Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
Vizepräsidentin Petra Bläss
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1) Anlage 8 2) Anlage 9
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Altmaier, Peter CDU/CSU 06.04.2001
Dr. Bauer, Wolf CDU/CSU 06.04.2001
Behrendt, Wolfgang SPD 06.04.2001**
Dr. Berg, Axel SPD 06.04.2001
Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 06.04.2001
Dr. Blank, CDU/CSU 06.04.2001
Joseph-Theodor
Bodewig, Kurt SPD 06.04.2001
Bohl, Friedrich CDU/CSU 06.04.2001
Dr. Brecht, Eberhard SPD 06.04.2001*****
Breuer, Paul CDU/CSU 06.04.2001
Brüderle, Rainer F.D.P. 06.04.2001
Brudlewsky, Monika CDU/CSU 06.04.2001
Burgbacher, Ernst F.D.P. 06.04.2001
Ehlert, Heidemarie PDS 06.04.2001
Fischer (Berlin), BÜNDNIS 90/ 06.04.2001
Andrea DIE GRÜNEN
Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 06.04.2001
Joseph DIE GRÜNEN
Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 06.04.2001*****
Gleicke, Iris SPD 06.04.2001
Glos, Michael CDU/CSU 06.04.2001
Graf (Rosenheim), SPD 06.04.2001
Angelika
Griefahn, Monika SPD 06.04.2001*****
Hartnagel, Anke SPD 06.04.2001
Hasenfratz, Klaus SPD 06.04.2001
Hauser (Rednitzhembach) CDU/CSU 06.04.2001
Hansgeorg
Dr. Haussmann, F.D.P. 06.04.2001
Helmut
Heinen, Ursula CDU/CSU 06.04.2001
Heubaum, Monika SPD 06.04.2001
Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 06.04.2001
DIE GRÜNEN
Hirche, Walter F.D.P. 06.04.2001
Irber, Brunhilde SPD 06.04.2001
Jaffke, Susanne CDU/CSU 06.04.2001
Dr.-Ing. Jork, Rainer CDU/CSU 06.04.2001
Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 06.04.2001
Kauder, Volker CDU/CSU 06.04.2001
Klappert, Marianne SPD 06.04.2001
Dr. Köster-Loßack, BÜNDNIS 90/ 06.04.2001*****
Angelika DIE GRÜNEN
Dr.-Ing. Krüger, Paul CDU/CSU 06.04.2001
Kühn-Mengel, Helga SPD 06.04.2001
Dr. Lamers CDU/CSU 06.04.2001*****
(Heidelberg), Karl A.
Leidinger, Robert SPD 06.04.2001
Lengsfeld, Vera CDU/CSU 06.04.2001
Link (Diepholz), Walter CDU/CSU 06.04.2001**
Lintner, Eduard CDU/CSU 06.04.2001**
Dr. Lippelt, Helmut BÜNDNIS 90/ 06.04.2001
DIE GRÜNEN
Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 06.04.2001
Erich
Maier, Pia PDS 06.04.2001
Mascher, Ulrike SPD 06.04.2001
Michels, Meinolf CDU/CSU 06.04.2001
Moosbauer, Christoph SPD 06.04.2001
Müller (Berlin), PDS 06.04.2001
Manfred
Müller (Jena), CDU/CSU 06.04.2001
Bernward
Ostrowski, Christine PDS 06.04.2001
Pieper, Cornelia F.D.P. 06.04.2001
Poß, Joachim SPD 06.04.2001
Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 06.04.2001
Raidel, Hans CDU/CSU 06.04.2001*****
entschuldigt bis
Abgeordnete(r) einschließlich
entschuldigt bis
Abgeordnete(r) einschließlich
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlagen zum Stenographischen Bericht
Dr. Riesenhuber, Heinz CDU/CSU 06.04.2001
Rönsch (Wiesbaden), CDU/CSU 06.04.2001
Hannelore
Schloten, Dieter SPD 06.04.2001*****
Schmidt (Aachen), Ulla SPD 06.04.2001
Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 06.04.2001
Andreas
Schuhmann (Delitzsch), SPD 06.04.2001
Richard
Schultz (Everswinkel), SPD 06.04.2001
Reinhard
Dr. Schuster, R. Werner SPD 06.04.2001
Sehn, Marita F.D.P. 06.04.2001
Steiger, Wolfgang CDU/CSU 06.04.2001
Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 06.04.2001
Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 06.04.2001
Tröscher, Adelheid SPD 06.04.2001
Uldall, Gunnar CDU/CSU 06.04.2001
Volquartz, Angelika CDU/CSU 06.04.2001
Wiesehügel, Klaus SPD 06.04.2001
Wistuba, Engelbert SPD 06.04.2001
Wohlleben, Verena SPD 06.04.2001
Wolf, Aribert CDU/CSU 06.04.2001
Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 06.04.2001
Zierer, Benno CDU/CSU 06.04.2001**
Zöller, Wolfgang CDU/CSU 06.04.2001
** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm-
lung des Europarates
**** für die Teilnahme an der Sitzung der Parlamentarischen Versamm-
lung der NATO
***** für die Teilnahme an der 105. Jahreskonferenz der Interparlamenta-
rischen Union
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (PDS) zur Ab-
stimmung über den Entwurf eines Sozialgesetz-
buches Neuntes Buch (SGB IX) Rehabilation
und Teilhabe behinderter Menschen (Drucksa-
che 14/5074)
Der große Wurf in der Behindertenpolitik ist mit dem
SGB IX nicht erreicht, obwohl eine Reihe von Verbesse-
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entschuldigt bis
Abgeordnete(r) einschließlich
rungen erzielt wurde. Gleichzeitig gibt es aber eben auch
reale Verschlechterungen. Als am 4. Dezember des
vergangenen Jahres der Deutsche Behindertenrat seine
12 Thesen symbolisch an die Tür der Berliner Nikolaikir-
che heftete, war klar, dass ein SGB IX nicht ausreichen
würde, um die wahrlich nicht neuen Forderungen der
Menschen mit Behinderungen und ihrer Verbände zu er-
füllen. Gemessen an diesen Thesen ist das SGB IX ein
Zwischenschritt, aber nicht der bereits überall verlaut-
barte Paradigmenwechsel.
In These 10 heißt es beim Deutschen Behindertenrat
zum Beispiel: Die Nachrangigkeit der Eingliederungs-
hilfe im Sozialrecht muss beseitigt werden. Eltern, die
sich für ein behindertes Kind entschieden haben, dürfen
nicht lebenslang durch Unterhaltszahlungen bestraft
werden. Mit dem SGB IX wird die Nachrangigkeit bei
der Eingliederungshilfe für Behinderte nicht beseitigt. In-
sofern ist das SGB IX kein Leistungsgesetz. Es ist vor-
wiegend auf die Zusammenfassung und Weiterentwick-
lung des Rechts der medizinischen und beruflichen
Rehabilitation ausgerichtet. Hier gibt es in der Tat eine
Reihe von positiven Neuerungen, die von der PDS bereits
bei Vorlage des Gesetzentwurfs benannt wurden. Da der
Grundsatz der Nachrangigkeit für Leistungen der Ein-
gliederungshilfe im Bundessozialhilfegesetz verankert
bleibt, müssen auch künftig Menschen mit Behinderun-
gen Einkommens- und Vermögensnachweise erbringen
und Bedürftigkeitsprüfungen über sich ergehen lassen.
Positiv ist allerdings, dass jetzt Angehörige von Werkstät-
ten für Behinderte und in Fördereinrichtungen von dieser
Regelung ausgenommen werden. Hier macht die Bundes-
regierung einen Schritt, den die PDS begrüßt. Die Be-
grenzung der Unterhaltspflicht für Eltern von erwachse-
nen Behinderten auf das 27. Lebensjahr und auf einen
Höchstbetrag von 50 DM ist die wohl wichtigste Verbes-
serung, die im parlamentarischen Verfahren im SGB IX
erzielt wurde. Damit wird zumindest der zweite Teil der
genannten These des Deutschen Behindertenrates weitge-
hend erfüllt. Wichtig wäre aber, bei diesen Schritten nicht
stehen zu bleiben. Deshalb hat die Fraktion der PDS in
ihren Anträgen gefordert, schon im SGB IX eine Festle-
gung zu treffen, bis wann ein umfassendes Leistungsge-
setz für Menschen mit Behinderungen vorgelegt werden
soll. Eine solche Festlegung würde sowohl den betroffe-
nen Menschen und ihren Angehörigen, aber auch den
Städten und Gemeinden, die bisher als Sozialhilfeträger
für die Kosten der Eingliederungshilfe aufkommen, eine
klare Perspektive bieten.
PDS und CDU/CSU hatten ja im Ausschuss für Arbeit
und Sozialordnung mit eigenen Anträgen ein Leistungs-
gesetz gefordert. Die CDU/CSU ging sogar so weit, allen
Verbänden mit Schreiben vom 15. März ihre grundsätzli-
che Zustimmung zum SGB IX mitzuteilen. Weiter heißt
es im Schreiben von Frau Nolte und Herrn Laumann: Es
ist unsere feste Überzeugung, dass dieser Schritt nicht
ausreicht, um elementaren Bedürfnissen der behinderten
Menschen gerecht zu werden. Daher fordert die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion ein eigenständiges, bun-
desfinanziertes Leistungsgesetz für Behinderte, mit dem
die Eingliederungshilfe aus dem Sozialhilferecht heraus-
gelöst und auf eine eigene Grundlage gestellt wird. Da-
her habe ich mich in einem Schreiben am 29. März an die
behindertenpolitischen Sprecher aller Fraktionen ge-
wandt und vorgeschlagen, wenigstens in einer begleiten-
den Entschließung zum SGB IX den Willen aller Parla-
mentarier zum Ausdruck zu bringen, die Vorlage eines
solchen Gesetzentwurfs in der kommenden Legislaturpe-
riode zu unterstützen. Ein Gespräch mit dem Behinder-
tenbeauftragten der Bundesregierung am 27. März hatte
mich zusätzlich zu diesem Schritt ermutigt.
Weder von den Fraktionen der Regierungskoalition,
noch von CDU/CSU oder der F.D.P. gab es irgendeine Re-
aktion auf diesen Vorschlag. Auch bei der abschließenden
Beratung im federführenden Ausschuss gab es kein posi-
tives Echo. Hier haben Regierung und rechte Opposition
eine Chance verpasst, die positiven Ansätze des SGB IX
zu stärken und die noch offenen Fragen im nächsten An-
lauf zu lösen. Bei allem Respekt gegenüber der persönli-
chen Leistung des Behindertenbeauftragten kann man
heute nicht darüber hinweggehen, dass das SGB IX zahl-
reiche Defizite, offene Fragen und sogar Leistungsein-
schränkungen aufweist. Warum wurde zum Beispiel der
Kostenvorbehalt im § 3 a des BSHG für ambulante ge-
genüber stationären Leistungen, also der so genannte
Heimeinweisungsparagraph, nicht aufgehoben? Warum
hält die Regierungskoalition an einem Behindertenbegriff
fest, der mit unnötigen Einschränkungen versehen und
eher defektologisch orientiert ist? Und warum weigert sie
sich angesichts des immer noch ausstehenden Bundes-
gleichstellungsgesetzes, das im Grundgesetz verankerte
Benachteiligungsverbot von Menschen mit Behinderun-
gen in die Zielbestimmung des SGB IX aufzunehmen?
Übrigens das kostet keinen Pfennig.
Weitere Defizite können hier nur summarisch benannt
werden. Sie reichen vom Behindertensport über ungelöste
Fragen der Versorgung von psychisch kranken Menschen,
unbefriedigenden Lösungen für behinderte Studierende,
offenen Fragen für hörgeschädigte Menschen, restriktiven
Regelungen bei der Gebärdensprache etc.
Die Endfassung de SGB IX enthält sogar Leistungs-
einschränkungen und Verschlechterungen: Leistungen
der Krankenhilfe nach § 37 BSHG werden erheblich ein-
geschränkt, anstatt wie von der nationalen Armutskon-
ferenz gefordert außerhalb des BSHG zu gewährleisten,
dass bisher nicht krankenversicherte Sozialhilfeempfän-
ger endlich in die GKV einbezogen werden. Die Erho-
lungshilfen werden auf Forderung des Bundesrates
aus Einsparzwecken gestrichen. Sie betreffen eine relativ
geringe Anzahl von Menschen, das kann aber kein Grund
für Leistungskürzungen sein. Teilhabeleistungen im Be-
reich des Wohnens werden restriktiv geregelt, denn von
Hilfen beim Um- und Ausbau einer behindertengerechten
Wohnung ist nicht mehr die Rede. Die Pflichtquote zur
Beschäftigung Schwerbehinderter im Öffentlichen Dienst
6 Prozent soll in dieser Höhe nur noch in Einrichtun-
gen des Bundes gelten, die diese Pflichtquote bereits bis-
her erfüllt haben. Damit wird die angestrebte Vorbildrolle
des öffentlichen Dienstes bei der Beschäftigung Schwer-
behinderter geschwächt. Unter dem Strich bleibt festzu-
halten: Bei diesem SGB IX sind viele Chancen verpasst
worden. Daher verdient es eine Stimmenthaltung.
Anlage 3
Erklärung des Abgeordneten Rolf Kutzmutz (PDS)
zur Abstimmung über die Nr. 2 der Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und
Technologie zu dem Antrag: Herstellung fairer
Wettbewerbsbedingungen für die deutsche und
europäische Werftindustrie (Tagesordnungs-
punkt 17)
Ich erkläre namens mein Fraktion: Unser Votum lautet
Ja.
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
der Beschlussempfehlung: Herstellung fairer Wett-
bewerbsbedingungen für die deutsche und europä-
ische Werftindustrie
des Antrags: Sicherung eines fairen Wettbewerbs
für deutsche und europäische Werften
der Beschlussempfehlung: Zukunftschancen des
deutschen und europäischen Schiffbaus nachhaltig
verbessern
(Tagesordnungspunkt 17 und Zusatztagesordnungs-
punkte 13 und 16)
Dr. Margrit Wetzel (SPD): Kräftiger Rückenwind für
unsere Regierung am 15. Mai in Brüssel: Das ist es, was
heute alle Fraktionen im Parlament beim Thema Werften
eint. Wir wollen, dass die EU energisch weiter mit Korea
verhandelt, um das Fairness-Abkommen durchzusetzen.
Wir wissen, dass Japan die EU dabei unterstützen wird.
Und wir wollen wirksame neue Regelungen, die die Wett-
bewerbsfähigkeit der europäischen Werften sichern, so-
lange Korea noch mit Dumpingpraktiken die Wettbewer-
ber vom Markt zu fegen versucht.
Wenn es nur um einen harten Wettbewerb auf dem
Weltmarkt ginge, hätte der deutsche Schiffbau unsere
Hilfe ganz sicher nicht nötig. Unsere deutschen Werften
sind nicht mehr die Stahlbauunternehmen der 50er-Jahre,
ihre Kernkompetenz liegt heute in ihrer Systemfähigkeit.
Maßgeschneiderte Schiffe von hoher Komplexität werden
mit höchster Präzisionstechnologie in enger Abstimmung
mit Auftraggebern, Planern, Entwicklern, Zulieferern und
Systemlieferanten konzipiert, entworfen, gebaut, zusam-
mengeführt und pünktlich in hoher Qualität ausgeliefert.
Die Werften selbst erbringen heute nur noch etwa
30 Prozent der Wertschöpfung eines Schiffes, tragen aber
die Systemverantwortung und das volle unternehmerische
auch das finanzielle Risiko. Sie sind belastet durch
hohe Entwicklungskosten, oft am einzelnen Schiff. Vor-
teile durch Serien- oder gar Massenproduktion sind nie
am gesamten Schiff, bestenfalls bei standardisierten Bau-
teilen oder einzelnen Modulen zu erzielen. Auf den Werf-
ten finden wir heute nicht mehr überwiegend Blaumänner,
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sondern Weißkittel: Es gibt mehr Ingenieure, Konstruk-
teure und Datenverarbeitungsspezialisten als Schlosser,
Tischler oder Stahlbauer. Eine spannende Industrie, eine
Wachstumsbranche, in der Innovation Alltag ist.
Leider weiß das aber auch unsere asiatische Konkur-
renz nur viel zu gut. Nachdem zunächst Japan viele Jahre
härtester Wettbewerber unserer Werften mit der über viele
Jahre konkret geplanten und gezielt durchgehaltenen stra-
tegischen Unterstützung seiner maritimen Industrie war,
leiden nun nahezu alle Schiffbaunationen unter der Dum-
ping- und Verdrängungspolitik, die Südkorea im Schiff-
bau betreibt. Gigantische, hochmoderne Werften, qualifi-
zierte, motivierte Arbeiter, hohe Serienproduktionen im
Bereich der Standardtanker, Massengutfrachter und Con-
tainerschiffe mit allen damit verbundenen Kostenvortei-
len wären vielleicht noch zu verkraften, wenn nicht die
Dumpingpreise Koreas zu einem brutalen Verdrängungs-
wettbewerb führen würden.
Werften, die Verkaufspreise bis zu 40 Prozent unter den
eigenen Gestehungskosten anbieten, können langfristig
zwar nicht durchhalten, kurzfristig aber die Märkte so dra-
matisch stören, dass der Weltschiffbau im Hinblick auf
Preise und Kapazitäten vollständig aus der Balance gerät.
Unterstützung finden die koreanischen Werften bei den
staatlich kontrollierten Banken, die sie durch Kredite,
Umschuldungen und Anleihen trotz ihres desolaten Bi-
lanzierungswesens immer wieder über Wasser halten.
Korea hat nicht nur mit Abstand die führende Position
im Containerschiffbau erobert, sondern beherrscht inzwi-
schen auch das Segment der Flüssiggastanker und dringt
in den anspruchsvolleren Passagierschiffsektor ein. Vor
allem: Die großen Containerschiffe kommen, und zwar aus
Korea. Samsung produziert eine Serie von sechzig
6 500-TEU-Containerschiffen. Die Order für mindestens
drei 9 700-TEU-Schiffe ist erteilt.
Auch China reagiert auf die koreanische Konkurrenz.
Allein im vergangenen Jahr haben die chinesischen Werf-
ten ihre Produktion um 12 Prozent gesteigert. Der Schiff-
bau soll zur strategischen Industrie ausgebaut werden. Die
chinesische Reederei COSCO plant den Neubau zahlrei-
cher Großcontainerschiffe zwischen 6 000 und 8 000 TEU
und übernimmt gleichzeitig eine chinesische Reparatur-
werft nach der anderen. So gehen selbst diese Marktseg-
mente den europäischen Werften systematisch verloren.
Die japanische Schiffbauindustrie positioniert sich neu
gegen den Druck aus Korea und China. Umsatzeinbrüche,
eine rückläufige Entwicklung der Forschungsaufwen-
dungen und der Mangel an Spezialisten machen sich spür-
bar bemerkbar. Was wir dort beobachten, kennen wir doch
nur zu genau, verehrte Kollegen: Wir hören die Sorgen
unserer Werften um den qualifizierten Nachwuchs für die
Hochtechnologieberufe; wir wissen um ihre Klagen über
hohe Forschungs- und Entwicklungskosten, die eben
nicht nur als Grundlagenforschung, sondern synchron zur
Auftragsabwicklung entstehen. Die Werft als Dienstleis-
ter trägt das finanzielle Risiko bis zur erfolgreichen Ab-
lieferung des Schiffes. Die Sicherheit der qualifizierten
Arbeitsplätze hängt vom Auftragsbuch ab. Auslastung ist
gefragt, auch wenn der Auftrag noch so speziell ist.
Die Japaner haben ähnliche Sorgen. Die niedrigen
Lohnkosten in Korea und die neuerliche Won-Abwertung
sind harte Wettbewerbsfaktoren, für Japan und China so-
gar noch in unmittelbarer Nähe.
Japan will neue Schwerpunkte in Forschung und Ent-
wicklung setzen, stellt die Produktion um von Masse auf
Klasse und wird damit zugleich zum härteren Wettbewer-
ber in den Nischen, in die sich europäische und deutsche
Werften notgedrungen zurückziehen mussten. Schiff-
bau-Studenten werden in Japan systematisch auf die Zu-
kunft vorbereitet, Studiengänge wandeln sich, werden
komplexer, verbinden den Präzisionsmaschinenbau mit
dem Wissen um die Zusammenhänge maritimer Indus-
trien.
Die Konkurrenz schläft nicht. Sie ist hellwach und ei-
gentlich eine absolut spannende Herausforderung nicht
nur für den Markt, sondern auch für uns als Politiker. In
diesem Wettbewerb nicht nur des internationalen Schiff-
baus, sondern auch der staatlichen Rahmenbedingungen,
die die Gestaltung der maritimen Zukunft beeinflussen,
müssen die deutschen Werften, ja die gesamte eng ver-
zahnte maritime Industrie und Dienstleistung, uns aktiv
und handlungsbereit an ihrer Seite wissen.
Deshalb ist es auch so wichtig, dass es uns endlich ge-
lingt, die bedeutenden Schiffbaunationen der Welt unter
einem neuen, wirksamen Weltschiffbauabkommen zu
vereinen. Langfristig kann nur Fairness im Wettbewerb
gut für alle sein. Da auch Verstöße gegen Fairness nie aus-
zuschließen sind, müssen die Länder sich auf Handels-
und Bilanzierungsvereinbarung, aber auch auf Sanktio-
nen verbindlich verständigen. Wir wollen, dass das Welt-
schiffbauabkommen politisch schnellstmöglich vorange-
bracht wird. Wir erwarten, dass die Verhandlungen auch
darüber deutlich vorangetrieben werden.
Kurzfristig geht es am 15. Mai in Brüssel darum, wie
wir in diesem ohnehin schon harten Wettbewerb die un-
lauteren Praktiken Koreas, die Dumpingpreise und die
massive Stützung durch staatlich kontrollierte Banken
endlich wirksam eindämmen können. Wir sind damit in
der wenig angenehmen Situation, dass deutsche und eu-
ropäische Werften, die effizient und produktiv arbeiten
und sich in jedem fairen Wettbewerb behaupten können
und wollen wirksame ergänzende Hilfen brauchen, um
sich gegen den Verdrängungswettbewerb zu behaupten.
Immer wieder betonen die Vertreter der europäischen
Werften, dass sie keine Subventionen, sondern faire
Wettbewerbsbedingungen wollen. Recht haben sie.
Wer sich heute bei den Werften informiert, wird begeis-
tert sein, mit welchem Engagement dort für die Zukunft
geplant wird: noch mehr Produktivität, noch mehr Effi-
zienz durch noch mehr vertikale und horizontale Koope-
ration, durch Vernetzung, Systemverbünde, Serieneffekte
bei Bauteilen, Schnittstellen, Planungen, Standardisie-
rung. Es ist eine Freude, den Zusammenhalt, die Kreati-
vität und Innovationsoffenheit auf den Werften zu beob-
achten!
Und für uns ist dieses Engagement eine drängende
Verpflichtung, alles politisch-parlamentarisch Mögliche
zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Werften
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auf nationaler Ebene und im europäischen Verbund zu
tun. Deshalb möchte ich den Vertretern der Opposition,
besonders Ihnen, Herr Kollege Börnsen, der Sie in dieser
Frage besonders aktiv waren, noch einmal danken, dass
Sie so ausdrücklich und nachdrücklich die Verhand-
lungsposition unseres Ministers in Brüssel bei den anste-
henden Verhandlungen mit uns unterstützen.
Wir wünschen unserer Regierung in Brüssel Geschick,
Durchsetzungsvermögen, viel Überzeugungskraft und ei-
nen kühlen Kopf für einen klugen Kurs durch die Untie-
fen unterschiedlichster Interessen der europäischen Mit-
gliedstaaten zum Wohle unserer Werften und der dort
Beschäftigten.
Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Am
14. Mai wird in Brüssel über die Zukunft der deutschen
Werftindustrie entschieden. Auf Initiative der Union wird
heute ein gemeinsamer Antrag aller Fraktionen debattiert.
Kleinteiliges Parteiengezänk wurde beiseite gelassen, um
der Bundesregierung bei den Verhandlungen in Brüssel
den Rücken zu stärken zum Nutzen für 220 000 Arbeits-
plätze, für einen hoch komplexen und innovativen Indu-
striezweig. Dafür mein Dank an alle Fraktionen.
Über 220 000 Schiffbauer, Dienstleister und Zulieferer
von Flensburg bis Vilshofen erwarten von den EU-Indus-
trieministern eine Perspektive für einen ganzen Industrie-
zweig. Nur rund zwei bis drei Jahre reicht der Auftrags-
bestand der Werften, aber Folgeaufträge stehen aus.
Korea hat in dieser Branche seinen Weltmarktanteil mitt-
lerweile aggressiv auf über 50 Prozent erhöht. Noch 1998
lag er bei 26 Prozent. Erreicht hat das Korea nicht allein
durch Leistung, sondern durch Abschlüsse zu nicht kos-
tendeckenden Preisen. Die Preise der von der EU unter-
suchten Aufträge lagen im Mittel 20 Prozent unterhalb der
Selbstkosten. Getragen werden sie versteckt vom korea-
nischen Staat, so die EU-Kommission. So werden den
koreanischen Werften Schulden durch staatliche Banken
ohne Bonitätsprüfung abgenommen, im Einzelfall per
Gesetz Steuern erlassen und durch Subventionen im Zu-
lieferbereich günstige Einkäufe ermöglicht.
Bereits mit einer Abwehrbeihilfe von 7 Prozent waren
deutsche Werften gegenüber den koreanischen Dumping-
preisen konkurrenzfähig, in anderen EU-Mitgliedstaaten
waren Abwehrbeihilfen von bis zu 9 Prozent notwendig.
Gesichert wurden damit im letzten Jahr in Deutschland
197 Neubauaufträge, mit einer Gesamtsumme von
20,7 Milliarden DM. Dieses erfolgreiche Abwehrinstru-
ment ist am 31. Dezember des letzten Jahres ausgelaufen,
obwohl die gesamtwirtschaftliche Wirkung die Ausgaben
um mehr als das Vierfache übersteigt. Schuld daran ist der
EU-Industrieministerrat. Er hatte im Dezember die Ab-
wehrhilfen für europäische Werften auslaufen lassen. Die
Bundesregierung unterlag in der Abstimmung total. Dies
wäre ein falsches Signal an Korea; denn unfaire, aggres-
sive Wirtschaftspolitik wurde belohnt, die europäische
Werftindustrie fast aufgegeben. Begründet wurde diese
Entscheidung unter anderem mit zu hohen Zuschüssen für
die Schiffbauindustrie. Experten halten diese Zahlen der
Kommission mit über 50 000 DM pro Arbeitsplatz und
Jahr für überhöht, was zutrifft.
Sollte sich die Bundesregierung am 14. Mai nicht durch-
setzen, muss den Werften auf nationaler Ebene geholfen
werden. Sie ist aufgefordert, zusammen mit den Betroffe-
nen zügig ein schlüssiges Konzept zu erarbeiten und um-
zusetzen. Dabei ist auf eine gerechte Lastenverteilung
zwischen Bund und Ländern zu achten.
Schiffbaupolitik ist eine nationale Aufgabe. Die Wert-
schöpfung findet zu über 75 Prozent bei den Zulieferern
statt, überwiegend in Bayern, Baden-Württemberg und
Nordrhein-Westfalen, nur zu knapp 25 Prozent an der
Küste. Bei der bisherigen Praxis hat der Bund ein Drittel
der Werftenhilfe getragen, die Werften-Länder zwei Drit-
tel. Schon jetzt ist in Schleswig-Holstein die Länder-Ko-
finanzierung nicht sichergestellt. Bremen und Mecklen-
burg-Vorpommern, wesentlich finanzschwächer als
Schleswig-Holstein, haben es jedoch geschafft. Statt der
7 Prozent Wettbewerbshilfe erhalten die Werften in
Schleswig-Holstein nur 3 Prozent. Es besteht die Gefahr,
dass bestehende Aufträge wieder zurückgegeben werden
müssen. Dazu darf es nicht kommen! Ich appelliere an die
Landesregierung in Kiel, das gegebene Versprechen von
Ministerpräsidentin Simonis, dass kein Auftrag wegen
fehlender Wettbewerbshilfen für Schleswig-Holsteins
Werften verloren gehe, einzuhalten. Wort halten, Frau Mi-
nisterpräsidentin!
Gleichzeitig muss es endlich zur Einleitung des
WTO-Verfahrens kommen und der Abschluss eines Welt-
handelsabkommens im Schiffbau über die OECD forciert
werden. Die G-7/8-Länder haben sich damit zu befassen.
Korea muss gezwungen werden, die im Sommer letz-
ten Jahres getroffene Vereinbarung mit der EU umzuset-
zen. Ansonsten blamiert sich die EU gegenüber einem Ti-
ger-Staat als Papier-Tiger. In der Vereinbarung hatte sich
Korea verpflichtet, seinen Werften keine Wettbewerbs-
vorteile von staatlicher Seite mehr zu gewähren. Koreani-
sche Werften sollten in Zukunft zu Vollkosten kalkulieren
müssen. Geändert hat sich nichts. Seit 1999 dokumen-
tierte die Kommission den Missstand in drei Berichten,
zuletzt im November.
Weder die Tatsache, dass die Koreaner bis zu 40 Pro-
zent unter den eigenen Herstellungskosten ihre Schiffe
verkaufen, hat zu einer kraftvollen Reaktion des EU-Mi-
nisterrates geführt, noch der Tatbestand, dass der Interna-
tionale Währungsfonds durch die Stützung des koreani-
schen Won indirekt die Regierung vor Ort in die Lage
versetzte, den Großwerften wieder zu helfen. Am
IWF-Großkredit war Deutschland mit fast 6 Prozent be-
teiligt. Bundesdeutsches Geld hat zum Aufbau der korea-
nischen Konkurrenz beigetragen. Die IG-Metall hat die-
sen Sachverhalt mit dem Hinweis auf den Punkt gebracht,
wir mästen unseren eigenen Schlächter. Damals war aus
Gründen der internationalen Währungsstabilität die Ini-
tiative des IWF notwendig. Doch den Kredit ohne Aufla-
gen zu geben, war gelinde gesagt grob fahrlässig. Im ver-
gangenen Jahr erreichten Europas Werften gerade noch
15, Deutschlands Anteil lag bei 5,5 Prozent. Für beide ist
dass der geringste Weltmarktanteil der vergangenen
50 Jahre. Der IWF muss das Mandat erhalten, sich zur
Überwachung der Kreditbedingungen auch mit einzelnen
Industriezweigen zu befassen.
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Der letzte Bericht vom November bestätigt noch ein-
mal eindeutig den Sachverhalt: Die Schiffbau-Nation
Nummer eins, Südkorea, fördert den Bootsbau mit unlau-
teren Mitteln. Drei Jahre nach dem ersten Beweis dieses
Sachverhaltes reagierte im Dezember der Ministerrat und
schaffte das bewährteste Mittel gegen die weltweite Wett-
bewerbsverzerrung, die Werftenbeihilfe, zum 1. Januar
2001 ab. Und, was die ganze Hilflosigkeit der EU kenn-
zeichnet, es wurden gleichzeitig keine Maßnahmen gegen
die einseitige koreanische Schiffbauoffensive beschlos-
sen, keine Handelsauflagen gegen koreanische Güter ge-
fordert, keine Strategien entwickelt, um weltweites Preis-
dumping zu verhindern. Der Stier Europa hat seine
Hörner eingebüßt. Deutschlands Schiffbauer und die der
anderen Länder bleiben mit ihren Existenzsorgen allein.
Noch vor einem Jahr hatte Bundeskanzler Schröder auf
der großen maritimen Konferenz in Emden versprochen:
Wir lassen unsere Werften nicht im Stich, wir werden
konkret handeln. Chefsache wurde die maritime Politik.
Nur, der Chef setzte Deutschlands Interessen in Brüssel
nicht durch. Er, wie der Wirtschaftsminister, erhielt eine
bittere Niederlage trotz der Tüchtigkeit ihrer Mitarbeiter
in diesem Politikfeld. Sicher, so etwas kann passieren;
doch was ich nicht billigen kann, ist das Spiel mit den
betroffenen Menschen: hohe Erwartungen zu wecken,
Risiken zu negieren und für den Misserfolg andere ver-
antwortlich machen. Menschen werden zur Manipulati-
onsmasse, der Demokratie wird damit geschadet. Im ver-
gangenen Jahr erreichten Europas Werften gerade noch
15 Prozent, Deutschlands Anteil lag bei 5,5 Prozent. Für
beide ist das der geringste Weltmarktanteil der vergange-
nen 50 Jahre.
Eine letzte Chance, das Ruder herumzureißen, gibt es
noch. Am 14. Mai will der EU-Ministerrat noch einmal
die Wettbewerbsverzerrungen im Weltschiffbau aufgrei-
fen. Doch der Spielraum ist eng. Die Zeit läuft dem Rat,
der drei Jahre nichts bewegt hat, davon.
Die koreanische Schiffbau-Offensive schafft Tatsa-
chen. Bei den Post-Panamax-Containerschiffen, die
1988 in Europa entwickelt wurden, gingen im vergange-
nen Jahr 82 Prozent des Gesamtvolumens nach Fernost.
Japan konnte 4 Prozent der Aufträge akquirieren, die
EU-Werften gingen erstmals leer aus. Bei den Kreuz-
fahrtschiffen, deren Hersteller bisher in Europa zu Hause
waren, gingen im vergangenen Jahr die ersten Aufträge
nach Fernost. Auch auf diesem Sektor gibt jetzt Deutsch-
land erstmals Marktanteile ab. Jeder zweite Neubauauf-
trag geht heute nach Fernost, Tendenz steigend. Im Wind-
schatten folgt die Volksrepublik China mit über 7 Prozent
Auftragsanteil. Beide bauen ihre Kapazitäten aus. Die EU
dagegen fördert mit Prämien die Stilllegungen von Werf-
ten. Vor diesem Hintergrund ist die Lage für kleine und
mittlere Werften, die nicht durch Marineschiffe ihren Auf-
tragsbestand kompensieren können, besonders bedroh-
lich, so die Kommission.
Die Möglichkeiten, den Marktmissbrauch Südkoreas
im Schiffbau zu beenden, nehmen rapide ab. Die Kom-
mission ist in Korea gescheitert, jetzt klagt der europä-
ische Schiffbauverband CESA. Gut drei Jahre dauert es,
bis die WTO eine Entscheidung fällt, falls, ja falls sie
überhaupt die Beschwerde annimmt. Koreanischen Ex-
perten in Europa die rote Karte zu zeigen wird immer un-
wahrscheinlicher. CESAs Aktivität hat aber den Vorteil
für den Ministerrat, seine passive Strategie der lustlosen
Interessenwahrnehmung fortzusetzen mit dem Hinweis,
das Resultat der Klage abzuwarten.
Zwei weitere Punkte sollten in der Mai-Debatte nach
vorne befördert werden: Durch nachhaltige Umweltpoli-
tik wären bessere internationale Umweltstandards im
Seeverkehr möglich. 24 Jahre beträgt derzeit das Durch-
schnittsalter der Schiffe auf unseren Meeren, Tausende in-
stabile Rostlauben sind darunter. Und von 8 500 weltweit
eingesetzten Tankern besitzen nur 1 400 eine Doppel-
hülle. Meereskatastrophen sind täglich möglich. Umwelt-
wie wirtschaftspolitisch gäbe es einen Sinn, bei Alter und
Sicherheit der Boote anzusetzen, zu neuen Standards zu
kommen, damit auch dem Schiffbau einen neuen Drive zu
geben.
