Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
        Vizepräsidentin Petra Bläss
        16170
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        1) Anlage 8 2) Anlage 9
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16171
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Altmaier, Peter CDU/CSU 06.04.2001
        Dr. Bauer, Wolf CDU/CSU 06.04.2001
        Behrendt, Wolfgang SPD 06.04.2001**
        Dr. Berg, Axel SPD 06.04.2001
        Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 06.04.2001
        Dr. Blank, CDU/CSU 06.04.2001
        Joseph-Theodor
        Bodewig, Kurt SPD 06.04.2001
        Bohl, Friedrich CDU/CSU 06.04.2001
        Dr. Brecht, Eberhard SPD 06.04.2001*****
        Breuer, Paul CDU/CSU 06.04.2001
        Brüderle, Rainer F.D.P. 06.04.2001
        Brudlewsky, Monika CDU/CSU 06.04.2001
        Burgbacher, Ernst F.D.P. 06.04.2001
        Ehlert, Heidemarie PDS 06.04.2001
        Fischer (Berlin), BÜNDNIS 90/ 06.04.2001
        Andrea DIE GRÜNEN
        Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 06.04.2001
        Joseph DIE GRÜNEN
        Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 06.04.2001*****
        Gleicke, Iris SPD 06.04.2001
        Glos, Michael CDU/CSU 06.04.2001
        Graf (Rosenheim), SPD 06.04.2001
        Angelika
        Griefahn, Monika SPD 06.04.2001*****
        Hartnagel, Anke SPD 06.04.2001
        Hasenfratz, Klaus SPD 06.04.2001
        Hauser (Rednitzhembach) CDU/CSU 06.04.2001
        Hansgeorg
        Dr. Haussmann, F.D.P. 06.04.2001
        Helmut
        Heinen, Ursula CDU/CSU 06.04.2001
        Heubaum, Monika SPD 06.04.2001
        Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 06.04.2001
        DIE GRÜNEN
        Hirche, Walter F.D.P. 06.04.2001
        Irber, Brunhilde SPD 06.04.2001
        Jaffke, Susanne CDU/CSU 06.04.2001
        Dr.-Ing. Jork, Rainer CDU/CSU 06.04.2001
        Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 06.04.2001
        Kauder, Volker CDU/CSU 06.04.2001
        Klappert, Marianne SPD 06.04.2001
        Dr. Köster-Loßack, BÜNDNIS 90/ 06.04.2001*****
        Angelika DIE GRÜNEN
        Dr.-Ing. Krüger, Paul CDU/CSU 06.04.2001
        Kühn-Mengel, Helga SPD 06.04.2001
        Dr. Lamers CDU/CSU 06.04.2001*****
        (Heidelberg), Karl A.
        Leidinger, Robert SPD 06.04.2001
        Lengsfeld, Vera CDU/CSU 06.04.2001
        Link (Diepholz), Walter CDU/CSU 06.04.2001**
        Lintner, Eduard CDU/CSU 06.04.2001**
        Dr. Lippelt, Helmut BÜNDNIS 90/ 06.04.2001
        DIE GRÜNEN
        Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 06.04.2001
        Erich
        Maier, Pia PDS 06.04.2001
        Mascher, Ulrike SPD 06.04.2001
        Michels, Meinolf CDU/CSU 06.04.2001
        Moosbauer, Christoph SPD 06.04.2001
        Müller (Berlin), PDS 06.04.2001
        Manfred
        Müller (Jena), CDU/CSU 06.04.2001
        Bernward
        Ostrowski, Christine PDS 06.04.2001
        Pieper, Cornelia F.D.P. 06.04.2001
        Poß, Joachim SPD 06.04.2001
        Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 06.04.2001
        Raidel, Hans CDU/CSU 06.04.2001*****
        entschuldigt bis
        Abgeordnete(r) einschließlich
        entschuldigt bis
        Abgeordnete(r) einschließlich
        Anlage 1
        Liste der entschuldigten Abgeordneten
        Anlagen zum Stenographischen Bericht
        Dr. Riesenhuber, Heinz CDU/CSU 06.04.2001
        Rönsch (Wiesbaden), CDU/CSU 06.04.2001
        Hannelore
        Schloten, Dieter SPD 06.04.2001*****
        Schmidt (Aachen), Ulla SPD 06.04.2001
        Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 06.04.2001
        Andreas
        Schuhmann (Delitzsch), SPD 06.04.2001
        Richard
        Schultz (Everswinkel), SPD 06.04.2001
        Reinhard
        Dr. Schuster, R. Werner SPD 06.04.2001
        Sehn, Marita F.D.P. 06.04.2001
        Steiger, Wolfgang CDU/CSU 06.04.2001
        Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 06.04.2001
        Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 06.04.2001
        Tröscher, Adelheid SPD 06.04.2001
        Uldall, Gunnar CDU/CSU 06.04.2001
        Volquartz, Angelika CDU/CSU 06.04.2001
        Wiesehügel, Klaus SPD 06.04.2001
        Wistuba, Engelbert SPD 06.04.2001
        Wohlleben, Verena SPD 06.04.2001
        Wolf, Aribert CDU/CSU 06.04.2001
        Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 06.04.2001
        Zierer, Benno CDU/CSU 06.04.2001**
        Zöller, Wolfgang CDU/CSU 06.04.2001
        ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm-
        lung des Europarates
        **** für die Teilnahme an der Sitzung der Parlamentarischen Versamm-
        lung der NATO
        ***** für die Teilnahme an der 105. Jahreskonferenz der Interparlamenta-
        rischen Union
        Anlage 2
        Erklärung nach § 31 GO
        des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (PDS) zur Ab-
        stimmung über den Entwurf eines Sozialgesetz-
        buches  Neuntes Buch  (SGB IX) Rehabilation
        und Teilhabe behinderter Menschen (Drucksa-
        che 14/5074)
        Der große Wurf in der Behindertenpolitik ist mit dem
        SGB IX nicht erreicht, obwohl eine Reihe von Verbesse-
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116172
        (C)
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        entschuldigt bis
        Abgeordnete(r) einschließlich
        rungen erzielt wurde. Gleichzeitig gibt es aber eben auch
        reale Verschlechterungen. Als am 4. Dezember des
        vergangenen Jahres der Deutsche Behindertenrat seine
        12 Thesen symbolisch an die Tür der Berliner Nikolaikir-
        che heftete, war klar, dass ein SGB IX nicht ausreichen
        würde, um die wahrlich nicht neuen Forderungen der
        Menschen mit Behinderungen und ihrer Verbände zu er-
        füllen. Gemessen an diesen Thesen ist das SGB IX ein
        Zwischenschritt, aber nicht der bereits überall verlaut-
        barte Paradigmenwechsel.
        In These 10 heißt es beim Deutschen Behindertenrat
        zum Beispiel: Die Nachrangigkeit der Eingliederungs-
        hilfe im Sozialrecht muss beseitigt werden. Eltern, die
        sich für ein behindertes Kind entschieden haben, dürfen
        nicht lebenslang durch Unterhaltszahlungen bestraft
        werden. Mit dem SGB IX wird die Nachrangigkeit bei
        der Eingliederungshilfe für Behinderte nicht beseitigt. In-
        sofern ist das SGB IX kein Leistungsgesetz. Es ist vor-
        wiegend auf die Zusammenfassung und Weiterentwick-
        lung des Rechts der medizinischen und beruflichen
        Rehabilitation ausgerichtet. Hier gibt es in der Tat eine
        Reihe von positiven Neuerungen, die von der PDS bereits
        bei Vorlage des Gesetzentwurfs benannt wurden. Da der
        Grundsatz der Nachrangigkeit für Leistungen der Ein-
        gliederungshilfe im Bundessozialhilfegesetz verankert
        bleibt, müssen auch künftig Menschen mit Behinderun-
        gen Einkommens- und Vermögensnachweise erbringen
        und Bedürftigkeitsprüfungen über sich ergehen lassen.
        Positiv ist allerdings, dass jetzt Angehörige von Werkstät-
        ten für Behinderte und in Fördereinrichtungen von dieser
        Regelung ausgenommen werden. Hier macht die Bundes-
        regierung einen Schritt, den die PDS begrüßt. Die Be-
        grenzung der Unterhaltspflicht für Eltern von erwachse-
        nen Behinderten auf das 27. Lebensjahr und auf einen
        Höchstbetrag von 50 DM ist die wohl wichtigste Verbes-
        serung, die im parlamentarischen Verfahren im SGB IX
        erzielt wurde. Damit wird zumindest der zweite Teil der
        genannten These des Deutschen Behindertenrates weitge-
        hend erfüllt. Wichtig wäre aber, bei diesen Schritten nicht
        stehen zu bleiben. Deshalb hat die Fraktion der PDS in
        ihren Anträgen gefordert, schon im SGB IX eine Festle-
        gung zu treffen, bis wann ein umfassendes Leistungsge-
        setz für Menschen mit Behinderungen vorgelegt werden
        soll. Eine solche Festlegung würde sowohl den betroffe-
        nen Menschen und ihren Angehörigen, aber auch den
        Städten und Gemeinden, die bisher als Sozialhilfeträger
        für die Kosten der Eingliederungshilfe aufkommen, eine
        klare Perspektive bieten.
        PDS und CDU/CSU hatten ja im Ausschuss für Arbeit
        und Sozialordnung mit eigenen Anträgen ein Leistungs-
        gesetz gefordert. Die CDU/CSU ging sogar so weit, allen
        Verbänden mit Schreiben vom 15. März ihre grundsätzli-
        che Zustimmung zum SGB IX mitzuteilen. Weiter heißt
        es im Schreiben von Frau Nolte und Herrn Laumann: Es
        ist unsere feste Überzeugung, dass dieser Schritt nicht
        ausreicht, um elementaren Bedürfnissen der behinderten
        Menschen gerecht zu werden. Daher fordert die
        CDU/CSU-Bundestagsfraktion ein eigenständiges, bun-
        desfinanziertes Leistungsgesetz für Behinderte, mit dem
        die Eingliederungshilfe aus dem Sozialhilferecht heraus-
        gelöst und auf eine eigene Grundlage gestellt wird. Da-
        her habe ich mich in einem Schreiben am 29. März an die
        behindertenpolitischen Sprecher aller Fraktionen ge-
        wandt und vorgeschlagen, wenigstens in einer begleiten-
        den Entschließung zum SGB IX den Willen aller Parla-
        mentarier zum Ausdruck zu bringen, die Vorlage eines
        solchen Gesetzentwurfs in der kommenden Legislaturpe-
        riode zu unterstützen. Ein Gespräch mit dem Behinder-
        tenbeauftragten der Bundesregierung am 27. März hatte
        mich zusätzlich zu diesem Schritt ermutigt.
        Weder von den Fraktionen der Regierungskoalition,
        noch von CDU/CSU oder der F.D.P. gab es irgendeine Re-
        aktion auf diesen Vorschlag. Auch bei der abschließenden
        Beratung im federführenden Ausschuss gab es kein posi-
        tives Echo. Hier haben Regierung und rechte Opposition
        eine Chance verpasst, die positiven Ansätze des SGB IX
        zu stärken und die noch offenen Fragen im nächsten An-
        lauf zu lösen. Bei allem Respekt gegenüber der persönli-
        chen Leistung des Behindertenbeauftragten kann man
        heute nicht darüber hinweggehen, dass das SGB IX zahl-
        reiche Defizite, offene Fragen und sogar Leistungsein-
        schränkungen aufweist. Warum wurde zum Beispiel der
        Kostenvorbehalt im § 3 a des BSHG für ambulante ge-
        genüber stationären Leistungen, also der so genannte
        Heimeinweisungsparagraph, nicht aufgehoben? Warum
        hält die Regierungskoalition an einem Behindertenbegriff
        fest, der mit unnötigen Einschränkungen versehen und
        eher defektologisch orientiert ist? Und warum weigert sie
        sich angesichts des immer noch ausstehenden Bundes-
        gleichstellungsgesetzes, das im Grundgesetz verankerte
        Benachteiligungsverbot von Menschen mit Behinderun-
        gen in die Zielbestimmung des SGB IX aufzunehmen?
        Übrigens  das kostet keinen Pfennig.
        Weitere Defizite können hier nur summarisch benannt
        werden. Sie reichen vom Behindertensport über ungelöste
        Fragen der Versorgung von psychisch kranken Menschen,
        unbefriedigenden Lösungen für behinderte Studierende,
        offenen Fragen für hörgeschädigte Menschen, restriktiven
        Regelungen bei der Gebärdensprache etc.
        Die Endfassung de SGB IX enthält sogar Leistungs-
        einschränkungen und Verschlechterungen: Leistungen
        der Krankenhilfe nach § 37 BSHG werden erheblich ein-
        geschränkt, anstatt  wie von der nationalen Armutskon-
        ferenz gefordert  außerhalb des BSHG zu gewährleisten,
        dass bisher nicht krankenversicherte Sozialhilfeempfän-
        ger endlich in die GKV einbezogen werden. Die Erho-
        lungshilfen werden  auf Forderung des Bundesrates 
        aus Einsparzwecken gestrichen. Sie betreffen eine relativ
        geringe Anzahl von Menschen, das kann aber kein Grund
        für Leistungskürzungen sein. Teilhabeleistungen im Be-
        reich des Wohnens werden restriktiv geregelt, denn von
        Hilfen beim Um- und Ausbau einer behindertengerechten
        Wohnung ist nicht mehr die Rede. Die Pflichtquote zur
        Beschäftigung Schwerbehinderter im Öffentlichen Dienst
         6 Prozent  soll in dieser Höhe nur noch in Einrichtun-
        gen des Bundes gelten, die diese Pflichtquote bereits bis-
        her erfüllt haben. Damit wird die angestrebte Vorbildrolle
        des öffentlichen Dienstes bei der Beschäftigung Schwer-
        behinderter geschwächt. Unter dem Strich bleibt festzu-
        halten: Bei diesem SGB IX sind viele Chancen verpasst
        worden. Daher verdient es eine Stimmenthaltung.
        Anlage 3
        Erklärung des Abgeordneten Rolf Kutzmutz (PDS)
        zur Abstimmung über die Nr. 2 der Beschluss-
        empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und
        Technologie zu dem Antrag: Herstellung fairer
        Wettbewerbsbedingungen für die deutsche und
        europäische Werftindustrie (Tagesordnungs-
        punkt 17)
        Ich erkläre namens mein Fraktion: Unser Votum lautet
        Ja.
        Anlage 4
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung:
         der Beschlussempfehlung: Herstellung fairer Wett-
        bewerbsbedingungen für die deutsche und europä-
        ische Werftindustrie
         des Antrags: Sicherung eines fairen Wettbewerbs
        für deutsche und europäische Werften
         der Beschlussempfehlung: Zukunftschancen des
        deutschen und europäischen Schiffbaus nachhaltig
        verbessern
        (Tagesordnungspunkt 17 und Zusatztagesordnungs-
        punkte 13 und 16)
        Dr. Margrit Wetzel (SPD): Kräftiger Rückenwind für
        unsere Regierung am 15. Mai in Brüssel: Das ist es, was
        heute alle Fraktionen im Parlament beim Thema Werften
        eint. Wir wollen, dass die EU energisch weiter mit Korea
        verhandelt, um das Fairness-Abkommen durchzusetzen.
        Wir wissen, dass Japan die EU dabei unterstützen wird.
        Und wir wollen wirksame neue Regelungen, die die Wett-
        bewerbsfähigkeit der europäischen Werften sichern, so-
        lange Korea noch mit Dumpingpraktiken die Wettbewer-
        ber vom Markt zu fegen versucht.
        Wenn es nur um einen harten Wettbewerb auf dem
        Weltmarkt ginge, hätte der deutsche Schiffbau unsere
        Hilfe ganz sicher nicht nötig. Unsere deutschen Werften
        sind nicht mehr die Stahlbauunternehmen der 50er-Jahre,
        ihre Kernkompetenz liegt heute in ihrer Systemfähigkeit.
        Maßgeschneiderte Schiffe von hoher Komplexität werden
        mit höchster Präzisionstechnologie in enger Abstimmung
        mit Auftraggebern, Planern, Entwicklern, Zulieferern und
        Systemlieferanten konzipiert, entworfen, gebaut, zusam-
        mengeführt und pünktlich in hoher Qualität ausgeliefert.
        Die Werften selbst erbringen heute nur noch etwa
        30 Prozent der Wertschöpfung eines Schiffes, tragen aber
        die Systemverantwortung und das volle unternehmerische
         auch das finanzielle  Risiko. Sie sind belastet durch
        hohe Entwicklungskosten, oft am einzelnen Schiff. Vor-
        teile durch Serien- oder gar Massenproduktion sind nie
        am gesamten Schiff, bestenfalls bei standardisierten Bau-
        teilen oder einzelnen Modulen zu erzielen. Auf den Werf-
        ten finden wir heute nicht mehr überwiegend Blaumänner,
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16173
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        sondern Weißkittel: Es gibt mehr Ingenieure, Konstruk-
        teure und Datenverarbeitungsspezialisten als Schlosser,
        Tischler oder Stahlbauer. Eine spannende Industrie, eine
        Wachstumsbranche, in der Innovation Alltag ist.
        Leider weiß das aber auch unsere asiatische Konkur-
        renz nur viel zu gut. Nachdem zunächst Japan viele Jahre
        härtester Wettbewerber unserer Werften mit der über viele
        Jahre konkret geplanten und gezielt durchgehaltenen stra-
        tegischen Unterstützung seiner maritimen Industrie war,
        leiden nun nahezu alle Schiffbaunationen unter der Dum-
        ping- und Verdrängungspolitik, die Südkorea im Schiff-
        bau betreibt. Gigantische, hochmoderne Werften, qualifi-
        zierte, motivierte Arbeiter, hohe Serienproduktionen im
        Bereich der Standardtanker, Massengutfrachter und Con-
        tainerschiffe mit allen damit verbundenen Kostenvortei-
        len wären vielleicht noch zu verkraften, wenn nicht die
        Dumpingpreise Koreas zu einem brutalen Verdrängungs-
        wettbewerb führen würden.
        Werften, die Verkaufspreise bis zu 40 Prozent unter den
        eigenen Gestehungskosten anbieten, können langfristig
        zwar nicht durchhalten, kurzfristig aber die Märkte so dra-
        matisch stören, dass der Weltschiffbau im Hinblick auf
        Preise und Kapazitäten vollständig aus der Balance gerät.
        Unterstützung finden die koreanischen Werften bei den
        staatlich kontrollierten Banken, die sie durch Kredite,
        Umschuldungen und Anleihen trotz ihres desolaten Bi-
        lanzierungswesens immer wieder über Wasser halten.
        Korea hat nicht nur mit Abstand die führende Position
        im Containerschiffbau erobert, sondern beherrscht inzwi-
        schen auch das Segment der Flüssiggastanker und dringt
        in den anspruchsvolleren Passagierschiffsektor ein. Vor
        allem: Die großen Containerschiffe kommen, und zwar aus
        Korea. Samsung produziert eine Serie von sechzig
        6 500-TEU-Containerschiffen. Die Order für mindestens
        drei 9 700-TEU-Schiffe ist erteilt.
        Auch China reagiert auf die koreanische Konkurrenz.
        Allein im vergangenen Jahr haben die chinesischen Werf-
        ten ihre Produktion um 12 Prozent gesteigert. Der Schiff-
        bau soll zur strategischen Industrie ausgebaut werden. Die
        chinesische Reederei COSCO plant den Neubau zahlrei-
        cher Großcontainerschiffe zwischen 6 000 und 8 000 TEU
        und übernimmt gleichzeitig eine chinesische Reparatur-
        werft nach der anderen. So gehen selbst diese Marktseg-
        mente den europäischen Werften systematisch verloren.
        Die japanische Schiffbauindustrie positioniert sich neu
        gegen den Druck aus Korea und China. Umsatzeinbrüche,
        eine rückläufige Entwicklung der Forschungsaufwen-
        dungen und der Mangel an Spezialisten machen sich spür-
        bar bemerkbar. Was wir dort beobachten, kennen wir doch
        nur zu genau, verehrte Kollegen: Wir hören die Sorgen
        unserer Werften um den qualifizierten Nachwuchs für die
        Hochtechnologieberufe; wir wissen um ihre Klagen über
        hohe Forschungs- und Entwicklungskosten, die eben
        nicht nur als Grundlagenforschung, sondern synchron zur
        Auftragsabwicklung entstehen. Die Werft als Dienstleis-
        ter trägt das finanzielle Risiko bis zur erfolgreichen Ab-
        lieferung des Schiffes. Die Sicherheit der qualifizierten
        Arbeitsplätze hängt vom Auftragsbuch ab. Auslastung ist
        gefragt, auch wenn der Auftrag noch so speziell ist.
        Die Japaner haben ähnliche Sorgen. Die niedrigen
        Lohnkosten in Korea und die neuerliche Won-Abwertung
        sind harte Wettbewerbsfaktoren, für Japan und China so-
        gar noch in unmittelbarer Nähe.
        Japan will neue Schwerpunkte in Forschung und Ent-
        wicklung setzen, stellt die Produktion um von Masse auf
        Klasse und wird damit zugleich zum härteren Wettbewer-
        ber in den Nischen, in die sich europäische und deutsche
        Werften notgedrungen zurückziehen mussten. Schiff-
        bau-Studenten werden in Japan systematisch auf die Zu-
        kunft vorbereitet, Studiengänge wandeln sich, werden
        komplexer, verbinden den Präzisionsmaschinenbau mit
        dem Wissen um die Zusammenhänge maritimer Indus-
        trien.
        Die Konkurrenz schläft nicht. Sie ist hellwach und ei-
        gentlich eine absolut spannende Herausforderung nicht
        nur für den Markt, sondern auch für uns als Politiker. In
        diesem Wettbewerb nicht nur des internationalen Schiff-
        baus, sondern auch der staatlichen Rahmenbedingungen,
        die die Gestaltung der maritimen Zukunft beeinflussen,
        müssen die deutschen Werften, ja die gesamte eng ver-
        zahnte maritime Industrie und Dienstleistung, uns aktiv
        und handlungsbereit an ihrer Seite wissen.
        Deshalb ist es auch so wichtig, dass es uns endlich ge-
        lingt, die bedeutenden Schiffbaunationen der Welt unter
        einem neuen, wirksamen Weltschiffbauabkommen zu
        vereinen. Langfristig kann nur Fairness im Wettbewerb
        gut für alle sein. Da auch Verstöße gegen Fairness nie aus-
        zuschließen sind, müssen die Länder sich auf Handels-
        und Bilanzierungsvereinbarung, aber auch auf Sanktio-
        nen verbindlich verständigen. Wir wollen, dass das Welt-
        schiffbauabkommen politisch schnellstmöglich vorange-
        bracht wird. Wir erwarten, dass die Verhandlungen auch
        darüber deutlich vorangetrieben werden.
        Kurzfristig geht es am 15. Mai in Brüssel darum, wie
        wir in diesem ohnehin schon harten Wettbewerb die un-
        lauteren Praktiken Koreas, die Dumpingpreise und die
        massive Stützung durch staatlich kontrollierte Banken
        endlich wirksam eindämmen können. Wir sind damit in
        der wenig angenehmen Situation, dass deutsche und eu-
        ropäische Werften, die effizient und produktiv arbeiten
        und sich in jedem fairen Wettbewerb behaupten können
         und wollen  wirksame ergänzende Hilfen brauchen, um
        sich gegen den Verdrängungswettbewerb zu behaupten.
        Immer wieder betonen die Vertreter der europäischen
        Werften, dass sie keine Subventionen, sondern faire
        Wettbewerbsbedingungen wollen. Recht haben sie.
        Wer sich heute bei den Werften informiert, wird begeis-
        tert sein, mit welchem Engagement dort für die Zukunft
        geplant wird: noch mehr Produktivität, noch mehr Effi-
        zienz durch noch mehr vertikale und horizontale Koope-
        ration, durch Vernetzung, Systemverbünde, Serieneffekte
        bei Bauteilen, Schnittstellen, Planungen, Standardisie-
        rung. Es ist eine Freude, den Zusammenhalt, die Kreati-
        vität und Innovationsoffenheit auf den Werften zu beob-
        achten!
        Und für uns ist dieses Engagement eine drängende
        Verpflichtung, alles politisch-parlamentarisch Mögliche
        zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Werften
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116174
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        auf nationaler Ebene und im europäischen Verbund zu
        tun. Deshalb möchte ich den Vertretern der Opposition,
        besonders Ihnen, Herr Kollege Börnsen, der Sie in dieser
        Frage besonders aktiv waren, noch einmal danken, dass
        Sie so ausdrücklich und nachdrücklich die Verhand-
        lungsposition unseres Ministers in Brüssel bei den anste-
        henden Verhandlungen mit uns unterstützen.
        Wir wünschen unserer Regierung in Brüssel Geschick,
        Durchsetzungsvermögen, viel Überzeugungskraft und ei-
        nen kühlen Kopf für einen klugen Kurs durch die Untie-
        fen unterschiedlichster Interessen der europäischen Mit-
        gliedstaaten  zum Wohle unserer Werften und der dort
        Beschäftigten.
        Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Am
        14. Mai wird in Brüssel über die Zukunft der deutschen
        Werftindustrie entschieden. Auf Initiative der Union wird
        heute ein gemeinsamer Antrag aller Fraktionen debattiert.
        Kleinteiliges Parteiengezänk wurde beiseite gelassen, um
        der Bundesregierung bei den Verhandlungen in Brüssel
        den Rücken zu stärken  zum Nutzen für 220 000 Arbeits-
        plätze, für einen hoch komplexen und innovativen Indu-
        striezweig. Dafür mein Dank an alle Fraktionen.
        Über 220 000 Schiffbauer, Dienstleister und Zulieferer
        von Flensburg bis Vilshofen erwarten von den EU-Indus-
        trieministern eine Perspektive für einen ganzen Industrie-
        zweig. Nur rund zwei bis drei Jahre reicht der Auftrags-
        bestand der Werften, aber Folgeaufträge stehen aus.
        Korea hat in dieser Branche seinen Weltmarktanteil mitt-
        lerweile aggressiv auf über 50 Prozent erhöht. Noch 1998
        lag er bei 26 Prozent. Erreicht hat das Korea nicht allein
        durch Leistung, sondern durch Abschlüsse zu nicht kos-
        tendeckenden Preisen. Die Preise der von der EU unter-
        suchten Aufträge lagen im Mittel 20 Prozent unterhalb der
        Selbstkosten. Getragen werden sie versteckt vom korea-
        nischen Staat, so die EU-Kommission. So werden den
        koreanischen Werften Schulden durch staatliche Banken
        ohne Bonitätsprüfung abgenommen, im Einzelfall per
        Gesetz Steuern erlassen und durch Subventionen im Zu-
        lieferbereich günstige Einkäufe ermöglicht.
        Bereits mit einer Abwehrbeihilfe von 7 Prozent waren
        deutsche Werften gegenüber den koreanischen Dumping-
        preisen konkurrenzfähig, in anderen EU-Mitgliedstaaten
        waren Abwehrbeihilfen von bis zu 9 Prozent notwendig.
        Gesichert wurden damit im letzten Jahr in Deutschland
        197 Neubauaufträge, mit einer Gesamtsumme von
        20,7 Milliarden DM. Dieses erfolgreiche Abwehrinstru-
        ment ist am 31. Dezember des letzten Jahres ausgelaufen,
        obwohl die gesamtwirtschaftliche Wirkung die Ausgaben
        um mehr als das Vierfache übersteigt. Schuld daran ist der
        EU-Industrieministerrat. Er hatte im Dezember die Ab-
        wehrhilfen für europäische Werften auslaufen lassen. Die
        Bundesregierung unterlag in der Abstimmung total. Dies
        wäre ein falsches Signal an Korea; denn unfaire, aggres-
        sive Wirtschaftspolitik wurde belohnt, die europäische
        Werftindustrie fast aufgegeben. Begründet wurde diese
        Entscheidung unter anderem mit zu hohen Zuschüssen für
        die Schiffbauindustrie. Experten halten diese Zahlen der
        Kommission mit über 50 000 DM pro Arbeitsplatz und
        Jahr für überhöht, was zutrifft.
        Sollte sich die Bundesregierung am 14. Mai nicht durch-
        setzen, muss den Werften auf nationaler Ebene geholfen
        werden. Sie ist aufgefordert, zusammen mit den Betroffe-
        nen zügig ein schlüssiges Konzept zu erarbeiten und um-
        zusetzen. Dabei ist auf eine gerechte Lastenverteilung
        zwischen Bund und Ländern zu achten.
        Schiffbaupolitik ist eine nationale Aufgabe. Die Wert-
        schöpfung findet zu über 75 Prozent bei den Zulieferern
        statt, überwiegend in Bayern, Baden-Württemberg und
        Nordrhein-Westfalen, nur zu knapp 25 Prozent an der
        Küste. Bei der bisherigen Praxis hat der Bund ein Drittel
        der Werftenhilfe getragen, die Werften-Länder zwei Drit-
        tel. Schon jetzt ist in Schleswig-Holstein die Länder-Ko-
        finanzierung nicht sichergestellt. Bremen und Mecklen-
        burg-Vorpommern, wesentlich finanzschwächer als
        Schleswig-Holstein, haben es jedoch geschafft. Statt der
        7 Prozent Wettbewerbshilfe erhalten die Werften in
        Schleswig-Holstein nur 3 Prozent. Es besteht die Gefahr,
        dass bestehende Aufträge wieder zurückgegeben werden
        müssen. Dazu darf es nicht kommen! Ich appelliere an die
        Landesregierung in Kiel, das gegebene Versprechen von
        Ministerpräsidentin Simonis, dass kein Auftrag wegen
        fehlender Wettbewerbshilfen für Schleswig-Holsteins
        Werften verloren gehe, einzuhalten. Wort halten, Frau Mi-
        nisterpräsidentin!
        Gleichzeitig muss es endlich zur Einleitung des
        WTO-Verfahrens kommen und der Abschluss eines Welt-
        handelsabkommens im Schiffbau über die OECD forciert
        werden. Die G-7/8-Länder haben sich damit zu befassen.
        Korea muss gezwungen werden, die im Sommer letz-
        ten Jahres getroffene Vereinbarung mit der EU umzuset-
        zen. Ansonsten blamiert sich die EU gegenüber einem Ti-
        ger-Staat als Papier-Tiger. In der Vereinbarung hatte sich
        Korea verpflichtet, seinen Werften keine Wettbewerbs-
        vorteile von staatlicher Seite mehr zu gewähren. Koreani-
        sche Werften sollten in Zukunft zu Vollkosten kalkulieren
        müssen. Geändert hat sich nichts. Seit 1999 dokumen-
        tierte die Kommission den Missstand in drei Berichten,
        zuletzt im November.
        Weder die Tatsache, dass die Koreaner bis zu 40 Pro-
        zent unter den eigenen Herstellungskosten ihre Schiffe
        verkaufen, hat zu einer kraftvollen Reaktion des EU-Mi-
        nisterrates geführt, noch der Tatbestand, dass der Interna-
        tionale Währungsfonds durch die Stützung des koreani-
        schen Won indirekt die Regierung vor Ort in die Lage
        versetzte, den Großwerften wieder zu helfen. Am
        IWF-Großkredit war Deutschland mit fast 6 Prozent be-
        teiligt. Bundesdeutsches Geld hat zum Aufbau der korea-
        nischen Konkurrenz beigetragen. Die IG-Metall hat die-
        sen Sachverhalt mit dem Hinweis auf den Punkt gebracht,
        wir mästen unseren eigenen Schlächter. Damals war aus
        Gründen der internationalen Währungsstabilität die Ini-
        tiative des IWF notwendig. Doch den Kredit ohne Aufla-
        gen zu geben, war gelinde gesagt grob fahrlässig. Im ver-
        gangenen Jahr erreichten Europas Werften gerade noch
        15, Deutschlands Anteil lag bei 5,5 Prozent. Für beide ist
        dass der geringste Weltmarktanteil der vergangenen
        50 Jahre. Der IWF muss das Mandat erhalten, sich zur
        Überwachung der Kreditbedingungen auch mit einzelnen
        Industriezweigen zu befassen.
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16175
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        Der letzte Bericht vom November bestätigt noch ein-
        mal eindeutig den Sachverhalt: Die Schiffbau-Nation
        Nummer eins, Südkorea, fördert den Bootsbau mit unlau-
        teren Mitteln. Drei Jahre nach dem ersten Beweis dieses
        Sachverhaltes reagierte im Dezember der Ministerrat und
        schaffte das bewährteste Mittel gegen die weltweite Wett-
        bewerbsverzerrung, die Werftenbeihilfe, zum 1. Januar
        2001 ab. Und, was die ganze Hilflosigkeit der EU kenn-
        zeichnet, es wurden gleichzeitig keine Maßnahmen gegen
        die einseitige koreanische Schiffbauoffensive beschlos-
        sen, keine Handelsauflagen gegen koreanische Güter ge-
        fordert, keine Strategien entwickelt, um weltweites Preis-
        dumping zu verhindern. Der Stier Europa hat seine
        Hörner eingebüßt. Deutschlands Schiffbauer und die der
        anderen Länder bleiben mit ihren Existenzsorgen allein.
        Noch vor einem Jahr hatte Bundeskanzler Schröder auf
        der großen maritimen Konferenz in Emden versprochen:
        Wir lassen unsere Werften nicht im Stich, wir werden
        konkret handeln. Chefsache wurde die maritime Politik.
        Nur, der Chef setzte Deutschlands Interessen in Brüssel
        nicht durch. Er, wie der Wirtschaftsminister, erhielt eine
        bittere Niederlage trotz der Tüchtigkeit ihrer Mitarbeiter
        in diesem Politikfeld. Sicher, so etwas kann passieren;
        doch was ich nicht billigen kann, ist das Spiel mit den
        betroffenen Menschen: hohe Erwartungen zu wecken,
        Risiken zu negieren und für den Misserfolg andere ver-
        antwortlich machen. Menschen werden zur Manipulati-
        onsmasse, der Demokratie wird damit geschadet. Im ver-
        gangenen Jahr erreichten Europas Werften gerade noch
        15 Prozent, Deutschlands Anteil lag bei 5,5 Prozent. Für
        beide ist das der geringste Weltmarktanteil der vergange-
        nen 50 Jahre.
        Eine letzte Chance, das Ruder herumzureißen, gibt es
        noch. Am 14. Mai will der EU-Ministerrat noch einmal
        die Wettbewerbsverzerrungen im Weltschiffbau aufgrei-
        fen. Doch der Spielraum ist eng. Die Zeit läuft dem Rat,
        der drei Jahre nichts bewegt hat, davon.
        Die koreanische Schiffbau-Offensive schafft Tatsa-
        chen. Bei den Post-Panamax-Containerschiffen, die
        1988 in Europa entwickelt wurden, gingen im vergange-
        nen Jahr 82 Prozent des Gesamtvolumens nach Fernost.
        Japan konnte 4 Prozent der Aufträge akquirieren, die
        EU-Werften gingen erstmals leer aus. Bei den Kreuz-
        fahrtschiffen, deren Hersteller bisher in Europa zu Hause
        waren, gingen im vergangenen Jahr die ersten Aufträge
        nach Fernost. Auch auf diesem Sektor gibt jetzt Deutsch-
        land erstmals Marktanteile ab. Jeder zweite Neubauauf-
        trag geht heute nach Fernost, Tendenz steigend. Im Wind-
        schatten folgt die Volksrepublik China mit über 7 Prozent
        Auftragsanteil. Beide bauen ihre Kapazitäten aus. Die EU
        dagegen fördert mit Prämien die Stilllegungen von Werf-
        ten. Vor diesem Hintergrund ist die Lage für kleine und
        mittlere Werften, die nicht durch Marineschiffe ihren Auf-
        tragsbestand kompensieren können, besonders bedroh-
        lich, so die Kommission.
        Die Möglichkeiten, den Marktmissbrauch Südkoreas
        im Schiffbau zu beenden, nehmen rapide ab. Die Kom-
        mission ist in Korea gescheitert, jetzt klagt der europä-
        ische Schiffbauverband CESA. Gut drei Jahre dauert es,
        bis die WTO eine Entscheidung fällt, falls, ja falls sie
        überhaupt die Beschwerde annimmt. Koreanischen Ex-
        perten in Europa die rote Karte zu zeigen wird immer un-
        wahrscheinlicher. CESAs Aktivität hat aber den Vorteil
        für den Ministerrat, seine passive Strategie der lustlosen
        Interessenwahrnehmung fortzusetzen mit dem Hinweis,
        das Resultat der Klage abzuwarten.
        Zwei weitere Punkte sollten in der Mai-Debatte nach
        vorne befördert werden: Durch nachhaltige Umweltpoli-
        tik wären bessere internationale Umweltstandards im
        Seeverkehr möglich. 24 Jahre beträgt derzeit das Durch-
        schnittsalter der Schiffe auf unseren Meeren, Tausende in-
        stabile Rostlauben sind darunter. Und von 8 500 weltweit
        eingesetzten Tankern besitzen nur 1 400 eine Doppel-
        hülle. Meereskatastrophen sind täglich möglich. Umwelt-
        wie wirtschaftspolitisch gäbe es einen Sinn, bei Alter und
        Sicherheit der Boote anzusetzen, zu neuen Standards zu
        kommen, damit auch dem Schiffbau einen neuen Drive zu
        geben.
