Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Sozialgesetz-
buchs Neuntes Buch Rehabilita-
tion und Teilhabe behinderter Menschen
Drucksache 14/5074
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Sozialge-
setzbuchs Neuntes Buch Rehabili-
tation und Teilhabe behinderter Menschen
Drucksachen 14/5531, 14/5639
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Sozialordnung
Drucksachen 14/5786, 14/5800
Berichterstattung:
Abgeordnete Katrin Göring-Eckardt
Dr. Heinrich L. Kolb
Claudia Nolte
Silvia Schmidt
Dr. Ilja Seifert
Es liegen fünf Änderungsanträge der Fraktion der PDS
sowie je ein Entschließungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU und der Fraktion der PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Kolle-
gin Silvia Schmidt, SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr
Präsident! Bevor ich mit meiner Rede beginne, möchte ich
eine Bemerkung für das Protokoll machen. Beim Lesen
der Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/5786 ist uns
aufgefallen, dass sie einen redaktionellen Fehler enthält,
der wie folgt korrigiert werden muss: In Art. 60 Abs. 6 ist
die Datumsangabe 1. Januar 2002 durch die Datumsan-
gabe 1. August 2001 zu ersetzen. Das ist mit den Bericht-
erstattern und den Fraktionen abgesprochen. Danke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-
ren! Selten wurde ein Gesetz, ein ganzes Gesetzbuch in
diesem Hause verabschiedet, das von einer vergleichbar
breiten gesellschaftlichen und politischen Zustimmung
getragen wurde. Unser innovatives Verständnis von Poli-
tik und Demokratie, unser Ansatz, der seine Impulse in
der Gesellschaft sucht, erklärt diese Zustimmung.
Wenn heute das Sozialgesetzbuch IX dem Deutschen
Bundestag zur Annahme vorliegt, hat das mit einem neuen
Verständnis von Demokratie zu tun. Damit ist gemeint,
dass dieser vorliegende Gesetzentwurf nicht, wie oft zi-
tiert, am grünen Tisch entstanden ist. Er ist vielmehr das
Ergebnis von intensiven Beratungen, Diskussionen, Fach-
tagungen, Workshops und Anhörungen. Er ist das Ergeb-
nis einer praktizierten partizipativen Demokratie. Dieses
Sozialgesetzbuch IX ist inmitten unserer Bürgergesell-
schaft, im Dialog mit allen Beteiligten, mit allen Betrof-
fenen, entstanden. Das ist der Politikwechsel, den wir
meinen.
Das Sozialgesetzbuch IX ist nicht nur für die Men-
schen, sondern auch mit und von den Menschen geschaf-
fen worden, also mit den Bürgern und Bürgerinnen, die im
Alltag unmittelbar davon betroffen sind. Den behinderten
Menschen muss zugestanden werden, dass sie Experten in
eigener Sache sind, mit Fähigkeiten und Kompetenzen,
die es endlich wahrzunehmen gilt.
Deshalb richtet sich unser Dank ausdrücklich an alle
Mitbürger und Mitbürgerinnen, die mit dazu beigetragen
haben, dass wir heute das Sozialgesetzbuch IX in einem
breiten parlamentarischen Konsens verabschieden wer-
den.
16113
165. Sitzung
Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Beginn: 9.00 Uhr
Lassen Sie mich kurz einige Punkte unseres Gesetz-
entwurfs hervorheben. Sie zeigen nämlich exemplarisch,
welche innovative Kraft dem Sozialgesetzbuch IX inne-
wohnt und dass es neue Gedanken in die Behindertenpo-
litik nicht nur hineinträgt, sondern sie aufnimmt. Wir sind
entschlossen, neue Wege zu gehen, entschlossen, den Pa-
radigmenwechsel in der Behindertenpolitik einzuleiten.
Eine von den Behindertenverbänden stets mit Nach-
druck gestellte Forderung ist die Neuregelung des Unter-
haltsrückgriffs bei unterhaltspflichtigen Eltern von behin-
derten und pflegebedürftigen Hilfeempfängern.
Bedürftigkeitsprüfungen wird es nach dem SGB IX im
Normalfall nicht mehr geben. Nach unserem Entwurf zah-
len diese Eltern einen Pauschalbetrag von monatlich
50 DM. Es besteht jedoch für diejenigen Eltern, denen
eine solche Zahlung nicht zugemutet werden kann, die
Möglichkeit, die Alternative der Bedürftigkeitsprüfung zu
wählen, um sich von dieser Zahlung zu befreien. Das
Prinzip der Bedürftigkeitsprüfung wird also praktisch
umgekehrt.
Überhaupt ist es unser Anliegen, das Prinzip der Be-
dürftigkeitsprüfung und das des Nachrangs in der Sozial-
hilfe deutlich einzuschränken. Das wird durch die gegen-
seitige sinnvolle Ergänzung von SGB IX und einer
zukünftigen sozialen Grundsicherung erreicht. Diese Er-
gänzung garantiert behinderten Menschen einerseits die
materielle Absicherung des Lebensunterhaltes im Rah-
men der Grundsicherung, das heißt im Alter und bei
Erwerbsunfähigkeit. Andererseits steht ihnen im Rahmen
des SGB IX ein breites Angebot bedürftigkeitsunab-
hängiger Leistungen zur Verfügung. Gemeint sind hiermit
die medizinische Rehabilitation und die Leistungen zur
Teilhabe am Arbeitsleben. Dazu gehören ebenso Leistun-
gen in den Werkstätten und in vergleichbaren sonstigen
Beschäftigungsstätten, auch in so genannten Fördergrup-
pen oder Tagesfördereinrichtungen. Der Anspruch behin-
derter Menschen auf Selbstbestimmung und Teilhabe am
Leben in der Gesellschaft wird damit grundlegend ver-
bessert.
Auch im Rahmen der Frühförderung und Früherken-
nung gehen wir einen neuen Weg. Der hier geschaffene in-
novative Ansatz lässt sich unter dem Begriff Komplexleis-
tung zusammenfassen. § 30 des SGB IX sieht ausdrücklich
besondere nicht ärztliche Leistungen zur Früherkennung
und Frühförderung vor, wobei auch interdisziplinäre heil-
pädagogische Förderstellen mit einbezogen werden. Wir
werden darauf achten, dass Menschen, die von Behinderung
bedroht sind und die in unserer Gesellschaft behindert wer-
den, sofort und unbürokratisch Hilfe bekommen und das
so früh und so umfassend wie möglich.
Unsere Gesetzgebung legt das ist den daran beteilig-
ten Frauen ein Herzensanliegen einen ganz besonderen
Schwerpunkt darauf, dass vor allem behinderte Mütter
und Väter, die in unserer Gesellschaft mehrfach benach-
teiligt werden, mehr Chancengleichheit erhalten. Der
erste Schritt, hier Benachteiligung abzubauen, besteht
darin, den besonderen Bedürfnissen dieser behinderten
Mütter und Väter Rechnung zu tragen. Ich nenne nur ein
paar Stichworte: wohnortnahe Leistungen, Einbeziehung
von familienentlastenden Diensten und Anspruch auf
Teilzeitarbeit für Erziehungspflichtige. Weiterhin werden
die Interessenvertretungen behinderter Frauen in allen
Bereichen der Integration beteiligt.
Schließlich erhalten behinderte Frauen zur Stärkung
ihres Selbstbewusstseins einen Rechtsanspruch auf Re-
habilitationssport. Denn besonders behinderte Frauen
sind im Alltag Diskriminierungen ausgesetzt. Nicht we-
nige von ihnen das musste ich sehr oft erfahren fühlen
sich hilflos und trauen sich kaum aus ihren Wohnungen.
Diese Form von Rehabilitationssport kann ein erster
Schritt sein, Frauen dabei zu unterstützen, ihre Ängste ab-
zubauen.
Lassen Sie mich noch kurz eine weitere Gruppe behin-
derter Menschen nennen, die mehrfach benachteiligt wer-
den und deshalb oft Spielball behördlicher Willkür und
Opfer von Sparmaßnahmen sind. Ich spreche von den
behinderten Menschen, die, weil es einfach und billig ist,
ohne ihre Einwilligung in Pflegeheime abgeschoben wer-
den. Das wird es nicht mehr geben.
§ 40 a des Bundessozialhilfegesetzes gibt hier eindeutige
Regelungen zugunsten der Pflegebedürftigen vor.
Behinderte Mitbürger und Mitbürgerinnen sind ein Teil
unserer Gesellschaft; sie gehören dazu. Mit dem Sozial-
gesetzbuch IX haben wir die ersten Barrieren zur gleich-
berechtigten Teilhabe an der Gesellschaft beseitigt. Wir
haben einen guten Anfang gemacht. Wir werden weiter
daran arbeiten. Wir werden genau beobachten, ob uns die
Regelungen des SGB IX dem Ziel näher bringen, Chan-
cengleichheit für alle in unserer Bürgergesellschaft zu
schaffen.
Deshalb fordern wir, den Dialog mit allen Beteiligten
und Betroffenen nicht nur fortzuführen, sondern auch aus-
zubauen. Wir stehen vor einer Herausforderung. Ich for-
dere auch Sie auf mitzuwirken.
Danke.
Ich erteile das Wort
der Kollegin Claudia Nolte, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen
Verabschiedung des Sozialgesetzbuches IX wird ein
langjähriges Vorhaben seinen vorläufigen Abschluss fin-
den. Schon Mitte der 70er-Jahre, bei der Schaffung des
Reha-Angleichungsgesetzes, gab es Überlegungen, ein
eigenständiges Sozialgesetzbuch für die Rehabilitation zu
schaffen. Schon die Tatsache, dass wir dieses Gesetz
heute verabschieden, verschafft Genugtuung und ist ein
Grund zur Freude.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Silvia Schmidt
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Das darf uns aber nicht den Blick dafür verstellen, dass
an ein solches Sozialgesetzbuch hohe Erwartungen ge-
knüpft werden schon von jeher, aber auch aufgrund der
Eckpunkte der Koalitionsarbeitsgruppe. Die Erwartungen
hängen natürlich davon ab, von welchem Blickwinkel aus
man auf das Rehabilitationsrecht schaut. Die Betroffenen
interessiert in erster Linie, welche Leistungsver-
besserungen vorgesehen sind, welche Ansprüche neu ge-
schaffen werden und wie sich das System auf sie persön-
lich auswirkt. Die Rehaträger achten darauf, dass ihnen
die Kosten nicht davonlaufen und wie es ihren Ein-
richtungen geht. Deshalb sind Zielkonflikte in einem ge-
wissen Maße vorgegeben.
Ich möchte von den Erwartungen ausgehen, die die
Koalition selber aufgestellt hat. Das sind in der Tat recht
hohe Ansprüche. So heißt es:
Das SGB IX beendet die Divergenz und
Unübersichtlichkeit des bestehenden Rehabilitati-
onsrechtes. Es wird angestrebt, dass ... Begriffe und
Abgrenzungskriterien aller einschlägigen Regelun-
gen unabhängig von ihrem Standort vereinheitlicht
werden.
Das SGB IX errichtet eine gemeinsame Plattform,
auf der durch Koordination, Kooperation und Kon-
vergenz ein gemeinsames Recht und eine einheitli-
che Praxis der Rehabilitation und der Behinderten-
politik errichtet werden können.
Ein erfolgreiches Rehabilitationsmanagement be-
ginnt mit der ersten Klärung von Rehabilitationsbe-
dürftigkeit und der Bestimmung von Rehabilitations-
zielen; es muss von Anbeginn durchgehend gesichert
sein und umfasst immer soziale, berufliche und me-
dizinische Eingliederung.
Auch ich weiß, dass es sicherlich zu früh ist, um beur-
teilen zu können, wie sich das Gesetz in der Praxis aus-
wirken wird, ob es diesen Ansprüchen genügt. Deshalb
unterstütze ich ausdrücklich, dass wir nach einem gewis-
sen Zeitraum etwa vier Jahre; das ist gesagt worden
die Erfahrungen mit dem Sozialgesetzbuch prüfen und
zusammenfassen und dann gucken, ob unsere Erwartun-
gen an das Sozialgesetzbuch erfüllt wurden oder ob es
noch Änderungsbedarf gibt und das, obwohl ich in der
Regel starke Bedenken gegen das Berichtsunwesen habe.
Aber in diesem Falle halte ich einen Bericht für an-
gemessen.
Trotzdem sage ich jetzt schon, dass ich befürchte, dass
wir in einigen Bereichen unsere Ziele nicht erreichen wer-
den. Dies gilt beispielsweise für eine angestrebte größere
Transparenz oder eine bessere Verzahnung. Denn wir ha-
ben uns ich denke: zu Recht entschieden, beim ge-
gliederten Rehabilitationsrecht zu bleiben. Es hat in den
vergangenen Jahren seine Leistungsfähigkeit unter Be-
weis gestellt.
Die Einzelvorschriften im Reharecht werden aber
durch das SGB IX nicht geändert. Sie bekommen jetzt
mehr oder weniger nur ein gemeinsames Dach. Das heißt,
die Gliederung und die daraus resultierende Unübersicht-
lichkeit bleiben erst einmal bestehen. Der Einzelne wird
nach wie vor Probleme haben, seine Leistungsansprüche
zusammenzusuchen und zu verstehen.
Das Gleiche gilt für die einheitliche Praxis im Rehabi-
litationsrecht. Denn die Leistungskataloge sind nicht an-
geglichen und aufeinander abgestimmt worden. Es gibt
unterschiedliche Leistungsvoraussetzungen und -kata-
loge. Das heißt, an diesem Punkt bleiben wir eindeutig
hinter dem zurück, was wir vorgehabt haben. Ich hoffe
nur, dass die Gremien für gemeinsame Empfehlungen und
für die Qualitätssicherung, die wir schaffen, zu der Platt-
form werden, die in den Eckpunkten beschrieben wird,
und dass Zusammenarbeit, Koordination und Aufeinan-
derzugehen möglich werden.
Der größte Schwachpunkt des Gesetzes bleibt aller-
dings, dass es keine wesentlichen neuen Weichenstellun-
gen im Reharecht enthält.
Was notwendig gewesen wäre, wissen Sie in der Koalition
ganz genau: eine klarere Abgrenzung von Reharecht auf
der einen Seite und Eingliederungsrecht bzw. -hilfe auf
der anderen Seite.
Herr Kollege, wir sind da nicht auseinander.
Im Rahmen der Rehabilitation werden Leistungen zu-
meist in einem genau beschriebenen Zeitraum mit einem
klar definierten Leistungserfolg erbracht. Bei den Leis-
tungen der Eingliederungshilfe sieht das anders aus. Dort
erfolgt die Leistung meistens ein Leben lang und es gibt
keinen abhakbaren Erfolg nach dem Motto: Der Patient ist
nun gesund. Der Erfolg bemisst sich daran, ob es gelun-
gen ist, dem Behinderten sowohl im beruflichen als auch
im sozialen Bereich Teilhabe zu sichern.
Dass das Unterbleiben einer solchen klaren Trennung
zu grundsätzlichen Problemen führt, ist unbestritten. Die
Eingliederungshilfe hat im Bundessozialhilfegesetz
nichts verloren; sie ist ein Überbleibsel der Geschichte.
Deshalb war es unser Ziel, sie dort herauszubekommen.
Dieses Ziel haben auch Sie im Wahlkampf vertreten. Des-
wegen hatten wir die Hoffnung, dass das, was wir nicht
geschafft haben, wenigstens Sie schaffen.
Wir haben Ihnen viel zugetraut. Das ist doch auch einmal
etwas Schönes, oder nicht?
Dass Sie das nicht erreicht haben, führt jetzt dazu, dass
Sie Hilfskonstruktionen schaffen und im Sozialhilferecht
verankerte Prinzipien durchbrechen müssen, damit den
Menschen, die für ihre Kinder ein Leben lang sorgen,
nicht auch ein Leben lang die finanzielle Verantwortung
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Claudia Nolte
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allein überlassen bleibt. Wir dürfen diese Menschen nicht
allein lassen. Wenn wir wollen, dass werdende Eltern zu
ihren Kindern auch dann Ja sagen, wenn sie wissen, dass
sie mit Behinderungen auf die Welt kommen, dann müs-
sen sie darauf vertrauen können, dass unsere Gesellschaft
sie nicht allein lässt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz dieser
grundsätzlichen Bedenken wird die CDU/CSU-Fraktion
dem Entwurf des Sozialgesetzbuches IX zustimmen;
denn er enthält Ansätze, auf denen man weiter aufbauen
kann und die geeignet sind, das Selbstbestimmungsrecht
und die Autonomie der von Behinderung betroffenen
Menschen zu stärken und damit ihre Lebensumstände zu
verbessern. Dazu zählen vor allen Dingen das verbesserte
Wunsch- und Wahlrecht und die stärkere Nutzung des
Prinzips ambulant vor stationär, was den Betroffenen
die Möglichkeit gibt, selbst zu entscheiden, unter welchen
Bedingungen ihre Eingliederung, ihre Rehabilitation er-
folgreich ablaufen wird.
Wir sind auch sehr für die modellhafte Erprobung des
persönlichen Budgets; denn wir glauben, dass das Prin-
zip der Geldleistung die Autonomie stärkt, auch wenn wir
wissen, dass es dagegen erhebliche Widerstände gibt.
Natürlich gibt es ein Interesse daran, die stationäre Reha-
bilitation aufrechtzuerhalten, weil wir diese Einrichtung
nun einmal haben. Wir kommen aber nicht umhin, bei Re-
haleistungen immer auch nach dem medizinisch Notwen-
digen zu entscheiden, auch unter dem Gesichtspunkt der
Wirtschaftlichkeit. Hier gibt es eine Reihe von Interes-
senkonflikten, denen wir uns stellen müssen.
Es war sicherlich auch ein Anliegen aller, die Aus-
kunfts- und Beratungsrechte der Menschen mit Be-
hinderungen zu verbessern. Ich habe schon angespro-
chen, dass das Rehabilitationsrecht sehr kompliziert ist.
Für den Einzelnen erschließt sich eben nicht ganz einfach,
wer der zuständige Rehaträger ist, welche Leistungen ihm
zustehen, wie die Verfahren ablaufen und an wen er sich
wenden muss. Da ist das Prinzip Beratung aus einer
Hand gut und unterstützenswert: Ich habe nur eine An-
laufstelle, weiß, wie sie aussieht, und bekomme dort auch
umfassende Beratung.
Wir haben dies schon immer unterstützt, dabei aber
auch das Problem gesehen, dass verhindert werden muss,
dass neue teure Strukturen aufgebaut werden.
Wir haben lange darüber diskutiert. Wir haben ferner das
Problem gesehen, dass die Entscheidungsverantwor-
tung und die Finanzverantwortung in einer Hand blei-
ben müssen und nicht getrennt werden dürfen.
Das war, Frau Kollegin Schmidt, ein entscheidender
Streitpunkt in unserer Diskussion. Hier verstehe ich auch
die Sorgen der Rehabilitationsträger sehr gut.
Ich bin froh, dass wir nun eine befriedigende Lösung
gefunden haben. Sie haben in der Tat Recht: Wir können
die bestehenden Strukturen nutzen. Dadurch werden Kos-
ten vermieden und die Entscheidungs- und Finanzverant-
wortung bleibt in einer Hand. Anderenfalls müssten wir
nämlich das Prinzip der Selbstverantwortung und Selbst-
verwaltung aufgeben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Regierungs-
fraktionen, vielleicht wäre der eine oder andere Streit we-
niger heftig gewesen einige von Ihnen nehme ich jetzt
aus, weil mit ihnen immer eine gute Kooperation be-
stand , wenn die Opposition frühzeitig ernsthaft einge-
bunden worden wäre. Es war allerdings für die Beratung
des Gesetzentwurfs ausgesprochen hinderlich, dass
während des Gesetzgebungsverfahrens ein Entwurf den
anderen jagte.
Während der Beratungen hatte man das Gefühl, dass man
immer hinterher hinkte. Das hat nicht nur uns, sondern
auch den betroffenen Verbänden die Arbeit erschwert; das
muss man eindeutig sagen. Ich erinnere mich an Podi-
umsdiskussionen, bei denen wir wussten, dass es schon
wieder ein veralteter Gesetzentwurf ist, über den wir re-
den. Das hat es etwas schwierig gemacht.
Deshalb möchte ich an dieser Stelle insbesondere den
Verbänden und den betroffenen Institutionen sehr herzlich
danken, die sich dort durchgebissen und uns in einer un-
glaublichen Weise mit ihrem Fachwissen zur Verfügung
gestanden haben. Das war eine sehr gute Kooperation.
Wir werden auch in Zukunft auf sie angewiesen sein.
Ich möchte ausdrücklich betonen, dass sich seit der öf-
fentlichen Anhörung im Ausschuss für Arbeit und So-
zialordnung die Zusammenarbeit mit dem Ministerium
sehr konstruktiv gestaltet und deutlich verbessert hat. An
erster Stelle danke ich Herrn Wilmerstadt. Es war eine
sehr zufrieden stellende Zusammenarbeit. Außerdem be-
danke ich mich bei dem Beauftragten der Bundesregie-
rung für die Belange der Behinderten, Herrn Haack, für
das Zusammenwirken.
Es freut uns, dass es dadurch möglich war, eine Reihe von
Anliegen, die uns wichtig waren, mit in den Gesetzent-
wurf aufzunehmen.
Beispielsweise ging es uns um bessere Rahmenbedin-
gungen für die Werkstätten für Behinderte. Es war ur-
sprünglich vorgesehen, bei Aufträgen an die Werkstätten
den Betrag, den man auf seine Ausgleichsabgabe anrech-
nen konnte, anders zu berechnen, was zu einer erhebli-
chen Bürokratie geführt und den Anreiz genommen hätte,
Aufträge bei den Werkstätten auszulösen. Dass das jetzt
nicht mehr in dem Gesetzentwurf steht, ist wohl auch un-
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serem Bemühen zu verdanken. Darüber bin ich froh, weil
wir den Werkstätten das Leben nicht noch schwerer ma-
chen dürfen. Das ist schon schwer genug.
Ein weiterer Punkt ist: Das Angebot der beruflichen
Bildung in den Werkstätten wurde in dem Gesetzent-
wurf ausdrücklich verankert. Dies geht in die richtige
Richtung. Es muss uns ja ein Anliegen sein, dass Werk-
stattmitarbeiter die nötige Qualifikation bekommen, um
in den ersten Arbeitsmarkt zu gehen. Aus diesem Grunde
ist die Verankerung der beruflichen Bildung richtig. Ein
erster Schritt dafür ist, dass sie für zwei Jahre einen An-
spruch auf Leistungen im Berufsbildungsbereich haben.
Ebenso haben wir erreichen können, dass die Träger von
Rehaeinrichtungen genauso Partner bei der Erarbeitung
von Empfehlungen und Qualitätssicherung sind wie an-
dere Partner auch. Denn sie sind diejenigen, die am Ende
die Rehaleistung ausführen müssen. Sie kennen sich am
besten aus und wissen, wie die Rahmenbedingungen be-
schaffen sein müssen. Deshalb wäre es töricht gewesen,
sie außen vor zu lassen.
Nicht erfolgreich waren wir jedoch das bedauere ich
ausdrücklich bei der Beteiligung der Länder an der Ver-
sorgungsplanung. Die Länder haben in diesem Bereich
keine Finanzverantwortung. Es ist zu befürchten, dass in
die Entscheidung über die Errichtung von neuen sta-
tionären Rehaeinrichtungen und über andere Dinge sach-
fremde Erwägungsgründe einfließen. Dies bedauere ich
ausdrücklich. Ich hoffe, dass die Länder, in denen die SPD
und die Grünen Regierungsverantwortung tragen, dies
nicht eines Tages bereuen. Die Wirkung, die Folge darf
nicht sein, dass wir Überkapazitäten in diesem Bereich
schaffen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, dass die
kritischen Anmerkungen nötig waren, auch wenn ich
mich freue, dass wir heute mit großer Mehrheit das Sozi-
algesetzbuch IX verabschieden werden, gerade weil es am
Anfang nicht danach aussah. Uns ist klar, dass mit der
Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs das Kapitel SGB
IX nicht beendet ist, sondern fortgesetzt werden muss.
Viele Ansätze, die jetzt neu sind ich sprach zum Beispiel
vom persönlichen Budget und von Arbeitsassistenz ,
müssen weiterentwickelt und als langfristige Hilfen aus-
gebaut werden. Für unsere Fraktion sage ich: Wir sind
dazu ausdrücklich bereit.
Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort
der Kollegin Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die
Grünen.
gen! Auch ich freue mich, dass wir heute mit einer breiten
parlamentarischen Mehrheit Frau Nolte hat gerade da-
rauf hingewiesen das neue SGB IX beschließen werden,
mit dem das Recht auf Rehabilitation für Menschen mit
Handicap weiterentwickelt und in ein Recht auf Teilhabe
umgewandelt wird. Man kann sicherlich sagen, dass das
noch nicht die Jahrhundertreform ist; aber es ist ein qua-
litativ neuer Schritt, der vor allem eine neue Herange-
hensweise beinhaltet, nämlich: Wir wollen nicht mehr
Fürsorge, sondern Teilhabe. Insofern ist dieser Schritt an
dieser Stelle richtig. Jahrhundertreformen haben ja
manchmal den Nachteil, dass man Jahrhunderte oder zu-
mindest Jahre darauf warten muss. Ich finde, dass wir es
richtig gemacht haben.
Sie wissen, dass wir mit dem Gesetzesvorhaben in die-
sem Hause, aber auch draußen lange Zeit auf Widerstände
gestoßen sind. Das mag daran gelegen haben, dass alles,
was neu ist, immer mit Skepsis betrachtet wird. Viele Wi-
derstände gab es aber vielleicht auch deshalb, weil man
nach den Erfahrungen, die heute Morgen schon beschrie-
ben worden sind, nicht mehr glaubte, dass dieses Re-
formwerk tatsächlich realisiert werden würde. Einige Wi-
derstände gibt es noch heute. Diese sind zum Teil bereits
erwähnt worden.
Ich möchte diejenigen, die noch zweifeln, auffordern:
Gehen Sie mit uns diesen Weg und schauen Sie sich an,
was die Praxis zeigen wird! Wenn Sie dann noch immer
zweifeln, will ich Ihnen sagen: Wir als Grüne sind nicht
mehr bereit, die Rechte von Menschen mit Handicap wei-
ter hintanzustellen, weil Veränderungsangst oder Ver-
änderungsmüdigkeit das Alltagshandeln zu lähmen droht.
Deswegen ist dieses Gesetz ein erster großer Schritt, den
wir hier gemeinsam tun.
Nach der Erweiterung von Art. 3 des Grundgesetzes
um das Verbot der Diskriminierung von Menschen mit
Behinderungen ist das SGB IX der erste wirksame
Schritt zur rechtlichen Umsetzung des Gleichstellungsge-
botes des Grundgesetzes. Das ist ein Erfolg, den wir nicht
unterschätzen sollten, weil wir hiermit andeuten: Es wird
weitere Schritte geben, um die rechtliche Umsetzung der
im Grundgesetz geforderten Gleichstellung tatsächlich
auf den Weg zu bringen. Der nächste Schritt wird selbst-
verständlich ein Antidiskriminierungsgesetz sein müssen,
das noch weiter geht.
Wir haben in den zwei Jahren, in denen wir am
SGB IX gearbeitet haben, von manchen gehört: Was
wollt ihr eigentlich ändern? Das gibt es doch schon al-
les. Das ist richtig. Vieles von dem, was in diesem Ge-
setzentwurf steht, gibt es theoretisch schon jetzt. Doch
die unzähligen Briefe und die Gespräche, die wir wohl
alle geführt haben, sprechen eine deutliche Sprache: Ver-
ordnungen werden nicht umgesetzt, Ansprüche werden
in der Praxis nicht gewährt, vor allem dauert die Bear-
beitung von Anträgen viel zu lange und Anträge werden
mitunter pauschal negativ beschieden. Das kann im All-
tagshandeln passieren. Wenn es aber das ist die Rea-
lität zu häufig geschieht und wenn es vor allen Dingen
diejenigen trifft, die mehr als andere auf Unterstützung
angewiesen sind, dann ist die Politik aufgefordert zu han-
deln. Das tun wir hiermit.
Wir wollen, dass sich Menschen mit Handicap in Zu-
kunft an eine zuständige Stelle wenden, die die weiteren
Hilfen verantwortlich und zielgerichtet koordiniert. Dazu
haben wir die Servicestellen geschaffen, die das ist ein
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Claudia Nolte
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Punkt, über den wir lange geredet haben die vorhande-
nen Ressourcen und Strukturen nutzen sollen. Wichtig
und neu ist aber, dass sie leistungsübergreifende Beratung
und Unterstützung bieten müssen. Menschen mit einem
Rehaanspruch sollen und dürfen nicht länger von
Person A zu Person B und von dieser wieder zu Person C
geschickt werden, die sie dann wieder zu Person A
schickt.
Wir alle wissen, dass der Erfolg von Rehabilitation
ganz maßgeblich davon abhängt, dass sie nahtlos und di-
rekt erfolgt. Aus diesem Grund haben wir nicht nur einen
verbindlichen Rahmen für den Zeitraum zwischen An-
tragstellung und Beginn der Rehamaßnahme festgelegt,
sondern wir haben uns auch auf Sanktionsmaßnahmen
verständigt. Dies ist ein Erfolg, weil somit eine hohe
Verbindlichkeit gewährleistet wird.
In den Ausschussanhörungen, in denen über 80 Ver-
bände, Vertreter von Ländern und Kommunen, Leistungs-
träger und -anbieter im Bundestag zusammengekommen
sind, hat sich abgezeichnet, dass auch hier eine breite
Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf vorliegt. Das hat
selbstverständlich damit zu tun, dass dieser Gesetzentwurf
gut ist, aber wohl auch damit, dass wir ihn in einem neuen
Stil erarbeitet haben: Wir haben von Anfang an alle Be-
teiligten, die Verbände bis hin zu den Selbsthilfegruppen,
in einer Weise eingebunden, wie wir es noch bei keinem
anderen Vorhaben gemacht haben. Wir haben deutlich ge-
macht, was bürgernahe Politik ist. Auch deswegen wird
dieses Gesetz ein großer Erfolg sein.
Wir haben endlich festgeschrieben, dass Menschen, die
in einer Behinderteneinrichtung leben, auch dort An-
spruch auf Pflegeleistungen haben. Kein behinderter
Mensch darf in Zukunft aus Kostengründen in eine Pfle-
geeinrichtung abgeschoben werden.
Es ist nach langen Verhandlungen gelungen, den Un-
terhaltsrückgriff auf Eltern behinderter Kinder aufzu-
heben darauf ist heute Morgen schon hingewiesen wor-
den und durch eine Pauschalierung zu ersetzen. Dies
freut mich sehr, weil damit eine große Ungerechtigkeit
beseitigt worden ist, die wir in der Vergangenheit hatten.
Wir werden damit ein Aufatmen nicht nur in den Fami-
lien, sondern auch in den Amtsstuben erreichen.
Das Leben mit einem behinderten Kind darf in dieser
Gesellschaft eben nicht mehr als Schicksal oder schweres
Los aufgefasst werden. Das Leben mit einem behinderten
Kind ist einfach nur anders. Wir als Gesellschaft haben die
Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Schwierigkeiten, Handi-
caps oder Barrieren, die wir aufgebaut haben, abgebaut
werden und dass das Leben mit einem behinderten Kind,
wie überhaupt das Leben mit Handicap, nicht durch
gesellschaftliche Barrieren zusätzlich erschwert wird.
Dabei geht es nicht allein um das Verteilen von finan-
ziellen Mitteln; denn das entwürdigt und entmündigt. Die
Ermöglichung persönlicher Budgets ist ein Beispiel für
eine kreative Lösung, die deutlich macht: Es geht um
Selbstbestimmung. Die Erfüllung des von den Betroffe-
nen erhobenen Anspruchs auf die Wahrnehmung und Ver-
wirklichung ihrer Bedürfnisse hat nichts damit zu tun, sie
mit einer Sozialdecke einzuengen, sondern soll die ei-
gene Verantwortung stärken.
In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinwei-
sen, dass es zu den Nebeneffekten unseres Gesetz-
entwurfes zählt, dass Beratungsstellen bei uns nun Ser-
vicestellen und Hauptfürsorgestellen in Zukunft Inte-
grationsämter heißen werden. Das mag so klingen, als
sei dies nur eine einfache Umbenennung. Aber dahinter
steckt mehr. Es wird tatsächlich Veränderungen geben:
Menschen mit Behinderungen werden zu Kunden und
Verbrauchern. Das ist das Neue an der Herangehensweise
dieses Gesetzentwurfes.
Es geht um Selbstbestimmung, um Selbstverantwor-
tung, ja um Mitbestimmung. Wir wollen einklagbare
Rechte, mit denen man sich wirklich gegen Benachteili-
gungen zur Wehr setzen kann. Im SGB IX haben wir das
unter anderem durch die Beweislastumkehr bei Nicht-
berücksichtigung im Bewerbungsverfahren, durch die
Festschreibung eines Verbandsklagerechtes sowie durch
die Sicherung eines barrierefreien Zugangs zu Soziallei-
stungen verwirklicht. Dazu gehört auch das, was wir zum
Thema Integration in den Arbeitsmarkt bereits in der
Vergangenheit beschlossen haben. Wir alle wissen, dass
das ein ganz zentraler, wenn nicht der zentrale Punkt beim
Thema Integration ist. Wir haben die Integration mit dem
Rechtsanspruch auf Arbeitsassistenz und vor allen Din-
gen dadurch verwirklicht, dass für Menschen mit Handi-
cap der erste Arbeitsmarkt Vorrang hat. Arbeitsassistenz,
die Unterstützung von Integrationsunternehmen und die
flächendeckende Einrichtung von Integrationsfachdien-
sten sind sehr bedeutende Instrumente zur Verwirklichung
unserer Ziele.
Wir haben im SGB IX hervorgehoben, dass den Belan-
gen von Frauen darauf ist schon hingewiesen worden
ebenso wie den spezifischen Bedürfnissen von seelisch
Behinderten Rechnung getragen werden muss. Das halte
ich insofern für wichtig, als manche Handicaps nicht
sichtbar, nicht offensichtlich, nicht mitteilbar oder
schwierig zu vermitteln sind, sodass diese Menschen aus
unserer Solidarität herauszufallen drohen.
Man soll mit großen Worten nicht um sich werfen, aber
ich muss sagen: Ich bin froh, dass wir dieses Gesetz heute
beschließen werden. Ich glaube, heute ist ein guter Tag,
und zwar nicht nur für die Menschen mit Behinderungen,
sondern für die gesamte Gesellschaft. Wenn wir uns in un-
serer Unterschiedlichkeit gegenseitig anerkennen, wahr-
nehmen und als Gleiche stützen, so würde ich das als so-
zialstaatliche Modernität bezeichnen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Dank an die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums und
der Fraktionen sagen, die in einem langen Arbeitsprozess
vielleicht manchmal selbst nicht mehr daran geglaubt ha-
ben, zu einem Ende zu kommen. Lassen Sie mich einen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Katrin Göring-Eckardt
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Dank an die vielen engen Beraterinnen und Berater sagen,
die dafür gesorgt haben, dass wir ein Gesetz auf den Weg
bringen, das in vielen Details sehr lange diskutiert worden
ist und wie ich glaube tatsächlich neuen Schwung in
die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behin-
derung bringt, in ein Miteinander, das auf Gleichheit und
Gleichberechtigung beruht.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Heinrich Kolb, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Auch die F.D.P.-Bundestags-
fraktion wird dem vorliegenden Gesetzentwurf unter Ab-
wägung der erreichten Fortschritte und der weiterhin of-
fenen Fragen zustimmen. Ich denke, dass dieser breite,
übergreifende Konsens, mit dem wir diese Neuregelung
auf den Weg bringen, für die behinderten Menschen in un-
serem Lande ein Signal dafür ist, dass wir auf dem Weg
voranschreiten, der bei Art. 3 Abs. 3 begonnen hat und in
der letzten Legislaturperiode mit der Entschließung zur
Pflegeproblematik weiter beschritten worden ist. Das ist
ein ganz wichtiger Punkt.
Es ist schon gesagt worden: Zäh war das Verfahren von
der Koalitionsvereinbarung über die relativ hoch fliegen-
den Eckpunkte, über verschiedene Schritte im Nähe-
rungsverfahren und über Referentenentwürfe zu dem, was
wir heute beraten und beschließen werden. Ich glaube, die
rot-grüne Koalition brauchte auch entsprechende Zeit, um
wieder auf den Boden des Machbaren zurückzukehren.
Ich möchte nicht anstehen, mich ausdrücklich dafür zu
bedanken, dass es in der Schlussphase des Gesetzgebungs-
prozesses doch noch gelungen ist, die Opposition in die
Beratungen einzubeziehen. Ich bedanke mich in diesem
Zusammenhang persönlich bei dem Behindertenbeauf-
tragten Karl-Hermann Haack. Ich denke, dass unsere Ge-
spräche sehr hilfreich und sachdienlich gewesen sind.
Allerdings hätte manches von dem, was wir heute an Be-
denken vortragen, ausgeräumt werden können, wenn die
Opposition schon zu einem früheren Zeitpunkt ihren
Sachverstand hätte einfließen lassen können.
Ich will Ihnen sagen, warum wir dem Gesetzentwurf
zustimmen werden: Der Gesetzentwurf berührt Probleme,
mit denen ich schon seit Beginn der Beratungen konfron-
tiert werde. Ich hatte Gespräche mit Eltern, die ein behin-
dertes Kind haben. Sie haben sich nicht beklagt, sondern
mir gesagt: Wir sind in einer besonderen familiären Si-
tuation. Unser Alltag sieht anders aus als der von Familien
mit nicht behinderten Kindern. Sie haben gefragt:
Warum mutet uns dieser Staat Jahr für Jahr eine unwür-
dige Zeremonie zu, warum müssen wir uns Jahr für Jahr
einer Bedürftigkeitsprüfung unterziehen, obwohl am
Ende keine nennenswerten Förderbeträge fließen? Ich
glaube, es ist sehr wichtig, dass wir es mit diesem Gesetz
schaffen, hier eine Änderung zu erreichen und die betrof-
fenen Familien entsprechend zu entlasten.
Es wurde weiter gefragt: Warum kann ich meinem be-
hinderten Kind nicht, wie anderen Kindern auch, ein Erbe
übergeben? Warum muss, wenn mein behinderter Sohn
oder meine behinderte Tochter nach der Erbschaft weiter
in einer Behindertenwerkstatt ist, das ererbte Vermögen
dafür eingesetzt werden? Auch diesem Problem hat sich
der Gesetzentwurf gestellt. Das ist wichtig, weil wir erst-
mals, bedingt durch unsere Geschichte, eine Erbengenera-
tion haben und es viele behinderte Menschen gibt, die ein
Erbe antreten werden. Diesen Menschen kann mit diesem
Gesetz geholfen werden.
Natürlich profitieren auch die Geschwister behinderter
Menschen von der Abschaffung der Bedürftigkeitsprü-
fung, die der Gesetzentwurf vorsieht. All das kommt in ei-
ner Vielzahl von Fällen zum Tragen, in denen Familien
schwerbehinderte oder schwerstbehinderte Kinder groß-
ziehen. Auch die Entlastung nach dem 27. Lebensjahr ist
ein ganz wichtiger Punkt.
Ich möchte auch nicht vergessen, die Regelungen zu
den heilpädagogischen Maßnahmen für schwerstbe-
hinderte Kinder zu erwähnen. Diese Maßnahmen wer-
den sicherlich Geld kosten. Aber das ist ein überschau-
barer Rahmen von ich schätze einmal 20 Millionen bis
30 Millionen DM. Ich glaube, dass gerade dieses Geld
sehr gut angelegt ist, und begrüße deshalb diese Regelun-
gen ausdrücklich.
Es gibt aber auch Kritikpunkte. Das sind die Pro-
bleme an den Schnittstellen zwischen SGB IX, SGB XI
und SGB V sowie dem Bundessozialhilfegesetz. In der
Anhörung und in den weiteren Beratungen wurde dazu
einiges angesprochen und danach wurden auch einige
Verbesserungen eingearbeitet. Die Regelungen zum per-
sönlichen Budget und zum Wunsch- und Wahlrecht die
können sicherlich noch verbessert werden gehen uns
beileibe nicht weit genug. Für die F.D.P. das möchte ich
hier klar sagen ist es unabdingbar, auch behinderten
Menschen ein weitgehend selbstbestimmtes, selbstständi-
ges und auch eigenverantwortliches Leben zu ermögli-
chen. Ich glaube, in dieser Hinsicht ist das Gesetz noch
ausbaufähig.
Es gab wenn mich nicht alles täuscht in allen Frak-
tionen viele Nachfragen der Gesundheitspolitiker, die ich
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Katrin Göring-Eckardt
16119
hier punktuell wiedergeben möchte. Bezüglich der Ser-
vice- und Beratungsstellen hat sich im Vergleich zum ur-
sprünglichen Gesetzentwurf sicherlich eine Verbesserung
dadurch ergeben, dass auch auf bestehende Strukturen
zurückgegriffen wird. Aber man muss abwarten, ob die
Zusatzkosten, die durch die Einrichtung einer zentralen
Anlaufstelle entstehen, in der Praxis auch tatsächlich den
erhofften zusätzlichen Nutzen bringen werden. Mit dem
Gesetzentwurf das ist wichtig wird dafür gesorgt, dass
die behinderten Menschen nicht mehr von Pontius zu
Pilatus geschickt werden, sondern nach relativ kurzem
Weg Sicherheit haben, welche Ansprüche ihnen zustehen.
Dann ist sicherlich zu kritisieren, dass der Weg wieder
stärker in Richtung Staatsplanung beschritten wird, statt
den Weg in Richtung mehr Wettbewerb auch im Bereich
der Rehabilitation zu gehen und zum Beispiel die Ein-
richtungen der Rentenversicherungsträger endlich zu pri-
vatisieren. Zukünftig wird es eine gemeinsame Bedarfs-
planung der Rehabilitationsträger unter Beteiligung
der Bundesregierung und der Landesregierungen geben.
Das heißt im Klartext, dass das, was man im Kranken-
hausbereich gerade auf eine Rahmenplanung zurückzu-
führen versucht, nun im Bereich der Rehabilitation neu
eingeführt wird. Das ist für uns unbefriedigend.
Insgesamt wird das Gesetz entgegen den Ankündigun-
gen in den Eckpunkten der Koalition nicht kostenneutral
sein. Es ist nicht ganz klar, wie die Kosten gegenfinanziert
werden sollen, zumindest dann nicht, wenn man wie die
Bundesgesundheitsministerin am Grundsatz der Beitrags-
satzstabilität festhält. Es wird sicherlich Geld für die Be-
handlung kranker Menschen fehlen. Das sind zwar Punk-
te, die wichtig sind und die angesprochen werden müssen;
aber insgesamt überwiegen für uns aus den eingangs ge-
nannten Gründen die Aspekte, die es uns ermöglichen,
dem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Auch ich möchte den Behindertenverbänden danken.
Ich bin vor zwei Jahren in die Sozialpolitik eingestiegen.
Ich muss sagen, es hat Spaß gemacht, mit den sehr enga-
gierten Vertretern dieser Verbände zusammenzuarbeiten,
die das Wohl von Mitbürgern im Auge haben, die sicher-
lich kein einfaches Leben haben. Ich bin stolz darauf, dass
meine Fraktion bzw. wir alle heute einem Gesetzentwurf
zustimmen werden, der das Leben der behinderten Men-
schen in Deutschland ein Stück einfacher machen wird.
Danke schön.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Ilja Seifert, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von
der Koalition, wenn es doch der große Wurf wäre, den Sie
hier verkünden! Ich würde dann gerne zustimmen und die
ganze PDS auch.
Aber es reicht nicht aus, mit vielen betroffenen Menschen
und den Vertretern der Behindertenorganisationen zu
sprechen. Man muss auch hören, was sie sagen, und auch
tun, was sie wollen. Sie können doch nicht leugnen, dass
die Hauptaussage in der Anhörung war: Da wir leider kein
Leistungsgesetz bekommen können, diskutieren wir jetzt
über SGB IX und stimmen zu.
Der richtige Weg wäre ein Leistungsgesetz gewesen.
Das wissen Sie auch. Alle haben ein solches Gesetz ge-
fordert. Ich füge hinzu: Eigentlich bräuchten wir auch
noch ein Barrierenbeseitigungsgesetz, das sicherstellt,
dass wenigstens in Zukunft keine neuen baulichen und
kommunikativen Barrieren mehr errichtet werden, und
das uns dabei hilft, die bestehenden Barrieren nach und
nach zu beseitigen.
Die PDS wird diesem Gesetz nicht zustimmen, son-
dern sich der Stimme enthalten, weil wir unseres Erach-
tens hier nicht in der Situation der Echternacher Spring-
prozession sind, die der Kollege Behindertenbeauftragte
gerne bemüht; vielmehr springen wir einen Schritt vor
und einen zurück, und es bleibt am Ende nichts.
Die positiven Dinge sind hier von vielen bereits ge-
nannt worden. Ich will die durchaus nicht kleinreden. Ich
freue mich auch darüber, dass sogar einige Anregungen
der PDS zumindest teilweise aufgenommen wurden, zum
Beispiel, dass jetzt wenigstens anderthalb Berichte ge-
macht werden, also einer für Reha und einer für die Teil-
habe von Menschen mit Behinderungen am Leben der
Gemeinschaft. Eines Tages werden wir auch noch zwei
bekommen, und dann wird man sehen, dass Rehabilita-
tion und Teilhabe zwei verschiedene Dinge sind.
Aber das ist das Entscheidende in vielen Punkten
konnten Sie sich nicht dazu durchzuringen, tatsächlich ei-
nen Paradigmenwechsel vorzunehmen. Sie haben sich
nicht einmal dazu durchringen können, den Bezug zum
Artikel 3 des Grundgesetzes in diesem Gesetz herzustel-
len. Sie haben ja nachher noch die Möglichkeit, unseren
Änderungsanträgen zuzustimmen. Leider sieht es nicht so
aus, als ob Sie es täten. Sie haben einen Behindertenbe-
griff angewandt, der in der Hauptsache defizitär angelegt
und mit Einschränkungen versehen ist, die den Menschen
mit Behinderungen eher zum Nachteil gereichen. Leider
ist das von Ihnen nicht geändert worden. Diese entschei-
denden Punkte muss man schon einmal nennen dürfen.
Auch der seit Anbeginn von allen Behindertenorgani-
sationen stark kritisierte § 3a des Bundessozialhilfegeset-
zes wird von Ihnen in keiner Weise geändert, geschweige
denn abgeschafft, wie es sich eigentlich gehört. Das muss
endlich geschehen! Wir brauchen diesen Heimeinwei-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Dr. Heinrich L. Kolb
16120
sungsparagraphen nicht. Er schwebt wie ein Damokles-
schwert über allen Betroffenen.
Leider haben Sie auch den Weg verlassen, den wir im
Mai des vergangenen Jahres mit der gemeinsamen Verab-
schiedung einer Entschließung dieses Bundestages aller
Fraktionen eingeschlagen haben, nämlich gemeinsam
zu sagen, wie es weitergehen soll. Wenn Sie sagen wür-
den: Das ist ein Schritt auf dem Weg; der nächste ist das
Gleichstellungsgesetz, dann folgt das Leistungsgesetz,
und dann kommt das Barrierenbeseitigungsgesetz, dann
wäre es gut. Aber Sie haben sich nicht dazu durchringen
können, wenigstens das verbindlich festzulegen. Wir bie-
ten Ihnen dazu nachher noch einmal die Chance mit dem
Entschließungsantrag. Vielleicht können Sie sich doch
noch dazu aufraffen?
Es gibt auch ganz entscheidende Bereiche, wo nichts
verbessert oder sogar etwas verschlechtert wird. Das be-
trifft den Behindertensport, ungelöste Fragen der Versor-
gung von psychisch kranken Menschen, unbefriedigende
Lösungen für behinderte Studierende, offene Fragen bei
hörgeschädigten Menschen, restriktive Regelungen bei
der Gebärdensprache usw. usf. Kurz vor Toresschluss ha-
ben Sie sogar noch bei der Krankenhilfe § 37 BSHG
eine Verschlechterung herbeigeführt. Die Streichung der
Erholungshilfen steht für Verschlechterung. Anstatt Men-
schen, die diese Hilfen brauchen, besser zu stellen, haben
Sie dort eher noch Verschärfungen eingeführt. Warum
das? Das können wir uns nicht gefallen lassen.
Lassen Sie uns nicht nur den Weg der Evaluierung die-
ses Gesetzes gehen, sondern lassen Sie uns von vornhe-
rein sagen: Wir brauchen weitere Schritte, die weit über
den Ansatz dieses Gesetzes hinausgehen. Dieses Gesetz
ist ein Rehabilitationsgesetz, aber es wird die Teilhabe
von Menschen mit Behinderungen am Leben der Ge-
meinschaft nicht so entscheidend fördern, wie dies nötig
wäre und wie Sie es eigentlich selbst erklären.
Dann haben Sie doch den Mut zu sagen: Wir sind auf ei-
nem Weg und nicht an einem Ziel. Das wäre gut, würde in
der Öffentlichkeit verstanden und wäre in keiner Weise
herabwürdigend, auch nicht im Blick auf Ihre Leistungen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Sie können
sicher sein: Unsere kritische Begleitung dieses Gesetzes
wird die Menschen, die es betrifft, mobilisieren und uns
alle voranbringen.
Ich erteile Bundesmi-
nister Walter Riester das Wort.
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da-
men und Herren! Wir entscheiden heute über einen Mei-
lenstein der Sozialpolitik. Wir entscheiden über nichts
Geringeres als über das neue Recht für viele Menschen
mit Behinderungen in unserem Lande. Es geht um ein
besseres Recht, aber vor allem geht es um ein besseres Le-
ben für diese Menschen.
Ich erinnere daran, dass 6,6 Millionen Menschen in un-
serem Land als Schwerbehinderte anzusehen sind und
dass der Kreis der Betroffenen man denke an die An-
gehörigen weit über diesen Bereich hinausgeht. Wir re-
den also nicht über Randgruppen, nicht über Nebensäch-
lichkeiten, sondern über Menschen, die wir alle kennen,
und über Lebenslagen, in die wir alle kommen können.
Es ist ein zentrales Anliegen der Bundesregierung, für
Menschen mit Behinderungen das Leben einfacher und
vor allem besser zu machen. Wir haben uns darauf bereits
in der Koalitionsvereinbarung verpflichtet. Sie kennen die
ersten Schritte, die getan wurden. Ich verweise auf das
Schwerbehindertenrecht, auf unsere Kampagne, mit der
wir 50 000 behinderte Menschen in Arbeit bringen wol-
len, und auf die intensiven Anstrengungen der Bundesan-
stalt für Arbeit. Erste Erfolge stellen sich ein. Wir haben
inzwischen 13 000 Schwerbehinderte in Arbeit gebracht,
und wir haben die Vermittlungsquote erheblich, nämlich
um fast 30 Prozent, angehoben.
Das sind erste und sehr wichtige Schritte. Nicht nur im
Hinblick auf das Arbeitsleben brauchen wir aber umfas-
sende und weit reichende systematische Lösungen für die
Probleme von Menschen mit Behinderungen. Wir brau-
chen Antworten auf die Fragen, die sich im Alltag, in der
Familie oder in der Reha stellen. Es geht um die gleich-
berechtigte Teilhabe in der Gesellschaft und um die
Umsetzung des Benachteiligungsverbots des Grund-
gesetzes.
Sie alle wissen, wie schwer das Schicksal jemanden
treffen kann, wenn er eine Behinderung erleiden und
obendrein noch feststellen muss, dass die Gesellschaft da-
mit nicht immer sehr menschlich umgeht. Viele können
ein trauriges Lied von endlosen Wartezeiten manch ei-
ner musste von Pontius zu Pilatus laufen und vom
unsäglichen Dschungel des Behindertenrechts singen.
Leider gibt es auch immer wieder Klagen über die Will-
kür des Amtsschimmels, über Kompetenzstreitigkeiten,
die zulasten von behinderten Menschen und ihren An-
gehörigen ausgetragen wurden, über die schweren Lasten
für die betroffenen Familien oder über die schmerzhaften
Erfahrungen, nicht wie ein gleichberechtigter Mensch be-
handelt zu werden. Die Vielzahl der Probleme ist Legion.
Ich brauche sie hier nicht im Einzelnen vorzustellen. Ich
bin sicher, dass mir niemand widersprechen wird, wenn
ich sage, dass diese Missstände überwunden werden müs-
sen, damit unsere Gesellschaft und unsere Arbeitswelt im
Ganzen menschlicher werden.
Schon am 19. Mai des vorigen Jahres wurde im Plenum
des Bundestages ein entsprechender Entschließungsan-
trag einstimmig angenommen. Der Bundestag hat über
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Dr. Ilja Seifert
16121
alle Parteigrenzen hinweg beschlossen, dass die Integra-
tion von Menschen mit Behinderungen eine zentrale, eine
dringliche politische und gesellschaftliche Aufgabe ist.
Damals haben Sie, meine sehr verehrten Damen und Her-
ren, uns, die Bundesregierung, aufgefordert, das Recht
der Reha möglichst umgehend in einem neuen Sozialge-
setzbuch zusammenzufassen und weiterzuentwickeln.
Wir haben dies mit einem politischen Selbstverständnis
gemacht, das von einem engen Austausch und von einer
engen Zusammenarbeit mit allen Beteiligten geprägt ist.
Ich nenne die Organisationen der behinderten Men-
schen, die Sozialversicherungsträger, die Wohlfahrtsver-
bände, die Vertreter der Länder und Kommunen sowie die
vielen anderen, die mitberaten und mitgearbeitet haben.
In zahlreichen Abstimmungsrunden wurden offene Fra-
gen geklärt, Meinungsverschiedenheiten beigelegt, Vor-
schläge besprochen und soweit möglich berücksich-
tigt. Für die gute Zusammenarbeit möchte ich mich bei
allen in diesem Saale und draußen im Lande bedanken.
Ich freue mich aber auch über die gute parteiübergrei-
fende Zusammenarbeit gerade in der Schlussphase zwi-
schen den Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Es
wurde auf Profilierung und in vielen Punkten auch auf Po-
larisierung verzichtet. Ich bin überzeugt: Die Menschen
draußen im Lande würden diesen Politikstil in sehr vielen
Punkten gerne häufiger sehen.
Ihnen liegt heute der Entwurf für das neue Sozialge-
setzbuch IX zur Abstimmung vor. Bevor der Gesetzent-
wurf in seiner endgültigen Fassung vorlag, konnten wir
schon viel Positives darüber hören. Beispielsweise wurde
gesagt: Behinderte Menschen werden künftig nicht mehr
nur Gegenstand der Fürsorge sein. Sie werden befähigt,
ihr Leben und ihre Teilhabe in der Gesellschaft selbst-
ständig und gleichberechtigt in die Hand zu nehmen. So
ließe sich das zusammenfassen, was die Menschen vom
neuen Sozialgesetzbuch zu erwarten haben. Ich meine,
diese Einschätzung ist richtig.
Ich will dies mit einigen Beispielen belegen: Wir er-
weitern die Wunsch- und Wahlrechte der Menschen;
denn in der Regel wissen diese Menschen besser, was sie
selbst notwendig brauchen. Deshalb können sie etwa
Geldleistungen wählen, falls Sachleistungen nicht zwin-
gend erforderlich sind. Wir berücksichtigen die Bedürf-
nisse von Frauen und Kindern auf vielfältige Weise.
Wir geben wohnortnahen, ambulanten Leistungen den
Vorrang. Wir erstatten Reisekosten für Kinder und er-
möglichen passgenaue Leistungsangebote etwa bei der
Teilzeitarbeit. Besonders behinderte Frauen und Kinder
profitieren von den rund 60 Leistungsverbesserungen.
Frauen sollen nicht mehr doppelt benachteiligt sein als
Frau und Behinderte.
Wir stellen behinderte Menschen aber auch finanziell
besser. So verbessern wir die Entlohnung für die Be-
schäftigten in den Werkstätten für behinderte Menschen,
und wir verzichten auf die Einkommens- und Vermö-
gensüberprüfung unterhaltspflichtiger Eltern von erwach-
senen behinderten Kindern, wenn sie für die Kosten einer
vollstationären Unterbringung einen gewissen Beitrag
aufbringen müssen. Wir machen den Zugang zu den Leis-
tungen, mit denen behindertenbedingte Benachteiligun-
gen vermieden, ausgeglichen oder überwunden werden,
schneller und vor allem weniger bürokratisch. Wir führen
dafür wohnortnahe Servicestellen ein. Lange Wartezeiten
und mühsame Behördengänge sollen endlich der Vergan-
genheit angehören.
Wir werden dem Benachteiligungsverbot des Grund-
gesetzes gerecht. Dafür verzichten wir auf die Bedürftig-
keitsprüfung, um bisherige Formen der Ungleichbehand-
lung von behinderten Menschen abzuschaffen. Wir
werden dem gewandelten Selbstverständnis von behin-
derten Menschen besser gerecht. Deshalb nehmen wir
Rücksicht auf die persönliche Lebenssituation von Fami-
lien und auch auf Religion und Weltanschauung. Wir
schaffen das Recht auf Verwendung der Gebärdensprache
im Verfahren vor Sozialverwaltungen und bei der Aus-
führung von Sozialleistungen.
Dies sind nur einige der wichtigsten Neuerungen.
Doch sie zeigen deutlich, wie weit die Reform reicht. Das
Sozialgesetzbuch IX reformiert die Behindertenpolitik in
unserem Lande von Grund auf. Wir erhalten eine neue und
einheitliche Grundlage für die Praxis. Damit versetzen
wir behinderte Menschen in die Lage, ihre eigenen Be-
lange so weit wie möglich selbst und in Eigenverant-
wortung zu bestimmen. Wir verbessern das Leistungsan-
gebot so, dass es zeitgemäß und sozialer wird.
Es liegt nun an den Leistungsträgern, die neuen Mög-
lichkeiten so zu nutzen und sie mit Leben zu erfüllen, dass
die gesteckten Ziele und Erwartungen erfüllt werden. Ich
wünsche mir, dass alle Beteiligten die notwendigen An-
strengungen unternehmen. Unser gemeinsames Ziel muss
es sein, die Dienstleistung zu den Menschen zu bringen
und den Dienstleistungen sozusagen ein konkretes Ge-
sicht zu geben.
Ich bin überzeugt, es wird uns gelingen.
Ich freue mich, dass wir uns im Plenum des Bundesta-
ges und in seinen Ausschüssen über Inhalte und Ziele die-
ses Gesetzes so sachlich und so kooperativ verständigen
konnten. Wir sind aufeinander zugegangen und haben uns
in fast allen Fragen einigen können. Dafür bedanke ich
mich.
Das Tor ist nun weit offen, die Behindertenpolitik jetzt
gemeinsam auf eine neue und gesicherte Grundlage zu
stellen. Damit können wir unserem Land ein menschli-
cheres Gesicht geben.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Bundesminister Walter Riester
16122
Das ist wichtig; denn vor allem die Menschen mit Behin-
derungen erwarten, dass wir diese Chance ergreifen.
Ich hoffe auf Ihre Zustimmung und möchte mich dafür
recht herzlich bedanken.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Matthäus Strebl, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Der heute vorliegende
Gesetzentwurf ist ein erster Schritt in die richtige Rich-
tung. Er könnte zwar größer sein, doch entscheidend ist,
dass es für die betroffenen Menschen vorangeht. 6,6 Mil-
lionen Menschen in Deutschland sind Schwerbehinderte;
das sind 8,1 Prozent der Gesamtbevölkerung. Verglichen
mit nichts ist das, was Sie heute vorlegen, immer noch
besser als gar nichts. Deshalb bestehen wir zwar auf qua-
litativen Änderungen, werden dem Gesetz aber zustim-
men, denn zumindest die grobe Richtung stimmt.
Wir haben uns 1994 gemeinsam verpflichtet, die Lage
der Behinderten nachhaltig zu verbessern und statt Für-
sorge mehr Selbstbestimmung anzustreben. Die alte Bun-
desregierung hatte nach der Grundgesetzänderung in
Art. 3 im Jahre 1994 gesetzliche Schritte angestrebt. Mit
der Pflegeversicherung ist uns ein wichtiger Baustein ge-
lungen.
Bei allen Wünschen, die wir seitens der CDU/CSU für
das SGB IX noch haben: Blockieren werden wir nicht.
Wir sagen, was wir für falsch und was wir für korrektur-
bedürftig halten, werden aber grünes Licht geben.
Die Behinderten, ihre Angehörigen und die vielen Ehren-
und Hauptamtlichen bei den Verbänden und Einrichtun-
gen brauchen Perspektiven. Deshalb ist es gut, dass die
SPD beim SGB IX noch in den letzten Stunden, wie heute
schon angeschnitten worden ist, Verbesserungen, die von
der Union vorgeschlagen wurden, ermöglicht hat.
Dies gilt vor allem für den Regressverzicht bei Familien
mit Behinderten und das gilt für eine weniger bürokrati-
sche Überprüfung der Leistungsbedürftigkeit durch den
Medizinischen Dienst. Die betroffenen Menschen und
ihre Angehörigen haben dies mehr als verdient.
Fast 30 Millionen Menschen, Betroffene mit ihren An-
gehörigen und die ehren- und hauptamtlich im Behinder-
tenbereich tätigen Menschen, erwarten heute ein klares
Signal für mehr Integration und mehr Selbstbestimmung.
Diese Menschen werden wir nicht enttäuschen. Denn die
Entwicklung unserer Bevölkerung zeigt, dass diese Inte-
grationsaufgabe wachsen wird.
Mit der Pflegeversicherung hat noch die unionsge-
führte Bundesregierung darauf möchte ich hinweisen
hierauf eine Antwort gegeben, an der wir weiterbauen
wollten. Nun, da Sie regieren, testen Sie die finanzielle
Belastbarkeit der 44 Pflegekassen.
Ich bin überaus dankbar für das aktuelle Urteil des
Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe zur Familien-
komponente in der Pflegeversicherung.
Dieses Urteil geht weit über den Beurteilungstatbestand
hinaus.
Es fordert im Kern eine Reform aller Sozialversiche-
rungsbereiche, beispielsweise auch der Rentenversiche-
rung.
Zwei weitere Urteile stehen noch aus: ein Urteil zur
Rentenbesteuerung und ein Urteil über die letztjährige
Willküranpassung bei der gesetzlichen Rentenversiche-
rung.
Beim SGB IX wünschen wir uns auch in Zukunft mehr
Handeln, eine bessere Finanzierung durch ein Leistungs-
gesetz des Bundes und weniger Bürokratie.
Ein bundeseinheitliches Leistungsgesetz, mit dem die
etwa 500 Millionen DM Regressleistungen über die So-
zialhilfe aufgefangen würden, wäre hier die adäquate Lö-
sung gewesen. Es hätte wesentlich zur Vereinfachung, zu
mehr Effizienz und zu weniger Bürokratie geführt. Wir
hätten für einen solchen mutigen Schritt vergleichbar
mit Blüms Pflegeversicherung heute im Deutschen
Bundestag eine parteiübergreifende Mehrheit gefunden.
Etwa 15 Milliarden DM werden derzeit alljährlich für
die Eingliederung behinderter Menschen gezahlt. Auf die
Regressleistungen der Sozialhilfeträger in Höhe von etwa
500 Millionen DM zu verzichten würde etwa 3 Prozent
der ohnehin schon mobilisierten Gelder ausmachen.
Mehr Mut wünschten wir uns auch bei der Bereitstel-
lung eines persönlichen Budgets. Für die Menschen, die
dieses in Anspruch nehmen könnten, wäre dies ein echter
qualitativer Quantensprung. Ich betone: Wir von der
CDU/CSU sagen Ja zu mehr Selbstverantwortung.
Unsere Pflegeversicherung zeigt, dass der Weg, aus
Leistungsempfängern Hilfe einkaufende Kunden zu ma-
chen, aus menschlicher und ökonomischer Sicht richtig
ist. Gerade hierdurch haben wir die familiären Kräfte ge-
stärkt und das Prinzip, häusliche geht stationärer Pflege
vor, erfolgreich umgesetzt. Ich stelle fest, dass das SGB
IX von der Pflegeversicherung lernen kann. Wer durch die
Einführung persönlicher Budgets mehr Selbstbestim-
mung erreichen will, darf sich nicht in zaghaften kleinen
Modellversuchen verlieren.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Bundesminister Walter Riester
16123
Wir sollten uns in den kommenden Monaten und Jah-
ren darauf verständigen, dass in überschaubarer Zeit,
nicht irgendwann, sondern spätestens in drei Jahren, klare
Ergebnisse erarbeitet werden, mit denen wir politisch
weiterarbeiten können. Rehabilitation und Teilhabe be-
hinderter Menschen sind nämlich Ausdruck einer huma-
nen Gesellschaft.
Eine Bemerkung zum Schluss: Warum soll das, was in
den skandinavischen Ländern erfolgreich erprobt wurde,
nicht auch in Deutschland funktionieren? Wir wünschen
uns, dass das Leben von Behinderten und ihren Ange-
hörigen durch mehr Mut, mehr Selbstbestimmung und
mehr Tatkraft gekennzeichnet ist.
Auch wenn wir dem Gesetzentwurf heute zustimmen,
bleiben wir am Ball. Beim SGB IX gilt das Gleiche, was
für die Renten- und die Steuerreform dieser Bundesregie-
rung gilt: Die Reform nach der Reform ist absehbar.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Karl-Hermann Haack, Behindertenbeauf-
tragter der Bundesregierung.
Karl-Hermann Haack, Beauftragter der Bundesregie-
rung für die Belange der Behinderten: Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute ist zu
diesem Thema Feldgottesdienst angesagt nachdem wir
uns die letzten Male dazu kräftig auseinander gesetzt ha-
ben. Wir wollen also die Orgel gemeinsam spielen.
Dennoch möchte ich mir zwei Bemerkungen erlauben:
Herr Strebl, wenn Sie dankbar für das jüngste Verfas-
sungsgerichtsurteil zur Pflegeversicherung sind, dann sind
Sie dankbar dafür, dass das Bundesverfassungsgericht ein
Gesetz korrigiert hat, welches Sie verabschiedet haben.
Das möchte ich hier einmal öffentlich feststellen.
Das war Ihr Gesetz.
Gleich wird es moderater.
Als Zweites möchte ich generell etwas zu der Debatte
sagen: Seit 18 Jahren wird um ein SGB IX gerungen. Bis
zum heutigen Tage war das Glas leer. Ich freue mich da-
rüber, dass das Glas jetzt halb voll ist und ich es in einem
Zug genüsslich austrinken kann.
Ich möchte mich für die konstruktive Zusammenarbeit
in den letzten Beratungsrunden bei allen auch bei den
Damen und Herren der CDU/CSU- und der F.D.P.-Frak-
tion bedanken. Ich hätte mich gefreut, wenn die PDS-
Fraktion ebenfalls zugestimmt hätte.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, richtig ist,
dass diese rot-grüne Koalition das Verfassungsverspre-
chen einlöst, welches die damalige Regierung gegeben
und 1994 in das Grundgesetz hineingeschrieben hat Sie
wissen, dass die Einführung dieses Verfassungsgrund-
satzes seinerzeit von allen Vertretern des Hauses be-
schlossen worden ist , dass nämlich Menschen mit Be-
hinderungen nicht benachteiligt werden dürfen.
In der Zwischenzeit mussten wir uns mit dem Problem
auseinander setzen, dass uns die betroffenen Organisatio-
nen diesen Satz immer wieder vorgehalten haben: Men-
schen mit Behinderungen dürfen nicht benachteiligt wer-
den, ihnen muss es möglich werden, ein selbstbestimmtes
Leben zu führen. Wir lösen, wenn dieses Gesetz zum
1. Juli dieses Jahres in Kraft tritt, dieses Versprechen ein.
Darin, dass sie nun nicht länger nur Objekt der Fürsorge
sind, liegt der Paradigmenwechsel zur bisherigen ge-
meinsam getragenen Politik zu Lebensentwürfen von
Menschen mit Behinderungen.
Der Begriff der Zivilgesellschaft meint, dass in ihrem
Kernbereich Teilhabe und für Menschen mit Behinderun-
gen selbstbestimmtes Leben ermöglicht werden sollen.
Der Grundsatz gilt also auch für Menschen mit Behinde-
rungen, dass wir von der Möglichkeit gesellschaftlicher
Teilhabe ausgehen das ist ein Projekt modernen Regie-
rens.
Ich nenne drei Kernelemente, an denen ich dies klar-
machen möchte. Das erste ist das Instrumentarium zur In-
tegration von Menschen mit Behinderungen in die Ar-
beitswelt, in den ersten Arbeitsmarkt; das zweite ist,
Selbstbestimmung durch die Eröffnung von Wunsch- und
Wahlleistungen zu ermöglichen; das dritte ist der Abbau
bürokratischer Hemmnisse bei der Erlangung von Instru-
menten sozialer Teilhabe in unserem sozialen Siche-
rungssystem.
Integration in den ersten Arbeitsmarkt bedeutet für
uns, über Integrationsberatung, über die Verankerung ei-
nes Rechtsanspruches auf Arbeitsassistenz zum Beispiel
Gebärdendolmetscher, Vorlesekraft oder Arbeitsassistenz
für Querschnittsgelähmte allen Menschen die Möglich-
keit zu geben, nach Beratung in den ersten Arbeitsmarkt
zu kommen. Der Bundesarbeitsminister hat eine vorläu-
fige Bilanz gezogen: Bis zum Ende des Jahres 2000 sind
rund 13 000 Menschen auf diese Art in Arbeit gekommen.
Es werden mehr werden. Ich bin optimistisch: Wir werden
die Zielmarke 50 000 erreichen.
Soweit zum ersten Kernelement.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Matthäus Strebl
16124
Das zweite Kernelement sind die Wunsch- und Wahl-
leistungen. Bisher hatte der Mensch mit Behinderungen,
wenn er denn einen Antrag auf Leistungen der sozialen Si-
cherungssysteme stellte, sich in seiner Bedürftigkeit mehr
oder weniger zu inszenieren ein unwürdiger Zustand.
Wir machen nun damit Schluss, indem wir ermöglichen,
dass neben der Sachleistung auch eine Geldleistung ge-
währt werden kann. Das heißt, ein Mensch mit Behinde-
rung kann in bestimmten Bereichen zukünftig seinen
Hilfsbedarf selber organisieren. Ich meine, hiermit stär-
ken wir ein liberales Element im Grundsatz der gesell-
schaftlichen Teilhabe. Die Behinderten werden an dem
Punkt künftig selber entscheiden können.
Ich will auch darauf hinweisen, dass es auch das so ge-
nannte Einweisungsverfahren nicht mehr gibt. In der Ver-
gangenheit konnte ein Mensch mit Behinderungen durch
einen bürokratischen Akt in eine stationäre Einrichtung
eingewiesen werden. Jetzt ist das geändert worden, sodass
auch an dieser Stelle im Rahmen wirtschaftlicher Be-
gründbarkeit eine Wahlmöglichkeit besteht.
Ein weiterer Punkt: Wir haben einen Riegel vorge-
schoben, sodass es den Landesfinanzministern nicht mehr
möglich ist, sich auf Kosten der Pflegeversicherung zu-
gunsten der Eingliederungshilfe zu entlasten. Es ist also
nicht mehr möglich, dass ältere Menschen mit Behinde-
rungen, die in stationären Reha-Einrichtungen leben, ge-
wissermaßen in Pflegefälle umgetauft werden, aus ihrer
Lebensumwelt herausgenommen und in Pflegeeinrich-
tungen untergebracht werden. Hier ist eine einvernehmli-
che Regelung mit den Ländern gefunden worden. Ich be-
grüße das außerordentlich.
Zu dem dritten Punkt, dem Abbau bürokratischer
Hemmnisse, möchte ich uns in Erinnerung rufen, dass
diese Bundesregierung den Umbau des Sozialstaates
nicht ausschließlich als Neuorganisation der finanziellen
Grundlagen begreift. Vielmehr beinhaltet dieser Umbau
des Sozialstaates ein weiteres Kernelement, nämlich den
Abbau bürokratischer Hemmnisse beim Zugang zu Leis-
tungen unseres Sozialstaates zu ermöglichen. Der Kraft-
akt, den wir jetzt hier, im Sozialgesetzbuch IX, vollzie-
hen, nämlich die Beratungssysteme von sieben sozialen
Sicherungssystemen nach dem Grundsatz Die Dienstleis-
tung folgt dem Menschen und nicht der Mensch der
Dienstleistung! neu zu organisieren, bedeutet einen Pa-
radigmenwechsel in der Selbstverwaltung der sozialen Si-
cherungssysteme. An diesem Punkt will ich Dank sagen:
Nach anfänglichem Zögern und Widerständen ist nun si-
chergestellt, dass zum 1. Juli die gemeinsamen Auskunfts-
und Beratungsstellen nach diesem genannten Grundsatz
organisiert werden.
Das bedeutet: Die Dienstleistung wird zukünftig orts-
nah sein, nämlich auf Landkreisebene geregelt. Sie wird
zeitnah sein: Maximal nach sieben Wochen muss ent-
schieden werden; bisher dauerte die Entscheidung im
Durchschnitt 48 Wochen. Danach hat der Petent das
Recht, sich seinen Hilfsbedarf selber zu besorgen. Und:
Einmal entschieden, ist immer entschieden. Wenn ich also
von einem System in ein anderes übergeleitet werde, wird
meine gesamte Biografie nicht noch einmal von Sachver-
ständigen neu durchgearbeitet.
Das sind die drei Kernelemente unseres Entwurfs, auf
die wir als Bauelemente gesellschaftlicher Teilhabe Wert
legen.
Ich möchte Ausblick geben, meine sehr verehrten Da-
men und Herren: Wir werden Evaluation einführen, ein
Novum in der Sozialpolitik, und beobachten, wie sich die-
ses Gesetz bis 2004 entwickelt. Externe Experten werden
uns dabei helfen, Berichte zu schreiben, Vorschläge zu
machen und Kritik zu üben, aber auch Gutes zu benennen.
Des Weiteren werden wir noch in dieser Legislaturpe-
riode ein Gleichstellungsgesetz verabschieden. Eine Pro-
jektgruppe hat sich gebildet, eine Koalitionsarbeitsgruppe
hat ihre Arbeit bereits aufgenommen. Ich lade Sie alle ge-
meinsam noch einmal ein, mit uns dieses Gleichstel-
lungsgesetz zu erarbeiten. Ich habe die Hoffnung, dass der
Paradigmenwechsel gelingt, der darin besteht, Menschen
mit Behinderungen nicht als Objekte von Fürsorge zu de-
finieren, sondern ihnen gesellschaftliche Teilhabe zu er-
möglichen, damit wir diesen großen Felsbrocken auf dem
Lebensweg von Menschen mit Behinderungen gemein-
sam mit den Betroffenen zur Seite schieben.
Ich darf mich noch einmal bei Ihnen allen, bei den Ver-
bänden, auch bei meinen Kritikern recht herzlich bedan-
ken.
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie
über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf
eines Sozialgesetzbuches Neuntes Buch Rehabilita-
tion und Teilhabe behinderter Menschen, Drucksa-
chen 14/5074, 14/5531 und 14/5786. Der Ausschuss für
Arbeit und Sozialordnung empfiehlt die Annahme der zu-
sammengeführten Gesetzentwürfe in der Ausschussfas-
sung.
Zum Gesetzentwurf liegen fünf Änderungsanträge der
Fraktion der PDS vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 14/5826? Wer stimmt dagegen? Enthaltungen?
Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS ab-
gelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 14/5827? Wer stimmt dagegen? Enthaltungen?
Der Änderungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenver-
hältnis abgelehnt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Beauftragter der Bundesregierung Karl-Hermann Haack
16125
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 14/5828? Wer stimmt dagegen? Enthaltungen?
Der Änderungsantrag ist wiederum mit dem gleichen
Stimmenverhältnis abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 14/5829? Wer stimmt dagegen? Enthaltungen?
Der Änderungsantrag ist wiederum mit dem gleichen
Stimmenverhältnis abgelehnt.
Schließlich: Wer stimmt für den Änderungsantrag auf
Drucksache 14/5830? Wer stimmt dagegen? Enthal-
tungen? Der Änderungsantrag ist mit dem gleichen
Stimmenverhältnis abgelehnt.
Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung mit der vorhin von der Berichterstatte-
rin vorgetragenen Berichtigung zustimmen wollen um das
Handzeichen. Wer stimmt dagegen? Stimmenthaltun-
gen? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die
Grünen und F.D.P. bei Stimmenthaltung der PDS ange-
nommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Hierzu liegt mir eine Erklärung
zur Abstimmung des Kollegen Dr. Ilja Seifert vor.1) Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? Stimment-
haltungen? Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von
SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. bei
Stimmenthaltung der PDS angenommen.