Und außerdem: Die Kapazitätsbeschränkungen für die
Werften in Mecklenburg-Vorpommern auf 327 000 CGT
bestehen immer noch. Sie müssen aufgehoben oder zu-
mindest gelockert werden. Diese nehmen den Werften in
Wismar, Rostock, Stralsund und Wolgast jede Luft, Flexi-
bilität und beeinträchtigen ihre Wettbewerbsfähigkeit.
Produktivitätsfortschritte können nicht genutzt, zusätzli-
che Aufträge nicht hereingenommen werden; statt dessen
müssen Arbeitsplätze abgebaut werden. Die kritische Per-
sonalgröße ist bereits erreicht, Fachpersonal kann ohne
Kompetenzverlust nicht weiter abgebaut werden. Haupt-
gewinner der CGT-Beschränkungen ist Südkorea, dessen
Werften für ihre unfairen Praktiken noch belohnt werden.
Dies kann und darf nicht im Sinne der EU-Kommission
sein. Europäische Werften werden im Kernsegment der
großen Containerschiffe, die von den ostdeutschen Werf-
ten besonders günstig gebaut werden, kaum berührt. Die
Bundes- und die Landesregierung in Schwerin muss diese
Argumente entschiedener und überzeugender als bisher
vortragen. Nur dann wird sich die EU-Kommission für die
Chancengleichheit der Werften in Mecklenburg-Vorpom-
mern einsetzen. Bei Einführung der Kapazitätsbeschrän-
kung wurde ein Prüfungsauftrag nach fünf Jahren fest-
gelegt. Dem sollte zugunsten der Werften schleunigst
nachgekommen werden.
Ob volkswirtschaftlich sinnvoll oder nicht, die
EU-Kommission ist grundsätzlich gegen jegliche Staats-
hilfen. Deshalb bezeichnen Insider die Mai-Konferenz als
Alibitreffen; weil die Mehrheit der EU-Länder von
Förderhilfen weg will. Von einem möglichen Schiff-
bau-Boom in den nächsten Jahren wären unsere Werften
damit ausgeschlossen. Deshalb ist es richtig, hier im Par-
lament die Verhandlungen zu unterstützen. In Sorge um
über 100 000 direkt betroffene Arbeitsplätze, in Verant-
wortung für die Zukunft einer erstklassigen, traditionsrei-
chen Industrie ist nichts unversucht zu lassen. Es ist ein
Gebot der Stunde, der Bundesregierung eine breite Unter-
stützung in Brüssel zu bieten.
Außerdem sollte die Anregung aus dem Kommissions-
bericht aufgenommen werden, die nationalen und europä-
ischen Forschungs- und Entwicklungsprogramme auf die
Besonderheiten der Schiffbaubranche auszurichten und
ausreichend zu dotieren. Die Innovationsfähigkeit der
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116176
(C)
(D)
(A)
(B)
Werftindustrie ist, wie die der Luft- und Raumfahrtindus-
trie, umfangreich zu fördern, und ihre Technologieführer-
schaft zu stärken.
Zum Ausgleich von Zinsschwankungen wird von der
EU als Finanzierungsinstrument die Anwendung von
CIRR empfohlen. Die Bundesregierung ist aufgefordert,
eine in der OECD harmonisierte Anwendung sicherzu-
stellen, um Wettbewerbsnachteile bei der Exportfinanzie-
rung für die deutsche Werftindustrie zu vermeiden. Die
Commercial Interest Reverence Rate muss auch für die
deutschen Werften uneingeschränkt anwendbar sein.
Nach unserer Auffassung wäre eine baldige Verab-
schiedung der OECD-Regelung der Königsweg, um end-
lich aus dem Wettlauf der Subventionen im Schiffbau aus-
zusteigen. Ziel muss der Abbau aller Staatsförderung sein.
Unsere Werften könnten dann trotz hoher Produktkosten
der Konkurrenz standhalten, so ihre eigene Aussage. Ja-
pan und Korea sind, wie die meisten der Schiffbauländer,
für ein solches Abkommen. Nur die USA, die es einmal
selbst angeboten haben, sperren sich. Warum greifen wir
nicht Japans Angebot auf, ohne Amerika zu einer Eini-
gung zu kommen?
Wir von der Union erwarten, dass der Bundeskanzler
das Thema Weg mit den Subventionen im Schiffbau auf
die Tagesordnung des kommenden G-7/G-8-Treffens set-
zen lässt. Wir erwarten, dass damit nicht weiter gezögert
wird. Der augenblickliche Auftragsbestand auf deutschen
Werften ist in 24 bis 30 Monaten abgearbeitet. Und sollen
die Schiffbauer nicht ein Waterloo erleben, ist es zum
Handeln fünf Minuten vor Zwölf. Vergessen wir nicht,
Südkorea will seine Marktmacht noch weiter ausbauen,
China stößt nach. Was sagte ein Schiffbauer bei meinem
letzten Werftenbesuch: Wir in Deutschland benötigen
keine Subventionen, aber einen fairen Wettbewerb.
Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Bündnis 90/Die Grünen begrüßen, dass es nach ei-
nigem Hin und Her doch noch gelungen ist, eine gemein-
same Position zu finden. Von Anfang an lagen die
Koalitionsfraktionen und die Opposition nicht allzu weit
auseinander.
Wir alle hoffen jetzt, dass sich die Bundesregierung bei
den Verhandlungen am 15. Mai in der Sitzung des EU-In-
dustrieministerrats weitgehend durchsetzen kann. Die
EU-Kommission kann nicht tatenlos zusehen, wenn die
koreanischen Werften gegen Abmachungen verstoßen
und somit in erheblichem Umfang Wettbewerbsvorteile
gewinnen. Die Verhandlungen mit Südkorea müssen da-
her nachdrücklich und energisch weitergehen.
Wir möchten, dass mit allen Mitteln auf eine Lösung
hingearbeitet wird. Ob dies durch bilaterale Verhandlun-
gen erfolgt oder auf dem Klageweg, ist mittlerweile ne-
bensächlich. Wir können und wollen es nicht weiter hin-
nehmen, dass der europäische, vor allem auch unser
deutscher Schiffbau durch manipulationsähnliche Tricks
in erheblichem Umfange benachteiligt wird. Es muss jetzt
schnellstens eine vernünftige Lösung gefunden werden.
Die Kommission darf nicht die Hände in den Schoß le-
gen, sie muss die notwendigen Maßnahmen zügig umset-
zen. Wir erwarten, dass noch im ersten Halbjahr ein wei-
terer Bericht zur Lage der europäischen Werften vorgelegt
wird. Darin muss die Kommission darlegen, welcher
Sachstand sich aufgrund welcher Aktivitäten ergeben hat.
Und wir wollen, dass dieser Bericht darstellt, welche
durchgreifenden Sanktionsmöglichkeiten es gibt, bis hin
zur Bewertung eines Einfuhrstopps für bestimmte
koreanische Güter. Wir wollen darüber hinaus einen Sach-
standsbericht über das Welthandelsabkommen im Schiff-
bau.
Auch wenn sich im Ausschuss nicht alle Fraktionen da-
mit anfreunden konnten, werden wir weiter darauf drän-
gen, dass sich die Bundesregierung dafür einsetzt, dass
der IWF künftig auch das Mandat erhält, sich zur Über-
wachung von Kreditbedingungen mit sektoralen Angele-
genheiten zu befassen.
Über die Detailregelungen ist bereits alles gesagt. Nur
einen Punkt möchte ich noch erwähnen, die leidige Sub-
ventionsfrage. Natürlich können wir bzw. müssen wir
zumindest moralisch den heimischen Schiffbau ange-
sichts der besonderen Umstände unterstützen. Dies kann
aber kein Dauerzustand sein. Meine Fraktion wird auch in
diesem Bereich, trotz aller verständlichen Wünsche, da-
rauf drängen, dass die Subventionen deutlich zurückge-
fahren werden. Von daher ist es umso drängender, zu ei-
ner allseits befriedigenden Lösung zu kommen.
Hans-Michael Goldmann (F.D.P.): Nur Gemeinsam-
keit kann deutschen und europäischen Werften fairen
Wettbewerb sichern. Die F.D.P. unterstützt die Bundesre-
gierung ausdrücklich in ihrer Verhandlungsposition, am
15. Mai in der Sitzung des EU-Industrieministerrates in
Brüssel darauf zu drängen und dafür zu sorgen, dass die
südkoreanischen Werften im Welthandelsschiffbau ihre
unkorrekten Methoden zur Eroberung hiesiger Marktan-
teile endlich einstellen.
Die F.D.P. drängt darauf, dass den Werften in den nord-
deutschen Küstenländern mit ihren hoch qualifizierten
Arbeitsplätzen vor Ort, aber auch mit denen der Zuliefer-
betriebe in den süddeutschen Ländern, die Hilfe zuteil
wird, die sie weltweit wettbewerbsfähig halten und die
sie in die Lage versetzen, gegenüber den Südkoreanern,
die im Schiffsbaumarkt nach wie vor Foul spielen, zu be-
stehen.
Der Dritte Bericht der EU-Kommission an den Rat zur
Lage des Weltmarktes im Schiffbausektor macht über-
deutlich, dass es die Südkoreaner sind, die für Preisverfall
und Wettbewerbsverzerrungen zum Nachteil deutscher
Arbeitsplätze verantwortlich sind. Mit Dumpingpreisen
zum Teil von mehr als 40 Prozent unter den tatsächlichen
Baukosten erobern sich die Südkoreaner auf unkorrekte
Weise Marktanteile. Leider hat die Kommission bis jetzt
nicht sehr viel erreicht, obwohl die Südkoreaner deutschen
Schiffbauern auf der Nase herumtanzen. Es war nach Auf-
fassung der F.D.P. ein schwerer Fehler, dass die Kommis-
sion auf die Wettbewerbshilfe zum Jahresende verzichtet
hat, obwohl die Südkoreaner überhaupt keine Kompro-
miss- und Gesprächsbereitschaft gezeigt haben. Das Ab-
schieben der Verantwortung an den europäischen Schiff-
bauverband CESA war falsch.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16177
(C)
(D)
(A)
(B)
Nein, hier sind der Bundeskanzler, die Bundesregie-
rung und alle im Deutschen Bundestag vertretenen Par-
teien gefordert, sich schützend vor die deutsche Werft-
industrie und deren Arbeitsplätze zu stellen. Wir dürfen
nicht hinnehmen, dass unsere Werftindustrie, die hervor-
ragende Leistungen vollbringt, durch unfaire Methoden
der Südkoreaner zerstört wird. Deshalb fordert die F.D.P.
von der Bundesregierung Taten und unterstützt sie bei
ihren Verhandlungen am 15. Mai 2001 in der Sitzung des
EU-Industrieministerrates in Brüssel:
Wir fordern die Bundesregierung auf, darauf zu drän-
gen, dass die EU-Kommission den ihr vom Ministerrat im
November 1999 erteilten Verhandlungsauftrag mit der
südkoreanischen Regierung nachdrücklich und energisch
weiterführt und sie zu einem positiven Abschluss bringt.
Wir fordern die Bundesregierung auf, darauf zu drän-
gen, dass die getroffenen Vereinbarungen der Agreed
mimetes von der koreanischen Regierung eingefordert
werden. Ziel muss es sein, dass den koreanischen Werften
keine Wettbewerbsvorteile von staatlicher Seite gewährt
werden, sondern dass diese, wie ihre EU-Wettbewerber,
ebenfalls zu Vollkosten kalkulieren müssen.
Die F.D.P. drängt darauf, dass entsprechend dem Drit-
ten Bericht der Kommission an den Rat zur Lage des Welt-
marktes im Schiffbausektor vom 15. März 2000 bis zur
Klärung in bilateralen Verhandlungen oder auf dem Kla-
geweg vor der WTO gegenüber der Regierung Südkoreas
Entschlossenheit demonstriert und auf eine schnelle Lö-
sung hingewirkt wird, einen fairen Wettbewerb für deut-
sche und europäische Werften zu sichern.
Die F.D.P. drängt darauf, dass neue wirksame Rege-
lungen zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der euro-
päischen Werften bis zur Herstellung fairer Wettbewerbs-
bedingungen auf dem Weltschiffbaumarkt gefunden
werden.
Die F.D.P. unterstützt die Bundesregierung in ihrem
Anliegen, Einfluss auf den EU-Industrieministerrat zu
nehmen, damit die Kommission sowohl verpflichtet wird,
die genannten Maßnahmen unverzüglich umzusetzen, als
auch im ersten Halbjahr einen weiteren Bericht zur Lage
der europäischen Werften und über den Fortschritt der Ak-
tivitäten der Kommission vorzulegen. Wir wollen, dass
die Kommission darstellt, welche wirkungsvollen Sankti-
onsmöglichkeiten bzw. Möglichkeiten eines Einfuhr-
stopps es für bestimmte koreanische Güter gibt.
Die F.D.P. drängt darauf, dass die Bundesregierung ei-
nen Sachstandsbericht über die Fortschritte beim Ab-
schluss des Welthandelsabkommens im Schiffbau abgibt.
Die F.D.P. wird die Leistungen der Bundesregierung und
speziell des Bundeskanzlers an den Ergebnissen messen,
die er bei der Sitzung des EU-Industrieministerrates am
15. Mai 2001 in Brüssel erzielt.
Das Foulspiel der südkoreanischen Werften muss ein
Ende haben. Deutsche, aber auch europäische Werften
insgesamt und deren Arbeitsplätze müssen in einem fai-
ren Wettbewerb gesichert werden.
Rolf Kutzmutz (PDS): Natürlich unterstützt auch die
PDS-Fraktion die vorliegende interfraktionelle Be-
schlussempfehlung. Schließlich deckt sie sich mit den
außen- und handelspolitischen Forderungen, die wir in
unserem eigenen Antrag erhoben haben. Ausdrücklich be-
grüße ich dabei, dass sich anders als ursprünglich von
CDU/CSU gewünscht zur Form denkbarer neuer Bei-
hilfen für den heimischen Schiffbau nicht festgelegt wird.
Schließlich müsste vor einer Neuauflage tatsächlich erst
einmal ernsthaft über die Lastenverteilung für die öffent-
lichen Haushalte geredet werden.
Dass die Küstenländer zwei Drittel und der Bund den
Rest davon tragen sollen, ist für uns jedenfalls nicht län-
ger hinnehmbar. Rund 30 Prozent der mit dem Schiffbau
verbundenen Wertschöpfung finden schließlich allein in
Bayern und Baden-Württemberg statt. Das war erst am
Mittwoch wieder zu hören, diesmal auf einem parlamen-
tarischen Abend von Blohm & Voss in Hamburg.
Im Übrigen muss ich aber bei meiner Feststellung vom
vergangenen Monat bleiben: Es ist gut und richtig, dass
der Bundestag der Regierung ordentlichen Rückenwind
für die Verhandlungen über die Südkorea-Strategie im
EU-Ministerrat gibt. Das allein dürfte den deutschen und
europäischen Werften aber nicht viel weiter helfen.
Wohin die Reise gehen müsste, will ich nur an zwei
Meldungen der letzten Tage illustrieren: Die Peene-Werft
in Wolgast konnte am Sonntag Aufträge für elf Contai-
nerschiffe und die Option auf zwei weitere bekannt geben.
Grund des Erfolgs laut Eigentümer Hegemann: neben ge-
stiegenem Dollarkurs und anziehenden Charterraten die
völlige Neuentwicklung dieser Serie.
In Japan fusionieren nach Hitachi Zosen und NKK nun
auch IHI und Kawasaki Heavy. Die hiesigen Werften ha-
ben es nun nicht mehr nur mit Mitsubishi Heavy, sondern
gleich mit drei Giganten zu tun, von denen jeder einen
Jahresumsatz zwischen 1,7 und 2,6 Milliarden Euro er-
wirtschaftet. Zum Vergleich: Die Thyssen-Werften kamen
im vergangenen Jahr auf 842 Millionen Euro, HDW in-
klusive seiner Auslandstöchter auf knapp 1 Milliarde
Euro.
Ob und wie angesichts solcher Trends das neue Tech-
nologieprogramm im Hause von Ministerin Bulmahn
oder die gewiss verdienstvollen Aktivitäten des mariti-
men Koordinators, Herrn Staatssekretär Gerlach aus dem
Wirtschaftsministerium, der erst gestern hier in Berlin ei-
nen Workshop zu Kooperationsmöglichkeiten ausgerich-
tet hat, effektiv und ausreichend sind das sollten wir
kontinuierlich weiter prüfen.
Zum Schluss aber nicht zuletzt will ich hier aber
auch nochmals auf das Problem der Kapazitätsbeschrän-
kungen für die ostdeutschen Werften verweisen. Das hat
sicher weniger mit Südkorea, aber sehr viel mit dem In-
dustrieministerrat zu tun. Zwar könnte diese Frage nach
den Vorschlägen der Bundesregierung von der Kommis-
sion autonom entschieden werden. Wir vermuten jedoch,
dass sie sehr wohl mit dem allgemeinen europäischen
Beihilfenregime verknüpft wird.
Die Bundesregierung sollte deshalb der Kommission
wie auch den anderen Mitgliedstaaten zumindest eines
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116178
(C)
(D)
(A)
(B)
klarmachen: Je flexibler die Beschränkung gehandhabt
wird, desto kleiner ist der Beihilfebedarf für einen be-
achtlichen Teil der deutschen Werftindustrie. Und daran
müsste ja allen gelegen sein.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung
des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bun-
desdatenschutzgesetzes und anderer Gesetze
der Unterrichtung: Tätigkeitsbericht 1997 und
1998 des Bundesbeauftragten für den Datenschutz
17. Tätigkeitsbericht
(Tagesordnungspunkt 19 a und b)
Jörg Tauss (SPD): Der Datenschutz und das Grund-
recht auf informationelle Selbstbestimmung sehen sich
angesichts der technischen Entwicklungen in der Kom-
munikationstechnologie, aber auch beispielsweise in der
Biotechnologie, in der medizinischen Forschung und an-
gesichts eines wachsenden Missbrauchs personenbezoge-
ner Daten in den neuen Medien vor enormen Herausfor-
derungen. Mit der zweiten und dritten Lesung zum
Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesdatenschutzge-
setzes und anderer Gesetze werden heute die Weichen zur
Bewältigung dieser Probleme richtig gestellt.
Durch die Umsetzung der EG-Datenschutz-Richtlinie
wird europaweit ein einheitliches Datenschutzniveau ge-
schaffen und werden einheitliche Maßstäbe für die Erhe-
bung und Verarbeitung von Daten in der Europäischen
Union festgelegt. Die zentralen Ziele der EG-Daten-
schutz-Richtlinie lauten zusammengefasst: Transparenz
der Datenverarbeitung und Akzeptanz der Verbraucher
und Nutzer.
Über die Umsetzungspflicht der Richtlinie hinaus sind
in diesem Gesetzentwurf bereits einige Elemente eines
neuen und modernen Datenschutzrechtes aufgenommen,
die auch für die zweite Stufe einer Gesamtreform von Be-
deutung sind. Dazu zählen beispielsweise die Aufnahme
der Prinzipien der Datenvermeidung und Datensparsam-
keit, die Regelungen für mobile Speichermedien Chip-
karten und Regelungen zur Videoüberwachung, für die
es im privaten Bereich bislang keine Regelungen gab.
Ein wesentliches Modernisierungselement stellt die
künftige Möglichkeit eines freiwilligen Datenschutzau-
dits dar. Eine solche Auditierung trägt künftig mit dazu
bei, die Ergebnisse der Selbstregulierung transparent zu
machen. Zugleich könnte sie die Wahrnehmung des Da-
tenschutzes als Qualitäts- und Wettbewerbsfaktor stärken
und damit deutlich machen, dass Datenschutz eben nicht
nur als Kostenfaktor für Unternehmen anzusehen ist, son-
dern vor allem einen , wenn auch nicht kurz-, so aber
doch mittel- und längerfristig entscheidenden Wettbe-
werbs- und Standortvorteil darstellen kann. Eine solche
Zertifizierung; mit der die Unternehmen werben könnten,
hätte nicht nur die unmittelbare Folge, dass aus Perspek-
tive des Datenschutzes unbedenkliche Produkte auf den
Markt kommen, sondern könnte ebenfalls das Bewusst-
sein um die Bedeutung des Datenschutzes in der Infor-
mationsgesellschaft erhöhen.
Seitens der Wirtschaft gab es hierzu sowohl unterstüt-
zende als auch kritische Anmerkungen. Natürlich gilt es,
diese Bedenken ernst zu nehmen. Aufgabe der Politik ist
es nun, gesetzliche Regelung zur Durchführung und Kon-
trolle eines solchen Auditierungsverfahrens zu ent-
wickeln, die diesen Bedenken gerecht werden und mit de-
nen bestimmte Verhaltensregeln und Mindeststandards
vorgegeben werden.
Ich möchte nicht noch einmal auf die einzelnen Rege-
lungen und die strittigen Punkte dieses Gesetzentwurfes
im Detail eingehen, sondern vielmehr den Blick auf die so
genannte zweite Stufe der Modernisierung des Informati-
onsrechtes lenken und Sie herzlich zur konstruktiven Mit-
arbeit einladen. Hierzu haben wir ja heute Morgen auch
ein Gespräch geführt.
Warum eigentlich eine zweite Stufe? Immer mehr Le-
bensbereiche in der sich entfaltenden Wissens- und Infor-
mationsgesellschaft werden von den neuen Informations-
und Kommunikationstechniken durchdrungen. Damit
wird eine dieser Gesellschaftsformation angemessene
neue Datenschutzpolitik notwendig; denn ohne einen bes-
seren Schutz der Privatsphäre wird es keine demokratisch
verantwortbare Informationsgesellschaft geben.
Einige Zahlen können dies belegen: 74 Prozent fühlen
sich nach einer Umfrage von Opaschowski durch Daten-
missbrauch betroffen und 55 Prozent sagen, Datenschutz
solle wieder eine größere Bedeutung haben. Nach einer
Umfrage der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen aus
dem Jahr 2000 haben 62 Prozent der Internetnutzer wegen
des nicht gewährleisteten Datenschutzes noch nicht on-
line bestellt oder gekauft.
Auch die Tätigkeitsberichte des Bundesbeauftragten
für den Datenschutz auch diese stehen ja heute zur
Beratung an können als Beleg hierfür dienen. Dem
18. Tätigkeitsbericht zufolge müssen Bürgerinnen und
Bürger in Deutschland immer häufiger mit Eingriffen in
ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung
rechnen, sei es durch Überwachungsmaßnahmen, die im-
mer häufigere Videoüberwachung im privaten Bereich
oder das Ausspähen von Daten bei der Nutzung der neuen
IuK-Möglichkeiten, beispielsweise des Internet. Der
Bundesdatenschutzbeauftragte äußerte völlig zu Recht
am Donnerstag große Sorge, dass zum Beispiel die An-
ordnungen von Telefonüberwachung seit 1995 um mehr
als 170 Prozent zugenommen hätten, ohne dass ein Grund
dafür ersichtlich sei. In der Kriminalitätsentwicklung
scheinen diese Gründe, wie die Zahlen belegen, nicht zu
liegen, sodass wir hierüber einmal ruhig und sachlich re-
den müssen.
So ist und bleibt es ein wichtiges Ziel dieser rot-grünen
Bundesregierung, die in den vergangenen Jahren einge-
führten Regelungen, die eine Erweiterung der
Eingriffsbefugnisse der Behörden zum Ziel hatten, hin-
sichtlich ihrer Notwendigkeit und Wirksamkeit zu eva-
luieren wobei hier gerade seitens der Bundesländer eine
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16179
(C)
(D)
(A)
(B)
größere Bereitschaft notwendig wäre. Dabei ist wie ge-
genwärtig bei der Diskussion um den Entwurf für eine Te-
lekommunikationsüberwachungsverordnung besonders
dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Eingriffsmög-
lichkeiten in das Telekommunikationsgeheimnis durch
berechtigte Stellen immer auch missbräuchliche Ein-
griffe durch unberechtigte Dritte zur Folge haben können.
Die Stuttgarter Nachrichten schreiben heute zum
Thema Datenschutz: In unserer vernetzten, indiskreten
Gesellschaft bleibt wenig geheim, praktisch gar nichts.
Nicht die Kreditbelastung, nicht das Konsumverhalten,
auch nicht Adresse und Telefonnummer. Von Privatheit
keine Spur, nicht mal der Gang durchs Museum ist noch
unsere Sache: Wenn wir Pech haben, tauchen wir kurz da-
rauf im Internet auf. Es gibt also viele ungute Gründe,
wachsam zu sein. Wer finstere Mächte am Werk glaubt,
wenn mitgehört und ausgeforscht wird, täuscht sich. Die
Absichten sind lauter, stets geht es um die Aufklärung ver-
meintlicher Straftaten. Auch der Rechtsstaat ist nicht feh-
lerfrei. Fazit: Wer nichts verbirgt, hat viel zu befürchten.
So weit die Stuttgarter Nachrichten, denen ich an dieser
Stelle zustimme.
Der Schutz der personenbezogen Daten und die Trans-
parenz der Datenverarbeitung werden so können diese
Überlegungen zusammengefasst werden neben dem
Schutz von Persönlichkeitsrechten sowohl zu zentralen
Akzeptanzvoraussetzungen als auch zu entscheidenden
Wettbewerbsfaktoren.
Fazit: Will die Gesellschaft beim Übergang zur Wis-
sens- und Informationsgesellschaft am Ziel eines freiheit-
lich-demokratischen Gemeinwesens festhalten und will
sie auch die wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen
Potenziale nicht gefährden, kommt sie nicht umhin, auch
in einer vernetzten und digitalisierten Welt das Grund-
recht auf informationelle und kommunikative Selbstbe-
stimmung zu bewahren. Die Entwicklung eines modernen
Datenschutzkonzeptes ist und bleibt damit ein zentrales
Reform- und Modernisierungsprojekt der nächsten Jahre.
Schwerpunkte der zweiten Stufe der Modernisierung
des Datenschutzrechtes werden insbesondere sein:
Erstens: Datenschutz durch Technik. Die Möglichkei-
ten der informationstechnischen Sicherheit müssen als ein
zentrales Instrument zur Umsetzung eines neuen
Datenschutzes verstanden werden. Um zu einem wirk-
lich effektiven Datenschutz zu kommen, muss das Zu-
sammenwirken zwischen Datenschutz und Datensicher-
heit intensiviert werden.
Zweitens: Vereinfachung und Verschlankung. Ange-
sichts der Unübersichtlichkeit und Kompliziertheit des
Datenschutzrechts sollte im Interesse von datenverarbei-
tenden Stellen und Nutzern eine erhebliche Vereinfa-
chung und Verschlankung des Datenschutzrechts im Vor-
dergrund stehen. Nur wenn der Einzelne seine Rechte
überhaupt kennt, kann er diese auch wahrnehmen. Ver-
einfachung und Verschlankung dürfen natürlich nicht zu
einer Aufweichung der verfassungsrechtlich garantierten
Rechte oder zur Einschränkung oder Abschwächung be-
währter Verfahren des Datenschutzes führen. Diese Ziele
erweisen sich aber vor allem deshalb als notwendig, um
zu widerspruchsfreien, einheitlichen, praktikablen und
vor allem auch verständlichen Regelungen zu gelangen.
Selbst die Datenschutzexperten klagen über eine kaum
noch zu überblickende Normenflut auf dem Gebiet des
Datenschutzrechts. Das allgemeine und das bereichsspe-
zifische Datenschutzrecht bedarf daher einer Durchfors-
tung und Überprüfung. So hat in den vergangenen Jahren
die Bedeutung des Bundesdatenschutzgesetzes durch im-
mer neue bereichsspezifische Regelungen tendenziell ab-
genommen. Mit der Umsetzung der zweiten Stufe ergibt
sich die Möglichkeit, durch eine Aufwertung des BDSG
die Menge der bereichsspezifischen Regelungen deutlich
zu reduzieren. Dazu zählt gerade bei den neuen luK-
Möglichkeiten beispielsweise die Frage, wie sich
Abgrenzungsprobleme zwischen Telekommunikations-
gesetz, Teledienstedatenschutzgesetz und den Da-
tenschutzregelungen des Mediendienste-Staatsvertrages
vermeiden lassen und ob hier gegebenenfalls Anpas-
sungsbedarf besteht. Dazu zählt auch die meiner Meinung
nach dringend notwendige Anpassung von Teil 11 des
Telekommunikationsgesetzes, TKG, an die neuen daten-
schutzrechtlichen Instrumente des Teledienstedaten-
schutzgesetzes, des TDDSG.
Drittens: Stärkung des Selbstschutzes. Eine große Be-
deutung kommt in einem neuen Datenschutzrecht den
Möglichkeiten des Selbstschutzes für den einzelnen Nut-
zer zu. Dazu bedarf es insbesondere der weiteren Ent-
wicklung von Selbstschutzinstrumenten zum Beispiel
der digitalen Signatur und der Verschlüsselungssoft-
ware , was zugleich eine Herausforderung an eine zu-
kunftsgerichtete Forschungsförderpolitik ist. Außerdem
ist der Aufbau einer Sicherungsinfrastruktur für die Nut-
zung dieser Selbstschutzmechanismen unabdingbar,
wofür die Politik Rahmenbedingungen formulieren muss.
Notwendig ist darüber hinaus die Förderung des Bewusst-
seins um die Möglichkeiten des Selbstdatenschutzes und
des Systemdatenschutzes. Dies kann zum einen durch
Maßnahmen zur Aufklärung über die Chancen und Risi-
ken der neuen Informations- und Kommunikationstechni-
ken geschehen, zum anderen aber auch dadurch, dass die
öffentliche Verwaltung entsprechende Techniken einsetzt
und Ansätze zu electronic government gezielt gefördert
werden.
Viertens: Systemdatenschutz. Um die nun festge-
schriebenen Gebote der Datensparsamkeit und der Daten-
vermeidung mit Leben zu füllen, sollten die Systeme
der Diensteanbieter nach dem Prinzip des Systemdaten-
schutzes organisiert werden. Die informationsverarbei-
tenden Systeme sollten so konstruiert werden, dass sie
möglichst wenig personenbezogene Daten verarbeiten
müssen und können , um ihre jeweilige Aufgabe zu er-
füllen.
Fünftens: neue Technologien. In den vergangenen Ta-
gen wurde in den Medien die Frage von heimlichen Gen-
tests thematisiert. Natürlich stellt sich die Frage eines
modernen Datenschutzrechtes also nicht nur im Zusam-
menhang mit den neuen Möglichkeiten der Informations-
und Kommunikationstechnik. Auch andere neue Techno-
logien bergen erhebliche Gefährdungspotenziale für das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Das gilt
beispielsweise für diese heimlichen Genomanalysen und
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116180
(C)
(D)
(A)
(B)
für die Nutzung dieser Informationen, beispielsweise
durch Versicherungen. Auch diese Gefährdungspoten-
ziale gilt es auszuloten und wo nötig gesetzlich zu
regeln.
Sechstens: anonyme und pseudonyme Nutzung.
Grundlegende Bedeutung kommt gerade bei der Nutzung
der neuen Informations- und Kommunikationsmöglich-
keiten der pseudonymen Nutzungsmöglichkeit als Mittel
des Selbstdatenschutzes zu, die gefördert werden sollte.
Mit einer pseudonymen Nutzungsmöglichkeit werden die
personenbezogenen Daten zwar nicht reduziert, jedoch
wird damit die Zurückverfolgung der gespeicherten und
verarbeiteten Daten zu einer tatsächlichen Person wirk-
sam verhindert außer im Streitfall.
Siebtens: Schutz der Kommunikation am Arbeitsplatz.
Nach jahrelangen Ankündigungen müssen im Rahmen
dieser zweiten Stufe unter Einbeziehung aller Beteilig-
ten Regelungen zum Schutz der Kommunikationspro-
zesse am Arbeitsplatz entwickelt werden. Rechtssicher-
heit in diesem Bereich ist übrigens sowohl im Interesse
der Arbeitgeber als auch der Beschäftigten: Bei der Ent-
wicklung zu computergestützter Arbeit im Betrieb und im
Rahmen von Telearbeit wachsen die Daten in Umfang und
Qualität stark an, ohne dass sie in angemessener Weise ge-
schützt sind und einer angemessenen Kontrolle unterlie-
gen. Lediglich die Ausweitung des Fernmeldege-
heimnisses auch auf innerbetriebliche Kommunikation
hat in den letzten Jahren zu einem Zuwachs an Schutz ge-
führt.
Achtens: Regulierte Selbstregulierung. Die in der
EU-Datenschutz-Richtlinie enthaltene Verpflichtung, im
nationalen Datenschutzrecht ergänzende Möglichkeiten
der Selbstregulierung vorzusehen, sollte nicht als unver-
einbare Systemwidrigkeit, sondern als Chance begrif-
fen werden, dieses Instrument für den Schutz des Rechts
auf informationelle Selbstbestimmung fruchtbar zu ma-
chen. Es kann nicht mehr Regelungen für jedes Detail in
jedem Prozess geben und erst recht nicht durchgesetzt
werden. Entsprechende Regelungen sollten sich an den
Erfahrungen von Staaten orientieren, die bereits Erfah-
rungen mit Selbstregulierung im Bereich des Daten-
schutzes gesammelt haben. So können auch mögliche
Schwächen im Hinblick auf Repräsentativität und Umset-
zung in den jeweiligen Branchen, die diese codes of
conduct haben, erkannt und vermieden werden. Selbst-
regulierungsmechanismen setzen jedoch gesetzliche Rah-
menbedingungen voraus für den Fall, dass diese versagen.
Die Betroffenen dürfen in einem solchen Fall nicht
schutzlos sein.
Neuntens: Verbesserung der Kontrolle. Wirksame und
unabhängige Kontrolle ist die Voraussetzung eines erfolg-
reichen Datenschutzes. Wenn man Datenschutz zuneh-
mend als Querschnittsaufgabe begreifen will, muss dies
auch institutionelle Folgen haben. Zu fragen und abzuwä-
gen sein wird in dieser zweiten Stufe auch die Stellung des
Bundesbeauftragten für den Datenschutz.
Zehntens: Informationsfreiheitsgesetz. Als Kehrseite
derselben Medaille müssen wir auch über den Zugang zu
Informationen reden. Die Koalition hat in ihrem Koaliti-
onsvertrag angekündigt, ein Informationsfreiheitsgesetz
vorzulegen. Im Sommer soll dieser Entwurf vorliegen und
beraten werden.
Auf Initiative der Koalitionsfraktionen hat der Unter-
ausschuss Neue Medien beschlossen, diese zweite
Stufe der Modernisierung des Informationsrechtes zu-
gleich als Pilotprojekt einer elektronischen Demokratie
zu begleiten. Hierzu werden in Abstimmung mit allen
Fraktionen die letzten Detailfragen geklärt. Ich will als
Vorsitzender des Unterausschusses und zugleich im Na-
men der Vorsitzenden des Innenausschusses, Ute Vogt,
alle Fraktionen auch zur Mitarbeit an diesem E-Demo-
kratie-Pilotprojekt herzlich einladen. Dieses E-Demokra-
tie-Pilotprojekt bietet eine hervorragende Gelegenheit,
die immensen Chancen der neuen Informations- und
Kommunikationsmöglichkeiten für den politischen Pro-
zess als auch zur Ermöglichung von mehr Partizipation zu
erkennen und zu nutzen im Interesse eines modernen
und angemessenen Informationsrechtes der Bürgerinnen
und Bürger und im Dialog mit ihnen und der Fachszene.
Eine demokratische und verantwortbare Informations-
und Wissensgesellschaft darf, wie ausgeführt, die neuen
Möglichkeiten des Dialoges nicht verstreichen lassen.