        Und außerdem: Die Kapazitätsbeschränkungen für die
        Werften in Mecklenburg-Vorpommern auf 327 000 CGT
        bestehen immer noch. Sie müssen aufgehoben oder zu-
        mindest gelockert werden. Diese nehmen den Werften in
        Wismar, Rostock, Stralsund und Wolgast jede Luft, Flexi-
        bilität und beeinträchtigen ihre Wettbewerbsfähigkeit.
        Produktivitätsfortschritte können nicht genutzt, zusätzli-
        che Aufträge nicht hereingenommen werden; statt dessen
        müssen Arbeitsplätze abgebaut werden. Die kritische Per-
        sonalgröße ist bereits erreicht, Fachpersonal kann ohne
        Kompetenzverlust nicht weiter abgebaut werden. Haupt-
        gewinner der CGT-Beschränkungen ist Südkorea, dessen
        Werften für ihre unfairen Praktiken noch belohnt werden.
        Dies kann und darf nicht im Sinne der EU-Kommission
        sein. Europäische Werften werden im Kernsegment der
        großen Containerschiffe, die von den ostdeutschen Werf-
        ten besonders günstig gebaut werden, kaum berührt. Die
        Bundes- und die Landesregierung in Schwerin muss diese
        Argumente entschiedener und überzeugender als bisher
        vortragen. Nur dann wird sich die EU-Kommission für die
        Chancengleichheit der Werften in Mecklenburg-Vorpom-
        mern einsetzen. Bei Einführung der Kapazitätsbeschrän-
        kung wurde ein Prüfungsauftrag nach fünf Jahren fest-
        gelegt. Dem sollte zugunsten der Werften schleunigst
        nachgekommen werden.
        Ob volkswirtschaftlich sinnvoll oder nicht, die
        EU-Kommission ist grundsätzlich gegen jegliche Staats-
        hilfen. Deshalb bezeichnen Insider die Mai-Konferenz als
        Alibitreffen; weil die Mehrheit der EU-Länder von
        Förderhilfen weg will. Von einem möglichen Schiff-
        bau-Boom in den nächsten Jahren wären unsere Werften
        damit ausgeschlossen. Deshalb ist es richtig, hier im Par-
        lament die Verhandlungen zu unterstützen. In Sorge um
        über 100 000 direkt betroffene Arbeitsplätze, in Verant-
        wortung für die Zukunft einer erstklassigen, traditionsrei-
        chen Industrie ist nichts unversucht zu lassen. Es ist ein
        Gebot der Stunde, der Bundesregierung eine breite Unter-
        stützung in Brüssel zu bieten.
        Außerdem sollte die Anregung aus dem Kommissions-
        bericht aufgenommen werden, die nationalen und europä-
        ischen Forschungs- und Entwicklungsprogramme auf die
        Besonderheiten der Schiffbaubranche auszurichten und
        ausreichend zu dotieren. Die Innovationsfähigkeit der
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116176
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        Werftindustrie ist, wie die der Luft- und Raumfahrtindus-
        trie, umfangreich zu fördern, und ihre Technologieführer-
        schaft zu stärken.
        Zum Ausgleich von Zinsschwankungen wird von der
        EU als Finanzierungsinstrument die Anwendung von
        CIRR empfohlen. Die Bundesregierung ist aufgefordert,
        eine in der OECD harmonisierte Anwendung sicherzu-
        stellen, um Wettbewerbsnachteile bei der Exportfinanzie-
        rung für die deutsche Werftindustrie zu vermeiden. Die
        Commercial Interest Reverence Rate muss auch für die
        deutschen Werften uneingeschränkt anwendbar sein.
        Nach unserer Auffassung wäre eine baldige Verab-
        schiedung der OECD-Regelung der Königsweg, um end-
        lich aus dem Wettlauf der Subventionen im Schiffbau aus-
        zusteigen. Ziel muss der Abbau aller Staatsförderung sein.
        Unsere Werften könnten dann trotz hoher Produktkosten
        der Konkurrenz standhalten, so ihre eigene Aussage. Ja-
        pan und Korea sind, wie die meisten der Schiffbauländer,
        für ein solches Abkommen. Nur die USA, die es einmal
        selbst angeboten haben, sperren sich. Warum greifen wir
        nicht Japans Angebot auf, ohne Amerika zu einer Eini-
        gung zu kommen?
        Wir von der Union erwarten, dass der Bundeskanzler
        das Thema Weg mit den Subventionen im Schiffbau auf
        die Tagesordnung des kommenden G-7/G-8-Treffens set-
        zen lässt. Wir erwarten, dass damit nicht weiter gezögert
        wird. Der augenblickliche Auftragsbestand auf deutschen
        Werften ist in 24 bis 30 Monaten abgearbeitet. Und sollen
        die Schiffbauer nicht ein Waterloo erleben, ist es zum
        Handeln fünf Minuten vor Zwölf. Vergessen wir nicht,
        Südkorea will seine Marktmacht noch weiter ausbauen,
        China stößt nach. Was sagte ein Schiffbauer bei meinem
        letzten Werftenbesuch: Wir in Deutschland benötigen
        keine Subventionen, aber einen fairen Wettbewerb.
        Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN): Bündnis 90/Die Grünen begrüßen, dass es nach ei-
        nigem Hin und Her doch noch gelungen ist, eine gemein-
        same Position zu finden. Von Anfang an lagen die
        Koalitionsfraktionen und die Opposition nicht allzu weit
        auseinander.
        Wir alle hoffen jetzt, dass sich die Bundesregierung bei
        den Verhandlungen am 15. Mai in der Sitzung des EU-In-
        dustrieministerrats weitgehend durchsetzen kann. Die
        EU-Kommission kann nicht tatenlos zusehen, wenn die
        koreanischen Werften gegen Abmachungen verstoßen
        und somit in erheblichem Umfang Wettbewerbsvorteile
        gewinnen. Die Verhandlungen mit Südkorea müssen da-
        her nachdrücklich und energisch weitergehen.
        Wir möchten, dass mit allen Mitteln auf eine Lösung
        hingearbeitet wird. Ob dies durch bilaterale Verhandlun-
        gen erfolgt oder auf dem Klageweg, ist mittlerweile ne-
        bensächlich. Wir können und wollen es nicht weiter hin-
        nehmen, dass der europäische, vor allem auch unser
        deutscher Schiffbau durch manipulationsähnliche Tricks
        in erheblichem Umfange benachteiligt wird. Es muss jetzt
        schnellstens eine vernünftige Lösung gefunden werden.
        Die Kommission darf nicht die Hände in den Schoß le-
        gen, sie muss die notwendigen Maßnahmen zügig umset-
        zen. Wir erwarten, dass noch im ersten Halbjahr ein wei-
        terer Bericht zur Lage der europäischen Werften vorgelegt
        wird. Darin muss die Kommission darlegen, welcher
        Sachstand sich aufgrund welcher Aktivitäten ergeben hat.
        Und wir wollen, dass dieser Bericht darstellt, welche
        durchgreifenden Sanktionsmöglichkeiten es gibt, bis hin
        zur Bewertung eines Einfuhrstopps für bestimmte
        koreanische Güter. Wir wollen darüber hinaus einen Sach-
        standsbericht über das Welthandelsabkommen im Schiff-
        bau.
        Auch wenn sich im Ausschuss nicht alle Fraktionen da-
        mit anfreunden konnten, werden wir weiter darauf drän-
        gen, dass sich die Bundesregierung dafür einsetzt, dass
        der IWF künftig auch das Mandat erhält, sich zur Über-
        wachung von Kreditbedingungen mit sektoralen Angele-
        genheiten zu befassen.
        Über die Detailregelungen ist bereits alles gesagt. Nur
        einen Punkt möchte ich noch erwähnen, die leidige Sub-
        ventionsfrage. Natürlich können wir bzw. müssen wir
         zumindest moralisch  den heimischen Schiffbau ange-
        sichts der besonderen Umstände unterstützen. Dies kann
        aber kein Dauerzustand sein. Meine Fraktion wird auch in
        diesem Bereich, trotz aller verständlichen Wünsche, da-
        rauf drängen, dass die Subventionen deutlich zurückge-
        fahren werden. Von daher ist es umso drängender, zu ei-
        ner allseits befriedigenden Lösung zu kommen.
        Hans-Michael Goldmann (F.D.P.): Nur Gemeinsam-
        keit kann deutschen und europäischen Werften fairen
        Wettbewerb sichern. Die F.D.P. unterstützt die Bundesre-
        gierung ausdrücklich in ihrer Verhandlungsposition, am
        15. Mai in der Sitzung des EU-Industrieministerrates in
        Brüssel darauf zu drängen und dafür zu sorgen, dass die
        südkoreanischen Werften im Welthandelsschiffbau ihre
        unkorrekten Methoden zur Eroberung hiesiger Marktan-
        teile endlich einstellen.
        Die F.D.P. drängt darauf, dass den Werften in den nord-
        deutschen Küstenländern mit ihren hoch qualifizierten
        Arbeitsplätzen vor Ort, aber auch mit denen der Zuliefer-
        betriebe in den süddeutschen Ländern, die Hilfe zuteil
        wird, die sie weltweit wettbewerbsfähig halten und die
        sie in die Lage versetzen, gegenüber den Südkoreanern,
        die im Schiffsbaumarkt nach wie vor Foul spielen, zu be-
        stehen.
        Der Dritte Bericht der EU-Kommission an den Rat zur
        Lage des Weltmarktes im Schiffbausektor macht über-
        deutlich, dass es die Südkoreaner sind, die für Preisverfall
        und Wettbewerbsverzerrungen zum Nachteil deutscher
        Arbeitsplätze verantwortlich sind. Mit Dumpingpreisen
        zum Teil von mehr als 40 Prozent unter den tatsächlichen
        Baukosten erobern sich die Südkoreaner auf unkorrekte
        Weise Marktanteile. Leider hat die Kommission bis jetzt
        nicht sehr viel erreicht, obwohl die Südkoreaner deutschen
        Schiffbauern auf der Nase herumtanzen. Es war nach Auf-
        fassung der F.D.P. ein schwerer Fehler, dass die Kommis-
        sion auf die Wettbewerbshilfe zum Jahresende verzichtet
        hat, obwohl die Südkoreaner überhaupt keine Kompro-
        miss- und Gesprächsbereitschaft gezeigt haben. Das Ab-
        schieben der Verantwortung an den europäischen Schiff-
        bauverband CESA war falsch.
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16177
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        Nein, hier sind der Bundeskanzler, die Bundesregie-
        rung und alle im Deutschen Bundestag vertretenen Par-
        teien gefordert, sich schützend vor die deutsche Werft-
        industrie und deren Arbeitsplätze zu stellen. Wir dürfen
        nicht hinnehmen, dass unsere Werftindustrie, die hervor-
        ragende Leistungen vollbringt, durch unfaire Methoden
        der Südkoreaner zerstört wird. Deshalb fordert die F.D.P.
        von der Bundesregierung Taten und unterstützt sie bei
        ihren Verhandlungen am 15. Mai 2001 in der Sitzung des
        EU-Industrieministerrates in Brüssel:
        Wir fordern die Bundesregierung auf, darauf zu drän-
        gen, dass die EU-Kommission den ihr vom Ministerrat im
        November 1999 erteilten Verhandlungsauftrag mit der
        südkoreanischen Regierung nachdrücklich und energisch
        weiterführt und sie zu einem positiven Abschluss bringt.
        Wir fordern die Bundesregierung auf, darauf zu drän-
        gen, dass die getroffenen Vereinbarungen der Agreed
        mimetes von der koreanischen Regierung eingefordert
        werden. Ziel muss es sein, dass den koreanischen Werften
        keine Wettbewerbsvorteile von staatlicher Seite gewährt
        werden, sondern dass diese, wie ihre EU-Wettbewerber,
        ebenfalls zu Vollkosten kalkulieren müssen.
        Die F.D.P. drängt darauf, dass entsprechend dem Drit-
        ten Bericht der Kommission an den Rat zur Lage des Welt-
        marktes im Schiffbausektor vom 15. März 2000 bis zur
        Klärung in bilateralen Verhandlungen oder auf dem Kla-
        geweg vor der WTO gegenüber der Regierung Südkoreas
        Entschlossenheit demonstriert und auf eine schnelle Lö-
        sung hingewirkt wird, einen fairen Wettbewerb für deut-
        sche und europäische Werften zu sichern.
        Die F.D.P. drängt darauf, dass neue wirksame Rege-
        lungen zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der euro-
        päischen Werften bis zur Herstellung fairer Wettbewerbs-
        bedingungen auf dem Weltschiffbaumarkt gefunden
        werden.
        Die F.D.P. unterstützt die Bundesregierung in ihrem
        Anliegen, Einfluss auf den EU-Industrieministerrat zu
        nehmen, damit die Kommission sowohl verpflichtet wird,
        die genannten Maßnahmen unverzüglich umzusetzen, als
        auch im ersten Halbjahr einen weiteren Bericht zur Lage
        der europäischen Werften und über den Fortschritt der Ak-
        tivitäten der Kommission vorzulegen. Wir wollen, dass
        die Kommission darstellt, welche wirkungsvollen Sankti-
        onsmöglichkeiten bzw. Möglichkeiten eines Einfuhr-
        stopps es für bestimmte koreanische Güter gibt.
        Die F.D.P. drängt darauf, dass die Bundesregierung ei-
        nen Sachstandsbericht über die Fortschritte beim Ab-
        schluss des Welthandelsabkommens im Schiffbau abgibt.
        Die F.D.P. wird die Leistungen der Bundesregierung und
        speziell des Bundeskanzlers an den Ergebnissen messen,
        die er bei der Sitzung des EU-Industrieministerrates am
        15. Mai 2001 in Brüssel erzielt.
        Das Foulspiel der südkoreanischen Werften muss ein
        Ende haben. Deutsche, aber auch europäische Werften
        insgesamt und deren Arbeitsplätze müssen in einem fai-
        ren Wettbewerb gesichert werden.
        Rolf Kutzmutz (PDS): Natürlich unterstützt auch die
        PDS-Fraktion die vorliegende interfraktionelle Be-
        schlussempfehlung. Schließlich deckt sie sich mit den
        außen- und handelspolitischen Forderungen, die wir in
        unserem eigenen Antrag erhoben haben. Ausdrücklich be-
        grüße ich dabei, dass sich  anders als ursprünglich von
        CDU/CSU gewünscht  zur Form denkbarer neuer Bei-
        hilfen für den heimischen Schiffbau nicht festgelegt wird.
        Schließlich müsste vor einer Neuauflage tatsächlich erst
        einmal ernsthaft über die Lastenverteilung für die öffent-
        lichen Haushalte geredet werden.
        Dass die Küstenländer zwei Drittel und der Bund den
        Rest davon tragen sollen, ist für uns jedenfalls nicht län-
        ger hinnehmbar. Rund 30 Prozent der mit dem Schiffbau
        verbundenen Wertschöpfung finden schließlich allein in
        Bayern und Baden-Württemberg statt. Das war erst am
        Mittwoch wieder zu hören, diesmal auf einem parlamen-
        tarischen Abend von Blohm & Voss in Hamburg.
        Im Übrigen muss ich aber bei meiner Feststellung vom
        vergangenen Monat bleiben: Es ist gut und richtig, dass
        der Bundestag der Regierung ordentlichen Rückenwind
        für die Verhandlungen über die Südkorea-Strategie im
        EU-Ministerrat gibt. Das allein dürfte den deutschen und
        europäischen Werften aber nicht viel weiter helfen.
        Wohin die Reise gehen müsste, will ich nur an zwei
        Meldungen der letzten Tage illustrieren: Die Peene-Werft
        in Wolgast konnte am Sonntag Aufträge für elf Contai-
        nerschiffe und die Option auf zwei weitere bekannt geben.
        Grund des Erfolgs laut Eigentümer Hegemann: neben ge-
        stiegenem Dollarkurs und anziehenden Charterraten die
        völlige Neuentwicklung dieser Serie.
        In Japan fusionieren nach Hitachi Zosen und NKK nun
        auch IHI und Kawasaki Heavy. Die hiesigen Werften ha-
        ben es nun nicht mehr nur mit Mitsubishi Heavy, sondern
        gleich mit drei Giganten zu tun, von denen jeder einen
        Jahresumsatz zwischen 1,7 und 2,6 Milliarden Euro er-
        wirtschaftet. Zum Vergleich: Die Thyssen-Werften kamen
        im vergangenen Jahr auf 842 Millionen Euro, HDW in-
        klusive seiner Auslandstöchter auf knapp 1 Milliarde
        Euro.
        Ob und wie angesichts solcher Trends das neue Tech-
        nologieprogramm im Hause von Ministerin Bulmahn
        oder die gewiss verdienstvollen Aktivitäten des mariti-
        men Koordinators, Herrn Staatssekretär Gerlach aus dem
        Wirtschaftsministerium, der erst gestern hier in Berlin ei-
        nen Workshop zu Kooperationsmöglichkeiten ausgerich-
        tet hat, effektiv und ausreichend sind  das sollten wir
        kontinuierlich weiter prüfen.
        Zum Schluss  aber nicht zuletzt  will ich hier aber
        auch nochmals auf das Problem der Kapazitätsbeschrän-
        kungen für die ostdeutschen Werften verweisen. Das hat
        sicher weniger mit Südkorea, aber sehr viel mit dem In-
        dustrieministerrat zu tun. Zwar könnte diese Frage nach
        den Vorschlägen der Bundesregierung von der Kommis-
        sion autonom entschieden werden. Wir vermuten jedoch,
        dass sie sehr wohl mit dem allgemeinen europäischen
        Beihilfenregime verknüpft wird.
        Die Bundesregierung sollte deshalb der Kommission
        wie auch den anderen Mitgliedstaaten zumindest eines
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116178
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        klarmachen: Je flexibler die Beschränkung gehandhabt
        wird, desto kleiner ist der Beihilfebedarf für einen be-
        achtlichen Teil der deutschen Werftindustrie. Und daran
        müsste ja allen gelegen sein.
        Anlage 5
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung
         des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bun-
        desdatenschutzgesetzes und anderer Gesetze
         der Unterrichtung: Tätigkeitsbericht 1997 und
        1998 des Bundesbeauftragten für den Datenschutz
         17. Tätigkeitsbericht 
        (Tagesordnungspunkt 19 a und b)
        Jörg Tauss (SPD): Der Datenschutz und das Grund-
        recht auf informationelle Selbstbestimmung sehen sich
        angesichts der technischen Entwicklungen in der Kom-
        munikationstechnologie, aber auch beispielsweise in der
        Biotechnologie, in der medizinischen Forschung und an-
        gesichts eines wachsenden Missbrauchs personenbezoge-
        ner Daten in den neuen Medien vor enormen Herausfor-
        derungen. Mit der zweiten und dritten Lesung zum
        Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesdatenschutzge-
        setzes und anderer Gesetze werden heute die Weichen zur
        Bewältigung dieser Probleme richtig gestellt.
        Durch die Umsetzung der EG-Datenschutz-Richtlinie
        wird europaweit ein einheitliches Datenschutzniveau ge-
        schaffen und werden einheitliche Maßstäbe für die Erhe-
        bung und Verarbeitung von Daten in der Europäischen
        Union festgelegt. Die zentralen Ziele der EG-Daten-
        schutz-Richtlinie lauten zusammengefasst: Transparenz
        der Datenverarbeitung und Akzeptanz der Verbraucher
        und Nutzer.
        Über die Umsetzungspflicht der Richtlinie hinaus sind
        in diesem Gesetzentwurf bereits einige Elemente eines
        neuen und modernen Datenschutzrechtes aufgenommen,
        die auch für die zweite Stufe einer Gesamtreform von Be-
        deutung sind. Dazu zählen beispielsweise die Aufnahme
        der Prinzipien der Datenvermeidung und Datensparsam-
        keit, die Regelungen für mobile Speichermedien  Chip-
        karten  und Regelungen zur Videoüberwachung, für die
        es  im privaten Bereich  bislang keine Regelungen gab.
        Ein wesentliches Modernisierungselement stellt die
        künftige Möglichkeit eines freiwilligen Datenschutzau-
        dits dar. Eine solche Auditierung trägt künftig mit dazu
        bei, die Ergebnisse der Selbstregulierung transparent zu
        machen. Zugleich könnte sie die Wahrnehmung des Da-
        tenschutzes als Qualitäts- und Wettbewerbsfaktor stärken
        und damit deutlich machen, dass Datenschutz eben nicht
        nur als Kostenfaktor für Unternehmen anzusehen ist, son-
        dern vor allem einen , wenn auch nicht kurz-, so aber
        doch mittel- und längerfristig  entscheidenden Wettbe-
        werbs- und Standortvorteil darstellen kann. Eine solche
        Zertifizierung; mit der die Unternehmen werben könnten,
        hätte nicht nur die unmittelbare Folge, dass aus Perspek-
        tive des Datenschutzes unbedenkliche Produkte auf den
        Markt kommen, sondern könnte ebenfalls das Bewusst-
        sein um die Bedeutung des Datenschutzes in der Infor-
        mationsgesellschaft erhöhen.
        Seitens der Wirtschaft gab es hierzu sowohl unterstüt-
        zende als auch kritische Anmerkungen. Natürlich gilt es,
        diese Bedenken ernst zu nehmen. Aufgabe der Politik ist
        es nun, gesetzliche Regelung zur Durchführung und Kon-
        trolle eines solchen Auditierungsverfahrens zu ent-
        wickeln, die diesen Bedenken gerecht werden und mit de-
        nen bestimmte Verhaltensregeln und Mindeststandards
        vorgegeben werden.
        Ich möchte nicht noch einmal auf die einzelnen Rege-
        lungen und die strittigen Punkte dieses Gesetzentwurfes
        im Detail eingehen, sondern vielmehr den Blick auf die so
        genannte zweite Stufe der Modernisierung des Informati-
        onsrechtes lenken und Sie herzlich zur konstruktiven Mit-
        arbeit einladen. Hierzu haben wir ja heute Morgen auch
        ein Gespräch geführt.
        Warum eigentlich eine zweite Stufe? Immer mehr Le-
        bensbereiche in der sich entfaltenden Wissens- und Infor-
        mationsgesellschaft werden von den neuen Informations-
        und Kommunikationstechniken durchdrungen. Damit
        wird eine dieser Gesellschaftsformation angemessene
        neue Datenschutzpolitik notwendig; denn ohne einen bes-
        seren Schutz der Privatsphäre wird es keine demokratisch
        verantwortbare Informationsgesellschaft geben.
        Einige Zahlen können dies belegen: 74 Prozent fühlen
        sich nach einer Umfrage von Opaschowski durch Daten-
        missbrauch betroffen und 55 Prozent sagen, Datenschutz
        solle wieder eine größere Bedeutung haben. Nach einer
        Umfrage der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen aus
        dem Jahr 2000 haben 62 Prozent der Internetnutzer wegen
        des nicht gewährleisteten Datenschutzes noch nicht on-
        line bestellt oder gekauft.
        Auch die Tätigkeitsberichte des Bundesbeauftragten
        für den Datenschutz  auch diese stehen ja heute zur
        Beratung an  können als Beleg hierfür dienen. Dem
        18. Tätigkeitsbericht zufolge müssen Bürgerinnen und
        Bürger in Deutschland immer häufiger mit Eingriffen in
        ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung
        rechnen, sei es durch Überwachungsmaßnahmen, die im-
        mer häufigere Videoüberwachung im privaten Bereich
        oder das Ausspähen von Daten bei der Nutzung der neuen
        IuK-Möglichkeiten, beispielsweise des Internet. Der
        Bundesdatenschutzbeauftragte äußerte völlig zu Recht
        am Donnerstag große Sorge, dass zum Beispiel die An-
        ordnungen von Telefonüberwachung seit 1995 um mehr
        als 170 Prozent zugenommen hätten, ohne dass ein Grund
        dafür ersichtlich sei. In der Kriminalitätsentwicklung
        scheinen diese Gründe, wie die Zahlen belegen, nicht zu
        liegen, sodass wir hierüber einmal ruhig und sachlich re-
        den müssen.
        So ist und bleibt es ein wichtiges Ziel dieser rot-grünen
        Bundesregierung, die in den vergangenen Jahren einge-
        führten Regelungen, die eine Erweiterung der
        Eingriffsbefugnisse der Behörden zum Ziel hatten, hin-
        sichtlich ihrer Notwendigkeit und Wirksamkeit zu eva-
        luieren  wobei hier gerade seitens der Bundesländer eine
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16179
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        größere Bereitschaft notwendig wäre. Dabei ist  wie ge-
        genwärtig bei der Diskussion um den Entwurf für eine Te-
        lekommunikationsüberwachungsverordnung  besonders
        dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Eingriffsmög-
        lichkeiten in das Telekommunikationsgeheimnis durch
        berechtigte Stellen immer auch missbräuchliche Ein-
        griffe durch unberechtigte Dritte zur Folge haben können.
        Die Stuttgarter Nachrichten schreiben heute zum
        Thema Datenschutz: In unserer vernetzten, indiskreten
        Gesellschaft bleibt wenig geheim, praktisch gar nichts.
        Nicht die Kreditbelastung, nicht das Konsumverhalten,
        auch nicht Adresse und Telefonnummer. Von Privatheit
        keine Spur, nicht mal der Gang durchs Museum ist noch
        unsere Sache: Wenn wir Pech haben, tauchen wir kurz da-
        rauf im Internet auf. Es gibt also viele ungute Gründe,
        wachsam zu sein. Wer finstere Mächte am Werk glaubt,
        wenn mitgehört und ausgeforscht wird, täuscht sich. Die
        Absichten sind lauter, stets geht es um die Aufklärung ver-
        meintlicher Straftaten. Auch der Rechtsstaat ist nicht feh-
        lerfrei. Fazit: Wer nichts verbirgt, hat viel zu befürchten.
        So weit die Stuttgarter Nachrichten, denen ich an dieser
        Stelle zustimme.
        Der Schutz der personenbezogen Daten und die Trans-
        parenz der Datenverarbeitung werden  so können diese
        Überlegungen zusammengefasst werden  neben dem
        Schutz von Persönlichkeitsrechten sowohl zu zentralen
        Akzeptanzvoraussetzungen als auch zu entscheidenden
        Wettbewerbsfaktoren.
        Fazit: Will die Gesellschaft beim Übergang zur Wis-
        sens- und Informationsgesellschaft am Ziel eines freiheit-
        lich-demokratischen Gemeinwesens festhalten und will
        sie auch die wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen
        Potenziale nicht gefährden, kommt sie nicht umhin, auch
        in einer vernetzten und digitalisierten Welt das Grund-
        recht auf informationelle und kommunikative Selbstbe-
        stimmung zu bewahren. Die Entwicklung eines modernen
        Datenschutzkonzeptes ist und bleibt damit ein zentrales
        Reform- und Modernisierungsprojekt der nächsten Jahre.
        Schwerpunkte der zweiten Stufe der Modernisierung
        des Datenschutzrechtes werden insbesondere sein:
        Erstens: Datenschutz durch Technik. Die Möglichkei-
        ten der informationstechnischen Sicherheit müssen als ein
        zentrales Instrument zur Umsetzung eines neuen
        Datenschutzes verstanden werden. Um zu einem wirk-
        lich effektiven Datenschutz zu kommen, muss das Zu-
        sammenwirken zwischen Datenschutz und Datensicher-
        heit intensiviert werden.
        Zweitens: Vereinfachung und Verschlankung. Ange-
        sichts der Unübersichtlichkeit und Kompliziertheit des
        Datenschutzrechts sollte im Interesse von datenverarbei-
        tenden Stellen und Nutzern eine erhebliche Vereinfa-
        chung und Verschlankung des Datenschutzrechts im Vor-
        dergrund stehen. Nur wenn der Einzelne seine Rechte
        überhaupt kennt, kann er diese auch wahrnehmen. Ver-
        einfachung und Verschlankung dürfen natürlich nicht zu
        einer Aufweichung der verfassungsrechtlich garantierten
        Rechte oder zur Einschränkung oder Abschwächung be-
        währter Verfahren des Datenschutzes führen. Diese Ziele
        erweisen sich aber vor allem deshalb als notwendig, um
        zu widerspruchsfreien, einheitlichen, praktikablen und
        vor allem auch verständlichen Regelungen zu gelangen.
        Selbst die Datenschutzexperten klagen über eine kaum
        noch zu überblickende Normenflut auf dem Gebiet des
        Datenschutzrechts. Das allgemeine und das bereichsspe-
        zifische Datenschutzrecht bedarf daher einer Durchfors-
        tung und Überprüfung. So hat in den vergangenen Jahren
        die Bedeutung des Bundesdatenschutzgesetzes durch im-
        mer neue bereichsspezifische Regelungen tendenziell ab-
        genommen. Mit der Umsetzung der zweiten Stufe ergibt
        sich die Möglichkeit, durch eine Aufwertung des BDSG
        die Menge der bereichsspezifischen Regelungen deutlich
        zu reduzieren. Dazu zählt  gerade bei den neuen luK-
        Möglichkeiten  beispielsweise die Frage, wie sich
        Abgrenzungsprobleme zwischen Telekommunikations-
        gesetz, Teledienstedatenschutzgesetz und den Da-
        tenschutzregelungen des Mediendienste-Staatsvertrages
        vermeiden lassen und ob hier gegebenenfalls Anpas-
        sungsbedarf besteht. Dazu zählt auch die meiner Meinung
        nach dringend notwendige Anpassung von Teil 11 des
        Telekommunikationsgesetzes, TKG, an die neuen daten-
        schutzrechtlichen Instrumente des Teledienstedaten-
        schutzgesetzes, des TDDSG.
        Drittens: Stärkung des Selbstschutzes. Eine große Be-
        deutung kommt in einem neuen Datenschutzrecht den
        Möglichkeiten des Selbstschutzes für den einzelnen Nut-
        zer zu. Dazu bedarf es insbesondere der weiteren Ent-
        wicklung von Selbstschutzinstrumenten  zum Beispiel
        der digitalen Signatur und der Verschlüsselungssoft-
        ware , was zugleich eine Herausforderung an eine zu-
        kunftsgerichtete Forschungsförderpolitik ist. Außerdem
        ist der Aufbau einer Sicherungsinfrastruktur für die Nut-
        zung dieser Selbstschutzmechanismen unabdingbar,
        wofür die Politik Rahmenbedingungen formulieren muss.
        Notwendig ist darüber hinaus die Förderung des Bewusst-
        seins um die Möglichkeiten des Selbstdatenschutzes und
        des Systemdatenschutzes. Dies kann zum einen durch
        Maßnahmen zur Aufklärung über die Chancen und Risi-
        ken der neuen Informations- und Kommunikationstechni-
        ken geschehen, zum anderen aber auch dadurch, dass die
        öffentliche Verwaltung entsprechende Techniken einsetzt
        und Ansätze zu electronic government gezielt gefördert
        werden.
        Viertens: Systemdatenschutz. Um die nun festge-
        schriebenen Gebote der Datensparsamkeit und der Daten-
        vermeidung mit Leben zu füllen, sollten die Systeme
        der Diensteanbieter nach dem Prinzip des Systemdaten-
        schutzes organisiert werden. Die informationsverarbei-
        tenden Systeme sollten so konstruiert werden, dass sie
        möglichst wenig personenbezogene Daten verarbeiten
        müssen  und können , um ihre jeweilige Aufgabe zu er-
        füllen.
        Fünftens: neue Technologien. In den vergangenen Ta-
        gen wurde in den Medien die Frage von heimlichen Gen-
        tests thematisiert. Natürlich stellt sich die Frage eines
        modernen Datenschutzrechtes also nicht nur im Zusam-
        menhang mit den neuen Möglichkeiten der Informations-
        und Kommunikationstechnik. Auch andere neue Techno-
        logien bergen erhebliche Gefährdungspotenziale für das
        Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Das gilt
        beispielsweise für diese heimlichen Genomanalysen und
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116180
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        für die Nutzung dieser Informationen, beispielsweise
        durch Versicherungen. Auch diese Gefährdungspoten-
        ziale gilt es auszuloten und  wo nötig  gesetzlich zu
        regeln.
        Sechstens: anonyme und pseudonyme Nutzung.
        Grundlegende Bedeutung kommt gerade bei der Nutzung
        der neuen Informations- und Kommunikationsmöglich-
        keiten der pseudonymen Nutzungsmöglichkeit als Mittel
        des Selbstdatenschutzes zu, die gefördert werden sollte.
        Mit einer pseudonymen Nutzungsmöglichkeit werden die
        personenbezogenen Daten zwar nicht reduziert, jedoch
        wird damit die Zurückverfolgung der gespeicherten und
        verarbeiteten Daten zu einer tatsächlichen Person wirk-
        sam verhindert  außer im Streitfall.
        Siebtens: Schutz der Kommunikation am Arbeitsplatz.
        Nach jahrelangen Ankündigungen müssen im Rahmen
        dieser zweiten Stufe  unter Einbeziehung aller Beteilig-
        ten  Regelungen zum Schutz der Kommunikationspro-
        zesse am Arbeitsplatz entwickelt werden. Rechtssicher-
        heit in diesem Bereich ist übrigens sowohl im Interesse
        der Arbeitgeber als auch der Beschäftigten: Bei der Ent-
        wicklung zu computergestützter Arbeit im Betrieb und im
        Rahmen von Telearbeit wachsen die Daten in Umfang und
        Qualität stark an, ohne dass sie in angemessener Weise ge-
        schützt sind und einer angemessenen Kontrolle unterlie-
        gen. Lediglich die Ausweitung des Fernmeldege-
        heimnisses auch auf innerbetriebliche Kommunikation
        hat in den letzten Jahren zu einem Zuwachs an Schutz ge-
        führt.
        Achtens: Regulierte Selbstregulierung. Die in der
        EU-Datenschutz-Richtlinie enthaltene Verpflichtung, im
        nationalen Datenschutzrecht ergänzende Möglichkeiten
        der Selbstregulierung vorzusehen, sollte nicht als unver-
        einbare Systemwidrigkeit, sondern als Chance begrif-
        fen werden, dieses Instrument für den Schutz des Rechts
        auf informationelle Selbstbestimmung fruchtbar zu ma-
        chen. Es kann nicht mehr Regelungen für jedes Detail in
        jedem Prozess geben  und erst recht nicht durchgesetzt
        werden. Entsprechende Regelungen sollten sich an den
        Erfahrungen von Staaten orientieren, die bereits Erfah-
        rungen mit Selbstregulierung im Bereich des Daten-
        schutzes gesammelt haben. So können auch mögliche
        Schwächen im Hinblick auf Repräsentativität und Umset-
        zung in den jeweiligen Branchen, die diese codes of
        conduct haben, erkannt und vermieden werden. Selbst-
        regulierungsmechanismen setzen jedoch gesetzliche Rah-
        menbedingungen voraus für den Fall, dass diese versagen.
        Die Betroffenen dürfen in einem solchen Fall nicht
        schutzlos sein.
        Neuntens: Verbesserung der Kontrolle. Wirksame und
        unabhängige Kontrolle ist die Voraussetzung eines erfolg-
        reichen Datenschutzes. Wenn man Datenschutz zuneh-
        mend als Querschnittsaufgabe begreifen will, muss dies
        auch institutionelle Folgen haben. Zu fragen und abzuwä-
        gen sein wird in dieser zweiten Stufe auch die Stellung des
        Bundesbeauftragten für den Datenschutz.
        Zehntens: Informationsfreiheitsgesetz. Als Kehrseite
        derselben Medaille müssen wir auch über den Zugang zu
        Informationen reden. Die Koalition hat in ihrem Koaliti-
        onsvertrag angekündigt, ein Informationsfreiheitsgesetz
        vorzulegen. Im Sommer soll dieser Entwurf vorliegen und
        beraten werden.
        Auf Initiative der Koalitionsfraktionen hat der Unter-
        ausschuss Neue Medien beschlossen, diese zweite
        Stufe der Modernisierung des Informationsrechtes zu-
        gleich als Pilotprojekt einer elektronischen Demokratie
        zu begleiten. Hierzu werden in Abstimmung mit allen
        Fraktionen die letzten Detailfragen geklärt. Ich will als
        Vorsitzender des Unterausschusses und zugleich im Na-
        men der Vorsitzenden des Innenausschusses, Ute Vogt,
        alle Fraktionen auch zur Mitarbeit an diesem E-Demo-
        kratie-Pilotprojekt herzlich einladen. Dieses E-Demokra-
        tie-Pilotprojekt bietet eine hervorragende Gelegenheit,
        die immensen Chancen der neuen Informations- und
        Kommunikationsmöglichkeiten für den politischen Pro-
        zess als auch zur Ermöglichung von mehr Partizipation zu
        erkennen und zu nutzen  im Interesse eines modernen
        und angemessenen Informationsrechtes der Bürgerinnen
        und Bürger und im Dialog mit ihnen und der Fachszene.
