Rede:
ID1416501000

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 8
    1. Ich: 1
    2. erteile: 1
    3. das: 1
    4. Wortdem: 1
    5. Kollegen: 1
    6. Matthäus: 1
    7. Strebl,: 1
    8. CDU/CSU-Fraktion.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Tagesordnungspunkt 14: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Sozialgesetzbuchs – Neuntes Buch – (SGB IX) Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (Drucksachen 14/5074, 14/5786, 14/5800) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16113 A – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Sozialgesetzbuchs – Neun- tes Buch – (SGB IX) Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (Drucksachen 14/5531, 14/5639, 14/5786, 14/5800) . . . . . . . . . . . . . . . . 16113 B Silvia Schmidt (Eisleben) SPD . . . . . . . . . . . 16113 B Claudia Nolte CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 16114 D Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16117 B Dr. Heinrich L. Kolb F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . 16119 A Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16120 C Walter Riester, Bundesminister BMA . . . . . . 16121 B Matthäus Strebl CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 16123 A Karl-Hermann Haack, Behindertenbeauftragter der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16124 A Tagesordnungspunkt 15: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU: Sofortmaßnahmen zur Verbesserung des Verbraucherschutzes und zur Unterstützung der landwirtschaftli- chen Betriebe erforderlich (Drucksachen 14/5544, 14/5722) . . . . 16126 B b) Antrag der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Marita Sehn, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der F.D.P.: Hungernden Menschen in Nordkorea BSE-negativ getestetes Rindfleisch liefern und nicht vernichten (Drucksache 14/5479) . . . . . . . . . . . . . 16126 C Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 16126 C Iris Hoffmann (Wismar) SPD . . . . . . . . . . . . . 16128 D Ulrich Heinrich F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16129 D Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16130 C Renate Künast, Bundesministerin BMVEL 16131 C Ulrich Heinrich F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 16132 C Annette Widmann-Mauz CDU/CSU . . . . . 16133 A Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 16134 C Jürgen Koppelin F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16135 D Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16136 A Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . 16136 C Albert Deß CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16138 A Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16140 A Ulrich Heinrich F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 16140 D Matthias Weisheit SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16141 D Heinrich-Wilhelm Ronsöhr CDU/CSU . . . . . 16143 A Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16143 D Plenarprotokoll 14/165 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 165. Sitzung Berlin, Freitag, den 6. April 2001 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 16: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages (Untersu- chungsausschussgesetz) (Drucksachen 14/2518, 14/5790) . . . . 16144 B – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Wolfgang Gerhardt, Jörg van Essen, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages (Untersu- chungsausschussgesetz) (Drucksachen 14/2363, 14/5790) . . . . 16144 B Hermann Bachmaier SPD . . . . . . . . . . . . . . . 16144 C Andreas Schmidt (Mülheim) CDU/CSU . . . . 16146 C Dieter Wiefelspütz SPD . . . . . . . . . . . . . . 16147 D Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16148 D Jörg van Essen F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16150 D Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 16152 B Erika Simm SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16153 B Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/CSU 16154 B Dieter Wiefelspütz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 16155 C Tagesordnungspunkt 17: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Gunnar Uldall, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Herstellung fairer Wettbe- werbsbedingungen für die deutsche und europäische Werftenindustrie (Drucksachen 14/5137, 14/5797) . . . . . . . 16157 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel, Dr. Ditmar Staffelt, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Kersten Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Siche- rung eines fairen Wettbewerbs für deut- sche und europäische Werften (Drucksache 14/5769) . . . . . . . . . . . . . . . 16157 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 16: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Zukunftschancen des deutschen und eu- ropäischen Schiffbaus nachhaltig ver- bessern (Drucksachen 14/5457, 14/5815) . . . . . . . 16157 C Tagesordnungspunkt 18: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än- derung des Künstlersozialversiche- rungsgesetzes und anderer Gesetze (Drucksachen 14/5066, 14/5792) . . . . 16158 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialord- nung – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer, Hans- Joachim Otto (Frankfurt am Main), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Reform der Künstlersozialversi- cherung gerecht gestalten – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich Fink, Dr. Heidi Knake- Werner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Für eine grundlegende Reform der Künstlersozialversicherung (Drucksachen 14/4929 [neu], 14/5086, 14/5792) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16158 A Ulrike Mascher, Parl. Staatssekretärin BMA 16158 B Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . . . . . . . . 16159 D Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16161 C Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P. . . . . . . . . . . . . 16162 D Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16163 D Angelika Krüger-Leißner SPD . . . . . . . . . . . . 16164 B Tagesordnungspunkt 19: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes und anderer Gesetze (Drucksachen 14/4329, 14/4458, 14/5793) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16166 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001II b) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Tätigkeits- bericht 1997 und 1998 des Bundesbe- auftragen für den Datenschutz – 17. Tätigkeitsbericht (Drucksachen 14/850, 14/1012 Nr. 6, 14/5353) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16166 C Tagesordnungspunkt 20: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Änderung des Zerlegungsmaß- stabs des Gewerbesteuermessbetrags (Drucksache 14/5584) . . . . . . . . . . . . 16167 B b) Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Erhöhung der Gewerbesteuer- umlage rückgängig machen (Drucksache 14/5586) . . . . . . . . . . . . 16167 B Dr. Uwe-Jens Rössel PDS . . . . . . . . . . . . . . . 16167 C Tagesordnungspunkt 21: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörig- keitsgesetzes Drucksachen 14/5335, 14/5798) 16168 D – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Staatsangehörigkeits- gesetzes (Drucksachen 14/5654, 14/5798) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Guido Westerwelle, Dr. Edzard Schmidt- Jortzig, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörig- keitsgesetzes und des Ausländer- gesetzes (Drucksache 14/4537, 14/5798) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Guido Westerwelle, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: „Schlussoffensive“ für erleich- terte Einbürgerung von Kindern (Drucksachen 14/4416, 14/5798) . . . . 16169 A Tagesordnungspunkt 22: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung – zu dem Antrag der Abgeordneten Franz Thönnes, Klaus Wiesehügel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Eckpunkte zur Verbesse- rung der Bekämpfung illegaler Be- schäftigung und Schwarzarbeit – zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Hildebrecht Braun (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Schattenwirt- schaft mit marktwirtschaftlichen Mitteln eindämmen (Drucksachen 14/5270, 14/3024, 14/5784) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16169 D Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Für ein effizi- entes und transparentes Ausfuhrgewähr- leistungssystem (Drucksache 14/5334) . . . . . . . . . . . . . . . 16170 B Zusatztagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Rolf Hempelmann, Dr. Ditmar Staffelt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Für ein modernes Ausfuhrgewährleis- tungssystem (Drucksache 14/5767) . . . . . . . . . . . . . . . 16170 B Zusatztagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Erich G. Fritz, Gunnar Uldall, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Für den Er- halt von Hermes als Instrument der Außenwirtschaftsförderung und eine Reform des Hermes-Instruments im in- ternationalen Rahmen (Drucksache 14/5749) . . . . . . . . . . . . . . . 16170 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16170 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 16171 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 III Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (PDS) zur Abstimmung über den Entwurf eines Sozialgesetzbuches – Neun- tes Buch – (SGB IX) Rehabilitation und Teil- habe behinderter Menschen . . . . . . . . . . . . . . 16172 B Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Rolf Kutzmutz (PDS) zur Abstimmung über die Nr. 2 der Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Wirt- schaft und Technologie zu dem Antrag: Her- stellung fairer Wettbewerbsbedingungen für die deutsche und europäische Werftenindustrie (Tagesordnungspunkt 17) . . . . . . . . . . . . . . . . 16173 C Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – der Beschlussempfehlung: Herstellung fai- rer Wettbewerbsbedingungen für die deut- sche und europäische Werftindustrie – des Antrages: Sicherung eines fairen Wett- bewerbs für deutsche und europäische Werften – der Beschlussempfehlung: Zukunftschan- cen des deutschen und europäischen Schiff- baus nachhaltig verbessern (Tagesordnungspunkt 17 und Zusatztagesord- nungspunkte 13 und 16) . . . . . . . . . . . . . . . . . 16173 C Dr. Margrit Wetzel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 16173 D Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU 16175 A Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16177 B Hans-Michael Goldmann F.D.P. . . . . . . . . . . 16177 C Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16178 C Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes und ande- rer Gesetze – der Unterrichtung: Tätigkeitsbericht 1997 und 1998 des Bundesbeauftragten für den Daten-schutz – 17. Tätigkeitsbericht (Tagesordnungspunkt 19 a und b) . . . . . . . . . . 16179 A Jörg Tauss SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16179 A Beatrix Philipp CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 16181 D Grietje Bettin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16183 D Dr. Edzard Schmidt-Jortzig F.D.P. . . . . . . . . . 16184 C Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16185 A Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI 16185 C Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Änderung des Zerlegungsmaßstabs des Ge- werbesteuermessbetrags – Erhöhung der Gewerbesteuerumlage rück- gängig machen (Tagesordnungspunkt 20 a und b) . . . . . . . . . . 16186 D Bernd Scheelen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16186 D Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU . . . . . . . 16188 A Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16192 A Gerhard Schüßler F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 16193 A Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Entwürfe: – Gesetz zur Änderung des Staatsangehörig- keitsgesetzes – Gesetz zur Änderung des Staatsangehörig- keitsgesetzes und des Ausländergesetzes und zur Beratung des Antrags: „Schlussoffen- sive“ für erleichterte Einbürgerung von Kin- dern (Tagesordnungspunkt 21 a und b) . . . . . . . . . . 16193 B Dr. Michael Bürsch SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 16193 B Thomas Strobl (Heilbronn) CDU/CSU . . . . . . 16194 C Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16196 B Dr. Max Stadler F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16196 D Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16197 B Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatsse- kretärin BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16198 B Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Eckpunkte zur Verbesserung der Bekämp- fung illegaler Beschäftigung und Schwarz- arbeit und – Schattenwirtschaft mit marktwirtschaftli- chen Mitteln eindämmen, (Tagesordnungspunkt 22) . . . . . . . . . . . . . . . . 16198 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001IV Leyla Onur SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16198 D Brigitte Baumeister CDU/CSU . . . . . . . . . . . 16200 B Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16201 B Dirk Niebel F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16202 A Dr. Klaus Grehn PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16203 B Gerd Andres, Parl. Staatssekretär BMA . . . . 16203 D Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Für ein effizientes und transparentes Aus- fuhrgewährleistungssystem, – Für ein modernes Ausfuhrsystem – Für den Erhalt von Hermes als Instrument der Außenwirtschaftsförderung und eine Reform des Hermes-Instruments im inter- nationalen Rahmen (Tagesordnungspunkt 23 und Zusatztagesord- nungspunkte 14 und 15) . . . . . . . . . . . . . . . . . 16204 C Rolf Hempelmann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 16204 C Erich G. Fritz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 16206 A Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16207 D Gudrun Kopp F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16209 B Ursula Lötzer PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16209 D Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16210 C Anlage 10 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16211 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 V Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001
  • folderAnlagen
    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 Vizepräsidentin Petra Bläss 16170 (C) (D) (A) (B) 1) Anlage 8 2) Anlage 9 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16171 (C) (D) (A) (B) Altmaier, Peter CDU/CSU 06.04.2001 Dr. Bauer, Wolf CDU/CSU 06.04.2001 Behrendt, Wolfgang SPD 06.04.2001** Dr. Berg, Axel SPD 06.04.2001 Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 06.04.2001 Dr. Blank, CDU/CSU 06.04.2001 Joseph-Theodor Bodewig, Kurt SPD 06.04.2001 Bohl, Friedrich CDU/CSU 06.04.2001 Dr. Brecht, Eberhard SPD 06.04.2001***** Breuer, Paul CDU/CSU 06.04.2001 Brüderle, Rainer F.D.P. 06.04.2001 Brudlewsky, Monika CDU/CSU 06.04.2001 Burgbacher, Ernst F.D.P. 06.04.2001 Ehlert, Heidemarie PDS 06.04.2001 Fischer (Berlin), BÜNDNIS 90/ 06.04.2001 Andrea DIE GRÜNEN Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 06.04.2001 Joseph DIE GRÜNEN Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 06.04.2001***** Gleicke, Iris SPD 06.04.2001 Glos, Michael CDU/CSU 06.04.2001 Graf (Rosenheim), SPD 06.04.2001 Angelika Griefahn, Monika SPD 06.04.2001***** Hartnagel, Anke SPD 06.04.2001 Hasenfratz, Klaus SPD 06.04.2001 Hauser (Rednitzhembach) CDU/CSU 06.04.2001 Hansgeorg Dr. Haussmann, F.D.P. 06.04.2001 Helmut Heinen, Ursula CDU/CSU 06.04.2001 Heubaum, Monika SPD 06.04.2001 Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 06.04.2001 DIE GRÜNEN Hirche, Walter F.D.P. 06.04.2001 Irber, Brunhilde SPD 06.04.2001 Jaffke, Susanne CDU/CSU 06.04.2001 Dr.-Ing. Jork, Rainer CDU/CSU 06.04.2001 Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 06.04.2001 Kauder, Volker CDU/CSU 06.04.2001 Klappert, Marianne SPD 06.04.2001 Dr. Köster-Loßack, BÜNDNIS 90/ 06.04.2001***** Angelika DIE GRÜNEN Dr.-Ing. Krüger, Paul CDU/CSU 06.04.2001 Kühn-Mengel, Helga SPD 06.04.2001 Dr. Lamers CDU/CSU 06.04.2001***** (Heidelberg), Karl A. Leidinger, Robert SPD 06.04.2001 Lengsfeld, Vera CDU/CSU 06.04.2001 Link (Diepholz), Walter CDU/CSU 06.04.2001** Lintner, Eduard CDU/CSU 06.04.2001** Dr. Lippelt, Helmut BÜNDNIS 90/ 06.04.2001 DIE GRÜNEN Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 06.04.2001 Erich Maier, Pia PDS 06.04.2001 Mascher, Ulrike SPD 06.04.2001 Michels, Meinolf CDU/CSU 06.04.2001 Moosbauer, Christoph SPD 06.04.2001 Müller (Berlin), PDS 06.04.2001 Manfred Müller (Jena), CDU/CSU 06.04.2001 Bernward Ostrowski, Christine PDS 06.04.2001 Pieper, Cornelia F.D.P. 06.04.2001 Poß, Joachim SPD 06.04.2001 Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 06.04.2001 Raidel, Hans CDU/CSU 06.04.2001***** entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Dr. Riesenhuber, Heinz CDU/CSU 06.04.2001 Rönsch (Wiesbaden), CDU/CSU 06.04.2001 Hannelore Schloten, Dieter SPD 06.04.2001***** Schmidt (Aachen), Ulla SPD 06.04.2001 Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 06.04.2001 Andreas Schuhmann (Delitzsch), SPD 06.04.2001 Richard Schultz (Everswinkel), SPD 06.04.2001 Reinhard Dr. Schuster, R. Werner SPD 06.04.2001 Sehn, Marita F.D.P. 06.04.2001 Steiger, Wolfgang CDU/CSU 06.04.2001 Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 06.04.2001 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 06.04.2001 Tröscher, Adelheid SPD 06.04.2001 Uldall, Gunnar CDU/CSU 06.04.2001 Volquartz, Angelika CDU/CSU 06.04.2001 Wiesehügel, Klaus SPD 06.04.2001 Wistuba, Engelbert SPD 06.04.2001 Wohlleben, Verena SPD 06.04.2001 Wolf, Aribert CDU/CSU 06.04.2001 Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 06.04.2001 Zierer, Benno CDU/CSU 06.04.2001** Zöller, Wolfgang CDU/CSU 06.04.2001 ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- lung des Europarates **** für die Teilnahme an der Sitzung der Parlamentarischen Versamm- lung der NATO ***** für die Teilnahme an der 105. Jahreskonferenz der Interparlamenta- rischen Union Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (PDS) zur Ab- stimmung über den Entwurf eines Sozialgesetz- buches – Neuntes Buch – (SGB IX) Rehabilation und Teilhabe behinderter Menschen (Drucksa- che 14/5074) Der große Wurf in der Behindertenpolitik ist mit dem SGB IX nicht erreicht, obwohl eine Reihe von Verbesse- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116172 (C) (D) (A) (B) entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich rungen erzielt wurde. Gleichzeitig gibt es aber eben auch reale Verschlechterungen. Als am 4. Dezember des vergangenen Jahres der Deutsche Behindertenrat seine 12 Thesen symbolisch an die Tür der Berliner Nikolaikir- che heftete, war klar, dass ein SGB IX nicht ausreichen würde, um die wahrlich nicht neuen Forderungen der Menschen mit Behinderungen und ihrer Verbände zu er- füllen. Gemessen an diesen Thesen ist das SGB IX ein Zwischenschritt, aber nicht der bereits überall verlaut- barte Paradigmenwechsel. In These 10 heißt es beim Deutschen Behindertenrat zum Beispiel: „Die Nachrangigkeit der Eingliederungs- hilfe im Sozialrecht muss beseitigt werden. Eltern, die sich für ein behindertes Kind entschieden haben, dürfen nicht lebenslang durch Unterhaltszahlungen ’bestraft‘ werden.“ Mit dem SGB IX wird die Nachrangigkeit bei der Eingliederungshilfe für Behinderte nicht beseitigt. In- sofern ist das SGB IX kein Leistungsgesetz. Es ist vor- wiegend auf die Zusammenfassung und Weiterentwick- lung des Rechts der medizinischen und beruflichen Rehabilitation ausgerichtet. Hier gibt es in der Tat eine Reihe von positiven Neuerungen, die von der PDS bereits bei Vorlage des Gesetzentwurfs benannt wurden. Da der Grundsatz der Nachrangigkeit für Leistungen der Ein- gliederungshilfe im Bundessozialhilfegesetz verankert bleibt, müssen auch künftig Menschen mit Behinderun- gen Einkommens- und Vermögensnachweise erbringen und Bedürftigkeitsprüfungen über sich ergehen lassen. Positiv ist allerdings, dass jetzt Angehörige von Werkstät- ten für Behinderte und in Fördereinrichtungen von dieser Regelung ausgenommen werden. Hier macht die Bundes- regierung einen Schritt, den die PDS begrüßt. Die Be- grenzung der Unterhaltspflicht für Eltern von erwachse- nen Behinderten auf das 27. Lebensjahr und auf einen Höchstbetrag von 50 DM ist die wohl wichtigste Verbes- serung, die im parlamentarischen Verfahren im SGB IX erzielt wurde. Damit wird zumindest der zweite Teil der genannten These des Deutschen Behindertenrates weitge- hend erfüllt. Wichtig wäre aber, bei diesen Schritten nicht stehen zu bleiben. Deshalb hat die Fraktion der PDS in ihren Anträgen gefordert, schon im SGB IX eine Festle- gung zu treffen, bis wann ein umfassendes Leistungsge- setz für Menschen mit Behinderungen vorgelegt werden soll. Eine solche Festlegung würde sowohl den betroffe- nen Menschen und ihren Angehörigen, aber auch den Städten und Gemeinden, die bisher als Sozialhilfeträger für die Kosten der Eingliederungshilfe aufkommen, eine klare Perspektive bieten. PDS und CDU/CSU hatten ja im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung mit eigenen Anträgen ein Leistungs- gesetz gefordert. Die CDU/CSU ging sogar so weit, allen Verbänden mit Schreiben vom 15. März ihre grundsätzli- che Zustimmung zum SGB IX mitzuteilen. Weiter heißt es im Schreiben von Frau Nolte und Herrn Laumann: „Es ist unsere feste Überzeugung, dass dieser Schritt nicht ausreicht, um elementaren Bedürfnissen der behinderten Menschen gerecht zu werden. Daher fordert die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ein eigenständiges, bun- desfinanziertes Leistungsgesetz für Behinderte, mit dem die Eingliederungshilfe aus dem Sozialhilferecht heraus- gelöst und auf eine eigene Grundlage gestellt wird.“ Da- her habe ich mich in einem Schreiben am 29. März an die behindertenpolitischen Sprecher aller Fraktionen ge- wandt und vorgeschlagen, wenigstens in einer begleiten- den Entschließung zum SGB IX den Willen aller Parla- mentarier zum Ausdruck zu bringen, die Vorlage eines solchen Gesetzentwurfs in der kommenden Legislaturpe- riode zu unterstützen. Ein Gespräch mit dem Behinder- tenbeauftragten der Bundesregierung am 27. März hatte mich zusätzlich zu diesem Schritt ermutigt. Weder von den Fraktionen der Regierungskoalition, noch von CDU/CSU oder der F.D.P. gab es irgendeine Re- aktion auf diesen Vorschlag. Auch bei der abschließenden Beratung im federführenden Ausschuss gab es kein posi- tives Echo. Hier haben Regierung und rechte Opposition eine Chance verpasst, die positiven Ansätze des SGB IX zu stärken und die noch offenen Fragen im nächsten An- lauf zu lösen. Bei allem Respekt gegenüber der persönli- chen Leistung des Behindertenbeauftragten kann man heute nicht darüber hinweggehen, dass das SGB IX zahl- reiche Defizite, offene Fragen und sogar Leistungsein- schränkungen aufweist. Warum wurde zum Beispiel der Kostenvorbehalt im § 3 a des BSHG für ambulante ge- genüber stationären Leistungen, also der so genannte „Heimeinweisungsparagraph“, nicht aufgehoben? Warum hält die Regierungskoalition an einem Behindertenbegriff fest, der mit unnötigen Einschränkungen versehen und eher defektologisch orientiert ist? Und warum weigert sie sich angesichts des immer noch ausstehenden Bundes- gleichstellungsgesetzes, das im Grundgesetz verankerte Benachteiligungsverbot von Menschen mit Behinderun- gen in die Zielbestimmung des SGB IX aufzunehmen? Übrigens – das kostet keinen Pfennig. Weitere Defizite können hier nur summarisch benannt werden. Sie reichen vom Behindertensport über ungelöste Fragen der Versorgung von psychisch kranken Menschen, unbefriedigenden Lösungen für behinderte Studierende, offenen Fragen für hörgeschädigte Menschen, restriktiven Regelungen bei der Gebärdensprache etc. Die Endfassung de SGB IX enthält sogar Leistungs- einschränkungen und Verschlechterungen: Leistungen der Krankenhilfe nach § 37 BSHG werden erheblich ein- geschränkt, anstatt – wie von der nationalen Armutskon- ferenz gefordert – außerhalb des BSHG zu gewährleisten, dass bisher nicht krankenversicherte Sozialhilfeempfän- ger endlich in die GKV einbezogen werden. Die Erho- lungshilfen werden – auf Forderung des Bundesrates – aus Einsparzwecken gestrichen. Sie betreffen eine relativ geringe Anzahl von Menschen, das kann aber kein Grund für Leistungskürzungen sein. Teilhabeleistungen im Be- reich des Wohnens werden restriktiv geregelt, denn von Hilfen beim Um- und Ausbau einer behindertengerechten Wohnung ist nicht mehr die Rede. Die Pflichtquote zur Beschäftigung Schwerbehinderter im Öffentlichen Dienst – 6 Prozent – soll in dieser Höhe nur noch in Einrichtun- gen des Bundes gelten, die diese Pflichtquote bereits bis- her erfüllt haben. Damit wird die angestrebte Vorbildrolle des öffentlichen Dienstes bei der Beschäftigung Schwer- behinderter geschwächt. Unter dem Strich bleibt festzu- halten: Bei diesem SGB IX sind viele Chancen verpasst worden. Daher verdient es eine Stimmenthaltung. Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Rolf Kutzmutz (PDS) zur Abstimmung über die Nr. 2 der Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag: Herstellung fairer Wettbewerbsbedingungen für die deutsche und europäische Werftindustrie (Tagesordnungs- punkt 17) Ich erkläre namens mein Fraktion: Unser Votum lautet Ja. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – der Beschlussempfehlung: Herstellung fairer Wett- bewerbsbedingungen für die deutsche und europä- ische Werftindustrie – des Antrags: Sicherung eines fairen Wettbewerbs für deutsche und europäische Werften – der Beschlussempfehlung: Zukunftschancen des deutschen und europäischen Schiffbaus nachhaltig verbessern (Tagesordnungspunkt 17 und Zusatztagesordnungs- punkte 13 und 16) Dr. Margrit Wetzel (SPD): Kräftiger Rückenwind für unsere Regierung am 15. Mai in Brüssel: Das ist es, was heute alle Fraktionen im Parlament beim Thema Werften eint. Wir wollen, dass die EU energisch weiter mit Korea verhandelt, um das Fairness-Abkommen durchzusetzen. Wir wissen, dass Japan die EU dabei unterstützen wird. Und wir wollen wirksame neue Regelungen, die die Wett- bewerbsfähigkeit der europäischen Werften sichern, so- lange Korea noch mit Dumpingpraktiken die Wettbewer- ber vom Markt zu fegen versucht. Wenn es nur um einen harten Wettbewerb auf dem Weltmarkt ginge, hätte der deutsche Schiffbau unsere Hilfe ganz sicher nicht nötig. Unsere deutschen Werften sind nicht mehr die Stahlbauunternehmen der 50er-Jahre, ihre Kernkompetenz liegt heute in ihrer Systemfähigkeit. Maßgeschneiderte Schiffe von hoher Komplexität werden mit höchster Präzisionstechnologie in enger Abstimmung mit Auftraggebern, Planern, Entwicklern, Zulieferern und Systemlieferanten konzipiert, entworfen, gebaut, zusam- mengeführt und pünktlich in hoher Qualität ausgeliefert. Die Werften selbst erbringen heute nur noch etwa 30 Prozent der Wertschöpfung eines Schiffes, tragen aber die Systemverantwortung und das volle unternehmerische – auch das finanzielle – Risiko. Sie sind belastet durch hohe Entwicklungskosten, oft am einzelnen Schiff. Vor- teile durch Serien- oder gar Massenproduktion sind nie am gesamten Schiff, bestenfalls bei standardisierten Bau- teilen oder einzelnen Modulen zu erzielen. Auf den Werf- ten finden wir heute nicht mehr überwiegend Blaumänner, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16173 (C) (D) (A) (B) sondern Weißkittel: Es gibt mehr Ingenieure, Konstruk- teure und Datenverarbeitungsspezialisten als Schlosser, Tischler oder Stahlbauer. Eine spannende Industrie, eine Wachstumsbranche, in der Innovation Alltag ist. Leider weiß das aber auch unsere asiatische Konkur- renz nur viel zu gut. Nachdem zunächst Japan viele Jahre härtester Wettbewerber unserer Werften mit der über viele Jahre konkret geplanten und gezielt durchgehaltenen stra- tegischen Unterstützung seiner maritimen Industrie war, leiden nun nahezu alle Schiffbaunationen unter der Dum- ping- und Verdrängungspolitik, die Südkorea im Schiff- bau betreibt. Gigantische, hochmoderne Werften, qualifi- zierte, motivierte Arbeiter, hohe Serienproduktionen im Bereich der Standardtanker, Massengutfrachter und Con- tainerschiffe mit allen damit verbundenen Kostenvortei- len wären vielleicht noch zu verkraften, wenn nicht die Dumpingpreise Koreas zu einem brutalen Verdrängungs- wettbewerb führen würden. Werften, die Verkaufspreise bis zu 40 Prozent unter den eigenen Gestehungskosten anbieten, können langfristig zwar nicht durchhalten, kurzfristig aber die Märkte so dra- matisch stören, dass der Weltschiffbau im Hinblick auf Preise und Kapazitäten vollständig aus der Balance gerät. Unterstützung finden die koreanischen Werften bei den staatlich kontrollierten Banken, die sie durch Kredite, Umschuldungen und Anleihen trotz ihres desolaten Bi- lanzierungswesens immer wieder über Wasser halten. Korea hat nicht nur mit Abstand die führende Position im Containerschiffbau erobert, sondern beherrscht inzwi- schen auch das Segment der Flüssiggastanker und dringt in den anspruchsvolleren Passagierschiffsektor ein. Vor allem: Die großen Containerschiffe kommen, und zwar aus Korea. Samsung produziert eine Serie von sechzig 6 500-TEU-Containerschiffen. Die Order für mindestens drei 9 700-TEU-Schiffe ist erteilt. Auch China reagiert auf die koreanische Konkurrenz. Allein im vergangenen Jahr haben die chinesischen Werf- ten ihre Produktion um 12 Prozent gesteigert. Der Schiff- bau soll zur strategischen Industrie ausgebaut werden. Die chinesische Reederei COSCO plant den Neubau zahlrei- cher Großcontainerschiffe zwischen 6 000 und 8 000 TEU und übernimmt gleichzeitig eine chinesische Reparatur- werft nach der anderen. So gehen selbst diese Marktseg- mente den europäischen Werften systematisch verloren. Die japanische Schiffbauindustrie positioniert sich neu gegen den Druck aus Korea und China. Umsatzeinbrüche, eine rückläufige Entwicklung der Forschungsaufwen- dungen und der Mangel an Spezialisten machen sich spür- bar bemerkbar. Was wir dort beobachten, kennen wir doch nur zu genau, verehrte Kollegen: Wir hören die Sorgen unserer Werften um den qualifizierten Nachwuchs für die Hochtechnologieberufe; wir wissen um ihre Klagen über hohe Forschungs- und Entwicklungskosten, die eben nicht nur als Grundlagenforschung, sondern synchron zur Auftragsabwicklung entstehen. Die Werft als Dienstleis- ter trägt das finanzielle Risiko bis zur erfolgreichen Ab- lieferung des Schiffes. Die Sicherheit der qualifizierten Arbeitsplätze hängt vom Auftragsbuch ab. Auslastung ist gefragt, auch wenn der Auftrag noch so speziell ist. Die Japaner haben ähnliche Sorgen. Die niedrigen Lohnkosten in Korea und die neuerliche Won-Abwertung sind harte Wettbewerbsfaktoren, für Japan und China so- gar noch in unmittelbarer Nähe. Japan will neue Schwerpunkte in Forschung und Ent- wicklung setzen, stellt die Produktion um von Masse auf Klasse und wird damit zugleich zum härteren Wettbewer- ber in den Nischen, in die sich europäische und deutsche Werften notgedrungen zurückziehen mussten. Schiff- bau-Studenten werden in Japan systematisch auf die Zu- kunft vorbereitet, Studiengänge wandeln sich, werden komplexer, verbinden den Präzisionsmaschinenbau mit dem Wissen um die Zusammenhänge maritimer Indus- trien. Die Konkurrenz schläft nicht. Sie ist hellwach und ei- gentlich eine absolut spannende Herausforderung nicht nur für den Markt, sondern auch für uns als Politiker. In diesem Wettbewerb nicht nur des internationalen Schiff- baus, sondern auch der staatlichen Rahmenbedingungen, die die Gestaltung der maritimen Zukunft beeinflussen, müssen die deutschen Werften, ja die gesamte eng ver- zahnte maritime Industrie und Dienstleistung, uns aktiv und handlungsbereit an ihrer Seite wissen. Deshalb ist es auch so wichtig, dass es uns endlich ge- lingt, die bedeutenden Schiffbaunationen der Welt unter einem neuen, wirksamen Weltschiffbauabkommen zu vereinen. Langfristig kann nur Fairness im Wettbewerb gut für alle sein. Da auch Verstöße gegen Fairness nie aus- zuschließen sind, müssen die Länder sich auf Handels- und Bilanzierungsvereinbarung, aber auch auf Sanktio- nen verbindlich verständigen. Wir wollen, dass das Welt- schiffbauabkommen politisch schnellstmöglich vorange- bracht wird. Wir erwarten, dass die Verhandlungen auch darüber deutlich vorangetrieben werden. Kurzfristig geht es am 15. Mai in Brüssel darum, wie wir in diesem ohnehin schon harten Wettbewerb die un- lauteren Praktiken Koreas, die Dumpingpreise und die massive Stützung durch staatlich kontrollierte Banken endlich wirksam eindämmen können. Wir sind damit in der wenig angenehmen Situation, dass deutsche und eu- ropäische Werften, die effizient und produktiv arbeiten und sich in jedem fairen Wettbewerb behaupten können – und wollen – wirksame ergänzende Hilfen brauchen, um sich gegen den Verdrängungswettbewerb zu behaupten. Immer wieder betonen die Vertreter der europäischen Werften, dass sie keine Subventionen, sondern faire Wettbewerbsbedingungen wollen. Recht haben sie. Wer sich heute bei den Werften informiert, wird begeis- tert sein, mit welchem Engagement dort für die Zukunft geplant wird: noch mehr Produktivität, noch mehr Effi- zienz durch noch mehr vertikale und horizontale Koope- ration, durch Vernetzung, Systemverbünde, Serieneffekte bei Bauteilen, Schnittstellen, Planungen, Standardisie- rung. Es ist eine Freude, den Zusammenhalt, die Kreati- vität und Innovationsoffenheit auf den Werften zu beob- achten! Und für uns ist dieses Engagement eine drängende Verpflichtung, alles politisch-parlamentarisch Mögliche zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Werften Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116174 (C) (D) (A) (B) auf nationaler Ebene und im europäischen Verbund zu tun. Deshalb möchte ich den Vertretern der Opposition, besonders Ihnen, Herr Kollege Börnsen, der Sie in dieser Frage besonders aktiv waren, noch einmal danken, dass Sie so ausdrücklich und nachdrücklich die Verhand- lungsposition unseres Ministers in Brüssel bei den anste- henden Verhandlungen mit uns unterstützen. Wir wünschen unserer Regierung in Brüssel Geschick, Durchsetzungsvermögen, viel Überzeugungskraft und ei- nen kühlen Kopf für einen klugen Kurs durch die Untie- fen unterschiedlichster Interessen der europäischen Mit- gliedstaaten – zum Wohle unserer Werften und der dort Beschäftigten. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Am 14. Mai wird in Brüssel über die Zukunft der deutschen Werftindustrie entschieden. Auf Initiative der Union wird heute ein gemeinsamer Antrag aller Fraktionen debattiert. Kleinteiliges Parteiengezänk wurde beiseite gelassen, um der Bundesregierung bei den Verhandlungen in Brüssel den Rücken zu stärken – zum Nutzen für 220 000 Arbeits- plätze, für einen hoch komplexen und innovativen Indu- striezweig. Dafür mein Dank an alle Fraktionen. Über 220 000 Schiffbauer, Dienstleister und Zulieferer von Flensburg bis Vilshofen erwarten von den EU-Indus- trieministern eine Perspektive für einen ganzen Industrie- zweig. Nur rund zwei bis drei Jahre reicht der Auftrags- bestand der Werften, aber Folgeaufträge stehen aus. Korea hat in dieser Branche seinen Weltmarktanteil mitt- lerweile aggressiv auf über 50 Prozent erhöht. Noch 1998 lag er bei 26 Prozent. Erreicht hat das Korea nicht allein durch Leistung, sondern durch Abschlüsse zu nicht kos- tendeckenden Preisen. Die Preise der von der EU unter- suchten Aufträge lagen im Mittel 20 Prozent unterhalb der Selbstkosten. Getragen werden sie versteckt vom korea- nischen Staat, so die EU-Kommission. So werden den koreanischen Werften Schulden durch staatliche Banken ohne Bonitätsprüfung abgenommen, im Einzelfall per Gesetz Steuern erlassen und durch Subventionen im Zu- lieferbereich günstige Einkäufe ermöglicht. Bereits mit einer Abwehrbeihilfe von 7 Prozent waren deutsche Werften gegenüber den koreanischen Dumping- preisen konkurrenzfähig, in anderen EU-Mitgliedstaaten waren Abwehrbeihilfen von bis zu 9 Prozent notwendig. Gesichert wurden damit im letzten Jahr in Deutschland 197 Neubauaufträge, mit einer Gesamtsumme von 20,7 Milliarden DM. Dieses erfolgreiche Abwehrinstru- ment ist am 31. Dezember des letzten Jahres ausgelaufen, obwohl die gesamtwirtschaftliche Wirkung die Ausgaben um mehr als das Vierfache übersteigt. Schuld daran ist der EU-Industrieministerrat. Er hatte im Dezember die Ab- wehrhilfen für europäische Werften auslaufen lassen. Die Bundesregierung unterlag in der Abstimmung total. Dies wäre ein falsches Signal an Korea; denn unfaire, aggres- sive Wirtschaftspolitik wurde belohnt, die europäische Werftindustrie fast aufgegeben. Begründet wurde diese Entscheidung unter anderem mit zu hohen Zuschüssen für die Schiffbauindustrie. Experten halten diese Zahlen der Kommission mit über 50 000 DM pro Arbeitsplatz und Jahr für überhöht, was zutrifft. Sollte sich die Bundesregierung am 14. Mai nicht durch- setzen, muss den Werften auf nationaler Ebene geholfen werden. Sie ist aufgefordert, zusammen mit den Betroffe- nen zügig ein schlüssiges Konzept zu erarbeiten und um- zusetzen. Dabei ist auf eine gerechte Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern zu achten. Schiffbaupolitik ist eine nationale Aufgabe. Die Wert- schöpfung findet zu über 75 Prozent bei den Zulieferern statt, überwiegend in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, nur zu knapp 25 Prozent an der Küste. Bei der bisherigen Praxis hat der Bund ein Drittel der Werftenhilfe getragen, die Werften-Länder zwei Drit- tel. Schon jetzt ist in Schleswig-Holstein die Länder-Ko- finanzierung nicht sichergestellt. Bremen und Mecklen- burg-Vorpommern, wesentlich finanzschwächer als Schleswig-Holstein, haben es jedoch geschafft. Statt der 7 Prozent Wettbewerbshilfe erhalten die Werften in Schleswig-Holstein nur 3 Prozent. Es besteht die Gefahr, dass bestehende Aufträge wieder zurückgegeben werden müssen. Dazu darf es nicht kommen! Ich appelliere an die Landesregierung in Kiel, das gegebene Versprechen von Ministerpräsidentin Simonis, dass kein Auftrag wegen fehlender Wettbewerbshilfen für Schleswig-Holsteins Werften verloren gehe, einzuhalten. Wort halten, Frau Mi- nisterpräsidentin! Gleichzeitig muss es endlich zur Einleitung des WTO-Verfahrens kommen und der Abschluss eines Welt- handelsabkommens im Schiffbau über die OECD forciert werden. Die G-7/8-Länder haben sich damit zu befassen. Korea muss gezwungen werden, die im Sommer letz- ten Jahres getroffene Vereinbarung mit der EU umzuset- zen. Ansonsten blamiert sich die EU gegenüber einem Ti- ger-Staat als Papier-Tiger. In der Vereinbarung hatte sich Korea verpflichtet, seinen Werften keine Wettbewerbs- vorteile von staatlicher Seite mehr zu gewähren. Koreani- sche Werften sollten in Zukunft zu Vollkosten kalkulieren müssen. Geändert hat sich nichts. Seit 1999 dokumen- tierte die Kommission den Missstand in drei Berichten, zuletzt im November. Weder die Tatsache, dass die Koreaner bis zu 40 Pro- zent unter den eigenen Herstellungskosten ihre Schiffe verkaufen, hat zu einer kraftvollen Reaktion des EU-Mi- nisterrates geführt, noch der Tatbestand, dass der Interna- tionale Währungsfonds durch die Stützung des koreani- schen Won indirekt die Regierung vor Ort in die Lage versetzte, den Großwerften wieder zu helfen. Am IWF-Großkredit war Deutschland mit fast 6 Prozent be- teiligt. Bundesdeutsches Geld hat zum Aufbau der korea- nischen Konkurrenz beigetragen. Die IG-Metall hat die- sen Sachverhalt mit dem Hinweis auf den Punkt gebracht, wir mästen unseren eigenen Schlächter. Damals war aus Gründen der internationalen Währungsstabilität die Ini- tiative des IWF notwendig. Doch den Kredit ohne Aufla- gen zu geben, war gelinde gesagt grob fahrlässig. Im ver- gangenen Jahr erreichten Europas Werften gerade noch 15, Deutschlands Anteil lag bei 5,5 Prozent. Für beide ist dass der geringste Weltmarktanteil der vergangenen 50 Jahre. Der IWF muss das Mandat erhalten, sich zur Überwachung der Kreditbedingungen auch mit einzelnen Industriezweigen zu befassen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16175 (C) (D) (A) (B) Der letzte Bericht vom November bestätigt noch ein- mal eindeutig den Sachverhalt: Die Schiffbau-Nation Nummer eins, Südkorea, fördert den Bootsbau mit unlau- teren Mitteln. Drei Jahre nach dem ersten Beweis dieses Sachverhaltes reagierte im Dezember der Ministerrat und schaffte das bewährteste Mittel gegen die weltweite Wett- bewerbsverzerrung, die Werftenbeihilfe, zum 1. Januar 2001 ab. Und, was die ganze Hilflosigkeit der EU kenn- zeichnet, es wurden gleichzeitig keine Maßnahmen gegen die einseitige koreanische Schiffbauoffensive beschlos- sen, keine Handelsauflagen gegen koreanische Güter ge- fordert, keine Strategien entwickelt, um weltweites Preis- dumping zu verhindern. Der Stier Europa hat seine Hörner eingebüßt. Deutschlands Schiffbauer und die der anderen Länder bleiben mit ihren Existenzsorgen allein. Noch vor einem Jahr hatte Bundeskanzler Schröder auf der großen maritimen Konferenz in Emden versprochen: „Wir lassen unsere Werften nicht im Stich, wir werden konkret handeln.“ Chefsache wurde die maritime Politik. Nur, der Chef setzte Deutschlands Interessen in Brüssel nicht durch. Er, wie der Wirtschaftsminister, erhielt eine bittere Niederlage trotz der Tüchtigkeit ihrer Mitarbeiter in diesem Politikfeld. Sicher, so etwas kann passieren; doch was ich nicht billigen kann, ist das Spiel mit den betroffenen Menschen: hohe Erwartungen zu wecken, Risiken zu negieren und für den Misserfolg andere ver- antwortlich machen. Menschen werden zur Manipulati- onsmasse, der Demokratie wird damit geschadet. Im ver- gangenen Jahr erreichten Europas Werften gerade noch 15 Prozent, Deutschlands Anteil lag bei 5,5 Prozent. Für beide ist das der geringste Weltmarktanteil der vergange- nen 50 Jahre. Eine letzte Chance, das Ruder herumzureißen, gibt es noch. Am 14. Mai will der EU-Ministerrat noch einmal die Wettbewerbsverzerrungen im Weltschiffbau aufgrei- fen. Doch der Spielraum ist eng. Die Zeit läuft dem Rat, der drei Jahre nichts bewegt hat, davon. Die koreanische Schiffbau-Offensive schafft Tatsa- chen. Bei den „Post-Panamax-Containerschiffen“, die 1988 in Europa entwickelt wurden, gingen im vergange- nen Jahr 82 Prozent des Gesamtvolumens nach Fernost. Japan konnte 4 Prozent der Aufträge akquirieren, die EU-Werften gingen erstmals leer aus. Bei den Kreuz- fahrtschiffen, deren Hersteller bisher in Europa zu Hause waren, gingen im vergangenen Jahr die ersten Aufträge nach Fernost. Auch auf diesem Sektor gibt jetzt Deutsch- land erstmals Marktanteile ab. Jeder zweite Neubauauf- trag geht heute nach Fernost, Tendenz steigend. Im Wind- schatten folgt die Volksrepublik China mit über 7 Prozent Auftragsanteil. Beide bauen ihre Kapazitäten aus. Die EU dagegen fördert mit Prämien die Stilllegungen von Werf- ten. Vor diesem Hintergrund ist die Lage für kleine und mittlere Werften, die nicht durch Marineschiffe ihren Auf- tragsbestand kompensieren können, besonders bedroh- lich, so die Kommission. Die Möglichkeiten, den Marktmissbrauch Südkoreas im Schiffbau zu beenden, nehmen rapide ab. Die Kom- mission ist in Korea gescheitert, jetzt klagt der europä- ische Schiffbauverband CESA. Gut drei Jahre dauert es, bis die WTO eine Entscheidung fällt, falls, ja falls sie überhaupt die Beschwerde annimmt. Koreanischen Ex- perten in Europa die rote Karte zu zeigen wird immer un- wahrscheinlicher. CESAs Aktivität hat aber den Vorteil für den Ministerrat, seine passive Strategie der lustlosen Interessenwahrnehmung fortzusetzen mit dem Hinweis, das Resultat der Klage abzuwarten. Zwei weitere Punkte sollten in der Mai-Debatte nach vorne befördert werden: Durch nachhaltige Umweltpoli- tik wären bessere internationale Umweltstandards im Seeverkehr möglich. 24 Jahre beträgt derzeit das Durch- schnittsalter der Schiffe auf unseren Meeren, Tausende in- stabile Rostlauben sind darunter. Und von 8 500 weltweit eingesetzten Tankern besitzen nur 1 400 eine Doppel- hülle. Meereskatastrophen sind täglich möglich. Umwelt- wie wirtschaftspolitisch gäbe es einen Sinn, bei Alter und Sicherheit der Boote anzusetzen, zu neuen Standards zu kommen, damit auch dem Schiffbau einen neuen Drive zu geben. Und außerdem: Die Kapazitätsbeschränkungen für die Werften in Mecklenburg-Vorpommern auf 327 000 CGT bestehen immer noch. Sie müssen aufgehoben oder zu- mindest gelockert werden. Diese nehmen den Werften in Wismar, Rostock, Stralsund und Wolgast jede Luft, Flexi- bilität und beeinträchtigen ihre Wettbewerbsfähigkeit. Produktivitätsfortschritte können nicht genutzt, zusätzli- che Aufträge nicht hereingenommen werden; statt dessen müssen Arbeitsplätze abgebaut werden. Die kritische Per- sonalgröße ist bereits erreicht, Fachpersonal kann ohne Kompetenzverlust nicht weiter abgebaut werden. Haupt- gewinner der CGT-Beschränkungen ist Südkorea, dessen Werften für ihre unfairen Praktiken noch belohnt werden. Dies kann und darf nicht im Sinne der EU-Kommission sein. Europäische Werften werden im Kernsegment der großen Containerschiffe, die von den ostdeutschen Werf- ten besonders günstig gebaut werden, kaum berührt. Die Bundes- und die Landesregierung in Schwerin muss diese Argumente entschiedener und überzeugender als bisher vortragen. Nur dann wird sich die EU-Kommission für die Chancengleichheit der Werften in Mecklenburg-Vorpom- mern einsetzen. Bei Einführung der Kapazitätsbeschrän- kung wurde ein Prüfungsauftrag nach fünf Jahren fest- gelegt. Dem sollte zugunsten der Werften schleunigst nachgekommen werden. Ob volkswirtschaftlich sinnvoll oder nicht, die EU-Kommission ist grundsätzlich gegen jegliche Staats- hilfen. Deshalb bezeichnen Insider die Mai-Konferenz als Alibitreffen; weil die Mehrheit der EU-Länder von Förderhilfen weg will. Von einem möglichen Schiff- bau-Boom in den nächsten Jahren wären unsere Werften damit ausgeschlossen. Deshalb ist es richtig, hier im Par- lament die Verhandlungen zu unterstützen. In Sorge um über 100 000 direkt betroffene Arbeitsplätze, in Verant- wortung für die Zukunft einer erstklassigen, traditionsrei- chen Industrie ist nichts unversucht zu lassen. Es ist ein Gebot der Stunde, der Bundesregierung eine breite Unter- stützung in Brüssel zu bieten. Außerdem sollte die Anregung aus dem Kommissions- bericht aufgenommen werden, die nationalen und europä- ischen Forschungs- und Entwicklungsprogramme auf die Besonderheiten der Schiffbaubranche auszurichten und ausreichend zu dotieren. Die Innovationsfähigkeit der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116176 (C) (D) (A) (B) Werftindustrie ist, wie die der Luft- und Raumfahrtindus- trie, umfangreich zu fördern, und ihre Technologieführer- schaft zu stärken. Zum Ausgleich von Zinsschwankungen wird von der EU als Finanzierungsinstrument die Anwendung von CIRR empfohlen. Die Bundesregierung ist aufgefordert, eine in der OECD harmonisierte Anwendung sicherzu- stellen, um Wettbewerbsnachteile bei der Exportfinanzie- rung für die deutsche Werftindustrie zu vermeiden. Die Commercial Interest Reverence Rate muss auch für die deutschen Werften uneingeschränkt anwendbar sein. Nach unserer Auffassung wäre eine baldige Verab- schiedung der OECD-Regelung der Königsweg, um end- lich aus dem Wettlauf der Subventionen im Schiffbau aus- zusteigen. Ziel muss der Abbau aller Staatsförderung sein. Unsere Werften könnten dann trotz hoher Produktkosten der Konkurrenz standhalten, so ihre eigene Aussage. Ja- pan und Korea sind, wie die meisten der Schiffbauländer, für ein solches Abkommen. Nur die USA, die es einmal selbst angeboten haben, sperren sich. Warum greifen wir nicht Japans Angebot auf, ohne Amerika zu einer Eini- gung zu kommen? Wir von der Union erwarten, dass der Bundeskanzler das Thema „Weg mit den Subventionen im Schiffbau“ auf die Tagesordnung des kommenden G-7/G-8-Treffens set- zen lässt. Wir erwarten, dass damit nicht weiter gezögert wird. Der augenblickliche Auftragsbestand auf deutschen Werften ist in 24 bis 30 Monaten abgearbeitet. Und sollen die Schiffbauer nicht ein Waterloo erleben, ist es zum Handeln fünf Minuten vor Zwölf. Vergessen wir nicht, Südkorea will seine Marktmacht noch weiter ausbauen, China stößt nach. Was sagte ein Schiffbauer bei meinem letzten Werftenbesuch: „Wir in Deutschland benötigen keine Subventionen, aber einen fairen Wettbewerb.“ Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Bündnis 90/Die Grünen begrüßen, dass es nach ei- nigem Hin und Her doch noch gelungen ist, eine gemein- same Position zu finden. Von Anfang an lagen die Koalitionsfraktionen und die Opposition nicht allzu weit auseinander. Wir alle hoffen jetzt, dass sich die Bundesregierung bei den Verhandlungen am 15. Mai in der Sitzung des EU-In- dustrieministerrats weitgehend durchsetzen kann. Die EU-Kommission kann nicht tatenlos zusehen, wenn die koreanischen Werften gegen Abmachungen verstoßen und somit in erheblichem Umfang Wettbewerbsvorteile gewinnen. Die Verhandlungen mit Südkorea müssen da- her nachdrücklich und energisch weitergehen. Wir möchten, dass mit allen Mitteln auf eine Lösung hingearbeitet wird. Ob dies durch bilaterale Verhandlun- gen erfolgt oder auf dem Klageweg, ist mittlerweile ne- bensächlich. Wir können und wollen es nicht weiter hin- nehmen, dass der europäische, vor allem auch unser deutscher Schiffbau durch manipulationsähnliche Tricks in erheblichem Umfange benachteiligt wird. Es muss jetzt schnellstens eine vernünftige Lösung gefunden werden. Die Kommission darf nicht die Hände in den Schoß le- gen, sie muss die notwendigen Maßnahmen zügig umset- zen. Wir erwarten, dass noch im ersten Halbjahr ein wei- terer Bericht zur Lage der europäischen Werften vorgelegt wird. Darin muss die Kommission darlegen, welcher Sachstand sich aufgrund welcher Aktivitäten ergeben hat. Und wir wollen, dass dieser Bericht darstellt, welche durchgreifenden Sanktionsmöglichkeiten es gibt, bis hin zur Bewertung eines Einfuhrstopps für bestimmte koreanische Güter. Wir wollen darüber hinaus einen Sach- standsbericht über das Welthandelsabkommen im Schiff- bau. Auch wenn sich im Ausschuss nicht alle Fraktionen da- mit anfreunden konnten, werden wir weiter darauf drän- gen, dass sich die Bundesregierung dafür einsetzt, dass der IWF künftig auch das Mandat erhält, sich zur Über- wachung von Kreditbedingungen mit sektoralen Angele- genheiten zu befassen. Über die Detailregelungen ist bereits alles gesagt. Nur einen Punkt möchte ich noch erwähnen, die leidige Sub- ventionsfrage. Natürlich können wir bzw. müssen wir – zumindest moralisch – den heimischen Schiffbau ange- sichts der besonderen Umstände unterstützen. Dies kann aber kein Dauerzustand sein. Meine Fraktion wird auch in diesem Bereich, trotz aller verständlichen Wünsche, da- rauf drängen, dass die Subventionen deutlich zurückge- fahren werden. Von daher ist es umso drängender, zu ei- ner allseits befriedigenden Lösung zu kommen. Hans-Michael Goldmann (F.D.P.): Nur Gemeinsam- keit kann deutschen und europäischen Werften fairen Wettbewerb sichern. Die F.D.P. unterstützt die Bundesre- gierung ausdrücklich in ihrer Verhandlungsposition, am 15. Mai in der Sitzung des EU-Industrieministerrates in Brüssel darauf zu drängen und dafür zu sorgen, dass die südkoreanischen Werften im Welthandelsschiffbau ihre unkorrekten Methoden zur Eroberung hiesiger Marktan- teile endlich einstellen. Die F.D.P. drängt darauf, dass den Werften in den nord- deutschen Küstenländern mit ihren hoch qualifizierten Arbeitsplätzen vor Ort, aber auch mit denen der Zuliefer- betriebe in den süddeutschen Ländern, die Hilfe zuteil wird, die sie weltweit wettbewerbsfähig halten und die sie in die Lage versetzen, gegenüber den Südkoreanern, die im Schiffsbaumarkt nach wie vor Foul spielen, zu be- stehen. Der Dritte Bericht der EU-Kommission an den Rat zur Lage des Weltmarktes im Schiffbausektor macht über- deutlich, dass es die Südkoreaner sind, die für Preisverfall und Wettbewerbsverzerrungen zum Nachteil deutscher Arbeitsplätze verantwortlich sind. Mit Dumpingpreisen zum Teil von mehr als 40 Prozent unter den tatsächlichen Baukosten erobern sich die Südkoreaner auf unkorrekte Weise Marktanteile. Leider hat die Kommission bis jetzt nicht sehr viel erreicht, obwohl die Südkoreaner deutschen Schiffbauern auf der Nase herumtanzen. Es war nach Auf- fassung der F.D.P. ein schwerer Fehler, dass die Kommis- sion auf die Wettbewerbshilfe zum Jahresende verzichtet hat, obwohl die Südkoreaner überhaupt keine Kompro- miss- und Gesprächsbereitschaft gezeigt haben. Das Ab- schieben der Verantwortung an den europäischen Schiff- bauverband CESA war falsch. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16177 (C) (D) (A) (B) Nein, hier sind der Bundeskanzler, die Bundesregie- rung und alle im Deutschen Bundestag vertretenen Par- teien gefordert, sich schützend vor die deutsche Werft- industrie und deren Arbeitsplätze zu stellen. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass unsere Werftindustrie, die hervor- ragende Leistungen vollbringt, durch unfaire Methoden der Südkoreaner zerstört wird. Deshalb fordert die F.D.P. von der Bundesregierung Taten und unterstützt sie bei ihren Verhandlungen am 15. Mai 2001 in der Sitzung des EU-Industrieministerrates in Brüssel: Wir fordern die Bundesregierung auf, darauf zu drän- gen, dass die EU-Kommission den ihr vom Ministerrat im November 1999 erteilten Verhandlungsauftrag mit der südkoreanischen Regierung nachdrücklich und energisch weiterführt und sie zu einem positiven Abschluss bringt. Wir fordern die Bundesregierung auf, darauf zu drän- gen, dass die getroffenen Vereinbarungen der „Agreed mimetes“ von der koreanischen Regierung eingefordert werden. Ziel muss es sein, dass den koreanischen Werften keine Wettbewerbsvorteile von staatlicher Seite gewährt werden, sondern dass diese, wie ihre EU-Wettbewerber, ebenfalls zu Vollkosten kalkulieren müssen. Die F.D.P. drängt darauf, dass entsprechend dem Drit- ten Bericht der Kommission an den Rat zur Lage des Welt- marktes im Schiffbausektor vom 15. März 2000 bis zur Klärung in bilateralen Verhandlungen oder auf dem Kla- geweg vor der WTO gegenüber der Regierung Südkoreas Entschlossenheit demonstriert und auf eine schnelle Lö- sung hingewirkt wird, einen fairen Wettbewerb für deut- sche und europäische Werften zu sichern. Die F.D.P. drängt darauf, dass neue wirksame Rege- lungen zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der euro- päischen Werften bis zur Herstellung fairer Wettbewerbs- bedingungen auf dem Weltschiffbaumarkt gefunden werden. Die F.D.P. unterstützt die Bundesregierung in ihrem Anliegen, Einfluss auf den EU-Industrieministerrat zu nehmen, damit die Kommission sowohl verpflichtet wird, die genannten Maßnahmen unverzüglich umzusetzen, als auch im ersten Halbjahr einen weiteren Bericht zur Lage der europäischen Werften und über den Fortschritt der Ak- tivitäten der Kommission vorzulegen. Wir wollen, dass die Kommission darstellt, welche wirkungsvollen Sankti- onsmöglichkeiten bzw. Möglichkeiten eines Einfuhr- stopps es für bestimmte koreanische Güter gibt. Die F.D.P. drängt darauf, dass die Bundesregierung ei- nen Sachstandsbericht über die Fortschritte beim Ab- schluss des Welthandelsabkommens im Schiffbau abgibt. Die F.D.P. wird die Leistungen der Bundesregierung und speziell des Bundeskanzlers an den Ergebnissen messen, die er bei der Sitzung des EU-Industrieministerrates am 15. Mai 2001 in Brüssel erzielt. Das Foulspiel der südkoreanischen Werften muss ein Ende haben. Deutsche, aber auch europäische Werften insgesamt und deren Arbeitsplätze müssen in einem fai- ren Wettbewerb gesichert werden. Rolf Kutzmutz (PDS): Natürlich unterstützt auch die PDS-Fraktion die vorliegende interfraktionelle Be- schlussempfehlung. Schließlich deckt sie sich mit den außen- und handelspolitischen Forderungen, die wir in unserem eigenen Antrag erhoben haben. Ausdrücklich be- grüße ich dabei, dass sich – anders als ursprünglich von CDU/CSU gewünscht – zur Form denkbarer neuer Bei- hilfen für den heimischen Schiffbau nicht festgelegt wird. Schließlich müsste vor einer Neuauflage tatsächlich erst einmal ernsthaft über die Lastenverteilung für die öffent- lichen Haushalte geredet werden. Dass die Küstenländer zwei Drittel und der Bund den Rest davon tragen sollen, ist für uns jedenfalls nicht län- ger hinnehmbar. Rund 30 Prozent der mit dem Schiffbau verbundenen Wertschöpfung finden schließlich allein in Bayern und Baden-Württemberg statt. Das war erst am Mittwoch wieder zu hören, diesmal auf einem parlamen- tarischen Abend von Blohm & Voss in Hamburg. Im Übrigen muss ich aber bei meiner Feststellung vom vergangenen Monat bleiben: Es ist gut und richtig, dass der Bundestag der Regierung ordentlichen Rückenwind für die Verhandlungen über die Südkorea-Strategie im EU-Ministerrat gibt. Das allein dürfte den deutschen und europäischen Werften aber nicht viel weiter helfen. Wohin die Reise gehen müsste, will ich nur an zwei Meldungen der letzten Tage illustrieren: Die Peene-Werft in Wolgast konnte am Sonntag Aufträge für elf Contai- nerschiffe und die Option auf zwei weitere bekannt geben. Grund des Erfolgs laut Eigentümer Hegemann: neben ge- stiegenem Dollarkurs und anziehenden Charterraten die völlige Neuentwicklung dieser Serie. In Japan fusionieren nach Hitachi Zosen und NKK nun auch IHI und Kawasaki Heavy. Die hiesigen Werften ha- ben es nun nicht mehr nur mit Mitsubishi Heavy, sondern gleich mit drei Giganten zu tun, von denen jeder einen Jahresumsatz zwischen 1,7 und 2,6 Milliarden Euro er- wirtschaftet. Zum Vergleich: Die Thyssen-Werften kamen im vergangenen Jahr auf 842 Millionen Euro, HDW in- klusive seiner Auslandstöchter auf knapp 1 Milliarde Euro. Ob und wie angesichts solcher Trends das neue Tech- nologieprogramm im Hause von Ministerin Bulmahn oder die gewiss verdienstvollen Aktivitäten des mariti- men Koordinators, Herrn Staatssekretär Gerlach aus dem Wirtschaftsministerium, der erst gestern hier in Berlin ei- nen Workshop zu Kooperationsmöglichkeiten ausgerich- tet hat, effektiv und ausreichend sind – das sollten wir kontinuierlich weiter prüfen. Zum Schluss – aber nicht zuletzt – will ich hier aber auch nochmals auf das Problem der Kapazitätsbeschrän- kungen für die ostdeutschen Werften verweisen. Das hat sicher weniger mit Südkorea, aber sehr viel mit dem In- dustrieministerrat zu tun. Zwar könnte diese Frage nach den Vorschlägen der Bundesregierung von der Kommis- sion autonom entschieden werden. Wir vermuten jedoch, dass sie sehr wohl mit dem allgemeinen europäischen Beihilfenregime verknüpft wird. Die Bundesregierung sollte deshalb der Kommission wie auch den anderen Mitgliedstaaten zumindest eines Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116178 (C) (D) (A) (B) klarmachen: Je flexibler die Beschränkung gehandhabt wird, desto kleiner ist der Beihilfebedarf für einen be- achtlichen Teil der deutschen Werftindustrie. Und daran müsste ja allen gelegen sein. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bun- desdatenschutzgesetzes und anderer Gesetze – der Unterrichtung: Tätigkeitsbericht 1997 und 1998 des Bundesbeauftragten für den Datenschutz – 17. Tätigkeitsbericht – (Tagesordnungspunkt 19 a und b) Jörg Tauss (SPD): Der Datenschutz und das Grund- recht auf informationelle Selbstbestimmung sehen sich angesichts der technischen Entwicklungen in der Kom- munikationstechnologie, aber auch beispielsweise in der Biotechnologie, in der medizinischen Forschung und an- gesichts eines wachsenden Missbrauchs personenbezoge- ner Daten in den neuen Medien vor enormen Herausfor- derungen. Mit der zweiten und dritten Lesung zum Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesdatenschutzge- setzes und anderer Gesetze werden heute die Weichen zur Bewältigung dieser Probleme richtig gestellt. Durch die Umsetzung der EG-Datenschutz-Richtlinie wird europaweit ein einheitliches Datenschutzniveau ge- schaffen und werden einheitliche Maßstäbe für die Erhe- bung und Verarbeitung von Daten in der Europäischen Union festgelegt. Die zentralen Ziele der EG-Daten- schutz-Richtlinie lauten zusammengefasst: Transparenz der Datenverarbeitung und Akzeptanz der Verbraucher und Nutzer. Über die Umsetzungspflicht der Richtlinie hinaus sind in diesem Gesetzentwurf bereits einige Elemente eines neuen und modernen Datenschutzrechtes aufgenommen, die auch für die zweite Stufe einer Gesamtreform von Be- deutung sind. Dazu zählen beispielsweise die Aufnahme der Prinzipien der Datenvermeidung und Datensparsam- keit, die Regelungen für mobile Speichermedien – Chip- karten – und Regelungen zur Videoüberwachung, für die es – im privaten Bereich – bislang keine Regelungen gab. Ein wesentliches Modernisierungselement stellt die künftige Möglichkeit eines freiwilligen Datenschutzau- dits dar. Eine solche Auditierung trägt künftig mit dazu bei, die Ergebnisse der Selbstregulierung transparent zu machen. Zugleich könnte sie die Wahrnehmung des Da- tenschutzes als Qualitäts- und Wettbewerbsfaktor stärken und damit deutlich machen, dass Datenschutz eben nicht nur als Kostenfaktor für Unternehmen anzusehen ist, son- dern vor allem einen –, wenn auch nicht kurz-, so aber doch mittel- und längerfristig – entscheidenden Wettbe- werbs- und Standortvorteil darstellen kann. Eine solche Zertifizierung; mit der die Unternehmen werben könnten, hätte nicht nur die unmittelbare Folge, dass aus Perspek- tive des Datenschutzes unbedenkliche Produkte auf den Markt kommen, sondern könnte ebenfalls das Bewusst- sein um die Bedeutung des Datenschutzes in der Infor- mationsgesellschaft erhöhen. Seitens der Wirtschaft gab es hierzu sowohl unterstüt- zende als auch kritische Anmerkungen. Natürlich gilt es, diese Bedenken ernst zu nehmen. Aufgabe der Politik ist es nun, gesetzliche Regelung zur Durchführung und Kon- trolle eines solchen Auditierungsverfahrens zu ent- wickeln, die diesen Bedenken gerecht werden und mit de- nen bestimmte Verhaltensregeln und Mindeststandards vorgegeben werden. Ich möchte nicht noch einmal auf die einzelnen Rege- lungen und die strittigen Punkte dieses Gesetzentwurfes im Detail eingehen, sondern vielmehr den Blick auf die so genannte zweite Stufe der Modernisierung des Informati- onsrechtes lenken und Sie herzlich zur konstruktiven Mit- arbeit einladen. Hierzu haben wir ja heute Morgen auch ein Gespräch geführt. Warum eigentlich eine zweite Stufe? Immer mehr Le- bensbereiche in der sich entfaltenden Wissens- und Infor- mationsgesellschaft werden von den neuen Informations- und Kommunikationstechniken durchdrungen. Damit wird eine dieser Gesellschaftsformation angemessene neue Datenschutzpolitik notwendig; denn ohne einen bes- seren Schutz der Privatsphäre wird es keine demokratisch verantwortbare Informationsgesellschaft geben. Einige Zahlen können dies belegen: 74 Prozent fühlen sich nach einer Umfrage von Opaschowski durch Daten- missbrauch betroffen und 55 Prozent sagen, Datenschutz solle wieder eine größere Bedeutung haben. Nach einer Umfrage der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen aus dem Jahr 2000 haben 62 Prozent der Internetnutzer wegen des „nicht gewährleisteten Datenschutzes“ noch nicht on- line bestellt oder gekauft. Auch die Tätigkeitsberichte des Bundesbeauftragten für den Datenschutz – auch diese stehen ja heute zur Beratung an – können als Beleg hierfür dienen. Dem 18. Tätigkeitsbericht zufolge müssen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland immer häufiger mit Eingriffen in ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung rechnen, sei es durch Überwachungsmaßnahmen, die im- mer häufigere Videoüberwachung im privaten Bereich oder das Ausspähen von Daten bei der Nutzung der neuen IuK-Möglichkeiten, beispielsweise des Internet. Der Bundesdatenschutzbeauftragte äußerte völlig zu Recht am Donnerstag große Sorge, dass zum Beispiel die An- ordnungen von Telefonüberwachung seit 1995 um mehr als 170 Prozent zugenommen hätten, ohne dass ein Grund dafür ersichtlich sei. In der Kriminalitätsentwicklung scheinen diese Gründe, wie die Zahlen belegen, nicht zu liegen, sodass wir hierüber einmal ruhig und sachlich re- den müssen. So ist und bleibt es ein wichtiges Ziel dieser rot-grünen Bundesregierung, die in den vergangenen Jahren einge- führten Regelungen, die eine Erweiterung der Eingriffsbefugnisse der Behörden zum Ziel hatten, hin- sichtlich ihrer Notwendigkeit und Wirksamkeit zu eva- luieren – wobei hier gerade seitens der Bundesländer eine Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16179 (C) (D) (A) (B) größere Bereitschaft notwendig wäre. Dabei ist – wie ge- genwärtig bei der Diskussion um den Entwurf für eine Te- lekommunikationsüberwachungsverordnung – besonders dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Eingriffsmög- lichkeiten in das Telekommunikationsgeheimnis durch „berechtigte“ Stellen immer auch missbräuchliche Ein- griffe durch unberechtigte Dritte zur Folge haben können. Die „Stuttgarter Nachrichten“ schreiben heute zum Thema Datenschutz: „In unserer vernetzten, indiskreten Gesellschaft bleibt wenig geheim, praktisch gar nichts. Nicht die Kreditbelastung, nicht das Konsumverhalten, auch nicht Adresse und Telefonnummer. Von Privatheit keine Spur, nicht mal der Gang durchs Museum ist noch unsere Sache: Wenn wir Pech haben, tauchen wir kurz da- rauf im Internet auf. Es gibt also viele ungute Gründe, wachsam zu sein. Wer finstere Mächte am Werk glaubt, wenn mitgehört und ausgeforscht wird, täuscht sich. Die Absichten sind lauter, stets geht es um die Aufklärung ver- meintlicher Straftaten. Auch der Rechtsstaat ist nicht feh- lerfrei. Fazit: Wer nichts verbirgt, hat viel zu befürchten.“ So weit die „Stuttgarter Nachrichten“, denen ich an dieser Stelle zustimme. Der Schutz der personenbezogen Daten und die Trans- parenz der Datenverarbeitung werden – so können diese Überlegungen zusammengefasst werden – neben dem Schutz von Persönlichkeitsrechten sowohl zu zentralen Akzeptanzvoraussetzungen als auch zu entscheidenden Wettbewerbsfaktoren. Fazit: Will die Gesellschaft beim Übergang zur Wis- sens- und Informationsgesellschaft am Ziel eines freiheit- lich-demokratischen Gemeinwesens festhalten und will sie auch die wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Potenziale nicht gefährden, kommt sie nicht umhin, auch in einer vernetzten und digitalisierten Welt das Grund- recht auf informationelle und kommunikative Selbstbe- stimmung zu bewahren. Die Entwicklung eines modernen Datenschutzkonzeptes ist und bleibt damit ein zentrales Reform- und Modernisierungsprojekt der nächsten Jahre. Schwerpunkte der zweiten Stufe der Modernisierung des Datenschutzrechtes werden insbesondere sein: Erstens: Datenschutz durch Technik. Die Möglichkei- ten der informationstechnischen Sicherheit müssen als ein zentrales Instrument zur Umsetzung eines „neuen Datenschutzes“ verstanden werden. Um zu einem wirk- lich effektiven Datenschutz zu kommen, muss das Zu- sammenwirken zwischen Datenschutz und Datensicher- heit intensiviert werden. Zweitens: Vereinfachung und Verschlankung. Ange- sichts der Unübersichtlichkeit und Kompliziertheit des Datenschutzrechts sollte im Interesse von datenverarbei- tenden Stellen und Nutzern eine erhebliche Vereinfa- chung und Verschlankung des Datenschutzrechts im Vor- dergrund stehen. Nur wenn der Einzelne seine Rechte überhaupt kennt, kann er diese auch wahrnehmen. Ver- einfachung und Verschlankung dürfen natürlich nicht zu einer Aufweichung der verfassungsrechtlich garantierten Rechte oder zur Einschränkung oder Abschwächung be- währter Verfahren des Datenschutzes führen. Diese Ziele erweisen sich aber vor allem deshalb als notwendig, um zu widerspruchsfreien, einheitlichen, praktikablen und vor allem auch verständlichen Regelungen zu gelangen. Selbst die Datenschutzexperten klagen über eine kaum noch zu überblickende Normenflut auf dem Gebiet des Datenschutzrechts. Das allgemeine und das bereichsspe- zifische Datenschutzrecht bedarf daher einer Durchfors- tung und Überprüfung. So hat in den vergangenen Jahren die Bedeutung des Bundesdatenschutzgesetzes durch im- mer neue bereichsspezifische Regelungen tendenziell ab- genommen. Mit der Umsetzung der zweiten Stufe ergibt sich die Möglichkeit, durch eine Aufwertung des BDSG die Menge der bereichsspezifischen Regelungen deutlich zu reduzieren. Dazu zählt – gerade bei den neuen luK- Möglichkeiten – beispielsweise die Frage, wie sich Abgrenzungsprobleme zwischen Telekommunikations- gesetz, Teledienstedatenschutzgesetz und den Da- tenschutzregelungen des Mediendienste-Staatsvertrages vermeiden lassen und ob hier gegebenenfalls Anpas- sungsbedarf besteht. Dazu zählt auch die meiner Meinung nach dringend notwendige Anpassung von Teil 11 des Telekommunikationsgesetzes, TKG, an die neuen daten- schutzrechtlichen Instrumente des Teledienstedaten- schutzgesetzes, des TDDSG. Drittens: Stärkung des Selbstschutzes. Eine große Be- deutung kommt in einem neuen Datenschutzrecht den Möglichkeiten des Selbstschutzes für den einzelnen Nut- zer zu. Dazu bedarf es insbesondere der weiteren Ent- wicklung von Selbstschutzinstrumenten – zum Beispiel der digitalen Signatur und der Verschlüsselungssoft- ware –, was zugleich eine Herausforderung an eine zu- kunftsgerichtete Forschungsförderpolitik ist. Außerdem ist der Aufbau einer Sicherungsinfrastruktur für die Nut- zung dieser Selbstschutzmechanismen unabdingbar, wofür die Politik Rahmenbedingungen formulieren muss. Notwendig ist darüber hinaus die Förderung des Bewusst- seins um die Möglichkeiten des Selbstdatenschutzes und des Systemdatenschutzes. Dies kann zum einen durch Maßnahmen zur Aufklärung über die Chancen und Risi- ken der neuen Informations- und Kommunikationstechni- ken geschehen, zum anderen aber auch dadurch, dass die öffentliche Verwaltung entsprechende Techniken einsetzt und Ansätze zu „electronic government“ gezielt gefördert werden. Viertens: Systemdatenschutz. Um die nun festge- schriebenen Gebote der Datensparsamkeit und der Daten- vermeidung „mit Leben“ zu füllen, sollten die Systeme der Diensteanbieter nach dem Prinzip des Systemdaten- schutzes organisiert werden. Die informationsverarbei- tenden Systeme sollten so konstruiert werden, dass sie möglichst wenig personenbezogene Daten verarbeiten müssen – und können –, um ihre jeweilige Aufgabe zu er- füllen. Fünftens: neue Technologien. In den vergangenen Ta- gen wurde in den Medien die Frage von „heimlichen Gen- tests“ thematisiert. Natürlich stellt sich die Frage eines modernen Datenschutzrechtes also nicht nur im Zusam- menhang mit den neuen Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnik. Auch andere neue Techno- logien bergen erhebliche Gefährdungspotenziale für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Das gilt beispielsweise für diese heimlichen Genomanalysen und Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116180 (C) (D) (A) (B) für die Nutzung dieser Informationen, beispielsweise durch Versicherungen. Auch diese Gefährdungspoten- ziale gilt es auszuloten und – wo nötig – gesetzlich zu regeln. Sechstens: anonyme und pseudonyme Nutzung. Grundlegende Bedeutung kommt gerade bei der Nutzung der neuen Informations- und Kommunikationsmöglich- keiten der pseudonymen Nutzungsmöglichkeit als Mittel des Selbstdatenschutzes zu, die gefördert werden sollte. Mit einer pseudonymen Nutzungsmöglichkeit werden die personenbezogenen Daten zwar nicht reduziert, jedoch wird damit die Zurückverfolgung der gespeicherten und verarbeiteten Daten zu einer tatsächlichen Person wirk- sam verhindert – außer im Streitfall. Siebtens: Schutz der Kommunikation am Arbeitsplatz. Nach jahrelangen Ankündigungen müssen im Rahmen dieser zweiten Stufe – unter Einbeziehung aller Beteilig- ten – Regelungen zum Schutz der Kommunikationspro- zesse am Arbeitsplatz entwickelt werden. Rechtssicher- heit in diesem Bereich ist übrigens sowohl im Interesse der Arbeitgeber als auch der Beschäftigten: Bei der Ent- wicklung zu computergestützter Arbeit im Betrieb und im Rahmen von Telearbeit wachsen die Daten in Umfang und Qualität stark an, ohne dass sie in angemessener Weise ge- schützt sind und einer angemessenen Kontrolle unterlie- gen. Lediglich die Ausweitung des Fernmeldege- heimnisses auch auf innerbetriebliche Kommunikation hat in den letzten Jahren zu einem Zuwachs an Schutz ge- führt. Achtens: Regulierte Selbstregulierung. Die in der EU-Datenschutz-Richtlinie enthaltene Verpflichtung, im nationalen Datenschutzrecht ergänzende Möglichkeiten der Selbstregulierung vorzusehen, sollte nicht als unver- einbare „Systemwidrigkeit“, sondern als Chance begrif- fen werden, dieses Instrument für den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung fruchtbar zu ma- chen. Es kann nicht mehr Regelungen für jedes Detail in jedem Prozess geben – und erst recht nicht durchgesetzt werden. Entsprechende Regelungen sollten sich an den Erfahrungen von Staaten orientieren, die bereits Erfah- rungen mit Selbstregulierung im Bereich des Daten- schutzes gesammelt haben. So können auch mögliche Schwächen im Hinblick auf Repräsentativität und Umset- zung in den jeweiligen Branchen, die diese „codes of conduct“ haben, erkannt und vermieden werden. Selbst- regulierungsmechanismen setzen jedoch gesetzliche Rah- menbedingungen voraus für den Fall, dass diese versagen. Die Betroffenen dürfen in einem solchen Fall nicht schutzlos sein. Neuntens: Verbesserung der Kontrolle. Wirksame und unabhängige Kontrolle ist die Voraussetzung eines erfolg- reichen Datenschutzes. Wenn man Datenschutz zuneh- mend als Querschnittsaufgabe begreifen will, muss dies auch institutionelle Folgen haben. Zu fragen und abzuwä- gen sein wird in dieser zweiten Stufe auch die Stellung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz. Zehntens: Informationsfreiheitsgesetz. Als Kehrseite derselben Medaille müssen wir auch über den Zugang zu Informationen reden. Die Koalition hat in ihrem Koaliti- onsvertrag angekündigt, ein Informationsfreiheitsgesetz vorzulegen. Im Sommer soll dieser Entwurf vorliegen und beraten werden. Auf Initiative der Koalitionsfraktionen hat der Unter- ausschuss „Neue Medien“ beschlossen, diese zweite Stufe der Modernisierung des Informationsrechtes zu- gleich als Pilotprojekt einer elektronischen Demokratie zu begleiten. Hierzu werden in Abstimmung mit allen Fraktionen die letzten Detailfragen geklärt. Ich will als Vorsitzender des Unterausschusses und zugleich im Na- men der Vorsitzenden des Innenausschusses, Ute Vogt, alle Fraktionen auch zur Mitarbeit an diesem E-Demo- kratie-Pilotprojekt herzlich einladen. Dieses E-Demokra- tie-Pilotprojekt bietet eine hervorragende Gelegenheit, die immensen Chancen der neuen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten für den politischen Pro- zess als auch zur Ermöglichung von mehr Partizipation zu erkennen und zu nutzen – im Interesse eines modernen und angemessenen Informationsrechtes der Bürgerinnen und Bürger und im Dialog mit ihnen und der Fachszene. Eine demokratische und verantwortbare Informations- und Wissensgesellschaft darf, wie ausgeführt, die neuen Möglichkeiten des Dialoges nicht verstreichen lassen. Wenn wir dies jetzt auch mit diesem Zukunftsthema verbinden, haben wir für die bürgernahe Informationsge- sellschaft einen weiteren Beitrag geleistet. Heute aber verabschieden wir zunächst die erste Stufe. Dies ist ein wichtiger Schritt und, wie ausgeführt, ein Schritt zu wei- teren interessanten Projekten. Zuletzt möchte ich der Opposition herzlich danken für die konstruktive Zusammenarbeit in der Schlussphase dieses Gesetzgebungsverfahrens. Beatrix Philipp (CDU/CSU): Seit ich mich intensiver mit dem Bereich Datenschutz befasse, habe ich in Ab- wandlung eines Sprichwortes öfters gedacht: „Daten- schutz ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Lei- den schafft.“ Nun ist Leidenschaft an sich nichts Schlechtes – es sei denn, man verliert dadurch völlig die Orientierung. Aber nun Spaß beiseite, Thema ist heute die zweite und dritte Beratung zur Änderung des Bundesdatenschutzge- setzes und die Beschlussempfehlung des Innenausschus- ses zum 17. Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz zu den Jahren 1997 und 1998. Beides sind gewichtige Themen, und es ist schade, dass wir beide Themen in einer nur halbstündigen Debatte „verwursteln“ müssen. Ich möchte nur ein paar kurze Anmerkungen zum 17. Tätigkeitsbericht machen: Wir haben zu einem sehr späten Zeitpunkt über den 17. Tätigkeitsbericht für die Jahre 1997 und 1998 gesprochen, nämlich im Herbst 2000. Das ist eine Verzögerung von zwei Jahren! Wir wa- ren uns alle einig, dass eine zeitnahe Beratung der Sache sicherlich dienlicher gewesen wäre. Insofern bin ich froh, dass der Bundesdatenschutzbeauftragte gestern den Be- richt für 1999 und 2000 vorgestellt hat, den wir ja nun auch bald beraten werden – so hoffe ich doch! Was den Bericht betrifft, so wäre es eine erhebliche Erleichterung, wenn herausgehobene Beanstandungen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16181 (C) (D) (A) (B) als inzwischen erledigt oder als noch nicht erledigt oder als strittig gekennzeichnet würden. Das würde die Lesbar- keit und die Beratung erheblich erleichtern und verkür- zen. Ich gehe auch davon aus, dass die Forderungen aus dem 17. Bericht aufgegriffen und in absehbarer Zeit er- füllt werden. Ich komme nun zur Änderung des Bundesdaten- schutzgesetzes: Sie beinhaltet einerseits die Angleichung an die EU-Richtlinie 94/46 EG, die überfällig war, wie wir alle wissen. Andererseits finden Sie in der Drucksache ein paar Bereiche, die aus der noch für diese Legislaturperi- ode vorgesehenen Novellierung des Datenschutzgesetzes quasi „vorgezogen“ wurden. Wie gesagt, zweifellos war die Umsetzung der EU- Richtlinie überfällig. Insofern war die Bereitschaft zur zü- gigen Beratung auf allen Seiten vorhanden, und auch Kompromissbereitschaft war vorhanden. So konnte bei- spielsweise bei der Aufgabendefinition für den Daten- schutzbeauftragten ein gemeinsamer Kompromiss er- reicht werden. Anders sieht es mit den eben erwähnten so genannten vorgezogenen Punkten aus. Das sind erstens die Einführung eines Datenschutzaudits, zweitens die Videoüberwachung und drittens die Chipkartenregelung. Zwei Anträge unserer Fraktion machen unsere Beden- ken deutlich: Erstens. Das geplante Datenschutzaudit – gemäß BDSG-E § 9 a – wird von uns abgelehnt. Zwei- tens. Die Vorschriften zur Videoüberwachung – BDSG-E § 6 b – erscheinen uns unzureichend. Hinsichtlich des Datenschutzaudits stelle ich fest: Ers- tens. Es belastet die Wirtschaft finanziell in besonderem Maße. Zweitens. Es ist eine Arbeitsbeschaffungsmaß- nahme für einen neuen Berufszweig, nämlich so genannte Auditoren. Drittens. Es regelt einen Bereich, den der Markt selbst regeln kann, und entspricht damit nicht der immer gepriesenen „Entbürokratisierung“ und „Deregu- lierung“. Es ist geplant, den betrieblichen Datenschutzbeauf- tragten – seit Jahren bewährten und engagierten Fach- leuten in Sachen Datenschutz – externe „Kontrolleure“ beizugeben, nämlich einen oder mehrere externe Daten- schutzauditoren, die das Datenschutzkonzept der Betriebe überprüfen und dafür dann ein „Siegel-Zertifikat“ oder Ähnliches vergeben. Wer die Erfahrungen mit der ISO 9000-Norm kennt, weiß, dass – direkt oder indirekt – Druck entsteht, der bis zum kleinsten Zulieferer weiterge- geben wird, nämlich Druck, ein Audit durchzuführen. Dass es sich dabei zunächst noch um eine freiwillige Auf- gabe handelt, verbessert die Situation auch nicht. Wenn der Markt es erforderlich macht, wird der Markt es regeln. Warum ein Gesetz? Auch dass es sich bei dem Datenschutzaudit um ein „Modellprojekt“ – wie betont wird – handelt, hilft nicht, es auf Dauer nicht verbindlich werden zu lassen, zulasten der Wirtschaft. Als NRW-Abgeordnete habe ich bisher schlechte Er- fahrungen mit Modellprojekten gemacht, weil man immer schon zu Beginn wusste, wie das Projekt endet, nämlich immer im Sinne des Projektes, das heißt positiv! Es fehlen die Ausführungsbestimmungen zum Daten- schutzaudit. Da es, wie gesagt, keinen Zeitdruck in dieser Frage gibt, macht mich das ausgesprochen misstrauisch! Nichts ist so haltbar wie ein Provisorium! Heute nur über das „Ob“ und nicht gleichzeitig über das „Wie“ zu ent- scheiden, halte ich vor dem Hintergrund der Belastungen, die Sie zurzeit der Wirtschaft sowieso schon zumuten, für nicht vertretbar! Hier geht es um den untauglichen und kostenintensiven Versuch, in Bewährtes einzugreifen, nämlich in den gut funktionierenden Datenschutz in den Betrieben. Zwar weisen SPD und Bündnis 90/Grüne immer wieder darauf hin, dass es sich hier um die Einführung eines freiwilligen Datenschutzaudits handelt. Aber seit wann und warum müssen wir denn Freiwilligkeit in Gesetzen festschreiben? Die CDU/CSU-Fraktion hat ein intensives Experten- gespräch mit Vertretern der Wirtschaft, des Handwerks und verschiedener Verbände durchgeführt. Einhellig lehnten alle Experten die geplante Einführung eines Da- tenschutzaudits ab. Die Argumente allein von zwei nam- haften deutschen Unternehmen, positiv zum Audit zu ste- hen, haben – das wissen Sie so gut wie ich – sehr durchschaubare und nicht übertragbare Gründe. Ich will noch einmal die Hauptgründe gegen das Da- tenschutzaudit nennen. Erstens. Die Einführung eines Da- tenschutzaudits schwächt die Stellung des betrieblichen Datenschutzbeauftragten. Bisher haben die betrieblichen Datenschutzbeauftragten und die ihnen übergeordneten Aufsichtsbehörden sehr gut zusammengearbeitet, wie beide Seiten betonen. Die betriebliche Selbstkontrolle durch betriebliche Datenschutzbeauftragte hat sich be- währt. So ist es uns unverständlich, warum durch ein Da- tenschutzaudit nun eine Art „Dreifach-Kontrolle“ einge- führt werden soll: neben der Selbstkontrolle durch betriebliche Datenschutzbeauftragte und der Fremdkon- trolle durch die Aufsichtsbehörden nun auch noch ein „Datenschutzaudit“ durch von außen „eingeflogene“, ex- terne Auditoren. Auch die beabsichtigte Verbesserung sehe ich nicht. Datenschutz ist schließlich ein Prozess; beim Daten- schutzaudit handelt es sich jedoch nur um eine Moment- aufnahme! Auch inhaltlich kann ich also keinen Fort- schritt erkennen. Aber viele Fragen bleiben: Welche Konsequenzen hat ein durchgeführtes Audit ? Welche Probleme können ent- stehen – zum Beispiel dann, wenn Gutachter und Daten- schutzkontrollbehörden zu unterschiedlichen Bewertungen gelangen, von der Meinung des betrieblichen Datenschutz- beauftragten einmal ganz abgesehen? Wer garantiert die Unabhängigkeit und vor allem die Qualifikation der Audi- toren? Der TÜV Rheinland bildet bereits innerhalb von zwei Tagen so genannte Auditoren aus! Viele betriebliche Datenschutzbeauftragte haben als Informatiker einen Hochschulabschluss oder zwei Jahre berufsbegleitende Fortbildung absolviert. Sind die bishe- rigen Qualifikationen überflüssig? Führen die bisherigen Ausbildungen zur Überqualifikation? Das sind Fragen, die meines Erachtens vor der Einführung geklärt werden mussten und müssen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116182 (C) (D) (A) (B) Zweitens. Die Kosten für die Wirtschaft sind immens und kaum abschätzbar. Drittens. Ich zitiere aus der Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 14/5793: Die geplante Regelung wird voraussichtlich durch folgende Änderungen zu Mehrbelastungen der Wirt- schaft führen: Durch die Einführung von Informati- onspflichten im Rahmen der Erhebung personenbe- zogener Daten beim Betroffenen auch im nicht öffentlichen Bereich sowie durch die Einführung der sog. Vorabkontrolle für bestimmte automatisierte Verarbeitungen sind Mehrbelastungen zu erwarten. Ferner kann die nach dem Gesetzentwurf gebotene Auswahl von Kommunikationstechnik am Maßstab des Prinzips der Datenvermeidung und -sparsamkeit Mehrausgaben verursachen. Große Automobilkonzerne rechnen mit zusätzlichen Kosten von circa 10 bis 20 Millionen DM für das Daten- schutzaudit, vom personellen und bürokratischen Mehr- aufwand ganz zu schweigen. Viertens. Sollte der Markt auf Dauer tatsächlich ein Datenschutzaudit notwendig machen, dann wird es kom- men. Die Wirtschaft reguliert sich selbst besser und fle- xibler, als jedes Gesetz es tut. Im Gegenteil: Durch die Einführung des Datenschutzaudits droht vielmehr eine Marktverzerrung! Schon bei der „IS0 9000“-Norm war dies zu beobachten. Zertifizierte Betriebe arbeiten nur noch mit kleineren zusammen, wenn diese ebenfalls über das gewünschte Zertifikat verfügen. Denken Sie einmal an den Handwerksbetrieb mit seinem Meister, den drei Gesellen und der Meisterfrau, die die Buchhaltung macht. Die Kosten für ein Datenschutzaudit wären für diese klei- nen Betriebe eine zusätzliche Belastung und kaum zu ver- antworten. In den letzten Tagen ging mir eine Pressemitteilung des Landesbeauftragten für Datenschutz in Schleswig-Hol- stein, Dr. Bäumler, zu. Ab sofort wird in Schleswig-Hol- stein ein Datenschutzaudit für öffentliche Stellen durch- geführt. Für nicht öffentliche Stellen existiert jetzt ein Datenschutz-Gütesiegel. Ich darf aus dieser Pressemitteilung zitieren: „Gütesie- gel sind primär dazu da, den Behörden die Auswahl sol- cher Produkte zu erleichtern, die mit den Datenschutzbe- stimmungen in Einklang stehen.