Wenn wir dies jetzt auch mit diesem Zukunftsthema
verbinden, haben wir für die bürgernahe Informationsge-
sellschaft einen weiteren Beitrag geleistet. Heute aber
verabschieden wir zunächst die erste Stufe. Dies ist ein
wichtiger Schritt und, wie ausgeführt, ein Schritt zu wei-
teren interessanten Projekten.
Zuletzt möchte ich der Opposition herzlich danken für
die konstruktive Zusammenarbeit in der Schlussphase
dieses Gesetzgebungsverfahrens.
Beatrix Philipp (CDU/CSU): Seit ich mich intensiver
mit dem Bereich Datenschutz befasse, habe ich in Ab-
wandlung eines Sprichwortes öfters gedacht: Daten-
schutz ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Lei-
den schafft. Nun ist Leidenschaft an sich nichts
Schlechtes es sei denn, man verliert dadurch völlig die
Orientierung.
Aber nun Spaß beiseite, Thema ist heute die zweite und
dritte Beratung zur Änderung des Bundesdatenschutzge-
setzes und die Beschlussempfehlung des Innenausschus-
ses zum 17. Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für
den Datenschutz zu den Jahren 1997 und 1998. Beides
sind gewichtige Themen, und es ist schade, dass wir beide
Themen in einer nur halbstündigen Debatte verwursteln
müssen.
Ich möchte nur ein paar kurze Anmerkungen zum
17. Tätigkeitsbericht machen: Wir haben zu einem sehr
späten Zeitpunkt über den 17. Tätigkeitsbericht für die
Jahre 1997 und 1998 gesprochen, nämlich im Herbst
2000. Das ist eine Verzögerung von zwei Jahren! Wir wa-
ren uns alle einig, dass eine zeitnahe Beratung der Sache
sicherlich dienlicher gewesen wäre. Insofern bin ich froh,
dass der Bundesdatenschutzbeauftragte gestern den Be-
richt für 1999 und 2000 vorgestellt hat, den wir ja nun
auch bald beraten werden so hoffe ich doch!
Was den Bericht betrifft, so wäre es eine erhebliche
Erleichterung, wenn herausgehobene Beanstandungen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16181
(C)
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als inzwischen erledigt oder als noch nicht erledigt oder
als strittig gekennzeichnet würden. Das würde die Lesbar-
keit und die Beratung erheblich erleichtern und verkür-
zen. Ich gehe auch davon aus, dass die Forderungen aus
dem 17. Bericht aufgegriffen und in absehbarer Zeit er-
füllt werden.
Ich komme nun zur Änderung des Bundesdaten-
schutzgesetzes: Sie beinhaltet einerseits die Angleichung
an die EU-Richtlinie 94/46 EG, die überfällig war, wie wir
alle wissen. Andererseits finden Sie in der Drucksache ein
paar Bereiche, die aus der noch für diese Legislaturperi-
ode vorgesehenen Novellierung des Datenschutzgesetzes
quasi vorgezogen wurden.
Wie gesagt, zweifellos war die Umsetzung der EU-
Richtlinie überfällig. Insofern war die Bereitschaft zur zü-
gigen Beratung auf allen Seiten vorhanden, und auch
Kompromissbereitschaft war vorhanden. So konnte bei-
spielsweise bei der Aufgabendefinition für den Daten-
schutzbeauftragten ein gemeinsamer Kompromiss er-
reicht werden. Anders sieht es mit den eben erwähnten so
genannten vorgezogenen Punkten aus. Das sind erstens
die Einführung eines Datenschutzaudits, zweitens die
Videoüberwachung und drittens die Chipkartenregelung.
Zwei Anträge unserer Fraktion machen unsere Beden-
ken deutlich: Erstens. Das geplante Datenschutzaudit
gemäß BDSG-E § 9 a wird von uns abgelehnt. Zwei-
tens. Die Vorschriften zur Videoüberwachung BDSG-E
§ 6 b erscheinen uns unzureichend.
Hinsichtlich des Datenschutzaudits stelle ich fest: Ers-
tens. Es belastet die Wirtschaft finanziell in besonderem
Maße. Zweitens. Es ist eine Arbeitsbeschaffungsmaß-
nahme für einen neuen Berufszweig, nämlich so genannte
Auditoren. Drittens. Es regelt einen Bereich, den der
Markt selbst regeln kann, und entspricht damit nicht der
immer gepriesenen Entbürokratisierung und Deregu-
lierung.
Es ist geplant, den betrieblichen Datenschutzbeauf-
tragten seit Jahren bewährten und engagierten Fach-
leuten in Sachen Datenschutz externe Kontrolleure
beizugeben, nämlich einen oder mehrere externe Daten-
schutzauditoren, die das Datenschutzkonzept der Betriebe
überprüfen und dafür dann ein Siegel-Zertifikat oder
Ähnliches vergeben. Wer die Erfahrungen mit der ISO
9000-Norm kennt, weiß, dass direkt oder indirekt
Druck entsteht, der bis zum kleinsten Zulieferer weiterge-
geben wird, nämlich Druck, ein Audit durchzuführen.
Dass es sich dabei zunächst noch um eine freiwillige Auf-
gabe handelt, verbessert die Situation auch nicht. Wenn
der Markt es erforderlich macht, wird der Markt es regeln.
Warum ein Gesetz?
Auch dass es sich bei dem Datenschutzaudit um ein
Modellprojekt wie betont wird handelt, hilft nicht,
es auf Dauer nicht verbindlich werden zu lassen, zulasten
der Wirtschaft.
Als NRW-Abgeordnete habe ich bisher schlechte Er-
fahrungen mit Modellprojekten gemacht, weil man immer
schon zu Beginn wusste, wie das Projekt endet, nämlich
immer im Sinne des Projektes, das heißt positiv!
Es fehlen die Ausführungsbestimmungen zum Daten-
schutzaudit. Da es, wie gesagt, keinen Zeitdruck in dieser
Frage gibt, macht mich das ausgesprochen misstrauisch!
Nichts ist so haltbar wie ein Provisorium! Heute nur über
das Ob und nicht gleichzeitig über das Wie zu ent-
scheiden, halte ich vor dem Hintergrund der Belastungen,
die Sie zurzeit der Wirtschaft sowieso schon zumuten, für
nicht vertretbar!
Hier geht es um den untauglichen und kostenintensiven
Versuch, in Bewährtes einzugreifen, nämlich in den gut
funktionierenden Datenschutz in den Betrieben. Zwar
weisen SPD und Bündnis 90/Grüne immer wieder darauf
hin, dass es sich hier um die Einführung eines freiwilligen
Datenschutzaudits handelt. Aber seit wann und warum
müssen wir denn Freiwilligkeit in Gesetzen festschreiben?
Die CDU/CSU-Fraktion hat ein intensives Experten-
gespräch mit Vertretern der Wirtschaft, des Handwerks
und verschiedener Verbände durchgeführt. Einhellig
lehnten alle Experten die geplante Einführung eines Da-
tenschutzaudits ab. Die Argumente allein von zwei nam-
haften deutschen Unternehmen, positiv zum Audit zu ste-
hen, haben das wissen Sie so gut wie ich sehr
durchschaubare und nicht übertragbare Gründe.
Ich will noch einmal die Hauptgründe gegen das Da-
tenschutzaudit nennen. Erstens. Die Einführung eines Da-
tenschutzaudits schwächt die Stellung des betrieblichen
Datenschutzbeauftragten. Bisher haben die betrieblichen
Datenschutzbeauftragten und die ihnen übergeordneten
Aufsichtsbehörden sehr gut zusammengearbeitet, wie
beide Seiten betonen. Die betriebliche Selbstkontrolle
durch betriebliche Datenschutzbeauftragte hat sich be-
währt. So ist es uns unverständlich, warum durch ein Da-
tenschutzaudit nun eine Art Dreifach-Kontrolle einge-
führt werden soll: neben der Selbstkontrolle durch
betriebliche Datenschutzbeauftragte und der Fremdkon-
trolle durch die Aufsichtsbehörden nun auch noch ein
Datenschutzaudit durch von außen eingeflogene, ex-
terne Auditoren.
Auch die beabsichtigte Verbesserung sehe ich nicht.
Datenschutz ist schließlich ein Prozess; beim Daten-
schutzaudit handelt es sich jedoch nur um eine Moment-
aufnahme! Auch inhaltlich kann ich also keinen Fort-
schritt erkennen.
Aber viele Fragen bleiben: Welche Konsequenzen hat
ein durchgeführtes Audit ? Welche Probleme können ent-
stehen zum Beispiel dann, wenn Gutachter und Daten-
schutzkontrollbehörden zu unterschiedlichen Bewertungen
gelangen, von der Meinung des betrieblichen Datenschutz-
beauftragten einmal ganz abgesehen? Wer garantiert die
Unabhängigkeit und vor allem die Qualifikation der Audi-
toren? Der TÜV Rheinland bildet bereits innerhalb von
zwei Tagen so genannte Auditoren aus!
Viele betriebliche Datenschutzbeauftragte haben als
Informatiker einen Hochschulabschluss oder zwei Jahre
berufsbegleitende Fortbildung absolviert. Sind die bishe-
rigen Qualifikationen überflüssig? Führen die bisherigen
Ausbildungen zur Überqualifikation? Das sind Fragen,
die meines Erachtens vor der Einführung geklärt werden
mussten und müssen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116182
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Zweitens. Die Kosten für die Wirtschaft sind immens
und kaum abschätzbar.
Drittens. Ich zitiere aus der Beschlussempfehlung des
Innenausschusses auf Drucksache 14/5793:
Die geplante Regelung wird voraussichtlich durch
folgende Änderungen zu Mehrbelastungen der Wirt-
schaft führen: Durch die Einführung von Informati-
onspflichten im Rahmen der Erhebung personenbe-
zogener Daten beim Betroffenen auch im nicht
öffentlichen Bereich sowie durch die Einführung der
sog. Vorabkontrolle für bestimmte automatisierte
Verarbeitungen sind Mehrbelastungen zu erwarten.
Ferner kann die nach dem Gesetzentwurf gebotene
Auswahl von Kommunikationstechnik am Maßstab
des Prinzips der Datenvermeidung und -sparsamkeit
Mehrausgaben verursachen.
Große Automobilkonzerne rechnen mit zusätzlichen
Kosten von circa 10 bis 20 Millionen DM für das Daten-
schutzaudit, vom personellen und bürokratischen Mehr-
aufwand ganz zu schweigen.
Viertens. Sollte der Markt auf Dauer tatsächlich ein
Datenschutzaudit notwendig machen, dann wird es kom-
men. Die Wirtschaft reguliert sich selbst besser und fle-
xibler, als jedes Gesetz es tut. Im Gegenteil: Durch die
Einführung des Datenschutzaudits droht vielmehr eine
Marktverzerrung! Schon bei der IS0 9000-Norm war
dies zu beobachten. Zertifizierte Betriebe arbeiten nur
noch mit kleineren zusammen, wenn diese ebenfalls über
das gewünschte Zertifikat verfügen. Denken Sie einmal
an den Handwerksbetrieb mit seinem Meister, den drei
Gesellen und der Meisterfrau, die die Buchhaltung macht.
Die Kosten für ein Datenschutzaudit wären für diese klei-
nen Betriebe eine zusätzliche Belastung und kaum zu ver-
antworten.
In den letzten Tagen ging mir eine Pressemitteilung des
Landesbeauftragten für Datenschutz in Schleswig-Hol-
stein, Dr. Bäumler, zu. Ab sofort wird in Schleswig-Hol-
stein ein Datenschutzaudit für öffentliche Stellen durch-
geführt. Für nicht öffentliche Stellen existiert jetzt ein
Datenschutz-Gütesiegel.
Ich darf aus dieser Pressemitteilung zitieren: Gütesie-
gel sind primär dazu da, den Behörden die Auswahl sol-
cher Produkte zu erleichtern, die mit den Datenschutzbe-
stimmungen in Einklang stehen. Hier zeigt sich doch
schon der von mir kritisierte indirekte Zwang, den wir
nicht wollen und aufgrund der guten Erfahrungen mit dem
betrieblichen Datenschutz auch nicht brauchen.
Aus diesen Gründen hat die CDU/CSU-Fraktion den
Antrag gestellt, das Datenschutzaudit ersatzlos zu strei-
chen. Sollten Ausführungsbestimmungen, also auch das
Wie, bekannt sein, denken wir neu nach, wenn es uns
denn dann sinnvoller erscheint als heute.
Auch die Vorschriften zur Videoüberwachung sind im
Vorgriff auf die zweite Stufe des BDSG heute Gegenstand
der Beratung. Es handelt sich um die Beobachtung öf-
fentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen
Einrichtungen. Eine öffentliche Anhörung des Innenaus-
schusses hat sehr unterschiedliche Auffassungen von Sinn
und Zweck, von Möglichkeiten und Grenzen der Video-
überwachung deutlich gemacht. Insofern hätten wir auch
bei diesem Punkt gerne ausschussübergreifende Regelun-
gen gefunden. Videoüberwachung hat mehrere Ziele; sie
ist schließlich kein Selbstzweck!
Es geht um das Sicherheitsempfinden unserer Bürger,
von dem wir wissen, dass es sich vom tatsächlichen Be-
drohungspotenzial oft erheblich unterscheidet. Dies sollte
uns zu denken geben und den Versuch wert sein, die Fak-
ten einerseits und das Gefühl andererseits nicht weiter
auseinanderdriften zu lassen.
Insofern war uns die Formulierung in § 6 b Abs. 3 zu
kurz gesprungen. Sie ist nach unserer Auffassung ergän-
zungsbedürftig und sollte um den Aspekt der Gefahren-
vorsorge oder Strafverhütung ergänzt werden.
Jetzt heißt es in Absatz 3 des § 6, dass die Verarbeitung
oder Nutzung von Daten aus der Videoüberwachung
zulässig ist, wenn nicht schutzwürdige Interessen der Be-
troffenen überwiegen.
Ich zitiere nun: Für einen anderen Zweck dürfen sie
nur verarbeitet oder genutzt werden, soweit dies zur Ab-
wehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit erfor-
derlich ist. Wir haben hier den Zusatz vorgeschlagen,
dass die Daten auch zur Verfolgung von Straftaten bzw.
zur Gefahrenvorsorge oder Straftatenverhütung genutzt
oder verarbeitet werden können.
Denn wir meinen, Videoüberwachung soll auch zur
vorbeugenden Bekämpfung von Kriminalität dienen und
präventiv wirken.
Leider haben wir uns mit beiden Anträgen nicht durch-
setzen können. Wir bedauern das sehr und können uns da-
her bei der Abstimmung des Gesetzes zur Änderung des
Bundesdatenschutzgesetzes auf Drucksache 14/4329 ins-
gesamt nur der Stimme enthalten.
Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit der
heute zu beschließenden Reform des Bundesdatenschutz-
gesetzes unterstreicht Rot-Grün seine Kompetenz hin-
sichtlich eines verantwortungsvollen und modernen Um-
gangs mit Daten. Uns gelingt mit dieser Gesetzesreform
der Brückenschlag zwischen dem Verbraucherschutz und
den berechtigten Interessen öffentlicher und privater Stel-
len. Eine effiziente Datenverarbeitung und das Vertrauen
der Bürgerinnen und Bürger in die Sicherheit ihrer Daten
dürfen sich nicht widersprechen. Dieses Anliegen werden
wir auch bei der demnächst folgenden zweiten Reform-
stufe des Bundesdatenschutzgesetzes berücksichtigen,
mit der wir das Vertrauen der Verbraucher in Formen der
elektronischen Kommunikation noch weiter verstärken
wollen.
Datenschutz ist ein sehr wichtiges und nicht zuletzt
hochaktuelles Thema! Datenschutz ist moderner Verbrau-
cherschutz und ein entscheidender Akzeptanzfaktor für
alle Formen des elektronischen Handels und der elektro-
nischen Verwaltung. Ein moderner Datenschutz schafft
Vertrauen für die Bürgerinnen und Bürger in Staat und
Wirtschaft; ohne ausreichenden Datenschutz werden sich
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16183
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viele Bürgerinnen und Bürger der Informationsgesell-
schaft verweigern.
Mit dieser Gesetzesänderung erledigen wir nicht nur
unser Pflichtprogramm die Anpassung an eine EU-
Richtlinie von 1995, deren Umsetzung die alte Bundesre-
gierung versäumt hatte , sondern wir setzen eigene,
wichtige Akzente, auf die ich jetzt im Einzelnen kurz ein-
gehen werde.
Insbesondere auf Initiative von Bündnis 90/Die Grü-
nen hin wurde der Punkt Datenschutzaudit in diesen
Entwurf mit aufgenommen. Zur Verbesserung der Daten-
sicherheit können datenverarbeitende Stellen ihr Daten-
schutzkonzept durch unabhängige Gutachter prüfen und
die Ergebnisse veröffentlichen lassen: Zertifizierung statt
Reglementierung dies ist die Zukunft! Diese Form der
Transparenz ist auch im Interesse der Unternehmen; denn
diese können nun den verantwortungbewussten Umgang
mit Daten aktiv für den Wettbewerb nutzen.
Nun zum sensibelsten Punkt des Entwurfs, der op-
tisch-elektronischen Beobachtung öffentlich zugängli-
cher Räume, der so genannten Videoüberwachung.
Der häufig zu beklagende Wildwuchs in diesem Be-
reich die Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen
und privatwirtschaftlichen Räumen gehört auch in der
Bundesrepublik längst zum Alltag bedarf dringend ge-
setzlicher Regelungen, um jede unnötige und überflüssige
Maßnahme zu verhindern. Ob uns dies mit den hier for-
mulierten Bestimmungen gelingt, bleibt abzuwarten.
Doch wir können eines versichern: Bündnis 90/Die Grü-
nen werden immer ein wachsames Auge darauf haben,
dass unsere Gesellschaft nicht von unerwünschten wach-
samen Augen beobachtet wird. Big Brother im Fernse-
hen können wir vielleicht gerade noch ertragen, Big
Brother im wirklichen Leben nicht mehr.
Darum: Datenvermeidung und Datensparsamkeit sind
oberste Grundsätze eines modernen Datenschutzrechtes
und werden in diesem Gesetzesentwurf so weit wie mög-
lich berücksichtigt.
Ich möchte betonen, dass wir die Arbeit des Bundes-
beauftragten für den Datenschutz ausdrücklich unterstüt-
zen dessen Stellung in diesem Gesetzesentwurf ja auch
weiter gestärkt und herausgehoben wird. Auch möchten
wir die positive Zusammenarbeit bei der Verabschiedung
dieses Gesetzes herausheben: Insbesondere in den Be-
richterstatterrunden mit den Ministerien sowie im Dialog
mit den Datenschutzbeauftragten der Länder und dies
sei ausdrücklich erwähnt auch mit der Opposition wurde
ausgesprochen konstruktiv gearbeitet, eine Vorgehens-
weise, die wir bei der zweiten Reformstufe erfolgreich
fortsetzen und ausbauen wollen, unter anderem mit der
Einrichtung einer Diskussionsplattform im Internet für
alle Bürgerinnen und Bürger.
Mit der Modernisierung des Datenschutzrechtes und
der demnächst folgenden Verabschiedung eines Informa-
tionsfreiheitsgesetzes leisten wir weitere Schritte hin zu
einer transparenten und bürgernahen Informationsgesell-
schaft, die ohne Bündnis 90/Die Grünen so nicht denkbar
wäre.
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Der vorlie-
gende Gesetzentwurf soll die so genannte erste Stufe der
Datenschutzreform darstellen. Dabei handelt es sich um
die darauf sei ausdrücklich hingewiesen: überfällige
Umsetzung der EU-Datenschutz-Richtlinie vom 24. Ok-
tober 1995. Insoweit begrüßt die F.D.P. diese Vorlage.
Auch dass dabei der gegebene Spielraum genutzt wurde,
ist aus unserer Sicht zu begrüßen. Insbesondere beim Da-
tenschutz im Sozialhilferecht, der Datenschutzumsetzung
bei den Medien und den erneuerten Vorschriften über den
Bundesdatenschutzbeauftragten sind gute Fortentwick-
lungen gelungen.
Leider sind auf diesen ersten Reformschritt jedoch
ohne Not drei zusätzliche Regelungsansätze draufgesat-
telt worden, die richtigerweise in die zweite Stufe der
Datenschutzreform gehört hätten. Diese soll ja der An-
gleichung des Datenschutzrechts an die neuen Gegeben-
heiten in der Informations- und Kommunikationstechno-
logie gewidmet sein. Es handelt sich bei den drei
Zusatzpunkten um die Chipkartenregelung, die Video-
überwachung und das Datenschutzaudit.
Weshalb diese Anliegen schon jetzt unbedingt durch-
gezogen werden mussten, obwohl noch vielfältiger Bera-
tungsbedarf bestanden hätte, ist trotz mehrfachen Nach-
fragens leider unklar geblieben und muss deshalb gleich
vielfachen Verdacht hervorrufen. Das Gehetze ist bezüg-
lich dieser Punkte nämlich überhaupt nicht einzusehen.
Das wird beispielsweise besonders deutlich beim Daten-
schutzaudit, weil dort ohnehin alles von einem detaillier-
ten besonderen Gesetz abhängt, das aber weit und breit
nirgends zu sehen ist. Warum also mussten diese Punkte
schon jetzt ohne irgendeine Anhörung und ohne jede Ein-
zelkorrekturbereitschaft unbedingt durchgepaukt wer-
den? Darüber hätten wir auch jetzt noch gerne Auskunft.
Nur exemplarisch greife ich aus jenen drei umstritte-
nen Zusatzpunkten noch etwas näher die Videoüberwa-
chung heraus. Unbestritten ist, dass es hier dringend einer
eigenen Ermächtigungsnorm bedarf. Manche der Einzel-
regelungen im Gesetzentwurf sind auch, so meinen wir,
durchaus zu begrüßen. Das gilt etwa für die so genannte
Erkennbarmachung, die konkrete Benachrichtigungs-
pflicht oder die unverzügliche Datenlöschung.
Aber wie ist es um die konkrete Zweckbindung be-
stellt? Für öffentliche Stellen wird nämlich a priori die Be-
obachtung allgemein zugänglicher Räume mit optisch-
elektronischen Einrichtungen zur Erfüllung jeder
beliebigen Aufgabe zugelassen. Freilich soll das nur dort
gelten, wo keine überwiegenden schutzwürdigen Interes-
sen der Betroffenen gegenüberstehen. Aber ob etwas
überwiegt, lässt sich doch erst beurteilen, wenn man die
Bezugsgröße kennt, also den Zweck, zu dessen Erfüllung
die Maßnahme vorgenommen wird. Deshalb hätten die
zulässigen Zwecke im Gesetz schon noch näher spezifi-
ziert werden müssen. Denn da Videoüberwachung doch
einen spezifischen, subtileren und also auch heikleren
Grundrechtseingriff für die Beobachteten bedeutet, dürf-
ten die legitimierenden Einsatzbedarfe auch nur entspre-
chend gewichtig sein. Dies muss im Gesetz benannt und
sichergestellt werden. Das verlangt ein verfassungsbe-
wusster Datenschutz. Allseits ist deshalb im Datenschutz-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116184
(C)
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recht ja auch anerkannt, dass eine exakte Zweckbindung
der Datenerhebung und -verwendung der Schlüssel für
eine wirksame Wahrung des datenbezogenen Persönlich-
keitsrechts ist.
All solche Fragen zu den drei draufgesattelten Sonder-
punkten konnten nicht mehr geklärt werden. Deshalb wird
die F.D.P. dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, obwohl
wir das für die Richtlinienumsetzung eigentlich gerne ge-
tan hätten.
Petra Pau (PDS): Zuerst möchte ich den Bericht des
Bundesdatenschutzbeauftragten würdigen. Auch wenn er
schon etwas älter ist, macht er auf aktuelle Probleme und
Handlungsbedarf aufmerksam. Bestätigt wird dies durch
den seit gestern vorliegenden neuen Bericht. Sie werden
darin einen ganzen Katalog von Hausaufgaben finden,
welche auch durch uns zu erfüllen sind und durch die vor-
liegende Gesetzesnovelle nicht abgedeckt wurden.
Nun zu unserem heutigen Problem: Mit der Novellie-
rung des BDSG kommt die Bundesregierung mit immen-
ser Verspätung der Verpflichtung nach, das bundesdeutsche
Recht der EU-Richtlinie zum Schutz personenbezogener
Daten aus dem Jahre 1995 anzupassen. Diese Umsetzung
hätte bereits bis Oktober 1998 erfolgen müssen. Die ge-
planten gesetzlichen Veränderungen beziehen sich auf all-
gemeine Regelungen zum Datenschutz: Zulässigkeit von
Datenerhebungen, rechtliche Grundlagen der Datenverar-
beitung, Stellung von Datenschutzbeauftragten, Auskunft
an Betroffene, Videoüberwachung, Datenschutz im So-
zial- und Rentenbereich etc. Datenschutzrechtliche Be-
stimmungen zu Sicherheitsdiensten bleiben unter alleini-
ger nationaler Gesetzesregelung.
Bei der Novellierung des BDSG hat die Bundesregie-
rung bisher nur die Erfordernisse aus der EU-Richtlinie
umgesetzt. In einem zweiten Schritt Sommer 2001
kündigt sie neue gesetzliche Veränderungen an, die sich
mit den Problemen der Informationsgesellschaft und dem
Datenschutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
beschäftigen sollen.
Wie ist dies zu bewerten? Die Bundesregierung stützt
sich bei der Novellierung auf die Vorarbeiten der Kohl-
Regierung. Ein fortschrittlicher Entwurf der Grünen wur-
de ignoriert. Die Bundesregierung hält es nicht für nötig,
18 Jahre nach dem Urteil des BVG zur Volkszählung das
hier kreierte Recht auf informationelle Selbstbestimmung
im BDSG festzuschreiben. Entsprechend ist auch die ge-
samte Zielsetzung des Gesetzesentwurfs: Eine Zweckbin-
dung von Daten(-erhebungen) wird im Interesse der In-
dustrie und der Behörden sowie von Krankenkassen und
Rentenversicherungsanstalten aufgehoben. Die Stellung
der Datenschutzbeauftragten wird nicht gestärkt. Die Scha-
densersatzpflicht ist völlig unzureichend. Die geplante
Videoüberwachung ist nur mangelhaft im Gesetzentwurf
geregelt. Es wird nicht festgelegt, dass nur in besonderen
Ausnahmefällen Videoaufnahmen erlaubt sein dürfen.
Eindeutige Speicher- und Löschfristen sind nicht vorge-
sehen. Das Gesetz schafft keine juristischen Grundlagen
für eine effektive Datenvermeidung. Ein Datenschutzau-
dit Vermeidung von Datenflüssen wird nur symbolisch
festgeschrieben und nicht konkret geregelt. Der Gesetz-
entwurf strotzt vor einer Normenüberflutung und Büro-
kratisierung sowie einer ins kleinste Detail gehenden Re-
gelungsdichte, die den Bürgern den Umgang mit diesem
Gesetz erschwert, da es dadurch nur schwer lesbar und
kaum verständlich ist.
Deshalb hat die PDS mehrere Änderungsanträge in den
Bundestag eingebracht. Wir fordern unter anderem, dass
erstens das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
als Gesetzeszweck festgeschrieben wird, dass zweitens
der Bundesbeauftragte für Datenschutz nicht mehr dem
Innenministerium, sondern dem Parlament unterstellt ist
und damit endlich einen unabhängigen Status erhält, dass
drittens der Kündigungsschutz von Datenschutzbeauftrag-
ten verbessert wird, dass viertens die Zweckbindung von
Daten im Gesetz eindeutig festgeschrieben wird, damit
keine Persönlichkeitsprofile von Menschen erstellt werden
können, und dass fünftens die Videoüberwachung streng
geregelt wird.
Mit der Annahme dieser Änderungsanträge können Sie
wenigstens einen Teil der eingangs genannten Hausauf-
gaben erledigen. Damit könnten wir auch manche berech-
tigte Kritik des Bundesdatenschutzbeauftragten Jacob zu
den aktuellen Entwicklungen ausräumen.
Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister des Innern: Der vorliegende Gesetzentwurf
der Bundesregierung dient der Anpassung des Bundesda-
tenschutzgesetzes und anderer Gesetze an die EG-Daten-
schutzrichtlinie. Durch die Richtlinie und ihre nationale
Umsetzung wird ein einheitliches Datenschutzniveau für
die Mitgliedstaaten der EU geschafften. Nach Übernahme
der Richtlinie durch den EWR gilt sie inzwischen auch für
die übrigen Vertragsstaaten des Europäischen Wirt-
schaftsraumes.
Zu den wichtigsten unmittelbaren Verbesserungen aus
der Sicht des Bürgers zählt die weitere Stärkung seiner In-
formationsansprüche. Dem Bürger kommt ebenfalls zu-
gute, dass das System interner und präventiver Kontroll-
mechanismen ausgebaut wird. Nach der Richtlinie zieht
die automatisierte Verarbeitung personenbezogener Da-
ten entweder eine Meldepflicht gegenüber der Daten-
schutzkontrollstelle oder die Pflicht zur Bestellung eines
internen Beauftragten für den Datenschutz nach sich.
Dem in Deutschland schon bewährten Institut eines Be-
auftragten für den Datenschutz und der internen Selbst-
kontrolle wird damit zukünftig eine gesteigerte Bedeu-
tung zukommen.
Zu der bei den Bundesbehörden ganz überwiegend
bereits bisher praktizierten Bestellung von Beauftragten
für den Datenschutz besteht infolge der Richtlinie
zukünftig eine gesetzliche Verpflichtung.
Entsprechend den Vorgaben der Richtlinie eröffnet das
Bundesdatenschutzgesetz den freien Datenverkehr im
Binnenmarkt. Damit wird der innergemeinschaftliche Da-
tenverkehr künftig dem inländischen Datenverkehr
gleichgestellt. Für die Praxis bedeutet dies eine Vereinfa-
chung, da bei der Übermittlung personenbezogener Daten
im Binnenmarkt keine besonderen Regeln mehr beachtet
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16185
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werden müssen. Angesichts des von der Richtlinie vorge-
gebenen gemeinschaftsweit einheitlichen Datenschutz-
niveaus ist dies ohne Nachteile für die Rechte der Bürger
möglich geworden.
Der Datenaustausch mit Drittstaaten wird zwar regle-
mentiert; durch einen sachgerechten Ausnahmekatalog
wird jedoch dafür Sorge getragen, dass eine Beeinträchti-
gung des Wirtschaftsverkehrs nicht eintritt.
Der Gesetzentwurf konzentriert sich darauf, die Richt-
linie im erforderlichen Umfang umzusetzen. Angesichts
des in Deutschland bereits bestehenden hohen Daten-
schutzniveaus hielt sich die materielle Tragweite der Än-
derungen deshalb in Grenzen. Die teilweise abweichen-
den Konzepte der Richtlinie machten jedoch Eingriffe bei
fast allen Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes
notwendig. Es ließ sich nicht vermeiden, dass das Bun-
desdatenschutzgesetz dadurch komplexer geworden und
in einzelnen Bestimmungen auch für Fachleute nur noch
schwer verständlich ist. Da die Umsetzungsfrist bereits im
Oktober 1998 fast zeitgleich mit dem Regierungswech-
sel abgelaufen ist, kann die richtlinienbedingte Ände-
rung des Bundesdatenschutzgesetzes jedoch nicht weiter
hinausgeschoben werden.
Die Bundesregierung wird eine zweite Stufe der No-
vellierung anschließen, in der das Gesetz in einer umfas-
senden Neukonzeption vereinfacht und seine Lesbarkeit
erhöht wird. Dabei wird es auch darauf ankommen, das
Datenschutzrecht im Blick auf die schnelle Entwicklung
der Informationsgesellschaft zu modernisieren. Hierzu
hat der Bundesbeauftragte für den Datenschutz bereits in
seinem 17. Tätigkeitsbericht, zu dem uns heute hier die
Beschlussempfehlung des Innenausschusses vorliegt,
Stellung genommen. Er greift dieses Thema übrigens
auch in seinem gestern vorgestellten 18. Tätigkeitsbericht
erneut auf.
Gestatten Sie noch einen Satz dazu: Im Innenausschuss
ist mit Recht gerügt worden, dass die Beratung des mitt-
lerweile vorletzten Tätigkeitsberichts erst jetzt erfolgt
ist. Die Bundesregierung wird künftig ihren Beitrag dazu
leisten, dass die parlamentarische Befassung zeitnäher
erfolgen kann.
Der vorliegende Gesetzentwurf enthält bereits erste
Kernelemente einer Modernisierung, die das Ziel der
Richtlinie, die Transparenz der Datenverarbeitung für den
Bürger zu erhöhen, verwirklichen. Ich weise auf diesen
Zusammenhang deswegen hin, weil die Opposition kriti-
siert hat, die Bundesregierung sattle hier unnötigerweise
auf die zwingenden Vorgaben der Richtlinie auf.
Unter Transparenzgesichtspunkten bestand jedoch be-
reits jetzt dringender Handlungsbedarf, so etwa vor allem
bei der Videoüberwachung. Sie wird durch den Gesetz-
entwurf erstmals in einer allgemeinen Vorschrift ein-
deutigen Zulässigkeitsvoraussetzungen unterworfen. Der
Entwurf der Bundesregierung ist hier von den Daten-
schutzbeauftragten aus Bund und Ländern nachhaltig un-
terstützt worden.
Dies gilt auch für die Regelung zur Chipkarte und zum
Datenschutzaudit. Lassen Sie mich zum Datenschutzaudit
nochmals wir haben dies ja bei der Ausschussberatung
des Gesetzentwurfs im Einzelnen diskutiert betonen:
Das Audit beruht auf dem Prinzip der Freiwilligkeit; es
setzt zur Verbesserung des Datenschutzes auf die Selbst-
verantwortlichkeit der Unternehmen. Eine Pflicht-Audi-
tierung wird es nicht geben. Dort, wo sie sinnvollerweise
zum Einsatz kommen kann, wird sie sich für die Unter-
nehmen im Markt als Wettbewerbsvorteil erweisen und
den Verbrauchern die eigenverantwortliche Auswahl un-
ter konkurrierenden Anbietern erleichtern.
Die Bundesregierung hat darauf Wert gelegt, den Ge-
setzentwurf mit allen Fraktionen im Bundestag, dem Bun-
desbeauftragten für den Datenschutz, den Ländern und
der Wirtschaft so weit wie möglich im Einvernehmen
abzustimmen. Die Vorschläge und Prüfbitten des Bundes-
rates in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf
wurden weitgehend im parlamentarischen Gang des Ge-
setzgebungsverfahrens berücksichtigt. Danken möchte
ich ausdrücklich den Berichterstattern der Fraktionen für
die konstruktive, zielstrebige Beratung des Gesetzent-
wurfs.
Mit der heutigen Zustimmung des Bundestages werden
die Weichen für ein schnelles In-Kraft-Treten des Geset-
zes gestellt. Nur so besteht eine Chance, der Verurteilung
der Bundesrepublik Deutschland in dem bereits anhängi-
gen Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen
Gerichtshof zuvorzukommen. Auch vor diesem Hinter-
grund bitte ich um Ihre Zustimmung.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
Änderung des Zerlegungsmaßstabs des Gewerbe-
steuermessbetrags
Erhöhung der Gewerbesteuerumlage rückgängig
machen
(Tagesordnungspunkt 20 a und b)
Bernd Scheelen (SPD): Immer wieder freitags
könnte man in Abwandlung des Hits von Cindy und Bert
der 60er-Jahre sagen: Immer wieder freitags stellt die PDS
vermeintlich kommunalfreundliche Anträge zu den Ge-
werbesteuereinnahmen der Städte und Gemeinden.