        Eine demokratische und verantwortbare Informations-
        und Wissensgesellschaft darf, wie ausgeführt, die neuen
        Möglichkeiten des Dialoges nicht verstreichen lassen.
        Wenn wir dies jetzt auch mit diesem Zukunftsthema
        verbinden, haben wir für die bürgernahe Informationsge-
        sellschaft einen weiteren Beitrag geleistet. Heute aber
        verabschieden wir zunächst die erste Stufe. Dies ist ein
        wichtiger Schritt und, wie ausgeführt, ein Schritt zu wei-
        teren interessanten Projekten.
        Zuletzt möchte ich der Opposition herzlich danken für
        die konstruktive Zusammenarbeit in der Schlussphase
        dieses Gesetzgebungsverfahrens.
        Beatrix Philipp (CDU/CSU): Seit ich mich intensiver
        mit dem Bereich Datenschutz befasse, habe ich in Ab-
        wandlung eines Sprichwortes öfters gedacht: Daten-
        schutz ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Lei-
        den schafft. Nun ist Leidenschaft an sich nichts
        Schlechtes  es sei denn, man verliert dadurch völlig die
        Orientierung.
        Aber nun Spaß beiseite, Thema ist heute die zweite und
        dritte Beratung zur Änderung des Bundesdatenschutzge-
        setzes und die Beschlussempfehlung des Innenausschus-
        ses zum 17. Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für
        den Datenschutz zu den Jahren 1997 und 1998. Beides
        sind gewichtige Themen, und es ist schade, dass wir beide
        Themen in einer nur halbstündigen Debatte verwursteln
        müssen.
        Ich möchte nur ein paar kurze Anmerkungen zum
        17. Tätigkeitsbericht machen: Wir haben zu einem sehr
        späten Zeitpunkt über den 17. Tätigkeitsbericht für die
        Jahre 1997 und 1998 gesprochen, nämlich im Herbst
        2000. Das ist eine Verzögerung von zwei Jahren! Wir wa-
        ren uns alle einig, dass eine zeitnahe Beratung der Sache
        sicherlich dienlicher gewesen wäre. Insofern bin ich froh,
        dass der Bundesdatenschutzbeauftragte gestern den Be-
        richt für 1999 und 2000 vorgestellt hat, den wir ja nun
        auch bald beraten werden  so hoffe ich doch!
        Was den Bericht betrifft, so wäre es eine erhebliche
        Erleichterung, wenn herausgehobene Beanstandungen
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16181
        (C)
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        als inzwischen erledigt oder als noch nicht erledigt oder
        als strittig gekennzeichnet würden. Das würde die Lesbar-
        keit und die Beratung erheblich erleichtern und verkür-
        zen. Ich gehe auch davon aus, dass die Forderungen aus
        dem 17. Bericht aufgegriffen und in absehbarer Zeit er-
        füllt werden.
        Ich komme nun zur Änderung des Bundesdaten-
        schutzgesetzes: Sie beinhaltet einerseits die Angleichung
        an die EU-Richtlinie 94/46 EG, die überfällig war, wie wir
        alle wissen. Andererseits finden Sie in der Drucksache ein
        paar Bereiche, die aus der noch für diese Legislaturperi-
        ode vorgesehenen Novellierung des Datenschutzgesetzes
        quasi vorgezogen wurden.
        Wie gesagt, zweifellos war die Umsetzung der EU-
        Richtlinie überfällig. Insofern war die Bereitschaft zur zü-
        gigen Beratung auf allen Seiten vorhanden, und auch
        Kompromissbereitschaft war vorhanden. So konnte bei-
        spielsweise bei der Aufgabendefinition für den Daten-
        schutzbeauftragten ein gemeinsamer Kompromiss er-
        reicht werden. Anders sieht es mit den eben erwähnten so
        genannten vorgezogenen Punkten aus. Das sind erstens
        die Einführung eines Datenschutzaudits, zweitens die
        Videoüberwachung und drittens die Chipkartenregelung.
        Zwei Anträge unserer Fraktion machen unsere Beden-
        ken deutlich: Erstens. Das geplante Datenschutzaudit
         gemäß BDSG-E § 9 a  wird von uns abgelehnt. Zwei-
        tens. Die Vorschriften zur Videoüberwachung  BDSG-E
        § 6 b  erscheinen uns unzureichend.
        Hinsichtlich des Datenschutzaudits stelle ich fest: Ers-
        tens. Es belastet die Wirtschaft finanziell in besonderem
        Maße. Zweitens. Es ist eine Arbeitsbeschaffungsmaß-
        nahme für einen neuen Berufszweig, nämlich so genannte
        Auditoren. Drittens. Es regelt einen Bereich, den der
        Markt selbst regeln kann, und entspricht damit nicht der
        immer gepriesenen Entbürokratisierung und Deregu-
        lierung.
        Es ist geplant, den betrieblichen Datenschutzbeauf-
        tragten  seit Jahren bewährten und engagierten Fach-
        leuten in Sachen Datenschutz  externe Kontrolleure
        beizugeben, nämlich einen oder mehrere externe Daten-
        schutzauditoren, die das Datenschutzkonzept der Betriebe
        überprüfen und dafür dann ein Siegel-Zertifikat oder
        Ähnliches vergeben. Wer die Erfahrungen mit der ISO
        9000-Norm kennt, weiß, dass  direkt oder indirekt 
        Druck entsteht, der bis zum kleinsten Zulieferer weiterge-
        geben wird, nämlich Druck, ein Audit durchzuführen.
        Dass es sich dabei zunächst noch um eine freiwillige Auf-
        gabe handelt, verbessert die Situation auch nicht. Wenn
        der Markt es erforderlich macht, wird der Markt es regeln.
        Warum ein Gesetz?
        Auch dass es sich bei dem Datenschutzaudit um ein
        Modellprojekt  wie betont wird  handelt, hilft nicht,
        es auf Dauer nicht verbindlich werden zu lassen, zulasten
        der Wirtschaft.
        Als NRW-Abgeordnete habe ich bisher schlechte Er-
        fahrungen mit Modellprojekten gemacht, weil man immer
        schon zu Beginn wusste, wie das Projekt endet, nämlich
        immer im Sinne des Projektes, das heißt positiv!
        Es fehlen die Ausführungsbestimmungen zum Daten-
        schutzaudit. Da es, wie gesagt, keinen Zeitdruck in dieser
        Frage gibt, macht mich das ausgesprochen misstrauisch!
        Nichts ist so haltbar wie ein Provisorium! Heute nur über
        das Ob und nicht gleichzeitig über das Wie zu ent-
        scheiden, halte ich vor dem Hintergrund der Belastungen,
        die Sie zurzeit der Wirtschaft sowieso schon zumuten, für
        nicht vertretbar!
        Hier geht es um den untauglichen und kostenintensiven
        Versuch, in Bewährtes einzugreifen, nämlich in den gut
        funktionierenden Datenschutz in den Betrieben. Zwar
        weisen SPD und Bündnis 90/Grüne immer wieder darauf
        hin, dass es sich hier um die Einführung eines freiwilligen
        Datenschutzaudits handelt. Aber seit wann und warum
        müssen wir denn Freiwilligkeit in Gesetzen festschreiben?
        Die CDU/CSU-Fraktion hat ein intensives Experten-
        gespräch mit Vertretern der Wirtschaft, des Handwerks
        und verschiedener Verbände durchgeführt. Einhellig
        lehnten alle Experten die geplante Einführung eines Da-
        tenschutzaudits ab. Die Argumente allein von zwei nam-
        haften deutschen Unternehmen, positiv zum Audit zu ste-
        hen, haben  das wissen Sie so gut wie ich  sehr
        durchschaubare und nicht übertragbare Gründe.
        Ich will noch einmal die Hauptgründe gegen das Da-
        tenschutzaudit nennen. Erstens. Die Einführung eines Da-
        tenschutzaudits schwächt die Stellung des betrieblichen
        Datenschutzbeauftragten. Bisher haben die betrieblichen
        Datenschutzbeauftragten und die ihnen übergeordneten
        Aufsichtsbehörden sehr gut zusammengearbeitet, wie
        beide Seiten betonen. Die betriebliche Selbstkontrolle
        durch betriebliche Datenschutzbeauftragte hat sich be-
        währt. So ist es uns unverständlich, warum durch ein Da-
        tenschutzaudit nun eine Art Dreifach-Kontrolle einge-
        führt werden soll: neben der Selbstkontrolle durch
        betriebliche Datenschutzbeauftragte und der Fremdkon-
        trolle durch die Aufsichtsbehörden nun auch noch ein
        Datenschutzaudit durch von außen eingeflogene, ex-
        terne Auditoren.
        Auch die beabsichtigte Verbesserung sehe ich nicht.
        Datenschutz ist schließlich ein Prozess; beim Daten-
        schutzaudit handelt es sich jedoch nur um eine Moment-
        aufnahme! Auch inhaltlich kann ich also keinen Fort-
        schritt erkennen.
        Aber viele Fragen bleiben: Welche Konsequenzen hat
        ein durchgeführtes Audit ? Welche Probleme können ent-
        stehen  zum Beispiel dann, wenn Gutachter und Daten-
        schutzkontrollbehörden zu unterschiedlichen Bewertungen
        gelangen, von der Meinung des betrieblichen Datenschutz-
        beauftragten einmal ganz abgesehen? Wer garantiert die
        Unabhängigkeit und vor allem die Qualifikation der Audi-
        toren? Der TÜV Rheinland bildet bereits innerhalb von
        zwei Tagen so genannte Auditoren aus!
        Viele betriebliche Datenschutzbeauftragte haben als
        Informatiker einen Hochschulabschluss oder zwei Jahre
        berufsbegleitende Fortbildung absolviert. Sind die bishe-
        rigen Qualifikationen überflüssig? Führen die bisherigen
        Ausbildungen zur Überqualifikation? Das sind Fragen,
        die meines Erachtens vor der Einführung geklärt werden
        mussten und müssen.
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116182
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        (D)
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        Zweitens. Die Kosten für die Wirtschaft sind immens
        und kaum abschätzbar.
        Drittens. Ich zitiere aus der Beschlussempfehlung des
        Innenausschusses auf Drucksache 14/5793:
        Die geplante Regelung wird voraussichtlich durch
        folgende Änderungen zu Mehrbelastungen der Wirt-
        schaft führen: Durch die Einführung von Informati-
        onspflichten im Rahmen der Erhebung personenbe-
        zogener Daten beim Betroffenen auch im nicht
        öffentlichen Bereich sowie durch die Einführung der
        sog. Vorabkontrolle für bestimmte automatisierte
        Verarbeitungen sind Mehrbelastungen zu erwarten.
        Ferner kann die nach dem Gesetzentwurf gebotene
        Auswahl von Kommunikationstechnik am Maßstab
        des Prinzips der Datenvermeidung und -sparsamkeit
        Mehrausgaben verursachen.
        Große Automobilkonzerne rechnen mit zusätzlichen
        Kosten von circa 10 bis 20 Millionen DM für das Daten-
        schutzaudit, vom personellen und bürokratischen Mehr-
        aufwand ganz zu schweigen.
        Viertens. Sollte der Markt auf Dauer tatsächlich ein
        Datenschutzaudit notwendig machen, dann wird es kom-
        men. Die Wirtschaft reguliert sich selbst besser und fle-
        xibler, als jedes Gesetz es tut. Im Gegenteil: Durch die
        Einführung des Datenschutzaudits droht vielmehr eine
        Marktverzerrung! Schon bei der IS0 9000-Norm war
        dies zu beobachten. Zertifizierte Betriebe arbeiten nur
        noch mit kleineren zusammen, wenn diese ebenfalls über
        das gewünschte Zertifikat verfügen. Denken Sie einmal
        an den Handwerksbetrieb mit seinem Meister, den drei
        Gesellen und der Meisterfrau, die die Buchhaltung macht.
        Die Kosten für ein Datenschutzaudit wären für diese klei-
        nen Betriebe eine zusätzliche Belastung und kaum zu ver-
        antworten.
        In den letzten Tagen ging mir eine Pressemitteilung des
        Landesbeauftragten für Datenschutz in Schleswig-Hol-
        stein, Dr. Bäumler, zu. Ab sofort wird in Schleswig-Hol-
        stein ein Datenschutzaudit für öffentliche Stellen durch-
        geführt. Für nicht öffentliche Stellen existiert jetzt ein
        Datenschutz-Gütesiegel.
        Ich darf aus dieser Pressemitteilung zitieren: Gütesie-
        gel sind primär dazu da, den Behörden die Auswahl sol-
        cher Produkte zu erleichtern, die mit den Datenschutzbe-
        stimmungen in Einklang stehen. Hier zeigt sich doch
        schon der von mir kritisierte indirekte Zwang, den wir
        nicht wollen und aufgrund der guten Erfahrungen mit dem
        betrieblichen Datenschutz auch nicht brauchen.
        Aus diesen Gründen hat die CDU/CSU-Fraktion den
        Antrag gestellt, das Datenschutzaudit ersatzlos zu strei-
        chen. Sollten Ausführungsbestimmungen, also auch das
        Wie, bekannt sein, denken wir neu nach, wenn es uns
        denn dann sinnvoller erscheint als heute.
        Auch die Vorschriften zur Videoüberwachung sind im
        Vorgriff auf die zweite Stufe des BDSG heute Gegenstand
        der Beratung. Es handelt sich um die Beobachtung öf-
        fentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen
        Einrichtungen. Eine öffentliche Anhörung des Innenaus-
        schusses hat sehr unterschiedliche Auffassungen von Sinn
        und Zweck, von Möglichkeiten und Grenzen der Video-
        überwachung deutlich gemacht. Insofern hätten wir auch
        bei diesem Punkt gerne ausschussübergreifende Regelun-
        gen gefunden. Videoüberwachung hat mehrere Ziele; sie
        ist schließlich kein Selbstzweck!
        Es geht um das Sicherheitsempfinden unserer Bürger,
        von dem wir wissen, dass es sich vom tatsächlichen Be-
        drohungspotenzial oft erheblich unterscheidet. Dies sollte
        uns zu denken geben und den Versuch wert sein, die Fak-
        ten einerseits und das Gefühl andererseits nicht weiter
        auseinanderdriften zu lassen.
        Insofern war uns die Formulierung in § 6 b Abs. 3 zu
        kurz gesprungen. Sie ist nach unserer Auffassung ergän-
        zungsbedürftig und sollte um den Aspekt der Gefahren-
        vorsorge oder Strafverhütung ergänzt werden.
        Jetzt heißt es in Absatz 3 des § 6, dass die Verarbeitung
        oder Nutzung von Daten aus der Videoüberwachung
        zulässig ist, wenn nicht schutzwürdige Interessen der Be-
        troffenen überwiegen.
        Ich zitiere nun: Für einen anderen Zweck dürfen sie
        nur verarbeitet oder genutzt werden, soweit dies zur Ab-
        wehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit erfor-
        derlich ist. Wir haben hier den Zusatz vorgeschlagen,
        dass die Daten auch zur Verfolgung von Straftaten bzw.
        zur Gefahrenvorsorge oder Straftatenverhütung genutzt
        oder verarbeitet werden können.
        Denn wir meinen, Videoüberwachung soll auch zur
        vorbeugenden Bekämpfung von Kriminalität dienen und
        präventiv wirken.
        Leider haben wir uns mit beiden Anträgen nicht durch-
        setzen können. Wir bedauern das sehr und können uns da-
        her bei der Abstimmung des Gesetzes zur Änderung des
        Bundesdatenschutzgesetzes auf Drucksache 14/4329 ins-
        gesamt nur der Stimme enthalten.
        Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit der
        heute zu beschließenden Reform des Bundesdatenschutz-
        gesetzes unterstreicht Rot-Grün seine Kompetenz hin-
        sichtlich eines verantwortungsvollen und modernen Um-
        gangs mit Daten. Uns gelingt mit dieser Gesetzesreform
        der Brückenschlag zwischen dem Verbraucherschutz und
        den berechtigten Interessen öffentlicher und privater Stel-
        len. Eine effiziente Datenverarbeitung und das Vertrauen
        der Bürgerinnen und Bürger in die Sicherheit ihrer Daten
        dürfen sich nicht widersprechen. Dieses Anliegen werden
        wir auch bei der demnächst folgenden zweiten Reform-
        stufe des Bundesdatenschutzgesetzes berücksichtigen,
        mit der wir das Vertrauen der Verbraucher in Formen der
        elektronischen Kommunikation noch weiter verstärken
        wollen.
        Datenschutz ist ein sehr wichtiges und nicht zuletzt
        hochaktuelles Thema! Datenschutz ist moderner Verbrau-
        cherschutz und ein entscheidender Akzeptanzfaktor für
        alle Formen des elektronischen Handels und der elektro-
        nischen Verwaltung. Ein moderner Datenschutz schafft
        Vertrauen für die Bürgerinnen und Bürger in Staat und
        Wirtschaft; ohne ausreichenden Datenschutz werden sich
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16183
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        viele Bürgerinnen und Bürger der Informationsgesell-
        schaft verweigern.
        Mit dieser Gesetzesänderung erledigen wir nicht nur
        unser Pflichtprogramm  die Anpassung an eine EU-
        Richtlinie von 1995, deren Umsetzung die alte Bundesre-
        gierung versäumt hatte , sondern wir setzen eigene,
        wichtige Akzente, auf die ich jetzt im Einzelnen kurz ein-
        gehen werde.
        Insbesondere auf Initiative von Bündnis 90/Die Grü-
        nen hin wurde der Punkt Datenschutzaudit in diesen
        Entwurf mit aufgenommen. Zur Verbesserung der Daten-
        sicherheit können datenverarbeitende Stellen ihr Daten-
        schutzkonzept durch unabhängige Gutachter prüfen und
        die Ergebnisse veröffentlichen lassen: Zertifizierung statt
        Reglementierung  dies ist die Zukunft! Diese Form der
        Transparenz ist auch im Interesse der Unternehmen; denn
        diese können nun den verantwortungbewussten Umgang
        mit Daten aktiv für den Wettbewerb nutzen.
        Nun zum sensibelsten Punkt des Entwurfs, der op-
        tisch-elektronischen Beobachtung öffentlich zugängli-
        cher Räume, der so genannten Videoüberwachung.
        Der häufig zu beklagende Wildwuchs in diesem Be-
        reich  die Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen
        und privatwirtschaftlichen Räumen gehört auch in der
        Bundesrepublik längst zum Alltag  bedarf dringend ge-
        setzlicher Regelungen, um jede unnötige und überflüssige
        Maßnahme zu verhindern. Ob uns dies mit den hier for-
        mulierten Bestimmungen gelingt, bleibt abzuwarten.
        Doch wir können eines versichern: Bündnis 90/Die Grü-
        nen werden immer ein wachsames Auge darauf haben,
        dass unsere Gesellschaft nicht von unerwünschten wach-
        samen Augen beobachtet wird. Big Brother im Fernse-
        hen können wir vielleicht gerade noch ertragen, Big
        Brother im wirklichen Leben nicht mehr.
        Darum: Datenvermeidung und Datensparsamkeit sind
        oberste Grundsätze eines modernen Datenschutzrechtes
        und werden in diesem Gesetzesentwurf so weit wie mög-
        lich berücksichtigt.
        Ich möchte betonen, dass wir die Arbeit des Bundes-
        beauftragten für den Datenschutz ausdrücklich unterstüt-
        zen  dessen Stellung in diesem Gesetzesentwurf ja auch
        weiter gestärkt und herausgehoben wird. Auch möchten
        wir die positive Zusammenarbeit bei der Verabschiedung
        dieses Gesetzes herausheben: Insbesondere in den Be-
        richterstatterrunden mit den Ministerien sowie im Dialog
        mit den Datenschutzbeauftragten der Länder und  dies
        sei ausdrücklich erwähnt  auch mit der Opposition wurde
        ausgesprochen konstruktiv gearbeitet, eine Vorgehens-
        weise, die wir bei der zweiten Reformstufe erfolgreich
        fortsetzen und ausbauen wollen, unter anderem mit der
        Einrichtung einer Diskussionsplattform im Internet für
        alle Bürgerinnen und Bürger.
        Mit der Modernisierung des Datenschutzrechtes und
        der demnächst folgenden Verabschiedung eines Informa-
        tionsfreiheitsgesetzes leisten wir weitere Schritte hin zu
        einer transparenten und bürgernahen Informationsgesell-
        schaft, die ohne Bündnis 90/Die Grünen so nicht denkbar
        wäre.
        Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Der vorlie-
        gende Gesetzentwurf soll die so genannte erste Stufe der
        Datenschutzreform darstellen. Dabei handelt es sich um
        die  darauf sei ausdrücklich hingewiesen: überfällige 
        Umsetzung der EU-Datenschutz-Richtlinie vom 24. Ok-
        tober 1995. Insoweit begrüßt die F.D.P. diese Vorlage.
        Auch dass dabei der gegebene Spielraum genutzt wurde,
        ist aus unserer Sicht zu begrüßen. Insbesondere beim Da-
        tenschutz im Sozialhilferecht, der Datenschutzumsetzung
        bei den Medien und den erneuerten Vorschriften über den
        Bundesdatenschutzbeauftragten sind gute Fortentwick-
        lungen gelungen.
        Leider sind auf diesen ersten Reformschritt jedoch
        ohne Not drei zusätzliche Regelungsansätze draufgesat-
        telt worden, die richtigerweise in die zweite Stufe der
        Datenschutzreform gehört hätten. Diese soll ja der An-
        gleichung des Datenschutzrechts an die neuen Gegeben-
        heiten in der Informations- und Kommunikationstechno-
        logie gewidmet sein. Es handelt sich bei den drei
        Zusatzpunkten um die Chipkartenregelung, die Video-
        überwachung und das Datenschutzaudit.
        Weshalb diese Anliegen schon jetzt unbedingt durch-
        gezogen werden mussten, obwohl noch vielfältiger Bera-
        tungsbedarf bestanden hätte, ist trotz mehrfachen Nach-
        fragens leider unklar geblieben und muss deshalb gleich
        vielfachen Verdacht hervorrufen. Das Gehetze ist bezüg-
        lich dieser Punkte nämlich überhaupt nicht einzusehen.
        Das wird beispielsweise besonders deutlich beim Daten-
        schutzaudit, weil dort ohnehin alles von einem detaillier-
        ten besonderen Gesetz abhängt, das aber weit und breit
        nirgends zu sehen ist. Warum also mussten diese Punkte
        schon jetzt ohne irgendeine Anhörung und ohne jede Ein-
        zelkorrekturbereitschaft unbedingt durchgepaukt wer-
        den? Darüber hätten wir auch jetzt noch gerne Auskunft.
        Nur exemplarisch greife ich aus jenen drei umstritte-
        nen Zusatzpunkten noch etwas näher die Videoüberwa-
        chung heraus. Unbestritten ist, dass es hier dringend einer
        eigenen Ermächtigungsnorm bedarf. Manche der Einzel-
        regelungen im Gesetzentwurf sind auch, so meinen wir,
        durchaus zu begrüßen. Das gilt etwa für die so genannte
        Erkennbarmachung, die konkrete Benachrichtigungs-
        pflicht oder die unverzügliche Datenlöschung.
        Aber wie ist es um die konkrete Zweckbindung be-
        stellt? Für öffentliche Stellen wird nämlich a priori die Be-
        obachtung allgemein zugänglicher Räume mit optisch-
        elektronischen Einrichtungen zur Erfüllung jeder
        beliebigen Aufgabe zugelassen. Freilich soll das nur dort
        gelten, wo keine überwiegenden schutzwürdigen Interes-
        sen der Betroffenen gegenüberstehen. Aber ob etwas
        überwiegt, lässt sich doch erst beurteilen, wenn man die
        Bezugsgröße kennt, also den Zweck, zu dessen Erfüllung
        die Maßnahme vorgenommen wird. Deshalb hätten die
        zulässigen Zwecke im Gesetz schon noch näher spezifi-
        ziert werden müssen. Denn da Videoüberwachung doch
        einen spezifischen, subtileren und also auch heikleren
        Grundrechtseingriff für die Beobachteten bedeutet, dürf-
        ten die legitimierenden Einsatzbedarfe auch nur entspre-
        chend gewichtig sein. Dies muss im Gesetz benannt und
        sichergestellt werden. Das verlangt ein verfassungsbe-
        wusster Datenschutz. Allseits ist deshalb im Datenschutz-
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116184
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        recht ja auch anerkannt, dass eine exakte Zweckbindung
        der Datenerhebung und -verwendung der Schlüssel für
        eine wirksame Wahrung des datenbezogenen Persönlich-
        keitsrechts ist.
        All solche Fragen zu den drei draufgesattelten Sonder-
        punkten konnten nicht mehr geklärt werden. Deshalb wird
        die F.D.P. dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, obwohl
        wir das für die Richtlinienumsetzung eigentlich gerne ge-
        tan hätten.
        Petra Pau (PDS): Zuerst möchte ich den Bericht des
        Bundesdatenschutzbeauftragten würdigen. Auch wenn er
        schon etwas älter ist, macht er auf aktuelle Probleme und
        Handlungsbedarf aufmerksam. Bestätigt wird dies durch
        den seit gestern vorliegenden neuen Bericht. Sie werden
        darin einen ganzen Katalog von Hausaufgaben finden,
        welche auch durch uns zu erfüllen sind und durch die vor-
        liegende Gesetzesnovelle nicht abgedeckt wurden.
        Nun zu unserem heutigen Problem: Mit der Novellie-
        rung des BDSG kommt die Bundesregierung mit immen-
        ser Verspätung der Verpflichtung nach, das bundesdeutsche
        Recht der EU-Richtlinie zum Schutz personenbezogener
        Daten aus dem Jahre 1995 anzupassen. Diese Umsetzung
        hätte bereits bis Oktober 1998 erfolgen müssen. Die ge-
        planten gesetzlichen Veränderungen beziehen sich auf all-
        gemeine Regelungen zum Datenschutz: Zulässigkeit von
        Datenerhebungen, rechtliche Grundlagen der Datenverar-
        beitung, Stellung von Datenschutzbeauftragten, Auskunft
        an Betroffene, Videoüberwachung, Datenschutz im So-
        zial- und Rentenbereich etc. Datenschutzrechtliche Be-
        stimmungen zu Sicherheitsdiensten bleiben unter alleini-
        ger nationaler Gesetzesregelung.
        Bei der Novellierung des BDSG hat die Bundesregie-
        rung bisher nur die Erfordernisse aus der EU-Richtlinie
        umgesetzt. In einem zweiten Schritt  Sommer 2001 
        kündigt sie neue gesetzliche Veränderungen an, die sich
        mit den Problemen der Informationsgesellschaft und dem
        Datenschutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
        beschäftigen sollen.
        Wie ist dies zu bewerten? Die Bundesregierung stützt
        sich bei der Novellierung auf die Vorarbeiten der Kohl-
        Regierung. Ein fortschrittlicher Entwurf der Grünen wur-
        de ignoriert. Die Bundesregierung hält es nicht für nötig,
        18 Jahre nach dem Urteil des BVG zur Volkszählung das
        hier kreierte Recht auf informationelle Selbstbestimmung
        im BDSG festzuschreiben. Entsprechend ist auch die ge-
        samte Zielsetzung des Gesetzesentwurfs: Eine Zweckbin-
        dung von Daten(-erhebungen) wird im Interesse der In-
        dustrie und der Behörden sowie von Krankenkassen und
        Rentenversicherungsanstalten aufgehoben. Die Stellung
        der Datenschutzbeauftragten wird nicht gestärkt. Die Scha-
        densersatzpflicht ist völlig unzureichend. Die geplante
        Videoüberwachung ist nur mangelhaft im Gesetzentwurf
        geregelt. Es wird nicht festgelegt, dass nur in besonderen
        Ausnahmefällen Videoaufnahmen erlaubt sein dürfen.
        Eindeutige Speicher- und Löschfristen sind nicht vorge-
        sehen. Das Gesetz schafft keine juristischen Grundlagen
        für eine effektive Datenvermeidung. Ein Datenschutzau-
        dit  Vermeidung von Datenflüssen  wird nur symbolisch
        festgeschrieben und nicht konkret geregelt. Der Gesetz-
        entwurf strotzt vor einer Normenüberflutung und Büro-
        kratisierung sowie einer ins kleinste Detail gehenden Re-
        gelungsdichte, die den Bürgern den Umgang mit diesem
        Gesetz erschwert, da es dadurch nur schwer lesbar und
        kaum verständlich ist.
        Deshalb hat die PDS mehrere Änderungsanträge in den
        Bundestag eingebracht. Wir fordern unter anderem, dass
        erstens das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
        als Gesetzeszweck festgeschrieben wird, dass zweitens
        der Bundesbeauftragte für Datenschutz nicht mehr dem
        Innenministerium, sondern dem Parlament unterstellt ist
        und damit endlich einen unabhängigen Status erhält, dass
        drittens der Kündigungsschutz von Datenschutzbeauftrag-
        ten verbessert wird, dass viertens die Zweckbindung von
        Daten im Gesetz eindeutig festgeschrieben wird, damit
        keine Persönlichkeitsprofile von Menschen erstellt werden
        können, und dass fünftens die Videoüberwachung streng
        geregelt wird.
        Mit der Annahme dieser Änderungsanträge können Sie
        wenigstens einen Teil der eingangs genannten Hausauf-
        gaben erledigen. Damit könnten wir auch manche berech-
        tigte Kritik des Bundesdatenschutzbeauftragten Jacob zu
        den aktuellen Entwicklungen ausräumen.
        Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun-
        desminister des Innern: Der vorliegende Gesetzentwurf
        der Bundesregierung dient der Anpassung des Bundesda-
        tenschutzgesetzes und anderer Gesetze an die EG-Daten-
        schutzrichtlinie. Durch die Richtlinie und ihre nationale
        Umsetzung wird ein einheitliches Datenschutzniveau für
        die Mitgliedstaaten der EU geschafften. Nach Übernahme
        der Richtlinie durch den EWR gilt sie inzwischen auch für
        die übrigen Vertragsstaaten des Europäischen Wirt-
        schaftsraumes.
        Zu den wichtigsten unmittelbaren Verbesserungen aus
        der Sicht des Bürgers zählt die weitere Stärkung seiner In-
        formationsansprüche. Dem Bürger kommt ebenfalls zu-
        gute, dass das System interner und präventiver Kontroll-
        mechanismen ausgebaut wird. Nach der Richtlinie zieht
        die automatisierte Verarbeitung personenbezogener Da-
        ten entweder eine Meldepflicht gegenüber der Daten-
        schutzkontrollstelle oder die Pflicht zur Bestellung eines
        internen Beauftragten für den Datenschutz nach sich.
        Dem in Deutschland schon bewährten Institut eines Be-
        auftragten für den Datenschutz und der internen Selbst-
        kontrolle wird damit zukünftig eine gesteigerte Bedeu-
        tung zukommen.
        Zu der bei den Bundesbehörden ganz überwiegend
        bereits bisher praktizierten Bestellung von Beauftragten
        für den Datenschutz besteht  infolge der Richtlinie 
        zukünftig eine gesetzliche Verpflichtung.
        Entsprechend den Vorgaben der Richtlinie eröffnet das
        Bundesdatenschutzgesetz den freien Datenverkehr im
        Binnenmarkt. Damit wird der innergemeinschaftliche Da-
        tenverkehr künftig dem inländischen Datenverkehr
        gleichgestellt. Für die Praxis bedeutet dies eine Vereinfa-
        chung, da bei der Übermittlung personenbezogener Daten
        im Binnenmarkt keine besonderen Regeln mehr beachtet
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16185
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        werden müssen. Angesichts des von der Richtlinie vorge-
        gebenen gemeinschaftsweit einheitlichen Datenschutz-
        niveaus ist dies ohne Nachteile für die Rechte der Bürger
        möglich geworden.
        Der Datenaustausch mit Drittstaaten wird zwar regle-
        mentiert; durch einen sachgerechten Ausnahmekatalog
        wird jedoch dafür Sorge getragen, dass eine Beeinträchti-
        gung des Wirtschaftsverkehrs nicht eintritt.
        Der Gesetzentwurf konzentriert sich darauf, die Richt-
        linie im erforderlichen Umfang umzusetzen. Angesichts
        des in Deutschland bereits bestehenden hohen Daten-
        schutzniveaus hielt sich die materielle Tragweite der Än-
        derungen deshalb in Grenzen. Die teilweise abweichen-
        den Konzepte der Richtlinie machten jedoch Eingriffe bei
        fast allen Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes
        notwendig. Es ließ sich nicht vermeiden, dass das Bun-
        desdatenschutzgesetz dadurch komplexer geworden und
        in einzelnen Bestimmungen auch für Fachleute nur noch
        schwer verständlich ist. Da die Umsetzungsfrist bereits im
        Oktober 1998  fast zeitgleich mit dem Regierungswech-
        sel  abgelaufen ist, kann die richtlinienbedingte Ände-
        rung des Bundesdatenschutzgesetzes jedoch nicht weiter
        hinausgeschoben werden.
        Die Bundesregierung wird eine zweite Stufe der No-
        vellierung anschließen, in der das Gesetz in einer umfas-
        senden Neukonzeption vereinfacht und seine Lesbarkeit
        erhöht wird. Dabei wird es auch darauf ankommen, das
        Datenschutzrecht im Blick auf die schnelle Entwicklung
        der Informationsgesellschaft zu modernisieren. Hierzu
        hat der Bundesbeauftragte für den Datenschutz bereits in
        seinem 17. Tätigkeitsbericht, zu dem uns heute hier die
        Beschlussempfehlung des Innenausschusses vorliegt,
        Stellung genommen. Er greift dieses Thema übrigens
        auch in seinem gestern vorgestellten 18. Tätigkeitsbericht
        erneut auf.
        Gestatten Sie noch einen Satz dazu: Im Innenausschuss
        ist mit Recht gerügt worden, dass die Beratung des  mitt-
        lerweile vorletzten  Tätigkeitsberichts erst jetzt erfolgt
        ist. Die Bundesregierung wird künftig ihren Beitrag dazu
        leisten, dass die parlamentarische Befassung zeitnäher
        erfolgen kann.
        Der vorliegende Gesetzentwurf enthält bereits erste
        Kernelemente einer Modernisierung, die das Ziel der
        Richtlinie, die Transparenz der Datenverarbeitung für den
        Bürger zu erhöhen, verwirklichen. Ich weise auf diesen
        Zusammenhang deswegen hin, weil die Opposition kriti-
        siert hat, die Bundesregierung sattle hier unnötigerweise
        auf die zwingenden Vorgaben der Richtlinie auf.
        Unter Transparenzgesichtspunkten bestand jedoch be-
        reits jetzt dringender Handlungsbedarf, so etwa vor allem
        bei der Videoüberwachung. Sie wird durch den Gesetz-
        entwurf erstmals in einer allgemeinen Vorschrift ein-
        deutigen Zulässigkeitsvoraussetzungen unterworfen. Der
        Entwurf der Bundesregierung ist hier von den Daten-
        schutzbeauftragten aus Bund und Ländern nachhaltig un-
        terstützt worden.
        Dies gilt auch für die Regelung zur Chipkarte und zum
        Datenschutzaudit. Lassen Sie mich zum Datenschutzaudit
        nochmals  wir haben dies ja bei der Ausschussberatung
        des Gesetzentwurfs im Einzelnen diskutiert  betonen:
        Das Audit beruht auf dem Prinzip der Freiwilligkeit; es
        setzt zur Verbesserung des Datenschutzes auf die Selbst-
        verantwortlichkeit der Unternehmen. Eine Pflicht-Audi-
        tierung wird es nicht geben. Dort, wo sie sinnvollerweise
        zum Einsatz kommen kann, wird sie sich für die Unter-
        nehmen im Markt als Wettbewerbsvorteil erweisen und
        den Verbrauchern die eigenverantwortliche Auswahl un-
        ter konkurrierenden Anbietern erleichtern.
        Die Bundesregierung hat darauf Wert gelegt, den Ge-
        setzentwurf mit allen Fraktionen im Bundestag, dem Bun-
        desbeauftragten für den Datenschutz, den Ländern und
        der Wirtschaft so weit wie möglich im Einvernehmen
        abzustimmen. Die Vorschläge und Prüfbitten des Bundes-
        rates in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf
        wurden weitgehend im parlamentarischen Gang des Ge-
        setzgebungsverfahrens berücksichtigt. Danken möchte
        ich ausdrücklich den Berichterstattern der Fraktionen für
        die konstruktive, zielstrebige Beratung des Gesetzent-
        wurfs.
        Mit der heutigen Zustimmung des Bundestages werden
        die Weichen für ein schnelles In-Kraft-Treten des Geset-
        zes gestellt. Nur so besteht eine Chance, der Verurteilung
        der Bundesrepublik Deutschland in dem bereits anhängi-
        gen Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen
        Gerichtshof zuvorzukommen. Auch vor diesem Hinter-
        grund bitte ich um Ihre Zustimmung.
        Anlage 6
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Anträge:
         Änderung des Zerlegungsmaßstabs des Gewerbe-
        steuermessbetrags
         Erhöhung der Gewerbesteuerumlage rückgängig
        machen
        (Tagesordnungspunkt 20 a und b)
        Bernd Scheelen (SPD): Immer wieder freitags
        könnte man in Abwandlung des Hits von Cindy und Bert
        der 60er-Jahre sagen: Immer wieder freitags stellt die PDS
        vermeintlich kommunalfreundliche Anträge zu den Ge-
        werbesteuereinnahmen der Städte und Gemeinden.
        Warum immer wieder freitags? Weil an einem der da-
        rauffolgenden Sonntage irgendwo in den neuen Ländern
        Kommunal-, Bürgermeister- oder Landratswahlen sind.
        Am 6. Mai dieses Jahres sind solche Wahlen in Sach-
        sen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Da vorher
        keine Sitzungen des Parlaments mehr stattfinden, muss
        eben der Freitag vor der Osterpause herhalten. Die Termi-
        nierung der Antragsberatung entlarvt die Anträge als das,
        was sie sind: Wahlkampftheater.
        Die PDS möchte die Erhöhung der Gewerbesteuerum-
        lage rückgängig machen, die Bestandteil des Steuersen-
        kungsgesetzes ist, das am 1. Januar dieses Jahres in Kraft
        getreten ist und die Bürgerinnen und Bürger und den Mit-
        telstand in diesem Jahr um insgesamt 45 Milliarden DM
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116186
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        entlastet. Steuerliche Entlastung der Bürgerinnen und
        Bürger bedeutet natürlich, dass der Staat auf Steuerein-
        nahmen verzichtet. Das betrifft alle staatlichen Ebenen:
        Bund, Länder und Gemeinden! Wenn die Bürgerinnen
        und Bürger mehr Netto vom Brutto behalten sollen, heißt
        das, dass der Staat sich einschränken, also sparen muss.
        Die Koalition hat die Steuerreform gemacht, um die
        Menschen und die Unternehmen im Land zu entlasten und
        damit die Binnenkonjunktur anzukurbeln. Dass dieses
        Konzept aufgeht, zeigt die Entwicklung der Konjunktur:
        Trotz drastisch gestiegener Rohölpreise, trotz drastischer
        Abkühlung der Konjunktur in den USA, trotz der wirt-
        schaftlichen Probleme in Japan ist die europäische und
        insbesondere die deutsche Konjunktur robust. Auch in
        diesem Jahr ist mit einem Wachstum oberhalb von 2 Pro-
        zent zu rechnen. Das ist mehr als der Durchschnitt der ge-
        samten 90er-Jahre, sogar bei stabilem Geld!
        Es zeigt sich, dass die Steuerreform genau zum richti-
        gen Zeitpunkt gekommen ist. Bei nachlassender außen-
        wirtschaftlicher Konjunktur ist eine robuste Binnennach-
        frage unerlässlich. So freut sich der Einzelhandel in
        Deutschland erstmals seit Jahren über Umsatzsteigerun-
        gen. Binnenwirtschaftliches Wachstum bedeutet auch die
        Schaffung neuer Arbeitsplätze und damit Entlastung der
        öffentlichen Kassen von Kosten der Arbeitslosigkeit. Seit
        1998 ist die Zahl der registrierten Arbeitslosen um 1 Mil-
        lionen gesunken. In entsprechendem Maße ist die Zahl der
        Erwerbstätigen gestiegen.
        Es zeigt sich deutlich: Die Entlastung der Bürgerinnen
        und Bürger und der Unternehmen in Deutschland war
        überfällig und zum jetzigen Zeitpunkt geboten. Erstaun-
        lich deshalb, dass die PDS nun wieder Steuererhöhungen
        fordert; denn nichts anderes bedeutet die Forderung nach
        der Rückgängigmachung der Veränderung bei der Ge-
        werbesteuerumlage. Dazu ist es notwendig, zu beleuch-
        ten, warum die Gewerbesteuerumlage erhöht wurde,
        warum also die Städte und Gemeinden mehr Gewerbe-
        steueranteile an Bund und Land abführen sollen.
        Das Steuersenkungsgesetz sieht eine deutliche Absen-
        kung des Körperschaftsteuersatzes von 40 Prozent auf
        25 Prozent vor. Die dadurch bedingten Steuerausfälle tra-
        gen Bund und Länder alleine. Zur teilweisen Gegenfinan-
        zierung sind Veränderungen der AfA-Tabellen vorgese-
        hen, die zu Steuermehreinnahmen auch der Gemeinden
        führen. Diese Windfall Profits der Städte und Gemeinden
        abzuschöpfen und zur Finanzierung der Steuerreform he-
        ranzuziehen ist Sinn der Gewerbesteuerumlagenerhöhung
        und nichts anderes. Fazit: Den Gemeinden wird also rein
        gar nichts weggenommen.
        Um dem nicht linearen Verlauf der Mehreinnahmen
        Rechnung zu tragen, ist die Erhöhung der Gewerbe-
        steuerumlage bis 2005 befristet. Ab 2006 gilt ein um sechs
        Punkte abgesenkter Vervielfältiger. Außerdem haben wir
        im Gesetz eine Revisionsklausel für das Jahr 2004 vorge-
        sehen, um im Lichte der Erkenntnisse, wie die Steuerre-
        form tatsächlich wirkt, die Erhöhung der Gewerbe-
        steuerumlage zu überprüfen. Denn eines ist klar: Die
        Berechnungen des BMF haben den Charakter einer Pro-
        gnose und dies kann auch gar nicht anders sein.
        Im Übrigen ist das Steuerentlastungsgesetz in Abspra-
        che und mit Unterstützung der kommunalen Spitzenver-
        bände in Kraft gesetzt worden. Dazu zitiere ich Ihnen den
        Präsidenten des Städte- und Gemeindebundes, Heribert
        Thallmair, CSU:
        Die Reform der Unternehmensbesteuerung bildet
        eine solide Grundlage für wirtschaftliches Wachstum
        und ist daher ein Schritt in die richtige Richtung.
        Sie werden sich auch noch daran erinnern, dass bei der
        gesonderten Anhörung der kommunalen Spitzenverbände
        die gute Zusammenarbeit mit der Bundesebene hervorge-
        hoben wurde.
        Nun zu den Zahlen im PDS-Antrag: Wir stellen fest,
        dass die PDS wieder einmal hinter der Entwicklung her-
        hinkt. Es reicht eben nicht, Anträge aus dem Jahr 2000
        einfach mit einem neuen Datum zu versehen und sie er-
        neut in den Deutschen Bundestag einzubringen. Ein biss-
        chen mehr Sorgfalt wäre schon angebracht! Wenn die
        PDS die Steuerausfälle der Kommunen in 2001 mit
        8,3 Milliarden DM und im Jahr 2005 mit 12 Milliar-
        den DM beziffert, hinkt sie eben gut eineinhalb Jahre hin-
        ter der Entwicklung her und nimmt nicht zur Kenntnis,
        dass das endgültig verabschiedete Steuersenkungsgesetz
        bei den Kommunen Ausfälle von 4,4 Milliarden in 2001
        und 6,9 Milliarden in 2005 bewirkt. Damit werden die
        Städte und Gemeinden unterproportional an den Steuer-
        ausfällen beteiligt.
        Im Jahr 2000 hatten die Gemeinden einen Anteil von
        12,3 Prozent an allen Steuereinnahmen. Zur Finanzierung
        der Nettoentlastung der Steuerreform werden sie aller-
        dings im Schnitt der Jahre 2001 bis 2006 mit lediglich
        8,9 Prozent und damit deutlich unterproportional betei-
        ligt. Dieses kommunalfreundliche Verhalten ist von den
        kommunalen Spitzenverbänden ausdrücklich begrüßt
        worden. Sie haben ihre Bereitschaft erklärt, sich im Rah-
        men ihres Anteils an den Steuereinnahmen auch an den
        Steuerausfällen zu beteiligen.
        Während der Beratungen des Steuersenkungsgesetzes
        konnte durch Berücksichtigung der Ausfälle infolge der
        Steuerfreiheit bei den Veräußerungsgewinnen von
        Unternehmensbeteiligungen der relativ geringe Anteil der
        Städte und Gemeinden an den Steuerausfällen durchge-
        setzt werden. Wenn die PDS nun fordert, dass der Aus-
        gleichsmechanismus der Gewerbesteuerumlage abge-
        schafft wird, fordert sie Bund und Länder auf, diese
        Verluste zusätzlich zu tragen, was zwangsläufig Steuerer-
        höhungen nach sich zieht. Dies lehnen wir ab!
        Wir sprechen in der Republik über Steuersenkungen
        und nicht über Steuererhöhungen. Die Bürgerinnen und
        Bürger haben genug von immer höheren Steuern und Ab-
        gaben. Sie erwarten zu Recht vom Staat, dass er sich auf
        seine eigentlichen Aufgaben besinnt, dabei sparsam mit
        den Mitteln umgeht und Menschen und Unternehmen ent-
        lastet, um zusätzliche Spielräume für mehr Wachstum und
        Beschäftigung zu schaffen. Diese Ziele werden auch von
        den kommunalen Spitzenverbänden mitgetragen. Mit ih-
        nen wissen wir uns auch einig in der Forderung nach ei-
        ner umfassenden Gemeindefinanzreform. Das ist ein Vor-
        haben, das für die nächste Legislaturperiode auf der
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16187
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        Agenda steht, zu dem die Vorarbeiten jetzt zu leisten sind.
        Deshalb macht der zweite Antrag der PDS, den Zer-
        legungsmaßstab des Gewerbesteuermessbetrages zu än-
        dern, auch keinen Sinn.
        Was wir brauchen, ist eine umfassende Reform, deren
        Vorbereitung noch Zeit braucht. Einzelmaßnahmen sind
        deshalb zu diesem Zeitpunkt unsinnig. Wir können die
        Gemeindefinanzreform auch deshalb in Ruhe und gründ-
        lich angehen, weil wir mit dem Steuersenkungsgesetz den
        Kommunen Planungssicherheit bezüglich des Bestandes
        der Gewerbesteuer gegeben haben. Mit der Unterneh-
        mensteuerreform ist das Kunststück gelungen, einerseits
        den Gemeinden die Gewerbesteuer als eigenständige, ge-
        staltbare Steuerquelle zu erhalten und andererseits den
        Mittelstand durch die pauschalierte Anrechenbarkeit
        bei der Einkommensteuer von der Gewerbesteuer zu ent-
        lasten.
        Am 6. Mai dieses Jahres sind, wie bereits erwähnt,
        Bürgermeister- und Landratswahlen in Sachsen-Anhalt
        und Mecklenburg-Vorpommern. Am 10. Juni wird ent-
        sprechend in Sachsen gewählt. Wetten, dass die PDS
        beide Anträge spätestens am 1. Juni wieder einbringt?
        Dann heißt es erneut: Immer wieder freitags.
        Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Die PDS
        will sich mit ihren beiden Anträgen zum Anwalt der Kom-
        munen machen. Sie will die kommunale Finanzausstat-
        tung in einzelnen Punkten verändern. Dies ist meines Er-
        achtens völlig unzureichend. Wenn dieses Thema
        angefasst werden soll, dann richtig; dann muss es um eine
        Gemeindefinanzreform insgesamt gehen. Die Anträge der
        PDS als punktuelle Lösung würden den Druck in Rich-
        tung einer grundsätzlichen Lösung vermindern. Schon
        deshalb kann ihnen nicht zugestimmt werden. Aber es gibt
        auch inhaltliche Punkte, auf die ich noch zu sprechen
        komme.
        Dennoch gibt der Tagesordnungspunkt Gelegenheit,
        den Blick auf ein wichtiges Thema zu lenken. Die kom-
        munale Finanzausstattung ist völlig unzureichend und
        wurde von der Regierungskoalition entgegen all ihren
        Versprechungen dramatisch verschlechtert. Ich verweise
        dazu nur auf die Dokumentation Nr. 16 des Deutschen
        Städte- und Gemeindebundes, die die Auswirkung der
        Eingriffe in die kommunale Finanzausstattung eindrucks-
        voll schildert. Danach haben die Eingriffe im Jahr 2001
        ein Volumen von 6,4 Milliarden DM zuzüglich 4,9 Milli-
        arden DM Folgewirkungen über den kommunalen Fi-
        nanzausgleich.
        Die kommunale Finanzausstattung ist nicht nur ein
        Thema für Bürgermeister und Kommunalpolitiker. Sie
        geht uns alle an. Wenn den Kommunen die Finanzkraft
        fehlt, dann müssen sie bei den Ausgaben für Einrichtun-
        gen kürzen, die für die Bürgerinnen und Bürger wichtig
        sind. Sie müssen Schulen, Kindergärten, Kultureinrich-
        tungen, Schwimmbader und Ähnlichem Geld nehmen
        oder sie gar schließen.
        Sie ist aber auch ein wichtiges Thema für Handwerk
        und Handel. Wenn den Gemeinden Geld fehlt, dann kür-
        zen sie häufig bei Beschaffungen und insbesondere bei
        der Bauunterhaltung, weil dies nicht unmittelbar Folgen
        für die Bürgerinnen und Bürger hat. Jede nicht ausgege-
        bene Mark bedeutet aber auch weniger Aufträge für Han-
        del und Gewerbe. Jeder Auftrag weniger bedeutet weni-
        ger Arbeit und damit weniger Steuern und mehr
        Arbeitslosigkeit. Mehr Arbeitslosigkeit bedeutet mehr
        Sozialhilfe. So zeigt sich, in welchem schwierigen Teu-
        felskreis sich die Städte, Gemeinden und Landkreise be-
        finden. Viele können ihre laufenden Ausgaben nicht mit
        laufenden Einnahmen decken. Besorgniserregend ist die
        Entwicklung der Kassenkredite in vielen großen Städten
        des Ruhrgebietes.
        Wie bedrohlich die Lage ist, kann man an einer Schlüs-
        selzahl ablesen. Das ist der Stand der Kassenkredite zum
        31. Dezember 2000. Kassenkredit klingt sehr technisch,
        ist aber nichts anderes als der Ausdruck dafür, dass lau-
        fende Ausgaben mit Krediten finanziert wurden, was ei-
        gentlich nicht sein darf. Der Kassenkredit ist nur eine un-
        terjährige Liquiditätshilfe und muss am Jahresende, wenn
        alle Einnahmen und Ausgaben getätigt sind, auf Null ste-
        hen. Sie betrugen 14,1 Milliarden DM; dazu kommen
        noch 14,0 Milliarden DM innere Darlehen. Diese beiden
        Zahlen hätten am 31. Dezember 2000 null betragen müs-
        sen. 28,1 Milliarden DM sind rund 6,5 Prozent der lau-
        fenden Ausgaben aller Städte, Gemeinden und Landkreise
        für Personal, laufenden Sachaufwand, soziale Leistungen
        und Zinsen. In diesem Maße wurden diese Posten mit
        Krediten finanziert. Das ist, wie wenn sich ein privater
        Haushalt ohne Aussicht auf zusätzliche Einnahmen sein
        Butterbrot auf Kredit kauft oder wenn ein Handwerks-
        meister das Verbrauchsmaterial mit einem Kontokorrent-
        kredit finanziert und über die Rechnung nicht wieder he-
        reinbekommt.
        Die rot-grüne Koalition hat in der Koalitionsvereinba-
        rung zum Regierungsantritt 1998 angekündigt, die Fi-
        nanzkraft der Gemeinden stärken zu wollen. Wörtlich
        heißt es in Kapitel III Nr. 2 Punkt 3 der Koalitionsverein-
        barung:
        Die neue Bundesregierung tritt dafür ein, dass
        zukünftig Aufgabenverlagerungen im Verhältnis der
        staatlichen Ebenen  Bund einerseits, Länder und
        Gemeinden andererseits  im Rahmen des bundes-
        staatlichen Finanzausgleichs berücksichtigt werden
        (Konnexitätsprinzip). Wir wollen die Finanzkraft der
        Gemeinden stärken und das Gemeindefinanzsystem
        einer umfassenden Prüfung unterziehen.
        Von einer Gemeindefinanzreform war bisher noch
        keine Rede. Sie haben in dieser Richtung noch nichts un-
        ternommen. Das gilt auch für die Umsetzung des Konne-
        xitätsprinzips: Fehlanzeige!
        Im Gegenteil: Wie Sie diese Versprechen mit Füßen
        treten, will ich an zwei Beispielen deutlich machen. Da ist
        zum einen der Familienleistungsausgleich und zum ande-
        ren die Grundsicherung im Rahmen der Rentenreform.
        In der Bundestagsdebatte vom 21. September 1995
        (Plenarprotokoll 13/55) führte Bundesfinanzminister
        Waigel dazu aus:
        Die von der Koalition angestrebte Systemumstellung
        auf das steuerrechtliche Optionsmodell und die Ver-
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116188
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        besserungen beim Familienleistungsausgleich waren
        von Anfang an mit der Zusage an die Länder ver-
        bunden, für die daraus resultierenden Lastenver-
        schiebungen einen fairen, vollen Ausgleich zu ge-
        währen. Im Vermittlungsausschuss haben wir uns auf
        die dauerhafte Absicherung des bisherigen Lasten-
        teilungsverhältnisses von 74:26 beim Familienleis-
        tungsausgleich geeinigt. Dies erfolgt durch die Er-
        gänzung des Art. 106 des Grundgesetzes.
        Man kann darüber streiten, ob es schön und wün-
        schenswert ist, dass eine solche Frage im Grundge-
        setz geregelt wird. Es war die unabdingbare Voraus-
        setzung für die Zustimmung der Länder, und darum
        macht es auch gar keinen Sinn, darüber noch lange
        Diskussionen zu führen. ...
        Diese Ergänzung verpflichtet den Gesetzgeber, bei
        der Festsetzung des Beteiligungsverhältnisses an der
        Umsatzsteuer die sich durch den neuen Familienleis-
        tungsausgleich ergebenden Steuermindereinnahmen
        der Länder auszugleichen. Hierdurch wird die verfas-
        sungsrechtliche Voraussetzung für die dauerhafte
        Fortführung des bisherigen Lastenteilungsverhältnis-
        ses durch die entsprechenden Regelungen im Finanz-
        ausgleichsgesetz geschaffen. ...
        Die Länder haben sich verpflichtet, den Gemeinden
        die Steuerausfälle durch die Neuregelung des
        Familienleistungsausgleichs fair und voll auszuglei-
        chen. Wir alle miteinander werden aufmerksam da-
        rüber wachen, dass dies erfolgt. Die gleiche Fairness,
        die der Bund den Ländern entgegenbringt, verlangen
        wir von den Ländern den Kommunen gegenüber.
        Zu der Grundgesetzänderung führte die CDU-Abge-
        ordnete Dr. Tiemann in der Debatte aus:
        Insofern machen die Länder diese Grundgesetzände-
        rung zur Bedingung, weil sich die Lastenverteilung
        zwischen Bund und Ländern zu ihren Ungunsten
        verändern würde. Wir schreiben mit dieser Grundge-
        setzänderung den Länderanteil fest, bewirken aber
        dadurch  und darauf möchte ich hinweisen  gewis-
        sermaßen einen Bund-Länder-Sonderausgleich für
        den Familienbereich.
        Ich mache darauf aufmerksam, dass wir mit diesem
        Sonderausgleich in die Systematik unserer Finanz-
        verfassung eingreifen.
        Zu der Grundgesetzänderung führte der CDU-Abge-
        ordnete Uldall in der Debatte aus:
        Minister Waigel hat vorgeschlagen, die Ausfälle der
        Gemeinden in Form eines höheren Anteils der Kom-
        munen an der Einkommensteuer, nämlich statt heute
        15 Prozent dann 16 Prozent, direkt zu kompensieren.
        (Dr. Kurt Faltlhauser (CDU/CSU): Das war ein
        hervorragender Vorschlag! Er wurde aber nicht
        angenommen!)
        Das lehnte der Bundesrat ab. Auch hier ist der Grund
        klar. Die Länder wollten natürlich das Geld erst ein-
        mal in den eigenen Kassen haben, bevor sie den Ge-
        meinden von den Einnahmen, die sie zusätzlich er-
        halten, etwas weitergeben. Wir fordern mit allem
        Nachdruck die Länder auf, den Kommunen den ih-
        nen zustehenden Anteil aus der gesetzlichen Um-
        satzsteuer zukommen zu lassen.
        Zum Jahressteuergesetz 1996 und zu der entsprechen-
        den Grundgesetzänderung führte der Berichterstatter, Fi-
        nanzminister Heinz Schleuser (SPD), am 22. September
        1995 im Bundesrat (S. 371 f.) aus:
        ... die Neuregelung des Familienleistungsausglei-
        ches als steuerliche Lösung führt zu gravierenden
        Verschiebungen der Finanzverteilung zwischen
        Bund, Ländern und Gemeinden. Bisher trug der
        Bund 74 Prozent ... der Ausgaben für den Familien-
        leistungsausgleich, während Länder und Gemeinden
        die verbleibenden 26 Prozent aufbringen mussten.
        Die Neuregelung im Rahmen der Einkommensteuer
        führt zwangsläufig zu einer Lastenverteilung, die der
        Verteilung der Einkommensteuer entspricht. Das
        heißt: Statt der bisher 26 Prozent entfallen ab 1996
        57, 5 Prozent der Ausgaben für den Familienleis-
        tungsausgleich auf Länder und Gemeinden.
        Anmerkung: Dabei sind die Auswirkungen des kommu-
        nalen Finanzausgleiches  Verschiebung von im Bundes-
        durchschnitt 20 Prozent der Kosten von der Ebene der
        Länder auf die Gemeinden  noch nicht berücksichtigt.
        Nach ziemlich schwierigen, intensiven Diskussionen
        über diese Lastenverlagerung auf Länder und Ge-
        meinden wurde ein Kompromiss erzielt: Die bishe-
        rige Verteilung zwischen Bund und Ländern von
        74:26 Prozent bleibt bestehen und wird für die Zu-
        kunft dauerhaft festgeschrieben. Die Länder erhalten
        zum Ausgleich ihre durch die Neuregelung entste-
        henden Steuerausfälle einen erhöhten Anteil an der
        Umsatzsteuer.
        Anmerkung: 5,5 Prozentpunkte.
        Die verfassungsrechtliche Grundlage wird durch
        eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes ge-
        schaffen.
        Das Finanzausgleichsgesetz setzt diese Vorgaben
        konkret um ...
        Ab 1998 wird dieser Ausgleichsbetrag der aktuellen
        Entwicklung angepasst. ...
        Auch für die Gemeinden, die an diesem Umsatzsteu-
        erausgleich systembedingt nicht unmittelbar partizi-
        pieren, ist Sorge getragen: Die Länder haben sich
        verpflichtet, ihnen einen fairen und vollen Ausgleich
        für die ihnen durch die Umstellung entstehenden
        Steuerausfälle zu garantieren.
        Das waren die Versprechungen. Die Wirklichkeit sieht
        ganz anders aus: Der Gesamtaufwand für das Kindergeld
        stieg von 43,3 Milliarden DM im Jahr 1996 auf 57,6 Mil-
        liarden DM im Jahr 1999. Für das Jahr 2000 liegen leider
        noch keine endgültigen Daten vor. Der den Ländern als
        Ausgleich gewährte Anteil von 5,5 Punkten Mehrwert-
        steuer entwickelte sich von 13 Milliarden DM im Jahre
        1996 auf 13,8 Milliarden DM im Jahr 1999. Selbst wenn
        man unterstellt, dass die systembedingten Lasten der
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        Kommunen unter Einschluss der Wirkung des kommuna-
        len Finanzausgleiches im Jahr 1996 von den Ländern voll
        ausgeglichen worden sind  was leider nicht passiert ist ,
        dann haben die damals geschaffenen Systeme in den Fol-
        gejahren nicht ausgereicht, um die systembedingte Belas-
        tung der Städte, Gemeinden und Landkreise auszuglei-
        chen. In den Jahren 1997 bis 1999 entwickelt sich das
        Defizit über 1,4 Milliarden DM auf 2,7 Milliarden DM. In
        den Jahren 1997 bis 1999 haben die Kommunen allein
        5,5 Milliarden, DM des Kindergeldes getragen, obwohl
        sie zu 100 Prozent entlastet werden sollten.
        Große zusätzliche Risiken für die kommunale Finanz-
        ausstattung lassen die geplanten Veränderungen beim
        Kindergeld erwarten. Wenn nun das Kindergeld, wie zu
        vernehmen ist, um 30 DM erhöht werden soll, dann be-
        deutet das laut Bundesfinanzminister Waigel in der
        Welt vom 27. März 2001 einen zusätzlichen Steueraus-
        fall in Höhe von 5,5 Milliarden DM. Rechnete man die-
        sen Betrag auf den Steuerausfall von 1999, so ergäbe das
        einen Aufwand für den Familienleistungsausgleich von
        63,1 Milliarden DM. Auf die Kommunen entfielen dann
        nach kommunalem Finanzausgleich 4,1 Milliarden DM.
        In den Jahren 1996 bis 2000 haben sie dann 9,6 Milliar-
        den DM zum Kindergeld zugeschossen, obwohl sie über-
        haupt nicht belastet. werden sollten. Das sind dann
        6,4 Prozent. Länder und Kommunen zusammen tragen
        dann 35,6 Prozent des Kindergeldes, obwohl sie nur
        26 Prozent tragen sollten. Das ergibt einen Zahlungsüber-
        hang von 15,9 Milliarden DM.
        Die Bundesregierung lehnt ab, aufgrund dieser Situa-
        tion tätig zu werden. Sie ist der Auffassung, dass das eine
        Frage der allgemeinen Deckungsquotenberechnung sei
        und kein Handlungsbedarf gegeben sei. Wer soll bei die-
        sen Lastenverschiebungen und bei diesem plötzlichen
        Meinungsumschwung der Beteiligten, die noch als Mi-
        nisterpräsidenten an einer völlig anderen Front gekämpft
        haben, darauf vertrauen, dass der Bund einen fairen Las-
        tenausgleich vornimmt  von einer Verwirklichung des
        versprochenen Konnexitätsprinzips ganz zu schweigen?
        Die Koalition hat bei Regierungsantritt versprochen,
        dass nicht alles anders, aber vieles besser werden solle.
        Darauf hatten die Kommunen große Hoffnungen gesetzt,
        zumal in der Koalitionsvereinbarung vollmundige Ver-
        sprechungen gemacht worden sind. Konnexität heißt
        nichts anderes als: Wer die Musik bestellt, muss sie auch
        bezahlen. Sie machen große Versprechungen auf Kosten
        anderer. Sie lassen sich für eine Haushaltssanierung feiern
        und schieben die Lasten den Kommunen zu.
        Mit dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsi-
        cherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG) soll
        eines der kostenträchtigsten Gesetze für die Kommunen
        in den letzten 30 Jahren ins Werk gesetzt werden. Unab-
        hängig davon, wie man dazu steht  ich halte diesen Weg
        für falsch , wäre dies nun die beste Gelegenheit gewesen,
        zu beweisen, dass man das Versprechen auch ernst meint.
        Nichts davon ist zu spüren. Wie immer liegen Anspruch
        und Wirklichkeit bei dieser Koalition meilenweit ausei-
        nander.
        Statt bei diesem Vorhaben einen ehrlichen Finanzie-
        rungsweg zu wählen und den Kommunen das Geld direkt
        über den Gemeindeanteil an der Einkommensteuer zu ge-
        ben, machen Sie doppelte Winkelzüge:
        Die Aufgabenzuweisung an die Landkreise und kreis-
        freien Städte erfolgt durch bundesrechtliche Regelungen:
        § 4 GSiG in der Fassung von Artikel 8 a des Gesetzes zur
        Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur
        Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermö-
        gens (zustimmungspflichtiger Teil). Dies hat für Städte,
        Gemeinden und Landkreise fatale Folgen. Der Bund steht
        in keiner direkten finanziellen Verpflichtung gegenüber
        den Kommunen und kann deshalb wegen der Mehrauf-
        wendungen von diesen rechtlich nicht direkt belangt wer-
        den. Die Aufgabenzuweisung ist übrigens rechtlich be-
        denklich, weil entgegen Artikel 84 GG hier in die
        Organisationshoheit der Länder eingegriffen wird. Weil
        die neue Aufgabe nicht durch ein Landesgesetz erfolgt,
        können die Kommunen die neue Aufgabenzuweisung und
        die damit verbundenen Mehraufwendungen nicht direkt
        vor den Verfassungsgerichten angreifen. Es bleibt ihnen
        nur der Weg über Klagen wegen mangelnder Finanzaus-
        stattung allgemein, in deren Rahmen dann diese Frage mit
        geprüft wird. Das ist ein wesentlich stumpferes Schwert
        als der direkte Angriff. Es ist ein klarer Bruch des mit der
        Koalitionsvereinbarung gegebenen Versprechens.
        Zur Finanzierung wählt die Koalition den Finanzfluss
        über mehrere Umwege durch die Landeskassen. Durch
        eine Änderung des Wohngeldgesetzes in Artikel 9 will der
        Bund den Ländern diejenigen Mehrausgaben ausglei-
        chen, die den Kreisen und kreisfreien Städten als Trägern
        der Grundsicherung und der entsprechenden Mehrauf-
        wendungen in der Sozialhilfe entstehen. Damit landet das
        Geld zunächst einmal in den Landeskassen. Aufgrund der
        Erfahrung ist keineswegs anzunehmen, dass diese Mittel
        auch voll den Kommunen weitergegeben werden. Die Er-
        fahrungen zeigen, dass die Finanzminister klebrige Fin-
        ger haben und die Mittel praktisch nie vollständig wei-
        tergereicht wurden.
        Bei landesinternen Umsetzungsregelungen wurden
        häufig Wege gewählt, die schon nach wenigen Jahren
        nicht mehr nachvollziehbar waren und damit geradezu
        eine Einladung an die Länder waren, Mittel für sich selbst
        abzuzweigen. Der Familienleistungsausgleich ist ein be-
        redtes Beispiel dafür. So wurden zum Beispiel in Nieder-
        sachsen die Mittel in den kommunalen Finanzausgleich
        eingerechnet, und dies auch noch unvollkommen, sodass
        die Städte, Gemeinden und Landkreise zusätzlich auf er-
        heblichen Teilen der Kosten sitzen geblieben sind.
        Außerdem verfügen wir auch über Erfahrung mit dem
        Ausgleichsmechanismus Wohngeld. Als sich der Bund
        in den 80er-Jahren aus der Krankenhausfinanzierung
        zurückgezogen hat, erfolgte der finanzielle Ausgleich un-
        ter anderem  ähnlich wie das jetzt geschehen soll  da-
        durch, dass der Bund von der eigentlich durch die Länder
        zu finanzierenden Wohngeldhälfte einen Festbetrag über-
        nahm. Zum Ende des Jahres 2000 hat er sich aus dieser
        Mitfinanzierung verabschiedet, sodass nachträglich der
        Ausgleich entfallen ist. Wer will bei diesem Erfahrungs-
        horizont eigentlich darauf vertrauen, dass hier ein dauer-
        hafter Ausgleich zugunsten der Kommunen stattfindet?
        Wie auf einer so brüchigen Vertrauensbasis die Kosten-
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116190
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        entwicklung auf Dauer gerecht ausgeglichen werden soll,
        kann ich mir nicht vorstellen.
        Daneben ist die Finanzierungsnotwendigkeit umstrit-
        ten; Der Bund geht in der Ursprungsdrucksache 14/4595
        und auch noch in der Drucksache 14/5150 von 600 Milli-
        onen DM aus. Im Laufe des Vermittlungsverfahrens hat er
        bereits 800 Millionen DM angeboten. Die kommunalen
        Spitzenverbände gehen von 2 Milliarden DM aus. Die Be-
        rechnung des Bundes scheint wenig glaubwürdig, zumal
        sie auf Berechnungen und Schätzungen Datenmaterial
        aus dem Jahre 1997 beruht. Für den Zeitraum 1997 bis
        2001 wird eine Preissteigerungsrate von 5,1 Prozent un-
        terstellt. Angesichts der Tatsache, dass wir im Jahre 2001
        allein eine Inflationsrate von 2,5 bis 3 Prozent haben wer-
        den, ist das völlig unrealistisch.
        Nun zur Gewerbesteuerumlage. Die Gewerbesteuer-
        umlage wurde 1969 im Rahmen der Gemeindefinanz-
        reform als Ausgleich für die Beteiligung der Kommunen
        an der Einkommensteuer eingeführt. Richtig ist, dass in
        den Folgejahren die jeweiligen Bundesregierungen häufig
        die Gewerbesteuerumlage als direktes Ausgleichsinstru-
        ment zwischen Bund und Ländern einerseits und den
        Städten und Gemeinden andererseits gebraucht haben.
        Das hat dazu geführt, dass die Gewerbesteuer für die
        Kommunen an Bedeutung verloren hat. Ob dies richtig
        war oder nicht, darüber kann man streiten. Jedenfalls ist
        es einvernehmliche Praxis in Deutschland gewesen und
        deshalb müssen sich alle auch daran halten.
        Mit dem jetzigen Umfang der Abschöpfung gemeind-
        licher Einnahmen durch die Gewerbesteuerumlage ist die-
        ses Instrument unter systematischen Gesichtspunkten zu
        kritisieren. Durch den wachsenden Anteil der Gewerbe-
        steuerumlage am Bruttoaufkommen der Gewerbesteuer
        wird auf kommunaler Ebene nicht nur der Interessenzu-
        sammenhang zwischen Wirtschaft und Standortgemein-
        den, sondern auch der Charakter der Gewerbesteuer als
        Gemeindesteuer geschwächt. Entgegen der Behauptung
        des Bundes, es gebe keine unmittelbare Finanzbeziehung
        zwischen Bund und Kommunen, nutzt er die Gewerbe-
        steuerumlage immer häufiger und in großem Umfang als
        unmittelbares Instrument zur Abschöpfung gemeindlicher
        Einnahmen.
        Im Rahmen des Steuersenkungsgesetzes sollte die Ge-
        werbesteuerumlage von Bund und Ländern von rund
        20 auf fast 30 Prozent angehoben werden. Dies ist zwar
        nicht im vollen Umfang geschehen; aber dennoch kam es
        im Ergebnis zu einer erheblichen Anhebung und zu einer
        dauerhaften Festschreibung auf einem zu hohen Niveau.
        Damit ist der Grad des Erträglichen überschritten.
        Die Verlängerung der Nutzungsdauer in den AfA-Ta-
        bellen schafft in den ersten Jahren Steuermehreinnahmen,
        weil geringere Abschreibungen erfolgen. Dadurch ent-
        steht bei den Steuereinnahmen eine Spitze. Wenn diese
        abflaut, tritt ein Loch ein, weil die vorgezogenen Steuer-
        mehreinnahmen dann entfallen. Im Rahmen des Steuer-
        senkungsgesetzes wurden diese Mehreinnahmen bei den
        Kommunen im Finanztableau berücksichtigt und waren
        Anlass zu einer unbefristeten Erhöhung der Gewerbe-
        steuerumlage. Hier bedarf es einer Anpassung. Mittelfris-
        tig sind die Mehreinnahmen, die als Basis für die Er-
        höhung der Gewerbesteuerumlage genommen wurden,
        rückläufig. Deshalb muss aus der gestreckten Abschrei-
        bung eine Anpassung folgen.
        Bei der Gewerbesteuerumlage sind noch Anpassungen
        offen, weil die Begründung für vormalige Erhöhungen
        ganz oder teilweise entfallen ist:
        Zur kommunalen Mitfinanzierung des Solidarpaktes
        wurde die Gewerbesteuerumlage in den alten Ländern er-
        höht. Trotz einer gesetzlichen Revisionsklausel wurde
        eine Neuberechnung von den Ländern ohne Begründung
        blockiert, obwohl die kommunalen Spitzenverbände
        schon für das Jahr 1995 belegt hatten, wie stark die
        tatsächlichen Transfers der alten an die neuen Länder un-
        ter den ursprünglichen Erwartungen geblieben waren.
        Schon im ersten Jahr des Solidarpaktes war nur eine Er-
        höhung der Gewerbesteuer um 16 statt der gesetzlich fi-
        xierten 29 Vervielfältigerpunkte gerechtfertigt.
        Bei der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage im Rah-
        men des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmensteu-
        erreform um zunächst 7 und ab 2001 um 6 Vervielfälti-
        gerpunkte hat der Gesetzgeber auf eine Befristung
        verzichtet, obwohl die damit abzuschöpfenden gemeind-
        lichen Mehreinnahmen aus dem Abbau der Drohverlust-
        rückstellungen 2003 auslaufen und damit die Berechti-
        gung auch für diese Erhöhung der Gewerbesteuerumlage
        weitestgehend entfällt.
        Als Fazit bleibt festzustellen: Es besteht bei der Ge-
        werbesteuerumlage dringender Handlungsbedarf. Die
        Bundesregierung verweigert sich diesem, obwohl sie eine
        Besserung der kommunalen Finanzverhältnisse verspro-
        chen hatte. Dies ist Ausdruck der kommunalfeindlichen
        Haltung der Regierung Schröder.
        Die Zerlegung der Gewerbesteuer hat die Aufgabe, das
        Steueraufkommen an Gemeinden zu verteilen, wenn ein
        Betrieb mehrere Betriebsstätten hat. Dabei gilt es, den
        richtigen Kompromiss zwischen einfacher Durchführung
        und Ergebnisgerechtigkeit zu erzielen. Grundsätzlich gilt
        nach § 29 Gewerbesteuergesetz (GewStG) der Arbeits-
        lohn an den einzelnen Betriebsstätten als Zerlegungsmaß-
        stab. Allerdings sind auch andere Formen der Zerlegung
        denkbar. Nach § 33 GewStG kann, wenn die Regelzerle-
        gung zu offenbar unbilligen Ergebnissen fährt, die Auf-
        teilung auch nach einem anderen Maßstab, der die
        tatsächlichen Verhältnisse besser berücksichtigt, erfolgen.
        Dabei ist gemäß § 33 Abs. 2 einer Einigung zwischen den
        beteiligten Gemeinden über die Steuerschuld der Vorrang
        zu geben. Von dieser Regelung wird im großen Umfang
        Gebrauch gemacht. So wurden für die Telekom und bei-
        spielsweise viele Energieversorgungsunternehmen, zum
        Beispiel in Niedersachsen die Avacon, besondere Maß-
        stäbe entwickelt. Wenn es keine Einigung unter den
        Beteiligten gibt, kann auch die Finanzverwaltung ihre
        Regelungen treffen. Diese flexible Regelung trägt den Be-
        dürfnissen der Praxis ausreichend Rechnung, sodass der
        Antrag auf Veränderung der Zerlegung abzulehnen ist.
        Das Lohngefälle vermag allein ein Abweichen von
        denn bisherigen grundsätzlichen Zerlegungsmaßstab
        nicht zu rechtfertigen, denn es ist auch eine unterschiedli-
        che Produktivität gegeben. Wäre das nicht der Fall, hätte
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16191
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        es schon längst eine Angleichung der Tariflöhne gegeben.
        Insofern geht Ihr Antrag in die falsche Richtung.
        Die Auswirkungen des Kaufes der UMTS-Mobilfunk-
        Lizenzen auf die Steuerzahlung der Unternehmen recht-
        fertigen eine Änderung bei der Gewerbesteuerumlage
        nicht. Hier wäre es vielmehr angebracht gewesen, die
        Kommunen direkt an den Einnahmen zu beteiligen.
        Ich fasse zusammen: Weil der Antrag zur Zerlegung
        der Gewerbesteuer sachlich verfehlt ist und der Antrag zur
        Gewerbesteuerumlage nur einen berechtigten Teilaspekt
        aufgreifen würde, der den Blick die Gesamtproblematik
        eher versperrt, wird die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
        beide Anträge ablehnen.
        Unter der Regierung Kohl ging es uns gut. Unter der
        Regierung Schröder geht es uns besser. Aus kommunaler
        Sicht kann die Forderung nun lauten: Ach, ginge es uns
        doch wieder gut!
        Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
        Auswirkungen der Steuerreform werden natürlich nicht
        nur von Bund und Ländern getragen, sondern auch von
        den Kommunen. Im Rahmen der föderalen Finanzvertei-
        lung erhalten die Kommunen ihren Anteil an den Steuer-
        einnahmen und umgekehrt tragen sie natürlich auch an-
        teilig die Steuermindereinnahmen in Folge der
        Steuersenkungen.
        Auf eines muss an dieser Stelle einmal ganz deutlich
        hingewiesen werden: Wir sind es gewesen, die sich von
        Anfang an für den Erhalt der Gewerbesteuereinnahmen in
        voller Höhe und vollem Hebesatzrecht und damit der Fi-
        nanzautonomie der Kommunen eingesetzt haben. Wir ha-
        ben deshalb schon bei den konzeptionellen Überlegungen
        zur Steuerreform die Variante der Gewerbesteueranrech-
        nung auf die Einkommensteuerschuld favorisiert. Mit der
        Gewerbesteueranrechnung sind gleich zwei Probleme
        gelöst. Die Personenunternehmen sind nahezu vollständig
        von der Gewerbesteuer entlastet und die Kommunen
        behalten ihre Gewerbesteuereinnahmen und Finanzauto-
        nomie.
        Gerade dieses Element der Steuerreform bewirkt zu-
        sammen mit der Absenkung des Einkommensteuertarifs
        und des Eingangsteuersatzes eine Förderung kleinerer und
        mittlerer Unternehmen in den Städten und Gemeinden.
        Für uns stand die ganze Zeit fest. Die Reform der Un-
        ternehmensbesteuerung und dreistufige Absenkung der
        Einkommensteuer sind gemeinsame Reformanstrengun-
        gen von Bund, Ländern und Kommunen. An der Finan-
        zierung dieser Entlastungen für Bürger und Unternehmen
        sind alle staatlichen Ebenen anteilig beteiligt, also auch
        die Kommunen. Unsere Steuerentlastungen verbessern
        die Bedingungen für Investitionen, erhöhen die verfüg-
        baren Einkommen in den Kommunen und begünstigen
        damit die Schaffung von Arbeitsplätzen.
        Die Früchte dieser Politik werden steigende Einnah-
        men bei der Gewerbesteuer und geringere Belastungen
        aus der Finanzierung zum Beispiel von Sozialleistungen
        sein. Dies kommt vor allem den Kommunen zugute. Der
        Anteil der Kommunen an den reformbedingten unmittel-
        baren Steuerausfällen liegt mit durchschnittlich rund
        9 Prozent von 2001 bis 2006 noch wesentlich unterhalb
        ihres Anteils an den gesamten Steuereinnahmen der Ge-
        bietskörperschaften. Dieser Anteil beträgt rund 12 Pro-
        zent. Erst ab 2005 steigen die Steuerausfälle der Kommu-
        nen deutlich an, bleiben aber anteilig mit rund 11 Prozent
        weiterhin unterhalb des Anteils der Kommunen an den
        gesamten Steuereinnahmen.
        Ich halte fest: Die Kommunen sind demzufolge unter-
        proportional an der Finanzierung der Steuerreform betei-
        ligt. Auch aus der Statistik über die kommunalen Einnah-
        men der Kommunen für das Jahr 2000 ergibt sich, dass
        sich die finanzielle Lage in der Summe  Finanzierungs-
        saldo oder Nettokreditaufnahme  eher entspannt hat. Un-
        abhängig davon befinden sich die einzelnen Kommunen
        in sehr unterschiedlichen Haushaltslagen. Dies gilt im
        Grunde auch für Kommunen in den neuen Ländern, je
        nach wirtschaftlicher Entwicklung und Höhe der Arbeits-
        losigkeit.
        Die PDS fordert in dem einen Antrag die Rücknahme
        der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage im Rahmen der
        Steuerreform. Diesem Begehren werden wir nicht zu-
        stimmen, weil von der Tendenz her die Städte und Ge-
        meinden die Gewinner der Unternehmensteuerreform
        sind. Die Mehreinnahmen ergeben sich im Wesentlichen
        aus den zur Gegenfinanzierung der Steuerreform vorge-
        sehenen veränderten Abschreibungsbedingungen. Diese
        verbreitern die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer
        und führen so unter dem Strich sogar zu mehr Gewerbe-
        steuereinnahmen. Durch die Erhöhung der Gewerbe-
        steuerumlage in der verabschiedeten Form wird in der
        Summe eine angemessene Beteiligung der Kommunen an
        der Steuerreform erreicht. An der Finanzierung der Tarif-
        reform in der Einkommensteuer sind die Kommunen in
        etwa in Höhe ihres 15-prozentigen Anteils am Gesamt-
        aufkommen beteiligt. Die Erhöhung der Gewerbesteuer-
        umlage ist ansteigend gestaltet in den Jahren 2001 bis
        2005 und wird ab 2006 abgemildert. Da die finanziellen
        Mehreinnahmen der Kommunen wegen der veränderten
        Abschreibungsbedingungen zwangsläufig auf Schätzwer-
        ten beruhen, hat sich die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
        dafür eingesetzt, dass spätestens Anfang des Jahres 2004
        eine Überprüfung der Höhe der Gewerbesteuerumlage er-
        folgt. So wird es jetzt auch gemacht.
        In einem weiteren Antrag der PDS wird eine Änderung
        des Zerlegungsmaßstabs des Gewerbesteuermessbetrages
        vorgeschlagen. Die PDS schlägt vor, von der bisherigen
        Lohnsumme abzugehen und die Gewerbesteuer nach
        Maßgabe der Arbeitsplätze und des Wertes der Betriebs-
        anlagen aufzuteilen. Sie erweckt damit den Eindruck, als
        könne eine veränderte Gewerbesteueraufteilung das Ein-
        nahmeproblem vieler ostdeutscher Städte und Gemeinden
        lösen. Erst mehr wirtschaftliche Aktivitäten werden die-
        ses Dilemma beseitigen. Den vorgeschlagenen veränder-
        ten Maßstab halten wir nicht für geeignet. Solange es die
        Gewerbesteuer gibt, ist der Anteil der Arbeitslöhne besser
        geeignet als die Anzahl der Arbeitsplätze, weil die Ge-
        werbesteuer eine Steuer auf einen Teil der Wertschöpfung
        ist. Deswegen sollte auch eine Aufteilung entsprechend
        der Höhe der Wertschöpfung je Kommune erfolgen.
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116192
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Kommt man im Rahmen der ausstehenden kommuna-
        len Finanzreform zu dem Ergebnis, dass die Gewerbe-
        steuer abgeschafft wird und ein Hebesatzrecht der
        Kommunen im Rahmen der Einkommenssteuer oder Um-
        satzsteuer eingeräumt wird, dann muss auch der Vertei-
        lungsschlüssel neu gestaltet werden. Strukturschwachen
        Gemeinden und Kommunen, also insbesondere auch für
        viele Gegenden der neuen Länder, muss im Rahmen einer
        gezielten Strukturpolitik geholfen werden, und zwar nicht
        mit veränderten Schlüsselzahlen im Rahmen der Gewer-
        besteuer.
        Gerhard Schüßler (F.D.P.): Das Grundanliegen der
        beiden vorliegenden Anträge der PDS-Fraktion ist die
        ausreichende Finanzausstattung der Gemeinden. Diesem
        Anliegen wird jedes Mitglied dieses Hauses uneinge-
        schränkt zustimmen. Bei der Frage, wie wir für eine aus-
        reichende Finanzausstattung der Gemeinden sorgen kön-
        nen, scheiden sich allerdings die Geister.
        Um es gleich vorwegzunehmen: Die F.D.P. bleibt bei
        ihrer Forderung, die Gewerbesteuer endgültig abzuschaf-
        fen. Bei der Gewerbekapitalsteuer ist das bereits gelun-
        gen. Grund dafür war allerdings nicht die Einsicht, dass
        diese Steuer die Unternehmen schwächt. Alles, weil die
        Einführung dieser Substanzsteuer in den neuen Ländern
        drohte, konnte beseitigt werden. Die Kommunen benöti-
        gen eine wirtschaftskraftbezogene eigene Steuerquelle,
        das heißt, sie müssen mittels eines Hebesatzrechtes die
        Höhe der Steuer festlegen können.
        Die F.D.P. schlägt vor, im Gegenzug zum Wegfall der
        Gewerbeertragsteuer auf Gemeinden ein eigenes Hebe-
        satzrecht auf die Einkommensteuer, alternativ auf die
        Umsatzsteuer, einzuräumen. Die Gewerbeertragsteuer ist
        eine Sonderbelastung der Unternehmen. Gerade die PDS
        müsste daran interessiert sein, diese Belastung zu beseiti-
        gen, um dadurch Entlastungseffekte auch für ostdeutsche
        Unternehmen zu erzielen. Der Wegfall der Gewerbeer-
        tragsteuer wäre gleichzeitig ein spürbarer Beitrag zur Ver-
        einfachung unseres Steuerrechts. Wir müssten uns dann
        nicht mit hochkomplizierten Verrechnungsmodalitäten
        und mit der Höhe der Gewerbesteuerumlage befassen.
        Die vorliegenden Anträge lehnt die F.D.P. daher ab.
        Anlage 7
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Entwürfe:
         Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsge-
        setzes
         Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsge-
        setzes und des Ausländergesetzes
        und zur Beratung des Antrags: Schlussoffensive für
        erleichterte Einbürgerung von Kindern
        (Tagesordnungspunkt 21 a und b)
        Dr. Michael Bürsch (SPD): Nahezu zwei Jahre sind
        seit der Verabschiedung des neuen Staatsangehörigkeits-
        rechts durch den Deutschen Bundestag vergangen, das
        reformierte Staatsangehörigkeitsgesetz ist seit dem 1. Ja-
        nuar 2000 in Kraft. Heute haben wir über die Verlänge-
        rung der Regelungen zur vereinfachten Kindereinbürge-
        rung zu entscheiden. Dies ist eine gute Gelegenheit, eine
        erste Bilanz über das neue Staatsangehörigkeitsrecht zu
        ziehen.
        Zwar ist die Datenbasis noch zu schmal, um quantita-
        tive Aussagen zu treffen, da die Einbürgerungsbehörden
        erst jetzt damit beginnen, ihre Angaben dem Statistischen
        Bundesamt zu übermitteln. Aber in einer ersten qualitati-
        ven Bewertung können wir bereits feststellen, dass die
        Kernpunkte der Reform greifen  und dass sich das Be-
        wusstsein in der Bevölkerung ändert, dass über Integra-
        tion, Staatsangehörigkeit und Zuwanderung heute diffe-
        renzierter diskutiert werden kann, als dies noch vor zwei
        Jahren der Fall war. Ich nenne hier Staatsangehörigkeit,
        Integration und Zuwanderung bewusst in einem Zusam-
        menhang, denn die Reform des Staatsangehörigkeitsge-
        setzes war nur der erste Schritt bei der grundlegenden Er-
        neuerung unseres Ausländer- und Einwanderungsrechts.
        Dies wird eines der wichtigsten politischen Vorhaben der
        nächsten Jahre sein und wir sollten hier die Mahnung des
        Bundespräsidenten beherzigen: Die Diskussion muss so
        geführt werden, dass weder Angst geschürt noch Illusio-
        nen geweckt werden.
        Am heutigen Tag können wir eine weitere erfreuliche
        Feststellung treffen: Alle Bundestagsfraktionen außer der
        CDU/CSU sind sich einig, dass der frühzeitigen Integra-
        tion der in Deutschland aufwachsenden Kinder ausländi-
        scher Familien eine überragende Bedeutung zukommt.
        SPD, Bündnis 90/Die Grünen, F.D.P. und PDS tragen ge-
        meinsam den Antrag, die Regelung zur erleichterten Kin-
        dereinbürgerung zu verlängern. Bei den Kolleginnen und
        Kollegen aus den Reihen der Union fehlt es leider auch
        heute an der Bereitschaft, sich an der Suche nach den bes-
        ten Lösungen für die zentralen Fragen der Innenpolitik zu
        beteiligen. Das ist umso bedauerlicher, als viele von ihnen
        heute schon ganz anders über Zuwanderung denken als
        vor zwei Jahren.
        Vor einer Woche haben Sie sich einem gemeinsamen
        Antrag gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit
        und Antisemitismus verweigert. Beim NPD-Verbotsan-
        trag haben Sie nicht zu einer einheitlichen Linie gefunden.
        Während die bayerische Landesregierung den Verbotsan-
        trag nachdrücklich gefordert hat, konnten Sie sich hier im
        Bundestag nicht zu einem gemeinsamen Vorgehen aller
        demokratischen Parteien entschließen. Heute stellen Sie
        sich wiederum gegen ihre Landesregierungen. Die hessi-
        sche CDU/F.D.P.-Koalition  man höre und staune  hat
        in den Ausschussberatungen des Bundesrates die Verlän-
        gerung der bisherigen Regelung zur vereinfachten Kin-
        dereinbürgerung um ein Jahr vorgeschlagen. Hier können
        Sie sich an Roland Koch ausnahmsweise einmal ein Vor-
        bild nehmen!
        Wieder einmal kann man es nicht besser sagen als mit
        den Worten von Willy Brandt: Ich dachte, wir wären
        schon weiter. Wie wollen Sie glaubwürdig über Zuwan-
        derung diskutieren, wenn Sie schon der Integration der
        hier im Lande geborenen Kinder Steine in den Weg legen?
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16193
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Die Debatte über Zuwanderung und Integration von
        Ausländern ist in Bewegung geraten und zum Glück wird
        sie zunehmend sachlicher geführt. Wir haben mit der Än-
        derung des Staatsbürgerschaftsrechts den Anfang ge-
        macht. Millionen Menschen, die dieses Land mit aufge-
        baut haben, die erheblich zum wirtschaftlichen Erfolg
        Deutschlands beitragen, die sich ehrenamtlich engagieren
        und unsere Gesellschaft nachdrücklich geprägt und berei-
        chert haben, wurde mit der Reform das Angebot rechtli-
        cher Gleichstellung und politischer Teilhabe gemacht.
        Staatsangehörigkeit kann Integration nicht ersetzen,
        aber sie kann und muss sie ergänzen. Die Bedeutung der
        Staatsangehörigkeit für die Integration darf nicht über-
        schätzt, sie darf aber auch nicht unterschätzt werden. Erst
        die Staatsangehörigkeit gewährleistet einen verlässlichen
        Status, der ein wirklich gleichberechtigtes Zusammenle-
        ben erst ermöglicht.
        Wenn dies schon für die Elterngeneration richtig ist,
        dann gilt dies erst recht bei den Kindern. Der Kernpunkt
        der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, die Ergän-
        zung des Abstammungsprinzips durch das Geburtsrecht,
        das Jus soli, soll es den hier geborenen Jugendlichen er-
        leichtern, sich mit ihrem Heimatland Deutschland zu
        identifizieren. Rund 50 000 der im vergangenen Jahr in
        Deutschland geborenen Kinder ausländischer Eltern be-
        sitzen aufgrund der neuen Regelung bereits von Geburt an
        die deutsche Staatsangehörigkeit.
        Diese Möglichkeit soll auch weiterhin ihren nur we-
        nige Jahre älteren Geschwistern offen stehen. Leider blieb
        die Zahl der Einbürgerungsanträge auf Grundlage der be-
        fristeten Regelung des § 40 b des Staatsangehörigkeitsge-
        setzes hinter den Erwartungen zurück. Bis zum Ablauf der
        Antragsfrist wurde nur für höchstens 30 000 der über
        300 000 einbürgerungsberechtigten Kinder ein Antrag ge-
        stellt. Nach den Erfahrungen der Einbürgerungsbehörden
        haben vor allem die überhöhten Gebühren von 500 DM
        dazu beigetragen, dass die vielfach einkommensschwa-
        chen Familien vor einem Antrag zurückschreckten.
        Am Sinn der Regelung zur Kindereinbürgerung be-
        steht kein Zweifel. Wir wollen diesen Kindern im Klein-
        kind-, Kindergarten- und Grundschulalter die bestmögli-
        chen Integrationsbedingungen bieten. Denn in den
        Kindergärten und Schulen entscheidet sich, ob die Inte-
        gration in unserem Land gelingt. Dies sind die Lernorte
        des Zusammenlebens.
        Es wäre für die Betroffenen nicht nachvollziehbar,
        wenn in einer Familie die beiden älteren Geschwister  sa-
        gen wir einmal: im Alter von zwei und vier Jahren  nicht
        das Optionsrecht auf die deutsche Staatsangehörigkeit ha-
        ben, während ihre neugeborene Schwester den deutschen
        Pass in die Wiege gelegt bekommt. Einen solchen Riss
        durch die Familien wollen wir vermeiden.
        Deshalb wollen wir die Antragsfrist um zwei Jahre, bis
        zum 31. Dezember 2002, verlängern. Wir wollen darum
        werben, den Rechtsanspruch auch zügig einzulösen, des-
        halb bleibt es bei einer Befristung. Wir senken aber
        gleichzeitig die Einbürgerungsgebühr von 500 DM auf
        100 DM, da sich die Höhe der Gebühr, zumal bei kinder-
        reichen Familien, als erhebliches Hemmnis für die Ein-
        bürgerungsbereitschaft erwiesen hat.
        Diese Absenkung um 400 DM pro Kind bedeutet ver-
        kraftbare Einnahmeausfälle heute, aber eine erhebliche
        Ersparnis an Anstrengungen und Kosten in der Zukunft,
        wenn die Integration im Erwachsenenalter mit ungewis-
        sen Erfolgsaussichten nachgeholt werden muss. Einen
        kleinkarierten Streit über die angemessene Höhe der Ver-
        waltungsgebühren sollten wir uns ersparen und stattdes-
        sen klarstellen, wie wichtig  und wie viel wert  uns die
        frühzeitige Integration der in Deutschland aufwachsenden
        Kinder ausländischer Familien ist.
        Wir machen mit der heutigen Entscheidung einen wei-
        teren Schritt zur erleichterten Einbürgerung von Auslän-
        dern. Der nächste, erheblich größere Schritt wird die
        Regelung von Zuwanderung und Integration sein, die wir
        noch in diesem Jahr auf den Weg bringen werden. Ich
        hoffe, dass wir dann alle Fraktionen dieses Hauses im
        Boot wiederfinden.
        Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Das Thema
        gibt Anlass darauf hinzuweisen, dass es hinsichtlich der
        Integration von in Deutschland lebenden Ausländern un-
        terschiedliche Lösungsansätze und Grundpositionen gibt,
        die verschiedener kaum sein könnten. Da ist zum einen
        die Position derer, die das deutsche Staatsangehörigkeits-
        recht zum 1. Januar 2000 geändert haben, die heute zu die-
        sem Gesetz das fünfte oder sechste Änderungsgesetz
         irgendwann hört man mal auf zu zählen  einbringen
        und die der Auffassung sind, der Pass sei das geeignete
        Mittel zur Integration. In der Konsequenz bedeutet diese
        Meinung nichts anderes als: Wenn man nur möglichst
        viele Pässe verteilt, dann gibt es möglichst wenig Pro-
        bleme mit der Integration. Das ist aber nicht unsere Posi-
        tion. Wir sehen es genau umgekehrt: Zunächst kommt für
        uns die Integration, und dann  nach erfolgtem und erfol-
        greichem Integrationsprozess  kommt der Pass. Also
        nicht der Pass als Mittel zur Integration, sondern die Ver-
        leihung der Staatsbürgerschaft am Ende des Integrations-
        prozesses.
        Dass der Pass nicht automatisch zur Integration in
        Deutschland führt, kann man, wenn man nicht völlig blind
        ist, wirklich klar beobachten. Mehr als eine Million Men-
        schen haben sofort einen deutschen Pass erhalten, als sie
        aus einem völlig anderen Kulturkreis nach Deutschland
        kamen. Sie hätten eigentlich sofort und ohne Probleme
        nach rot-grüner Logik integriert sein müssen. Aber wol-
        len Sie im Ernst die Probleme bestreiten, die wir mit
        Spätaussiedlern  etwa aus Kasachstan  haben? Wollen
        Sie im Ernst behaupten, gerade die Jüngeren aus dieser
        Gruppe würden sich dank des deutschen Passes hier gera-
        dezu optimal und problemfrei integrieren? Ich müsste Sie
        dann schon fragen, wo Sie eigentlich leben. Wer diese
        Probleme nicht sieht oder nicht sehen will, der leidet ent-
        weder unter Realitätsverlust oder unter einer schlimmen
        Ideologie. Beides wäre bedenklich.
        Im Übrigen, gestatten Sie den Hinweis, ging und geht
        es Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von Rot-
        Grün, natürlich um mehr: Sie wollen allen in Deutschland
        lebenden Ausländern die generelle doppelte Staatsbürger-
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116194
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        schaft geben, sind damit aber am Widerstand der Bevöl-
        kerung und der Opposition von CDU und CSU geschei-
        tert. Aufgegeben haben Sie Ihr Vorhaben, so ist zu be-
        fürchten, dass sie es jetzt in kleinen Schritten nicht nur
        verwirklichen. Damit hatten Sie allerdings die Menschen
        hinters Licht geführt. Wir werden Ihnen das nicht so ohne
        weiteres durchgehen lassen.
        Sie setzen ihr Stückwerk fort, allerdings so, dass wie-
        der Stückwerk entsteht, sodass die nächsten Änderungs-
        gesetze schon vorprogrammiert sind. Vielleicht möchte
        der Bundesinnenminister in Sachen Änderungsgesetzge-
        bung  von der Anzahl her gesprochen, über Qualität ist
        in diesem Zusammenhang schon lange nicht mehr zu re-
        den  seinen Kollegen Riester oder die ehemalige Kolle-
        gin Fischer noch toppen. Nur möchte ich klar sagen: Das
        Staatsangehörigkeitsrecht ist eine sensible Materie, es ist
        ein Rechtsgebiet, welches mehr als andere auf Kontinuität
        und Berechenbarkeit angelegt ist. Das liegt in der Natur
        der Sache. Wenn ihre Änderungsgesetzgebung nun nicht
        aus handwerklichem Unvermögen, sondern gar aus Ab-
        sicht geschähe, dann wäre dies bei dieser Materie sehr zu
        kritisieren. Es wäre nämlich in hohem Maße verantwor-
        tungslos.
        Nun soll also, vermutlich nach dem Willen einer Mehr-
        heit hier im Deutschen Bundestag, das Staatsangehörig-
        keitsrecht erneut geändert werden. Im Wesentlichen soll
        für die Kinder von Ausländern, die bei In-Kraft-Treten
        des Gesetzes am 1. Januar 2000 noch keine zehn Jahre alt
        gewesen sind, die Frist, innerhalb der erklärt werden
        kann, dass auch diese Kinder zusätzlich die deutsche
        Staatsbürgerschaft erhalten und die am 31. Dezember
        2001 ablaufen wird, gleich um zwei Jahre verlängert wer-
        den; außerdem soll die Gebühr für diese Einbürgerungen
        von 500 DM auf 100 DM gesenkt werden, was dann zwar
        nicht mehr kostendeckend, aber, nach Auffassung von
        Rot-Grün und leider auch der F.D.P., ein Integrations-
        hemmnis beseitigen würde. Es wird sicherlich
        niemanden verwundern, dass wir von CDU/CSU dem kei-
        nesfalls zustimmen können. Die vorgesehene Verlänge-
        rung der Antragsfrist für Einbürgerungen nach § 40 b
        StAG betrifft eine Gesetzesbestimmung, welcher wir im
        Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Reform des
        Staatsangehörigkeitsrechts bereits von Anfang an aus
        grundsätzlichen Erwägungen widersprochen haben. Mit
        dieser Vorschrift wird nämlich der Grundsatz der Vermei-
        dung von Mehrstaatigkeit massiv infrage gestellt. Damit
        wird ein das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht maßgeb-
        lich prägender Grundsatz eklatant verletzt. Wir wollen
        auch in Zukunft im Grunde genommen mehrere Staats-
        bürgerschaften bei einer Person vermeiden, Sie aber, Kol-
        leginnen und Kollegen von Rot-Grün, haben ja eine an-
        dere Auffassung, können mit der Verletzung dieses
        Eckpfeilers des Staatsangehörigkeitsrechts aber gut leben.
        Mit einem müssen Sie allerdings auch leben, nämlich,
        dass wir unsere Meinung sagen und als Opposition im
        Deutschen Bundestag Ihre Meinung, die übrigens ja auch
        von einer ganz klaren Mehrheit der Bevölkerung für
        falsch und inakzeptabel gehalten wird, deutlich kritisie-
        ren. Also: Mit dieser berechtigten Kritik unsererseits wer-
        den Sie heute, aber auch bei Ihren weiteren Vorhaben, ein-
        fach leben müssen, auch wenn es weh tut.
        Auch unter integrationspolitischen Gesichtspunkten ist
        das rot-grün-gelbe Gesetzeswerk durchgreifenden Beden-
        ken ausgesetzt. Die Vorschrift eröffnet auch dann einen
        Einbürgerungsanspruch, wenn Kinder von Ausländern
        gar nicht in Deutschland leben, sondern im Ausland auf-
        wachsen, dort die Schule besuchen, kein Wort Deutsch
        sprechen, Deutschland nie kennen gelernt oder vielleicht
        überhaupt noch nie gesehen haben. In diesen, in der Pra-
        xis nicht seltenen, Fällen kann die mit der Einbürgerung
        intendierte Integrationserleichterung überhaupt nicht
        funktionieren, sie ist von vornerherein absolut ausge-
        schlossen. Gesetzeszweck und das vorgelegte Gesetz ste-
        hen einander wirklich diametral gegenüber. Behaupten
        Sie bitte nicht, dass dies Einzelfälle wären. Ausländer-
        behörden beantworten die Frage, wie viele dieser jungen,
        bei uns geborenen Menschen zum Zwecke des Schulbe-
        suchs und der Ausbildung in das Heimatland Türkei ver-
        bracht werden, mit 30 bis 40 Prozent. Das sind also nicht
        nur Ausnahmefälle, die man vernachlässigen könnte! Mit
        der geplanten Verlängerung der Antragsfrist nach § 40 b
        StAG um weitere zwei Jahre verantworten Sie, dass die
        integrationspolitisch bedenklichen Fälle in Zukunft deut-
        lich zunehmen könnten. Sie leisten der Sache insgesamt
        damit allerdings einen Bärendienst.
        Sie wollen die Einbürgerungsgebühr von 500 DM auf
        100 DM senken. Auf Länderebene  und da sitzen ja die
        Praktiker  geht man davon aus, dass die nach rot-grüner
        Auffassung zu niedrigen Antragszahlen überhaupt nicht
        auf die Höhe der Einbürgerungsgebühr zurückzuführen
        sind. Schon deshalb ist die entsprechende Behauptung in
        der Gesetzesbegründung des Gesetzentwurfs von SPD,
        Grünen und F.D.P. nicht zutreffend.
        Aber es gibt weitere Gründe, warum diese drastische
        Gebührenabsenkung nicht akzeptiert werden kann. Mit
        der Discount-Gebühr, die jetzt eingeführt werden soll,
        werden die entstehenden Kosten bei weitem nicht ge-
        deckt. Die tatsächlichen Kosten betragen mindestens das
        Doppelte. Nun verfährt die rot-grüne Bundesregierung
        hier nach einem Grundsatz, den wir leider aus vielen an-
        deren Bereichen nur zu gut kennen: In Berlin beschließen
        Rot und Grün, bezahlen dürfen dann die Länder und Kom-
        munen. So geht das nicht! Diese kommunalfeindliche
        Einstellung wird immer auf unseren erbitterten Wider-
        stand treffen!
        Was ist eigentlich mit dem viel zitierten Verursacher-
        prinzip, das Sie hier mit Füßen treten? Ich vermag nicht
        einzusehen, warum die tatsächlich entstehenden Kosten
        bei Einbürgerungsverfahren von der Allgemeinheit der
        kommunalen Gebühren- und Steuerzahler gezahlt werden
        soll, nur weil es einer rot-grün-gelben Mehrheit im Deut-
        schen Bundestag so in den Kram passt. Wer bestellt, soll
        auch bezahlen! Das muss auch bei der Einbürgerung gel-
        ten! Die Gebühr wäre bei Kostendeckung ja ganz sicher
        nicht so hoch, dass jemand, dem es Ernst ist mit der deut-
        schen Staatsangehörigkeit, sich davon abhalten ließe. Das
        wäre doch geradezu absurd!
        Zu absurden Ergebnissen würde im Übrigen das Wei-
        terentwickeln ihrer Logik führen. Wissen Sie, meine Da-
        men und Herren von SPD, Grünen und F.D.P. und PDS:
        Wenn die Einbürgerungsgebühr ein Hemmnis für den
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16195
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Einbürgerungsantrag ist und sich nach Absenken der Ge-
        bühr nach zwei Jahren immer noch nach Ihrer Lesart zu
        wenig Einbürgerungsanträge angesammelt haben, dann
        müssten sie eigentlich eine Einbürgerungsprämie ausset-
        zen. Ja, das wäre dann in der Tat absurd, aber diese Zu-
        spitzung zeigt, wie falsch sie schon im Ansatz liegen.
        Auch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten ist übrigens
        die Senkung der Gebühr von 500 DM auf 100 DM be-
        denklich. Was ist eigentlich mit den Eltern, welche den
        Antrag nach geltendem Recht fristgerecht gestellt haben,
        sich also rechtstreu verhalten haben, und eine fünfmal so
        hohe Gebühr bezahlt haben? Was werden Sie diesen El-
        tern sagen, wenn diese Sie fragen: Wie ist das gerechtfer-
        tigt oder ist das nicht sogar eine willkürliche Ungleichbe-
        handlung? Darauf hörte ich gerne eine Antwort von Ihnen,
        was Sie diesen Menschen dann sagen. Und wie Sie die in-
        nere Logik auch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten ih-
        rer Regierungs- und Gesetzgebungskunst dann auch im
        Grundsätzlichen rechtfertigen.
        Aber vielleicht ist diesen Menschen ja auch zu antwor-
        ten: Wartet noch ein bisschen zu, mit euren hunderttau-
        sendfachen Einbürgerungsanträgen. SPD, F.D.P. Grüne
        und PDS im Deutschen Bundestag, eine satte Mehrheit je-
        denfalls, will euch alle einbürgern. Koste es, was es wolle.
        Und vielleicht kostet es in zwei Jahren nicht einmal mehr
        die hundert Mark, vielleicht gibt es die deutsche Staats-
        angehörigkeit dann ganz umsonst. Vielleicht, wer weiß,
        kommt sie irgendwann ja doch noch, die rot-grüne Ein-
        bürgerungsprämie dafür, dass man endlich die deutsche
        Staatsbürgerschaft annimmt.
        Hoffentlich kommt es aber nie so weit. Denn bis dahin
        haben wir, das hoffe jedenfalls, wieder andere Mehrheits-
        verhältnisse im Deutschen Bundestag. Und diese Mehr-
        heit wird dann dem absurden Spuk im Interesse einer ganz
        großen Mehrheit der Deutschen, in Wahrheit aber auch im
        Interesse der Integration der bei uns lebenden Ausländer,
        ein Ende bereiten.
        Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN): Das Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeits-
        gesetzes vom Juli 1999 sieht eine erleichterte Einbürge-
        rung für Minderjährige, die nach dem 1. Januar 1990
        geboren wurden, bis zum 31. Dezember 2000 vor. Von
        diesem Recht haben bis zum Ende letzten Jahres jedoch
        lediglich zehn Prozent der etwa 300 000 berechtigten Kin-
        der Gebrauch gemacht.
        Vor allem die Einbürgerungsgebühr von 500 DM ist für
        viele Eltern ein Hindernis, den für die frühzeitige Integra-
        tion der Kinder notwendigen Antrag zu stellen. Dies wird
        uns vor allem von Beratungsstellen und Ausländerbeauf-
        tragten immer wieder berichtet. Es ist den betroffenen El-
        tern oft nur schwer zu vermitteln, weshalb ihr Kind, das
        im Jahr 2000 hier geboren wurde, kraft Gesetz und damit
        gebührenfrei die deutsche Staatsangehörigkeit erhält,
        während sie für jedes noch nicht zehnjährige Kind einen
        gesonderten Antrag stellen und die Gebühr von 500 DM
        wie bei der Einbürgerung eines Erwachsenen zahlen
        müssen.
        Die heute zur Beratung anstehenden Gesetzentwürfe
        sind vor diesem Hintergrund ein positiver Schritt. So soll
        die Frist für die Einbürgerung ausländischer Kinder um
        zwei Jahre bis zum 31. Dezember 2002 verlängert wer-
        den. Gleichzeitig soll die Hürde hoher Verwaltungskosten
        entfallen und die Gebühren für die Kindereinbürgerung
        auf 100 DM gesenkt werden. Dies soll auch für alle sons-
        tigen Einbürgerungen Minderjähriger gelten.
        Erfreulich ist auch, dass die Gesetzentwürfe der Koali-
        tion und der F.D.P. in den Ausschüssen zusammengeführt
        werden konnten  sozusagen als Konsens der Demo-
        kraten.
        Für sich selbst spricht das Verhalten der Union: Wie
        schon bei der Ablehnung eines gemeinsamen Antrags
        zum Thema Bekämpfung des Rechtsextremismus in der
        vergangenen Woche verweigert sie sich auch bei diesem
        wichtigen integrationspolitischen Thema und gerät so im-
        mer weiter ins Abseits. Denn die vorgeschlagenen Geset-
        zesänderungen bieten eine neue Chance für die rechtliche
        Integration ausländischer Kinder. Auch wenn die Zahl der
        berechtigten Kinder nicht größer wird, so besteht doch
        eine erneute Möglichkeit zur Einbürgerung für diejeni-
        gen, die diese bisher nicht wahrgenommen haben. Vor
        dem Hintergrund, dass in fast allen Parteien und bei den
        Bürgerinnen und Bürgern die Einsicht wächst, dass Inte-
        gration möglichst früh beginnen sollte, verschenken wir
        eine einmalige Chance, wenn wir nicht alles Mögliche
        tun, auch den Integrationsprozess der bereits heute hier le-
        benden Kinder bis zu zehn Jahren, die in Kindergarten
        und Schule erste prägende Erfahrungen gemacht haben,
        möglichst frühzeitig zu erleichtern.
        Um der Gesetzesinitiative zum Erfolg zu verhelfen,
        sind allerdings insbesondere die Bundesländer gefragt.
        Ich fordere daher die Länder auf, bei den Beratungen im
        Bundesrat ihre teilweise kleinmütige Haltung gegenüber
        dieser Gesetzesänderung aufzugeben und ihr zuzustim-
        men. Bornierte haushaltspolitische Vorbehalte gegen die
        abgesenkte Einbürgerungsgebühr helfen nicht weiter. Ich
        appelliere ausdrücklich an die Kolleginnen und Kollegen
        der F.D.P., darauf hinzuwirken, in den Koalitionsver-
        handlungen in Baden-Württemberg ihr eigenes Anliegen
        nochmals einzubringen.
        Wer der rechtlichen Gleichstellung selbst hier gebore-
        ner ausländischer Kinder Steine in den Weg legt, dem liegt
        deren Integration offensichtlich nicht am Herzen.
        Dr. Max Stadler (F.D.P.): Die Erfahrung der letzten
        Jahre hat gezeigt, dass der Gesetzgeber gut beraten ist, bei
        Änderungen des Staatsangehörigkeitsrechts behutsam
        vorzugehen. Nur dann ist die Akzeptanz in der Bevölke-
        rung gewährleistet. Die grundlegende Modernisierung
        des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 1999
        hat unter maßgeblichem Einfluss der F.D.P. diese Anforde-
        rungen erfüllt. Nun muss sich das neue Recht in der Pra-
        xis bewähren. Für einschneidende Änderungen ist daher
        kein Raum. Dennoch muss der Gesetzgeber korrigierend
        eingreifen, wenn einzelne Vorschriften des neuen Rechts
        sich schon nach kurzer Zeit nicht als praxistauglich er-
        wiesen haben.
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116196
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Die F.D.P. war der Überzeugung, dass ein möglichst
        frühzeitiger Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit
        den hier aufwachsenden Kindern ausländischer Eltern die
        Integration in Deutschland wesentlich erleichtert. Dieses
        Integrationsangebot wurde auch den Kindern gemacht,
        die bereits vor der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts
        geboren worden sind, wenn sie das zehnte Lebensjahr
        noch nicht vollendet haben. Die Frist hierfür ist Ende
        2000 abgelaufen.
        Es hat sich gezeigt, dass eine Verlängerung dieser Frist
        geboten ist. Von der Regelung ist nicht in dem von uns er-
        hofften Umfang Gebrauch gemacht worden. Dafür gibt es
        sicherlich unterschiedliche Gründe. Von den Betroffenen
        wird aber als einer der Hauptpunkte die zu hohe Einbür-
        gerungsgebühr von 500 DM pro Kind genannt. Von der
        Möglichkeit der Gebührenermäßigung oder Gebührenbe-
        freiung zugunsten der Antragsteller wurde in der Praxis
        kaum Gebrauch gemacht. Daher hat die F.D.P. die Initia-
        tive ergriffen, dieses finanzielle Einbürgerungshindernis
        zu beseitigen, und vorgeschlagen, die Einbürgerungs-
        gebühr für minderjährige Kinder generell auf 100 DM
        herabzusetzen. Selbst wenn die Verwaltungskosten etwas
        höher sein sollten, erscheint uns der erzielbare Integrati-
        onsfortschritt diesen Preis wert.
        In der Konsequenz dieses Vorschlages haben wir auch
        für eine Verlängerung der Einbürgerungsfrist um ein Jahr
        plädiert.
        Diese Initiative der F.D.P. hatte den Erfolg, dass seitens
        der Koalition ein eigener Gesetzentwurf vorgelegt wurde,
        der sich vom F.D.P.-Entwurf nur darin unterscheidet, dass
        die Einbürgerungsfrist bis 31. Dezember 2002 verlängert
        werden soll. Dem ist jetzt zuzustimmen, da das Gesetz-
        gebungsverfahren bereits mehrere Monate in Anspruch
        genommen hat, sodass eine Fristverlängerung bis Ende
        2001 nicht mehr ausreichen würde.
        Die F.D.P.-Fraktion begrüßt die jetzt im Innenaus-
        schuss gefundene gemeinsame Beschlussvorlage aus-
        drücklich, hat doch noch im letzten Jahr die Bundesregie-
        rung auf eine Anfrage unserer Fraktion erklärt, keinerlei
        Änderungsbedarf in dem von uns gewünschten Sinne zu
        sehen. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie konstruktive
        Oppositionspolitik betrieben wird und auch aus der Min-
        derheitenposition heraus Verbesserungen erreicht werden.
        Unser weiterer Antrag, eine Schlussoffensive für die
        Einbürgerung minderjähriger Kinder zu starten, hat sich
        damit derzeit erledigt
        Ulla Jelpke (PDS): Das so genannte reformierte
        Staatsangehörigkeitsrecht war bisher eine einzige Enttäu-
        schung. Die Zahlen der tatsächlichen Einbürgerungen
        entsprechen bei weitem nicht den hoch gesteckten Erwar-
        tungen, die mit dem In-Kraft-Treten des neuen Staatsan-
        gehörigkeitsgesetzes verbunden waren. Die Bundesregie-
        rung hat damals von einer halben bis 1 Million potenzieller
        Einbürgerungen gesprochen. Die Realität sieht anders aus:
        Im Februar 2001 wurde die Staatssekretärin Dr. Sonntag-
        Wolgast in der Presse mit der Aussage zitiert, es habe im
        Jahre 2000 etwa 200 000 Einbürgerungen gegeben. Ge-
        naue Zahlen ist die Bundesregierung auch nach einer Klei-
        nen Anfrage der PDS schuldig geblieben.
        Die Entwicklung ist für die Bundesregierung enttäu-
        schend, und sie lässt sich nicht mehr schönreden. Die
        Gründe dafür sind vielfältig und beruhen auf den gravie-
        renden Schwachstellen des geltenden Rechts. Vor diesem
        Hintergrund hat der Innenausschuss mit seiner Beschluss-
        empfehlung einen wichtigen Schritt gemacht. Auf Antrag
        der PDS schlägt er vor: Die Bundesregierung soll aufge-
        fordert werden, das Europäische Übereinkommen über
        die Staatsangehörigkeit zu unterzeichnen und zur Ratifi-
        zierung vorzulegen.
        Worum geht es dabei? Das Staatsangehörigkeitsgesetz
        zwingt die in Deutschland geborenen Kinder ausländi-
        scher Eltern, die eine Schnupperstaatsangehörigkeit un-
        ter Beibehaltung ihrer bisherigen Nationalität erworben
        haben, sich bis zum 23. Lebensjahr für eine der beiden
        Staatsangehörigkeiten zu entscheiden. Das Ausländerge-
        setz verlangt in den übrigen Fällen, dass der Einbürge-
        rungsbewerber vor Antragstellung die bisherige Staatsan-
        gehörigkeit verloren hat oder aufgibt.
        Man kann sich vorstellen, welche seelischen Konflikte
        damit ausgelöst werden. Viele Menschen haben noch
        enge  emotionale, kulturelle, rechtliche  Beziehungen
        zu dem Land, aus dem sie gekommen sind. Diese Bin-
        dungen drohen zu zerreißen, wenn sie die bisherige
        Staatsangehörigkeit aufgeben. Viele Eltern haben Angst
        vor Loyalitätskonflikten zwischen ihnen und der alten
        Heimat einerseits und den Kindern andererseits. Für sie ist
        es undenkbar, dass ihre Kinder die alte Staatsangehörig-
        keit aufgeben, weil sie noch enge emotionale und auch
        bürgerlich-rechtliche Bindungen an das Herkunftsland
        haben, die sie nicht aufgeben, sondern im Gegenteil pfle-
        gen und erhalten wollen. Weil man auf Teufel komm raus
        an der Fiktion festhalten wollte, es dürfe keine  oder zu-
        mindest nur in äußerst geringem Umfang  Mehrstaatig-
        keit geben, zwingt man Menschen zu solchen Konflikten.
        Soweit das derzeitige deutsche Recht.
        Der Europarat hat am 6. November 1997 in Straßburg
        das Europäische Übereinkommen über die Staatsan-
        gehörigkeit zur Unterzeichnung aufgelegt. Das Abkom-
        men ist am 1. März 2000 in Kraft getreten. Deutschland
        gehört bisher zu den wenigen Mitgliedstaaten des Euro-
        parates  und zu der kleinen Minderheit innerhalb der Eu-
        ropäischen Union , die dieses Abkommen nicht unter-
        zeichnet haben.
        Art. 14 des Vertrages sieht vor, dass ein Vertragsstaat
        Kindern, die bei der Geburt ohne weiteres verschiedene
        Staatsangehörigkeiten erworben haben, die Beibehaltung
        dieser Staatsangehörigkeiten gestattet, also Mehrstaatig-
        keit ausdrücklich und ohne jedes Optionsmodell er-
        möglicht. Nach Art. 17 Abs. 1 des Abkommens haben die
        Staatsangehörigen eines Vertragsstaates, die eine weitere
        Staatsangehörigkeit besitzen, im Hoheitsgebiet des Ver-
        tragsstaates dieselben Rechte und Pflichten wie jeder an-
        dere Staatsangehörige des Vertragsstaates auch.
        Mehrstaatigkeit ist danach kein Problem mehr. Der
        Vertrag gibt der Bundesrepublik Deutschland somit die
        Möglichkeit an die Hand, ihre eigenen hausgemachten
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16197
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Probleme zumindest zum Teil zu lösen. Daher der vom
        Innenausschuss übernommene Appell an die Bundesregie-
        rung: Unterzeichnen Sie endlich das Europäische Über-
        einkommen über die Staatsangehörigkeit und legen Sie es
        dem Parlament zur Ratifikation vor!
        Zugegeben: Nicht alle Probleme sind damit gelöst. Im
        Gegenteil: Es gibt noch viel zu tun. Wir müssen uns zum
        Beispiel mit den in § 85 des Ausländergesetzes normier-
        ten weiteren Anforderungen an den Einbürgerungsbewer-
        ber beschäftigen. Er muss erklären, dass er sich immer
        brav und verfassungstreu verhalten wird. Zweifel an der
        Ernsthaftigkeit der Erklärung führen zur Verweigerung
        der Einbürgerung. Was soll das? Bestrebungen, die ernst-
        haft die Werte des Grundgesetzes angreifen, bekämpft
        man mit dem Strafrecht. Welcher Skinhead hat jemals
        seine deutsche Staatsangehörigkeit verloren, weil er Mit-
        glied einer Nazibande war? Aber bei Ausländern soll die
        Staatsangehörigkeit an eine Gesinnungsprüfung geknüpft
        sein. Viele gerade politisch engagierte Menschen, die für
        unser demokratisches Gemeinwesen eine Bereicherung
        darstellen, weigern sich, diese entwürdigende Prozedur
        über sich ergehen zu lassen.
        Beim Staatsangehörigkeitsrecht geht es um Menschen,
        die seit Jahren, wenn nicht seit Generationen in Deutsch-
        land leben. Sie haben sich hier integriert, haben zur Ent-
        wicklung dieses Landes einen großen Beitrag geleistet.
        Sie zahlen Steuern, Versicherungsbeiträge; sie engagieren
        sich in Vereinen und Organisationen; sie bereichern auf
        vielfältige Weise das alltägliche Leben in unserem ge-
        meinsamen Land. Sie als deutsche Staatsangehörige an-
        zuerkennen mit allen Rechten und Pflichten ist somit ei-
        gentlich nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit. Die
        künstlichen Hürden, die das Gesetz dagegen errichtet,
        müssen endlich abgebaut werden. Das Staatsangehörig-
        keitsrecht wird somit heute nicht zum letzten Mal den
        Deutschen Bundestag beschäftigen.
        Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-
        rin beim Bundesminister des Innern: Es gibt Positives zu
        melden. Zwar haben wir noch keine endgültigen statisti-
        schen Ergebnisse darüber, in welchem Maße das neue
        Staatsangehörigkeitsrecht im ersten Jahr seines Bestehens
        genutzt worden ist. Aber eines lässt sich schon jetzt sagen:
        Die Kernpunkte der Reform greifen. In fast allen Ländern,
        die schon Daten und Erkenntnisse geliefert haben, sind
        die Einbürgerungsanträge im Jahr 2000 im Vergleich zu
        1999 angestiegen  und zwar in einem Bereich zwischen
        25 und 100 Prozent. Das Signal, das die Reform geben
        wollte, hat also gewirkt. Wir wollen die Einbürgerungen
        erleichtern und wir wollen den ausländischen Familien,
        die lange in Deutschland leben, sagen: Ihr seid uns als
        gleichberechtigte Partner willkommen, ihr seid zur vollen
        politischen Teilhabe mit allen Rechten und Pflichten ein-
        geladen und die Kinder sollen vom ersten Lebenstag an
        zur deutschen Gesellschaft dazugehören. Deshalb ist das
        Jus soli, die Ergänzung des Abstammungsprinzips durch
        das Territorialprinzip in unserem Einbürgerungsrecht, das
        Kernstück der Neuerung.
        Aber es gibt einen Punkt innerhalb der Reform, der bis-
        her absolut unbefriedigend ist. Er betrifft das Angebot des
        Gesetzgebers, auch den bis zu zehn Jahre alten Kindern
        die gleichen Startchancen zu bieten wie denjenigen, die
        nach dem 1. Januar 2000 zur Welt gekommen sind. Wir
        gehen von rund 280 000 Kindern aus, die einen Anspruch
        auf Einbürgerung hätten. Aber nur für 30 000 sind bis Jah-
        resende Anträge gestellt worden. Man mag über die
        Gründe rätseln. Eines aber ist mir in vielen Diskussionen
        mit Migranten oft gesagt worden: Ein deutliches Hinder-
        nis war die Frist, innerhalb derer der Antrag gestellt wer-
        den musste. Hinzu kamen die Kosten von im Regelfall
        500 DM. Diese Hemmnisse will die Bundesregierung be-
        seitigen. Wir haben seitens des Bundesinnenministeriums
        schon seit dem vergangenen Sommer  als sich die kärg-
        liche Resonanz auf diesen Teil des Gesetzes abzeichnete 
        bei den Ländern gezielt und nachdrücklich für eine gene-
        relle Gebührenermäßigung auf 100 DM geworben. Einige
        Länder folgten dieser Aufforderung, andere aber nicht.
        Wir wollen aber eine einheitliche Praxis und wir wollen,
        dass das Staatsangehörigkeitsrecht mit allen seinen Ange-
        boten kräftig genutzt wird. Deshalb hat die Bundesregie-
        rung am 24. Januar 2001 im Kabinett den Gesetzentwurf
        beschlossen, der heute zur Abstimmung steht. Er sieht
        vor, die Antragsfrist für Einbürgerungen nach dem § 40 b
        das Staatsangehörigkeitsrecht um zwei Jahre zu verlän-
        gern und die Gebühr auf 100 DM herabzusetzen. Das ver-
        schafft den Familien ausreichend Zeit und strapaziert das
        Portemonnaie nicht unangemessen.
        Ich weiß wohl, dass es in einigen Ländern noch Vorbe-
        halte gibt und dass dabei auch finanzielle Gründe ange-
        führt werden. Allerdings: Auch wenn die Absenkung der
        Gebühren kurzfristig zu Mindereinnahmen führt  län-
        gerfristig kommt sie uns allen zugute. Denn eine frühe In-
        tegration, die im Kindergarten und in der Grundschule
        einsetzt, erspart uns Kosten, die später aufgebracht wer-
        den müssen, wenn sich Jugendliche von der deutschen
        Gesellschaft abgewendet haben und die negativen sozia-
        len Folgen spürbar werden.
        Ich freue mich, dass alle Fraktionen  außer der Union 
        sich im Nutzen dieser Gesetzesinitiative einig wissen.
        Und ich appelliere an die Freien Demokraten hier im
        Hause, ihren politischen Willen auch in den Ländern zu
        verankern, in denen sie an der Regierung beteiligt sind.
        An der Verwaltungsgebühr und an Fristen, sollte die Inte-
        grationsbereitschaft der Zuwanderer in unserem Land
        nicht scheitern.
        Anlage 8
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Anträge:
         Eckpunkte zur Verbesserung der Bekämpfung ille-
        galer Beschäftigung und Schwarzarbeit und
         Schattenwirtschaft mit marktwirtschaftlichen Mit-
        teln eindämmen
        (Tagesordnungspunkt 22)
        Leyla Onur (SPD): Wir reden heute abschließend über
        den SPD-Antrag Eckpunkte zur Verbesserung der
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116198
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Bekämpfung illegaler Beschäftigung und Schwarzar-
        beit. Weil Sie, meine Damen und Herren von der Oppo-
        sition, den Ernst der Lage immer noch nicht begriffen ha-
        ben, bringe ich es noch einmal auf den Punkt:
        Menschen, die schwarzarbeiten oder -arbeiten lassen,
        betrügen unseren Staat, unsere Gesellschaft um Steuern
        und Sozialabgaben. Sie vernichten ordentliche Arbeits-
        plätze und treiben kleine Unternehmen und Handwerks-
        betriebe in den Ruin. Rund 100 Milliarden Mark an Steu-
        ern und Sozialversicherungsabgaben werden dem Staat
        vorenthalten.
        Dahinter stecken in immer stärkerem Maße mafiose
        Strukturen. Es gibt ganze Ketten von Subunternehmern.
        Menschen und ihre Arbeitskraft werden gezielt ausgebeu-
        tet. 100 000 illegal Beschäftigte drängen 60 000 legal be-
        schäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus
        ihren Berufen.
        Dieser geradezu menschenverachtenden Ausbeutung
        hat diese Koalitionsregierung den Kampf angesagt. Die
        Maßnahmen, die von der Bundesregierung bisher ergrif-
        fen wurden, sprechen eine deutliche Sprache. Wir haben:
        erstens die Zahl der Zollbeamten, die die illegale Be-
        schäftigung bekämpfen, Erhöhung von 1100 auf 2 500 in
        zwei Jahren mehr als verdoppelt. Zweitens wurden in al-
        len Arbeitsämtern einheitlich zuständige Organisations-
        einheiten geschaffen und der Informationsaustausch in-
        tensiviert. Die hohe Zahl von 2 800 Mitarbeitern in
        diesem Bereich wird auch weiterhin gehalten.
        Die Bundesregierung hat drittens das Arbeitnehmer-
        Entsendegesetz geändert.
        Viertens wurde das Arbeitserlaubnisrecht stark verein-
        facht. Die Wartefristen bis zur Erteilung der Arbeitser-
        laubnis wurden vereinheitlicht und auf ein Jahr verkürzt.
        Wie sich diese Maßnahmen konkret vor Ort auswirken,
        sehe ich selbst in meinem Wahlkreis Braunschweig. Dort
        wurde übrigens die Zahl der Mitarbeiter der Fahndungs-
        gruppe des Zolls zur Bekämpfung der illegalen Beschäf-
        tigung von 10 auf 21 erhöht und damit mehr als verdop-
        pelt.
        Diese Ermittlungsgruppe des Hauptzollamtes Braun-
        schweig hat im Sommer letzten Jahres in einem privaten
        Neubaugebiet eine sechs Mann starke Truppe von
        Schwarzarbeitern dingfest gemacht. Zwei weitere Män-
        ner waren nur damit beschäftigt, den optimalen Einsatz
        dieser Schwarzarbeiter zu organisieren. Diese Truppe hat
        das seit zehn Jahren so gemacht, bis sie letztes Jahr end-
        lich geschnappt wurde.
        Allein durch diesen Trupp sind der Renten-, Kranken-,
        Pflege- und Arbeitslosenversicherung 600 000 Mark an
        Beiträgen entgangen; 600 000 Mark, die von anderen Ar-
        beitgebern und Arbeitnehmer zusätzlich aufgebracht wer-
        den müssen.
        Es gibt also Erfolge. Aber es muss noch mehr getan
        werden, das gebe ich offen zu. Damit noch wirksamer ge-
        gen solche betrügerischen Machenschaften vorgegangen
        werden kann, wollen wir heute unseren Antrag Eck-
        punkte zur Verbesserung der Bekämpfung von illegaler
        Beschäftigung und Schwarzarbeit verabschieden. Un-
        sere Maßnahmen wirken in drei Stoßrichtungen:
        Erstens. Prävention verstärken: Die Bevölkerung soll
        besser aufgeklärt werden. Wir wollen die Vorbildfunktion
        der öffentlichen Hand stärken und damit positiv auf die
        Bürgerinnen und Bürger einwirken. Die Unternehmen
        sollen ebenfalls in die Verantwortung genommen werden,
        zum Beispiel durch eine Haftung für die Sozialversiche-
        rungsbeiträge der Nachunternehmer. Hierdurch kann eine
        verstärkte vorbeugende Kontrolle der nachgeordneten
        Auftragnehmer erreicht werden.
        Zweitens. Effizienz der Arbeit der Verfolgungsbehör-
        den verbessern: Informationen sollen rasch zwischen den
        Behörden ausgetauscht werden. Durch besseren Informa-
        tionsaustausch sollen Sanktionen wie der Ausschluss von
        öffentlichen Aufträgen besser greifen. Gemeinsame Er-
        mittlungsgruppen sollen gebildet werden.
        Drittens. Abschreckungswirkung erhöhen und Voll-
        zugsdefizite ausräumen: Dazu gehören zum Beispiel die
        Forderung, dass Bußgeld- und Strafrahmen verschärft so-
        wie neue Tatbestände eingeführt werden. Damit Schwarz-
        arbeiter und ihre Hintermänner nicht mehr ins Ausland
        flüchten können, fordern wir transnationale Amtshilfe
        und Vollstreckungsabkommen. Bei den Landgerichten
        sollen Schwerpunktstaatsanwaltschaften für illegale Be-
        schäftigung, Schwarzarbeit und damit verbundene Steu-
        erstraftaten eingerichtet werden.
        Auch die Länder ziehen mit uns an einem Strang, wie
        der Gesetzentwurf des Bundesrates zur Eindämmung ille-
        galer Betätigung im Baugewerbe zeigt.
        Ganz aktuell: Bei dem Bündnisgespräch Bau hat
        Bundeskanzler Gerhard Schröder gestern zugesagt, das
        geplante Steuerabzugsverfahren zur Bekämpfung der ille-
        galen Beschäftigung zügig umzusetzen.
        Sogar die CDU/CSU unterstützt uns; eigentlich jeden-
        falls, denn so genau scheinen sie das selbst noch nicht zu
        wissen. Ich zitiere aus der Rede von Frau Kollegin
        Schnieber-Jastram vom 9. März: Zum Abschluss möchte
        ich noch etwas zu Ihrem Antrag ,Eckpunkte zur Verbes-
        serung der Bekämpfung illegaler Beschäftigung und
        Schwarzarbeit sagen. Wir stimmen zwar der darin zum
        Ausdruck kommenden Grundintention durchaus zu. Aber
        wir sind natürlich mit der dort enthaltenen Passage über
        die erfolgreiche Wirtschafts- und Steuerpolitik der
        rot-grünen Regierungskoalition überhaupt nicht einver-
        standen. An dieser Stelle können wir den Antrag nicht
        mehr mittragen.
        Wenn Sie keine Argumente und kein Programm zur
        Bekämpfung der Schwarzarbeit haben, liebe Kolleginnen
        und Kollegen von der CDU/CSU, dann verwundert es
        nicht, dass Kollegin Schnieber-Jastram, als wir unseren
        Antrag in erster Lesung debattiert haben, in ihrer zehn-
        minütigen Rede nur ganze vier Sätze für das eigentliche
        Thema übrig hatte.
        Auch das Problembewusstsein der F.D.P. ist offen-
        sichtlich hoffnungslos unterentwickelt. Glauben Sie
        ernsthaft, Sie könnten mit den von Ihnen geforderten
        marktwirtschaftlichen Mitteln etwas gegen die mafiose
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16199
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Struktur der illegalen Beschäftigung ausrichten? Ich will
        nur mal einige der knallharten Forderungen ihres An-
        trages nennen. Sie wollen vier Berichte zu unterschiedli-
        chen Teilaspekten, ein Sondergutachten und eine neue
        Statistik.
        Als ganz schweres Geschütz fahren sie die Forderung
        auf, die Verknüpfung von Rentenversicherung und Öko-
        steuern  ich zitiere  im Lichte der Effizienzvorteile des
        Äquivalenzprinzips erneut zu überprüfen. Eines weiß ich
        auch ohne Sondergutachten: Mit diesen Maßnahmen wird
        nicht ein einziges illegales Beschäftigungsverhältnis ver-
        hindert.
        Lassen Sie mich noch einmal festhalten: Wir haben ei-
        niges getan, es zeigt bereits Wirkung, aber wir müssen
        deutlich mehr tun. Vor allem müssen die Bürgerinnen und
        Bürger aufgeklärt werden, welche Schäden Schwarzarbeit
        und illegale Beschäftigung anrichten und wer die Zeche
        für diesen Betrug letztendlich zahlt. Wir müssen dagegen
        angehen, dass Schwarzarbeit in unserer Gesellschaft zur
        akzeptierten Normalität geworden ist. Sie, meine Damen
        und Herren von der Opposition, haben leider in den
        16 Jahren, in denen Sie verantwortlich waren, dazu bei-
        getragen, dass das Unrechtsbewusstsein bezüglich
        Schwarzarbeit in Wirtschaft und Gesellschaft gegen Null
        gegangen ist. Wir fordern Sie auf, mit uns gemeinsam als
        Vorbilder in Wort und Tat dieser Entwicklung entgegen zu
        wirken. Nur so können wir Schwarzarbeit und illegale Be-
        schäftigung zurückdrängen.
        Brigitte Baumeister (CDU/CSU): Schwarzarbeit und
        illegale Beschäftigung sind eine Bedrohung für den re-
        gulären Arbeitsmarkt. Darin sind wir uns alle einig. Über
        das Ausmaß von Schwarzarbeit und illegaler Beschäfti-
        gung gibt es keine exakten Angaben. Schätzungen gehen
        davon aus, dass der Anteil der Schattenwirtschaft am
        Bruttoinlandsprodukt mehr als 16 Prozent beträgt. Der
        Schaden für Volkswirtschaft und Arbeitsmarkt ist im-
        mens.
        Die von SPD und Grünen vorgelegten Eckpunkte
        versuchen uns vorzumachen, dass die Koalition eine Lö-
        sung zur Bekämpfung der Schwarzarbeit gefunden hat.
        Dabei setzt Rot-Grün einseitig auf vermehrte Sanktionen
        und die Erhöhung des Strafmaßnahmen-Katalogs. Das
        greift aber viel zu kurz. SPD und Grüne wollen die Symp-
        tome bekämpfen, lassen die Ursachen jedoch völlig außer
        Acht.
        Doch haben stärkere Kontrollen und härtere Sanktio-
        nen so lange wenig Erfolg, solange die Ursachen der
        Schwarzarbeit bestehen bleiben. Deregulierung des Ar-
        beitsmarktes und Senkung von Steuern und Abgaben sind
        das Gebot der Stunde. Dies wird auch bei der Einschät-
        zung der augenblicklichen wirtschaftlichen Lage deut-
        lich.
        Die Steuermoral der Bundesbürger war noch in den
        60er-Jahren im Vergleich zu unseren Nachbarländern her-
        vorragend. Heute haben die komplizierte und komplexe
        Steuergesetzgebung, die geringe Entlastung der Steuerre-
        form, das Gesetz zur Teilzeitarbeit, die Veränderung der
        630-Mark-Jobs und die Frühverrentungsprogramme den
        Anreiz zur Schwarzarbeit deutlich erhöht. Stagnierender
        Nettoverdienst, vermehrte Freizeit, hohe Abgaben bei Ge-
        ringverdienenden führen zwangsläufig zum Ausweichen
        in die Schwarzarbeit. Hier muss die Regierung Verände-
        rungen herbeiführen. Sie darf es nicht dabei belassen, ein-
        seitig über die Erhöhung von Strafen nachzudenken.
        Warum findet Schwarzarbeit bei vielen Bürgerinnen
        und Bürgern eine so hohe Akzeptanz? Handwerkliche Ar-
        beiten sind vielen Menschen in unserem Land zu teuer. Ob
        der Garten gepflegt oder die Wohnung tapeziert werden
        muss, es sind immer weniger Bürger bereit oder in der
        Lage, die gegenwärtigen Kosten für diese Arbeiten zu be-
        zahlen. Einen Grund hierfür sehen wir in der unvertretbar
        hohen Belastung der Bruttolöhne mit Steuern und Abga-
        ben. Wer schon einmal seine Waschmaschine reparieren
        lassen musste, weiß, dass selbst eine kleine Reparatur in
        aller Regel um die 100 DM kostet. Der Handwerker erhält
        hiervon netto circa 15 DM. Diese Spanne, die sich zwi-
        schen Auftraggeber und Auftragnehmer schiebt, verlockt
        beide Seiten geradezu zur Schwarzarbeit.
        Zwar hatte sich die Bundesregierung selbst bereits in
        der Koalitionsvereinbarung eine Senkung der Sozialabga-
        ben auf 40 Prozent zum Ziel gesetzt. Im Jahr 2001 führen
        Beschäftigte und Betriebe jedoch immer noch eine Quote
        von 40,8 Prozent im Westen und von 41,1 Prozent im
        Osten an die Sozialversicherungen ab. Zum Vergleich: In
        den Jahren 1997 und 1998 lag die Sozialabgabenquote bei
        knapp 42 Prozent.
        Diese geringfügige Senkung der Lohnnebenkosten
        konnte nur durch eine Kostenverschiebung von den Bei-
        tragszahlern auf die Steuerzahler realisiert werden  also
        durch Steuererhöhungen. Hier ist die Ökosteuer ein gutes
        Beispiel: Wenn ich einmal die Einnahmen aus der Öko-
        steuer einrechne und dann auch noch die Einnahmen der
        Rentenversicherung aus der Erhöhung der Mehrwert-
        steuer seit dem 1. April 1998 berücksichtige, ergibt sich
        eine tatsächliche Belastung in Höhe von 42,4 Prozent im
        Westen und 41,1 Prozent im Osten. Von einer realen Sen-
        kung kann also keine Rede sein.
        Eine weitere Ursache für die starke Zunahme der
        Schwarzarbeit in Deutschland in den vergangen Jahren ist
        die zum 1. April 1999 in Kraft getretene Regelung zu den
        630-Mark-Jobs. So sind beispielsweise für geringfügig
        Nebenbeschäftigte deutliche Mehrbelastungen entstan-
        den: Während diese zuvor mit einem Pauschalsteuersatz
        von 20 Prozent zuzüglich Solidaritätsbeitrag und Kir-
        chensteuer alle Abgaben erfüllt haben, sind seit der Neu-
        regelung auch noch Beiträge für Kranken-, Pflege- und
        Rentenversicherung zu bezahlen. So betrachtet ist die
        Neuregelung der 630-Mark-Jobs für viele ein Anreiz, die
        eigene Arbeit schwarz anzubieten.
        Um diese Fehlsteuerungen der neuen Regelungen zu
        den 630-Mark-Jobs zu stoppen und gleichzeitig die An-
        reize zur Schwarzarbeit zu mindern, wäre die einzig kon-
        sequente Lösung, das ganze Gesetz rückgängig zu ma-
        chen. Dies wäre eine wirklich präventive Maßnahme
        gegen Schwarzarbeit.
        Außerdem kritisiert die CDU/CSU-Fraktion, dass die
        Regierung den Gewerkschaften bei ihren Forderungen
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116200
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        nach Frühverrentungen und Kürzungen der Arbeitszeiten
        entgegengekommen ist. Denn was zunächst gut klingt
         mehr Freizeit , wirkt sich im Ergebnis negativ auf ver-
        schiedene Bereiche des Arbeitsmarktes aus. Schnell ist
        ein handwerklich begabter Vorruheständler bereit, seine
        Fähigkeiten einzusetzen.
        Ich nenne das Beispiel VW: Hier wurde die Arbeitszeit
        seinerzeit auf 28,8 Stunden heruntergefahren und der
        Bruttolohn auf 85,5 Prozent gesenkt. Im Klartext: Bei ei-
        ner monatlichen Bezahlung von 4000 Mark hat ein VW-
        Mitarbeiter nach Einführung dieser Regelung 600 Mark
        weniger Verdienst und vier freie Tage mehr im Monat.
        Wie er diese finanziellen Verluste kompensieren kann,
        liegt auf der Hand. Das grundsätzliche Problem, das wir
        in Deutschland haben, ist, dass der Arbeitsmarkt für ein-
        fache und geringer qualifizierte Arbeiten nach wie vor nur
        unzureichend erschlossen ist.
        Ziel muss es sein, Anreize zur Aufnahme einfacher
        Tätigkeiten in reguläre Beschäftigungsverhältnisse zu
        verbessern. Solange für viele die Aufbesserung ihrer So-
        zialhilfe und ihres Arbeitslosengeldes durch Schwarzar-
        beit lukrativer ist als die Aufnahme einer regulären, aber
        insgesamt niedriger entlohnten Beschäftigung, solange ist
        das System falsch: Verstärkte Kontrollen und höhere Stra-
        fen helfen nicht weiter.
        Ziel muss auch ein einfaches und transparentes Steuer-
        system sein, das geringe Grenzsteuersätze aufweist. Denn
        nur ein Steuersystem, das der Bürger versteht und das er
        auch für sinnvoll hält, wird von ihm beachtet und führt zu
        unserem gemeinsamen Ziel: zu einer höheren Steuermoral.
        Ziel muss eine deutliche Absenkung der Sozialabgaben
        sein. Denn nur so kann die enorme Spanne zwischen den
        Kosten für den Auftraggeber und dem Nettoverdienst für
        den Auftragnehmer verringert werden.
        Auf diese Weise wächst die Bereitschaft der Kunden,
        reguläre Arbeitnehmer zu beschäftigen, anstatt auf
        Schwarzarbeiter auszuweichen. Wenn wir die Schwarzar-
        beit bekämpfen wollen, dürfen wir uns nicht auf die
        Bekämpfung der Symptome beschränken. SPD und
        Grüne verfolgen mit ihrem Antrag einen falschen Ansatz.
        Wir müssen die Ursachen im Kern bekämpfen.
        Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Il-
        legale Beschäftigung und Schwarzarbeit können nicht
        hingenommen werden. Ihr dramatischer Anstieg in den
        letzten Jahren belastet nicht nur den Arbeitsmarkt und die
        sozialen Sicherungssysteme. Es kommt auch zu erhebli-
        chen Steuerausfällen und Wettbewerbsverzerrungen, ins-
        besondere in Branchen wie der Bauwirtschaft und im Be-
        reich der privaten Haushalte. Immer mehr reguläre Arbeit
        von Selbstständigen, immer mehr abhängige Beschäfti-
        gung wird verdrängt.
        Durch die konsequente Senkung der Steuern und der
        Sozialbeiträge hat die rot-grüne Bundesregierung die
        Bürger und Arbeitgeber bereits entlastet und die Anreize
        zur Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung gesenkt. Das
        sind wichtige Schritte in die richtige Richtung. Wir wer-
        den diesen Weg der Steuer- und Beitragssenkung weiter
        gehen.
        So richtig und begrüßenswert es ist, auch die fiskali-
        schen Anreizstrukturen für die Schwarzarbeit in das Visier
        zu nehmen, so wenig reicht es aus. Es ist auch notwendig,
        in einer ordnungspolitisch eindeutigen Weise die rechtli-
        chen, administrativen Möglichkeiten zur Bekämpfung von
        illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit zu verbessern.
        Wenn sich aber alle über die negativen Folgen einig
        sind, gilt es mehr als bisher zu handeln. Die Regierungs-
        fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD haben
        deshalb einen gemeinsamen Antrag eingebracht, um mit
        verschiedenen Maßnahmen die Schattenwirtschaft einzu-
        dämmen.
        Dies ist ein schwieriges Unterfangen, denn Schwarzar-
        beit ist überall und besitzt eine vielfältige Gestalt. Es ist
        nicht nur die organisierte Kriminalität, nicht nur die ille-
        gale Beschäftigung  und dabei in besonders ausbeuteri-
        scher Weise von Ausländern  auf dem Bau, sondern sie
        findet auch in vielen deutschen Haushalten statt. Wer
        kennt nicht die Praxis bei Putzhilfen und anderen häusli-
        chen Tätigkeiten oder die Nachbarschaftshilfe beim
        Häuslebau. Hierher gehört auch die Leistungserbrin-
        gung, zum Beispiel in Handwerksbetrieben gegen Zah-
        lung, aber ohne Rechnung.
        Weil die Beauftragung von Schwarzarbeitenden immer
        mehr zur gesellschaftlich akzeptierten Normalität gewor-
        den ist, gilt es auf verschiedenen Ebenen anzusetzen.
        Denn es sind nicht nur Unternehmen, die profitieren, son-
        dern alle Beteiligten. Das macht es so schwierig, die
        Schwarzarbeit effektiv zu bekämpfen. Die verschieden-
        artigen Maßnahmen zur Bekämpfung der illegalen Be-
        schäftigung und Schwarzarbeit sind:
        Erstens. Die Abschreckungswirkung erhöhen und Voll-
        zugsdefizite ausräumen. Hier haben uns die Sachverstän-
        digen der Bundesanstalt für Arbeit, der Zollämter und der
        Zusammenarbeitsbehörden wichtige Hinweise gegeben.