“ Hier zeigt sich doch schon der von mir kritisierte indirekte Zwang, den wir nicht wollen und aufgrund der guten Erfahrungen mit dem betrieblichen Datenschutz auch nicht brauchen. Aus diesen Gründen hat die CDU/CSU-Fraktion den Antrag gestellt, das Datenschutzaudit ersatzlos zu strei- chen. Sollten Ausführungsbestimmungen, also auch das „Wie“, bekannt sein, denken wir neu nach, wenn es uns denn dann sinnvoller erscheint als heute. Auch die Vorschriften zur Videoüberwachung sind im Vorgriff auf die zweite Stufe des BDSG heute Gegenstand der Beratung. Es handelt sich um die Beobachtung öf- fentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen. Eine öffentliche Anhörung des Innenaus- schusses hat sehr unterschiedliche Auffassungen von Sinn und Zweck, von Möglichkeiten und Grenzen der Video- überwachung deutlich gemacht. Insofern hätten wir auch bei diesem Punkt gerne ausschussübergreifende Regelun- gen gefunden. Videoüberwachung hat mehrere Ziele; sie ist schließlich kein Selbstzweck! Es geht um das Sicherheitsempfinden unserer Bürger, von dem wir wissen, dass es sich vom tatsächlichen Be- drohungspotenzial oft erheblich unterscheidet. Dies sollte uns zu denken geben und den Versuch wert sein, die Fak- ten einerseits und das Gefühl andererseits nicht weiter auseinanderdriften zu lassen. Insofern war uns die Formulierung in § 6 b Abs. 3 zu kurz gesprungen. Sie ist nach unserer Auffassung ergän- zungsbedürftig und sollte um den Aspekt der „Gefahren- vorsorge oder Strafverhütung“ ergänzt werden. Jetzt heißt es in Absatz 3 des § 6, dass die Verarbeitung oder Nutzung von Daten aus der Videoüberwachung zulässig ist, wenn nicht schutzwürdige Interessen der Be- troffenen überwiegen. Ich zitiere nun: „Für einen anderen Zweck dürfen sie nur verarbeitet oder genutzt werden, soweit dies zur Ab- wehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit erfor- derlich ist.“ Wir haben hier den Zusatz vorgeschlagen, dass die Daten auch zur „Verfolgung von Straftaten bzw. zur Gefahrenvorsorge oder Straftatenverhütung“ genutzt oder verarbeitet werden können. Denn wir meinen, Videoüberwachung soll auch zur vorbeugenden Bekämpfung von Kriminalität dienen und präventiv wirken. Leider haben wir uns mit beiden Anträgen nicht durch- setzen können. Wir bedauern das sehr und können uns da- her bei der Abstimmung des Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes auf Drucksache 14/4329 ins- gesamt nur der Stimme enthalten. Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit der heute zu beschließenden Reform des Bundesdatenschutz- gesetzes unterstreicht Rot-Grün seine Kompetenz hin- sichtlich eines verantwortungsvollen und modernen Um- gangs mit Daten. Uns gelingt mit dieser Gesetzesreform der Brückenschlag zwischen dem Verbraucherschutz und den berechtigten Interessen öffentlicher und privater Stel- len. Eine effiziente Datenverarbeitung und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Sicherheit ihrer Daten dürfen sich nicht widersprechen. Dieses Anliegen werden wir auch bei der demnächst folgenden zweiten Reform- stufe des Bundesdatenschutzgesetzes berücksichtigen, mit der wir das Vertrauen der Verbraucher in Formen der elektronischen Kommunikation noch weiter verstärken wollen. Datenschutz ist ein sehr wichtiges und nicht zuletzt hochaktuelles Thema! Datenschutz ist moderner Verbrau- cherschutz und ein entscheidender Akzeptanzfaktor für alle Formen des elektronischen Handels und der elektro- nischen Verwaltung. Ein moderner Datenschutz schafft Vertrauen für die Bürgerinnen und Bürger in Staat und Wirtschaft; ohne ausreichenden Datenschutz werden sich Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16183 (C) (D) (A) (B) viele Bürgerinnen und Bürger der Informationsgesell- schaft verweigern. Mit dieser Gesetzesänderung erledigen wir nicht nur unser Pflichtprogramm – die Anpassung an eine EU- Richtlinie von 1995, deren Umsetzung die alte Bundesre- gierung versäumt hatte –, sondern wir setzen eigene, wichtige Akzente, auf die ich jetzt im Einzelnen kurz ein- gehen werde. Insbesondere auf Initiative von Bündnis 90/Die Grü- nen hin wurde der Punkt Datenschutzaudit in diesen Entwurf mit aufgenommen. Zur Verbesserung der Daten- sicherheit können datenverarbeitende Stellen ihr Daten- schutzkonzept durch unabhängige Gutachter prüfen und die Ergebnisse veröffentlichen lassen: Zertifizierung statt Reglementierung – dies ist die Zukunft! Diese Form der Transparenz ist auch im Interesse der Unternehmen; denn diese können nun den verantwortungbewussten Umgang mit Daten aktiv für den Wettbewerb nutzen. Nun zum sensibelsten Punkt des Entwurfs, der „op- tisch-elektronischen Beobachtung öffentlich zugängli- cher Räume“, der so genannten Videoüberwachung. Der häufig zu beklagende „Wildwuchs“ in diesem Be- reich – die Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen und privatwirtschaftlichen Räumen gehört auch in der Bundesrepublik längst zum Alltag – bedarf dringend ge- setzlicher Regelungen, um jede unnötige und überflüssige Maßnahme zu verhindern. Ob uns dies mit den hier for- mulierten Bestimmungen gelingt, bleibt abzuwarten. Doch wir können eines versichern: Bündnis 90/Die Grü- nen werden immer ein wachsames Auge darauf haben, dass unsere Gesellschaft nicht von unerwünschten wach- samen Augen beobachtet wird. „Big Brother“ im Fernse- hen können wir vielleicht gerade noch ertragen, „Big Brother“ im wirklichen Leben nicht mehr. Darum: Datenvermeidung und Datensparsamkeit sind oberste Grundsätze eines modernen Datenschutzrechtes und werden in diesem Gesetzesentwurf so weit wie mög- lich berücksichtigt. Ich möchte betonen, dass wir die Arbeit des Bundes- beauftragten für den Datenschutz ausdrücklich unterstüt- zen – dessen Stellung in diesem Gesetzesentwurf ja auch weiter gestärkt und herausgehoben wird. Auch möchten wir die positive Zusammenarbeit bei der Verabschiedung dieses Gesetzes herausheben: Insbesondere in den Be- richterstatterrunden mit den Ministerien sowie im Dialog mit den Datenschutzbeauftragten der Länder und – dies sei ausdrücklich erwähnt – auch mit der Opposition wurde ausgesprochen konstruktiv gearbeitet, eine Vorgehens- weise, die wir bei der zweiten Reformstufe erfolgreich fortsetzen und ausbauen wollen, unter anderem mit der Einrichtung einer Diskussionsplattform im Internet für alle Bürgerinnen und Bürger. Mit der Modernisierung des Datenschutzrechtes und der demnächst folgenden Verabschiedung eines Informa- tionsfreiheitsgesetzes leisten wir weitere Schritte hin zu einer transparenten und bürgernahen Informationsgesell- schaft, die ohne Bündnis 90/Die Grünen so nicht denkbar wäre. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Der vorlie- gende Gesetzentwurf soll die so genannte erste Stufe der Datenschutzreform darstellen. Dabei handelt es sich um die – darauf sei ausdrücklich hingewiesen: überfällige – Umsetzung der EU-Datenschutz-Richtlinie vom 24. Ok- tober 1995. Insoweit begrüßt die F.D.P. diese Vorlage. Auch dass dabei der gegebene Spielraum genutzt wurde, ist aus unserer Sicht zu begrüßen. Insbesondere beim Da- tenschutz im Sozialhilferecht, der Datenschutzumsetzung bei den Medien und den erneuerten Vorschriften über den Bundesdatenschutzbeauftragten sind gute Fortentwick- lungen gelungen. Leider sind auf diesen ersten Reformschritt jedoch ohne Not drei zusätzliche Regelungsansätze „draufgesat- telt“ worden, die richtigerweise in die zweite Stufe der Datenschutzreform gehört hätten. Diese soll ja der An- gleichung des Datenschutzrechts an die neuen Gegeben- heiten in der Informations- und Kommunikationstechno- logie gewidmet sein. Es handelt sich bei den drei Zusatzpunkten um die Chipkartenregelung, die Video- überwachung und das Datenschutzaudit. Weshalb diese Anliegen schon jetzt unbedingt durch- gezogen werden mussten, obwohl noch vielfältiger Bera- tungsbedarf bestanden hätte, ist trotz mehrfachen Nach- fragens leider unklar geblieben und muss deshalb gleich vielfachen Verdacht hervorrufen. Das Gehetze ist bezüg- lich dieser Punkte nämlich überhaupt nicht einzusehen. Das wird beispielsweise besonders deutlich beim Daten- schutzaudit, weil dort ohnehin alles von einem detaillier- ten „besonderen Gesetz“ abhängt, das aber weit und breit nirgends zu sehen ist. Warum also mussten diese Punkte schon jetzt ohne irgendeine Anhörung und ohne jede Ein- zelkorrekturbereitschaft unbedingt durchgepaukt wer- den? Darüber hätten wir auch jetzt noch gerne Auskunft. Nur exemplarisch greife ich aus jenen drei umstritte- nen Zusatzpunkten noch etwas näher die Videoüberwa- chung heraus. Unbestritten ist, dass es hier dringend einer eigenen Ermächtigungsnorm bedarf. Manche der Einzel- regelungen im Gesetzentwurf sind auch, so meinen wir, durchaus zu begrüßen. Das gilt etwa für die so genannte Erkennbarmachung, die konkrete Benachrichtigungs- pflicht oder die unverzügliche Datenlöschung. Aber wie ist es um die konkrete Zweckbindung be- stellt? Für öffentliche Stellen wird nämlich a priori die Be- obachtung allgemein zugänglicher Räume mit optisch- elektronischen Einrichtungen zur Erfüllung jeder beliebigen Aufgabe zugelassen. Freilich soll das nur dort gelten, wo keine überwiegenden schutzwürdigen Interes- sen der Betroffenen gegenüberstehen. Aber ob etwas überwiegt, lässt sich doch erst beurteilen, wenn man die Bezugsgröße kennt, also den Zweck, zu dessen Erfüllung die Maßnahme vorgenommen wird. Deshalb hätten die zulässigen Zwecke im Gesetz schon noch näher spezifi- ziert werden müssen. Denn da Videoüberwachung doch einen spezifischen, subtileren und also auch heikleren Grundrechtseingriff für die Beobachteten bedeutet, dürf- ten die legitimierenden Einsatzbedarfe auch nur entspre- chend gewichtig sein. Dies muss im Gesetz benannt und sichergestellt werden. Das verlangt ein verfassungsbe- wusster Datenschutz. Allseits ist deshalb im Datenschutz- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116184 (C) (D) (A) (B) recht ja auch anerkannt, dass eine exakte Zweckbindung der Datenerhebung und -verwendung der Schlüssel für eine wirksame Wahrung des datenbezogenen Persönlich- keitsrechts ist. All solche Fragen zu den drei draufgesattelten Sonder- punkten konnten nicht mehr geklärt werden. Deshalb wird die F.D.P. dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, obwohl wir das für die Richtlinienumsetzung eigentlich gerne ge- tan hätten. Petra Pau (PDS): Zuerst möchte ich den Bericht des Bundesdatenschutzbeauftragten würdigen. Auch wenn er schon etwas älter ist, macht er auf aktuelle Probleme und Handlungsbedarf aufmerksam. Bestätigt wird dies durch den seit gestern vorliegenden neuen Bericht. Sie werden darin einen ganzen Katalog von Hausaufgaben finden, welche auch durch uns zu erfüllen sind und durch die vor- liegende Gesetzesnovelle nicht abgedeckt wurden. Nun zu unserem heutigen Problem: Mit der Novellie- rung des BDSG kommt die Bundesregierung mit immen- ser Verspätung der Verpflichtung nach, das bundesdeutsche Recht der EU-Richtlinie zum Schutz personenbezogener Daten aus dem Jahre 1995 anzupassen. Diese Umsetzung hätte bereits bis Oktober 1998 erfolgen müssen. Die ge- planten gesetzlichen Veränderungen beziehen sich auf all- gemeine Regelungen zum Datenschutz: Zulässigkeit von Datenerhebungen, rechtliche Grundlagen der Datenverar- beitung, Stellung von Datenschutzbeauftragten, Auskunft an Betroffene, Videoüberwachung, Datenschutz im So- zial- und Rentenbereich etc. Datenschutzrechtliche Be- stimmungen zu Sicherheitsdiensten bleiben unter alleini- ger nationaler Gesetzesregelung. Bei der Novellierung des BDSG hat die Bundesregie- rung bisher nur die Erfordernisse aus der EU-Richtlinie umgesetzt. In einem zweiten Schritt – Sommer 2001 – kündigt sie neue gesetzliche Veränderungen an, die sich mit den Problemen der Informationsgesellschaft und dem Datenschutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern beschäftigen sollen. Wie ist dies zu bewerten? Die Bundesregierung stützt sich bei der Novellierung auf die Vorarbeiten der Kohl- Regierung. Ein fortschrittlicher Entwurf der Grünen wur- de ignoriert. Die Bundesregierung hält es nicht für nötig, 18 Jahre nach dem Urteil des BVG zur Volkszählung das hier kreierte Recht auf informationelle Selbstbestimmung im BDSG festzuschreiben. Entsprechend ist auch die ge- samte Zielsetzung des Gesetzesentwurfs: Eine Zweckbin- dung von Daten(-erhebungen) wird im Interesse der In- dustrie und der Behörden sowie von Krankenkassen und Rentenversicherungsanstalten aufgehoben. Die Stellung der Datenschutzbeauftragten wird nicht gestärkt. Die Scha- densersatzpflicht ist völlig unzureichend. Die geplante Videoüberwachung ist nur mangelhaft im Gesetzentwurf geregelt. Es wird nicht festgelegt, dass nur in besonderen Ausnahmefällen Videoaufnahmen erlaubt sein dürfen. Eindeutige Speicher- und Löschfristen sind nicht vorge- sehen. Das Gesetz schafft keine juristischen Grundlagen für eine effektive Datenvermeidung. Ein Datenschutzau- dit – Vermeidung von Datenflüssen – wird nur symbolisch festgeschrieben und nicht konkret geregelt. Der Gesetz- entwurf strotzt vor einer Normenüberflutung und Büro- kratisierung sowie einer ins kleinste Detail gehenden Re- gelungsdichte, die den Bürgern den Umgang mit diesem Gesetz erschwert, da es dadurch nur schwer lesbar und kaum verständlich ist. Deshalb hat die PDS mehrere Änderungsanträge in den Bundestag eingebracht. Wir fordern unter anderem, dass erstens das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Gesetzeszweck festgeschrieben wird, dass zweitens der Bundesbeauftragte für Datenschutz nicht mehr dem Innenministerium, sondern dem Parlament unterstellt ist und damit endlich einen unabhängigen Status erhält, dass drittens der Kündigungsschutz von Datenschutzbeauftrag- ten verbessert wird, dass viertens die Zweckbindung von Daten im Gesetz eindeutig festgeschrieben wird, damit keine Persönlichkeitsprofile von Menschen erstellt werden können, und dass fünftens die Videoüberwachung streng geregelt wird. Mit der Annahme dieser Änderungsanträge können Sie wenigstens einen Teil der eingangs genannten Hausauf- gaben erledigen. Damit könnten wir auch manche berech- tigte Kritik des Bundesdatenschutzbeauftragten Jacob zu den aktuellen Entwicklungen ausräumen. Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern: Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung dient der Anpassung des Bundesda- tenschutzgesetzes und anderer Gesetze an die EG-Daten- schutzrichtlinie. Durch die Richtlinie und ihre nationale Umsetzung wird ein einheitliches Datenschutzniveau für die Mitgliedstaaten der EU geschafften. Nach Übernahme der Richtlinie durch den EWR gilt sie inzwischen auch für die übrigen Vertragsstaaten des Europäischen Wirt- schaftsraumes. Zu den wichtigsten unmittelbaren Verbesserungen aus der Sicht des Bürgers zählt die weitere Stärkung seiner In- formationsansprüche. Dem Bürger kommt ebenfalls zu- gute, dass das System interner und präventiver Kontroll- mechanismen ausgebaut wird. Nach der Richtlinie zieht die automatisierte Verarbeitung personenbezogener Da- ten entweder eine Meldepflicht gegenüber der Daten- schutzkontrollstelle oder die Pflicht zur Bestellung eines internen Beauftragten für den Datenschutz nach sich. Dem in Deutschland schon bewährten Institut eines Be- auftragten für den Datenschutz und der internen Selbst- kontrolle wird damit zukünftig eine gesteigerte Bedeu- tung zukommen. Zu der bei den Bundesbehörden ganz überwiegend bereits bisher praktizierten Bestellung von Beauftragten für den Datenschutz besteht – infolge der Richtlinie – zukünftig eine gesetzliche Verpflichtung. Entsprechend den Vorgaben der Richtlinie eröffnet das Bundesdatenschutzgesetz den freien Datenverkehr im Binnenmarkt. Damit wird der innergemeinschaftliche Da- tenverkehr künftig dem inländischen Datenverkehr gleichgestellt. Für die Praxis bedeutet dies eine Vereinfa- chung, da bei der Übermittlung personenbezogener Daten im Binnenmarkt keine besonderen Regeln mehr beachtet Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16185 (C) (D) (A) (B) werden müssen. Angesichts des von der Richtlinie vorge- gebenen gemeinschaftsweit einheitlichen Datenschutz- niveaus ist dies ohne Nachteile für die Rechte der Bürger möglich geworden. Der Datenaustausch mit Drittstaaten wird zwar regle- mentiert; durch einen sachgerechten Ausnahmekatalog wird jedoch dafür Sorge getragen, dass eine Beeinträchti- gung des Wirtschaftsverkehrs nicht eintritt. Der Gesetzentwurf konzentriert sich darauf, die Richt- linie im erforderlichen Umfang umzusetzen. Angesichts des in Deutschland bereits bestehenden hohen Daten- schutzniveaus hielt sich die materielle Tragweite der Än- derungen deshalb in Grenzen. Die teilweise abweichen- den Konzepte der Richtlinie machten jedoch Eingriffe bei fast allen Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes notwendig. Es ließ sich nicht vermeiden, dass das Bun- desdatenschutzgesetz dadurch komplexer geworden und in einzelnen Bestimmungen auch für Fachleute nur noch schwer verständlich ist. Da die Umsetzungsfrist bereits im Oktober 1998 – fast zeitgleich mit dem Regierungswech- sel – abgelaufen ist, kann die richtlinienbedingte Ände- rung des Bundesdatenschutzgesetzes jedoch nicht weiter hinausgeschoben werden. Die Bundesregierung wird eine zweite Stufe der No- vellierung anschließen, in der das Gesetz in einer umfas- senden Neukonzeption vereinfacht und seine Lesbarkeit erhöht wird. Dabei wird es auch darauf ankommen, das Datenschutzrecht im Blick auf die schnelle Entwicklung der Informationsgesellschaft zu modernisieren. Hierzu hat der Bundesbeauftragte für den Datenschutz bereits in seinem 17. Tätigkeitsbericht, zu dem uns heute hier die Beschlussempfehlung des Innenausschusses vorliegt, Stellung genommen. Er greift dieses Thema übrigens auch in seinem gestern vorgestellten 18. Tätigkeitsbericht erneut auf. Gestatten Sie noch einen Satz dazu: Im Innenausschuss ist mit Recht gerügt worden, dass die Beratung des – mitt- lerweile vorletzten – Tätigkeitsberichts erst jetzt erfolgt ist. Die Bundesregierung wird künftig ihren Beitrag dazu leisten, dass die parlamentarische Befassung zeitnäher erfolgen kann. Der vorliegende Gesetzentwurf enthält bereits erste Kernelemente einer Modernisierung, die das Ziel der Richtlinie, die Transparenz der Datenverarbeitung für den Bürger zu erhöhen, verwirklichen. Ich weise auf diesen Zusammenhang deswegen hin, weil die Opposition kriti- siert hat, die Bundesregierung sattle hier unnötigerweise auf die zwingenden Vorgaben der Richtlinie auf. Unter Transparenzgesichtspunkten bestand jedoch be- reits jetzt dringender Handlungsbedarf, so etwa vor allem bei der Videoüberwachung. Sie wird durch den Gesetz- entwurf erstmals in einer allgemeinen Vorschrift ein- deutigen Zulässigkeitsvoraussetzungen unterworfen. Der Entwurf der Bundesregierung ist hier von den Daten- schutzbeauftragten aus Bund und Ländern nachhaltig un- terstützt worden. Dies gilt auch für die Regelung zur Chipkarte und zum Datenschutzaudit. Lassen Sie mich zum Datenschutzaudit nochmals – wir haben dies ja bei der Ausschussberatung des Gesetzentwurfs im Einzelnen diskutiert – betonen: Das Audit beruht auf dem Prinzip der Freiwilligkeit; es setzt zur Verbesserung des Datenschutzes auf die Selbst- verantwortlichkeit der Unternehmen. Eine Pflicht-Audi- tierung wird es nicht geben. Dort, wo sie sinnvollerweise zum Einsatz kommen kann, wird sie sich für die Unter- nehmen im Markt als Wettbewerbsvorteil erweisen und den Verbrauchern die eigenverantwortliche Auswahl un- ter konkurrierenden Anbietern erleichtern. Die Bundesregierung hat darauf Wert gelegt, den Ge- setzentwurf mit allen Fraktionen im Bundestag, dem Bun- desbeauftragten für den Datenschutz, den Ländern und der Wirtschaft so weit wie möglich im Einvernehmen abzustimmen. Die Vorschläge und Prüfbitten des Bundes- rates in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf wurden weitgehend im parlamentarischen Gang des Ge- setzgebungsverfahrens berücksichtigt. Danken möchte ich ausdrücklich den Berichterstattern der Fraktionen für die konstruktive, zielstrebige Beratung des Gesetzent- wurfs. Mit der heutigen Zustimmung des Bundestages werden die Weichen für ein schnelles In-Kraft-Treten des Geset- zes gestellt. Nur so besteht eine Chance, der Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland in dem bereits anhängi- gen Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof zuvorzukommen. Auch vor diesem Hinter- grund bitte ich um Ihre Zustimmung. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Änderung des Zerlegungsmaßstabs des Gewerbe- steuermessbetrags – Erhöhung der Gewerbesteuerumlage rückgängig machen (Tagesordnungspunkt 20 a und b) Bernd Scheelen (SPD): „Immer wieder freitags“ könnte man in Abwandlung des Hits von Cindy und Bert der 60er-Jahre sagen: Immer wieder freitags stellt die PDS vermeintlich kommunalfreundliche Anträge zu den Ge- werbesteuereinnahmen der Städte und Gemeinden. Warum immer wieder freitags? Weil an einem der da- rauffolgenden Sonntage irgendwo in den neuen Ländern Kommunal-, Bürgermeister- oder Landratswahlen sind. Am 6. Mai dieses Jahres sind solche Wahlen in Sach- sen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Da vorher keine Sitzungen des Parlaments mehr stattfinden, muss eben der Freitag vor der Osterpause herhalten. Die Termi- nierung der Antragsberatung entlarvt die Anträge als das, was sie sind: Wahlkampftheater. Die PDS möchte die Erhöhung der Gewerbesteuerum- lage rückgängig machen, die Bestandteil des Steuersen- kungsgesetzes ist, das am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist und die Bürgerinnen und Bürger und den Mit- telstand in diesem Jahr um insgesamt 45 Milliarden DM Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116186 (C) (D) (A) (B) entlastet. Steuerliche Entlastung der Bürgerinnen und Bürger bedeutet natürlich, dass der Staat auf Steuerein- nahmen verzichtet. Das betrifft alle staatlichen Ebenen: Bund, Länder und Gemeinden! Wenn die Bürgerinnen und Bürger mehr Netto vom Brutto behalten sollen, heißt das, dass der Staat sich einschränken, also sparen muss. Die Koalition hat die Steuerreform gemacht, um die Menschen und die Unternehmen im Land zu entlasten und damit die Binnenkonjunktur anzukurbeln. Dass dieses Konzept aufgeht, zeigt die Entwicklung der Konjunktur: Trotz drastisch gestiegener Rohölpreise, trotz drastischer Abkühlung der Konjunktur in den USA, trotz der wirt- schaftlichen Probleme in Japan ist die europäische und insbesondere die deutsche Konjunktur robust. Auch in diesem Jahr ist mit einem Wachstum oberhalb von 2 Pro- zent zu rechnen. Das ist mehr als der Durchschnitt der ge- samten 90er-Jahre, sogar bei stabilem Geld! Es zeigt sich, dass die Steuerreform genau zum richti- gen Zeitpunkt gekommen ist. Bei nachlassender außen- wirtschaftlicher Konjunktur ist eine robuste Binnennach- frage unerlässlich. So freut sich der Einzelhandel in Deutschland erstmals seit Jahren über Umsatzsteigerun- gen. Binnenwirtschaftliches Wachstum bedeutet auch die Schaffung neuer Arbeitsplätze und damit Entlastung der öffentlichen Kassen von Kosten der Arbeitslosigkeit. Seit 1998 ist die Zahl der registrierten Arbeitslosen um 1 Mil- lionen gesunken. In entsprechendem Maße ist die Zahl der Erwerbstätigen gestiegen. Es zeigt sich deutlich: Die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen in Deutschland war überfällig und zum jetzigen Zeitpunkt geboten. Erstaun- lich deshalb, dass die PDS nun wieder Steuererhöhungen fordert; denn nichts anderes bedeutet die Forderung nach der Rückgängigmachung der Veränderung bei der Ge- werbesteuerumlage. Dazu ist es notwendig, zu beleuch- ten, warum die Gewerbesteuerumlage erhöht wurde, warum also die Städte und Gemeinden mehr Gewerbe- steueranteile an Bund und Land abführen sollen. Das Steuersenkungsgesetz sieht eine deutliche Absen- kung des Körperschaftsteuersatzes von 40 Prozent auf 25 Prozent vor. Die dadurch bedingten Steuerausfälle tra- gen Bund und Länder alleine. Zur teilweisen Gegenfinan- zierung sind Veränderungen der AfA-Tabellen vorgese- hen, die zu Steuermehreinnahmen auch der Gemeinden führen. Diese Windfall Profits der Städte und Gemeinden abzuschöpfen und zur Finanzierung der Steuerreform he- ranzuziehen ist Sinn der Gewerbesteuerumlagenerhöhung und nichts anderes. Fazit: Den Gemeinden wird also rein gar nichts weggenommen. Um dem nicht linearen Verlauf der Mehreinnahmen Rechnung zu tragen, ist die Erhöhung der Gewerbe- steuerumlage bis 2005 befristet. Ab 2006 gilt ein um sechs Punkte abgesenkter Vervielfältiger. Außerdem haben wir im Gesetz eine Revisionsklausel für das Jahr 2004 vorge- sehen, um im Lichte der Erkenntnisse, wie die Steuerre- form tatsächlich wirkt, die Erhöhung der Gewerbe- steuerumlage zu überprüfen. Denn eines ist klar: Die Berechnungen des BMF haben den Charakter einer Pro- gnose und dies kann auch gar nicht anders sein. Im Übrigen ist das Steuerentlastungsgesetz in Abspra- che und mit Unterstützung der kommunalen Spitzenver- bände in Kraft gesetzt worden. Dazu zitiere ich Ihnen den Präsidenten des Städte- und Gemeindebundes, Heribert Thallmair, CSU: Die Reform der Unternehmensbesteuerung bildet eine solide Grundlage für wirtschaftliches Wachstum und ist daher ein Schritt in die richtige Richtung. Sie werden sich auch noch daran erinnern, dass bei der gesonderten Anhörung der kommunalen Spitzenverbände die gute Zusammenarbeit mit der Bundesebene hervorge- hoben wurde. Nun zu den Zahlen im PDS-Antrag: Wir stellen fest, dass die PDS wieder einmal hinter der Entwicklung her- hinkt. Es reicht eben nicht, Anträge aus dem Jahr 2000 einfach mit einem neuen Datum zu versehen und sie er- neut in den Deutschen Bundestag einzubringen. Ein biss- chen mehr Sorgfalt wäre schon angebracht! Wenn die PDS die Steuerausfälle der Kommunen in 2001 mit 8,3 Milliarden DM und im Jahr 2005 mit 12 Milliar- den DM beziffert, hinkt sie eben gut eineinhalb Jahre hin- ter der Entwicklung her und nimmt nicht zur Kenntnis, dass das endgültig verabschiedete Steuersenkungsgesetz bei den Kommunen Ausfälle von 4,4 Milliarden in 2001 und 6,9 Milliarden in 2005 bewirkt. Damit werden die Städte und Gemeinden unterproportional an den Steuer- ausfällen beteiligt. Im Jahr 2000 hatten die Gemeinden einen Anteil von 12,3 Prozent an allen Steuereinnahmen. Zur Finanzierung der Nettoentlastung der Steuerreform werden sie aller- dings im Schnitt der Jahre 2001 bis 2006 mit lediglich 8,9 Prozent und damit deutlich unterproportional betei- ligt. Dieses kommunalfreundliche Verhalten ist von den kommunalen Spitzenverbänden ausdrücklich begrüßt worden. Sie haben ihre Bereitschaft erklärt, sich im Rah- men ihres Anteils an den Steuereinnahmen auch an den Steuerausfällen zu beteiligen. Während der Beratungen des Steuersenkungsgesetzes konnte durch Berücksichtigung der Ausfälle infolge der Steuerfreiheit bei den Veräußerungsgewinnen von Unternehmensbeteiligungen der relativ geringe Anteil der Städte und Gemeinden an den Steuerausfällen durchge- setzt werden. Wenn die PDS nun fordert, dass der Aus- gleichsmechanismus der Gewerbesteuerumlage abge- schafft wird, fordert sie Bund und Länder auf, diese Verluste zusätzlich zu tragen, was zwangsläufig Steuerer- höhungen nach sich zieht. Dies lehnen wir ab! Wir sprechen in der Republik über Steuersenkungen und nicht über Steuererhöhungen. Die Bürgerinnen und Bürger haben genug von immer höheren Steuern und Ab- gaben. Sie erwarten zu Recht vom Staat, dass er sich auf seine eigentlichen Aufgaben besinnt, dabei sparsam mit den Mitteln umgeht und Menschen und Unternehmen ent- lastet, um zusätzliche Spielräume für mehr Wachstum und Beschäftigung zu schaffen. Diese Ziele werden auch von den kommunalen Spitzenverbänden mitgetragen. Mit ih- nen wissen wir uns auch einig in der Forderung nach ei- ner umfassenden Gemeindefinanzreform. Das ist ein Vor- haben, das für die nächste Legislaturperiode auf der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16187 (C) (D) (A) (B) Agenda steht, zu dem die Vorarbeiten jetzt zu leisten sind. Deshalb macht der zweite Antrag der PDS, den Zer- legungsmaßstab des Gewerbesteuermessbetrages zu än- dern, auch keinen Sinn. Was wir brauchen, ist eine umfassende Reform, deren Vorbereitung noch Zeit braucht. Einzelmaßnahmen sind deshalb zu diesem Zeitpunkt unsinnig. Wir können die Gemeindefinanzreform auch deshalb in Ruhe und gründ- lich angehen, weil wir mit dem Steuersenkungsgesetz den Kommunen Planungssicherheit bezüglich des Bestandes der Gewerbesteuer gegeben haben. Mit der Unterneh- mensteuerreform ist das Kunststück gelungen, einerseits den Gemeinden die Gewerbesteuer als eigenständige, ge- staltbare Steuerquelle zu erhalten und andererseits den Mittelstand durch die pauschalierte Anrechenbarkeit bei der Einkommensteuer von der Gewerbesteuer zu ent- lasten. Am 6. Mai dieses Jahres sind, wie bereits erwähnt, Bürgermeister- und Landratswahlen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Am 10. Juni wird ent- sprechend in Sachsen gewählt. Wetten, dass die PDS beide Anträge spätestens am 1. Juni wieder einbringt? Dann heißt es erneut: „Immer wieder freitags“. Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Die PDS will sich mit ihren beiden Anträgen zum Anwalt der Kom- munen machen. Sie will die kommunale Finanzausstat- tung in einzelnen Punkten verändern. Dies ist meines Er- achtens völlig unzureichend. Wenn dieses Thema angefasst werden soll, dann richtig; dann muss es um eine Gemeindefinanzreform insgesamt gehen. Die Anträge der PDS als punktuelle Lösung würden den Druck in Rich- tung einer grundsätzlichen Lösung vermindern. Schon deshalb kann ihnen nicht zugestimmt werden. Aber es gibt auch inhaltliche Punkte, auf die ich noch zu sprechen komme. Dennoch gibt der Tagesordnungspunkt Gelegenheit, den Blick auf ein wichtiges Thema zu lenken. Die kom- munale Finanzausstattung ist völlig unzureichend und wurde von der Regierungskoalition entgegen all ihren Versprechungen dramatisch verschlechtert. Ich verweise dazu nur auf die Dokumentation Nr. 16 des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, die die Auswirkung der Eingriffe in die kommunale Finanzausstattung eindrucks- voll schildert. Danach haben die Eingriffe im Jahr 2001 ein Volumen von 6,4 Milliarden DM zuzüglich 4,9 Milli- arden DM Folgewirkungen über den kommunalen Fi- nanzausgleich. Die kommunale Finanzausstattung ist nicht nur ein Thema für Bürgermeister und Kommunalpolitiker. Sie geht uns alle an. Wenn den Kommunen die Finanzkraft fehlt, dann müssen sie bei den Ausgaben für Einrichtun- gen kürzen, die für die Bürgerinnen und Bürger wichtig sind. Sie müssen Schulen, Kindergärten, Kultureinrich- tungen, Schwimmbader und Ähnlichem Geld nehmen oder sie gar schließen. Sie ist aber auch ein wichtiges Thema für Handwerk und Handel. Wenn den Gemeinden Geld fehlt, dann kür- zen sie häufig bei Beschaffungen und insbesondere bei der Bauunterhaltung, weil dies nicht unmittelbar Folgen für die Bürgerinnen und Bürger hat. Jede nicht ausgege- bene Mark bedeutet aber auch weniger Aufträge für Han- del und Gewerbe. Jeder Auftrag weniger bedeutet weni- ger Arbeit und damit weniger Steuern und mehr Arbeitslosigkeit. Mehr Arbeitslosigkeit bedeutet mehr Sozialhilfe. So zeigt sich, in welchem schwierigen Teu- felskreis sich die Städte, Gemeinden und Landkreise be- finden. Viele können ihre laufenden Ausgaben nicht mit laufenden Einnahmen decken. Besorgniserregend ist die Entwicklung der Kassenkredite in vielen großen Städten des Ruhrgebietes. Wie bedrohlich die Lage ist, kann man an einer Schlüs- selzahl ablesen. Das ist der Stand der Kassenkredite zum 31. Dezember 2000. „Kassenkredit“ klingt sehr technisch, ist aber nichts anderes als der Ausdruck dafür, dass lau- fende Ausgaben mit Krediten finanziert wurden, was ei- gentlich nicht sein darf. Der Kassenkredit ist nur eine un- terjährige Liquiditätshilfe und muss am Jahresende, wenn alle Einnahmen und Ausgaben getätigt sind, auf Null ste- hen. Sie betrugen 14,1 Milliarden DM; dazu kommen noch 14,0 Milliarden DM innere Darlehen. Diese beiden Zahlen hätten am 31. Dezember 2000 null betragen müs- sen. 28,1 Milliarden DM sind rund 6,5 Prozent der lau- fenden Ausgaben aller Städte, Gemeinden und Landkreise für Personal, laufenden Sachaufwand, soziale Leistungen und Zinsen. In diesem Maße wurden diese Posten mit Krediten finanziert. Das ist, wie wenn sich ein privater Haushalt ohne Aussicht auf zusätzliche Einnahmen sein Butterbrot auf Kredit kauft oder wenn ein Handwerks- meister das Verbrauchsmaterial mit einem Kontokorrent- kredit finanziert und über die Rechnung nicht wieder he- reinbekommt. Die rot-grüne Koalition hat in der Koalitionsvereinba- rung zum Regierungsantritt 1998 angekündigt, die Fi- nanzkraft der Gemeinden stärken zu wollen. Wörtlich heißt es in Kapitel III Nr. 2 Punkt 3 der Koalitionsverein- barung: Die neue Bundesregierung tritt dafür ein, dass zukünftig Aufgabenverlagerungen im Verhältnis der staatlichen Ebenen – Bund einerseits, Länder und Gemeinden andererseits – im Rahmen des bundes- staatlichen Finanzausgleichs berücksichtigt werden (Konnexitätsprinzip). Wir wollen die Finanzkraft der Gemeinden stärken und das Gemeindefinanzsystem einer umfassenden Prüfung unterziehen. Von einer Gemeindefinanzreform war bisher noch keine Rede. Sie haben in dieser Richtung noch nichts un- ternommen. Das gilt auch für die Umsetzung des Konne- xitätsprinzips: Fehlanzeige! Im Gegenteil: Wie Sie diese Versprechen mit Füßen treten, will ich an zwei Beispielen deutlich machen. Da ist zum einen der Familienleistungsausgleich und zum ande- ren die Grundsicherung im Rahmen der Rentenreform. In der Bundestagsdebatte vom 21. September 1995 (Plenarprotokoll 13/55) führte Bundesfinanzminister Waigel dazu aus: Die von der Koalition angestrebte Systemumstellung auf das steuerrechtliche Optionsmodell und die Ver- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116188 (C) (D) (A) (B) besserungen beim Familienleistungsausgleich waren von Anfang an mit der Zusage an die Länder ver- bunden, für die daraus resultierenden Lastenver- schiebungen einen fairen, vollen Ausgleich zu ge- währen. Im Vermittlungsausschuss haben wir uns auf die dauerhafte Absicherung des bisherigen Lasten- teilungsverhältnisses von 74:26 beim Familienleis- tungsausgleich geeinigt. Dies erfolgt durch die Er- gänzung des Art. 106 des Grundgesetzes. Man kann darüber streiten, ob es schön und wün- schenswert ist, dass eine solche Frage im Grundge- setz geregelt wird. Es war die unabdingbare Voraus- setzung für die Zustimmung der Länder, und darum macht es auch gar keinen Sinn, darüber noch lange Diskussionen zu führen. ... Diese Ergänzung verpflichtet den Gesetzgeber, bei der Festsetzung des Beteiligungsverhältnisses an der Umsatzsteuer die sich durch den neuen Familienleis- tungsausgleich ergebenden Steuermindereinnahmen der Länder auszugleichen. Hierdurch wird die verfas- sungsrechtliche Voraussetzung für die dauerhafte Fortführung des bisherigen Lastenteilungsverhältnis- ses durch die entsprechenden Regelungen im Finanz- ausgleichsgesetz geschaffen. ... Die Länder haben sich verpflichtet, den Gemeinden die Steuerausfälle durch die Neuregelung des Familienleistungsausgleichs fair und voll auszuglei- chen. Wir alle miteinander werden aufmerksam da- rüber wachen, dass dies erfolgt. Die gleiche Fairness, die der Bund den Ländern entgegenbringt, verlangen wir von den Ländern den Kommunen gegenüber. Zu der Grundgesetzänderung führte die CDU-Abge- ordnete Dr. Tiemann in der Debatte aus: Insofern machen die Länder diese Grundgesetzände- rung zur Bedingung, weil sich die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern zu ihren Ungunsten verändern würde. Wir schreiben mit dieser Grundge- setzänderung den Länderanteil fest, bewirken aber dadurch – und darauf möchte ich hinweisen – gewis- sermaßen einen Bund-Länder-Sonderausgleich für den Familienbereich. Ich mache darauf aufmerksam, dass wir mit diesem Sonderausgleich in die Systematik unserer Finanz- verfassung eingreifen. Zu der Grundgesetzänderung führte der CDU-Abge- ordnete Uldall in der Debatte aus: Minister Waigel hat vorgeschlagen, die Ausfälle der Gemeinden in Form eines höheren Anteils der Kom- munen an der Einkommensteuer, nämlich statt heute 15 Prozent dann 16 Prozent, direkt zu kompensieren. (Dr. Kurt Faltlhauser (CDU/CSU): Das war ein hervorragender Vorschlag! Er wurde aber nicht angenommen!) Das lehnte der Bundesrat ab. Auch hier ist der Grund klar. Die Länder wollten natürlich das Geld erst ein- mal in den eigenen Kassen haben, bevor sie den Ge- meinden von den Einnahmen, die sie zusätzlich er- halten, etwas weitergeben. Wir fordern mit allem Nachdruck die Länder auf, den Kommunen den ih- nen zustehenden Anteil aus der gesetzlichen Um- satzsteuer zukommen zu lassen. Zum Jahressteuergesetz 1996 und zu der entsprechen- den Grundgesetzänderung führte der Berichterstatter, Fi- nanzminister Heinz Schleuser (SPD), am 22. September 1995 im Bundesrat (S. 371 f.) aus: ... die Neuregelung des Familienleistungsausglei- ches als steuerliche Lösung führt zu gravierenden Verschiebungen der Finanzverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Bisher trug der Bund 74 Prozent ... der Ausgaben für den Familien- leistungsausgleich, während Länder und Gemeinden die verbleibenden 26 Prozent aufbringen mussten. Die Neuregelung im Rahmen der Einkommensteuer führt zwangsläufig zu einer Lastenverteilung, die der Verteilung der Einkommensteuer entspricht. Das heißt: Statt der bisher 26 Prozent entfallen ab 1996 57, 5 Prozent der Ausgaben für den Familienleis- tungsausgleich auf Länder und Gemeinden. Anmerkung: Dabei sind die Auswirkungen des kommu- nalen Finanzausgleiches – Verschiebung von im Bundes- durchschnitt 20 Prozent der Kosten von der Ebene der Länder auf die Gemeinden – noch nicht berücksichtigt. Nach ziemlich schwierigen, intensiven Diskussionen über diese Lastenverlagerung auf Länder und Ge- meinden wurde ein Kompromiss erzielt: Die bishe- rige Verteilung zwischen Bund und Ländern von 74:26 Prozent bleibt bestehen und wird für die Zu- kunft dauerhaft festgeschrieben. Die Länder erhalten zum Ausgleich ihre durch die Neuregelung entste- henden Steuerausfälle einen erhöhten Anteil an der Umsatzsteuer. Anmerkung: 5,5 Prozentpunkte. Die verfassungsrechtliche Grundlage wird durch eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes ge- schaffen. Das Finanzausgleichsgesetz setzt diese Vorgaben konkret um ... Ab 1998 wird dieser Ausgleichsbetrag der aktuellen Entwicklung angepasst. ... Auch für die Gemeinden, die an diesem Umsatzsteu- erausgleich systembedingt nicht unmittelbar partizi- pieren, ist Sorge getragen: Die Länder haben sich verpflichtet, ihnen einen fairen und vollen Ausgleich für die ihnen durch die Umstellung entstehenden Steuerausfälle zu garantieren. Das waren die Versprechungen. Die Wirklichkeit sieht ganz anders aus: Der Gesamtaufwand für das Kindergeld stieg von 43,3 Milliarden DM im Jahr 1996 auf 57,6 Mil- liarden DM im Jahr 1999. Für das Jahr 2000 liegen leider noch keine endgültigen Daten vor. Der den Ländern als Ausgleich gewährte Anteil von 5,5 Punkten Mehrwert- steuer entwickelte sich von 13 Milliarden DM im Jahre 1996 auf 13,8 Milliarden DM im Jahr 1999. Selbst wenn man unterstellt, dass die systembedingten Lasten der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16189 (C) (D) (A) (B) Kommunen unter Einschluss der Wirkung des kommuna- len Finanzausgleiches im Jahr 1996 von den Ländern voll ausgeglichen worden sind – was leider nicht passiert ist –, dann haben die damals geschaffenen Systeme in den Fol- gejahren nicht ausgereicht, um die systembedingte Belas- tung der Städte, Gemeinden und Landkreise auszuglei- chen. In den Jahren 1997 bis 1999 entwickelt sich das Defizit über 1,4 Milliarden DM auf 2,7 Milliarden DM. In den Jahren 1997 bis 1999 haben die Kommunen allein 5,5 Milliarden, DM des Kindergeldes getragen, obwohl sie zu 100 Prozent entlastet werden sollten. Große zusätzliche Risiken für die kommunale Finanz- ausstattung lassen die geplanten Veränderungen beim Kindergeld erwarten. Wenn nun das Kindergeld, wie zu vernehmen ist, um 30 DM erhöht werden soll, dann be- deutet das laut Bundesfinanzminister Waigel in der „Welt“ vom 27. März 2001 einen zusätzlichen Steueraus- fall in Höhe von 5,5 Milliarden DM. Rechnete man die- sen Betrag auf den Steuerausfall von 1999, so ergäbe das einen Aufwand für den Familienleistungsausgleich von 63,1 Milliarden DM. Auf die Kommunen entfielen dann nach kommunalem Finanzausgleich 4,1 Milliarden DM. In den Jahren 1996 bis 2000 haben sie dann 9,6 Milliar- den DM zum Kindergeld zugeschossen, obwohl sie über- haupt nicht belastet. werden sollten. Das sind dann 6,4 Prozent. Länder und Kommunen zusammen tragen dann 35,6 Prozent des Kindergeldes, obwohl sie nur 26 Prozent tragen sollten. Das ergibt einen Zahlungsüber- hang von 15,9 Milliarden DM. Die Bundesregierung lehnt ab, aufgrund dieser Situa- tion tätig zu werden. Sie ist der Auffassung, dass das eine Frage der allgemeinen Deckungsquotenberechnung sei und kein Handlungsbedarf gegeben sei. Wer soll bei die- sen Lastenverschiebungen und bei diesem plötzlichen Meinungsumschwung der Beteiligten, die noch als Mi- nisterpräsidenten an einer völlig anderen Front gekämpft haben, darauf vertrauen, dass der Bund einen fairen Las- tenausgleich vornimmt – von einer Verwirklichung des versprochenen Konnexitätsprinzips ganz zu schweigen? Die Koalition hat bei Regierungsantritt versprochen, dass nicht alles anders, aber vieles besser werden solle. Darauf hatten die Kommunen große Hoffnungen gesetzt, zumal in der Koalitionsvereinbarung vollmundige Ver- sprechungen gemacht worden sind. Konnexität heißt nichts anderes als: Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen. Sie machen große Versprechungen auf Kosten anderer. Sie lassen sich für eine Haushaltssanierung feiern und schieben die Lasten den Kommunen zu. Mit dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsi- cherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG) soll eines der kostenträchtigsten Gesetze für die Kommunen in den letzten 30 Jahren ins Werk gesetzt werden. Unab- hängig davon, wie man dazu steht – ich halte diesen Weg für falsch –, wäre dies nun die beste Gelegenheit gewesen, zu beweisen, dass man das Versprechen auch ernst meint. Nichts davon ist zu spüren. Wie immer liegen Anspruch und Wirklichkeit bei dieser Koalition meilenweit ausei- nander. Statt bei diesem Vorhaben einen ehrlichen Finanzie- rungsweg zu wählen und den Kommunen das Geld direkt über den Gemeindeanteil an der Einkommensteuer zu ge- ben, machen Sie doppelte Winkelzüge: Die Aufgabenzuweisung an die Landkreise und kreis- freien Städte erfolgt durch bundesrechtliche Regelungen: § 4 GSiG in der Fassung von Artikel 8 a des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermö- gens (zustimmungspflichtiger Teil). Dies hat für Städte, Gemeinden und Landkreise fatale Folgen. Der Bund steht in keiner direkten finanziellen Verpflichtung gegenüber den Kommunen und kann deshalb wegen der Mehrauf- wendungen von diesen rechtlich nicht direkt belangt wer- den. Die Aufgabenzuweisung ist übrigens rechtlich be- denklich, weil entgegen Artikel 84 GG hier in die Organisationshoheit der Länder eingegriffen wird. Weil die neue Aufgabe nicht durch ein Landesgesetz erfolgt, können die Kommunen die neue Aufgabenzuweisung und die damit verbundenen Mehraufwendungen nicht direkt vor den Verfassungsgerichten angreifen. Es bleibt ihnen nur der Weg über Klagen wegen mangelnder Finanzaus- stattung allgemein, in deren Rahmen dann diese Frage mit geprüft wird. Das ist ein wesentlich stumpferes Schwert als der direkte Angriff. Es ist ein klarer Bruch des mit der Koalitionsvereinbarung gegebenen Versprechens. Zur Finanzierung wählt die Koalition den Finanzfluss über mehrere Umwege durch die Landeskassen. Durch eine Änderung des Wohngeldgesetzes in Artikel 9 will der Bund den Ländern diejenigen Mehrausgaben ausglei- chen, die den Kreisen und kreisfreien Städten als Trägern der Grundsicherung und der entsprechenden Mehrauf- wendungen in der Sozialhilfe entstehen. Damit landet das Geld zunächst einmal in den Landeskassen. Aufgrund der Erfahrung ist keineswegs anzunehmen, dass diese Mittel auch voll den Kommunen weitergegeben werden. Die Er- fahrungen zeigen, dass die Finanzminister „klebrige Fin- ger“ haben und die Mittel praktisch nie vollständig wei- tergereicht wurden. Bei landesinternen Umsetzungsregelungen wurden häufig Wege gewählt, die schon nach wenigen Jahren nicht mehr nachvollziehbar waren und damit geradezu eine Einladung an die Länder waren, Mittel für sich selbst abzuzweigen. Der Familienleistungsausgleich ist ein be- redtes Beispiel dafür. So wurden zum Beispiel in Nieder- sachsen die Mittel in den kommunalen Finanzausgleich eingerechnet, und dies auch noch unvollkommen, sodass die Städte, Gemeinden und Landkreise zusätzlich auf er- heblichen Teilen der Kosten sitzen geblieben sind. Außerdem verfügen wir auch über Erfahrung mit dem Ausgleichsmechanismus „Wohngeld“. Als sich der Bund in den 80er-Jahren aus der Krankenhausfinanzierung zurückgezogen hat, erfolgte der finanzielle Ausgleich un- ter anderem – ähnlich wie das jetzt geschehen soll – da- durch, dass der Bund von der eigentlich durch die Länder zu finanzierenden Wohngeldhälfte einen Festbetrag über- nahm. Zum Ende des Jahres 2000 hat er sich aus dieser Mitfinanzierung verabschiedet, sodass nachträglich der Ausgleich entfallen ist. Wer will bei diesem Erfahrungs- horizont eigentlich darauf vertrauen, dass hier ein dauer- hafter Ausgleich zugunsten der Kommunen stattfindet? Wie auf einer so brüchigen Vertrauensbasis die Kosten- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116190 (C) (D) (A) (B) entwicklung auf Dauer gerecht ausgeglichen werden soll, kann ich mir nicht vorstellen. Daneben ist die Finanzierungsnotwendigkeit umstrit- ten; Der Bund geht in der Ursprungsdrucksache 14/4595 und auch noch in der Drucksache 14/5150 von 600 Milli- onen DM aus. Im Laufe des Vermittlungsverfahrens hat er bereits 800 Millionen DM angeboten. Die kommunalen Spitzenverbände gehen von 2 Milliarden DM aus. Die Be- rechnung des Bundes scheint wenig glaubwürdig, zumal sie auf Berechnungen und Schätzungen Datenmaterial aus dem Jahre 1997 beruht. Für den Zeitraum 1997 bis 2001 wird eine Preissteigerungsrate von 5,1 Prozent un- terstellt. Angesichts der Tatsache, dass wir im Jahre 2001 allein eine Inflationsrate von 2,5 bis 3 Prozent haben wer- den, ist das völlig unrealistisch. Nun zur Gewerbesteuerumlage. Die Gewerbesteuer- umlage wurde 1969 im Rahmen der Gemeindefinanz- reform als Ausgleich für die Beteiligung der Kommunen an der Einkommensteuer eingeführt. Richtig ist, dass in den Folgejahren die jeweiligen Bundesregierungen häufig die Gewerbesteuerumlage als direktes Ausgleichsinstru- ment zwischen Bund und Ländern einerseits und den Städten und Gemeinden andererseits gebraucht haben. Das hat dazu geführt, dass die Gewerbesteuer für die Kommunen an Bedeutung verloren hat. Ob dies richtig war oder nicht, darüber kann man streiten. Jedenfalls ist es einvernehmliche Praxis in Deutschland gewesen und deshalb müssen sich alle auch daran halten. Mit dem jetzigen Umfang der Abschöpfung gemeind- licher Einnahmen durch die Gewerbesteuerumlage ist die- ses Instrument unter systematischen Gesichtspunkten zu kritisieren. Durch den wachsenden Anteil der Gewerbe- steuerumlage am Bruttoaufkommen der Gewerbesteuer wird auf kommunaler Ebene nicht nur der Interessenzu- sammenhang zwischen Wirtschaft und Standortgemein- den, sondern auch der Charakter der Gewerbesteuer als Gemeindesteuer geschwächt. Entgegen der Behauptung des Bundes, es gebe keine unmittelbare Finanzbeziehung zwischen Bund und Kommunen, nutzt er die Gewerbe- steuerumlage immer häufiger und in großem Umfang als unmittelbares Instrument zur Abschöpfung gemeindlicher Einnahmen. Im Rahmen des Steuersenkungsgesetzes sollte die Ge- werbesteuerumlage von Bund und Ländern von rund 20 auf fast 30 Prozent angehoben werden. Dies ist zwar nicht im vollen Umfang geschehen; aber dennoch kam es im Ergebnis zu einer erheblichen Anhebung und zu einer dauerhaften Festschreibung auf einem zu hohen Niveau. Damit ist der Grad des Erträglichen überschritten. Die Verlängerung der Nutzungsdauer in den AfA-Ta- bellen schafft in den ersten Jahren Steuermehreinnahmen, weil geringere Abschreibungen erfolgen. Dadurch ent- steht bei den Steuereinnahmen eine Spitze. Wenn diese abflaut, tritt ein Loch ein, weil die vorgezogenen Steuer- mehreinnahmen dann entfallen. Im Rahmen des Steuer- senkungsgesetzes wurden diese Mehreinnahmen bei den Kommunen im Finanztableau berücksichtigt und waren Anlass zu einer unbefristeten Erhöhung der Gewerbe- steuerumlage. Hier bedarf es einer Anpassung. Mittelfris- tig sind die Mehreinnahmen, die als Basis für die Er- höhung der Gewerbesteuerumlage genommen wurden, rückläufig. Deshalb muss aus der gestreckten Abschrei- bung eine Anpassung folgen. Bei der Gewerbesteuerumlage sind noch Anpassungen offen, weil die Begründung für vormalige Erhöhungen ganz oder teilweise entfallen ist: Zur kommunalen Mitfinanzierung des Solidarpaktes wurde die Gewerbesteuerumlage in den alten Ländern er- höht. Trotz einer gesetzlichen Revisionsklausel wurde eine Neuberechnung von den Ländern ohne Begründung blockiert, obwohl die kommunalen Spitzenverbände schon für das Jahr 1995 belegt hatten, wie stark die tatsächlichen Transfers der alten an die neuen Länder un- ter den ursprünglichen Erwartungen geblieben waren. Schon im ersten Jahr des Solidarpaktes war nur eine Er- höhung der Gewerbesteuer um 16 statt der gesetzlich fi- xierten 29 Vervielfältigerpunkte gerechtfertigt. Bei der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage im Rah- men des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmensteu- erreform um zunächst 7 und ab 2001 um 6 Vervielfälti- gerpunkte hat der Gesetzgeber auf eine Befristung verzichtet, obwohl die damit abzuschöpfenden gemeind- lichen Mehreinnahmen aus dem Abbau der Drohverlust- rückstellungen 2003 auslaufen und damit die Berechti- gung auch für diese Erhöhung der Gewerbesteuerumlage weitestgehend entfällt. Als Fazit bleibt festzustellen: Es besteht bei der Ge- werbesteuerumlage dringender Handlungsbedarf. Die Bundesregierung verweigert sich diesem, obwohl sie eine Besserung der kommunalen Finanzverhältnisse verspro- chen hatte. Dies ist Ausdruck der kommunalfeindlichen Haltung der Regierung Schröder. Die Zerlegung der Gewerbesteuer hat die Aufgabe, das Steueraufkommen an Gemeinden zu verteilen, wenn ein Betrieb mehrere Betriebsstätten hat. Dabei gilt es, den richtigen Kompromiss zwischen einfacher Durchführung und Ergebnisgerechtigkeit zu erzielen. Grundsätzlich gilt nach § 29 Gewerbesteuergesetz (GewStG) der Arbeits- lohn an den einzelnen Betriebsstätten als Zerlegungsmaß- stab. Allerdings sind auch andere Formen der Zerlegung denkbar. Nach § 33 GewStG kann, wenn die Regelzerle- gung zu offenbar unbilligen Ergebnissen fährt, die Auf- teilung auch nach einem anderen Maßstab, der die tatsächlichen Verhältnisse besser berücksichtigt, erfolgen. Dabei ist gemäß § 33 Abs. 2 einer Einigung zwischen den beteiligten Gemeinden über die Steuerschuld der Vorrang zu geben. Von dieser Regelung wird im großen Umfang Gebrauch gemacht. So wurden für die Telekom und bei- spielsweise viele Energieversorgungsunternehmen, zum Beispiel in Niedersachsen die Avacon, besondere Maß- stäbe entwickelt. Wenn es keine Einigung unter den Beteiligten gibt, kann auch die Finanzverwaltung ihre Regelungen treffen. Diese flexible Regelung trägt den Be- dürfnissen der Praxis ausreichend Rechnung, sodass der Antrag auf Veränderung der Zerlegung abzulehnen ist. Das Lohngefälle vermag allein ein Abweichen von denn bisherigen grundsätzlichen Zerlegungsmaßstab nicht zu rechtfertigen, denn es ist auch eine unterschiedli- che Produktivität gegeben. Wäre das nicht der Fall, hätte Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16191 (C) (D) (A) (B) es schon längst eine Angleichung der Tariflöhne gegeben. Insofern geht Ihr Antrag in die falsche Richtung. Die Auswirkungen des Kaufes der UMTS-Mobilfunk- Lizenzen auf die Steuerzahlung der Unternehmen recht- fertigen eine Änderung bei der Gewerbesteuerumlage nicht. Hier wäre es vielmehr angebracht gewesen, die Kommunen direkt an den Einnahmen zu beteiligen. Ich fasse zusammen: Weil der Antrag zur Zerlegung der Gewerbesteuer sachlich verfehlt ist und der Antrag zur Gewerbesteuerumlage nur einen berechtigten Teilaspekt aufgreifen würde, der den Blick die Gesamtproblematik eher versperrt, wird die CDU/CSU-Bundestagsfraktion beide Anträge ablehnen. Unter der Regierung Kohl ging es uns gut. Unter der Regierung Schröder geht es uns besser. Aus kommunaler Sicht kann die Forderung nun lauten: Ach, ginge es uns doch wieder gut! Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Auswirkungen der Steuerreform werden natürlich nicht nur von Bund und Ländern getragen, sondern auch von den Kommunen. Im Rahmen der föderalen Finanzvertei- lung erhalten die Kommunen ihren Anteil an den Steuer- einnahmen und umgekehrt tragen sie natürlich auch an- teilig die Steuermindereinnahmen in Folge der Steuersenkungen. Auf eines muss an dieser Stelle einmal ganz deutlich hingewiesen werden: Wir sind es gewesen, die sich von Anfang an für den Erhalt der Gewerbesteuereinnahmen in voller Höhe und vollem Hebesatzrecht und damit der Fi- nanzautonomie der Kommunen eingesetzt haben. Wir ha- ben deshalb schon bei den konzeptionellen Überlegungen zur Steuerreform die Variante der Gewerbesteueranrech- nung auf die Einkommensteuerschuld favorisiert. Mit der Gewerbesteueranrechnung sind gleich zwei Probleme gelöst. Die Personenunternehmen sind nahezu vollständig von der Gewerbesteuer entlastet und die Kommunen behalten ihre Gewerbesteuereinnahmen und Finanzauto- nomie. Gerade dieses Element der Steuerreform bewirkt zu- sammen mit der Absenkung des Einkommensteuertarifs und des Eingangsteuersatzes eine Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen in den Städten und Gemeinden. Für uns stand die ganze Zeit fest. Die Reform der Un- ternehmensbesteuerung und dreistufige Absenkung der Einkommensteuer sind gemeinsame Reformanstrengun- gen von Bund, Ländern und Kommunen. An der Finan- zierung dieser Entlastungen für Bürger und Unternehmen sind alle staatlichen Ebenen anteilig beteiligt, also auch die Kommunen. Unsere Steuerentlastungen verbessern die Bedingungen für Investitionen, erhöhen die verfüg- baren Einkommen in den Kommunen und begünstigen damit die Schaffung von Arbeitsplätzen. Die Früchte dieser Politik werden steigende Einnah- men bei der Gewerbesteuer und geringere Belastungen aus der Finanzierung zum Beispiel von Sozialleistungen sein. Dies kommt vor allem den Kommunen zugute. Der Anteil der Kommunen an den reformbedingten unmittel- baren Steuerausfällen liegt mit durchschnittlich rund 9 Prozent von 2001 bis 2006 noch wesentlich unterhalb ihres Anteils an den gesamten Steuereinnahmen der Ge- bietskörperschaften. Dieser Anteil beträgt rund 12 Pro- zent. Erst ab 2005 steigen die Steuerausfälle der Kommu- nen deutlich an, bleiben aber anteilig mit rund 11 Prozent weiterhin unterhalb des Anteils der Kommunen an den gesamten Steuereinnahmen. Ich halte fest: Die Kommunen sind demzufolge unter- proportional an der Finanzierung der Steuerreform betei- ligt. Auch aus der Statistik über die kommunalen Einnah- men der Kommunen für das Jahr 2000 ergibt sich, dass sich die finanzielle Lage in der Summe – Finanzierungs- saldo oder Nettokreditaufnahme – eher entspannt hat. Un- abhängig davon befinden sich die einzelnen Kommunen in sehr unterschiedlichen Haushaltslagen. Dies gilt im Grunde auch für Kommunen in den neuen Ländern, je nach wirtschaftlicher Entwicklung und Höhe der Arbeits- losigkeit. Die PDS fordert in dem einen Antrag die Rücknahme der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage im Rahmen der Steuerreform. Diesem Begehren werden wir nicht zu- stimmen, weil von der Tendenz her die Städte und Ge- meinden die Gewinner der Unternehmensteuerreform sind. Die Mehreinnahmen ergeben sich im Wesentlichen aus den zur Gegenfinanzierung der Steuerreform vorge- sehenen veränderten Abschreibungsbedingungen. Diese verbreitern die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer und führen so unter dem Strich sogar zu mehr Gewerbe- steuereinnahmen. Durch die Erhöhung der Gewerbe- steuerumlage in der verabschiedeten Form wird in der Summe eine angemessene Beteiligung der Kommunen an der Steuerreform erreicht. An der Finanzierung der Tarif- reform in der Einkommensteuer sind die Kommunen in etwa in Höhe ihres 15-prozentigen Anteils am Gesamt- aufkommen beteiligt. Die Erhöhung der Gewerbesteuer- umlage ist ansteigend gestaltet in den Jahren 2001 bis 2005 und wird ab 2006 abgemildert. Da die finanziellen Mehreinnahmen der Kommunen wegen der veränderten Abschreibungsbedingungen zwangsläufig auf Schätzwer- ten beruhen, hat sich die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dafür eingesetzt, dass spätestens Anfang des Jahres 2004 eine Überprüfung der Höhe der Gewerbesteuerumlage er- folgt. So wird es jetzt auch gemacht. In einem weiteren Antrag der PDS wird eine Änderung des Zerlegungsmaßstabs des Gewerbesteuermessbetrages vorgeschlagen. Die PDS schlägt vor, von der bisherigen Lohnsumme abzugehen und die Gewerbesteuer nach Maßgabe der Arbeitsplätze und des Wertes der Betriebs- anlagen aufzuteilen. Sie erweckt damit den Eindruck, als könne eine veränderte Gewerbesteueraufteilung das Ein- nahmeproblem vieler ostdeutscher Städte und Gemeinden lösen. Erst mehr wirtschaftliche Aktivitäten werden die- ses Dilemma beseitigen. Den vorgeschlagenen veränder- ten Maßstab halten wir nicht für geeignet. Solange es die Gewerbesteuer gibt, ist der Anteil der Arbeitslöhne besser geeignet als die Anzahl der Arbeitsplätze, weil die Ge- werbesteuer eine Steuer auf einen Teil der Wertschöpfung ist. Deswegen sollte auch eine Aufteilung entsprechend der Höhe der Wertschöpfung je Kommune erfolgen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116192 (C) (D) (A) (B) Kommt man im Rahmen der ausstehenden kommuna- len Finanzreform zu dem Ergebnis, dass die Gewerbe- steuer abgeschafft wird und ein Hebesatzrecht der Kommunen im Rahmen der Einkommenssteuer oder Um- satzsteuer eingeräumt wird, dann muss auch der Vertei- lungsschlüssel neu gestaltet werden. Strukturschwachen Gemeinden und Kommunen, also insbesondere auch für viele Gegenden der neuen Länder, muss im Rahmen einer gezielten Strukturpolitik geholfen werden, und zwar nicht mit veränderten Schlüsselzahlen im Rahmen der Gewer- besteuer. Gerhard Schüßler (F.D.P.): Das Grundanliegen der beiden vorliegenden Anträge der PDS-Fraktion ist die ausreichende Finanzausstattung der Gemeinden. Diesem Anliegen wird jedes Mitglied dieses Hauses uneinge- schränkt zustimmen. Bei der Frage, wie wir für eine aus- reichende Finanzausstattung der Gemeinden sorgen kön- nen, scheiden sich allerdings die Geister. Um es gleich vorwegzunehmen: Die F.D.P. bleibt bei ihrer Forderung, die Gewerbesteuer endgültig abzuschaf- fen. Bei der Gewerbekapitalsteuer ist das bereits gelun- gen. Grund dafür war allerdings nicht die Einsicht, dass diese Steuer die Unternehmen schwächt. Alles, weil die Einführung dieser Substanzsteuer in den neuen Ländern drohte, konnte beseitigt werden. Die Kommunen benöti- gen eine wirtschaftskraftbezogene eigene Steuerquelle, das heißt, sie müssen mittels eines Hebesatzrechtes die Höhe der Steuer festlegen können. Die F.D.P. schlägt vor, im Gegenzug zum Wegfall der Gewerbeertragsteuer auf Gemeinden ein eigenes Hebe- satzrecht auf die Einkommensteuer, alternativ auf die Umsatzsteuer, einzuräumen. Die Gewerbeertragsteuer ist eine Sonderbelastung der Unternehmen. Gerade die PDS müsste daran interessiert sein, diese Belastung zu beseiti- gen, um dadurch Entlastungseffekte auch für ostdeutsche Unternehmen zu erzielen. Der Wegfall der Gewerbeer- tragsteuer wäre gleichzeitig ein spürbarer Beitrag zur Ver- einfachung unseres Steuerrechts. Wir müssten uns dann nicht mit hochkomplizierten Verrechnungsmodalitäten und mit der Höhe der Gewerbesteuerumlage befassen. Die vorliegenden Anträge lehnt die F.D.P. daher ab. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Entwürfe: – Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsge- setzes – Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsge- setzes und des Ausländergesetzes und zur Beratung des Antrags: „Schlussoffensive“ für erleichterte Einbürgerung von Kindern (Tagesordnungspunkt 21 a und b) Dr. Michael Bürsch (SPD): Nahezu zwei Jahre sind seit der Verabschiedung des neuen Staatsangehörigkeits- rechts durch den Deutschen Bundestag vergangen, das reformierte Staatsangehörigkeitsgesetz ist seit dem 1. Ja- nuar 2000 in Kraft. Heute haben wir über die Verlänge- rung der Regelungen zur vereinfachten Kindereinbürge- rung zu entscheiden. Dies ist eine gute Gelegenheit, eine erste Bilanz über das neue Staatsangehörigkeitsrecht zu ziehen. Zwar ist die Datenbasis noch zu schmal, um quantita- tive Aussagen zu treffen, da die Einbürgerungsbehörden erst jetzt damit beginnen, ihre Angaben dem Statistischen Bundesamt zu übermitteln. Aber in einer ersten qualitati- ven Bewertung können wir bereits feststellen, dass die Kernpunkte der Reform greifen – und dass sich das Be- wusstsein in der Bevölkerung ändert, dass über Integra- tion, Staatsangehörigkeit und Zuwanderung heute diffe- renzierter diskutiert werden kann, als dies noch vor zwei Jahren der Fall war. Ich nenne hier Staatsangehörigkeit, Integration und Zuwanderung bewusst in einem Zusam- menhang, denn die Reform des Staatsangehörigkeitsge- setzes war nur der erste Schritt bei der grundlegenden Er- neuerung unseres Ausländer- und Einwanderungsrechts. Dies wird eines der wichtigsten politischen Vorhaben der nächsten Jahre sein und wir sollten hier die Mahnung des Bundespräsidenten beherzigen: Die Diskussion muss so geführt werden, dass weder Angst geschürt noch Illusio- nen geweckt werden. Am heutigen Tag können wir eine weitere erfreuliche Feststellung treffen: Alle Bundestagsfraktionen außer der CDU/CSU sind sich einig, dass der frühzeitigen Integra- tion der in Deutschland aufwachsenden Kinder ausländi- scher Familien eine überragende Bedeutung zukommt. SPD, Bündnis 90/Die Grünen, F.D.P. und PDS tragen ge- meinsam den Antrag, die Regelung zur erleichterten Kin- dereinbürgerung zu verlängern. Bei den Kolleginnen und Kollegen aus den Reihen der Union fehlt es leider auch heute an der Bereitschaft, sich an der Suche nach den bes- ten Lösungen für die zentralen Fragen der Innenpolitik zu beteiligen. Das ist umso bedauerlicher, als viele von ihnen heute schon ganz anders über Zuwanderung denken als vor zwei Jahren. Vor einer Woche haben Sie sich einem gemeinsamen Antrag gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus verweigert. Beim NPD-Verbotsan- trag haben Sie nicht zu einer einheitlichen Linie gefunden. Während die bayerische Landesregierung den Verbotsan- trag nachdrücklich gefordert hat, konnten Sie sich hier im Bundestag nicht zu einem gemeinsamen Vorgehen aller demokratischen Parteien entschließen. Heute stellen Sie sich wiederum gegen ihre Landesregierungen. Die hessi- sche CDU/F.D.P.-Koalition – man höre und staune – hat in den Ausschussberatungen des Bundesrates die Verlän- gerung der bisherigen Regelung zur vereinfachten Kin- dereinbürgerung um ein Jahr vorgeschlagen. Hier können Sie sich an Roland Koch ausnahmsweise einmal ein Vor- bild nehmen! Wieder einmal kann man es nicht besser sagen als mit den Worten von Willy Brandt: „Ich dachte, wir wären schon weiter.“ Wie wollen Sie glaubwürdig über Zuwan- derung diskutieren, wenn Sie schon der Integration der hier im Lande geborenen Kinder Steine in den Weg legen? Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16193 (C) (D) (A) (B) Die Debatte über Zuwanderung und Integration von Ausländern ist in Bewegung geraten und zum Glück wird sie zunehmend sachlicher geführt. Wir haben mit der Än- derung des Staatsbürgerschaftsrechts den Anfang ge- macht. Millionen Menschen, die dieses Land mit aufge- baut haben, die erheblich zum wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands beitragen, die sich ehrenamtlich engagieren und unsere Gesellschaft nachdrücklich geprägt und berei- chert haben, wurde mit der Reform das Angebot rechtli- cher Gleichstellung und politischer Teilhabe gemacht. Staatsangehörigkeit kann Integration nicht ersetzen, aber sie kann und muss sie ergänzen. Die Bedeutung der Staatsangehörigkeit für die Integration darf nicht über- schätzt, sie darf aber auch nicht unterschätzt werden. Erst die Staatsangehörigkeit gewährleistet einen verlässlichen Status, der ein wirklich gleichberechtigtes Zusammenle- ben erst ermöglicht. Wenn dies schon für die Elterngeneration richtig ist, dann gilt dies erst recht bei den Kindern. Der Kernpunkt der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, die Ergän- zung des Abstammungsprinzips durch das Geburtsrecht, das Jus soli, soll es den hier geborenen Jugendlichen er- leichtern, sich mit ihrem Heimatland Deutschland zu identifizieren. Rund 50 000 der im vergangenen Jahr in Deutschland geborenen Kinder ausländischer Eltern be- sitzen aufgrund der neuen Regelung bereits von Geburt an die deutsche Staatsangehörigkeit. Diese Möglichkeit soll auch weiterhin ihren nur we- nige Jahre älteren Geschwistern offen stehen. Leider blieb die Zahl der Einbürgerungsanträge auf Grundlage der be- fristeten Regelung des § 40 b des Staatsangehörigkeitsge- setzes hinter den Erwartungen zurück. Bis zum Ablauf der Antragsfrist wurde nur für höchstens 30 000 der über 300 000 einbürgerungsberechtigten Kinder ein Antrag ge- stellt. Nach den Erfahrungen der Einbürgerungsbehörden haben vor allem die überhöhten Gebühren von 500 DM dazu beigetragen, dass die vielfach einkommensschwa- chen Familien vor einem Antrag zurückschreckten. Am Sinn der Regelung zur Kindereinbürgerung be- steht kein Zweifel. Wir wollen diesen Kindern im Klein- kind-, Kindergarten- und Grundschulalter die bestmögli- chen Integrationsbedingungen bieten. Denn in den Kindergärten und Schulen entscheidet sich, ob die Inte- gration in unserem Land gelingt. Dies sind die Lernorte des Zusammenlebens. Es wäre für die Betroffenen nicht nachvollziehbar, wenn in einer Familie die beiden älteren Geschwister – sa- gen wir einmal: im Alter von zwei und vier Jahren – nicht das Optionsrecht auf die deutsche Staatsangehörigkeit ha- ben, während ihre neugeborene Schwester den deutschen Pass in die Wiege gelegt bekommt. Einen solchen Riss durch die Familien wollen wir vermeiden. Deshalb wollen wir die Antragsfrist um zwei Jahre, bis zum 31. Dezember 2002, verlängern. Wir wollen darum werben, den Rechtsanspruch auch zügig einzulösen, des- halb bleibt es bei einer Befristung. Wir senken aber gleichzeitig die Einbürgerungsgebühr von 500 DM auf 100 DM, da sich die Höhe der Gebühr, zumal bei kinder- reichen Familien, als erhebliches Hemmnis für die Ein- bürgerungsbereitschaft erwiesen hat. Diese Absenkung um 400 DM pro Kind bedeutet ver- kraftbare Einnahmeausfälle heute, aber eine erhebliche Ersparnis an Anstrengungen und Kosten in der Zukunft, wenn die Integration im Erwachsenenalter mit ungewis- sen Erfolgsaussichten nachgeholt werden muss. Einen kleinkarierten Streit über die angemessene Höhe der Ver- waltungsgebühren sollten wir uns ersparen und stattdes- sen klarstellen, wie wichtig – und wie viel wert – uns die frühzeitige Integration der in Deutschland aufwachsenden Kinder ausländischer Familien ist. Wir machen mit der heutigen Entscheidung einen wei- teren Schritt zur erleichterten Einbürgerung von Auslän- dern. Der nächste, erheblich größere Schritt wird die Regelung von Zuwanderung und Integration sein, die wir noch in diesem Jahr auf den Weg bringen werden. Ich hoffe, dass wir dann alle Fraktionen dieses Hauses im Boot wiederfinden. Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Das Thema gibt Anlass darauf hinzuweisen, dass es hinsichtlich der Integration von in Deutschland lebenden Ausländern un- terschiedliche Lösungsansätze und Grundpositionen gibt, die verschiedener kaum sein könnten. Da ist zum einen die Position derer, die das deutsche Staatsangehörigkeits- recht zum 1. Januar 2000 geändert haben, die heute zu die- sem Gesetz das fünfte oder sechste Änderungsgesetz – irgendwann hört man mal auf zu zählen – einbringen und die der Auffassung sind, der Pass sei das geeignete Mittel zur Integration. In der Konsequenz bedeutet diese Meinung nichts anderes als: Wenn man nur möglichst viele Pässe verteilt, dann gibt es möglichst wenig Pro- bleme mit der Integration. Das ist aber nicht unsere Posi- tion. Wir sehen es genau umgekehrt: Zunächst kommt für uns die Integration, und dann – nach erfolgtem und erfol- greichem Integrationsprozess – kommt der Pass. Also nicht der Pass als Mittel zur Integration, sondern die Ver- leihung der Staatsbürgerschaft am Ende des Integrations- prozesses. Dass der Pass nicht automatisch zur Integration in Deutschland führt, kann man, wenn man nicht völlig blind ist, wirklich klar beobachten. Mehr als eine Million Men- schen haben sofort einen deutschen Pass erhalten, als sie aus einem völlig anderen Kulturkreis nach Deutschland kamen. Sie hätten eigentlich sofort und ohne Probleme nach rot-grüner Logik integriert sein müssen. Aber wol- len Sie im Ernst die Probleme bestreiten, die wir mit Spätaussiedlern – etwa aus Kasachstan – haben? Wollen Sie im Ernst behaupten, gerade die Jüngeren aus dieser Gruppe würden sich dank des deutschen Passes hier gera- dezu optimal und problemfrei integrieren? Ich müsste Sie dann schon fragen, wo Sie eigentlich leben. Wer diese Probleme nicht sieht oder nicht sehen will, der leidet ent- weder unter Realitätsverlust oder unter einer schlimmen Ideologie. Beides wäre bedenklich. Im Übrigen, gestatten Sie den Hinweis, ging und geht es Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von Rot- Grün, natürlich um mehr: Sie wollen allen in Deutschland lebenden Ausländern die generelle doppelte Staatsbürger- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116194 (C) (D) (A) (B) schaft geben, sind damit aber am Widerstand der Bevöl- kerung und der Opposition von CDU und CSU geschei- tert. Aufgegeben haben Sie Ihr Vorhaben, so ist zu be- fürchten, dass sie es jetzt in kleinen Schritten nicht nur verwirklichen. Damit hatten Sie allerdings die Menschen hinters Licht geführt. Wir werden Ihnen das nicht so ohne weiteres durchgehen lassen. Sie setzen ihr Stückwerk fort, allerdings so, dass wie- der Stückwerk entsteht, sodass die nächsten Änderungs- gesetze schon vorprogrammiert sind. Vielleicht möchte der Bundesinnenminister in Sachen Änderungsgesetzge- bung – von der Anzahl her gesprochen, über Qualität ist in diesem Zusammenhang schon lange nicht mehr zu re- den – seinen Kollegen Riester oder die ehemalige Kolle- gin Fischer noch toppen. Nur möchte ich klar sagen: Das Staatsangehörigkeitsrecht ist eine sensible Materie, es ist ein Rechtsgebiet, welches mehr als andere auf Kontinuität und Berechenbarkeit angelegt ist. Das liegt in der Natur der Sache. Wenn ihre Änderungsgesetzgebung nun nicht aus handwerklichem Unvermögen, sondern gar aus Ab- sicht geschähe, dann wäre dies bei dieser Materie sehr zu kritisieren. Es wäre nämlich in hohem Maße verantwor- tungslos. Nun soll also, vermutlich nach dem Willen einer Mehr- heit hier im Deutschen Bundestag, das Staatsangehörig- keitsrecht erneut geändert werden. Im Wesentlichen soll für die Kinder von Ausländern, die bei In-Kraft-Treten des Gesetzes am 1. Januar 2000 noch keine zehn Jahre alt gewesen sind, die Frist, innerhalb der erklärt werden kann, dass auch diese Kinder zusätzlich die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten und die am 31. Dezember 2001 ablaufen wird, gleich um zwei Jahre verlängert wer- den; außerdem soll die Gebühr für diese Einbürgerungen von 500 DM auf 100 DM gesenkt werden, was dann zwar nicht mehr kostendeckend, aber, nach Auffassung von Rot-Grün und leider auch der F.D.P., ein Integrations- hemmnis beseitigen würde. Es wird sicherlich niemanden verwundern, dass wir von CDU/CSU dem kei- nesfalls zustimmen können. Die vorgesehene Verlänge- rung der Antragsfrist für Einbürgerungen nach § 40 b StAG betrifft eine Gesetzesbestimmung, welcher wir im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts bereits von Anfang an aus grundsätzlichen Erwägungen widersprochen haben. Mit dieser Vorschrift wird nämlich der Grundsatz der Vermei- dung von Mehrstaatigkeit massiv infrage gestellt. Damit wird ein das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht maßgeb- lich prägender Grundsatz eklatant verletzt. Wir wollen auch in Zukunft im Grunde genommen mehrere Staats- bürgerschaften bei einer Person vermeiden, Sie aber, Kol- leginnen und Kollegen von Rot-Grün, haben ja eine an- dere Auffassung, können mit der Verletzung dieses Eckpfeilers des Staatsangehörigkeitsrechts aber gut leben. Mit einem müssen Sie allerdings auch leben, nämlich, dass wir unsere Meinung sagen und als Opposition im Deutschen Bundestag Ihre Meinung, die übrigens ja auch von einer ganz klaren Mehrheit der Bevölkerung für falsch und inakzeptabel gehalten wird, deutlich kritisie- ren. Also: Mit dieser berechtigten Kritik unsererseits wer- den Sie heute, aber auch bei Ihren weiteren Vorhaben, ein- fach leben müssen, auch wenn es weh tut. Auch unter integrationspolitischen Gesichtspunkten ist das rot-grün-gelbe Gesetzeswerk durchgreifenden Beden- ken ausgesetzt. Die Vorschrift eröffnet auch dann einen Einbürgerungsanspruch, wenn Kinder von Ausländern gar nicht in Deutschland leben, sondern im Ausland auf- wachsen, dort die Schule besuchen, kein Wort Deutsch sprechen, Deutschland nie kennen gelernt oder vielleicht überhaupt noch nie gesehen haben. In diesen, in der Pra- xis nicht seltenen, Fällen kann die mit der Einbürgerung intendierte Integrationserleichterung überhaupt nicht funktionieren, sie ist von vornerherein absolut ausge- schlossen. Gesetzeszweck und das vorgelegte Gesetz ste- hen einander wirklich diametral gegenüber. Behaupten Sie bitte nicht, dass dies Einzelfälle wären. Ausländer- behörden beantworten die Frage, wie viele dieser jungen, bei uns geborenen Menschen zum Zwecke des Schulbe- suchs und der Ausbildung in das Heimatland Türkei ver- bracht werden, mit 30 bis 40 Prozent. Das sind also nicht nur Ausnahmefälle, die man vernachlässigen könnte! Mit der geplanten Verlängerung der Antragsfrist nach § 40 b StAG um weitere zwei Jahre verantworten Sie, dass die integrationspolitisch bedenklichen Fälle in Zukunft deut- lich zunehmen könnten. Sie leisten der Sache insgesamt damit allerdings einen Bärendienst. Sie wollen die Einbürgerungsgebühr von 500 DM auf 100 DM senken. Auf Länderebene – und da sitzen ja die Praktiker – geht man davon aus, dass die nach rot-grüner Auffassung zu niedrigen Antragszahlen überhaupt nicht auf die Höhe der Einbürgerungsgebühr zurückzuführen sind. Schon deshalb ist die entsprechende Behauptung in der Gesetzesbegründung des Gesetzentwurfs von SPD, Grünen und F.D.P. nicht zutreffend. Aber es gibt weitere Gründe, warum diese drastische Gebührenabsenkung nicht akzeptiert werden kann. Mit der „Discount-Gebühr“, die jetzt eingeführt werden soll, werden die entstehenden Kosten bei weitem nicht ge- deckt. Die tatsächlichen Kosten betragen mindestens das Doppelte. Nun verfährt die rot-grüne Bundesregierung hier nach einem Grundsatz, den wir leider aus vielen an- deren Bereichen nur zu gut kennen: In Berlin beschließen Rot und Grün, bezahlen dürfen dann die Länder und Kom- munen. So geht das nicht! Diese kommunalfeindliche Einstellung wird immer auf unseren erbitterten Wider- stand treffen! Was ist eigentlich mit dem viel zitierten Verursacher- prinzip, das Sie hier mit Füßen treten? Ich vermag nicht einzusehen, warum die tatsächlich entstehenden Kosten bei Einbürgerungsverfahren von der Allgemeinheit der kommunalen Gebühren- und Steuerzahler gezahlt werden soll, nur weil es einer rot-grün-gelben Mehrheit im Deut- schen Bundestag so in den Kram passt. Wer bestellt, soll auch bezahlen! Das muss auch bei der Einbürgerung gel- ten! Die Gebühr wäre bei Kostendeckung ja ganz sicher nicht so hoch, dass jemand, dem es Ernst ist mit der deut- schen Staatsangehörigkeit, sich davon abhalten ließe. Das wäre doch geradezu absurd! Zu absurden Ergebnissen würde im Übrigen das Wei- terentwickeln ihrer Logik führen. Wissen Sie, meine Da- men und Herren von SPD, Grünen und F.D.P. und PDS: Wenn die Einbürgerungsgebühr ein Hemmnis für den Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16195 (C) (D) (A) (B) Einbürgerungsantrag ist und sich nach Absenken der Ge- bühr nach zwei Jahren immer noch nach Ihrer Lesart zu wenig Einbürgerungsanträge angesammelt haben, dann müssten sie eigentlich eine Einbürgerungsprämie ausset- zen. Ja, das wäre dann in der Tat absurd, aber diese Zu- spitzung zeigt, wie falsch sie schon im Ansatz liegen. Auch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten ist übrigens die Senkung der Gebühr von 500 DM auf 100 DM be- denklich. Was ist eigentlich mit den Eltern, welche den Antrag nach geltendem Recht fristgerecht gestellt haben, sich also rechtstreu verhalten haben, und eine fünfmal so hohe Gebühr bezahlt haben? Was werden Sie diesen El- tern sagen, wenn diese Sie fragen: Wie ist das gerechtfer- tigt oder ist das nicht sogar eine willkürliche Ungleichbe- handlung? Darauf hörte ich gerne eine Antwort von Ihnen, was Sie diesen Menschen dann sagen. Und wie Sie die in- nere Logik auch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten ih- rer Regierungs- und Gesetzgebungskunst dann auch im Grundsätzlichen rechtfertigen. Aber vielleicht ist diesen Menschen ja auch zu antwor- ten: Wartet noch ein bisschen zu, mit euren hunderttau- sendfachen Einbürgerungsanträgen. SPD, F.D.P. Grüne und PDS im Deutschen Bundestag, eine satte Mehrheit je- denfalls, will euch alle einbürgern. Koste es, was es wolle. Und vielleicht kostet es in zwei Jahren nicht einmal mehr die hundert Mark, vielleicht gibt es die deutsche Staats- angehörigkeit dann ganz umsonst. Vielleicht, wer weiß, kommt sie irgendwann ja doch noch, die rot-grüne Ein- bürgerungsprämie dafür, dass man endlich die deutsche Staatsbürgerschaft annimmt. Hoffentlich kommt es aber nie so weit. Denn bis dahin haben wir, das hoffe jedenfalls, wieder andere Mehrheits- verhältnisse im Deutschen Bundestag. Und diese Mehr- heit wird dann dem absurden Spuk im Interesse einer ganz großen Mehrheit der Deutschen, in Wahrheit aber auch im Interesse der Integration der bei uns lebenden Ausländer, ein Ende bereiten. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeits- gesetzes vom Juli 1999 sieht eine erleichterte Einbürge- rung für Minderjährige, die nach dem 1. Januar 1990 geboren wurden, bis zum 31. Dezember 2000 vor. Von diesem Recht haben bis zum Ende letzten Jahres jedoch lediglich zehn Prozent der etwa 300 000 berechtigten Kin- der Gebrauch gemacht. Vor allem die Einbürgerungsgebühr von 500 DM ist für viele Eltern ein Hindernis, den für die frühzeitige Integra- tion der Kinder notwendigen Antrag zu stellen. Dies wird uns vor allem von Beratungsstellen und Ausländerbeauf- tragten immer wieder berichtet. Es ist den betroffenen El- tern oft nur schwer zu vermitteln, weshalb ihr Kind, das im Jahr 2000 hier geboren wurde, kraft Gesetz und damit gebührenfrei die deutsche Staatsangehörigkeit erhält, während sie für jedes noch nicht zehnjährige Kind einen gesonderten Antrag stellen und die Gebühr von 500 DM wie bei der Einbürgerung eines Erwachsenen zahlen müssen. Die heute zur Beratung anstehenden Gesetzentwürfe sind vor diesem Hintergrund ein positiver Schritt. So soll die Frist für die Einbürgerung ausländischer Kinder um zwei Jahre bis zum 31. Dezember 2002 verlängert wer- den. Gleichzeitig soll die Hürde hoher Verwaltungskosten entfallen und die Gebühren für die Kindereinbürgerung auf 100 DM gesenkt werden. Dies soll auch für alle sons- tigen Einbürgerungen Minderjähriger gelten. Erfreulich ist auch, dass die Gesetzentwürfe der Koali- tion und der F.D.P. in den Ausschüssen zusammengeführt werden konnten – sozusagen als Konsens der Demo- kraten. Für sich selbst spricht das Verhalten der Union: Wie schon bei der Ablehnung eines gemeinsamen Antrags zum Thema „Bekämpfung des Rechtsextremismus“ in der vergangenen Woche verweigert sie sich auch bei diesem wichtigen integrationspolitischen Thema und gerät so im- mer weiter ins Abseits. Denn die vorgeschlagenen Geset- zesänderungen bieten eine neue Chance für die rechtliche Integration ausländischer Kinder. Auch wenn die Zahl der berechtigten Kinder nicht größer wird, so besteht doch eine erneute Möglichkeit zur Einbürgerung für diejeni- gen, die diese bisher nicht wahrgenommen haben. Vor dem Hintergrund, dass in fast allen Parteien und bei den Bürgerinnen und Bürgern die Einsicht wächst, dass Inte- gration möglichst früh beginnen sollte, verschenken wir eine einmalige Chance, wenn wir nicht alles Mögliche tun, auch den Integrationsprozess der bereits heute hier le- benden Kinder bis zu zehn Jahren, die in Kindergarten und Schule erste prägende Erfahrungen gemacht haben, möglichst frühzeitig zu erleichtern. Um der Gesetzesinitiative zum Erfolg zu verhelfen, sind allerdings insbesondere die Bundesländer gefragt. Ich fordere daher die Länder auf, bei den Beratungen im Bundesrat ihre teilweise kleinmütige Haltung gegenüber dieser Gesetzesänderung aufzugeben und ihr zuzustim- men. Bornierte haushaltspolitische Vorbehalte gegen die abgesenkte Einbürgerungsgebühr helfen nicht weiter. Ich appelliere ausdrücklich an die Kolleginnen und Kollegen der F.D.P., darauf hinzuwirken, in den Koalitionsver- handlungen in Baden-Württemberg ihr eigenes Anliegen nochmals einzubringen. Wer der rechtlichen Gleichstellung selbst hier gebore- ner ausländischer Kinder Steine in den Weg legt, dem liegt deren Integration offensichtlich nicht am Herzen. Dr. Max Stadler (F.D.P.): Die Erfahrung der letzten Jahre hat gezeigt, dass der Gesetzgeber gut beraten ist, bei Änderungen des Staatsangehörigkeitsrechts behutsam vorzugehen. Nur dann ist die Akzeptanz in der Bevölke- rung gewährleistet. Die grundlegende Modernisierung des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 1999 hat unter maßgeblichem Einfluss der F.D.P. diese Anforde- rungen erfüllt. Nun muss sich das neue Recht in der Pra- xis bewähren. Für einschneidende Änderungen ist daher kein Raum. Dennoch muss der Gesetzgeber korrigierend eingreifen, wenn einzelne Vorschriften des neuen Rechts sich schon nach kurzer Zeit nicht als praxistauglich er- wiesen haben. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116196 (C) (D) (A) (B) Die F.D.P. war der Überzeugung, dass ein möglichst frühzeitiger Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit den hier aufwachsenden Kindern ausländischer Eltern die Integration in Deutschland wesentlich erleichtert. Dieses Integrationsangebot wurde auch den Kindern gemacht, die bereits vor der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts geboren worden sind, wenn sie das zehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Die Frist hierfür ist Ende 2000 abgelaufen. Es hat sich gezeigt, dass eine Verlängerung dieser Frist geboten ist. Von der Regelung ist nicht in dem von uns er- hofften Umfang Gebrauch gemacht worden. Dafür gibt es sicherlich unterschiedliche Gründe. Von den Betroffenen wird aber als einer der Hauptpunkte die zu hohe Einbür- gerungsgebühr von 500 DM pro Kind genannt. Von der Möglichkeit der Gebührenermäßigung oder Gebührenbe- freiung zugunsten der Antragsteller wurde in der Praxis kaum Gebrauch gemacht. Daher hat die F.D.P. die Initia- tive ergriffen, dieses finanzielle Einbürgerungshindernis zu beseitigen, und vorgeschlagen, die Einbürgerungs- gebühr für minderjährige Kinder generell auf 100 DM herabzusetzen. Selbst wenn die Verwaltungskosten etwas höher sein sollten, erscheint uns der erzielbare Integrati- onsfortschritt diesen Preis wert. In der Konsequenz dieses Vorschlages haben wir auch für eine Verlängerung der Einbürgerungsfrist um ein Jahr plädiert. Diese Initiative der F.D.P. hatte den Erfolg, dass seitens der Koalition ein eigener Gesetzentwurf vorgelegt wurde, der sich vom F.D.P.-Entwurf nur darin unterscheidet, dass die Einbürgerungsfrist bis 31. Dezember 2002 verlängert werden soll. Dem ist jetzt zuzustimmen, da das Gesetz- gebungsverfahren bereits mehrere Monate in Anspruch genommen hat, sodass eine Fristverlängerung bis Ende 2001 nicht mehr ausreichen würde. Die F.D.P.-Fraktion begrüßt die jetzt im Innenaus- schuss gefundene gemeinsame Beschlussvorlage aus- drücklich, hat doch noch im letzten Jahr die Bundesregie- rung auf eine Anfrage unserer Fraktion erklärt, keinerlei Änderungsbedarf in dem von uns gewünschten Sinne zu sehen. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie konstruktive Oppositionspolitik betrieben wird und auch aus der Min- derheitenposition heraus Verbesserungen erreicht werden. Unser weiterer Antrag, eine „Schlussoffensive“ für die Einbürgerung minderjähriger Kinder zu starten, hat sich damit derzeit erledigt Ulla Jelpke (PDS): Das so genannte reformierte Staatsangehörigkeitsrecht war bisher eine einzige Enttäu- schung. Die Zahlen der tatsächlichen Einbürgerungen entsprechen bei weitem nicht den hoch gesteckten Erwar- tungen, die mit dem In-Kraft-Treten des neuen Staatsan- gehörigkeitsgesetzes verbunden waren. Die Bundesregie- rung hat damals von einer halben bis 1 Million potenzieller Einbürgerungen gesprochen. Die Realität sieht anders aus: Im Februar 2001 wurde die Staatssekretärin Dr. Sonntag- Wolgast in der Presse mit der Aussage zitiert, es habe im Jahre 2000 „etwa 200 000 Einbürgerungen“ gegeben. Ge- naue Zahlen ist die Bundesregierung auch nach einer Klei- nen Anfrage der PDS schuldig geblieben. Die Entwicklung ist für die Bundesregierung enttäu- schend, und sie lässt sich nicht mehr schönreden. Die Gründe dafür sind vielfältig und beruhen auf den gravie- renden Schwachstellen des geltenden Rechts. Vor diesem Hintergrund hat der Innenausschuss mit seiner Beschluss- empfehlung einen wichtigen Schritt gemacht. Auf Antrag der PDS schlägt er vor: Die Bundesregierung soll aufge- fordert werden, das Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit zu unterzeichnen und zur Ratifi- zierung vorzulegen. Worum geht es dabei? Das Staatsangehörigkeitsgesetz zwingt die in Deutschland geborenen Kinder ausländi- scher Eltern, die eine „Schnupperstaatsangehörigkeit“ un- ter Beibehaltung ihrer bisherigen Nationalität erworben haben, sich bis zum 23. Lebensjahr für eine der beiden Staatsangehörigkeiten zu entscheiden. Das Ausländerge- setz verlangt in den übrigen Fällen, dass der Einbürge- rungsbewerber vor Antragstellung die bisherige Staatsan- gehörigkeit verloren hat oder aufgibt. Man kann sich vorstellen, welche seelischen Konflikte damit ausgelöst werden. Viele Menschen haben noch enge – emotionale, kulturelle, rechtliche – Beziehungen zu dem Land, aus dem sie gekommen sind. Diese Bin- dungen drohen zu zerreißen, wenn sie die bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben. Viele Eltern haben Angst vor „Loyalitätskonflikten“ zwischen ihnen und der alten Heimat einerseits und den Kindern andererseits. Für sie ist es undenkbar, dass ihre Kinder die alte Staatsangehörig- keit aufgeben, weil sie noch enge emotionale und auch bürgerlich-rechtliche Bindungen an das Herkunftsland haben, die sie nicht aufgeben, sondern im Gegenteil pfle- gen und erhalten wollen. Weil man auf Teufel komm raus an der Fiktion festhalten wollte, es dürfe keine – oder zu- mindest nur in äußerst geringem Umfang – Mehrstaatig- keit geben, zwingt man Menschen zu solchen Konflikten. Soweit das derzeitige deutsche Recht. Der Europarat hat am 6. November 1997 in Straßburg das Europäische Übereinkommen über die Staatsan- gehörigkeit zur Unterzeichnung aufgelegt. Das Abkom- men ist am 1. März 2000 in Kraft getreten. Deutschland gehört bisher zu den wenigen Mitgliedstaaten des Euro- parates – und zu der kleinen Minderheit innerhalb der Eu- ropäischen Union –, die dieses Abkommen nicht unter- zeichnet haben. Art. 14 des Vertrages sieht vor, dass ein Vertragsstaat Kindern, die bei der Geburt ohne weiteres verschiedene Staatsangehörigkeiten erworben haben, die Beibehaltung dieser Staatsangehörigkeiten gestattet, also Mehrstaatig- keit ausdrücklich und ohne jedes „Optionsmodell“ er- möglicht. Nach Art. 17 Abs. 1 des Abkommens haben die Staatsangehörigen eines Vertragsstaates, die eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen, im Hoheitsgebiet des Ver- tragsstaates dieselben Rechte und Pflichten wie jeder an- dere Staatsangehörige des Vertragsstaates auch. Mehrstaatigkeit ist danach kein Problem mehr. Der Vertrag gibt der Bundesrepublik Deutschland somit die Möglichkeit an die Hand, ihre eigenen hausgemachten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16197 (C) (D) (A) (B) Probleme zumindest zum Teil zu lösen. Daher der vom Innenausschuss übernommene Appell an die Bundesregie- rung: Unterzeichnen Sie endlich das Europäische Über- einkommen über die Staatsangehörigkeit und legen Sie es dem Parlament zur Ratifikation vor! Zugegeben: Nicht alle Probleme sind damit gelöst. Im Gegenteil: Es gibt noch viel zu tun. Wir müssen uns zum Beispiel mit den in § 85 des Ausländergesetzes normier- ten weiteren Anforderungen an den Einbürgerungsbewer- ber beschäftigen. Er muss erklären, dass er sich immer brav und verfassungstreu verhalten wird. Zweifel an der „Ernsthaftigkeit“ der Erklärung führen zur Verweigerung der Einbürgerung. Was soll das? Bestrebungen, die ernst- haft die Werte des Grundgesetzes angreifen, bekämpft man mit dem Strafrecht. Welcher Skinhead hat jemals seine deutsche Staatsangehörigkeit verloren, weil er Mit- glied einer Nazibande war? Aber bei Ausländern soll die Staatsangehörigkeit an eine Gesinnungsprüfung geknüpft sein. Viele gerade politisch engagierte Menschen, die für unser demokratisches Gemeinwesen eine Bereicherung darstellen, weigern sich, diese entwürdigende Prozedur über sich ergehen zu lassen. Beim Staatsangehörigkeitsrecht geht es um Menschen, die seit Jahren, wenn nicht seit Generationen in Deutsch- land leben. Sie haben sich hier integriert, haben zur Ent- wicklung dieses Landes einen großen Beitrag geleistet. Sie zahlen Steuern, Versicherungsbeiträge; sie engagieren sich in Vereinen und Organisationen; sie bereichern auf vielfältige Weise das alltägliche Leben in unserem ge- meinsamen Land. Sie als deutsche Staatsangehörige an- zuerkennen mit allen Rechten und Pflichten ist somit ei- gentlich nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit. Die künstlichen Hürden, die das Gesetz dagegen errichtet, müssen endlich abgebaut werden. Das Staatsangehörig- keitsrecht wird somit heute nicht zum letzten Mal den Deutschen Bundestag beschäftigen. Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä- rin beim Bundesminister des Innern: Es gibt Positives zu melden. Zwar haben wir noch keine endgültigen statisti- schen Ergebnisse darüber, in welchem Maße das neue Staatsangehörigkeitsrecht im ersten Jahr seines Bestehens genutzt worden ist. Aber eines lässt sich schon jetzt sagen: Die Kernpunkte der Reform greifen. In fast allen Ländern, die schon Daten und Erkenntnisse geliefert haben, sind die Einbürgerungsanträge im Jahr 2000 im Vergleich zu 1999 angestiegen – und zwar in einem Bereich zwischen 25 und 100 Prozent. Das Signal, das die Reform geben wollte, hat also gewirkt. Wir wollen die Einbürgerungen erleichtern und wir wollen den ausländischen Familien, die lange in Deutschland leben, sagen: Ihr seid uns als gleichberechtigte Partner willkommen, ihr seid zur vollen politischen Teilhabe mit allen Rechten und Pflichten ein- geladen und die Kinder sollen vom ersten Lebenstag an zur deutschen Gesellschaft dazugehören. Deshalb ist das Jus soli, die Ergänzung des Abstammungsprinzips durch das Territorialprinzip in unserem Einbürgerungsrecht, das Kernstück der Neuerung. Aber es gibt einen Punkt innerhalb der Reform, der bis- her absolut unbefriedigend ist. Er betrifft das Angebot des Gesetzgebers, auch den bis zu zehn Jahre alten Kindern die gleichen Startchancen zu bieten wie denjenigen, die nach dem 1. Januar 2000 zur Welt gekommen sind. Wir gehen von rund 280 000 Kindern aus, die einen Anspruch auf Einbürgerung hätten. Aber nur für 30 000 sind bis Jah- resende Anträge gestellt worden. Man mag über die Gründe rätseln. Eines aber ist mir in vielen Diskussionen mit Migranten oft gesagt worden: Ein deutliches Hinder- nis war die Frist, innerhalb derer der Antrag gestellt wer- den musste. Hinzu kamen die Kosten von im Regelfall 500 DM. Diese Hemmnisse will die Bundesregierung be- seitigen. Wir haben seitens des Bundesinnenministeriums schon seit dem vergangenen Sommer – als sich die kärg- liche Resonanz auf diesen Teil des Gesetzes abzeichnete – bei den Ländern gezielt und nachdrücklich für eine gene- relle Gebührenermäßigung auf 100 DM geworben. Einige Länder folgten dieser Aufforderung, andere aber nicht. Wir wollen aber eine einheitliche Praxis und wir wollen, dass das Staatsangehörigkeitsrecht mit allen seinen Ange- boten kräftig genutzt wird. Deshalb hat die Bundesregie- rung am 24. Januar 2001 im Kabinett den Gesetzentwurf beschlossen, der heute zur Abstimmung steht. Er sieht vor, die Antragsfrist für Einbürgerungen nach dem § 40 b das Staatsangehörigkeitsrecht um zwei Jahre zu verlän- gern und die Gebühr auf 100 DM herabzusetzen. Das ver- schafft den Familien ausreichend Zeit und strapaziert das Portemonnaie nicht unangemessen. Ich weiß wohl, dass es in einigen Ländern noch Vorbe- halte gibt und dass dabei auch finanzielle Gründe ange- führt werden. Allerdings: Auch wenn die Absenkung der Gebühren kurzfristig zu Mindereinnahmen führt – län- gerfristig kommt sie uns allen zugute. Denn eine frühe In- tegration, die im Kindergarten und in der Grundschule einsetzt, erspart uns Kosten, die später aufgebracht wer- den müssen, wenn sich Jugendliche von der deutschen Gesellschaft abgewendet haben und die negativen sozia- len Folgen spürbar werden. Ich freue mich, dass alle Fraktionen – außer der Union – sich im Nutzen dieser Gesetzesinitiative einig wissen. Und ich appelliere an die Freien Demokraten hier im Hause, ihren politischen Willen auch in den Ländern zu verankern, in denen sie an der Regierung beteiligt sind. An der Verwaltungsgebühr und an Fristen, sollte die Inte- grationsbereitschaft der Zuwanderer in unserem Land nicht scheitern. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Eckpunkte zur Verbesserung der Bekämpfung ille- galer Beschäftigung und Schwarzarbeit und – Schattenwirtschaft mit marktwirtschaftlichen Mit- teln eindämmen (Tagesordnungspunkt 22) Leyla Onur (SPD): Wir reden heute abschließend über den SPD-Antrag „Eckpunkte zur Verbesserung der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116198 (C) (D) (A) (B) Bekämpfung illegaler Beschäftigung und Schwarzar- beit“. Weil Sie, meine Damen und Herren von der Oppo- sition, den Ernst der Lage immer noch nicht begriffen ha- ben, bringe ich es noch einmal auf den Punkt: Menschen, die schwarzarbeiten oder -arbeiten lassen, betrügen unseren Staat, unsere Gesellschaft um Steuern und Sozialabgaben. Sie vernichten ordentliche Arbeits- plätze und treiben kleine Unternehmen und Handwerks- betriebe in den Ruin. Rund 100 Milliarden Mark an Steu- ern und Sozialversicherungsabgaben werden dem Staat vorenthalten. Dahinter stecken in immer stärkerem Maße mafiose Strukturen. Es gibt ganze Ketten von Subunternehmern. Menschen und ihre Arbeitskraft werden gezielt ausgebeu- tet. 100 000 illegal Beschäftigte drängen 60 000 legal be- schäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus ihren Berufen. Dieser geradezu menschenverachtenden Ausbeutung hat diese Koalitionsregierung den Kampf angesagt. Die Maßnahmen, die von der Bundesregierung bisher ergrif- fen wurden, sprechen eine deutliche Sprache. Wir haben: erstens die Zahl der Zollbeamten, die die illegale Be- schäftigung bekämpfen, Erhöhung von 1100 auf 2 500 in zwei Jahren mehr als verdoppelt. Zweitens wurden in al- len Arbeitsämtern einheitlich zuständige Organisations- einheiten geschaffen und der Informationsaustausch in- tensiviert. Die hohe Zahl von 2 800 Mitarbeitern in diesem Bereich wird auch weiterhin gehalten. Die Bundesregierung hat drittens das Arbeitnehmer- Entsendegesetz geändert. Viertens wurde das Arbeitserlaubnisrecht stark verein- facht. Die Wartefristen bis zur Erteilung der Arbeitser- laubnis wurden vereinheitlicht und auf ein Jahr verkürzt. Wie sich diese Maßnahmen konkret vor Ort auswirken, sehe ich selbst in meinem Wahlkreis Braunschweig. Dort wurde übrigens die Zahl der Mitarbeiter der Fahndungs- gruppe des Zolls zur Bekämpfung der illegalen Beschäf- tigung von 10 auf 21 erhöht und damit mehr als verdop- pelt. Diese Ermittlungsgruppe des Hauptzollamtes Braun- schweig hat im Sommer letzten Jahres in einem privaten Neubaugebiet eine sechs Mann starke Truppe von Schwarzarbeitern dingfest gemacht. Zwei weitere Män- ner waren nur damit beschäftigt, den optimalen Einsatz dieser Schwarzarbeiter zu organisieren. Diese Truppe hat das seit zehn Jahren so gemacht, bis sie letztes Jahr end- lich geschnappt wurde. Allein durch diesen Trupp sind der Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung 600 000 Mark an Beiträgen entgangen; 600 000 Mark, die von anderen Ar- beitgebern und Arbeitnehmer zusätzlich aufgebracht wer- den müssen. Es gibt also Erfolge. Aber es muss noch mehr getan werden, das gebe ich offen zu. Damit noch wirksamer ge- gen solche betrügerischen Machenschaften vorgegangen werden kann, wollen wir heute unseren Antrag „Eck- punkte zur Verbesserung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit“ verabschieden. Un- sere Maßnahmen wirken in drei Stoßrichtungen: Erstens. Prävention verstärken: Die Bevölkerung soll besser aufgeklärt werden. Wir wollen die Vorbildfunktion der öffentlichen Hand stärken und damit positiv auf die Bürgerinnen und Bürger einwirken. Die Unternehmen sollen ebenfalls in die Verantwortung genommen werden, zum Beispiel durch eine Haftung für die Sozialversiche- rungsbeiträge der Nachunternehmer. Hierdurch kann eine verstärkte vorbeugende Kontrolle der nachgeordneten Auftragnehmer erreicht werden. Zweitens. Effizienz der Arbeit der Verfolgungsbehör- den verbessern: Informationen sollen rasch zwischen den Behörden ausgetauscht werden. Durch besseren Informa- tionsaustausch sollen Sanktionen wie der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen besser greifen. Gemeinsame Er- mittlungsgruppen sollen gebildet werden. Drittens. Abschreckungswirkung erhöhen und Voll- zugsdefizite ausräumen: Dazu gehören zum Beispiel die Forderung, dass Bußgeld- und Strafrahmen verschärft so- wie neue Tatbestände eingeführt werden. Damit Schwarz- arbeiter und ihre Hintermänner nicht mehr ins Ausland flüchten können, fordern wir transnationale Amtshilfe und Vollstreckungsabkommen. Bei den Landgerichten sollen Schwerpunktstaatsanwaltschaften für illegale Be- schäftigung, Schwarzarbeit und damit verbundene Steu- erstraftaten eingerichtet werden. Auch die Länder ziehen mit uns an einem Strang, wie der Gesetzentwurf des Bundesrates zur Eindämmung ille- galer Betätigung im Baugewerbe zeigt. Ganz aktuell: Bei dem „Bündnisgespräch Bau“ hat Bundeskanzler Gerhard Schröder gestern zugesagt, das geplante Steuerabzugsverfahren zur Bekämpfung der ille- galen Beschäftigung zügig umzusetzen. Sogar die CDU/CSU unterstützt uns; eigentlich jeden- falls, denn so genau scheinen sie das selbst noch nicht zu wissen. Ich zitiere aus der Rede von Frau Kollegin Schnieber-Jastram vom 9. März: „Zum Abschluss möchte ich noch etwas zu Ihrem Antrag ,Eckpunkte zur Verbes- serung der Bekämpfung illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit‘ sagen. Wir stimmen zwar der darin zum Ausdruck kommenden Grundintention durchaus zu. Aber wir sind natürlich mit der dort enthaltenen Passage über die erfolgreiche Wirtschafts- und Steuerpolitik der rot-grünen Regierungskoalition überhaupt nicht einver- standen. An dieser Stelle können wir den Antrag nicht mehr mittragen“. Wenn Sie keine Argumente und kein Programm zur Bekämpfung der Schwarzarbeit haben, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, dann verwundert es nicht, dass Kollegin Schnieber-Jastram, als wir unseren Antrag in erster Lesung debattiert haben, in ihrer zehn- minütigen Rede nur ganze vier Sätze für das eigentliche Thema übrig hatte. Auch das Problembewusstsein der F.D.P. ist offen- sichtlich hoffnungslos unterentwickelt. Glauben Sie ernsthaft, Sie könnten mit den von Ihnen geforderten „marktwirtschaftlichen Mitteln“ etwas gegen die mafiose Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16199 (C) (D) (A) (B) Struktur der illegalen Beschäftigung ausrichten? Ich will nur mal einige der „knallharten Forderungen“ ihres An- trages nennen. Sie wollen vier Berichte zu unterschiedli- chen Teilaspekten, ein Sondergutachten und eine neue Statistik. Als ganz schweres Geschütz fahren sie die Forderung auf, die Verknüpfung von Rentenversicherung und Öko- steuern – ich zitiere – „im Lichte der Effizienzvorteile des Äquivalenzprinzips erneut zu überprüfen“. Eines weiß ich auch ohne Sondergutachten: Mit diesen Maßnahmen wird nicht ein einziges illegales Beschäftigungsverhältnis ver- hindert. Lassen Sie mich noch einmal festhalten: Wir haben ei- niges getan, es zeigt bereits Wirkung, aber wir müssen deutlich mehr tun. Vor allem müssen die Bürgerinnen und Bürger aufgeklärt werden, welche Schäden Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung anrichten und wer die Zeche für diesen Betrug letztendlich zahlt. Wir müssen dagegen angehen, dass Schwarzarbeit in unserer Gesellschaft zur akzeptierten Normalität geworden ist. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben leider in den 16 Jahren, in denen Sie verantwortlich waren, dazu bei- getragen, dass das Unrechtsbewusstsein bezüglich Schwarzarbeit in Wirtschaft und Gesellschaft gegen Null gegangen ist. Wir fordern Sie auf, mit uns gemeinsam als Vorbilder in Wort und Tat dieser Entwicklung entgegen zu wirken. Nur so können wir Schwarzarbeit und illegale Be- schäftigung zurückdrängen. Brigitte Baumeister (CDU/CSU): Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung sind eine Bedrohung für den re- gulären Arbeitsmarkt. Darin sind wir uns alle einig. Über das Ausmaß von Schwarzarbeit und illegaler Beschäfti- gung gibt es keine exakten Angaben. Schätzungen gehen davon aus, dass der Anteil der Schattenwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt mehr als 16 Prozent beträgt. Der Schaden für Volkswirtschaft und Arbeitsmarkt ist im- mens. Die von SPD und Grünen vorgelegten „Eckpunkte“ versuchen uns vorzumachen, dass die Koalition eine Lö- sung zur Bekämpfung der Schwarzarbeit gefunden hat. Dabei setzt Rot-Grün einseitig auf vermehrte Sanktionen und die Erhöhung des Strafmaßnahmen-Katalogs. Das greift aber viel zu kurz. SPD und Grüne wollen die Symp- tome bekämpfen, lassen die Ursachen jedoch völlig außer Acht. Doch haben stärkere Kontrollen und härtere Sanktio- nen so lange wenig Erfolg, solange die Ursachen der Schwarzarbeit bestehen bleiben. Deregulierung des Ar- beitsmarktes und Senkung von Steuern und Abgaben sind das Gebot der Stunde. Dies wird auch bei der Einschät- zung der augenblicklichen wirtschaftlichen Lage deut- lich. Die Steuermoral der Bundesbürger war noch in den 60er-Jahren im Vergleich zu unseren Nachbarländern her- vorragend. Heute haben die komplizierte und komplexe Steuergesetzgebung, die geringe Entlastung der Steuerre- form, das Gesetz zur Teilzeitarbeit, die Veränderung der 630-Mark-Jobs und die Frühverrentungsprogramme den Anreiz zur Schwarzarbeit deutlich erhöht. Stagnierender Nettoverdienst, vermehrte Freizeit, hohe Abgaben bei Ge- ringverdienenden führen zwangsläufig zum Ausweichen in die Schwarzarbeit. Hier muss die Regierung Verände- rungen herbeiführen. Sie darf es nicht dabei belassen, ein- seitig über die Erhöhung von Strafen nachzudenken. Warum findet Schwarzarbeit bei vielen Bürgerinnen und Bürgern eine so hohe Akzeptanz? Handwerkliche Ar- beiten sind vielen Menschen in unserem Land zu teuer. Ob der Garten gepflegt oder die Wohnung tapeziert werden muss, es sind immer weniger Bürger bereit oder in der Lage, die gegenwärtigen Kosten für diese Arbeiten zu be- zahlen. Einen Grund hierfür sehen wir in der unvertretbar hohen Belastung der Bruttolöhne mit Steuern und Abga- ben. Wer schon einmal seine Waschmaschine reparieren lassen musste, weiß, dass selbst eine kleine Reparatur in aller Regel um die 100 DM kostet. Der Handwerker erhält hiervon netto circa 15 DM. Diese Spanne, die sich zwi- schen Auftraggeber und Auftragnehmer schiebt, verlockt beide Seiten geradezu zur Schwarzarbeit. Zwar hatte sich die Bundesregierung selbst bereits in der Koalitionsvereinbarung eine Senkung der Sozialabga- ben auf 40 Prozent zum Ziel gesetzt. Im Jahr 2001 führen Beschäftigte und Betriebe jedoch immer noch eine Quote von 40,8 Prozent im Westen und von 41,1 Prozent im Osten an die Sozialversicherungen ab. Zum Vergleich: In den Jahren 1997 und 1998 lag die Sozialabgabenquote bei knapp 42 Prozent. Diese geringfügige Senkung der Lohnnebenkosten konnte nur durch eine Kostenverschiebung von den Bei- tragszahlern auf die Steuerzahler realisiert werden – also durch Steuererhöhungen. Hier ist die Ökosteuer ein gutes Beispiel: Wenn ich einmal die Einnahmen aus der Öko- steuer einrechne und dann auch noch die Einnahmen der Rentenversicherung aus der Erhöhung der Mehrwert- steuer seit dem 1. April 1998 berücksichtige, ergibt sich eine tatsächliche Belastung in Höhe von 42,4 Prozent im Westen und 41,1 Prozent im Osten. Von einer realen Sen- kung kann also keine Rede sein. Eine weitere Ursache für die starke Zunahme der Schwarzarbeit in Deutschland in den vergangen Jahren ist die zum 1. April 1999 in Kraft getretene Regelung zu den 630-Mark-Jobs. So sind beispielsweise für geringfügig Nebenbeschäftigte deutliche Mehrbelastungen entstan- den: Während diese zuvor mit einem Pauschalsteuersatz von 20 Prozent zuzüglich Solidaritätsbeitrag und Kir- chensteuer alle Abgaben erfüllt haben, sind seit der Neu- regelung auch noch Beiträge für Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung zu bezahlen. So betrachtet ist die Neuregelung der 630-Mark-Jobs für viele ein Anreiz, die eigene Arbeit schwarz anzubieten. Um diese Fehlsteuerungen der neuen Regelungen zu den 630-Mark-Jobs zu stoppen und gleichzeitig die An- reize zur Schwarzarbeit zu mindern, wäre die einzig kon- sequente Lösung, das ganze Gesetz rückgängig zu ma- chen. Dies wäre eine wirklich präventive Maßnahme gegen Schwarzarbeit. Außerdem kritisiert die CDU/CSU-Fraktion, dass die Regierung den Gewerkschaften bei ihren Forderungen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116200 (C) (D) (A) (B) nach Frühverrentungen und Kürzungen der Arbeitszeiten entgegengekommen ist. Denn was zunächst gut klingt – mehr Freizeit –, wirkt sich im Ergebnis negativ auf ver- schiedene Bereiche des Arbeitsmarktes aus. Schnell ist ein handwerklich begabter Vorruheständler bereit, seine Fähigkeiten einzusetzen. Ich nenne das Beispiel VW: Hier wurde die Arbeitszeit seinerzeit auf 28,8 Stunden heruntergefahren und der Bruttolohn auf 85,5 Prozent gesenkt. Im Klartext: Bei ei- ner monatlichen Bezahlung von 4000 Mark hat ein VW- Mitarbeiter nach Einführung dieser Regelung 600 Mark weniger Verdienst und vier freie Tage mehr im Monat. Wie er diese finanziellen Verluste kompensieren kann, liegt auf der Hand. Das grundsätzliche Problem, das wir in Deutschland haben, ist, dass der Arbeitsmarkt für ein- fache und geringer qualifizierte Arbeiten nach wie vor nur unzureichend erschlossen ist. Ziel muss es sein, Anreize zur Aufnahme einfacher Tätigkeiten in reguläre Beschäftigungsverhältnisse zu verbessern. Solange für viele die Aufbesserung ihrer So- zialhilfe und ihres Arbeitslosengeldes durch Schwarzar- beit lukrativer ist als die Aufnahme einer regulären, aber insgesamt niedriger entlohnten Beschäftigung, solange ist das System falsch: Verstärkte Kontrollen und höhere Stra- fen helfen nicht weiter. Ziel muss auch ein einfaches und transparentes Steuer- system sein, das geringe Grenzsteuersätze aufweist. Denn nur ein Steuersystem, das der Bürger versteht und das er auch für sinnvoll hält, wird von ihm beachtet und führt zu unserem gemeinsamen Ziel: zu einer höheren Steuermoral. Ziel muss eine deutliche Absenkung der Sozialabgaben sein. Denn nur so kann die enorme Spanne zwischen den Kosten für den Auftraggeber und dem Nettoverdienst für den Auftragnehmer verringert werden. Auf diese Weise wächst die Bereitschaft der Kunden, reguläre Arbeitnehmer zu beschäftigen, anstatt auf Schwarzarbeiter auszuweichen. Wenn wir die Schwarzar- beit bekämpfen wollen, dürfen wir uns nicht auf die Bekämpfung der Symptome beschränken. SPD und Grüne verfolgen mit ihrem Antrag einen falschen Ansatz. Wir müssen die Ursachen im Kern bekämpfen. Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Il- legale Beschäftigung und Schwarzarbeit können nicht hingenommen werden. Ihr dramatischer Anstieg in den letzten Jahren belastet nicht nur den Arbeitsmarkt und die sozialen Sicherungssysteme. Es kommt auch zu erhebli- chen Steuerausfällen und Wettbewerbsverzerrungen, ins- besondere in Branchen wie der Bauwirtschaft und im Be- reich der privaten Haushalte. Immer mehr reguläre Arbeit von Selbstständigen, immer mehr abhängige Beschäfti- gung wird verdrängt. Durch die konsequente Senkung der Steuern und der Sozialbeiträge hat die rot-grüne Bundesregierung die Bürger und Arbeitgeber bereits entlastet und die Anreize zur Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung gesenkt. Das sind wichtige Schritte in die richtige Richtung. Wir wer- den diesen Weg der Steuer- und Beitragssenkung weiter gehen. So richtig und begrüßenswert es ist, auch die fiskali- schen Anreizstrukturen für die Schwarzarbeit in das Visier zu nehmen, so wenig reicht es aus. Es ist auch notwendig, in einer ordnungspolitisch eindeutigen Weise die rechtli- chen, administrativen Möglichkeiten zur Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit zu verbessern. Wenn sich aber alle über die negativen Folgen einig sind, gilt es mehr als bisher zu handeln. Die Regierungs- fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD haben deshalb einen gemeinsamen Antrag eingebracht, um mit verschiedenen Maßnahmen die Schattenwirtschaft einzu- dämmen. Dies ist ein schwieriges Unterfangen, denn Schwarzar- beit ist überall und besitzt eine vielfältige Gestalt. Es ist nicht nur die organisierte Kriminalität, nicht nur die ille- gale Beschäftigung – und dabei in besonders ausbeuteri- scher Weise von Ausländern – auf dem Bau, sondern sie findet auch in vielen deutschen Haushalten statt. Wer kennt nicht die Praxis bei Putzhilfen und anderen häusli- chen Tätigkeiten oder die Nachbarschaftshilfe beim „Häuslebau“. Hierher gehört auch die Leistungserbrin- gung, zum Beispiel in Handwerksbetrieben gegen Zah- lung, aber ohne Rechnung. Weil die Beauftragung von Schwarzarbeitenden immer mehr zur gesellschaftlich akzeptierten Normalität gewor- den ist, gilt es auf verschiedenen Ebenen anzusetzen. Denn es sind nicht nur Unternehmen, die profitieren, son- dern alle Beteiligten. Das macht es so schwierig, die Schwarzarbeit effektiv zu bekämpfen. Die verschieden- artigen Maßnahmen zur Bekämpfung der illegalen Be- schäftigung und Schwarzarbeit sind: Erstens. Die Abschreckungswirkung erhöhen und Voll- zugsdefizite ausräumen. Hier haben uns die Sachverstän- digen der Bundesanstalt für Arbeit, der Zollämter und der Zusammenarbeitsbehörden wichtige Hinweise gegeben. Sinnvoll sind etwa die Anpassung der Strafvorschriften an gesetzliche Änderungen im Sozialversicherungsrecht hin- sichtlich der Neuregelung der Kassenwahlfreiheit und der geringfügigen Beschäftigung. Durch die Einbeziehung des Arbeitgeberanteils in den § 266 a StGB sollte erreicht werden, dass sich der Schaden grundsätzlich aus dem Ge- samtsozialversicherungsbeitrag bemisst. So kann ohne Verschärfung die Abschreckung erhöht werden, denn die Schadenshöhe ist ein wesentliches Kriterium für die Straf- zumessung der Gerichte. Denn eigentlich sind die ver- schiedenen Straf- und Bußgeldvorschriften ausreichend, sie müssen aber praktisch durchgesetzt werden. Zweitens. Effizienz der Arbeit der Verfolgungsbehör- den verbessern. Auch hier hat die Anhörung eindrucks- voll gezeigt, dass die Zusammenarbeit der Behörden in den letzten Jahren immer enger und effektiver geworden ist – und dies auf „untergesetzlichem Wege“. In unserem Antrag haben wir deshalb die Überprüfung angeregt, ob in mittlerer Frist durch Zusammenfassung der Kompe- tenzen der Bundes- und Landesbehörden weitere Effi- zienzvorteile erzielt werden können. Und drittens ist die Verstärkung von präventiven Maß- nahmen besonders wichtig. Angesichts der weit verbrei- teten Akzeptanz derartiger Beschäftigungsformen in der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16201 (C) (D) (A) (B) Bevölkerung ist eine verbesserte Aufklärung über die ein- schneidenden Folgen für unseren Sozialstaat notwendig. Schwarzarbeit, das Unterlaufen der Sozialversicherungs- pflicht und Steuerhinterziehung sind strafwürdige Akti- vitäten, in vielen Fällen mit erheblicher krimineller Ener- gie verbunden. Sie verringern die Finanzgrundlagen des Staates und zerstören vor allem den solidarischen Zusam- menhalt unserer Gesellschaft. Deshalb kommt der öffent- lichen Hand, zum Beispiel in ihrer Funktion als Bauträ- ger, eine besondere Vorbildfunktion zu. Dirk Niebel (F.D.P.): Illegale Beschäftigung, Dum- pinglöhne und die Unterschlagung von Sozialversiche- rungsabgaben verzerren den Wettbewerb und vernichten reguläre Arbeitsplätze. Die Rekordeinnahmen des Fi- nanzministeriums von 325 Millionen DM für das Jahr 2000 bei den Geldbußen gegen illegale Beschäftigung und Leistungsmissbrauch zeigen, dass die Schattenwirt- schaft boomt. Diese Konjunktur wünschen wir uns für die reguläre Wirtschaft, deren Wachstumsprognosen jetzt ge- rade wieder von den Forschungsinstituten nach unten kor- rigiert wurden. Die Ursachen sind vielfältig: Es ist bekannt, dass Schwarzarbeit für die Beteiligten finanziell günstiger ist als ein reguläres Arbeitsverhältnis. Der Faktor Arbeit ist mit Steuern und Abgaben zu hoch belastet. Und es gibt immer mehr Regulierungen auf dem Arbeitsmarkt, die die Begründung und Beendigung von Arbeitsverhältnissen erschweren. Faktoren, die zur Schwarzarbeit verleiten, müssen ab- geschafft werden. Wir brauchen eine vernünftige Steuer- reform, die Arbeit für den Arbeitgeber billiger und für den Arbeitnehmer attraktiver macht, weil ihm mehr Geld in der Tasche bleibt. Hohe Steuern und Abgaben machen einfache Arbeit für Unternehmen unrentabel und unbe- zahlbar. Die Lohnnebenkosten sind zu hoch. Ihre Steuerreform darf nur ein erster Schritt sein! Bun- desfinanzminister Eichel will keine weitere Reform bis 2006. Wir fordern Sie auf, die nächste Stufe der Steuerre- form mit dem von uns vorgeschlagenen einheitlichen und gerechten Tarif von 15, 25 und 35 Prozent anzugehen. Mindestbeiträge für Krankenkassen, wie die Regie- rung sie fordert, sind exakt das Gegenteil dessen, was wir brauchen. Die Regierung hätte übrigens schon längst die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung senken können. Auch das hätte die Lohnnebenkosten verringert. Das kommt aber erst im Wahljahr! Das Lohnabstandsgebot muss eingehalten werden. Dem Arbeitnehmer muss mehr von seinem Lohn in der Tasche bleiben. Umfragen bei der Neuregelung der 630- Mark-Jobs haben ergeben, dass dieses Geld für den Le- bensunterhalt dringend gebraucht wurde. Viele können sich ohne Schwarzarbeit ihren Lebensstandard nicht mehr leisten. Hier liegt die Schlussfolgerung nahe, dass ein grosser Teil der geringfügigen Beschäftigungen in die Schattenwirtschaft abgewandert ist. Einzig positiv zu ver- merken ist, dass dieses Geld sofort wieder ausgegeben wird. Also: Schaffen Sie die Neuregelung für die geringfü- gige Beschäftigung ab! Kehren Sie zur alten Regelung zurück! Die Erfolge, die Sie vor kurzem bekannt- gegeben haben, sind nur Scheinerfolge für die Senkung der Arbeitslosigkeit, ein statistischer Taschenspielertrick. Bei Sozialhilfebezug müssen die Anreize zur Arbeits- aufnahme verbessert werden. Der nicht anrechenbare Hinzuverdienst muss angehoben werden. Als weiter- führender Schritt beseitigt die Zusammenlegung der So- zialhilfe mit der Arbeitslosenhilfe als Grundsicherung in Richtung Bürgergeld einen hohen bürokratischen Auf- wand und setzt für die Arbeitsvermittlung Ressourcen frei. Dadurch können Hilfeempfänger individuell betreut und integriert werden. Die F.D.P. ist auch deshalb die Partei der sozialen Ver- antwortung, weil wir dafür sorgen wollen, dass jeder Aus- länder für die Dauer seines erlaubten Aufenthalts in Deutschland für seinen eigenen Lebensunterhalt arbeiten darf. Das Arbeitsgenehmigungsrecht muss grundlegend reformiert werden. Wenn die Restriktionen bei Flüchtlin- gen und Asylbewerbern weiter gelockert werden, könnten Arbeitsverhältnisse legalisiert werden und die illegale Ausländerbeschäftigung würde sinken. Das bedeutet mehr Einnahmen an Steuern und Sozialabgaben für die öffentlichen Hände, weniger Transferzahlungen und mehr Sicherheit für die Arbeitskräfte gegen menschenunwür- dige Bedingungen und Lohndumping. Die Änderung der Arbeitsgenehmigungsverordnung für Kriegsflüchtlinge war ein Schritt in die richtige Rich- tung. Die Wartefrist für Asylbewerber ist ein Arbeitsver- bot und Arbeitsverbote schaden den Betroffenen und der deutschen Wirtschaft. Sie fördern Schwarzarbeit. Es gibt keine Konkurrenz um die infrage kommenden Arbeitsplätze. Einerseits werden zu hohen Kosten auslän- dische Arbeitskräfte eingeflogen, auf der anderen Seite verbietet man ihnen die Arbeit, obwohl sie sich in Deutschland aufhalten dürfen. Es kann nur Spekulationen geben, wie viele Arbeits- plätze durch Abschaffung der Schwarzarbeit legal entste- hen. Viele Jobs würde es dann nämlich gar nicht geben. Es wurden schon von der christlich-liberalen Regierung viele Versuche gemacht, Arbeitsstellen in Haushalten zu legalisieren, was aber von den jetzt Regierenden als „Dienstmädchenprivileg“ abgekanzelt wurde. Eine Rege- lung ist dringend notwendig, damit Frauen der Weg in ein reguläres Arbeitsverhältnis ermöglicht wird. In den vier Millionen deutschen Haushalten, in denen regelmäßig oder gelegentlich Haushaltshilfen beschäftigt sind, sind nur 38 000 sozialversicherungspflichtige Ar- beitsverhältnisse erfasst. Schwarzarbeit dominiert, weil sich für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen eine Anstellung nicht lohnt, da die Höhe der Sozialversiche- rungsabgaben eine mögliche Steuereinsparung überwiegt. Nicht ohne Grund konnte Herr Momper in Berlin keine Haushaltshilfe zu bezahlbaren Konditionen für ein lega- les Arbeitverhältnis finden. Eine stärkere Flexibilisierung der Arbeitszeiten kann zum Abbau der Schwarzarbeit beitragen, während eine generelle Arbeitszeitverkürzung und ein Überstundenver- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116202 (C) (D) (A) (B) bot das Schwarzarbeitspotenzial eher erhöhen. So inves- tieren Frührentner einen Teil ihrer Freizeit in Schwarzar- beit. Der neueste Vorstoß von DGB-Chef Schulte, dass auch eine Arbeitszeit von 48 Stunden vorstellbar sein muss, ist eine ausgesprochen gewagter Gedanke für einen Gewerkschaftler. Er zeigt aber ein bisher nicht gekanntes Maß an Einsichtsfähigkeit. Fazit: Schwarzarbeit ist kein Kavaliersdelikt. Das Ge- schäft blüht und die Tricks werden immer raffinierter. Bei dem Geschäft mit billigen Arbeitskräften mischen mehr und mehr kriminelle und international operierende Ban- den mit. Dies betrifft besonders die Bauwirtschaft, dort liegt der Anteil mit 45 Prozent am höchsten. Nach Anga- ben des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes sind schätzungsweise 250 000 Illegale dort beschäftigt. Oft arbeiten sie unter unzumutbaren Bedingungen bei ausländischen Subunternehmern, die durch mögliche Bußgelder nicht genügend abgeschreckt werden. Der Bundesrat hat einen Gesetzentwurf zur Eindäm- mung illegaler Beschäftigung im Baugewerbe einge- bracht. Wir bezweifeln, dass damit nur die „schwarzen Schafe“ aussortiert werden. Durch eine neue Abzugs- steuer werden redliche Unternehmen zusätzlich belastet, während illegale Tätigkeiten im Baugewerbe auch durch die geplanten Regelungen nicht oder nur unzureichend unterbunden werden. Mit staatlichen Kontrollen und Prüfverfahren lassen sich nur begrenzte Erfolge gegen Schwarzarbeit erzielen. Viele Strafen werden aus der Portokasse bezahlt. Die Sanktionen müssen verschärft und das persönliche Risiko der Täter erhöht werden. Vor allem aber muss der Anreiz, illegal zu arbeiten und illegal zu beschäftigen, verringert werden. Klaus Grehn (PDS): Vor wenigen Wochen hat dem Parlament der 9. Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen des Gesetzes zur Bekämpfung der ille- galen Beschäftigung vorgelegen. Er hat deutlich gemacht, welche Maßnahmen zur Bekämpfung illegaler Beschäfti- gung und Schwarzarbeit eingeleitet wurden. Offen- sichtlich fußt der Antrag der Regierungskoalition auf den Ergebnissen des Berichts der Bundesregierung. Wir stimmen mit den Antragstellern überein, dass allen Formen der illegalen Beschäftigung und der Schwarz- arbeit begegnet werden muss, und das möglichst wirk- sam. Das ist ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit; denn durch sie wird auch die soziale Sicherheit der übrigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gefährdet. Aus- stieg aus Tarifverträgen, ruinöses Lohndumping und unter- tarifliche Bezahlung sind unter anderem Folgen zuneh- mender Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung. Der Antrag fordert in drei Schwerpunkten die Bundes- regierung auf, organisatorische und rechtliche Gegen- maßnahmen einzuleiten. Die dafür gegebenen Vorgaben werden dem Ziel nur teilweise gerecht. Bereits im vergangenen Zeitraum wurden die Kon- trollen verschärft und die Zahl der Folgemaßnahmen wie Ermittlungsverfahren und Bußgelder deutlich erhöht. Nun soll eine weitere Verschärfung erfolgen, obwohl sich dieser Weg als wenig erfolgreich erwiesen hat. Das ist für uns schwer nachvollziehbar. Zusätzlich soll die Bundes- anstalt für Arbeit Strafverfolgungskompetenzen erhalten. Das scheint rechtlich bedenklich. Andererseits verfügt die Bundesanstalt weder über ausreichendes Personal noch über die fachlichen Kapazitäten. Für uns ist die Sicher- stellung der Hauptaufgabe der Bundesanstalt, die Vermitt- lung der Arbeitslosen in Arbeit, ihre Betreuung und Be- gleitung zu wichtig, dass wir der Zuteilung von neuen Aufgaben an die Bundesanstalt eher skeptisch gegenüber stehen. Für sinnvoll halten wir, die Möglichkeiten der beste- henden rechtlichen Regelungen besser auszuschöpfen und die bestehenden Rechtsinstitutionen zu entlasten. Re- alisierung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung funktioniert nur über das Zusammenspiel von anbie- tendem Arbeitgeber und annehmendem Arbeitnehmer. Die größere Verantwortung liegt unseres Erachtens bei den Anbietern: ohne Angebot keine Schwarzarbeit. Fol- gerichtig sollte an dieser Stelle bei der Bekämpfung ange- setzt werden. Dazu könnten Maßnahmen dienen, die durch eine Bewertung von Auftragsangeboten bereits deren Unterkalkulation feststellen. Aus der Praxis kom- men immer wieder Hinweise, dass Angebote unterbreitet werden, die nur durch die aus dem Bereich der Schwarz- arbeit und der illegalen Beschäftigung bekannten Nied- riglöhne abgedeckt sind. Damit werden seriöse Anbieter im Wettbewerb ausgebremst und zum Teil in den Konkurs getrieben. Eine wirksame Kontrolle der Aufträge durch die Auftraggeber wäre erfolgversprechender als eine wei- tere Verschärfung der Bußgelder und die Erhöhung der schwierigen Kontrollen im Produktionsprozess. Damit würde die Bekämpfung an der wahren Ursache, dem ego- istischen Gewinnstreben auf einem ungeregelten Markt, ansetzen. Dem Antrag der F.D.P. können wir nicht zustimmen. Er wird dem Anliegen der Thematik insofern nicht gerecht, als er mehr auf die Aufhebung des 630-Mark-Gesetzes und die Rücknahme von Arbeitszeitverkürzungen sowie auf Steuersenkungen abzielt. Themen, die von der F.D.P. immer wieder aufgewärmt werden, auch bei nicht pas- senden Anlässen. Bei der Abstimmung über den Antrag der Regierungskoalition werden wir uns trotz Anerken- nung von richtigen Ansätzen wegen der genannten Män- gel enthalten. Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- nister für Arbeit und Sozialordnung: Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung schaden uns allen. Sie verhindern das Entstehen neuer Arbeitsplätze und zerstören legale Arbeitsplätze. Es ist unerträglich, dass seriöse Unterneh- men im Baubereich in finanzielle Schwierigkeiten gera- ten, weil sie mit den Dumpinglöhnen der illegalen Kon- kurrenz nicht mithalten können. Die Bundesregierung begrüßt deshalb den Entschlie- ßungsantrag. Er ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung und unterstützt uns bei unseren Bemühungen, gerade im Bausektor wieder faire Chancen für diese se- riösen Marktteilnehmer zu schaffen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16203 (C) (D) (A) (B) Die Bundesregierung hat seit ihrem Amtsantritt bereits wichtige Schritte zur Verbesserung der Bekämpfung ille- galer Beschäftigung unternommen. Ich erinnere an die Änderung des Arbeitnehmerentsendegesetzes vom 19. Dezember 1998, das Dumpinglöhne im Baubereich für illegal erklärt hat. Ich weise darauf hin, dass die Zahl der Beamten der Hauptzollämter, die sich der Bekämpfung illegaler Be- schäftigung widmen, von 1100 auf 2 500 bis Ende dieses Jahres erhöht wird. Der Zoll kann die Arbeitsverwaltung bei dieser wichtigen Aufgabe tatkräftig unterstützen. Die Arbeitsverwaltung setzt rund 2 800 Mitarbeiter zur Ver- folgung von illegaler Beschäftigung und Leistungsmiss- brauch ein. Sie vereinheitlicht die Organisation und richtet „Mitarbeiterteams zur Bekämpfung illegaler Be- schäftigung“ in den Arbeitsämtern 2000 ein – neudeutsch: „task forces“. Die Erfolge brauchen sich schon heute nicht zu ver- stecken. Im Jahre 1999 wurden 436 626 Fälle von illega- ler Beschäftigung und Leistungsmissbrauch allein von den Dienststellen der Bundesanstalt für Arbeit aufgegrif- fen und über 162 Millionen DM Bußgelder verhängt. Die Bekämpfungsmöglichkeiten können und müssen jedoch verbessert werden. Das Ergebnis der öffentlichen Anhörung von Sachverständigen vor dem Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung am 28. März 2001 ist eindeu- tig: Es sind weitere Maßnahmen zur Bekämpfung von il- legaler Beschäftigung und Schwarzarbeit erforderlich. Vor allem haben wir es nicht mit einem allein auf na- tionaler Ebene zu lösenden Problem zu tun. Die Bundes- regierung ist deshalb auch auf EU-Ebene aktiv geworden. Während unserer Präsidentschaft wurde vom Rat der Eu- ropäischen Union ein Verhaltenskodex zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden illegalen Beschäftigung, des Leistungsmissbrauchs und der Schwarzarbeit verabschie- det. Diesen müssen wir in bilaterale Abkommen umset- zen. Mit Frankreich, den Niederlanden, Dänemark und außerhalb der Europäischen Union mit der Tschechischen Republik wird intensiv verhandelt. Innerhalb Deutschlands sind die gegenseitigen Infor- mations- und Zusammenarbeitspflichten der verschiede- nen Behörden auszubauen. Erkenntnisse über illegale Be- schäftigung und Schwarzarbeit müssen leichter und häufiger als bisher ausgetauscht werden. Wir setzen uns auch dafür ein, dass die öffentliche Hand bei der Bekämpfung illegaler Beschäftigung noch stärker aktiv wird und Missbräuchen konsequent entge- gentritt. Die Entschließung greift die Forderungen der Koalitionsvereinbarung nach fairen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt auf, zum Beispiel bei der Haftung des Hauptunternehmers für die Sozialversicherungsbeiträge der Subunternehmer. Ich halte das für einen der wesentli- chen Punkte, den wir auch in eine künftige gesetzliche Regelung einbeziehen müssen. Die Umsetzung der Entschließung wird zahlreiche ge- setzliche Änderungen erfordern. Entsprechende Vor- schläge werden vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung erarbeitet. Ich kann Ihnen versprechen: Die Bundesregierung wird den gesetzgebenden Körper- schaften zügig einen Gesetzentwurf zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzar- beit vorlegen. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Für ein effizientes und transparentes Ausfuhrge- währleistungssystem – Für ein modernes Ausfuhrsystem – Für den Erhalt von Hermes als Instrument der Außenwirtschaftsförderung und eine Reform des Hermes-Instruments im internationalen Rahmen (Tagesordnungspunkt 23 und Zusatztagesordnungs- punkte 14 und 15) Rolf Hempelmann (SPD): Der Export ist ein wichti- ger Motor für unsere Wirtschaft. Im Jahr 1999 exportier- ten deutsche Unternehmen Waren im Wert von rund 1 Bil- lion DM. Damit tragen Exportgeschäfte wesentlich zur Schaffung und Sicherung von heimischen Arbeitplätzen bei. Ein Ziel, das bei der rot-grünen Koalition ganz oben auf der Agenda steht. Besondere Bedeutung bekommt in diesem Zusammen- hang die Exportförderung, deren wichtigstes Instrument die Hermesbürgschaften sind. Diese Ausfuhrgewährleis- tungen des Bundes leisten einen wesentlichen Beitrag zur Unterstützung deutscher Unternehmen im internationalen Wettbewerb. Im Jahr 1999 konnten durch Hermesbürg- schaften Exportgeschäfte mit Auftragswerten in Höhe von 26,7 Milliarden DM realisiert werden. Im ersten Halbjahr 2000 waren es 17 Milliarden DM. Durch Ex- portkredite wird Chancengleichheit für deutsche Unter- nehmen im intensiven internationalen Wettbewerb bei der Erschließung neuer oder dem Erhalt und Ausbau traditio- neller Märkte geschaffen. Besonders bei Exporten in die Entwicklungs- und Schwellenländer sowie in die Staaten Mittel- und Osteuropas ist das von herausragender Be- deutung. Denn gerade diese Märkte wären besonders für mittelständische Unternehmen ohne eine Exportbürg- schaft des Bundes kaum zu erschließen. Gleichzeitig werden durch Hermesbürgschaften die partnerschaftlichen Beziehungen insbesondere zu diesen Staaten gefördert. Dort tragen die so ermöglichten Inves- titionen zum Aufbau von Infrastruktur und Industrie bei und stellen damit einen unerlässlichen Beitrag zur Inte- gration dieser Länder in die Weltwirtschaft dar. Trotz dieser Erfolge stand das Instrument in den letz- ten Jahren immer wieder in der Kritik. In zwei entspre- chenden Anträgen haben sich auch die heutigen Koaliti- onsfraktionen in der vorigen Legislaturperiode für eine Modernisierung dieses wichtigen außenwirtschaftspoliti- schen Instruments ausgesprochen. Die wichtigste Forde- rung dieser Anträge war, neben wirtschaftlichen und fi- nanzpolitischen Gesichtspunkten künftig auch stärker umweltpolitische, soziale und entwicklungspolitische Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116204 (C) (D) (A) (B) Aspekte in die Entscheidungen über die Vergabe von Her- meskrediten einzubeziehen. Außerdem soll das Instru- ment effektiv und für deutsche Unternehmen attraktiv bleiben. Das ist nur dann möglich, wenn die Vergabepra- xis so schnell und unbürokratisch wie möglich verlaufen kann; nicht umsonst sind die Bürgschaften nach Hermes, dem Götterboten mit den Flügelschuhen, benannt. Aus diesen Gründen haben SPD und Bündnis 90/Die Grünen in ihrer Koalitionsvereinbarung 1998 beschlossen, eine Reform der Außenwirtschaftsförderung nach ökolo- gischen, sozialen und entwicklungsverträglichen Gesichts- punkten in die Wege zu leiten. Dies ist auch geschehen: Vor rund einem Jahr hat eine Koalitionsarbeitsgruppe damit be- gonnen, vor dem Hintergrund der Diskussionen in NGOs, Wirtschaftsverbänden und Institutionen in Deutschland wie auf OECD-Ebene die nationale wie die internationale Vergabepraxis zu analysieren. Dabei wurde deutlich, dass allein die Diskussion um die Einbeziehung ökologischer, sozialer und entwicklungspolitischer Aspekte bei der Ver- gabe von Hermesbürgschaften zu einer Veränderung der Praxis geführt hat. So wurde beispielsweise bei größeren Projekten oder bei Lieferungen von Anlagen oder Teilan- lagen ein Screening-Verfahren eingeführt. Auf diese Weise werden genau die Anträge identifiziert, bei denen ökologi- sche, soziale oder entwicklungspolitische Gesichtspunkte eine Rolle spielen könnten. Wenn die negativen Effekte bei der Abwägung der unterschiedlichen Kriterien dominie- ren, hat der IMA die Möglichkeit, die Übernahme einer Ausfuhrgewährleistung abzulehnen oder an Bedingungen bzw. Auflagen zu knüpfen. Auch auf internationaler Ebene werden Umweltbe- lange berücksichtigt: Seit 1994 tagt regelmäßig eine OECD-Exportkreditgruppe, um international gültige Re- gelungen für Ausfuhrgewährleistungen zu erarbeiten, um die genannten Aspekte stärker zu berücksichtigen. An die- sem Diskurs beteiligt sich auch die Bundesregierung. Daneben hat die Koalitionsarbeitsgruppe mit dem fe- derführenden Bundeswirtschaftsministerium im letzten Jahr einen intensiven und fruchtbaren Dialog über Moder- nisierungsansätze für das deutsche Ausfuhrgewährleis- tungssystem geführt. Als Ergebnis hat der IMA Leitlinien für die Berücksichtigung von ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen Gesichtspunkten bei der Über- nahme von Ausfuhrgewährleistungen des Bundes ent- wickelt. Danach sind Exporte grundsätzlich als förde- rungswürdig zu betrachten, wenn sie den gesetzlichen Vorschriften des Außenwirtschaftsrechts, den allgemeinen Gesetzen, den Rechtsvorschriften zwischenstaatlicher Einrichtungen und relevanten internationalen Vereinba- rungen nicht widersprechen. Zusätzlich haben ökologi- sche, soziale und entwicklungspolitische Auswirkungen Einfluss auf die Förderungswürdigkeit eines Projektes. Diese Leitlinien wird der IMA offiziell beschließen, damit die veränderte Praxis festschreiben und in einigen Berei- chen auch darüber hinausgehen. Gleichzeitig enthalten die Leitlinien eine „Anpassungsklausel“, um das Vergabever- fahren zeitnah an die internationale Entwicklung – insbe- sondere im Rahmen der OECD – anzugleichen. Durch die konsequente Anwendung dieser Leitlinien wird das Instrument der Ausfuhrgewährleistung zeit- gemäß weiterentwickelt und gerade damit entscheidend stabilisiert. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass der IMA sich diese Leitlinien geben wird. Jetzt wird es darauf ankommen, die Leitlinien in der Vergabepraxis besonders bei hochsensi- blen Projekten wie Kernkraftwerken, Rüstungsexporten, Exporten gefährlicher Chemikalien und bei großen Stau- dammprojekten konsequent anzuwenden. Außerdem er- warten wir, dass sich die Bundesregierung aktiv an den Beratungen im Rahmen der OECD beteiligt und die Erar- beitung international verbindlicher Leitlinien zur Vergabe von Exportkreditversicherungen intensiv vorantreibt. Um auch das Parlament in angemessenem Maße an den Vergabeverfahren zu beteiligen, soll künftig neben dem Haushaltsausschuss auch der für Hermesbürgschaften fe- derführende Wirtschaftsausschuss über die Übernahme von Ausfuhrgewährleistungen von hochsensiblen Ge- schäften und Großprojekten unterrichtet werden. Zusätzlich ist uns ein weiterer Punkt wichtig: Da deut- sche Exporteure zukünftig immer häufiger auch die Rolle des Investors und Betreibers eines Projektes übernehmen werden, um international wettbewerbsfähig bleiben zu können, sollte die Bundesregierung Möglichkeiten für eine bessere Koordinierung der Ausfuhrgewährleistungen mit der Investitionsabsicherung prüfen. Auf diese Weise könnte ein entscheidender Beitrag zu einer besseren Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen geleistet werden. Es ist uns gelungen, das Instrument der Exportkredit- versicherung zu modernisieren, ohne aus dem Auge zu verlieren, dass es sich primär um ein außenwirtschaftspo- litisches Instrument handelt, das es auch bleiben muss. Zu den Anträgen der Opposition: Den Damen und Her- ren von der CDU/CSU Fraktion kann ich sagen: Schon der Titel Ihres Antrags „Für den Erhalt von Hermes als In- strument der Außenwirtschaftsförderung und eine Reform des Hermes-Instruments im internationalen Rahmen“ ist irreführend. Meine Ausführungen haben, denke ich, deut- lich gemacht, dass der Erhalt dieses wichtigen außenwirt- schaftspolitischen Instruments bei uns nie infrage gestellt wurde. Ganz im Gegenteil: Erst durch die Modernisierung von Hermes haben wir seinen Erhalt auf lange Jahre gesi- chert. Ein Instrument, das an veränderte Bedingungen nicht angepasst wird, ist dagegen nicht überlebensfähig. Zum F.D.P.-Antrag: Es steht ja viel Richtiges drin; aber er ist an einigen Stellen leider obsolet geworden. Es geht eben nicht mehr um den „Hermes-Umweltleitfaden“, von dem Sie sprechen. Es geht vielmehr um umfassendere Leitlinien, die bei diesem primär wirtschaftspolitischen Instrument in angemessener Form auch ökologische, so- ziale und entwicklungspolitische Gesichtpunkte zeit- gemäß berücksichtigen. Im Übrigen: Wie man ja weiß, ist das Bessere der Feind des Guten. Deshalb lehnen wir den F.D.P.-Antrag ab und stimmen dem weitaus umfassenderen und konkreteren ei- genen Antrag zu. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16205 (C) (D) (A) (B) Erich G. Fritz (CDU/CSU): Die Außenwirtschafts- politik war in der Vergangenheit von großer Gemeinsam- keit der Fraktionen des Deutschen Bundestages getragen. Ich erinnere an den von allen Fraktionen beschlossenen Antrag aus dem Jahre 1996. Ausfuhrgewährleistungen, Auslandshandelskammern, Bundesstelle für Außenhan- delsinformation und Messeförderung bleiben die wich- tigsten Instrumente der deutschen Außenwirtschaftspoli- tik. Leider legt die Bundesregierung wenig Wert auf die Pflege dieser Instrumente: Bei der BfAI wird gekürzt, das Informationsnetz wird ausgedünnt, das Netz der Aus- landshandelskammern wird trotz mittlerweile guter Selbstfinanzierungsanteile von bis zu 75 Prozent nicht in der Weise entwickelt, wie das nötig wäre. Die Messeför- derung bleibt hinter den interfraktionell vereinbarten Zie- len zurück und die Hermes-Reform-Debatte findet hinter verschlossenen Türen als Koalitionshickhack statt. Weder gibt es über die Diskussion in der Regierung Berichte im Wirtschaftsausschuss, noch wollten die Koalitionspar- teien die Debatte im Plenum des Deutschen Bundestages. Erst im letzten Augenblick kommt die Koalition mit ei- nem Antrag. Dass die Debatte über die Reform von Hermesbürg- schaften an einem Freitagnachmittag stattfindet, zeigt, welch geringe Bedeutung die rot-grüne Mehrheit diesem seit mehr als 50 Jahren bestehenden und effizienten Mit- tel der Exportförderung beimisst. Dies darf angesichts der aktuellen politischen Diskussion um eine Reform der Ausfuhrgewährleistungen des Bundes verwundern. Dies verwundert auch besonders deshalb, weil es gerade von- seiten der rot-grünen Regierung seit geraumer Zeit Bestrebungen gibt, entwicklungspolitische, soziale und ökologische Aspekte im Rahmen des Hermes-Vergabe- verfahrens stärker zu berücksichtigen. Mit dem jüngst von Rot-Grün gefundenen Kompro- miss, bei der Vergabe staatlicher Bürgschaften für Exporte die Folgen für Umwelt, Soziales und Entwicklungspolitik zu berücksichtigen, ändert sich zunächst nach Aussagen des Wirtschaftsministers nichts. Mit Recht stellte daher ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums gegenüber der „taz“ fest, dass man den Leitfaden gar nicht gebraucht hätte. Denn der Leitfaden sieht Regelungen vor, die oh- nehin bereits gängige Praxis sind. Die Bundesregierung wäre bereits heute in der Lage gewesen, bei Großprojek- ten Umweltprüfungen von den Antragstellern zu verlan- gen. Ökologische, soziale und entwicklungspolitische Gesichtspunkte werden schon jetzt im Rahmen der För- derungswürdigkeit und der risikomäßigen Vertretbarkeit berücksichtigt. Die Praxis, bei der Vergabe staatlicher Bürgschaften für Exporte auch umwelt-, sozial- und entwicklungspoli- tische Folgen zu prüfen, hat sich also bereits bewährt. Dass dabei immer wieder der Eindruck von undurch- schaubaren Verfahren und Geheimniskrämerei entstanden ist, der vor allem bei kritischen NGOs den Eindruck er- weckte, der IMA sei ein Ausschuss zur Durchsetzung von Wirtschaftsinteressen gegen Umwelt- und Entwicklungs- erfordernisse, liegt an einer eher altertümlich anmutenden Verwaltungsarbeit, die wenig transparent und kommuni- kativ ist und nicht mehr dem Standard großer Industrie- staaten entspricht. Dabei kann das Instrument nur gewin- nen, wenn an den Entscheidungen sichtbar wird, dass Prin- zipien, die in der sozialen Marktwirtschaft gemeinsame Grundlage und einer nachhaltigen und kohärenten Politik verpflichtet sind, natürlich nicht bestimmte Bereiche aus- klammern können. Die Abwägung muss aber verantwort- lich von den beteiligten Entscheidern im Bewusstsein der Verantwortung ihres Handelns geschehen, von diesen in Zweifelsfällen öffentlich begründet und müssen nicht un- bedingt in formale und bürokratische Verfahren gepresst werden. In der Regel umstrittene Ausfuhren für sozial-, umwelt- oder entwicklungsrelevante Großprojekte kom- men mit oder ohne festgelegte Grundsätze in die öffent- liche Diskussion und erfordern schon deshalb eine parla- mentarische Diskussion, die sich bisher kein Bundestag entgehen ließ. Das Hauptproblem beim Vorgehen der Koalition mit ihren Grundsätzen oder Leitsätzen für die Hermes-Ent- scheidungen ist, dass aus diesen schriftlich fixierten Kri- terien die Forderung nach exekutiver Perfektionierung und nach jedem Streitfall die Erweiterung des Regelungs- bedarfs entstehen wird. Wir kennen doch die Neigung der beteiligten Parteien. Hermes muss aber vor allem ein handhabbares und flexibles, vor allem schnelles Instru- ment bleiben. Die vom amerikanischen Kongress per Ge- setz festgelegten Regelungen zeigen, dass man innerhalb eines weiten Rahmens verantwortlich handeln kann. Das Hermes-Instrument sollte daher nicht durch die in den neuen Umweltleitlinien der rot-grünen Bundesregie- rung aufgestellte Forderung, bei Hermes-Anträgen ver- stärkt umwelt-, sozial- und entwicklungspolitische Krite- rien zu berücksichtigen, überfordert werden. Hermes muss vielmehr auch in Zukunft ein Instrument der Wirt- schafts- und Exportförderung bleiben. Nur so kann Her- mes den Zugang der deutschen Industrie zu den Märkten der Schwellen- und Entwicklungsländer ermöglichen, dem deutschen Mittelstand eine effiziente Form der Ex- portförderung bieten und dem Ziel der staatlichen Aus- fuhrgewährleistung gerecht werden, den Export zu för- dern und damit weiterhin Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern. Dass Hermes für deutsche Unternehmen als Instrument zur Absicherung ihrer Exporte gegen politische und wirt- schaftliche Risiken in unterentwickelten und risikorei- chen Regionen der Welt unverzichtbar geworden ist, be- weisen die Zahlen aus dem Jahr 2000: Danach konnte im Geschäft mit Hermesbürgschaften ein Überschuss von 67 Millionen DM erzielt werden. Insgesamt übernahm der Bund im vergangenen Jahr Bürgschaften in Höhe von 38,1 Milliarden DM, was rund 3,3 Prozent des gesamten deutschen Exports entspricht. Etwa 97 Prozent der vom Bund übernommenen Deckungen entfielen dabei auf Ex- porte in Entwicklungsländer bzw. die Staaten Mittel- und Osteuropas. Gegenüber 1999 sind die neu übernommenen Hermes-Deckungen um 43 Prozent gestiegen – ein An- stieg, der auf eindrucksvolle Weise die Bedeutung von Hermes für die deutsche Exportwirtschaft bestätigt. Nicht zu vergessen sind die 140 000 bis 260 000 Arbeitsplätze in Deutschland, die laut einer Studie der Prognos AG vom Dezember 2000 allein durch Hermes gesichert werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116206 (C) (D) (A) (B) Damit dies so bleibt, sollte das Hermes-Instrument kontinuierlich weiterentwickelt werden, und zwar ausge- richtet am Bedarf der Exportwirtschaft. Dabei kommt in einer immer stärker verflochtenen Wirtschaft zwischen den großen Wirtschaftsregionen der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen durch unterschiedliche Ge- währleistungspolitiken eine große Bedeutung zu. Es kann nicht richtig sein, dass deutsche Unternehmen nach deut- schen Richtlinien keine Gewährleistung bekommen kön- nen, sie aber in anderen Ländern durch dortige Export- kreditversicherer sehr wohl erhalten. Deshalb hat eine Reform des Hermes-Instruments nur international mit den Partnerländern in der OECD koordiniert einen wirklichen Sinn. Deshalb fordert die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Bundesregierung auf, für den Erhalt von Hermes als ei- nem praktikablen Instrument der Außenwirtschaftsförde- rung einzutreten und vor dem Hintergrund der zuneh- menden Globalisierung und der damit einhergehenden Verschärfung des internationalen Wettbewerbs jegliche Reform des Hermes-Instruments im internationalen Rah- men durchzuführen. Nationale Alleingänge verbieten sich aufgrund der bereits vorhandenen hohen Standards, die erhebliche Wettbewerbsnachteile für die deutsche Export- wirtschaft mit sich bringen würden. Wir fordern ferner, angesichts der hohen deutschen Umweltstandards im internationalen Vergabeverfahren auf eine Harmonisierung der staatlichen Exportkreditver- sicherung zu drängen. Hinsichtlich verschärfter Umwelt- standards muss Harmonisierung unser vorderstes Inte- resse sein. Außerdem mahnen wir an, auf OECD-Ebene für eine Beschleunigung der Verhandlungen über die Entwicklung gemeinsamer Umweltleitlinien einzutreten sowie aktiv an den Verhandlungen und der Arbeit der OECD-Working Party on Export Credits and Export Credit Guarantees mitzuwirken. Ziel muss die beim Kölner G-8-Gipfel ver- einbarte Erarbeitung gemeinsamer Umweltrichtlinien für die Exportkredit-Agenturen bis zum G-8-Gipfel 2001 in Rom sein. Dieser klare politische Auftrag zur Konsens- bildung muss von den OECD-Staaten erfüllt werden. Wir fordern, bei den Verhandlungen über die Entwick- lung von Umweltleitlinien auch die Erfahrungen der US Export-Import-Bank, Ex-Im-Bank, zu berücksichtigen, die in ihren Richtlinien vom April 1998 Umweltkriterien vorsieht, sich für den Erhalt einer flexiblen und unbüro- kratischen Handhabung bei der Vergabe von Hermesbürg- schaften einzusetzen, damit sich die deutschen Unterneh- men mit ihren Produkten und hohen technologischen Standards auf den Weltmärkten behaupten können, sowie darauf hinzuwirken, dass das Hermes-Instrument einfach und bürokratisch handhabbar bleibt. Schnelligkeit und Flexibilität der Entscheidungsprozesse sind für die deut- sche Exportwirtschaft oft entscheidende Elemente im in- ternationalen Wettbewerb. Bei dem von Rot-Grün vorge- sehenen Umweltleitfaden steckt der Teufel allerdings im Detail, wenn es künftig bei Umweltprüfungen um Ab- grenzungsfragen zwischen den Sektoren geht, die prü- fungsfrei sind oder einer zusätzlichen Prüfung unterlie- gen. Rot-Grün beeinträchtigt damit die internationale Wettbewerbsfähigkeit vor allem mittelständischer Ex- portunternehmen, weil Projektprüfungszeiträume, die sich in Deutschland bereits heute sehr langwierig gestal- ten, weiter in die Länge gezogen werden. Es soll auf internationaler Ebene mehr Transparenz durch die Erstellung einer im Internet veröffentlichten Liste über Großprojekte durch die OECD-Mitglieder in freiwilliger und anonymisierter Form geschaffen werden sowie auf nationaler Ebene die Transparenz durch die zeitnahe Veröffentlichung von Entscheidungen des Inter- ministeriellen Ausschusses, IMA, durch das Bundeswirt- schaftsministerium und durch eine frühzeitige und um- fassende Information der Bundestagsausschüsse, deren Ressorts im IMA vertreten sind, erhöht werden. Zur Er- höhung der Transparenz von Hermes-Entscheidungen sagt der Umweltleitfaden bisher leider nur sehr wenig. Auf nationaler Ebene wird die Debatte, inwieweit Her- mes nicht nur als Instrument der Exportsicherung, son- dern auch als ein Instrument der Umweltpolitik taugt, trotz der absehbaren Einigung der Regierungsparteien kaum beendet sein. Vielmehr wird die politische Praxis sehr schnell zeigen, dass der Grundsatzstreit über die Re- form der Hermes-Exportgarantien angesichts der weit hinter den von Bündnis 90/Die Grünen zurückgebliebe- nen Forderungen nur vertagt worden ist. Rot-grüner Streit wird spätestens dann wieder aufbrechen, wenn über die Vergabe von Hermesbürgschaften für Nuklearanlagen, Rüstungslieferungen und gefährliche Chemieexporte ent- schieden werden soll. Zunächst dürfen wir jedoch gespannt sein, wann der „Umweitleitfaden“, der nach Informationen aus dem Bundeswirtschaftsministerium in „Umweltleitlinien“ um- benannt werden soll, auch tatsächlich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Die Einigung im Interministe- riellen Ausschuss jedenfalls lässt noch immer auf sich warten. Für die CDU/CSU ist der Weg eindeutig: Am sinn- vollsten bleibt unsere Forderung, dass jegliche Reform des Hermes-Instruments im internationalen Rahmen er- folgen muss, weil nationale Alleingänge aufgrund der bereits existierenden hohen Standards erhebliche Wettbe- werbsnachteile für die deutschen Exporteure im interna- tionalen Vergabeverfahren mit sich bringen würden. Inso- fern müssen OECD-Regeln Vorrang vor den von Rot-Grün eingeschlagenen Sonderegelungen haben. Es gibt angesichts der weit fortgeschrittenen Verhandlungen keinen vernünftigen Grund für nationale Alleingänge. Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wie Sie wissen, hat sich die rot-grüne Regierungs- koalition eine Reform der Hermesbürgschaften nach ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen Ge- sichtspunkten vorgenommen. Damit wollen wir der Tatsache Rechnung tragen, dass die Vergabe von Hermesbürgschaften nicht nur ein be- währtes Instrument der Außenwirtschaftsförderung bleibt, sondern auch dafür sorgen, dass bei solchen durch den Fis- kus gedeckten Lieferungen und Investitionen keine nega- tiven Auswirkungen auf die Umwelt und Bewohner im Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16207 (C) (D) (A) (B) Bestellerland eintreten. Denn leider hat es in der Vergan- genheit immer wieder Beispiele gegeben, dass auch deut- sche Exportfirmen an der irreversiblen Zerstörung und Belastung unserer natürlichen Umwelt beteiligt waren. Traurige Fälle, welche die ansonsten erfolgreiche Bilanz der letzten 52 Jahre trüben. Doch der Wettbewerb einer global agierenden Wirtschaft darf sich nicht nur um lukra- tive Aufträge und profitable Geschäfte drehen, sondern muss sich auch an dem Leitbild einer nachhaltigen Ent- wicklung messen lassen. Wer die Bedeutung der Hermes-Reform richtig verste- hen will, muss sich den Umfang der Ausfuhrgewährleis- tungen vor Augen führen. Im letzten Jahr hat der Bund Bürgschaften in Höhe von 38,1 Milliarden DM übernom- men – ein Zuwachs von fast 50 Prozent gegenüber 1999. Das entspricht einem Anteil von circa 3,3 Prozent am Ge- samtexport. Das hört sich gering an. Doch klingt es an- ders, wenn man weiß, dass 97 Prozent aller verbürgten Exporte in Entwicklungs- und Schwellenländer gehen und damit Geschäfte abdecken, die in ihrem Wertumfang weit über die internationale Entwicklungshilfe hinaus- gehen. Damit werden Arbeitsplätze in Deutschland gesichert. Wie aus einer Studie des Basler Prognos-Institutes hervor- geht, etwa 216 000. Das Gros der Anträge, circa 72 Pro- zent, kommt aus mittelständischen Unternehmen, für die bei oftmals geringer Kapitaldecke eine finanzielle Absi- cherung außerordentlich wichtig ist. Zudem gehören staatliche Ausfallbürgschaften zum Garantiebestand in- ternationaler Geschäfte und sind damit ausschlaggebend für die Wettbewerbssituation deutscher Firmen. Was bis- her zu wenig beachtet wurde, ist die nachhaltige Ent- wicklung im Bestellerland. Eine sicherlich sensible An- gelegenheit, weil sich die Besteller ungern Vorschriften machen lassen, die über die in ihrem Land geltenden Stan- dards hinausgehen. Gerade bei den kontroversen Diskus- sionen im Rahmen der WTO ist der Vorwurf der Protek- tion an die industriellen Erzeugerländer erhoben worden, die angeblich mit ihren hohen Qualitätsanforderungen die Beteiligung und Zulieferung von einheimischen Unter- nehmen verhindern wollen. Darum sollte die Hermes-Re- form keine restriktiven, starren Vorgaben machen, son- dern eine flexible Herangehensweise mit Anpassung an internationale Standards ermöglichen. Doch nun im Einzelnen, was wir bisher in anstrengen- der Arbeit und zähen Verhandlungen – ich will das gar nicht verschweigen – mit dem federführenden Bundes- wirtschaftsministerium erreicht haben: Erstens. Dem IMA – Interministeriellen Ausschuss – liegt ein Entwurf vor, der die „Leitlinien für die Berück- sichtigung von ökologischen, sozialen und entwicklungs- politischen Gesichtspunkten bei der Übernahme von Aus- fuhrgewährleistungen des Bundes“ beschreibt. Keine folgenlose Prosa oder Sammlung von unverbindlichen Absichtserklärungen – wie von Kritikerinnen gesagt wird –, sondern erstmalig ein Prüfungs- und Entschei- dungsleitfaden, der das bisher praktizierte Freihand-Ver- gabeverfahren auf empirischer Grundlage ablöst. Zweitens. Damit richtet sich die Exportförderwürdig- keit künftig nicht nur an wirtschaftlichen Erwägungen, sondern auch an dem Leitbild einer nachhaltigen Ent- wicklung aus. Das wird sich insbesondere auf den Export von Umwelttechnik und regenerativen Energietechnolo- gien auswirken. Zwei Wirtschaftszweige, die weltweite Verbreitung verdienen. Drittens. Von einer Förderung ausgeschlossen sind Nu- kleartechnologien. Sowohl für Neubauten als auch für Nachrüstungen bei bestehenden AKWs. Damit wollen wir einen national beschrittenen Ausstiegsweg auch interna- tional fortsetzen. Viertens. Die Leitlinien enthalten, was für ähnliche Richtlinien ungewöhnlich und neu ist, eine Anpassungs- und Änderungsklausel. Damit soll eine zeitnahe Anpas- sung an die internationale Entwicklung und eine ständige Verbesserung aufgrund der gewonnenen Erfahrungen ge- schehen. Hier sind vor allem die Kritiker aufgerufen mit- zuwirken. Nicht das Papier, sondern die Praxis wird die Tauglichkeit der Leitlinien beweisen. Fünftens. Die Leitlinien schreiben ein verbindliches, zweistufiges Prüfungsverfahren vor: Erste Stufe Vorprüfung/Screening: Alle Projekte ab ei- nem Auftragswert von 15 Millionen Euro und relevantem deutschen Lieferanteil werden künftig eine Vorprüfung, ein Screening durchlaufen. Bei konkreten Anhaltspunkten für die Umweltrelevanz eines Projektes wird die Vorprü- fung auch auf Anträge mit niedrigerem Auftragswert aus- geweitet. Hier ist vor allem das Projektumfeld entschei- dend. Also die Einbeziehung solcher sensiblen Punkte wie Primärwälder, Bioreservate, Siedlungsgebiete indigener Völker, anerkannte Kulturgüter, Dimension der Umsied- lung usw. Zweite Stufe Tiefenprüfung/Review: Wenn sich aus dem Screening ein weiterer Prüfungsbedarf ergibt, schließt sich eine sektorenunabhängige und sektorenspe- zifische Überprüfung an, die in der Regel einzelfall- und projektbezogen erfolgt. Hierzu können ergänzende und vertiefende Umweltgutachten angefordert werden. Wich- tig ist, dass die Umweltstandards des Bestellerlandes mit international anerkannten und üblichen Umweltvor- schriften – WCD, Weltbank, EBRD – verglichen werden – Benchmarking – und entsprechende Übereinstimmung erzielt werden soll. Einordnung in Kategorien: Wie bei den Weltbankkrite- rien vorgesehen, erfolgt dann eine Einordnung der ge- prüften Projekte in die drei Kategorien A, B und C. Wo- bei die Kategorie A darauf hinweist, dass starke ökologische, soziale und entwicklungspolitische Auswir- kungen zu erwarten sind, die nicht lokal begrenzt und/oder irreversibel erscheinen. Also Projekte, bei denen ein hohes Risiko bzw. Gefahren für Umwelt und Men- schen und dementsprechende Konflikte absehbar sind. Sechstens. Sofern die Prüfung Verbesserungsbedarf er- gibt, kann die Deckungsentscheidung mit konkreten Um- weltauflagen verbunden werden. In solchen Fällen erfolgt eine spezielle Überwachung und Kontrolle durch „Moni- toring Reports“. Siebtens. Ein wichtiges Kapitel ist die Einbeziehung von verfügbaren Informationsquellen. Hier sind aus- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116208 (C) (D) (A) (B) drücklich die Nichtregierungsorganisationen genannt, von denen in der Vergangenheit oft wichtige Hinweise ka- men. Aber auch Informationen aus den Botschaften und der Bevölkerung im Bestellerland werden künftig stärker zur Beurteilung der Projekte herangezogen. Der Bund wird diesbezüglich eine fachkompetente Bewertung der Umweltinformationen sicherstellen. Achtens. Die Wirksamkeit der Leitlinien wird sehr da- von abhängen, inwieweit es gelingt, die Vorhaben und Entscheidungen öffentlich und nachvollziehbar zu ma- chen. Deswegen sollen künftig Projekte der Kategorie A in Deutschland frühzeitig transparent gemacht werden. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich im Rahmen der laufenden OECD-Verhandlungen aktiv dafür einsetzt, dass demnächst ein abgestimmtes Verfahren zur Veröffentlichung von Projektort und Projektart bereits im Prüfstadium realisiert wird. Hinsichtlich Parlament soll- ten nicht nur der Haushaltsausschuss, sondern sämtliche Ausschüsse der im IMA vertretenen Ressorts informiert werden. Die Hermes-Reform ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Vielleicht kein Meilenstein. Aber das wird sich zeigen. Meine Fraktion – ich will das nicht ver- hehlen – ist nicht vollauf zufrieden damit. An unseren Ausgangsvorstellungen und den jahrelangen Bemühun- gen und Erfahrungen gemessen, gibt es etliche Punkte, die wir als neuralgisch ansehen. Nicht das Papier, sondern die Praxis wird den Gebrauchswert dieser Leitlinien bestim- men. Wir werden deswegen die Bürgschaftsvergabe auch in Zukunft kritisch begleiten, um sicherzustellen, dass die Leitlinien dazu beitragen, deutsche Exporte zu fördern, ohne in Konflikt mit Umwelt und Menschen in der Zwei- drittelwelt zu geraten. Wir verstehen die Leitlinien als dy- namische Vorgaben mit zeitnaher Anpassung, welche die Möglichkeit geben, neue Erfahrungen und Veränderun- gen auf internationaler Ebene konstruktiv aufzugreifen. Gudrun Kopp (F.D.P.): Die Hermes-Exportbürg- schaften sind ein zuverlässiges und flexibles Instrument der Außenwirtschaftsförderung. Insgesamt übernahm der Bund im Jahr 2000 Bürgschaften in Höhe von 38 Milliar- den DM und erwirtschaftete sogar zum wiederholten Male einen Überschuss von 67 Millionen DM. Hermes-Exportgarantien sichern inzwischen – laut ei- ner Studie – circa 200 000 Arbeitsplätze in Deutschland, und zwar überwiegend in der mittelständischen Export- industrie, auf die 80 Prozent der Einzeldeckungen entfal- len. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass dieser er- folgreiche Förderbereich nicht immer wieder mit Förderinteressen von SPD und vor allem Grünen über- frachtet wird. Es ist unverantwortlich, die Vergabe von Hermesbürg- schaften auch noch an Forderungen zu Frauenförderung, Entwicklungshilfe und Beteiligungen von Nichtregie- rungsorganisationen zu knüpfen. Die F.D.P. setzt sich des- halb mit ihrem Antrag gezielt ein für ein effizientes und transparentes Ausfuhrgewährleistungssystem. Hermes-Deckungen müssen mit so wenig Bürokratie wie möglich gehandhabt werden, damit sich deutsche Unternehmen mit ihren innovativen Produkten und ihren hohen technischen Standards auch in Zukunft auf den Weltmärkten durchsetzen können. Der geltende Umwelt- leitfaden für Hermesbürgschaften ist ausreichend und darf nicht mit noch mehr Auflagen für den exportierenden Mit- telstand befrachtet werden. Die F.D.P. unterstützt die entsprechende Position des Bundeswirtschaftsministers und stellt mit ihrem Antrag sieben Forderungen an die Bundesregierung: Erstens. Keine Abweichungen von den vereinbarten OECD-Umweltleitlinien für Ausfuhrgewährleistungen. Zweitens. Unterstützung des Hermes-Umweltleitfa- dens des BMWi, verbunden mit der Entwicklung von ef- fizienteren, flexibleren Instrumentarien. Drittens. Die vorgesehenen Schwellenwerte für das Screening-Verfahren sind hinreichend. Viertens. Ablehnung einer Ausschlussliste für Hermes- bürgschaften. Fünftens. Unterstützung für einheitliche Kriterien ei- ner Präsentation im Internet im Rahmen der OECD. Sechstens. Einzelfallentscheidungen durch den Inter- ministeriellen Ausschuss. Siebtens. Über besondere Charakteristika zu anstehen- den Projekten informiert der IMA die zuständigen Res- sorts und Ausschüsse. Zu dem von den Regierungsfraktionen vorgelegten Antrag ist die Frage zu klären, in welchem Zusammen- hang der IMA bei der Bearbeitung von Hermesbürgschaf- ten menschenrechtliche Aspekte einbeziehen soll. Er- klärungsbedürftig ist außerdem, in welcher Form in den Leitlinien eine eingeschränkte Exportförderfähigkeit bei hoch sensiblen Projekten wie Kernkraftwerken, Rüs- tungsexporten oder gefährlichen Chemikalien festgelegt werden soll. Darauf geben SPD und Grüne keine Ant- worten. Wichtig ist uns Liberalen, dass die politischen Ent- scheidungen über die Exportfähigkeit von Produkten dem Bundessicherheitsrat vorbehalten bleiben und die Export- kontrollen dem Bundesausfuhramt vorbehalten bleiben. Das Parlament ist rechtzeitig über solche Entscheidungen zu informieren und alle Instrumente müssen unter beson- derer Berücksichtigung des Mittelstandes gehandhabt werden. Ursula Lötzer (PDS): Was Sie heute in Ihrem Antrag an Neuerungen hinsichtlich des Ausfuhrgewährleistungs- systems vorlegen, hat nichts mit der Reform zu tun, die Sie in Ihrer Koalitionsvereinbarung versprochen hatten. Es handelt sich um eine Ansammlung unverbindlicher Absichtserklärungen. Damit hat sich das Wirtschaftsmi- nisterium mit seiner eindeutigen Orientierung an den Ex- portinteressen durchgesetzt. Die Kernforderung der Hermes-Kampagne, verbind- liche Standards für Exportbürgschaften und unabhängige Umwelt- und Sozialprüfungen, wären die Voraussetzung für eine glaubwürdige Reform. Außer dem Ausschluss Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16209 (C) (D) (A) (B) der weiteren Exportförderung von Nukleartechnologie für den Neubau und die Umrüstung von Atomanlagen findet sich in ihrem Entwurf nichts davon. Dabei wäre in diesem Zusammenhang eine Festlegung auf die Weltbankstan- dards eine mögliche Mindestfestlegung gewesen, da sie bereits international gültiges Regelwerk darstellen. Nicht ohne Grund sind große Staudammprojekte einer der Hauptauseinandersetzungspunkte um die Hermes- Reform gewesen. In vielerlei Hinsicht verkörpern sie die Diskussion über den Stellenwert von Menschenrechten, der Absicherung der Lebensumstände von Menschen ge- genüber Zwangsumsiedlungen sowie des Schutzes vor ökologischem Raubbau. Die World Commission of Dams hat zweieinhalb Jahre lang die erste unabhängige Untersuchung großer Dammprojekte durchgeführt. Ex- perten, Vertreter von Regierungen, Nichtregierungsorga- nisationen und Industrie haben sich auf gemeinsame Empfehlungen für einen internationalen Standard in der Bewertung großer Dammprojekte geeinigt. Die Bun- desregierung hat die Arbeit mitfinanziert, das BMZ hat Initiativen zur Umsetzung ergriffen. Dass nicht einmal die als Standard für Hermesbürgschaften aufgenommen wur- den, ist nicht akzeptabel. Dabei vergab die Bundesregierung bereits zweimal Hermesbürgschaften – einmal 1997 in Höhe von 270 Mil- lionen US-Dollar und einmal 1999 53 Millionen US- Dollar – für das „Tschernobyl der Wasserkraft“, den Drei- Schluchten-Staudamm. Und mit 75 Millionen DM und einer Grundzusage von 50 Millionen beteiligen Sie sich an weiteren Ausbaustufen der Zellstoffproduktion in India Kiat. Insgesamt wurden dafür über 500 Millionen DM ge- währt. Geliefert wurden veraltete Technologien, die er- wiesenermaßen hohe Gesundheitsrisiken für die Bevölke- rung mit sich brachten. Der Urwald wird illegal gerodet, bisher 855 000 Hektar. Jährlich hat der seit mehr als zehn Jahren anhaltende Zellstoffboom 1 Prozent des Regen- waldes zerstört. Das dringend benötigte Trinkwasser wird durch den Chlorausstoß verseucht. Haut- und Atemwegs- erkrankungen, verursacht durch illegale Fabrikabwässer, breiten sich weiter aus. Bereits 1999 standen die auf sol- chen Pump gebauten indonesischen Zellstofffabriken mit 13 Milliarden US-Dollar in der Kreide. Solche Hermes- bürgschaften treiben die Verschuldung in die Höhe. Hermesbürgschaften sind ein staatliches Instrument, entsprechend sind auch öffentliche und parlamentarische Kontrolle notwendig. Bisher wurde das geheime Proze- dere der Bearbeitung von 30 000 bis 50 000 Anträgen jährlich nur in wenigen Fällen und nur auf Druck von Nichtregierungsorganisationen und Betroffenen bei be- sonders umstrittenen Projekten aufgehoben. Selbst bei diesen wurden relevante Umwelt- und Sozialverträglich- keitsprüfungen nicht öffentlich zugänglich. Das Parla- ment hatte keinen Einfluss auf die Entscheidungspro- zesse. Doch auch hinsichtlich der Transparenz und der Ein- beziehung der Zivilgesellschaft und der Betroffenen ist die vorgelegte Regelung keine Verbesserung. Weder wird die Öffentlichkeit informiert, noch ist ein Dialog mit NGOs vorgesehen. Obwohl 97 Prozent aller verbürgten Exporte in Entwicklungsländer gehen, soll nicht einmal der Entwicklungsausschuss bei besonders problemati- schen Projekten einbezogen werden. Die G-8-Staaten haben sich verpflichtet, ihre jeweili- gen Exportkreditagenturen und deren politische Ziele an die Förderung einer wirtschaftlichen und sozialen Ent- wicklung anzupassen und zentrale Forderungen nach Transparenz und demokratischen Entscheidungen in den G-8-Staaten selbst umzusetzen. Gestern wurde hier das Programm zur Armutsbekämp- fung vorgestellt. Die Bundesregierung wolle bei der Bekämpfung der Armut und der Wahrung der Interessen der Entwicklungsländer eine Vorreiterrolle spielen. Mit diesem vorgelegten Entwurf spielen Sie nicht nur keine Vorreiterrolle, sie fallen hinter internationale Regelungen und die Regelungen anderer Staaten zurück und werden zum Bremser in der OECD. Das hier gestern vorgestellte Programm zur Armuts- bekämpfung verkommt zum Lippenbekenntnis. Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Wirtschaft und Technologie: Uns liegen drei Anträge zum Ausfuhrgewährleistungssystem vor. Die F.D.P.-Fraktion hat den Antrag „Für ein effizientes und transparentes Ausfuhrgewährleistungssystem“ vorgelegt. Sie unterstützt darin das Umweltverfahren des Interminis- teriellen Ausschusses für Ausfuhrgarantien und Ausfuhr- bürgschaften, IMA, sowie die Verhandlungen der Bun- desregierung in der OECD über gemeinsame Umwelt- leitlinien für Exportkreditagenturen. 1997, als die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen für Hermes ein Umweltprüfverfahren forderten, stufte der frühere Bundeswirtschaftsminister Dr. Günter Rexrodt Umweltaspekte noch als „sachfremd“ ein. Das Umdenken der F.D.P. in Richtung Umweltprüfung – und die CDU/CSU folgt in ihrem Entschließungsantrag die- sem Kurs – macht es heute möglich, Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Dies ist umso wichtiger, als die deut- sche Exportwirtschaft im internationalen Wettbewerb die nachdrückliche Unterstützung von Bundesregierung und Bundestag braucht, um Chancengleichheit zu erhalten. Unser Land muss ein zuverlässiger Partner sein, damit unsere Unternehmen ihre innovativen Produkte mit hohen technologischen und Umweltstandards weltweit absetzen und zugleich zur Verbesserung der wirtschaftlichen Ent- wicklung in den Bestellerländern beitragen können. Die Zuverlässigkeit muss sowohl für die vertraglichen Ver- pflichtungen zur Produktqualität als auch für die Finan- zierung und, soweit erforderlich, die Begleitung mit den Ausfuhrgewährleistungen des Bundes gelten. Zur Er- schließung schwieriger, aber dynamischer Märkte ist eine Hermes-Absicherung häufig unverzichtbar. Zur Förderung der partnerschaftlichen Zusammenar- beit mit den Bestellerländern und in Verantwortung für die Umwelt hat der IMA ein Verfahren zur Berücksichtigung von ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen Gesichtspunkten bei der Vergabe von Ausfuhrgewährleis- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116210 (C) (D) (A) (B) tungen entwickelt. Das neue Verfahren stellt sicher, dass ökologische, soziale und entwicklungspolitische Auswir- kungen von Exportgeschäften erkannt und im Entschei- dungsverfahren verantwortungsbewusst berücksichtigt werden. Insgesamt bleibt das Verfahren unbürokratisch, effizi- ent und mittelstandsfreundlich. Nach einem Screening- Verfahren wird bei kritischen Einzelfällen im Rahmen ei- nes Benchmarkings projektbezogen ein Abgleich mit international anerkannten Standards, wie zum Beispiel denen der Weltbank, durchgeführt. Können Umweltbe- denken nicht ausgeräumt werden, wird versucht, in Kon- takten mit dem Exporteur zu einer Verbesserung des Pro- jekts zu kommen. Die Transparenz nach außen wird erhöht, ohne die Ver- traulichkeit von Geschäftsgeheimnissen zu gefährden. Zur Erhöhung der Transparenz gegenüber dem Parlament wird der für Hermes federführende Wirtschaftsausschuss in Zukunft neben dem Haushaltsauschuss über die Über- nahme von Ausfuhrgewährleistungen von grundsätzlicher Bedeutung, das heißt von sensiblen und Großprojekten unterrichtet. Der IMAwird das von ihm entwickelte und praktizierte Verfahren in „Leitlinien“ festhalten. Die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen unterstützen mit ihrem Entschließungsantrag ausdrücklich dieses Ver- fahren. Die Bundesregierung befolgt und unterstützt mit ihrem Vorgehen das im „Action Statement“ der OECD im Fe- bruar 2000 gemeinsam beschlossene parallele Vorgehen: Die OECD-Mitglieder entwickeln ihre nationalen Verfah- ren und Methoden zur Identifizierung und Prüfung von Umwelteinflüssen. Gleichzeitig tauschen sie unterei- nander ihre Erfahrungen zu den von ihnen entwickelten Verfahren aus. So verfahren auch die anderen OECD- Länder. Ziel ist es, den Auftrag des Kölner Weltwirtschaftsgip- fels vom Juni 1999 auszuführen, bis zum G-8-Gipfel im Juli 2001 auf gemeinsame Umweltleitlinien in der OECD hinzuarbeiten. Die Bundesregierung setzt sich nach- drücklich dafür ein, dass bereits der OECD-Ministerrat im Mai gemeinsame Umweltleitlinien verabschieden kann. Der Entwurf für gemeinsame Leitlinien ist so weit fortge- schritten, dass eine Einigung bis dahin möglich erscheint. Alle Teilnehmer der OECD-Exportkreditgruppe ein- schließlich der G-8-Mitglieder anerkennen die konstruk- tive Unterstützung der deutschen Delegation für einen gemeinsamen Ansatz zur verantwortungsvollen Berück- sichtigung von Umweltbelangen bei den Exportkredit- agenturen. Mit diesen Verhandlungen über ein gemein- sames Vorgehen sichern wir zugleich die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und damit Arbeitsplätze bei uns. Die jetzt anstehenden Beratungen in den Ausschüssen geben Gelegenheit, auf alle Fragen im Einzelnen vertieft einzugehen. Anlage 10 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 761. Sitzung am 30. März 2001 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- stimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 Grundgesetz nicht zu stellen: – Gesetz zur Neuordnung des Gerichtsvollzieher- kostenrechts – GvKostRNeuOG – – Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Verarbeitung und Nutzung der zur Durch- führung der Verordnung (EG) Nr. 820/97 des Rates erhobenen Daten – Gesetz zu dem Abkommen vom 15. September 1998 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- land und der Gabunischen Republik über die gegenseitige Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen – Gesetz zu dem Abkommen vom 15. Februar 1999 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Kambodscha über die För- derung und den gegenseitigen Schutz von Kapi- talanlagen – Gesetz zur Änderung des Übereinkommens zum Schutz der Meeresumwelt des Nordost- atlantiks (OSPAR-Übereinkommen) – Gesetz zu dem Internationalen Übereinkom- men von 1989 über Bergung – Gesetz zur Neuregelung des Bergungsrechts in der See- und Binnenschifffahrt (Drittes Seerechtsän- derungsgesetz) – Gesetz zur Neuordnung des Bundesdisziplinar- rechts – Gesetz über die Anpassung von Dienst- und Ver- sorgungsbezügen in Bund und Ländern 2000 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpas- sungsgesetz 2000 – BBVAnpG 2000) – Gesetz zur Änderung des Krankenhausfinanzie- rungsgesetzes und der Bundespflegesatzverord- nung (DRG-Systemzuschlags-Gesetz) Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Neunundzwanzigster Rahmenplan der Gemeinschaftsauf- gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ für den Zeitraum 2000 bis 2003 (2004) – Drucksache 14/3250 – Ausschuss für Kultur und Medien – Unterrichtung durch die Bundesregierung Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16211 (C) (D) (A) (B) Konzeption zur Erforschung und Präsentation deutscher Kultur und Geschichte im östlichen Europa – Drucksachen 14/4586, 14/4992 Nr. 1 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla- ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Innenausschuss Drucksache 14/5172 Nr. 2.63 Drucksache 14/5172 Nr. 2.94 Haushaltsausschuss Drucksache 14/5503 Nr. 2.1 Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Drucksache 14/5363 Nr. 1.3 Drucksache 14/5363 Nr. 2.14 Drucksache 14/5363 Nr. 2.15 Drucksache 14/5363 Nr. 2.18 Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 14/5172 Nr. 2.13 Drucksache 14/5363 Nr. 2.19 Drucksache 14/5503 Nr. 2.3 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 200116212 (C)(A) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Ich erteile Bundesmi-
    nister Walter Riester das Wort.

    Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
    zialordnung: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da-
    men und Herren! Wir entscheiden heute über einen Mei-
    lenstein der Sozialpolitik. Wir entscheiden über nichts
    Geringeres als über das neue Recht für viele Menschen
    mit Behinderungen in unserem Lande. Es geht um ein

    besseres Recht, aber vor allem geht es um ein besseres Le-
    ben für diese Menschen.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Ich erinnere daran, dass 6,6 Millionen Menschen in un-
    serem Land als Schwerbehinderte anzusehen sind und
    dass der Kreis der Betroffenen – man denke an die An-
    gehörigen – weit über diesen Bereich hinausgeht. Wir re-
    den also nicht über Randgruppen, nicht über Nebensäch-
    lichkeiten, sondern über Menschen, die wir alle kennen,
    und über Lebenslagen, in die wir alle kommen können.

    Es ist ein zentrales Anliegen der Bundesregierung, für
    Menschen mit Behinderungen das Leben einfacher und
    vor allem besser zu machen. Wir haben uns darauf bereits
    in der Koalitionsvereinbarung verpflichtet. Sie kennen die
    ersten Schritte, die getan wurden. Ich verweise auf das
    Schwerbehindertenrecht, auf unsere Kampagne, mit der
    wir 50 000 behinderte Menschen in Arbeit bringen wol-
    len, und auf die intensiven Anstrengungen der Bundesan-
    stalt für Arbeit. Erste Erfolge stellen sich ein. Wir haben
    inzwischen 13 000 Schwerbehinderte in Arbeit gebracht,
    und wir haben die Vermittlungsquote erheblich, nämlich
    um fast 30 Prozent, angehoben.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Das sind erste und sehr wichtige Schritte. Nicht nur im
    Hinblick auf das Arbeitsleben brauchen wir aber umfas-
    sende und weit reichende systematische Lösungen für die
    Probleme von Menschen mit Behinderungen. Wir brau-
    chen Antworten auf die Fragen, die sich im Alltag, in der
    Familie oder in der Reha stellen. Es geht um die gleich-
    berechtigte Teilhabe in der Gesellschaft und um die
    Umsetzung des Benachteiligungsverbots des Grund-
    gesetzes.

    Sie alle wissen, wie schwer das Schicksal jemanden
    treffen kann, wenn er eine Behinderung erleiden und
    obendrein noch feststellen muss, dass die Gesellschaft da-
    mit nicht immer sehr menschlich umgeht. Viele können
    ein trauriges Lied von endlosen Wartezeiten – manch ei-
    ner musste von Pontius zu Pilatus laufen – und vom
    unsäglichen Dschungel des Behindertenrechts singen.
    Leider gibt es auch immer wieder Klagen über die Will-
    kür des Amtsschimmels, über Kompetenzstreitigkeiten,
    die zulasten von behinderten Menschen und ihren An-
    gehörigen ausgetragen wurden, über die schweren Lasten
    für die betroffenen Familien oder über die schmerzhaften
    Erfahrungen, nicht wie ein gleichberechtigter Mensch be-
    handelt zu werden. Die Vielzahl der Probleme ist Legion.
    Ich brauche sie hier nicht im Einzelnen vorzustellen. Ich
    bin sicher, dass mir niemand widersprechen wird, wenn
    ich sage, dass diese Missstände überwunden werden müs-
    sen, damit unsere Gesellschaft und unsere Arbeitswelt im
    Ganzen menschlicher werden.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Schon am 19. Mai des vorigen Jahres wurde im Plenum
    des Bundestages ein entsprechender Entschließungsan-
    trag einstimmig angenommen. Der Bundestag hat über

    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

    Dr. Ilja Seifert

    16121


    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    alle Parteigrenzen hinweg beschlossen, dass die Integra-
    tion von Menschen mit Behinderungen eine zentrale, eine
    dringliche politische und gesellschaftliche Aufgabe ist.
    Damals haben Sie, meine sehr verehrten Damen und Her-
    ren, uns, die Bundesregierung, aufgefordert, das Recht
    der Reha möglichst umgehend in einem neuen Sozialge-
    setzbuch zusammenzufassen und weiterzuentwickeln.
    Wir haben dies mit einem politischen Selbstverständnis
    gemacht, das von einem engen Austausch und von einer
    engen Zusammenarbeit mit allen Beteiligten geprägt ist.

    Ich nenne die Organisationen der behinderten Men-
    schen, die Sozialversicherungsträger, die Wohlfahrtsver-
    bände, die Vertreter der Länder und Kommunen sowie die
    vielen anderen, die mitberaten und mitgearbeitet haben.
    In zahlreichen Abstimmungsrunden wurden offene Fra-
    gen geklärt, Meinungsverschiedenheiten beigelegt, Vor-
    schläge besprochen und – soweit möglich – berücksich-
    tigt. Für die gute Zusammenarbeit möchte ich mich bei
    allen in diesem Saale und draußen im Lande bedanken.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ich freue mich aber auch über die gute parteiübergrei-
    fende Zusammenarbeit gerade in der Schlussphase zwi-
    schen den Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Es
    wurde auf Profilierung und in vielen Punkten auch auf Po-
    larisierung verzichtet. Ich bin überzeugt: Die Menschen
    draußen im Lande würden diesen Politikstil in sehr vielen
    Punkten gerne häufiger sehen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ihnen liegt heute der Entwurf für das neue Sozialge-
    setzbuch IX zur Abstimmung vor. Bevor der Gesetzent-
    wurf in seiner endgültigen Fassung vorlag, konnten wir
    schon viel Positives darüber hören. Beispielsweise wurde
    gesagt: Behinderte Menschen werden künftig nicht mehr
    nur Gegenstand der Fürsorge sein. Sie werden befähigt,
    ihr Leben und ihre Teilhabe in der Gesellschaft selbst-
    ständig und gleichberechtigt in die Hand zu nehmen. – So
    ließe sich das zusammenfassen, was die Menschen vom
    neuen Sozialgesetzbuch zu erwarten haben. Ich meine,
    diese Einschätzung ist richtig.

    Ich will dies mit einigen Beispielen belegen: Wir er-
    weitern die Wunsch- und Wahlrechte der Menschen;
    denn in der Regel wissen diese Menschen besser, was sie
    selbst notwendig brauchen. Deshalb können sie etwa
    Geldleistungen wählen, falls Sachleistungen nicht zwin-
    gend erforderlich sind. Wir berücksichtigen die Bedürf-
    nisse von Frauen und Kindern auf vielfältige Weise.
    Wir geben wohnortnahen, ambulanten Leistungen den
    Vorrang. Wir erstatten Reisekosten für Kinder und er-
    möglichen passgenaue Leistungsangebote etwa bei der
    Teilzeitarbeit. Besonders behinderte Frauen und Kinder
    profitieren von den rund 60 Leistungsverbesserungen.
    Frauen sollen nicht mehr doppelt benachteiligt sein – als
    Frau und Behinderte.

    Wir stellen behinderte Menschen aber auch finanziell
    besser. So verbessern wir die Entlohnung für die Be-
    schäftigten in den Werkstätten für behinderte Menschen,
    und wir verzichten auf die Einkommens- und Vermö-

    gensüberprüfung unterhaltspflichtiger Eltern von erwach-
    senen behinderten Kindern, wenn sie für die Kosten einer
    vollstationären Unterbringung einen gewissen Beitrag
    aufbringen müssen. Wir machen den Zugang zu den Leis-
    tungen, mit denen behindertenbedingte Benachteiligun-
    gen vermieden, ausgeglichen oder überwunden werden,
    schneller und vor allem weniger bürokratisch. Wir führen
    dafür wohnortnahe Servicestellen ein. Lange Wartezeiten
    und mühsame Behördengänge sollen endlich der Vergan-
    genheit angehören.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir werden dem Benachteiligungsverbot des Grund-
    gesetzes gerecht. Dafür verzichten wir auf die Bedürftig-
    keitsprüfung, um bisherige Formen der Ungleichbehand-
    lung von behinderten Menschen abzuschaffen. Wir
    werden dem gewandelten Selbstverständnis von behin-
    derten Menschen besser gerecht. Deshalb nehmen wir
    Rücksicht auf die persönliche Lebenssituation von Fami-
    lien und auch auf Religion und Weltanschauung. Wir
    schaffen das Recht auf Verwendung der Gebärdensprache
    im Verfahren vor Sozialverwaltungen und bei der Aus-
    führung von Sozialleistungen.


    (Dr. Ilja Seifert [PDS]: Sie erkennen die Gebärdensprache nicht an!)


    Dies sind nur einige der wichtigsten Neuerungen.
    Doch sie zeigen deutlich, wie weit die Reform reicht. Das
    Sozialgesetzbuch IX reformiert die Behindertenpolitik in
    unserem Lande von Grund auf. Wir erhalten eine neue und
    einheitliche Grundlage für die Praxis. Damit versetzen
    wir behinderte Menschen in die Lage, ihre eigenen Be-
    lange so weit wie möglich selbst und in Eigenverant-
    wortung zu bestimmen. Wir verbessern das Leistungsan-
    gebot so, dass es zeitgemäß und sozialer wird.

    Es liegt nun an den Leistungsträgern, die neuen Mög-
    lichkeiten so zu nutzen und sie mit Leben zu erfüllen, dass
    die gesteckten Ziele und Erwartungen erfüllt werden. Ich
    wünsche mir, dass alle Beteiligten die notwendigen An-
    strengungen unternehmen. Unser gemeinsames Ziel muss
    es sein, die Dienstleistung zu den Menschen zu bringen
    und den Dienstleistungen sozusagen ein konkretes Ge-
    sicht zu geben.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ich bin überzeugt, es wird uns gelingen.

    Ich freue mich, dass wir uns im Plenum des Bundesta-
    ges und in seinen Ausschüssen über Inhalte und Ziele die-
    ses Gesetzes so sachlich und so kooperativ verständigen
    konnten. Wir sind aufeinander zugegangen und haben uns
    in fast allen Fragen einigen können. Dafür bedanke ich
    mich.

    Das Tor ist nun weit offen, die Behindertenpolitik jetzt
    gemeinsam auf eine neue und gesicherte Grundlage zu
    stellen. Damit können wir unserem Land ein menschli-
    cheres Gesicht geben.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

    Bundesminister Walter Riester

    16122


    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    Das ist wichtig; denn vor allem die Menschen mit Behin-
    derungen erwarten, dass wir diese Chance ergreifen.

    Ich hoffe auf Ihre Zustimmung und möchte mich dafür
    recht herzlich bedanken.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)




Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Matthäus Strebl, CDU/CSU-Fraktion.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Matthäus Strebl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine
    sehr verehrten Damen und Herren! Der heute vorliegende
    Gesetzentwurf ist ein erster Schritt in die richtige Rich-
    tung. Er könnte zwar größer sein, doch entscheidend ist,
    dass es für die betroffenen Menschen vorangeht. 6,6 Mil-
    lionen Menschen in Deutschland sind Schwerbehinderte;
    das sind 8,1 Prozent der Gesamtbevölkerung. Verglichen
    mit nichts ist das, was Sie heute vorlegen, immer noch
    besser als gar nichts. Deshalb bestehen wir zwar auf qua-
    litativen Änderungen, werden dem Gesetz aber zustim-
    men, denn zumindest die grobe Richtung stimmt.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Wir haben uns 1994 gemeinsam verpflichtet, die Lage
    der Behinderten nachhaltig zu verbessern und statt Für-
    sorge mehr Selbstbestimmung anzustreben. Die alte Bun-
    desregierung hatte nach der Grundgesetzänderung in
    Art. 3 im Jahre 1994 gesetzliche Schritte angestrebt. Mit
    der Pflegeversicherung ist uns ein wichtiger Baustein ge-
    lungen.

    Bei allen Wünschen, die wir seitens der CDU/CSU für
    das SGB IX noch haben: Blockieren werden wir nicht.
    Wir sagen, was wir für falsch und was wir für korrektur-
    bedürftig halten, werden aber grünes Licht geben.


    (Erika Lotz [SPD]: Sagen Sie mal, was Sie nicht gemacht haben!)


    Die Behinderten, ihre Angehörigen und die vielen Ehren-
    und Hauptamtlichen bei den Verbänden und Einrichtun-
    gen brauchen Perspektiven. Deshalb ist es gut, dass die
    SPD beim SGB IX noch in den letzten Stunden, wie heute
    schon angeschnitten worden ist, Verbesserungen, die von
    der Union vorgeschlagen wurden, ermöglicht hat.


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    Dies gilt vor allem für den Regressverzicht bei Familien
    mit Behinderten und das gilt für eine weniger bürokrati-
    sche Überprüfung der Leistungsbedürftigkeit durch den
    Medizinischen Dienst. Die betroffenen Menschen und
    ihre Angehörigen haben dies mehr als verdient.

    Fast 30 Millionen Menschen, Betroffene mit ihren An-
    gehörigen und die ehren- und hauptamtlich im Behinder-
    tenbereich tätigen Menschen, erwarten heute ein klares
    Signal für mehr Integration und mehr Selbstbestimmung.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Diese Menschen werden wir nicht enttäuschen. Denn die
    Entwicklung unserer Bevölkerung zeigt, dass diese Inte-
    grationsaufgabe wachsen wird.

    Mit der Pflegeversicherung hat noch die unionsge-
    führte Bundesregierung – darauf möchte ich hinweisen –
    hierauf eine Antwort gegeben, an der wir weiterbauen
    wollten. Nun, da Sie regieren, testen Sie die finanzielle
    Belastbarkeit der 44 Pflegekassen.

    Ich bin überaus dankbar für das aktuelle Urteil des
    Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe zur Familien-
    komponente in der Pflegeversicherung.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Dieses Urteil geht weit über den Beurteilungstatbestand
    hinaus.


    (Claudia Nolte [CDU/CSU]: So ist es!)


    Es fordert im Kern eine Reform aller Sozialversiche-
    rungsbereiche, beispielsweise auch der Rentenversiche-
    rung.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Zwei weitere Urteile stehen noch aus: ein Urteil zur
    Rentenbesteuerung und ein Urteil über die letztjährige
    Willküranpassung bei der gesetzlichen Rentenversiche-
    rung.

    Beim SGB IX wünschen wir uns auch in Zukunft mehr
    Handeln, eine bessere Finanzierung durch ein Leistungs-
    gesetz des Bundes und weniger Bürokratie.


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    Ein bundeseinheitliches Leistungsgesetz, mit dem die
    etwa 500 Millionen DM Regressleistungen über die So-
    zialhilfe aufgefangen würden, wäre hier die adäquate Lö-
    sung gewesen. Es hätte wesentlich zur Vereinfachung, zu
    mehr Effizienz und zu weniger Bürokratie geführt. Wir
    hätten für einen solchen mutigen Schritt – vergleichbar
    mit Blüms Pflegeversicherung – heute im Deutschen
    Bundestag eine parteiübergreifende Mehrheit gefunden.

    Etwa 15 Milliarden DM werden derzeit alljährlich für
    die Eingliederung behinderter Menschen gezahlt. Auf die
    Regressleistungen der Sozialhilfeträger in Höhe von etwa
    500 Millionen DM zu verzichten würde etwa 3 Prozent
    der ohnehin schon mobilisierten Gelder ausmachen.

    Mehr Mut wünschten wir uns auch bei der Bereitstel-
    lung eines persönlichen Budgets. Für die Menschen, die
    dieses in Anspruch nehmen könnten, wäre dies ein echter
    qualitativer Quantensprung. Ich betone: Wir von der
    CDU/CSU sagen Ja zu mehr Selbstverantwortung.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Unsere Pflegeversicherung zeigt, dass der Weg, aus
    Leistungsempfängern Hilfe einkaufende Kunden zu ma-
    chen, aus menschlicher und ökonomischer Sicht richtig
    ist. Gerade hierdurch haben wir die familiären Kräfte ge-
    stärkt und das Prinzip, häusliche geht stationärer Pflege
    vor, erfolgreich umgesetzt. Ich stelle fest, dass das SGB
    IX von der Pflegeversicherung lernen kann. Wer durch die
    Einführung persönlicher Budgets mehr Selbstbestim-
    mung erreichen will, darf sich nicht in zaghaften kleinen
    Modellversuchen verlieren.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

    Bundesminister Walter Riester

    16123


    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    Wir sollten uns in den kommenden Monaten und Jah-
    ren darauf verständigen, dass in überschaubarer Zeit,
    nicht irgendwann, sondern spätestens in drei Jahren, klare
    Ergebnisse erarbeitet werden, mit denen wir politisch
    weiterarbeiten können. Rehabilitation und Teilhabe be-
    hinderter Menschen sind nämlich Ausdruck einer huma-
    nen Gesellschaft.

    Eine Bemerkung zum Schluss: Warum soll das, was in
    den skandinavischen Ländern erfolgreich erprobt wurde,
    nicht auch in Deutschland funktionieren? Wir wünschen
    uns, dass das Leben von Behinderten und ihren Ange-
    hörigen durch mehr Mut, mehr Selbstbestimmung und
    mehr Tatkraft gekennzeichnet ist.

    Auch wenn wir dem Gesetzentwurf heute zustimmen,
    bleiben wir am Ball. Beim SGB IX gilt das Gleiche, was
    für die Renten- und die Steuerreform dieser Bundesregie-
    rung gilt: Die Reform nach der Reform ist absehbar.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)