Warum immer wieder freitags? Weil an einem der da-
rauffolgenden Sonntage irgendwo in den neuen Ländern
Kommunal-, Bürgermeister- oder Landratswahlen sind.
Am 6. Mai dieses Jahres sind solche Wahlen in Sach-
sen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Da vorher
keine Sitzungen des Parlaments mehr stattfinden, muss
eben der Freitag vor der Osterpause herhalten. Die Termi-
nierung der Antragsberatung entlarvt die Anträge als das,
was sie sind: Wahlkampftheater.
Die PDS möchte die Erhöhung der Gewerbesteuerum-
lage rückgängig machen, die Bestandteil des Steuersen-
kungsgesetzes ist, das am 1. Januar dieses Jahres in Kraft
getreten ist und die Bürgerinnen und Bürger und den Mit-
telstand in diesem Jahr um insgesamt 45 Milliarden DM
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116186
(C)
(D)
(A)
(B)
entlastet. Steuerliche Entlastung der Bürgerinnen und
Bürger bedeutet natürlich, dass der Staat auf Steuerein-
nahmen verzichtet. Das betrifft alle staatlichen Ebenen:
Bund, Länder und Gemeinden! Wenn die Bürgerinnen
und Bürger mehr Netto vom Brutto behalten sollen, heißt
das, dass der Staat sich einschränken, also sparen muss.
Die Koalition hat die Steuerreform gemacht, um die
Menschen und die Unternehmen im Land zu entlasten und
damit die Binnenkonjunktur anzukurbeln. Dass dieses
Konzept aufgeht, zeigt die Entwicklung der Konjunktur:
Trotz drastisch gestiegener Rohölpreise, trotz drastischer
Abkühlung der Konjunktur in den USA, trotz der wirt-
schaftlichen Probleme in Japan ist die europäische und
insbesondere die deutsche Konjunktur robust. Auch in
diesem Jahr ist mit einem Wachstum oberhalb von 2 Pro-
zent zu rechnen. Das ist mehr als der Durchschnitt der ge-
samten 90er-Jahre, sogar bei stabilem Geld!
Es zeigt sich, dass die Steuerreform genau zum richti-
gen Zeitpunkt gekommen ist. Bei nachlassender außen-
wirtschaftlicher Konjunktur ist eine robuste Binnennach-
frage unerlässlich. So freut sich der Einzelhandel in
Deutschland erstmals seit Jahren über Umsatzsteigerun-
gen. Binnenwirtschaftliches Wachstum bedeutet auch die
Schaffung neuer Arbeitsplätze und damit Entlastung der
öffentlichen Kassen von Kosten der Arbeitslosigkeit. Seit
1998 ist die Zahl der registrierten Arbeitslosen um 1 Mil-
lionen gesunken. In entsprechendem Maße ist die Zahl der
Erwerbstätigen gestiegen.
Es zeigt sich deutlich: Die Entlastung der Bürgerinnen
und Bürger und der Unternehmen in Deutschland war
überfällig und zum jetzigen Zeitpunkt geboten. Erstaun-
lich deshalb, dass die PDS nun wieder Steuererhöhungen
fordert; denn nichts anderes bedeutet die Forderung nach
der Rückgängigmachung der Veränderung bei der Ge-
werbesteuerumlage. Dazu ist es notwendig, zu beleuch-
ten, warum die Gewerbesteuerumlage erhöht wurde,
warum also die Städte und Gemeinden mehr Gewerbe-
steueranteile an Bund und Land abführen sollen.
Das Steuersenkungsgesetz sieht eine deutliche Absen-
kung des Körperschaftsteuersatzes von 40 Prozent auf
25 Prozent vor. Die dadurch bedingten Steuerausfälle tra-
gen Bund und Länder alleine. Zur teilweisen Gegenfinan-
zierung sind Veränderungen der AfA-Tabellen vorgese-
hen, die zu Steuermehreinnahmen auch der Gemeinden
führen. Diese Windfall Profits der Städte und Gemeinden
abzuschöpfen und zur Finanzierung der Steuerreform he-
ranzuziehen ist Sinn der Gewerbesteuerumlagenerhöhung
und nichts anderes. Fazit: Den Gemeinden wird also rein
gar nichts weggenommen.
Um dem nicht linearen Verlauf der Mehreinnahmen
Rechnung zu tragen, ist die Erhöhung der Gewerbe-
steuerumlage bis 2005 befristet. Ab 2006 gilt ein um sechs
Punkte abgesenkter Vervielfältiger. Außerdem haben wir
im Gesetz eine Revisionsklausel für das Jahr 2004 vorge-
sehen, um im Lichte der Erkenntnisse, wie die Steuerre-
form tatsächlich wirkt, die Erhöhung der Gewerbe-
steuerumlage zu überprüfen. Denn eines ist klar: Die
Berechnungen des BMF haben den Charakter einer Pro-
gnose und dies kann auch gar nicht anders sein.
Im Übrigen ist das Steuerentlastungsgesetz in Abspra-
che und mit Unterstützung der kommunalen Spitzenver-
bände in Kraft gesetzt worden. Dazu zitiere ich Ihnen den
Präsidenten des Städte- und Gemeindebundes, Heribert
Thallmair, CSU:
Die Reform der Unternehmensbesteuerung bildet
eine solide Grundlage für wirtschaftliches Wachstum
und ist daher ein Schritt in die richtige Richtung.
Sie werden sich auch noch daran erinnern, dass bei der
gesonderten Anhörung der kommunalen Spitzenverbände
die gute Zusammenarbeit mit der Bundesebene hervorge-
hoben wurde.
Nun zu den Zahlen im PDS-Antrag: Wir stellen fest,
dass die PDS wieder einmal hinter der Entwicklung her-
hinkt. Es reicht eben nicht, Anträge aus dem Jahr 2000
einfach mit einem neuen Datum zu versehen und sie er-
neut in den Deutschen Bundestag einzubringen. Ein biss-
chen mehr Sorgfalt wäre schon angebracht! Wenn die
PDS die Steuerausfälle der Kommunen in 2001 mit
8,3 Milliarden DM und im Jahr 2005 mit 12 Milliar-
den DM beziffert, hinkt sie eben gut eineinhalb Jahre hin-
ter der Entwicklung her und nimmt nicht zur Kenntnis,
dass das endgültig verabschiedete Steuersenkungsgesetz
bei den Kommunen Ausfälle von 4,4 Milliarden in 2001
und 6,9 Milliarden in 2005 bewirkt. Damit werden die
Städte und Gemeinden unterproportional an den Steuer-
ausfällen beteiligt.
Im Jahr 2000 hatten die Gemeinden einen Anteil von
12,3 Prozent an allen Steuereinnahmen. Zur Finanzierung
der Nettoentlastung der Steuerreform werden sie aller-
dings im Schnitt der Jahre 2001 bis 2006 mit lediglich
8,9 Prozent und damit deutlich unterproportional betei-
ligt. Dieses kommunalfreundliche Verhalten ist von den
kommunalen Spitzenverbänden ausdrücklich begrüßt
worden. Sie haben ihre Bereitschaft erklärt, sich im Rah-
men ihres Anteils an den Steuereinnahmen auch an den
Steuerausfällen zu beteiligen.
Während der Beratungen des Steuersenkungsgesetzes
konnte durch Berücksichtigung der Ausfälle infolge der
Steuerfreiheit bei den Veräußerungsgewinnen von
Unternehmensbeteiligungen der relativ geringe Anteil der
Städte und Gemeinden an den Steuerausfällen durchge-
setzt werden. Wenn die PDS nun fordert, dass der Aus-
gleichsmechanismus der Gewerbesteuerumlage abge-
schafft wird, fordert sie Bund und Länder auf, diese
Verluste zusätzlich zu tragen, was zwangsläufig Steuerer-
höhungen nach sich zieht. Dies lehnen wir ab!
Wir sprechen in der Republik über Steuersenkungen
und nicht über Steuererhöhungen. Die Bürgerinnen und
Bürger haben genug von immer höheren Steuern und Ab-
gaben. Sie erwarten zu Recht vom Staat, dass er sich auf
seine eigentlichen Aufgaben besinnt, dabei sparsam mit
den Mitteln umgeht und Menschen und Unternehmen ent-
lastet, um zusätzliche Spielräume für mehr Wachstum und
Beschäftigung zu schaffen. Diese Ziele werden auch von
den kommunalen Spitzenverbänden mitgetragen. Mit ih-
nen wissen wir uns auch einig in der Forderung nach ei-
ner umfassenden Gemeindefinanzreform. Das ist ein Vor-
haben, das für die nächste Legislaturperiode auf der
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16187
(C)
(D)
(A)
(B)
Agenda steht, zu dem die Vorarbeiten jetzt zu leisten sind.
Deshalb macht der zweite Antrag der PDS, den Zer-
legungsmaßstab des Gewerbesteuermessbetrages zu än-
dern, auch keinen Sinn.
Was wir brauchen, ist eine umfassende Reform, deren
Vorbereitung noch Zeit braucht. Einzelmaßnahmen sind
deshalb zu diesem Zeitpunkt unsinnig. Wir können die
Gemeindefinanzreform auch deshalb in Ruhe und gründ-
lich angehen, weil wir mit dem Steuersenkungsgesetz den
Kommunen Planungssicherheit bezüglich des Bestandes
der Gewerbesteuer gegeben haben. Mit der Unterneh-
mensteuerreform ist das Kunststück gelungen, einerseits
den Gemeinden die Gewerbesteuer als eigenständige, ge-
staltbare Steuerquelle zu erhalten und andererseits den
Mittelstand durch die pauschalierte Anrechenbarkeit
bei der Einkommensteuer von der Gewerbesteuer zu ent-
lasten.
Am 6. Mai dieses Jahres sind, wie bereits erwähnt,
Bürgermeister- und Landratswahlen in Sachsen-Anhalt
und Mecklenburg-Vorpommern. Am 10. Juni wird ent-
sprechend in Sachsen gewählt. Wetten, dass die PDS
beide Anträge spätestens am 1. Juni wieder einbringt?
Dann heißt es erneut: Immer wieder freitags.
Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Die PDS
will sich mit ihren beiden Anträgen zum Anwalt der Kom-
munen machen. Sie will die kommunale Finanzausstat-
tung in einzelnen Punkten verändern. Dies ist meines Er-
achtens völlig unzureichend. Wenn dieses Thema
angefasst werden soll, dann richtig; dann muss es um eine
Gemeindefinanzreform insgesamt gehen. Die Anträge der
PDS als punktuelle Lösung würden den Druck in Rich-
tung einer grundsätzlichen Lösung vermindern. Schon
deshalb kann ihnen nicht zugestimmt werden. Aber es gibt
auch inhaltliche Punkte, auf die ich noch zu sprechen
komme.
Dennoch gibt der Tagesordnungspunkt Gelegenheit,
den Blick auf ein wichtiges Thema zu lenken. Die kom-
munale Finanzausstattung ist völlig unzureichend und
wurde von der Regierungskoalition entgegen all ihren
Versprechungen dramatisch verschlechtert. Ich verweise
dazu nur auf die Dokumentation Nr. 16 des Deutschen
Städte- und Gemeindebundes, die die Auswirkung der
Eingriffe in die kommunale Finanzausstattung eindrucks-
voll schildert. Danach haben die Eingriffe im Jahr 2001
ein Volumen von 6,4 Milliarden DM zuzüglich 4,9 Milli-
arden DM Folgewirkungen über den kommunalen Fi-
nanzausgleich.
Die kommunale Finanzausstattung ist nicht nur ein
Thema für Bürgermeister und Kommunalpolitiker. Sie
geht uns alle an. Wenn den Kommunen die Finanzkraft
fehlt, dann müssen sie bei den Ausgaben für Einrichtun-
gen kürzen, die für die Bürgerinnen und Bürger wichtig
sind. Sie müssen Schulen, Kindergärten, Kultureinrich-
tungen, Schwimmbader und Ähnlichem Geld nehmen
oder sie gar schließen.
Sie ist aber auch ein wichtiges Thema für Handwerk
und Handel. Wenn den Gemeinden Geld fehlt, dann kür-
zen sie häufig bei Beschaffungen und insbesondere bei
der Bauunterhaltung, weil dies nicht unmittelbar Folgen
für die Bürgerinnen und Bürger hat. Jede nicht ausgege-
bene Mark bedeutet aber auch weniger Aufträge für Han-
del und Gewerbe. Jeder Auftrag weniger bedeutet weni-
ger Arbeit und damit weniger Steuern und mehr
Arbeitslosigkeit. Mehr Arbeitslosigkeit bedeutet mehr
Sozialhilfe. So zeigt sich, in welchem schwierigen Teu-
felskreis sich die Städte, Gemeinden und Landkreise be-
finden. Viele können ihre laufenden Ausgaben nicht mit
laufenden Einnahmen decken. Besorgniserregend ist die
Entwicklung der Kassenkredite in vielen großen Städten
des Ruhrgebietes.
Wie bedrohlich die Lage ist, kann man an einer Schlüs-
selzahl ablesen. Das ist der Stand der Kassenkredite zum
31. Dezember 2000. Kassenkredit klingt sehr technisch,
ist aber nichts anderes als der Ausdruck dafür, dass lau-
fende Ausgaben mit Krediten finanziert wurden, was ei-
gentlich nicht sein darf. Der Kassenkredit ist nur eine un-
terjährige Liquiditätshilfe und muss am Jahresende, wenn
alle Einnahmen und Ausgaben getätigt sind, auf Null ste-
hen. Sie betrugen 14,1 Milliarden DM; dazu kommen
noch 14,0 Milliarden DM innere Darlehen. Diese beiden
Zahlen hätten am 31. Dezember 2000 null betragen müs-
sen. 28,1 Milliarden DM sind rund 6,5 Prozent der lau-
fenden Ausgaben aller Städte, Gemeinden und Landkreise
für Personal, laufenden Sachaufwand, soziale Leistungen
und Zinsen. In diesem Maße wurden diese Posten mit
Krediten finanziert. Das ist, wie wenn sich ein privater
Haushalt ohne Aussicht auf zusätzliche Einnahmen sein
Butterbrot auf Kredit kauft oder wenn ein Handwerks-
meister das Verbrauchsmaterial mit einem Kontokorrent-
kredit finanziert und über die Rechnung nicht wieder he-
reinbekommt.
Die rot-grüne Koalition hat in der Koalitionsvereinba-
rung zum Regierungsantritt 1998 angekündigt, die Fi-
nanzkraft der Gemeinden stärken zu wollen. Wörtlich
heißt es in Kapitel III Nr. 2 Punkt 3 der Koalitionsverein-
barung:
Die neue Bundesregierung tritt dafür ein, dass
zukünftig Aufgabenverlagerungen im Verhältnis der
staatlichen Ebenen Bund einerseits, Länder und
Gemeinden andererseits im Rahmen des bundes-
staatlichen Finanzausgleichs berücksichtigt werden
(Konnexitätsprinzip). Wir wollen die Finanzkraft der
Gemeinden stärken und das Gemeindefinanzsystem
einer umfassenden Prüfung unterziehen.
Von einer Gemeindefinanzreform war bisher noch
keine Rede. Sie haben in dieser Richtung noch nichts un-
ternommen. Das gilt auch für die Umsetzung des Konne-
xitätsprinzips: Fehlanzeige!
Im Gegenteil: Wie Sie diese Versprechen mit Füßen
treten, will ich an zwei Beispielen deutlich machen. Da ist
zum einen der Familienleistungsausgleich und zum ande-
ren die Grundsicherung im Rahmen der Rentenreform.
In der Bundestagsdebatte vom 21. September 1995
(Plenarprotokoll 13/55) führte Bundesfinanzminister
Waigel dazu aus:
Die von der Koalition angestrebte Systemumstellung
auf das steuerrechtliche Optionsmodell und die Ver-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116188
(C)
(D)
(A)
(B)
besserungen beim Familienleistungsausgleich waren
von Anfang an mit der Zusage an die Länder ver-
bunden, für die daraus resultierenden Lastenver-
schiebungen einen fairen, vollen Ausgleich zu ge-
währen. Im Vermittlungsausschuss haben wir uns auf
die dauerhafte Absicherung des bisherigen Lasten-
teilungsverhältnisses von 74:26 beim Familienleis-
tungsausgleich geeinigt. Dies erfolgt durch die Er-
gänzung des Art. 106 des Grundgesetzes.
Man kann darüber streiten, ob es schön und wün-
schenswert ist, dass eine solche Frage im Grundge-
setz geregelt wird. Es war die unabdingbare Voraus-
setzung für die Zustimmung der Länder, und darum
macht es auch gar keinen Sinn, darüber noch lange
Diskussionen zu führen. ...
Diese Ergänzung verpflichtet den Gesetzgeber, bei
der Festsetzung des Beteiligungsverhältnisses an der
Umsatzsteuer die sich durch den neuen Familienleis-
tungsausgleich ergebenden Steuermindereinnahmen
der Länder auszugleichen. Hierdurch wird die verfas-
sungsrechtliche Voraussetzung für die dauerhafte
Fortführung des bisherigen Lastenteilungsverhältnis-
ses durch die entsprechenden Regelungen im Finanz-
ausgleichsgesetz geschaffen. ...
Die Länder haben sich verpflichtet, den Gemeinden
die Steuerausfälle durch die Neuregelung des
Familienleistungsausgleichs fair und voll auszuglei-
chen. Wir alle miteinander werden aufmerksam da-
rüber wachen, dass dies erfolgt. Die gleiche Fairness,
die der Bund den Ländern entgegenbringt, verlangen
wir von den Ländern den Kommunen gegenüber.
Zu der Grundgesetzänderung führte die CDU-Abge-
ordnete Dr. Tiemann in der Debatte aus:
Insofern machen die Länder diese Grundgesetzände-
rung zur Bedingung, weil sich die Lastenverteilung
zwischen Bund und Ländern zu ihren Ungunsten
verändern würde. Wir schreiben mit dieser Grundge-
setzänderung den Länderanteil fest, bewirken aber
dadurch und darauf möchte ich hinweisen gewis-
sermaßen einen Bund-Länder-Sonderausgleich für
den Familienbereich.
Ich mache darauf aufmerksam, dass wir mit diesem
Sonderausgleich in die Systematik unserer Finanz-
verfassung eingreifen.
Zu der Grundgesetzänderung führte der CDU-Abge-
ordnete Uldall in der Debatte aus:
Minister Waigel hat vorgeschlagen, die Ausfälle der
Gemeinden in Form eines höheren Anteils der Kom-
munen an der Einkommensteuer, nämlich statt heute
15 Prozent dann 16 Prozent, direkt zu kompensieren.
(Dr. Kurt Faltlhauser (CDU/CSU): Das war ein
hervorragender Vorschlag! Er wurde aber nicht
angenommen!)
Das lehnte der Bundesrat ab. Auch hier ist der Grund
klar. Die Länder wollten natürlich das Geld erst ein-
mal in den eigenen Kassen haben, bevor sie den Ge-
meinden von den Einnahmen, die sie zusätzlich er-
halten, etwas weitergeben. Wir fordern mit allem
Nachdruck die Länder auf, den Kommunen den ih-
nen zustehenden Anteil aus der gesetzlichen Um-
satzsteuer zukommen zu lassen.
Zum Jahressteuergesetz 1996 und zu der entsprechen-
den Grundgesetzänderung führte der Berichterstatter, Fi-
nanzminister Heinz Schleuser (SPD), am 22. September
1995 im Bundesrat (S. 371 f.) aus:
... die Neuregelung des Familienleistungsausglei-
ches als steuerliche Lösung führt zu gravierenden
Verschiebungen der Finanzverteilung zwischen
Bund, Ländern und Gemeinden. Bisher trug der
Bund 74 Prozent ... der Ausgaben für den Familien-
leistungsausgleich, während Länder und Gemeinden
die verbleibenden 26 Prozent aufbringen mussten.
Die Neuregelung im Rahmen der Einkommensteuer
führt zwangsläufig zu einer Lastenverteilung, die der
Verteilung der Einkommensteuer entspricht. Das
heißt: Statt der bisher 26 Prozent entfallen ab 1996
57, 5 Prozent der Ausgaben für den Familienleis-
tungsausgleich auf Länder und Gemeinden.
Anmerkung: Dabei sind die Auswirkungen des kommu-
nalen Finanzausgleiches Verschiebung von im Bundes-
durchschnitt 20 Prozent der Kosten von der Ebene der
Länder auf die Gemeinden noch nicht berücksichtigt.
Nach ziemlich schwierigen, intensiven Diskussionen
über diese Lastenverlagerung auf Länder und Ge-
meinden wurde ein Kompromiss erzielt: Die bishe-
rige Verteilung zwischen Bund und Ländern von
74:26 Prozent bleibt bestehen und wird für die Zu-
kunft dauerhaft festgeschrieben. Die Länder erhalten
zum Ausgleich ihre durch die Neuregelung entste-
henden Steuerausfälle einen erhöhten Anteil an der
Umsatzsteuer.
Anmerkung: 5,5 Prozentpunkte.
Die verfassungsrechtliche Grundlage wird durch
eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes ge-
schaffen.
Das Finanzausgleichsgesetz setzt diese Vorgaben
konkret um ...
Ab 1998 wird dieser Ausgleichsbetrag der aktuellen
Entwicklung angepasst. ...
Auch für die Gemeinden, die an diesem Umsatzsteu-
erausgleich systembedingt nicht unmittelbar partizi-
pieren, ist Sorge getragen: Die Länder haben sich
verpflichtet, ihnen einen fairen und vollen Ausgleich
für die ihnen durch die Umstellung entstehenden
Steuerausfälle zu garantieren.
Das waren die Versprechungen. Die Wirklichkeit sieht
ganz anders aus: Der Gesamtaufwand für das Kindergeld
stieg von 43,3 Milliarden DM im Jahr 1996 auf 57,6 Mil-
liarden DM im Jahr 1999. Für das Jahr 2000 liegen leider
noch keine endgültigen Daten vor. Der den Ländern als
Ausgleich gewährte Anteil von 5,5 Punkten Mehrwert-
steuer entwickelte sich von 13 Milliarden DM im Jahre
1996 auf 13,8 Milliarden DM im Jahr 1999. Selbst wenn
man unterstellt, dass die systembedingten Lasten der
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16189
(C)
(D)
(A)
(B)
Kommunen unter Einschluss der Wirkung des kommuna-
len Finanzausgleiches im Jahr 1996 von den Ländern voll
ausgeglichen worden sind was leider nicht passiert ist ,
dann haben die damals geschaffenen Systeme in den Fol-
gejahren nicht ausgereicht, um die systembedingte Belas-
tung der Städte, Gemeinden und Landkreise auszuglei-
chen. In den Jahren 1997 bis 1999 entwickelt sich das
Defizit über 1,4 Milliarden DM auf 2,7 Milliarden DM. In
den Jahren 1997 bis 1999 haben die Kommunen allein
5,5 Milliarden, DM des Kindergeldes getragen, obwohl
sie zu 100 Prozent entlastet werden sollten.
Große zusätzliche Risiken für die kommunale Finanz-
ausstattung lassen die geplanten Veränderungen beim
Kindergeld erwarten. Wenn nun das Kindergeld, wie zu
vernehmen ist, um 30 DM erhöht werden soll, dann be-
deutet das laut Bundesfinanzminister Waigel in der
Welt vom 27. März 2001 einen zusätzlichen Steueraus-
fall in Höhe von 5,5 Milliarden DM. Rechnete man die-
sen Betrag auf den Steuerausfall von 1999, so ergäbe das
einen Aufwand für den Familienleistungsausgleich von
63,1 Milliarden DM. Auf die Kommunen entfielen dann
nach kommunalem Finanzausgleich 4,1 Milliarden DM.
In den Jahren 1996 bis 2000 haben sie dann 9,6 Milliar-
den DM zum Kindergeld zugeschossen, obwohl sie über-
haupt nicht belastet. werden sollten. Das sind dann
6,4 Prozent. Länder und Kommunen zusammen tragen
dann 35,6 Prozent des Kindergeldes, obwohl sie nur
26 Prozent tragen sollten. Das ergibt einen Zahlungsüber-
hang von 15,9 Milliarden DM.
Die Bundesregierung lehnt ab, aufgrund dieser Situa-
tion tätig zu werden. Sie ist der Auffassung, dass das eine
Frage der allgemeinen Deckungsquotenberechnung sei
und kein Handlungsbedarf gegeben sei. Wer soll bei die-
sen Lastenverschiebungen und bei diesem plötzlichen
Meinungsumschwung der Beteiligten, die noch als Mi-
nisterpräsidenten an einer völlig anderen Front gekämpft
haben, darauf vertrauen, dass der Bund einen fairen Las-
tenausgleich vornimmt von einer Verwirklichung des
versprochenen Konnexitätsprinzips ganz zu schweigen?
Die Koalition hat bei Regierungsantritt versprochen,
dass nicht alles anders, aber vieles besser werden solle.
Darauf hatten die Kommunen große Hoffnungen gesetzt,
zumal in der Koalitionsvereinbarung vollmundige Ver-
sprechungen gemacht worden sind. Konnexität heißt
nichts anderes als: Wer die Musik bestellt, muss sie auch
bezahlen. Sie machen große Versprechungen auf Kosten
anderer. Sie lassen sich für eine Haushaltssanierung feiern
und schieben die Lasten den Kommunen zu.
Mit dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsi-
cherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG) soll
eines der kostenträchtigsten Gesetze für die Kommunen
in den letzten 30 Jahren ins Werk gesetzt werden. Unab-
hängig davon, wie man dazu steht ich halte diesen Weg
für falsch , wäre dies nun die beste Gelegenheit gewesen,
zu beweisen, dass man das Versprechen auch ernst meint.
Nichts davon ist zu spüren. Wie immer liegen Anspruch
und Wirklichkeit bei dieser Koalition meilenweit ausei-
nander.
Statt bei diesem Vorhaben einen ehrlichen Finanzie-
rungsweg zu wählen und den Kommunen das Geld direkt
über den Gemeindeanteil an der Einkommensteuer zu ge-
ben, machen Sie doppelte Winkelzüge:
Die Aufgabenzuweisung an die Landkreise und kreis-
freien Städte erfolgt durch bundesrechtliche Regelungen:
§ 4 GSiG in der Fassung von Artikel 8 a des Gesetzes zur
Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur
Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermö-
gens (zustimmungspflichtiger Teil). Dies hat für Städte,
Gemeinden und Landkreise fatale Folgen. Der Bund steht
in keiner direkten finanziellen Verpflichtung gegenüber
den Kommunen und kann deshalb wegen der Mehrauf-
wendungen von diesen rechtlich nicht direkt belangt wer-
den. Die Aufgabenzuweisung ist übrigens rechtlich be-
denklich, weil entgegen Artikel 84 GG hier in die
Organisationshoheit der Länder eingegriffen wird. Weil
die neue Aufgabe nicht durch ein Landesgesetz erfolgt,
können die Kommunen die neue Aufgabenzuweisung und
die damit verbundenen Mehraufwendungen nicht direkt
vor den Verfassungsgerichten angreifen. Es bleibt ihnen
nur der Weg über Klagen wegen mangelnder Finanzaus-
stattung allgemein, in deren Rahmen dann diese Frage mit
geprüft wird. Das ist ein wesentlich stumpferes Schwert
als der direkte Angriff. Es ist ein klarer Bruch des mit der
Koalitionsvereinbarung gegebenen Versprechens.
Zur Finanzierung wählt die Koalition den Finanzfluss
über mehrere Umwege durch die Landeskassen. Durch
eine Änderung des Wohngeldgesetzes in Artikel 9 will der
Bund den Ländern diejenigen Mehrausgaben ausglei-
chen, die den Kreisen und kreisfreien Städten als Trägern
der Grundsicherung und der entsprechenden Mehrauf-
wendungen in der Sozialhilfe entstehen. Damit landet das
Geld zunächst einmal in den Landeskassen. Aufgrund der
Erfahrung ist keineswegs anzunehmen, dass diese Mittel
auch voll den Kommunen weitergegeben werden. Die Er-
fahrungen zeigen, dass die Finanzminister klebrige Fin-
ger haben und die Mittel praktisch nie vollständig wei-
tergereicht wurden.
Bei landesinternen Umsetzungsregelungen wurden
häufig Wege gewählt, die schon nach wenigen Jahren
nicht mehr nachvollziehbar waren und damit geradezu
eine Einladung an die Länder waren, Mittel für sich selbst
abzuzweigen. Der Familienleistungsausgleich ist ein be-
redtes Beispiel dafür. So wurden zum Beispiel in Nieder-
sachsen die Mittel in den kommunalen Finanzausgleich
eingerechnet, und dies auch noch unvollkommen, sodass
die Städte, Gemeinden und Landkreise zusätzlich auf er-
heblichen Teilen der Kosten sitzen geblieben sind.
Außerdem verfügen wir auch über Erfahrung mit dem
Ausgleichsmechanismus Wohngeld. Als sich der Bund
in den 80er-Jahren aus der Krankenhausfinanzierung
zurückgezogen hat, erfolgte der finanzielle Ausgleich un-
ter anderem ähnlich wie das jetzt geschehen soll da-
durch, dass der Bund von der eigentlich durch die Länder
zu finanzierenden Wohngeldhälfte einen Festbetrag über-
nahm. Zum Ende des Jahres 2000 hat er sich aus dieser
Mitfinanzierung verabschiedet, sodass nachträglich der
Ausgleich entfallen ist. Wer will bei diesem Erfahrungs-
horizont eigentlich darauf vertrauen, dass hier ein dauer-
hafter Ausgleich zugunsten der Kommunen stattfindet?
Wie auf einer so brüchigen Vertrauensbasis die Kosten-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116190
(C)
(D)
(A)
(B)
entwicklung auf Dauer gerecht ausgeglichen werden soll,
kann ich mir nicht vorstellen.
Daneben ist die Finanzierungsnotwendigkeit umstrit-
ten; Der Bund geht in der Ursprungsdrucksache 14/4595
und auch noch in der Drucksache 14/5150 von 600 Milli-
onen DM aus. Im Laufe des Vermittlungsverfahrens hat er
bereits 800 Millionen DM angeboten. Die kommunalen
Spitzenverbände gehen von 2 Milliarden DM aus. Die Be-
rechnung des Bundes scheint wenig glaubwürdig, zumal
sie auf Berechnungen und Schätzungen Datenmaterial
aus dem Jahre 1997 beruht. Für den Zeitraum 1997 bis
2001 wird eine Preissteigerungsrate von 5,1 Prozent un-
terstellt. Angesichts der Tatsache, dass wir im Jahre 2001
allein eine Inflationsrate von 2,5 bis 3 Prozent haben wer-
den, ist das völlig unrealistisch.
Nun zur Gewerbesteuerumlage. Die Gewerbesteuer-
umlage wurde 1969 im Rahmen der Gemeindefinanz-
reform als Ausgleich für die Beteiligung der Kommunen
an der Einkommensteuer eingeführt. Richtig ist, dass in
den Folgejahren die jeweiligen Bundesregierungen häufig
die Gewerbesteuerumlage als direktes Ausgleichsinstru-
ment zwischen Bund und Ländern einerseits und den
Städten und Gemeinden andererseits gebraucht haben.
Das hat dazu geführt, dass die Gewerbesteuer für die
Kommunen an Bedeutung verloren hat. Ob dies richtig
war oder nicht, darüber kann man streiten. Jedenfalls ist
es einvernehmliche Praxis in Deutschland gewesen und
deshalb müssen sich alle auch daran halten.
Mit dem jetzigen Umfang der Abschöpfung gemeind-
licher Einnahmen durch die Gewerbesteuerumlage ist die-
ses Instrument unter systematischen Gesichtspunkten zu
kritisieren. Durch den wachsenden Anteil der Gewerbe-
steuerumlage am Bruttoaufkommen der Gewerbesteuer
wird auf kommunaler Ebene nicht nur der Interessenzu-
sammenhang zwischen Wirtschaft und Standortgemein-
den, sondern auch der Charakter der Gewerbesteuer als
Gemeindesteuer geschwächt. Entgegen der Behauptung
des Bundes, es gebe keine unmittelbare Finanzbeziehung
zwischen Bund und Kommunen, nutzt er die Gewerbe-
steuerumlage immer häufiger und in großem Umfang als
unmittelbares Instrument zur Abschöpfung gemeindlicher
Einnahmen.
Im Rahmen des Steuersenkungsgesetzes sollte die Ge-
werbesteuerumlage von Bund und Ländern von rund
20 auf fast 30 Prozent angehoben werden. Dies ist zwar
nicht im vollen Umfang geschehen; aber dennoch kam es
im Ergebnis zu einer erheblichen Anhebung und zu einer
dauerhaften Festschreibung auf einem zu hohen Niveau.
Damit ist der Grad des Erträglichen überschritten.
Die Verlängerung der Nutzungsdauer in den AfA-Ta-
bellen schafft in den ersten Jahren Steuermehreinnahmen,
weil geringere Abschreibungen erfolgen. Dadurch ent-
steht bei den Steuereinnahmen eine Spitze. Wenn diese
abflaut, tritt ein Loch ein, weil die vorgezogenen Steuer-
mehreinnahmen dann entfallen. Im Rahmen des Steuer-
senkungsgesetzes wurden diese Mehreinnahmen bei den
Kommunen im Finanztableau berücksichtigt und waren
Anlass zu einer unbefristeten Erhöhung der Gewerbe-
steuerumlage. Hier bedarf es einer Anpassung. Mittelfris-
tig sind die Mehreinnahmen, die als Basis für die Er-
höhung der Gewerbesteuerumlage genommen wurden,
rückläufig. Deshalb muss aus der gestreckten Abschrei-
bung eine Anpassung folgen.
Bei der Gewerbesteuerumlage sind noch Anpassungen
offen, weil die Begründung für vormalige Erhöhungen
ganz oder teilweise entfallen ist:
Zur kommunalen Mitfinanzierung des Solidarpaktes
wurde die Gewerbesteuerumlage in den alten Ländern er-
höht. Trotz einer gesetzlichen Revisionsklausel wurde
eine Neuberechnung von den Ländern ohne Begründung
blockiert, obwohl die kommunalen Spitzenverbände
schon für das Jahr 1995 belegt hatten, wie stark die
tatsächlichen Transfers der alten an die neuen Länder un-
ter den ursprünglichen Erwartungen geblieben waren.
Schon im ersten Jahr des Solidarpaktes war nur eine Er-
höhung der Gewerbesteuer um 16 statt der gesetzlich fi-
xierten 29 Vervielfältigerpunkte gerechtfertigt.
Bei der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage im Rah-
men des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmensteu-
erreform um zunächst 7 und ab 2001 um 6 Vervielfälti-
gerpunkte hat der Gesetzgeber auf eine Befristung
verzichtet, obwohl die damit abzuschöpfenden gemeind-
lichen Mehreinnahmen aus dem Abbau der Drohverlust-
rückstellungen 2003 auslaufen und damit die Berechti-
gung auch für diese Erhöhung der Gewerbesteuerumlage
weitestgehend entfällt.
Als Fazit bleibt festzustellen: Es besteht bei der Ge-
werbesteuerumlage dringender Handlungsbedarf. Die
Bundesregierung verweigert sich diesem, obwohl sie eine
Besserung der kommunalen Finanzverhältnisse verspro-
chen hatte. Dies ist Ausdruck der kommunalfeindlichen
Haltung der Regierung Schröder.
Die Zerlegung der Gewerbesteuer hat die Aufgabe, das
Steueraufkommen an Gemeinden zu verteilen, wenn ein
Betrieb mehrere Betriebsstätten hat. Dabei gilt es, den
richtigen Kompromiss zwischen einfacher Durchführung
und Ergebnisgerechtigkeit zu erzielen. Grundsätzlich gilt
nach § 29 Gewerbesteuergesetz (GewStG) der Arbeits-
lohn an den einzelnen Betriebsstätten als Zerlegungsmaß-
stab. Allerdings sind auch andere Formen der Zerlegung
denkbar. Nach § 33 GewStG kann, wenn die Regelzerle-
gung zu offenbar unbilligen Ergebnissen fährt, die Auf-
teilung auch nach einem anderen Maßstab, der die
tatsächlichen Verhältnisse besser berücksichtigt, erfolgen.
Dabei ist gemäß § 33 Abs. 2 einer Einigung zwischen den
beteiligten Gemeinden über die Steuerschuld der Vorrang
zu geben. Von dieser Regelung wird im großen Umfang
Gebrauch gemacht. So wurden für die Telekom und bei-
spielsweise viele Energieversorgungsunternehmen, zum
Beispiel in Niedersachsen die Avacon, besondere Maß-
stäbe entwickelt. Wenn es keine Einigung unter den
Beteiligten gibt, kann auch die Finanzverwaltung ihre
Regelungen treffen. Diese flexible Regelung trägt den Be-
dürfnissen der Praxis ausreichend Rechnung, sodass der
Antrag auf Veränderung der Zerlegung abzulehnen ist.
Das Lohngefälle vermag allein ein Abweichen von
denn bisherigen grundsätzlichen Zerlegungsmaßstab
nicht zu rechtfertigen, denn es ist auch eine unterschiedli-
che Produktivität gegeben. Wäre das nicht der Fall, hätte
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16191
(C)
(D)
(A)
(B)
es schon längst eine Angleichung der Tariflöhne gegeben.
Insofern geht Ihr Antrag in die falsche Richtung.
Die Auswirkungen des Kaufes der UMTS-Mobilfunk-
Lizenzen auf die Steuerzahlung der Unternehmen recht-
fertigen eine Änderung bei der Gewerbesteuerumlage
nicht. Hier wäre es vielmehr angebracht gewesen, die
Kommunen direkt an den Einnahmen zu beteiligen.
Ich fasse zusammen: Weil der Antrag zur Zerlegung
der Gewerbesteuer sachlich verfehlt ist und der Antrag zur
Gewerbesteuerumlage nur einen berechtigten Teilaspekt
aufgreifen würde, der den Blick die Gesamtproblematik
eher versperrt, wird die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
beide Anträge ablehnen.
Unter der Regierung Kohl ging es uns gut. Unter der
Regierung Schröder geht es uns besser. Aus kommunaler
Sicht kann die Forderung nun lauten: Ach, ginge es uns
doch wieder gut!
Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
Auswirkungen der Steuerreform werden natürlich nicht
nur von Bund und Ländern getragen, sondern auch von
den Kommunen. Im Rahmen der föderalen Finanzvertei-
lung erhalten die Kommunen ihren Anteil an den Steuer-
einnahmen und umgekehrt tragen sie natürlich auch an-
teilig die Steuermindereinnahmen in Folge der
Steuersenkungen.
Auf eines muss an dieser Stelle einmal ganz deutlich
hingewiesen werden: Wir sind es gewesen, die sich von
Anfang an für den Erhalt der Gewerbesteuereinnahmen in
voller Höhe und vollem Hebesatzrecht und damit der Fi-
nanzautonomie der Kommunen eingesetzt haben. Wir ha-
ben deshalb schon bei den konzeptionellen Überlegungen
zur Steuerreform die Variante der Gewerbesteueranrech-
nung auf die Einkommensteuerschuld favorisiert. Mit der
Gewerbesteueranrechnung sind gleich zwei Probleme
gelöst. Die Personenunternehmen sind nahezu vollständig
von der Gewerbesteuer entlastet und die Kommunen
behalten ihre Gewerbesteuereinnahmen und Finanzauto-
nomie.
Gerade dieses Element der Steuerreform bewirkt zu-
sammen mit der Absenkung des Einkommensteuertarifs
und des Eingangsteuersatzes eine Förderung kleinerer und
mittlerer Unternehmen in den Städten und Gemeinden.
Für uns stand die ganze Zeit fest. Die Reform der Un-
ternehmensbesteuerung und dreistufige Absenkung der
Einkommensteuer sind gemeinsame Reformanstrengun-
gen von Bund, Ländern und Kommunen. An der Finan-
zierung dieser Entlastungen für Bürger und Unternehmen
sind alle staatlichen Ebenen anteilig beteiligt, also auch
die Kommunen. Unsere Steuerentlastungen verbessern
die Bedingungen für Investitionen, erhöhen die verfüg-
baren Einkommen in den Kommunen und begünstigen
damit die Schaffung von Arbeitsplätzen.
Die Früchte dieser Politik werden steigende Einnah-
men bei der Gewerbesteuer und geringere Belastungen
aus der Finanzierung zum Beispiel von Sozialleistungen
sein. Dies kommt vor allem den Kommunen zugute. Der
Anteil der Kommunen an den reformbedingten unmittel-
baren Steuerausfällen liegt mit durchschnittlich rund
9 Prozent von 2001 bis 2006 noch wesentlich unterhalb
ihres Anteils an den gesamten Steuereinnahmen der Ge-
bietskörperschaften. Dieser Anteil beträgt rund 12 Pro-
zent. Erst ab 2005 steigen die Steuerausfälle der Kommu-
nen deutlich an, bleiben aber anteilig mit rund 11 Prozent
weiterhin unterhalb des Anteils der Kommunen an den
gesamten Steuereinnahmen.
Ich halte fest: Die Kommunen sind demzufolge unter-
proportional an der Finanzierung der Steuerreform betei-
ligt. Auch aus der Statistik über die kommunalen Einnah-
men der Kommunen für das Jahr 2000 ergibt sich, dass
sich die finanzielle Lage in der Summe Finanzierungs-
saldo oder Nettokreditaufnahme eher entspannt hat. Un-
abhängig davon befinden sich die einzelnen Kommunen
in sehr unterschiedlichen Haushaltslagen. Dies gilt im
Grunde auch für Kommunen in den neuen Ländern, je
nach wirtschaftlicher Entwicklung und Höhe der Arbeits-
losigkeit.
Die PDS fordert in dem einen Antrag die Rücknahme
der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage im Rahmen der
Steuerreform. Diesem Begehren werden wir nicht zu-
stimmen, weil von der Tendenz her die Städte und Ge-
meinden die Gewinner der Unternehmensteuerreform
sind. Die Mehreinnahmen ergeben sich im Wesentlichen
aus den zur Gegenfinanzierung der Steuerreform vorge-
sehenen veränderten Abschreibungsbedingungen. Diese
verbreitern die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer
und führen so unter dem Strich sogar zu mehr Gewerbe-
steuereinnahmen. Durch die Erhöhung der Gewerbe-
steuerumlage in der verabschiedeten Form wird in der
Summe eine angemessene Beteiligung der Kommunen an
der Steuerreform erreicht. An der Finanzierung der Tarif-
reform in der Einkommensteuer sind die Kommunen in
etwa in Höhe ihres 15-prozentigen Anteils am Gesamt-
aufkommen beteiligt. Die Erhöhung der Gewerbesteuer-
umlage ist ansteigend gestaltet in den Jahren 2001 bis
2005 und wird ab 2006 abgemildert. Da die finanziellen
Mehreinnahmen der Kommunen wegen der veränderten
Abschreibungsbedingungen zwangsläufig auf Schätzwer-
ten beruhen, hat sich die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
dafür eingesetzt, dass spätestens Anfang des Jahres 2004
eine Überprüfung der Höhe der Gewerbesteuerumlage er-
folgt. So wird es jetzt auch gemacht.
In einem weiteren Antrag der PDS wird eine Änderung
des Zerlegungsmaßstabs des Gewerbesteuermessbetrages
vorgeschlagen. Die PDS schlägt vor, von der bisherigen
Lohnsumme abzugehen und die Gewerbesteuer nach
Maßgabe der Arbeitsplätze und des Wertes der Betriebs-
anlagen aufzuteilen. Sie erweckt damit den Eindruck, als
könne eine veränderte Gewerbesteueraufteilung das Ein-
nahmeproblem vieler ostdeutscher Städte und Gemeinden
lösen. Erst mehr wirtschaftliche Aktivitäten werden die-
ses Dilemma beseitigen. Den vorgeschlagenen veränder-
ten Maßstab halten wir nicht für geeignet. Solange es die
Gewerbesteuer gibt, ist der Anteil der Arbeitslöhne besser
geeignet als die Anzahl der Arbeitsplätze, weil die Ge-
werbesteuer eine Steuer auf einen Teil der Wertschöpfung
ist. Deswegen sollte auch eine Aufteilung entsprechend
der Höhe der Wertschöpfung je Kommune erfolgen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116192
(C)
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Kommt man im Rahmen der ausstehenden kommuna-
len Finanzreform zu dem Ergebnis, dass die Gewerbe-
steuer abgeschafft wird und ein Hebesatzrecht der
Kommunen im Rahmen der Einkommenssteuer oder Um-
satzsteuer eingeräumt wird, dann muss auch der Vertei-
lungsschlüssel neu gestaltet werden. Strukturschwachen
Gemeinden und Kommunen, also insbesondere auch für
viele Gegenden der neuen Länder, muss im Rahmen einer
gezielten Strukturpolitik geholfen werden, und zwar nicht
mit veränderten Schlüsselzahlen im Rahmen der Gewer-
besteuer.
Gerhard Schüßler (F.D.P.): Das Grundanliegen der
beiden vorliegenden Anträge der PDS-Fraktion ist die
ausreichende Finanzausstattung der Gemeinden. Diesem
Anliegen wird jedes Mitglied dieses Hauses uneinge-
schränkt zustimmen. Bei der Frage, wie wir für eine aus-
reichende Finanzausstattung der Gemeinden sorgen kön-
nen, scheiden sich allerdings die Geister.
Um es gleich vorwegzunehmen: Die F.D.P. bleibt bei
ihrer Forderung, die Gewerbesteuer endgültig abzuschaf-
fen. Bei der Gewerbekapitalsteuer ist das bereits gelun-
gen. Grund dafür war allerdings nicht die Einsicht, dass
diese Steuer die Unternehmen schwächt. Alles, weil die
Einführung dieser Substanzsteuer in den neuen Ländern
drohte, konnte beseitigt werden. Die Kommunen benöti-
gen eine wirtschaftskraftbezogene eigene Steuerquelle,
das heißt, sie müssen mittels eines Hebesatzrechtes die
Höhe der Steuer festlegen können.
Die F.D.P. schlägt vor, im Gegenzug zum Wegfall der
Gewerbeertragsteuer auf Gemeinden ein eigenes Hebe-
satzrecht auf die Einkommensteuer, alternativ auf die
Umsatzsteuer, einzuräumen. Die Gewerbeertragsteuer ist
eine Sonderbelastung der Unternehmen. Gerade die PDS
müsste daran interessiert sein, diese Belastung zu beseiti-
gen, um dadurch Entlastungseffekte auch für ostdeutsche
Unternehmen zu erzielen. Der Wegfall der Gewerbeer-
tragsteuer wäre gleichzeitig ein spürbarer Beitrag zur Ver-
einfachung unseres Steuerrechts. Wir müssten uns dann
nicht mit hochkomplizierten Verrechnungsmodalitäten
und mit der Höhe der Gewerbesteuerumlage befassen.
Die vorliegenden Anträge lehnt die F.D.P. daher ab.
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Entwürfe:
Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsge-
setzes
Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsge-
setzes und des Ausländergesetzes
und zur Beratung des Antrags: Schlussoffensive für
erleichterte Einbürgerung von Kindern
(Tagesordnungspunkt 21 a und b)
Dr. Michael Bürsch (SPD): Nahezu zwei Jahre sind
seit der Verabschiedung des neuen Staatsangehörigkeits-
rechts durch den Deutschen Bundestag vergangen, das
reformierte Staatsangehörigkeitsgesetz ist seit dem 1. Ja-
nuar 2000 in Kraft. Heute haben wir über die Verlänge-
rung der Regelungen zur vereinfachten Kindereinbürge-
rung zu entscheiden. Dies ist eine gute Gelegenheit, eine
erste Bilanz über das neue Staatsangehörigkeitsrecht zu
ziehen.
Zwar ist die Datenbasis noch zu schmal, um quantita-
tive Aussagen zu treffen, da die Einbürgerungsbehörden
erst jetzt damit beginnen, ihre Angaben dem Statistischen
Bundesamt zu übermitteln. Aber in einer ersten qualitati-
ven Bewertung können wir bereits feststellen, dass die
Kernpunkte der Reform greifen und dass sich das Be-
wusstsein in der Bevölkerung ändert, dass über Integra-
tion, Staatsangehörigkeit und Zuwanderung heute diffe-
renzierter diskutiert werden kann, als dies noch vor zwei
Jahren der Fall war. Ich nenne hier Staatsangehörigkeit,
Integration und Zuwanderung bewusst in einem Zusam-
menhang, denn die Reform des Staatsangehörigkeitsge-
setzes war nur der erste Schritt bei der grundlegenden Er-
neuerung unseres Ausländer- und Einwanderungsrechts.
Dies wird eines der wichtigsten politischen Vorhaben der
nächsten Jahre sein und wir sollten hier die Mahnung des
Bundespräsidenten beherzigen: Die Diskussion muss so
geführt werden, dass weder Angst geschürt noch Illusio-
nen geweckt werden.
Am heutigen Tag können wir eine weitere erfreuliche
Feststellung treffen: Alle Bundestagsfraktionen außer der
CDU/CSU sind sich einig, dass der frühzeitigen Integra-
tion der in Deutschland aufwachsenden Kinder ausländi-
scher Familien eine überragende Bedeutung zukommt.
SPD, Bündnis 90/Die Grünen, F.D.P. und PDS tragen ge-
meinsam den Antrag, die Regelung zur erleichterten Kin-
dereinbürgerung zu verlängern. Bei den Kolleginnen und
Kollegen aus den Reihen der Union fehlt es leider auch
heute an der Bereitschaft, sich an der Suche nach den bes-
ten Lösungen für die zentralen Fragen der Innenpolitik zu
beteiligen. Das ist umso bedauerlicher, als viele von ihnen
heute schon ganz anders über Zuwanderung denken als
vor zwei Jahren.
Vor einer Woche haben Sie sich einem gemeinsamen
Antrag gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit
und Antisemitismus verweigert. Beim NPD-Verbotsan-
trag haben Sie nicht zu einer einheitlichen Linie gefunden.
Während die bayerische Landesregierung den Verbotsan-
trag nachdrücklich gefordert hat, konnten Sie sich hier im
Bundestag nicht zu einem gemeinsamen Vorgehen aller
demokratischen Parteien entschließen. Heute stellen Sie
sich wiederum gegen ihre Landesregierungen. Die hessi-
sche CDU/F.D.P.-Koalition man höre und staune hat
in den Ausschussberatungen des Bundesrates die Verlän-
gerung der bisherigen Regelung zur vereinfachten Kin-
dereinbürgerung um ein Jahr vorgeschlagen. Hier können
Sie sich an Roland Koch ausnahmsweise einmal ein Vor-
bild nehmen!
Wieder einmal kann man es nicht besser sagen als mit
den Worten von Willy Brandt: Ich dachte, wir wären
schon weiter. Wie wollen Sie glaubwürdig über Zuwan-
derung diskutieren, wenn Sie schon der Integration der
hier im Lande geborenen Kinder Steine in den Weg legen?
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16193
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Die Debatte über Zuwanderung und Integration von
Ausländern ist in Bewegung geraten und zum Glück wird
sie zunehmend sachlicher geführt. Wir haben mit der Än-
derung des Staatsbürgerschaftsrechts den Anfang ge-
macht. Millionen Menschen, die dieses Land mit aufge-
baut haben, die erheblich zum wirtschaftlichen Erfolg
Deutschlands beitragen, die sich ehrenamtlich engagieren
und unsere Gesellschaft nachdrücklich geprägt und berei-
chert haben, wurde mit der Reform das Angebot rechtli-
cher Gleichstellung und politischer Teilhabe gemacht.
Staatsangehörigkeit kann Integration nicht ersetzen,
aber sie kann und muss sie ergänzen. Die Bedeutung der
Staatsangehörigkeit für die Integration darf nicht über-
schätzt, sie darf aber auch nicht unterschätzt werden. Erst
die Staatsangehörigkeit gewährleistet einen verlässlichen
Status, der ein wirklich gleichberechtigtes Zusammenle-
ben erst ermöglicht.
Wenn dies schon für die Elterngeneration richtig ist,
dann gilt dies erst recht bei den Kindern. Der Kernpunkt
der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, die Ergän-
zung des Abstammungsprinzips durch das Geburtsrecht,
das Jus soli, soll es den hier geborenen Jugendlichen er-
leichtern, sich mit ihrem Heimatland Deutschland zu
identifizieren. Rund 50 000 der im vergangenen Jahr in
Deutschland geborenen Kinder ausländischer Eltern be-
sitzen aufgrund der neuen Regelung bereits von Geburt an
die deutsche Staatsangehörigkeit.
Diese Möglichkeit soll auch weiterhin ihren nur we-
nige Jahre älteren Geschwistern offen stehen. Leider blieb
die Zahl der Einbürgerungsanträge auf Grundlage der be-
fristeten Regelung des § 40 b des Staatsangehörigkeitsge-
setzes hinter den Erwartungen zurück. Bis zum Ablauf der
Antragsfrist wurde nur für höchstens 30 000 der über
300 000 einbürgerungsberechtigten Kinder ein Antrag ge-
stellt. Nach den Erfahrungen der Einbürgerungsbehörden
haben vor allem die überhöhten Gebühren von 500 DM
dazu beigetragen, dass die vielfach einkommensschwa-
chen Familien vor einem Antrag zurückschreckten.
Am Sinn der Regelung zur Kindereinbürgerung be-
steht kein Zweifel. Wir wollen diesen Kindern im Klein-
kind-, Kindergarten- und Grundschulalter die bestmögli-
chen Integrationsbedingungen bieten. Denn in den
Kindergärten und Schulen entscheidet sich, ob die Inte-
gration in unserem Land gelingt. Dies sind die Lernorte
des Zusammenlebens.
Es wäre für die Betroffenen nicht nachvollziehbar,
wenn in einer Familie die beiden älteren Geschwister sa-
gen wir einmal: im Alter von zwei und vier Jahren nicht
das Optionsrecht auf die deutsche Staatsangehörigkeit ha-
ben, während ihre neugeborene Schwester den deutschen
Pass in die Wiege gelegt bekommt. Einen solchen Riss
durch die Familien wollen wir vermeiden.
Deshalb wollen wir die Antragsfrist um zwei Jahre, bis
zum 31. Dezember 2002, verlängern. Wir wollen darum
werben, den Rechtsanspruch auch zügig einzulösen, des-
halb bleibt es bei einer Befristung. Wir senken aber
gleichzeitig die Einbürgerungsgebühr von 500 DM auf
100 DM, da sich die Höhe der Gebühr, zumal bei kinder-
reichen Familien, als erhebliches Hemmnis für die Ein-
bürgerungsbereitschaft erwiesen hat.
Diese Absenkung um 400 DM pro Kind bedeutet ver-
kraftbare Einnahmeausfälle heute, aber eine erhebliche
Ersparnis an Anstrengungen und Kosten in der Zukunft,
wenn die Integration im Erwachsenenalter mit ungewis-
sen Erfolgsaussichten nachgeholt werden muss. Einen
kleinkarierten Streit über die angemessene Höhe der Ver-
waltungsgebühren sollten wir uns ersparen und stattdes-
sen klarstellen, wie wichtig und wie viel wert uns die
frühzeitige Integration der in Deutschland aufwachsenden
Kinder ausländischer Familien ist.
Wir machen mit der heutigen Entscheidung einen wei-
teren Schritt zur erleichterten Einbürgerung von Auslän-
dern. Der nächste, erheblich größere Schritt wird die
Regelung von Zuwanderung und Integration sein, die wir
noch in diesem Jahr auf den Weg bringen werden. Ich
hoffe, dass wir dann alle Fraktionen dieses Hauses im
Boot wiederfinden.
Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Das Thema
gibt Anlass darauf hinzuweisen, dass es hinsichtlich der
Integration von in Deutschland lebenden Ausländern un-
terschiedliche Lösungsansätze und Grundpositionen gibt,
die verschiedener kaum sein könnten. Da ist zum einen
die Position derer, die das deutsche Staatsangehörigkeits-
recht zum 1. Januar 2000 geändert haben, die heute zu die-
sem Gesetz das fünfte oder sechste Änderungsgesetz
irgendwann hört man mal auf zu zählen einbringen
und die der Auffassung sind, der Pass sei das geeignete
Mittel zur Integration. In der Konsequenz bedeutet diese
Meinung nichts anderes als: Wenn man nur möglichst
viele Pässe verteilt, dann gibt es möglichst wenig Pro-
bleme mit der Integration. Das ist aber nicht unsere Posi-
tion. Wir sehen es genau umgekehrt: Zunächst kommt für
uns die Integration, und dann nach erfolgtem und erfol-
greichem Integrationsprozess kommt der Pass. Also
nicht der Pass als Mittel zur Integration, sondern die Ver-
leihung der Staatsbürgerschaft am Ende des Integrations-
prozesses.
Dass der Pass nicht automatisch zur Integration in
Deutschland führt, kann man, wenn man nicht völlig blind
ist, wirklich klar beobachten. Mehr als eine Million Men-
schen haben sofort einen deutschen Pass erhalten, als sie
aus einem völlig anderen Kulturkreis nach Deutschland
kamen. Sie hätten eigentlich sofort und ohne Probleme
nach rot-grüner Logik integriert sein müssen. Aber wol-
len Sie im Ernst die Probleme bestreiten, die wir mit
Spätaussiedlern etwa aus Kasachstan haben? Wollen
Sie im Ernst behaupten, gerade die Jüngeren aus dieser
Gruppe würden sich dank des deutschen Passes hier gera-
dezu optimal und problemfrei integrieren? Ich müsste Sie
dann schon fragen, wo Sie eigentlich leben. Wer diese
Probleme nicht sieht oder nicht sehen will, der leidet ent-
weder unter Realitätsverlust oder unter einer schlimmen
Ideologie. Beides wäre bedenklich.
Im Übrigen, gestatten Sie den Hinweis, ging und geht
es Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von Rot-
Grün, natürlich um mehr: Sie wollen allen in Deutschland
lebenden Ausländern die generelle doppelte Staatsbürger-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116194
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schaft geben, sind damit aber am Widerstand der Bevöl-
kerung und der Opposition von CDU und CSU geschei-
tert. Aufgegeben haben Sie Ihr Vorhaben, so ist zu be-
fürchten, dass sie es jetzt in kleinen Schritten nicht nur
verwirklichen. Damit hatten Sie allerdings die Menschen
hinters Licht geführt. Wir werden Ihnen das nicht so ohne
weiteres durchgehen lassen.
Sie setzen ihr Stückwerk fort, allerdings so, dass wie-
der Stückwerk entsteht, sodass die nächsten Änderungs-
gesetze schon vorprogrammiert sind. Vielleicht möchte
der Bundesinnenminister in Sachen Änderungsgesetzge-
bung von der Anzahl her gesprochen, über Qualität ist
in diesem Zusammenhang schon lange nicht mehr zu re-
den seinen Kollegen Riester oder die ehemalige Kolle-
gin Fischer noch toppen. Nur möchte ich klar sagen: Das
Staatsangehörigkeitsrecht ist eine sensible Materie, es ist
ein Rechtsgebiet, welches mehr als andere auf Kontinuität
und Berechenbarkeit angelegt ist. Das liegt in der Natur
der Sache. Wenn ihre Änderungsgesetzgebung nun nicht
aus handwerklichem Unvermögen, sondern gar aus Ab-
sicht geschähe, dann wäre dies bei dieser Materie sehr zu
kritisieren. Es wäre nämlich in hohem Maße verantwor-
tungslos.
Nun soll also, vermutlich nach dem Willen einer Mehr-
heit hier im Deutschen Bundestag, das Staatsangehörig-
keitsrecht erneut geändert werden. Im Wesentlichen soll
für die Kinder von Ausländern, die bei In-Kraft-Treten
des Gesetzes am 1. Januar 2000 noch keine zehn Jahre alt
gewesen sind, die Frist, innerhalb der erklärt werden
kann, dass auch diese Kinder zusätzlich die deutsche
Staatsbürgerschaft erhalten und die am 31. Dezember
2001 ablaufen wird, gleich um zwei Jahre verlängert wer-
den; außerdem soll die Gebühr für diese Einbürgerungen
von 500 DM auf 100 DM gesenkt werden, was dann zwar
nicht mehr kostendeckend, aber, nach Auffassung von
Rot-Grün und leider auch der F.D.P., ein Integrations-
hemmnis beseitigen würde. Es wird sicherlich
niemanden verwundern, dass wir von CDU/CSU dem kei-
nesfalls zustimmen können. Die vorgesehene Verlänge-
rung der Antragsfrist für Einbürgerungen nach § 40 b
StAG betrifft eine Gesetzesbestimmung, welcher wir im
Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Reform des
Staatsangehörigkeitsrechts bereits von Anfang an aus
grundsätzlichen Erwägungen widersprochen haben. Mit
dieser Vorschrift wird nämlich der Grundsatz der Vermei-
dung von Mehrstaatigkeit massiv infrage gestellt. Damit
wird ein das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht maßgeb-
lich prägender Grundsatz eklatant verletzt. Wir wollen
auch in Zukunft im Grunde genommen mehrere Staats-
bürgerschaften bei einer Person vermeiden, Sie aber, Kol-
leginnen und Kollegen von Rot-Grün, haben ja eine an-
dere Auffassung, können mit der Verletzung dieses
Eckpfeilers des Staatsangehörigkeitsrechts aber gut leben.
Mit einem müssen Sie allerdings auch leben, nämlich,
dass wir unsere Meinung sagen und als Opposition im
Deutschen Bundestag Ihre Meinung, die übrigens ja auch
von einer ganz klaren Mehrheit der Bevölkerung für
falsch und inakzeptabel gehalten wird, deutlich kritisie-
ren. Also: Mit dieser berechtigten Kritik unsererseits wer-
den Sie heute, aber auch bei Ihren weiteren Vorhaben, ein-
fach leben müssen, auch wenn es weh tut.
Auch unter integrationspolitischen Gesichtspunkten ist
das rot-grün-gelbe Gesetzeswerk durchgreifenden Beden-
ken ausgesetzt. Die Vorschrift eröffnet auch dann einen
Einbürgerungsanspruch, wenn Kinder von Ausländern
gar nicht in Deutschland leben, sondern im Ausland auf-
wachsen, dort die Schule besuchen, kein Wort Deutsch
sprechen, Deutschland nie kennen gelernt oder vielleicht
überhaupt noch nie gesehen haben. In diesen, in der Pra-
xis nicht seltenen, Fällen kann die mit der Einbürgerung
intendierte Integrationserleichterung überhaupt nicht
funktionieren, sie ist von vornerherein absolut ausge-
schlossen. Gesetzeszweck und das vorgelegte Gesetz ste-
hen einander wirklich diametral gegenüber. Behaupten
Sie bitte nicht, dass dies Einzelfälle wären. Ausländer-
behörden beantworten die Frage, wie viele dieser jungen,
bei uns geborenen Menschen zum Zwecke des Schulbe-
suchs und der Ausbildung in das Heimatland Türkei ver-
bracht werden, mit 30 bis 40 Prozent. Das sind also nicht
nur Ausnahmefälle, die man vernachlässigen könnte! Mit
der geplanten Verlängerung der Antragsfrist nach § 40 b
StAG um weitere zwei Jahre verantworten Sie, dass die
integrationspolitisch bedenklichen Fälle in Zukunft deut-
lich zunehmen könnten. Sie leisten der Sache insgesamt
damit allerdings einen Bärendienst.
Sie wollen die Einbürgerungsgebühr von 500 DM auf
100 DM senken. Auf Länderebene und da sitzen ja die
Praktiker geht man davon aus, dass die nach rot-grüner
Auffassung zu niedrigen Antragszahlen überhaupt nicht
auf die Höhe der Einbürgerungsgebühr zurückzuführen
sind. Schon deshalb ist die entsprechende Behauptung in
der Gesetzesbegründung des Gesetzentwurfs von SPD,
Grünen und F.D.P. nicht zutreffend.
Aber es gibt weitere Gründe, warum diese drastische
Gebührenabsenkung nicht akzeptiert werden kann. Mit
der Discount-Gebühr, die jetzt eingeführt werden soll,
werden die entstehenden Kosten bei weitem nicht ge-
deckt. Die tatsächlichen Kosten betragen mindestens das
Doppelte. Nun verfährt die rot-grüne Bundesregierung
hier nach einem Grundsatz, den wir leider aus vielen an-
deren Bereichen nur zu gut kennen: In Berlin beschließen
Rot und Grün, bezahlen dürfen dann die Länder und Kom-
munen. So geht das nicht! Diese kommunalfeindliche
Einstellung wird immer auf unseren erbitterten Wider-
stand treffen!
Was ist eigentlich mit dem viel zitierten Verursacher-
prinzip, das Sie hier mit Füßen treten? Ich vermag nicht
einzusehen, warum die tatsächlich entstehenden Kosten
bei Einbürgerungsverfahren von der Allgemeinheit der
kommunalen Gebühren- und Steuerzahler gezahlt werden
soll, nur weil es einer rot-grün-gelben Mehrheit im Deut-
schen Bundestag so in den Kram passt. Wer bestellt, soll
auch bezahlen! Das muss auch bei der Einbürgerung gel-
ten! Die Gebühr wäre bei Kostendeckung ja ganz sicher
nicht so hoch, dass jemand, dem es Ernst ist mit der deut-
schen Staatsangehörigkeit, sich davon abhalten ließe. Das
wäre doch geradezu absurd!
Zu absurden Ergebnissen würde im Übrigen das Wei-
terentwickeln ihrer Logik führen. Wissen Sie, meine Da-
men und Herren von SPD, Grünen und F.D.P. und PDS:
Wenn die Einbürgerungsgebühr ein Hemmnis für den
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16195
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Einbürgerungsantrag ist und sich nach Absenken der Ge-
bühr nach zwei Jahren immer noch nach Ihrer Lesart zu
wenig Einbürgerungsanträge angesammelt haben, dann
müssten sie eigentlich eine Einbürgerungsprämie ausset-
zen. Ja, das wäre dann in der Tat absurd, aber diese Zu-
spitzung zeigt, wie falsch sie schon im Ansatz liegen.
Auch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten ist übrigens
die Senkung der Gebühr von 500 DM auf 100 DM be-
denklich. Was ist eigentlich mit den Eltern, welche den
Antrag nach geltendem Recht fristgerecht gestellt haben,
sich also rechtstreu verhalten haben, und eine fünfmal so
hohe Gebühr bezahlt haben? Was werden Sie diesen El-
tern sagen, wenn diese Sie fragen: Wie ist das gerechtfer-
tigt oder ist das nicht sogar eine willkürliche Ungleichbe-
handlung? Darauf hörte ich gerne eine Antwort von Ihnen,
was Sie diesen Menschen dann sagen. Und wie Sie die in-
nere Logik auch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten ih-
rer Regierungs- und Gesetzgebungskunst dann auch im
Grundsätzlichen rechtfertigen.
Aber vielleicht ist diesen Menschen ja auch zu antwor-
ten: Wartet noch ein bisschen zu, mit euren hunderttau-
sendfachen Einbürgerungsanträgen. SPD, F.D.P. Grüne
und PDS im Deutschen Bundestag, eine satte Mehrheit je-
denfalls, will euch alle einbürgern. Koste es, was es wolle.
Und vielleicht kostet es in zwei Jahren nicht einmal mehr
die hundert Mark, vielleicht gibt es die deutsche Staats-
angehörigkeit dann ganz umsonst. Vielleicht, wer weiß,
kommt sie irgendwann ja doch noch, die rot-grüne Ein-
bürgerungsprämie dafür, dass man endlich die deutsche
Staatsbürgerschaft annimmt.
Hoffentlich kommt es aber nie so weit. Denn bis dahin
haben wir, das hoffe jedenfalls, wieder andere Mehrheits-
verhältnisse im Deutschen Bundestag. Und diese Mehr-
heit wird dann dem absurden Spuk im Interesse einer ganz
großen Mehrheit der Deutschen, in Wahrheit aber auch im
Interesse der Integration der bei uns lebenden Ausländer,
ein Ende bereiten.
Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Das Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeits-
gesetzes vom Juli 1999 sieht eine erleichterte Einbürge-
rung für Minderjährige, die nach dem 1. Januar 1990
geboren wurden, bis zum 31. Dezember 2000 vor. Von
diesem Recht haben bis zum Ende letzten Jahres jedoch
lediglich zehn Prozent der etwa 300 000 berechtigten Kin-
der Gebrauch gemacht.
Vor allem die Einbürgerungsgebühr von 500 DM ist für
viele Eltern ein Hindernis, den für die frühzeitige Integra-
tion der Kinder notwendigen Antrag zu stellen. Dies wird
uns vor allem von Beratungsstellen und Ausländerbeauf-
tragten immer wieder berichtet. Es ist den betroffenen El-
tern oft nur schwer zu vermitteln, weshalb ihr Kind, das
im Jahr 2000 hier geboren wurde, kraft Gesetz und damit
gebührenfrei die deutsche Staatsangehörigkeit erhält,
während sie für jedes noch nicht zehnjährige Kind einen
gesonderten Antrag stellen und die Gebühr von 500 DM
wie bei der Einbürgerung eines Erwachsenen zahlen
müssen.
Die heute zur Beratung anstehenden Gesetzentwürfe
sind vor diesem Hintergrund ein positiver Schritt. So soll
die Frist für die Einbürgerung ausländischer Kinder um
zwei Jahre bis zum 31. Dezember 2002 verlängert wer-
den. Gleichzeitig soll die Hürde hoher Verwaltungskosten
entfallen und die Gebühren für die Kindereinbürgerung
auf 100 DM gesenkt werden. Dies soll auch für alle sons-
tigen Einbürgerungen Minderjähriger gelten.
Erfreulich ist auch, dass die Gesetzentwürfe der Koali-
tion und der F.D.P. in den Ausschüssen zusammengeführt
werden konnten sozusagen als Konsens der Demo-
kraten.
Für sich selbst spricht das Verhalten der Union: Wie
schon bei der Ablehnung eines gemeinsamen Antrags
zum Thema Bekämpfung des Rechtsextremismus in der
vergangenen Woche verweigert sie sich auch bei diesem
wichtigen integrationspolitischen Thema und gerät so im-
mer weiter ins Abseits. Denn die vorgeschlagenen Geset-
zesänderungen bieten eine neue Chance für die rechtliche
Integration ausländischer Kinder. Auch wenn die Zahl der
berechtigten Kinder nicht größer wird, so besteht doch
eine erneute Möglichkeit zur Einbürgerung für diejeni-
gen, die diese bisher nicht wahrgenommen haben. Vor
dem Hintergrund, dass in fast allen Parteien und bei den
Bürgerinnen und Bürgern die Einsicht wächst, dass Inte-
gration möglichst früh beginnen sollte, verschenken wir
eine einmalige Chance, wenn wir nicht alles Mögliche
tun, auch den Integrationsprozess der bereits heute hier le-
benden Kinder bis zu zehn Jahren, die in Kindergarten
und Schule erste prägende Erfahrungen gemacht haben,
möglichst frühzeitig zu erleichtern.
Um der Gesetzesinitiative zum Erfolg zu verhelfen,
sind allerdings insbesondere die Bundesländer gefragt.
Ich fordere daher die Länder auf, bei den Beratungen im
Bundesrat ihre teilweise kleinmütige Haltung gegenüber
dieser Gesetzesänderung aufzugeben und ihr zuzustim-
men. Bornierte haushaltspolitische Vorbehalte gegen die
abgesenkte Einbürgerungsgebühr helfen nicht weiter. Ich
appelliere ausdrücklich an die Kolleginnen und Kollegen
der F.D.P., darauf hinzuwirken, in den Koalitionsver-
handlungen in Baden-Württemberg ihr eigenes Anliegen
nochmals einzubringen.
Wer der rechtlichen Gleichstellung selbst hier gebore-
ner ausländischer Kinder Steine in den Weg legt, dem liegt
deren Integration offensichtlich nicht am Herzen.
Dr. Max Stadler (F.D.P.): Die Erfahrung der letzten
Jahre hat gezeigt, dass der Gesetzgeber gut beraten ist, bei
Änderungen des Staatsangehörigkeitsrechts behutsam
vorzugehen. Nur dann ist die Akzeptanz in der Bevölke-
rung gewährleistet. Die grundlegende Modernisierung
des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 1999
hat unter maßgeblichem Einfluss der F.D.P. diese Anforde-
rungen erfüllt. Nun muss sich das neue Recht in der Pra-
xis bewähren. Für einschneidende Änderungen ist daher
kein Raum. Dennoch muss der Gesetzgeber korrigierend
eingreifen, wenn einzelne Vorschriften des neuen Rechts
sich schon nach kurzer Zeit nicht als praxistauglich er-
wiesen haben.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116196
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Die F.D.P. war der Überzeugung, dass ein möglichst
frühzeitiger Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit
den hier aufwachsenden Kindern ausländischer Eltern die
Integration in Deutschland wesentlich erleichtert. Dieses
Integrationsangebot wurde auch den Kindern gemacht,
die bereits vor der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts
geboren worden sind, wenn sie das zehnte Lebensjahr
noch nicht vollendet haben. Die Frist hierfür ist Ende
2000 abgelaufen.
Es hat sich gezeigt, dass eine Verlängerung dieser Frist
geboten ist. Von der Regelung ist nicht in dem von uns er-
hofften Umfang Gebrauch gemacht worden. Dafür gibt es
sicherlich unterschiedliche Gründe. Von den Betroffenen
wird aber als einer der Hauptpunkte die zu hohe Einbür-
gerungsgebühr von 500 DM pro Kind genannt. Von der
Möglichkeit der Gebührenermäßigung oder Gebührenbe-
freiung zugunsten der Antragsteller wurde in der Praxis
kaum Gebrauch gemacht. Daher hat die F.D.P. die Initia-
tive ergriffen, dieses finanzielle Einbürgerungshindernis
zu beseitigen, und vorgeschlagen, die Einbürgerungs-
gebühr für minderjährige Kinder generell auf 100 DM
herabzusetzen. Selbst wenn die Verwaltungskosten etwas
höher sein sollten, erscheint uns der erzielbare Integrati-
onsfortschritt diesen Preis wert.
In der Konsequenz dieses Vorschlages haben wir auch
für eine Verlängerung der Einbürgerungsfrist um ein Jahr
plädiert.
Diese Initiative der F.D.P. hatte den Erfolg, dass seitens
der Koalition ein eigener Gesetzentwurf vorgelegt wurde,
der sich vom F.D.P.-Entwurf nur darin unterscheidet, dass
die Einbürgerungsfrist bis 31. Dezember 2002 verlängert
werden soll. Dem ist jetzt zuzustimmen, da das Gesetz-
gebungsverfahren bereits mehrere Monate in Anspruch
genommen hat, sodass eine Fristverlängerung bis Ende
2001 nicht mehr ausreichen würde.
Die F.D.P.-Fraktion begrüßt die jetzt im Innenaus-
schuss gefundene gemeinsame Beschlussvorlage aus-
drücklich, hat doch noch im letzten Jahr die Bundesregie-
rung auf eine Anfrage unserer Fraktion erklärt, keinerlei
Änderungsbedarf in dem von uns gewünschten Sinne zu
sehen. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie konstruktive
Oppositionspolitik betrieben wird und auch aus der Min-
derheitenposition heraus Verbesserungen erreicht werden.
Unser weiterer Antrag, eine Schlussoffensive für die
Einbürgerung minderjähriger Kinder zu starten, hat sich
damit derzeit erledigt
Ulla Jelpke (PDS): Das so genannte reformierte
Staatsangehörigkeitsrecht war bisher eine einzige Enttäu-
schung. Die Zahlen der tatsächlichen Einbürgerungen
entsprechen bei weitem nicht den hoch gesteckten Erwar-
tungen, die mit dem In-Kraft-Treten des neuen Staatsan-
gehörigkeitsgesetzes verbunden waren. Die Bundesregie-
rung hat damals von einer halben bis 1 Million potenzieller
Einbürgerungen gesprochen. Die Realität sieht anders aus:
Im Februar 2001 wurde die Staatssekretärin Dr. Sonntag-
Wolgast in der Presse mit der Aussage zitiert, es habe im
Jahre 2000 etwa 200 000 Einbürgerungen gegeben. Ge-
naue Zahlen ist die Bundesregierung auch nach einer Klei-
nen Anfrage der PDS schuldig geblieben.
Die Entwicklung ist für die Bundesregierung enttäu-
schend, und sie lässt sich nicht mehr schönreden. Die
Gründe dafür sind vielfältig und beruhen auf den gravie-
renden Schwachstellen des geltenden Rechts. Vor diesem
Hintergrund hat der Innenausschuss mit seiner Beschluss-
empfehlung einen wichtigen Schritt gemacht. Auf Antrag
der PDS schlägt er vor: Die Bundesregierung soll aufge-
fordert werden, das Europäische Übereinkommen über
die Staatsangehörigkeit zu unterzeichnen und zur Ratifi-
zierung vorzulegen.
Worum geht es dabei? Das Staatsangehörigkeitsgesetz
zwingt die in Deutschland geborenen Kinder ausländi-
scher Eltern, die eine Schnupperstaatsangehörigkeit un-
ter Beibehaltung ihrer bisherigen Nationalität erworben
haben, sich bis zum 23. Lebensjahr für eine der beiden
Staatsangehörigkeiten zu entscheiden. Das Ausländerge-
setz verlangt in den übrigen Fällen, dass der Einbürge-
rungsbewerber vor Antragstellung die bisherige Staatsan-
gehörigkeit verloren hat oder aufgibt.
Man kann sich vorstellen, welche seelischen Konflikte
damit ausgelöst werden. Viele Menschen haben noch
enge emotionale, kulturelle, rechtliche Beziehungen
zu dem Land, aus dem sie gekommen sind. Diese Bin-
dungen drohen zu zerreißen, wenn sie die bisherige
Staatsangehörigkeit aufgeben. Viele Eltern haben Angst
vor Loyalitätskonflikten zwischen ihnen und der alten
Heimat einerseits und den Kindern andererseits. Für sie ist
es undenkbar, dass ihre Kinder die alte Staatsangehörig-
keit aufgeben, weil sie noch enge emotionale und auch
bürgerlich-rechtliche Bindungen an das Herkunftsland
haben, die sie nicht aufgeben, sondern im Gegenteil pfle-
gen und erhalten wollen. Weil man auf Teufel komm raus
an der Fiktion festhalten wollte, es dürfe keine oder zu-
mindest nur in äußerst geringem Umfang Mehrstaatig-
keit geben, zwingt man Menschen zu solchen Konflikten.
Soweit das derzeitige deutsche Recht.
Der Europarat hat am 6. November 1997 in Straßburg
das Europäische Übereinkommen über die Staatsan-
gehörigkeit zur Unterzeichnung aufgelegt. Das Abkom-
men ist am 1. März 2000 in Kraft getreten. Deutschland
gehört bisher zu den wenigen Mitgliedstaaten des Euro-
parates und zu der kleinen Minderheit innerhalb der Eu-
ropäischen Union , die dieses Abkommen nicht unter-
zeichnet haben.
Art. 14 des Vertrages sieht vor, dass ein Vertragsstaat
Kindern, die bei der Geburt ohne weiteres verschiedene
Staatsangehörigkeiten erworben haben, die Beibehaltung
dieser Staatsangehörigkeiten gestattet, also Mehrstaatig-
keit ausdrücklich und ohne jedes Optionsmodell er-
möglicht. Nach Art. 17 Abs. 1 des Abkommens haben die
Staatsangehörigen eines Vertragsstaates, die eine weitere
Staatsangehörigkeit besitzen, im Hoheitsgebiet des Ver-
tragsstaates dieselben Rechte und Pflichten wie jeder an-
dere Staatsangehörige des Vertragsstaates auch.
Mehrstaatigkeit ist danach kein Problem mehr. Der
Vertrag gibt der Bundesrepublik Deutschland somit die
Möglichkeit an die Hand, ihre eigenen hausgemachten
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16197
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Probleme zumindest zum Teil zu lösen. Daher der vom
Innenausschuss übernommene Appell an die Bundesregie-
rung: Unterzeichnen Sie endlich das Europäische Über-
einkommen über die Staatsangehörigkeit und legen Sie es
dem Parlament zur Ratifikation vor!
Zugegeben: Nicht alle Probleme sind damit gelöst. Im
Gegenteil: Es gibt noch viel zu tun. Wir müssen uns zum
Beispiel mit den in § 85 des Ausländergesetzes normier-
ten weiteren Anforderungen an den Einbürgerungsbewer-
ber beschäftigen. Er muss erklären, dass er sich immer
brav und verfassungstreu verhalten wird. Zweifel an der
Ernsthaftigkeit der Erklärung führen zur Verweigerung
der Einbürgerung. Was soll das? Bestrebungen, die ernst-
haft die Werte des Grundgesetzes angreifen, bekämpft
man mit dem Strafrecht. Welcher Skinhead hat jemals
seine deutsche Staatsangehörigkeit verloren, weil er Mit-
glied einer Nazibande war? Aber bei Ausländern soll die
Staatsangehörigkeit an eine Gesinnungsprüfung geknüpft
sein. Viele gerade politisch engagierte Menschen, die für
unser demokratisches Gemeinwesen eine Bereicherung
darstellen, weigern sich, diese entwürdigende Prozedur
über sich ergehen zu lassen.
Beim Staatsangehörigkeitsrecht geht es um Menschen,
die seit Jahren, wenn nicht seit Generationen in Deutsch-
land leben. Sie haben sich hier integriert, haben zur Ent-
wicklung dieses Landes einen großen Beitrag geleistet.
Sie zahlen Steuern, Versicherungsbeiträge; sie engagieren
sich in Vereinen und Organisationen; sie bereichern auf
vielfältige Weise das alltägliche Leben in unserem ge-
meinsamen Land. Sie als deutsche Staatsangehörige an-
zuerkennen mit allen Rechten und Pflichten ist somit ei-
gentlich nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit. Die
künstlichen Hürden, die das Gesetz dagegen errichtet,
müssen endlich abgebaut werden. Das Staatsangehörig-
keitsrecht wird somit heute nicht zum letzten Mal den
Deutschen Bundestag beschäftigen.
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-
rin beim Bundesminister des Innern: Es gibt Positives zu
melden. Zwar haben wir noch keine endgültigen statisti-
schen Ergebnisse darüber, in welchem Maße das neue
Staatsangehörigkeitsrecht im ersten Jahr seines Bestehens
genutzt worden ist. Aber eines lässt sich schon jetzt sagen:
Die Kernpunkte der Reform greifen. In fast allen Ländern,
die schon Daten und Erkenntnisse geliefert haben, sind
die Einbürgerungsanträge im Jahr 2000 im Vergleich zu
1999 angestiegen und zwar in einem Bereich zwischen
25 und 100 Prozent. Das Signal, das die Reform geben
wollte, hat also gewirkt. Wir wollen die Einbürgerungen
erleichtern und wir wollen den ausländischen Familien,
die lange in Deutschland leben, sagen: Ihr seid uns als
gleichberechtigte Partner willkommen, ihr seid zur vollen
politischen Teilhabe mit allen Rechten und Pflichten ein-
geladen und die Kinder sollen vom ersten Lebenstag an
zur deutschen Gesellschaft dazugehören. Deshalb ist das
Jus soli, die Ergänzung des Abstammungsprinzips durch
das Territorialprinzip in unserem Einbürgerungsrecht, das
Kernstück der Neuerung.
Aber es gibt einen Punkt innerhalb der Reform, der bis-
her absolut unbefriedigend ist. Er betrifft das Angebot des
Gesetzgebers, auch den bis zu zehn Jahre alten Kindern
die gleichen Startchancen zu bieten wie denjenigen, die
nach dem 1. Januar 2000 zur Welt gekommen sind. Wir
gehen von rund 280 000 Kindern aus, die einen Anspruch
auf Einbürgerung hätten. Aber nur für 30 000 sind bis Jah-
resende Anträge gestellt worden. Man mag über die
Gründe rätseln. Eines aber ist mir in vielen Diskussionen
mit Migranten oft gesagt worden: Ein deutliches Hinder-
nis war die Frist, innerhalb derer der Antrag gestellt wer-
den musste. Hinzu kamen die Kosten von im Regelfall
500 DM. Diese Hemmnisse will die Bundesregierung be-
seitigen. Wir haben seitens des Bundesinnenministeriums
schon seit dem vergangenen Sommer als sich die kärg-
liche Resonanz auf diesen Teil des Gesetzes abzeichnete
bei den Ländern gezielt und nachdrücklich für eine gene-
relle Gebührenermäßigung auf 100 DM geworben. Einige
Länder folgten dieser Aufforderung, andere aber nicht.
Wir wollen aber eine einheitliche Praxis und wir wollen,
dass das Staatsangehörigkeitsrecht mit allen seinen Ange-
boten kräftig genutzt wird. Deshalb hat die Bundesregie-
rung am 24. Januar 2001 im Kabinett den Gesetzentwurf
beschlossen, der heute zur Abstimmung steht. Er sieht
vor, die Antragsfrist für Einbürgerungen nach dem § 40 b
das Staatsangehörigkeitsrecht um zwei Jahre zu verlän-
gern und die Gebühr auf 100 DM herabzusetzen. Das ver-
schafft den Familien ausreichend Zeit und strapaziert das
Portemonnaie nicht unangemessen.
Ich weiß wohl, dass es in einigen Ländern noch Vorbe-
halte gibt und dass dabei auch finanzielle Gründe ange-
führt werden. Allerdings: Auch wenn die Absenkung der
Gebühren kurzfristig zu Mindereinnahmen führt län-
gerfristig kommt sie uns allen zugute. Denn eine frühe In-
tegration, die im Kindergarten und in der Grundschule
einsetzt, erspart uns Kosten, die später aufgebracht wer-
den müssen, wenn sich Jugendliche von der deutschen
Gesellschaft abgewendet haben und die negativen sozia-
len Folgen spürbar werden.
Ich freue mich, dass alle Fraktionen außer der Union
sich im Nutzen dieser Gesetzesinitiative einig wissen.
Und ich appelliere an die Freien Demokraten hier im
Hause, ihren politischen Willen auch in den Ländern zu
verankern, in denen sie an der Regierung beteiligt sind.
An der Verwaltungsgebühr und an Fristen, sollte die Inte-
grationsbereitschaft der Zuwanderer in unserem Land
nicht scheitern.
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
Eckpunkte zur Verbesserung der Bekämpfung ille-
galer Beschäftigung und Schwarzarbeit und
Schattenwirtschaft mit marktwirtschaftlichen Mit-
teln eindämmen
(Tagesordnungspunkt 22)
Leyla Onur (SPD): Wir reden heute abschließend über
den SPD-Antrag Eckpunkte zur Verbesserung der
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116198
(C)
(D)
(A)
(B)
Bekämpfung illegaler Beschäftigung und Schwarzar-
beit. Weil Sie, meine Damen und Herren von der Oppo-
sition, den Ernst der Lage immer noch nicht begriffen ha-
ben, bringe ich es noch einmal auf den Punkt:
Menschen, die schwarzarbeiten oder -arbeiten lassen,
betrügen unseren Staat, unsere Gesellschaft um Steuern
und Sozialabgaben. Sie vernichten ordentliche Arbeits-
plätze und treiben kleine Unternehmen und Handwerks-
betriebe in den Ruin. Rund 100 Milliarden Mark an Steu-
ern und Sozialversicherungsabgaben werden dem Staat
vorenthalten.
Dahinter stecken in immer stärkerem Maße mafiose
Strukturen. Es gibt ganze Ketten von Subunternehmern.
Menschen und ihre Arbeitskraft werden gezielt ausgebeu-
tet. 100 000 illegal Beschäftigte drängen 60 000 legal be-
schäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus
ihren Berufen.
Dieser geradezu menschenverachtenden Ausbeutung
hat diese Koalitionsregierung den Kampf angesagt. Die
Maßnahmen, die von der Bundesregierung bisher ergrif-
fen wurden, sprechen eine deutliche Sprache. Wir haben:
erstens die Zahl der Zollbeamten, die die illegale Be-
schäftigung bekämpfen, Erhöhung von 1100 auf 2 500 in
zwei Jahren mehr als verdoppelt. Zweitens wurden in al-
len Arbeitsämtern einheitlich zuständige Organisations-
einheiten geschaffen und der Informationsaustausch in-
tensiviert. Die hohe Zahl von 2 800 Mitarbeitern in
diesem Bereich wird auch weiterhin gehalten.
Die Bundesregierung hat drittens das Arbeitnehmer-
Entsendegesetz geändert.
Viertens wurde das Arbeitserlaubnisrecht stark verein-
facht. Die Wartefristen bis zur Erteilung der Arbeitser-
laubnis wurden vereinheitlicht und auf ein Jahr verkürzt.
Wie sich diese Maßnahmen konkret vor Ort auswirken,
sehe ich selbst in meinem Wahlkreis Braunschweig. Dort
wurde übrigens die Zahl der Mitarbeiter der Fahndungs-
gruppe des Zolls zur Bekämpfung der illegalen Beschäf-
tigung von 10 auf 21 erhöht und damit mehr als verdop-
pelt.
Diese Ermittlungsgruppe des Hauptzollamtes Braun-
schweig hat im Sommer letzten Jahres in einem privaten
Neubaugebiet eine sechs Mann starke Truppe von
Schwarzarbeitern dingfest gemacht. Zwei weitere Män-
ner waren nur damit beschäftigt, den optimalen Einsatz
dieser Schwarzarbeiter zu organisieren. Diese Truppe hat
das seit zehn Jahren so gemacht, bis sie letztes Jahr end-
lich geschnappt wurde.
Allein durch diesen Trupp sind der Renten-, Kranken-,
Pflege- und Arbeitslosenversicherung 600 000 Mark an
Beiträgen entgangen; 600 000 Mark, die von anderen Ar-
beitgebern und Arbeitnehmer zusätzlich aufgebracht wer-
den müssen.
Es gibt also Erfolge. Aber es muss noch mehr getan
werden, das gebe ich offen zu. Damit noch wirksamer ge-
gen solche betrügerischen Machenschaften vorgegangen
werden kann, wollen wir heute unseren Antrag Eck-
punkte zur Verbesserung der Bekämpfung von illegaler
Beschäftigung und Schwarzarbeit verabschieden. Un-
sere Maßnahmen wirken in drei Stoßrichtungen:
Erstens. Prävention verstärken: Die Bevölkerung soll
besser aufgeklärt werden. Wir wollen die Vorbildfunktion
der öffentlichen Hand stärken und damit positiv auf die
Bürgerinnen und Bürger einwirken. Die Unternehmen
sollen ebenfalls in die Verantwortung genommen werden,
zum Beispiel durch eine Haftung für die Sozialversiche-
rungsbeiträge der Nachunternehmer. Hierdurch kann eine
verstärkte vorbeugende Kontrolle der nachgeordneten
Auftragnehmer erreicht werden.
Zweitens. Effizienz der Arbeit der Verfolgungsbehör-
den verbessern: Informationen sollen rasch zwischen den
Behörden ausgetauscht werden. Durch besseren Informa-
tionsaustausch sollen Sanktionen wie der Ausschluss von
öffentlichen Aufträgen besser greifen. Gemeinsame Er-
mittlungsgruppen sollen gebildet werden.
Drittens. Abschreckungswirkung erhöhen und Voll-
zugsdefizite ausräumen: Dazu gehören zum Beispiel die
Forderung, dass Bußgeld- und Strafrahmen verschärft so-
wie neue Tatbestände eingeführt werden. Damit Schwarz-
arbeiter und ihre Hintermänner nicht mehr ins Ausland
flüchten können, fordern wir transnationale Amtshilfe
und Vollstreckungsabkommen. Bei den Landgerichten
sollen Schwerpunktstaatsanwaltschaften für illegale Be-
schäftigung, Schwarzarbeit und damit verbundene Steu-
erstraftaten eingerichtet werden.
Auch die Länder ziehen mit uns an einem Strang, wie
der Gesetzentwurf des Bundesrates zur Eindämmung ille-
galer Betätigung im Baugewerbe zeigt.
Ganz aktuell: Bei dem Bündnisgespräch Bau hat
Bundeskanzler Gerhard Schröder gestern zugesagt, das
geplante Steuerabzugsverfahren zur Bekämpfung der ille-
galen Beschäftigung zügig umzusetzen.
Sogar die CDU/CSU unterstützt uns; eigentlich jeden-
falls, denn so genau scheinen sie das selbst noch nicht zu
wissen. Ich zitiere aus der Rede von Frau Kollegin
Schnieber-Jastram vom 9. März: Zum Abschluss möchte
ich noch etwas zu Ihrem Antrag ,Eckpunkte zur Verbes-
serung der Bekämpfung illegaler Beschäftigung und
Schwarzarbeit sagen. Wir stimmen zwar der darin zum
Ausdruck kommenden Grundintention durchaus zu. Aber
wir sind natürlich mit der dort enthaltenen Passage über
die erfolgreiche Wirtschafts- und Steuerpolitik der
rot-grünen Regierungskoalition überhaupt nicht einver-
standen. An dieser Stelle können wir den Antrag nicht
mehr mittragen.
Wenn Sie keine Argumente und kein Programm zur
Bekämpfung der Schwarzarbeit haben, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der CDU/CSU, dann verwundert es
nicht, dass Kollegin Schnieber-Jastram, als wir unseren
Antrag in erster Lesung debattiert haben, in ihrer zehn-
minütigen Rede nur ganze vier Sätze für das eigentliche
Thema übrig hatte.
Auch das Problembewusstsein der F.D.P. ist offen-
sichtlich hoffnungslos unterentwickelt. Glauben Sie
ernsthaft, Sie könnten mit den von Ihnen geforderten
marktwirtschaftlichen Mitteln etwas gegen die mafiose
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16199
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Struktur der illegalen Beschäftigung ausrichten? Ich will
nur mal einige der knallharten Forderungen ihres An-
trages nennen. Sie wollen vier Berichte zu unterschiedli-
chen Teilaspekten, ein Sondergutachten und eine neue
Statistik.
Als ganz schweres Geschütz fahren sie die Forderung
auf, die Verknüpfung von Rentenversicherung und Öko-
steuern ich zitiere im Lichte der Effizienzvorteile des
Äquivalenzprinzips erneut zu überprüfen. Eines weiß ich
auch ohne Sondergutachten: Mit diesen Maßnahmen wird
nicht ein einziges illegales Beschäftigungsverhältnis ver-
hindert.
Lassen Sie mich noch einmal festhalten: Wir haben ei-
niges getan, es zeigt bereits Wirkung, aber wir müssen
deutlich mehr tun. Vor allem müssen die Bürgerinnen und
Bürger aufgeklärt werden, welche Schäden Schwarzarbeit
und illegale Beschäftigung anrichten und wer die Zeche
für diesen Betrug letztendlich zahlt. Wir müssen dagegen
angehen, dass Schwarzarbeit in unserer Gesellschaft zur
akzeptierten Normalität geworden ist. Sie, meine Damen
und Herren von der Opposition, haben leider in den
16 Jahren, in denen Sie verantwortlich waren, dazu bei-
getragen, dass das Unrechtsbewusstsein bezüglich
Schwarzarbeit in Wirtschaft und Gesellschaft gegen Null
gegangen ist. Wir fordern Sie auf, mit uns gemeinsam als
Vorbilder in Wort und Tat dieser Entwicklung entgegen zu
wirken. Nur so können wir Schwarzarbeit und illegale Be-
schäftigung zurückdrängen.
Brigitte Baumeister (CDU/CSU): Schwarzarbeit und
illegale Beschäftigung sind eine Bedrohung für den re-
gulären Arbeitsmarkt. Darin sind wir uns alle einig. Über
das Ausmaß von Schwarzarbeit und illegaler Beschäfti-
gung gibt es keine exakten Angaben. Schätzungen gehen
davon aus, dass der Anteil der Schattenwirtschaft am
Bruttoinlandsprodukt mehr als 16 Prozent beträgt. Der
Schaden für Volkswirtschaft und Arbeitsmarkt ist im-
mens.
Die von SPD und Grünen vorgelegten Eckpunkte
versuchen uns vorzumachen, dass die Koalition eine Lö-
sung zur Bekämpfung der Schwarzarbeit gefunden hat.
Dabei setzt Rot-Grün einseitig auf vermehrte Sanktionen
und die Erhöhung des Strafmaßnahmen-Katalogs. Das
greift aber viel zu kurz. SPD und Grüne wollen die Symp-
tome bekämpfen, lassen die Ursachen jedoch völlig außer
Acht.
Doch haben stärkere Kontrollen und härtere Sanktio-
nen so lange wenig Erfolg, solange die Ursachen der
Schwarzarbeit bestehen bleiben. Deregulierung des Ar-
beitsmarktes und Senkung von Steuern und Abgaben sind
das Gebot der Stunde. Dies wird auch bei der Einschät-
zung der augenblicklichen wirtschaftlichen Lage deut-
lich.
Die Steuermoral der Bundesbürger war noch in den
60er-Jahren im Vergleich zu unseren Nachbarländern her-
vorragend. Heute haben die komplizierte und komplexe
Steuergesetzgebung, die geringe Entlastung der Steuerre-
form, das Gesetz zur Teilzeitarbeit, die Veränderung der
630-Mark-Jobs und die Frühverrentungsprogramme den
Anreiz zur Schwarzarbeit deutlich erhöht. Stagnierender
Nettoverdienst, vermehrte Freizeit, hohe Abgaben bei Ge-
ringverdienenden führen zwangsläufig zum Ausweichen
in die Schwarzarbeit. Hier muss die Regierung Verände-
rungen herbeiführen. Sie darf es nicht dabei belassen, ein-
seitig über die Erhöhung von Strafen nachzudenken.
Warum findet Schwarzarbeit bei vielen Bürgerinnen
und Bürgern eine so hohe Akzeptanz? Handwerkliche Ar-
beiten sind vielen Menschen in unserem Land zu teuer. Ob
der Garten gepflegt oder die Wohnung tapeziert werden
muss, es sind immer weniger Bürger bereit oder in der
Lage, die gegenwärtigen Kosten für diese Arbeiten zu be-
zahlen. Einen Grund hierfür sehen wir in der unvertretbar
hohen Belastung der Bruttolöhne mit Steuern und Abga-
ben. Wer schon einmal seine Waschmaschine reparieren
lassen musste, weiß, dass selbst eine kleine Reparatur in
aller Regel um die 100 DM kostet. Der Handwerker erhält
hiervon netto circa 15 DM. Diese Spanne, die sich zwi-
schen Auftraggeber und Auftragnehmer schiebt, verlockt
beide Seiten geradezu zur Schwarzarbeit.
Zwar hatte sich die Bundesregierung selbst bereits in
der Koalitionsvereinbarung eine Senkung der Sozialabga-
ben auf 40 Prozent zum Ziel gesetzt. Im Jahr 2001 führen
Beschäftigte und Betriebe jedoch immer noch eine Quote
von 40,8 Prozent im Westen und von 41,1 Prozent im
Osten an die Sozialversicherungen ab. Zum Vergleich: In
den Jahren 1997 und 1998 lag die Sozialabgabenquote bei
knapp 42 Prozent.
Diese geringfügige Senkung der Lohnnebenkosten
konnte nur durch eine Kostenverschiebung von den Bei-
tragszahlern auf die Steuerzahler realisiert werden also
durch Steuererhöhungen. Hier ist die Ökosteuer ein gutes
Beispiel: Wenn ich einmal die Einnahmen aus der Öko-
steuer einrechne und dann auch noch die Einnahmen der
Rentenversicherung aus der Erhöhung der Mehrwert-
steuer seit dem 1. April 1998 berücksichtige, ergibt sich
eine tatsächliche Belastung in Höhe von 42,4 Prozent im
Westen und 41,1 Prozent im Osten. Von einer realen Sen-
kung kann also keine Rede sein.
Eine weitere Ursache für die starke Zunahme der
Schwarzarbeit in Deutschland in den vergangen Jahren ist
die zum 1. April 1999 in Kraft getretene Regelung zu den
630-Mark-Jobs. So sind beispielsweise für geringfügig
Nebenbeschäftigte deutliche Mehrbelastungen entstan-
den: Während diese zuvor mit einem Pauschalsteuersatz
von 20 Prozent zuzüglich Solidaritätsbeitrag und Kir-
chensteuer alle Abgaben erfüllt haben, sind seit der Neu-
regelung auch noch Beiträge für Kranken-, Pflege- und
Rentenversicherung zu bezahlen. So betrachtet ist die
Neuregelung der 630-Mark-Jobs für viele ein Anreiz, die
eigene Arbeit schwarz anzubieten.
Um diese Fehlsteuerungen der neuen Regelungen zu
den 630-Mark-Jobs zu stoppen und gleichzeitig die An-
reize zur Schwarzarbeit zu mindern, wäre die einzig kon-
sequente Lösung, das ganze Gesetz rückgängig zu ma-
chen. Dies wäre eine wirklich präventive Maßnahme
gegen Schwarzarbeit.
Außerdem kritisiert die CDU/CSU-Fraktion, dass die
Regierung den Gewerkschaften bei ihren Forderungen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116200
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nach Frühverrentungen und Kürzungen der Arbeitszeiten
entgegengekommen ist. Denn was zunächst gut klingt
mehr Freizeit , wirkt sich im Ergebnis negativ auf ver-
schiedene Bereiche des Arbeitsmarktes aus. Schnell ist
ein handwerklich begabter Vorruheständler bereit, seine
Fähigkeiten einzusetzen.
Ich nenne das Beispiel VW: Hier wurde die Arbeitszeit
seinerzeit auf 28,8 Stunden heruntergefahren und der
Bruttolohn auf 85,5 Prozent gesenkt. Im Klartext: Bei ei-
ner monatlichen Bezahlung von 4000 Mark hat ein VW-
Mitarbeiter nach Einführung dieser Regelung 600 Mark
weniger Verdienst und vier freie Tage mehr im Monat.
Wie er diese finanziellen Verluste kompensieren kann,
liegt auf der Hand. Das grundsätzliche Problem, das wir
in Deutschland haben, ist, dass der Arbeitsmarkt für ein-
fache und geringer qualifizierte Arbeiten nach wie vor nur
unzureichend erschlossen ist.
Ziel muss es sein, Anreize zur Aufnahme einfacher
Tätigkeiten in reguläre Beschäftigungsverhältnisse zu
verbessern. Solange für viele die Aufbesserung ihrer So-
zialhilfe und ihres Arbeitslosengeldes durch Schwarzar-
beit lukrativer ist als die Aufnahme einer regulären, aber
insgesamt niedriger entlohnten Beschäftigung, solange ist
das System falsch: Verstärkte Kontrollen und höhere Stra-
fen helfen nicht weiter.
Ziel muss auch ein einfaches und transparentes Steuer-
system sein, das geringe Grenzsteuersätze aufweist. Denn
nur ein Steuersystem, das der Bürger versteht und das er
auch für sinnvoll hält, wird von ihm beachtet und führt zu
unserem gemeinsamen Ziel: zu einer höheren Steuermoral.
Ziel muss eine deutliche Absenkung der Sozialabgaben
sein. Denn nur so kann die enorme Spanne zwischen den
Kosten für den Auftraggeber und dem Nettoverdienst für
den Auftragnehmer verringert werden.
Auf diese Weise wächst die Bereitschaft der Kunden,
reguläre Arbeitnehmer zu beschäftigen, anstatt auf
Schwarzarbeiter auszuweichen. Wenn wir die Schwarzar-
beit bekämpfen wollen, dürfen wir uns nicht auf die
Bekämpfung der Symptome beschränken. SPD und
Grüne verfolgen mit ihrem Antrag einen falschen Ansatz.
Wir müssen die Ursachen im Kern bekämpfen.
Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Il-
legale Beschäftigung und Schwarzarbeit können nicht
hingenommen werden. Ihr dramatischer Anstieg in den
letzten Jahren belastet nicht nur den Arbeitsmarkt und die
sozialen Sicherungssysteme. Es kommt auch zu erhebli-
chen Steuerausfällen und Wettbewerbsverzerrungen, ins-
besondere in Branchen wie der Bauwirtschaft und im Be-
reich der privaten Haushalte. Immer mehr reguläre Arbeit
von Selbstständigen, immer mehr abhängige Beschäfti-
gung wird verdrängt.
Durch die konsequente Senkung der Steuern und der
Sozialbeiträge hat die rot-grüne Bundesregierung die
Bürger und Arbeitgeber bereits entlastet und die Anreize
zur Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung gesenkt. Das
sind wichtige Schritte in die richtige Richtung. Wir wer-
den diesen Weg der Steuer- und Beitragssenkung weiter
gehen.
So richtig und begrüßenswert es ist, auch die fiskali-
schen Anreizstrukturen für die Schwarzarbeit in das Visier
zu nehmen, so wenig reicht es aus. Es ist auch notwendig,
in einer ordnungspolitisch eindeutigen Weise die rechtli-
chen, administrativen Möglichkeiten zur Bekämpfung von
illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit zu verbessern.
Wenn sich aber alle über die negativen Folgen einig
sind, gilt es mehr als bisher zu handeln. Die Regierungs-
fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD haben
deshalb einen gemeinsamen Antrag eingebracht, um mit
verschiedenen Maßnahmen die Schattenwirtschaft einzu-
dämmen.
Dies ist ein schwieriges Unterfangen, denn Schwarzar-
beit ist überall und besitzt eine vielfältige Gestalt. Es ist
nicht nur die organisierte Kriminalität, nicht nur die ille-
gale Beschäftigung und dabei in besonders ausbeuteri-
scher Weise von Ausländern auf dem Bau, sondern sie
findet auch in vielen deutschen Haushalten statt. Wer
kennt nicht die Praxis bei Putzhilfen und anderen häusli-
chen Tätigkeiten oder die Nachbarschaftshilfe beim
Häuslebau. Hierher gehört auch die Leistungserbrin-
gung, zum Beispiel in Handwerksbetrieben gegen Zah-
lung, aber ohne Rechnung.
Weil die Beauftragung von Schwarzarbeitenden immer
mehr zur gesellschaftlich akzeptierten Normalität gewor-
den ist, gilt es auf verschiedenen Ebenen anzusetzen.
Denn es sind nicht nur Unternehmen, die profitieren, son-
dern alle Beteiligten. Das macht es so schwierig, die
Schwarzarbeit effektiv zu bekämpfen. Die verschieden-
artigen Maßnahmen zur Bekämpfung der illegalen Be-
schäftigung und Schwarzarbeit sind:
Erstens. Die Abschreckungswirkung erhöhen und Voll-
zugsdefizite ausräumen. Hier haben uns die Sachverstän-
digen der Bundesanstalt für Arbeit, der Zollämter und der
Zusammenarbeitsbehörden wichtige Hinweise gegeben.
Sinnvoll sind etwa die Anpassung der Strafvorschriften an
gesetzliche Änderungen im Sozialversicherungsrecht hin-
sichtlich der Neuregelung der Kassenwahlfreiheit und der
geringfügigen Beschäftigung. Durch die Einbeziehung
des Arbeitgeberanteils in den § 266 a StGB sollte erreicht
werden, dass sich der Schaden grundsätzlich aus dem Ge-
samtsozialversicherungsbeitrag bemisst. So kann ohne
Verschärfung die Abschreckung erhöht werden, denn die
Schadenshöhe ist ein wesentliches Kriterium für die Straf-
zumessung der Gerichte. Denn eigentlich sind die ver-
schiedenen Straf- und Bußgeldvorschriften ausreichend,
sie müssen aber praktisch durchgesetzt werden.
Zweitens. Effizienz der Arbeit der Verfolgungsbehör-
den verbessern. Auch hier hat die Anhörung eindrucks-
voll gezeigt, dass die Zusammenarbeit der Behörden in
den letzten Jahren immer enger und effektiver geworden
ist und dies auf untergesetzlichem Wege. In unserem
Antrag haben wir deshalb die Überprüfung angeregt, ob
in mittlerer Frist durch Zusammenfassung der Kompe-
tenzen der Bundes- und Landesbehörden weitere Effi-
zienzvorteile erzielt werden können.
Und drittens ist die Verstärkung von präventiven Maß-
nahmen besonders wichtig. Angesichts der weit verbrei-
teten Akzeptanz derartiger Beschäftigungsformen in der
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Bevölkerung ist eine verbesserte Aufklärung über die ein-
schneidenden Folgen für unseren Sozialstaat notwendig.
Schwarzarbeit, das Unterlaufen der Sozialversicherungs-
pflicht und Steuerhinterziehung sind strafwürdige Akti-
vitäten, in vielen Fällen mit erheblicher krimineller Ener-
gie verbunden. Sie verringern die Finanzgrundlagen des
Staates und zerstören vor allem den solidarischen Zusam-
menhalt unserer Gesellschaft. Deshalb kommt der öffent-
lichen Hand, zum Beispiel in ihrer Funktion als Bauträ-
ger, eine besondere Vorbildfunktion zu.
Dirk Niebel (F.D.P.): Illegale Beschäftigung, Dum-
pinglöhne und die Unterschlagung von Sozialversiche-
rungsabgaben verzerren den Wettbewerb und vernichten
reguläre Arbeitsplätze. Die Rekordeinnahmen des Fi-
nanzministeriums von 325 Millionen DM für das Jahr
2000 bei den Geldbußen gegen illegale Beschäftigung
und Leistungsmissbrauch zeigen, dass die Schattenwirt-
schaft boomt. Diese Konjunktur wünschen wir uns für die
reguläre Wirtschaft, deren Wachstumsprognosen jetzt ge-
rade wieder von den Forschungsinstituten nach unten kor-
rigiert wurden.
Die Ursachen sind vielfältig: Es ist bekannt, dass
Schwarzarbeit für die Beteiligten finanziell günstiger ist
als ein reguläres Arbeitsverhältnis. Der Faktor Arbeit ist
mit Steuern und Abgaben zu hoch belastet. Und es gibt
immer mehr Regulierungen auf dem Arbeitsmarkt, die die
Begründung und Beendigung von Arbeitsverhältnissen
erschweren.
Faktoren, die zur Schwarzarbeit verleiten, müssen ab-
geschafft werden. Wir brauchen eine vernünftige Steuer-
reform, die Arbeit für den Arbeitgeber billiger und für den
Arbeitnehmer attraktiver macht, weil ihm mehr Geld in
der Tasche bleibt. Hohe Steuern und Abgaben machen
einfache Arbeit für Unternehmen unrentabel und unbe-
zahlbar. Die Lohnnebenkosten sind zu hoch.
Ihre Steuerreform darf nur ein erster Schritt sein! Bun-
desfinanzminister Eichel will keine weitere Reform bis
2006. Wir fordern Sie auf, die nächste Stufe der Steuerre-
form mit dem von uns vorgeschlagenen einheitlichen und
gerechten Tarif von 15, 25 und 35 Prozent anzugehen.
Mindestbeiträge für Krankenkassen, wie die Regie-
rung sie fordert, sind exakt das Gegenteil dessen, was wir
brauchen.
Die Regierung hätte übrigens schon längst die Beiträge
zur Arbeitslosenversicherung senken können. Auch das
hätte die Lohnnebenkosten verringert. Das kommt aber
erst im Wahljahr!
Das Lohnabstandsgebot muss eingehalten werden.
Dem Arbeitnehmer muss mehr von seinem Lohn in der
Tasche bleiben. Umfragen bei der Neuregelung der 630-
Mark-Jobs haben ergeben, dass dieses Geld für den Le-
bensunterhalt dringend gebraucht wurde. Viele können
sich ohne Schwarzarbeit ihren Lebensstandard nicht mehr
leisten. Hier liegt die Schlussfolgerung nahe, dass ein
grosser Teil der geringfügigen Beschäftigungen in die
Schattenwirtschaft abgewandert ist. Einzig positiv zu ver-
merken ist, dass dieses Geld sofort wieder ausgegeben
wird.
Also: Schaffen Sie die Neuregelung für die geringfü-
gige Beschäftigung ab! Kehren Sie zur alten Regelung
zurück! Die Erfolge, die Sie vor kurzem bekannt-
gegeben haben, sind nur Scheinerfolge für die Senkung
der Arbeitslosigkeit, ein statistischer Taschenspielertrick.
Bei Sozialhilfebezug müssen die Anreize zur Arbeits-
aufnahme verbessert werden. Der nicht anrechenbare
Hinzuverdienst muss angehoben werden. Als weiter-
führender Schritt beseitigt die Zusammenlegung der So-
zialhilfe mit der Arbeitslosenhilfe als Grundsicherung in
Richtung Bürgergeld einen hohen bürokratischen Auf-
wand und setzt für die Arbeitsvermittlung Ressourcen
frei. Dadurch können Hilfeempfänger individuell betreut
und integriert werden.
Die F.D.P. ist auch deshalb die Partei der sozialen Ver-
antwortung, weil wir dafür sorgen wollen, dass jeder Aus-
länder für die Dauer seines erlaubten Aufenthalts in
Deutschland für seinen eigenen Lebensunterhalt arbeiten
darf. Das Arbeitsgenehmigungsrecht muss grundlegend
reformiert werden. Wenn die Restriktionen bei Flüchtlin-
gen und Asylbewerbern weiter gelockert werden, könnten
Arbeitsverhältnisse legalisiert werden und die illegale
Ausländerbeschäftigung würde sinken. Das bedeutet
mehr Einnahmen an Steuern und Sozialabgaben für die
öffentlichen Hände, weniger Transferzahlungen und mehr
Sicherheit für die Arbeitskräfte gegen menschenunwür-
dige Bedingungen und Lohndumping.
Die Änderung der Arbeitsgenehmigungsverordnung
für Kriegsflüchtlinge war ein Schritt in die richtige Rich-
tung. Die Wartefrist für Asylbewerber ist ein Arbeitsver-
bot und Arbeitsverbote schaden den Betroffenen und der
deutschen Wirtschaft. Sie fördern Schwarzarbeit.
Es gibt keine Konkurrenz um die infrage kommenden
Arbeitsplätze. Einerseits werden zu hohen Kosten auslän-
dische Arbeitskräfte eingeflogen, auf der anderen Seite
verbietet man ihnen die Arbeit, obwohl sie sich in
Deutschland aufhalten dürfen.
Es kann nur Spekulationen geben, wie viele Arbeits-
plätze durch Abschaffung der Schwarzarbeit legal entste-
hen. Viele Jobs würde es dann nämlich gar nicht geben. Es
wurden schon von der christlich-liberalen Regierung
viele Versuche gemacht, Arbeitsstellen in Haushalten zu
legalisieren, was aber von den jetzt Regierenden als
Dienstmädchenprivileg abgekanzelt wurde. Eine Rege-
lung ist dringend notwendig, damit Frauen der Weg in ein
reguläres Arbeitsverhältnis ermöglicht wird.
In den vier Millionen deutschen Haushalten, in denen
regelmäßig oder gelegentlich Haushaltshilfen beschäftigt
sind, sind nur 38 000 sozialversicherungspflichtige Ar-
beitsverhältnisse erfasst. Schwarzarbeit dominiert, weil
sich für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen eine
Anstellung nicht lohnt, da die Höhe der Sozialversiche-
rungsabgaben eine mögliche Steuereinsparung überwiegt.
Nicht ohne Grund konnte Herr Momper in Berlin keine
Haushaltshilfe zu bezahlbaren Konditionen für ein lega-
les Arbeitverhältnis finden.
Eine stärkere Flexibilisierung der Arbeitszeiten kann
zum Abbau der Schwarzarbeit beitragen, während eine
generelle Arbeitszeitverkürzung und ein Überstundenver-
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bot das Schwarzarbeitspotenzial eher erhöhen. So inves-
tieren Frührentner einen Teil ihrer Freizeit in Schwarzar-
beit. Der neueste Vorstoß von DGB-Chef Schulte, dass
auch eine Arbeitszeit von 48 Stunden vorstellbar sein
muss, ist eine ausgesprochen gewagter Gedanke für einen
Gewerkschaftler. Er zeigt aber ein bisher nicht gekanntes
Maß an Einsichtsfähigkeit.
Fazit: Schwarzarbeit ist kein Kavaliersdelikt. Das Ge-
schäft blüht und die Tricks werden immer raffinierter. Bei
dem Geschäft mit billigen Arbeitskräften mischen mehr
und mehr kriminelle und international operierende Ban-
den mit. Dies betrifft besonders die Bauwirtschaft, dort
liegt der Anteil mit 45 Prozent am höchsten. Nach Anga-
ben des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes
sind schätzungsweise 250 000 Illegale dort beschäftigt.
Oft arbeiten sie unter unzumutbaren Bedingungen bei
ausländischen Subunternehmern, die durch mögliche
Bußgelder nicht genügend abgeschreckt werden.
Der Bundesrat hat einen Gesetzentwurf zur Eindäm-
mung illegaler Beschäftigung im Baugewerbe einge-
bracht. Wir bezweifeln, dass damit nur die schwarzen
Schafe aussortiert werden. Durch eine neue Abzugs-
steuer werden redliche Unternehmen zusätzlich belastet,
während illegale Tätigkeiten im Baugewerbe auch durch
die geplanten Regelungen nicht oder nur unzureichend
unterbunden werden.
Mit staatlichen Kontrollen und Prüfverfahren lassen
sich nur begrenzte Erfolge gegen Schwarzarbeit erzielen.
Viele Strafen werden aus der Portokasse bezahlt. Die
Sanktionen müssen verschärft und das persönliche Risiko
der Täter erhöht werden. Vor allem aber muss der Anreiz,
illegal zu arbeiten und illegal zu beschäftigen, verringert
werden.
Klaus Grehn (PDS): Vor wenigen Wochen hat dem
Parlament der 9. Bericht der Bundesregierung über die
Auswirkungen des Gesetzes zur Bekämpfung der ille-
galen Beschäftigung vorgelegen. Er hat deutlich gemacht,
welche Maßnahmen zur Bekämpfung illegaler Beschäfti-
gung und Schwarzarbeit eingeleitet wurden. Offen-
sichtlich fußt der Antrag der Regierungskoalition auf den
Ergebnissen des Berichts der Bundesregierung.
Wir stimmen mit den Antragstellern überein, dass allen
Formen der illegalen Beschäftigung und der Schwarz-
arbeit begegnet werden muss, und das möglichst wirk-
sam. Das ist ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit; denn
durch sie wird auch die soziale Sicherheit der übrigen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gefährdet. Aus-
stieg aus Tarifverträgen, ruinöses Lohndumping und unter-
tarifliche Bezahlung sind unter anderem Folgen zuneh-
mender Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung. Der
Antrag fordert in drei Schwerpunkten die Bundes-
regierung auf, organisatorische und rechtliche Gegen-
maßnahmen einzuleiten. Die dafür gegebenen Vorgaben
werden dem Ziel nur teilweise gerecht.
Bereits im vergangenen Zeitraum wurden die Kon-
trollen verschärft und die Zahl der Folgemaßnahmen wie
Ermittlungsverfahren und Bußgelder deutlich erhöht.
Nun soll eine weitere Verschärfung erfolgen, obwohl sich
dieser Weg als wenig erfolgreich erwiesen hat. Das ist für
uns schwer nachvollziehbar. Zusätzlich soll die Bundes-
anstalt für Arbeit Strafverfolgungskompetenzen erhalten.
Das scheint rechtlich bedenklich. Andererseits verfügt die
Bundesanstalt weder über ausreichendes Personal noch
über die fachlichen Kapazitäten. Für uns ist die Sicher-
stellung der Hauptaufgabe der Bundesanstalt, die Vermitt-
lung der Arbeitslosen in Arbeit, ihre Betreuung und Be-
gleitung zu wichtig, dass wir der Zuteilung von neuen
Aufgaben an die Bundesanstalt eher skeptisch gegenüber
stehen.
Für sinnvoll halten wir, die Möglichkeiten der beste-
henden rechtlichen Regelungen besser auszuschöpfen
und die bestehenden Rechtsinstitutionen zu entlasten. Re-
alisierung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung
funktioniert nur über das Zusammenspiel von anbie-
tendem Arbeitgeber und annehmendem Arbeitnehmer.
Die größere Verantwortung liegt unseres Erachtens bei
den Anbietern: ohne Angebot keine Schwarzarbeit. Fol-
gerichtig sollte an dieser Stelle bei der Bekämpfung ange-
setzt werden. Dazu könnten Maßnahmen dienen, die
durch eine Bewertung von Auftragsangeboten bereits
deren Unterkalkulation feststellen. Aus der Praxis kom-
men immer wieder Hinweise, dass Angebote unterbreitet
werden, die nur durch die aus dem Bereich der Schwarz-
arbeit und der illegalen Beschäftigung bekannten Nied-
riglöhne abgedeckt sind. Damit werden seriöse Anbieter
im Wettbewerb ausgebremst und zum Teil in den Konkurs
getrieben. Eine wirksame Kontrolle der Aufträge durch
die Auftraggeber wäre erfolgversprechender als eine wei-
tere Verschärfung der Bußgelder und die Erhöhung der
schwierigen Kontrollen im Produktionsprozess. Damit
würde die Bekämpfung an der wahren Ursache, dem ego-
istischen Gewinnstreben auf einem ungeregelten Markt,
ansetzen.
Dem Antrag der F.D.P. können wir nicht zustimmen. Er
wird dem Anliegen der Thematik insofern nicht gerecht,
als er mehr auf die Aufhebung des 630-Mark-Gesetzes
und die Rücknahme von Arbeitszeitverkürzungen sowie
auf Steuersenkungen abzielt. Themen, die von der F.D.P.
immer wieder aufgewärmt werden, auch bei nicht pas-
senden Anlässen. Bei der Abstimmung über den Antrag
der Regierungskoalition werden wir uns trotz Anerken-
nung von richtigen Ansätzen wegen der genannten Män-
gel enthalten.
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi-
nister für Arbeit und Sozialordnung: Schwarzarbeit und
illegale Beschäftigung schaden uns allen. Sie verhindern
das Entstehen neuer Arbeitsplätze und zerstören legale
Arbeitsplätze. Es ist unerträglich, dass seriöse Unterneh-
men im Baubereich in finanzielle Schwierigkeiten gera-
ten, weil sie mit den Dumpinglöhnen der illegalen Kon-
kurrenz nicht mithalten können.
Die Bundesregierung begrüßt deshalb den Entschlie-
ßungsantrag. Er ist ein wichtiger Schritt in die richtige
Richtung und unterstützt uns bei unseren Bemühungen,
gerade im Bausektor wieder faire Chancen für diese se-
riösen Marktteilnehmer zu schaffen.
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Die Bundesregierung hat seit ihrem Amtsantritt bereits
wichtige Schritte zur Verbesserung der Bekämpfung ille-
galer Beschäftigung unternommen. Ich erinnere an
die Änderung des Arbeitnehmerentsendegesetzes vom
19. Dezember 1998, das Dumpinglöhne im Baubereich
für illegal erklärt hat.
Ich weise darauf hin, dass die Zahl der Beamten der
Hauptzollämter, die sich der Bekämpfung illegaler Be-
schäftigung widmen, von 1100 auf 2 500 bis Ende dieses
Jahres erhöht wird. Der Zoll kann die Arbeitsverwaltung
bei dieser wichtigen Aufgabe tatkräftig unterstützen. Die
Arbeitsverwaltung setzt rund 2 800 Mitarbeiter zur Ver-
folgung von illegaler Beschäftigung und Leistungsmiss-
brauch ein. Sie vereinheitlicht die Organisation und
richtet Mitarbeiterteams zur Bekämpfung illegaler Be-
schäftigung in den Arbeitsämtern 2000 ein neudeutsch:
task forces.
Die Erfolge brauchen sich schon heute nicht zu ver-
stecken. Im Jahre 1999 wurden 436 626 Fälle von illega-
ler Beschäftigung und Leistungsmissbrauch allein von
den Dienststellen der Bundesanstalt für Arbeit aufgegrif-
fen und über 162 Millionen DM Bußgelder verhängt.
Die Bekämpfungsmöglichkeiten können und müssen
jedoch verbessert werden. Das Ergebnis der öffentlichen
Anhörung von Sachverständigen vor dem Ausschuss für
Arbeit und Sozialordnung am 28. März 2001 ist eindeu-
tig: Es sind weitere Maßnahmen zur Bekämpfung von il-
legaler Beschäftigung und Schwarzarbeit erforderlich.
Vor allem haben wir es nicht mit einem allein auf na-
tionaler Ebene zu lösenden Problem zu tun. Die Bundes-
regierung ist deshalb auch auf EU-Ebene aktiv geworden.
Während unserer Präsidentschaft wurde vom Rat der Eu-
ropäischen Union ein Verhaltenskodex zur Bekämpfung
der grenzüberschreitenden illegalen Beschäftigung, des
Leistungsmissbrauchs und der Schwarzarbeit verabschie-
det. Diesen müssen wir in bilaterale Abkommen umset-
zen. Mit Frankreich, den Niederlanden, Dänemark und
außerhalb der Europäischen Union mit der Tschechischen
Republik wird intensiv verhandelt.
Innerhalb Deutschlands sind die gegenseitigen Infor-
mations- und Zusammenarbeitspflichten der verschiede-
nen Behörden auszubauen. Erkenntnisse über illegale Be-
schäftigung und Schwarzarbeit müssen leichter und
häufiger als bisher ausgetauscht werden.
Wir setzen uns auch dafür ein, dass die öffentliche
Hand bei der Bekämpfung illegaler Beschäftigung noch
stärker aktiv wird und Missbräuchen konsequent entge-
gentritt. Die Entschließung greift die Forderungen der
Koalitionsvereinbarung nach fairen Bedingungen auf
dem Arbeitsmarkt auf, zum Beispiel bei der Haftung des
Hauptunternehmers für die Sozialversicherungsbeiträge
der Subunternehmer. Ich halte das für einen der wesentli-
chen Punkte, den wir auch in eine künftige gesetzliche
Regelung einbeziehen müssen.
Die Umsetzung der Entschließung wird zahlreiche ge-
setzliche Änderungen erfordern. Entsprechende Vor-
schläge werden vom Bundesministerium für Arbeit und
Sozialordnung erarbeitet. Ich kann Ihnen versprechen:
Die Bundesregierung wird den gesetzgebenden Körper-
schaften zügig einen Gesetzentwurf zur Erleichterung der
Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzar-
beit vorlegen.
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
Für ein effizientes und transparentes Ausfuhrge-
währleistungssystem
Für ein modernes Ausfuhrsystem
Für den Erhalt von Hermes als Instrument der
Außenwirtschaftsförderung und eine Reform des
Hermes-Instruments im internationalen Rahmen
(Tagesordnungspunkt 23 und Zusatztagesordnungs-
punkte 14 und 15)
Rolf Hempelmann (SPD): Der Export ist ein wichti-
ger Motor für unsere Wirtschaft. Im Jahr 1999 exportier-
ten deutsche Unternehmen Waren im Wert von rund 1 Bil-
lion DM. Damit tragen Exportgeschäfte wesentlich zur
Schaffung und Sicherung von heimischen Arbeitplätzen
bei. Ein Ziel, das bei der rot-grünen Koalition ganz oben
auf der Agenda steht.
Besondere Bedeutung bekommt in diesem Zusammen-
hang die Exportförderung, deren wichtigstes Instrument
die Hermesbürgschaften sind. Diese Ausfuhrgewährleis-
tungen des Bundes leisten einen wesentlichen Beitrag zur
Unterstützung deutscher Unternehmen im internationalen
Wettbewerb. Im Jahr 1999 konnten durch Hermesbürg-
schaften Exportgeschäfte mit Auftragswerten in Höhe
von 26,7 Milliarden DM realisiert werden. Im ersten
Halbjahr 2000 waren es 17 Milliarden DM. Durch Ex-
portkredite wird Chancengleichheit für deutsche Unter-
nehmen im intensiven internationalen Wettbewerb bei der
Erschließung neuer oder dem Erhalt und Ausbau traditio-
neller Märkte geschaffen. Besonders bei Exporten in die
Entwicklungs- und Schwellenländer sowie in die Staaten
Mittel- und Osteuropas ist das von herausragender Be-
deutung. Denn gerade diese Märkte wären besonders für
mittelständische Unternehmen ohne eine Exportbürg-
schaft des Bundes kaum zu erschließen.
Gleichzeitig werden durch Hermesbürgschaften die
partnerschaftlichen Beziehungen insbesondere zu diesen
Staaten gefördert. Dort tragen die so ermöglichten Inves-
titionen zum Aufbau von Infrastruktur und Industrie bei
und stellen damit einen unerlässlichen Beitrag zur Inte-
gration dieser Länder in die Weltwirtschaft dar.
Trotz dieser Erfolge stand das Instrument in den letz-
ten Jahren immer wieder in der Kritik. In zwei entspre-
chenden Anträgen haben sich auch die heutigen Koaliti-
onsfraktionen in der vorigen Legislaturperiode für eine
Modernisierung dieses wichtigen außenwirtschaftspoliti-
schen Instruments ausgesprochen. Die wichtigste Forde-
rung dieser Anträge war, neben wirtschaftlichen und fi-
nanzpolitischen Gesichtspunkten künftig auch stärker
umweltpolitische, soziale und entwicklungspolitische
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Aspekte in die Entscheidungen über die Vergabe von Her-
meskrediten einzubeziehen. Außerdem soll das Instru-
ment effektiv und für deutsche Unternehmen attraktiv
bleiben. Das ist nur dann möglich, wenn die Vergabepra-
xis so schnell und unbürokratisch wie möglich verlaufen
kann; nicht umsonst sind die Bürgschaften nach Hermes,
dem Götterboten mit den Flügelschuhen, benannt.
Aus diesen Gründen haben SPD und Bündnis 90/Die
Grünen in ihrer Koalitionsvereinbarung 1998 beschlossen,
eine Reform der Außenwirtschaftsförderung nach ökolo-
gischen, sozialen und entwicklungsverträglichen Gesichts-
punkten in die Wege zu leiten. Dies ist auch geschehen: Vor
rund einem Jahr hat eine Koalitionsarbeitsgruppe damit be-
gonnen, vor dem Hintergrund der Diskussionen in NGOs,
Wirtschaftsverbänden und Institutionen in Deutschland
wie auf OECD-Ebene die nationale wie die internationale
Vergabepraxis zu analysieren. Dabei wurde deutlich, dass
allein die Diskussion um die Einbeziehung ökologischer,
sozialer und entwicklungspolitischer Aspekte bei der Ver-
gabe von Hermesbürgschaften zu einer Veränderung der
Praxis geführt hat. So wurde beispielsweise bei größeren
Projekten oder bei Lieferungen von Anlagen oder Teilan-
lagen ein Screening-Verfahren eingeführt. Auf diese Weise
werden genau die Anträge identifiziert, bei denen ökologi-
sche, soziale oder entwicklungspolitische Gesichtspunkte
eine Rolle spielen könnten. Wenn die negativen Effekte bei
der Abwägung der unterschiedlichen Kriterien dominie-
ren, hat der IMA die Möglichkeit, die Übernahme einer
Ausfuhrgewährleistung abzulehnen oder an Bedingungen
bzw. Auflagen zu knüpfen.
Auch auf internationaler Ebene werden Umweltbe-
lange berücksichtigt: Seit 1994 tagt regelmäßig eine
OECD-Exportkreditgruppe, um international gültige Re-
gelungen für Ausfuhrgewährleistungen zu erarbeiten, um
die genannten Aspekte stärker zu berücksichtigen. An die-
sem Diskurs beteiligt sich auch die Bundesregierung.
Daneben hat die Koalitionsarbeitsgruppe mit dem fe-
derführenden Bundeswirtschaftsministerium im letzten
Jahr einen intensiven und fruchtbaren Dialog über Moder-
nisierungsansätze für das deutsche Ausfuhrgewährleis-
tungssystem geführt. Als Ergebnis hat der IMA Leitlinien
für die Berücksichtigung von ökologischen, sozialen und
entwicklungspolitischen Gesichtspunkten bei der Über-
nahme von Ausfuhrgewährleistungen des Bundes ent-
wickelt. Danach sind Exporte grundsätzlich als förde-
rungswürdig zu betrachten, wenn sie den gesetzlichen
Vorschriften des Außenwirtschaftsrechts, den allgemeinen
Gesetzen, den Rechtsvorschriften zwischenstaatlicher
Einrichtungen und relevanten internationalen Vereinba-
rungen nicht widersprechen. Zusätzlich haben ökologi-
sche, soziale und entwicklungspolitische Auswirkungen
Einfluss auf die Förderungswürdigkeit eines Projektes.
Diese Leitlinien wird der IMA offiziell beschließen, damit
die veränderte Praxis festschreiben und in einigen Berei-
chen auch darüber hinausgehen. Gleichzeitig enthalten die
Leitlinien eine Anpassungsklausel, um das Vergabever-
fahren zeitnah an die internationale Entwicklung insbe-
sondere im Rahmen der OECD anzugleichen.
Durch die konsequente Anwendung dieser Leitlinien
wird das Instrument der Ausfuhrgewährleistung zeit-
gemäß weiterentwickelt und gerade damit entscheidend
stabilisiert.
Wir begrüßen es ausdrücklich, dass der IMA sich diese
Leitlinien geben wird. Jetzt wird es darauf ankommen, die
Leitlinien in der Vergabepraxis besonders bei hochsensi-
blen Projekten wie Kernkraftwerken, Rüstungsexporten,
Exporten gefährlicher Chemikalien und bei großen Stau-
dammprojekten konsequent anzuwenden. Außerdem er-
warten wir, dass sich die Bundesregierung aktiv an den
Beratungen im Rahmen der OECD beteiligt und die Erar-
beitung international verbindlicher Leitlinien zur Vergabe
von Exportkreditversicherungen intensiv vorantreibt.
Um auch das Parlament in angemessenem Maße an den
Vergabeverfahren zu beteiligen, soll künftig neben dem
Haushaltsausschuss auch der für Hermesbürgschaften fe-
derführende Wirtschaftsausschuss über die Übernahme
von Ausfuhrgewährleistungen von hochsensiblen Ge-
schäften und Großprojekten unterrichtet werden.
Zusätzlich ist uns ein weiterer Punkt wichtig: Da deut-
sche Exporteure zukünftig immer häufiger auch die Rolle
des Investors und Betreibers eines Projektes übernehmen
werden, um international wettbewerbsfähig bleiben zu
können, sollte die Bundesregierung Möglichkeiten für
eine bessere Koordinierung der Ausfuhrgewährleistungen
mit der Investitionsabsicherung prüfen. Auf diese Weise
könnte ein entscheidender Beitrag zu einer besseren
Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen geleistet
werden.
Es ist uns gelungen, das Instrument der Exportkredit-
versicherung zu modernisieren, ohne aus dem Auge zu
verlieren, dass es sich primär um ein außenwirtschaftspo-
litisches Instrument handelt, das es auch bleiben muss.
Zu den Anträgen der Opposition: Den Damen und Her-
ren von der CDU/CSU Fraktion kann ich sagen: Schon
der Titel Ihres Antrags Für den Erhalt von Hermes als In-
strument der Außenwirtschaftsförderung und eine Reform
des Hermes-Instruments im internationalen Rahmen ist
irreführend. Meine Ausführungen haben, denke ich, deut-
lich gemacht, dass der Erhalt dieses wichtigen außenwirt-
schaftspolitischen Instruments bei uns nie infrage gestellt
wurde. Ganz im Gegenteil: Erst durch die Modernisierung
von Hermes haben wir seinen Erhalt auf lange Jahre gesi-
chert. Ein Instrument, das an veränderte Bedingungen
nicht angepasst wird, ist dagegen nicht überlebensfähig.
Zum F.D.P.-Antrag: Es steht ja viel Richtiges drin; aber
er ist an einigen Stellen leider obsolet geworden. Es geht
eben nicht mehr um den Hermes-Umweltleitfaden, von
dem Sie sprechen. Es geht vielmehr um umfassendere
Leitlinien, die bei diesem primär wirtschaftspolitischen
Instrument in angemessener Form auch ökologische, so-
ziale und entwicklungspolitische Gesichtpunkte zeit-
gemäß berücksichtigen.
Im Übrigen: Wie man ja weiß, ist das Bessere der Feind
des Guten. Deshalb lehnen wir den F.D.P.-Antrag ab und
stimmen dem weitaus umfassenderen und konkreteren ei-
genen Antrag zu.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16205
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Erich G. Fritz (CDU/CSU): Die Außenwirtschafts-
politik war in der Vergangenheit von großer Gemeinsam-
keit der Fraktionen des Deutschen Bundestages getragen.
Ich erinnere an den von allen Fraktionen beschlossenen
Antrag aus dem Jahre 1996. Ausfuhrgewährleistungen,
Auslandshandelskammern, Bundesstelle für Außenhan-
delsinformation und Messeförderung bleiben die wich-
tigsten Instrumente der deutschen Außenwirtschaftspoli-
tik. Leider legt die Bundesregierung wenig Wert auf die
Pflege dieser Instrumente: Bei der BfAI wird gekürzt, das
Informationsnetz wird ausgedünnt, das Netz der Aus-
landshandelskammern wird trotz mittlerweile guter
Selbstfinanzierungsanteile von bis zu 75 Prozent nicht in
der Weise entwickelt, wie das nötig wäre. Die Messeför-
derung bleibt hinter den interfraktionell vereinbarten Zie-
len zurück und die Hermes-Reform-Debatte findet hinter
verschlossenen Türen als Koalitionshickhack statt. Weder
gibt es über die Diskussion in der Regierung Berichte im
Wirtschaftsausschuss, noch wollten die Koalitionspar-
teien die Debatte im Plenum des Deutschen Bundestages.
Erst im letzten Augenblick kommt die Koalition mit ei-
nem Antrag.
Dass die Debatte über die Reform von Hermesbürg-
schaften an einem Freitagnachmittag stattfindet, zeigt,
welch geringe Bedeutung die rot-grüne Mehrheit diesem
seit mehr als 50 Jahren bestehenden und effizienten Mit-
tel der Exportförderung beimisst. Dies darf angesichts der
aktuellen politischen Diskussion um eine Reform der
Ausfuhrgewährleistungen des Bundes verwundern. Dies
verwundert auch besonders deshalb, weil es gerade von-
seiten der rot-grünen Regierung seit geraumer Zeit
Bestrebungen gibt, entwicklungspolitische, soziale und
ökologische Aspekte im Rahmen des Hermes-Vergabe-
verfahrens stärker zu berücksichtigen.
Mit dem jüngst von Rot-Grün gefundenen Kompro-
miss, bei der Vergabe staatlicher Bürgschaften für Exporte
die Folgen für Umwelt, Soziales und Entwicklungspolitik
zu berücksichtigen, ändert sich zunächst nach Aussagen
des Wirtschaftsministers nichts. Mit Recht stellte daher
ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums gegenüber der
taz fest, dass man den Leitfaden gar nicht gebraucht
hätte. Denn der Leitfaden sieht Regelungen vor, die oh-
nehin bereits gängige Praxis sind. Die Bundesregierung
wäre bereits heute in der Lage gewesen, bei Großprojek-
ten Umweltprüfungen von den Antragstellern zu verlan-
gen. Ökologische, soziale und entwicklungspolitische
Gesichtspunkte werden schon jetzt im Rahmen der För-
derungswürdigkeit und der risikomäßigen Vertretbarkeit
berücksichtigt.
Die Praxis, bei der Vergabe staatlicher Bürgschaften
für Exporte auch umwelt-, sozial- und entwicklungspoli-
tische Folgen zu prüfen, hat sich also bereits bewährt.
Dass dabei immer wieder der Eindruck von undurch-
schaubaren Verfahren und Geheimniskrämerei entstanden
ist, der vor allem bei kritischen NGOs den Eindruck er-
weckte, der IMA sei ein Ausschuss zur Durchsetzung von
Wirtschaftsinteressen gegen Umwelt- und Entwicklungs-
erfordernisse, liegt an einer eher altertümlich anmutenden
Verwaltungsarbeit, die wenig transparent und kommuni-
kativ ist und nicht mehr dem Standard großer Industrie-
staaten entspricht. Dabei kann das Instrument nur gewin-
nen, wenn an den Entscheidungen sichtbar wird, dass Prin-
zipien, die in der sozialen Marktwirtschaft gemeinsame
Grundlage und einer nachhaltigen und kohärenten Politik
verpflichtet sind, natürlich nicht bestimmte Bereiche aus-
klammern können. Die Abwägung muss aber verantwort-
lich von den beteiligten Entscheidern im Bewusstsein der
Verantwortung ihres Handelns geschehen, von diesen in
Zweifelsfällen öffentlich begründet und müssen nicht un-
bedingt in formale und bürokratische Verfahren gepresst
werden. In der Regel umstrittene Ausfuhren für sozial-,
umwelt- oder entwicklungsrelevante Großprojekte kom-
men mit oder ohne festgelegte Grundsätze in die öffent-
liche Diskussion und erfordern schon deshalb eine parla-
mentarische Diskussion, die sich bisher kein Bundestag
entgehen ließ.
Das Hauptproblem beim Vorgehen der Koalition mit
ihren Grundsätzen oder Leitsätzen für die Hermes-Ent-
scheidungen ist, dass aus diesen schriftlich fixierten Kri-
terien die Forderung nach exekutiver Perfektionierung
und nach jedem Streitfall die Erweiterung des Regelungs-
bedarfs entstehen wird. Wir kennen doch die Neigung der
beteiligten Parteien. Hermes muss aber vor allem ein
handhabbares und flexibles, vor allem schnelles Instru-
ment bleiben. Die vom amerikanischen Kongress per Ge-
setz festgelegten Regelungen zeigen, dass man innerhalb
eines weiten Rahmens verantwortlich handeln kann.
Das Hermes-Instrument sollte daher nicht durch die in
den neuen Umweltleitlinien der rot-grünen Bundesregie-
rung aufgestellte Forderung, bei Hermes-Anträgen ver-
stärkt umwelt-, sozial- und entwicklungspolitische Krite-
rien zu berücksichtigen, überfordert werden. Hermes
muss vielmehr auch in Zukunft ein Instrument der Wirt-
schafts- und Exportförderung bleiben. Nur so kann Her-
mes den Zugang der deutschen Industrie zu den Märkten
der Schwellen- und Entwicklungsländer ermöglichen,
dem deutschen Mittelstand eine effiziente Form der Ex-
portförderung bieten und dem Ziel der staatlichen Aus-
fuhrgewährleistung gerecht werden, den Export zu för-
dern und damit weiterhin Arbeitsplätze in Deutschland zu
sichern.
Dass Hermes für deutsche Unternehmen als Instrument
zur Absicherung ihrer Exporte gegen politische und wirt-
schaftliche Risiken in unterentwickelten und risikorei-
chen Regionen der Welt unverzichtbar geworden ist, be-
weisen die Zahlen aus dem Jahr 2000: Danach konnte im
Geschäft mit Hermesbürgschaften ein Überschuss von
67 Millionen DM erzielt werden. Insgesamt übernahm der
Bund im vergangenen Jahr Bürgschaften in Höhe von
38,1 Milliarden DM, was rund 3,3 Prozent des gesamten
deutschen Exports entspricht. Etwa 97 Prozent der vom
Bund übernommenen Deckungen entfielen dabei auf Ex-
porte in Entwicklungsländer bzw. die Staaten Mittel- und
Osteuropas. Gegenüber 1999 sind die neu übernommenen
Hermes-Deckungen um 43 Prozent gestiegen ein An-
stieg, der auf eindrucksvolle Weise die Bedeutung von
Hermes für die deutsche Exportwirtschaft bestätigt. Nicht
zu vergessen sind die 140 000 bis 260 000 Arbeitsplätze in
Deutschland, die laut einer Studie der Prognos AG vom
Dezember 2000 allein durch Hermes gesichert werden.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116206
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Damit dies so bleibt, sollte das Hermes-Instrument
kontinuierlich weiterentwickelt werden, und zwar ausge-
richtet am Bedarf der Exportwirtschaft. Dabei kommt in
einer immer stärker verflochtenen Wirtschaft zwischen
den großen Wirtschaftsregionen der Vermeidung von
Wettbewerbsverzerrungen durch unterschiedliche Ge-
währleistungspolitiken eine große Bedeutung zu. Es kann
nicht richtig sein, dass deutsche Unternehmen nach deut-
schen Richtlinien keine Gewährleistung bekommen kön-
nen, sie aber in anderen Ländern durch dortige Export-
kreditversicherer sehr wohl erhalten. Deshalb hat eine
Reform des Hermes-Instruments nur international mit den
Partnerländern in der OECD koordiniert einen wirklichen
Sinn.
Deshalb fordert die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die
Bundesregierung auf, für den Erhalt von Hermes als ei-
nem praktikablen Instrument der Außenwirtschaftsförde-
rung einzutreten und vor dem Hintergrund der zuneh-
menden Globalisierung und der damit einhergehenden
Verschärfung des internationalen Wettbewerbs jegliche
Reform des Hermes-Instruments im internationalen Rah-
men durchzuführen. Nationale Alleingänge verbieten sich
aufgrund der bereits vorhandenen hohen Standards, die
erhebliche Wettbewerbsnachteile für die deutsche Export-
wirtschaft mit sich bringen würden.
Wir fordern ferner, angesichts der hohen deutschen
Umweltstandards im internationalen Vergabeverfahren
auf eine Harmonisierung der staatlichen Exportkreditver-
sicherung zu drängen. Hinsichtlich verschärfter Umwelt-
standards muss Harmonisierung unser vorderstes Inte-
resse sein.
Außerdem mahnen wir an, auf OECD-Ebene für eine
Beschleunigung der Verhandlungen über die Entwicklung
gemeinsamer Umweltleitlinien einzutreten sowie aktiv an
den Verhandlungen und der Arbeit der OECD-Working
Party on Export Credits and Export Credit Guarantees
mitzuwirken. Ziel muss die beim Kölner G-8-Gipfel ver-
einbarte Erarbeitung gemeinsamer Umweltrichtlinien für
die Exportkredit-Agenturen bis zum G-8-Gipfel 2001 in
Rom sein. Dieser klare politische Auftrag zur Konsens-
bildung muss von den OECD-Staaten erfüllt werden.
Wir fordern, bei den Verhandlungen über die Entwick-
lung von Umweltleitlinien auch die Erfahrungen der US
Export-Import-Bank, Ex-Im-Bank, zu berücksichtigen,
die in ihren Richtlinien vom April 1998 Umweltkriterien
vorsieht, sich für den Erhalt einer flexiblen und unbüro-
kratischen Handhabung bei der Vergabe von Hermesbürg-
schaften einzusetzen, damit sich die deutschen Unterneh-
men mit ihren Produkten und hohen technologischen
Standards auf den Weltmärkten behaupten können, sowie
darauf hinzuwirken, dass das Hermes-Instrument einfach
und bürokratisch handhabbar bleibt. Schnelligkeit und
Flexibilität der Entscheidungsprozesse sind für die deut-
sche Exportwirtschaft oft entscheidende Elemente im in-
ternationalen Wettbewerb. Bei dem von Rot-Grün vorge-
sehenen Umweltleitfaden steckt der Teufel allerdings im
Detail, wenn es künftig bei Umweltprüfungen um Ab-
grenzungsfragen zwischen den Sektoren geht, die prü-
fungsfrei sind oder einer zusätzlichen Prüfung unterlie-
gen. Rot-Grün beeinträchtigt damit die internationale
Wettbewerbsfähigkeit vor allem mittelständischer Ex-
portunternehmen, weil Projektprüfungszeiträume, die
sich in Deutschland bereits heute sehr langwierig gestal-
ten, weiter in die Länge gezogen werden.
Es soll auf internationaler Ebene mehr Transparenz
durch die Erstellung einer im Internet veröffentlichten
Liste über Großprojekte durch die OECD-Mitglieder in
freiwilliger und anonymisierter Form geschaffen werden
sowie auf nationaler Ebene die Transparenz durch die
zeitnahe Veröffentlichung von Entscheidungen des Inter-
ministeriellen Ausschusses, IMA, durch das Bundeswirt-
schaftsministerium und durch eine frühzeitige und um-
fassende Information der Bundestagsausschüsse, deren
Ressorts im IMA vertreten sind, erhöht werden. Zur Er-
höhung der Transparenz von Hermes-Entscheidungen
sagt der Umweltleitfaden bisher leider nur sehr wenig.
Auf nationaler Ebene wird die Debatte, inwieweit Her-
mes nicht nur als Instrument der Exportsicherung, son-
dern auch als ein Instrument der Umweltpolitik taugt,
trotz der absehbaren Einigung der Regierungsparteien
kaum beendet sein. Vielmehr wird die politische Praxis
sehr schnell zeigen, dass der Grundsatzstreit über die Re-
form der Hermes-Exportgarantien angesichts der weit
hinter den von Bündnis 90/Die Grünen zurückgebliebe-
nen Forderungen nur vertagt worden ist. Rot-grüner Streit
wird spätestens dann wieder aufbrechen, wenn über die
Vergabe von Hermesbürgschaften für Nuklearanlagen,
Rüstungslieferungen und gefährliche Chemieexporte ent-
schieden werden soll.
Zunächst dürfen wir jedoch gespannt sein, wann der
Umweitleitfaden, der nach Informationen aus dem
Bundeswirtschaftsministerium in Umweltleitlinien um-
benannt werden soll, auch tatsächlich der Öffentlichkeit
zugänglich gemacht wird. Die Einigung im Interministe-
riellen Ausschuss jedenfalls lässt noch immer auf sich
warten.
Für die CDU/CSU ist der Weg eindeutig: Am sinn-
vollsten bleibt unsere Forderung, dass jegliche Reform
des Hermes-Instruments im internationalen Rahmen er-
folgen muss, weil nationale Alleingänge aufgrund der
bereits existierenden hohen Standards erhebliche Wettbe-
werbsnachteile für die deutschen Exporteure im interna-
tionalen Vergabeverfahren mit sich bringen würden. Inso-
fern müssen OECD-Regeln Vorrang vor den von
Rot-Grün eingeschlagenen Sonderegelungen haben. Es
gibt angesichts der weit fortgeschrittenen Verhandlungen
keinen vernünftigen Grund für nationale Alleingänge.
Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Wie Sie wissen, hat sich die rot-grüne Regierungs-
koalition eine Reform der Hermesbürgschaften nach
ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen Ge-
sichtspunkten vorgenommen.
Damit wollen wir der Tatsache Rechnung tragen, dass
die Vergabe von Hermesbürgschaften nicht nur ein be-
währtes Instrument der Außenwirtschaftsförderung bleibt,
sondern auch dafür sorgen, dass bei solchen durch den Fis-
kus gedeckten Lieferungen und Investitionen keine nega-
tiven Auswirkungen auf die Umwelt und Bewohner im
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16207
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Bestellerland eintreten. Denn leider hat es in der Vergan-
genheit immer wieder Beispiele gegeben, dass auch deut-
sche Exportfirmen an der irreversiblen Zerstörung und
Belastung unserer natürlichen Umwelt beteiligt waren.
Traurige Fälle, welche die ansonsten erfolgreiche Bilanz
der letzten 52 Jahre trüben. Doch der Wettbewerb einer
global agierenden Wirtschaft darf sich nicht nur um lukra-
tive Aufträge und profitable Geschäfte drehen, sondern
muss sich auch an dem Leitbild einer nachhaltigen Ent-
wicklung messen lassen.
Wer die Bedeutung der Hermes-Reform richtig verste-
hen will, muss sich den Umfang der Ausfuhrgewährleis-
tungen vor Augen führen. Im letzten Jahr hat der Bund
Bürgschaften in Höhe von 38,1 Milliarden DM übernom-
men ein Zuwachs von fast 50 Prozent gegenüber 1999.
Das entspricht einem Anteil von circa 3,3 Prozent am Ge-
samtexport. Das hört sich gering an. Doch klingt es an-
ders, wenn man weiß, dass 97 Prozent aller verbürgten
Exporte in Entwicklungs- und Schwellenländer gehen
und damit Geschäfte abdecken, die in ihrem Wertumfang
weit über die internationale Entwicklungshilfe hinaus-
gehen.
Damit werden Arbeitsplätze in Deutschland gesichert.
Wie aus einer Studie des Basler Prognos-Institutes hervor-
geht, etwa 216 000. Das Gros der Anträge, circa 72 Pro-
zent, kommt aus mittelständischen Unternehmen, für die
bei oftmals geringer Kapitaldecke eine finanzielle Absi-
cherung außerordentlich wichtig ist. Zudem gehören
staatliche Ausfallbürgschaften zum Garantiebestand in-
ternationaler Geschäfte und sind damit ausschlaggebend
für die Wettbewerbssituation deutscher Firmen. Was bis-
her zu wenig beachtet wurde, ist die nachhaltige Ent-
wicklung im Bestellerland. Eine sicherlich sensible An-
gelegenheit, weil sich die Besteller ungern Vorschriften
machen lassen, die über die in ihrem Land geltenden Stan-
dards hinausgehen. Gerade bei den kontroversen Diskus-
sionen im Rahmen der WTO ist der Vorwurf der Protek-
tion an die industriellen Erzeugerländer erhoben worden,
die angeblich mit ihren hohen Qualitätsanforderungen die
Beteiligung und Zulieferung von einheimischen Unter-
nehmen verhindern wollen. Darum sollte die Hermes-Re-
form keine restriktiven, starren Vorgaben machen, son-
dern eine flexible Herangehensweise mit Anpassung an
internationale Standards ermöglichen.
Doch nun im Einzelnen, was wir bisher in anstrengen-
der Arbeit und zähen Verhandlungen ich will das gar
nicht verschweigen mit dem federführenden Bundes-
wirtschaftsministerium erreicht haben:
Erstens. Dem IMA Interministeriellen Ausschuss
liegt ein Entwurf vor, der die Leitlinien für die Berück-
sichtigung von ökologischen, sozialen und entwicklungs-
politischen Gesichtspunkten bei der Übernahme von Aus-
fuhrgewährleistungen des Bundes beschreibt. Keine
folgenlose Prosa oder Sammlung von unverbindlichen
Absichtserklärungen wie von Kritikerinnen gesagt
wird , sondern erstmalig ein Prüfungs- und Entschei-
dungsleitfaden, der das bisher praktizierte Freihand-Ver-
gabeverfahren auf empirischer Grundlage ablöst.
Zweitens. Damit richtet sich die Exportförderwürdig-
keit künftig nicht nur an wirtschaftlichen Erwägungen,
sondern auch an dem Leitbild einer nachhaltigen Ent-
wicklung aus. Das wird sich insbesondere auf den Export
von Umwelttechnik und regenerativen Energietechnolo-
gien auswirken. Zwei Wirtschaftszweige, die weltweite
Verbreitung verdienen.
Drittens. Von einer Förderung ausgeschlossen sind Nu-
kleartechnologien. Sowohl für Neubauten als auch für
Nachrüstungen bei bestehenden AKWs. Damit wollen wir
einen national beschrittenen Ausstiegsweg auch interna-
tional fortsetzen.
Viertens. Die Leitlinien enthalten, was für ähnliche
Richtlinien ungewöhnlich und neu ist, eine Anpassungs-
und Änderungsklausel. Damit soll eine zeitnahe Anpas-
sung an die internationale Entwicklung und eine ständige
Verbesserung aufgrund der gewonnenen Erfahrungen ge-
schehen. Hier sind vor allem die Kritiker aufgerufen mit-
zuwirken. Nicht das Papier, sondern die Praxis wird die
Tauglichkeit der Leitlinien beweisen.
Fünftens. Die Leitlinien schreiben ein verbindliches,
zweistufiges Prüfungsverfahren vor:
Erste Stufe Vorprüfung/Screening: Alle Projekte ab ei-
nem Auftragswert von 15 Millionen Euro und relevantem
deutschen Lieferanteil werden künftig eine Vorprüfung,
ein Screening durchlaufen. Bei konkreten Anhaltspunkten
für die Umweltrelevanz eines Projektes wird die Vorprü-
fung auch auf Anträge mit niedrigerem Auftragswert aus-
geweitet. Hier ist vor allem das Projektumfeld entschei-
dend. Also die Einbeziehung solcher sensiblen Punkte wie
Primärwälder, Bioreservate, Siedlungsgebiete indigener
Völker, anerkannte Kulturgüter, Dimension der Umsied-
lung usw.
Zweite Stufe Tiefenprüfung/Review: Wenn sich aus
dem Screening ein weiterer Prüfungsbedarf ergibt,
schließt sich eine sektorenunabhängige und sektorenspe-
zifische Überprüfung an, die in der Regel einzelfall- und
projektbezogen erfolgt. Hierzu können ergänzende und
vertiefende Umweltgutachten angefordert werden. Wich-
tig ist, dass die Umweltstandards des Bestellerlandes
mit international anerkannten und üblichen Umweltvor-
schriften WCD, Weltbank, EBRD verglichen werden
Benchmarking und entsprechende Übereinstimmung
erzielt werden soll.
Einordnung in Kategorien: Wie bei den Weltbankkrite-
rien vorgesehen, erfolgt dann eine Einordnung der ge-
prüften Projekte in die drei Kategorien A, B und C. Wo-
bei die Kategorie A darauf hinweist, dass starke
ökologische, soziale und entwicklungspolitische Auswir-
kungen zu erwarten sind, die nicht lokal begrenzt
und/oder irreversibel erscheinen. Also Projekte, bei denen
ein hohes Risiko bzw. Gefahren für Umwelt und Men-
schen und dementsprechende Konflikte absehbar sind.
Sechstens. Sofern die Prüfung Verbesserungsbedarf er-
gibt, kann die Deckungsentscheidung mit konkreten Um-
weltauflagen verbunden werden. In solchen Fällen erfolgt
eine spezielle Überwachung und Kontrolle durch Moni-
toring Reports.
Siebtens. Ein wichtiges Kapitel ist die Einbeziehung
von verfügbaren Informationsquellen. Hier sind aus-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116208
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drücklich die Nichtregierungsorganisationen genannt,
von denen in der Vergangenheit oft wichtige Hinweise ka-
men. Aber auch Informationen aus den Botschaften und
der Bevölkerung im Bestellerland werden künftig stärker
zur Beurteilung der Projekte herangezogen. Der Bund
wird diesbezüglich eine fachkompetente Bewertung der
Umweltinformationen sicherstellen.
Achtens. Die Wirksamkeit der Leitlinien wird sehr da-
von abhängen, inwieweit es gelingt, die Vorhaben und
Entscheidungen öffentlich und nachvollziehbar zu ma-
chen. Deswegen sollen künftig Projekte der Kategorie A
in Deutschland frühzeitig transparent gemacht werden.
Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich im
Rahmen der laufenden OECD-Verhandlungen aktiv dafür
einsetzt, dass demnächst ein abgestimmtes Verfahren zur
Veröffentlichung von Projektort und Projektart bereits im
Prüfstadium realisiert wird. Hinsichtlich Parlament soll-
ten nicht nur der Haushaltsausschuss, sondern sämtliche
Ausschüsse der im IMA vertretenen Ressorts informiert
werden.
Die Hermes-Reform ist ein wichtiger Schritt in die
richtige Richtung. Vielleicht kein Meilenstein. Aber das
wird sich zeigen. Meine Fraktion ich will das nicht ver-
hehlen ist nicht vollauf zufrieden damit. An unseren
Ausgangsvorstellungen und den jahrelangen Bemühun-
gen und Erfahrungen gemessen, gibt es etliche Punkte, die
wir als neuralgisch ansehen. Nicht das Papier, sondern die
Praxis wird den Gebrauchswert dieser Leitlinien bestim-
men. Wir werden deswegen die Bürgschaftsvergabe auch
in Zukunft kritisch begleiten, um sicherzustellen, dass die
Leitlinien dazu beitragen, deutsche Exporte zu fördern,
ohne in Konflikt mit Umwelt und Menschen in der Zwei-
drittelwelt zu geraten. Wir verstehen die Leitlinien als dy-
namische Vorgaben mit zeitnaher Anpassung, welche die
Möglichkeit geben, neue Erfahrungen und Veränderun-
gen auf internationaler Ebene konstruktiv aufzugreifen.
Gudrun Kopp (F.D.P.): Die Hermes-Exportbürg-
schaften sind ein zuverlässiges und flexibles Instrument
der Außenwirtschaftsförderung. Insgesamt übernahm der
Bund im Jahr 2000 Bürgschaften in Höhe von 38 Milliar-
den DM und erwirtschaftete sogar zum wiederholten
Male einen Überschuss von 67 Millionen DM.
Hermes-Exportgarantien sichern inzwischen laut ei-
ner Studie circa 200 000 Arbeitsplätze in Deutschland,
und zwar überwiegend in der mittelständischen Export-
industrie, auf die 80 Prozent der Einzeldeckungen entfal-
len. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass dieser er-
folgreiche Förderbereich nicht immer wieder mit
Förderinteressen von SPD und vor allem Grünen über-
frachtet wird.
Es ist unverantwortlich, die Vergabe von Hermesbürg-
schaften auch noch an Forderungen zu Frauenförderung,
Entwicklungshilfe und Beteiligungen von Nichtregie-
rungsorganisationen zu knüpfen. Die F.D.P. setzt sich des-
halb mit ihrem Antrag gezielt ein für ein effizientes und
transparentes Ausfuhrgewährleistungssystem.
Hermes-Deckungen müssen mit so wenig Bürokratie
wie möglich gehandhabt werden, damit sich deutsche
Unternehmen mit ihren innovativen Produkten und ihren
hohen technischen Standards auch in Zukunft auf den
Weltmärkten durchsetzen können. Der geltende Umwelt-
leitfaden für Hermesbürgschaften ist ausreichend und darf
nicht mit noch mehr Auflagen für den exportierenden Mit-
telstand befrachtet werden.
Die F.D.P. unterstützt die entsprechende Position des
Bundeswirtschaftsministers und stellt mit ihrem Antrag
sieben Forderungen an die Bundesregierung:
Erstens. Keine Abweichungen von den vereinbarten
OECD-Umweltleitlinien für Ausfuhrgewährleistungen.
Zweitens. Unterstützung des Hermes-Umweltleitfa-
dens des BMWi, verbunden mit der Entwicklung von ef-
fizienteren, flexibleren Instrumentarien.
Drittens. Die vorgesehenen Schwellenwerte für das
Screening-Verfahren sind hinreichend.
Viertens. Ablehnung einer Ausschlussliste für Hermes-
bürgschaften.
Fünftens. Unterstützung für einheitliche Kriterien ei-
ner Präsentation im Internet im Rahmen der OECD.
Sechstens. Einzelfallentscheidungen durch den Inter-
ministeriellen Ausschuss.
Siebtens. Über besondere Charakteristika zu anstehen-
den Projekten informiert der IMA die zuständigen Res-
sorts und Ausschüsse.
Zu dem von den Regierungsfraktionen vorgelegten
Antrag ist die Frage zu klären, in welchem Zusammen-
hang der IMA bei der Bearbeitung von Hermesbürgschaf-
ten menschenrechtliche Aspekte einbeziehen soll. Er-
klärungsbedürftig ist außerdem, in welcher Form in den
Leitlinien eine eingeschränkte Exportförderfähigkeit bei
hoch sensiblen Projekten wie Kernkraftwerken, Rüs-
tungsexporten oder gefährlichen Chemikalien festgelegt
werden soll. Darauf geben SPD und Grüne keine Ant-
worten.
Wichtig ist uns Liberalen, dass die politischen Ent-
scheidungen über die Exportfähigkeit von Produkten dem
Bundessicherheitsrat vorbehalten bleiben und die Export-
kontrollen dem Bundesausfuhramt vorbehalten bleiben.
Das Parlament ist rechtzeitig über solche Entscheidungen
zu informieren und alle Instrumente müssen unter beson-
derer Berücksichtigung des Mittelstandes gehandhabt
werden.
Ursula Lötzer (PDS): Was Sie heute in Ihrem Antrag
an Neuerungen hinsichtlich des Ausfuhrgewährleistungs-
systems vorlegen, hat nichts mit der Reform zu tun, die
Sie in Ihrer Koalitionsvereinbarung versprochen hatten.
Es handelt sich um eine Ansammlung unverbindlicher
Absichtserklärungen. Damit hat sich das Wirtschaftsmi-
nisterium mit seiner eindeutigen Orientierung an den Ex-
portinteressen durchgesetzt.
Die Kernforderung der Hermes-Kampagne, verbind-
liche Standards für Exportbürgschaften und unabhängige
Umwelt- und Sozialprüfungen, wären die Voraussetzung
für eine glaubwürdige Reform. Außer dem Ausschluss
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16209
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der weiteren Exportförderung von Nukleartechnologie für
den Neubau und die Umrüstung von Atomanlagen findet
sich in ihrem Entwurf nichts davon. Dabei wäre in diesem
Zusammenhang eine Festlegung auf die Weltbankstan-
dards eine mögliche Mindestfestlegung gewesen, da sie
bereits international gültiges Regelwerk darstellen.
Nicht ohne Grund sind große Staudammprojekte einer
der Hauptauseinandersetzungspunkte um die Hermes-
Reform gewesen. In vielerlei Hinsicht verkörpern sie die
Diskussion über den Stellenwert von Menschenrechten,
der Absicherung der Lebensumstände von Menschen ge-
genüber Zwangsumsiedlungen sowie des Schutzes vor
ökologischem Raubbau. Die World Commission of
Dams hat zweieinhalb Jahre lang die erste unabhängige
Untersuchung großer Dammprojekte durchgeführt. Ex-
perten, Vertreter von Regierungen, Nichtregierungsorga-
nisationen und Industrie haben sich auf gemeinsame
Empfehlungen für einen internationalen Standard in der
Bewertung großer Dammprojekte geeinigt. Die Bun-
desregierung hat die Arbeit mitfinanziert, das BMZ hat
Initiativen zur Umsetzung ergriffen. Dass nicht einmal die
als Standard für Hermesbürgschaften aufgenommen wur-
den, ist nicht akzeptabel.
Dabei vergab die Bundesregierung bereits zweimal
Hermesbürgschaften einmal 1997 in Höhe von 270 Mil-
lionen US-Dollar und einmal 1999 53 Millionen US-
Dollar für das Tschernobyl der Wasserkraft, den Drei-
Schluchten-Staudamm. Und mit 75 Millionen DM und
einer Grundzusage von 50 Millionen beteiligen Sie sich
an weiteren Ausbaustufen der Zellstoffproduktion in India
Kiat. Insgesamt wurden dafür über 500 Millionen DM ge-
währt. Geliefert wurden veraltete Technologien, die er-
wiesenermaßen hohe Gesundheitsrisiken für die Bevölke-
rung mit sich brachten. Der Urwald wird illegal gerodet,
bisher 855 000 Hektar. Jährlich hat der seit mehr als zehn
Jahren anhaltende Zellstoffboom 1 Prozent des Regen-
waldes zerstört. Das dringend benötigte Trinkwasser wird
durch den Chlorausstoß verseucht. Haut- und Atemwegs-
erkrankungen, verursacht durch illegale Fabrikabwässer,
breiten sich weiter aus. Bereits 1999 standen die auf sol-
chen Pump gebauten indonesischen Zellstofffabriken mit
13 Milliarden US-Dollar in der Kreide. Solche Hermes-
bürgschaften treiben die Verschuldung in die Höhe.
Hermesbürgschaften sind ein staatliches Instrument,
entsprechend sind auch öffentliche und parlamentarische
Kontrolle notwendig. Bisher wurde das geheime Proze-
dere der Bearbeitung von 30 000 bis 50 000 Anträgen
jährlich nur in wenigen Fällen und nur auf Druck von
Nichtregierungsorganisationen und Betroffenen bei be-
sonders umstrittenen Projekten aufgehoben. Selbst bei
diesen wurden relevante Umwelt- und Sozialverträglich-
keitsprüfungen nicht öffentlich zugänglich. Das Parla-
ment hatte keinen Einfluss auf die Entscheidungspro-
zesse.
Doch auch hinsichtlich der Transparenz und der Ein-
beziehung der Zivilgesellschaft und der Betroffenen ist
die vorgelegte Regelung keine Verbesserung. Weder wird
die Öffentlichkeit informiert, noch ist ein Dialog mit
NGOs vorgesehen. Obwohl 97 Prozent aller verbürgten
Exporte in Entwicklungsländer gehen, soll nicht einmal
der Entwicklungsausschuss bei besonders problemati-
schen Projekten einbezogen werden.
Die G-8-Staaten haben sich verpflichtet, ihre jeweili-
gen Exportkreditagenturen und deren politische Ziele an
die Förderung einer wirtschaftlichen und sozialen Ent-
wicklung anzupassen und zentrale Forderungen nach
Transparenz und demokratischen Entscheidungen in den
G-8-Staaten selbst umzusetzen.
Gestern wurde hier das Programm zur Armutsbekämp-
fung vorgestellt. Die Bundesregierung wolle bei der
Bekämpfung der Armut und der Wahrung der Interessen
der Entwicklungsländer eine Vorreiterrolle spielen. Mit
diesem vorgelegten Entwurf spielen Sie nicht nur keine
Vorreiterrolle, sie fallen hinter internationale Regelungen
und die Regelungen anderer Staaten zurück und werden
zum Bremser in der OECD.
Das hier gestern vorgestellte Programm zur Armuts-
bekämpfung verkommt zum Lippenbekenntnis.
Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
minister für Wirtschaft und Technologie: Uns liegen drei
Anträge zum Ausfuhrgewährleistungssystem vor. Die
F.D.P.-Fraktion hat den Antrag Für ein effizientes und
transparentes Ausfuhrgewährleistungssystem vorgelegt.
Sie unterstützt darin das Umweltverfahren des Interminis-
teriellen Ausschusses für Ausfuhrgarantien und Ausfuhr-
bürgschaften, IMA, sowie die Verhandlungen der Bun-
desregierung in der OECD über gemeinsame Umwelt-
leitlinien für Exportkreditagenturen.
1997, als die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/ Die
Grünen für Hermes ein Umweltprüfverfahren forderten,
stufte der frühere Bundeswirtschaftsminister Dr. Günter
Rexrodt Umweltaspekte noch als sachfremd ein. Das
Umdenken der F.D.P. in Richtung Umweltprüfung und
die CDU/CSU folgt in ihrem Entschließungsantrag die-
sem Kurs macht es heute möglich, Gemeinsamkeiten
herauszuarbeiten. Dies ist umso wichtiger, als die deut-
sche Exportwirtschaft im internationalen Wettbewerb die
nachdrückliche Unterstützung von Bundesregierung und
Bundestag braucht, um Chancengleichheit zu erhalten.
Unser Land muss ein zuverlässiger Partner sein, damit
unsere Unternehmen ihre innovativen Produkte mit hohen
technologischen und Umweltstandards weltweit absetzen
und zugleich zur Verbesserung der wirtschaftlichen Ent-
wicklung in den Bestellerländern beitragen können. Die
Zuverlässigkeit muss sowohl für die vertraglichen Ver-
pflichtungen zur Produktqualität als auch für die Finan-
zierung und, soweit erforderlich, die Begleitung mit den
Ausfuhrgewährleistungen des Bundes gelten. Zur Er-
schließung schwieriger, aber dynamischer Märkte ist eine
Hermes-Absicherung häufig unverzichtbar.
Zur Förderung der partnerschaftlichen Zusammenar-
beit mit den Bestellerländern und in Verantwortung für die
Umwelt hat der IMA ein Verfahren zur Berücksichtigung
von ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen
Gesichtspunkten bei der Vergabe von Ausfuhrgewährleis-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116210
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tungen entwickelt. Das neue Verfahren stellt sicher, dass
ökologische, soziale und entwicklungspolitische Auswir-
kungen von Exportgeschäften erkannt und im Entschei-
dungsverfahren verantwortungsbewusst berücksichtigt
werden.
Insgesamt bleibt das Verfahren unbürokratisch, effizi-
ent und mittelstandsfreundlich. Nach einem Screening-
Verfahren wird bei kritischen Einzelfällen im Rahmen ei-
nes Benchmarkings projektbezogen ein Abgleich mit
international anerkannten Standards, wie zum Beispiel
denen der Weltbank, durchgeführt. Können Umweltbe-
denken nicht ausgeräumt werden, wird versucht, in Kon-
takten mit dem Exporteur zu einer Verbesserung des Pro-
jekts zu kommen.
Die Transparenz nach außen wird erhöht, ohne die Ver-
traulichkeit von Geschäftsgeheimnissen zu gefährden.
Zur Erhöhung der Transparenz gegenüber dem Parlament
wird der für Hermes federführende Wirtschaftsausschuss
in Zukunft neben dem Haushaltsauschuss über die Über-
nahme von Ausfuhrgewährleistungen von grundsätzlicher
Bedeutung, das heißt von sensiblen und Großprojekten
unterrichtet.
Der IMAwird das von ihm entwickelte und praktizierte
Verfahren in Leitlinien festhalten. Die Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen unterstützen
mit ihrem Entschließungsantrag ausdrücklich dieses Ver-
fahren.
Die Bundesregierung befolgt und unterstützt mit ihrem
Vorgehen das im Action Statement der OECD im Fe-
bruar 2000 gemeinsam beschlossene parallele Vorgehen:
Die OECD-Mitglieder entwickeln ihre nationalen Verfah-
ren und Methoden zur Identifizierung und Prüfung von
Umwelteinflüssen. Gleichzeitig tauschen sie unterei-
nander ihre Erfahrungen zu den von ihnen entwickelten
Verfahren aus. So verfahren auch die anderen OECD-
Länder.
Ziel ist es, den Auftrag des Kölner Weltwirtschaftsgip-
fels vom Juni 1999 auszuführen, bis zum G-8-Gipfel im
Juli 2001 auf gemeinsame Umweltleitlinien in der OECD
hinzuarbeiten. Die Bundesregierung setzt sich nach-
drücklich dafür ein, dass bereits der OECD-Ministerrat im
Mai gemeinsame Umweltleitlinien verabschieden kann.
Der Entwurf für gemeinsame Leitlinien ist so weit fortge-
schritten, dass eine Einigung bis dahin möglich erscheint.
Alle Teilnehmer der OECD-Exportkreditgruppe ein-
schließlich der G-8-Mitglieder anerkennen die konstruk-
tive Unterstützung der deutschen Delegation für einen
gemeinsamen Ansatz zur verantwortungsvollen Berück-
sichtigung von Umweltbelangen bei den Exportkredit-
agenturen. Mit diesen Verhandlungen über ein gemein-
sames Vorgehen sichern wir zugleich die internationale
Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und damit
Arbeitsplätze bei uns.
Die jetzt anstehenden Beratungen in den Ausschüssen
geben Gelegenheit, auf alle Fragen im Einzelnen vertieft
einzugehen.
Anlage 10
Amtliche Mitteilungen
Der Bundesrat hat in seiner 761. Sitzung am 30. März
2001 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu-
stimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2
Grundgesetz nicht zu stellen:
Gesetz zur Neuordnung des Gerichtsvollzieher-
kostenrechts GvKostRNeuOG
Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über
die Verarbeitung und Nutzung der zur Durch-
führung der Verordnung (EG) Nr. 820/97 des
Rates erhobenen Daten
Gesetz zu dem Abkommen vom 15. September
1998 zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und der Gabunischen Republik über die
gegenseitige Förderung und den gegenseitigen
Schutz von Kapitalanlagen
Gesetz zu dem Abkommen vom 15. Februar
1999 zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und dem Königreich Kambodscha über die För-
derung und den gegenseitigen Schutz von Kapi-
talanlagen
Gesetz zur Änderung des Übereinkommens
zum Schutz der Meeresumwelt des Nordost-
atlantiks (OSPAR-Übereinkommen)
Gesetz zu dem Internationalen Übereinkom-
men von 1989 über Bergung
Gesetz zur Neuregelung des Bergungsrechts in der
See- und Binnenschifffahrt (Drittes Seerechtsän-
derungsgesetz)
Gesetz zur Neuordnung des Bundesdisziplinar-
rechts
Gesetz über die Anpassung von Dienst- und Ver-
sorgungsbezügen in Bund und Ländern 2000
(Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpas-
sungsgesetz 2000 BBVAnpG 2000)
Gesetz zur Änderung des Krankenhausfinanzie-
rungsgesetzes und der Bundespflegesatzverord-
nung (DRG-Systemzuschlags-Gesetz)
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit-
geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der
Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den
nachstehenden Vorlagen absieht:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Unterrichtung durch die Bundesregierung
Neunundzwanzigster Rahmenplan der Gemeinschaftsauf-
gabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur
für den Zeitraum 2000 bis 2003 (2004)
Drucksache 14/3250
Ausschuss für Kultur und Medien
Unterrichtung durch die Bundesregierung
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16211
(C)
(D)
(A)
(B)
Konzeption zur Erforschung und Präsentation deutscher
Kultur und Geschichte im östlichen Europa
Drucksachen 14/4586, 14/4992 Nr. 1
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit-
geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla-
gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla-
ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung
abgesehen hat.
Innenausschuss
Drucksache 14/5172 Nr. 2.63
Drucksache 14/5172 Nr. 2.94
Haushaltsausschuss
Drucksache 14/5503 Nr. 2.1
Ausschuss für Wirtschaft und
Technologie
Drucksache 14/5363 Nr. 1.3
Drucksache 14/5363 Nr. 2.14
Drucksache 14/5363 Nr. 2.15
Drucksache 14/5363 Nr. 2.18
Ausschuss für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft
Drucksache 14/5172 Nr. 2.13
Drucksache 14/5363 Nr. 2.19
Drucksache 14/5503 Nr. 2.3
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116212
(C)(A)
Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin