzw. Wehr-
dienst oder Arbeitnehmertätigkeit. Das ist richtig und not-
wendig und ermöglicht eine Verlängerung der dreijähri-
gen Berufsanfängerfrist.

Um noch besser die Besonderheiten der schwierigen
Anfangsjahre zu berücksichtigen, haben wir diese Rege-
lung mit der Möglichkeit kombiniert, die Geringfügig-
keitsgrenze zweimal innerhalb von sechs Jahren unter-
schreiten zu können, ohne den Versicherungsschutz zu
verlieren.


(Beifall bei der SPD)


Ich glaube, diese Regelung trägt der Realität Rechnung.

Unter die Lupe genommen haben wir vor allen Dingen
den Bereich der Abgabenpflicht von Laienmusikvereinen,
die gegenüber der Künstlersozialkasse besteht. In diesem
Punkt herrschte Unklarheit und Verunsicherung. Nun ist
aber klar gestellt, dass von Laienorchestern und -chören
auf die Honorare an vereinseigene Dirigenten und Chor-
leiter keine Künstlersozialabgabe gezahlt werden muss.


(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416509700
Frau Kollegin, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.


Angelika Krüger-Leißner (SPD):
Rede ID: ID1416509800
Eine weitere Ver-
besserung bedeutet auch die Ausdehnung der so genannten
Übungsleiterpauschale auf die Laienmusikvereine. Steuer-
freie Aufwandsentschädigungen bleiben bis zu 3 600 DM
sozialabgabefrei. Wir haben damit das Ehrenamt gestärkt.
Das ist politisch so gewollt und wird auch so umgesetzt.

Wir haben durch diese Regelungen die existenziellen
Interessen der Künstler und Publizisten berücksichtigt.
Wir wissen aber auch, dass wir nicht alle Wünsche erfül-
len konnten. Die Höhe des Bundeszuschusses blieb un-
berührt. Da die Verbände vor allem eine weitere Absen-
kung des Bundeszuschusses befürchteten, will ich eines
deutlich machen: Das darf nicht passieren.


(Beifall bei der SPD)


Wir brauchen für alle Seiten Verlässlichkeit und Konti-
nuität in der Künstlersozialversicherung: für die Künstler
selbst, für die Verwerter und für den Bund.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416509900
Frau Kollegin, ich er-
mahne Sie ein letztes Mal, zum Schluss zu kommen.


Angelika Krüger-Leißner (SPD):
Rede ID: ID1416510000
Ich komme zum
Schluss meiner Ausführungen.

Ich könnte meine Rede nicht besser beenden als mit ei-
nem Zitat eines Sachverständigen aus der Anhörung. Herr
Zimmermann vom Deutschen Kulturrat fasste unsere Re-
formbemühungen in folgende Worte: Wir haben

alle gemeinsam ein Interesse daran ..., dass diese
Künstlersozialversicherung nicht nur in dieser Legis-
laturperiode hält, sondern sie soll auch in den nächs-
ten 20 bis 30 Jahren ... halten, weil es die beste, die
sinnvollste Möglichkeit der sozialen Absicherung für
die Künstlerinnen und Künstler ist.

Dazu will ich zum Schluss noch eine Bemerkung machen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416510100
Nein, Frau Kollegin,
der Osterbonus ist aufgebraucht.


Angelika Krüger-Leißner (SPD):
Rede ID: ID1416510200
Dann bedanke ich
mich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Angelika Krüger-Leißner

16165


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416510300
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Künstlersozialversicherungsgesetzes und anderer Ge-
setze, Drucksache 14/5066. Der Ausschuss für Arbeit und
Sozialordnung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 14/5792 die Annahme des
Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
– unter Einschluss der soeben vorgetragenen Berichti-
gung – zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS angenom-
men.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P.
bei Enthaltung der PDS angenommen.

Wir kommen nun zu den Entschließungsanträgen. Wer
stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/5825? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist ge-
gen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthal-
tung der PDS-Fraktion abgelehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der F.D.P. auf Drucksache 14/5824? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist ge-
gen die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS abge-
lehnt.

Wir kommen zurück zur Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksa-
che 14/5792. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der F.D.P. mit dem Titel „Reform der Künstler-
sozialversicherung gerecht gestalten“, Drucksache
14/4929 (neu). Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU- und
F.D.P.-Fraktion angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der PDS auf Drucksache 14/5086 mit dem Titel
„Für eine grundlegende Reform der Künstlersozialversi-
cherung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion ange-
nommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf:

19 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes

zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes
und anderer Gesetze
– Drucksachen 14/4329, 14/4458 –

(Erste Beratung 128. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/5793 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gisela Schröter
Beatrix Philipp
Grietje Bettin
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Petra Pau

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu der
Unterrichtung durch die Bundesregierung
Tätigkeitsbericht 1997 und 1998 des Bundes-
beauftragten für den Datenschutz – 17. Tätig-
keitsbericht –
– Drucksachen 14/850, 14/1012 Nr. 6, 14/5353 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gisela Schröter
Beatrix Philipp
Cem Özdemir
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Petra Pau

Zu dem Gesetzentwurf liegen sechs Änderungsanträge
und ein Entschließungsantrag der Fraktion der PDS vor.

Die Kolleginnen und Kollegen Jörg Tauss, Beatrix
Philipp, Grietje Bettin, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Petra
Pau sowie der Parlamentarische Staatssekretär Fritz
Rudolf Körper haben ihre Reden zu Protokoll gege-
ben.1) – Ich sehe keinen Widerspruch im Hause.

Wir kommen deshalb sofort zu den Abstimmungen,
und zwar zunächst über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesda-
tenschutzgesetzes und anderer Gesetzes in der Aus-
schussfassung, Drucksachen 14/4329 und 14/5793. Es
liegen sechs Änderungsanträge der Fraktion der PDS vor,
über die wir zuerst abstimmen werden.

Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
14/5812? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Frak-
tion abgelehnt.

Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
14/5816? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Frak-
tion abgelehnt.

Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
14/5818? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Auch
dieser Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-
Fraktion abgelehnt.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116166


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 5

Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
14/5820? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Frak-
tion abgelehnt.

Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
14/5821? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Frak-
tion abgelehnt.

Schließlich der Änderungsantrag auf Drucksache
14/5822: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Auch dieser Änderungsantrag ist gegen
die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist gegen die Stimmen von F.D.P.- und PDS-
Fraktion bei Enthaltung der CDU/CSU in zweiter
Beratung angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit gegen die Stimmen von F.D.P. und PDS bei Ent-
haltung der CDU/CSU angenommen.

Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion
der PDS. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf
Drucksache 14/5817? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Entschließungsantrag ist gegen die Stim-
men der PDS-Fraktion abgelehnt.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Innenausschusses zum Tätigkeits-
bericht 1997 und 1998 des Bundesdatenschutzbeauf-
tragten. Es handelt sich um die Drucksachen 14/850 und
14/5353. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis des Be-
richts eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
des gesamten Hauses angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Uwe-
Jens Rössel, Dr. Dietmar Bartsch, Heidemarie
Ehlert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
PDS
Änderung des Zerlegungsmaßstabs des Ge-
werbesteuermessbetrags
– Drucksache 14/5584 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Uwe-
Jens Rössel, Dr. Dietmar Bartsch, Heidemarie

Ehlert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
PDS
Erhöhung der Gewerbesteuerumlage rückgän-
gig machen
– Drucksache 14/5586 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die PDS-
Fraktion ist der Kollege Dr. Uwe-Jens Rössel.


Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS):
Rede ID: ID1416510400
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Auch beim Thema Kommu-
nalfinanzen muss die Bundesregierung offenbar erst zum
Jagen getragen werden.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Ausgerechnet durch die PDS!)


– Gerade durch die PDS.

Mit einem schwergewichtigen Versprechen ist die rot-
grüne Regierung 1998 gestartet. Die kommunale Finanz-
kraft sollte gestärkt und das Gemeindefinanzsystem einer
in der Tat umfassenden Prüfung unterzogen werden. Pas-
siert ist aber wenig.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Wie immer!)


– Wie immer, Kollege Fromme, da gebe ich Ihnen Recht.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Bei dieser Regierung!)


Die dringend notwendige Reform des kommunalen Fi-
nanzwesens wurde erst einmal auf die lange Bank ge-
schoben und jetzt sogar auf die nächste Legislaturperiode
vertagt. Das halten wir für unverantwortlich.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)


Jetzt tut handeln Not. Für viele Kommunen ist bereits
jetzt das Ende der Fahnenstange erreicht. Allein die Steu-
erreform reißt im Jahre 2001 ein Minus von etwa 8 Milli-
arden DM in die Stadt- und Gemeindekassen. Weitere
Steuerausfälle bzw. Mehrkosten bei den Kommunen wur-
den noch gar nicht exakt beziffert. Ich nenne als belas-
tende Faktoren nur die BSE-Krise, die Euro-Umstellung,
die Förderung der privaten Altersvorsorge, den Wegfall
der originären Arbeitslosenhilfe und den Teilrückzug des
Bundes aus der Finanzierung des Unterhaltsvorschusses
für Alleinerziehende. Dies alles unterstreicht noch ein-
mal, wie dringend notwendig es ist, eine Reform des kom-
munalen Finanzwesens in Angriff zu nehmen.

Die PDS-Fraktion stellt nicht nur Forderungen, son-
dern ist auch die einzige Fraktion, die schon vor einiger
Zeit ein diesbezügliches Konzept in den Bundestag ein-
gebracht hat.


(Beifall bei der PDS)


Dieses Konzept wird durch weitere Anträge, die heute der
Öffentlichkeit vorgestellt werden, untersetzt. Ein erster

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Vizepräsidentin Petra Bläss

16167


(C)



(D)



(A)



(B)


Antrag fordert dazu auf, dass die zur Finanzierung der Un-
ternehmensteuerreform beschlossene Erhöhung der so ge-
nannten Gewerbesteuerumlage an Bund und Länder
rückgängig gemacht wird. Bereits jetzt schon müssen
Städte und Gemeinden 20 Prozent ihrer Gewerbe-
steuereinnahmen an den Bund bzw. das jeweilige Land
abführen. Dabei soll es aber nicht sein Bewenden haben.
Bis zum Jahre 2005 soll diese Umlage schrittweise auf
sage und schreibe 28 Prozent ansteigen. Bereits in diesem
Jahr – das ist empörend – verlieren die Kommunen da-
durch 1,4 Milliarden DM an eigenen Einnahmen.


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Richtig! – Bernd Scheelen [SPD]: Falsche Zahlen! Die sind ein bis zwei Jahre alt!)


– Das sind keine falschen Zahlen, Kollege Scheelen. –
Das ist so viel, wie allein der Umwelthaushalt des Bundes
in diesem Jahr ausmacht.


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Empörend!)


– Das ist empörend.

Auf der Strecke bleiben die kommunalen Finanzen;
das wirkt sich insbesondere auf die Investitionen und die
Finanzierung von Freizeiteinrichtungen für Jugendliche
aus. Gerade hier entstehen dadurch Leerräume, in die
rechtsradikale und rassistische Kräfte stoßen können. Wir
sollten das immer im Auge behalten.

Eine Besserung bei den Regelungen zur Gewerbe-
steuerumlage scheint nicht in Sicht. Im Jahre 2005 wer-
den den Gemeinden deswegen voraussichtlich 5 Milliar-
den DM fehlen. Immer mehr Gewerbesteuer fließt damit
in die Kassen von Bund und Ländern – und nicht in die
Gemeindekasse, wo sie originär hingehört. Kollege
Scheelen, Sie wissen das; in Krefeld ist das auch so.


(Beifall bei der PDS)


Der Kollege Hans-Werner Brüning, Fraktionsvorsit-
zender im Stadtrat von Magdeburg, hat am Dienstag vor
der Fraktion erklärt, dass in seiner Stadt CDU und SPD
auf diese Situation dadurch reagieren, dass sie den Hebe-
satz für die Gewerbesteuer weiter erhöhen.


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Das kommt natürlich gut!)


Das aber ist unternehmensschädlich. Wir als unterneh-
mensfreundliche Partei verurteilen dies entschieden.


(Beifall bei der PDS – Lachen bei der SPD und der CDU/CSU – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Ihr habt alles kaputtgemacht!)


– Ich danke für die Zustimmung, auch im Kreis der Ko-
alition wird das offenbar so gesehen; diese Unterstützung
nehmen wir gern zur Kenntnis.

Ein zweiter Antrag zielt auf die Veränderung des so
genannten Zerlegungsmaßstabes. Dies ist ein schwieri-
ges Feld, ich versuche aber, es einfach darzustellen. Es
geht um Folgendes: Nach der derzeitigen Rechtslage be-
stimmt der Gewinn der ortsansässigen Unternehmen die
Gewerbesteuereinnahmen der Städte und Gemeinden. Er-
strecken sich die Betriebsstätten eines Unternehmens aber
über mehrere Gemeinden – dafür gibt es ja sehr viele Bei-

spiele –, wird die Gewerbesteuer entsprechend den ge-
zahlten Löhnen und Gehältern auf die jeweiligen Ge-
meinden aufgeteilt. Damit führt eine niedrigere Lohn- und
Gehaltssumme der Betriebsstätte zu einer niedrigeren Zu-
weisung der Gewerbesteuer an die Kommune.


(Zuruf des Abg. Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU])


Besonders negativ betroffen, Kollege Fromme, sind ost-
deutsche Städte und Gemeinden, deren Betriebsstätten im
Durchschnitt 25 Prozent niedrigere Löhne und Gehälter
zahlen als Stammunternehmen im Altbundesgebiet. Aber
auch in strukturschwachen Regionen im Altbundesgebiet
gibt es eine im Grundsätzlichen vergleichbare Situation.

Deshalb schlägt die PDS-Fraktion in dem heute vorlie-
genden Antrag auch vor, anstelle des jetzigen Zerle-
gungsmaßstabes nach dem Verhältnis der Löhne und
Gehälter künftig diesen nach dem Verhältnis der Zahl der
Arbeitsplätze in den jeweiligen Betriebsstätten zu bemes-
sen.


(Beifall bei der PDS)


Das ist gerechter, ist in Bezug auf die Statistik handhab-
bar und verursacht keinen höheren Verwaltungsaufwand.
Es wäre ein Weg, um bestehende Benachteiligungen vor
allem für Gemeinden ist Ostdeutschland, aber auch für
Gemeinden in so mancher strukturschwachen Region im
Altbundesgebiet künftig korrigieren zu können. Daher
werbe ich ausdrücklich für die Unterstützung dieses An-
trages und bitte Sie, bei den Ausschussberatungen dem-
entsprechend zu agieren.


(Gerhard Schüßler [F.D.P.]: Schafft die Gewerbesteuer ab, dann habt ihr die Probleme nicht!)


Jetzt wünsche ich Ihnen noch ein schönes Osterfest und
einen guten Heimweg in die Wahlkreise.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416510500
Für die guten Wün-
sche bin ich nachher zuständig.

Die Kolleginnen und Kollegen Bernd Scheelen,
Jochen-Konrad Fromme, Christine Scheel und Gerhard
Schüßler haben ihre Reden zu Protokoll gegeben1). – Ich
sehe großes Einverständnis im gesamten Hause.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/5584 und 14/5586 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Dr. Uwe-Jens Rössel

16168


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 6

– Drucksache 14/5335 –

(Erste Beratung 155. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes
– Drucksache 14/5654 –

(Erste Beratung 161. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Dr. Guido Westerwelle, Dr. Edzard Schmidt-
Jortzig, Dr. Max Stadler, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Staatsangehörigkeitsgesetzes und des Auslän-
dergesetzes
– Drucksache 14/4537 –

(Erste Beratung 155. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/5798 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Bürsch
Thomas Strobl (Heilbronn)

Marieluise Beck (Bremen)

Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Petra Pau

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses zu dem Antrag der
Abgeordneten Dr. Guido Westerwelle, Dr. Edzard
Schmidt-Jortzig, Dr. Max Stadler, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der F.D.P.
„Schlussoffensive“ für erleichterte Einbürge-
rung von Kindern
– Drucksachen 14/4416, 14/5798 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Bürsch
Thomas Strobl
Marieluise Beck (Bremen)

Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Petra Pau

Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Michael Bürsch,
Thomas Strobl, Marieluise Beck, Dr. Max Stadler, Ulla
Jelpke sowie die Parlamentarische Staatssekretärin
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast haben ihre Reden zu Pro-
tokoll gegeben.1) – Auch hier sehe ich Freude im gesam-
ten Hause.

Wir kommen zur Abstimmung über die Gesetzent-
würfe der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen sowie der Bundesregierung zur Änderung des
Staatsangehörigkeitsgesetzes und über den Gesetzent-
wurf der Fraktion der F.D.P. zur Änderung des Staatsan-
gehörigkeitsgesetzes und des Ausländergesetzes. Der
Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-

schlussempfehlung auf Drucksache 14/5798, die genann-
ten drei Gesetzentwürfe zusammenzuführen und in der
Ausschussfassung anzunehmen. Es handelt sich um die
Drucksachen 14/5335, 14/5654 und 14/4537. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Kann ich noch einmal
das Abstimmungsverhalten der PDS erfahren?


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Die haben überall einmal gehoben! – Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen
die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ich
glaube, jetzt müsste sich auch die F.D.P. erheben.


(Heiterkeit im ganzen Hause – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Weckruf der Präsidentin!)


Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist damit gegen die Stimmen der CDU/CSU-Frak-
tion angenommen.

Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe b sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/5798 die
Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Auch diese Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
der CDU/CSU-Fraktion angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung, den Antrag der Fraktion der
F.D.P. mit dem Titel „,Schlussoffensive‘ für erleichterte
Einbürgerung von Kindern“ für erledigt zu erklären; es
handelt sich um die Drucksache 14/4416. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Ich stelle Einstimmigkeit
im Hause fest; die Beschlussempfehlung ist angenom-
men.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialord-
nung (11. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Franz

Thönnes, Klaus Wiesehügel, Leyla Onur, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Kerstin Müller

(Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des

BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Eckpunkte zur Verbesserung der Bekämpfung
illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit
– zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer

Brüderle, Hildebrecht Braun (Augsburg),
Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der F.D.P.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Vizepräsidentin Petra Bläss

16169


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 7

Schattenwirtschaft mit marktwirtschaftlichen
Mitteln eindämmen
– Drucksachen 14/5270, 14/3024, 14/5784 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Brigitte Baumeister

Die Kolleginnen und Kollegen Leyla Onur, Brigitte
Baumeister, Dr. Thea Dückert, Dirk Niebel, Dr. Klaus
Grehn sowie der Parlamentarische Staatssekretär Gerd
Andres haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Auch
hier wieder große Freude!

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Arbeit- und Sozialordnung auf Drucksa-
che 14/5784. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags
der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-
nen mit dem Titel „Eckpunkte zur Verbesserung der
Bekämpfung illegaler Beschäftigung und Schwarzar-
beit“, Drucksache 14/5270. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS-Fraktion
angenommen.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion der F.D.P. mit dem Titel „Schattenwirtschaft
mit marktwirtschaftlichen Mitteln eindämmen“, Druck-
sache 14/3024. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU- und
F.D.P. angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 sowie die Zusatz-
punkte 14 und 15 auf:

23. Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Paul K. Friedhoff, Dr. Günter Rexrodt,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Für ein effizientes und transparentes Ausfuhr-
gewährleistungssystem
– Drucksache 14/5334 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Haushaltsausschuss

ZP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf
Hempelmann, Dr. Ditmar Staffelt, Klaus Barthel,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln),
Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Für ein modernes Ausfuhrgewährleistungssys-
tem
– Drucksache 14/5767 –

ZP 15 Beratung des Antrags der Abgeordneten Erich G.

(Bönstrup)

CDU/CSU
Für den Erhalt von Hermes als Instrument der
Außenwirtschaftsförderung und eine Reform
des Hermes-Instruments im internationalen
Rahmen
– Drucksache 14/5749 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss

Die Kolleginnen und Kollegen Rolf Hempelmann,
Erich G. Fritz, Werner Schulz, Gudrun Kopp, Ulla Lötzer
sowie der Parlamentarische Staatssekretär Siegmar
Mosdorf haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.2) Auch
hier Einverständnis im Hause.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5334 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-
nen „Für ein modernes Ausfuhrgewährleistungssystem“.
Wer stimmt für den Antrag auf Drucksache 14/5767? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist
gegen die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS an-
genommen.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5749 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 9. Mai 2001, 13.00 Uhr, ein.

Ich wünsche Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern, aber auch den Mitarbeiterinnen und Mitar-
beitern der Bundestagsverwaltung ein gesundes und fro-
hes Osterfest. Viel Spaß beim Suchen! Seien Sie erfolg-
reich!

Die Sitzung ist geschlossen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)