Wir kommen zu den Entschließungsanträgen. Wer
stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/5804? Wer stimmt dage-
gen? Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist mit
den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen
die Stimmen von CDU/CSU bei Enthaltung von F.D.P.
und PDS abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der PDS auf Drucksache 14/5823? Wer stimmt dage-
gen? Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist ge-
gen die Stimmen der PDS abgelehnt.
Damit kommen wir zum Tagesordnungspunkt 15 a und
15 b:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft zu
dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
Sofortmaßnahmen zur Verbesserung des Ver-
braucherschutzes und zur Unterstützung der
landwirtschaftlichen Betriebe erforderlich
Drucksachen 14/5544, 14/5722
Berichterstattung:
Abgeordneter Matthias Weisheit
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich
Heinrich, Marita Sehn, Gudrun Kopp, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Hungernden Menschen in Nordkorea BSE-ne-
gativ getestetes Rindfleisch liefern und nicht
vernichten
Drucksache 14/5479
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen.
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Klaus Lippold, CDU/CSU-Fraktion.
Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! So
viel öffentliche Aufmerksamkeit für den Verbraucher-
schutz und für die Agrarpolitik wie in diesen Tagen hat es
wohl selten gegeben. Es gab aber auch noch nie so viele
traurige Anlässe dafür.
Bevor ich darauf näher eingehe, möchte ich eines in
den Mittelpunkt des Interesses rücken, meine Damen und
Herren von der Regierungskoalition: Was bei Ihrer Ver-
braucherschutz- und Landwirtschaftspolitik zunehmend
in Vergessenheit gerät, sind die Verbraucher und die Land-
wirte selbst: die Verbraucher, die nicht mehr wissen, was
sie guten Gewissens und ohne Angst essen können, und
die Landwirte mit ihren Familien, die wegen BSE- und
MKS-Krise um ihre Existenz fürchten müssen ganz zu
schweigen von denjenigen Bauern, die hilflos zusehen
müssen, wie ihre Herden gekeult werden, die ohne wirk-
same Hilfe bleiben und die in immer größerer Zahl vor der
Vernichtung ihrer Existenz stehen.
Ihre Unfähigkeit zu handeln bzw. Ihr fehlender Wille,
aber auch das fehlende Durchsetzungsvermögen im zu-
ständigen Ressort bzw. der zuständigen Ministerin sind
für die Menschen ein Skandal. Das grenzt beinahe an un-
terlassene Hilfeleistung.
Ich will daran erinnern, was alles zum Verbraucher-
schutz und zu anderen landwirtschaftspolitischen Fra-
gestellungen in den Raum gestellt worden ist: Frau
Künast, was ist aus dem magischen Sechseck in Ihrer An-
trittsrede als Ministerin geworden,
was aus dem burschikosen Hoppla, jetzt komme ich und
mache alles besser, der angekündigten Agrarwende und
dem allumfassenden vorsorgenden Verbraucherschutz?
Wer Politik als Zickzackkurs zwischen den Zwängen
der Tagespolitik versteht, dem geht schnell die konzeptio-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Präsident Wolfgang Thierse
16126
1) Anlage 2
nelle Luft aus. Wer darüber hinaus in Brüssel so oft wie
Sie gegen die Wand rennt, der kann sich logischerweise
kaum mehr bewegen, was Sie durch Ihr Statement in Sa-
chen Maul- und Klauenseucheimpfung selbst bestätigt
haben. Sie sagten dazu: Alleingänge wird es von mir nicht
geben. Für mich ist das ein ganz klarer Fall von Domes-
tizierung.
Ich will aber auch sagen, Frau Ministerin Künast: An
diesem Punkt wird deutlich, dass Sie Ihre Haltung vorher
nicht gründlich durchdacht haben, sondern sie permanent
ändern. Sie haben in der Frage der Impfungen mit Frau
Höhn einen Streit vom Zaun gebrochen; ich werde darauf
noch zurückkommen. Wenn ich es heute der Presse rich-
tig entnehme, sind Sie wie auch in anderen Fragen da-
bei, einzulenken und einen anderen Kurs einzuschlagen.
Warum denken Sie nicht erst nach, entscheiden dann und
kommen anschließend zu einem vernünftigen Weg, an-
statt solche Auftritte von beiden Seiten zu veranstalten?
Frau Künast, Sie waren bei Herrn Gauck in der Talk-
show und wurden gefragt, was denn der Ausweg aus der
BSE-Krise sei. Ihre Antwort war: Die Verbraucher müs-
sen qualitätsbewusster kaufen. Ich übersetze das in mein
einfaches Deutsch: Die Verbraucher sind an der BSE-
Krise selber schuld.
Dieser Zynismus, den Sie nicht müde werden zu ver-
breiten, ist unerträglich. Es gibt Menschen in unserem
Land, die nicht so gut wie Sie verdienen. Diese müssen
auf den Pfennig achten. Natürlich kaufen sie, was günstig
ist. Sie können diese Menschen doch nicht zu Schuldigen
machen, nach dem Motto: Wäret ihr nicht so geizig, gäbe
es kein BSE. Nein, Frau Künast, Pflicht und Schuldigkeit
Ihrer Politik muss es sein, dass Qualität, Qualität und nur
Qualität in die Fleischtheke kommt, selbst wenn es sich
um Sonderangebote handelt. Auch hier genießt der Ver-
braucher Vertrauensschutz.
Frau Ministerin, ich glaube fast, dass Sie die MKS-
Krise im Moment schon deshalb innerlich begrüßen, weil
sie von der BSE-Krise und ihrer Lösung ablenkt. Ich
glaube, das kann man so nicht belassen. Denn Sie haben
in dieser Frage auf den verschiedensten Ebenen immer
nur angekündigt wieder und wieder!
Sie haben angekündigt, auf EU-Ebene ein unbefriste-
tes Verbot der Verfütterung von Tiermehlen und Tier-
fetten durchzusetzen nicht geschehen! ,
das Verbot der derzeit noch legalen antibiotischen Futter-
zusatzstoffe sowie von Hormonen voranzutreiben nicht
realisiert! , EU-Subventionen für Lebendtransporte zu
streichen, die EU-Tiertransportrichtlinie zu überarbeiten,
kürzere Transportzeiten durchzusetzen Dringlichkeits-
antrag auf Ihrem Parteitag; bisher nichts geschehen.
Sie haben darüber hinaus einen Zickzackkurs in der
Frage der Bewältigung der BSE-Krise gefahren: Sie ha-
ben sich für den Einsatz einer Arbeitsgruppe von Fach-
leuten zur Erarbeitung von Reformvorschlägen für die
Agrarwende eingesetzt, jedoch davon Abstand genom-
men, als Sie im Agrarministerrat keine Mehrheit gewin-
nen konnten. Sie haben sich in Brüssel gegen den Sieben-
punkteplan von EU-Kommissar Fischler, insbesondere
gegen das zweite Schlachtprogramm, zur Wehr gesetzt,
dann aber auf dessen schnelle Umsetzung gedrängt.
Gleichzeitig haben Sie durch Ihre Blockadepolitik die
schnelle Umsetzung des ersten Ankaufprogramms ver-
hindert, das nunmehr zusätzlich durch das Auftreten der
Maul- und Klauenseuche-Krise gehemmt wird. Sie woll-
ten sich für die europaweite Umstellung des Prämiensys-
tems auf die Weideflächen einsetzen. Was ist daraus ge-
worden?
Auch auf der nationalen Ebene haben Sie Ihre Ver-
sprechen bislang nicht gehalten. Die Liste der angekün-
digten und nicht realisierten Maßnahmen ist lang. Frau
Künast, Sie haben sich bislang im Wesentlichen auf
Absichtserklärungen beschränkt. Sie haben sich zu Be-
ginn Ihrer Amtszeit mit starken Worten als die Retterin der
Verbraucher vorgestellt, als jemand, der die Probleme der
Verbraucher in die Hand nimmt und sowohl für eine kurz-
fristige Lösung der BSE-Krise als auch langfristig für eine
umfassende Gestaltung von Verbraucherschutz nicht nur
im Lebensmittelbereich sorgt. Das alles ist nicht gesche-
hen.
Frau Ministerin, insbesondere in der Frage der
flächendeckenden Impfung streiten Sie sich derzeit mit
Frau Höhn. Sie waren zunächst gegen flächendeckende
Impfungen und beginnen jetzt darüber nachzudenken, ob
Sie sich nicht auf europäischer Ebene dafür einsetzen.
In der Öffentlichkeit wird dies als Machtkampf zwischen
zwei Frauen interpretiert. Ich sage ganz deutlich: Frau
Künast, es ist keine Zeit für Machtkämpfe. Es geht um die
Lösung von Fragen. Statt Frau Höhn Panikmache vorzu-
werfen und sich heute mit ihr zu einem innergrünen Gip-
fel zu treffen, hätten Sie besser im Vorhinein einen ver-
nünftigen Weg miteinander abgesprochen. Jetzt gehen Sie
im Grunde denselben Weg.
Ich unterstreiche noch einmal ganz deutlich, dass wir die-
sen Weg gehen müssen.
Dass meine Kritik gerechtfertigt ist, zeigen auch die
folgenden Zitate. Ich zitiere aus der taz:
Renate Künast hat ihr neues Amt als Verbraucher-
schutz- und Landwirtschaftsministerin mit viel Elan an-
getreten und auch schon einige starke und schöne Reden
gehalten, Visionen entwickelt und Veränderungen gefor-
dert. Sonst ist in ihrem Ressort allerdings noch nicht viel
passiert.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Dr. Klaus W. Lippold
16127
Ich zitiere das Handelsblatt:
Renate Künast hat in Brüssel den Glanz, den sie in
den ersten Tage nach ihrem Amtsantritt auf dem
Höhepunkt der BSE-Krise in Deutschland gewonnen
hatte, wieder verloren. Mit forschen Sprüchen ist auf
dem glatten EU-Parkett keine gemeinsame Agrarpo-
litik zu machen.
So lassen sich die Zitate fortführen. In der FAZ steht:
Die Neue ist acht Wochen im Amt, die Schonzeit geht
langsam zu Ende. Grüne riefen entsetzt im Büro
Künast an, als die Ministerin mit leeren Händen von
der letzten EU-Agrarministerrunde aus Brüssel
zurückkam. Künast in Brüssel gescheitert, titelten
die Blätter.
Weiter heißt es in der FAZ:
Ihr Widerstand in Brüssel wurde nur belächelt. Sie
gab ihn auf.
Die taz zitiert aus ihrem eigenen Hause:
Außer neuer Lyrik im Verbraucherschutz tut sich
nicht viel.
Das sollen ihre eigenen Mitarbeiter gesagt haben.
Kollege Lippold, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hustedt?
Nein, ich möchte meine Gedanken im Zusammenhang
darstellen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muss hier
auch noch das Stichwort Tierethik ansprechen. Frau
Künast, Sie haben sich nicht für die sinnvolle Kohorten-
keulung eingesetzt. Was bleibt, ist die unnötige und sinn-
lose Tötung ganzer Herden. Wie wollen Sie das mit den
ethischen Grundsätzen vereinbaren, die Sie stets propa-
gieren?
Auch zeichnet sich bislang keine mittel- und langfris-
tige Verbesserung des Verbraucherschutzes im Ernäh-
rungsbereich ab. Es ist dringend erforderlich, die BSE-
Forschung auch im Hinblick auf andere Schlachttiere vo-
ranzutreiben. Die Entwicklung von BSE-Tests am leben-
den Tier muss vorangebracht werden. Es muss ein
EU-weites BSE- und Scrapie-Überwachungsprogramm
für Schafe und Ziegen eingeführt werden. Ich könnte
diese Reihe beliebig fortsetzen; überall muss noch etwas
getan werden, aber überall sehen wir dafür noch keine
vernünftigen Ansätze.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Union
hat, weil sie nicht beim Negativen stehen bleiben will, ein
umfassendes Verbraucherschutzkonzept vorgelegt. Frau
Ministerin, wir sind gerne bereit, mit Ihnen über eine kon-
struktive Weiterentwicklung der Verbraucherschutzpoli-
tik zu reden. Nach unserer Auffassung brauchen wir ein
Verbraucherschutzministerium und nachgeordnete Be-
hörden, die sich intensiv mit wissenschaftlichen Fragen
auseinander setzen. Die Beratung aus dem Wissen-
schaftsbereich muss systematisiert werden, und zwar
nicht nur auf EU-Ebene, sondern auch in Deutschland.
Wir brauchen entsprechende wissenschaftliche Beiräte.
Die Grundzüge dessen wollen wir in einem Verbraucher-
schutzgesetz zusammenfassen. Das halte ich für eine ver-
nünftige Form der Vorgehensweise, über die wir kon-
struktiv miteinander reden sollten.
Dies sollten wir auch in der Frage der Landwirt-
schaftspolitik tun, weil es wenig Sinn macht, eine Zwei-
klassenpolitik zu betreiben und zwischen den Guten und
den Bösen, zwischen Kleinen und Großen oder zwischen
ökologischer und konventioneller bzw. klassischer Land-
wirtschaft zu unterscheiden. Die Landwirtschaft der Zu-
kunft ist eine gesunde Landwirtschaft in allen Bereichen:
sowohl in den bäuerlichen Familienbetrieben als auch auf
den größer strukturierten Höfen. Mehr Ökologie ist gut
und richtig, aber sie muss in allen Bereichen gleicher-
maßen gefördert werden. Wir wollen eine Landwirtschaft,
die gesunde Lebensmittel zu angemessenen Preisen pro-
duziert egal, ob auf dem Wege der konventionellen oder
der ökologischen Landwirtschaft , die Naturschutz, Um-
weltschutz und artgerechte Haltung berücksichtigt egal,
ob es sich um konventionelle oder um Biohöfe handelt
und die naturnah und wirtschaftlich produziert.
In diesem Zusammenhang werben wir dafür, dass der
Gedanke des Vertragsnaturschutzes immer stärker in
die Diskussion eingeführt wird und stärkere Beachtung
findet, wie es zum Beispiel in den süddeutschen Ländern
schon heute der Fall ist. Auch brauchen wir gute Rege-
lungen nicht nur für die Bundesrepublik selbst. Wir brau-
chen solche guten Regelungen, wie es vorhin deutlich ge-
macht wurde, in ganz Europa. Dies gilt auch für Importe
aus Drittländern: Unabhängig davon, ob es sich um ein-
heimische Produkte oder um Produkte aus Drittländern
handelt, müssen die Anforderungen, die wir stellen,
flächendeckend erfüllt sein, damit der Verbraucher wirk-
lich geschützt ist und sich keine Sorgen darüber machen
muss, was er in Zukunft verzehren kann. Dafür lohnt sich
eine gemeinschaftliche Anstrengung.
Deshalb bitten wir Sie, Frau Künast, auf Ankündigun-
gen in Zukunft zu verzichten und statt dessen eine kon-
struktive Kooperation mit uns zu beginnen. Wir sind dazu
bereit.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile Kollegin
Iris Hoffmann, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Bei dem Antrag der
CDU/CSU Sofortmaßnahmen zur Verbesserung des Ver-
braucherschutzes und zur Unterstützung der landwirt-
schaftlichen Betriebe erforderlich mögen Sie, liebe Kol-
leginnen und Kollegen von der CDU/CSU, tief, vielleicht
sogar sehr tief in sich gegangen sein. Trotzdem haben Sie
sich dabei leider wieder einmal verlaufen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Dr. Klaus W. Lippold
16128
Der Großteil Ihres Antrags ist zum einen zeitlich über-
holt, und zum anderen argumentieren Sie schlicht mit Un-
wahrheiten. Wir lassen die deutschen Bauern und die
deutschen Verbraucher nicht allein, Herr Dr. Lippold.
Realität ist, dass im Rahmen der bereitgestellten mehr als
900 Millionen DM für BSE-Folgekosten die Heraus-
kaufaktion der bis zu 400 000 Rinder mit 362 Mil-
lionen DM finanziert wird.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung be-
hindert dies nicht, wie von der CDU/CSU-Fraktion be-
hauptet wird, sondern die erste Herauskaufaktion ist be-
reits vor zwei Wochen angelaufen. Nicht wir, sondern die
CDU/CSU-Fraktion kommt mal wieder zu spät. Vorsich-
tige Schätzungen sprechen von etwa 100 000 Rindern in
der ersten Stufe der Ankaufaktion. In der zweiten Stufe ist
von zurzeit 200 000 Rindern auszugehen. Der derzeitige
Stand ist, dass hierfür circa 300 Millionen DM der insge-
samt 362 Millionen DM benötigt werden.
Sicherlich ist es so, dass die insgesamt 362 Milli-
onen DM zu rund einem Drittel aus der abgesenkten Ge-
meinschaftsaufgabe in Höhe von 125 Millionen DM fi-
nanziert werden. Außer Frage steht auch, dass dies ein
schmerzlicher Einschnitt für das Jahr 2001, aber gleich-
zeitig der Beginn und die Chance ist, die Gemeinschafts-
aufgabe an den Zielen der Agrarwende zu orientieren, das
heißt, Schwerpunkte gemeinsam mit den Ländern neu zu
definieren, zum Beispiel die Förderung der ländlichen
Entwicklung und die Förderung des ökologischen Land-
baus. Um diesen Weg fortzuführen, wird hierzu zum
29. Juni 2001 mit den Länderagrarministern eine Kon-
zeption für die Fördergrundsätze 2002 vorbereitet wer-
den, um so den Ländern ab dem 1. Januar 2002 an den
neuen Eckpunkten orientierte Förderprogramme anbieten
zu können. Eines ist klar: Als Regierungsfraktion ist es
unser erklärtes Ziel, die Gemeinschaftsaufgabe entspre-
chend der mittelfristigen Finanzplanung 2002 mit
1,8 Milliarden DM fortzuführen.
Im Antrag der CDU/CSU-Fraktion erfährt man, dass
das gelobte Land Bayern 600 Millionen DM für die Be-
wältigung der BSE-Krise bereitstellt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist schlichtweg
falsch. Allenfalls sind dies 245 Millionen DM, aufgeteilt
auf zwei Jahre. Mit den anderen Mitteln werden nicht
BSE-bedingte Folgekosten finanziert.
Wir begrüßen ausdrücklich den Kabinettsbeschluss
vom vergangenen Mittwoch. Die Bundesregierung geht
den richtigen Weg, große Teile der Ankaufaktion von
Rindern humanitären Zwecken zuzuführen und damit der
hungerleidenden Bevölkerung in Nordkorea zu helfen.
Sie hätten ja schon längst einen Antrag stellen können,
Herr Ronsöhr.
Fast alle der rund 24 Millionen dort lebenden Men-
schen leiden unter erheblichem Nahrungsmittelmangel.
Recherchen der dort wirkenden Hilfsorganisationen bele-
gen, dass von den pro Tag und pro Kopf benötigten 2 000
Kilokalorien lediglich 600 Kilokalorien zur Verfügung
stehen. Völlig klar ist, dass hierunter insbesondere Kin-
der, Alte und Kranke leiden. Angesichts dieser dramati-
schen Lage und der offensichtlich vorhandenen bitteren
Armut in Nordkorea wäre es fatal, in Deutschland Tau-
sende Tonnen von Rindfleisch zur Marktbereinigung zu
verbrennen.
Eine Tonne Rindfleisch verbrennen belastet den Bundes-
haushalt mit 350 DM. Die Lieferung einer Tonne BSE-ne-
gativ getestetes Rindfleisch nach Nordkorea kostet
1 700 DM. Diese Mehrkosten werden wir im Rahmen der
für die Herauskaufaktion bereitgestellten 362 Millio-
nen DM finanzieren.
Ich machte bereits darauf aufmerksam, dass nach jet-
zigen Schätzungen davon auszugehen ist, dass nicht alle
Mittel zum Ankauf von Rindern benötigt werden. Mo-
mentan gehen wir davon aus, dass bis zu 50 Mil-
lionen DM für humanitäre Zwecke bereitgestellt werden.
Das heißt, dass zunächst einmal drei Lieferungen zu je-
weils 6 000 Tonnen Rindfleisch nach Nordkorea erfolgen
werden. Diese können in der Folgezeit bis auf 30 000
Tonnen ausgebaut werden. Eines ist aber Fakt: Rind-
fleischkonserven zu produzieren und für Nordkorea be-
reitzustellen übersteigt den finanziellen Spielraum bei
weitem.
Meine Damen und Herren, den Antrag von CDU/CSU
lehnen wir natürlich ab, da er der Realität nicht entspricht
und auch noch nie entsprochen hat. Er ist eben ein Antrag
von gestern.
Ich erteile dem Kolle-
gen Ulrich Heinrich, F.D.P.-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Leider Gottes steht heute diese
Debatte auf der Tagesordnung: Die Situation in der deut-
schen Landwirtschaft ist wirklich dramatisch. Nicht nur
BSE, sondern auch die Maul- und Klauenseuche sind
die beherrschenden Themen. Wie die zukünftige Politik
diesbezüglich aussehen soll, ist kaum erkennbar. Sie hat
keine klare Linie und die Bäuerinnen und Bauern wissen
nicht, wie es weitergeht. Nicht einmal die durch die Ge-
setzgebung des Deutschen Bundestages von Ende 2000
entstandenen finanziellen Fragen sind geklärt. Es ist ein
Skandal, die Familien so allein zu lassen. Es ist nicht
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Iris Hoffmann
16129
verantwortbar, hier so viel über Öko oder Nicht-Öko
zu reden, aber 97 Prozent der Bauern im Stich zu lassen.
Ich halte es für unverantwortlich, wie hier mit einem
ganzen Berufsstand umgegangen wird und dass man
wirklich von Tag zu Tag eine andere Politikausrichtung
zur Kenntnis zu nehmen hat.
Das Marktentlastungsprogramm ist sehr spät ange-
laufen, nämlich gerade jetzt, zu einem Zeitpunkt, in dem
die Maul- und Klauenseuche eigentlich jeden zusätzli-
chen Transport verbietet.
Ich verstehe nicht, warum man diese Aktionen gerade
jetzt anlaufen lässt.
Als die Maul- und Klauenseuche auch die Niederlande
und Frankreich erreicht hatte, habe ich gesagt: Es ist nicht
mehr verantwortbar, dass wir mit dieser Herauskaufaktion
nachdem wir sie überhaupt noch nicht gestartet hatten
jetzt anfangen.
Frau Ministerin, das ist seuchenpolitisch nicht verant-
wortbar. Sagen Sie bitte nicht Quatsch. Sehr viele ernst
zu nehmende Wissenschaftler sagen genau das Gleiche
wie ich. In einer solchen Situation ich erinnere nur an
die Fernsehbilder aus Hessen von vor zwei Tagen und
auch von gestern zusätzliche Tiertransporte zuzulassen
und dazu noch zu ermuntern, damit es überhaupt dazu
kommt, ist unverantwortbar.
Ich meine, wir hätten gut daran getan, die erste
Tranche auslaufen zu lassen und in die zweite einzustei-
gen. Ich sage Ihnen auch, warum. Die erste Marktentla-
stungsmaßnahme war von der Europäischen Kommission
ganz klar als Vernichtung des Fleisches definiert. Ich habe
von Anfang an gesagt: Eine Herauskaufaktion aussch-
ließlich zur Vernichtung des Fleisches kommt für die
F.D.P.-Fraktion nicht infrage.
Ich habe alles unternommen, um Verbindungen zu
Nordkorea herzustellen, um mit Cap Anamur und ande-
ren Hilfsorganisationen Verbindung aufzunehmen, damit
es zu der Fleischvernichtung nicht kommen muss.
Jetzt lässt man unter seuchenpolizeilichen Gesichts-
punkten mit der Vernichtung des Fleisches eine Aktion
laufen, die nicht zu verantworten ist, statt solche Maß-
nahmen zu ergreifen, die es ermöglichen, das Fleisch noch
zu verwerten. Wenn das Maul- und Klauenseuchenrisiko
etwas abgeebbt ist, können wir Tiertransporte auch wie-
der verantworten.
Aus Ihrem Hause, Frau Künast, habe ich am Mittwoch
auf meine Nachfrage hin, wo die Hauptübertragungsrisi-
ken bei der Maul- und Klauenseuche liegen, erfahren,
dass bis auf ganz wenige Fälle, in denen es durch ver-
wandtschaftliche Beziehungen zu einer Übertragung ge-
kommen ist, die Übertragung ausschließlich durch Tier-
transporte erfolgt ist. Wenn es so ist, dass die
Übertragung hauptsächlich auf den Tiertransporten er-
folgt, halte ich es für nicht verantwortbar, die erste He-
rauskaufaktion zum jetzigen Zeitpunkt vorzunehmen.
Kollege Heinrich, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Stetten?
Bitte.
Herr Kollege Heinrich, können Sie mir, damit auch die
Bevölkerung weiß, um welche Mengen es bei der He-
rauskaufaktion geht, bestätigen, dass es in Deutschland
rund 15 Millionen Rinder gibt, von denen jährlich rund
4 Millionen geschlachtet werden, und dass bei einer He-
rauskaufaktion von 400 000 Rindern etwa 100 Milli-
onen Kilogramm Fleisch anfallen? Das würde bedeuten,
dass wir dann, wenn jeder im Monat nur ein kleines Steak
essen würde, kein Fleisch vernichten, also verbrennen
müssten.
Langsam. Seien Sie vernünftig. So gutes Fleisch wie
das, was im Moment auf dem Markt ist, haben wir über-
haupt noch nicht gehabt; es ist nämlich getestet. Deswe-
gen sollte man dies dem Verbraucher einmal sagen.
Aber meine Frage ist folgende: Wäre es angesichts der
Tatsache, dass wir gerade über die Verwertung diskutie-
ren, nicht sinnvoll, außer den 30 Millionen Kilogramm
Fleisch, die wir nach Nordkorea liefern, für die anderen
70 Millionen Kilogramm Fleisch eine Werbeaktion zu
starten, damit die Verbraucher wieder Fleisch kaufen?
Das Geld für diese Aktion das sind die Millionen, die
sonst für die Verbrennung des Fleisches genutzt werden
steht der Ministerin zur Verfügung.
Herzlichen Dank für die
Frage, Herr von Stetten. Die Verbraucher sollten jetzt in
der Tat wieder zur Normalität, zur Vernunft zurückfinden.
Die Verhältnisse haben sich wieder verbessert. Wir liegen
derzeit wieder bei 70 Prozent des Verbrauches von Fleisch
von vor der BSE-Krise.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Ulrich Heinrich
16130
Aber es muss weiter für den Verzehr von Rindfleisch
geworben werden. Auch dieses Hohe Haus hat Mitver-
antwortung dafür, wie wir mit diesem Thema umgehen.
Sind wir hysterisch oder gehen wir mit diesem Thema
verantwortungsvoll um?
Ich kann nur dafür plädieren, dass wir verantwortungsvoll
damit umgehen und dass wir den Bürgerinnen und Bür-
gern mitteilen, dass das Fleisch, das heute verkauft wird,
unbedenklich und einwandfrei sowie für den Verzehr ge-
eignet ist.
Wenn dieses Fleisch nicht einwandfrei wäre, könnten
wir es auch nicht verschenken. Ich erinnere mich noch an
die Diskussion Mitte Februar, als das Thema Hilfsliefe-
rungen nach Nordkorea aufgekommen ist. Diese Diskus-
sion hat sich auf meinen Antrag ausgewirkt. Nahezu das
gesamte Kabinett stand diesem Vorschlag ablehnend ge-
genüber. Fast alle zuständigen Ministerien haben gesagt:
Das ist Unsinn. Der Markt vor Ort wird gestört. In dieser
Art und Weise kann man keine Hilfe leisten.
Dass wir auf Dauer mit Verschenkungsaktionen keine
Hilfe leisten können, wissen wir selber. Aber in der Situa-
tion, in der sich jetzt Nordkorea befindet, wo die Men-
schen Gras essen müssen und die Verhältnisse menschen-
unwürdig sind, muss eine solche Lieferung zumindest
überlegt werden. Wenn wir überhaupt noch einen Gedan-
ken daran verschwenden, ob wir dieses Fleisch verbren-
nen oder als Hilfslieferung dorthin senden sollen, dann
zeigt dies doch, wie verknöchert wir sind und dass dies
nicht dem entspricht, was man an humanitärer Grundein-
stellung von diesem Kabinett erwarten müsste.
Ich muss schon sagen: Ich war tief enttäuscht, wie
lange man in der Presse darüber lesen musste, wie knall-
hart die Bundesregierung diese Hilfslieferungen ablehnte.
Ich bin sehr froh, dass zum Beispiel die Welthungerhilfe
und andere Institutionen, die durch ihre Arbeit vor Ort
mehr Kenntnisse als diejenigen haben, die sich in
Deutschland aufhalten, die dringende Notwendigkeit er-
kannt haben, dass hier Hilfe zu leisten ist.
Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zu Ihnen sa-
gen, Frau Ministerin Künast. Die Landwirte haben nicht
nur einen Anspruch auf finanzielle Hilfe das habe ich
eingangs betont , sondern auch darauf, endlich von Ih-
nen zu erfahren, wie Sie sich zu Impfungen in der Bun-
desrepublik Deutschland stellen. Ich bin schon einiger-
maßen erstaunt darüber, was man heute in der Zeitung
lesen kann. Sie sind uns hier und heute eine klare Antwort
schuldig. Ich erwarte jetzt von Ihnen, dass Sie sagen, was
Sie wollen, was Sie für richtig halten und was in Zukunft
die Politik der Bundesrepublik Deutschland ist.
Ich weiß sehr wohl, dass die Impfung in die Hoheit der
Länder fällt. Aber Sie sind in Brüssel das Sprachrohr.
Die Länder können überhaupt nichts gegen Brüssel
durchsetzen,
sondern Sie müssen in Brüssel die Dinge entsprechend
zur Sprache bringen. Bisher hatte ich gedacht, Sie hätten
eine Linie. Seit heute weiß ich: Sie haben keine Linie.
In einer solch existenziellen und wichtigen Frage kann
man so nicht vorgehen.
Herzlichen Dank.
Ich erteile der Bun-
desministerin Renate Künast das Wort.
Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Ich will mit der Nahrungs-
mittelhilfe für Nordkorea beginnen und dann auf einige
andere Fragen eingehen.
Über viele Jahre hinweg wurde die Nahrungsmittel-
hilfe nach dem Motto betrieben: Hauptsache, die hiesigen
Berge an Butter, Magermilchpulver oder Rindfleisch wer-
den kleiner.
Der Zwischenruf Das ist doch schon 100 Jahre her!
stimmt nicht. Das ist ungefähr so lange her, wie es eine
neue rot-grüne Bundesregierung gibt.
Frühere Regierungen haben die Frage der Wirkung von
Lieferungen auf Empfängerländer immer nur am Rande
als interessant empfunden. Ich erinnere Sie nur daran, wie
intensiv Rindfleischexporte der EU aus dem Überschuss
nach Westafrika stattgefunden haben. Die dortigen
Märkte sind kaputt gemacht worden, wir haben den Men-
schen vor Ort nicht geholfen, eine eigene Rindfleischpro-
duktion aufzubauen, sondern haben die dort vorhandenen
Herden noch zerstört.
Ein solches Vorgehen ist nicht Politik dieser Bundesre-
gierung und deshalb haben wir uns schwer getan ich
gebe das zu , an dieser Stelle zu sagen: Der jetzt existente
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Ulrich Heinrich
16131
Überschuss an Rindfleisch aus Deutschland wird an ein
anderes Land verschenkt. Wir tun uns schwer damit und
werden solche Aktionen nur in begrenztem Maße durch-
führen. Es muss weiterhin gelten: Entwicklungshilfe
muss heißen, vor Ort Strukturen und Arbeitsplätze aufzu-
bauen sowie dort Reis und Getreide anzubauen.
Die Menschen brauchen 365 Tage im Jahr Essen und nicht
nur dann, wenn wir Überfluss abzugeben haben.
Ich bin deshalb froh das ist einer der Erfolge, den ich
in Brüssel hatte und den die Opposition natürlich nicht se-
hen will , dass die zweite Herauskaufaktion nicht erst am
1. Juli stattfinden wird, sondern wir die Möglichkeit ha-
ben, sie vorzuziehen. Wir können bezüglich der zweiten
Herauskaufaktion von Brüssel die Erlaubnis bekommen,
Rindfleisch an Nordkorea zu verschenken. Herr Fischler
hat mir gegenüber klar gesagt, wir bekämen die Erlaub-
nis, sobald wir konkret den Antrag stellen.
Aber erst wenn ungefähr Anfang Mai die zweite Heraus-
kaufaktion beginnen kann und rechtlich beginnen darf,
werden wir das Verfahren durchführen können. Die
Bundesregierung hat eine Delegation aus drei Ressorts
gebildet.
Jetzt geht es nicht, weil es rechtlich verboten ist. Sie ha-
ben sich doch gerade gestern um mein Rechtsverständnis
Sorgen gemacht. Ich bitte Sie heute, auf dem Boden der
Gesetze zu stehen. Das ist doch nicht so schwierig, wie
wir beide wissen.
Wir können also die Aktion ab 1. Mai durchführen, wir
haben eine Delegation nach Nordkorea entsandt und fest-
gestellt: 6 000 Tonnen können mit der Zielsetzung Frau
Hoffmann hat das schon gesagt , alte und kranke Men-
schen zu ernähren, dorthin gebracht und so verteilt werden,
dass es nicht zu Auftauerscheinungen kommt. Ich sage
ganz klar: Die Tatsache, dass die zweite Herauskaufaktion
inhaltlich anders gestaltet ist, als sie ursprünglich von Herrn
Fischler geplant war, ist Ergebnis meiner Politik.
Frau Ministerin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heinrich?
Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Ja.
Ich bin sehr dankbar dafür,
dass Sie die Daten genannt haben, ab wann die zweite
Herauskaufaktion starten kann. Ich möchte Sie aber bit-
ten, die erste Herauskaufaktion, bei der Fleisch zur Ver-
nichtung bestimmt ist, zu stoppen, und zwar erstens, weil
wir das Fleisch nicht vernichten wollen, und zweitens,
weil wir das Risiko einer Ausbreitung der Maul- und
Klauenseuche durch die Tiertransporte nicht erhöhen
wollen.
Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Setzen wir ein-
fach ein Fragezeichen dahinter, dann haben wir eine
Frage. Ich verstehe Ihr Anliegen.
Herr Heinrich, es gibt seuchenpolitisch Hinweise da-
rauf, dass es Sinn macht, Ställe zu leeren, anstatt sie über-
voll zu lassen. Je dichter die Tiere stehen, desto größer ist
die Gefahr. Der andere Punkt ist: Ich bin rechtlich zu die-
sem Herauskaufprogramm verpflichtet und könnte
sonst von den Bauern verklagt werden. Ich habe aber
Druck gemacht, dass die zweite Herauskaufaktion nicht
am 1. Juli beginnt, sondern vorgezogen werden kann.
Ich muss Ihnen auch sagen, dass ich für dieses Vorzie-
hen der zweiten Herauskaufaktion erst die Erlaubnis der
EU brauche und in diesem Zusammenhang noch einige
Prüfungen ich denke an die volle BSE-Testkapazität in
Deutschland durchgeführt werden müssen. Dieses
Genehmigungsverfahren wird einige Wochen dauern.
Ich muss Ihnen aber auch sagen, dass wir im Augen-
blick nicht in der Lage sind ich lasse mir dabei von Ih-
nen gerne Hilfestellung geben , die erforderlichen
mehrstelligen Millionenbeträge aufzubringen, um das
aufgekaufte Fleisch zu verschenken. Eine solche Aktion
könnte auch nur dort durchgeführt werden, wo es keine
Konkurrenz zum Export gibt. Wir alle, Herr Heinrich,
wollen doch gemeinsam, dass die Bauern weiterhin Rind-
fleisch verkaufen können, um Geld einzunehmen. Des-
halb bekomme ich auch keine globale Verschenkungs-
genehmigung aus Brüssel. Das sind klare Punkte.
Ich weise Ihren Vorwurf zurück, dass die in diesem Zu-
sammenhang notwendigen Transporte zur Ausbreitung
von MKS beitragen würden. Es ist ganz klar: Es darf nur
Direkttransporte geben, keine anderen Kontakte. Die be-
troffenen Tiere müssen getrennt von anderen Tieren in den
Schlachthöfen getötet werden. Es muss vorher und nach-
her desinfiziert werden. Insofern besteht das von Ihnen
befürchtete Infektionsrisiko nicht.
Frau Ministerin, er-
lauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Widmann-
Mauz?
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Bundesministerin Renate Künast
16132
Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Ja, aber danach
lasse ich keine Zwischenfragen mehr zu.
Bitte schön.
Frau Minis-
terin Künast, Sie haben gerade dargestellt, mit welcher
Verve Sie für die Aktion eintreten, Nordkorea BSE-nega-
tiv getestetes Rindfleisch zu schenken. Ich denke, dass
das ziemlich zynisch war. Können Sie uns erklären,
warum Sie es bis heute noch nicht einmal für nötig gehal-
ten haben, die zwei Schreiben des Ministerpräsidenten
von Baden-Württemberg zu beantworten, in denen er
seine finanzielle Unterstützung für die Verschenkungsak-
tion angeboten hat, und können Sie, nachdem Sie gerade
davon gesprochen haben, dass die Millionenbeträge, die
zur Finanzierung dieser Aktion notwendig sind, noch
nicht bereitgestellt sind,
wenn Sie damit nicht zurechtkommen, ist das Ihr Pro-
blem , dem Hohen Hause erklären, wie der Stand der
Gespräche zwischen dem Bundesentwicklungshilfemi-
nisterium, dem Bundesfinanzministerium und Ihrem Res-
sort bezüglich der Frage ist, woher schließlich und letzt-
endlich die Mittel für diese Aktion kommen sollen, wenn
Sie schon auf das Hilfsangebot eines Bundeslandes
zumindest nicht positiv reagieren?
Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Punkt eins. Ich
habe den Brief, in dem mir der Ministerpräsident von
Baden-Württemberg 1 Million DM als Unterstützung
angeboten hat, vor zwei, drei Tagen beantwortet. Wie
lange die Post braucht, um einen Brief von hier nach Stutt-
gart zu transportieren, weiß ich nicht. Aber ich habe mich
beim Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg be-
dankt. Er war der Einzige, der sich bereit erklärt hat, diese
Aktion zu unterstützen. Mein herzliches Dankeschön!
Vielleicht ist sein Angebot auch eine Anregung für andere
Ministerpräsidenten.
Punkt zwei zur Frage, woher das Geld kommen
soll : Das AA, das Ressort von Frau Heidemarie
Wieczorek-Zeul und mein Ministerium haben eine Dele-
gation nach Nordkorea geschickt. Es waren auch Vertre-
ter vom World-Food-Program und von Cap Anamur dort.
Es wurde sehr sorgfältig geprüft, in welchem Umfang
Rindfleisch nach Nordkorea geliefert werden kann. Es
wurde festgestellt, dass 6 000 Tonnen monatlich möglich
sind. Dementsprechend haben wir in der Kabinettssitzung
vom letzten Mittwoch beschlossen, dass Hans Eichel und
ich Geldquellen zur Finanzierung der Verschenkungsak-
tion finden werden.
Wir haben bis zum 1. Mai Zeit.
Ich möchte jetzt nicht mehr auf das Thema Nordkorea,
sondern auf ein paar andere Punkte eingehen, die auch an-
gesprochen worden sind, unter anderem auf die Maßnah-
men zur Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche. Ich
sage Ihnen ganz klar: Bei der Bekämpfung der Maul- und
Klauenseuche fahren wir eine Politik der Risikominimie-
rung und bis zu diesem Augenblick nun kann man dreimal
auf Holz klopfen hat sie offensichtlich funktioniert. An-
ders als in England ist in Deutschland viel früher eingegrif-
fen worden. Deshalb haben wir bisher das Glück gehabt,
dass keine positiven Fälle in Deutschland aufgetreten sind.
Ich sage Ihnen auch klar: Ich habe Bedenken bezüglich
einer prophylaktischen Impfung gegen MKS, wenn der
Virus schon ausgebrochen ist, weil mir verschiedene Per-
sonen nicht nur aus meinem Haus, sondern auch von
nachgeordneten Behörden und anderen Institutionen ge-
sagt haben, dass man dann, wenn man zu dem Zeitpunkt
prophylaktisch gegen MKS impft, zu dem die Seuche
schon ausgebrochen ist, die Ausbreitung der Seuche nicht
mehr verfolgen kann. Ich weiß, es gibt auch andere Auf-
fassungen. Ich habe in der Vergangenheit insofern habe
ich meinen Kurs nicht geändert, Herr Lippold und Herr
Heinrich wiederholt im EU-Agrarrat gesagt: Die bishe-
rige Impfpolitik kann nicht fortgesetzt werden.
Der nationale
Krisenstab hat am 26. Februar einen Dreistufenplan be-
schlossen. Die AMK hat am 23. März diese Position über-
nommen und damit sichergestellt Dank Richtung Bay-
ern und anderer Länder, die weit entfernt von den
aktuellen Seuchengebieten liegen , dass für Niedersach-
sen und Nordrhein-Westfalen im Falle eines positiven
Tests sofort klar ist, was zu tun ist. Ich habe auch öffent-
lich gesagt, dass ich der AMK auf deren Wunsch hin am
23. März zugesichert habe, dass ich die grundsätzliche
Frage der Impfpolitik im Agrarrat in Brüssel und auch bei
dem an diesem Wochenende stattfindenden informellen
Treffen weiter ansprechen werde. Ich glaube nicht, dass
uns die Klärung dieser Frage im Augenblick weiterhelfen
wird. Aber wir sind für den Fall, dass ein Tier positiv ge-
testet wird, gerüstet.
Den Ländern, die schon heute eine vorbeugende
flächendeckende Impfung gegen MKS wollen, muss ich
aus Gründen des Respekts sagen: Nicht ich bin für das
Impfen zuständig, sondern die Länder. Sie müssen ent-
sprechende Impfaktionen beschließen und die entspre-
chenden Impfdosen vorhalten. Ich bin die Botin und das
Bindeglied zur EU. Wenn die Länder eine flächen-
deckende Impfung beschließen, werde ich das mit we-
henden Fahnen im Agrarrat verteidigen. Ich habe schließ-
lich auch dafür gesorgt, dass das Notprogramm umgesetzt
wurde, und habe erste gute Erfolge bei den Zootieren er-
zielt. Ich werde weiterkämpfen.
Wenn die Agrarministerkonferenz ihren Beschluss
vom 23. März auflöst und sagt: Wir wollen auch
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16133
prophylaktische Impfungen, werde ich mich mit ent-
sprechender Verve für prophylaktische Impfungen ein-
setzen. Da kenne ich nichts.
Aber noch ist dieses nicht Agrarministerkonzeption, und
noch das wissen Sie alle ist mindestens umstritten,
wie es an dieser Stelle weitergeht. Der Punkt ist auf alle
Fälle der, dass in den letzten Jahren auch die alte Bundes-
regierung meinte, klassische Maßnahmen reichen. Da bin
ich ausnahmsweise einmal ein Stück in Kontinuität.
Jetzt muss ich aber noch zwei, drei Worte zu der Frage
sagen, was ich in dieser Zeit alles gemacht habe. Das
zweite Schlachtprogramm ist verbessert, der Siebenpunk-
teplan befindet sich in Brüssel in einer Veränderungsdis-
kussion. Ein Punkt wird auf deutschen Druck hin wohl
vorgezogen, nämlich dass der Kleegrasanbau auf Stillle-
gungsflächen schon in diesem Jahr erlaubt sein wird. Ich
habe die Bestimmungen über die Führung eines Stall-
buchs unterzeichnet, in dem Bauern und Tierärzte in Zu-
kunft beim Umgang mit Antibiotika genau nachweisen
müssen, wo und bei welchem Tier diese eingesetzt wer-
den. Ich sehe mit Freude Ihrer Zustimmung im Bundesrat
entgegen. Ich sage nur: Das hätten Sie schon 1996 haben
können.
Ich habe zwei Aromastoffe verboten, weil sie karzinogen
sind. Ich werde nächste Woche dem BMJ den Entwurf ei-
ner Legehennenverordnung zusenden. Auch da dürfen
Sie dann zustimmen, wenn es in Zukunft heißt: keine Bat-
terien, keine Käfige mehr für Hühner. Ich habe eine neue
Nutztierverordnung unterschrieben.
Ich habe die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur für
dieses Jahr gemeinsam mit den Ländern mit einem neuen
Schwerpunkt versehen. Das war ein diplomatischer Akt.
Schwerpunkt in diesem Jahr ist die Umstellung auf Öko-
landbau, auf artgerechte Tierhaltung, auf regionale Verar-
beitung und Vermarktung. Das hätten Sie schon vor vie-
len Jahren machen können.
Wir haben die Eckpunkte für die Gemeinschaftsauf-
gabe des Jahres 2002 verabschiedet. Die Arbeitsgruppen
zwischen Bund und Ländern haben angefangen zu arbei-
ten. Wir haben erste Termine mit 26 Verbänden zum
Thema Qualitätssiegel. Das Siegel wird diesen Herbst
kommen, und dann haben die Landwirte wieder einen
Wettbewerbsvorteil. Bei der Krise, die andere organisiert
haben, packen wir uns gemeinsam am Schopf und ziehen
uns heraus.
Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich Ihnen noch mehr
Maßnahmen mitteilen, die ich in meinen noch nicht ein-
mal 100 Tagen Amtszeit ergriffen habe. Aber da will ich
anderen nicht die Redezeit stehlen.
Ich danke Ihnen.
Frau Kollegin, es be-
steht noch der Wunsch nach einer Zwischenfrage. Jetzt
nicht mehr. Danke schön.
Nun erteile ich das Wort der Kollegin Kersten
Naumann für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ausgerechnet immer dann, wenn die
wohlhabenden Länder an Überschuss leiden, stellt sich in
Deutschland die Frage, ob nicht denen etwas abgegeben
werden soll, die Hunger leiden. Das ist auch der Kern-
punkt des F.D.P.-Antrags, auf den ich mich hier konzen-
trieren will.
Ein Vorschlag, medienwirksam in Umlauf gebraucht,
heißt Nordkorea. Die Bedarfsanfrage des koreanischen
Landwirtschaftsministeriums erfolgte auf deutsche Ini-
tiative durch Cap Anamur und nicht, weil die Koreaner
vorher keinen Bedarf gehabt hätten.
In Korea hungern die Menschen. Aber erstens hungern
die Menschen dort nicht erst seit der BSE-Krise. Zweitens
ist diese Tatsache seit Mitte der 90er-Jahre, als die Hun-
gersnot dort wesentlich größer war, bekannt. Drittens
hungern nicht nur dort Menschen. Und schließlich wäre
den hungernden Menschen mit einer wirklichen und ste-
tigen Hungernothilfe wie Getreide oder Milchpulver bes-
ser geholfen.
Schon 1996 hat die PDS Entwicklungszusammen-
arbeit und Hungerhilfe für Nordkorea gefordert. Damals
verhungerten nach jahrelangen Missernten bereits
100 000 Menschen, darunter sehr viele Kinder. Wo war
denn damals der Antrag der F.D.P. für eine Hungerhilfe?
Aber leider Gottes gab es damals in Deutschland keine
BSE-Krise und noch bis heute gibt es keinerlei Entwick-
lungszusammenarbeit mit Nordkorea.
Meine Damen und Herren von der F.D.P., das zeigt
umso deutlicher, worum es Ihnen in Ihrem Antrag eigent-
lich wirklich geht. Hunger fällt Ihnen nur ein, wenn wir
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Bundesministerin Renate Künast
16134
im Überfluss leben. Hier geht es einzig und allein um
Überschussverwertung.
Das ist auch die Einschätzung der NGOs. In ihrem
jahrzehntelangen Kampf um Entwicklungszusammenar-
beit und Nahrungsmittelhilfe sehen sie darin eine Verlet-
zung der Prinzipien des Umgangs mit Nothilfe.
Meine Damen und Herren, die PDS spricht sich klipp
und klar für eine kontinuierliche Hungerhilfe in Nord-
korea aus.
Diese sollte aus den dafür vorgesehenen Töpfen des BMZ
mit den erforderlichen Mitteln und Maßnahmen zur Ver-
fügung stehen.
Aber Hungerhilfe ist in erster Linie eine Frage des
wirksamen und gut handhabbaren Einsatzes von Nah-
rungsmitteln zur Linderung der Not. Tatsache ist doch,
dass sich mit dem gleichen Geld für den Transport von
Frostfleisch, das sinnvoller in wirkliche Nahrungsmittel-
hilfe investiert wird, viel mehr Mäuler stopfen ließen und
noch dazu viel mehr Kinder gerettet werden könnten. Fakt
ist Kollegin Hoffmann hat das eben verdeutlicht , dass
die Hungerhilfe für Nordkorea sogar als Kostenein-
sparungsmaßnahme im Rahmen der Vernichtung des
Fleisches diskutiert wird. Das halte ich schon für makaber.
Erfahrungen der Welthungerhilfe mit einer Lieferung
von 4 500 Tonnen Gefrierfleisch Ende der 90er-Jahre
nach Nordkorea belegen, dass die Vorbedingungen nicht
erfüllt sind. Zwar sind Gefrierlagerkapazitäten vorhan-
den. Was nützt es jedoch, wenn wir das Zeug hier zwar los
sind, dort aber Energiemangel herrscht der Strom wird
öfter abgeschaltet und Gefrierfleisch demzufolge, wie
die Erfahrung zeigt, sogar verklappt werden muss?
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?
Nein.
Wenn in Deutschland wenigstens in die Verarbeitung
zu Dosenfleisch investiert würde! Aber auch was diese
Idee angeht Kollegin Hoffmann hat das vorhin ebenfalls
getan , rechnet man sofort die höheren Kosten vor. Wenn
es schon nur um Kosten geht diese Debatte zeigt das :
Die Rindfleischentsorgung sollte weder aus dem Etat für
Entwicklungszusammenarbeit noch aus dem Agrarhaus-
halt bestritten werden, sondern einzig und allein aus dem
Einzelplan 60, Allgemeine Finanzverwaltung.
Man muss sich einmal darüber klar werden, über wel-
che Dimensionen man hier diskutiert: Von 30 000 Tonnen
Frostfleisch darüber ist gestern ein Beschluss gefasst
worden wird pro Kopf es gibt 23 Millionen Nord-
koreaner gerade einmal 1 Kilo Fleisch ankommen. An-
gesichts der Millionen Rinder, die in Europa vernichtet
werden, macht das Ganze mehr als deutlich: Es geht nicht
wirklich um Nahrungsmittelhilfe und Nothilfe; es handelt
sich um eine populistisch gut verpackte Abfallverwen-
dung des Markthorrors. Auf dem Rücken von Hungern-
den werden Marktbereinigungsinteressen ausgetragen.
Nordkorea wird benutzt, um das deutsche Gewissen zu er-
leichtern.
Aber worin liegt eigentlich das politische Problem,
das hinter der Entsorgung von Fleisch zwecks Nahrungs-
mittelhilfe steht? Fakt ist, dass hoch subventioniertes
Fleisch, produziert mit importierten Futtermitteln aus
dem Süden, nun plötzlich humanitären Zwecken zuge-
führt werden soll. Erst haben wir Entwicklungsländern
die Flächen für ihre eigene Ernährungsbasis entzogen und
nun soll ihnen unter dem Mantel der humanitären Großzü-
gigkeit Hungerhilfe zugeführt werden. Welch ein Irrsinn!
Zur Lösung des grundsätzlichen Problems gehört auch,
dass sich Frau Künast in Brüssel weiterhin dafür einsetzt,
dass Futtermittel, die unter den natürlichen Standortbe-
dingungen Mitteleuropas produziert werden können, auch
in Deutschland produziert werden dürfen, und zwar nicht
nur in Betrieben des Ökolandbaus, auch wenn das in
Brüssel mehr kostet.
Die PDS fordert in Haushaltsdebatten Jahr für Jahr
sie bringt dazu Anträge ein , dass der Umfang der hu-
manitären Hungerhilfe nicht weiter sinkt und dass sich
der Etat für die Entwicklungszusammenarbeit auf 0,7 Pro-
zent des Bruttosozialprodukts beläuft. Dass auch Sie,
werte Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P., diesen
Anträgen nicht zugestimmt haben, stößt gerade nach dem
von Ihnen vorgelegten Antrag auf mein Unverständnis.
Die PDS-Fraktion wird den Antrag der F.D.P. ablehnen
und sie wird sich bei der Abstimmung über den Antrag der
CDU/CSU enthalten, da ein Teil der Forderungen schon
überholt ist und wir unter anderem der Auffassung sind,
dass der Einsatz von antibiotischen Leistungsförderern
nicht erst in eineinhalb Jahren, sondern sofort, auch im na-
tionalen Alleingang, verboten werden muss.
Danke schön.
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich dem Kollegen Koppelin das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon ein starkes Stück,
dass jemand in einer Rede hier allen, egal auf welcher Seite
dieses Hauses sie sitzen außer natürlich der PDS , Vor-
würfe macht, was das Verhalten gegenüber Nordkorea an-
geht. Sie haben mit keinem Wort erwähnt, dass sich die-
ser Staat über Jahre total abgeschottet hat. Vor allem
haben Sie das ärgert mich am meisten mit keinem Wort
den hohen Militäretat in Nordkorea erwähnt. Wenn der
Militäretat dort nicht so hoch wäre, dann hätten die Men-
schen dort wahrscheinlich mehr zu essen. Vielleicht sollte
sich die PDS darum kümmern.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Kersten Naumann
16135
Nun erteile ich der
Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung, Frau Heidemarie Wieczorek-Zeul, das
Wort.
Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte
in dieser Diskussion daran erinnern, dass unser Ministe-
rium bereits seit 1997 durch die Unterstützung des Welt-
ernährungsprogramms Nahrungsmittelhilfe für die Hun-
gernden in Nordkorea leistet. Das Welternährungspro-
gramm erfüllt einen wichtigen Auftrag, indem es Getreide,
Hülsenfrüchte und weitere Produkte der Nahrungsmittel-
hilfe dorthin transportiert und dazu beiträgt, dass diese Pro-
dukte der Bevölkerung zugute kommen.
Die Deutsche Welthungerhilfe leistet insofern eine
bewundernswerte Arbeit, als sie dort durch die Schaffung
von Arbeitsplätzen, etwa in örtlichen Bäckereien, dazu
beiträgt, bei Schulspeisungen 60 000 Kindern zu Brot ver-
arbeitetes Getreide zur Verfügung zu stellen. Ich sage das,
damit nicht der Eindruck entsteht, diese Diskussion sei
neu. Die von mir dargestellte Arbeit findet bereits seit Jah-
ren statt. Es ist wichtig, das zu wissen.
Diejenigen unter Ihnen, die der Meinung sind, die Ent-
scheidung sei einfach, sollten hier das Wort ergreifen. Ich
gestehe freimütig, dass mir der Abwägungsprozess
schwer gefallen ist. Diese Diskussion eignet sich nicht für
Schwarz-Weiß-Debatten.
Auf der einen Seite sagt die Bevölkerung zu Recht,
dass es Wahnsinn ist, wenn BSE-negativ getestetes Rind-
fleisch, das verzehrt werden könnte, verbrannt wird. Auf
der anderen Seite gab es einen über Jahre andauernden
Lernprozess der internationalen Gemeinschaft, an dem
ich selber im Rahmen der Debatten des Europäischen Par-
lamentes beteiligt war. Man kam zu der Erkenntnis, dass
sich Agrarüberschüsse und Überschüsse in der Fleisch-
produktion aus entwicklungspolitischer Sicht generell
nicht für Exporte eignen, weil dadurch die Märkte in den
Entwicklungsländern zerstört werden und damit die Men-
schen auf Dauer abhängig von Nahrungsmittelhilfe wer-
den. Das ist doch die Wahrheit.
Ich werbe doch nur dafür, dass wir den Abwägungspro-
zess gemeinsam nachvollziehen, den die Bundesregie-
rung vollzogen hat.
Frau Ministerin, es
besteht der Wunsch nach einer Zwischenfrage. Gestatten
Sie diese Zwischenfrage?
Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Ja.
Bitte sehr.
Frau Ministerin,
Sie haben gerade den gleichen Sachverhalt erwähnt, den
schon Frau Künast angesprochen hat. Sinngemäß wurde
gesagt: Es gibt in den betroffenen Ländern Hunger; Kin-
der können nicht überleben. Daher wäre Hilfe zwar
nötig. Wir können sie aber nicht leisten, weil wir damit
den Aufbau der Märkte in diesen Ländern behindern
würden. Halten Sie diesen Standpunkt nicht für zy-
nisch?
Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Herr
Kollege, ich bitte um Nachsicht, dass ich nachher auf die-
sen Punkt eingehen werde. Ich werde ihn auf jeden Fall
ansprechen. Aber er gehört in einen Gesamtzusammen-
hang.
Sie hätten aber mehr
Redezeit, Frau Ministerin, wenn Sie direkt antworten
würden.
Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Das
ist richtig. Ich möchte trotzdem fortfahren.
Die Europäische Union hat in den letzten Jahren zu
Recht auf den Export solcher Nahrungsmittelüber-
schüsse verzichtet, weil sie erkannt hat, dass die lokalen
Märkte beispielsweise in Afrika dadurch zerstört worden
sind. Die Bundesregierung gehört der internationalen
Nahrungshilfekonvention an, die 1999 entsprechend
verändert worden ist, um diesen alten Fehlern Rechnung
zu tragen und entsprechende Schlussfolgerungen zu zie-
hen.
Nach der Abwägung der Argumente für und gegen bin
ich zu der Überzeugung gekommen, dass wir in diesem
Sonderfall Nordkorea ist ein Sonderfall liefern sollten.
Andernfalls würde das Fleisch verbrannt, obwohl es eine
Notlage in Nordkorea gibt und es dort keinen lokalen
Markt gibt, der durch diese Lieferung zerstört werden
würde. Wir sind deshalb der Meinung, dass in einem sol-
chen Fall eine Lieferung ausnahmsweise stattfinden kann.
Dazu bekenne ich mich.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116136
Ich werbe also dafür, dass wir nicht nach dem Muster
Das eine ist richtig und das andere ist falsch argumen-
tieren.
Ich komme auf die Punkte zu sprechen, die für uns von
Bedeutung sind: Wir wollen vor allem sicherstellen, dass
das Fleisch der hungernden Bevölkerung und nicht ir-
gendwelchen privilegierten Gruppen oder dem Weltmarkt
zugute kommt. Das ist ein wichtiger Punkt.
Deshalb haben wir die Expertenkommission unter Lei-
tung unseres Ministeriums in das Land geschickt. Nach
der Rückkehr hat diese Kommission deutlich gemacht,
dass es in der Tat notwendig ist, dieser Fehlernährung
entgegenzuwirken; denn es gibt einen akuten Protein-
mangel bei Kindern, schwangeren Frauen sowie bei Alten
und Kranken.
Diese Tatsache müssen auch die Vertreter der PDS
berücksichtigen.
Ich komme jetzt zu einem Punkt, den wir in unseren
Debatten nicht vergessen dürfen. Die Ursachen sie wur-
den eben schon von Ihnen angesprochen sind sehr kom-
plex. Sie hängen zusammen mit dem zurückgehenden An-
teil von Ackerland im Land, mit der langjährigen
Selbstabschottung des Landes, mit der Fehlleitung von
Finanzmitteln des Landes in den Militärsektor das ist
doch die Wahrheit und das muss man sehr deutlich an-
sprechen ,
aber natürlich auch mit der Weigerung, marktwirt-
schaftliche Elemente zuzulassen, und ebenso mit den im-
mer wieder auftretenden Naturkatastrophen.
Ich meine, dass uns die Notwendigkeit langfristiger
Maßnahmen nicht daran hindern darf, jetzt Lieferungen
zu leisten; denn es gibt eine Notlage und unsere Hilfe wird
gebraucht.
Der Vorrednerin von der PDS möchte ich sagen: Wer
sind wir, dass wir, wenn uns die dortige Regierung darum
bittet und wir sicherstellen können, dass das Fleisch
tatsächlich den Bedürftigen zugute kommt, sagen, wir
wissen es aber besser? Ich bitte, das zu berücksichtigen.
Um die Transparenz der Verteilung sicherzustellen,
wollen wir die örtliche Mission des Welternährungspro-
gramms bitten, die Verteilung und Auslieferung vor Ort zu
überwachen und zum Beispiel sicherzustellen, dass die
besonders betroffenen Gruppen der Bevölkerung, bei-
spielsweise Kranke, versorgt werden können. Deshalb
werden Lieferungen vorrangig unter anderem an Kran-
kenhäuser gehen, um die Menschen dort zu erreichen.
In meiner Abwägung vielleicht können Sie das mit
mir vollziehen spielt noch eine andere Frage eine Rolle.
Mit der erbetenen Lieferung ist doch auch ein Zeichen der
Öffnung des Landes verbunden. Die Rindfleischliefe-
rungen für die Menschen in Nordkorea könnten doch auch
einen ersten Schritt für die Öffnung des Landes bedeuten.
Die Öffnung des Landes ist wiederum Voraussetzung und
Grundlage für weitere politische Gespräche und
entwicklungspolitische Möglichkeiten im Interesse der
Menschen des Landes. Deshalb komme ich bei der Ab-
wägung aller Argumente für und gegen zu dem Schluss:
Der umfassende entwicklungspolitische Nutzen spricht
dafür, andere Bedenken zurückzustellen. Ich bitte, das mit
zu vollziehen.
Die Öffnung, die sich in der internationalen Zusam-
menarbeit bezüglich Nordkorea abzeichnet, sollte auch
für andere Bereiche der Außen- und Sicherheitspolitik des
Landes Nordkorea gelten. Die Öffnung darf angesichts
der verhärteten Politik der neuen amerikanischen Regie-
rung nicht verschüttet werden. Auf diese Situation wollte
ich verweisen.
Noch zwei Anmerkungen zum Schluss. Aus dem, was
die Kollegin Künast gesagt hat, wird ersichtlich, dass die
Lieferungen nicht aus Mitteln der Entwicklungszusam-
menarbeit finanziert werden, sondern aus Mitteln, die für
die Folgen der BSE-Krise zur Verfügung gestellt worden
sind. Das ist richtig und auch notwendig.
Zuletzt eine nachdenkliche Anmerkung. Amartya Sen,
der Nobelpreisträger, hat darauf hingewiesen, dass es ei-
nen engen Zusammenhang zwischen Demokratie und
guter Versorgung der Bevölkerung gibt. Er hat gesagt: In
Demokratien gibt es fast niemals Hungersnöte, weil die
öffentliche Berichterstattung, weil die Beteiligung der Zi-
vilgesellschaft an der Diskussion in einem solchen Land
dazu beitragen, dass frühzeitig gehandelt werden kann
und dass falsche Entscheidungen korrigiert werden kön-
nen.
Auch das ist ein Appell, den die Betroffenen hören mö-
gen.
Denn es geht jetzt um einen bestimmten Fall von Hilfe.
Aber wir sind doch alle zusammen dafür verantwortlich,
dass damit im Interesse der Menschen ein Prozess der
Veränderung in Nordkorea insgesamt in Gang gesetzt
wird. In diesem Sinn verstehe ich die Debatte heute hier
im Deutschen Bundestag.
Vielen Dank.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
16137
Bevor ich dem Kolle-
gen Albert Deß das Wort erteile, möchte ich mich mit
Herrn Ronsöhr ins Gespräch begeben. Sie haben Frau
Künast vorgeworfen: Lügen Sie doch nicht dauernd.
Das ist nicht sehr parlamentarisch.
Ich belasse es einmal dabei.
Nun hat das Wort der Kollege Albert Deß, CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Frau Ministerin Künast, wenn Sie
Nahrungsmittelhilfe als Überschussbeseitigung bezeich-
nen, dann beleidigen Sie damit die Bundeswehrpiloten,
die unter Einsatz ihres Lebens im Tiefflug über Somalia
und Äthiopien Nahrungsmittel abgeworfen haben,
um etwas gegen den Hunger dort zu tun.
Die Politik, Überschüsse durch Abgabe an Entwicklungs-
länder zu beseitigen, ist schon in der Ägide der früheren
Regierung eingestellt worden. Ich selber kann mich an
Gespräche im Jahre 1991 mit Vertretern der Bauern aus
Westafrika erinnern.
Es sei eine kurze Rückblende in den Januar 2001 er-
laubt: Ein neuer Politstar betritt in Berlin die Bühne. Mit
schrillen Tönen, flotten Sprüchen und großmundigen
Ankündigungen wurde eine neue Zeitrechnung für die
deutsche Verbraucher- und Agrarpolitik angekündigt. Die
neue Ministerin schließt damit nahtlos an die Sprüche-
klopferei unseres Bundeskanzlers an. Er hat sich Ende No-
vember 2000 angesichts der BSE-Krise für einen tief grei-
fenden Wandel in der Landwirtschaft ausgesprochen. Er
verband die Parole Weg von den Agrarfabriken! mit
einer Perspektive für eine verbraucherfreundliche Land-
wirtschaft. Diese unqualifizierten Aussagen des Bundes-
kanzlers haben den Eindruck erweckt, die Agrarproduk-
tion in Deutschland erfolge in Agrarfabriken und die
bisherige Agrarpolitik sei verbraucherunfreundlich gewesen.
Diese Aussagen haben sehr zur Verunsicherung der Ver-
braucher in Deutschland beigetragen und stellen eine Be-
leidigung für Hunderttausende Bäuerinnen, Bauern und
Beschäftigte in der deutschen Landwirtschaft dar.
Die deutsche Landwirtschaft ist durch die unverant-
wortlichen Aussagen des Bundeskanzlers und die flotten
Sprüche seiner neuen Ministerin in ihrer Gesamtheit an
den Pranger gestellt worden.
Heute, über vier Monate später, hat der Bundeskanzler
trotz wiederholter Aufforderungen nicht definiert, was
eine Agrarfabrik ist. Wenn er dazu schon nicht in der
Lage ist, dann soll er seinen Vorwurf zurücknehmen und
sich bei den Rinder haltenden Betrieben in Deutschland
entschuldigen. Die Rinderhaltung hat am wenigsten etwas
mit Agrarfabriken zu tun.
Bundeskanzler Schröder ist zumindest mitverantwort-
lich für den Abschluss der Agenda 2000. Die Agenda
2000 beschleunigt die Ausrichtung der europäischen
Agrarpreise an den Weltmarktagrarpreisen.
Weltmarktagrarpreise bewirken einen massiven Struktur-
wandel hin zu einer industriellen Agrarproduktion. Bun-
deskanzler Schröder hat die Agenda 2000 unterschrieben
und ihren Abschluss als großen Erfolg dargestellt. Keine
zwei Jahre später kündigt er eine große Wende an. Fazit:
Er muss vor zwei Jahren schlecht verhandelt und die
falsche Richtung eingeschlagen haben.
Frau Ministerin Künast kündigt dann medienwirksam
eine Agrarpolitik nach dem Motto Klasse statt Masse
an. Dieser Spruch passt nahtlos zur Politik dieser Bun-
desregierung. Nach einem Zweiklassensteuerrecht, einer
Zweiklassengesundheitspolitik will Frau Künast eine
Zweiklassenversorgung mit Nahrungsmitteln:
für Bürger mit dicker Brieftasche die Klasse, für die übri-
gen Bürger die Masse. Das Motto für eine vernünftige
verbraucherpolitische Zielsetzung lautet nicht Klasse
statt Masse, sondern Masse muss klasse sein, und zwar
für alle Bürger in unserem Land.
Wenn es nach Frau Künast geht, brauchen wir zukünf-
tig für Landwirte keine Ausbildung mehr.
Es reicht, wenn sie wissen, dass man Kühe mit Wasser,
Gras und Getreide füttert. Frau Ministerin, geben Sie doch
bitte weitere Fütterungsempfehlungen auch für die ande-
ren Nutztiere.
So könnten Sie empfehlen, dass Schweine nur mit Was-
ser, Getreide und Kartoffeln, Hühner nur mit Wasser und
Getreide gefüttert werden sollen. Es wären noch weitere
solcher Empfehlungen denkbar. Ich würde mich nicht
wundern, wenn demnächst in Gesetzen oder Verordnun-
gen festgelegt würde, wie unsere Bauern ihre Tiere füttern
müssen.
Ich bin aber schon überrascht, dass von der Bundesre-
gierung angekündigt wurde, dass demnächst in Deutsch-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116138
land wieder Fischmehl verfüttert werden darf. Ich habe
zwar nichts dagegen, aber es ist doch ein Widerspruch,
dass man dieses erst großmundig verbietet und dann
ankündigt, dass es wieder erlaubt ist.
Ich würde mich nicht wundern und wäre durchaus bereit,
darauf zu wetten, dass irgendwann die Frau Ministerin
hier im Deutschen Bundestag verkündet, dass auch Tier-
mehl wieder in der Tiermästung eingesetzt werden darf.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bis heute
habe ich nicht sehen können, wie und wo Frau Künast ihre
Ankündigungen einer Agrarwende umgesetzt hat. Im Ge-
genteil: Als die Kommission in Brüssel Obergrenzen für
Rinderprämien vorgeschlagen hat, sprach sich Frau
Künast dagegen aus. Man kann ja durchaus über die Be-
rechtigung von Obergrenzen sprechen. Aber einerseits
Agrarfabriken anprangern und andererseits Obergrenzen
ablehnen, das passt schlichtweg nicht zusammen.
In einem Leserbrief im Landwirtschaftlichen Wo-
chenblatt in Bayern vom 10. März war zu lesen:
Ich kann die Auftritte der berufsfremden Ministerin
nicht mehr sehen und hören, denn sie hat keine Ah-
nung, keinen Anstand. Haben wir Landwirte alles
verkehrt gemacht
oder sind wir wirklich so dumm, haben unser Vieh
generationenlang falsch gefüttert, den Boden vergif-
tet, die Luft verpestet, die Landschaft verschandelt,
schlechtes und billiges Fleisch erzeugt?
Das sind Fragen, Frau Ministerin, die mehr als berechtigt
sind. Sie sollten sich nicht nur von Ihrem Aufruf zur Frei-
lassung von der Mitgliedschaft in einer terroristischen
Vereinigung verdächtigter Personen distanzieren,
sondern auch von Ihren unqualifizierten Vorwürfen gegen
die Bäuerinnen und Bauern in unserem Land. Oder sagen
Sie den Bauern doch konkret, was sie bisher falsch ge-
macht haben.
Die Krise in unserem Land erfordert schnelles und ent-
schlossenes Handeln; die Zeit des Schönredens ist vorbei.
Die Landwirte lassen es sich auch nicht mehr gefallen,
dass sie mit falschen Vorwürfen konfrontiert werden und
dass man sie als Täter an den Pranger stellt. Notwendig
sind jetzt konkrete Maßnahmen, um die wirtschaftliche
Existenz unserer bäuerlichen Betriebe zu sichern. Die
Landwirte warten auf konkrete Taten, Frau Künast. Wer
auch künftig neue Agrarpolitik machen will, braucht
dazu Landwirte und leistungsfähige Betriebe. Aufgrund
der jetzigen Krisen und vor allem auch wegen des unent-
schlossenen Handelns gehen die Ausbildungszahlen im
landwirtschaftlichen Bereich sehr zurück. Es ist zu be-
fürchten, dass künftig nicht mehr genügend landwirt-
schaftliche Betriebsleiter zur Verfügung stehen. Green
Card für die grünen Berufe in Deutschland? Das kann
doch wohl nicht die Lösung für die Zukunft sein.
Ich fordere die Bundesregierung auf, die Landwirt-
schaft dahin gehend zu unterstützen, dass eine nachhal-
tige Bewirtschaftung erleichtert wird. Die Nachhaltig-
keit war und bleibt ein ganz besonderes Merkmal unserer
Landwirtschaft.
Unsere Landwirtschaft ist in die Europäische Union
eingebunden. Wir brauchen deshalb einen EU-weiten ver-
bindlichen Verbraucherschutz und vor allem langfristige,
feststehende Absicherungen, damit ein weitsichtiges
Planen auch für unsere landwirtschaftlichen Betriebe
möglich ist. Dazu gehört auch ein gesicherter Finanzrah-
men, der den landwirtschaftlichen Betrieben ein ange-
messenes Einkommen gewährleistet.
Die Bauern in Deutschland sind jederzeit bereit, wei-
tere Auflagen, Vorschriften und Qualitätsnormen zu erfül-
len, wenn diese sinnvoll sind. Unsere Bauern haben aber
im harten Wettbewerb nur dann eine Chance, wenn diese
Standards europaweit umgesetzt und bei den WTO-Ver-
handlungen abgesichert werden. Wo bleiben Ihre Vor-
schläge, Frau Ministerin, zur Modulation der EU-Aus-
gleichszahlungen? Wo bleibt das groß angekündigte
Qualitätssiegel? Wo bleibt das langfristige Verbot der Ver-
fütterung von Tiermehl? Wo bleibt das EU-weite Verbot
der Verwendung von nicht lebensmitteltauglichen Fetten?
In anderen Ländern Europas sind weiterhin Fettschmel-
zen im Einsatz. Wie sollen unsere Bauern Vertrauen in die
Zukunft haben, wenn in Europa mit Rückendeckung der
deutschen Verbraucherministerin eine Seuchenbekämp-
fungspolitik aus dem Mittelalter ich meine den Schei-
terhaufen umgesetzt wird?
Herr Kollege, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.
Ja. Bis heute gibt es auch
kein verantwortbares Vorgehen beim Auftreten eines
BSE-Falles. Die Tötung ganzer Herden bei BSE oder
Maul- und Klauenseuche kann nicht Sinn und Ziel einer
europäischen und deutschen Agrarpolitik sein. Wenn Sie,
Frau Ministerin, diese Politik weiterhin mit vertreten da-
mit komme ich zum Schluss , dann sollten Sie Ihr Mi-
nisterium in Schall-und-Rauch-Ministerium umtaufen.
Dieser Name würde das Ministerium, dem Sie vorstehen,
treffend beschreiben.
Vielen Dank.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Albert Deß
16139
Nun hat die Kollegin
Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Sehr
geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Es ist wirklich unglaublich, nach welch kurzer Zeit
die CSU glaubt, zu den Grundfesten einer Politik zurück-
kehren zu können, die mit Verbraucherschutz das ist ja
das Thema dieser Debatte gar nichts zu tun hat.
Das geht in die Richtung: Man braucht gar nichts zu
tun.
Man ignoriert die Verbrauchernachfrage, die Anliegen des
Umweltschutzes, die Anliegen des Tierschutzes und kehrt
in eine alte Ideologie zurück, obwohl man feststellen
musste, dass uns diese alte Politik in diese Katastrophe
geführt hat, in der wir jetzt stehen.
BSE, Herr Albert Deß, ist doch wohl zu Zeiten der alten
Bundesregierung, die Sie getragen haben, in dieses Land
gekommen und nicht bekämpft worden. Wir haben uns
jetzt mit all diesen Konsequenzen herumzuschlagen.
Herr Lippold hat beklagt, dass die Auseinandersetzung
im Fall der Maul- und Klauenseuche an Schärfe zuge-
nommen hat. Er hat dabei allerdings vergessen zu erwäh-
nen, dass es Herr Sinner ist, der bayerische Verbraucher-
minister, der sich heftig gegen die Impfungen einsetzt,
während Ministerpräsident Koch in Hessen genau das Ge-
genteil tut.
Wir könnten diese Debatte noch ein bisschen fort-
setzen. Aber man muss vielleicht auch ein Stück weit Ver-
ständnis haben das sage ich jetzt nicht polemisch : Das
ist ja eine Debatte, die auf einer sehr ernsten Grundlage
beruht, nämlich auf dem Abwägungsprozess, was in einer
solchen Situation notwendig ist. Es gibt eine berechtigte
Angst von Verbrauchern und von Bauern und natürlich
den Druck auf die politisch Verantwortlichen. Insofern
gibt es hier auch einen entsprechenden Prozess der Aus-
einandersetzung. Ich finde es absolut richtig, dass Frau
Ministerin Künast die Initiative mit ergriffen hat, am
Wochenende die Agrarminister zu treffen und sich mit
dieser Frage auseinander zu setzen.
Selbstverständlich muss es auch eine Diskussion über
einen Plan B geben, nämlich für den Fall, dass die bishe-
rigen konventionellen Maßnahmen der Bestandstötung
und Quarantäne nicht mehr vernünftig funktionieren, für
den Fall, dass es eine Art Schadschwellenüberschreitung
gibt, oder den Fall, dass es außer Kontrolle gerät.
Man muss natürlich auch auf etwas mehr Trennschärfe
in dieser Diskussion achten. Es hat niemand von all den
Beteiligten gefordert, eine prophylaktische Impfung für
die nächsten Jahre durchzuführen, sondern es geht einzig
und allein darum, wie man mit einem konkreten Erreger
und entsprechenden Entwicklungen verfährt. Diese Vor-
bereitung ist bereits eingeleitet worden, auch mit der Un-
terstützung durch Renate Künast. Der erste Erfolg ist mei-
nes Erachtens schon einmal, Zootiere, artgefährdete
Tierrassen zu schützen. Ich denke, in dieser Richtung
muss man weitergehen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, in einer
solchen Situation sollten wir die Krisenbewältigung ge-
meinsam betreiben und an dieser Krisenbewältigung mit-
wirken, statt die Diskussion für eine populistische und
kleinkarierte Auseinandersetzung zu nutzen.
Ich komme, um zur Ursprungsdebatte zurückzukehren,
zu den Maßnahmen für den Verbraucherschutz und zur
Unterstützung der landwirtschaftlichen Betriebe. Der An-
trag der CDU/CSU, über den wir heute debattieren, bleibt
weit hinter dem zurück, was die Koalitionsfraktionen in
ihren Anträgen zur BSE-Bekämpfung und zur Neuorien-
tierung der Landwirtschaft sowie zum Verbraucherschutz
formuliert haben. Was aber das Wichtigste ist: Es ist be-
reits konsequent und schnell gehandelt worden. Über das
rasche Krisenmanagement hinaus sind durch Renate
Künast Schritte zur Neuorientierung der Landwirtschafts-
politik und der Verbraucherschutzpolitik eingeleitet und
die konkreten Schritte für den Verbraucherschutz bereits
getan worden.
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heinrich?
Ja.
Bitte sehr.
Frau Kollegin Höfken, Sie
haben hier gerade populistische Methoden angeprangert.
Ich teile die Meinung. Wie würden Sie dann aber das Ver-
halten der Frau Kollegin Höhn in den letzten Wochen ein-
schätzen?
Das
ist eine einfach zu beantwortende Frage. Genauso wie ich
das Verhalten der Ministerinnen von Hessen und Rhein-
land-Pfalz einschätze, so tue ich das eben auch im Falle
Nordrhein-Westfalens. Das sind die Ministerinnen, die in
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116140
den Ländern in der Verantwortung stehen, die damit ihre
Sorgen zum Ausdruck bringen und natürlich die Diskus-
sion um die Zukunft der Tierbestände in ihren Ländern
führen müssen. Das ist genau diese Sorge, die die Lan-
desminister gegenüber der EU so muss man an diesem
Punkt sagen umtreibt. Die Verantwortung das wissen
Sie auch, Herr Heinrich liegt letztlich bei den Ländern.
Frau Künast hat es so ausgedrückt: Sie ist die Botschaf-
terin hin zur EU und genau diese Funktion nimmt sie ver-
antwortlich wahr.
Wir haben auf deutsche Initiative hin in Europa eine
schnelle Einführung der BSE-Tests erreicht. Auf natio-
naler Ebene wurden die Tests auf Rinder in einem Alter
bis zu 24 Monaten ausgedehnt.
Es wurde erreicht, dass seit dem 14. März dieses
Jahres ein Verbot der Verwendung von Separatoren-
fleisch von Rindern, Schafen und Ziegen besteht.
Deutschland hat sich im Übrigen über diese Maßnahme
hinaus für ein generelles Verbot eingesetzt. Zudem müs-
sen in Zukunft eine entsprechende Verordnung ist schon
auf dem Weg alle verwendeten Fleischsorten in der Zu-
tatenliste angegeben werden. Unsere Maßnahmen sind
also weitreichend.
Die Einfuhr von nicht BSE-getestetem Fleisch ist ein
großes Problem. Dieses Problem ist EU-weit zu lösen.
Dafür setzen wir uns entschieden ein. Nationale Maßnah-
men sind, wie Sie sehr wohl wissen, aufgrund des Binnen-
marktes begrenzt wirksam.
Wir haben ebenso die Frage des Tiermehls sehr ent-
schieden übrigens parteiübergreifend gelöst. Natürlich
setzen wir uns auch auf der EU-Ebene weiter dafür ein,
dass das Verbot der Verfütterung von Tiermehl bestehen
bleibt.
Bezüglich der Verwendung von antibiotikahaltigen
Leistungsförderern ist es in ungeheurer Schnelligkeit zu
einer Ausstiegsperspektive durch die EU-Kommission
gekommen. Auf nationaler Ebene werden wir uns dafür
einsetzen, dass hier sehr schnell eine Lösung zustande
kommt.
Zur Existenzsicherung der Fleischerzeuger um das
letzte Stichwort aufzugreifen : Die Diskussion über das in
diesem Zusammenhang bestehende Ankaufprogramm
ist unglaublich scheinheilig.
Es ist kaum zu fassen: Auf der einen Seite kritisiert gerade
die F.D.P., dass das Ankaufprogramm nicht angelaufen
ist. Auf der anderen Seite besteht das Problem der Trans-
porte. Wie, bitte schön, soll denn das Fleisch nach Nord-
korea kommen? Soll es vielleicht auf fliegenden Teppi-
chen oder in einer anders gearteten Form dorthin
transportiert werden?
Ich finde es zudem unsäglich, dass die Hungernden in
Nordkorea für eine populistische Scheindebatte instru-
mentalisiert werden.
Ich will ganz deutlich feststellen: Ich unterstütze aus
vollem Herzen die Position von Frau Ministerin Künast
und von Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, an diese Ange-
legenheit abwägend und vorsichtig heranzugehen. Das ist
der einzig verantwortbare Weg.
Das Ankaufprogramm ist jedenfalls angelaufen. Es
wird weiter auf der rechtlichen Grundlage der EU zur An-
wendung kommen.
Ich will noch das Stichwort Agrardiesel nennen. Auch
hier haben wir eine Verbesserung der Situation der Erzeu-
ger bewirkt.
Es gibt eine Unterstützung der artgerechten Tierhaltung
und entsprechender Grünlandwirtschaft im Rahmen der
Gemeinschaftsaufgabe. Dies wurde übrigens gemeinsam
mit den Ländern erarbeitet. Es ist auch eine Herabsetzung
der Schlachtgewichte, das heißt eine Umgestaltung der
entsprechenden Prämien, vorgesehen.
Ich möchte Sie auffordern das hat Herr Lippold an-
geboten; das muss ich ihm zugestehen , dass Sie sich
gemeinsam mit uns dieser schwierigen Situation der Kri-
senbewältigung und der Neuausrichtung der Landwirt-
schaft zuwenden.
Danke.
Als Letztem in dieser
Debatte erteile ich das Wort dem Kollegen Matthias
Weisheit für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Ge-
schätzte Kolleginnen und Kollegen! Schon als ich mir die
zur heutigen Debatte vorliegenden Anträge noch einmal
angesehen habe, war mir bewusst: Dabei kann nicht viel
herauskommen. Denn der Inhalt der Anträge ist, soweit er
auf nationaler Ebene umsetzbar ist, durch konsequentes
Handeln der Regierung erledigt. Die Anträge sind über-
flüssig.
Deshalb war es für mich kein Wunder, dass Herr
Lippold hier eine riesige Litanei an Forderungen bezüg-
lich des Verbraucherschutzes vorbringt. Dazu muss ich
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Ulrike Höfken
16141
sagen: Dieses Thema haben Sie offenbar neu erfunden,
seit Sie in der Opposition sind. Denn bisher hat es bei
Ihren Kollegen, deren Position mir seit vielen Jahren aus
dem Agrarausschuss bekannt ist, keine Rolle gespielt.
Das, was Albert Deß in seinem Beitrag, der vonseiten der
CSU kam, angesprochen hat, widersprach zum Teil dia-
metral dem, was Sie vorhin hinsichtlich des Verbraucher-
schutzes gefordert haben.
So habe ich mir die heutige Debatte von vornherein
vorgestellt. Ich erinnere an den Satz, den Bundesminister
Müller letzte Woche gesagt hat, nämlich dass wir eigent-
lich eine bessere Opposition verdient hätten, eine, mit der
man sachlich arbeiten könnte; denn dann könnte man auf
den gesamten Bundestag stolz sein. Aber auf eine solche
Art und Weise, indem man nämlich die Ministerin nur dif-
famiert und sagt, dass all das, was sie macht, schlecht ist,
und dass all das, was man selber will, gut ist, sollte man
nicht miteinander umgehen. Leider ist dies so passiert,
zum Beispiel durch die Zurufe meines geschätzten Kolle-
gen Ronsöhr.
Lieber Herr Kollege Heinrich, um noch einmal auf die
Geschichte mit Nordkorea einzugehen:
Es ist nicht Ihre Politik gewesen.
Vielmehr ist die Sache aus der Öffentlichkeit auf uns zu-
gekommen.
Wir haben sie geprüft und konnten Gott sei Dank zu dem
Schluss kommen: Bei Korea handelt es sich um eine Aus-
nahme, wo wir das machen können. Aber es soll doch nie-
mand sagen und damit persönlich diffamieren, nichts
anderes ist geschehen ,
wer solche Nahrungsmittelhilfe aus Überschüssen der
Industrienationen für schlecht hält, der beleidigt Bundes-
wehrpiloten. Die werfen üblicherweise keine Über-
schüsse ab. Inzwischen wird das Zeug in den benachbar-
ten Regionen gekauft und kommt eben nicht mehr aus
unseren Überschüssen.
Wenn wir mittelfristig aus dieser Zwickmühle heraus-
kommen wollen die darin besteht, dass es auf der einen
Seite in den armen Ländern im Süden hungernde Men-
schen und auf der anderen Seite bei uns Veredelungs-
überschüsse Schweinefleisch, Rindfleisch und anderes
mehr gibt, die eigentlich nur dadurch entstehen können,
dass wir Futter aus Ländern importieren, wo Hunger
herrscht, dann dürfen bei uns nur noch so viele Tiere
gemästet und großgezogen werden, wie wir selber inner-
halb der Europäischen Union ernähren können.
Aber diese Politik hat bisher noch niemand eingeleitet.
Jetzt sagen Sie: Macht es doch endlich! Ja, wir sind dabei.
Sie wissen aber ganz genau, dass wir weder die Ge-
setzmäßigkeiten des Föderalismus in der Bundesrepublik
Deutschland von heute auf morgen umwerfen können da
gibt es Zuständigkeiten; das gilt übrigens auch für die Fi-
nanzierung der BSE-Folgen noch die EU von heute auf
morgen von ihren Beschlüssen abbringen und zum Um-
kehren auf ihren Pfaden bringen können. Das dauert län-
ger. Aber in den Gesprächen, die wir mit unseren Kolle-
gen in wichtigen europäischen Partnerstaaten führen,
stellen wir fest: Es findet ein Umdenken statt. In ein paar
Jahren, beim Mid-Term-Review, sind wir bestimmt so
weit, dass wir in die Richtung marschieren können, dass
die Futtergrundlage, die wir in der EU haben, für die tie-
rische Erzeugung, die wir betreiben, ausreichen muss.
Nur so kommen wir aus diesem Dilemma mit den hun-
gernden Ländern auf der einen Seite und den Überschüs-
sen bei uns auf der anderen Seite heraus.
Lassen Sie mich an dieser Stelle einen ganz bemer-
kenswerten Vorgang aufgreifen. Albert Deß, ich habe mit
großem Vergnügen zur Kenntnis genommen, dass der
Sprecher der CSU und damit auch der gesamten
CDU/CSU-Fraktion hier gesagt hat, wir sollten die 90-
Tiere-Obergrenze, die Herr Fischler gefordert hat, ak-
zeptieren.
Das hast du hier gefordert.
Ich möchte gerne hören, was in Bayern los ist, wenn wir
das akzeptieren würden: Mord und Totschlag! Diese böse
Bundesregierung!
Die 90-Tiere-Obergrenze beträfe nicht nur die Be-
stände in den neuen Bundesländern, sondern die Bestände
in allen Ländern, auch in Süddeutschland. Die 90-Tiere-
Obergrenze ist ein Unfug. Denn von der Zahl der Tiere in
einem Betrieb hängt weder Qualität noch Umweltschutz
oder artgerechte Haltung ab. Von der Fleischmenge kom-
men wir nur herunter, wenn wir das Schlachtgewicht sen-
ken. Darüber verhandelt die Ministerin in Brüssel. Da
kommen wir auch voran.
Die Ministerin hat selber vorhin dargestellt, was sie
alles in dieser kurzen Zeit angestoßen und wo sie sich
durchgesetzt hat. Ich kann deshalb darauf verzichten, das
noch einmal zu tun.
Ich danke für die Aufmerksamkeit und wünsche erhol-
same Ostern.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Matthias Weisheit
16142
Dahin kommen wir
noch nicht, weil nun der Kollege Ronsöhr noch den
Wunsch nach einer Kurzintervention hat. Bitte sehr, Herr
Kollege.
Frau Prä-
sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier
wurde behauptet, nichts aus unserem Antrag sei umsetz-
bar.
Ulrike, ich wäre ja sehr froh, wenn er sich erledigt hätte.
Aber wo ist denn das Verbot des Tiermehltourismus? Du
hast im Ausschuss selbst angekündigt, dass ihr
das steht drin den Tiermehltourismus verbieten wür-
det. Zumindest gibt es eine gesetzliche Grundlage, die wir
gemeinsam mit der Koalition verabschiedet haben. Aber
diese gesetzliche Grundlage wird nicht genutzt.
Was ist mit dem Verbot der Fettschmelzen? Wir sind
uns doch alle einig und verfügen inzwischen auch alle
über entsprechende Erkenntnisse, dass Fettschmelzen
Prionenschleudern sind, die stillgelegt werden müssen.
Wenn wir dies hier problematisieren, tun wir das mit al-
lem Recht.
Im Hinblick auf Antibiotika hat sich unser Antrag doch
auch nicht erledigt. In Europa war die Tür sehr weit offen,
als es um das Verbot der letzten vier antibiotischen Leis-
tungsförderer ging.
Herr Kollege, ich habe doch das in Anführungsstriche
gesetzt.
Es ist ja schön, dass Sie das zur Kenntnis nehmen.
Wenn ein solches Verbot aber erst im Jahre 2005 greift,
dann ist dies aus unserer Sicht nicht der richtige Zeit-
punkt.
Wir haben zehn antibiotische Leistungsförderer in un-
serer Regierungszeit verboten.
Jetzt wird im Grunde genommen innerhalb einer Legisla-
turperiode europaweit kein weiteres Antibiotikum verbo-
ten. Solche Tatbestände sind so unmöglich, dass eine Op-
position sie zu Recht aufarbeiten muss.
Meine Damen und Herren, Ähnliches gilt für den öko-
logischen Landbau. In Bayern wird ganz anders als bei-
spielsweise in Nordrhein-Westfalen gefördert. Nordrhein-
Westfalen fördert mit 191 DM, Bayern mit 707 DM.
Schauen Sie sich die Verbreitung des ökologischen Land-
baus in Baden-Württemberg an und vergleichen Sie dies
mit Nordrhein-Westfalen, mit Schleswig-Holstein oder
dem Land, das der Kanzler früher als Ministerpräsident
regiert hat!
Jetzt müssen Sie zum
Schluss kommen. Ihre Redezeit ist beendet.
Frau Prä-
sidentin, ich bedanke mich für diesen Hinweis.
Wir haben keine Belehrungen nötig. Eher muss die rot-
grüne Koalition belehrt werden.
Zu einer Erwiderung
erteile ich der Kollegin Höfken das Wort.
Man
könnte den Gesinnungswandel der CDU/CSU in gewisser
Weise begrüßen, wäre sie denn in den Abstimmungen, in
den Konzepten und in der Durchsetzungsstrategie auch
in den Ländern konsequent. Aber wenn das ein Angebot
war, in Zukunft in Richtung Verbraucher-, Umwelt- und
Tierschutz zu gehen, nehmen wir das gerne auf.
Allerdings wies die Rede des Kollegen Albert Deß lei-
der in eine ganz andere Richtung. Er argumentierte nach
dem Motto, jedes landwirtschaftliche Produkt sei gleich,
es gebe keine Unterschiede, Ökolandbau sei mieser
Kram und im Grunde nicht geeignet, um der steigenden
Nachfrage gerecht zu werden. Sie müssen eine Abkehr
von der Sichtweise finden, dass es in der Landwirtschaft
keine unterschiedlichen Angebote zu geben brauche.
Auch Sie müssen einen neuen Weg finden, um der Nach-
frage der Verbraucher zu entsprechen. Dafür bietet Öko-
landbau eine riesige Chance. Wir werden sie wahrneh-
men und haben uns 10 Prozent in fünf Jahren und
20 Prozent in zehn Jahren zum Ziel gesetzt. Dies halten
wir für eine positive Entwicklung der Landwirtschaft ins-
gesamt.
Zum Zweiten möchte ich Sie an die Diskussionen er-
innern, die wir um die Herausnahme des Risikomaterials
geführt haben. Damals haben Sie, Herr Ronsöhr, mit aller
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16143
Kraft dafür gekämpft, dass das nicht passiert. Ein weite-
res Beispiel ist das Tiermehl. Es hat sehr viel Energie ge-
kostet, Tiermehl in Futtermitteln endlich zu verbieten.
Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, dann hätten wir bis
heute keine BSE-Erkrankungen festgestellt, weil alles
verdeckt worden wäre. Das gleiche gilt für Antibiotika.
Wir haben unglaubliche Diskussionen darüber geführt, ob
die tägliche Einnahme von antibiotischen Leistungsförde-
rern unvermeidlich ist.
Ich finde, wir kommen erst jetzt an einen Punkt, an
dem wir uns gemeinsam verständigen müssen, um viel-
leicht in Zukunft eine gute Verbraucherpolitik zu betrei-
ben.
Danke.
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir stimmen ab über die Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit
dem Titel Sofortmaßnahmen zur Verbesserung des Ver-
braucherschutzes und zur Unterstützung der landwirt-
schaftlichen Betriebe erforderlich, Drucksache 14/5722.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/5544 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? Gegenprobe! Enthaltungen? Mit den
Stimmen der Fraktion der SPD und der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen ist diese Beschlussempfeh-
lung angenommen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5479 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Damit sind Sie ein-
verstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Regelung des Rechts der Untersuchungs-
Drucksache 14/2518
Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Dr. Wolfgang Gerhardt, Jörg van Essen,
Rainer Funke, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Regelung des Rechts der Un-
tersuchungsausschüsse des Deutschen Bundes-
tages
Drucksache 14/2363
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung
Drucksache 14/5790
Berichterstattung:
Abgeordnete Hermann Bachmaier
Andreas Schmidt
Hans-Christian Ströbele
Jörg van Essen
Dr. Evelyn Kenzler
Zu diesen Gesetzentwürfen liegt ein Änderungsantrag
der PDS-Fraktion vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. Damit sind Sie
einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Hermann Bachmaier, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Mei-
ne verehrten Kolleginnen und Kollegen! Vor mehr als
einem Jahr haben wir in erster Lesung die beiden Gesetz-
entwürfe der Koalitionsfraktionen und der F.D.P.-Frak-
tion im Bundestag beraten. Damals hatte ich immer noch
meine Zweifel, ob es uns nach 50 Jahren endlich gelin-
gen würde, der Arbeit der Untersuchungsausschüsse des
Deutschen Bundestages eine vernünftige gesetzliche
Grundlage zu geben. Es sieht aber so aus, als ob dieser
mittlerweile achte Versuch endlich Erfolg haben wird.
Besonders erfreulich ist, dass der heute zu beschließende
Gesetzentwurf eine breite, möglicherweise einstimmige
Zustimmung erfahren wird.
Dies ist gut so und wird dem Gesetz über seine rechtliche
Verbindlichkeit hinaus hohe Legitimation für die Arbeit
zukünftiger Untersuchungsausschüsse mit auf den Weg
geben.
Es ist schon interessant, der Frage nachzugehen, worin
denn die Gunst der Stunde besteht, dass wir gerade jetzt,
während der Parteispenden-Untersuchungsausschuss noch
höchst kontrovers um Erkenntnisse und Ergebnisse ringt,
die Kraft aufbringen, endlich die gesetzlichen Grundlagen
für die weitere Arbeit von Untersuchungsausschüssen zu
schaffen. Möglicherweise haben gerade die höchst unter-
schiedlichen Erfahrungen der Fraktionen in diesem Un-
tersuchungsausschuss mit dazu beigetragen, die längst
überfällige gesetzliche Regelung zu schaffen. Schließlich
ist es ein entscheidendes Anliegen des Gesetzes, das Ver-
fahren zukünftig so zu strukturieren, dass die Sacharbeit
in Untersuchungsausschüssen nicht im ständigen Verfah-
renshickhack zu ersticken droht.
Entscheidend war sicherlich auch, dass einerseits die
Koalitionsfraktionen die zum Teil bitteren Erfahrungen in
ihrer Oppositionszeit noch nicht vergessen haben und an-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Ulrike Höfken
16144
dererseits die heutige Opposition mittlerweile gelernt hat,
dass auch Untersuchungsausschüsse Regeln benötigen,
die ein gerechtes und zügiges Verfahren und somit eine
vernünftige Sacharbeit ermöglichen.
Machen wir uns aber keine Illusionen! Trotz dieses
recht gelungenen ersten Untersuchungsausschussgesetzes
des Deutschen Bundestages wird es auch in Zukunft hef-
tigen Streit um den richtigen Weg zur Aufklärung und vor
allem um die Bewertung der in den Ausschüssen ge-
wonnenen Erkenntnisse geben. Dies ist gut und richtig so,
denn Untersuchungsausschüsse sind keine gerichtlichen
Entscheidungskörper und sollen es auch nicht sein in
denen am Ende ein allgemeingültiges Urteil gesprochen
wird. Es wird immer mehrere und unterschiedliche Beur-
teilungen geben. Dieses Gesetz soll allerdings dazu bei-
tragen, dass die Auseinandersetzungen mehr um die Sa-
che und weniger um das jeweilige Verfahren geführt
werden.
Dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf hat die gründ-
liche parlamentarische Beratung gut getan. Er ist besser,
realitätsgerechter und in seinen Folgen weitreichender
geworden als die Entwürfe, die ihm zugrunde lagen. Das
ist nicht immer so.
Nach einer hochinteressanten Sachverständigenanhö-
rung, einer höchst informativen Berichterstatterreise in
die USA und gründlichen Berichterstattergesprächen un-
ter Einbeziehung vielfältiger weiterer Anregungen haben
wir ein, wie ich meine, recht gutes Untersuchungsaus-
schussgesetz entwickelt. Dieses Gesetz führt nicht nur die
bisherigen Streitfragen einer vernünftigen Lösung zu,
sondern wird zukünftigen Untersuchungsausschüssen
auch neue Impulse geben.
Unser Ziel war es, das Verfahren zügiger, effizienter
und ergebnisorientierter auszurichten. Die interessanteste
Neuerung dabei ist sicherlich die gesetzlich geschaffene
Möglichkeit, in Zukunft einen Ermittlungsbeauftragen
bzw. eine Ermittlungsbeauftragte dem Untersuchungs-
ausschuss zuzuordnen und ihn bzw. sie mit Vorermittlun-
gen zu beauftragen. Wenn der Untersuchungsausschuss
von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, bleiben ihm
mühsame und zeitraubende Vorstrukturierungen erspart.
Der Untersuchungsausschuss weiß auch möglicherweise
früher als bislang, was er von den jeweils zu ladenden
Zeugen zu erwarten hat.
Es kann dann schon im Vorfeld Wesentliches leichter von
Unwesentlichem getrennt werden. Das Verfahren kann
konzentrierter und zügiger vorangebracht werden.
Allerdings werden diejenigen, die in Zukunft einen Er-
mittlungsbeauftragten bzw. eine Ermittlungsbeauftragte
fordern, viel Fingerspitzengefühl benötigen, wenn es da-
rum geht, eine geeignete Person vorzuschlagen, die neben
Erfahrung, Kompetenz und Sachverstand
auch gleichzeitig das notwendige Vertrauen aller Grup-
pierungen im Untersuchungsausschuss haben muss. Das
in § 10 des Gesetzentwurfs vorgesehene Verfahren zwingt
dazu, über den eigenen politischen Tellerrand hinaus zu
denken. Mir fallen viele Personen mit höchst unterschied-
lichem politischen Hintergrund ein, die ich mir für diese
interessante Aufgabe vorstellen könnte.
Einen Punkt möchte ich noch besonders hervorheben,
weil sich gerade an ihm in der Vergangenheit immer wie-
der heftiger und unnötiger Streit entzündet hat. Die Frage,
wann welche Zeugen zu vernehmen sind und in welcher
Reihenfolge die jeweilige Vernehmung zu erfolgen hat,
haben wir durch einen ganz einfachen Verweis gelöst. In
Zukunft werden die Regeln der Geschäftsordnung des
Deutschen Bundestages im Untersuchungsausschuss
dann sinngemäß angewendet, wenn sich die unterschied-
lichen Gruppierungen nicht auf ein vernünftiges Verfah-
ren verständigen können. Dieser unersprießliche und fast
jeden Untersuchungsausschuss begleitende Streit, der die
Arbeit nicht selten schwer belastet und manchmal fast er-
stickt hat, wird, so meinen wir, bald der Vergangenheit an-
gehören.
Ein weiterer Punkt: In Zukunft wird für alle Verfah-
rensstreitigkeiten, für die nicht von vornherein das Bun-
desverfassungsgericht zuständig ist, der Bundesgerichts-
hof bzw. der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof
zuständig sein. Die Folge ist, dass es nur noch eine Instanz
gibt. Die Konsequenz ist, dass schnell und zügig Rechts-
sicherheit geschaffen wird. Außerdem wird sich durch die
Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs auch schnell eine
gefestigte Rechtsprechung für alle alltäglichen Streitfra-
gen eines Untersuchungsausschusses herausbilden, so-
dass viele Verfahren überflüssig werden dürften.
Diese Regelung wird ihre Wirkung auf grundlos un-
willige Zeugen und diejenigen, die die Herausgabe von
Beweismitteln grundlos verweigern, nicht verfehlen.
Auch die deutliche Erhöhung der Ordnungsgelder auf bis
zu 10 000 Euro wird bei denjenigen, die ihren Pflichten
gegenüber einem Untersuchungsausschuss nicht nach-
kommen wollen, nicht ohne Wirkung bleiben.
Während der Beratungen haben wir uns auch intensiv
mit der Frage der Fernsehöffentlichkeit von Zeugenver-
nehmungen im Untersuchungsausschuss beschäftigt und
eine Vielzahl von Gesprächen mit sachkundigen Personen
geführt. Die jetzt gefundene Lösung führt zu einer behut-
samen Öffnung und lässt Fernsehübertragungen von Zeu-
genvernehmungen dann zu, wenn zwei Drittel der Mit-
glieder des Untersuchungsausschusses und die jeweils
betroffene Zeugin oder der betroffene Zeuge derartigen
Aufnahmen zustimmen. Ich meine, dass wir damit den
schwer in Einklang zu bringenden Belangen der Wahr-
heitsfindung, des Persönlichkeitsschutzes und des Öffent-
lichkeitsprinzips des Parlaments hinreichend Rechnung
tragen.
Wir konnten dabei auch nicht außer Acht lassen, dass
das Bundesverfassungsgericht erst jüngst Fernsehübertra-
gungen von Gerichtsverhandlungen und vor allem auch
von Zeugenvernehmungen strikt untersagt hat. In unse-
rem Verfassungssystem sind eben anders als in den Ver-
einigten Staaten von Amerika der Mediengesellschaft
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Hermann Bachmaier
16145
nach wie vor gewisse Grenzen gesetzt. Auch dies hatten
wir zu berücksichtigen.
Wir haben uns auch mit der im Parteispenden-Unter-
suchungsausschuss höchst umstrittenen und brisanten
Frage des Rechtes der Auskunftsverweigerung von
Zeugen intensiv auseinandergesetzt. Ich habe viel Ver-
ständnis für den Ärger meiner Kolleginnen und Kollegen
im Parteispenden-Untersuchungsausschuss, die häufig
mit einer Wand des Schweigens konfrontiert sind, wenn
zentrale Zeugen vor dem Ausschuss erscheinen. Dennoch
war für uns der Grundsatz, dass letztlich kein Zeuge ge-
zwungen werden kann, sich durch seine Aussage der Ge-
fahr einer strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen, immer
unbestritten. An eine Lockerung dieses rechtsstaatlichen
Grundprinzips in Untersuchungsausschüssen wäre des-
halb nur dann zu denken gewesen, wenn gleichzeitig ei-
nem aussagebereiten Zeugen zugesichert werden könnte,
dass ihm aus dem dann geschilderten Sachverhalt keine
strafrechtliche Verfolgung mehr droht.
Wir haben uns sehr ernsthaft und gründlich mit dieser
Frage auseinandergesetzt, auch in langen Gesprächen, die
wir in den Vereinigten Staaten geführt haben; denn dort
das wissen Sie gibt es eine andere Regelung. Einen so
weitgehenden, dem Kronzeugenprinzip angenäherten
Verzicht auf Strafverfolgung, ausschließlich bezogen auf
ein parlamentarisches Untersuchungsausschussverfahren,
haben wir letztlich nicht gewollt. Auch das Untersu-
chungsrecht des Parlamentes sollte dort seine Grenzen
finden, wo die Ermittlungsmöglichkeiten in einem ge-
richtlichen Strafverfahren enden.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geben wir
zukünftigen Untersuchungsausschüssen eine vernünftige
rechtliche Grundlage. Wir erheben nicht den Anspruch,
dass wir damit für alle Zeit alle Streitfragen erledigt hät-
ten. Jedes neue Gesetz muss sich zunächst in der Praxis
bewähren.
Das heute zu beschließende Untersuchungsausschuss-
gesetz ist eine Chance, Untersuchungsausschussarbeit
in Zukunft sachorientierter in Angriff zu nehmen und
schneller als bisher zu Ergebnissen zu kommen. Das Ge-
setz liefert aber nur einen vernünftigen Rahmen und, wie
wir meinen, ein vernünftiges Verfahren. Damit ist noch
nicht gewährleistet, dass sich die konkrete Arbeit an die-
sen Zielvorstellungen orientiert. Mit Leben erfüllt werden
muss dieses Gesetz erst durch die Parlamentarierinnen
und Parlamentarier, die in Zukunft in Untersuchungsaus-
schüssen Verantwortung tragen.
Manches wird nicht mehr nach den eingefahrenen
Schemata der letzten 50 Jahre gehen. Daran werden sich
diejenigen gewöhnen müssen, die sich in dieser Grauzone
bislang gut eingerichtet haben. Die eigentliche Bewäh-
rungsprobe steht dem heute zu beschließenden Gesetz
erst noch bevor.
Vielen Dank an diejenigen, die an dieser schwierigen
Aufgabe im Parlament, in den Ministerien und vor allem
auch in dem Sekretariat des Geschäftsordnungsaus-
schusses so tatkräftig mitgewirkt haben.
Herzlichen Dank.
Ich erteile dem Kolle-
gen Andreas Schmidt für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
Frau Prä-
sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird heute dem vorlie-
genden Entwurf zum Untersuchungsausschussgesetz in
der Fassung der Beschlussempfehlung des Geschäftsord-
nungsausschusses zustimmen. Dieses Gesetz ist aufgrund
der Erfahrungen, die wir im laufenden Untersuchungsaus-
schuss mit der rot-grünen Mehrheit gemacht haben, drin-
gend notwendig und in der Sache geboten.
Wir erreichen mit diesem Gesetz drei wichtige Ziele:
Erstens. Die Minderheitenrechte werden in zentralen
Punkten gestärkt.
Zweitens. Die einseitige parteipolitische Instrumenta-
lisierung eines Untersuchungsausschusses durch die
Mehrheit wird durch das Gesetz zwar nicht gänzlich
ausgeschlossen, aber zumindest erschwert.
Drittens. Minderheit und Mehrheit erhalten durch
das Gesetz gemeinsam die Chance, sich gegenseitig zu
zwingen, sich in künftigen Untersuchungsausschüssen
konzentrierter und zielgerichteter am eigentlichen Unter-
suchungsauftrag zu orientieren. Wir haben im Untersu-
chungsausschuss die wichtige Erfahrung gemacht, dass
sich hier etwas ändern muss.
Zu einer parlamentarischen Demokratie gehört nicht
nur die Debatte. Zur Demokratie gehört vor allen Dingen
auch der Streit. Für diesen notwendigen Streit gibt es in
einem Rechtsstaat Spielregeln. Das heute hier vorlie-
gende Untersuchungsausschussgesetz wird nach seiner
Verabschiedung zu diesen Spielregeln gehören. Ich finde,
es ist ein Wert an sich, wenn die Spielregeln für die strei-
tigen Auseinandersetzungen im Konsens beschlossen
werden.
Ich begrüße daher sehr, dass es uns gelungen ist, in die-
sem Punkt einen solchen Konsens, eine gemeinsame Po-
sition, erreicht zu haben.
Ich habe gerade gesagt, dass die Erfahrung, die wir im
laufenden Untersuchungsausschuss mit der rot-grünen
Mehrheit gemacht haben, der entscheidende Grund dafür
ist, dass die Union den vorliegenden Gesetzentwurf für
notwendig und richtig hält. Die rot-grüne Mehrheit im
Untersuchungsausschuss hat in den vergangenen Mona-
ten gegen jedes rationale Aufklärungsinteresse diesen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Hermann Bachmaier
16146
Ausschuss in einer unglaublichen Art und Weise zu partei-
politischen Zwecken gegen die Union instrumentalisiert.
SPD und Grüne haben immer wieder gegen besseres Wis-
sen, ohne Belege oder Beweise zu haben, den Verdacht
kolportiert, es gebe einen Zusammenhang zwischen
Spenden und bestimmten Entscheidungen der früheren
Bundesregierung.
Um diese Diffamierungskampagne fortsetzen zu kön-
nen, hat Rot-Grün die Vernehmung der entscheidenden
Zeugen, die diese schweren Vorwürfe hätten aufklären
können, über Monate nicht zugelassen. Unseren Anträ-
gen, den ehemaligen Bundeskanzler, Dr. Kohl, und die
übrigen Regierungsmitglieder zu Beginn dieses Untersu-
chungsausschusses als Zeugen zu vernehmen, hat sich die
Mehrheit aus rein parteitaktischen Gründen über Monate
widersetzt.
Der entscheidende Vorteil des Untersuchungsaus-
schussgesetzes liegt darin, dass eine einseitige Festle-
gung der Zeugenreihenfolge aus rein parteitaktischen
Gründen zukünftig nicht mehr möglich sein wird.
Durch das Gesetz wird sichergestellt, dass auch die Min-
derheit das Recht hat, eine Vernehmung von ihr benann-
ter Zeugen zeitnah und sachgerecht zu terminieren. Das
ist für mich der entscheidende Fortschritt durch dieses
Gesetz.
Wenn dieses Gesetz schon bei Einsetzung des laufen-
den Untersuchungsausschusses Geltung gehabt hätte,
wären auf unseren Antrag hin zum Beispiel die Zeugen
Kohl, Genscher und Stoltenberg zu Beginn der Arbeit des
Untersuchungsausschusses vernommen worden. Der
Ausschussvorsitzende Neumann hätte dann viele Monate
früher als er es jetzt getan hat vor der Öffentlichkeit
zugeben müssen, dass beispielsweise die Vorwürfe der
Bestechlichkeit bezüglich der Panzerlieferung völlig ge-
genstandlos sind.
Das heute zu verabschiedende Gesetz wird formal erst
für den nächsten Untersuchungsausschuss Geltung haben;
darüber sind wir uns einig. Wir erwarten allerdings, dass
die rot-grüne Mehrheit auch im laufenden Untersuchungs-
ausschuss den klaren Willen des Gesetzgebers akzeptiert
und zur Kenntnis nimmt, dass auch die Minderheit das
Recht haben soll, die Reihenfolge der Vernehmung der
Zeugen mitzugestalten.
Wir haben im laufenden Untersuchungsausschuss eine
zweite Erfahrung gemacht, die dazu geführt hat, dass wir
heute sagen: Wir brauchen dieses Gesetz. Wir wissen
heute Sie können das nicht bestreiten , dass auch die
SPD massiv gegen das Transparenzgebot des Grundge-
setzes und gegen das Parteiengesetz verstoßen hat,
und zwar durch eine systematische Verschleierung eines
riesigen Beteiligungsvermögens. Der Untersuchungsauf-
trag im laufenden Untersuchungsausschuss verlangt auch
hierüber Aufklärung.
Unsere Erfahrung ist völlig eindeutig: Rot-Grün hat
immer dann, wenn es für die SPD unangenehm wurde,
ihre Mehrheit missbräuchlich eingesetzt,
indem sie unsere Beweisanträge zur Aufklärung des
SPD-Parteivermögens durch Abstimmung für unzulässig
erklärt hat. Die rot-grüne Arroganz der Macht gegenüber
unseren Minderheitenrechten war nur deshalb so scham-
los möglich, weil uns aufgrund der geltenden Rechtslage
kein Rechtsmittel gegen dieses missbräuchliche Verhalten
zur Verfügung gestanden hat. Das neue Gesetz bringt hier
eine wichtige Verbesserung. Durch das neue Unter-
suchungsausschussgesetz erhält eine Fraktion das Recht,
bei Ablehnung eines eigenen Beweisantrages den Rechts-
weg zum BGH zu beschreiten.
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Wiefelspütz?
Ja, sehr
gerne, Herr Kollege.
Bitte sehr.
Lieber Herr Kollege
Schmidt, können Sie uns eigentlich verraten, warum wir
uns fraktionsübergreifend auf das neue Untersuchungs-
ausschussgesetz verständigt haben?
Herr
Kollege Wiefelspütz, wir machen das gemeinsam, weil es
bei Ihnen doch noch einige nachdenkliche Leute gibt,
die erkennen, dass sich die Arroganz der Macht, die sie im
Untersuchungsausschuss an den Tag gelegt haben, jetzt
gegen sie selbst richtet.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Andreas Schmidt
16147
Damit dies nicht noch einmal geschieht, sind sie offen-
sichtlich zu der Erkenntnis gelangt, dass es richtig ist, hier
etwas zu verändern.
Ich nenne Ihnen ein zweites Argument: Sie müssen
natürlich damit rechnen das wissen Sie auch , bald wie-
der eine Minderheit zu sein,
und Sie wollen nicht, dass wir dann Ihre Erfahrungen nut-
zen und mit Ihnen genauso umgehen, wie Sie es mit uns
als Minderheit getan haben.
Herr Kollege
Wiefelspütz möchte eine weitere Zwischenfrage stellen.
Ich denke aber, ich lasse diese Frage nicht mehr zu, weil
die Zeit inzwischen fortgeschritten ist.
Herr Kollege, Sie dürfen fortfahren.
Ich will
im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf zwei wei-
tere Punkte ansprechen:
Erstens. Wir schaffen mit dem Gesetz die neue Institution
eines Ermittlungsbeauftragten im Untersuchungsaus-
schussverfahren. Ich sage Ihnen ganz klar: Weder Kenneth
Starr noch Herr Hirsch haben hierbei Pate gestanden; bei
unserer Diskussion über die neue Funktion waren sie eher
abschreckende Beispiele. Der Ermittlungsbeauftragte hat
lediglich darüber sind wir uns einig im Innenverhältnis
eine dienende Funktion. Er soll nämlich die Arbeit des
Untersuchungsausschusses vorbereiten und dadurch hel-
fen, die Arbeit zu straffen und zu forcieren.
Zweitens. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schrei-
ben wir den Grundsatz fest, dass Fernsehübertragungen
aus einem Untersuchungsausschuss grundsätzlich nicht
zulässig sind. Diese Position ist nach meiner Auffassung
richtig und wichtig, weil eine Fernsehübertragung eher der
parteipolitischen Instrumentalisierung als der Wahrheits-
findung dient und die Persönlichkeitsrechte der Zeugen
bei einer Fernsehübertragung übermäßig beeinträchtigt
würden. Im Wege des Kompromisses haben wir die Mög-
lichkeit ins Gesetz geschrieben, eine Ausnahme von der
Regel zuzulassen. Allerdings ist die Hürde dafür durch
eine notwendige Zweidrittelmehrheit im Ausschuss und
die notwendige Zustimmung des Zeugen bewusst sehr
hoch angesetzt worden. Nach den bisher geltenden IPA-
Regeln hatte der Ausschussvorsitzende allein über die
Zulässigkeit von Fernsehübertragungen zu entscheiden.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir eine
klarere Rechtslage und zementieren den Grundsatz: Öf-
fentlichkeit im Untersuchungsausschuss ja, Fernseh-
übertragungen prinzipiell nein.
Der Konsens im Hinblick auf den Gesetzentwurf, den
wir partei- und fraktionsübergreifend begrüßen, war auch
deshalb möglich, weil sich der Kollege Ströbele mit sei-
ner Vorstellung, Zeugenrechte einzuschränken, nicht
durchsetzen konnte.
Die rechtsstaatlichen Prinzipien müssen auch in einem
Untersuchungsausschussverfahren Geltung haben. Des-
halb ist es wichtig und richtig, dass im Gesetzentwurf klar
und unmissverständlich festgestellt wird: Die Aussage-
verweigerungsrechte der Strafprozessordnung haben
uneingeschränkt Geltung auch im Untersuchungsaus-
schussverfahren.
Ich möchte als abschließenden Punkt das Thema Be-
troffenenstatus ansprechen. Wir haben diesen Status im
Gesetzentwurf ausdrücklich nicht geregelt. In diesem
Punkt hat es keinen Konsens, keine Einigung gegeben.
Aber wir sind uns einig, dass der Gesetzentwurf im Hin-
blick auf die Geltung des Art. 44 des Grundgesetzes den
Betroffenenstatus im Einzelfall nicht ausschließt. Des-
halb haben wir in den Bericht folgende Formulierung zu
§ 20 des Gesetzentwurfs einvernehmlich aufgenommen:
Bei Erörterung des Verzichts auf einen gesetzlich
vorzusehenden Betroffenenstatus und vor dem Hin-
tergrund der weiterhin von Art. 44 GG angeordneten
sinngemäßen Anwendung der Regeln über den Straf-
prozess war dem Ausschuss bewusst, dass eine über
die Regelungen des Untersuchungsausschussgeset-
zes hinausgehende Zuerkennung von Rechten für
Zeugen in bestimmten Sonderkonstellationen durch
die Rechtsprechung nicht ausgeschlossen werden
könne.
Als Fazit halte ich fest: Aufgrund der gemachten Er-
fahrungen im laufenden Untersuchungsausschuss halten
wir den vorliegenden Gesetzentwurf für notwendig und
zielführend. Mit diesem Gesetzentwurf, vor allem durch
die Stärkung der Minderheitenrechte, stellt sich der Ge-
setzgeber eindeutig gegen den Missbrauch der rot-grü-
nen Mehrheit im laufenden Untersuchungsausschussver-
fahren.
Die CDU/CSU-Fraktion wird deswegen dem Gesetzent-
wurf in zweiter und dritter Lesung zustimmen.
Auch ich möchte abschließend die Gelegenheit nutzen,
um mich für die sachgerechte und sachliche Diskussion
zu bedanken, die ohne Kameras stattfand.
Ich bedanke mich auch bei den Mitarbeitern, die uns hilf-
reich zur Seite gestanden haben. Ich glaube, wir be-
schließen heute ein wichtiges und notwendiges Gesetz.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hans-Christian Ströbele für die Fraktion
von Bündnis 90/Die Grünen.
legen! Das Parlament gibt sich kurz vor Ostern ein Gesetz
für die Arbeit des Parlaments, um die Kontrolle, eine der
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Andreas Schmidt
16148
wichtigsten Aufgaben des Parlaments, in Zukunft noch
besser ausüben zu können. Den vorliegenden Gesetzent-
wurf werden wir wahrscheinlich einstimmig verabschie-
den. Das wäre prima. Dass die CDU/CSU mitmacht das
ist schon signalisiert worden , ist sehr gut.
Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass der Kollege
Schmidt,
anstatt die Platte aus dem Untersuchungsausschuss hier
noch einmal abzuspielen, einige kleine selbstkritische
Äußerungen gemacht hätte. Herr Kollege Schmidt, Sie
hätten ruhig erwähnen können, dass Sie am Anfang, als
das Gesetz eingebracht und die Begleitmusik in der Öf-
fentlichkeit gemacht worden ist, gegen das Gesetz und ge-
gen die Ausdehnung der Minderheitenrechte gewesen
sind, obwohl Sie in der Opposition sind, und zwar des-
halb, weil Sie Ihre Rolle in der Opposition vor einem Jahr
noch nicht richtig gefunden hatten.
Sie hätten sich auch kritisch dazu äußern können,
warum Sie eigentlich in den 16 Jahren, in denen Sie mit
anderen hier die Mehrheit hatten die F.D.P. war ja schon
früher für ein solches Gesetz, sie hat auch einen eigenen
Entwurf eingebracht , nicht die Gelegenheit wahrge-
nommen haben, ein vernünftiges, schönes, gutes Gesetz
ähnlich wie dieses zu verabschieden. Dann wären all
Ihre Litaneien, die Sie uns heute wieder dargeboten ha-
ben, nicht nötig gewesen, weil sie im laufenden Untersu-
chungsausschuss nach diesem Gesetz hätten verfahren
können. Auch diese Chance haben Sie verpasst.
weil sie sich in ihrer Regierungstätigkeit, in ihrer Tätig-
keit als Mehrheitskoalition nicht stören lassen wollten.
Das war nicht sehr demokratisch, aber das waren die Fak-
ten.
Die Bündnisgrünen und die SPD, das heißt die neue
Koalition,
haben mit dieser Vergangenheit gebrochen, sind über
ihren Schatten gesprungen
und haben gesagt: Wir schaffen jetzt ein Gesetz, aufgrund
dessen die Minderheit, die Opposition CDU/CSU und
F.D.P., aber auch die ganz kleine Fraktion in Zukunft das
Recht bekommt zu sagen: An dem Tag hätten wir gerne
einen bestimmten Zeugen vernommen. Sie haben in Zu-
kunft einen Rechtsanspruch darauf,
das jedenfalls in der Reihenfolge, die die Geschäftsord-
nung des Bundestages auch in anderen Fällen vorsieht,
durchzusetzen.
Das ist eine ganz positive Neuerung, wozu man als
große Mehrheit in diesem Hause über seinen Schatten
springen musste. Wir hätten uns gewünscht, Sie hätten
diese Größe damals gehabt oder hätten jetzt mindestens
die Größe, heute hier anzuerkennen, dass wir dies getan
haben, dass wir also insoweit die Rechte der Opposition
und der Minderheiten ernst nehmen.
Das Hervorragende an dem Gesetz ist also erstens da-
rauf ist von beiden Vorrednern hingewiesen worden ,
dass diese Minderheitsrechte geschaffen worden sind. In
der nächsten Legislaturperiode, wenn wir wieder einen
Untersuchungsausschuss haben,
können Sie maßgeblich mitbestimmen, wann Herr
Dr. Kohl oder andere Zeugen gehört werden. Das ist für
die Zukunft sicherlich auch für Sie eine Errungenschaft,
weil Sie ja weiterhin in der Opposition bleiben
und dann das Handeln Ihrer früheren Regierung besser
mit uns aufklären können.
Eine zweite wichtige Änderung ist, dass wir uns in Zu-
kunft an eine moderne Entwicklung anpassen. Wir alle sit-
zen viel vor dem Fernseher, hören viel Radio und wün-
schen uns vielleicht manchmal, auch die Aussage so
bedeutender Zeugen wie des Herrn Dr. Kohl live im Fern-
sehen miterleben zu können, um nicht darauf angewiesen
zu sein, wie es heute geschieht, dass er vor dem Saal für
die Weltöffentlichkeit erzählt, was im Untersuchungsaus-
schuss zur Sprache gekommen ist.
Mit unserem Gesetz öffnen wir ein bisschen die Tür. Mit
Zweidrittelmehrheit kann der Ausschuss die Fernsehüber-
tragung beschließen, allerdings nur mit Zustimmung der
betroffenen Person. Es gab schon entsprechende Signale.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Hans-Christian Ströbele
16149
Der dritte wesentliche Punkt auch das erleichtert die
Arbeit des Untersuchungsausschusses in Zukunft ist,
dass seine Arbeit durch Rechtsmittel in Zukunft wirksa-
mer und auch glaubwürdiger überprüft werden kann. Es
ist ja heute so, dass ein Richter früher am Amtsgericht
in Bonn, jetzt am Amtsgericht Tiergarten , ein Assessor,
der vielleicht erst drei Monate in diesem Amt ist wir ha-
ben diese Erfahrung gemacht darüber entscheidet, ob
eine Entscheidung, die ein Untersuchungsausschuss des
Deutschen Bundestages mit Mehrheit getroffen hat, Gül-
tigkeit behalten soll. Wir meinen, dass darüber der Bun-
desgerichtshof in Karlsruhe bzw. in Leipzig entscheiden
muss. In Zukunft wird darüber also ein Ermittlungsrichter
entscheiden. Es gibt die Beschwerdemöglichkeit und die
Möglichkeit, vor dem Bundesverfassungsgericht zu kla-
gen. Das ist eine ganz wichtige Veränderung.
Nun komme ich zu einer Neuerung, die wir in der
letzten Phase der Beratungen am letzten Sitzungstag
eingebaut haben. Kurz vor Ostern ist es richtig und wich-
tig, zu erwähnen, dass diese Neuerung eine Errungen-
schaft ist.
Mit diesem neuen Gesetz wir haben nicht alte Gesetze
nachgebessert oder neu formuliert haben wir uns als Ge-
setzgeber auf ein ganz neues Feld gewagt. In diesem Ge-
setzentwurf ist zum ersten Mal nicht nur von der Vorsit-
zende, sondern auch von die Vorsitzende, nicht nur
von der Stellvertreter, sondern auch von die Stellver-
treterin die Rede. In diesem Gesetzentwurf heißt es an-
ders als in allen anderen Gesetzen das gilt auch für die
Strafprozessordnung nicht nur der Zeuge, sondern
auch die Zeugin. Dass es Frauen in all diesen Bereichen
gibt, findet seinen Niederschlag darin, dass sie im Gesetz
benannt werden.
Wenn der Gesetzgeber seine Forderungen ernst nimmt
in diesem Fall handelt es sich um eine Forderung, de-
ren Umsetzung sich die Koalition von Anfang an vorge-
nommen hat , dann ist das ein gutes Signal an die Öf-
fentlichkeit.
Wir setzen mit diesem Gesetz in dieser Hinsicht Maß-
stäbe. Wir hoffen, dass der Gesetzgeber, dieses Parlament,
dieses Vorhaben auch in Bezug auf andere neue Geset-
zeswerke beherzigen wird.
Ich war und ich bin dafür allerdings war diese Posi-
tion auch in meiner eigenen Fraktion bisher nicht mehr-
heitsfähig , dass in Zukunft Auskunftsverweigerungs-
rechte von Zeugen nicht ignoriert werden, sondern in
anderer Weise goutiert werden, so wie es beispielsweise
im Rechtsstaat Vereinigte Staaten von Nordamerika der
Fall ist.
Das heißt, dass der Ausschuss in wenigen, wichtigen Ein-
zelfällen die Möglichkeit haben sollte, einen Zeugen zu
einer Aussage zu veranlassen, wenn er Fragen nicht be-
antworten möchte, die für die Aufklärungsarbeit des Un-
tersuchungsausschusses von entscheidender Bedeutung
sind. Das sollte allerdings mit der Maßgabe geschehen,
dass der Zeuge wegen dieser Aussage strafrechtlich nicht
zur Verantwortung gezogen werden kann und dass eine
Immunitätsregelung geschaffen wird, wie sie für die
US-Amerikaner selbstverständlich ist.
Wir sind extra in die Vereinigten Staaten geflogen, um
die Erfahrungen der USA in dieser Angelegenheit kennen
zu lernen. In den USA verstehen kein Abgeordneter
ganz egal, von welcher Partei , kein Mitarbeiter, kein
Staatsanwalt, kein Zeuge, kein Wissenschaftler und kein
Journalist, wie in Deutschland ein Untersuchungsaus-
schuss arbeiten kann, ohne die Möglichkeit zu besitzen, ei-
nen Zeugen dazu zu veranlassen, von seinem Auskunfts-
verweigerungsrecht, das er grundsätzlich hat, nicht
Gebrauch machen zu dürfen und stattdessen eine Immu-
nitätsregelung in Anspruch nehmen zu müssen.
Eine solche Regelung fehlt in diesem Gesetzentwurf;
dennoch ist dieses Gesetz ein erster wichtiger Schritt in
Richtung Kodifizierung der Rechte eines Untersuchungs-
ausschusses. Ich sehe diesen Schritt als Anfang. Ich bin si-
cher, dass wir Erfahrungen machen werden. Dieses Ge-
setz wird in 50 Jahren anders als heute aussehen.
Zusätzliche Erfahrungen, die man in Untersuchungsaus-
schüssen macht, werden zu wichtigen Neuerungen
führen. Irgendwann wird dieses Gesetz eine Regelung
enthalten, die die Arbeit des Untersuchungsausschusses
noch effektiver macht, als sie heute schon ist.
Ich wünsche uns allen, dass wir diesen Gesetzentwurf
mit gutem Gewissen verabschieden und damit einen
wichtigen Schritt in die richtige Richtung tun.
Ich erteile dem Kolle-
gen Jörg van Essen für die F.D.P.-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein guter Tag für den
Deutschen Bundestag. Wer die vielen Versuche kennt, zu
einem Untersuchungsausschussgesetz zu kommen, der
weiß, wie schwierig der hinter uns liegende Weg war. Alle
Beteiligten freuen sich sehr darüber, dass alle Fraktio-
nen der Bundestag hat zu einer einheitlichen Meinung
gefunden; das gilt vom einen bis zum anderen Ende des
Plenarsaals diesem Gesetzentwurf zustimmen.
Ich freue mich besonders als Angehöriger der F.D.P.-
Bundestagsfraktion über diese einheitliche Meinung, weil
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Hans-Christian Ströbele
16150
sie ein Beispiel dafür ist, wie eine Oppositionsfraktion
durch einen vernünftigen Vorschlag dazu beitragen kann,
dass man zu Regelungen kommt, die von allen Fraktionen
akzeptiert werden.
Wir waren die ersten, die unmittelbar nach der Bundes-
tagswahl einen entsprechenden Gesetzentwurf einge-
bracht haben, der sich in dem heutigen Entwurf wiederfin-
det. Sowohl der Entwurf der F.D.P.-Bundestagsfraktion als
auch der Entwurf der Regierungskoalition ist ja Grundlage
für unsere Einigung geworden.
Ich denke, dass wir einen ganz besonders günstigen
Zeitpunkt erwischt haben. Wir Liberalen sind immer für ein
solches Gesetz gewesen. Aber wir mussten in der Vergan-
genheit erkennen, dass insbesondere die CDU/CSU-Frak-
tion schwieriger von der Notwendigkeit zu überzeugen
war. Deswegen war es uns während unserer Koalitionszeit
leider nicht gelungen, ein Untersuchungsausschussgesetz
auf den Weg zu bringen. Erst die Erfahrungen als Minder-
heit, die von Ihnen vorgetragen worden sind, haben zu ei-
nem Sinneswandel beigetragen.
Es war auch deshalb ein günstiger Zeitpunkt dies ist
von Ihnen, Herr Bachmaier, schon angesprochen wor-
den , weil Sie natürlich noch wussten, wie es ist, wenn
man als Minderheit überstimmt wird. Ich bin froh, dass
wir diesen günstigen Zeitpunkt genutzt haben, um ein Ge-
setz auf den Weg zu bringen, das nach meiner Auffassung
die Untersuchungsausschussarbeit ganz erheblich er-
leichtern und, wie ich hoffe, auch versachlichen kann.
Was ist für uns wichtig? Für uns Liberale ist insbeson-
dere wichtig, dass es einen Ermittlungsbeauftragten
gibt. Die Vorteile des Ermittlungsbeauftragten sind von
den anderen Rednern schon angesprochen worden; ich
brauche sie also nicht zu wiederholen. Ich will aber auf ei-
nen Aspekt hinweisen, der gerade für die kleinen Fraktio-
nen ganz außerordentlich wichtig ist: Im Gegensatz zu den
großen Fraktionen haben wir nämlich keinen Stab, den wir
unseren Mitgliedern im Untersuchungsausschuss zur Ver-
fügung stellen können. Der Ermittlungsbeauftragte hinge-
gen arbeitet für alle. Deshalb können gerade die kleinen
Fraktionen in besonderer Weise von seiner Arbeit profi-
tieren.
Ich denke, dass das eine Entwicklung befördern kann,
wie wir sie gerade im Augenblick beim laufenden Unter-
suchungsausschuss erleben. Ich sehe mit großem Vergnü-
gen, dass Sie, Herr Kollege Stadler, aber auch Sie, Frau
Kollegin Kenzler von der PDS, von den Journalisten, die
die Arbeit des Untersuchungsausschusses begleiten, in
besonderer Weise hervorgehoben werden, weil Sie mit ru-
higen, sachlichen und an der Aufklärung orientierten Fra-
gen zur Arbeit des Untersuchungsausschusses beitragen.
Ich denke, dass Ihre Arbeit ein Lob verdient, weil sie
stilbildend ist. Gerade Sie, die Sie auf eine wirklich ver-
nünftige Vorgehensweise des Untersuchungsausschusses
hinwirken, werden durch dieses Untersuchungsaus-
schussgesetz und durch die Einsetzung des Ermittlungs-
beauftragten in besonderer Weise in Ihrer Arbeit gestärkt.
Darüber freue ich mich sehr.
Ich will darauf hinweisen, dass auch für uns wichtig ist,
dass als Ermittlungsbeauftragter eine Persönlichkeit ge-
funden werden muss, die von allen Seiten des Hauses an-
erkannt wird. Deshalb haben wir aus guten Gründen eine
Zweidrittelmehrheit für die Ernennung dieses Beauftrag-
ten vorgesehen. Jemand, der sich nur in der Öffentlichkeit
profilieren will und der etwas aus der Vergangenheit auf-
arbeiten will, ist für diese Position nicht geeignet. Es muss
jemand sein, der für alle Seiten des Hauses akzeptabel ist
und der an der Sache orientiert arbeitet.
Ein zweiter Punkt, der mir im Zusammenhang mit dem
Untersuchungsausschussgesetz wichtig ist, Herr Kollege
Ströbele, ist, dass wir Ihren Vorstellungen mit einer brei-
ten Mehrheit nicht nachgekommen sind.
Wie die Vereinigten Staaten von Amerika, obwohl sie ein
Rechtstaat sind, für uns, bezogen auf die Vollstreckung
von Todesurteilen, kein Vorbild sein können,
können sie nach meiner Auffassung auch kein Vorbild
sein, was den Umgang mit originären Rechten von Zeu-
gen, insbesondere den Umgang mit Auskunftsverweige-
rungsrechten anbelangt.
Ich danke daher insbesondere dem Kollegen
Bachmaier auch ihm war dies ein Anliegen , dass wir
in die Rechte der Zeugen, insbesondere in das Aus-
kunftsverweigerungsrecht, nicht eingegriffen haben.
Ich glaube, dass das ein wichtiges Signal ist.
Ich will aber auch deutlich machen, dass es einen Punkt
gibt, an dem ich die Freude, die der Kollege Ströbele vor-
hin gezeigt hat, nicht ganz teile. Ich habe großes Ver-
ständnis für den Anspruch der Kolleginnen die Frauen
bilden ja die Mehrheit in unserem Lande , dass sie sich
auch in der Gesetzessprache wiederfinden wollen.
Ich fand es gut, dass wir den Versuch einer geschlechts-
neutralen Formulierung unternommen haben. Dies ist ein
erster Einstieg. Ich denke aber, dass dadurch die Lesbarkeit
nicht unbedingt verbessert wurde. Um allerdings zu einer
genauen Bewertung zu kommen, müssen wir die gesam-
melten Erfahrungen auswerten. Es macht mich nachdenk-
lich, dass es insbesondere Kolleginnen waren, die mich
angesprochen und gefragt haben, ob das, was wir in die-
sem Zusammenhang gemacht haben, wirklich gut gewe-
sen sei.
Aber das beeinträchtigt natürlich nicht die Qualität des
Gesetzes insgesamt. Es war ein unterstützenswertes
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Jörg van Essen
16151
Vorhaben, dass sich die Mehrheit der Bundesbürger das
sind nun einmal Frauen im Gesetzestext wiederfinden
kann. Deshalb findet dieses Gesetz unsere ausdrückliche
Zustimmung.
Wir appellieren daran ich bin deshalb ein bisschen er-
staunt, Herr Kollege Schmidt, dass ein Teil der Stimmung
im Ausschuss auch in Ihren Redebeitrag hinüberge-
schwappt ist , dass die Untersuchungsausschussarbeit
versachlicht wird. Das dient dem Parlament insgesamt.
Es dient insbesondere der Minderheit. Mit Polemik ge-
winnt man nichts. Man gewinnt kein Vertrauen und man
kommt der Wahrheit kein Stückchen näher.
Deshalb, denke ich, ist das ein Punkt, an den in diesem
Zusammenhang noch einmal erinnert werden muss. Das
Untersuchungsausschussgesetz wird jedenfalls dazu bei-
tragen, dass das Ganze sachlicher wird, und das ist gut.
Vielen Dank.
Jetzt hat die Kollegin
Dr. Evelyn Kenzler für die PDS-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es grenzt schon fast an ein
Wunder, dass wir heute vor der Verabschiedung eines Un-
tersuchungsausschussgesetzes des Deutschen Bundesta-
ges stehen. Endlich ist die Ablösung der IPA-Regeln aus
der 5. Wahlperiode in greifbare Nähe gerückt. Nach di-
versen Anläufen und nachdem fast neun Wahlperioden
vergangen sind, liegen nun klare gesetzliche Vorgaben auf
dem Tisch. Das ist ein deutlicher Fortschritt für die Arbeit
zukünftiger Untersuchungsausschüsse.
Auch wenn es unüblich ist, politische Konkurrenten im
Parlament zu loben: Die Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen wie auch der F.D.P. haben für
das Zustandekommen des vorliegenden Entwurfs durch
ihre fundierten Vorschläge eine anerkennenswerte und
wichtige Grundlage geschaffen.
Am Ende waren es aber auch die Berichterstatterge-
spräche, die, überaus konstruktiv und ergebnisorientiert,
zu einem parteiübergreifenden Kompromiss geführt ha-
ben, einem Kompromiss, von dem ich glaube, dass er
keine Verlierer kennt. Das ist wichtig für die Arbeit der
zukünftigen Ausschüsse; dies wurde hier schon mehrfach
betont.
Aber auch ein guter Gesetzentwurf ist nicht so gut, dass
er nicht noch verbessert werden könnte.
Die Praxis wird insbesondere da, wo Neuland betreten
wurde, beispielsweise bei der Einsetzung eines Ermitt-
lungsbeauftragten, zeigen, ob und inwieweit an der ei-
nen oder anderen Stelle später noch nachgebessert werden
muss.
Aber auch die Tatsache, dass wir einen Kompromiss
zustande bekommen haben, ist erfahrungsgemäß nicht
nur von Vorteil. So sind im Vorfeld besonders kontrovers
diskutierte Fragen der Kollege Ströbele ist bereits darauf
eingegangen; ich denke hier nur an das Auskunftsver-
weigerungsrecht von Zeugen oder auch an die Frage des
Verhältnisses von Untersuchungsausschussmitgliedern zu
Zeugen bei der Regelung bewusst ausgeklammert wor-
den, um das Gesamtprojekt nicht zu gefährden. Diese Fra-
gen werden uns dennoch auch in Zukunft weiter beschäf-
tigen.
Schließlich dürfen wir nicht die öffentliche Kritik ver-
gessen, dass Untersuchungsausschüsse oft hinter den an
sie gestellten Erwartungen zurückbleiben. Wir können
deshalb auch bei der heutigen Debatte nicht der Frage
nach dem Sinn solcher Untersuchungsinstrumente aus-
weichen. Denn das Untersuchungsausschussgesetz hat
wesentlichen Einfluss darauf, ob ein Ausschuss seinen
Auftrag flexibel, ergebnisorientiert und zeitgemäß abar-
beiten kann oder ob er durch bürokratische, streitträchtige
und ineffektive Regelungen blockiert wird. Den Praxis-
test muss unser Gesetz erst noch bestehen; aber ich denke,
wir haben eine gute Grundlage geschaffen.
Nun noch zu einem Punkt mit gewissem Neuigkeits-
wert; das ist unser Änderungsantrag. Auch wenn es bei der
Stärkung parlamentarischer Minderheiten durchaus Be-
wegung gegeben hat das erkenne ich an , hat der vorlie-
gende Entwurf beispielsweise bei diesem Punkt durchaus
noch Reserven. Wir schlagen vor, dass ein parlamentari-
scher Untersuchungsausschuss im Falle von Minderheits-
enqueten nicht erst dann eingesetzt werden kann, wenn
ein Viertel der Bundestagsabgeordneten einen entspre-
chenden Antrag stellt. Vielmehr soll jede Fraktion unab-
hängig von ihrer Stärke bzw. sollen mindestens 5 Prozent
der Abgeordneten die Möglichkeit dazu erhalten.
Damit würden Fraktionen unterhalb der 25-Prozent-
Grenze nicht darauf angewiesen sein, sich bei der Einset-
zung in die Abhängigkeit von größeren Fraktionen zu be-
geben. Es steht nicht zu befürchten, dass durch eine solche
Absenkung des Einsetzungsquorums eine Flut von Unter-
suchungsausschüssen auf uns zukommt. Jede Fraktion
wird sich in Anbetracht der jetzigen Erfahrungen nämlich
sehr gut überlegen, ob sie einen solchen Antrag stellt;
denn es besteht ja die nicht geringe Gefahr, dass der An-
trag scheitert.
Aus diesem Ansatz ergeben sich eine Reihe von Fol-
geänderungen für die Arbeit von Untersuchungsausschüs-
sen, damit die antragstellende Minderheit in die Lage ver-
setzt wird, ihr Untersuchungsinteresse durchzusetzen,
ohne dabei von größeren Fraktionen blockiert zu werden.
Die antragstellende Minderheit sollte unter anderem
größere Rechte bei der Einberufung von Sitzungen, der
Einsetzung eines Ermittlungsbeauftragten, der Beweis-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Jörg van Essen
16152
erhebung, der Festlegung der Reihenfolge der Zeugen-
vernehmungen usw. erhalten.
Darüber hinaus sollte die antragstellende Fraktion
grundsätzlich, das heißt unabhängig von ihrer Größe, ge-
stärkt werden: Die Antragsteller sollten zukünftig den
Vorsitzenden stellen können und im Ausschuss beispiels-
weise auch als erste das Fragerecht erhalten. Dem liegt die
Überlegung zugrunde, dass die Antragsteller naturgemäß
das größte Interesse an einer zügigen Aufklärung des
Untersuchungsgegenstandes und Erledigung des Unter-
suchungsauftrages haben. Somit würde die gesamte Aus-
schussarbeit effektiver werden.
Auch wenn Sie unserem Änderungsantrag wider Er-
warten nicht zustimmen sollten wobei ich davon aus-
gehe, dass gerade die F.D.P. und das Bündnis 90/Die Grü-
nen gewisse Sympathien für die Intentionen des Antrages
haben ,
werden wir im Interesse einer gemeinsamen Arbeits-
grundlage und eines möglichst breiten Konsenses dem
heute vorliegenden Entwurf zustimmen.
Nun hat das Wort die
Kollegin Erika Simm, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im vorigen Jahr konnte
ich mit einer kleinen Delegation im österreichischen Na-
tionalrat über unsere Erfahrungen mit Minderheits-
untersuchungen, also Minderheitsenqueten, berichten. In
Österreich gibt es so etwas bisher nicht. Es war schon et-
was eigenartig, zwar Erfahrungen vermitteln zu können,
aber auf die Frage, seit wann wir ein Untersuchungs-
ausschussgesetz hätten, beschämt eingestehen zu müssen,
dass das deutsche Parlament ein solches bis heute noch
nicht zustande gebracht habe.
Heute verabschieden wir ein Gesetz. Bis vor kurzem
hätten nur wenige geglaubt, dass es zustande käme. Wenn
ich mit Kollegen, Journalisten und Wissenschaftlern da-
rüber gesprochen habe, haben sie an die Erfahrungen aus
der Vergangenheit erinnert und Skepsis geäußert, ob wir
es diesmal schaffen würden.
Ich möchte deswegen einen kurzen Rückblick geben,
weil ich denke, dass vor dem Hintergrund der Historie zu-
sätzlich deutlich wird, wie wichtig das Erreichte ist: In der
Vergangenheit hat es sowohl außerhalb als auch innerhalb
des Bundestages unendlich viele Anläufe gegeben. Drei
Juristentage waren diesem Thema gewidmet, einer be-
reits während der Weimarer Republik. Bereits der erste
der bis heute 33 Untersuchungsausschüsse, der sich da-
mals schon mit der Hauptstadtfrage befasste, plädierte
1951 wir begehen also das 50-jährige Jubiläum für
eine Verfahrensordnung, um gerade die Minderheiten-
rechte sicherzustellen. Gleichzeitig sollte über die Reich-
weite des Aussage- und Zeugnisverweigerungsrechtes
Klarheit geschaffen werden.
Im Jahre 1961 gab es Empfehlungen der Konferenz der
Präsidenten der Länderparlamente. 1972 folgte ein Mus-
terentwurf auf Länderebene. Im Ergebnis waren uns die
Länder voraus. Die meisten Landtage verfügen teil-
weise schon länger über das hier immer wieder ange-
strebte Gesetz.
1967 trat die viel zitierte IPA die Interparlamenta-
rische Arbeitsgemeinschaft in Erscheinung. Deren
Entwurf von 1969 die so genannten IPA-Regeln bildet
bis heute die Sondergeschäftsordnung für unsere Unter-
suchungsverfahren. Die Enquete-Kommission Verfas-
sungsreform hat dann 1976 Vorschläge unterbreitet. Ihr
folgten Fraktions-, Gruppen- und Ausschussinitiativen.
Seit dem ersten Vorschlag in der 5. Wahlperiode hat es bis
einschließlich der 13. Wahlperiode elf Vorstöße gegeben.
Wichtig für die weiteren Beratungen bis zur heute vorge-
legten Fassung waren die Bemühungen des Ausschusses,
dessen Vorsitzende ich jetzt bin.
In der 10. Wahlperiode hat der 1. Ausschuss unter sei-
nem damaligen Vorsitzenden Manfred Schulte einen ei-
genen Entwurf erarbeitet und eingebracht. Dieser Entwurf
ist in der 11. Wahlperiode von einer Gruppe von Abge-
ordneten aus CDU/CSU, SPD und F.D.P. wieder aufge-
griffen worden. Er war zusammen mit einer SPD-Initia-
tive, durch die ein Mehr an Minderheitsrechten gewährt
werden sollte, die Basis für die weitere Arbeit im Ge-
schäftsordnungsausschuss. Dort hat man sich damals
genauso wie heute auf einen gemeinsamen Text ver-
ständigt. Er hatte eine große Chance, verabschiedet zu
werden, ist letzten Endes aber das muss ich leider zuge-
ben am Widerstand aus meiner Fraktion gescheitert.
Diese Ausschussfassung der 11. Wahlperiode hat Maß-
stäbe gesetzt. Sie ist in der Folge mehrfach wiederbelebt
worden und hat unverkennbar auch bei beiden Entwürfen
der jetzigen Wahlperiode Pate gestanden.
Auch dieses Mal haben wir es uns nicht einfach ge-
macht. Ich habe nachgezählt: Neun Ausschusssitzungen
und eine Anhörung haben stattgefunden; daneben gab es
zehn Berichterstattergespräche,
nicht zu vergessen die vielen informellen Kontakte im
Hintergrund und Vorfeld.
Meines Erachtens kann sich das Ergebnis sehen lassen.
Dem Bundestag und zwar im Bundestag ist es gelun-
gen, dieses Gesetzesprojekt zu verwirklichen. Dabei will
ich die freundliche Unterstützung aus dem Justizministe-
rium und dem Innenministerium nicht unterschlagen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Dr. Evelyn Kenzler
16153
Aber wir waren bei diesem Parlamentsgesetz doch in ers-
ter Linie auf uns gestellt.
Ich finde es sehr wichtig, dass wir einen Konsens er-
zielt haben. Das ganze Haus trägt dieses Gesetz mit, das
ja einen wesentlichen Aspekt aus dem Aufgabenbereich
eines Parlamentes regelt. Ich begrüße es sehr, dass alle
Seiten zugestimmt und abweichende Vorstellungen zu
Einzelfragen zugunsten des Gesamtergebnisses, Herr
Ströbele, hintangestellt haben.
Bedanken möchte ich mich bei allen, die zu unserem
erfolgreichen Abschluss beigetragen haben. Das sind
zunächst diejenigen aus der Vergangenheit, die ich na-
mentlich nicht aufzählen kann; einen Namen habe ich ge-
nannt: Manfred Schulte. Mein Dank gilt aber vor allem
den jetzigen Berichterstattern des 1. Ausschusses, von de-
nen mehrere zugleich Mitglied im laufenden Untersu-
chungsausschuss sind und die sich trotzdem oder viel-
leicht gerade deswegen engagiert und konstruktiv an den
Beratungen beteiligt haben.
Als Parlamentarier sind wir aber auch auf Zuarbeit und
Unterstützung angewiesen. Diese haben wir aus den bei-
den bereits genannten Bundesministerien, den Fraktionen
und vor allem auch aus dem Ausschusssekretariat unter
der Leitung von Herrn Dr. Winkelmann erhalten.
Ihnen allen möchte ich meine Anerkennung für das Ge-
leistete aussprechen.
Nun hat der Kollege
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten für die CDU/CSU-
Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Manchmal
dauern Dinge etwas länger, zum Beispiel das Gesetz über
die Untersuchungsausschüsse. Seit Jahrzehnten wurde
darüber diskutiert, es wurden Entwürfe vorgelegt und in
Ausschüssen verabschiedet. Aber im Plenum des Bundes-
tages fanden sie, mal auf der linken Seite, mal in der
Mitte, keine Mehrheit. Im Schatten des jetzigen Untersu-
chungsausschusses aber hat es nun endlich eine Überein-
stimmung für ein solches Gesetz gegeben, weil die Un-
zulänglichkeiten gerade bei diesem sehr emotional
ablaufenden Untersuchungsausschuss gezeigt haben, dass
es Zeit wird, zumindest einen Rahmen zu schaffen.
Ob nun die Abkürzung PUAG für Parlamentarisches
Untersuchungsausschussgesetz besonders glücklich ist,
Herr Wiefelspütz, oder nicht, sei dahingestellt.
Auch kann die Besonderheit der geschlechtsneutralen Be-
zeichnung meines Erachtens nur eine Nebensache sein,
auch wenn Herr Ströbele es als besonders wichtig ansieht.
Wichtig ist für mich, dass nun das Gesetz vorliegt, das
sich in den nächsten Jahren in der Praxis bewähren muss.
Es wird gegebenenfalls aufgrund von Erfahrungen verän-
dert oder verbessert werden, zum Beispiel in Bezug auf
das Betroffenenstatut. Dies gilt sowohl für die Rechte
der Minderheit in der Regel ein Viertel der Mitglieder
des Bundestages bzw. ein Viertel der Mitglieder des Aus-
schusses als auch für den Schutz der Zeugen und der zu
Befragenden. Wichtig ist, dass der im Einsetzungsbe-
schluss festgelegte Untersuchungsgegenstand nicht will-
kürlich von der Mehrheit geändert werden darf, ohne dass
die Antragstellenden zustimmen.
Herr Ströbele, wenn Sie Zeugen mit staatlichen Mitteln
weichkochen wollen, empfehle ich Ihnen die Folter des
Mittelalters. Ich könnte Ihnen ein Verlies zur Verfügung
stellen. Zeugen müssen den nach der StPO geltenden
Schutz auch im Untersuchungsausschuss haben.
Bei der Zusammensetzung der Mitglieder und der
Wahl des Vorsitzenden wurde auf Bewährtes aus der Ge-
schäftsordnung oder auf geübte Praxis zurückgegriffen.
Neu ist, dass es ein abgestuftes Verfahren zur Be-
schlussfähigkeit gibt, um zu verhindern, dass willkürlich
eine Beschlussunfähigkeit hergestellt wird.
Neu und nicht ganz unumstritten ist der in § 10 festge-
legte Ermittlungsbeauftragte, der auf Antrag eines Vier-
tels der Mitglieder des Untersuchungsausschusses einzu-
setzen und mit Zweidrittelmehrheit zu wählen ist. Dieser
Ermittlungsbeauftragte soll unabhängig sein, kann jedoch
wiederum mit Zweidrittelmehrheit abberufen werden.
Unklar ist, was geschieht, wenn keine Mehrheit bei der
Wahl zustande kommt und bei dem dann vorgesehenen
Ersatzverfahren kein Einvernehmen erzielt wird.
Aber, meine Damen und Herren, Sie können versichert
sein: Unsere Wahl wäre nie auf Herrn Hirsch gefallen, den
so genannten Beauftragten des Kanzleramtes, der als Son-
derermittler quasi als Handlanger der Diffamierungskam-
pagne gegen Bohl und rechtschaffene Mitarbeiter ein-
gesetzt wurde. Ihn hätten wir mit Sicherheit nicht ge-
nommen.
Neu ist, dass mit Zustimmung von zwei Dritteln der an-
wesenden Mitglieder und mit Zustimmung der zu verneh-
menden oder anzuhörenden Person Ton- und Filmauf-
nahmen sowie Übertragungen zulässig sind. Durch diese
hohen Hürden sind Bedenken im Wesentlichen aus-
geräumt, dass die Untersuchungsausschüsse noch mehr
als bisher als politische Instrumente genutzt werden.
Denn wir sind uns doch alle klar darüber, dass es nicht im-
mer nur um die Wahrheit geht, sondern auch um politische
Vorstellungen.
Ob sich die Bestimmungen zum Geheimnisschutz und
zum Zugang zu Verschlusssachen in den §§ 15 und 16 be-
währen, wird sich zeigen, weil zwischen Staatsinteresse
und persönlicher Integrität ein ausgewogenes Verhältnis
erreicht werden muss.
Die Beweiserhebung darauf wurde schon hingewie-
sen kann nun auch schon von einem Viertel der
Mitglieder beantragt werden. Hilfsweise wird zur
Reihenfolge die Geschäftsordnung des Bundestages
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Erika Simm
16154
angewendet, die dann notfalls im Ältestenrat bestimmt
wird.
Bewähren muss sich noch, dass bei Streitigkeiten in der
Regel der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes
entscheidet, zum Beispiel bei Entscheidungen des Unter-
suchungsausschusses über die Erhebung bestimmter Be-
weise bzw. Anwendung beantragter Zwangsmittel oder
über die Einstufung als Verschlusssache. Das Verfas-
sungsgericht dagegen entscheidet über die Rechtmäßig-
keit der Ablehnung eines Ersuchens des Untersuchungs-
ausschusses durch die Bundesregierung oder Ministerien.
Insgesamt ist richtig, dass alle Entscheidungen vom Ver-
fassungsgericht noch einmal überprüft werden können.
Die deutliche Erhöhung des Ordnungsgeldes für nicht
erschienene Zeugen auf 10 000 Euro, also immerhin
20 000 DM, und gegebenenfalls ihre zwangsweise Vor-
führung ist nicht ganz unstrittig, kann aber einen Sinn ha-
ben, auch zur Aufwertung des Untersuchungsausschus-
ses.
Der Vorwurf der einen oder anderen Gruppe auch
noch in unseren Parteien , dass die Rechte der Minder-
heit zu groß oder zu klein seien und die der Mehrheit nicht
genügend berücksichtigt würden, wird parteiübergreifend
natürlich auch nur deswegen geltend gemacht, weil der
eine jetzt in der Opposition und der andere in der Regie-
rung ist. Das kann sich ja, wie wir hoffen, bald wieder än-
dern.
Wir werden auch bei diesem Gesetz in der Praxis se-
hen, dass das eine oder andere fehlt, wie wir dies beim
Parteiengesetz in den letzten Monaten erfahren haben.
Ich will schon ansprechen, dass wir die nicht ordnungs-
gemäße Vermögensangabe nicht im Parteiengesetz sank-
tioniert haben, wie das Verwaltungsgericht Berlin richti-
gerweise feststellte. Offen ist auch in der Zukunft die
Frage, wie zum Beispiel Milliardenvermögen der
Treuhänder der SPD in den Geschäftsbericht eingebracht
werden, wie tatsächliche Vermögenswerte oder wie Buch-
werte. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir auch dieses Ge-
setz dringend ergänzen und die Lücken schließen, damit
Einnahmen und Vermögen der Parteien dem Bürger und
Wähler gegenüber lückenlos aufgezeigt werden können.
Dann kommt es nicht mehr zu solchen Untersuchungs-
ausschüssen.
Meine Damen und Herren Kollegen von den Regie-
rungsfraktionen die Frau Ministerin ist nicht hier wir
sollten schnell handeln, damit dieses Parteiengesetz dem
Hohen Hause bald vorgelegt wird. Wenn wir alle wirklich
das wollen, was wir unseren Wählern tagtäglich sagen,
müsste dieses Gesetz in Kürze verabschiedet werden kön-
nen.
Erfreulich ist damit möchte ich dann auch schlie-
ßen , dass die Tradition des Geschäftsordnungsaus-
schusses beibehalten wurde, dass Beschlüsse und Gesetze
in der Regel einmütig sein sollen. Es gibt sie noch, die par-
teiübergreifende Zusammenarbeit, wenn auch seltener als
früher. Das Gesetz zur Regelung des Rechts der Untersu-
chungsausschüsse des Deutschen Bundestages ist ein
gutes Beispiel dafür und sollte zur Nachahmung empfoh-
len werden. Wir stimmen freudig zu.
Danke schön.
Als letztem Redner
erteile ich dem Kollegen Dieter Wiefelspütz, SPD-Frak-
tion, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Um Legenden vorzubeugen:
Der vorliegende Entwurf eines Untersuchungsaus-
schussgesetzes hat mit dem 1. Untersuchungsausschuss
der 14. Wahlperiode überhaupt nichts zu tun. Wir hätten
diesen Gesetzentwurf völlig unabhängig von der Existenz
dieses Untersuchungsausschusses eingebracht. Bei allem
Respekt, man würde Helmut Kohl viel zu viel Ehre antun!
Wir beschließen dieses Gesetz nicht wegen bzw. für oder
gegen Helmut Kohl, sondern in eigener Sache. Wir schaf-
fen Parlamentsrecht, weil wir 50 Jahre lang auf diesem
Sektor kein Gesetz hatten.
Die erste Sitzung des ersten Untersuchungsausschus-
ses fand ich habe das einmal nachgeschaut am
22. März 1950, also vor über 50 Jahren, statt. Erst heute
sind wir gemeinsam so weit und beschließen ein entspre-
chendes Gesetz, das Generationen von Kollegen vor uns,
die sich bemüht haben, und übrigens auch sehr viele
Rechtswissenschaftler gefordert haben. Wir sind es, die
heute wenn man so will: erst heute dieses wichtige Ge-
setz verabschieden. Ich denke, das ist ein wichtiger Tag;
das ist hier mehrfach gewürdigt worden. Es ist aber auch
höchste Zeit.
Nur, Herr Schmidt, mit Ihren positiven oder weniger
positiven Erfahrungen im 1. Untersuchungsausschuss
dieser Wahlperiode hat dieses Gesetz überhaupt nichts zu
tun.
Ich will deutlich feststellen: Ich bin dankbar dafür und
finde es in Ordnung, dass Sie sich so konstruktiv daran be-
teiligt haben und dass Sie voraussichtlich zustimmen.
Aber ich will auch deutlich machen: Wir hätten dieses Ge-
setz auch dann verabschiedet, wenn Sie nicht zugestimmt
hätten. Denn dieses Gesetz ist für die Arbeit zukünftiger
Untersuchungsausschüsse wirklich notwendig. Das hat
mit engeren parteipolitischen Interessen Ihrer Fraktion
überhaupt nichts zu tun.
Ich bin gleichwohl dankbar dafür, dass wir eine solch
breite Mehrheit haben. Es entbehrt ja nicht einer gewissen
Ironie, dass viele bisherige Versuche, ein solches Gesetz
zu verabschieden, vergeblich waren Frau Simm hat da-
rauf hingewiesen und dass wir ausgerechnet jetzt dieses
Gesetz einstimmig verabschieden. Das ist, denke ich, eine
ganz wertvolle Angelegenheit.
Dieses Gesetz ist wie immer; es kann gar nicht anders
sein ein Kompromiss. Wenn fünf Fraktionen dazu Ja sa-
gen, wird man sich einander angenähert haben müssen;
anders geht es nicht. Ich will einmal den von mir ge-
schätzten Kollegen Lammert, der vor vielen Jahren auf
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
16155
dem 57. Deutschen Juristentag vor dem Hintergrund sei-
ner eigenen Bemühungen um die Einbringung eines Un-
tersuchungsausschussgesetzes Folgendes gesagt hat, zi-
tieren:
Wir haben in unseren Beratungen im Geschäftsord-
nungsausschuss im Wesentlichen in der letzten Wahl-
periode die feste Überzeugung gewonnen, dass es
den großen Wurf nicht geben wird; aus einer Reihe
von Gründen im Übrigen. Die in sich stringente, un-
ter jedem Gesichtspunkt konsequente Lösung wird
es günstigstenfalls im Entwurf geben, aber nicht im
Gesetz. Denn wir reden hier natürlich nicht nur über
sozusagen theoretisch schlüssige Ansätze und Lö-
sungen, sondern wir müssen am Ende auch noch die
Kleinigkeit klären, wie man für den für zweckmäßig
gehaltenen Entwurf eine Mehrheit auf die Beine
bringt.
Genau diese Mehrheit ist früher nie zustande gekom-
men. Jetzt kommt sie zustande. Dieses Gesetz wird si-
cherlich auch in der Fachöffentlichkeit viel Kritik erfah-
ren,
weil dem einen dies und dem anderen jenes nicht passt.
Ich denke, dass der Ertrag dieses Gesetzes nicht uner-
heblich ist. In diesem Gesetz werden die Rechte der qua-
lifizierten Minderheit bei der Einsetzung eines Untersu-
chungsausschusses präzisiert. Es gibt eine Neuerung, den
Ermittlungsbeauftragten, um die parlamentarische Unter-
suchung zu straffen und zu beschleunigen. Grundsätzlich
bleibt den elektronischen Medien der Zugang zur Be-
weiserhebung im Untersuchungsausschuss versperrt. Sie
sehen, dass ich die Akzente etwas anders setze als meine
Vorredner. Ich bin kein Freund von elektronischen Me-
dien im Untersuchungsausschuss.
Aber das, was wir hier gemacht haben, ist insgesamt ge-
sehen ein vernünftiger Kompromiss.
Die qualifizierte Minderheit hat einen gesetzlichen An-
spruch auf Erhebung der von ihr beantragten Beweise.
Die Reihenfolge der Vernehmung von Zeugen und Sach-
verständigen kann von der qualifizierten Minderheit
wirksam beeinflusst werden. Im Gesetz wird auf den
Rechtsstatus des Betroffenen verzichtet. Es wird aber
nicht die Forderung nach einer uneingeschränkten Aus-
sagepflicht der Auskunftsperson aufgegriffen, die von ge-
schätzten Kollegen wie zum Beispiel Herrn Ströbele und
Herrn Danckert gefordert worden ist. Ich finde diese
Aspekte sehr interessant. Herr Danckert hat sich in einem
lesenswerten Aufsatz dazu geäußert; es gibt Kollegen mit
wissenschaftlicher Kompetenz unter uns. Es wäre aber ein
Paradigmenwechsel und hätte vermutlich einer Verfas-
sungsänderung bedurft, solche Gedanken umzusetzen.
Wir bleiben auf der Mitte des Weges, middle of the
road, lieber Herr Ströbele,
und machen keine Experimente, die im Übrigen auch
keine Mehrheit gehabt hätten.
Wir brauchen für dieses Gesetz breite Mehrheiten.
Deswegen bleiben wir bei der bewährten Strafprozess-
ordnung. Es bleibt also bei dem Zeugnis- und Aus-
kunftsverweigerungsrecht der Strafprozessordnung.
Zwangsrechte erhalten eine deutliche gesetzliche Grund-
lage. Ein Gegendarstellungsrecht wird eingeräumt. Das
Rechtswegchaos, das es bis heute gibt, wird durch die
alleinige Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichtes
und des Bundesgerichtshofes beseitigt. Das ist schon be-
deutend.
Ich würde mir gerne noch eine halbe Minute erlauben
mit Ihrer Zustimmung, Frau Präsidentin.
Fragen Sie nicht
lange, reden Sie! Sonst wird es eine Minute.
Ich möchte nicht versäu-
men, einen Blick zurück zu werfen. Wir haben das alles
nicht erfunden; Frau Simm hat das angedeutet.
Ich möchte erwähnen, wer sich vor uns ganz maßgeb-
lich beteiligt hat: Manfred Schulte, Norbert Lammert,
Konrad Porzner, Manfred Langner, Helmut Buschbom,
Horst Eylmann, Detlef Kleinert, Kollegen aus der 10. und
der 11. Legislaturperiode nur wenige sind heute noch
hier dabei , die damals, vor zehn, zwölf, 15 Jahren, maß-
gebliche Vorarbeiten gemacht haben.
Durchgesetzt haben es die Berichterstatter Hermann
Bachmaier aus Crailsheim, Erika Simm, Hans-Christian
Ströbele,
Jörg van Essen und Dr. Evelyn Kenzler, die einen wichti-
gen Anteil an diesem Erfolg haben.
Ihnen allen ist zu danken.
Ein bisschen feiern wir uns heute selber. Aber es ist
hohe Zeit, dass wir endlich ein Untersuchungsausschuss-
gesetz haben. Wir haben nicht das Rad neu erfunden, aber
eine wichtige Grundlage geschaffen. In Zukunft arbeiten
sich alle am Gesetz ab und geben nicht immer die eigene
Meinung als Gesetz aus. Das ist eine wichtige Grundlage
für die zukünftige Arbeit des Parlamentes in Unter-
suchungsausschüssen.
Herzlichen Dank.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Dieter Wiefelspütz
16156
Wir freuen uns, dass
der Kollege Buschbom heute den Beratungen folgt. Herz-
lich willkommen im Deutschen Bundestag!
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie
der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Gesetzentwürfe zur
Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des
Deutschen Bundestages.
Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung empfiehlt die Annahme der zusammenge-
führten Gesetzentwürfe in der Ausschussfassung.
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS vor,
über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Än-
derungsantrag auf Drucksache 14/5819? Wer stimmt da-
gegen? Der Änderungsantrag ist bei Zustimmung der
PDS und Stimmenthaltung der F.D.P. im Übrigen abge-
lehnt.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen.
Wer stimmt dagegen? Das ist einstimmig.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Eine
Gegenprobe brauche ich gar nicht. Der Gesetzentwurf ist
einstimmig angenommen.
Ich beglückwünsche alle, die daran mitgearbeitet ha-
ben. Das ist ein wichtiger Tag für den Deutschen Bundes-
tag.
Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 17 sowie Zusatz-
punkt 13 auf:
17. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie zu dem Antrag der Abgeord-
neten Wolfgang Börnsen , Gunnar
Uldall, Hansjürgen Doss, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Herstellung fairer Wettbewerbsbedingungen
für die deutsche und europäische Werften-
industrie
Drucksachen 14/5137, 14/5797
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Margrit Wetzel
ZP 13 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Margrit Wetzel, Dr. Ditmar Staffelt, Gerd
Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD sowie der Abgeordneten Kerstin Müller
, Rezzo Schlauch und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Sicherung eines fairen Wettbewerbs für deut-
sche und europäische Werften
Drucksache 14/5769
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesord-
nung um den folgenden Zusatzpunkt 16 zu erweitern und
ihn mit den beiden genannten Punkten zu verbinden:
ZP 16 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie zu dem Antrag der Abgeord-
neten Rolf Kutzmutz, Dr. Dietmar Bartsch,
Dr. Heinrich Fink, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der PDS
Zukunftschancen des deutschen und europä-
ischen Schiffbaus nachhaltig verbessern
Drucksachen 14/5457, 14/5815
Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Börnsen
Die Reden sind zu Protokoll gegeben worden1), sodass
ich die Aussprache eröffne und sogleich wieder schließe.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie
zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Herstel-
lung fairer Wettbewerbsbedingungen für die deutsche und
europäische Werftenindustrie, Drucksache 14/5797.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-
empfehlung, den Antrag auf Drucksache 14/5137 für er-
ledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? Alle sind damit einverstanden. Damit ist die
Beschlussempfehlung angenommen.
Des Weiteren empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 2 sei-
ner Beschlussempfehlung die Annahme einer Entschlie-
ßung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Ge-
genprobe! Enthaltungen? Diese Entschließung ist bei
Enthaltung der PDS einstimmig angenommen.2)
Die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen beantragen, ihren Antrag zur Sicherung eines fai-
ren Wettbewerbs für deutsche und europäische Werften
auf Drucksache 14/5769 für erledigt zu erklären. Das ist
so beschlossen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der
Fraktion der PDS mit dem Titel Zukunftschancen des
deutschen und europäischen Schiffbaus nachhaltig ver-
bessern, Drucksache 14/5815. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 14/5457 abzulehnen. Wer ist
für diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe! Enthal-
tungen? Gegen die Stimmen der PDS ist die Beschluss-
empfehlung angenommen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16157
1) Anlage 4
2) Anlage 3
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 18 a und b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Künstlersozialver-
sicherungsgesetzes und anderer Gesetze
Drucksache 14/5066
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Sozialordnung
Drucksache 14/5792
Berichterstattung:
Abgeordnete Angelika Krüger-Leißner
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialord-
nung
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Irmgard
Schwaetzer, Hans-Joachim Otto ,
Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der F.D.P.
Reform der Künstlersozialversicherung ge-
recht gestalten
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich
Fink, Dr. Heidi Knake-Werner, Pia Maier,
Maritta Böttcher und der Fraktion der PDS
Für eine grundlegende Reform der Künst-
lersozialversicherung
Drucksachen 14/4929 , 14/5086, 14/5792
Berichterstattung:
Abgeordnete Angelika Krüger-Leißner
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt je ein
Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und der
Fraktion der F.D.P. vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Nach meiner Redefolge hat
als Erste die Parlamentarische Staatssekretärin Ulrike
Mascher das Wort.
U
Frau Präsidentin!
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heute
zur Verabschiedung anstehenden Gesetzentwurf verbes-
sern wir den sozialen Schutz selbstständiger Künstlerin-
nen und Künstler und Publizisten. Zugleich passen wir die
Künstlersozialversicherung den aktuellen Erfordernissen
an und machen sie zukunftssicher.
Es geht um wichtige Rahmenbedingungen für heute
rund 110 000 selbstständige Künstlerinnen und Künstler
und Publizisten. An ihrer sozialen Absicherung beteiligen
sich die Verwerter mit der Künstlersozialabgabe und der
Bund mit dem Bundeszuschuss. Die Bundesregierung ist
sich der Verantwortung für die Künstlersozialversiche-
rung sehr wohl bewusst. Wir haben deshalb bei dieser No-
vellierung den wesentlichen Schwerpunkt auf den sozial-
politischen Bereich gesetzt.
An der Spitze steht der erleichterte Zugang zur Kran-
kenversicherung der Rentner. Für die selbstständigen
Künstlerinnen und Künstler und Publizisten hat der güns-
tige Krankenversicherungsschutz besondere Bedeutung.
Dieser fällt weg, wenn die künstlerische oder publizisti-
sche Tätigkeit altersbedingt aufgegeben wird. Viele ältere
Künstlerinnen und Künstler und Publizisten können die
Voraussetzungen der Krankenversicherung der Rentner
eine fast lückenlose Pflichtversicherung in der zweiten
Hälfte des Erwerbslebens nicht erfüllen, weil das Künst-
lersozialversicherungsgesetz erst 1983 in Kraft getreten
ist. Deshalb öffnen wir den Zugang zur Krankenversiche-
rung der Rentner für Künstler und Publizisten, die ihre
Tätigkeit vor 1983 aufgenommen haben und zwischen
dem 1. Januar 1985 und der Rentenantragstellung fast
durchweg in der Krankenversicherung nach dem KSVG
pflichtversichert waren. Damit schließen wir eine noch
bestehende Lücke in der sozialen Absicherung der Künst-
lerinnen und Künstler und Publizisten, die für die Betrof-
fenen besonders schmerzhaft war.
Außerdem gestalten wir die Voraussetzungen für den
Versicherungsschutz flexibler als bisher, indem wir den
Einkommensschwankungen bei Künstlern und Publi-
zisten Rechnung tragen. Künftig kann die Geringfügig-
keitsgrenze innerhalb von sechs Jahren bis zu zweimal
unterschritten werden, ohne dass der Versicherungs-
schutz entfällt. Dies bedeutet für gering verdienende
Künstler und Publizisten eine größere Sicherheit.
Für die Berufsanfänger haben wir eine befriedigende
Lösung gefunden. Nach dem Ende der von fünf auf drei
Jahre verkürzten Berufsanfängerfrist, in der der Versi-
cherungsschutz auch bei einem Einkommen unterhalb der
Geringfügigkeitsgrenze besteht, können die Versicherten
unmittelbar im Anschluss hieran die Neuregelung zur
Flexibilisierung der Geringfügigkeitsgrenze in Anspruch
nehmen. Im Ergebnis verlängert sich dadurch die Frist, in
der ein Mindesteinkommen nicht erforderlich ist, auf bis
zu fünf Jahre. Ferner wird die Berufsanfängerfrist um
Zeiträume verlängert, in denen eine Versicherungspflicht
zum Beispiel wegen Mutterschafts- und Erziehungsur-
laub oder wegen einer Arbeitnehmertätigkeit nicht be-
standen hat.
Um einer ungerechtfertigten Inanspruchnahme der
Künstlersozialversicherung entgegenzuwirken, können
künftig Studenten, die hauptsächlich studieren, nicht
mehr auf die günstigere Krankenversicherung nach dem
KSVG ausweichen. Das Gleiche gilt für über 65-Jährige.
Auch für sie gibt es nicht mehr die Möglichkeit, nach ei-
ner Zeit der Privatversicherung auf die günstigere Kran-
kenversicherung der Künstlersozialkasse auszuweichen.
Für die abgabepflichtigen Verwerter ergeben sich nur
wenige Änderungen. Verschiedene Vorschriften dienen
der Verwaltungsvereinfachung. In diesem Zusammen-
hang sind insbesondere die Ausgleichsvereinigungen zu
nennen, zu denen sich Verwerter zusammenschließen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Vizepräsidentin Anke Fuchs
16158
können. Die Verbände der Verwerter haben begrüßt, dass
die Bildung von Ausgleichsvereinigungen attraktiver ge-
macht wird.
Für Musikvereine jetzt sind hier wohl einige beson-
ders aufmerksam ,
deren Vereinszweck nicht überwiegend auf öffentliche
Aufführungen gerichtet ist, sondern bei denen, wie in der
Regel, die Freude am gemeinsamen Musizieren im Vor-
dergrund steht, haben wir sichergestellt, dass grundsätz-
lich keine Abgabepflicht besteht.
Wenn ein Musikverein nicht nur gelegentlich eintritts-
pflichtige Veranstaltungen durchführt und Honorare an
Solisten zahlt, sind diese Honorare abgabepflichtig. Eine
Abgabepflicht besteht aber erst dann, wenn innerhalb ei-
nes Jahres mehr als drei Veranstaltungen durchgeführt
werden. Ferner kann eine Abgabepflicht bestehen, wenn
ein Verein eine einer Musikschule vergleichbare Ausbil-
dungseinrichtung betreibt.
Hinsichtlich der vereinseigenen Chorleiter und Dirigen-
ten wird klargestellt, dass auf die an sie gezahlten Ho-
norare keine Künstlersozialabgabe entfällt. Damit sollen
etwaige Verunsicherungen ausgeräumt werden.
Schließlich haben wir einen weiteren Beitrag zur För-
derung des bürgerschaftlichen Engagements und der
ehrenamtlichen Tätigkeit geleistet. Künftig ist auf die so
genannte Übungsleiterpauschale keine Künstlersozial-
abgabe zu zahlen. Musikvereine, die eine Ausbildungs-
einrichtung betreiben und nebenberufliche Ausbilder ein-
setzen, werden entlastet. Diese Regelung kommt auch
Volkshochschulen zugute, die künstlerische Kurse anbieten
und dabei auf nebenberufliche Lehrkräfte zurückgreifen.
Ich komme nun zu einer organisatorischen Änderung.
Die Künstlersozialkasse ist zurzeit eine Abteilung der
Landesversicherungsanstalt Oldenburg-Bremen.
Mit dem In-Kraft-Treten der Novelle soll die Künstler-
sozialkasse organisatorisch wieder in die Bundesverwal-
tung einbezogen und dazu der Bundesausführungsbehörde
für Unfallversicherung in Wilhelmshaven angegliedert
werden. Das unterstreicht die politische Verantwortung des
Bundes für die Durchführung der Künstlersozialversi-
cherung. Der Standort und die Arbeitsplätze bleiben in der
Region erhalten.
Eine Erhöhung des Bundeszuschusses zur Künstler-
sozialversicherung ist aus haushaltspolitischen Gründen
nicht möglich. Die finanzielle Beteiligung des Bundes in
Höhe von 20 Prozent der Ausgaben der Künstlersozial-
kasse ist eine verlässliche Größe. Bei den Ausschussbera-
tungen habe ich festgestellt, dass es bei keiner Fraktion
Überlegungen für eine weitere Absenkung gibt.
Der Abgabesatz, der im Jahre 2001 von 4 Prozent auf
3,9 Prozent gesunken ist, Frau Dr. Schwaetzer, was für die
Verbände wichtig ist, zeigt, dass die Verwerter auch wei-
terhin nicht unverhältnismäßig belastet werden. Auf die
Höhe der Renten von Künstlern und Publizisten hat der
Bundeszuschuss keinen Einfluss.
Ich möchte nun auf den Entschließungsantrag der
F.D.P.-Fraktion eingehen, wonach die Bundesregierung
aufgefordert werden soll, gegenüber gemeinnützigen Or-
ganisationen rückwirkend erlassene Schätzbescheide zu-
rückzunehmen. Die Künstlersozialversicherung ist nach
geltendem Recht verpflichtet, solche Bescheide heraus-
zugeben. Sie hat die kritisierten Bescheide erlassen, weil
die Volkshochschulen als Anbieter künstlerischer Kurse
zur Künstlersozialabgabe verpflichtet sind und eine dro-
hende Verjährung ihrer Ansprüche verhindert werden
musste. Die Vorgehensweise der Künstlersozialkasse hat
daher absolut nichts mit der derzeitigen Höhe des
Bundeszuschusses zur Künstlersozialversicherung zu tun,
und ich gehe davon aus, dass dies auch den Antragstellern
der F.D.P. bewusst ist.
Kein Geheimnis dürfte es auch sein, dass jetzt die
langjährigen Verhandlungen über die Bildung einer Aus-
gleichsvereinigung auf einem guten Weg sind. Ein ver-
bindliches Angebot der Künstlersozialkasse liegt den
Volkshochschulen vor. Es muss allerdings noch den Ver-
besserungen dieses Gesetzes angepasst werden. Im Hin-
blick auf die bevorstehende Ausgleichsvereinigung hat
die Künstlersozialkasse den Volkshochschulen jedoch
mitgeteilt, dass sie die Künstlersozialabgabe zunächst
nicht erheben wird und Widersprüche gegen die Be-
scheide entbehrlich sind. Aus diesem Grunde sind bisher
den Volkshochschulen keine zusätzlichen Kosten entstan-
den. Ich denke, wir werden mit den Volkshochschulen und
der Künstlersozialkasse eine gute Lösung finden.
Den Mitgliedern des federführenden Ausschusses, der
mitberatenden Ausschüsse, aber auch der Enquete-Kom-
mission Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements
danke ich sehr herzlich für ihre engagierte Mitarbeit. Da-
durch ist es gelungen, den sozialen Schutz der Künstle-
rinnen und Künstler sowie der Publizisten weiterzuent-
wickeln. Ich bitte Sie daher um Ihre Zustimmung.
Danke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Karl-Josef Laumann.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf zur
Novellierung des Künstlersozialversicherungsgesetzes ist
für unsere Fraktion enttäuschend. Er ist nicht mehr als
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Parl. Staatssekretärin Ulrike Mascher
16159
eine Reparaturnovelle. Einige der Vorschläge sind zwar
sinnvoll,
aber die wirklichen Notwendigkeiten fehlen in diesem
Gesetz.
Vor allen Dingen wird die Alterssicherung der
Künstler nicht verbessert. Im Jahre 2000 lag das Durch-
schnittseinkommen der Künstler und Publizisten bei un-
ter 22 000 DM im Jahr. Damit liegt es bei etwa 40 Prozent
des Durchschnittseinkommens der Versicherten in der ge-
setzlichen Rentenversicherung. Dementsprechend schlecht
ist die Alterssicherung der Künstler: Ein Versicherter, der
auf der Basis dieses Einkommens 40 Jahre lang Beiträge
in die Künstlersozialversicherung einzahlt, bekommt
nach 40 Jahren eine monatliche Rente in Höhe von
800 DM.
Jemand, der 30 Jahre lang eingezahlt hat, bekommt eine
Rente in Höhe von nur 600 DM pro Monat.
Statt Vorschläge zu machen, wie die Alterssicherung
der Künstler verbessert werden kann, zieht sich der Bund
aus der Finanzierung der Künstlersozialversicherung
zurück.
Mit der Absenkung des Bundeszuschusses zur Künst-
lersozialversicherung haben Sie das finanzielle Funda-
ment und die Stabilität des Systems der Künstlersozial-
versicherung schwer beschädigt. Kompensationen für
diese Einschnitte sieht der Gesetzentwurf nicht vor.
Lediglich bei den Laienmusikvereinen sind Sie einen
kleinen Schritt in die richtige Richtung gegangen. Die ur-
sprüngliche Regelung in Ihrem Entwurf hätte zu großen
finanziellen Belastungen für die Laienmusikvereine ge-
führt. Das Fortbestehen vieler Musikvereine stand auf
dem Spiel. Zu begrüßen ist, dass Sie der Forderung der
Union und auch der Enquete-Kommission Zukunft des
Bürgerschaftlichen Engagements hinsichtlich einer Be-
freiung der Laienmusikvereine von der Pflicht zur Zah-
lung von Abgaben an die Künstlersozialversicherung zu-
mindest teilweise nachgekommen sind.
Aber es geht ja weiter: In letzter Sekunde haben Sie an
das Künstlersozialversicherungsgesetz noch eine Kor-
rektur des Rentenniveaus in der Niveausicherungsklau-
sel in der Rentenversicherung angehängt. Diese Korrek-
tur ist notwendig geworden, weil im Hause Riester wieder
einmal geschlampt wurde.
Sie haben groß verkündet, dass durch die Rentenre-
form im Jahre 2030 ein Rentenniveau von fast 68 Prozent
erreicht werden wird. In der Niveausicherungsklausel
standen aber immer noch die 64 Prozent. Auf Druck der
Gewerkschaften musste nachgebessert werden. Dies ist
wieder ein Beweis dafür, wie reparaturanfällig die Ren-
tenreform aus dem Hause Riester ist. Einem solchen Re-
paraturgesetz kann die Union auf keinen Fall zustimmen.
Besonders schlimm ist aber, dass der in der Niveau-
sicherungsklausel angegebene Beitragssatz von 22 Pro-
zent sowie das Rentenniveau von 67 Prozent nicht stim-
men. Die Anhörung zur Niveausicherungsklausel in die-
ser Woche hat ein weiteres Mal gezeigt: Sie haben bei der
Berechnung von Rentenniveau und Beitragssatz ge-
schönte Zahlen vorgelegt.
Die Experten haben deutlich gemacht: Der Beitrags-
satz in der Rentenversicherung von 22 Prozent im Jahre
2030 ist nicht zu halten. Sie sind insbesondere bei der Be-
schäftigungsentwicklung und der Beitragsentwicklung in
der Kranken- und Pflegeversicherung von geschönten
Zahlen ausgegangen.
Das Rentenniveau wird im Jahre 2030 nach realisti-
schen Berechnungen nicht bei 68 Prozent, sondern bei
64 Prozent liegen. Bei der blümschen Rentenreform hätte
das vergleichbare Rentenniveau 2030 bei 65,4 Prozent ge-
legen. Dieses Rentenniveau wurde von Ihnen im Wahl-
kampf wenn Sie sich noch erinnern
als unanständig beschimpft.
Jetzt liegen Sie mit Ihrem Rentenniveau noch weit da-
runter.
Im Frühsommer des letzten Jahres haben Sie zum
ersten Mal Vorschläge gemacht, die einen Rentenbei-
trag von 22 Prozent im Jahre 2030 vorsahen. Das Renten-
niveau sollte nach Ihrem ersten Vorschlag 2030 bei
62 Prozent liegen. Nach Ihren aktuellen Rentenplänen soll
das Rentenniveau 2030 nun nicht unter 67 Prozent sinken,
und zwar wieder bei einem Beitragssatz von 22 Prozent.
Sie haben es also bei dieser Reform wirklich fertig ge-
bracht, den Beitragssatz von 22 Prozent in Ihren Plänen
festzuschreiben, haben aber mittlerweile das Rentenni-
veau viermal nach oben korrigiert. Wie Sie das mit einem
gleichen Beitragssatz und mit der gleichen Beschäfti-
gungsgrundlage errechnet haben, ist mir schleierhaft und
höchstens durch die Ausbildung in einer sozialistischen
Gesamtschule erklärbar.
Viel schlimmer ist, dass Sie nach der Festschreibung
des Beitragssatzes zur Rentenversicherung im Gesetz
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Karl-Josef Laumann
16160
auch das Rentenniveau festlegen. Damit lassen Sie sich
jede Stellschraube, die man in der Rentenversicherung
braucht, aus der Hand nehmen. Nur eine einzige Stell-
schraube haben Sie noch, nämlich die Möglichkeit, das
Renteneintrittsalter heraufzusetzen.
Lieber Kollege Brandner, die Wahrheit ist, dass Sie
sich uns bei den anstehenden Rentenkonsensgesprächen
im Vermittlungsausschuss überhaupt nicht nähern kön-
nen.
Sie haben den Gewerkschaften ein Rentenniveau von
67 Prozent garantiert, und die Witwen in Deutschland sol-
len jetzt dafür bluten.
Das ist die Wahrheit. Diesen Zusammenhang können wir
aus sozialpolitischer Sicht schlicht und ergreifend nicht
verantworten.
In der Anhörung am letzten Dienstag hat Herr Profes-
sor Schmähl sehr deutlich gesagt, dass die Bedürfnisprü-
fung in einer beitragsfinanzierten Rentenversicherung,
die Sozialdemokraten das erste Mal eingeführt haben
nichts anderes ist die Anrechnung aller Einkommensar-
ten beim Freibetrag der Witwenrente , einem System-
wechsel gleichkommt. Dafür stehen Sozialdemokraten in
diesem Bundestag!
Weil Herr Zwickel zum Telefonhörer gegriffen hat
das weiß ich aus Gesprächen mit dem einen oder ande-
ren Kollegen von Ihnen , haben Sie eine Sondersitzung
der Grünen- und der SPD-Fraktion durchgeführt. Damit
haben Sie sich gegen die Witwen und für ein geschöntes
Rentenniveau im Sinne der Gewerkschaften entschieden.
Das ist die Wahrheit.
Dass Sie es wagen, einen so hochpolitischen Vorgang ne-
benbei mit dieser Künstlersozialversicherung zu verbin-
den, macht den Skandal komplett.
Deswegen werden wir diesem Gesetz nicht zustimmen
können. Wenn Sie etwas für die Alterssicherung der
Künstler in unserem Land tun wollen, dann heben Sie für
Leute, die nach 40 Jahren Beitragszahlung eine Rente von
800 DM bekommen, den Bundeszuschuss wieder auf die
25 Prozent an, bei denen er in Zeiten der CDU/CSU-Re-
gierung 16 Jahre lang gelegen hat. Dann haben Sie we-
nigstens in diesem Punkt ein Stückchen Glaubwürdigkeit
gewonnen. Mancher Künstler, der bei den Wahlen 1998
für einen Regierungswechsel gestimmt hat, wird nach die-
ser gesetzlichen Änderung nicht mehr für Rot-Grün sein.
Schönen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Kol-
legin Dr. Thea Dückert für die Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen.
Sehr verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Die Rede von Herrn Laumann hat zwei Sachen deut-
lich gemacht: Erstens. Die CDU interessiert sich nicht für
die Reform der Künstlersozialversicherung.
Zweitens. Sie ist sich nicht zu schade, hier zum wieder-
holten Male ich weiß nicht, zum wievielten Male Un-
wahrheiten über die Rentenreform zu verbreiten,
und zwar mit dem platten und dummen Ziel, die Bevöl-
kerung mit Märchen über die zukünftige Rente in die Irre
zu führen.
Die Rentenreform das wissen Sie ganz genau und
gerade die Reform der Witwenrente wird die heutigen
Rentnerinnen und Rentner überhaupt nicht betreffen. Es
ist eine Reform der Hinterbliebenenrente,
die erst in der Zukunft gilt. Das heißt, nur die heute jun-
gen Ehefrauen werden von dieser Regelung berührt. Sie
wissen, dass sich deren Erwerbsbiografien sehr stark von
denen unserer Mütter und von unseren eigenen unter-
scheiden, die wir weniger in die Rentenkassen eingezahlt
haben.
Hier werden Unwahrheiten verbreitet, und zwar zum wie-
derholten Male. Ich kann das in keiner Weise konstruktiv
und vernünftig finden.
Wir reden jetzt aber über die Reform der Künstlersozi-
alversicherung. Im Zusammenhang mit dieser Reform bin
ich sehr froh, dass es uns gelungen ist, sie in einem über-
sichtlichen Zeitraum und unter Beteiligung von vielen
Fachverbänden auf den Weg zu bringen. Natürlich gibt es
vonseiten der Fraktionen die üblichen Nörgeleien, aber in
Wirklichkeit kann niemand in diesem Hause ernsthaft be-
streiten, dass die Reform der Künstlersozialversicherung
Verbesserungen mit sich bringt, und zwar gerade auch für
die Künstlerinnen und Künstler. Die Herabsetzung des
Bundesanteils von 25 Prozent auf 20 Prozent im Zusam-
menhang mit dem Haushaltssanierungsgesetz war damals
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Karl-Josef Laumann
16161
natürlich ein schwieriger Schritt; er war aber rechtlich ge-
boten, weil sich der Selbstvermarktungsanteil reduziert
hat, und er war auch haushaltspolitisch sinnvoll.
Herr Laumann, ich muss Ihnen vorhalten, dass Sie
heute wieder mit falschen Zahlen operiert haben, wenn
Sie behaupten, die Herabsetzung des Bundesanteils habe
sich in irgendeiner Weise auf den Rentenbezug der Künst-
lerinnen und Künstler ausgewirkt. Diese Behauptung ist
unwahr. Die Reduzierung des Bundesanteils wirkt sich in
keiner Weise nachteilig auf die Sozialleistungen der
Künstlerinnen und Künstler aus.
Mit dieser Reform werden der Versicherungsschutz für
die Künstlerinnen und Künstler insgesamt verbessert, die
Versicherungspflicht eingegrenzt und das Verfahren ver-
einfacht. Die Künstlersozialversicherung, die bereits seit
1983 existiert, ist sehr gut angenommen worden. Dies
liegt vor allem daran, dass sie freischaffenden Künstlerin-
nen und Künstlern die Möglichkeit gibt, sich mit einem
Eigenanteil von 50 Prozent rentenversichern zu können.
Wir vom Bündnis 90/Die Grünen wissen, dass zum Bei-
spiel bildende Künstler, Übersetzer und Kleinkünstler
trotz hervorragender Arbeit ohne diese Künstlersozial-
kasse finanziell oft nicht überleben könnten. Gerade des-
halb wollten wir durch diese Reform die Künstlerinnen
und Künstler besser absichern. Nach unserer Auffassung
leisten viele Künstlerinnen und Künstler für Unternehmen
eine gute Arbeit, leider sehr oft zu schlechten Konditio-
nen. Dennoch denke ich, dass diese Arbeiten mit einem
Eigenbeitrag von 4 Prozent für die Verwerter angemessen
berücksichtigt sind.
Der Selbstvermarktungsanteil ich habe bereits darauf
hingewiesen ist zurückgegangen. Deshalb war es uns
wichtig, im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf die
Eigenbeteiligung des Bundes auf 20 Prozent festzuschrei-
ben. Diese Tatsache reduziert im Übrigen auch die Un-
sicherheit über die zukünftige Entwicklung und schafft
mehr Sicherheit.
Durch das In-Kraft-Treten des Gesetzes wird es auch
wesentliche andere Verbesserungen geben. So ist nun bei-
spielsweise festgelegt, dass Künstlerinnen und Künstler
in einem Zeitraum von sechs Jahren die Geringfügigkeits-
grenze zwei Mal unterschreiten können. Ich denke, diese
Flexibilisierung war notwendig, weil das Einkommen der
Betroffenen in diesem Bereich sehr häufig schwankt. Es
wäre nicht gerechtfertigt, den Versicherten aus diesem
Grunde den Versicherungsschutz zu entziehen.
Des Weiteren auch das ist eine wesentliche Verbes-
serung können ältere Künstlerinnen und Künstler sowie
Publizistinnen und Publizisten Zugang zu der Kranken-
versicherung der Rentner erhalten; das gilt auch für jene,
die bereits vor In-Kraft-Treten der Künstlersozialversiche-
rung in diesem Bereich tätig waren. Außerdem macht der
Gesetzentwurf die Bildung von Ausgleichsvereinigungen
attraktiver.
Insgesamt ist zu sagen, dass sowohl im parlamentari-
schen Verfahren Einlassungen der Opposition als auch im
Anhörungsverfahren Einlassungen der angehörten Ver-
bände zu wesentlichen Veränderungen am Gesetzentwurf
geführt haben. Insbesondere gilt das die Frau Staats-
sekretärin hat das vorhin bereits dargelegt für die Be-
rücksichtigung von Dirigenten und Übungsleitern in Mu-
sikvereinen. Auf diesem Feld werden Erleichterungen
geschaffen; das wird von allen sogar von der CDU/CSU,
die den Gesetzentwurf im Übrigen ja bemängelt be-
grüßt.
Alle Veränderung im Rahmen dieser Reform sind im
großen Einklang mit dem Deutschen Kulturrat erfolgt. Si-
cherlich gibt es in Detailfragen noch Kritik, insgesamt
aber wird diese Reform begrüßt. Ich denke, die rot-grüne
Koalition hat mit dieser Reform ein klares Bekenntnis zu-
gunsten der Künstler- und Publizistenszene in der Bun-
desrepublik Deutschland abgelegt,
und zwar unter den Bedingungen eines Sparhaushaltes.
Ich finde, das ist eine reife Leistung und bedeutet eine
Verbesserung für die betroffenen Künstlerinnen und
Künstler.
Ich danke Ihnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht die Kol-
legin Dr. Irmgard Schwaetzer für die F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Reform der
Künstlersozialversicherung war in der Tat längst über-
fällig. Sie war von der Koalition lange angekündigt wor-
den. Es sind zwar durch ein paar Änderungen, die
während der Beratungen vorgenommen worden sind,
leichte Verbesserungen erzielt worden. Insofern hat
sich Frau Dückert, das ist das Einzige, was Sie in Ihrer
Rede richtig dargestellt haben im Vergleich zum ur-
sprünglichen Entwurf etwas verbessert. Aber der
Gesetzentwurf, der heute zur Verabschiedung vorliegt,
bleibt weit hinter den Erwartungen sowohl der Künstle-
rinnen und Künstler und der Verwerter als auch hinter
den notwendigen Verbesserungen zurück, die diese Re-
form eigentlich hätte bringen sollen.
Ich möchte mit den Verbesserungen beginnen. Sie ha-
ben dem massiven Drängen vor allem der F.D.P.-Fraktion
nachgeben müssen, die gemeinnützigen Vereine wenigs-
tens teilweise außen vor zu lassen. Unser Antrag ging al-
lerdings weiter, nämlich alle gemeinnützigen Vereine
freizustellen. Das wäre eine angemessene Regelung ge-
wesen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Dr. Thea Dückert
16162
Das, was Sie machen, ist wieder nur eine Krücke.
Kein Wort in Ihrer Rede, Frau Dückert, kam das ist
schon bezeichnend so oft vor wie Sparhaushalt und
Notwendigkeit des Sparens. Warum Sie ausgerechnet
bei den Künstlern mit dem Sparen beginnen, bleibt mir al-
lerdings verschlossen.
Hier die Vorstellungen des Kulturrates, die wesentlich
weitergingen die Opposition hat diese Vorstellungen
aufgegriffen und Sie haben uns anschließend vorgewor-
fen, es seien Nörgeleien , als Nörgeleien zu bezeichnen
ist schon Frechheit.
Wir sind nicht damit einverstanden, dass Sie die Be-
rufsanfängerzeit von fünf auf drei Jahre verkürzen. Wir
sind auch nicht damit einverstanden, dass Sie den Bun-
deszuschuss zur Künstlersozialkasse auf 20 Prozent
gekürzt lassen. Wir sind des Weiteren nicht damit einver-
standen, dass Sie den sehr guten Vorschlag des Kulturra-
tes, bei der Bemessung des Bundeszuschusses flexibler
vorzugehen, nicht umgesetzt haben. Der Kulturrat hat uns
vorgeschlagen, den Bundeszuschuss zur Künstlersozial-
versicherung in einem Korridor von 20 Prozent bis
25 Prozent der Ausgaben zu bemessen und danach die
Verwerterabgabe und die Beiträge der Künstler festzule-
gen. Es hätte die finanziellen Möglichkeiten des Bundes
keinesfalls überfordert, wenn Sie diesen angemessenen
Vorschlag aufgegriffen hätten. Aber Sie haben das nicht
getan. Das ist eine Negierung der Interessen der Künstler.
Sie haben noch nicht einmal versucht, den Kreis der
Personen, die in die Künstlersozialversicherung aufge-
nommen werden können, zu begrenzen. Damit lassen Sie
eine Ausweitung dieses Personenkreises zu, ohne aber die
Finanzierung der neuen Mitglieder in angemessener Weise
sicherzustellen. All das kann keinen Bestand haben.
Wir erhalten die Forderungen aus unserem Entschlie-
ßungsantrag Frau Mascher hat dazu etwas gesagt auf-
recht und bitten um Zustimmung. Die Volkshochschu-
len in der Bundesrepublik Deutschland sind wirklich
flächendeckend mit Abgabenbescheiden überzogen wor-
den, in denen Rückforderungen in Höhe von 25 000 bis
40 000 DM für angeblich nicht gezahlte Beiträge in den
letzten Jahren erhoben werden. Jetzt sagt die Bundesre-
gierung den Volkshochschulen: Legt dagegen mal keine
Beschwerde ein, ohne zuzusagen, dass diese Bescheide
geändert oder zurückgenommen werden. Sie hätten mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf die Möglichkeit gehabt,
das zu tun. Aber Sie haben es nicht getan. Deswegen
werde ich allen Volkshochschulen weiterhin empfehlen,
auf jeden Fall Widerspruch gegen diese Bescheide einzu-
legen und sich nicht auf finanzielle Zusagen der Bundes-
regierung zu verlassen, die noch nicht einmal beziffert
sind, geschweige denn durchgesetzt.
Eine letzte Bemerkung zu dem wirklich sachwidrigen
Anhängsel, das Sie diesem Gesetzentwurf verpasst haben,
nämlich der so genannten Niveausicherungsklausel von
67 Prozent in der gesetzlichen Rentenversicherung. Das,
was Sie hier auf Druck der Gewerkschaften versuchen, ist
wirklich die Quadratur des Kreises. Jeder weiß, dass das
nicht funktionieren wird. Sie haben im Gesetzentwurf ei-
nen Beitragssatz von 22 Prozent festgeschrieben. Sie
schreiben darüber hinaus eine Niveausicherungsklausel
von 67 Prozent fest. Beides werden Sie innerhalb der
nächsten Jahre zurückziehen müssen, weil Sie es nicht
halten können.
Ihre Berechnungsgrundlagen stimmen einfach nicht; sie
sind zu optimistisch. Das hat die Anhörung ganz eindeu-
tig ergeben.
Meine Damen und Herren, wenn die Gewerkschaften
hier jetzt Politik machen, dann ist die Sozialpolitik in der
Tat einseitig und wird eine Katastrophe erleben.
Deswegen werden wir dem nicht zustimmen.
Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Dr. Heinrich Fink.
Sehr geehrte Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn es gelungen
wäre, die Vorschläge unseres Antrags im Novellierungs-
prozess des Künstlersozialversicherungsgesetzes umzu-
setzen,
dann könnten wir heute ein wesentlich besseres Ergebnis
vorweisen:
Erstens. Es wäre gesichert, dass alle hauptberuflich
künstlerisch oder publizistisch Tätigen, die nicht im Rah-
men von Beschäftigungsverhältnissen sozial abgesichert
sind, in den Versicherungsschutz nach dem KSVG
einbezogen würden.
Zweitens. Die Gefahr für den Bestand der Künstlerso-
zialkasse, die von den bestehen bleibenden Festlegungen
im Haushaltssanierungsgesetz von Ende 1999 ausgeht,
wäre mit Sicherheit gebannt.
Drittens. Es würde von der Bundesregierung eine um-
fassende Kulturenquete in Auftrag gegeben, von deren Er-
gebnissen aus der Ausbau der Künstlersozialversicherung
verantwortungsvoll betrieben werden könnte.
Denn nach wie vor sind noch Fragen offen die hier
auch gestellt wurden , wie die nach einem Versicherungs-
schutz für Zeiten ohne Einkommen, nach der Einführung
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Dr. Irmgard Schwaetzer
16163
einer Arbeitslosenversicherung und nach der Gewährleis-
tung einer angemessenen Rente für die Künstler und Künst-
lerinnen sowie die Publizisten und Publizistinnen.
Unser Antrag hat allerdings mit dazu beigetragen, das
zwei wichtige Korrekturen an dem Gesetz vorgenommen
wurden. Die beabsichtigte Verkürzung der Berufsan-
fängerzeit von fünf auf drei Jahre ist durch die vorge-
schlagene Regelung so gut wie aufgehoben. Zudem soll
die Einstandspflicht des Bundes von ihrer engen Bindung
an die so genannte Selbstvermarktungsquote gelöst wer-
den. Dies ist die wohl folgenreichste Änderung. Sie führt
dazu, dass für die Begründung des Bundeszuschusses die
kulturpolitische Verantwortung des Bundes für die so-
ziale Absicherung der Künstler und Künstlerinnen sowie
der Publizisten und Publizistinnen noch stärker als bisher
in den Vordergrund rückt.
Das ist eine wichtige Weichenstellung für die gesamte
Fortentwicklung der Künstlersozialversicherung.
Nun muss die Bundesregierung auf die noch immer im
Raume schwebende isolierte Studie zur Selbstvermark-
tung endgültig verzichten und es ist auch neu über eine
Erhöhung des Bundeszuschusses zu diskutieren. Natür-
lich unterstützen wir auch die noch nachträglich er-
reichten Verbesserungen, die nicht in unserem Antrag ent-
halten sind, also die Behebung der Sorgen bei den
Laienmusikvereinen und die generelle Herausnahme der
Übungsleiterpauschale aus der Bemessungsgrundlage für
die Künstlersozialabgabe.
Wir beschließen heute das ist ja hier schon hinrei-
chend diskutiert worden über die Sicherung des Ren-
tenniveaus auf 67 statt bisher 64 Prozent. Ich muss schon
sagen, für die PDS ist das eine sophistische Frage. Unsere
Rentenreformvorschläge hätten ein deutlich höheres Ren-
tenniveau sichergestellt. Eine wirkliche Rentenreform
wäre dann möglich gewesen und diese ist fällig.
Wir begrüßen die erreichten Verbesserungen, halten
sie aber für nicht ausreichend, um dem Gesetzentwurf zu-
zustimmen. Wir werden uns deshalb enthalten. Also:
Weiter kämpfen für eine bessere Existenz der Künstle-
rinnen und Künstler und damit auch für die Kunst in un-
serem Land!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Angelika Krüger-Leißner
für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin
doch sehr erstaunt, wie die Opposition heute diese De-
batte um eine sehr wichtige soziale Reform, die wir zu-
gunsten der Künstler und Publizisten heute umsetzen wol-
len, nutzt, um ihren Boykott gegen die Rentenreform
fortzuführen.
Ich glaube, Sie haben bis heute nicht verstanden, dass
wir dabei sind, auch diesen Part der Hinterbliebenenrente
zu modernisieren. Mit der Verbesserung der Familienför-
derung in den nächsten Jahren tragen wir auch zur Ab-
sicherung der Eigenständigkeit der Frauen bei. Außerdem
haben Sie bis heute nicht begriffen, dass Niveaustabilität
und Beitragsstabilität für uns ein verlässlicher Faktor in
der Rentenpolitik sind und bleiben.
Bevor ich in dieser Rede inhaltlich auf die Reform der
Künstlersozialversicherung eingehe, möchte ich da-
rüber ist mit Ihnen im Vorfeld im Einvernehmen beraten
worden eine kleine Berichtigung zur Beschlussemp-
fehlung anführen. In der Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Arbeit und Sozialordnung zum Entwurf eines
Zweiten Gesetzes zur Änderung des Künstlersozialver-
sicherungsgesetzes und anderer Gesetze muss es unter
Art. 1 Ziffer 10 Buchstabe b Doppelbuchstabe bb statt
Satz 3 zweiter Halbsatz heißen Satz 2 zweiter Halb-
satz. Ich bitte, diese Korrektur zu protokollieren und bei
der Abstimmung entsprechend zu berücksichtigen.
Danke.
Einige von uns haben den im März erschienenen Arti-
kel des Deutschen Kulturrats in der Zeitschrift Kultur ak-
tuell gelesen. Die Überschrift dieses Artikels lautete:
Ende gut, alles gut? Dies bezog sich auf die Reform der
Künstlersozialversicherung. Ich freue mich, dass wir
diese Frage heute in der abschließenden Lesung dieses
Gesetzentwurfs positiv beantworten können;
denn wir haben die Reform des Künstlersozialversiche-
rungsgesetzes auf die Zielgerade gebracht. Damit halten
wir unser Wort es ist im Koalitionsvertrag festgeschrie-
ben , dass wir die Künstlersozialversicherung zur weite-
ren Absicherung der Künstlerinnen und Künstler verbes-
sern werden.
Die Künstlersozialversicherung stellt seit 1983 das ge-
setzliche Fundament vieler Künstler und Publizisten in
Deutschland für die Vorsorge bei Krankheit und für das
Alter dar. Ist der Kreis der von diesem Gesetz erfassten
Versicherten im Vergleich zu den Beitragszahlern und
Rentnern der gesetzlichen Rentenversicherung auch ge-
ring, so hat die Künstlersozialversicherung für die dort
heute 110 000 Versicherten dennoch eine ähnlich große
sozialpolitische Bedeutung.
Sie ist letztendlich zugleich die Grundbedingung für kre-
atives künstlerisches und publizistisches Schaffen. Bei ei-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Dr. Heinrich Fink
16164
nem jährlichen Durchschnittseinkommen der in der Künst-
lersozialkasse versicherten Künstler von sage und schreibe
21 852 DM wird uns der Wert dieser sozialen Absicherung
erst so richtig bewusst.
Aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen galt es
für die Regierungskoalition zum einen, diese soziale und
kulturpolitische Errungenschaft zu erhalten und durch
Verbesserungen zu stärken. Dabei gelang uns in enger
Zusammenarbeit mit den Interessenvertretern aller künst-
lerischen Sparten mit Künstlern, mit Vertretern der Kul-
turwirtschaft und mit den Laienschaffenden ein inten-
siver Austausch über den Reformbedarf. Die Diskussion
strahlte ins Land aus. Sie wurde in Verbänden, mit der
Gewerkschaft und vor allem mit den Betroffenen selbst
geführt. Sie hat Anregungen natürlich auch kritische
hervorgerufen. Somit hat sie auf jeden Fall für die not-
wendige Transparenz gesorgt. Diese Diskussion hat vor
allem eines deutlich gemacht: In vielen Punkten gibt es
Übereinstimmung und auch Anerkennung im Hinblick
auf die heute vorliegende Novellierung.
Die Anhörung hat in vielen Sachpunkten Klarheit ge-
schaffen, die zu Änderungsanträgen der Koalitionsfrak-
tionen führten.
Auch die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kul-
tur und Medien war für die Entscheidungsfindung wichtig.
Die Änderungen im vorliegenden Gesetzentwurf haben
vor allem eines zur Folge: Sie schaffen mehr Gerechtigkeit
für die jungen Künstler, für die Publizisten, aber auch für
die Älteren, die in den nächsten Jahren das Rentenalter er-
reichen werden.
Kernstück der Novelle ist daher der erleichterte Zu-
gang älterer Künstler und Publizisten zur Kranken-
versicherung der Rentner, auch wenn sie schon vor Ent-
stehung der Künstlersozialversicherung tätig waren.
Damit schließen wir eine Lücke in der sozialen Absiche-
rung dieser Menschen. Ich bin froh, dass wir dieses drän-
gende Problem auf diese Weise gelöst haben.
Begrüßt wird vor allem auch die Möglichkeit, die Be-
rufsanfängerzeit zu unterbrechen: zum Beispiel durch
Mutterschafts- und Erziehungsurlaub, Zivil- bzw. Wehr-
dienst oder Arbeitnehmertätigkeit. Das ist richtig und not-
wendig und ermöglicht eine Verlängerung der dreijähri-
gen Berufsanfängerfrist.
Um noch besser die Besonderheiten der schwierigen
Anfangsjahre zu berücksichtigen, haben wir diese Rege-
lung mit der Möglichkeit kombiniert, die Geringfügig-
keitsgrenze zweimal innerhalb von sechs Jahren unter-
schreiten zu können, ohne den Versicherungsschutz zu
verlieren.
Ich glaube, diese Regelung trägt der Realität Rechnung.
Unter die Lupe genommen haben wir vor allen Dingen
den Bereich der Abgabenpflicht von Laienmusikvereinen,
die gegenüber der Künstlersozialkasse besteht. In diesem
Punkt herrschte Unklarheit und Verunsicherung. Nun ist
aber klar gestellt, dass von Laienorchestern und -chören
auf die Honorare an vereinseigene Dirigenten und Chor-
leiter keine Künstlersozialabgabe gezahlt werden muss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.
Eine weitere Ver-
besserung bedeutet auch die Ausdehnung der so genannten
Übungsleiterpauschale auf die Laienmusikvereine. Steuer-
freie Aufwandsentschädigungen bleiben bis zu 3 600 DM
sozialabgabefrei. Wir haben damit das Ehrenamt gestärkt.
Das ist politisch so gewollt und wird auch so umgesetzt.
Wir haben durch diese Regelungen die existenziellen
Interessen der Künstler und Publizisten berücksichtigt.
Wir wissen aber auch, dass wir nicht alle Wünsche erfül-
len konnten. Die Höhe des Bundeszuschusses blieb un-
berührt. Da die Verbände vor allem eine weitere Absen-
kung des Bundeszuschusses befürchteten, will ich eines
deutlich machen: Das darf nicht passieren.
Wir brauchen für alle Seiten Verlässlichkeit und Konti-
nuität in der Künstlersozialversicherung: für die Künstler
selbst, für die Verwerter und für den Bund.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, ich er-
mahne Sie ein letztes Mal, zum Schluss zu kommen.
Ich komme zum
Schluss meiner Ausführungen.
Ich könnte meine Rede nicht besser beenden als mit ei-
nem Zitat eines Sachverständigen aus der Anhörung. Herr
Zimmermann vom Deutschen Kulturrat fasste unsere Re-
formbemühungen in folgende Worte: Wir haben
alle gemeinsam ein Interesse daran ..., dass diese
Künstlersozialversicherung nicht nur in dieser Legis-
laturperiode hält, sondern sie soll auch in den nächs-
ten 20 bis 30 Jahren ... halten, weil es die beste, die
sinnvollste Möglichkeit der sozialen Absicherung für
die Künstlerinnen und Künstler ist.
Dazu will ich zum Schluss noch eine Bemerkung machen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, Frau Kollegin,
der Osterbonus ist aufgebraucht.
Dann bedanke ich
mich für die Aufmerksamkeit.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Angelika Krüger-Leißner
16165
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Künstlersozialversicherungsgesetzes und anderer Ge-
setze, Drucksache 14/5066. Der Ausschuss für Arbeit und
Sozialordnung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 14/5792 die Annahme des
Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
unter Einschluss der soeben vorgetragenen Berichti-
gung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer
stimmt dagegen? Enthaltungen? Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS angenom-
men.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer
stimmt dagegen? Enthaltungen? Der Gesetzentwurf
ist damit gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P.
bei Enthaltung der PDS angenommen.
Wir kommen nun zu den Entschließungsanträgen. Wer
stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/5825? Wer stimmt dage-
gen? Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist ge-
gen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthal-
tung der PDS-Fraktion abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der F.D.P. auf Drucksache 14/5824? Wer stimmt dage-
gen? Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist ge-
gen die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS abge-
lehnt.
Wir kommen zurück zur Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksa-
che 14/5792. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der F.D.P. mit dem Titel Reform der Künstler-
sozialversicherung gerecht gestalten, Drucksache
14/4929 . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? Gegenprobe! Enthaltungen? Die Beschluss-
empfehlung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU- und
F.D.P.-Fraktion angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der PDS auf Drucksache 14/5086 mit dem Titel
Für eine grundlegende Reform der Künstlersozialversi-
cherung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?
Gegenprobe! Enthaltungen? Die Beschlussempfeh-
lung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion ange-
nommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf:
19 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes
und anderer Gesetze
Drucksachen 14/4329, 14/4458
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses
Drucksache 14/5793
Berichterstattung:
Abgeordnete Gisela Schröter
Beatrix Philipp
Grietje Bettin
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Petra Pau
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses zu der
Unterrichtung durch die Bundesregierung
Tätigkeitsbericht 1997 und 1998 des Bundes-
beauftragten für den Datenschutz 17. Tätig-
keitsbericht
Drucksachen 14/850, 14/1012 Nr. 6, 14/5353
Berichterstattung:
Abgeordnete Gisela Schröter
Beatrix Philipp
Cem Özdemir
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Petra Pau
Zu dem Gesetzentwurf liegen sechs Änderungsanträge
und ein Entschließungsantrag der Fraktion der PDS vor.
Die Kolleginnen und Kollegen Jörg Tauss, Beatrix
Philipp, Grietje Bettin, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Petra
Pau sowie der Parlamentarische Staatssekretär Fritz
Rudolf Körper haben ihre Reden zu Protokoll gege-
ben.1) Ich sehe keinen Widerspruch im Hause.
Wir kommen deshalb sofort zu den Abstimmungen,
und zwar zunächst über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesda-
tenschutzgesetzes und anderer Gesetzes in der Aus-
schussfassung, Drucksachen 14/4329 und 14/5793. Es
liegen sechs Änderungsanträge der Fraktion der PDS vor,
über die wir zuerst abstimmen werden.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
14/5812? Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? Der
Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Frak-
tion abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
14/5816? Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? Der
Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Frak-
tion abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
14/5818? Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? Auch
dieser Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-
Fraktion abgelehnt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116166
1) Anlage 5
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
14/5820? Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? Der
Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Frak-
tion abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
14/5821? Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? Der
Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Frak-
tion abgelehnt.
Schließlich der Änderungsantrag auf Drucksache
14/5822: Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen?
Enthaltungen? Auch dieser Änderungsantrag ist gegen
die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? Der Ge-
setzentwurf ist gegen die Stimmen von F.D.P.- und PDS-
Fraktion bei Enthaltung der CDU/CSU in zweiter
Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer
stimmt dagegen? Enthaltungen? Der Gesetzentwurf
ist damit gegen die Stimmen von F.D.P. und PDS bei Ent-
haltung der CDU/CSU angenommen.
Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion
der PDS. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf
Drucksache 14/5817? Wer stimmt dagegen? Enthal-
tungen? Der Entschließungsantrag ist gegen die Stim-
men der PDS-Fraktion abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Innenausschusses zum Tätigkeits-
bericht 1997 und 1998 des Bundesdatenschutzbeauf-
tragten. Es handelt sich um die Drucksachen 14/850 und
14/5353. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis des Be-
richts eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe! Enthal-
tungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
des gesamten Hauses angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Uwe-
Jens Rössel, Dr. Dietmar Bartsch, Heidemarie
Ehlert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
PDS
Änderung des Zerlegungsmaßstabs des Ge-
werbesteuermessbetrags
Drucksache 14/5584
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Uwe-
Jens Rössel, Dr. Dietmar Bartsch, Heidemarie
Ehlert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
PDS
Erhöhung der Gewerbesteuerumlage rückgän-
gig machen
Drucksache 14/5586
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die PDS-
Fraktion ist der Kollege Dr. Uwe-Jens Rössel.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Auch beim Thema Kommu-
nalfinanzen muss die Bundesregierung offenbar erst zum
Jagen getragen werden.
Gerade durch die PDS.
Mit einem schwergewichtigen Versprechen ist die rot-
grüne Regierung 1998 gestartet. Die kommunale Finanz-
kraft sollte gestärkt und das Gemeindefinanzsystem einer
in der Tat umfassenden Prüfung unterzogen werden. Pas-
siert ist aber wenig.
Wie immer, Kollege Fromme, da gebe ich Ihnen Recht.
Die dringend notwendige Reform des kommunalen Fi-
nanzwesens wurde erst einmal auf die lange Bank ge-
schoben und jetzt sogar auf die nächste Legislaturperiode
vertagt. Das halten wir für unverantwortlich.
Jetzt tut handeln Not. Für viele Kommunen ist bereits
jetzt das Ende der Fahnenstange erreicht. Allein die Steu-
erreform reißt im Jahre 2001 ein Minus von etwa 8 Milli-
arden DM in die Stadt- und Gemeindekassen. Weitere
Steuerausfälle bzw. Mehrkosten bei den Kommunen wur-
den noch gar nicht exakt beziffert. Ich nenne als belas-
tende Faktoren nur die BSE-Krise, die Euro-Umstellung,
die Förderung der privaten Altersvorsorge, den Wegfall
der originären Arbeitslosenhilfe und den Teilrückzug des
Bundes aus der Finanzierung des Unterhaltsvorschusses
für Alleinerziehende. Dies alles unterstreicht noch ein-
mal, wie dringend notwendig es ist, eine Reform des kom-
munalen Finanzwesens in Angriff zu nehmen.
Die PDS-Fraktion stellt nicht nur Forderungen, son-
dern ist auch die einzige Fraktion, die schon vor einiger
Zeit ein diesbezügliches Konzept in den Bundestag ein-
gebracht hat.
Dieses Konzept wird durch weitere Anträge, die heute der
Öffentlichkeit vorgestellt werden, untersetzt. Ein erster
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Vizepräsidentin Petra Bläss
16167
Antrag fordert dazu auf, dass die zur Finanzierung der Un-
ternehmensteuerreform beschlossene Erhöhung der so ge-
nannten Gewerbesteuerumlage an Bund und Länder
rückgängig gemacht wird. Bereits jetzt schon müssen
Städte und Gemeinden 20 Prozent ihrer Gewerbe-
steuereinnahmen an den Bund bzw. das jeweilige Land
abführen. Dabei soll es aber nicht sein Bewenden haben.
Bis zum Jahre 2005 soll diese Umlage schrittweise auf
sage und schreibe 28 Prozent ansteigen. Bereits in diesem
Jahr das ist empörend verlieren die Kommunen da-
durch 1,4 Milliarden DM an eigenen Einnahmen.
Das sind keine falschen Zahlen, Kollege Scheelen.
Das ist so viel, wie allein der Umwelthaushalt des Bundes
in diesem Jahr ausmacht.
Das ist empörend.
Auf der Strecke bleiben die kommunalen Finanzen;
das wirkt sich insbesondere auf die Investitionen und die
Finanzierung von Freizeiteinrichtungen für Jugendliche
aus. Gerade hier entstehen dadurch Leerräume, in die
rechtsradikale und rassistische Kräfte stoßen können. Wir
sollten das immer im Auge behalten.
Eine Besserung bei den Regelungen zur Gewerbe-
steuerumlage scheint nicht in Sicht. Im Jahre 2005 wer-
den den Gemeinden deswegen voraussichtlich 5 Milliar-
den DM fehlen. Immer mehr Gewerbesteuer fließt damit
in die Kassen von Bund und Ländern und nicht in die
Gemeindekasse, wo sie originär hingehört. Kollege
Scheelen, Sie wissen das; in Krefeld ist das auch so.
Der Kollege Hans-Werner Brüning, Fraktionsvorsit-
zender im Stadtrat von Magdeburg, hat am Dienstag vor
der Fraktion erklärt, dass in seiner Stadt CDU und SPD
auf diese Situation dadurch reagieren, dass sie den Hebe-
satz für die Gewerbesteuer weiter erhöhen.
Das aber ist unternehmensschädlich. Wir als unterneh-
mensfreundliche Partei verurteilen dies entschieden.
Ich danke für die Zustimmung, auch im Kreis der Ko-
alition wird das offenbar so gesehen; diese Unterstützung
nehmen wir gern zur Kenntnis.
Ein zweiter Antrag zielt auf die Veränderung des so
genannten Zerlegungsmaßstabes. Dies ist ein schwieri-
ges Feld, ich versuche aber, es einfach darzustellen. Es
geht um Folgendes: Nach der derzeitigen Rechtslage be-
stimmt der Gewinn der ortsansässigen Unternehmen die
Gewerbesteuereinnahmen der Städte und Gemeinden. Er-
strecken sich die Betriebsstätten eines Unternehmens aber
über mehrere Gemeinden dafür gibt es ja sehr viele Bei-
spiele , wird die Gewerbesteuer entsprechend den ge-
zahlten Löhnen und Gehältern auf die jeweiligen Ge-
meinden aufgeteilt. Damit führt eine niedrigere Lohn- und
Gehaltssumme der Betriebsstätte zu einer niedrigeren Zu-
weisung der Gewerbesteuer an die Kommune.
Besonders negativ betroffen, Kollege Fromme, sind ost-
deutsche Städte und Gemeinden, deren Betriebsstätten im
Durchschnitt 25 Prozent niedrigere Löhne und Gehälter
zahlen als Stammunternehmen im Altbundesgebiet. Aber
auch in strukturschwachen Regionen im Altbundesgebiet
gibt es eine im Grundsätzlichen vergleichbare Situation.
Deshalb schlägt die PDS-Fraktion in dem heute vorlie-
genden Antrag auch vor, anstelle des jetzigen Zerle-
gungsmaßstabes nach dem Verhältnis der Löhne und
Gehälter künftig diesen nach dem Verhältnis der Zahl der
Arbeitsplätze in den jeweiligen Betriebsstätten zu bemes-
sen.
Das ist gerechter, ist in Bezug auf die Statistik handhab-
bar und verursacht keinen höheren Verwaltungsaufwand.
Es wäre ein Weg, um bestehende Benachteiligungen vor
allem für Gemeinden ist Ostdeutschland, aber auch für
Gemeinden in so mancher strukturschwachen Region im
Altbundesgebiet künftig korrigieren zu können. Daher
werbe ich ausdrücklich für die Unterstützung dieses An-
trages und bitte Sie, bei den Ausschussberatungen dem-
entsprechend zu agieren.
Jetzt wünsche ich Ihnen noch ein schönes Osterfest und
einen guten Heimweg in die Wahlkreise.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die guten Wün-
sche bin ich nachher zuständig.
Die Kolleginnen und Kollegen Bernd Scheelen,
Jochen-Konrad Fromme, Christine Scheel und Gerhard
Schüßler haben ihre Reden zu Protokoll gegeben1). Ich
sehe großes Einverständnis im gesamten Hause.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/5584 und 14/5586 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Dr. Uwe-Jens Rössel
16168
1) Anlage 6
Drucksache 14/5335
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes
Drucksache 14/5654
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Dr. Guido Westerwelle, Dr. Edzard Schmidt-
Jortzig, Dr. Max Stadler, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Staatsangehörigkeitsgesetzes und des Auslän-
dergesetzes
Drucksache 14/4537
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses
Drucksache 14/5798
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Bürsch
Thomas Strobl
Marieluise Beck
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Petra Pau
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses zu dem Antrag der
Abgeordneten Dr. Guido Westerwelle, Dr. Edzard
Schmidt-Jortzig, Dr. Max Stadler, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der F.D.P.
Schlussoffensive für erleichterte Einbürge-
rung von Kindern
Drucksachen 14/4416, 14/5798
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Bürsch
Thomas Strobl
Marieluise Beck
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Petra Pau
Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Michael Bürsch,
Thomas Strobl, Marieluise Beck, Dr. Max Stadler, Ulla
Jelpke sowie die Parlamentarische Staatssekretärin
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast haben ihre Reden zu Pro-
tokoll gegeben.1) Auch hier sehe ich Freude im gesam-
ten Hause.
Wir kommen zur Abstimmung über die Gesetzent-
würfe der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen sowie der Bundesregierung zur Änderung des
Staatsangehörigkeitsgesetzes und über den Gesetzent-
wurf der Fraktion der F.D.P. zur Änderung des Staatsan-
gehörigkeitsgesetzes und des Ausländergesetzes. Der
Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 14/5798, die genann-
ten drei Gesetzentwürfe zusammenzuführen und in der
Ausschussfassung anzunehmen. Es handelt sich um die
Drucksachen 14/5335, 14/5654 und 14/4537. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer
stimmt dagegen? Enthaltungen? Kann ich noch einmal
das Abstimmungsverhalten der PDS erfahren?
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen
die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Ich
glaube, jetzt müsste sich auch die F.D.P. erheben.
Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? Der Gesetzent-
wurf ist damit gegen die Stimmen der CDU/CSU-Frak-
tion angenommen.
Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe b sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/5798 die
Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? Gegenprobe! Enthaltungen?
Auch diese Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
der CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung, den Antrag der Fraktion der
F.D.P. mit dem Titel ,Schlussoffensive für erleichterte
Einbürgerung von Kindern für erledigt zu erklären; es
handelt sich um die Drucksache 14/4416. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? Ich stelle Einstimmigkeit
im Hause fest; die Beschlussempfehlung ist angenom-
men.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialord-
nung
zu dem Antrag der Abgeordneten Franz
Thönnes, Klaus Wiesehügel, Leyla Onur, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Kerstin Müller
, Rezzo Schlauch und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Eckpunkte zur Verbesserung der Bekämpfung
illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit
zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Hildebrecht Braun ,
Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der F.D.P.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Vizepräsidentin Petra Bläss
16169
1) Anlage 7
Schattenwirtschaft mit marktwirtschaftlichen
Mitteln eindämmen
Drucksachen 14/5270, 14/3024, 14/5784
Berichterstattung:
Abgeordnete Brigitte Baumeister
Die Kolleginnen und Kollegen Leyla Onur, Brigitte
Baumeister, Dr. Thea Dückert, Dirk Niebel, Dr. Klaus
Grehn sowie der Parlamentarische Staatssekretär Gerd
Andres haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Auch
hier wieder große Freude!
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Arbeit- und Sozialordnung auf Drucksa-
che 14/5784. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags
der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-
nen mit dem Titel Eckpunkte zur Verbesserung der
Bekämpfung illegaler Beschäftigung und Schwarzar-
beit, Drucksache 14/5270. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? Gegenprobe! Enthaltungen?
Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS-Fraktion
angenommen.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion der F.D.P. mit dem Titel Schattenwirtschaft
mit marktwirtschaftlichen Mitteln eindämmen, Druck-
sache 14/3024. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? Gegenprobe! Enthaltungen? Die Beschluss-
empfehlung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU- und
F.D.P. angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 sowie die Zusatz-
punkte 14 und 15 auf:
23. Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Paul K. Friedhoff, Dr. Günter Rexrodt,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Für ein effizientes und transparentes Ausfuhr-
gewährleistungssystem
Drucksache 14/5334
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Haushaltsausschuss
ZP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf
Hempelmann, Dr. Ditmar Staffelt, Klaus Barthel,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Kerstin Müller ,
Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Für ein modernes Ausfuhrgewährleistungssys-
tem
Drucksache 14/5767
ZP 15 Beratung des Antrags der Abgeordneten Erich G.
CDU/CSU
Für den Erhalt von Hermes als Instrument der
Außenwirtschaftsförderung und eine Reform
des Hermes-Instruments im internationalen
Rahmen
Drucksache 14/5749
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
Die Kolleginnen und Kollegen Rolf Hempelmann,
Erich G. Fritz, Werner Schulz, Gudrun Kopp, Ulla Lötzer
sowie der Parlamentarische Staatssekretär Siegmar
Mosdorf haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.2) Auch
hier Einverständnis im Hause.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5334 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-
nen Für ein modernes Ausfuhrgewährleistungssystem.
Wer stimmt für den Antrag auf Drucksache 14/5767?
Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? Der Antrag ist
gegen die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS an-
genommen.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5749 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 9. Mai 2001, 13.00 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern, aber auch den Mitarbeiterinnen und Mitar-
beitern der Bundestagsverwaltung ein gesundes und fro-
hes Osterfest. Viel Spaß beim Suchen! Seien Sie erfolg-
reich!
Die Sitzung ist geschlossen.