        Sinnvoll sind etwa die Anpassung der Strafvorschriften an
        gesetzliche Änderungen im Sozialversicherungsrecht hin-
        sichtlich der Neuregelung der Kassenwahlfreiheit und der
        geringfügigen Beschäftigung. Durch die Einbeziehung
        des Arbeitgeberanteils in den § 266 a StGB sollte erreicht
        werden, dass sich der Schaden grundsätzlich aus dem Ge-
        samtsozialversicherungsbeitrag bemisst. So kann ohne
        Verschärfung die Abschreckung erhöht werden, denn die
        Schadenshöhe ist ein wesentliches Kriterium für die Straf-
        zumessung der Gerichte. Denn eigentlich sind die ver-
        schiedenen Straf- und Bußgeldvorschriften ausreichend,
        sie müssen aber praktisch durchgesetzt werden.
        Zweitens. Effizienz der Arbeit der Verfolgungsbehör-
        den verbessern. Auch hier hat die Anhörung eindrucks-
        voll gezeigt, dass die Zusammenarbeit der Behörden in
        den letzten Jahren immer enger und effektiver geworden
        ist  und dies auf untergesetzlichem Wege. In unserem
        Antrag haben wir deshalb die Überprüfung angeregt, ob
        in mittlerer Frist durch Zusammenfassung der Kompe-
        tenzen der Bundes- und Landesbehörden weitere Effi-
        zienzvorteile erzielt werden können.
        Und drittens ist die Verstärkung von präventiven Maß-
        nahmen besonders wichtig. Angesichts der weit verbrei-
        teten Akzeptanz derartiger Beschäftigungsformen in der
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16201
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        Bevölkerung ist eine verbesserte Aufklärung über die ein-
        schneidenden Folgen für unseren Sozialstaat notwendig.
        Schwarzarbeit, das Unterlaufen der Sozialversicherungs-
        pflicht und Steuerhinterziehung sind strafwürdige Akti-
        vitäten, in vielen Fällen mit erheblicher krimineller Ener-
        gie verbunden. Sie verringern die Finanzgrundlagen des
        Staates und zerstören vor allem den solidarischen Zusam-
        menhalt unserer Gesellschaft. Deshalb kommt der öffent-
        lichen Hand, zum Beispiel in ihrer Funktion als Bauträ-
        ger, eine besondere Vorbildfunktion zu.
        Dirk Niebel (F.D.P.): Illegale Beschäftigung, Dum-
        pinglöhne und die Unterschlagung von Sozialversiche-
        rungsabgaben verzerren den Wettbewerb und vernichten
        reguläre Arbeitsplätze. Die Rekordeinnahmen des Fi-
        nanzministeriums von 325 Millionen DM für das Jahr
        2000 bei den Geldbußen gegen illegale Beschäftigung
        und Leistungsmissbrauch zeigen, dass die Schattenwirt-
        schaft boomt. Diese Konjunktur wünschen wir uns für die
        reguläre Wirtschaft, deren Wachstumsprognosen jetzt ge-
        rade wieder von den Forschungsinstituten nach unten kor-
        rigiert wurden.
        Die Ursachen sind vielfältig: Es ist bekannt, dass
        Schwarzarbeit für die Beteiligten finanziell günstiger ist
        als ein reguläres Arbeitsverhältnis. Der Faktor Arbeit ist
        mit Steuern und Abgaben zu hoch belastet. Und es gibt
        immer mehr Regulierungen auf dem Arbeitsmarkt, die die
        Begründung und Beendigung von Arbeitsverhältnissen
        erschweren.
        Faktoren, die zur Schwarzarbeit verleiten, müssen ab-
        geschafft werden. Wir brauchen eine vernünftige Steuer-
        reform, die Arbeit für den Arbeitgeber billiger und für den
        Arbeitnehmer attraktiver macht, weil ihm mehr Geld in
        der Tasche bleibt. Hohe Steuern und Abgaben machen
        einfache Arbeit für Unternehmen unrentabel und unbe-
        zahlbar. Die Lohnnebenkosten sind zu hoch.
        Ihre Steuerreform darf nur ein erster Schritt sein! Bun-
        desfinanzminister Eichel will keine weitere Reform bis
        2006. Wir fordern Sie auf, die nächste Stufe der Steuerre-
        form mit dem von uns vorgeschlagenen einheitlichen und
        gerechten Tarif von 15, 25 und 35 Prozent anzugehen.
        Mindestbeiträge für Krankenkassen, wie die Regie-
        rung sie fordert, sind exakt das Gegenteil dessen, was wir
        brauchen.
        Die Regierung hätte übrigens schon längst die Beiträge
        zur Arbeitslosenversicherung senken können. Auch das
        hätte die Lohnnebenkosten verringert. Das kommt aber
        erst im Wahljahr!
        Das Lohnabstandsgebot muss eingehalten werden.
        Dem Arbeitnehmer muss mehr von seinem Lohn in der
        Tasche bleiben. Umfragen bei der Neuregelung der 630-
        Mark-Jobs haben ergeben, dass dieses Geld für den Le-
        bensunterhalt dringend gebraucht wurde. Viele können
        sich ohne Schwarzarbeit ihren Lebensstandard nicht mehr
        leisten. Hier liegt die Schlussfolgerung nahe, dass ein
        grosser Teil der geringfügigen Beschäftigungen in die
        Schattenwirtschaft abgewandert ist. Einzig positiv zu ver-
        merken ist, dass dieses Geld sofort wieder ausgegeben
        wird.
        Also: Schaffen Sie die Neuregelung für die geringfü-
        gige Beschäftigung ab! Kehren Sie zur alten Regelung
        zurück! Die Erfolge, die Sie vor kurzem bekannt-
        gegeben haben, sind nur Scheinerfolge für die Senkung
        der Arbeitslosigkeit, ein statistischer Taschenspielertrick.
        Bei Sozialhilfebezug müssen die Anreize zur Arbeits-
        aufnahme verbessert werden. Der nicht anrechenbare
        Hinzuverdienst muss angehoben werden. Als weiter-
        führender Schritt beseitigt die Zusammenlegung der So-
        zialhilfe mit der Arbeitslosenhilfe als Grundsicherung in
        Richtung Bürgergeld einen hohen bürokratischen Auf-
        wand und setzt für die Arbeitsvermittlung Ressourcen
        frei. Dadurch können Hilfeempfänger individuell betreut
        und integriert werden.
        Die F.D.P. ist auch deshalb die Partei der sozialen Ver-
        antwortung, weil wir dafür sorgen wollen, dass jeder Aus-
        länder für die Dauer seines erlaubten Aufenthalts in
        Deutschland für seinen eigenen Lebensunterhalt arbeiten
        darf. Das Arbeitsgenehmigungsrecht muss grundlegend
        reformiert werden. Wenn die Restriktionen bei Flüchtlin-
        gen und Asylbewerbern weiter gelockert werden, könnten
        Arbeitsverhältnisse legalisiert werden und die illegale
        Ausländerbeschäftigung würde sinken. Das bedeutet
        mehr Einnahmen an Steuern und Sozialabgaben für die
        öffentlichen Hände, weniger Transferzahlungen und mehr
        Sicherheit für die Arbeitskräfte gegen menschenunwür-
        dige Bedingungen und Lohndumping.
        Die Änderung der Arbeitsgenehmigungsverordnung
        für Kriegsflüchtlinge war ein Schritt in die richtige Rich-
        tung. Die Wartefrist für Asylbewerber ist ein Arbeitsver-
        bot und Arbeitsverbote schaden den Betroffenen und der
        deutschen Wirtschaft. Sie fördern Schwarzarbeit.
        Es gibt keine Konkurrenz um die infrage kommenden
        Arbeitsplätze. Einerseits werden zu hohen Kosten auslän-
        dische Arbeitskräfte eingeflogen, auf der anderen Seite
        verbietet man ihnen die Arbeit, obwohl sie sich in
        Deutschland aufhalten dürfen.
        Es kann nur Spekulationen geben, wie viele Arbeits-
        plätze durch Abschaffung der Schwarzarbeit legal entste-
        hen. Viele Jobs würde es dann nämlich gar nicht geben. Es
        wurden schon von der christlich-liberalen Regierung
        viele Versuche gemacht, Arbeitsstellen in Haushalten zu
        legalisieren, was aber von den jetzt Regierenden als
        Dienstmädchenprivileg abgekanzelt wurde. Eine Rege-
        lung ist dringend notwendig, damit Frauen der Weg in ein
        reguläres Arbeitsverhältnis ermöglicht wird.
        In den vier Millionen deutschen Haushalten, in denen
        regelmäßig oder gelegentlich Haushaltshilfen beschäftigt
        sind, sind nur 38 000 sozialversicherungspflichtige Ar-
        beitsverhältnisse erfasst. Schwarzarbeit dominiert, weil
        sich für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen eine
        Anstellung nicht lohnt, da die Höhe der Sozialversiche-
        rungsabgaben eine mögliche Steuereinsparung überwiegt.
        Nicht ohne Grund konnte Herr Momper in Berlin keine
        Haushaltshilfe zu bezahlbaren Konditionen für ein lega-
        les Arbeitverhältnis finden.
        Eine stärkere Flexibilisierung der Arbeitszeiten kann
        zum Abbau der Schwarzarbeit beitragen, während eine
        generelle Arbeitszeitverkürzung und ein Überstundenver-
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116202
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        bot das Schwarzarbeitspotenzial eher erhöhen. So inves-
        tieren Frührentner einen Teil ihrer Freizeit in Schwarzar-
        beit. Der neueste Vorstoß von DGB-Chef Schulte, dass
        auch eine Arbeitszeit von 48 Stunden vorstellbar sein
        muss, ist eine ausgesprochen gewagter Gedanke für einen
        Gewerkschaftler. Er zeigt aber ein bisher nicht gekanntes
        Maß an Einsichtsfähigkeit.
        Fazit: Schwarzarbeit ist kein Kavaliersdelikt. Das Ge-
        schäft blüht und die Tricks werden immer raffinierter. Bei
        dem Geschäft mit billigen Arbeitskräften mischen mehr
        und mehr kriminelle und international operierende Ban-
        den mit. Dies betrifft besonders die Bauwirtschaft, dort
        liegt der Anteil mit 45 Prozent am höchsten. Nach Anga-
        ben des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes
        sind schätzungsweise 250 000 Illegale dort beschäftigt.
        Oft arbeiten sie unter unzumutbaren Bedingungen bei
        ausländischen Subunternehmern, die durch mögliche
        Bußgelder nicht genügend abgeschreckt werden.
        Der Bundesrat hat einen Gesetzentwurf zur Eindäm-
        mung illegaler Beschäftigung im Baugewerbe einge-
        bracht. Wir bezweifeln, dass damit nur die schwarzen
        Schafe aussortiert werden. Durch eine neue Abzugs-
        steuer werden redliche Unternehmen zusätzlich belastet,
        während illegale Tätigkeiten im Baugewerbe auch durch
        die geplanten Regelungen nicht oder nur unzureichend
        unterbunden werden.
        Mit staatlichen Kontrollen und Prüfverfahren lassen
        sich nur begrenzte Erfolge gegen Schwarzarbeit erzielen.
        Viele Strafen werden aus der Portokasse bezahlt. Die
        Sanktionen müssen verschärft und das persönliche Risiko
        der Täter erhöht werden. Vor allem aber muss der Anreiz,
        illegal zu arbeiten und illegal zu beschäftigen, verringert
        werden.
        Klaus Grehn (PDS): Vor wenigen Wochen hat dem
        Parlament der 9. Bericht der Bundesregierung über die
        Auswirkungen des Gesetzes zur Bekämpfung der ille-
        galen Beschäftigung vorgelegen. Er hat deutlich gemacht,
        welche Maßnahmen zur Bekämpfung illegaler Beschäfti-
        gung und Schwarzarbeit eingeleitet wurden. Offen-
        sichtlich fußt der Antrag der Regierungskoalition auf den
        Ergebnissen des Berichts der Bundesregierung.
        Wir stimmen mit den Antragstellern überein, dass allen
        Formen der illegalen Beschäftigung und der Schwarz-
        arbeit begegnet werden muss, und das möglichst wirk-
        sam. Das ist ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit; denn
        durch sie wird auch die soziale Sicherheit der übrigen
        Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gefährdet. Aus-
        stieg aus Tarifverträgen, ruinöses Lohndumping und unter-
        tarifliche Bezahlung sind unter anderem Folgen zuneh-
        mender Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung. Der
        Antrag fordert in drei Schwerpunkten die Bundes-
        regierung auf, organisatorische und rechtliche Gegen-
        maßnahmen einzuleiten. Die dafür gegebenen Vorgaben
        werden dem Ziel nur teilweise gerecht.
        Bereits im vergangenen Zeitraum wurden die Kon-
        trollen verschärft und die Zahl der Folgemaßnahmen wie
        Ermittlungsverfahren und Bußgelder deutlich erhöht.
        Nun soll eine weitere Verschärfung erfolgen, obwohl sich
        dieser Weg als wenig erfolgreich erwiesen hat. Das ist für
        uns schwer nachvollziehbar. Zusätzlich soll die Bundes-
        anstalt für Arbeit Strafverfolgungskompetenzen erhalten.
        Das scheint rechtlich bedenklich. Andererseits verfügt die
        Bundesanstalt weder über ausreichendes Personal noch
        über die fachlichen Kapazitäten. Für uns ist die Sicher-
        stellung der Hauptaufgabe der Bundesanstalt, die Vermitt-
        lung der Arbeitslosen in Arbeit, ihre Betreuung und Be-
        gleitung zu wichtig, dass wir der Zuteilung von neuen
        Aufgaben an die Bundesanstalt eher skeptisch gegenüber
        stehen.
        Für sinnvoll halten wir, die Möglichkeiten der beste-
        henden rechtlichen Regelungen besser auszuschöpfen
        und die bestehenden Rechtsinstitutionen zu entlasten. Re-
        alisierung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung
        funktioniert nur über das Zusammenspiel von anbie-
        tendem Arbeitgeber und annehmendem Arbeitnehmer.
        Die größere Verantwortung liegt unseres Erachtens bei
        den Anbietern: ohne Angebot keine Schwarzarbeit. Fol-
        gerichtig sollte an dieser Stelle bei der Bekämpfung ange-
        setzt werden. Dazu könnten Maßnahmen dienen, die
        durch eine Bewertung von Auftragsangeboten bereits
        deren Unterkalkulation feststellen. Aus der Praxis kom-
        men immer wieder Hinweise, dass Angebote unterbreitet
        werden, die nur durch die aus dem Bereich der Schwarz-
        arbeit und der illegalen Beschäftigung bekannten Nied-
        riglöhne abgedeckt sind. Damit werden seriöse Anbieter
        im Wettbewerb ausgebremst und zum Teil in den Konkurs
        getrieben. Eine wirksame Kontrolle der Aufträge durch
        die Auftraggeber wäre erfolgversprechender als eine wei-
        tere Verschärfung der Bußgelder und die Erhöhung der
        schwierigen Kontrollen im Produktionsprozess. Damit
        würde die Bekämpfung an der wahren Ursache, dem ego-
        istischen Gewinnstreben auf einem ungeregelten Markt,
        ansetzen.
        Dem Antrag der F.D.P. können wir nicht zustimmen. Er
        wird dem Anliegen der Thematik insofern nicht gerecht,
        als er mehr auf die Aufhebung des 630-Mark-Gesetzes
        und die Rücknahme von Arbeitszeitverkürzungen sowie
        auf Steuersenkungen abzielt. Themen, die von der F.D.P.
        immer wieder aufgewärmt werden, auch bei nicht pas-
        senden Anlässen. Bei der Abstimmung über den Antrag
        der Regierungskoalition werden wir uns trotz Anerken-
        nung von richtigen Ansätzen wegen der genannten Män-
        gel enthalten.
        Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi-
        nister für Arbeit und Sozialordnung: Schwarzarbeit und
        illegale Beschäftigung schaden uns allen. Sie verhindern
        das Entstehen neuer Arbeitsplätze und zerstören legale
        Arbeitsplätze. Es ist unerträglich, dass seriöse Unterneh-
        men im Baubereich in finanzielle Schwierigkeiten gera-
        ten, weil sie mit den Dumpinglöhnen der illegalen Kon-
        kurrenz nicht mithalten können.
        Die Bundesregierung begrüßt deshalb den Entschlie-
        ßungsantrag. Er ist ein wichtiger Schritt in die richtige
        Richtung und unterstützt uns bei unseren Bemühungen,
        gerade im Bausektor wieder faire Chancen für diese se-
        riösen Marktteilnehmer zu schaffen.
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16203
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        Die Bundesregierung hat seit ihrem Amtsantritt bereits
        wichtige Schritte zur Verbesserung der Bekämpfung ille-
        galer Beschäftigung unternommen. Ich erinnere an
        die Änderung des Arbeitnehmerentsendegesetzes vom
        19. Dezember 1998, das Dumpinglöhne im Baubereich
        für illegal erklärt hat.
        Ich weise darauf hin, dass die Zahl der Beamten der
        Hauptzollämter, die sich der Bekämpfung illegaler Be-
        schäftigung widmen, von 1100 auf 2 500 bis Ende dieses
        Jahres erhöht wird. Der Zoll kann die Arbeitsverwaltung
        bei dieser wichtigen Aufgabe tatkräftig unterstützen. Die
        Arbeitsverwaltung setzt rund 2 800 Mitarbeiter zur Ver-
        folgung von illegaler Beschäftigung und Leistungsmiss-
        brauch ein. Sie vereinheitlicht die Organisation und
        richtet Mitarbeiterteams zur Bekämpfung illegaler Be-
        schäftigung in den Arbeitsämtern 2000 ein  neudeutsch:
        task forces.
        Die Erfolge brauchen sich schon heute nicht zu ver-
        stecken. Im Jahre 1999 wurden 436 626 Fälle von illega-
        ler Beschäftigung und Leistungsmissbrauch allein von
        den Dienststellen der Bundesanstalt für Arbeit aufgegrif-
        fen und über 162 Millionen DM Bußgelder verhängt.
        Die Bekämpfungsmöglichkeiten können und müssen
        jedoch verbessert werden. Das Ergebnis der öffentlichen
        Anhörung von Sachverständigen vor dem Ausschuss für
        Arbeit und Sozialordnung am 28. März 2001 ist eindeu-
        tig: Es sind weitere Maßnahmen zur Bekämpfung von il-
        legaler Beschäftigung und Schwarzarbeit erforderlich.
        Vor allem haben wir es nicht mit einem allein auf na-
        tionaler Ebene zu lösenden Problem zu tun. Die Bundes-
        regierung ist deshalb auch auf EU-Ebene aktiv geworden.
        Während unserer Präsidentschaft wurde vom Rat der Eu-
        ropäischen Union ein Verhaltenskodex zur Bekämpfung
        der grenzüberschreitenden illegalen Beschäftigung, des
        Leistungsmissbrauchs und der Schwarzarbeit verabschie-
        det. Diesen müssen wir in bilaterale Abkommen umset-
        zen. Mit Frankreich, den Niederlanden, Dänemark und
        außerhalb der Europäischen Union mit der Tschechischen
        Republik wird intensiv verhandelt.
        Innerhalb Deutschlands sind die gegenseitigen Infor-
        mations- und Zusammenarbeitspflichten der verschiede-
        nen Behörden auszubauen. Erkenntnisse über illegale Be-
        schäftigung und Schwarzarbeit müssen leichter und
        häufiger als bisher ausgetauscht werden.
        Wir setzen uns auch dafür ein, dass die öffentliche
        Hand bei der Bekämpfung illegaler Beschäftigung noch
        stärker aktiv wird und Missbräuchen konsequent entge-
        gentritt. Die Entschließung greift die Forderungen der
        Koalitionsvereinbarung nach fairen Bedingungen auf
        dem Arbeitsmarkt auf, zum Beispiel bei der Haftung des
        Hauptunternehmers für die Sozialversicherungsbeiträge
        der Subunternehmer. Ich halte das für einen der wesentli-
        chen Punkte, den wir auch in eine künftige gesetzliche
        Regelung einbeziehen müssen.
        Die Umsetzung der Entschließung wird zahlreiche ge-
        setzliche Änderungen erfordern. Entsprechende Vor-
        schläge werden vom Bundesministerium für Arbeit und
        Sozialordnung erarbeitet. Ich kann Ihnen versprechen:
        Die Bundesregierung wird den gesetzgebenden Körper-
        schaften zügig einen Gesetzentwurf zur Erleichterung der
        Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzar-
        beit vorlegen.
        Anlage 9
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Anträge:
         Für ein effizientes und transparentes Ausfuhrge-
        währleistungssystem
         Für ein modernes Ausfuhrsystem
         Für den Erhalt von Hermes als Instrument der
        Außenwirtschaftsförderung und eine Reform des
        Hermes-Instruments im internationalen Rahmen
        (Tagesordnungspunkt 23 und Zusatztagesordnungs-
        punkte 14 und 15)
        Rolf Hempelmann (SPD): Der Export ist ein wichti-
        ger Motor für unsere Wirtschaft. Im Jahr 1999 exportier-
        ten deutsche Unternehmen Waren im Wert von rund 1 Bil-
        lion DM. Damit tragen Exportgeschäfte wesentlich zur
        Schaffung und Sicherung von heimischen Arbeitplätzen
        bei. Ein Ziel, das bei der rot-grünen Koalition ganz oben
        auf der Agenda steht.
        Besondere Bedeutung bekommt in diesem Zusammen-
        hang die Exportförderung, deren wichtigstes Instrument
        die Hermesbürgschaften sind. Diese Ausfuhrgewährleis-
        tungen des Bundes leisten einen wesentlichen Beitrag zur
        Unterstützung deutscher Unternehmen im internationalen
        Wettbewerb. Im Jahr 1999 konnten durch Hermesbürg-
        schaften Exportgeschäfte mit Auftragswerten in Höhe
        von 26,7 Milliarden DM realisiert werden. Im ersten
        Halbjahr 2000 waren es 17 Milliarden DM. Durch Ex-
        portkredite wird Chancengleichheit für deutsche Unter-
        nehmen im intensiven internationalen Wettbewerb bei der
        Erschließung neuer oder dem Erhalt und Ausbau traditio-
        neller Märkte geschaffen. Besonders bei Exporten in die
        Entwicklungs- und Schwellenländer sowie in die Staaten
        Mittel- und Osteuropas ist das von herausragender Be-
        deutung. Denn gerade diese Märkte wären besonders für
        mittelständische Unternehmen ohne eine Exportbürg-
        schaft des Bundes kaum zu erschließen.
        Gleichzeitig werden durch Hermesbürgschaften die
        partnerschaftlichen Beziehungen insbesondere zu diesen
        Staaten gefördert. Dort tragen die so ermöglichten Inves-
        titionen zum Aufbau von Infrastruktur und Industrie bei
        und stellen damit einen unerlässlichen Beitrag zur Inte-
        gration dieser Länder in die Weltwirtschaft dar.
        Trotz dieser Erfolge stand das Instrument in den letz-
        ten Jahren immer wieder in der Kritik. In zwei entspre-
        chenden Anträgen haben sich auch die heutigen Koaliti-
        onsfraktionen in der vorigen Legislaturperiode für eine
        Modernisierung dieses wichtigen außenwirtschaftspoliti-
        schen Instruments ausgesprochen. Die wichtigste Forde-
        rung dieser Anträge war, neben wirtschaftlichen und fi-
        nanzpolitischen Gesichtspunkten künftig auch stärker
        umweltpolitische, soziale und entwicklungspolitische
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116204
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        Aspekte in die Entscheidungen über die Vergabe von Her-
        meskrediten einzubeziehen. Außerdem soll das Instru-
        ment effektiv und für deutsche Unternehmen attraktiv
        bleiben. Das ist nur dann möglich, wenn die Vergabepra-
        xis so schnell und unbürokratisch wie möglich verlaufen
        kann; nicht umsonst sind die Bürgschaften nach Hermes,
        dem Götterboten mit den Flügelschuhen, benannt.
        Aus diesen Gründen haben SPD und Bündnis 90/Die
        Grünen in ihrer Koalitionsvereinbarung 1998 beschlossen,
        eine Reform der Außenwirtschaftsförderung nach ökolo-
        gischen, sozialen und entwicklungsverträglichen Gesichts-
        punkten in die Wege zu leiten. Dies ist auch geschehen: Vor
        rund einem Jahr hat eine Koalitionsarbeitsgruppe damit be-
        gonnen, vor dem Hintergrund der Diskussionen in NGOs,
        Wirtschaftsverbänden und Institutionen in Deutschland
        wie auf OECD-Ebene die nationale wie die internationale
        Vergabepraxis zu analysieren. Dabei wurde deutlich, dass
        allein die Diskussion um die Einbeziehung ökologischer,
        sozialer und entwicklungspolitischer Aspekte bei der Ver-
        gabe von Hermesbürgschaften zu einer Veränderung der
        Praxis geführt hat. So wurde beispielsweise bei größeren
        Projekten oder bei Lieferungen von Anlagen oder Teilan-
        lagen ein Screening-Verfahren eingeführt. Auf diese Weise
        werden genau die Anträge identifiziert, bei denen ökologi-
        sche, soziale oder entwicklungspolitische Gesichtspunkte
        eine Rolle spielen könnten. Wenn die negativen Effekte bei
        der Abwägung der unterschiedlichen Kriterien dominie-
        ren, hat der IMA die Möglichkeit, die Übernahme einer
        Ausfuhrgewährleistung abzulehnen oder an Bedingungen
        bzw. Auflagen zu knüpfen.
        Auch auf internationaler Ebene werden Umweltbe-
        lange berücksichtigt: Seit 1994 tagt regelmäßig eine
        OECD-Exportkreditgruppe, um international gültige Re-
        gelungen für Ausfuhrgewährleistungen zu erarbeiten, um
        die genannten Aspekte stärker zu berücksichtigen. An die-
        sem Diskurs beteiligt sich auch die Bundesregierung.
        Daneben hat die Koalitionsarbeitsgruppe mit dem fe-
        derführenden Bundeswirtschaftsministerium im letzten
        Jahr einen intensiven und fruchtbaren Dialog über Moder-
        nisierungsansätze für das deutsche Ausfuhrgewährleis-
        tungssystem geführt. Als Ergebnis hat der IMA Leitlinien
        für die Berücksichtigung von ökologischen, sozialen und
        entwicklungspolitischen Gesichtspunkten bei der Über-
        nahme von Ausfuhrgewährleistungen des Bundes ent-
        wickelt. Danach sind Exporte grundsätzlich als förde-
        rungswürdig zu betrachten, wenn sie den gesetzlichen
        Vorschriften des Außenwirtschaftsrechts, den allgemeinen
        Gesetzen, den Rechtsvorschriften zwischenstaatlicher
        Einrichtungen und relevanten internationalen Vereinba-
        rungen nicht widersprechen. Zusätzlich haben ökologi-
        sche, soziale und entwicklungspolitische Auswirkungen
        Einfluss auf die Förderungswürdigkeit eines Projektes.
        Diese Leitlinien wird der IMA offiziell beschließen, damit
        die veränderte Praxis festschreiben und in einigen Berei-
        chen auch darüber hinausgehen. Gleichzeitig enthalten die
        Leitlinien eine Anpassungsklausel, um das Vergabever-
        fahren zeitnah an die internationale Entwicklung  insbe-
        sondere im Rahmen der OECD  anzugleichen.
        Durch die konsequente Anwendung dieser Leitlinien
        wird das Instrument der Ausfuhrgewährleistung zeit-
        gemäß weiterentwickelt und gerade damit entscheidend
        stabilisiert.
        Wir begrüßen es ausdrücklich, dass der IMA sich diese
        Leitlinien geben wird. Jetzt wird es darauf ankommen, die
        Leitlinien in der Vergabepraxis besonders bei hochsensi-
        blen Projekten wie Kernkraftwerken, Rüstungsexporten,
        Exporten gefährlicher Chemikalien und bei großen Stau-
        dammprojekten konsequent anzuwenden. Außerdem er-
        warten wir, dass sich die Bundesregierung aktiv an den
        Beratungen im Rahmen der OECD beteiligt und die Erar-
        beitung international verbindlicher Leitlinien zur Vergabe
        von Exportkreditversicherungen intensiv vorantreibt.
        Um auch das Parlament in angemessenem Maße an den
        Vergabeverfahren zu beteiligen, soll künftig neben dem
        Haushaltsausschuss auch der für Hermesbürgschaften fe-
        derführende Wirtschaftsausschuss über die Übernahme
        von Ausfuhrgewährleistungen von hochsensiblen Ge-
        schäften und Großprojekten unterrichtet werden.
        Zusätzlich ist uns ein weiterer Punkt wichtig: Da deut-
        sche Exporteure zukünftig immer häufiger auch die Rolle
        des Investors und Betreibers eines Projektes übernehmen
        werden, um international wettbewerbsfähig bleiben zu
        können, sollte die Bundesregierung Möglichkeiten für
        eine bessere Koordinierung der Ausfuhrgewährleistungen
        mit der Investitionsabsicherung prüfen. Auf diese Weise
        könnte ein entscheidender Beitrag zu einer besseren
        Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen geleistet
        werden.
        Es ist uns gelungen, das Instrument der Exportkredit-
        versicherung zu modernisieren, ohne aus dem Auge zu
        verlieren, dass es sich primär um ein außenwirtschaftspo-
        litisches Instrument handelt, das es auch bleiben muss.
        Zu den Anträgen der Opposition: Den Damen und Her-
        ren von der CDU/CSU Fraktion kann ich sagen: Schon
        der Titel Ihres Antrags Für den Erhalt von Hermes als In-
        strument der Außenwirtschaftsförderung und eine Reform
        des Hermes-Instruments im internationalen Rahmen ist
        irreführend. Meine Ausführungen haben, denke ich, deut-
        lich gemacht, dass der Erhalt dieses wichtigen außenwirt-
        schaftspolitischen Instruments bei uns nie infrage gestellt
        wurde. Ganz im Gegenteil: Erst durch die Modernisierung
        von Hermes haben wir seinen Erhalt auf lange Jahre gesi-
        chert. Ein Instrument, das an veränderte Bedingungen
        nicht angepasst wird, ist dagegen nicht überlebensfähig.
        Zum F.D.P.-Antrag: Es steht ja viel Richtiges drin; aber
        er ist an einigen Stellen leider obsolet geworden. Es geht
        eben nicht mehr um den Hermes-Umweltleitfaden, von
        dem Sie sprechen. Es geht vielmehr um umfassendere
        Leitlinien, die bei diesem primär wirtschaftspolitischen
        Instrument in angemessener Form auch ökologische, so-
        ziale und entwicklungspolitische Gesichtpunkte zeit-
        gemäß berücksichtigen.
        Im Übrigen: Wie man ja weiß, ist das Bessere der Feind
        des Guten. Deshalb lehnen wir den F.D.P.-Antrag ab und
        stimmen dem weitaus umfassenderen und konkreteren ei-
        genen Antrag zu.
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16205
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        Erich G. Fritz (CDU/CSU): Die Außenwirtschafts-
        politik war in der Vergangenheit von großer Gemeinsam-
        keit der Fraktionen des Deutschen Bundestages getragen.
        Ich erinnere an den von allen Fraktionen beschlossenen
        Antrag aus dem Jahre 1996. Ausfuhrgewährleistungen,
        Auslandshandelskammern, Bundesstelle für Außenhan-
        delsinformation und Messeförderung bleiben die wich-
        tigsten Instrumente der deutschen Außenwirtschaftspoli-
        tik. Leider legt die Bundesregierung wenig Wert auf die
        Pflege dieser Instrumente: Bei der BfAI wird gekürzt, das
        Informationsnetz wird ausgedünnt, das Netz der Aus-
        landshandelskammern wird trotz mittlerweile guter
        Selbstfinanzierungsanteile von bis zu 75 Prozent nicht in
        der Weise entwickelt, wie das nötig wäre. Die Messeför-
        derung bleibt hinter den interfraktionell vereinbarten Zie-
        len zurück und die Hermes-Reform-Debatte findet hinter
        verschlossenen Türen als Koalitionshickhack statt. Weder
        gibt es über die Diskussion in der Regierung Berichte im
        Wirtschaftsausschuss, noch wollten die Koalitionspar-
        teien die Debatte im Plenum des Deutschen Bundestages.
        Erst im letzten Augenblick kommt die Koalition mit ei-
        nem Antrag.
        Dass die Debatte über die Reform von Hermesbürg-
        schaften an einem Freitagnachmittag stattfindet, zeigt,
        welch geringe Bedeutung die rot-grüne Mehrheit diesem
        seit mehr als 50 Jahren bestehenden und effizienten Mit-
        tel der Exportförderung beimisst. Dies darf angesichts der
        aktuellen politischen Diskussion um eine Reform der
        Ausfuhrgewährleistungen des Bundes verwundern. Dies
        verwundert auch besonders deshalb, weil es gerade von-
        seiten der rot-grünen Regierung seit geraumer Zeit
        Bestrebungen gibt, entwicklungspolitische, soziale und
        ökologische Aspekte im Rahmen des Hermes-Vergabe-
        verfahrens stärker zu berücksichtigen.
        Mit dem jüngst von Rot-Grün gefundenen Kompro-
        miss, bei der Vergabe staatlicher Bürgschaften für Exporte
        die Folgen für Umwelt, Soziales und Entwicklungspolitik
        zu berücksichtigen, ändert sich zunächst nach Aussagen
        des Wirtschaftsministers nichts. Mit Recht stellte daher
        ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums gegenüber der
        taz fest, dass man den Leitfaden gar nicht gebraucht
        hätte. Denn der Leitfaden sieht Regelungen vor, die oh-
        nehin bereits gängige Praxis sind. Die Bundesregierung
        wäre bereits heute in der Lage gewesen, bei Großprojek-
        ten Umweltprüfungen von den Antragstellern zu verlan-
        gen. Ökologische, soziale und entwicklungspolitische
        Gesichtspunkte werden schon jetzt im Rahmen der För-
        derungswürdigkeit und der risikomäßigen Vertretbarkeit
        berücksichtigt.
        Die Praxis, bei der Vergabe staatlicher Bürgschaften
        für Exporte auch umwelt-, sozial- und entwicklungspoli-
        tische Folgen zu prüfen, hat sich also bereits bewährt.
        Dass dabei immer wieder der Eindruck von undurch-
        schaubaren Verfahren und Geheimniskrämerei entstanden
        ist, der vor allem bei kritischen NGOs den Eindruck er-
        weckte, der IMA sei ein Ausschuss zur Durchsetzung von
        Wirtschaftsinteressen gegen Umwelt- und Entwicklungs-
        erfordernisse, liegt an einer eher altertümlich anmutenden
        Verwaltungsarbeit, die wenig transparent und kommuni-
        kativ ist und nicht mehr dem Standard großer Industrie-
        staaten entspricht. Dabei kann das Instrument nur gewin-
        nen, wenn an den Entscheidungen sichtbar wird, dass Prin-
        zipien, die in der sozialen Marktwirtschaft gemeinsame
        Grundlage und einer nachhaltigen und kohärenten Politik
        verpflichtet sind, natürlich nicht bestimmte Bereiche aus-
        klammern können. Die Abwägung muss aber verantwort-
        lich von den beteiligten Entscheidern im Bewusstsein der
        Verantwortung ihres Handelns geschehen, von diesen in
        Zweifelsfällen öffentlich begründet und müssen nicht un-
        bedingt in formale und bürokratische Verfahren gepresst
        werden. In der Regel umstrittene Ausfuhren für sozial-,
        umwelt- oder entwicklungsrelevante Großprojekte kom-
        men mit oder ohne festgelegte Grundsätze in die öffent-
        liche Diskussion und erfordern schon deshalb eine parla-
        mentarische Diskussion, die sich bisher kein Bundestag
        entgehen ließ.
        Das Hauptproblem beim Vorgehen der Koalition mit
        ihren Grundsätzen oder Leitsätzen für die Hermes-Ent-
        scheidungen ist, dass aus diesen schriftlich fixierten Kri-
        terien die Forderung nach exekutiver Perfektionierung
        und nach jedem Streitfall die Erweiterung des Regelungs-
        bedarfs entstehen wird. Wir kennen doch die Neigung der
        beteiligten Parteien. Hermes muss aber vor allem ein
        handhabbares und flexibles, vor allem schnelles Instru-
        ment bleiben. Die vom amerikanischen Kongress per Ge-
        setz festgelegten Regelungen zeigen, dass man innerhalb
        eines weiten Rahmens verantwortlich handeln kann.
        Das Hermes-Instrument sollte daher nicht durch die in
        den neuen Umweltleitlinien der rot-grünen Bundesregie-
        rung aufgestellte Forderung, bei Hermes-Anträgen ver-
        stärkt umwelt-, sozial- und entwicklungspolitische Krite-
        rien zu berücksichtigen, überfordert werden. Hermes
        muss vielmehr auch in Zukunft ein Instrument der Wirt-
        schafts- und Exportförderung bleiben. Nur so kann Her-
        mes den Zugang der deutschen Industrie zu den Märkten
        der Schwellen- und Entwicklungsländer ermöglichen,
        dem deutschen Mittelstand eine effiziente Form der Ex-
        portförderung bieten und dem Ziel der staatlichen Aus-
        fuhrgewährleistung gerecht werden, den Export zu för-
        dern und damit weiterhin Arbeitsplätze in Deutschland zu
        sichern.
        Dass Hermes für deutsche Unternehmen als Instrument
        zur Absicherung ihrer Exporte gegen politische und wirt-
        schaftliche Risiken in unterentwickelten und risikorei-
        chen Regionen der Welt unverzichtbar geworden ist, be-
        weisen die Zahlen aus dem Jahr 2000: Danach konnte im
        Geschäft mit Hermesbürgschaften ein Überschuss von
        67 Millionen DM erzielt werden. Insgesamt übernahm der
        Bund im vergangenen Jahr Bürgschaften in Höhe von
        38,1 Milliarden DM, was rund 3,3 Prozent des gesamten
        deutschen Exports entspricht. Etwa 97 Prozent der vom
        Bund übernommenen Deckungen entfielen dabei auf Ex-
        porte in Entwicklungsländer bzw. die Staaten Mittel- und
        Osteuropas. Gegenüber 1999 sind die neu übernommenen
        Hermes-Deckungen um 43 Prozent gestiegen  ein An-
        stieg, der auf eindrucksvolle Weise die Bedeutung von
        Hermes für die deutsche Exportwirtschaft bestätigt. Nicht
        zu vergessen sind die 140 000 bis 260 000 Arbeitsplätze in
        Deutschland, die laut einer Studie der Prognos AG vom
        Dezember 2000 allein durch Hermes gesichert werden.
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116206
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        Damit dies so bleibt, sollte das Hermes-Instrument
        kontinuierlich weiterentwickelt werden, und zwar ausge-
        richtet am Bedarf der Exportwirtschaft. Dabei kommt in
        einer immer stärker verflochtenen Wirtschaft zwischen
        den großen Wirtschaftsregionen der Vermeidung von
        Wettbewerbsverzerrungen durch unterschiedliche Ge-
        währleistungspolitiken eine große Bedeutung zu. Es kann
        nicht richtig sein, dass deutsche Unternehmen nach deut-
        schen Richtlinien keine Gewährleistung bekommen kön-
        nen, sie aber in anderen Ländern durch dortige Export-
        kreditversicherer sehr wohl erhalten. Deshalb hat eine
        Reform des Hermes-Instruments nur international mit den
        Partnerländern in der OECD koordiniert einen wirklichen
        Sinn.
        Deshalb fordert die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die
        Bundesregierung auf, für den Erhalt von Hermes als ei-
        nem praktikablen Instrument der Außenwirtschaftsförde-
        rung einzutreten und vor dem Hintergrund der zuneh-
        menden Globalisierung und der damit einhergehenden
        Verschärfung des internationalen Wettbewerbs jegliche
        Reform des Hermes-Instruments im internationalen Rah-
        men durchzuführen. Nationale Alleingänge verbieten sich
        aufgrund der bereits vorhandenen hohen Standards, die
        erhebliche Wettbewerbsnachteile für die deutsche Export-
        wirtschaft mit sich bringen würden.
        Wir fordern ferner, angesichts der hohen deutschen
        Umweltstandards im internationalen Vergabeverfahren
        auf eine Harmonisierung der staatlichen Exportkreditver-
        sicherung zu drängen. Hinsichtlich verschärfter Umwelt-
        standards muss Harmonisierung unser vorderstes Inte-
        resse sein.
        Außerdem mahnen wir an, auf OECD-Ebene für eine
        Beschleunigung der Verhandlungen über die Entwicklung
        gemeinsamer Umweltleitlinien einzutreten sowie aktiv an
        den Verhandlungen und der Arbeit der OECD-Working
        Party on Export Credits and Export Credit Guarantees
        mitzuwirken. Ziel muss die beim Kölner G-8-Gipfel ver-
        einbarte Erarbeitung gemeinsamer Umweltrichtlinien für
        die Exportkredit-Agenturen bis zum G-8-Gipfel 2001 in
        Rom sein. Dieser klare politische Auftrag zur Konsens-
        bildung muss von den OECD-Staaten erfüllt werden.
        Wir fordern, bei den Verhandlungen über die Entwick-
        lung von Umweltleitlinien auch die Erfahrungen der US
        Export-Import-Bank, Ex-Im-Bank, zu berücksichtigen,
        die in ihren Richtlinien vom April 1998 Umweltkriterien
        vorsieht, sich für den Erhalt einer flexiblen und unbüro-
        kratischen Handhabung bei der Vergabe von Hermesbürg-
        schaften einzusetzen, damit sich die deutschen Unterneh-
        men mit ihren Produkten und hohen technologischen
        Standards auf den Weltmärkten behaupten können, sowie
        darauf hinzuwirken, dass das Hermes-Instrument einfach
        und bürokratisch handhabbar bleibt. Schnelligkeit und
        Flexibilität der Entscheidungsprozesse sind für die deut-
        sche Exportwirtschaft oft entscheidende Elemente im in-
        ternationalen Wettbewerb. Bei dem von Rot-Grün vorge-
        sehenen Umweltleitfaden steckt der Teufel allerdings im
        Detail, wenn es künftig bei Umweltprüfungen um Ab-
        grenzungsfragen zwischen den Sektoren geht, die prü-
        fungsfrei sind oder einer zusätzlichen Prüfung unterlie-
        gen. Rot-Grün beeinträchtigt damit die internationale
        Wettbewerbsfähigkeit vor allem mittelständischer Ex-
        portunternehmen, weil Projektprüfungszeiträume, die
        sich in Deutschland bereits heute sehr langwierig gestal-
        ten, weiter in die Länge gezogen werden.
        Es soll auf internationaler Ebene mehr Transparenz
        durch die Erstellung einer im Internet veröffentlichten
        Liste über Großprojekte durch die OECD-Mitglieder in
        freiwilliger und anonymisierter Form geschaffen werden
        sowie auf nationaler Ebene die Transparenz durch die
        zeitnahe Veröffentlichung von Entscheidungen des Inter-
        ministeriellen Ausschusses, IMA, durch das Bundeswirt-
        schaftsministerium und durch eine frühzeitige und um-
        fassende Information der Bundestagsausschüsse, deren
        Ressorts im IMA vertreten sind, erhöht werden. Zur Er-
        höhung der Transparenz von Hermes-Entscheidungen
        sagt der Umweltleitfaden bisher leider nur sehr wenig.
        Auf nationaler Ebene wird die Debatte, inwieweit Her-
        mes nicht nur als Instrument der Exportsicherung, son-
        dern auch als ein Instrument der Umweltpolitik taugt,
        trotz der absehbaren Einigung der Regierungsparteien
        kaum beendet sein. Vielmehr wird die politische Praxis
        sehr schnell zeigen, dass der Grundsatzstreit über die Re-
        form der Hermes-Exportgarantien angesichts der weit
        hinter den von Bündnis 90/Die Grünen zurückgebliebe-
        nen Forderungen nur vertagt worden ist. Rot-grüner Streit
        wird spätestens dann wieder aufbrechen, wenn über die
        Vergabe von Hermesbürgschaften für Nuklearanlagen,
        Rüstungslieferungen und gefährliche Chemieexporte ent-
        schieden werden soll.
        Zunächst dürfen wir jedoch gespannt sein, wann der
        Umweitleitfaden, der nach Informationen aus dem
        Bundeswirtschaftsministerium in Umweltleitlinien um-
        benannt werden soll, auch tatsächlich der Öffentlichkeit
        zugänglich gemacht wird. Die Einigung im Interministe-
        riellen Ausschuss jedenfalls lässt noch immer auf sich
        warten.
        Für die CDU/CSU ist der Weg eindeutig: Am sinn-
        vollsten bleibt unsere Forderung, dass jegliche Reform
        des Hermes-Instruments im internationalen Rahmen er-
        folgen muss, weil nationale Alleingänge aufgrund der
        bereits existierenden hohen Standards erhebliche Wettbe-
        werbsnachteile für die deutschen Exporteure im interna-
        tionalen Vergabeverfahren mit sich bringen würden. Inso-
        fern müssen OECD-Regeln Vorrang vor den von
        Rot-Grün eingeschlagenen Sonderegelungen haben. Es
        gibt angesichts der weit fortgeschrittenen Verhandlungen
        keinen vernünftigen Grund für nationale Alleingänge.
        Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN): Wie Sie wissen, hat sich die rot-grüne Regierungs-
        koalition eine Reform der Hermesbürgschaften nach
        ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen Ge-
        sichtspunkten vorgenommen.
        Damit wollen wir der Tatsache Rechnung tragen, dass
        die Vergabe von Hermesbürgschaften nicht nur ein be-
        währtes Instrument der Außenwirtschaftsförderung bleibt,
        sondern auch dafür sorgen, dass bei solchen durch den Fis-
        kus gedeckten Lieferungen und Investitionen keine nega-
        tiven Auswirkungen auf die Umwelt und Bewohner im
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16207
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Bestellerland eintreten. Denn leider hat es in der Vergan-
        genheit immer wieder Beispiele gegeben, dass auch deut-
        sche Exportfirmen an der irreversiblen Zerstörung und
        Belastung unserer natürlichen Umwelt beteiligt waren.
        Traurige Fälle, welche die ansonsten erfolgreiche Bilanz
        der letzten 52 Jahre trüben. Doch der Wettbewerb einer
        global agierenden Wirtschaft darf sich nicht nur um lukra-
        tive Aufträge und profitable Geschäfte drehen, sondern
        muss sich auch an dem Leitbild einer nachhaltigen Ent-
        wicklung messen lassen.
        Wer die Bedeutung der Hermes-Reform richtig verste-
        hen will, muss sich den Umfang der Ausfuhrgewährleis-
        tungen vor Augen führen. Im letzten Jahr hat der Bund
        Bürgschaften in Höhe von 38,1 Milliarden DM übernom-
        men  ein Zuwachs von fast 50 Prozent gegenüber 1999.
        Das entspricht einem Anteil von circa 3,3 Prozent am Ge-
        samtexport. Das hört sich gering an. Doch klingt es an-
        ders, wenn man weiß, dass 97 Prozent aller verbürgten
        Exporte in Entwicklungs- und Schwellenländer gehen
        und damit Geschäfte abdecken, die in ihrem Wertumfang
        weit über die internationale Entwicklungshilfe hinaus-
        gehen.
        Damit werden Arbeitsplätze in Deutschland gesichert.
        Wie aus einer Studie des Basler Prognos-Institutes hervor-
        geht, etwa 216 000. Das Gros der Anträge, circa 72 Pro-
        zent, kommt aus mittelständischen Unternehmen, für die
        bei oftmals geringer Kapitaldecke eine finanzielle Absi-
        cherung außerordentlich wichtig ist. Zudem gehören
        staatliche Ausfallbürgschaften zum Garantiebestand in-
        ternationaler Geschäfte und sind damit ausschlaggebend
        für die Wettbewerbssituation deutscher Firmen. Was bis-
        her zu wenig beachtet wurde, ist die nachhaltige Ent-
        wicklung im Bestellerland. Eine sicherlich sensible An-
        gelegenheit, weil sich die Besteller ungern Vorschriften
        machen lassen, die über die in ihrem Land geltenden Stan-
        dards hinausgehen. Gerade bei den kontroversen Diskus-
        sionen im Rahmen der WTO ist der Vorwurf der Protek-
        tion an die industriellen Erzeugerländer erhoben worden,
        die angeblich mit ihren hohen Qualitätsanforderungen die
        Beteiligung und Zulieferung von einheimischen Unter-
        nehmen verhindern wollen. Darum sollte die Hermes-Re-
        form keine restriktiven, starren Vorgaben machen, son-
        dern eine flexible Herangehensweise mit Anpassung an
        internationale Standards ermöglichen.
        Doch nun im Einzelnen, was wir bisher in anstrengen-
        der Arbeit und zähen Verhandlungen  ich will das gar
        nicht verschweigen  mit dem federführenden Bundes-
        wirtschaftsministerium erreicht haben:
        Erstens. Dem IMA  Interministeriellen Ausschuss 
        liegt ein Entwurf vor, der die Leitlinien für die Berück-
        sichtigung von ökologischen, sozialen und entwicklungs-
        politischen Gesichtspunkten bei der Übernahme von Aus-
        fuhrgewährleistungen des Bundes beschreibt. Keine
        folgenlose Prosa oder Sammlung von unverbindlichen
        Absichtserklärungen  wie von Kritikerinnen gesagt
        wird , sondern erstmalig ein Prüfungs- und Entschei-
        dungsleitfaden, der das bisher praktizierte Freihand-Ver-
        gabeverfahren auf empirischer Grundlage ablöst.
        Zweitens. Damit richtet sich die Exportförderwürdig-
        keit künftig nicht nur an wirtschaftlichen Erwägungen,
        sondern auch an dem Leitbild einer nachhaltigen Ent-
        wicklung aus. Das wird sich insbesondere auf den Export
        von Umwelttechnik und regenerativen Energietechnolo-
        gien auswirken. Zwei Wirtschaftszweige, die weltweite
        Verbreitung verdienen.
        Drittens. Von einer Förderung ausgeschlossen sind Nu-
        kleartechnologien. Sowohl für Neubauten als auch für
        Nachrüstungen bei bestehenden AKWs. Damit wollen wir
        einen national beschrittenen Ausstiegsweg auch interna-
        tional fortsetzen.
        Viertens. Die Leitlinien enthalten, was für ähnliche
        Richtlinien ungewöhnlich und neu ist, eine Anpassungs-
        und Änderungsklausel. Damit soll eine zeitnahe Anpas-
        sung an die internationale Entwicklung und eine ständige
        Verbesserung aufgrund der gewonnenen Erfahrungen ge-
        schehen. Hier sind vor allem die Kritiker aufgerufen mit-
        zuwirken. Nicht das Papier, sondern die Praxis wird die
        Tauglichkeit der Leitlinien beweisen.
        Fünftens. Die Leitlinien schreiben ein verbindliches,
        zweistufiges Prüfungsverfahren vor:
        Erste Stufe Vorprüfung/Screening: Alle Projekte ab ei-
        nem Auftragswert von 15 Millionen Euro und relevantem
        deutschen Lieferanteil werden künftig eine Vorprüfung,
        ein Screening durchlaufen. Bei konkreten Anhaltspunkten
        für die Umweltrelevanz eines Projektes wird die Vorprü-
        fung auch auf Anträge mit niedrigerem Auftragswert aus-
        geweitet. Hier ist vor allem das Projektumfeld entschei-
        dend. Also die Einbeziehung solcher sensiblen Punkte wie
        Primärwälder, Bioreservate, Siedlungsgebiete indigener
        Völker, anerkannte Kulturgüter, Dimension der Umsied-
        lung usw.
        Zweite Stufe Tiefenprüfung/Review: Wenn sich aus
        dem Screening ein weiterer Prüfungsbedarf ergibt,
        schließt sich eine sektorenunabhängige und sektorenspe-
        zifische Überprüfung an, die in der Regel einzelfall- und
        projektbezogen erfolgt. Hierzu können ergänzende und
        vertiefende Umweltgutachten angefordert werden. Wich-
        tig ist, dass die Umweltstandards des Bestellerlandes
        mit international anerkannten und üblichen Umweltvor-
        schriften  WCD, Weltbank, EBRD  verglichen werden
         Benchmarking  und entsprechende Übereinstimmung
        erzielt werden soll.
        Einordnung in Kategorien: Wie bei den Weltbankkrite-
        rien vorgesehen, erfolgt dann eine Einordnung der ge-
        prüften Projekte in die drei Kategorien A, B und C. Wo-
        bei die Kategorie A darauf hinweist, dass starke
        ökologische, soziale und entwicklungspolitische Auswir-
        kungen zu erwarten sind, die nicht lokal begrenzt
        und/oder irreversibel erscheinen. Also Projekte, bei denen
        ein hohes Risiko bzw. Gefahren für Umwelt und Men-
        schen und dementsprechende Konflikte absehbar sind.
        Sechstens. Sofern die Prüfung Verbesserungsbedarf er-
        gibt, kann die Deckungsentscheidung mit konkreten Um-
        weltauflagen verbunden werden. In solchen Fällen erfolgt
        eine spezielle Überwachung und Kontrolle durch Moni-
        toring Reports.
        Siebtens. Ein wichtiges Kapitel ist die Einbeziehung
        von verfügbaren Informationsquellen. Hier sind aus-
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116208
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        drücklich die Nichtregierungsorganisationen genannt,
        von denen in der Vergangenheit oft wichtige Hinweise ka-
        men. Aber auch Informationen aus den Botschaften und
        der Bevölkerung im Bestellerland werden künftig stärker
        zur Beurteilung der Projekte herangezogen. Der Bund
        wird diesbezüglich eine fachkompetente Bewertung der
        Umweltinformationen sicherstellen.
        Achtens. Die Wirksamkeit der Leitlinien wird sehr da-
        von abhängen, inwieweit es gelingt, die Vorhaben und
        Entscheidungen öffentlich und nachvollziehbar zu ma-
        chen. Deswegen sollen künftig Projekte der Kategorie A
        in Deutschland frühzeitig transparent gemacht werden.
        Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich im
        Rahmen der laufenden OECD-Verhandlungen aktiv dafür
        einsetzt, dass demnächst ein abgestimmtes Verfahren zur
        Veröffentlichung von Projektort und Projektart bereits im
        Prüfstadium realisiert wird. Hinsichtlich Parlament soll-
        ten nicht nur der Haushaltsausschuss, sondern sämtliche
        Ausschüsse der im IMA vertretenen Ressorts informiert
        werden.
        Die Hermes-Reform ist ein wichtiger Schritt in die
        richtige Richtung. Vielleicht kein Meilenstein. Aber das
        wird sich zeigen. Meine Fraktion  ich will das nicht ver-
        hehlen  ist nicht vollauf zufrieden damit. An unseren
        Ausgangsvorstellungen und den jahrelangen Bemühun-
        gen und Erfahrungen gemessen, gibt es etliche Punkte, die
        wir als neuralgisch ansehen. Nicht das Papier, sondern die
        Praxis wird den Gebrauchswert dieser Leitlinien bestim-
        men. Wir werden deswegen die Bürgschaftsvergabe auch
        in Zukunft kritisch begleiten, um sicherzustellen, dass die
        Leitlinien dazu beitragen, deutsche Exporte zu fördern,
        ohne in Konflikt mit Umwelt und Menschen in der Zwei-
        drittelwelt zu geraten. Wir verstehen die Leitlinien als dy-
        namische Vorgaben mit zeitnaher Anpassung, welche die
        Möglichkeit geben, neue Erfahrungen und Veränderun-
        gen auf internationaler Ebene konstruktiv aufzugreifen.
        Gudrun Kopp (F.D.P.): Die Hermes-Exportbürg-
        schaften sind ein zuverlässiges und flexibles Instrument
        der Außenwirtschaftsförderung. Insgesamt übernahm der
        Bund im Jahr 2000 Bürgschaften in Höhe von 38 Milliar-
        den DM und erwirtschaftete sogar zum wiederholten
        Male einen Überschuss von 67 Millionen DM.
        Hermes-Exportgarantien sichern inzwischen  laut ei-
        ner Studie  circa 200 000 Arbeitsplätze in Deutschland,
        und zwar überwiegend in der mittelständischen Export-
        industrie, auf die 80 Prozent der Einzeldeckungen entfal-
        len. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass dieser er-
        folgreiche Förderbereich nicht immer wieder mit
        Förderinteressen von SPD und vor allem Grünen über-
        frachtet wird.
        Es ist unverantwortlich, die Vergabe von Hermesbürg-
        schaften auch noch an Forderungen zu Frauenförderung,
        Entwicklungshilfe und Beteiligungen von Nichtregie-
        rungsorganisationen zu knüpfen. Die F.D.P. setzt sich des-
        halb mit ihrem Antrag gezielt ein für ein effizientes und
        transparentes Ausfuhrgewährleistungssystem.
        Hermes-Deckungen müssen mit so wenig Bürokratie
        wie möglich gehandhabt werden, damit sich deutsche
        Unternehmen mit ihren innovativen Produkten und ihren
        hohen technischen Standards auch in Zukunft auf den
        Weltmärkten durchsetzen können. Der geltende Umwelt-
        leitfaden für Hermesbürgschaften ist ausreichend und darf
        nicht mit noch mehr Auflagen für den exportierenden Mit-
        telstand befrachtet werden.
        Die F.D.P. unterstützt die entsprechende Position des
        Bundeswirtschaftsministers und stellt mit ihrem Antrag
        sieben Forderungen an die Bundesregierung:
        Erstens. Keine Abweichungen von den vereinbarten
        OECD-Umweltleitlinien für Ausfuhrgewährleistungen.
        Zweitens. Unterstützung des Hermes-Umweltleitfa-
        dens des BMWi, verbunden mit der Entwicklung von ef-
        fizienteren, flexibleren Instrumentarien.
        Drittens. Die vorgesehenen Schwellenwerte für das
        Screening-Verfahren sind hinreichend.
        Viertens. Ablehnung einer Ausschlussliste für Hermes-
        bürgschaften.
        Fünftens. Unterstützung für einheitliche Kriterien ei-
        ner Präsentation im Internet im Rahmen der OECD.
        Sechstens. Einzelfallentscheidungen durch den Inter-
        ministeriellen Ausschuss.
        Siebtens. Über besondere Charakteristika zu anstehen-
        den Projekten informiert der IMA die zuständigen Res-
        sorts und Ausschüsse.
        Zu dem von den Regierungsfraktionen vorgelegten
        Antrag ist die Frage zu klären, in welchem Zusammen-
        hang der IMA bei der Bearbeitung von Hermesbürgschaf-
        ten menschenrechtliche Aspekte einbeziehen soll. Er-
        klärungsbedürftig ist außerdem, in welcher Form in den
        Leitlinien eine eingeschränkte Exportförderfähigkeit bei
        hoch sensiblen Projekten wie Kernkraftwerken, Rüs-
        tungsexporten oder gefährlichen Chemikalien festgelegt
        werden soll. Darauf geben SPD und Grüne keine Ant-
        worten.
        Wichtig ist uns Liberalen, dass die politischen Ent-
        scheidungen über die Exportfähigkeit von Produkten dem
        Bundessicherheitsrat vorbehalten bleiben und die Export-
        kontrollen dem Bundesausfuhramt vorbehalten bleiben.
        Das Parlament ist rechtzeitig über solche Entscheidungen
        zu informieren und alle Instrumente müssen unter beson-
        derer Berücksichtigung des Mittelstandes gehandhabt
        werden.
        Ursula Lötzer (PDS): Was Sie heute in Ihrem Antrag
        an Neuerungen hinsichtlich des Ausfuhrgewährleistungs-
        systems vorlegen, hat nichts mit der Reform zu tun, die
        Sie in Ihrer Koalitionsvereinbarung versprochen hatten.
        Es handelt sich um eine Ansammlung unverbindlicher
        Absichtserklärungen. Damit hat sich das Wirtschaftsmi-
        nisterium mit seiner eindeutigen Orientierung an den Ex-
        portinteressen durchgesetzt.
        Die Kernforderung der Hermes-Kampagne, verbind-
        liche Standards für Exportbürgschaften und unabhängige
        Umwelt- und Sozialprüfungen, wären die Voraussetzung
        für eine glaubwürdige Reform. Außer dem Ausschluss
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16209
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        der weiteren Exportförderung von Nukleartechnologie für
        den Neubau und die Umrüstung von Atomanlagen findet
        sich in ihrem Entwurf nichts davon. Dabei wäre in diesem
        Zusammenhang eine Festlegung auf die Weltbankstan-
        dards eine mögliche Mindestfestlegung gewesen, da sie
        bereits international gültiges Regelwerk darstellen.
        Nicht ohne Grund sind große Staudammprojekte einer
        der Hauptauseinandersetzungspunkte um die Hermes-
        Reform gewesen. In vielerlei Hinsicht verkörpern sie die
        Diskussion über den Stellenwert von Menschenrechten,
        der Absicherung der Lebensumstände von Menschen ge-
        genüber Zwangsumsiedlungen sowie des Schutzes vor
        ökologischem Raubbau. Die World Commission of
        Dams hat zweieinhalb Jahre lang die erste unabhängige
        Untersuchung großer Dammprojekte durchgeführt. Ex-
        perten, Vertreter von Regierungen, Nichtregierungsorga-
        nisationen und Industrie haben sich auf gemeinsame
        Empfehlungen für einen internationalen Standard in der
        Bewertung großer Dammprojekte geeinigt. Die Bun-
        desregierung hat die Arbeit mitfinanziert, das BMZ hat
        Initiativen zur Umsetzung ergriffen. Dass nicht einmal die
        als Standard für Hermesbürgschaften aufgenommen wur-
        den, ist nicht akzeptabel.
        Dabei vergab die Bundesregierung bereits zweimal
        Hermesbürgschaften  einmal 1997 in Höhe von 270 Mil-
        lionen US-Dollar und einmal 1999 53 Millionen US-
        Dollar  für das Tschernobyl der Wasserkraft, den Drei-
        Schluchten-Staudamm. Und mit 75 Millionen DM und
        einer Grundzusage von 50 Millionen beteiligen Sie sich
        an weiteren Ausbaustufen der Zellstoffproduktion in India
        Kiat. Insgesamt wurden dafür über 500 Millionen DM ge-
        währt. Geliefert wurden veraltete Technologien, die er-
        wiesenermaßen hohe Gesundheitsrisiken für die Bevölke-
        rung mit sich brachten. Der Urwald wird illegal gerodet,
        bisher 855 000 Hektar. Jährlich hat der seit mehr als zehn
        Jahren anhaltende Zellstoffboom 1 Prozent des Regen-
        waldes zerstört. Das dringend benötigte Trinkwasser wird
        durch den Chlorausstoß verseucht. Haut- und Atemwegs-
        erkrankungen, verursacht durch illegale Fabrikabwässer,
        breiten sich weiter aus. Bereits 1999 standen die auf sol-
        chen Pump gebauten indonesischen Zellstofffabriken mit
        13 Milliarden US-Dollar in der Kreide. Solche Hermes-
        bürgschaften treiben die Verschuldung in die Höhe.
        Hermesbürgschaften sind ein staatliches Instrument,
        entsprechend sind auch öffentliche und parlamentarische
        Kontrolle notwendig. Bisher wurde das geheime Proze-
        dere der Bearbeitung von 30 000 bis 50 000 Anträgen
        jährlich nur in wenigen Fällen und nur auf Druck von
        Nichtregierungsorganisationen und Betroffenen bei be-
        sonders umstrittenen Projekten aufgehoben. Selbst bei
        diesen wurden relevante Umwelt- und Sozialverträglich-
        keitsprüfungen nicht öffentlich zugänglich. Das Parla-
        ment hatte keinen Einfluss auf die Entscheidungspro-
        zesse.
        Doch auch hinsichtlich der Transparenz und der Ein-
        beziehung der Zivilgesellschaft und der Betroffenen ist
        die vorgelegte Regelung keine Verbesserung. Weder wird
        die Öffentlichkeit informiert, noch ist ein Dialog mit
        NGOs vorgesehen. Obwohl 97 Prozent aller verbürgten
        Exporte in Entwicklungsländer gehen, soll nicht einmal
        der Entwicklungsausschuss bei besonders problemati-
        schen Projekten einbezogen werden.
        Die G-8-Staaten haben sich verpflichtet, ihre jeweili-
        gen Exportkreditagenturen und deren politische Ziele an
        die Förderung einer wirtschaftlichen und sozialen Ent-
        wicklung anzupassen und zentrale Forderungen nach
        Transparenz und demokratischen Entscheidungen in den
        G-8-Staaten selbst umzusetzen.
        Gestern wurde hier das Programm zur Armutsbekämp-
        fung vorgestellt. Die Bundesregierung wolle bei der
        Bekämpfung der Armut und der Wahrung der Interessen
        der Entwicklungsländer eine Vorreiterrolle spielen. Mit
        diesem vorgelegten Entwurf spielen Sie nicht nur keine
        Vorreiterrolle, sie fallen hinter internationale Regelungen
        und die Regelungen anderer Staaten zurück und werden
        zum Bremser in der OECD.
        Das hier gestern vorgestellte Programm zur Armuts-
        bekämpfung verkommt zum Lippenbekenntnis.
        Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
        minister für Wirtschaft und Technologie: Uns liegen drei
        Anträge zum Ausfuhrgewährleistungssystem vor. Die
        F.D.P.-Fraktion hat den Antrag Für ein effizientes und
        transparentes Ausfuhrgewährleistungssystem vorgelegt.
        Sie unterstützt darin das Umweltverfahren des Interminis-
        teriellen Ausschusses für Ausfuhrgarantien und Ausfuhr-
        bürgschaften, IMA, sowie die Verhandlungen der Bun-
        desregierung in der OECD über gemeinsame Umwelt-
        leitlinien für Exportkreditagenturen.
        1997, als die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/ Die
        Grünen für Hermes ein Umweltprüfverfahren forderten,
        stufte der frühere Bundeswirtschaftsminister Dr. Günter
        Rexrodt Umweltaspekte noch als sachfremd ein. Das
        Umdenken der F.D.P. in Richtung Umweltprüfung  und
        die CDU/CSU folgt in ihrem Entschließungsantrag die-
        sem Kurs  macht es heute möglich, Gemeinsamkeiten
        herauszuarbeiten. Dies ist umso wichtiger, als die deut-
        sche Exportwirtschaft im internationalen Wettbewerb die
        nachdrückliche Unterstützung von Bundesregierung und
        Bundestag braucht, um Chancengleichheit zu erhalten.
        Unser Land muss ein zuverlässiger Partner sein, damit
        unsere Unternehmen ihre innovativen Produkte mit hohen
        technologischen und Umweltstandards weltweit absetzen
        und zugleich zur Verbesserung der wirtschaftlichen Ent-
        wicklung in den Bestellerländern beitragen können. Die
        Zuverlässigkeit muss sowohl für die vertraglichen Ver-
        pflichtungen zur Produktqualität als auch für die Finan-
        zierung und, soweit erforderlich, die Begleitung mit den
        Ausfuhrgewährleistungen des Bundes gelten. Zur Er-
        schließung schwieriger, aber dynamischer Märkte ist eine
        Hermes-Absicherung häufig unverzichtbar.
        Zur Förderung der partnerschaftlichen Zusammenar-
        beit mit den Bestellerländern und in Verantwortung für die
        Umwelt hat der IMA ein Verfahren zur Berücksichtigung
        von ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen
        Gesichtspunkten bei der Vergabe von Ausfuhrgewährleis-
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116210
        (C)
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        tungen entwickelt. Das neue Verfahren stellt sicher, dass
        ökologische, soziale und entwicklungspolitische Auswir-
        kungen von Exportgeschäften erkannt und im Entschei-
        dungsverfahren verantwortungsbewusst berücksichtigt
        werden.
        Insgesamt bleibt das Verfahren unbürokratisch, effizi-
        ent und mittelstandsfreundlich. Nach einem Screening-
        Verfahren wird bei kritischen Einzelfällen im Rahmen ei-
        nes Benchmarkings projektbezogen ein Abgleich mit
        international anerkannten Standards, wie zum Beispiel
        denen der Weltbank, durchgeführt. Können Umweltbe-
        denken nicht ausgeräumt werden, wird versucht, in Kon-
        takten mit dem Exporteur zu einer Verbesserung des Pro-
        jekts zu kommen.
        Die Transparenz nach außen wird erhöht, ohne die Ver-
        traulichkeit von Geschäftsgeheimnissen zu gefährden.
        Zur Erhöhung der Transparenz gegenüber dem Parlament
        wird der für Hermes federführende Wirtschaftsausschuss
        in Zukunft neben dem Haushaltsauschuss über die Über-
        nahme von Ausfuhrgewährleistungen von grundsätzlicher
        Bedeutung, das heißt von sensiblen und Großprojekten
        unterrichtet.
        Der IMAwird das von ihm entwickelte und praktizierte
        Verfahren in Leitlinien festhalten. Die Fraktionen der
        SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen unterstützen
        mit ihrem Entschließungsantrag ausdrücklich dieses Ver-
        fahren.
        Die Bundesregierung befolgt und unterstützt mit ihrem
        Vorgehen das im Action Statement der OECD im Fe-
        bruar 2000 gemeinsam beschlossene parallele Vorgehen:
        Die OECD-Mitglieder entwickeln ihre nationalen Verfah-
        ren und Methoden zur Identifizierung und Prüfung von
        Umwelteinflüssen. Gleichzeitig tauschen sie unterei-
        nander ihre Erfahrungen zu den von ihnen entwickelten
        Verfahren aus. So verfahren auch die anderen OECD-
        Länder.
        Ziel ist es, den Auftrag des Kölner Weltwirtschaftsgip-
        fels vom Juni 1999 auszuführen, bis zum G-8-Gipfel im
        Juli 2001 auf gemeinsame Umweltleitlinien in der OECD
        hinzuarbeiten. Die Bundesregierung setzt sich nach-
        drücklich dafür ein, dass bereits der OECD-Ministerrat im
        Mai gemeinsame Umweltleitlinien verabschieden kann.
        Der Entwurf für gemeinsame Leitlinien ist so weit fortge-
        schritten, dass eine Einigung bis dahin möglich erscheint.
        Alle Teilnehmer der OECD-Exportkreditgruppe ein-
        schließlich der G-8-Mitglieder anerkennen die konstruk-
        tive Unterstützung der deutschen Delegation für einen
        gemeinsamen Ansatz zur verantwortungsvollen Berück-
        sichtigung von Umweltbelangen bei den Exportkredit-
        agenturen. Mit diesen Verhandlungen über ein gemein-
        sames Vorgehen sichern wir zugleich die internationale
        Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und damit
        Arbeitsplätze bei uns.
        Die jetzt anstehenden Beratungen in den Ausschüssen
        geben Gelegenheit, auf alle Fragen im Einzelnen vertieft
        einzugehen.
        Anlage 10
        Amtliche Mitteilungen
        Der Bundesrat hat in seiner 761. Sitzung am 30. März
        2001 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu-
        stimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2
        Grundgesetz nicht zu stellen:
         Gesetz zur Neuordnung des Gerichtsvollzieher-
        kostenrechts  GvKostRNeuOG 
         Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über
        die Verarbeitung und Nutzung der zur Durch-
        führung der Verordnung (EG) Nr. 820/97 des
        Rates erhobenen Daten
         Gesetz zu dem Abkommen vom 15. September
        1998 zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
        land und der Gabunischen Republik über die
        gegenseitige Förderung und den gegenseitigen
        Schutz von Kapitalanlagen
         Gesetz zu dem Abkommen vom 15. Februar
        1999 zwischen der Bundesrepublik Deutschland
        und dem Königreich Kambodscha über die För-
        derung und den gegenseitigen Schutz von Kapi-
        talanlagen
         Gesetz zur Änderung des Übereinkommens
        zum Schutz der Meeresumwelt des Nordost-
        atlantiks (OSPAR-Übereinkommen)
         Gesetz zu dem Internationalen Übereinkom-
        men von 1989 über Bergung
         Gesetz zur Neuregelung des Bergungsrechts in der
        See- und Binnenschifffahrt (Drittes Seerechtsän-
        derungsgesetz)
         Gesetz zur Neuordnung des Bundesdisziplinar-
        rechts
         Gesetz über die Anpassung von Dienst- und Ver-
        sorgungsbezügen in Bund und Ländern 2000
        (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpas-
        sungsgesetz 2000  BBVAnpG 2000)
         Gesetz zur Änderung des Krankenhausfinanzie-
        rungsgesetzes und der Bundespflegesatzverord-
        nung (DRG-Systemzuschlags-Gesetz)
        Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit-
        geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der
        Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den
        nachstehenden Vorlagen absieht:
        Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
         Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Neunundzwanzigster Rahmenplan der Gemeinschaftsauf-
        gabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur
        für den Zeitraum 2000 bis 2003 (2004)
         Drucksache 14/3250 
        Ausschuss für Kultur und Medien
         Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16211
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Konzeption zur Erforschung und Präsentation deutscher
        Kultur und Geschichte im östlichen Europa
         Drucksachen 14/4586, 14/4992 Nr. 1 
        Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit-
        geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla-
        gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla-
        ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung
        abgesehen hat.
        Innenausschuss
        Drucksache 14/5172 Nr. 2.63
        Drucksache 14/5172 Nr. 2.94
        Haushaltsausschuss
        Drucksache 14/5503 Nr. 2.1
        Ausschuss für Wirtschaft und
        Technologie
        Drucksache 14/5363 Nr. 1.3
        Drucksache 14/5363 Nr. 2.14
        Drucksache 14/5363 Nr. 2.15
        Drucksache 14/5363 Nr. 2.18
        Ausschuss für Verbraucherschutz,
        Ernährung und Landwirtschaft
        Drucksache 14/5172 Nr. 2.13
        Drucksache 14/5363 Nr. 2.19
        Drucksache 14/5503 Nr. 2.3
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116212
        (C)(A)
        Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin