Protokoll:
14152

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 152

  • date_rangeDatum: 15. Februar 2001

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:54 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Nachträgliche Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Konrad Gilges und Walter Hirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14809 A Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . 14809 A Änderung in der Reihenfolge der Tagesord- nungspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14809 C Absetzung der Tagesordnungspunkte 10 und 21 f 14809 D Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . 14809 D Tagesordnungspunkt 3: a) Antrag der Abgeordneten Hubertus Heil, Dr. Ditmar Staffelt, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordneten Margareta Wolf (Frank- furt), Grietje Bettin, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Deutschlands Wirtschaft in der Informationsgesellschaft (Drucksache 14/5246) . . . . . . . . . . . . . 14810 A b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Rahmenbedingun- gen für elektronische Signaturen und zur Änderung weitererVorschriften (Drucksachen 14/4662, 14/5324) . . . . 14810 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Ursula Lötzer, Rolf Kutzmutz, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion PDS: E-Europe: die europäische In- formationsgesellschaft sozial und de- mokratisch gestalten (Drucksachen 14/3623, 14/4486) . . . . 14810 B Dr. Werner Müller, Bundesminister BMWi 14810 C Dr. Heinz Riesenhuber CDU/CSU . . . . . . . . 14812 A Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14815 B Rainer Brüderle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14816 C Ursula Lötzer PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14819 A Hubertus Heil SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14820 B Dr. Martina Krogmann CDU/CSU . . . . . . . . 14823 C Grietje Bettin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14825 A Jörg Tauss SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14826 C Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) CDU/CSU 14828 B Jörg Tauss SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14829 C Christian Lange (Backnang) SPD . . . . . . . . . 14830 B Dr. Christian Schwarz-Schilling CDU/CSU 14831 D Christian Lange (Backnang) SPD . . . . . . . . . 14832 B Tagesordnungspunkt 4: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dieter Thomae, Detlef Parr, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion F.D.P.: Ab- schaffung der Arznei- und Heil- mittelbudgets (Drucksachen 14/3299, 14/5319) . . . . 14833 A b) Erste Beratung des von der Fraktion CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung der Budgets in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Budgetaufhebungsgesetz) (Drucksache 14/5225) . . . . . . . . . . . . . 14833 A Plenarprotokoll 14/152 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 152. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 15. Februar 2001 I n h a l t : Dr. Dieter Thomae F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 14833 B Ulla Schmidt, Bundesministerin BMG . . . . . 14834 D Horst Seehofer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 14839 A Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14843 B Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14845 C Regina Schmidt-Zadel SPD . . . . . . . . . . . . . 14847 B Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/CSU 14849 B Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 14851 B Detlef Parr F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14851 D Klaus Kirschner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14853 A Wolfgang Zöller CDU/CSU . . . . . . . . . . 14854 D Tagesordnungspunkt 20: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 2000 (Bundesbesol- dungs- und -versorgungsanpassungs- gesetz 2000) (Drucksache 14/5198) . . . . . . . . . . . . . 14855 C b) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherstellung der Nachsorge- pflichten bei Abfalllagern (Drucksache 14/4926) . . . . . . . . . . . . . 14855 D c) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der UVP- Änderungsrichtlinie, der IVU-Richt- linie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz (Drucksache 14/5204) . . . . . . . . . . . . . 14855 D d) Antrag der Abgeordneten Dagmar Schmidt (Meschede), Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion SPD sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Hans- Christian Ströbele, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Förderung von Ent- wicklungspartnerschaft mit derWirt- schaft/Vergabe eines Preises für Un- ternehmerinnen und Unternehmer Drucksache 14/3810) . . . . . . . . . . . . . 14855 D e) Antrag der Abgeordneten Katherina Reiche, Volker Rühe, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion CDU/CSU: Für eine zukunftsgerichtete deutsch- polnische Freundschaft (Drucksache 14/4162) . . . . . . . . . . . . . 14856 A f) Antrag der Abgeordneten Karl Lamers, Christian Schmidt (Fürth), weiterer Ab- geordneter und der Fraktion CDU/ CSU: Chancen des deutsch-polni- schen Nachbarschaftsvertrages für Versöhnung stärker nutzen (Drucksache 14/5138) . . . . . . . . . . . . . 14856 A g) Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine gemeinsame Zukunft: Deutsche und Polen in Europa (Drucksache 14/5244) . . . . . . . . . . . . . 14856 B h) Antrag der Abgeordneten Eduard Lintner, Dirk Fischer (Hamburg), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Erlaubnis zum Führen von Schienenfahrzeugen (Drucksache 14/4933) . . . . . . . . . . . . 14856 B i) Antrag der Abgeordneten Hartmut Koschyk, Arnold Vaatz, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion CDU/CSU: Frieden, Stabilität und Einheit auf der koreanischen Halbinsel (Drucksache 14/4936) . . . . . . . . . . . . . 14856 C j) Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Die russische Exklave Kaliningrad/ Königsberg unterstützen (Drucksache 14/5141) . . . . . . . . . . . . . 14856 C k) Antrag der Abgeordneten Heidi Lippmann, Eva Bulling-Schröter, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Aktuelle Menschenrechtssitua- tion in der Türkei (Drucksache 14/5165) . . . . . . . . . . . . . 14856 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Weitere Überweisung im vereinfachten Ver- fahren Antrag der Abgeordneten Werner Lensing, Ilse Aigner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Zukunftsorientierte Weiterbildung durch Eigenverantwor- tung und Selbstorganisation – Ein Para- digmenwechsel (Drucksache 14/5312) . . . . . . . . . . . . . . . 14856 D Tagesordnungspunkt 21: Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Februar 2001II vom 5. März 1996 über die an Ver- fahren vor dem Europäischen Ge- richtshof für Menschenrechte teil- nehmenden Personen (Drucksachen 14/4298, 14/5330) . . . . 14857 A b) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 1. Oktober 1999 der Satzung der Internationa- len Atomenergie-Organisation (Drucksachen 14/4454, 14/5183) . . . . 14857 A c) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzabkommen vom 19. Mai 1999 zum Europipe-Abkommen vom 20.April 1993 zwischen derBundesre- publik Deutschland und dem König- reich Norwegen über den Transport von Gas durch eine neue Rohrleitung (Europipe II) vom Königreich Norwe- gen in die Bundesrepublik Deutsch- land (Drucksachen 14/4300, 14/5184) . . . . 14857 B d) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 3. Juni 1999 zwi- schen der Bundesrepublik Deutsch- land und der Tschechischen Repu- blik über das Grenzurkundenwerk der gemeinsamen Staatsgrenze (Drucksachen 14/4707, 14/5187) . . . . 14857 C e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie zu der Verordnung der Bundesregie- rung: Zweiundfünfzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschafts- verordnung (Drucksachen 14/4389, 14/4571 Nr. 2.1, 14/5182) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14857 D g) – i) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses Sammelübersichten 240, 241, 242 zu Petitionen (Drucksachen 14/5257, 14/5258, 14/5259) 14858 A Zusatztagesordnungspunkt 3: Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung der Europäischen Sozialcharta (Drucksachen 14/4671, 14/5327) . . . . 14858 B b) Antrag der Bundesregierung: Zulas- sung einerAusnahme vom Verbot der Zugehörigkeit zu einem Aufsichtsrat für Mitglieder der Bundesregierung (Drucksache 14/5271) . . . . . . . . . . . . 14858 C Zusatztagesordnungspunkt 4: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundes- regierung zu den von grünen Kern- kraftgegnern angekündigten Protesten bei Wiederaufnahme der Castortransporte 14858 C Dr. Paul Laufs CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 14858 C Arne Fuhrmann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14859 C Walter Hirche F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14860 D Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . 14862 A Roland Claus PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14863 D Ulrich Kelber SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14864 D Vera Lengsfeld CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 14865 D Winfried Hermann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14867 C Max Straubinger CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 14868 C Monika Ganseforth SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 14869 C Dr. Jürgen Gehb CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 14870 D Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14871 D Gunnar Uldall CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 14873 A Horst Kubatschka SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 14874 A Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . 14875 A Gunnar Uldall CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 14875 D Horst Kubatschka SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 14876 D Walter Hirche F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14877 C Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14878 D Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . 14879 C Tagesordnungspunkt 5: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung futtermittelrecht- licher, tierkörperbeseitigungsrechtlicher und tierseuchenrechtlicher Vorschriften im Zu- sammenhang mit der BSE-Bekämpfung (BSE-Maßnahmengesetz) (Drucksache 14/5219, 14/5332) . . . . . . . . 14880 C Matthias Weisheit SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 14880 D Helmut Lamp CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 14881 D Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14883 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Februar 2001 III Heinrich-Wilhelm Ronsöhr CDU/CSU . . . . . 14884 D Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14885 B Ulrich Heinrich F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14885 D Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14886 C Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 14887 A Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär BMVEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14887 D Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. . . . . . . . . 14888 A Peter H. Carstensen (Nordstrand) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14888 B Ulrich Heinrich F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 14889 A Peter H. Carstensen (Nordstrand) CDU/CSU (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . . . . 14890 B Tagesordnungspunkt 6: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Peter Rauen, Gerda Hasselfeldt, weiteren Abgeordneten und der Fraktion CDU/CSU einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Senkung der Mineralölsteuer und zur Abschaffung der Stromsteuer (Öko- steuer-Abschaffungsgesetz) (Drucksachen 14/4097, 14/5272, 14/5273 14890 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich (Bay- reuth), Hildebrecht Braun (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Kraftfahrzeugsteuer für schwere LKW auf EU-Niveau senken – Bedin- gungen am Güterkraftverkehrsmarkt harmonisieren (Drucksachen 14/4254, 14/5300) . . . . 14891 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu der Unterrich- tung durch die Bundesregierung: Mittei- lung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirt- schafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss derRegionen: Besteuerung von Flugkraftstoff – KOM (00) 110 endg.; Ratsdok. 06743/00 (Drucksachen 14/3576 Nr. 2.11, 14/4443) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14891 A Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker SPD . . . . . . 14891 B Heinz Seiffert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 14893 A Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14895 A Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. . . . . . . . . . . . 14896 D Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14897 B Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14898 C Wolfgang Grotthaus SPD . . . . . . . . . . . . . . . 14899 D Dr. Michael Meister CDU/CSU . . . . . . . . . . 14901 B Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14903 B Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. . . . . . . . . 14903 D Dr. Peter Ramsauer CDU/CSU (zur GO) . . . 14904 D Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (zur GO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14905 A Dr. Uwe Küster SPD (zur GO) . . . . . . . . . . . 14905 C Dr. Peter Ramsauer CDU/CSU . . . . . . . . . . . 14905 D Reinhold Strobl (Amberg) SPD . . . . . . . . . . 14906 B Tagesordnungspunkt 7: a) Antrag der Abgeordneten Brunhilde Irber, Dr. Eberhard Brecht, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion SPD sowieder Abgeordneten Sylvia Voß, Dr. TheaDückert, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN: Programm zur Stärkung desTourismus in Deutschland (Touris-musförderungsprogramm)(Drucksache 14/5315) . . . . . . . . . . . . . 14907 D b) Antrag der Abgeordneten Klaus Brähmig,Ernst Hinsken, weiterer Abgeordneterund der Fraktion CDU/CSU: Wettbe-werbsfähigkeit der deutschen Touris-muswirtschaft stärken(Drucksache 14/5313) . . . . . . . . . . . . . 14908 A c) Antrag der Abgeordneten ErnstBurgbacher, Cornelia Pieper, weitererAbgeordneter und der Fraktion F.D.P.:Neue Kampagne „Deutschland be-sucht Deutschland“ starten(Drucksache 14/4153) . . . . . . . . . . . . . 14908 B d) Antrag der Abgeordneten ErnstBurgbacher, Birgit Homburger, weite-rer Abgeordneter und der FraktionF.D.P.: Beschilderungsmöglichkeitenfür touristische Hinweise entlang vonAutobahnen flexibler gestalten (Drucksache 14/4635) . . . . . . . . . . . . . 14908 B Brunhilde Irber SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14908 C Klaus Brähmig CDU/CSU . . . . . . . . . . . 14909 A Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 14911 A Brunhilde Irber SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 14911 C Annette Faße SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14912 A Klaus Brähmig CDU/CSU . . . . . . . . . . . 14912 A Brunhilde Irber SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 14914 A Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14914 C Sylvia Voß BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14915 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Februar 2001IV Ernst Burgbacher F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 14918 C Annette Faße SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14919 D Klaus Brähmig CDU/CSU . . . . . . . . . . . 14920 B Rosel Neuhäuser PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14921 A Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 14922 B Albrecht Feibel CDU/CSU . . . . . . . . . . . 14922 D Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 14923 D Edeltraut Töpfer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 14924 D Birgit Roth (Speyer) SPD . . . . . . . . . . . . . . . 14926 C Albrecht Feibel CDU/CSU . . . . . . . . . . . 14927 C Tagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Birgit Schnieber- Jastram, Karl-Josef Laumann, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion CDU/CSU: Beschäftigung älterer Arbeitnehmer durch Qualifizierung sichern – drohen- dem Arbeitskräftemangel vorbeugen (Drucksache 14/5139) . . . . . . . . . . . . . . . 14929 A Birgit Schnieber-Jastram CDU/CSU . . . . . . 14929 A Adolf Ostertag SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14931 B Wolfgang Meckelburg CDU/CSU . . . . . 14932 B Dirk Niebel F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14934 D Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14935 D Pia Maier PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14937 A Tagesordnungspunkt 9: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Dritter Bericht zur Lage der älteren Ge- neration in derBundesrepublik Deutsch- land: Alter und Gesellschaft und Stel- lungnahme der Bundesregierung (Drucksache 14/5130) . . . . . . . . . . . . . . . 14937 D Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14938 A Maria Eichhorn CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 14940 A Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14941 C Klaus Haupt F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14942 D Monika Balt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14944 A Christa Lörcher SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14944 D Klaus Haupt F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14946 C Christa Lörcher SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14946 D Walter Link (Diepholz) CDU/CSU . . . . . . . . 14947 A Tagesordnungspunkt 13: Große Anfrage der Abgeordneten Dr.-Ing. Rainer Jork, Ilse Aigner, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion CDU/CSU: Nut- zung von Geoinformationen in der Bun- desrepublik Deutschland (Drucksachen 14/3214, 14/4139) . . . . . . . 14948 B Dr.-Ing. Rainer Jork CDU/CSU . . . . . . . . . . 14948 C Dr. Margrit Wetzel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 14950 C Dr.-Ing. Rainer Jork CDU/CSU . . . . . . . 14951 C Ulrike Flach F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14952 C Hans-Josef Fell BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14953 C Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 14954 D Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI 14955 C Dr.-Ing. Rainer Jork CDU/CSU . . . . . . . 14956 B Tagesordnungspunkt 11: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Gerhard Jüttemann, Angela Marquardt, weiteren Abgeordneten und der Fraktion PDS eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Änderung des Post- gesetzes (Drucksachen 14/1108, 14/2109) . . . . . . . 14957 B Gerhard Jüttemann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 14957 C Tagesordnungspunkt 12: Erste Beratung des von den Abgeord- neten Dr. Guido Westerwelle, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, weiteren Abgeordneten und der Fraktion F.D.P. eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes (Drucksache 14/4893) . . . . . . . . . . . . . . . 14958 D Tagesordnungspunkt 19: Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur wei- teren Verbesserung von Kinderrechten (Kinderrechteverbesserungsgesetz) (Drucksache 14/2096) . . . . . . . . . . . . . . . 14959 A Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit, Senatorin (Hamburg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14959 A Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Klaus Haupt F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14960 B Christina Schenk PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14962 A Margot von Renesse SPD . . . . . . . . . . . . . . . 14962 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Februar 2001 V Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14963 D Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14963 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 14965 A Anlage 2 Erklärung der Abgeordneten Susanne Jaffke (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Ände- rung futtermittelrechtlicher, tierkörperbeseiti- gungsrechtlicher und tierseuchenrechtlicher Vorschriften im Zusammenhang mit der BSE- Bekämpfung (BSE-Maßnahmengesetz) (Ta- gesordnungspunkt 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14965 C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Postgesetzes (Tagesordnungspunkt 11) . . . . . . 14965 D Klaus Barthel (Starnberg) SPD . . . . . . . . . . . 14965 D Elmar Müller (Kirchheim) CDU/CSU . . . . . . 14967 A Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14967 D Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14968 B Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14968 C Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes (Tagesordnungspunkt 12) 14969 B Rüdiger Veit SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14969 B Beatrix Philipp CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 14970 A Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14971 C Dirk Niebel F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14972 A Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14973 A Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretärin BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14973 B Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Verbes- serung von Kinderrechten (Kinderrechtever- besserungsgesetz – KindRVerbG) (Tagesord- nungspunkt 19) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14974 A Ronald Pofalla CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 14974 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Februar 2001VI Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Februar 2001
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Februar 2001 Margot von Renesse 14963 (C) (D) (A) (B) Berichtigung 151. Sitzung, Seite 14773 (C), vierter Absatz, der vierte Satz ist wie folgt zu lesen: „Es ist ver- ständlich, dass sich der Oberbürgermeister von München, Herr Ude, am Montag in einem Inter- view im Deutschlandfunk glücklich gepriesen und gesagt hat: Ich freue mich, dass bei uns dieser Standort geschlossen wird, weil ich dann entsprechend investieren kann.–“ Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Februar 202001 14965 (C) (D) (A) (B) Andres, Gerd SPD 15.02.2001 Dr. Bartsch, Dietmar PDS 15.02.2001 Dr. Blens, Heribert CDU/CSU 15.02.2001 Dr. Bürsch, Michael SPD 15.02.2001 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 15.02.2001 Gleicke, Iris SPD 15.02.2001 Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/ 15.02.2001 DIE GRÜNEN Götz, Peter CDU/CSU 15.02.2001 Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 15.02.2001 DIE GRÜNEN Hilsberg, Stephan SPD 15.02.2001 Dr. Hornhues, CDU/CSU 15.02.2001 Karl-Heinz Klappert, Marianne SPD 15.02.2001 Lippmann, Heidi PDS 15.02.2001 Müller (Berlin), PDS 15.02.2001* Manfred Dr. Niese, Rolf SPD 15.02.2001 Nolte, Claudia CDU/CSU 15.02.2001 Otto (Frankfurt), F.D.P. 15.02.2001 Hans-Joachim Dr. Pfaff, Martin SPD 15.02.2001 Schemken, Heinz CDU/CSU 15.02.2001 Schily, Otto SPD 15.02.2001 Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 15.02.2001 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 15.02.2001 Hans Peter Dr. Schuchardt, Erika CDU/CSU 15.02.2001 Sebastian, CDU/CSU 15.02.2001 Wilhelm Josef Seidenthal, Bodo SPD 15.02.2001 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 15.02.2001 Wohlleben, Verena SPD 15.02.2001 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Erklärung der Abgeordneten Susanne Jaffke (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Änderung futtermittel- rechtlicher, tierkörperbeseitigungsrechtlicher und tierseuchenrechtlicher Vorschriften im Zusam- menhang mit der BSE-Bekämpfung (BSE-Maß- nahmengesetz) (Tagesordnungspunkt 5) Susanne Jaffke (CDU/CSU): Es ist richtig, dass im Zusammenhang von Missbrauch sowohl bei Futtermitteln als auch bei Tierarzneimitteln Verschärfungen im Kon- troll- und Sanktionsverfahren dringend notwendig sind. Dennoch halte ich die in diesem Artikelgesetz vorge- schlagenen Maßnahmen aus veterinärmedizinischer Sicht für wenig zielführend. Auch aus ethischen Gründen sind für mich persönlich die angestrebten Zwangskeulungen auf der Grundlage von Verwaltungsakten zweifelhaft. Ich kann daher diesem Gesetz meine Zustimmung nicht geben. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Postgesetzes (Tagesordnungs- punkt 11) Klaus Barthel (Starnberg)(SPD): Das Anliegen des Gesetzesänderungsvorschlages der PDS zum Postgesetz ist nicht abwegig, sondern durchaus unterstützenswert. Es geht darum, eine Schattenseite des Marktöffnungsprozes- ses im Postsektor anzugehen und für die Zukunft be- stimmten Gefahren bei der zu erwartenden weiteren Li- beralisierung vorzubeugen. Die Schattenseite besteht in der Tendenz, dass bei der politisch gewollten Liberalisie- rung der Postmärkte die Arbeitsbedingungen nach unten gedrückt werden. Die bisherigen Erfahrungen lehren uns: Erstens. Bei den Wettbewerbern sind ausweislich der Zah- len der RegTP rund 30 000 Arbeitsplätze entstanden, da- von aber mehr als zwei Drittel – etwa 21 700 – im Bereich der geringfügigen Beschäftigung. Dank der Neuregelung der 630-DM-Jobs durch die rot-grüne Koalition sind diese Arbeitsverhältnisse nicht mehr so ungeschützt, wie zu Zeiten der Verabschiedung des Postgesetzes zu befürch- ten war. Es ist ein blanker Zynismus, dass ausgerechnet Union und F.D.P. diese Tatsache heute anführen, um Pro- bleme in diesem Bereich zu leugnen oder herunterzuspie- len. Wäre es nach Union und F.D.P. gegangen, würden un- geschützte Beschäftigungsverhältnisse und illegale Beschäftigung weiterwuchern. Der Postbereich wäre ein trauriges Modell solcher Flexibilität und niedrigerer Lohnnebenkosten auf dem grauen Arbeitsmarkt. Dem sind wir konsequent entgegengetreten und werden das weiterhin tun. Wahrscheinlich werden uns Union und F.D.P. ab nächstem Jahr auch erzählen, wie toll sich die Zahl der Betriebsräte bei den Postwettbewerbern ent- wickelt hat. Sollten Sie dies 2001 begrüßen wollen, so for- dere ich Sie auf: Stimmen Sie jetzt der Reform des Be- triebsverfassungsgesetzes zu, anstatt sich wie bei der geringfügigen Beschäftigung wieder mit fremden Federn zu schmücken. Zweitens. Liberalisierung und Internationalisierung des Arbeits- und Dienstleistungsmarktes wirken auch auf bisher sichere Arbeitsplätze zurück. Um das vom Post- AG-Vorstand angedrohte Outsourcing von Teilen der Leistungskette oder Zustellungsregionen zu verhindern, müssen die Beschäftigten, die neu eingestellt werden, nach dem geltenden neuen Tarifvertrag massive Einkom- mensverluste hinnehmen. Arbeitgeberargument für die Absenkung der Stundenlöhne von 18 DM auf 13 DM: An- passung an die branchenüblichen Tarife. Vor drei Tagen haben tausend Zusteller und Zustelle- rinnen in München gegen diese Arbeitsbedingungen protestiert. Sie leiden nicht nur unter dem Lohn- und Arbeitsdruck, sondern auch darunter, dass mittlerweile 140 Stellen allein in der Zustellung in dieser Stadt nicht mehr besetzt werden können, weil von diesem Geld in München und Umgebung niemand mehr leben kann. Der Lohn- und Arbeitsdruck trifft nicht nur die Beschäftigten, sondern auch die Kunden: Es häufen sich die Klagen über verloren gegangene oder beschädigte Sendungen. Beim Ausbau des E-Commerce erweist sich nicht das Internet als das Hauptproblem, sondern die Zustelllogistik: Mehr als die Hälfte der bestellten Waren kommen nicht beim Kunden an. Was folgt daraus? Wer Wachstum und Qualität im Post- und Logistiksektor will, wird das nicht auf der Grundlage zweitklassiger Arbeitsbedingungen schaffen. Wer – wie manche New-Economy-Ideologen – den E-Commerce auf den Ruinen gesicherter Arbeitsbedingungen und an- gemessener Bezahlung errichten will, wird, auch be- triebswirtschaftlich gesehen, Schiffbruch erleiden. Im Ziel sind wir uns also einig: Marktöffnung und grenzüberschreitende Konkurrenz im Postbereich benöti- gen eine soziale und arbeitsmarktpolitische Flankierung, um Zustände wie im privaten Speditionsgewerbe oder auf den Baustellen zu verhindern. Bei den Instrumenten soll- ten wir aber genau überlegen, was uns dem Ziel effektiv näherbringt. Da sind beim PDS-Antrag Zweifel angebracht. Ich weise auf folgende Probleme und Fehler hin: Es ist schlicht falsch, dass – wie im Antrag behauptet – das Postgesetz eine Unterschreitung der branchenübli- chen Arbeitsbedingungen nicht zulässt. Vielmehr hebt das Gesetz auf die Erheblichkeit einer Unterschreitung ab. Wir lösen also das Problem nicht unbedingt, wenn wir die Arbeitsbedingungen auflisten. Wenn es dann um die Frage der Erheblichkeit geht, fangen wir wieder von vorne an. Der Wettlauf nach unten kann so kaum unter- bunden werden. Wir müssen vielmehr die Regulierungs- behörde dazu bringen, die gesetzlichen Vorgaben – die eigentlich völlig klar und eindeutig sind – wirksamer um- zusetzen und zu kontrollieren. Hier sind seit einigen Mo- naten wesentliche Fortschritte zu verzeichnen. Mittler- weile werden mehr Daten zur Beschäftigungssituation erhoben und regelmäßige Vor-Ort-Kontrollen durchge- führt. Ich gehe davon aus, dass die RegTP ihr Instrumen- tarium weiter verbessert. Damit erreichen wir mehr als durch Ausformulierungen im Gesetz. Wir können, dürfen und wollen die notwenigen besseren tarifvertraglichen Regelungen nicht ersetzen. Wir müssen nach anderen We- gen suchen, die Spirale nach unten zu stoppen. Die Ge- werkschaften der Branche sind gerade dabei, ihren Bei- trag zu leisten: Künftig wird es statt der derzeit mehreren für die Post- und Logistikbranche zuständigen Gewerk- schaften nur noch einen relevanten Tarifpartner auf Ar- beitnehmerseite geben. Damit wird dem Auseinanderdi- vidieren mit unterschiedlichen oder gar fehlenden Tarifverträgen ein Ende gemacht. Und: Mit der Novellie- rung des Betriebsverfassungsgesetzes werden die Arbeit- nehmerrechte auch in den bisher betriebsratlosen Einhei- ten gerade im Transport-, Post- und Logistikbereich erheblich gestärkt. Wie vorhin am Beispiel der Lohnniveausenkung bei der Post AG aufgezeigt, sind die Arbeitsbedingungen bei der Post AG mittlerweile nicht mehr unbedingt vorbild- lich. Auf sie als branchenüblich abzuheben und deren „er- hebliche“ Unterschreitung zu unterbinden dürfte eher bit- tere Enttäuschung bei den Betroffenen auslösen. Ähnlich wie bei anderen grenzüberschreitenden Dienstleistungen, zum Beispiel bei den Speditionen, können die Arbeitsbedingungen und sozialen Standards dauerhaft nur auf internationaler Ebene, bei uns also zunächst nur EU-weit, gesichert werden. Die Europäisie- rung des Postmarktes – siehe jüngste Unternehmensfu- sionen – zwingt zu europäischen Regeln, ohne die auch die perfektesten deutschen Gesetze ins Leere laufen. Da- mit ist das Hauptproblem gegenüber dem PDS-Antrag ge- nannt: Es ist einmal mehr ein Versatzstück ohne Gesamt- zusammenhang. Was der F.D.P. das Porto ist, sind der PDS die sozialen Standards. Alles für sich genommen eine schöne Sache: niedriges Porto und große Freiheit auf den Märkten für die einen, gute Bezahlung und Arbeits- bedingungen für die anderen. Wir als Regierungskoalition können solches Stückwerk nicht machen. Irgendwo muss das zusammenpassen. Wir müssen in Europa und in unse- rer Gesetzgebung alles zusammenbringen. Deshalb arbeiten wir daran, die Liberalisierung in Eu- ropa in harmonisierten und sozialverträglichen gestalt- baren Schritten voranzutreiben, die Rahmenbedingun- gen für die Unternehmen berechenbar zu gestalten, Verbraucher und Verbraucherinnen vor Rosinenpickerei und Qualitätsabbau zu schützen und das flächen- deckende erschwingliche Angebot sicherzustellen, Li- zensierung und fairen Wettbewerb wirksam durch die Regulierungsbehörde zu kontrollieren, Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen zu sichern und auszubauen – und das nicht nur im Postbereich und nicht nur in Deutschland. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Februar 200114966 (C) (D) (A) (B) Diese Aspekte bringen wir in die Verhandlungen auf EU-Ebene um die Postdiensterichtlinie ebenso ein wie in die daraus abzuleitenden Veränderungen im deutschen Postgesetz. Der Bundeswirtschaftsminister hat entspre- chende Ankündigungen gemacht. Alle, die jetzt irgendwelche liebgewonnenen Einzelas- pekte diskutieren wollen, müssen wir enttäuschen. Wir können es nicht zulassen, dass die Post die Kuh ist, die von Union und F.D.P. getreten und gefesselt und von der PDS gemolken wird. Wir machen eine nachhaltige und ganzheitliche Postpolitik und lehnen deshalb Einzelan- träge wie den heutigen ab. Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU): Die Post ist derzeit in vielfältiger Weise in den Schlagzeilen, was ihrem Image als dynamischem „global player“ erhebliche Kratzer zufügt. Da sind einmal die Verfahren in Brüssel gegen die Post AG und die Bundesregierung wegen un- erlaubter staatlicher Beihilfe. Da ist immer noch die un- befriedigende Situation um die allgemeine Weisung des Wirtschaftsministers, der im vergangenen Jahr verhindert hat, dass das Briefporto gesenkt wird. Zu Recht hat da- mals ein Verfassungsrechtler formuliert: „Die Regierung nimmt die Postkunden in Geiselhaft“. Da sind die Milli- ardengewinne aus dem Monopol, mit denen großzügige, unzulässige Umsatzrabatte an Großkunden finanziert wurden, die vom privaten Verbraucher bezahlt werden mussten. Da sind rund 500 von circa 900 Lizenznehmern (überwiegend kleine und kleinste Firmen), die von der Post AG mit Klagen überzogen werden, um sie schon zu Beginn ihrer Selbstständigkeit einzuschüchtern. Und da ist eine Bundesregierung, die jetzt erneut das von der Re- gierung Kohl per Gesetz festgeschriebene Ende des Post- monopols auf unbestimmte Zeit hinaus zu verlängern droht. Schließlich gibt es immer wieder Diskussionen um Arbeitsplätze und um die sozialen Standards im Kurier- und Frachtbereich. Dazu hat die Regulierungsbehörde mit den Jahreszah- len 2000 vor zwei Tagen Folgendes festgestellt: Die Deut- sche Post AG hat nach eigenen Angaben die Personalan- passung der Vorjahre fortgesetzt; die durchschnittliche Zahl der Mitarbeiter lag dabei um circa 4 450 unter der des vergleichbaren Vorjahreszeitraums. Die DPAG beschäftigt damit derzeit rund 240 000 Mit- arbeiter; 1995 waren es 315 000. Dieser Abbau von Ar- beitsplätzen ist weder auf Umsatz- noch auf Absatzrück- gänge im Briefbereich zurückzuführen noch mit solchen zu begründen. Denn die Deutsche Post AG hat hier – wie in den Vorjahren – weiter zugelegt, und zwar sowohl beim Umsatz als auch beim Absatz. Bei allen anderen Lizenznehmern im Briefbereich (Alt- und Neulizenzen) gibt es derzeit rund 30 000 Ar- beitsplätze, davon knapp 4 000 Voll- und über 4 300 Teil- zeit-Arbeitsplätze. Diese 30 000 Arbeitsplätze würde es ohne diese Lizenznehmer nicht geben. Der Hauptanteil liegt nicht in den so genannten Ballungsgebieten, sondern überwiegend in strukturschwachen Gebieten. Bei den geringfügig Beschäftigten hat der Anteil der sozialversicherungspflichtigen Kräfte nach In-Kraft-Tre- ten des „630-DM-Gesetzes“ stark zugenommen; ihr An- teil bei den bislang überprüften Lizenznehmern lag bei über 95 Prozent. Zum konkreten Antrag der PDS ist zu sagen, dass die Regulierungsbehörde ihre Überprüfungspraxis der Ar- beitsbedingungen seit dem Frühjahr 2000 routinemäßig und regelmäßig auf alle Lizenznehmer ausgeweitet hat und – wie ich hoffe – auch auf den Marktführer Post AG. Denn wie ich der Zeitschrift „Transparent“, dem Organ der Deutschen Postgewerkschaft, entnehme, gibt es da auch Überprüfungswertes. Unter der Überschrift „Be- schäftigungspolitik bei der Post“, Unterzeile „Heuern und feuern bei der Post“, darf ich Folgendes zitieren: „Die rechtlichen Rahmenbedingungen durch das Beschäfti- gungsförderungsgesetz (das dreimalige Verlängerungen eines befristeten Arbeitsverhältnisses bis zu 24 Monate zulässt) sind ohnehin schon sehr arbeitgeberfreundlich. Allerdings setzt die Post noch einiges oben drauf. So er- fahren befristet Beschäftigte kurz vor Ablauf der 24 Mo- nate, sie müssten sich jetzt einige Monate arbeitslos mel- den und könnten dann wieder bei der Post befristet anfangen. Dann allerdings beginnen die Fristen nach Be- schäftigungsförderungsgesetz wieder von vorne.“ Vermutlich werden wir noch in diesem Jahr eine Änderung des Postgesetzes haben. Dann wird auf dem Prüfstand stehen, ob die Bundesregierung das Wort Wett- bewerb ernst nimmt oder nur als Propagandawort miss- braucht. Aus diesem Grund lehnen wir den Antrag der PDS ab. Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die PDS möchte mit ihrem Antrag den Wirtschaftssektor, in dem Postdienstleistungen erbracht werden, zu einem besonderen Bereich machen: Hier soll ein anderes Ar- beits- und Sozialrecht gelten als in anderen Branchen. Eine Begründung für die besondere Schutzwürdigkeit des Sektors der Postdienstleistungen wird in dem Antrag nicht gegeben. Wir sind nicht der Auffassung, das ehemalige Mono- polbereiche Sektoren eines besonderen Sozialrechtes wer- den sollten. Für die Arbeitsbedingungen sollte das allge- meine Arbeitsrecht sowie die zwischen den Tarifver- tragsparteien getroffenen Regelungen gelten. Im Gegen- teil: Wir treten für die Einführung von fairen Wettbe- werbsbedingungen im Post- ebenso wie im Telekommuni- kationsbereich ein. Deutschland hat im Unterschied zu anderen Ländern der EU in der Öffnung des Postmarktes schon gute Er- gebnisse erzielt. Dass diese Marktöffnung noch nicht weit genug geht, darin sind wir uns sicherlich einig. Bei einem gegenwärtigen Marktanteil der privaten Unternehmen von unter 2 Prozent im lizensierten Bereich müssen wir noch große Schritte gehen. Wir sind zu diesen Schritten bereit – besonders wenn man sich Bereiche ansieht, in de- nen der Wettbewerb für die Kunden erhebliche Fort- schritte gebracht hat. Ein gutes Beispiel für die positiven Folgen des Wett- bewerbs im Postwesen ist der Kurierbereich. In nur weni- gen Jahren haben flexible Wettbewerber eine Vielzahl von Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Februar 2001 14967 (C) (D) (A) (B) innovativen Dienstleistungen hervorgebracht. Das hat auch das Unternehmen Post beflügelt und geholfen, Ver- krustungen aufzubrechen. Wer von Ihnen vor einigen Jah- ren versucht hat, eine Sendung innerhalb eines Tages an einem beliebigen Ort Deutschlands zu befördern, weiß um den Fortschritt. Diese breite Auswahl an Dienstleis- tungen und Wettbewerbern brauchen wir auch in anderen Bereichen des Postmarktes. Wir stoßen aber dort auf Probleme, wo wir den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union weit voraus sind. Frankreich, Großbritannien, Spanien, Italien, alle diese Länder wollen den Postmarkt nicht in dem Maße liberali- sieren, wie wir das vorhaben. Dort wird versucht, an der alten Staatspost festzuhalten und Wettbewerber möglichst vom Markt fernzuhalten. Wir sind aber darauf angewiesen, in gleichen Schritten wie unsere europäischen Nachbarn vorzugehen. Ein Ungleichgewicht in der Marktöffnung der Staaten birgt auch ein Ungleichgewicht auf dem deut- schen Markt. Unternehmen aus Ländern, die ihren Markt noch nicht liberalisiert haben, können mit ihren üppigen Monopolgewinnen auf den Märkten konkurrieren, auf de- nen bereits ein funktionierender Markt entsteht. Wir sehen dieses Beispiel heute auf dem Energiemarkt, auf dem die französische EDF ihre Monopolgewinne dazu nutzt, sich auf dem liberalisierten deutschen Energiemarkt zu positio- nieren. Deutschen Unternehmen haben diese Gewinne nicht und können in Frankreich auch nicht in den Wettbe- werb um den Endkunden eingreifen. Es ist daher wichtig, die Öffnung des Postmarktes im Einklang mit der europäischen Entwicklung fortzuführen. Wir müssen aber der Motor der weiteren Liberalisie- rung der Postmärkte in Europa sein. Daher ist es unsere Aufgabe, auf einen europaweit verbindlichen Termin zum Auslaufen des Postmonopols hinzuarbeiten. Dadurch werden auch die Länder in Zugzwang gebracht, die sich auf ihren bisherigen Liberalisierungsschritten ausruhen wollen. Wir bedauern, dass es nicht gelungen ist, diese Festlegung in Europa hinzubekommen. Rainer Funke (F.D.P.): Der Antrag der PDS auf Än- derung des Postgesetzes wird von uns abgelehnt. Wir wol- len im Postbereich Wettbewerb. Dazu gehört natürlich auch, dass Wettbewerber sich bei der Gestaltung ihrer Arbeitsverträge nicht ausschließlich nach den Arbeits- verhältnissen bei der Deutschen Post AG zu richten ha- ben. Wir wollen gerade, dass durch flexible, leistungsbe- zogene Arbeitsverträge dem Monopolisten Post AG leistungsfähige Konkurrenz entgegengesetzt wird. Wir bedauern, dass nach wie vor 98 Prozent der Postdienst- leistungen durch die Post AG erbracht werden. Wir wol- len im Interesse unserer deutschen Volkswirtschaft, im Interesse der Verbraucher und der Kunden von Post- dienstleistungen, dass mehr Wettbewerb besteht. Dies dient im Ergebnis auch der Leistungsfähigkeit der Post AG; schließlich gilt der Grundsatz: Monopolgewinne machen fett, Wettbewerb macht fit. Dies gilt natürlich auch für die Arbeitsverhältnisse. Es mag sein, dass die Deutsche Postgewerkschaft dann we- niger Einfluss auf die Arbeitsverträge bei den Wettbewer- bern der Post AG hat. Dies muss aber kein Nachteil sein, und zwar weder für die Unternehmen noch für die Be- schäftigten. Wir Liberalen haben uns stets für die Liberalisierung der Telekommunikations- und Postmärkte eingesetzt. Bei der Telekommunikation haben wir für die Wirtschaft und den Verbraucher Hervorragendes geleistet. Dies wollen wir auch für die Öffnung der Postmärkte tun. Wir werden nicht nachlassen in unserem Bemühen, die Postmärkte für den Wettbewerb zu öffnen. Hiervon lassen wir uns auch nicht durch den rückwärts orientierten Bundeswirtschafts- minister beeindrucken. Vielmehr fordern wir den Bun- deswirtschaftsminister auf, Vorreiter in Europa zu sein, für mehr Wettbewerb und für die Öffnung der Postmärkte. Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Wirtschaft und Technologie:Die heutige Aus- sprache über den vorliegenden PDS-Gesetzentwurf möchte ich vor allem dazu nutzen, auf die weiteren Perspektiven der Postpolitik einzugehen. Vergangenen Freitag hat der Bundeswirtschaftsminister hierzu Position bezogen, womit diese Debatte einen aktuellen Bezug bekommen hat. Dreh- und Angelpunkt für die Position, die die Bun- desregierung in der Postpolitik einnimmt, sind die sich be- reits seit einiger Zeit abzeichnenden Entwicklungen auf europäischer Ebene. Am 30. Mai letzten Jahres hat die Europäische Kom- mission nach langen Geburtswehen einen Vorschlag für eine Neufassung der Postdiensterichtlinie vorgelegt. In- nerhalb der Kommission hatte sich damals schon ein Bild über die Kräfteverhältnisse geboten, wie es sich dann so- wohl im Ministerrat als auch im Europäischen Parlament bot: Es gibt in etwa ein Patt zwischen Befürwortern einer weiteren Marktöffnung und denjenigen, die am gegen- wärtigen Stand der Marktöffnung im Postbereich nur we- nig ändern wollen. Die Bundesregierung hat bereits vor dem Kommis- sionsbeschluss klargemacht, wo sie steht. In Gesprächen und im Briefwechsel mit einzelnen Kommissaren haben sowohl der Wirtschaftsminister wie übrigens auch der Fi- nanzminister deutlich gemacht, dass sie für weitere Markt- öffnungsschritte im europäischen Rahmen eintreten. Die Diskussionen im Rat waren unter französischer Präsidentschaft mitunter sehr kontrovers. Nachdem beim Ministerrat am 22. Dezember 2000 keine politische Eini- gung zustande kam, betrachtet die derzeitige Präsident- schaft die Postpolitik als nicht prioritär. Sie beabsichtigt deshalb, die Postdiensterichtlinie erst im Sommer wieder auf die Tagesordnung des Ministerrates zu setzen. Wir bemühen uns dagegen, das Thema auf der politi- schen Tagesordnung zu halten, um weiter voranzukom- men und keine Zeit zu verlieren. Ein Blick in die Verfah- rensregeln des EG-Vertrags zeigt nämlich, dass nach einer Einigung im Ministerrat noch 14 Monate vergehen kön- nen, um eine Einigung mit dem Europäischen Parlament herbeizuführen. Deshalb könnte der Fall eintreten, dass unser nationa- les Restmonopol Ende 2002 ausläuft, ohne dass eine neue Regelung über Umfang und Dauer von Postmonopolen in Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Februar 200114968 (C) (D) (A) (B) Europa beschlossen wäre. Einen vorbehaltlosen Sprung ins kalte Wasser wird es in Deutschland nicht geben, wenn unsere wichtigsten Partner in Europa sozusagen am Beckenrand stehen bleiben. Die Bundesregierung befür- wortet gleiche Wettbewerbschancen für die Postunterneh- men in Europa. Aufgrund dieser Zusammenhänge beabsichtigt die Bun- desregierung eine Änderung des Postgesetzes, mit der ein Auslaufen der Exklusivlizenz der Deutschen Post AG um möglicherweise fünf Jahre, das heißt auf 2007, verschoben wird. Wir vermeiden dadurch, dass wir in Deutschland im Jahr 2002 unter Zeitdruck geraten. Zugleich verschenken wir auf europäischer Ebene nichts, da eine Marktöffnung für den Postbereich vor 2009 sowieso unrealistisch ist. Die Bundesregierung tritt nach wie vor für weitere Marktöffnungsschritte innerhalb der Europäischen Union ein. Wir fordern auch weiterhin einen konkreten Zeitplan für die vollständige Marktöffnung im Postsektor, um für die Verbraucher und die Unternehmen Planungs- und Rechtssicherheit über die weitere Entwicklung zu schaf- fen. An unserer Grundsatzposition hat sich nichts geändert. Nach einer europäischen Entscheidung ist es dann sinnvoll, das Postgesetz anzupassen. Der Gesetzentwurf der PDS ist deshalb nicht nur sachlich zurückzuweisen, der Entwurf kommt auch zur unpassenden Zeit. Mit der jetzt beabsichtigten geringfügigen Änderung des Postgesetzes soll keinesfalls eine weitere Fortschrei- bung des gegenwärtigen Briefportos verbunden werden. Hier tritt das ein, was nach dem Postgesetz vorgesehen ist: Rechtzeitig vor dem 31. Dezember 2002 wird die Regu- lierungsbehörde eine Entscheidung darüber treffen, wie die Briefentgelte ab 2003 zu gestalten sind. Für eine Senkung des Briefportos vor Ende 2002 – dies stand vor wenigen Wochen nach einem entsprechenden Antrag auf der Tagesordnung des Bundestages – besteht keine postgesetzliche Grundlage. Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren Erheb- liches für die Verbraucher geleistet. Für das Jahr 2003 wird dazu aller Wahrscheinlichkeit nach auch noch eine Portosenkung kommen können. Ich denke, dass dies eine gute Perspektive ist. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes (Tagesord- nungspunkt 12) Rüdiger Veit (SPD): Die im Antrag der F.D.P. ihren Niederschlag gefundene Idee ist zwar nicht neu, aber des- wegen noch lange nicht schlecht. Sie strebt an, generell Ausländern, die seit mehr als drei Monaten in einem Ar- beitsverhältnis stehen und die weiter beschäftigt werden dürfen und sollen – mit einer Aufenthaltsgenehmigung –, einen verstärkten aufenthaltsrechtlichen Status, nämlich eine Aufenthaltsgenehmigung statt beispielsweise eine Duldung oder Befugnis, einräumen zu können, ohne dass die Betreffenden zuvor aus- und dann gegebenenfalls mit einem Aufenthaltstitel wieder einreisen müssen. Nicht neu und nicht schlecht ist diese Idee insofern, als tatsächlich das zerklüftete und unübersichtliche System unseres Ausländerrechtes – zurückhaltend ausgedrückt – unzureichend ist und etwas mehr Flexibilität sowohl im Interesse der betroffenen ausländischen Menschen als auch im Interesse von Verwaltungsbehörden und Gerich- ten dringend angesagt ist. Denn für viele, die sich als ehe- malige Asylbewerber oder Flüchtlinge nur geduldet oder mit jeweils kurzfristigen Aufenthaltsbefugnissen zum Teil aber schon viele Jahre in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, ist es ein schwer erträglicher Zustand, die Le- bensplanung für sich und meistens auch für ihre Familien beispielsweise nur vierteljahresweise vornehmen zu kön- nen und damit sozusagen unter dem Damoklesschwert der immer wieder sich stellenden Frage nach der endgültigen Ausreise oder der ansonsten drohenden Abschiebung le- ben zu müssen. Für die SPD-Fraktion kann es in diesem Zusammen- hang aber nicht infrage kommen, einen solchen verfestig- ten Aufenthalt ausländischer Arbeitnehmer ausschließ- lich, wie dies die F.D.P. in ihrem Antrag im Gesetzestext wie in seiner Begründung will, an einem dringenden be- trieblichen Bedürfnis an der Weiterbeschäftigung auszu- richten. Natürlich ist das Vorhandensein einer Arbeitsstelle und entsprechender Einkünfte für die Integration bei uns le- bender ausländischer Menschen sowohl für sie selbst als auch für die Akzeptanz in der deutschen Bevölkerung ein ganz wichtiges Element der Integration. Aber das kann und darf niemals der einzige Maßstab sein, um ihnen ein gesichertes Aufenthaltsrecht zu geben. Wir brauchen auch Lösungen für langjährig sich in Deutschland aufhaltende Familien, deren Kinder zum Teil hier geboren und zur Schule gegangen sind. In diesem Zu- sammenhang sind die wieder ganz aktuellen Bemühun- gen des Bundesministers Otto Schily zu würdigen, auf dessen Betreiben sich die Länderinnenminister heute Mit- tag auf eine Bleiberechtsregelung für Personen aus Bos- nien-Herzegowina und dem Kosovo, die schon seit Jahren in Deutschland faktisch, wirtschaftlich und sozial inte- griert sind, geeinigt haben. Diese Regelung hätte man sich in einigen Punkten zwar durchaus noch etwas großzügi- ger vorstellen und wünschen können, aber dem Verneh- men nach waren es ausgerechnet die Innenminister aus Bayern und Baden-Württemberg, die ihr Zustandekom- men schon auf der Innenministerkonferenz im Dezember 2000 verhindert haben. Es fällt schon auf, wenn ausgerechnet die F.D.P., die in Stuttgart an der Regierung beteiligt ist, sich dort offenbar gegenüber dem CDU-Innenminister nicht durchgesetzt hat, um dann hier im Bundestag mit einem sehr viel wei- ter gehenden Antrag auf Änderung des Ausländergesetzes aktiv zu werden – eine F.D.P. übrigens, die immer wieder ein in sich geschlossenes Konzept und Regelwerk für die Zuwanderung insgesamt gefordert hat und nicht nur, wie im Fall ihrer heutigen Gesetzesinitiative, ganz isoliert in einem Punkt. Wäre es etwa möglich, dass sich die F.D.P. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Februar 2001 14969 (C) (D) (A) (B) damit mit Rücksicht auf den Landtagswahltermin gerade denjenigen vielen Handwerkern in Baden-Württemberg anbiedern will, die in besonders vorbildlicher Weise – natürlich auch zu ihrem eigenen wirtschaftlichen Nutzen – mehr Flüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo Brot und Arbeit gegeben haben, mehr als dies sonst in der Republik der Fall war? Dies ist also, wie dargelegt, eine gar nicht so schlechte Idee, aber erfolgt wohl, isoliert betrachtet und vor die Klammer einer umfassenden Zuwanderungsregelung ge- zogen, eher aus rein wahltaktischen Gründen. Sie sollten – das richte ich an die Adresse der F.D.P. – die Beratung dieses Antrages wenigstens zurückstellen oder den Antrag jetzt zurückziehen. Denn es ist doch völlig klar: Wenn wir uns mit möglichst breiten Mehrheiten hier und im Bun- desrat bemühen werden, zusätzliche Zuwanderung aus demographischen, ökonomischen, aber auch humanitären Gründen zu organisieren, macht es wirklich keinen Sinn, Menschen, die sich bei uns schon langjährig aufhalten, die eine Arbeitsstelle haben und weiterhin als Arbeitskräfte gebraucht werden, mit allem Nachdruck aus dem Land zu jagen, um sie dann vielleicht später wieder zuwandern zu lassen. Insoweit wäre die F.D.P. gut beraten, sich in den Landesregierungen, in denen sie politisch Einfluss hat, für eine liberalere Ausländer- und Abschiebepolitik stark zu machen. Beatrix Philipp (CDU/CSU): Heute Nachmittag ha- ben die Innenminister bei einem Sondertreffen eine Teillösung der hier anstehenden Problematik gefunden. Bosnien-Flüchtlinge, die mindestens sechs Jahre bei uns leben und seit mindestens zwei Jahren ein festes Arbeits- verhältnis haben, können eine Aufenthaltserlaubnis bean- tragen, die zunächst für zwei Jahre befristet wird und da- nach verlängert werden kann, wenn der Arbeitgeber dringend auf den Arbeitnehmer angewiesen ist und keinen Ersatz findet. Die neue Regelung betrifft schätzungsweise 10 000 bis 20 000 Bosnier. Über Regelungen für Flücht- linge aus dem Kosovo wollen die Innenminister bei ihrer nächsten regulären Konferenz im Mai beraten. Die Problematik, die dem uns vorliegenden Gesetzent- wurf zugrunde liegt, ist jedem hier bekannt. Es geht um die Abschiebung von qualifizierten Arbeitskräften, die hier integriert sind und seit Jahren einer sozialversiche- rungspflichtigen Arbeit nachgehen. Gerade Unternehmer kleiner und mittelständischer Be- triebe sind es, die immer wieder klagen. Sie wenden sich häufig mit der Bitte um Hilfe in Einzelfällen an uns Ab- geordnete. Sie wollen, dass ein bei ihnen arbeitender Ex- Jugoslawe hier bleiben kann, weil der Betrieb auf dem Ar- beitsmarkt keinen entsprechenden Ersatz findet. So weit, so gut – oder besser: so weit, so ungut. Andererseits zeigt schon die Überschrift des Antrages, in dem sich die F.D.P. wieder ihrer drei Pünktchen zu er- innern scheint, dass es die x-te Änderung des Ausländer- gesetzes ist und sie das Zählen aufgegeben hat. In der Tat gleicht das deutsche Ausländerrecht eher ei- nem Flickenteppich als einem durchschaubaren und dem Gerechtigkeitsempfinden entsprechendem Gesetzeswerk, wenn ich nur an die Asylfrage bzw. Frage der Bürger- kriegsflüchtlinge denke. Die Bevölkerung, die – aus unterschiedlichen Gründen – bei diesem Thema sehr sensibel reagiert, kennt sich im- mer weniger aus. Sie ist kaum noch in der Lage, zwischen Asylanten und Spätaussiedlern, zwischen illegaler Ein- wanderung, Zuwanderungsbedarf und Zuwanderungs- steuerung, zwischen Arbeitserlaubnis, Aufenthaltserlaub- nis, Duldung und Familiennachzug, zwischen Green Card und Blue Card, zwischen Integration und sozialer Siche- rung usw. zu unterscheiden. Kurz: Die Bevölkerung, auf deren Verstehen und Ak- zeptanz wir alle angewiesen sind, schaut kaum noch durch und auch mancher Profi hat seine Probleme. Und dennoch kennen wir den Druck, unter dem gerade die mittelständi- sche Wirtschaft steht, wenn es um ihre Arbeitskräfte und um deren Aufenthaltsregelung geht. Weil diese Problematik bekannt ist, gibt es – wie ja alle wissen – drei Zuwanderungskommissionen, die den Auf- trag haben, eine bundeseinheitliche Regelung zu erarbei- ten. Aber es geht nicht nur um wirtschaftliche Interessen! Es geht auch um das Schicksal vieler Menschen, denen wir in den letzten Jahren als Flüchtlingen die Einreise ge- währt haben, um sie vor Krieg, Bürgerkrieg und der damit verbundenen Not zu schützen. Es gab und gibt immer noch Stimmen, wie zum Beispiel die des ehemaligen Jugoslawienbeauftragten Koschnick, die uns immer wieder daran erinnern, dass es auch notwendig ist, Menschen in ihre Heimat zurückzu- führen, die dort beim Aufbau des zerstörten Landes hel- fen müssen. Auch das macht deutlich, dass wir eine sehr sensible, vernünftige, viele verschiedene Aspekte berücksichti- gende, bundeseinheitliche Regelung brauchen. Optimis- tisch, wie wir immer sind, erwarten wir Mitte des Jahres die Ergebnisse der Partei- bzw. Regierungskommissionen. Nun werden Sie einwenden, dass dieser Optimismus den kleinen und mittleren Unternehmen bei der Lösung ihrer Probleme überhaupt nicht hilft – und da haben Sie Recht. Es muss also eine kurzfristige Regelung gefunden werden, die allerdings auch berücksichtigt, dass für die Beschäftigten aus dem ehemaligen Jugoslawien, die sozi- alversicherungspflichtig tätig sind, die bisherige Rege- lung erst zum 31. Juli 2001 ausläuft. Insofern besteht für diese Personengruppe kein unbedingter Zeitdruck – und wie gesagt, für die Bosnier, die mindestens sechs Jahre hier sind, ist heute eine Lösung gefunden worden. Aber der hier eingebrachte F.D.P.-Gesetzentwurf geht weit über die bisher diskutierten Personenkreise hinaus, da er für alle Ausländer gelten soll, die, – ich zitiere – „seit mehr als drei Monaten im Bundesgebiet einer unselbst- ständigen Erwerbstätigkeit nachgehen und die dafür er- forderliche Arbeitsgenehmigung besitzen“. Als Bedingung sieht die F.D.P. ausschließlich „das dringende betriebliche Bedürfnis“ und die für die Weiter- beschäftigung erforderliche oder in Aussicht gestellte Ar- beitsgenehmigung. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Februar 200114970 (C) (D) (A) (B) Das erscheint meiner Fraktion zu kurz – oder zu weit – gesprungen zu sein, je nachdem, von welchem Blickpunkt man dies betrachtet. Damit werden wir uns aber in den kommenden Ausschussberatungen befassen. Auch die Länder suchen nach Lösungsmöglichkeiten! In den Bundesländern, in denen eine besonders erfolgrei- che Mittelstandspolitik betrieben wird, ist der Handlungs- bedarf besonders groß. Es dürfte ja wohl kaum unterschiedliche Auffassungen darüber geben, dass dies für Baden-Württemberg in hohem Maße zutrifft. Die Wähler werden dies auch am 25. März dieses Jahres honorieren, weil die nämlich clever sind! Baden-Württemberg hat einen Weg gefunden, der klei- nen und mittleren Unternehmen hilft. Seit dem 8. Januar dieses Jahres gibt es eine Verwaltungsvorschrift des In- nenministeriums unter Thomas Schäuble, in der es unter anderem heißt: „Die berechtigten arbeitsmarktpolitischen Interessen des Mittelstandes müssen stärker als bisher über § 8 AAV (Arbeitsaufenthalteverordnung) berück- sichtigt werden.“ Im Folgenden wird ein „besonderes öffentliches Inte- resse“ im Sinne des § 8 präzisiert bzw. formuliert. Danach ist es in Baden-Württemberg schon jetzt mög- lich, Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugo- slawien unter bestimmten Bedingungen eine Aufenthalts- erlaubnis zu erteilen, um weiter in einem bestehenden Arbeitsverhältnis zu bleiben. Die Bedingungen sind ers- tens, der Bürgerkriegsflüchtling aus dem ehemaligen Jugoslawien ist seit mehr als zwei Jahren bei einem ba- den-württembergischen mittelständischen Unternehmen beschäftigt – also weiter in Bezug auf den Personenkreis und auf die „Vorbeschäftigungszeit“ als der heutige In- nenminister-Beschluss, zweitens, der Betrieb ist dringend auf den Mitarbeiter angewiesen und drittens, der Betrieb hat sich nachhaltig, aber erfolglos bei der Arbeitsverwal- tung um eine Ersatzkraft bemüht. Die Regierungspräsi- dien sind angewiesen, in diesem Sinne zu verfahren. Was im „Ländle“ möglich ist, sollte auch in anderen Bundesländern möglich sein, wenn man es denn wirklich ernst meint mit der Sorge um den Mittelstand. Ich fasse zusammen: Erstens. Wir kennen und erken- nen die großen Probleme des Mittelstandes in Bezug auf die Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis der bei ihnen seit Jahren beschäftigten Bürgerkriegsflüchtlinge. Zweitens. Um kurzfristig hier Abhilfe zu schaffen, bie- tet sich die Lösung von Baden-Württemberg an, durch möglichst unbürokratische Regelungen auf der Basis gel- tenden Rechts zu helfen. Drittens. Zugunsten einer bundeseinheitlichen Rege- lung, die sehr viel mehr Aspekte als die zweifellos be- rechtigten wirtschaftlichen Interessen des Mittelstandes wird berücksichtigen müssen, sollten wir einen breiten parlamentarischen Konsens anstreben. Viertens. Der Überweisung des F.D.P.-Antrages in die Ausschüsse stimmen wir selbstverständlich zu und hoffen dort auf gute Beratungen, um wichtige Fragen zu klären, zum Beispiel in Bezug auf den berechtigten Personen- kreis, die betroffenen Betriebe und die notwendige Vor- beschäftigungszeit, um nur ein paar Aspekte zu nennen. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Durch eine Änderung des § 10 AuslG – Aufent- haltsgenehmigung zur Arbeitsaufnahme – soll ausländi- schen Staatsangehörigen eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt werden können, wenn sie bereits mehr als drei Mo- nate im Bundesgebiet erlaubt arbeiten und ein dringendes betriebliches Interesse an einer Weiterbeschäftigung be- steht. Bisher, so die F.D.P., würde es für legal beschäftigte Ausländer regelmäßig zu einem Ende der Arbeitsgeneh- migung kommen, wenn der Aufenthalt abgelaufen ist; Beispiel: Bürgerkriegsflüchtlinge. Dies sei weder im In- teresse des Arbeitsnehmers noch des Arbeitgebers oder der Allgemeinheit. Hintergrund dieses Antrags, der aus der Feder des ba- den-württembergischen Justizministeriums stammt, ist die Ausreisepflicht bosnischer und kosovarischer Bürger- kriegsflüchtlinge, die vor allem in den Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg überdurchschnittlich häufig ein Arbeitsverhältnis eingehen konnten. Nun lau- fen insbesondere die mittelständischen und kleinen Un- ternehmer Sturm und möchten gerne „ihre“ Arbeitskräfte weiterbeschäftigen. Dieser – zunächst vernünftig erscheinende – Ansatz der F.D.P.-Fraktion greift jedoch vor dem Hintergrund der allgemeinen Debatte über eine moderne Einwanderungs- gesetzgebung zu kurz. Die F.D.P. konterkariert hier ihre bisher vorgelegten Entwürfe – Zuwanderungsbegren- zungsgesetz –, in denen eine umfassende Zuwanderungs- regelung konzipiert wird. Zudem ist der jetzt vorliegende Gesetzesentwurf ein rein auf dem Ermessen der Auslän- derbehörden basierender Vorschlag, der vorrangig Arbeit- geberinteressen berücksichtigt. Ich glaube kaum, dass mit solchen Entscheidungen nach Ermessen die Probleme der F.D.P. in Baden-Württemberg, mit dem Innenministerium eine vernünftige Regelung zu erreichen, gelöst würden. Die Mittel, dieses Ziel zu erreichen, haben wir auch jetzt schon. Was wir brauchen, sind klare Übergangsmöglichkeiten für Menschen, die sich als Bürgerkriegsflüchtlinge oder Geduldete seit vielen Jahren in Deutschland aufhalten, um aus dem Status der Duldung in eine Aufenthaltsgenehmi- gung zu kommen. Die Verwertbarkeit von Arbeitskraft darf nicht das einzige Kriterium sein. Wir brauchen er- gänzend eine Härtefallregelung: Andere, gut integrierte Gruppen – zum Beispiel Alleinerziehende und ältere Menschen, Jugendliche in der Ausbildung und Kranke – sind nicht faul, sondern konnten aus unverschuldeten Gründen nicht arbeiten. Sie sollten ebenfalls nach jahre- langem ungewissen Aufenthalt eine Lebensperspektive in Deutschland erhalten. Dies ist ein Gebot der Fairness. Für die Gruppen der Flüchtlinge aus Bosnien und aus der Bundesrepublik Jugoslawien hätte es schon bei der IMK im November 2000 zu einer Bleiberechtsregelung kommen können – wenn die B-Länder dem zugestimmt hätten. Auch die F.D.P.-mitregierten Länder Baden-Würt- temberg und Hessen haben dagegen gestimmt. Baden- Württemberg hat dann eine Woche nach der IMK einen ei- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Februar 2001 14971 (C) (D) (A) (B) genen Ministerratsbeschluss gefasst, der Kosovaren, die seit zwei Jahren sozialversicherungspflichtig tätig sind, eine Aufenthaltsgenehmigung zuerkennt. Grundlage ist hier § 8 der Anwerbestoppausnahmeverordnung. Diese Regelung läuft jedoch ins Leere, da das besondere öffent- liche Interesse an der Beschäftigung einzelner Personen nicht durch einen allgemeinen Kabinettsbeschluss, son- dern im Einzelfall festgestellt werden muss. Auch die Staatsangehörigkeit begründet kein besonderes arbeits- marktpolitisches Interesse. Heute beschäftigt sich die IMK erneut mit einem Vor- schlag des BMI für eine Abschlussregelung für Bosnier und Kosovaren, die in Arbeitsverhältnissen stehen. Im Gegensatz zum Land Baden-Württemberg – und zur F.D.P. – bezieht der BMI-Vorschlag nicht nur wirtschaft- liche Ziele, sondern auch schutzwürdige Belange der be- troffenen Personen – zum Beispiel Familieneinheit – ein. Es bleibt zu hoffen, dass die B-Länder heute ihre ableh- nende Haltung aufgeben und eine flexible Regelung er- möglichen, die hilft, unnötige Härten durch eine erzwun- gene Rückkehr in das Heimatland trotz Integration im Bundesgebiet zu vermeiden. Dirk Niebel (F.D.P.): Großbetriebe in der Computer- industrie dürfen über eine Saisonarbeiterregelung, die so genannte Green Card, ausländische Facharbeiter zu hohen Gehältern anwerben. Kleinere und mittlere Unternehmen in den Branchen, die über Arbeitskräftemangel klagen, gehen leer aus. Unternehmen, die geduldete Bürger- kriegsflüchtlinge eingestellt haben, müssen fürchten, dass ihre Arbeitskräfte über Nacht abgeschoben werden und sie dann ohne Ersatz dastehen. Dies sind oft Personen, die nach langem Suchen für einen nicht besetzten Arbeits- platz gefunden wurden und nun für den betrieblichen Ab- lauf unverzichtbar geworden sind. Die baden-württembergische Landesregierung hat im letzten Dezember zum Aufenthaltsrecht für Bürgerkriegs- flüchtlinge einen akzeptablen Kompromiss gefunden. In Baden-Württemberg dürfen kleine und mittlere Unter- nehmen in Handwerk, Handel, Gartenbau und Gastrono- mie Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugo- slawien nach Ablauf ihrer Aufenthaltserlaubnis weiter beschäftigen, wenn diese seit mehr als zwei Jahren bei ei- nem baden-württembergischen Unternehmen beschäftigt sind. Voraussetzung bleibt allerdings, dass der Betrieb auf den Mitarbeiter angewiesen ist und er sich nachhaltig und erfolglos bei der Arbeitsverwaltung um eine Ersatzkraft bemüht hat. Ihre Integrationswilligkeit zeigen Bürgerkriegsflücht- linge durch ihr Engagement und Ihre Bereitschaft, für Ihren Lebensunterhalt selbst zu sorgen, statt sich an den Tropf der Sozialkassen zu hängen. Sie beteiligen sich am Bruttosozialprodukt und erwirtschaften Einnahmen für die Sozialkassen. Wer sich so einsetzt, muss eine Per- spektive auf einen dauerhaften Aufenthalt und ein gleich- berechtigtes Leben in Deutschland bekommen. Die Innenministerkonferenz plant derzeit, dass Bür- gerkriegsflüchtlinge ein dauerhaftes Bleiberecht erhalten sollen, solange sie einen Arbeitsplatz nachweisen können und nicht straffällig werden. Dies soll aber nur für Bür- gerkriegsflüchtlinge aus dem Kosovo und Bosnien gelten. Dieser Vorschlag ist ein Schritt in die richtige Richtung, reicht aber längst nicht aus. Seit Januar haben Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge mit Aufenthaltsbefugnis durch die Änderung der Arbeitsgenehmigungsverordnung einen nachrangigen Arbeitsmarktzugang ohne Wartefrist. Die Sozialversicherungen rechnen mit jährlichen Zusatzein- nahmen von 1,3 Milliarden DM und die Sozialhilfeträger mit Einsparungen von 900 Millionen DM jährlich. Bei den Altfällen sollte eine Regelung für alle Flüchtlinge ge- funden werden. Eine Vereinfachung und Erleichterung bei der Ertei- lung von Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen ist des- halb notwendig. Es kommt nur in Ausnahmefällen zu ei- ner Konkurrenz zwischen Deutschen und Ausländern um denselben Arbeitsplatz. Wie Sie wissen, sind ungeachtet der hohen Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren viele Arbeitsplätze unbesetzt geblieben. Wer sich selbst um ei- nen Arbeitsplatz bemüht und gefunden hat, soll ihn auch haben dürfen. Dieses Engagement muss belohnt werden. Und natürlich muss auch die Familie bleiben dürfen. Wir gehen davon aus – solide Studien unterstützen diese An- nahme –, dass sich die Teilnahme von Ausländern am Wirtschaftsleben positiv auswirkt. Der von der F.D.P. hier vorgelegte Gesetzentwurf zur Änderung des Ausländergesetzes ist eine Erste-Hilfe-Lö- sung, bis das antiquierte Arbeitsgenehmigungsrecht abge- schafft wird und qualifizierte Arbeitskräfte unbürokra- tisch nach Deutschland kommen können. Die F.D.P. hat zur Zuwanderung bereits zwei Gesetz- entwürfe vorgelegt, die Zuwanderung auch nach ökono- mischen Kriterien durch Quoten und Kontingente kon- trollierbar und berechenbar machen. Wir brauchen eine für jedermann durchschaubare Regelung und eindeutige Spielregeln für die gesellschaftliche Eingliederung der Zuwanderungswilligen. Der Bundeskanzler hat angekündigt, dass die Zuwan- derung noch in dieser Legislaturperiode gesetzlich gere- gelt wird. Vorher hatte er die Ausweitung der Green Card auf andere Branchen versprochen, die dringend Arbeits- kräfte suchen. In diesem Vorhaben ist er von der Bundes- anstalt für Arbeit, aber auch in den eigenen Reihen abge- schmettert worden. Die Regierung flickt eben hier ein bisschen, dort ein bisschen. Ihr fehlt ein konkretes Ziel und das passende Konzept. Ich fordere die Koalitionsfraktionen dringend auf, die- sem Gesetzentwurf zuzustimmen. Es handelt sich hier um eine Art „Altfallregelung“ mit genau der positiven Wir- kung, die Sie der so genannten Green Card zuordnen. Wir wollen für Unternehmen und Betroffene unangemessene Härten vermeiden. Dieser Gesetzentwurf ist ein richtiger und wichtiger Schritt, bis im Rahmen eines Zuwanderungsregelungsge- setzes ein ganzheitliches Konzept zum Tragen kommt. Hoffentlich dient er der Regierung als Denkanstoß, damit sie bei der Diskussion um die Zuwanderung endlich in die Gänge kommt. Die Bundesregierung darf sich einem Ge- samtkonzept in dieser Legislaturperiode nicht ver- schließen. Bis dahin brauchen wir mehr Sicherheit für die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Februar 200114972 (C) (D) (A) (B) integrierten Beschäftigen, mehr Sicherheit für die Arbeit- geber, die sonst ihre Arbeitsplätze nicht besetzen können, einfach mehr F.D.P., damit wirklich wichtige Dinge end- lich angegangen werden. Ulla Jelpke (PDS): Die F.D.P. will § 10 des Auslän- dergesetzes dahin gehend erweitern, dass Ausländern, die seit mehr als drei Monaten im Bundesgebiet unselbst- ständig beschäftigt sind, hierfür eine Arbeitsgenehmigung besitzen und auch weiterhin bekommen werden und für deren Beschäftigung es ein dringendes betriebliches Be- dürfnis gibt, eine Aufenthaltsgenehmigung zur Ausübung der Beschäftigung erteilt werden kann. Einen Rechtsan- spruch hierauf soll es nicht geben. Positiv zu bemerken ist, dass die F.D.P. sich immerhin Gedanken darüber macht, dass die rigorose Abschie- bungspolitik immer mehr auf Widerstand auch in konser- vativ-bürgerlichen Kreisen stößt. Insbesondere aus mit- telständischen Betrieben und in kleineren Kommunen werden Proteste laut, wenn Menschen, die seit Jahren dort leben, arbeiten und sich „anständig“ aufführen, auf einmal abgeschoben werden sollen. Dennoch lehnen wird den Gesetzentwurf ab, weil er einseitig auf die Interessen der Wirtschaft abstellt. Nur dann, wenn für seine Beschäftigung ein „dringendes be- triebliches Bedürfnis“ besteht, soll jemand bleiben dür- fen. Mit anderen Worten: Ein Mensch ist der F.D.P. nur so lange etwas wert, wie er den Interessen der Wirtschaft nützlich ist. Dies wird schon daran deutlich, dass die Er- teilung einer Aufenthaltsgenehmigung in das Ermessen der Ausländerbehörde gestellt sein soll, ohne dass es ei- nen Rechtsanspruch gäbe. Dies ist mit unserem Men- schenbild nicht vereinbar. Die PDS hält an ihrer Auffas- sung fest, dass Zuwanderung so gestaltet sein muss, dass vorrangig die Interessen der Betroffenen zum Tragen kommen und nicht willkürlich festgelegte Gesichtspunkte der Wirtschaft oder des Arbeitsmarktes. Die Situation der „Illegalisierten“, der Menschen ohne Papiere und Aufenthaltsgenehmigungen, wird ver- stärkt diskutiert. Das ist gut. Die PDS tritt für eine Poli- tik ein, die sagt: Wer hier lebt und inzwischen seinen Le- bensmittelpunkt in Deutschland begründet hat, soll bleiben können, ob er nun erwerbstätig ist oder nicht. Von einer solchen Regelung wären auch die von der F.D.P. gemeinten Menschen erfasst. Sie würde aber da- rüber hinaus gehen. Wir laden die F.D.P. ein: Springen Sie über Ihren wirt- schaftsliberalen Schatten! Treten Sie mit uns für einen Ausbau der Rechte auch für bisher Rechtlose in Deutsch- land ein. Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä- rin beim Bundesminister des Innern: Durch das Angebot der F.D.P.-Entwürfe zu ausländerrechtlichen Fragen zieht sich wie ein blaugelber Faden folgendes Prinzip: flink sein, die Interessen der eigenen Klientel bedienen, auf Sorgfalt, Logik und Gerechtigkeit kommt es nicht so sehr an. So haben Sie es in Ihren Vorschlägen für ein „Zuwan- derungsbegrenzungsgesetz“ dargeboten, so war es mit Ih- rer Forderung nach einer völligen Liberalisierung des Ar- beitsmarktzugangs für Asylbewerber, und so ist es mit dem Gesetzentwurf, den wir heute Abend in erster Lesung beraten. Es ist ja nicht zu leugnen, dass es ein wachsendes Interesse von Unternehmern gibt, ausländische Arbeits- kräfte hierzubehalten. Als die Debatte um die Rückkehr der bosnischen Kriegsflüchtlinge auf vollen Touren lief, stapelten sich bei uns die Briefe von Unternehmern – vor- nehmlich, aber nicht nur aus dem Schwäbischen –, die dringend darum baten, ihnen ihre lieb gewordenen Mitar- beiter nicht wegzunehmen. Das ist alles verständlich und sollte uns nachdenklich machen. Aber es bedarf eben auch einer Konzeption, die diese Personengruppen nicht ande- ren gegenüber bevorzugt, die keine Neidgefühle erzeugt und auf einem sozialpolitisch, aufenthalts- und arbeits- rechtlich solide gemauerten Fundament steht. Das aber vermisse ich beim Vorschlag der F.D.P. Natürlich gehört die Gesetzesinitiative hinein in das Tableau der Überlegungen um eine so genannte Ab- schlussregelung für Flüchtlinge aus dem Kosovo, aus Bosnien und Herzegowina. Eben mit diesen Fragen hat sich heute eine Sonderkonferenz der Innenminister aus Bund und Ländern befasst. Ich freue mich, Ihnen mitzuteilen, dass es eine Eini- gung gibt – und zwar auf der Basis der Lösung, die der Bundesinnenminister aus eigener Initiative schon im No- vember vorgeschlagen und zwischenzeitlich erneut unter- breitet hat. Das sieht jetzt so aus: Bosnische Flüchtlinge erhalten eine Aufenthaltsbefugnis, wenn sie seit sechs Jahren in Deutschland leben, ihr Arbeitsverhältnis schon seit mehr als zwei Jahren besteht und der Arbeitgeber auf ihre weitere Tätigkeit angewiesen ist. Nachweisen muss er, dass er sich ohne Erfolg um eine Ersatzkraft bemüht hat. Das ist für die Bosnier eine echte Abschlussregelung! Auf diese Weise erreichen wir nicht nur verlässliche Per- spektiven für die Betroffenen, ihre Familien und die Un- ternehmer. Wir erreichen auch die Akzeptanz und soziale Balance, die wir für eine flexiblere Handhabe und eine be- hutsame Öffnung des Arbeitsmarktes auch für Menschen außerhalb der EU und mit einem Aufenthaltsstatus brau- chen, der eigentlich nicht auf dauerhaftes Bleiben ange- legt war, deren Lebenswirklichkeit sich aber anders ent- wickelt hat. Auch für die Kosovaren gibt es eine Neuerung: Sowohl für Arbeitnehmer als auch für ihre Familienangehörigen gilt noch bis zum 31. Juli dieses Jahres eine Duldung. Die Innenminister werden sich auf ihrer Konferenz im Mai mit einer Lösung für diesen Personenkreis befassen. Auch das ist also ein deutlicher Fortschritt – insgesamt sehr viel überzeugender als das viel zu pauschale Dreimonatsange- bot für alle Ausländer mit Job, wie es der F.D.P.-Antrag vorschlägt. Ich wiederhole: Wir hätten eine solche Bleiberechts- regelung zum Beispiel für die Bosnier schon sehr viel eher haben können, wenn sich nicht die unionsgeführten Länder, und eben auch diejenigen, in denen die F.D.P. mitregiert, lange dagegen gesträubt hätten, um dann, wie zum Beispiel Baden-Württemberg, eigene Regelungen für erwerbstätige Bürgerkriegsflüchtlinge in Kraft zu set- zen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Februar 2001 14973 (C) (D) (A) (B) Nun endlich sind wir ein ordentliches Stück weiter; die Länder können einheitlich verfahren. Damit ist allen ge- holfen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Verbesserung von Kinderrechten (Kin- derrechteverbesserungsgesetz – KindRVerbG) (Tagesordnungspunkt 19) Ronald Pofalla (CDU/CSU): Bereits der Titel des Ge- setzes verbietet es einem eigentlich schon, Kritik an dem Inhalt zu üben: Gesetz zur weiteren Verbesserung von Kinderechten. Wem läge dies nicht am Herzen und wer hätte die Stirn, sich gegen ein solches, humanistisches An- sinnen zu stellen? – Natürlich niemand. Gleichwohl be- darf ein noch so ansprechend etikettiertes Ansinnen auch der inhaltlichen Überprüfung. Hier muss doch gleich mit aller Deutlichkeit gesagt werden: Es ist nicht alles Gold, was glänzt. So kann man zwar im Großen und Ganzen mit den geplanten Regelun- gen zufrieden sein, doch gibt es eben auch einige Punkte, die von uns abgelehnt werden müssen. Zunächst zu den Punkten, die unsere ungeteilte Zu- stimmung finden: Die Einführung eines Absatzes 2 in § 1600 BGB, wie in Art. 1 Nr. 1 des Gesetzentwurfes vor- gesehen, ist zu begrüßen. Hiernach wird die Vaterschafts- anfechtung ausgeschlossen, wenn Ehegatten vorher in die künstliche Befruchtung durch Samenspende eines Dritten eingewilligt haben. Es wird insoweit eine Rechtssicher- heit für diese Kinder geschaffen. Grundsätzlich ist diese Art der künstlichen Befruchtung durch eine Samenspende eines Dritten zwar in unserem Land verboten, doch gilt es hier, alle Eventualfälle, insbesondere künstliche Befruch- tungen, die ursprünglich im Ausland vorgenommen wur- den, zu regeln. Auch die beabsichtigte Änderung des § 1618Satz 1BGB, gemäß Art. 1 Nr. 2 des Gesetzentwurfes, findet die Zu- stimmung unserer Fraktion. Der zurzeit geltende Wortlaut der hier in Rede stehenden Regelung ist irreführend. Nach bisheriger Regelung scheint der Wortlaut der Vorschrift zu bestimmen, dass bei Wiederverheiratung einer geschiede- nen Ehefrau, die in der neuen Ehe den Namen des neuen Ehegatten annimmt, dieser neue Name nur für den Fall auf das Kind übertragen werden kann, dass ihr das alleinige Sorgerecht zusteht. Selbstverständlich muss es diese Möglichkeit auch für den Fall des gemeinsamen Sorge- rechts geben. Die neue Regelung stellt dies nun eindeutig klar. Ebenfalls sinnvoll erscheint die beabsichtigte Rege- lung des § 3 Abs. 2 Kindesunterhaltsgesetz. Diese, in Art. 4 des Gesetzentwurfes vorgesehene Änderung zielt auf eine vereinfachte Dynamisierung von unterhalts- rechtlichen Alttiteln ab. In der Rechtspraxis wurde und wird die bestehende Regelung, eine Übergangsvorschrift aus dem Kindesunterhaltsgesetz, vielfach fehlinterpre- tiert. Die hier angestrebte Korrektur ist daher zu be- grüßen. Andere beabsichtigte Regelungen des Gesetzentwur- fes des Bundestages erscheinen dagegen überflüssig. So ist der Art. 1 Nr. 3 des Gesetzentwurfes – die Verankerung der gewaltfreien Erziehung im Zivilrecht – durch das Ge- setz gegen Gewalt in der Erziehung bereits obsolet ge- worden. Auch Nr. 4 des Artikels 1, das so genannte kleine Sorgerecht des Ehegatten eines allein sorgeberechtigten wiederverheirateten Elternteils – hier geregelt in einem neuen § 1687 b BGB – ist überholt. Hier ist die zumindest vorläufige Erledigung dieses Problemkomplexes durch das Lebenspartnerschaftsgesetz eingetreten. Weiterhin enthält der Gesetzentwurf des Bundesrates jedoch auch eine Regelung, die gänzlich abzulehnen ist. Gemeint ist hiermit Art. 2 des Gesetzentwurfes. Vorgese- hen ist hier eine Änderung des Gesetzes über die rechtli- che Stellung der nichtehelichen Kinder. Das Ziel dieser Änderung ist die Beseitigung der alten Stichtagsregelung, aufgrund derer bei Einführung des Erbrechts für nicht- eheliche Kinder in den 60er-Jahren diejenigen Kinder von der erbrechtlichen Regelung ausgenommen worden sind, die zum Stichtag, – eben dem In-Kraft-Treten des Geset- zes über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder am 1. Juli 1970 – bereits volljährig waren. Folge dieser Stichtagsregelung ist es, dass nichtehelich vor 1949 gebo- rene Kinder keinen erbrechtlichen Ausgleichsanspruch haben. Der Grund für diese Stichtagsregelung ist im Vertrau- ensschutz zu sehen, was auch durch das Bundesverfas- sungsgericht bestätigt wurde. Diese bis heute beibehal- tene Regelung stieß bereits während der Verabschiedung des Erbrechtgleichstellungsgesetzes in der vergangenen Wahlperiode auf den hartnäckigen Widerstand des Bun- desrates. Der Bundesrat legte Einspruch ein, der Vermitt- lungsausschuss wurde angerufen, mit dem erklärten Ziel des Bundesrates, die Stichtagsregelung zu beseitigen und damit jeglichen Vertrauensschutz außer Acht zu lassen. Ein zweiter Einspruch, nach Bestätigung der Ausgangs- fassung des Gesetzes im Vermittlungsverfahren, wurde durch den Bundestag zurückgewiesen. Es liegt somit auf der Hand, dass nunmehr mittels des vorliegenden Gesetzentwurfs erneut die Stichtagsrege- lung beseitigt werden soll. Dieses Gesetzesziel ist abzu- lehnen. Der Vertrauensschutz ist nach Ablauf vieler Jahre seit In-Kraft-Treten des Gesetzes über die rechtliche Stel- lung nichtehelicher Kinder nun umso schützenswerter geworden. Die positive Entscheidung des Bundesverfas- sungsgerichtes hinsichtlich der Stichtagsregelung unter- stützt diese Argumentation noch zusätzlich. Schließlich wurde die Stichtagsregelung noch einmal durch die Bei- behaltung dieser Regelung im Erbrechtsgleichstellungs- gesetz gestärkt. Alles in allem bleibt also festzustellen: Das Gesetz ent- hält einige überflüssig gewordene Regelungen. Diese müssen aus dem Gesetzentwurf herausgenommen wer- den. Dem Versuch, die Stichtagsregelung quasi durch die Hintertüre doch noch kippen zu wollen, muss mit Ent- schiedenheit im Sinne des Vertrauensschutzes entgegen- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Februar 200114974 (C) (D) (A) (B) getreten werden. Die übrigen, durchaus vernünftigen Re- gelungsentwürfe sind dagegen zu unterstützen. Wie be- reits erläutert, dienen diese Regelungen, denen wir ohne weiteres zustimmen können, der Klarheit und Einheit- lichkeit des Zivil- und Unterhaltsrechts. Diesem hehren Ziel kann man sich natürlich nicht verschließen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Februar 2001 14975 (C)(A) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415200000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Am 13. Februar feierten die beiden Kollegen Konrad
Gilges und Walter Hirche ihren 60. Geburtstag. Ich gra-
tuliere beiden im Namen des ganzen Hauses.


(Beifall)

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene

Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen
vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:

1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD:Bundes-
politische Auswirkungen neu bekannt gewordenerVerstöße
gegen das Parteiengesetz (siehe 151. Sitzung)



(Ergänzung zu TOP 20.)

Werner Lensing, Ilse Aigner, Dr. Maria Böhmer, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Zukunftsorien-
tierte Weiterbildung durch Eigenverantwortung und
Selbstorganisation – Ein Paradigmenwechsel – Drucksache
14/5312 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Kultur und Medien

3. Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache

(Ergänzung zu TOP 21.)

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung

eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
der Europäischen Sozialcharta – Drucksache 14/4671 –

(Erste Beratung 149. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für
Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss) – Drucksache
14/5327 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Johannes Singhammer

b) Beratung des Antrags der Bundesregierung: Zulassung
einer Ausnahme vom Verbot der Zugehörigkeit zu ei-
nem Aufsichtsrat für Mitglieder der Bundesregierung
– Drucksache 14/5271 –

4. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:
Haltung der Bundesregierung zu den von grünen Kern-

kraftgegnern angekündigten Protesten bei Wiederauf-
nahme der Castortransporte

5. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der PDS: Haltung
der Bundesregierung zu aktuellen Berichte über die
Gründe zum Eintritt in den Kosovo-Krieg

Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit
erforderlich, abgewichen werden.

Außerdem ist vereinbart worden, den Tagesordnungs-
punkt 13 – Nutzung von Geoinformationen in der Bun-
desrepublik Deutschland – nach Tagesordnungspunkt 9 –
Dritter Bericht zur Lage der älteren Generation in der
Bundesrepublik Deutschland: Alter und Gesellschaft und
Stellungnahme der Bundesregierung – und Tagesord-
nungspunkt 19 – Kinderrechteverbesserungsgesetz – statt
am Freitag bereits heute als letzten Tagesordnungspunkt
zu beraten.

Des Weiteren sollen Tagesordnungspunkt 10 – Bekämp-
fung von Gewalt gegen Frauen – sowie Tagesordnungs-
punkt 21 f – das ist die Sammelübersicht 217 – abgesetzt
werden.

Darüber hinaus mache ich auf eine nachträgliche Über-
weisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:

Der in der 149. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung zur Mitberatung überwiesen werden.

Antrag der Abgeordneten Waltraud Wolff, Heino
Wiese, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Ulrike Höfken, Steffi Lemke, Kerstin Müller

(Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des

BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Neuausrich-
tung der Agrarpolitik: Offensive für den Ver-
braucherschutz – Perspektive für die Land-
wirtschaft – Drucksache 14/5228 –
überwiesen:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

14809


(C)



(D)



(A)



(B)


152. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 15. Februar 2001

Beginn: 9.00 Uhr

Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c auf:
3. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hubertus

Heil, Dr. Ditmar Staffelt, Hermann Bachmaier,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

(Frankfurt)

Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Deutschlands Wirtschaft in der Informations-
gesellschaft
– Drucksache 14/5246 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über Rahmenbedingungen für elektronische
Signaturen und zur Änderung weiterer Vor-
schriften
– Drucksache 14/4662 –

(Erste Beratung 140. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

– Drucksache 14/5324 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn)


c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Ursula Lötzer, Rolf Kutzmutz, Angela
Marquardt, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der PDS
E-Europe: die europäische Informationsgesell-
schaft sozial und demokratisch gestalten
– Drucksachen 14/3623, 14/4486 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Hubertus Heil

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Werner
Müller.

Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Guten Morgen, Herr Präsident, meine
Damen und Herren! Die Weichen für den Aufbruch
Deutschlands in die Informationsgesellschaft des
21. Jahrhunderts richtig und vorausschauend zu stellen
war für diese Bundesregierung von Anfang an eines der
wichtigen politischen Ziele.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich begrüße daher ausdrücklich den Koalitionsantrag
„Deutschlands Wirtschaft in der Informationsgesell-
schaft“, der wichtige Handlungsfelder für die Politik auf-
zeigt und die Internetpolitik der Bundesregierung unter-
stützt.

Trotz fallender Aktienkurse hat die Internetwirtschaft
im letzten Jahr eine eindrucksvolle Dynamik entwickelt.
Der gesamte Markt für Informations- und Kommunikati-
onstechnologien in Deutschland wuchs im Jahr 2000 um
über 10 Prozent auf 238 Milliarden DM und hat sich da-
mit zu einem der größten Wirtschaftszweige in Deutsch-
land entwickelt. Die Zahl der Erwerbstätigen in diesem
Sektor nahm im gleichen Zeitraum um 4 Prozent zu und
liegt nun bei knapp 800 000 Beschäftigten. Nach einer Stu-
die des RWI können wir bis zum Jahre 2010 750 000 neue
Arbeitsplätze netto hinzugewinnen, wenn wir die Wei-
chen richtig stellen.

Die Zahl der an das Internet angeschlossenen Haus-
halte hat sich verdoppelt. Sie liegt jetzt bei über 30 Pro-
zent. Das Internet nutzen bereits fast 40 Prozent der Be-
völkerung zwischen 14 und 69 Jahren. Anfang des Jahres
2000 waren es nur 25 Prozent. Die Preise für den Zugang
zum Internet sind in Deutschland um bis zu 60 Prozent ge-
sunken. Bei den Preisen für Breitband-Flatrates ist
Deutschland weltweit am wettbewerbsfähigsten.

In der Zukunftstechnologie des mobilen Geschäftsver-
kehrs hat sich Deutschland mit einem Umsatz von
483 Millionen DM im letzten Jahr europaweit an die
Spitze gesetzt. Das ist besonders wichtig, da hier in den
nächsten Jahren Wachstumsraten von etwa 200 Prozent zu
erwarten sind.

Die positive Einschätzung der Situation wird von den
Spitzen der deutschen Wirtschaft bestätigt. Vor einer Wo-
che hat der Präsident des Branchenverbandes Bitkom,
Volker Jung, festgestellt, dass sich unsere Volkswirtschaft
in diesem wichtigen Zukunftsbereich derzeit mit einer
nicht gekannten Dynamik entwickelt. Deutschland ist
dank der Politik dieser Bundesregierung inzwischen vom
internationalen Mittelfeld in die Spitzengruppe vorge-
stoßen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Da muss er selber lachen! – Gegenruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]: Herr Merz, Präsident Wolfgang Thierse 14810 seien Sie vorsichtig! Sie sind auf dünnem Eis, wo Sie sich nicht auskennen!)





(C)


(D)


(A)


(B)


Unsere besondere Stärke, die gut ausgebaute Netzin-
frastruktur, bietet beste Voraussetzungen, um den Rück-
stand zu den USAnoch weiter zu verringern. Der Trend in
die Netzwerkökonomie kann auch durch fallende Kurse
am Neuen Markt nicht aufgehalten werden. Der Einsatz
der modernen Informations- und Kommunikationstech-
nologien war ein entscheidender Faktor für den lang an-
haltenden Wirtschaftsaufschwung in den USA.

Auch unsere Wirtschaft hat die Zeichen der Zeit er-
kannt und setzt in beträchtlichem Umfang auf die neuen
elektronischen Technologien, wie zum Beispiel die stark
wachsende Zahl von Internethandelsplattformen in
Deutschland zeigt. Die Bundesregierung wird diesen Pro-
zess weiterhin durch eine konsequente Politik begleiten,
die im Wesentlichen auf drei strategischen Politikpro-
grammen beruht: erstens auf dem nationalen „Aktions-
programm für Innovation und Arbeitsplätze in der Infor-
mationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts“ vom Herbst
1999 und dem 10-Punkte-Programm des Bundeskanzlers,
zweitens auf der D-21-Initiative von Wirtschaft und Bun-
desregierung – damit haben wir eine erfolgreiche Innova-
tionspartnerschaft zwischen Wirtschaft und öffentlicher
Hand eingeleitet –


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


und drittens international auf dem europäischen Aktions-
plan „E-Europe 2002: Eine Informationsgesellschaft für
alle“ vom Sommer 2000.

Es ist das Ziel dieser Programme, Deutschland und Eu-
ropa weltweit einen Spitzenplatz in der Informationsge-
sellschaft zu sichern. Die neuen Zahlen zeigen, dass wir
hier durchschlagende Erfolge haben. Ich will drei
Schwerpunkte unserer Politik herausstellen, die mir für
eine Anpassung unseres Landes an die wissensbasierte
Gesellschaft und Wirtschaft besonders wichtig erschei-
nen:

Erstens. Wir schaffen einen modernen Ordnungsrah-
men durch Selbstregulierung und – wo nötig – durch Ge-
setze. Gerade in dieser Woche stellen wir wichtige Wei-
chen. Gestern hat das Bundeskabinett den Gesetzentwurf
über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektroni-
schen Geschäftsverkehr beschlossen. Wir gehören damit
zu den ersten, die die E-Commerce-Richtlinie vom Som-
mer 2000 auf den parlamentarischen Weg bringen.

In der Zukunft gelten EU-weit einheitliche Regelungen
zur uneingeschränkten Zugangsfreiheit, zur Verantwort-
lichkeit und zur Werbung von Dienstanbietern. Hervorhe-
ben möchte ich noch das Herkunftslandprinzip. Es schafft
mehr Rechtsklarheit für Anbieter. Sie unterliegen in Zu-
kunft grundsätzlich den Anforderungen des Landes, in
dem sie niedergelassen sind, auch wenn sie Dienste an-
derswo in Europa anbieten.

Zum Gesetzgebungsvorhaben zum elektronischen Ge-
schäftsverkehr gehört auch die Modernisierung des On-
linedatenschutzes durch Anpassung des Teledienstdaten-
schutzgesetzes. Hierdurch soll das notwendige Vertrauen
des Verbrauchers in die neuen Dienste gestärkt werden.

E-Commerce erzeugt im Markt Anpassungsdruck. Um
deutschen Unternehmen die gleichen Bedingungen am
Markt zu ermöglichen, haben wir die Abschaffung des
Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung beschlossen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Heute geht es hier auch um die Verabschiedung des
neuen Gesetzes über elektronische Signaturen. Dieses
Gesetz schafft die Grundlagen für einen sicheren europa-
weiten elektronischen Geschäftsverkehr. Wir setzen da-
mit die EU-Signaturrichtlinie vom Dezember 1999 als ei-
ner der ersten Staaten um. Damit sichern wir unsere
Vorreiterrolle in Europa auf diesem Gebiet. Die EU-Si-
gnaturrichtlinie ist aber erst dann vollständig umgesetzt,
wenn das Gesetz über die Anpassung der Formvorschrif-
ten des Privatrechtes verabschiedet worden ist. Es liegt
dem Bundestag zur Beratung vor. Ich bitte Sie, auch die-
ses Gesetz zügig zu beraten, damit wir die notwendigen
Anwendungen für die elektronischen Signaturen rasch
bekommen.

Um die Anwendung von elektronischen Signaturen
auch für die Praxis zu erproben, fördert das Bundeswirt-
schaftsministerium diese auch im Rahmen des weltweit
einmaligen Projektes Media@Komm. Virtuelle Rathäu-
ser und virtuelle Marktplätze werden aufgebaut, um auf
diese Weise die Beziehungen zwischen Verwaltung und
Bürgern sowie der lokalen Geschäftswelt transparenter,
effizienter und kostengünstiger zu gestalten.

Zweitens. Die Bundesregierung unterstützt besonders
kleine und mittlere Unternehmen auf ihrem Weg in die In-
formationsgesellschaft. Wir haben dafür eine Reihe von
Initiativen eingeleitet. In den bundesweit 24 Kompetenz-
zentren „Elektronischer Geschäftsverkehr“, die noch in
diesem Jahr durch branchenspezifische Zentren ergänzt
werden, beispielsweise durch ein besonderes Zentrum für
die Tourismuswirtschaft, können sich kleine und mittlere
Unternehmen fachkundigen Rat zu allen Fragen des
E-Commerce holen.

Innovative Unternehmen werden mit dem Internetpreis
der Bundesregierung ausgezeichnet. Er wird im März auf
der CeBIT zum zweiten Mal verliehen. In diesem Jahr
werden die Unternehmen mit der größten Logistikkom-
petenz für den Onlinehandel ausgezeichnet. Der Vor-
schlag des Koalitionsantrages, die netzbasierte Weiterbil-
dung in den Betrieben zu fördern, findet sich in dem vom
Bundeswirtschaftsministerium durchgeführten Wettbe-
werb „LERNET“ wieder. Die besten Teilnehmer dieses
Wettbewerbs wurden letzte Woche prämiert.

Drittens. Ein wesentliches Instrument bei der Umset-
zung unserer Ziele auf dem Weg in die Informationsge-
sellschaft ist die Innovationspartnerschaft mit der Wirt-
schaft im Rahmen der Initiative D 21. Dadurch haben wir
wichtige Initiativen wie die Aktion „Schulen ans Netz“
oder „Gütesiegel für den Online-Verbraucherschutz“ auf
den Weg gebracht. Diese Initiative und das Bündnis für
Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit sind we-
sentliche Säulen dieser Partnerschaft.

Zusammen mit unseren Partnern wird es der Bundes-
regierung auch in Zukunft gelingen, die positive Ent-
wicklung der Informationsgesellschaft in Deutschland




Bundesminister Dr. Werner Müller

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(C)



(D)



(A)



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aktiv und effektiv zu begleiten. Ich setze weiter auf die
parlamentarische Unterstützung dieser Politik. Ich bin
überzeugt, dass wir damit Deutschland und auch Europa
einen Spitzenplatz in der globalen Informationsgesell-
schaft sichern werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So machen wir das!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415200100
Ich erteile dem Kolle-
gen Heinz Riesenhuber, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


(Jörg Tauss [SPD]: Der alte Haudegen wurde reaktiviert!)



Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1415200200
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir hatten wie-
der die große Freude, eine von Leidenschaft und Präge-
kraft getragene Rede unseres Wirtschaftsministers hören
zu dürfen.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dies geschah mit der gleichen vitalen Präpotenz – wir ha-
ben sie immer bewundert –, mit der er gestern die Wirt-
schaft vor der Übermacht der Gewerkschaften gerettet
hat. Nur, der Applaus vonseiten der Wirtschaft ist weitge-
hend ausgeblieben. Die Freude des Mittelstands, dass der
Wirtschaftsminister für ihn eingetreten ist, war reichlich
gedämpft.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie haben immer nur geredet und nichts getan! – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Das ist jetzt eine besonders komische Bemerkung.
Die Ziele der Bundesregierung hat der Herr Wirt-

schaftsminister zutreffend dargestellt. Die große Leistung
der Bundesregierung besteht darin, eine Politik ungebro-
chen fortgeführt zu haben, die die alte Bundesregierung
überzeugend, langfristig und kraftvoll angelegt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]: Oje, oje!)


Dahinter stand eine Strategie von einer gewissen Kom-
plexität. Das fing bei der Einführung der Informations-
technik in mittelständischen Unternehmen an. Ich erin-
nere an die Programme des Forschungsministers zur
Mikroelektronik – der damalige Forschungsminister war
vorzüglich –,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Für das Protokoll: Riesenhuber hieß der!)


zur Mikroperipherik, zu CAD und CAM. Es handelte sich
um Programme zur Einführung von neuen Techniken in
mittelständischen Unternehmen. Wir hatten die Deutsche
Forschungsgemeinschaft mit 100 Millionen DM geför-
dert, wobei die einzige Auflage war, Informationstechnik
an den Hochschulen heimisch zu machen. Ziel dieser
Strategie war es, die Neugründung von Unternehmen in

einer langfristig und schrittweise aufgebauten Sequenz zu
ermöglichen. Es waren die Programme zu technikorien-
tierten Unternehmensgründungen, zu BTU und BJTU,
der Deutschen Ausgleichsbank und der Kreditanstalt für
Wiederaufbau, die insgesamt dazu geführt haben, dass
eine Landschaft starker junger Unternehmen entstanden
ist, die im Neuen Markt ihre Heimat und ihre Möglich-
keiten zur Kapitalisierung gefunden haben. Wir haben
zwölf Multimediaberufe neu definiert. Das hat früher sie-
ben Jahre gedauert, Jürgen Rüttgers hat es in zwei Jahren
hinbekommen.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben also die große Vielfalt aufgebaut, die wir heute
vorfinden.

Die Begeisterung von Herrn Eichel über die UMTS-
Milliarden bewegt uns immer wieder neu. Auf dem Weg
zur Liberalisierung der Märkte im Bereich der Telekom-
munikation


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: War die SPD dabei?)


haben Sie, meine Damen und Herren zur Linken, uns mit
Herzlichkeit begleitet. Sie haben uns ständig und beharr-
lich Schwierigkeiten gemacht und sind jetzt glücklich und
stolz auf das, was wir durchgesetzt haben. Jetzt begreifen
Sie, dass es richtig gewesen ist. Eine solche Einstellung
macht uns glücklich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]: Dumm, dumm, dumm!)


Entstanden sind freie Märkte, auf denen sich auch die
Telekom als Unternehmen zu bewähren hat. Auf diesen
Märkten herrscht Konkurrenz, deshalb entstehen neue
Dienste und neue Infrastrukturen wie zum Beispiel Glas-
fasernetze. Von daher rühren die Dynamik des Mobil-
funkmarktes und die wachsende Zahl der Internetan-
schlüsse.


(Hubertus Heil [SPD]: Herr Kohl hat das Internet erfunden?)


Eine alte Infrastruktur hatten wir schon immer: Die Zahl
von 40 Millionen Fernsehern ist ganz beachtlich; dabei
zähle ich dazu nur die angemeldeten.


(Heiterkeit bei der CDU)

Wenn man aber dazunimmt, dass 26 Länder in Europa die
gleichen ISDN-Standards haben und welche Infrastruktu-
ren wir jetzt haben, muss man zu der Feststellung kom-
men: Hier blüht eine lebendige dynamische Informations-
gesellschaft auf.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das hat doch gar keiner bezweifelt!)


Diese Informationsgesellschaft beruht nicht nur auf
dem Zusammenwachsen von Telekommunikation, Com-
puter und Fernsehen; diese Informationsgesellschaft ist
eine Gesellschaft, in der Wissen wächst, eine Gesell-
schaft, die aus Wissen wächst, eine Gesellschaft, in der
Wissen für jeden und zu allen Zeiten und immer wieder
verfügbar ist, eine Gesellschaft, die ihren Wohlstand aus
Wissen entwickelt, eine Gesellschaft, die nicht Ressour-




Bundesminister Dr. Werner Müller
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(C)



(D)



(A)



(B)


cen verbraucht, sondern aus Wissen ein nachhaltiges und
dauerhaftes Wachstum schafft.

Der Kernbestandteil der Informationstechnologie ist
der Chip. Der Chip besteht aus Silizium – Sand – und et-
was Intelligenz. Darin liegt der Grund für unbegrenzte
Möglichkeiten des Wachstums. Wir haben nämlich genü-
gend Sand. Intelligenz ist angeblich unbegrenzt vorhan-
den, in der Praxis wird sie manchmal knapp; das muss
man respektieren.


(Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Zum Glück wächst sie nach. Insofern kann man dem po-
sitiv und voller Hoffnung entgegensehen.

Bei diesem Bereich handelt es sich um eine offene
Welt; Deutschland steht im weltweiten Wettbewerb.
Globalisierung und Informationsgesellschaft sind näm-
lich das Gleiche: Globalisierung wird erst durch die
Informationsgesellschaft ermöglicht, die Informationsge-
sellschaft ist nicht anders denkbar als global. In dieser
Welt bewegt sich Deutschland; ein Deutschland, wo die
Arbeitskosten am höchsten liegen, 30 Prozent über denen
von Japan und 60 Prozent über denen der USA, doppelt so
hoch wie in Großbritannien.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die haben wir schon gegenüber Ihrer Zeit reduziert, wie Sie wissen!)


Wir können in dieser Welt nur überleben, wenn wir
schneller und besser sind als andere. Dagegen können Sie
eigentlich nicht sein, denn das ist das Zitat eines For-
schungsministers aus alten Zeiten, der der SPD angehörte.


(Jörg Tauss [SPD]: Aktuell, Herr Kollege!)

Wir haben hier eine Dynamik erreicht, die sich in im-

mer mehr Bereiche ausdehnt. Wir haben die Telekommu-
nikation liberalisiert und den Neuen Markt aufgebaut. Der
Neue Markt als Quelle für Eigenkapital ist das wesentli-
che Element für den dynamischsten Bereich dieser neuen
Informationsgesellschaft, für die Start-ups und die jungen
Unternehmen. Diese können nur durch Eigenkapital fi-
nanziert werden; es entsteht eine neue Kultur des Eigen-
kapitals, nicht der Fremdfinanzierung. Sie brauchen Ei-
genkapital, weil sie Verluste machen müssen, bis sie
Know-how aufgebaut, Märkte erschlossen und Marktan-
teile errungen haben. Diesen Neuen Markt hat nicht der
Staat geschaffen, sondern er hat nur die Voraussetzungen
geschaffen: Wir haben die Börsenumsatzsteuer und die
Gesellschaftsteuer abgeschafft. Dadurch wurde der Neue
Markt möglich. Heute ist er der größte Markt in Europa:
Auf ihn entfallen 60 Prozent der gesamten Marktkapitali-
sierung aller Neuen Märkte, 80 Prozent allen Handelsvo-
lumens. Hier entsteht die Quelle für einen dynamischen
neuen Mittelstand,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


getragen von Venture-Capital-Firmen – zu Deutsch: Wag-
niskapitalfirmen –, getragen von Business Angels – was

das auf Deutsch heißt, wissen wir noch nicht; das kommt
noch –,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

getragen von einer Vielzahl von Investoren, die sich um
das Neue, das entsteht, kümmern.

Da stehen wir heute mit einer starken Infrastruktur, mit
einer neuen Gruppe von Unternehmen mit jungen Leuten,
auch älteren Leuten und ganz alten Leuten – manche sind
auch in der Regierung –,


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Hubertus Heil [SPD]: Oder am Rednerpult!)


mit einer lebendigen Mannschaft von Investmentbankern,
von Anwälten, von Beratern, vernetzt über alle Bereiche
der Wirtschaft.

Die Frage ist: Was erwarten sie von uns, die wir den po-
litischen Rahmen zu setzen haben? Zuerst und vor allem
verrichten die Männer und Frauen dort ihre Arbeit mit
Vergnügen. Der alte Adorno würde sich freuen. Er sprach
von der Unmenschlichkeit des Wortes „Work, while you
work, and play, while you play“.


(Hubertus Heil [SPD]: Go where you go to! – Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)


Es sei die einzig menschliche Verhaltensweise, dass man
Arbeit mit Freude verrichte. Aufgabe des Staates ist vor
allem, den Leuten den Spaß an der Arbeit durch eine Viel-
zahl von Gesetzen nicht zu verderben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Leute erwarten gar nicht, dass wir für sie die Ar-

beit tun. Sie erwarten, dass man sie nicht stört. Es war
nicht hilfreich, was wir hier zu dem wunderbaren 630-
Mark-Gesetz debattiert haben. Die unsägliche Debatte zur
Scheinselbstständigkeit löst keine Leidenschaft bei den
Menschen aus.


(Hubertus Heil [SPD]: Was hat denn das mit dem Thema zu tun!)


Der Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit ist nichts, was
die Dynamik befördert. Die Freude der Menschen an ei-
nem neuen Betriebsverfassungsgesetz quillt noch nicht
über. Ich höre noch nicht die Begeisterungsschreie.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Hubertus Heil [SPD]: Heißt das jetzt Fasching oder Fastnacht?)


Was hier entsteht, ist eine Gesellschaft aus ganz eige-
nem Recht. Sie erwartet nicht Fürsorge, sondern Freiheit.
Sie freut sich darüber, dass sie tun darf, was sie tun
möchte. Dass die Politik nicht dazwischen steht, ist schon
eine großartige Leistung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So kann man mit kleinen Sachen der Opposition eine große Freude machen!)


Sie erwarten von uns ganz einfache Dinge. Sie erwar-
ten Wettbewerb und Offenheit der Märkte. Da haben
wir die Regulierungsbehörde und das Kartellamt. Wir




Dr. Heinz Riesenhuber

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(B)


haben die Übernahmeregeln. Wir brauchen jetzt dringend
das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz, durch das einige
der Schwierigkeiten, die in den letzten Jahren erkennbar
geworden sind, ausgeräumt werden.

Sie erwarten die Sicherheit und Integrität von Verträ-
gen. Über das Signaturgesetz spricht nachher Martin
Mayer. Schon in der alten Regierung ist die Regelung der
starken Kryptographie vom Innenminister – im Gegen-
satz zu anderen Innenministern – akzeptiert worden. Sie
erwarten den Schutz des geistigen Eigentums. Da haben
wir noch einige intellektuelle Aufgaben zu erfüllen. Man
stellt oft fest: Die eigentlichen Probleme sind nicht politi-
sche, sondern intellektuelle Probleme.


(Hubertus Heil [SPD]: Immer diese Selbstbezichtigungen!)


Sie wünschen sich, dass Deutschland in der Besteue-
rung wettbewerbsfähig ist. Dass Aktienoptionen kein
normales Einkommen sind, ist offenkundig. Es ist mit Ri-
siko behaftet. Dass Aktienoptionen die Teilhabe von Ar-
beitnehmern am Unternehmensvermögen ermöglichen,
ist die andere Seite. Es ist notwendig, sie so zu besteuern,
dass die Menschen in Deutschland nicht schlechter ge-
stellt sind als beispielsweise in Belgien. Unser Standort
darf für dynamische und junge Unternehmen nicht
schlechter sein als irgendein anderer. Dazu gehören natür-
lich auch die Steuergesetze.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie wollen, dass wir in Bezug auf die Business-Angels

eine Besteuerung einführen, die sie ermutigt. Die Rück-
führung der Wesentlichkeitsgrenze von 10 Prozent auf
1 Prozent in § 17 Einkommensteuergesetz war keine be-
sonders intelligente Angelegenheit.


(Jörg Tauss [SPD]: Sagen Sie das den Ländern, Bayern und Baden-Württemberg vorne dran!)


– Da ich das Beispiel Bayern höre, möchte ich feststellen,
dass das Münchner Finanzamt in einer Reihe von Punk-
ten mit hoher Intelligenz elegante Modelle entwickelt hat,
die sich innerhalb der Gesetze bewegen, die es aber er-
möglichen, dass dort dynamischer gearbeitet wird als an
anderen Orten der Republik.

Was sie also erreichen wollen, sind Dynamik und glei-
che Verhältnisse. Sie wollen einen tüchtigen Nachwuchs.
Tüchtige Experten aus dem Ausland zu holen ist eine
außerordentlich interessante Idee. Von den 20 000 vorge-
sehenen Green Cards sind bis jetzt noch keine 5 000 ver-
geben.

Die Leute wollen vor allem gut ausgebildete junge
Menschen, die unsere Wirtschaft voranbringen können.
Das ist nicht nur eine Frage der Kulturtechniken, die man
in den Schulen lernen kann. Das ist auch eine Frage, mit
welcher Einstellung die jungen Menschen die Schule ver-
lassen. Sie müssen nicht nur erfüllt von Wissen, sondern
auch erfüllt von der Lust am Lernen und von der Freude
an der neuen Technik die Schule verlassen. Man darf ih-
nen diese Freude nicht durch eine fortwährende Regle-
mentierung in den Schulen austreiben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Die Leute wollen junge Akademiker und junge Ingeni-
eure, die im Durchschnitt nicht fünf Jahre älter sein sollen
als ihre Konkurrenten aus anderen Ländern. Dies bedeutet
nicht nur einen Unterschied von fünf Jahren in der Le-
bensarbeitszeit, sondern darin drückt sich auch eine an-
dere Einstellung aus. Viele wollen mit 30 Jahren in den
öffentlichen Dienst, weil sie Verpflichtungen haben. Mit
25 Jahren hat man den Leuten dagegen noch nicht bewie-
sen, was sie nicht können. Sie probieren es einfach. Je-
mand, der mit 30 etwas gründen will, weiß, dass er es
eigentlich nicht kann. Der Unternehmungsgeist der jun-
gen Menschen muss genutzt werden. Die Frage der Ver-
kürzung der Studienzeit und der Studiengänge ist ein Teil
der Idee vom lebenslangen Lernen,


(Jörg Tauss [SPD]: Hättet ihr es doch gemacht!)


aber auch ein Teil der Dynamik der Gesellschaft, die von
den jungen Menschen geprägt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir glauben nicht, dass wir in einer heilen Welt leben.

Es gibt keine Welt ohne Probleme. Diese Probleme kön-
nen unterschiedlichster Art sein. Die eigentliche Aufgabe
ist, sie rechtzeitig zu erkennen. Jürgen Rüttgers hat ver-
sucht, das Problem von Rechtsextremismus und Kinder-
pornographie im Internet aufzugreifen. Wir konnten er-
fahren, wie unendlich schwierig dies ist. Wir wissen, dass
eine grundsätzliche Frage sein wird, wie wir das Entste-
hen einer so genannten Zweidrittelgesellschaft, zu der
eine Teil der Menschen gehört und von der andere ausge-
schlossen sind, verhindern können. Diese Frage zu beant-
worten ist die Aufgabe des Staates.

Aber ich vertraue darauf, dass die Wirtschaft begreift,
dass es auch ihre Angelegenheit ist, weil die Märkte von
dieser Entwicklung betroffen sind. Wenn 70 Prozent der
Deutschen nicht imstande sind, ihren Videorekorder zu
programmieren, dann ist es kein Argument gegen die
Deutschen, sondern gegen die Videorekorder. Wir wollen
nicht, dass alle Deutschen Softwareingenieure werden,
sondern wir wollen intelligente Geräte.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie des Abg. Jörg Tauss [SPD])


Wir freuen uns – bei allem Streit, den wir um einzelne
Punkte führen werden – über diesen positiven Antrag der
SPD, der heute zur Debatte steht. Ich glaube – ich bin mir
aber nicht sicher –, es war Hubertus Schmoldt, der erkannt
hat: Die letzte Technik, die von der SPD voll akzeptiert
worden ist, war der Farbfernseher.


(Zurufe von der SPD: Oh! – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das war der Bundeskanzler, der Herr Schröder!)


Diese Haltung wollen Sie jetzt überwinden, wozu ich
Ihnen gratuliere.


(Jörg Tauss [SPD]: Danke schön! Es ist zwar arrogant, aber trotzdem!)


Ich finde es großartig, wenn wir in der Bewertung der mo-
dernen Technologie Einstimmigkeit erzielen. Sie zu ak-
zeptieren ist eine Voraussetzung für rationales Handeln.




Dr. Heinz Riesenhuber
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Ich würde mich freuen, wenn sich dieser zukunftsfähige
Geist vom Transrapid bis zur grünen Gentechnologie aus-
breitet. Man sollte endlich die Chance ergreifen, die Welt
so zu gestalten, wie es unseren Möglichkeiten entspricht.
Wir sollten tun, was notwendig ist, anstatt Moratorien zu
schaffen und uns in Zurückhaltung zu üben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir gratulieren der SPD zu diesem Antrag, den sie mit

ungeheurem Fleiß erarbeitet hat und an dem wir uns heute
erfreuen. Er lobt die Bundesregierung in einer Weise,


(Jörg Tauss [SPD]: Zu Recht!)

wie es für eine loyale Koalitionspartei angemessen ist.

Wir sind zuversichtlich, dass die SPD und natürlich
auch die Grünen, die bis jetzt brüderlich an der Seite der
SPD stehen, über die Informationstechnologie hinaus die
Kraft haben, eine Politik zu betreiben, die die Menschen
nicht irritiert. Die Politik muss vielmehr den Menschen
dienen. Nicht der Politiker, sondern die ganz normalen
Menschen müssen im Mittelpunkt stehen. Sie müssen
Freude daran haben, diese Welt durch ihren Unterneh-
mungsgeist in Freiheit selbst zu gestalten.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415200300
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Werner Schulz, Bündnis 90/Die Grünen.

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kol-
lege Riesenhuber, wenn Ihre frühere Politik genauso le-
bendig gewesen wäre wie Ihre virtuos vorgetragene Rede,
hätten wir heute einige Probleme weniger.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Aber Sie scheinen da wie hier am Redepult etwas dane-
ben zu stehen und in einer virtuellen Rüttgers-Vergangen-
heit zu leben, um das einmal gelinde auszudrücken.

Die Internetbranche befindet sich derzeit in einer
scheinbaren Krise. Die Aktienkurse von so gefeierten Un-
ternehmen wie Intershop sind abgestürzt, die Volksaktie
Telekom geht auf Tiefstwerte, die Euphorie ist verflogen
und mit der Börsenblase scheint auch die Illusion zu plat-
zen, dass Cybercash wie Manna vom Himmel fällt. Einer-
seits holt die Marktlogik eine hyperaktive Welt dieser New
Economy auf den Boden der Tatsachen zurück. Anderer-
seits sagen uns Prognosen wie die des RWI, dass wir in
diesem Bereich in den nächsten Jahren zusätzliche
Arbeitsplätze in der Größenordnung von 750000 zu er-
warten haben.

Was also sind die Hintergründe dieser aktuellen Ent-
wicklung? Ist der Hightechboom zu Ende, bevor er über-
haupt richtig begonnen hat? Wie reagiert die Politik darauf?

Bei aller Ernüchterung: Was wir momentan erleben,
ist nicht der Anfang vom Ende, sondern eher das Ende
vom Anfang. Es beginnt eine neue Phase einer überaus

chancenreichen und interessanten Entwicklung: das Ver-
schmelzen zweier Welten, der Old und der New Economy.
Was wir erleben, ist der Strukturwandel zur Netzwerk-
ökonomie, eine digitale Revolution, die praktisch den ge-
samten Alltag durchdringt. Der Nutzen des Internets steigt
mit seiner Ausbreitung. Die Kosten der Information sind
sowohl für Unternehmen als auch für Konsumenten ex-
trem gefallen. Der Erfolg ist: Käufer können jetzt einfa-
cher denn je alle möglichen Güter zu attraktiven Preisen
finden.

Durch die neuen Technologien ist die Produktivität
gestiegen. Genauer gesagt: Mit der schnellen Ausbreitung
des Internets ist es selbst zum Katalysator für diese dyna-
mische Entwicklung der Wirtschaft geworden. Nach wie
vor wird die neue Branche der Medien-, Telekommunika-
tions-, Software- und Hardwarefirmen deutlich stärker
wachsen als alle übrigen Wirtschaftszweige, auch wenn
etliche Erwartungen übertrieben, manche Sprüche über-
zogen waren, es nicht mehr danach aussieht, dass die
Schnellen die Langsamen fressen, sondern jetzt die
Großen die Schnellen schlucken.

Dennoch: Pro Firma, die vom Markt verschwindet, gibt
es gleichzeitig zwei Neugründungen. Der globale Markt
wird durch das Internet greifbar. Die Unternehmen kon-
zentrieren sich auf ihre Kernkompetenzen und bearbeiten
den Weltmarkt. Das Internet ermöglicht die schnelle, pro-
jektbezogene Kooperation von Unternehmen. Darum ent-
stehen mit der Ausbreitung des Netzes neue Chancen für
kleine Unternehmen und Selbstständige.

Zwar hat E-Commercemit einem geschätzten Umsatz
von etwa 3 bis 5 Milliarden DM pro Jahr noch eine rela-
tiv geringe Bedeutung. Doch werden auch dieser Anwen-
dung hohe Wachstumsraten vorausgesagt, vor allem im
Geschäftsbereich Business to Business. Die Unternehmen
rechnen damit, ihre Kosten massiv zu senken. Zahlreiche
Läden werden in Zukunft durch Onlineshops ersetzt.

Dieser Strukturwandel stellt hohe Anforderungen an
die Unternehmen und an die Beschäftigten. Die Koalition
hat deswegen die Mittel für Fortbildung und Umschulung
der Bundesanstalt für Arbeit in diesem Bereich erhöht.

Deutschland hat sich in der Informations- und Kom-
munikationstechnik zu einem der weltweit führenden
Standorte entwickelt. Wir verfügen über die weltweit
besten Telekommunikationsnetze und sind auf dem Weg
ins mobile Internet zum Schrittmacher geworden. Gerade
in den neuen Ländern zeigen sich diese Vorzüge und zie-
hen Hightechunternehmen in den Osten. Sie siedeln sich
nicht auf der Kippe an, um das deutlich zu sagen.

Nach Einschätzung des Branchenverbandes Bitkom
liegt im Zusammenhang mit der Entwicklung und An-
wendung mobiler Technologien – Stichwort: UMTS – das
neue Internet im alten Kontinent, oder anders gesagt: Die
Zukunft des Internet kommt aus Europa. In Deutschland
hat sich in den letzten Jahren ein wahrer Aufbruch im In-
ternet ereignet. Mit innovativen Produkten und Dienst-
leistungen schaffen die vielen Start-ups neue, zukunfts-
fähige Arbeitsplätze. Für viele, vor allen Dingen junge
Menschen ist die Gründung eines Unternehmens wieder




Dr. Heinz Riesenhuber

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(C)



(D)



(A)



(B)


zu einem lohnenswerten Ziel geworden. Mit diesen Un-
ternehmen hat sich auch eine neue, beteiligungsorientierte
Unternehmenskultur herausgebildet. Vieles spricht dafür,
dass hier der Gegensatz von Kapital und Arbeit an Be-
deutung verliert, Arbeitnehmer sich als Wirtschaftsbürger
emanzipieren.

Ich sage das vor dem Hintergrund des neuen Betriebs-
verfassungsgesetzes und der Tatsache, dass der Börsen-
crash ein Zähneklappern in manchen arbeitsintensiven
Start-up-Unternehmen ausgelöst hat und sich die Frage
nach einem ausgewogenen Verhältnis von Mitarbeit und
Mitbestimmung neu stellt. Denn bei allen Problemen:
Wir müssen aufpassen, dass die Übertragung von Erfah-
rungen aus den Industriegewerkschaften nicht die Zu-
kunft und die neuen Organisationsformen der Informa-
tions- und Wissensgesellschaft einengt.

Gründer, welche die Chancen des Internets nutzen,
werden über Beteiligungskapital finanziert. Der Zugang
zu Risiko- oder – besser gesagt – Chancenkapital ist des-
wegen zu einem zentralen Erfolgsfaktor geworden. Die
rot-grüne Bundesregierung hat diesbezüglich große An-
strengungen unternommen. In Deutschland haben die öf-
fentlichen Banken einen sehr großen Anteil an der Ent-
wicklung dieses Marktes übernommen.

Ein akutes Problem unserer Wirtschaft sind die fehlen-
den IT-Fachkräfte – und dies bei hoher Arbeitslosigkeit.
Das Problem verweist auf zwei Notwendigkeiten: die Ver-
stärkung der Aus- und Weiterbildung und die Öffnung un-
seres Landes für ausländische Fachkräfte.


(Jörg Tauss [SPD]: Ja, und die Versorgung der CDU/CSU!)


Bei der Ausbildung wurde ein erster wichtiger Schritt ge-
tan: Im Rahmen der Initiative D-21 wurde vereinbart, bis
zum Jahr 2001, also bis Ende dieses Jahres, 60000Arbeits-
plätze in den neuen Multimediaberufen zusätzlich zu schaf-
fen. 40000 sind bereits realisiert, in Berufen, die es 1997
überwiegend noch nicht gab.

Die Green-Card-Initiative hat mittlerweile 2 000 Spe-
zialisten nach Deutschland gebracht. Sie sichern rund
8 000 Arbeitsplätze im entsprechenden Umland; um ein-
mal darauf hinzuweisen, welche Auswirkungen diese Ini-
tiative im Einzelnen hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dieser erste Schritt reicht allerdings nicht aus. Eine be-
friedigende Antwort kann nur ein weltoffenes Einwande-
rungsgesetz geben. Gerade im IT-Bereich zeigen sich die
immensen Chancen einer offenen multikulturellen Ge-
sellschaft. Die Unternehmen der Netzwerkökonomie
agieren auf dem globalen Markt und sind deshalb auf Mit-
arbeiter aus verschiedenen Kulturen angewiesen. Ihre
kreative Kooperation wird zur Voraussetzung der
Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Zum Beispiel im
Institut für Halbleiterphysik, das es erreicht hat, dass in
Frankfurt/Oder in großem Ausmaß in eine neue Chip-
produktion investiert wird, arbeiten 200 Experten aus
16 Ländern. Intershop – in der DDR nur ein Name, der
den Duft der großen weiten Welt ahnen ließ, heute ein Un-

ternehmen, das Softwarelösungen für den E-Commerce
entwickelt – holt ganz bewusst ausländische Spezialisten
nach Jena.

Schaffen wir also überall in Deutschland attraktive
Standortbedingungen für solche Unternehmen und ihre
Mitarbeiter! In diesem Sinne haben die Fraktionen der
Regierungskoalition einen Antrag vorgelegt, der in
18 Punkten benennt, wie wir dieses Ziel erreichen wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415200400
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Rainer Brüderle, F.D.P.-Fraktion.


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1415200500
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Der Titel Ihrer Jubelarie „Deutschlands
Wirtschaft in der Informationsgesellschaft“ zeigt nur ei-
nes: Die Koalition lebt im virtuellen Traumland ihrer An-
träge.


(Jörg Tauss [SPD]: Moment, virtuell ist real!)

New Economy hat zwar viel mit Virtualität zu tun. Die
Rahmenbedingungen aber, die darüber entscheiden, ob
die deutsche Wirtschaft im Zeitalter der New Economy in
guter Verfassung ist, sind stark verbesserungsfähig. Hier
wird allzu deutlich: Das Denken in Ordnungen, das Set-
zen von Rahmenbedingungen ist nun wirklich nicht Ihre
Stärke.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Gegenteil: Grün-Rot versagt bei der Schaffung ver-
nünftiger gesamtwirtschaftlicher Rahmenbedingungen
und verhindert somit die Entwicklung der New Economy
in Deutschland.


(Hubertus Heil [SPD]: Die gibt es doch gar nicht!)


Erst gestern haben Sie der gesamten Wirtschaft mit einer
verheerenden Kabinettsentscheidung zur Verschärfung
der Mitbestimmung weitere Fesseln angelegt.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ihre Mitbestimmungspläne atmen den Geist von vorges-
tern. Das ist der krasse Gegensatz zu dem, was die Wirt-
schaft im Informationszeitalter braucht. Darauf, dass Sie
die Mitbestimmung verschärfen, hat gerade die New Eco-
nomy gewartet, Herr Müller. Das ist das Gegenteil vom
Setzen vernünftiger Rahmenbedingungen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Eines ist sicher: Das Geld, das jetzt in den Unterneh-
men für die Erfüllung Ihrer Funktionärsträume draufgeht,
fehlt für Innovationen und Investitionen, für E-Commerce
und neue Produkte – und damit letztlich für Arbeitsplätze.
Versagt hat hier wieder einmal Bundeswirtschaftsminister
Müller: Mit der Leichtigkeit eines Mausklicks hat er die




Werner Schulz (Leipzig)

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(D)



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(B)


deutsche Wirtschaft einer verstärkten Fremdbestimmung
durch die Gewerkschaften ausgeliefert.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hubertus Heil [SPD]: Haben Sie auch etwas Sachliches beizutragen?)


Der Letzte macht das Licht aus. Bei dieser Bundesregie-
rung dürfte das der Betriebsrat sein.


(Heiterkeit bei der F.D.P.)

Die F.D.P. fordert mehr Mitarbeiterbeteiligung statt ge-
werkschaftlicher Fremdbestimmung.


(Jörg Tauss [SPD]: Und ist gegen Mitbestimmung!)


Würden die Rahmenbedingungen in diesem Land
stimmen, dann müsste sich in Deutschland ein deutlich
besserer Wachstumspfad ergeben. Davon sehe ich wenig.
Im Gegenteil. Die Wachstumsprognosen verdüstern
sich. Erst vorgestern hat das Ifo-Institut seine Wachstums-
prognose für dieses Jahr auf nur 2,4 Prozent herunterge-
schraubt.


(Hubertus Heil [SPD]: Warum reden Sie unser Land schlecht?)


So viel Wachstum wird es in den USA selbst im begin-
nenden Abschwung noch geben. In den letzten Jahren wa-
ren es jeweils zwischen 4 und 5 Prozent.


(Hubertus Heil [SPD]: Gehen Sie doch nach drüben!)


Das Entscheidende: Die technologischen Innovationen der
New Economy haben dort das jährliche Potenzialwachs-
tum um 0,5 bis 1 Prozent vergrößert. In Deutschland hin-
gegen tut Grün-Rot nichts, um das Potenzialwachstum zu
erhöhen. Dabei hat der Sachverständigenrat der Bundes-
regierung ins Stammbuch geschrieben – ich zitiere –:

Damit die neue Ökonomie und der damit einherge-
hende Strukturwandel in Deutschland nicht behin-
dert werden, muss die Wirtschaftspolitik ein innova-
tionsfreundliches Umfeld schaffen, das der Dynamik
dieses Bereichs genügend Raum zur flexiblen Ent-
lastung gibt.


(Hubertus Heil [SPD]: Das machen wir!)

Flexible Faktormärkte, freier Wettbewerb, klare
Leistungsanreize bleiben unverzichtbar.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Ja!)

Im Klartext: Die beste Politik für die Wirtschaft im In-

formationszeitalter ist eine klare liberale Ordnungspolitik.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CDU)

Denn die New Economy ist das Lösungsmittel für den
Klebstoff unserer verkrusteten Strukturen.


(Jörg Tauss [SPD]: Lösungsmittel wollen wir gerade abschaffen!)


Die Bundesregierung will dies nicht begreifen – im Ge-
genteil, diese Regierung rührt ständig neuen Kleister an.

Auch für flexible Faktormärkte tut die Bundesregie-
rung nichts. Statt Flexibilität erleben wir überall – wie bei
der Betriebsverfassung – Stillstand und rückwärts ge-
wandtes Denken. Selbst bei einem so kleinen Thema wie
dem Ladenschluss kommen Sie nicht voran, und das im
Zeitalter des zeitlich unbegrenzten Onlinehandels.


(Beifall bei der F.D.P. – Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Im Gegensatz zu Herrn Rexrodt, Herr Brüderle!)


Rabattgesetz und Zugabeverordnung wurden erst in letz-
ter Minute abgeschafft.


(Hubertus Heil [SPD]: Immerhin haben wir sie abgeschafft! Wo waren Sie denn damals?)


Doch das ist alles Kleinkram gegen die wirklich wich-
tigen Defizite in unserem Land. In großen, blumigen Sät-
zen beschreiben Sie in Ihrem Antrag die Veränderungen
auf dem Arbeitsmarkt und Ihre Perspektiven für mehr Be-
schäftigung durch die New Economy. Doch: Für die New
Economy braucht Deutschland mehr Flexibilität auf dem
Arbeitsmarkt; Grün-Rot dagegen „verriestert“ und „ver-
regelt“ den Arbeitsmarkt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unsinn!)


Kündigungsschutz, Verschärfung bei der Lohnfortzah-
lung im Krankheitsfall, Scheinselbstständigkeit, Ein-
schränkung der 630-DM-Jobs, Recht auf Teilzeitarbeit
machen den Arbeitsmarkt noch starrer, als er ohnehin
schon ist.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Glauben Sie denn wirklich, dass Sie mit diesem Horror-
katalog den Start-ups, der mittelständischen Wirtschaft in
unserem Land einen Gefallen tun? Glauben Sie denn
wirklich, dass der Wirtschaft im Zeitalter der New Eco-
nomy mit Ihrem Gewerkschaftsdenken des 19. Jahrhun-
derts noch gedient ist?


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]: Oh, nein!)


Dann kommt einmal ein halbwegs vernünftiger Vor-
schlag, und zwar ausnahmsweise von Frau Wolf. Sie wol-
len über Öffnungsklauseln in den Tarifverträgen betrieb-
liche Bündnisse für Arbeit schließen.


(Jörg Tauss [SPD]: Und das ohne Mitbestimmung der Betriebsräte!)


– Herr Tauss, Sie können es einmal nachlesen: Ich zitiere
aus dem Papier von Frau Wolf mit dem Titel „Chancen des
IT-Gründerbooms nutzen“. Sie schreibt darin:

Unser Vorschlag ist, dass der Arbeitsplatzerhalt bei
der Günstigkeitsabwägung berücksichtigt wird.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Donnerwetter!)


Genau das wollen wir im Tarifvertragsrecht. Aber das
einzige, was Sie schließlich zustande bekommen, ist ein
Entschuldigungsbrief an die Gewerkschaften. Frau Wolf
als Staatssekretärin ist neben dem Feigenblatt Müller




Rainer Brüderle

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(D)



(A)



(B)


noch so ein Feigenblättchen. Das ist die grün-rote Inno-
vation: ein Pärchen mit Feigenblatt, quasi eine politische
Romanze im Feigenblatt, die Sie damit schaffen.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Junge, Junge, Brüderle! – Hubertus Heil [SPD]: Reden Sie in der Gastwirtschaft nicht über Wirtschaft!)


Auf dem Gebiet der modernen Lohn- und Gehaltspoli-
tik bieten Sie jedenfalls ein Jammerbild. Wir alle wissen:
Für die Firmen der Netzwerkwirtschaft, für die jungen
Start-ups, ist das Thema der Besteuerung von Aktienop-
tionen von existenzieller Bedeutung. Aktienoptionen wer-
den, allen aktuellen Börsenkursen zum Trotz, ein wichti-
ger Bestandteil eines modernen Lohnmixes bleiben. Denn
der beste Anreiz für Arbeitnehmer ist die Beteiligung am
Produktivvermögen. Herr Mosdorf hat dazu sehr diskussi-
onswürdige Vorschläge unterbreitet, doch Herr Müller
wollte ihm diesen Erfolg offensichtlich nicht gönnen. Statt
diese für die Start-ups und die gesamte Netzwirtschaft so
wichtige Frage endlich zu klären, herrscht grün-rote
Selbstblockade.

Meine Damen und Herren, für die New Economy
braucht Deutschland Flexibilität bei der Zuwanderung,


(Jörg Tauss [SPD]: Haben Sie auch etwas anderes als Sprechblasen heute? Das ist ja unerfreulich!)


sonst werden wir den globalen Wettbewerb um die besten
Köpfe nicht gewinnen. Die Green Card ist nur eine Heft-
pflasterstrategie ohne Zukunftsperspektive.


(Hubertus Heil [SPD]: Was haben Sie denn zuwege gebracht? Gar nichts!)


Das wissen auch Sie! Wir müssen die Zuwanderung um-
fassend und liberal regeln. Die F.D.P. hat dazu längst ei-
nen Gesetzentwurf vorgelegt,


(Jörg Tauss [SPD]: Oh!)

einen Gesetzentwurf, den übrigens Ihre rheinland-pfälzi-
schen Genossen voll mittragen. Reden Sie einmal mit
Rheinland-Pfälzern, vielleicht werden Sie dann schlauer!
Stimmen Sie zu, statt weiter zu vertagen.


(Jörg Tauss [SPD]: Wenn Sie einen guten Koalitionspartner haben, kommt sogar bei Ihnen etwas heraus!)


– Sie haben die Grünen! Da haben Sie halt Pech gehabt.
Klare Ordnungspolitik für die Wirtschaft im Zeitalter

der New Economy bedeutet ein eindeutiges Bekenntnis
zum funktionsfähigen Wettbewerb – ein Fremdwort für
diese Bundesregierung, die das Wirtschaftsministerium
zu einem Monopolministerium hat verkommen lassen.


(Hubertus Heil [SPD]: Ach Quatsch!)

Gerade der wirksame Wettbewerb auf den Zukunftsmärk-
ten Telekommunikation und Logistik ist Grundvorausset-
zung für die Wirtschaft in der Informationsgesellschaft.

In Ihrem Antrag loben Sie die weltweit vorbildliche
Liberalisierung derTelekommunikationsmärkte.Aber
natürlich verschweigen Sie zweierlei: Erstens. Diese Er-
folge können Sie nur feiern, weil wir die Liberalisierung

seinerzeit gegen Ihren erbitterten Widerstand durchge-
setzt haben.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Zweitens. Ihre Fraktion wird, nachdem Herr Scheuerle er-
folgreich weggemobbt wurde, einen Kurswechsel in der
Regulierungspolitik einleiten wollen. Das Papier von
Herrn Kollegen Barthel, einem Ihrer vielen Gewerk-
schaftssekretäre, spricht Bände, entlarvt Ihren Antrag als
rosarote Politlyrik.


(Hubertus Heil [SPD]: Lesen Sie unsere Beschlüsse! Fertig!)


Gleiches gilt für den Zukunftsmarkt Logistik. New
Economy ist auch Logistik, weil die Warenströme indivi-
dueller und schneller fließen müssen. Diese Zukunfts-
branche wird durch ein Teilmonopol der Post und unzu-
reichenden Wettbewerb auf der Schiene behindert. Zu all
dem schweigt Ihr Antrag. Wenn Sie denn doch gerade die
mittelständischen Firmen fit machen wollen für die He-
rausforderungen der New Economy, dann ist ihnen mit
Deregulierung, mit Liberalisierung, mit staatlicher
Entlastung mehr gedient als mit den in Ihrem Antrag so
gepriesenen Kompetenzzentren. Das ist Schwafellyrik,
aber keine konkrete Hilfe.


(Hubertus Heil [SPD]: Die gibt es! Gehen Sie einmal in eines hinein! Sie haben keine Ahnung!)


Solche Industriepolitik passt nicht mehr in das 21. Jahr-
hundert. Aber sie ist kennzeichnend für die politische Fan-
tasielosigkeit, wie sie die New Economy von Grün-Rot
zum Leidwesen der Wirtschaft schon längst gewohnt ist.

Bestes Beispiel ist Ihr Schlingerkurs in der Frage der
Urheberrechtsabgabe. So langsam dämmert es auch
Frau Däubler-Gmelin, dass ihre ursprünglichen Pläne
kontraproduktiv sind. Den Herausforderungen der New
Economy werden wir mit einem „Weiter so!“ nicht ge-
recht.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Was sagt denn Herr Otto dazu?)


Bei allen Schlüsselfragen erleben wir einen grün-roten
Schlingerkurs.

Die deutsche Wirtschaft braucht im Informationszeit-
alter eine mutige Politik und entschlossenes Handeln,
aber kein grün-rotes Denkmikado. Sie braucht dringender
denn je eine Renaissance der Ordnungspolitik, klare Prin-
zipien und Berechenbarkeit – damit diejenigen, die den
Mut zu Selbstständigkeit haben, dies auch tun können. Sie
behindern doch die, die diesen Schritt gehen wollen. Statt
ihnen tausend Handschellen anzulegen, sollten Sie end-
lich einen Weg einschlagen, um in diesem Land die tau-
send Handschellen abzulegen, damit wir vorankommen
bei der Schaffung von Arbeitsplätzen.


(Hubertus Heil [SPD]: Helau!)

Stattdessen tragen Sie die Fahnen von vorgestern als
Monstranz vor sich her. Mit diesen Regeln des Klassen-
kampfes, mit denen Sie einmal Ihre Geschichte begonnen
haben, werden Sie heute nichts erreichen.


(Zurufe von der SPD)





Rainer Brüderle
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(C)



(D)



(A)



(B)


– Ich verstehe ja, dass die geschulten Gewerkschaftsse-
kretäre wie Frau Lotz schreien. Das haben Sie ja im Schu-
lungskurs I gelernt: Wenn jemand die Wahrheit sagt,
schreien, damit man ihn nicht hört. – Aber noch kann man
in diesem Land frei reden.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415200600
Ich erteile das Wort
der Kollegin Ulla Lötzer, PDS-Fraktion.


Ursula Lötzer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1415200700
Herr Präsident! Kolleginnen
und Kollegen! Die Faszination der Arbeit in der IuK-
Branche liegt darin, komplexe Abläufe organisatorisch
und technisch neu zu gestalten und zu beherrschen. Die
Faszination, die soziale Dimension dieser Entwicklung
zu beherrschen, könnte auch für Politiker und Politikerin-
nen gelten. Ihrem Lob des Antrags, Kollege Riesenhuber,
kann ich mich in diesem Sinne leider nicht anschließen.
Würde man diese Maßnahmen in eine IuK-Anwendung
für den sozialen Umbau umsetzen, käme das Programm
leider auch in vielen Nächten nicht zum Laufen. Die
Steuerung, immer entscheidend für den funktionierenden
Ablauf, stimmt in vielen Fällen nicht.

Sie setzen im Wesentlichen auf die Selbstregulierungs-
kräfte, Sie sehen nur die Chancen und verschließen die
Augen vor den Risiken. Dies gilt insbesondere für die Be-
schäftigungswirksamkeit. Immer wieder – wie auch
heute – beschwören Sie die Aussicht auf mögliche zu-
sätzliche 750 000 Arbeitsplätze, errechnet vom RWI. Das
Gutachten geht dabei allerdings von der Voraussetzung
aus, dass zum Beispiel die Börsenkurse den zukünftigen
Strukturwandel zutreffend widerspiegeln. Wohlgemerkt:
Das Gutachten stammt aus der Zeit vor dem jetzigen
Crash. Das sagen Sie nicht, geschweige denn, dass Sie
jetzt Konsequenzen daraus ziehen.

Auch eine zweite Modellrechnung in diesem Gutach-
ten nennen Sie nicht. Danach kommt das RWI zu dem Er-
gebnis, dass die Entwicklung zu keinem spürbaren Abbau
der Arbeitslosigkeit beiträgt, denn Beschäftigungszu-
wächse würden durch Beschäftigungsrückgänge in ande-
ren Bereichen neutralisiert. Auch diese Prognose scheint
heute fast zu optimistisch, und zwar nicht, weil der Crash
den Niedergang des elektronischen Handels bedeutet, im
Gegenteil: Hier beginnt einerseits eine Konsolidierung,
andererseits haben die etablierten Industrie- und Handels-
konzerne inzwischen die Initiative an sich gezogen.

Bei der Konsolidierung werden nicht die Schwerge-
wichte der Old Economy, sondern Start-ups auf der
Strecke bleiben. Die Bedeutung des E-Commerce wächst,
doch die Beschäftigungswirksamkeit bleibt unter den Er-
wartungen. Dies gilt insbesondere für die kleinen und
mittleren Unternehmen.

Natürlich haben Sie Recht, den Mittelstand aufzufor-
dern, die Möglichkeiten des E-Commerce zu nutzen. Vor
allem im Bereich der Zulieferer kann man sagen: Wer es
nicht tut, wird in Zukunft nicht mehr dabei sein. Die
Realität – auch dies ist in einem Gutachten wiedergege-
ben – erschreckt: Deutsche Klein- und Mittelbetriebe ran-
gieren allenfalls am unteren europäischen Level.

Insbesondere gilt das für Betriebe in ländlichen Gegenden
und in den neuen Ländern. Die Bundesregierung will dem
mit Kompetenzzentren entgegenwirken. Das begrüßen
wir, im Gegensatz zur F.D.P.


(Beifall bei der PDS)

Das Gutachten stellt aber auch fest: Der Wettbewerb

auf bisher geschützten Märkten wird zunehmend an Härte
gewinnen. Der davon ausgelöste Wettbewerbs- und Kos-
tendruck wird sich zum Nachteil der dortigen Arbeits-
plätze und Arbeitsbedingungen auswirken. Es droht ein
erneuter Wettlauf im Niederkonkurrieren der sozialen
Standards. Die Stellung der Global Players gegenüber den
KMU wird gestärkt. Dies gilt insbesondere beim Einsatz
der elektronischen Marktplätze für die Beschaffung.

Wann es sich dabei um Einkaufskartelle handelt und
wie der Schutz des fairen Wettbewerbs gestaltet werden
soll, ist völlig ungeklärt. Sie erfassen nicht einmal das
Problem, wie ein Kartellrecht, das ein Jahrhundert alt ist,
auf die Welt des Internets überprüft und zeitgemäß fort-
geschrieben werden kann.

Neben den schon genannten Problemen ergeben sich
weitere gravierende Änderungen der Arbeitsverhält-
nisse: Der Betrieb als räumliche und soziale Einheit ver-
liert zunehmend seine Bedeutung, der Anteil der Tele- und
Projektarbeitsverhältnisse nimmt zu. Es wird vermehrt
unstete Lebensläufe, verbunden mit dem Wechsel von ab-
hängiger und selbstständiger Beschäftigung, geben. Die
Bedingungen für die betrieblichen und gewerkschaftli-
chen Mitbestimmungsrechte verschlechtern sich.

Sie sagen in Ihrem Antrag, dies dürfe nicht zur
Schwächung des sozialen und rechtlichen Status führen;
doch wo bleiben Ihre Maßnahmen? Sie reformieren die
sozialen Sicherungssysteme, aber eine Sozialversiche-
rungspflicht für alle gibt es nicht. Sie reformieren das Be-
triebsverfassungsgesetz, doch dringend notwendige Ant-
worten auf diese Entwicklungen fehlen im Entwurf
weitgehend.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Die vom DGB geforderte Erweiterung des Arbeitnehmer-
begriffs, der alle abhängig Beschäftigten einbezieht, fehlt
ebenso wie eine Ausweitung der Mitbestimmungsrechte
in wesentlichen Bereichen, zum Beispiel in den Fragen
der Arbeitsabläufe und -verfahren oder bei der Ein-
führung von Telearbeit. Ich fordere Sie auf, den Entwurf
in diesem Sinne nachzubessern.

Auch die digitale Signatur ist ein Schlüsselelement
für die Entwicklung. Mit dem heute vorliegenden Antrag
werden in Anpassung an die europäische Richtlinie alle
Arten von Signaturen zugelassen, auch solche ohne
Sicherheitsüberprüfung.

Auch wenn die Forderung der Verbraucherverbände
aufgenommen wurde, den Sicherheitsstandard von ge-
prüften Signaturen mit Qualitätssiegeln zu kennzeichnen,
bedeutet das Gesetz eine Verschlechterung gegenüber der
bisherigen Regelung, nur sicherheitsgeprüfte Siegel zu-
zulassen. Die Bundesregierung versucht über verschie-
dene Projekte, die gesellschaftliche Akzeptanz zu er-
höhen. Im Kommunikationsportal „Media@Komm“ wird




Rainer Brüderle

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(D)



(A)



(B)


unter anderem untersucht, in welchen Formen sich die
Anwendung durchsetzt. In einem Begleitbericht wird da-
von ausgegangen, dass große Anbieter mit Signaturen
ohne Qualitätssiegel auf den Markt kommen werden.

Im Preiswettbewerb und über mögliche Anwendungen
mit Zusatznutzen oder sogar Zwangsnutzen werde sich
der Standard entscheiden. Die Sicherheits- und Qualitäts-
interessen der Verbraucher werden damit dem Markt
überlassen. In Bezug auf die Möglichkeiten des Zwangs-
nutzens fordern die Verbraucherverbände zu Recht, dass
auch künftig allen Verbrauchern die Möglichkeit offen
stehen müsse, rechtlich relevante Geschäfte auf her-
kömmliche Art zu tätigen.

Auch in der so wichtigen Frage hinsichtlich der Über-
windung der sozialen und digitalen Spaltung setzt die
Bundesregierung auf die Eigeninitiative der Unterneh-
men. „Die PC-Ausstattung der Schulen kommt nicht
voran“, wiederholte der Vorsitzende der D-21-Initiative,
Herr Staudt, erst kürzlich. Jetzt fordert er von der Bun-
desregierung, dass sie sich um die Ausstattung der Haupt-
und Sonderschulen kümmern müsse; die Unternehmen
übernähmen die Ausstattung der Gymnasien.


(Jörg Tauss [SPD]: Das sollen sie mal machen!)


Damit wird die soziale und digitale Spaltung zementiert.

(Jörg Tauss [SPD]: Nein!)


Auch dazu kein Wort von Ihnen!
Wir fordern Sie auf – das können Sie ja dann gleich tun –,

ein Konzept vorzulegen,

(Jörg Tauss [SPD]: Ja!)


das die Ausstattung aller Schulen gewährleistet.
Kolleginnen und Kollegen, wir fordern Sie dringend

auf, in wesentlichen Fragen der sozialen Gestaltung um-
zusteuern, damit Ihr Programm zum Laufen kommt. In
unserem Antrag, der heute auch zur Debatte steht, haben
Sie dazu vielfach Hinweise genannt bekommen. Wir wol-
len, dass die Chancen realisiert werden, sind aber der Mei-
nung, dass dazu Antworten auf die Risiken dringend er-
forderlich sind.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415200800
Ich erteile dem Kolle-
gen Hubertus Heil, SPD-Fraktion, das Wort.


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1415200900
Herr Präsident! Meine sehr ge-
ehrten Damen und Herren! Vor kurzem war zu lesen, dass
der heilige Isidor von Sevilla vom Papst zum Schutzpa-
tron der Internetbenutzer und Programmierer ernannt
werden soll. Man kann also offenbar feststellen, dass auch
im Vatikan der Weg in die Informations- und Kommuni-
kationsgesellschaft mittlerweile Chefsache ist. Ich muss
nur sehr deutlich sagen, Herr Riesenhuber: Von Deutsch-

land konnte man das bis zum Regierungswechsel 1998
nicht gerade behaupten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Ihr habt Spenden gesammelt!)


Ich freue mich ja ganz besonders, dass der Kollege
Dr. Helmut Kohl heute endlich wieder einmal im Parla-
ment ist. In dem Zusammenhang fällt mir ein, wie das
1994 war, Herr Dr. Kohl: Da wollten Sie als Bundeskanz-
ler, wie in den Archiven nachzulesen ist, die Datenauto-
bahn noch dem Verkehrsministerium zuordnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Modernisierung unserer Volkswirtschaft hat den da-
maligen Regierungschef – um es ganz vorsichtig zu sagen –
nur am Rande interessiert. – Dieses vernichtende Urteil
stammt übrigens nicht von einem Sozialdemokraten, son-
dern vom früheren BDI-Chef Hans-Olaf Henkel. Auch der
Kollege Rüttgers räumt das ja inzwischen ein: Sie haben
jahrelang die Modernisierung unserer Volkswirtschaft eben
nicht vorangetrieben, meine Damen und Herren von der
CDU.


(Dr.-Ing. Rainer Jork [CDU/CSU]: Quatsch! Unsinn!)


Es war die SPD-geführte Bundesregierung, die seit
dem Regierungswechsel durch mutige Reformen die Vo-
raussetzungen dafür geschaffen hat, dass Deutschland
heute wirtschaftlich auf der Überholspur ist.


(Beifall bei der SPD – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Hat die Regierung das Internet erfunden?)


Die Zahlen, Herr Brüderle, sprechen für uns: mit über
3 Prozent Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahr, mit
über 500 000 neuen Arbeitsplätzen und hervorragenden
Wachstums- und Beschäftigungsprognosen auch für die-
ses Jahr.

Ein wesentlicher Grund ist, dass Deutschland mit
Gerhard Schröder nach 16 Jahren wirtschaftspolitischer
Bräsigkeit wieder einen Bundeskanzler hat, der sich für
zentrale ökonomische Fragen unserer Zeit interessiert und
auch handelt.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Der Genosse der Bosse!)


Das betrifft insbesondere auch die Informations- und
Kommunikationstechnologie und hat dazu beigetragen,
dass unser Land – nun hören Sie genau zu – mittlerweile
auf dem Weg zur führenden Internetnation in Europa ist
und damit auch zur Weltspitze aufschließt.

Die neuen Medien sind für uns der Turbomotor zur
Modernisierung der gesamten deutschen Volkswirtschaft.
Uns ist bewusst: Sie sind die zentralen Basistechnologien.
Viele andere Technologien und Innovationen bauen auf
ihnen auf. Deshalb hat diese Bundesregierung von Beginn
an wichtige Akzente für die beschleunigte Verbreitung




Ursula Lötzer
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und Nutzung der modernen Informations- und Kommuni-
kationstechnologien in Deutschland gesetzt.

Der deutsche Markt für diese Technologien und
Dienstleistungen ist allein in den letzten beiden Jahren um
rund 20 Prozent gewachsen. Da kann man nicht sagen,
dass das nichts ist. 1,7 Millionen Menschen haben ihren
Arbeitsplatz in der deutschen IT-Branche gefunden. Auch
unser Anteil am Weltmarkt hat sich deutlich verbessert.
Bereits in wenigen Jahren werden in der deutschen IT-
Branche mehr als 300 Milliarden DM Umsatz gemacht
werden. Sie wird damit – das muss uns allen, auch uns
Wirtschaftspolitikern, bewusst sein – zum größten Wirt-
schaftszweig in unserem Land überhaupt.

Eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung der Informati-
onswirtschaft spielen mittelständische Unternehmen und
junge Existenzgründer. Zahlreiche neue Firmen konnten
in den letzten beiden Jahren durch die Bereitstellung von
Wagniskapital aufgebaut werden. Unsere Koalition hat
mit der Steuerfreistellung der Beteiligungsveräußerungen
Impulse für die weitere Belebung des Risikokapitalmark-
tes gegeben. Damit schaffen wir ein wichtiges Sprung-
brett in eine unternehmerische Zukunft. Insofern, Herr
Brüderle: So viele Sprechblasen wie bei Ihnen eben habe
ich lange nicht mehr gehört. Das muss man deutlich sa-
gen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ursula Lötzer [PDS] – Rainer Brüderle [F.D.P.]: Das muss Sie stark getroffen haben!)


Wir können konkret nachweisen, was wir getan haben.
Was Sie getan haben, hat sich mir noch nicht erschlossen,
obwohl die freien Demokraten 30 Jahre lang den Wirt-
schaftsminister gestellt haben.

Inzwischen haben mehr als 40 Prozent der Deutschen
zwischen 14 und 70 Jahren einen Internetzugang.
Deutschland befindet sich hier also auf dem richtigen
Weg, auch wenn uns dies noch nicht ausreicht. Bundes-
kanzler Gerhard Schröder hat im letzten Jahr ein Zehn-
Punkte-Programm unter dem Titel „Internet für alle“
vorgelegt. Frau Lötzer, das sollten Sie zur Kenntnis neh-
men.


(Ursula Lötzer [PDS]: Habe ich!)

Dieses Programm bündelt zentrale Maßnahmen des Ak-
tionsprogramms der Bundesregierung. Es dient auch der
Umsetzung des E-Europe-Aktionsplans der Europäischen
Union und anderer internationaler Vereinbarungen. Damit
machen wir deutlich: Es ist unsere Aufgabe, beim Über-
gang unseres Landes von der Industrie- zur Wissensge-
sellschaft neue soziale Spaltungen zu verhindern. Wir So-
zialdemokraten setzen alles daran, eine digitale Kluft in
dieser Gesellschaft zu vermeiden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ursula Lötzer [PDS]: Wie denn?)


Es ist unsere Aufgabe, allen Bürgerinnen und Bürger den
Zugang zum Internet zu ermöglichen. Es darf eben keine
Teilung geben.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Klassenkampf!)


– Das ist kein Klassenkampf. Das ist Unsinn, Herr von
Klaeden. Sie kennen die Realitäten in diesem Bereich of-
fenbar nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Angesichts der vorherrschenden Dynamik besteht im

Moment die Gefahr, dass es zu einer Kluft zwischen An-
geschlossenen und Ausgeschlossenen, zwischen Losern
und Usern kommt. Dies hat nichts Klassenkämpferisches.
So etwas zu behaupten ist Unsinn. Schauen Sie sich die
Debatte in den USAan. Sie läuft genau in diese Richtung.


(Jörg Tauss [SPD]: Sie läuft dort sehr „klassenkämpferisch“!)


Die gleichberechtigte Teilhabe in diesem Bereich ist
nicht nur aus Gründen des sozialen Zusammenhalts not-
wendig, sondern auch aus Gründen, die etwas damit zu
tun haben, diese Wirtschaft zu entwickeln und die Infor-
mations- und Kommunikationstechnologien stärker in un-
serer Gesellschaft zu verankern.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wenn das keine Sprechblase ist!)


Dazu müssen die gleichberechtigte Teilhabe der Men-
schen an den Möglichkeiten der I-und-K-Techniken und
der freie Zugang – das gehört auch dazu – zu qualitativ
hochwertigen Informationen gesichert werden. Wenn es
uns gelingt, den Einstieg ins Internet für alle zu schaffen,
können Produktivitätsfortschritte im besten Sinne unserer
sozialen Marktwirtschaft genutzt werden. Ich kann nur sa-
gen: Unser Ziel in diesem Bereich – ich weiß nicht, wo es
bei Ihnen liegt – ist, Ludwig Erhard mit seinem Postulat
„Wohlstand für alle“ zu folgen. Dies hat in diesem Be-
reich zentral mit dem Internetzugang zu tun. Dies ist der
Grund für die Aktivitäten des Bundeskanzlers im Ak-
tionsprogramm der Bundesregierung.

Damit sich der elektronische Handel, der E-Commerce,
voll entfalten kann, brauchen wir einen angemessenen und
modernen gesetzlichen Rahmen. Mit dem neuen Gesetz
über elektronische Signatur, das wir heute abschließend
beraten und verabschieden werden, kommen wir hier ei-
nen bedeutenden Schritt voran.

Die Bundesregierung hat schon im Zuge der Steuerre-
form die rechtlichen Rahmenbedingungen in Sachen di-
gitaler Unterschrift deutlich verbessert. Ich möchte darauf
hinweisen, dass wir durch eine juristische Grundlage für
Rechnungsstellungen in diesem Bereich schon einen
Schritt vorangekommen sind.

Mit dem Gesetz, das wir heute beschließen, schaffen
wir aber noch mehr: Wir stellen das deutsche Signatur-
recht auf eine europäische Basis und schaffen für den
Rechts- und Geschäftsverkehr ganz neue Möglichkeiten.
Die qualifizierte elektronische Signatur machen wir damit
zum vollwertigen Ersatz für die handschriftliche Unter-
schrift.

Durch dieses Gesetz sowie durch die Anpassung der
Formvorschriften schaffen wir Rechtssicherheit und
bauen eine starke Sicherheitsinfrastruktur auf, damit Ge-
schäftsabschlüsse und rechtliche Übereinkommen künftig
nicht nur mit dem Füllfederhalter oder dem Kugelschrei-




Hubertus Heil

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ber, sondern auch per Mausklick möglich sind. Ab Juli
dieses Jahres kann bei allen Geschäften, für die bisher die
Schriftform vorgeschrieben war, eine elektronische Si-
gnatur verwendet werden. Damit werden für papierlose
Verträge, Bankgeschäfte oder Bestellungen über das In-
ternet bestehende Rechtsunsicherheiten beseitigt.

Durch die Regelungen unseres Gesetzentwurfes haben
wir einen fairen Interessenausgleich – das sage ich an die
Adresse von Frau Lötzer und auch an den BDI, der sich
gestern noch einmal zu Wort gemeldet hat – zwischen den
Bedürfnissen der Verbraucherinnen und Verbraucher nach
Schutz und dem Wunsch der Wirtschaft nach Flexibilität
und Rechtssicherheit geschaffen.

Eines möchte ich aber deutlich sagen, bevor etwas
Falsches behauptet wird: Auch hier ist Deutschland in Eu-
ropa in Bezug auf die rechtliche Umsetzung an der Spitze.
Anderweitige Behauptungen seitens der Opposition und
eine entsprechende Meldung der „Financial Times
Deutschland“ sind schlicht und ergreifend falsch. Das
Gegenteil ist der Fall. Weil wir so schnell und so weit sind,
haben wir eine wichtige Vorreiterrolle und Vorbildfunk-
tion für andere europäische Länder und damit die Mög-
lichkeit, die Umsetzung dieser elektronischen Signatur in
anderen Ländern anzumahnen.

Wir betreiben die Förderung des elektronischen Han-
dels im europäischen Geleitzug. Die EG-Richtlinie über
elektronischen Geschäftsverkehr, die bewährte Grundsätze
des deutschen Informations- und Kommunikationsdienste-
Gesetzes aufnimmt, schafft europaweit die wesentlichen
wirtschafts- und zivilrechtlichen Rahmenbedingungen für
den elektronischen Geschäftsverkehr. Wir sind hier auf ei-
nem guten Weg. Die Richtlinie wird im deutschen Recht
zügig verankert.

Gleichzeitig haben wir Benachteiligungen deutscher
Anbieter gegenüber den europäischen Wettbewerbern
durch die Abschaffung des Rabattgesetzes und der Zuga-
beverordnung beseitigt. Auch das bitte ich zur Kenntnis
zu nehmen, Herr Brüderle, weil Sie immer so tun, als
seien wir untätig oder strangulierten alle mit Vorschriften.
Im Gegenteil: Wir haben im Gegensatz zu dem, was Sie
in den letzten Jahren gemacht haben, viel erreicht.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Zu wenig!)

– Wenn Sie mir „Zu wenig“ zurufen, Herr Ex-Weinbau-
minister, dann frage ich mich wirklich, was die F.D.P. bis
1998 geschaffen hat.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Was haben Sie gegen Winzer, Herr Berufsfunktionär?)


Sie reden immer von Ladenschluss und weiß der
Kuckuck was. Sie hatten doch genügend Zeit, dies alles
umzusetzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Unser Land – darin gebe ich Ihnen Recht, Herr Kollege
Riesenhuber – hat eine vorbildliche technische Vorausset-
zung für Telekommunikation.Auf einen Nenner gebracht:
Im Interesse von Wachstum und Beschäftigung ist eine

stärkere Verbreitung moderner Informations- und Kommu-
nikationstechniken geboten.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Berufsfunktionär!)

– Regen Sie sich ab.

Diese ist heute nicht so sehr durch das mangelnde tech-
nische Angebot, sondern eher durch die Höhe der An-
schaffungs- und laufenden Kommunikationskosten ge-
bremst. Auch hier haben wir, glaube ich, eine ähnliche
Einschätzung der Lage. Wir wollen und werden das ge-
meinsam ändern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit der Liberalisierung des Telekommunikations-
marktes – das erkennen wir durchaus an – wurden die
Voraussetzungen dafür geschaffen, dass sich die Tele-
kommunikationsinfrastruktur durch Wettbewerb weiter-
entwickeln kann.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Gegen die Stimmen der SPD!)


– Ich war damals nicht im Parlament. Ich kann gar nicht
dagegen gestimmt haben.


(Heiterkeit bei der SPD)

Alle Anbieter stehen unter einem permanenten Moderni-
sierungsdruck. Sie sind einem produktiven Kosten- und
Kreativitätswettbewerb ausgesetzt. In den Bereichen, in
denen nach wie vor Monopole bestehen, schafft die
Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation
die notwendigen Voraussetzungen.

Unser Ziel ist es, möglichst auf allen Märkten faire
Wettbewerbsbedingungen sicherzustellen. Ich möchte im
Namen der gesamten SPD-Fraktion – lassen Sie sich das
sagen – Folgendes feststellen: Wir bejahen und fördern
den Wettbewerb. Aber jetzt kommt der Unterschied. Im
Gegensatz zur F.D.P. und zu Teilen der CDU/CSU-Frak-
tion – das muss ich so sagen – wollen wir diesen nicht aus
ideologischen Gründen und mit der Brechstange durch-
setzen, weil Wettbewerb für uns kein Selbstzweck ist. Wir
sind für den Wettbewerb, weil er in diesem Bereich der
vernünftigste Mechanismus ist, um die wirtschaftlichen
Potenziale im Bereich der Telekommunikation im Inte-
resse aller zu entfalten. Wettbewerb ist hier nicht Selbst-
zweck, sondern ein vernünftiger wirtschaftspolitischer
Mechanismus.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es gäbe an dieser Stelle noch eine Fülle von Initiativen
und rechtlichen Voraussetzungen zu nennen, die wir be-
reits geschaffen haben oder die kurz vor der Umsetzung
stehen. Sie alle zu nennen würde meine Redezeit spren-
gen und die anderer Kollegen verkürzen.

Lassen Sie mich aber deutlich sagen, was das Ziel all
dieser Initiativen ist, weil wir kein „Muddling through“
wollen, also uns nicht durchwursteln wollen, wie wir es in
den letzten Jahren erlebt haben, sondern weil wir ein kla-
res Leitbild haben, das wir erreichen wollen. Alle Schritte,
die wir auf dem Weg der Modernisierung unserer




Hubertus Heil
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Volkswirtschaft gehen, und alles, was wir im Bereich der
Informations- und Kommunikationstechnologien unter-
nehmen, dienen einer Modernisierung der Wirtschaft
zum Wohle der Menschen in Deutschland.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wenn das keine Sprechblase ist!)


Das bedeutet in diesem Zusammenhang, dass wir Be-
schäftigungspotenziale erschließen wollen, und zwar Po-
tenziale einer anständigen Beschäftigung.

Um es ganz deutlich zu sagen: Nicht alles ist von der Po-
litik zu schultern und nicht in jedem Bereich besteht staat-
licher Regulierungsbedarf. Im Gegenteil: Ein zunehmend
wichtiges Kennzeichen der Internetwirtschaft sind Selbst-
regulierungsmechanismen der Marktteilnehmer. Wichtige
Meilensteine in dem Bereich der Selbstregulierung wurden
in der von der Bundesregierung unterstützten branchen-
übergreifenden Unternehmensinitiative D 21 realisiert.
Gemeinsam mit den Unternehmen der Initiative D 21 und
Verbraucherschutzorganisationen wurde beispielsweise
ein Katalog von Qualitätskriterien für Onlineangebote an
private Verbraucher entwickelt. Die Kooperation von
Bundesregierung und der Initiative D 21 ist eine moderne
Politik, weil sie vernetzt denkt und operiert. Hier ergän-
zen sich private Initiative und praktischer unternehmeri-
scher Sachverstand sowie praktische Politik und aktives
staatliches Handeln. Die Initiative D 21 unter der Schirm-
herrschaft des Bundeskanzlers zeigt, dass die genannten
Begriffe keine Gegensatzpaare sein müssen.


(Ursula Lötzer [PDS]: Jetzt aber zu den Problemen!)


Unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft befinden
sich – darin stimmt mir jeder hier im Haus zu – in einem
rasanten Modernisierungsprozess. Technische Innovati-
onen lösen Veränderungen nicht nur in der Wertschöpfung
und der Arbeitswelt, sondern in vielen anderen Bereichen
des öffentlichen und privaten Lebens aus. Wir Sozialde-
mokraten sagen deutlich, dass Politik keine Sicherheit vor
diesem Wandel geben kann und auch nicht geben sollte.
Aber sie kann und muss den Menschen Sicherheit vor
existenzieller Not im Wandel geben und sie kann und
muss dafür sorgen, dass die bestehenden Chancen genutzt
und die Teilhabemöglichkeiten für alle gestärkt werden.

Wir wollen die neuen Technologien so nutzbar ma-
chen, dass es nicht weniger, sondern mehr Freiheit, mehr
Gerechtigkeit und einen größeren gesellschaftlichen Zu-
sammenhalt gibt. Nicht der Mensch soll sich nach der
Technik richten, sondern die Technik nach den mensch-
lichen Bedürfnissen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Juan Somavia, der Direktor der ILO – der International

Labour Organisation – hat in der „FAZ“ vom 4. Januar
dieses Jahres einen wichtigen Maßstab dafür genannt. Er
schrieb in der „FAZ“:

Trotz all dieser erstaunlichen bisherigen Leistungen
der Wissensökonomie müssen ihre Versprechungen
aber doch letztlich daran gemessen werden, ob
menschliche Bedürfnisse wirklich befriedigt werden.

Er sieht eine strategische Möglichkeit darin, die globale
Wirtschaft auch sozial zu legitimieren, indem die Entste-
hung anständiger Arbeitsplätze beschleunigt wird.

Genau nach diesem Maßstab handeln wir und bringen
die wirtschaftliche Modernisierung unseres Landes
voran. Egal, wie viel Reden von Herrn Brüderle wir über
uns ergehen lassen müssen: Wir gehen auf diesem Weg
weiter.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415201000
Ich erteile der Kolle-
gin Martina Krogmann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU) (von Abgeord-
neten der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Sehr verehrter Kollege
Riesenhuber,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wenden Sie sich gleich am Anfang rückwärts?)


ich wünschte, wir hätten jemanden in der Bundesregie-
rung, der so engagiert und dynamisch wie Sie an die Sa-
che herangeht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Stattdessen geht die Bundesregierung weiter im

Schneckentempo voran und bremst durch immer neue
und weitere Regulierungen die Wirtschaft aus. Dabei ist
es gerade ein bestimmendes Kennzeichen der Wirtschaft
in der Informationsgesellschaft, dass ein ungeheures,
atemberaubendes Tempo vorgelegt wird. Die Innova-
tionszyklen werden immer kürzer und die Entwicklungen
gehen immer schneller voran.

Wenn Sie heute mit den Jungunternehmern der Dot-
coms sprechen, sagen die Ihnen, dass Schnelligkeit,Time
to Market , immer wichtiger wird, um auf dem Weltmarkt
bestehen zu können.


(Jörg Tauss [SPD], zur CDU/CSU gewandt: Deshalb haben die da drüben jahrelang gepennt!)


Deshalb muss die Politik schneller handeln und des-
halb müssen Sie, Herr Kollege, Ihr Tempo erhöhen. Ent-
scheidungen müssen schneller fallen, damit die Lücke
zwischen Wirtschaft und Politik nicht weiter auseinander
geht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Beifall auf der Tribüne)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415201100
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie bitte eine kurze Unterbrechung.

Liebe Gäste auf der Zuschauertribüne, Sie sollen auf-
merksam zuhören, aber klatschen ist nicht erlaubt. Ich
muss Sie leider darauf hinweisen.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das war aber angebracht!)





Hubertus Heil

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Dr. Martina Krogmann (CDU):
Rede ID: ID1415201200
Ich freue mich
allerdings sehr über die Zustimmung von der Tribüne.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Das ist ihr letztes Aufgebot da oben!)


Tatsache ist aber, Herr Kollege Staffelt: Die Bundesre-
gierung kriecht wie eine Schnecke in das digitale Zeital-
ter. Ich möchte Ihnen dafür einige Beispiele nennen. In
Ihrem Antrag verweisen Sie auf das Projekt „E-Govern-
ment – Bund-Online 2005“. Bis zum Jahr 2005 wollen Sie
dieses Programm umsetzen. Das ist in der Internetwirt-
schaft ein viel zu langer Zeitraum. Im Internet gilt die
Faustregel: Internetjahre sind wie Hundejahre, also mal
sieben.


(Jörg Tauss [SPD]: Mal vier!)

Im Internet geht die Entwicklung siebenmal so schnell
wie die in anderen Branchen in einem Jahr voran. Wenn
Sie also heute sagen, Sie wollen 2005 online gehen, dann
ist das so, als ob Sie in der Wirtschaft heute Ihren Urlaub
für das Jahr 2030 einreichen würden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das haben die schon!)


Eines muss ich Ihnen allerdings zugestehen: Bei der
Anzahl der geschassten Minister, nämlich sieben in zwei
Jahren, erreicht die Bundesregierung absolut Internetge-
schwindigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Ich möchte noch ein anderes Beispiel ansprechen. Eine
ganz wichtige Frage vor allem auf der europäischen
Ebene ist die Steuerpolitik. Sie haben auf dem EU-Gipfel
in Nizza die große Chance gehabt, im Bereich der Steuern
endlich das Mehrheitsprinzip durchzusetzen. Sie haben
diese Chance nicht genutzt. In sämtlichen Bereichen der
Steuerpolitik gilt auch nach Nizza noch immer das Ein-
stimmigkeitsprinzip. Was das heißt, ist, glaube ich, jedem
klar: Bei Steuerfragen müssen auch in Zukunft immer alle
15 bzw. alle 20 oder noch mehr EU-Mitgliedstaaten zu-
stimmen. Es wird also nach wie vor ewig lange Eini-
gungs- und Verhandlungsprozesse geben, bis man Ent-
scheidungen treffen kann. In Zeiten, in denen sich die
Wirtschaft immer schneller bewegt und bewegen muss,
um im Wettbewerb zu bestehen, leisten Sie sich in der Po-
litik Verhandlungsmethoden wie zu Zeiten des Wiener
Kongresses. Dies sind Entscheidungsstrukturen, in denen
das notwendige Tempo einfach nicht zustande kommen
kann. Sie haben in Nizza versagt, weil Sie sich nicht für
Strukturen, die ein schnelleres Tempo ermöglichen, ein-
gesetzt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein anderes Kennzeichen der modernen Informations-

technologien ist, dass sie einen enormen Wandel – man-
che sprechen von einer Revolution – auslösen, der nicht
nur die Wirtschaft, sondern auch die Gesellschaft, unser
Arbeitsleben und unser Zusammenleben betrifft. Wissen
und Bildung werden zur entscheidenden Ressource. Das

Internet ist gewissermaßen die Dampfmaschine des In-
formationszeitalters.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das haben wir uns schon immer gedacht, dass die CDU das so einschätzt! Dampfmaschine!)


Für die Politik heißt das, dass wir eine Gesamtstrategie
und ein Gesamtkonzept brauchen, auf dessen Grundlage
wir entscheiden können, wie mit diesen Prozessen umge-
gangen und wie sie positiv gestaltet werden sollen.

Natürlich enthält Ihr Antrag auch positive Punkte, de-
nen wir zustimmen können. Natürlich ist die Daten-
sicherheit wichtig. Wichtig ist auch ein stärkerer Wettbe-
werb auf dem Softwaremarkt. Wichtig sind die Förderung
von Open-Source-Produkten und natürlich auch der ge-
samte Bereich der Bildungspolitik.


(Jörg Tauss [SPD]: Wo sind Ihre Papiere dazu?)


Aber mir fehlt bei Ihnen, Herr Kollege, ein Gesamtkon-
zept. In den entscheidenden Fragen sehe ich gerade bei Ih-
nen, Herr Kollege, nur punktuellen Aktionismus.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Unser Konzept können Sie im Internet nachlesen!)


Dieser Aktionismus spiegelt sich in Ihrem Antrag wider.
Es gibt eine Fülle von kleinen, mittelmäßig ausgestatteten
Projekten anstatt eines wirklich großen Wurfs. Die Bil-
dungsministerin fordert einen Laptop für jeden Schüler,
streicht aber gleichzeitig die Mittel für die Forschung.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist doch nicht wahr! Das ist Unsinn!)


– Das ist die Wahrheit, Herr Kollege. – Der Wirtschafts-
minister redet davon, die PC-Dichte zu erhöhen, aber
gleichzeitig fordert die Justizministerin eine neue Abgabe
auf Computer. Der Finanzminister denkt über eine zu-
sätzliche Surfsteuer für das Internet nach. Die Belastun-
gen für die Wirtschaft werden immer größer.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das sind Sozialdemokraten: Immer nur Steuern erhöhen! – Jörg Tauss [SPD]: Völliger Quatsch!)


Auch in einem anderen Bereich gibt es noch Hand-
lungsbedarf. Sie müssen – das muss ich Ihnen leider sa-
gen – noch einmal an das Ladenschlussgesetz herange-
hen. Es darf doch wirklich nicht wahr sein – das ist
symptomatisch für Ihre Politik –, dass Sie im Zeitalter von
E-Commerce, in dem jeder von uns 24 Stunden, rund um
die Uhr, auf der ganzen Welt einkaufen kann, beim La-
denschluss nichts ändern wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich könnte wetten: Wenn die Bundesregierung das Inter-
net erfunden hätte, dann gäbe es sicher ein Gesetz, das
E-Commerce nach 20 Uhr verbieten würde.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)







(C)



(D)



(A)



(B)


Deshalb fordere ich Sie auf: Betreiben Sie endlich eine
moderne Wirtschaftspolitik, die die Dynamik der Wirt-
schaft befördert! Betreiben Sie eine moderne und dyna-
mische Politik für mehr Beschäftigung auch im Informa-
tionszeitalter in Deutschland!

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]: Nichts als Sprechblasen!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415201300
Ich erteile der Kolle-
gin Grietje Bettin, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415201400
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag,
der heute Gegenstand der Debatte ist, unterstreicht die
zentrale Bedeutung, die die Informations- und Kommuni-
kationstechnologie als Wirtschaftsfaktor in Deutschland
inzwischen einnimmt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Da sind wir wieder beim Thema!)


Wir treten darin für die beschleunigte Einführung moder-
ner Kommunikations- und Informationstechnologien ein.
Die Politik muss die notwendigen Voraussetzungen für
eine freie und gerechte Entwicklung der Informationsge-
sellschaft schaffen.

Für Tätigkeiten, bei denen der Arbeitsort eine nur noch
geringe Rolle spielt, verlieren nationale Grenzen, Re-
gelungen und Institutionen an Einfluss. Ausschlaggebend
für die Qualität eines Wirtschaftsstandortes sind nicht län-
ger die natürlichen Ressourcen oder die Verkehrsanbindun-
gen, sondern die Informationsinfrastruktur, die Qualifika-
tion der Arbeitskräfte sowie das Niveau der Forschungs-
und Bildungslandschaft. Die Standortqualität wird also
durch die Beschaffenheit und die Leistungen der Gesell-
schaft bestimmt. In diesem Zusammenhang ist die Me-
dienkompetenz der Gesellschaft eine ganz entscheidende
Schlüsselqualifikation.

Die Bundesregierung hat die Zeichen der Zeit erkannt
und hat die entscheidenden Weichen gestellt, um den
Wirtschaftsstandort Deutschland in der globalen Öko-
nomie zu sichern und auszubauen. Durch Bereitstellung
von Risikokapital und die Schaffung von Kompetenzzen-
tren zur Unterstützung von kleinen und mittleren Unter-
nehmen wird der Mittelstand, der ein entscheidendes
Standbein in der Internetwirtschaft ist, massiv gefördert.

Die Unternehmen der Informations- und Kommunika-
tionstechnologie sehen sich in schwierige Märkte einge-
bettet. Sich immer schneller entwickelnde Innovationen
lassen das Arbeitsumfeld ständig fluktuieren. Der so ge-
nannte Neue Markt erlebt einen harten Konkurrenz-
kampf, in dessen Unternehmen das traditionelle Tarif-
system nur schwer aufrechtzuerhalten sein wird. Gerade
deshalb ist es wichtig, auch hier Mitbestimmungsinstru-
mente und neue Formen der Mitarbeiterbeteiligung – ich
nenne nur das Stichwort „Aktienoptionen“ – zu etablie-
ren. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang auch, dass
durch die sich schnell wandelnden Märkte von den Ar-

beitnehmern eine hohe Bereitschaft zur Flexibilität vo-
rausgesetzt wird. Lebenslanges Lernen wird untrennbar
mit der Beschäftigung im Bereich der Neuen Märkte ver-
bunden sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Vor diesem Hintergrund weist unser Antrag darauf hin,
dass die Aktivitäten der Bundesregierung im Rahmen der
Unternehmensinitiative D 21 und im Forum Informati-
onsgesellschaft weiter intensiviert werden müssen.

Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich die Aktivitä-
ten der Bundesregierung in Bezug auf den elektronischen
Geschäftsverkehr begrüßen. Die Einführung der digita-
len Signatur wird weiter forciert. Sie wird zukünftig ein
wichtiger Baustein für die Modernisierung der Verwal-
tung sein.

Ebenso wichtig aber ist, dass die Bundesregierung die
Entwicklung kryptographischer Programme fördert
und sich strikt gegen einschränkende Maßnahmen aus-
spricht; denn es war noch nie so einfach wie heute, an per-
sönliche Daten zu kommen. Das Internet ist eine riesige
globale Datenbank, in der eine Vielzahl personenbezoge-
ner Daten zur Verfügung steht. Informationen, die im In-
ternet übertragen werden, sind alles andere als vertrau-
lich. Unverschlüsselte Datenpakete, die über das Netz
geschickt werden, können theoretisch an jeder Übertra-
gungsstelle gelesen, gespeichert, manipuliert oder unter-
drückt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Das sind die Themen!)


Eine Verbreitung von Verschlüsselungsprogrammen auch
und gerade im privaten Bereich leistet einen wichtigen
Beitrag zum Schutz der Privatsphäre.

Das Post- und Fernmeldegeheimnis wird durch
Art. 10 GG geschützt. Dieser Artikel muss nach Meinung
von Bündnis 90/Die Grünen dringend zu einem allgemei-
nen Kommunikations- und Mediennutzungsgeheimnis
weiterentwickelt werden. Das Recht der Bürger auf in-
formationelle Selbstbestimmung muss ebenso wie das
Grundrecht auf unbeobachtete Kommunikation auch im
Cyberspace gelten.


(Beifall der Abg. Monika Griefahn [SPD])

Rechtssicherheit und Anonymität im Netz dürfen sich
nicht widersprechen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Erfreulich ist aus unserer Sicht besonders, dass auf
Initiative von Bündnis 90/Die Grünen in diesem Antrag
das Thema „Open Source“ ausführlich behandelt wird.
Insbesondere für den Wettbewerb auf dem Softwaremarkt
und bei der Etablierung verschiedener Betriebssysteme
haben Open-Source-Produkte eine ganz besondere Be-
deutung. Der Quellcode – quasi die Sprache, in der das
Programm geschrieben wird – ist hierbei frei zugänglich.
Somit können Betriebssystem und Software den jeweili-
gen Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer besser




Dr. Martina Krogmann

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(D)



(A)



(B)


angepasst werden, auch und gerade in sicherheitsrelevan-
ten Bereichen. Wir fordern die Bundesregierung daher
auf, Open-Source-Programme in der Bundesverwaltung
verstärkt einzusetzen.

Mit diesem Antrag leisten wir einen wichtigen Beitrag
zur Durchsetzung von Open Source insgesamt. Nun gilt
es, den bisherigen Pilotprojekten weitere hinzuzufügen
und eine breitere Öffentlichkeit mit dem Thema „Open
Source“ vertraut zu machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nach dem „I love you“-Schreck hat nun viele der un-
schöne Wurm mit dem schönen Namen einer Tennisspie-
lerin erwischt. Wieder einmal wird uns vor Augen geführt,
wie anfällig unsere Computer sind. Die fast ausschließli-
che Verwendung eines Betriebssystems verstärkt diese
Anfälligkeit. Aus dem Bereich der Ökologie wissen wir:
Monokulturen können große Schäden anrichten.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Das gilt leider auch für den Computersektor. Auf diesem
Gebiet sind Konkurrenz und Vielfalt gefragt, um Wettbe-
werb und Sicherheit zu gewährleisten.

Abschließend möchte ich noch auf die gesellschaftli-
chen Auswirkungen des digitalen Strukturwandels einge-
hen. Die rasante Entwicklung des Internets und die zu-
nehmende Anzahl von Userinnen und Usern beeinflusst
die Ausrichtung unserer Gesellschaft nachhaltig. Dieser
Strukturwandel birgt aber nicht nur Chancen, sondern
auch Risiken. Die Bundesregierung schafft mit dem Ak-
tionsprogramm „Internet für alle“ und mit dem Projekt
„Schulen ans Netz“ den Rahmen für mehr Informations-
gerechtigkeit und Medienkompetenz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Regierung darf sich jedoch nicht auf diesen Program-
men ausruhen. Sie muss vorhandene Defizite, insbesondere
in der technischen Betreuung und in den notwendigen Aus-
bildungsmaßnahmen, schnellstmöglich beseitigen. Die In-
formationsgesellschaft muss für alle da sein, nicht nur für
Computerfreaks, Besserverdienende und Akademiker.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Lesen, Rechnen und Schreiben werden im globalen
Dorf des 21. Jahrhunderts nicht mehr ausreichen, um sich
in dieser Welt zu orientieren. Wer die Sprache des Com-
puters nicht versteht und beherrscht, wird künftig zu den
digitalen Analphabeten gehören. Die Politik hat die Auf-
gabe, die Basis zu schaffen, die einen Internetzugang für
alle und die damit verbundene Vermittlung von Medien-
kompetenz ermöglicht.

Wir haben viele Versäumnisse der Vorgängerregierung
beseitigen können und den Anschluss an die digitale Welt
wieder hergestellt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Können Sie ein Beispiel nennen? Da muss sie selber lachen! – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nun gilt es, diese Welt so zu gestalten, dass alle, egal ob
Jung oder Alt, in ihr einen gemeinsamen Platz finden.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415201500
Ich erteile dem Kolle-
gen Jörg Tauss, SPD-Fraktion, das Wort.


Jörg Tauss (Plos):
Rede ID: ID1415201600
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen! Liebe Kollegen! Ich habe so eine schöne Rede vor-
bereitet; aber jetzt muss ich auf die Opposition eingehen.


(Dr.-Ing. Rainer Jork [CDU/CSU]: Wenn man selber nichts hat!)


Herr Brüderle, zu Ihnen möchte ich nur wenige Sätze
sagen: Wer wie Sie den Ausdruck „virtuell“ in unsere
Richtung als Schimpfwort gebraucht, der zeigt, wie fern
ihm das Virtuelle und das Internet eigentlich sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielleicht hilft ein Blick in das Lexikon. Herr Kollege
Brüderle, man bezeichnet es als „virtuelle Realität“, wenn
mittels Computern in eine simulierte Wirklichkeit, also in
eine künstliche Welt, interaktiv eingedrungen wird. Dass
Sie das alles nicht wissen, werfe ich Ihnen nicht vor. Al-
lerdings: Nur wenn man Bescheid weiß, kann man sich in
der virtuellen Welt situationsbezogen bewegen. Dass Sie
sich nicht bewegen können, haben Sie heute bewiesen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Entlarvend war auch der Zwischenruf „Klassenkampf“
von Herrn von Klaeden.

Dabei geht es um ein ernstes Thema – das hat Herr
Riesenhuber ja berechtigterweise angesprochen –, näm-
lich um die Frage, wie in dieser Wissens- und Informati-
onsgesellschaft, in der, wie wir annehmen, der Zugang zu
Wissen und Information, die Generierung von Wissen und
letztlich deren Anwendung ein entscheidendes Zukunfts-
feld ist, viele Menschen, die – aus welchen Gründen auch
immer – heute noch keinen Zugang haben,


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Unter anderem wegen Ihrer Bildungspolitik!)


einen solchen Zugang bekommen können. Wenn Sie die-
ses zentrale Thema, das weltweit unter dem Begriff „Di-
gital Divide“ diskutiert wird – die Diskussion nahm ihren
Ausgang in den USA –, als Klassenkampf abtun, zeigt
das, wie weit Sie von den eigentlichen Kernfragen ent-
fernt sind.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)





Grietje Bettin
14826


(C)



(D)



(A)



(B)


Herr von Klaeden, wenn der Zugang zu Informationen
den Reichen, Schönen und Adligen vorbehalten werden
soll, dann werden wir die Zukunft eben nicht gewinnen,
sondern verlieren. Unsere Aufgabe ist es, allen Zukunfts-
chancen zu ermöglichen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Also doch wieder Klassenkampf!)


– Ihr Zuruf „Also doch wieder Klassenkampf!“ belegt:
Sie begreifen es nicht. Aber das ist egal, machen Sie wei-
ter so.

Frau Kollegin Krogmann, ich habe mir Ihre Homepage
angeschaut. Ich dachte, von der neuen Internetbeauf-
tragten – ich gratuliere zu Ihrem Amt – würde ich we-
nigstens einen einzigen Beitrag zum Internet finden. Auf
Ihrer Homepage ist nichts dazu zu lesen. Ich empfehle Ih-
nen an dieser Stelle: etwas weniger kesse Sprüche, etwas
weniger beifallsheischende Sprüche in Richtung Ihrer ei-
genen Fraktion, stattdessen konstruktive Beiträge. Disku-
tieren Sie in zentralen Fragen, die das Internet angehen,
mit, dann nehmen wir Sie ernst. Aber wenn Sie hier nur
auswendig gelernte Textbausteine bringen, nehmen wir
Sie nicht ernst. Das tut mir Leid.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Eckart von Klaeden [CDU/ CSU]: Nutzen Sie das Internet, Herr Kollege?)


Im Übrigen sollten Sie bitte bei der Wahrheit bleiben: Die
Unterstellung, die Bundesregierung wolle eine Surf-
steuer erheben, ist schlicht unwahr. Dieser Unfug wurde
von Finanzbeamten erdacht, Finanzminister Eichel hat
diesen Unfug gestoppt. Das ist der eigentliche Sachver-
halt, über den hier geredet werden müsste. Bringen Sie
bitte nichts Falsches unter die Leute.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lieber Kollege Riesenhuber, ich schätze Sie sehr; Ihre
Rede war interessant, auch wenn Sie vor Begeisterung
immer wieder nach rechts und links entwichen sind. Ihre
Rede kam aber zehn Jahre zu spät. Es ist doch die jetzige
Forschungsministerin, die in die USA geht und sich
bemüht, die besten Köpfe, die während Ihrer Regierungs-
zeit in die USA gegangen sind, zurückzuholen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist doch nicht so, dass wir sie jetzt vertreiben würden,
nein, wir bemühen uns, diejenigen, die während Ihrer Re-
gierungszeit in die USA gegangen sind, zurückzuholen.

Auch Ihre Aussagen zu Stock Options – jetzt ist der
große Steuerexperte Merz nicht da, er hat vorhin so be-
geistert geklatscht – und Business Angels fallen unter die
Rubrik Textbausteine; wenigstens gehen Ihnen diese Be-
griffe heute flüssig über die Lippen. Ich hätte mir ge-
wünscht, dass Ihre zuständigen Finanzpolitiker, die vom
Thema etwas verstehen, vielleicht auch einmal das Thema
Gestaltungsspielräume – hier sind wir ja nicht weiter ge-
kommen – mit den Ländern etwas anders diskutiert hät-
ten. Ich hätte mir gewünscht, dass Herr Merz nicht nur

über das Halbeinkünfteverfahren gesprochen hätte. Aber
offensichtlich ist das das Einzige, wovon er etwas ver-
standen hat.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Nicht einmal da!)


Vielleicht meinte er auch nur, etwas davon zu verstehen,
weil das Wort „halb“ in diesem Begriff vorkommt und er
einen Bezug zu Halbleiter herstellt. Nein, nicht ein einzi-
ger Beitrag ist von Ihnen bei der Steuerreformdebatte zu
diesem Thema gekommen. Aus diesem Grunde bitte ich
Sie aufzuhören, uns hier irgendetwas zu erzählen.

Man könnte fragen, wie es mit Ihren Entwürfen zur
Dienstrechtsreform usw. aussah, aber ich will die verblei-
bende Zeit jetzt nutzen, um ein wenig zu dem überzuge-
hen, was wir tatsächlich tun. Kollege Heil hat vieles ange-
sprochen – Rabatte und Zugaben sind nur ein ganz kleines
Beispiel. Wir hatten kürzlich auf einer Tagung, die unter
der Regie von Herrn Wissmann organisiert wurde, eine
Riesendebatte zu diesem Thema. Die jungen Unterneh-
men haben dort tatsächlich gesagt, man müsse etwas tun.
Was ist passiert? Heute Abend findet das zweite Treffen
dieses Kreises statt und tatsächlich, es ist etwas getan wor-
den. Ich werde dort mit großer Begeisterung hingehen; ich
denke, Herr Wissmann wird uns sehr loben.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ist Ihnen aufgefallen, dass Herr Wissmann in der CDU ist?)


Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir tun
etwas, Sie haben nur geredet. Beispielhaft nenne ich den
Bereich Bildung. Ganz aktuell haben wir ein Berufs-
schulprogramm auf den Weg gebracht, um endlich IT-
Fachklassen einrichten zu können. Natürlich haben Sie
durch die Einführung neuer Berufsbilder etwas auf der
Ebene der Sozialpartner getan, das bestreiten wir doch
überhaupt nicht. Aber das hat sich in den Berufsschulen
nicht widergespiegelt. Wir investieren jetzt eine viertel
Milliarde DM, um die Berufsschulen mit IT-Technik aus-
zustatten, damit die Auszubildenden in der Berufsschule
überhaupt die entsprechenden Kenntnisse vermittelt be-
kommen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie stehen da staunend daneben, genauso wie gegenüber
der Tatsache, dass 60 000 neue Arbeitsplätze in diesem
Bereich geschaffen worden sind.

Mit der heute zu beschließenden Novellierung des Ge-
setzes zur digitalen Signatur, das wir gemeinsam mit Ih-
nen auf den Weg gebracht haben und das jetzt verbessert
werden muss, weil es – das werfe ich Ihnen nicht vor; da-
mals waren wir alle Suchende – noch nicht den Durch-
bruch gebracht hat, den wir eigentlich damit ermöglichen
wollten, schaffen wir weitere Voraussetzungen. Ich
glaube, es wäre sinnvoll, wenn Sie sich bei der Umset-
zung dieser Bausteine wenigstens ein wenig als Bauhelfer
betätigen. Stimmen Sie diesem Gesetz heute zu und ste-
hen Sie nicht abseits. Das gilt auch für die Umsetzung der
EU-Richtlinien zum Datenschutz, zum E-Commerce




Jörg Tauss

14827


(C)



(D)



(A)



(B)


und zu all den anderen Punkten, die wir hier in den nächs-
ten Wochen diskutieren werden.

Lieber Kollege Riesenhuber, wenn ein 66-Jähriger –
das soll kein Vorwurf sein; ich hoffe auch, dieses ver-
diente Alter zu erreichen – im Zusammenhang mit uns
von alten Männern redet, ist das schon ein wenig merk-
würdig.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Im Kopf, Herr Kollege!)


Wenn Sie uns jetzt als neuer Nachwuchspolitiker zeigen
wollen, wo es langgeht, dann erinnere ich jetzt doch ein-
mal ein bisschen an den Altkanzler, der vorhin hier saß.
Wissen Sie, was war, als wir nach dem Regierungswech-
sel in das Kanzleramt gekommen sind? Da waren nicht
nur die Akten geklaut. Wir haben keine Computer vorge-
funden. Wir haben gedacht, auch die hätte Kohl mitge-
nommen. Aber nein: Es gab überhaupt keine. Im Kanz-
leramt gab es Rohrpost statt Computer. Das war Ihr Weg
in die Informationsgesellschaft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Angesichts Ihrer Rohrpostmentalität sage ich Ihnen:

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Lieber Rohr post als Rohrkrepierer!)

Lassen Sie uns in Ruhe arbeiten. Stimmen Sie zu. Lernen
Sie etwas zum Thema Internet. Mit der Arroganz, mit der
Sie heute aufgetreten sind, und zwar ohne jeden neuen Be-
zug, werden Sie nicht die Zukunft gewinnen. Wir jedoch
werden es tun. Das wird das Richtige für dieses Land sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415201700
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Martin Mayer, CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Martin Mayer (CSU):
Rede ID: ID1415201800
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Tauss
hat vorhin vom Digital Divide gesprochen. Ich muss fra-
gen: Wo ist denn eigentlich der Einsatz der SPD für mehr
Wettbewerb im Internet, damit die Preise sinken und
wir eine günstige Flat Rate bekommen, sodass auch die-
jenigen Bürger in diesem Land, die weniger Geld haben,
am Internet teilhaben können?


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will zunächst einige Sätze zum Signaturgesetz sa-

gen, dem wir zustimmen werden,

(Beifall des Abg. Hubertus Heil [SPD])


weil es auf dem Signaturgesetz von 1997 aufbaut, das von
der vorigen Regierung vorgelegt und von der Koalition
verabschiedet worden ist


(Jörg Tauss [SPD]: Vom gesamten Haus verabschiedet worden ist!)


– vom Bundestag verabschiedet worden ist – und damals
weltweit Beachtung gefunden hat. Durch die Neufassung

bleibt das alte Gesetz in seinen wesentlichen Grundlagen
erhalten.

Beim Vergleich mit dem alten Gesetz fällt allerdings
zweierlei auf. Erstens. Seit der Verabschiedung des ersten
Gesetzes sind fast vier Jahre vergangen. Das heißt, vier
Jahre Unsicherheit für Betroffene; wertvolle Zeit ging
verloren. Das hat natürlich auch mit Europa zu tun. Aber
die Informations- und Kommunikationsbranche ist eine
Branche, bei der Zeit eine große Rolle spielt und bei der
ein vollständiger internationaler Wettbewerb herrscht.
Angesichts dessen halte ich es schon für eine große Säu-
migkeit, dass das nicht schneller ging. Wertvolle Zeit
ging verloren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hubertus Heil [SPD]: Wir sind die Ersten in Europa!)


Diese schädliche Säumigkeit der Bundesregierung darf
sich nicht wiederholen. Vor allem die Verordnung muss
jetzt rasch vorgelegt werden.

Ein Zweites fällt auf. Das Gesetz ist gegenüber der ur-
sprünglichen Fassung deutlich komplizierter geworden.
Es gibt jetzt vier Qualitätsstufen für Signaturen. Das
neue Gesetz enthält eine zusätzliche Regelung für die
Haftung. Das Bürgerliche Gesetzbuch hätte auch in die-
sem Fall gereicht.


(Hubertus Heil [SPD]: Reden Sie einmal mit den Ländern!)


Ich sage an die Adresse der Koalition und der Regie-
rungsbank: Die jungen Unternehmen der Netzwirtschaft
wünschen sich einfache Regeln und nicht dicke neue Ge-
setzbücher.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dann noch etwas Wichtiges. Was nutzt das Signatur-

gesetz, wenn es kaum passende Anwendungen gibt?

(Jörg Tauss [SPD]: Deswegen machen wir die Formvorschriften!)

Im Zivilrecht hat die Bundesregierung jetzt einen Gesetz-
entwurf vorgelegt. Aber warum hat sie ihn nicht ein vier-
tel oder ein halbes Jahr früher vorgelegt, sodass wir ihn
jetzt gleichzeitig mit dem Signaturgesetz verabschieden
können?


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Gemach, gemach! Gut Ding will Weile haben! – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: So schnell geht es doch wieder nicht!)


In den USA ist bereits im Oktober des vergangenen
Jahres ein entsprechendes Gesetz in Kraft getreten.


(Hubertus Heil [SPD]: In Europa sind wir die Ersten, Herr Mayer!)


Davon könnte sich die Bundesregierung eine Scheibe ab-
schneiden.

Noch schlimmer aber ist, dass Signaturen im öffentli-
chen Bereich noch nicht angewendet werden können, weil
die Bundesregierung den Gesetzentwurf mit den entspre-
chenden Formvorschriften erst im Frühjahr dieses Jah-
res vorlegen wird. Wie wir die Bundesregierung kennen,




Jörg Tauss
14828


(C)



(D)



(A)



(B)


heißt Frühjahr Ende des Frühjahrs. Das heißt, erst nach
der Sommerpause wird der Gesetzentwurf vorgelegt wer-
den.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Dezember!)

Ich finde, es ist eine ganz schlimme Sache, dass die Bun-
desregierung hier nicht handelt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

In einem Land, in dem die Steuererklärungen seit

Jahren millionenfach als Computerausdruck ohne Unter-
schrift versandt werden, müsste es doch möglich sein, in
der Kommunikation von Staat und Kommunen mit
Unternehmen und Bürgern ein paar Massenanwendungen
für elektronische Signaturen zu finden.


(Hubertus Heil [SPD]: Das gibt es doch schon!)


Wenn das der Fall wäre, könnte man zwei Fliegen mit ei-
ner Klappe schlagen: Man würde erstens für den Bürger
und für den Staat eine wesentliche Erleichterung schaffen.
Zweitens würden diese Anwendungen der elektronischen
Signatur zum Durchbruch verhelfen. Die Amerikaner sa-
gen dazu – ich gebe zu, ich mag diesen Ausdruck nicht –
„killer application“. Die Bundesregierung muss endlich
handeln, damit die Signatur in der Kommunikation von
Bürgern und staatlichen Einrichtungen angewendet wer-
den kann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]: Machen wir doch schon! Steuererklärungen! „Elster“ heißt das Ding!)


Herr Kollege Tauss, Sie haben sich in Ihrer Rede mit
überheblicher Kritik hervorgetan.


(Jörg Tauss [SPD]: Mit wahrer! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Er ist halt so!)


Ich will Ihnen zum Antrag der Koalition einiges ins
Stammbuch schreiben.


(Hubertus Heil [SPD]: Sie stimmen zu!)

Der Antrag enthält im Wesentlichen bekannte Papiere

der Regierung, die aufgewärmt und beweihräuchert wer-
den. Der Antrag rühmt die Wirkungen der vorbildlichen
Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes in
Deutschland. Er verschweigt allerdings, dass diese Libe-
ralisierung von der früheren Regierung durchgesetzt
wurde und dass im Bundesrat zwei Ministerpräsidenten
gegen die Liberalisierung gestimmt haben. Der eine heißt
Schröder und der andere Eichel.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: So war es!)

Diese Tatsache muss auch erwähnt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Das sind die grundlegenden Fehlentscheidungen!)


Bemerkenswert ist eigentlich nicht, was in dem Antrag
enthalten ist, sondern was in ihm nicht enthalten ist. Wo
findet sich denn in Ihrem Antrag die Forderung nach An-

passung des öffentlichen Rechts an die Erfordernisse
der elektronischen Kommunikation? Sie haben hinsicht-
lich Open Source zwar gesagt, dass der Staat die Open-
Source-Software fördern solle – in diesem Punkt stim-
men wir Ihnen zu –,


(Hubertus Heil [SPD]: Wir fördern das auch!)

aber trotzdem muss ich fragen: Was haben Sie denn hin-
sichtlich des Schutzes der Open-Source-Bewegung vor
Patenten aus den USA gesagt? Es gibt große Befürchtun-
gen, dass durch eine extensive Erweiterung des Patent-
schutzes die Open-Source-Bewegung sozusagen abge-
würgt wird.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415201900
Kollege Mayer, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tauss?


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Er möchte ein bisschen Aufklärung!)



Dr. Martin Mayer (CSU):
Rede ID: ID1415202000
Ja.


Jörg Tauss (Plos):
Rede ID: ID1415202100
Kollege Mayer,

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: „Dr. Mayer“! So viel Zeit muss sein!)

ist Ihnen bekannt, dass die vom Europäischen Patentamt
vorgelegten Regelungen hinsichtlich der Patentierung
von Software, die bereits von der Konferenz in München
hätten verabschiedet werden sollen, von der Bundesregie-
rung in Person der Bundesjustizministerin gestoppt wur-
den und dass wir uns jetzt in einem umfangreichen
Beratungsprozess mit der Softwarebranche befinden, um
dieses Problem angemessen lösen zu können?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Martin Mayer (CSU):
Rede ID: ID1415202200
Die-
ser Vorgang ist mir bekannt. Aber ich weiß, dass die Strei-
chungen, die im europäischen Patentübereinkommen vor-
gesehen waren, im Grunde keine rechtlichen Wirkungen,
sondern allenfalls symbolische politische Wirkungen ge-
habt hätten. Ich weiß auch, dass die Bundesregierung im
Deutschen Bundestag zu diesem Thema noch nie Stellung
genommen hat.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hubertus Heil [SPD]: Das stimmt nicht!)


Über dieses wichtige Thema sollte man schon reden.

(Jörg Tauss [SPD]: Machen wir darüber eine Debatte!)

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch die

folgende Frage stellen: Wo ist denn eigentlich die Strate-
gie der Bundesregierung, um das Ungleichgewicht in
Deutschland – Amerikaner und Japaner können in Deutsch-
land softwarebezogene Patente anmelden, aber Deutsche
geraten ins Hintertreffen – zu überwinden?


(Jörg Tauss [SPD]: Darf ich diese Frage beantworten?)





Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn)


14829


(C)



(D)



(A)



(B)


– Nein, das dürfen Sie nicht. Sie dürfen nur eine Zwi-
schenfrage stellen.

Wo ist ein Konzept der Bundesregierung bezüglich des
Urheberrechts? Das Urheberrecht gehört doch zu den
tragenden Säulen der Informationsgesellschaft. Zu die-
sem Recht haben Sie in Ihrem Antrag überhaupt nichts ge-
sagt. Es gibt ein Professorengutachten, das aber keinen
Hinweis darauf gibt, dass Sie die Informationsgesell-
schaft fördern wollen.

Wo sind denn eigentlich die Ansätze für eine Strategie,
um Unternehmen zu veranlassen, die Fernsehkabel auf
digitale Übertragung und den Internetzugang umzurü-
sten?


(Jörg Tauss [SPD]: Länder!)

Seit diese Bundesregierung an der Macht ist, ist hier fast
Stagnation eingetreten.


(Zurufe von der SPD: Oh!)

Es bewegt sich nichts. Da Sie die Länder ansprechen:
Natürlich sind die Länder in gewisser Weise dafür zu-
ständig. Aber wie die Rahmenbedingungen geschaffen
werden können, dass es für Unternehmen Anreize gibt, zu
investieren, ist wohl eine Frage, die die Bundesregierung
angeht.

Ich habe jedenfalls von der Regierungsbank zu diesem
Thema nichts gehört. Ich meine, es ist eine Frage von na-
tionaler Bedeutung, ob wir die Kabel auch für den Inter-
netzugang öffnen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wo ist die Forderung nach einer vernünftigen steuerli-

chen Regelung für Stock Options, also für die Mitarbei-
terbeteiligung in diesen jungen Unternehmen? Auch das
ist eine ganz zentrale Frage.

Ich meine, mit diesen Themen sollten Sie sich ausei-
nander setzen.


(Hubertus Heil [SPD]: Machen wir!)

Dann können wir in der Internetwirtschaft in Deutschland
wirklich eine Spitzenstellung einnehmen, die notwendig
ist, damit in Deutschland alle am Internet teilnehmen kön-
nen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415202300
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Christian Lange, SPD-Fraktion.


Christian Lange (SPD):
Rede ID: ID1415202400
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie
mich zunächst ein Wort des Dankes an Sie, Herr Kollege
Riesenhuber, dafür loswerden, dass Sie unseren Antrag so
wunderbar gelobt haben. Ich will Ihnen allerdings sagen:
Sie verdanken diesen Innovationsschub nicht Hubertus
Schmoldt, sondern den Kollegen Hubertus Heil und Jörg
Tauss, die selber das Internet anwenden; der Kollege
Tauss gehört sogar zu den Motoren und den Pionieren in

der Politik, was das Internet anbelangt. Auch das gehört
zur Wahrheit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gestatten Sie mir auch noch eine Bemerkung an die
F.D.P. Herr Brüderle, ich war schon erschrocken darüber,
wie Sie Deutschland und eine wachsende Ökonomie in
Deutschland heruntergeredet haben. Ihre Rede hat die
New Economy in Deutschland wirklich nicht verdient.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Tatsachen sehen auch völlig anders aus. Wachs-
tum: plus rund 3 Prozent, Anteil am Bruttoinlandspro-
dukt: 5,5 Prozent. Das sind die Fakten, Herr Brüderle.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Schönredner!)

Nehmen Sie sie zur Kenntnis. Das ist Real Economy. Das
zeigt deutlich, wie weit Sie nicht nur von der New Eco-
nomy, sondern auch von der tatsächlichen Wirtschaft in
Deutschland entfernt sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit der D-21-Initiative wurde ein einmaliges Forum
der Zusammenarbeit ins Leben gerufen, an dem Unter-
nehmer, Institutionen und Politiker teilnehmen, um ge-
meinsam den Wandel von der Industrie- zur Informati-
onsgesellschaft zu moderieren und zu beschleunigen. Die
Bundesrepublik Deutschland verfügt über eine gute, in
Teilbereichen sogar vorbildliche technische Telekommu-
nikationsinfrastruktur. Der deutsche Markt für Infor-
mations- und Telekommunikationstechnik ist 1999 von
195 Milliarden DM um 9,6 Prozent auf 214 Milliar-
den DM gewachsen. Das sind die genannten 5,5 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts. In den nächsten Jahren wird
sogar mit einem zusätzlichen Wachstum gerechnet.

Bereits in fünf Jahren soll die IT-Branche die 300-Mil-
liarden-DM-Schwelle überspringen. Sie wird damit zum
größten deutschen Wirtschaftszweig überhaupt. Das ist
ein Grund zur Freude und nicht zum Herunterreden und
Kaputtreden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Rainer Brüderle [F.D.P.]: Schönredner!)


Deshalb wollen wir allen Bürgerinnen und Bürgern
gleichermaßen die Chance geben, an diesem Wirtschafts-
aufschwung teilzuhaben. Der Aufbruch in dieses digitale
Zeitalter bringt nämlich Veränderungen mit sich.
Qualifikationsanforderungen, Arbeitsinhalte und die Ar-
beitsorganisation müssen modifiziert und angepasst wer-
den. Deshalb wollen wir die digitale Spaltung in unserer
Gesellschaft in „user“ und „loser“ vermeiden. Das ist
nicht nur eine soziale Frage, sondern auch eine Frage der
Zukunftsfähigkeit unserer traditionellen Wirtschaft, der
so genannten Old Economy.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Alle Menschen sollen einen gleichberechtigten und

freien Zugang zu qualitativ hochwertigen Informationen




Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn)

14830


(C)



(D)



(A)



(B)


haben. Deshalb begrüßen wir auch ausdrücklich das
10-Punkte-Programm der Bundesregierung „Internet für
alle“, das bereits am 18. September 2000 vorgelegt wurde.
Die Fortentwicklung der Rahmenbedingungen für elek-
tronische Signaturen ist dabei nur eine von vielen na-
tionalen und internationalen Maßnahmen der Bundesre-
gierung zur Verbesserung der Sicherheit im Internet.
Dies ist auch besonders wichtig, wenn man bedenkt, dass
die Internetnutzung in Deutschland in allen Bevölke-
rungsgruppen und Bevölkerungsschichten in den letzten
zwei Jahren drastisch zugenommen hat.

Wie stark sie zugenommen hat, können Sie auch daran
erkennen, dass in unserem Antrag noch die alte Zahl von
34 Prozent enthalten ist, es heute aber bereits 40 Prozent
der Deutschen sind, die das Internet nutzen. Auch das ist
ein Grund zur Freude und macht deutlich, wie dynamisch
dieser Bereich ist. Deshalb verdient er es nicht, hier ka-
puttgeredet zu werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Internetwirtschaft kann bis zum Jahre 2010 einen
Nettoeffekt von 750 000 Arbeitsplätzen auf dem deut-
schen Arbeitsmarkt bewirken. Diese Chance unterstützt
die Bundesregierung mit ihren Maßnahmen.

Ganz im Mittelpunkt stehen dabei die kleinen und mitt-
leren Unternehmen. Das zeigt das Beispiel der Green
Card. Daran lässt sich deutlich machen, wie groß der
IT-Fachkräfte-Mangel im Bereich der kleinen und mittle-
ren Unternehmen geworden ist. 64 Prozent beträgt der
Anteil der ausländischen Fachkräfte an den IT-Spezia-
listen in den kleinen und mittleren Unternehmen Deutsch-
lands. Dass dieser Mangel durch ausländische Fachkräfte
ausgeglichen werden kann, wird durch die Green Card
ermöglicht. Das macht deutlich, wie überfällig die Initia-
tive der Bundesregierung war und wie groß Ihre Ver-
säumnisse in den letzten Jahren gewesen sind.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wer hat denn die Universitätszweige geschlossen?)


Bemerkenswert finde ich an dieser Stelle, dass Baden-
Württemberg den dritthöchsten Anteil an ausländischen
IT-Spezialisten, die die Green Card nutzen, aufweist, ob-
wohl sich damals ausgerechnet der baden-württem-
bergische Ministerpräsident vehement gegen die Ein-
führung der Green Card ausgesprochen hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Das macht die Not deutlich!)


Das macht deutlich: Wären wir Teufel bzw. der CDU ge-
folgt, wäre Deutschland der Verlierer gewesen. Deshalb
können wir die Initiativen der Bundesregierung nur be-
grüßen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Vergessen wird auch gerne, dass die Green Card zu-
gleich eine Ausbildungskomponente beinhaltet.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415202500
Kollege Lange, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schwarz-
Schilling?


Christian Lange (SPD):
Rede ID: ID1415202600
Nein, ich
möchte zum Schluss kommen.


(Lachen bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter])

Economy der CDU!)

Bereits bis Ende 2000 wurden in den neu geschaffenen
Multimediaberufen 40 000 Ausbildungsplätze geschaf-
fen. In 2001 werden es dann 60 000 sein. Das heißt, wir
verbinden die Green-Card-Initiative damit, eigene Nach-
wuchskräfte zu qualifizieren. Die Zahl, die der Kollege
Tauss in diesem Zusammenhang genannt hat, nämlich die
Tatsache, dass wir eine viertel Milliarde DM in die Infra-
struktur der Berufsschulen in Deutschland investieren,
macht deutlich, dass wir dafür sorgen, dass endlich auch
etwas im Bereich der gewerblichen und kaufmännischen
Berufe getan wird und Ihre Versäumnisse ausgeräumt
werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Durch die Bereitstellung von Risikokapital konnten
darüber hinaus viele junge Firmen aufgebaut werden und
konnte der sich parallel etablierende Neue Markt an Dy-
namik gewinnen. Mit der Steuerfreistellung von Beteili-
gungsveräußerungen haben wir ebenfalls der Belebung
des Risikokapitalmarktes wichtige Impulse verleihen
können. Der Bereich des E-Commerce – das ist die Ab-
wicklung von Geschäftsprozessen über das Internet – ver-
zeichnet ebenfalls Wachstumsraten von 100 Prozent pro
Jahr.

All dies macht deutlich, dass wir auf einem guten Weg
sind. Ich kann der Bundesregierung und dem Bundes-
wirtschaftsminister nur viel Erfolg dabei wünschen, wenn
sie diesen Weg weiterverfolgen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415202700
Das Wort zu einer
Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Schwarz-
Schilling.


Dr. Christian Schwarz-Schilling (CDU):
Rede ID: ID1415202800
Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren der
Koalition! Ich bin ohne jede Voreingenommenheit zu die-
ser Debatte gekommen und muss nun feststellen, dass die
Koalitionsparteien tatsächlich der Meinung sind, dass sie
uns von der Dynamik derTelekommunikation überzeu-
gen müssten.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Gerade dieser Verein!)





Christian Lange (Backnang)


14831


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich möchte einmal fragen: Ist Ihnen eigentlich klar, wel-
che Position SPD und Grüne in den letzten 20 Jahren ver-
treten haben, in denen wir die Telekommunikation mit
aller Macht in diese Dynamik hineingebracht haben, da-
mit wir den Anschluss auf internationaler Ebene nicht ver-
hindern?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]: Ja, Kupferkabel!)


Wissen Sie, mit welchen Methoden, nämlich mit Angrif-
fen unter die Gürtellinie – so muss ich fast sagen –, der
Minister für Post und Telekommunikation in den letzten
20 Jahren, beginnend 1982, an der Breitbandverkabelung
gehindert werden sollte?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wissen Sie, dass wir damals die gesamte Technologie des
ISDN und die ersten Glasfasernetze trotz Ihrer entspre-
chenden Redebeiträge durchgesetzt haben?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wissen Sie, dass wir als erstes Land dieser Welt – in einer
Zeit, in der Sie das Wort „digital“ noch nicht einmal buch-
stabieren konnten –


(Widerspruch bei der SPD)

den gesamten Mobilfunk in ein digitales System umge-
wandelt und die Monopolisierung der Bundespost aufge-
hoben haben? Dies alles ist gegen Ihren Widerstand ge-
schehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Stimmt überhaupt nicht!)


Ich finde es ein bisschen tollkühn, wenn Sie jetzt mei-
nen, Sie seien die Lehrmeister der Dynamik im Bereich
der Telekommunikation. Ich muss Ihnen schon sagen: Vor
dem Hintergrund des von mir Dargestellten sollten Sie et-
was bescheidener sein. Sie sollten wissen, dass all die
Bahnen, auf denen Sie bzw. wir alle heute unsere Netze
betreiben können, und zwar Glasfaser, Mobilfunk, ISDN
und damit auch das Internet, gegen Ihren Widerstand von
uns ausgebaut worden sind. Seien Sie also ein wenig be-
scheidener bei der Erfolgsbilanz, die Sie hier ziehen wol-
len!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415202900
Kollege Lange, Sie
haben Gelegenheit zur Antwort.


Christian Lange (SPD):
Rede ID: ID1415203000
Herr Präsident!
Herr Kollege Schwarz-Schilling, ich stelle erstens fest,
dass es in Ihrer Fraktion einen interessanten Generatio-
nenschnitt gibt: Riesenhuber und Schwarz-Schilling wer-
fen den Blick zurück. Nur die Frage ist: Wer blickt ei-
gentlich nach vorn?


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Sie haben der Frau Krogmann nicht zugehört!)


Das ist die Frage, die ich gestellt habe. – Nichts als blanke
Polemik!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aber ich gestehe Ihnen zu: Das Internet haben weder
wir noch Sie erfunden. Insofern will ich die Brücke gerne
bauen. Aber es gehört auch zur Wahrheit, dass für die Li-
beralisierung des Telekommunikationsmarktes eine
Zweidrittelmehrheit im Deutschen Bundestag notwendig
war. Schauen Sie einmal nach, wer zugestimmt hat. – Dies
zum Thema, wer schuld ist und wer nicht schuld ist.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Interessant ist, wer dagegen gestimmt hat! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Schröder und Eichel waren dagegen!)


Zweite Bemerkung. Auch was die Universaldienst-
leister anbelangt, sind Fragen wie Breitbandigkeit und
Kupferdraht erwähnt worden. Manche haben Fehler ge-
macht, manche haben auch neue Erkenntnisse gewonnen.
Das wollen wir gerne eingestehen.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Für mich ist aber die Frage: Wer steht eigentlich bei Ihnen
für die Zukunft? Offensichtlich nur die Minister außer
Diensten, aber nicht die junge Generation in der CDU.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ignorant!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415203100
Ich schließe die Aus-
sprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vor-
lage auf Drucksache 14/5246 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist
die Überweisung so beschlossen.

Wir stimmen nun über den von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über Rahmenbe-
dingungen für elektronische Signaturen und zur Ände-
rung weiterer Vorschriften – Drucksachen 14/4662 und
5324 – ab. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Stimmenthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen von SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grü-
nen bei Stimmenthaltung der PDS und Nichtabgabe der
Stimmen bei der F.D.P. angenommen.


(Widerspruch bei der F.D.P.)

– Ich habe genau hingeguckt. Sie konnten sich nicht ent-
schließen. Jetzt gibt es für Sie ja noch eine Chance, näm-
lich die

dritte Beratung
und Schlussabstimmung.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des




Dr. Christian Schwarz-Schilling
14832


(C)



(D)



(A)



(B)


Hauses bei Stimmenthaltung der PDS-Fraktion angenom-
men.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der
Fraktion der PDS mit dem Titel „E-Europe: die europä-
ische Informationsgesellschaft sozial und demokratisch
gestalten“ auf Drucksache 14/4486. Der Ausschuss emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3623 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der
PDS-Fraktion angenommen.

Ich rufe die Punkte 4 a und 4 b der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-


(14. Ausschuss)

Thomae, Detlef Parr, Dr. Irmgard Schwaetzer, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Abschaffung derArznei- und Heilmittelbudgets
– Drucksachen 14/3299, 14/5319 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Wolf Bauer

b) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ab-
schaffung der Budgets in der gesetzlichen Kran-
kenversicherung (GKV-Budgetaufhebungsgesetz)

– Drucksache 14/5225 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen, wobei die
F.D.P. zwölf Minuten Redezeit erhalten soll. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Dieter Thomae, F.D.P.-Fraktion, das Wort.


Dr. Dieter Thomae (FDP):
Rede ID: ID1415203200
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Ihnen, Frau Ministerin,
wünsche ich viel Glück und viel Freude. Ich denke, Sie
können das wirklich brauchen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Denn das deutsche Gesundheitswesen steckt in einer
Sackgasse.

Missgunst, Misstrauen, Reglementierung und Budge-
tierung prägen das deutsche Gesundheitswesen. Sie, Frau
Ministerin, haben selber gesagt: Wir müssen wieder Ver-
trauen schaffen. In der Tat: Grüne und Rote haben in der
Vergangenheit das Vertrauen der Patienten, aber auch aller
anderen in diesem System massiv zerstört.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist ja merkwürdig! Wer war denn vor zwei Jahren noch Gesundheitsminister?)


Dies ist ein ehrliches Eingeständnis der Ministerin, denn
sie hat erkannt: Diese Gesundheitspolitik von Rot-Grün
ist gescheitert.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unsinn! Das hat sie nie gesagt!)


Wir stehen in der Tat vor einer entscheidenden Wegga-
belung. Wenn wir nämlich mit diesen Instrumenten so
weitermachen, wird der Dirigismus im Gesundheitswesen
weiter zunehmen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die ideologischen Folterwerkzeuge von Rot-Grün wie
Arznei- und Heilmittelbudget, Budgetierung der ärztli-
chen Leistungen und der zahnärztlichen Leistungen, die
Positivliste, das Sachleistungssystem passen nicht in die-
ses Gesundheitssystem, zumal unser Gesundheitswesen
ein großer Wachstumsmarkt sein könnte. Aber diese große
Chance wird mit dieser Politik nicht genutzt.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heute sprechen wir zunächst über unseren Antrag, also
über das Thema Budgetierung, und über den Gesetzent-
wurf der CDU/CSU, also auch über Budgetierung im ärzt-
lichen und zahnärztlichen Bereich. Die Ministerin hat in
der vergangenen Woche gerade zur Thematik Arznei-
und Heilmittelbudget verkündet, dass die Kollektivhaf-
tung auf jeden Fall verschwinden muss. Eine gute Ent-
scheidung! Denn Kollektivhaftung bedeutet Sippenhaft
für alle Ärzte. Dies kann keine vernünftige Politik sein.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters)

Die Kollektivhaftung zeigt eine verachtende Grundhal-
tung gegenüber allen Leistungserbringern, aber vor allem
auch gegenüber den Patienten;


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: So ist es!)


denn sie sind die von dem Arznei- und Heilmittelbudget
entscheidend Betroffenen.

Es gibt mittlerweile viele Fälle, in denen chronisch
Kranke nicht mehr vernünftig therapiert werden können,
weil das Arznei- und Heilmittelbudget zu eng begrenzt ist,
es also nicht zu einer modernen Therapie passt.
Ich könnte Ihnen eine Reihe von Fällen aufzeigen, in de-
nen Patienten massiv getroffen werden. Beispielsweise
Schlaganfallpatienten werden zwar sofort behandelt, aber
anschließend gibt es nicht die notwendige Behandlung im
Rahmen der Logopädie. Ist das sinnvoll, Frau Ministerin?
Daher ist es viel zu wenig, nur zu sagen, dass die Kollek-
tivhaftung verschwinden muss. Übrigens würde Ihnen das
Verfassungsgericht bei einer solchen Entscheidung auch
in die Parade fahren.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nicht nur da!)





Präsident Wolfgang Thierse

14833


(C)



(D)



(A)



(B)


Nein, wir müssen das Arznei- und Heilmittelbudget ab-
schaffen. Das muss hier auf den Weg gebracht werden.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir müssen nach den Vorschlägen der alten Koalition

– wir haben das schon immer gesagt – vernünftige Richt-
größen entwickeln, die die moderne Therapie und unter-
schiedliche Arztgruppen berücksichtigen. Meine Damen
und Herren von der Regierungskoalition, wenn Sie von
großen Leitlinien sprechen, die in der Medizin eingeführt
werden sollen, dann glauben Sie bitte nicht, dass alles viel
billiger würde. Nehmen Sie nur einmal das Beispiel des
Diabetes. Wenn man Ihre Vorstellungen über diese Leitli-
nien umsetzen würde, würde die Behandlung in diesem
Bereich erheblich teurer werden. Sie dürfen also nicht Sa-
chen versprechen, die Sie letztlich nie halten können. Das
ist die Gefahr in Ihrer Gesundheitspolitik.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nicht nur in der Gesundheitspolitik! Durchgehend!)


Meine Damen und Herren, aber nicht nur das Arznei-
und Heilmittelbudget muss verschwinden, sondern die
Budgetierung in allen Bereichen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Es ist völlig schizophren, zu glauben, dass die Budgetie-
rung ein geeignetes Instrument sei. Schauen Sie sich die
Situation an! Budgetierung zerstört die Freiberuflichkeit
in unserem Gesundheitswesen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist der entscheidende Knackpunkt. Schauen Sie in die
Länder, in denen mit solchen Instrumenten gearbeitet
wurde! Wir kennen eine Reihe von Ländern, in denen mit
den gleichen Instrumenten gearbeitet wird, wie Sie es ma-
chen.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Wo denn?)

Dort ist die Freiberuflichkeit zerstört worden und das Ge-
sundheitswesen ist erheblich teurer geworden, weil näm-
lich die Leistungen in das Krankenhaus verlagert wurden.

Meine Damen und Herren, weil die Zeit nicht reicht,
will ich gar nicht von all den Problemen reden, die die
Budgetierung für die Freiberufler und die neuen Bundes-
länder mit sich bringt. Sprechen Sie dort mit den Ärzten!
Sprechen Sie darüber, wie der Tagesablauf aussieht und
wie die Leistungen honoriert werden. Wir müssen zu
festen Regelleistungsvolumina mit festen Preisen kom-
men. Dazu gibt es keine Alternativen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ähnlich sehe ich die Situation in den Krankenhäu-
sern. DRGs sind eine gute Vorstellung. Darüber kann
man reden. Aber wenn die DRGs mit einem Budget prak-
tiziert werden sollen, können Sie den ganzen Aufwand
lassen. Es gibt nur eins: Wenn Sie das Gesundheitswesen
für wettbewerbliche Strukturen auch im Krankenhaus öff-
nen wollen, dann müssen Sie DRGs einführen, aber die

Budgetierung beseitigen. Andere Alternativen gibt es
nicht.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben gestern Vorabmeldungen bekommen und
heute den „Stern“ lesen können. Wir waren natürlich
überrascht, dass der Bundeskanzler in eine Richtung mar-
schiert, die wir schon seit vielen Jahren vorgeben.


(Horst Seehofer [CDU/CSU]: Erfreut waren wir! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Da kamen uns die Tränen!)


Das sind Gedanken und Ideen, die wir seit Jahren vertre-
ten haben und die von Ihnen massiv bekämpft wurden,


(Widerspruch bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nach wie vor!)


und zwar von Ihnen allen.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es gibt natürlich auch in Ihren Reihen einige Kollegen,
die die Köpfe etwas herausstrecken und neue Vorschläge
machen. Aber bisher wurden sie rasiert.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Bei uns wird nicht rasiert!)


Jetzt aber stützt der Bundeskanzler diese Leute. Sie, Frau
Ministerin, haben jetzt die große Chance, eine vernünftige
Gesundheitspolitik auf den Weg zu bringen.

Diese kann nur lauten: erstens vernünftige medizini-
sche Versorgung, zweitens Definition von Kern- und
Wahlleistungen, drittens Zusatzmöglichkeiten bei Wahl-
leistungen und viertens Erweiterung der Vertrags-
gestaltungsmöglichkeiten. Darüber hinaus müssen Sie
auch im ärztlichen Bereich mit festen Regelleistungsvo-
lumina arbeiten, also zu einer festen Honorierung kom-
men.

Auch im Hinblick auf Europa gibt es keine Alternative.
Sie müssen in Deutschland das Sachleistungssystem än-
dern. Sie müssen zur Kostenerstattung kommen.

Es gäbe noch viele Punkte, die ich ansprechen könnte.
Leider reicht die Zeit nicht.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Die Zeit war schon zu lang!)


Die entscheidenden Punkte habe ich genannt. Frau Mi-
nisterin, Sie haben eine Chance. Nutzen Sie sie!


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415203300
Ich gebe das
Wort der Bundesministerin für Gesundheit, der Kollegin
Ulla Schmidt.


(von der SPD mit Beifall begrüßt)

leginnen und Kollegen! Herr Thomae, es ist schlecht, in
eine Debatte einzusteigen, wenn man davon ausgeht, dass
es keine Alternativen gibt. Ich verstehe die heutige




Dr. Dieter Thomae
14834


(C)



(D)



(A)



(B)


Debatte so, dass wir beginnen, über Alternativen zu dis-
kutieren und sie auszuloten. Ich will mir jetzt am Anfang
ersparen, auf die Historie der Budgets und auf die Frage
einzugehen, wann das Vertrauen in dieses Gesundheits-
system zerstört worden ist. Das ist eine Geschichte, die
weiter zurückliegt.

Ich setze mit der heutigen Debatte darauf, dass wir wie-
der an eine Politik anknüpfen, die über Jahre hinweg ge-
meinsam von allen Fraktionen dieses Bundestages davon
geprägt wurde: Wir wollen ein Gesundheitssystem in
Deutschland, das hohe Qualität bei bezahlbaren Preisen
bietet.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist das, was wir gemeinsam durchsetzen müssen.
Wenn ich von Vertrauen spreche, bin ich mir darüber

klar, dass Menschen, die krank sind oder befürchten,
krank zu werden, zunächst einmal verunsichert sind und
zu einem Arzt oder zur stationären Behandlung gehen. Sie
wissen nicht, was auf sie zukommt. Manchmal ahnen sie
es nur. Sicher hat sich jeder von Ihnen schon gefragt, auch
wenn er nicht selber, sondern ein Angehöriger krank war:
Wird denn auch wirklich alles Erdenkliche getan? Weil es
eine so große Verunsicherung bei den Kranken und ihren
Angehörigen, die mit ihnen zusammenleben oder sie pfle-
gen, gibt, brauchen die Menschen vor allem eins: Sie
brauchen die Sicherheit,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nicht jeden Tag neue Vorschläge, die dann wieder zurückgenommen werden!)


dass ihnen ein Gesundheitssystem zur Verfügung steht,
das ihre persönlichen Bedürfnisse berücksichtigt und das
auch in Zukunft leistungsfähig ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn mich jemand fragt, wie ich mir denn ein solida-

risches Gesundheitswesen in Deutschland vorstelle, dann
ist für mich eines klar: In einem solidarischen Gesund-
heitswesen


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Hat die Budgetierung nichts verloren!)


darf niemand auf den Gedanken kommen: Wenn ich nur
mehr Geld hätte, dann würde ich besser behandelt. Das ist
eine Maxime, von der wir ausgehen müssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Dann dürfen Sie nicht das Gegenteil tun!)


Dabei gelten für uns in der Regierung und auch in der
rot-grünen Koalition folgende Prinzipien: Die Qualität
der Leistungen muss gesichert, ständig angepasst und,
wenn nötig, ausgebaut werden. Die solidarische Finan-
zierung muss auch in Zukunft genauso erhalten werden
wie die wirtschaftliche Stabilität der gesetzlichen Kran-
kenversicherungen, die die Versorgung in der Breite in
diesem Land sicherstellen.


(Beifall bei der SPD – Irmgard Karwatzki [CDU/CSU]: Na, dann sagen Sie mal, wie Sie das machen wollen!)


Das schließt Gedanken oder das Nachdenken über neue
Wege nicht aus, sondern – das sage ich ausdrücklich – es
schließt diese Gedanken ein.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Werden Sie mal konkret!)


Wenn wir einmal von dem, was wir in Deutschland
vorfinden, ausgehen, dann haben wir im internationalen
Vergleich immer noch ein Defizit im Bereich der Präven-
tion und der Gesundheitsförderung. Die Gesundheitspoli-
tik der Regierungskoalition hat deshalb zu Recht seit Be-
ginn der Legislaturperiode hier klare Akzente gesetzt und
sie hat mit dem Gesundheitsreformgesetz 2000 struktu-
relle Veränderungen zur Verbesserung der Qualität und
der Leistungen des Gesundheitswesens auf den Weg ge-
bracht. Es wäre besser gewesen, wenn wir dies damals im
Dialog gemeinsam gemacht hätten und der Bundesrat
nicht blockiert hätte.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christa Nickels [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir wollen diesen Weg fortsetzen.

(Detlef Parr [F.D.P.]: Wie wollen Sie das fort setzen?)

Wir wollen auch in Zukunft das solidarisch finanzierte
System der Krankenversicherung, in das Arbeitgeber,
aber auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Beiträge
einzahlen,


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Ändern!)

stärken und wir wollen es sichern.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Da hätten Sie auch Frau Fischer dran lassen können!)


Dabei ist uns klar – und müsste auch Ihnen klar sein –:
Die Bereitschaft zu finanziellem Engagement wird es auf
Dauer nur dann geben, wenn die Versicherten voll und
ganz hinter dem System stehen. Dies tun sie umso über-
zeugter, je genauer sie wissen, was mit ihrem Geld pas-
siert, wenn sie wissen, dass wir verantwortungsvoll mit
ihrem Geld umgehen und dabei versuchen, hohe Leistun-
gen zu sichern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Dann müssen Sie die Kostenerstattung einführen!)


Mancher hat sich ja schon gewundert, warum ich nach
vier Wochen im Amt immer noch lache,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Weil Sie noch nicht im Ausschuss waren!)


Es ist natürlich klar: Auch ich erlebe das Gesundheitswe-
sen als ein Politikfeld, das stark oder überwiegend von
Einzelinteressen geprägt ist. Aber es liegt vielleicht in
meiner Natur.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Mit Sicherheit!)





Bundesministerin Ulla Schmidt

14835


(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn wir eine neue Qualität erreichen wollen, dann brau-
chen wir auch gegenseitiges Verständnis für die Positio-
nen der verschiedenen Beteiligten im Gesundheitswesen
und eine gemeinsame Verpflichtung auf konkrete Pro-
jekte, die wir umsetzen wollen.

Deshalb setze ich auf die Zusammenarbeit; ich setze
auf eine neue Kultur des Dialogs aller im Gesundheits-
wesen Beteiligten. Aber ich setze auch auf eine gemein-
same Arbeit aller hier im Parlament vertretenen Fraktio-
nen, weil ich glaube, dass das der einzige Weg ist, um
wirklich zu gemeinsamen Lösungen und zu einer Verbes-
serung im Gesundheitswesen zu kommen. Ich sage ganz
klar: Unter Dialog verstehe ich nicht den Austausch alt-
bekannter Positionen, sondern eine ernsthafte Diskussion
um Schwerpunkte, um gemeinsame Strategien, um Ziele
und um Instrumente.

Ich bin überzeugt davon, dass sich zielkonformes Han-
deln eher durch positive Anreize als durch Sanktionen er-
reichen lässt. Vielleicht ist diese Überzeugung meiner
Tätigkeit als Sonderpädagogin geschuldet. Positive An-
reize motivieren, setzen Ressourcen frei und steigern die
Qualität. Sanktionen dagegen können immer nur das al-
lerletzte Mittel sein, wenn nichts mehr geht. In diesem
Sinne, Herr Kollege Thomae, waren und sind für diese
Bundesregierung und für die Koalitionsfraktionen sekto-
rale Budgets nur Übergangslösungen,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wie die Regierung!)


die durch neue, positiv steuernde Instrumente ersetzt wer-
den müssen. Davon bin ich überzeugt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Allerdings – damit nicht wieder so viele Erwartungen
geweckt werden, die nicht erfüllt werden können – muss
bei der Einführung neuer Instrumente eines sichergestellt
werden: Reformen dürfen nicht nur darin bestehen, immer
mehr Geld ins System zu stecken, indem die Beiträge er-
höht werden. Es muss vielmehr sichergestellt werden,
dass mit dem Geld der Versicherten verantwortungsbe-
wusst umgegangen wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Ohne Mehrkosten?)


– Ich spreche von dem solidarisch finanzierten Gesund-
heitssystem.

Jetzt komme ich zu dem Punkt, den auch der Kollege
Thomae angesprochen hat. Ich bin davon überzeugt, das
vor allen Dingen bei der Kollektivhaftung bezüglich des
Arzneimittelbudgets negative Wirkungen und fehlendes
Zielerreichen auf der Hand liegen. Ich kann lebhaft nach-
vollziehen, dass eine drohende Mithaftung von Ärztinnen
und Ärzten, die selber entweder gar keine oder wirtschaft-
lich verantwortungsbewusst Arzneimittel verschreiben,
kaum zu vermitteln ist. Ich habe Verständnis für negative
psychologische Wirkungen, bei denen sich Ärztinnen und
Ärzte stets fremdbestimmt fühlen und sich fragen: Warum
eigentlich muss ich für die Kolleginnen und Kollegen ge-

radestehen, die nicht wirtschaftlich und sparsam verord-
nen?


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sie müssen auf die linke Seite des Hauses schauen!)


– Die Kollektivhaftung war keine Erfindung dieser Re-
gierungskoalition. Ich bin nun schon länger im Parlament
und weiß, dass es eine Erfindung meines sehr geschätzten
Kollegen Seehofer, also einer meiner Vorgänger, war.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wir haben sie abgeschafft! – Klaus Kirschner [SPD]: Ihr habt sie eingeführt!)


– Er hat leider keine Mehrheit mehr.
Ich habe in den letzten Tagen den Eindruck gewonnen,

dass verantwortlich denkende Leistungserbringer im Ge-
sundheitswesen für neue Wege offen sind. Ich treffe auf
viele, die bereit sind, neben der therapeutischen Verant-
wortung auch die Verantwortung für die finanzielle Seite
des Gesundheitssystems zu übernehmen. Wenn wir ehr-
lich sind, müssen wir sagen: Es geht auch nicht anders, als
dass wir uns gemeinsam in die Pflicht nehmen. Bei der
Schlüsselstellung, die die Ärztinnen und Ärzte in unserem
Gesundheitssystem haben, können wir sie aus der Fi-
nanzverantwortung nicht entlassen.

Ich bin zusammen mit der Regierungskoalition bereit,
die Ärzteschaft beim Wort zu nehmen und ihnen die
Chance zu verantwortlichem Handeln zu eröffnen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Dann müssen Sie aber in Ihrer Fraktion noch viel Überzeugungsarbeit leisten!)


Dabei bin ich offen für jede neue Idee, für alle Vorschläge
und Konzepte, die einer Prüfung standhalten.


(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Thomae, ich bin Gesundheitsministerin

und nicht die Chefredakteurin des „Stern“.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das kann noch kommen! Herr Naumann hat auch so angefangen!)


Deshalb muss ich an dieser Stelle einmal sagen: Nicht alle
Vorschläge, die zurzeit publiziert werden, halten einer
Überprüfung stand. Ich kann nur denjenigen in der schrei-
benden Zunft, die nicht müde werden, immer wieder neue
Vorschläge zur Belastung ausschließlich der Patienten zu
entwickeln, sagen:


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sind das Nebelkerzen aus dem Kanzleramt? – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Von wem kommen denn die Informationen? Nicht von uns!)


Seien Sie vorsichtig! Auch Sie könnten in diesem Land
einmal Patient werden!


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Aber keine Drohungen! – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sind das Nebelkerzen aus dem Kanzleramt?)





Bundesministerin Ulla Schmidt
14836


(C)



(D)



(A)



(B)


– Nein, aus dem Kanzleramt kommt nur der Sonnen-
schein, von dort kommen keine Nebelkerzen. Das wissen
Sie doch.


(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nur wenn man bereit

ist, aus den Fehlern der vergangenen Jahre zu lernen, wird
man in der Lage sein, die großen Kapazitäten und die
überragenden Kompetenzen des deutschen Gesundheits-
wesens zusammenzuführen. Niemand von uns sollte
Angst davor haben, dabei klüger zu werden. Ich jedenfalls
habe diese Angst nicht. Dabei geht es nicht nur um Ein-
zelmaßnahmen, sondern wir brauchen ein Gesamtkon-
zept.

Zu Ihren Initiativen muss ich sagen: Der vorliegende
Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion und der Antrag
der F.D.P. beschäftigen sich leider nur mit bestimmten
Ausschnitten der Arzneimittelversorgung


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Aber wichtigen!)

und der Honorarsituation der Ärztinnen und Ärzte. Liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, wer Sank-
tionen – vielleicht zu Recht – aufheben will, weil ihre
Wirkungen verpufft sind, muss klare Alternativen anbie-
ten.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Haben wir! – Klaus Kirschner [SPD]: Genau so ist es!)


Daran werden wir arbeiten. Ich lade Sie ein, das mit uns
gemeinsam zu tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ihr müsst den Gesetzentwurf wenigstens lesen!)


– Ich habe ihn gelesen, im Lesen war ich immer gut.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Aber mit dem Verstehen hat es anscheinend nicht geklappt!)


– Hören Sie mir jetzt zu! Dann erfahren Sie, worüber wir
reden können.

Für mich muss ein tragfähiger Lösungsansatz Folgen-
des voraussetzen: Erstens. Wir brauchen eine differen-
zierte Betrachtung der einzelnen ärztlichen Fachrichtun-
gen ebenso wie eine differenzierte Beurteilung der
Notwendigkeiten und Besonderheiten bei der Pharmako-
therapie, und zwar wirklich bezogen auf die einzelnen
Morbiditätsindikatoren in jeder Praxis und orientiert an
dem, was therapeutisch notwendig ist.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Hört sich gut an!)

Zweitens. Wir brauchen qualitätsgesicherte Systeme

für die Leistungserbringung und die Arzneimittelverord-
nung, wenn die Wirtschaftlichkeit sichergestellt sein soll.


(Detlef Parr [F.D.P.]: Das ist wie aus dem Lehrbuch im Hörsaal!)


– Das wird zusammen mit den Ärzten ausgearbeitet.
Darin sind diese weiter als Sie, Herr Kollege Parr.

Drittens. Nur ein Transparenz garantierendes System
für die Ärztinnen und Ärzte, die Kassenärztlichen Verei-

nigungen in den einzelnen Versorgungsgebieten, aber
auch für die gesetzlichen Krankenkassen gewährleistet,
dass regulierend, unterstützend und steuernd eingegriffen
werden kann.

Viertens. Wir brauchen klar definierte Verantwortun-
gen auf der Basis der einzelnen Praxen, differenziert nach
Fachrichtungen.

Fünftens. Wir brauchen die Sicherstellung der Gesamt-
verantwortung der Kassenärztlichen Vereinigungen in
ihren Versorgungsregionen.

Sechstens. Kassenärztliche Vereinigungen und Kran-
kenversicherungen müssen gleichermaßen Information,
Beratung und Unterstützung der Ärztinnen und Ärzte ge-
währleisten.

Siebtens. Wir müssen unmissverständliche Schwellen-
werte definieren, bei denen eingegriffen werden muss:
durch Beratung, durch Mahnung und durch Formen der
Intervention – das müssen wir erarbeiten –, die einen Aus-
gleichsmechanismus auf der Zeitachse vorsehen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das haben wir alles schon 1998 gemacht! Alte Kamellen!)


– Das haben Sie heute leider nicht eingebracht.
Achtens. Am Ende steht die Eigenverantwortung der

Ärztinnen und Ärzte, aus der wir sie nicht entlassen kön-
nen. Das kann die Politik nicht gewährleisten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In einem Punkt haben Sie Recht, Herr Kollege
Thomae: Es geht nicht um Einzelinstrumente. Bei einem
Orchester wäre es sehr schlecht, wenn man sich auf ein-
zelne Instrumente konzentrierte. Es funktioniert nur
dann, wenn alle Einzelinstrumente verbunden werden,
um zu einer stimmigen Melodie zu gelangen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Der Kammerton muss stimmen!)


Für das, was wir noch leisten müssen, brauchen wir
zwei Dinge: Erstens. Wir brauchen kurzfristig greifende
Maßnahmen. Zweitens. Wir brauchen eine Diskussion
über die notwendigen langfristigen Veränderungen des
Gesundheitssystems in Deutschland.

Ich nenne Ihnen jetzt meine wichtigsten Projekte für
dieses Jahr. Wir werden die Festbetragsregelung im Arz-
neimittelbereich auf eine rechtlich sichere Grundlage stel-
len.


(Zuruf von der CDU/CSU: Darauf warten wir seit Jahren! – Gegenruf von der SPD: Seit zwei Jahren!)


Wir können auch in Zukunft – das sage auch ich ange-
sichts dessen, worüber wir diskutieren – nicht auf die Aus-
schöpfung von Reserven bei der Arzneimittelversorgung
verzichten. Entsprechende Regelungen finden sich übri-
gens in allen europäischen Ländern. Wir prüfen, inwie-
weit Festbetragsregelungen im Einzelnen notwendig sind
oder ob sie durch Alternativen abgelöst werden
können. Wir planen zunächst eine Übergangslösung, die




Bundesministerin Ulla Schmidt

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kurzfristig umgesetzt werden kann. Zur konkreten Ausge-
staltung werden noch heute die ersten Gespräche mit
Mitgliedern der Fraktionen des Deutschen Bundestages,
mit den gesetzlichen Krankenkassen und den Vertretern
der pharmazeutischen Industrie geführt werden.

Mein Haus wird eine Alternative zum Kollektivre-
gress beim Arzneimittelbudget entwickeln, da der Kol-
lektivregress nicht wirksam geworden ist. Es ist vielleicht
meinem viel beschriebenen Pragmatismus zu schulden:
Ich bin der Meinung, von unwirksamen Instrumenten
sollte man Abschied nehmen, besonders wenn sie unpro-
duktive Diskussionen auslösen. Außerdem gilt: Im Be-
reich der Arzneimittel steht auch die Positivliste unter
dem Stichwort von Transparenz und Wirtschaftlichkeit
auf der Agenda. Wir werden nach Lösungen suchen, um
hier weiterzukommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ein nächster wichtiger Bereich: Die Einführung wett-

bewerblicher Instrumente in der Versorgung war und ist
der richtige Weg. Unser Ziel ist es, den Leistungswettbe-
werb der Krankenkassen zu fördern. Aber Wettbewerb
bedeutet einen Wettbewerb um die bessere Behandlung
von Kranken. Er bedeutet keine Konkurrenz der Kassen
um Gesunde.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das stellt die Versorgungskassen langfristig infrage.
Deshalb müssen wir den Risikostrukturausgleich

reformieren. Wie Sie wissen, hat das Bundesge-
sundheitsministerium zu dieser Frage ein Gutachten in
Auftrag gegeben, dessen endgültiger Bericht uns in die-
sen Tagen vorgelegt wird. Wir werden dieses Gutachten,
aber auch andere Konzepte, die mittlerweile entwickelt
wurden, sorgfältig und umgehend auswerten. Danach
werde ich dem Parlament und den Beteiligten einen Weg
vorschlagen, wie der Risikostrukturausgleich vor dem
Hintergrund der bisher gesammelten Erfahrungen und zur
Verhinderung von Fehlanreizen weiterentwickelt werden
kann. Wir müssen – darauf kommt es mir an – einen Aus-
gleich für die strukturellen Faktoren schaffen, die von den
einzelnen Kassen nicht zu verantworten sind. Wir wollen
jedoch nicht den Wettbewerb zwischen den Kassen
einschränken.

Einen weiteren wichtigen Schritt hin zu mehr Vertei-
lungsgerechtigkeit bei den Arzthonoraren in Ost und West
bildet ein Vorschlag der Koalitionsfraktionen für eine ge-
setzliche Regelung beim Fremdkassenausgleich, der mit
meinem Hause abgestimmt wurde. Es kann nicht sein,
dass die von Arbeitgebern und den Beschäftigten in ihren
Arbeits- und Wohnorten eingezahlten Beiträge am Sitz ei-
ner Betriebskrankenkasse verbleiben. Die Mittel müssen
dorthin fließen, wo die Menschen zu ihren Ärztinnen und
Ärzten gehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)


Das Geld hat der Leistung zu folgen und ich glaube, dass
das Wohnortprinzip hierfür ein richtiger Ansatz ist.

Herr Kollege Thomae, auch im Krankenhausbereich
stehen Veränderungen an. Wir können nicht immer so tun,
als könne man alles verändern, ohne an die Wirtschaft-
lichkeitsreserven in den einzelnen Bereichen des Gesund-
heitswesens heranzugehen. Deshalb steht die Umsetzung
eines neuen Entgeltsystems auf der Tagesordnung. Mit
der Einführung der diagnosebezogenen Fallpauschalen
schaffen wir positive Anreize. Es darf nicht länger um die
Erstattung von Kosten, sondern es muss im Gesundheits-
wesen insgesamt um die Bezahlung von Leistungen ge-
hen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)


Unser Ziel dabei ist mehr Leistungsgerechtigkeit, verbun-
den mit höherer Qualität. Viele Krankenhäuser leisten
dies bereits und das ist nicht nur aus wirtschaftlichen Ge-
sichtspunkten erstrebenswert.

Ich weiß, dass wir einen ehrgeizigen Zeitplan haben. Er
stellt an die Selbstverwaltung hohe Anforderungen. Es
sind aber schon wichtige Entscheidungen gefallen, sodass
ich optimistisch bin, den Zeitplan einhalten zu können.
Ich kann Sie alle nur darum bitten, daran mitzuwirken, so-
dass wir den Zeitplan einhalten können. Alles, wodurch
uns Zeit verloren geht, verhindert, dass wir zu vernünfti-
gen Lösungen – auch in anderen Bereichen – kommen.


(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen – auch das werden wir auf den Weg brin-

gen – Daten, die in einer Weise erfasst und verarbeitet
werden, dass sie für Steuerungszwecke im Gesundheits-
wesen geeignet sind. Die Daten müssen für alle hilfreich
sein, sodass wir die Pläne, die wir eben angesprochen ha-
ben – so wie es auch von Ihnen angemahnt wird –, um-
setzen können.

Ich glaube, die von mir geschilderten Maßnahmen sind
nur ein Ausschnitt von all dem, was wir im Moment ma-
chen können. Es sind aber wichtige Schritte hin zu einem
Gesundheitswesen, dem die Menschen auch in Zukunft
vertrauen können. Ich setze dabei auf einen ernsthaften
und konzentrierten Dialog aller Beteiligten am runden
Tisch. Ihre Vorschläge, meine Damen und Herren von
CDU/CSU und F.D.P., darf ich sicherlich als Beitrag zu
dieser Debatte sehen.

Ich wünsche mir, dass es uns gelingen wird, im Ge-
sundheitswesen und der Debatte dazu wieder zu dem
zurückzukehren, was jahrelang – wenn auch im vorigen
Jahrhundert; denn wir befinden uns jetzt an der Schwelle
zu einem neuen – in diesem Hause Tradition war: dass die
wichtigen, elementaren Interessen von Menschen in ei-
nem breiten gesellschaftlichen und parlamentarischen
Konsens Berücksichtigung finden. Das ist gut für unser
Gesundheitswesen. Ich biete Ihnen diesen Dialog an und
möchte ihn gemeinsam mit Ihnen führen. Sie sollten ihn
zusammen mit uns führen, damit es uns gelingt, die Ge-
sundheit der Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt
der Politik zu stellen. Ich setze dabei auf positive Anreize
und die überzeugende Kraft der Vernunft, die ich von Ih-
nen ja gewohnt bin,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)





Bundesministerin Ulla Schmidt
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wenn es gilt, mehr Qualität und Wirtschaftlichkeit zu rea-
lisieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Regierungskoali-
tion und die Bundesregierung stehen für eine Ge-
sundheitspolitik, in der nicht partielle Interessen Zielrich-
tung und Marschgeschwindigkeit angeben, sondern in der
allein das Wohl der Patientinnen und Patienten Maßstab
der Entscheidungen ist. Auch im Gesundheitswesen wird
die Solidarität erst durch die eigene Verantwortung er-
bracht und die eigene Leistungsfähigkeit erst durch die
Solidarität aller ermöglicht.

Ich lade Sie alle herzlich zu einem gemeinsamen Auf-
bruch ein. Die Menschen in unserem Lande wollen eine
Gesundheitspolitik, der sie vertrauen können und der sie
sich vor allen Dingen anvertrauen können. Machen Sie
mit! Wir sind dazu bereit und ich freue mich auf die wei-
teren Debatten mit Ihnen.

Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415203400
Das Wort
hat nun der Kollege Horst Seehofer für die Fraktion der
CDU/CSU.


Horst Seehofer (CSU):
Rede ID: ID1415203500
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Frau Schmidt, auch
ich möchte Ihnen zu Ihrer Ernennung zur Bundesministe-
rin für Gesundheit gratulieren. Ich kann Ihnen aus eigener
Erfahrung sagen, dass Ihnen ein sehr schöner, unterhalt-
samer Lebensabschnitt bevorsteht.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir wünschen Ihnen dabei so viel Erfolg, dass wir uns als
Opposition nicht darüber ärgern müssen. Sie werden viel
Mut und Geschicklichkeit benötigen, um dieses Amt aus-
zuüben.

Sie haben gerade viele Süßigkeiten verteilt. Gleich-
wohl: Als ich so manches Interview mit Ihnen aus den
letzten Tagen und Wochen nachgelesen habe, habe ich
festgestellt, dass Sie sich offensichtlich des Ernstes der
Lage durchaus bewusst sind. Allerdings können wir die
letzten zwei Jahre in der deutschen Gesundheitspolitik
nicht so ganz vergessen.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: So ist es!)

Liebe Frau Schmidt, Sie sind im Grunde genommen in

einer Zwickmühle. Ihre Vorgängerin, Frau Fischer,
musste auf Druck Ihrer Fraktion, der Fraktion der SPD,
die Budgetierung durchsetzen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So ist es!)

Derjenige, der diesen Druck ausgeübt hatte, ist heute Bot-
schafter. Er wusste, was kommt, und hat sich deshalb
rechtzeitig aus dem Gesundheitswesen verabschiedet.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Der Treppenwitz der Geschichte ist – wenn man dem, was
Sie in den Interviews gesagt haben, glauben darf –, dass
Sie jetzt die Budgetierung gegen den Widerstand der Grü-
nen wieder abschaffen wollen.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

An einer Tatsache kommen Sie von der Regierungskoali-
tion nicht vorbei, nämlich dass das deutsche Gesund-
heitswesen durch Ihre Regulierungswut in den letzten
zwei Jahren in eine Krise manövriert wurde.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Eine massive!)


Wer sich ein bisschen im Gesundheitswesen auskennt,
kommt an der Tatsache nicht vorbei, dass sich die Ver-
sorgung kranker Menschen zunehmend verschlechtert
hat,


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Erheblich!)

kommt an der Erkenntnis nicht vorbei, dass die Finanzie-
rung aus dem Ruder läuft – wir werden das in diesem und
im nächsten Jahr merken – und dass die Deutschen, die
mit ihrem Gesundheitswesen einstmals in der Spitzenpo-
sition waren, auf dem besten Weg hin zum Mittelmaß
sind.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es!)

Dieser Befund, den auch Sie offensichtlich gestellt ha-

ben, ist nicht so sehr und in erster Linie auf externe Fak-
toren zurückzuführen; vielmehr ist er zuallererst auf eine
völlig falsche Gesundheitspolitik in den letzten zwei Jah-
ren zurückzuführen. Die Gesundheitspolitik von Rot-
Grün hat die Probleme nicht gelöst, sondern die Probleme
im deutschen Gesundheitswesen erst geschaffen. Das ist
die Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Deshalb tragen Sie für diesen Befund auch die Verant-
wortung.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Das lässt sich besonders am Beispiel des Arzneimittel-

budgets deutlich machen, obwohl das auf alle anderen
Sektoren des deutschen Gesundheitswesens spiegelbild-
lich übertragen werden kann. Ich bestreite ja gar nicht,
Frau Schmidt, dass ein Budget für eine begrenzte Zeit ein-
mal Helfer in der Not sein kann. Ich bin übrigens immer
dankbar, wenn man uns das Patent für alles Mögliche zu-
misst. Aber zur ganzen Wahrheit gehört, dass wir die Bud-
getierung in Lahnstein 1992 gemeinsam vereinbart haben,


(Zuruf von der SPD: Das war doch nicht schlecht!)


und zwar unter der Prämisse – ich habe das nachgelesen;
es steht auch in der Begründung unseres Gesetzent-
wurfs –, dass Budgets für begrenzte Zeit Hilfe in der Not
sind. Wir haben dann die Budgets in unserer Regierungs-
zeit gegen Ihren erbitterten Widerstand wieder abge-
schafft, Herr Kirschner.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)





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Jetzt müssen wir feststellen, dass Sie mit den Budgets,
deren Einführung Sie in Ihr Wahlprogramm hineinge-
schrieben haben und die Sie zwei Jahre lang als großen so-
zialen Fortschritt gefeiert haben, eine grandiose Bruch-
landung gemacht haben. Das, was Sie in den letzten Tagen
gerade über die Budgets im Arzneimittelbereich gesagt
haben, gleicht einem gesundheitspolitischen Offen-
barungseid.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Bankrotterklärung!)


Mit einem Budget – ich erkläre das, damit es auch jeder
versteht – werden zwei Ziele verfolgt: Auf der einen Seite
soll es Wirtschaftlichkeit garantieren und dafür sorgen,
dass nur das medizinisch Notwendige verordnet wird. Auf
der anderen Seite soll es den kranken Menschen auch eine
umfassende, qualitativ hochwertige Versorgung garan-
tieren.

Heute muss man aber feststellen, dass bei Ihrer Dauer-
budgetierung beide Ziele – ich betone: beide – verfehlt
worden sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Betrachtet man die belastbaren Zahlen, so stellt man fest,
dass die Ausgaben im Arzneimittelbereich zwischen
1998 und 1999, also im ersten Jahr Ihrer Regierungsver-
antwortung, trotz Budgetierung von 34,7 Milliarden DM
auf 37,6 Milliarden DM, also um fast 3 Milliarden DM,
gestiegen sind. Die Zahlen für das Jahr 2000 liegen noch
nicht vor. Das Ziel, die Ausgaben im Gesundheitsbereich
zu begrenzen, ist glatt verfehlt worden. Sie sagen nun, den
Regress, der jetzt fällig wäre, würden Sie nicht vollziehen.
Dazu kann ich Ihnen nur gratulieren und ich werde dazu
noch etwas sagen.

Durch das Budget ist es zu der verhängnisvollen Ent-
wicklung gekommen, dass man zum einen die Ausgaben-
explosion im Arzneimittelbereich nicht in den Griff be-
kommen hat und dass es gleichzeitig eine nachweisliche
Verschlechterung bei der Versorgung kranker und älte-
rer Menschen gibt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Reden Sie einmal mit den Selbsthilfegruppen zu den
Krankheiten Krebs, Multiple Sklerose, Rheuma und an-
dere! Dort werden Sie erschütternde Beispiele hören.
10 bis 20 Prozent der chronisch kranken und der älteren
Menschen erhalten – Frau Schmidt, das wissen Sie – we-
gen der Budgetierung nicht mehr die Versorgung mit not-
wendigen Medikamenten. Das ist die Realität im deut-
schen Gesundheitswesen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das ist eine unwürdige und beschämende Situation:

Die kranken und älteren Menschen sind zu Bittstellern ge-
worden. Sie müssen Ärzte suchen, die bereit sind, sie
überhaupt zu behandeln. Wenn sie einen solchen Arzt ge-
funden haben, dann bekommen sie die Auskunft, dass er
wegen des Budgets die notwendigen Arzneimittel nicht
verordnen könne.


(Zuruf von der SPD: Das, was Sie sagen, ist eine Unverschämtheit!)


Ich sage es noch einmal: Das ist die Realität im deut-
schen Gesundheitswesen zu Beginn des 21. Jahrhunderts.


(Klaus Kirschner [SPD]: Quatsch!)

Das ist die Folge der Dauerbudgetierung. Es ist be-

schämend!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir haben im Moment eine Mehrklassenmedizin.

Wer von der Sozialhilfe lebt, der bekommt eine umfas-
sende gesundheitliche Versorgung auf dem besten Ni-
veau.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Und der Asylant auch!)


Wer 40 Jahre Beiträge in die gesetzliche Krankenversi-
cherung eingezahlt hat, bei dem wird gespart, weil er un-
ter das Diktat des Budgets fällt.


(Michael Glos [CDU/CSU]: So ist es!)

Ich gönne dem Sozialhilfeempfänger die Versorgung auf
dem höchsten medizinischen Niveau. Das soll auch so
bleiben. Aber wir müssen schleunigst abschaffen, dass je-
mand, der Solidarbeiträge in die Krankenversicherung
zahlt, eine nur noch mittelmäßige gesundheitliche Versor-
gung bekommt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich weiß, welches Argument Sie als nächstes bringen:

die Selbstbeteiligung.Das Budget wird gegen die Selbst-
beteiligung ausgespielt. Das Budget führt im Gegensatz
zur Selbstbeteiligung voll und ganz zur Leistungsaus-
grenzung bei kranken Menschen. Deshalb wiederhole ich,
was wir vor zwei Jahren prognostiziert haben: Das Bud-
get ist die unsozialste Form der Selbstbeteiligung, die man
sich vorstellen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das Budget nimmt keinerlei Rücksicht auf soziale Härte-
fälle oder darauf, ob man Kinder erzieht, wie krank man
ist und welches Einkommen man hat. Das Budget schlägt
nach der Fallbeilmethode zu: Wer im November krank
wird, bekommt unter bestimmten Voraussetzungen keine
medizinische Versorgung mehr. Deshalb, Frau Schmidt:
Die Budgets müssen weg. Es gibt keine andere Möglich-
keit. Dabei haben Sie unsere vollste Unterstützung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Budgetierung führt auch zur Demotivation aller

Beteiligten im Gesundheitswesen, insbesondere der Ärz-
tinnen und Ärzte. Der Kollektivregress führt zu der abs-
trusen Folge, dass ein Mediziner, der beispielsweise in
Hof tätig ist, der verantwortlich verordnet und sogar un-
terhalb der Budgetgrenze bleibt, für einen Arzt haftet, der
zum Beispiel in München aus dem Vollen schöpft. Sie
können keinem Arzt erklären, dass er selbst dann, wenn er
seine Budgetgrenze nicht erreicht, für einen anderen Arzt,
der 3 000 km entfernt ohne Rücksicht auf das medizinisch
Notwendige aus dem Vollen schöpft, haftet. Man darf also
nicht nur an die Versorgungsstrukturen und an die Versor-
gungsqualität denken, sondern muss auch daran denken,




Horst Seehofer
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dass wir motivierte Ärzte im deutschen Gesundheitswe-
sen brauchen. Das Budget hat aber zur Demotivierung der
deutschen Ärzteschaft geführt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Greifen Sie unser Modell der Richtgröße auf! Wir ha-

ben nach der Bundestagswahl nicht plötzlich eine neue
Gesundheitspolitik erfunden. Im Jahre 1997, also vor der
Bundestagswahl, haben wir es hier im deutschen Parla-
ment in Kraft gesetzt und sind als Sozialräuber und Ähn-
liches beschimpft worden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ja!)

Der jetzige Bundeskanzler war damals in meinem Wahl-
kreis. Ich nehme an, dass er – so kennen wir ihn – jeden
seiner Auftritte auf Video aufnehmen lässt, damit er sich
später einmal selbst bewundern kann. Wenn er wieder in
meinen Wahlkreis kommt, dann werde ich ihm den Teil
des Videos vorspielen, in dem er seine gesundheitspoliti-
schen Ausführungen macht. Was er jetzt im „Stern“ sagt,
entspricht der Gesundheitspolitik, die er in der Vergan-
genheit, vor zwei Jahren, bekämpft hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es! Wie bei der Rente!)


Die Vorlage über die Richtgröße haben wir 1997 ver-
abschiedet. Die Richtgröße ist die ideale Kombination
zwischen medizinischen Erwägungen und Wirtschaftlich-
keit. Der Arzt hat die Möglichkeit, das unter medizini-
schen Gesichtspunkten Notwendige zu verordnen, ohne
ständig befürchten zu müssen, dass das Fallbeil des Re-
gresses kommt. Wenn ein Arzt zehn Krebspatienten mehr
als im vorherigen Quartal hat, dann muss er doch ver-
dammt noch mal das Notwendige und Hochwertige ver-
ordnen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Umgekehrt müssen wir auch die Wirtschaftlichkeit se-

hen. Natürlich gibt es schwarze Schafe. Aufgrund der
Richtgröße haben die Krankenkassen und die Kassenärzt-
lichen Vereinigungen die Möglichkeit, die schwarzen
Schafe mit einem Regress zu belegen. Dann wären auch
wirklich nur die schwarzen Schafe betroffen und es gäbe
keinen kollektiven Regress gegenüber den Anständigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn Sie bei dem skizzierten Ansatz bleiben und für ihn
eine Mehrheit in Ihrer Koalition finden, dann können Sie
– wir bringen heute einen Gesetzentwurf ein – noch in die-
sem Monat unsere Zustimmung bekommen und auf die-
sem Feld der Gesundheitspolitik herrscht wieder Ruhe.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das reicht aber nicht, und das, was Sie, Frau Schmidt, uns
heute gesagt haben, reicht auch nicht, um die Probleme im
Gesundheitswesen zu lösen. Was Sie vorgeschlagen ha-
ben, ist Stückwerk. Wir werden in den nächsten Monaten
nicht darum herumkommen, die deutsche Gesundheitspo-
litik neu zu strukturieren. Wenn Sie unsere Gesundheits-
reform nicht zurückgenommen hätten, dann hätten Sie

viele Probleme, mit denen sie zurzeit zu kämpfen haben,
nicht. Sie haben sich die Probleme selbst eingebrockt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Niemand kann die Augen davor verschließen, dass uns

die gleichen Probleme, die wir in Bezug auf die Renten-
versicherung haben, auch in Bezug auf die Krankenversi-
cherung bewegen: der Altersaufbau der Bevölkerung,
immer weniger Beitragszahler und immer mehr Leis-
tungsempfänger. Diese Probleme schlagen in der Kran-
kenversicherung viel dynamischer durch.


(Ulf Fink [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Die Beitragsdynamik wird dort mittel- und langfristig
stärker als in der Rentenversicherung sein. Während im
Hinblick auf die Rentenversicherung jetzt Gott sei Dank
Konsens über die Handlungsnotwendigkeit und die Hand-
lungsrichtung besteht, fehlt ein solcher Konsens noch im
Hinblick auf die Krankenversicherung.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: In Bezug auf die Pflegeversicherung genauso!)


Bei den älteren Mitbürgerinnen und Mitbürgern – das
ist kein Vorwurf, nur ein Befund – liegt der Aufwand für
die medizinische und die pflegerische Betreuung um
80 Prozent höher als bei den Erwerbstätigen. 6 956 DM
fallen für einen älteren Menschen im Durchschnitt an. Das
soll auch so bleiben; denn darin besteht die Solidarität
zwischen Jung und Alt. 3 706 DM fallen im Durchschnitt
für jemanden an, der im erwerbsfähigen Alter ist. Der
Aufwand für einen älteren Menschen liegt also um
80 Prozent höher. Da die Anzahl der Beitragszahler immer
geringer und die der Leistungsempfänger immer höher
wird, stehen wir im Gesundheitswesen vor einer riesigen
Herausforderung, die größer als die im Bereich der Ren-
tenversicherung ist. Sie dürfen nicht erst handeln, wenn
die Katastrophe eingetreten ist.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: In zwei Jahren!)

Sie müssen jetzt handeln, damit die Katastrophe vermie-
den wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir alle wissen, dass die Rentner – das soll auch so

bleiben – nur halb so hohe Beiträge wie die Erwerbstäti-
gen zahlen, weil ihre Bemessungsgrundlage niedriger ist.
Dazu kommen die Kosten des medizinischen Fort-
schritts der, ethisch angewandt, ein Segen für die
Menschheit ist. Diese Kosten werden auch in Zukunft
stärker als die Einnahmen der Krankenkassen steigen.
Beides zusammen, die Demographie unseres Volkes und
den medizinischen Fortschritt, bezeichne ich als das
Ozonloch unseres Gesundheitswesens. Wir stehen vor ei-
ner riesigen langfristigen Herausforderung, auf die in der
Gegenwart, also kurzfristig reagiert werden muss.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Höchste Zeit!)

Wer jetzt nicht handelt, Frau Schmidt, der kommt um

krasse Einschnitte in das Leistungsangebot des deutschen
Gesundheitswesens nicht herum. Das wollen wir vermei-
den. Rechtzeitiges Handeln bedeutet Prävention gegen
unsoziale und krasse Leistungseinschnitte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)





Horst Seehofer

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Wir nennen Ihnen hier die drei wesentlichen Elemente
unserer Reformvorstellungen. Der Patient mit seinen Be-
dürfnissen muss endlich in den Mittelpunkt des Handelns
gestellt werden. Mit dem ökonomischen Diktat im Ge-
sundheitswesen muss Schluss sein. Der kranke Mensch
mit seinen Bedürfnissen muss ins Blickfeld rücken.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Um das zu gewährleisten, brauchen wir erstens in die-
ser Dunkelkammer – so bezeichne ich das deutsche Ge-
sundheitswesen – mehr Transparenz hinsichtlich Kosten
und Qualität.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es!)

Es ist höchste Zeit – so stand es schon im Gesetz –, dass
die Menschen über das, was geleistet wurde, und darüber,
wie es abgerechnet wurde, endlich eine Information er-
halten, auch eine Information über die Qualität der er-
brachten Leistung.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es!)

Nur ein informierter Bürger ist ein mündiger Bürger. Es
ist ganz wichtig, dass wir das realisieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zweitens. Wir brauchen einen Wettbewerb um die

bestmögliche Qualität und die bestmögliche medizinische
Versorgungsform. Muss denn alles kartellartig auf der
Seite der Krankenkassen und zunftartig auf der Seite der
Ärzte und anderer in Deutschland organisiert sein? Muss
alles oder jedenfalls das meiste einheitlich organisiert
sein? Können wir uns nicht endlich einmal wieder auf ein
bewährtes Regulativ der sozialen Marktwirtschaft besin-
nen, indem wir Pluralität und Wettbewerb im deutschen
Gesundheitswesen zulassen?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Verschiedene Versorgungsangebote und verschiedene

medizinische Methoden sollen miteinander konkurrieren.
Dann sollen nicht Funktionäre oder Ministerialbeamte,
sondern die Bürger entscheiden, welches Versorgungs-
angebot und welche medizinische Versorgungsform sie
wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Im Gesundheitswesen gibt es ein Kartell und gibt es
Zünfte. Die Argumentation von allen, die versucht haben,
dieses System ein wenig aufzubrechen – auch ich gehöre
dazu –, ist mehr oder weniger zertrümmert worden. Man
wurde als Sozialräuber, als jemand, der Sozialabbau be-
treibt, beschimpft. Wenn wir nicht mehr geordneten Wett-
bewerb im Gesundheitswesen zulassen, werden wir aber
in Zukunft kein erstklassiges Gesundheitssystem mehr
gewährleisten können.

Drittens. Was spricht denn eigentlich dagegen, dass wir
den mündigen Bürgern etwas mehr Wahlfreiheit auch
beim Leistungskatalog geben? Wie haben Sie solche Vor-
haben beim Zahnersatz bekämpft! Der Bürger kann doch
zum Beispiel entscheiden, ob er 10 oder 12 Prozent Kran-
kenversicherungsbeitrag bezahlen will, wenn er dafür im
Falle eines Falles eine Bagatellrechnung selber bezahlt.

Wenn er das nicht will, dann kommt auf ihn eben eine
höhere Dauerbelastung zu. Warum soll das ein Bürger
nicht wollen und können?


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Und dürfen!)


Alles trauen wir dem Bürger zu, wenn wir mit schönen
Worten Sonntagsreden halten. Nein, übertragen wir ihm
diese Verantwortung einmal in der Realität! Die Schwei-
zer, die Franzosen, alle anderen haben das gemacht, nur
wir in Deutschland glauben, dass wir dem Bürger diese
Wahlfreiheit nicht zumuten können. Mehr Wahlfreiheit
beim Leistungskatalog!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie des Abg. Oswald Metzger [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Natürlich muss dann ein Kernbereich festgelegt werden,
der solidarisch finanziert wird, denn sonst würden Junge
und Gesunde sich zu der Entscheidung durchringen, sich
erst in 30 Jahren zu versichern. Dann würden die Solidar-
beiträge für die Kranken und die Älteren fehlen. In einer
bestimmten Bandbreite aber wollen die Leute mehr Aus-
wahlrechte bezüglich des zu wählenden Leistungs-
kataloges. Geben wir sie ihnen!

Ich bin der tiefen Überzeugung, dass, nachdem wir in
den letzten 20 Jahren mit zweifelhaftem Erfolg im Ge-
sundheitssystem fast alles ausprobiert haben, diese drei
Elemente – Transparenz,


(Klaus Kirschner [SPD]: Jawohl, Transparenzgesetz!)


geordneter Wettbewerb und Wahlfreiheit – für Qualität
und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen mehr bewir-
ken als jede staatliche Reglementierung. Deshalb müssen
wir diese drei Dinge umsetzen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Kirschner [SPD]: Warum haben Sie das Transparenzgesetz abgelehnt? – Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das haben Sie doch abgelehnt, Herr Seehofer!)


Frau Schmidt, ich nehme es Ihnen ab, dass Sie sich um
inhaltliche Signale bemühen und das Gesprächsangebot
ernst meinen. In einer Demokratie gewinnen jedoch auch
noch so schöne Worte Überzeugungskraft erst durch täti-
gen Einsatz. An der Tat werden wir Sie messen. Ihre Ver-
suche, mal zu diesem, mal zu jenem Thema ein Gespräch
zu führen, sind ehrenwert. Ich will Sie aber einmal darauf
hinweisen, dass es sich 1992 anders verhielt: Die da-
malige Regierung hatte einen Gesetzentwurf vorgelegt.


(Zuruf von der CDU/CSU: So war das!)

Auf der Grundlage dieses Gesetzentwurfes haben wir uns
nach Lahnstein in Klausur begeben und parteiübergrei-
fende Gespräche geführt. Deshalb sage ich Ihnen auch für
meine Fraktion: Wir sind immer zu Gesprächen bereit; es
muss aber bitte vorher klargestellt werden, dass die Re-
gierung regieren wollte. Also soll sie regieren,


(Zuruf von der SPD: Wir regieren auch!)





Horst Seehofer
14842


(C)



(D)



(A)



(B)


und deshalb soll sie zuallererst einmal ein Konzept vorle-
gen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Dann werden wir auf der Grundlage dieses Konzeptes
prüfen, ob Gespräche Sinn machen oder nicht. Ich kann
Ihnen alle Protokolle und alles, was ich mir persönlich zu
Lahnstein aufgezeichnet habe, überreichen. Wir haben da-
mals die Orientierung vorgegeben, ein Konzept vorgelegt
und dann die Opposition zu einem Gespräch eingeladen.
Machen Sie es so wie wir! Ohne Konzept wird es kein Ge-
spräch geben. Sorgen Sie erst einmal für Ihre Vorstellun-
gen und für die des Bundeskanzlers, die im „Stern“ ver-
öffentlicht wurden, bei Ihrer eigenen Regierungskoalition
für die nötigen Mehrheiten!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Jetzt sagt sie die Gespräche ab!)


Frau Schmidt, noch ein Letztes. Es geht natürlich nicht,
dass man jetzt Ankündigungen macht und sagt: Die not-
wendige Reform machen wir nach der Wahl. – Wir legen
schon Wert darauf, dass Sie den Menschen vor der Bun-
destagswahl reinen Wein einschenken


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

und dass Sie jetzt mit der strukturellen Umgestaltung
des deutschen Gesundheitswesens beginnen. Wer dem
Gesundheitswesen jetzt die Umgestaltung verweigert, der
verweigert den Menschen ein Stück Zukunftssicherheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415203600
Ich gebe der
Kollegin Monika Knoche für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen das Wort.


Monika Knoche (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1415203700

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Damen und Her-
ren! Herzlichen Dank, Frau Ministerin Schmidt, für Ihre
Rede, die ich außerordentlich gerne gehört habe.

Herr Seehofer, ganz zum Schluss haben Sie die Katze
aus dem Sack gelassen. Ohne auch nur ein einziges Mal
den Begriff „Ausstieg aus dem Solidarsystem“ zu ver-
wenden, ohne auch nur einmal den Begriff zu nennen, um
den es geht, nämlich Verabschiedung vom Sachleistungs-
prinzip, haben Sie einem Systemwechsel nach original
neoliberaler Konzeption das Wort geredet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Sie sind nicht einmal davor zurückgeschreckt, Sozial-
hilfeempfänger in Konkurrenz zu anderen Versicherungs-
nehmern der gesetzlichen Krankenversicherung zu set-
zen, um auszudrücken, dass Sie die gesetzliche
Krankenversicherung auf einen so genannten Kernbe-
reich reduzieren wollen und anderes der privaten Zusatz-
versicherung unterwerfen wollen. Sie wollen also Regel-
und Wahlleistungen in einem Konzept mit so genannten

Kernleistungen. Herr Seehofer, dieses Modell haben Sie
subkutan schon einmal probiert. Sie sind dafür abgewählt
worden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Wir werden alles tun, die ideologische Seite dieses Sys-
temwechsels zu thematisieren und das, was wir seit Über-
nahme der Regierung durch Rot-Grün gemeinsam ent-
wickelt haben, weiterzuführen.

Ich bin eine große Verfechterin

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Sie sind doch total isoliert!)

des solidarischen Sicherungssystems, das wir in Deutsch-
land haben. Alle Reden, die bisher gehalten worden sind,
haben eines deutlich gemacht: Einen Wechsel in der Ge-
sundheitspolitik wird es unter Rot-Grün bei Ministerin
Schmidt nicht geben. Er ist nicht zu erkennen und ihn wird
es nicht geben.


(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Was hat sie gesagt?


(Zuruf von der CDU/CSU: Nichts hat sie gesagt!)


Sie hat eine ganz wichtige Aussage für die Bevölkerung
und für die Kommunikation von Politik insgesamt ge-
macht. Sie hat gesagt: Ich will nicht, dass eine Patientin
oder ein Patient im Wartezimmer sitzt und sagen muss:
Wenn ich Geld hätte, würde ich besser behandelt werden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wer will das denn? Niemand!)


Ein besseres Plädoyer für das vorhandene Gesundheitssys-
tem mit seiner Finanzierungsstruktur kann man meines Er-
achtens nicht halten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt sitzt der Patient im Wartezimmer und kriegt das Medikament nicht!)


Das ist völlig eindeutig und klar.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ich habe sehr wohl wahrgenommen, dass hier Spitzen

gefahren werden, um einmal zu sehen: Wird der Ausstieg
aus der paritätischen Finanzierung kommen? Gibt es
dafür Verlockungen?


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das hat der Schröder auch gesagt!)


Gerade wenn man das Prinzip von Wahl- und Regelleis-
tungen propagiert und von Kernleistungen redet, meint
man nichts anderes als den Ausstieg aus der paritäti-
schen Finanzierung.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Und Sie streichen den Leuten die Leistungen komplett! Da wird nicht einmal etwas paritätisch finanziert!)





Horst Seehofer

14843


(C)



(D)



(A)



(B)


Nichts in dieser Gesellschaft – davon bin ich wirklich
überzeugt – schafft mehr Vertrauen in die Zukunftsfähig-
keit des Gesundheitswesens als die Gewissheit, dass sich
alle an der solidarischen Sicherung beteiligen.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Richtig!)

Wenn wir über Zukunftsfragen und Finanzierungsfra-

gen sprechen, dann müssen wir den Menschen auch ver-
mitteln, dass die Eingebundenheit in die sozialen Siche-
rungssysteme mit ihren Beitragssätzen ganz eng mit der
wirtschaftlichen und der arbeitsmarktpolitischen Entwick-
lung korrespondiert. Angesichts der Herausforderung, die
Kultur des Sozialen durch die Gesundheitspolitik sicher-
zustellen, ist es unter der Maßgabe der Beitragssatzstabi-
lität unverzichtbar, mehr Menschen in dieses System der
solidarischen Sicherung aufzunehmen. Die Zuwächse bei
den Gruppen mit höheren Einkommen zu nutzen und de-
ren Bezieher in dieses System der solidarischen Siche-
rung aufzunehmen


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Der Bundeskanzler und Herr Müntefering haben versprochen, das nicht zu tun! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ihr müsst euch langsam mal einigen, was ihr verkündet! – Gegenruf der Abg. Regina Schmidt-Zadel [SPD])


dient auch dem Ziel, Beitragssatzstabilität zu erreichen.
Es ist ganz wichtig, dass wir in der öffentlichen De-

batte nicht den Eindruck erwecken, es gebe für die Fort-
schreibung dieses Systems keine Möglichkeiten. Die Al-
ternative besteht wahrlich nicht darin, aus der
paritätischen Finanzierung auszusteigen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Herr Metzger sagt etwas anderes! Fragen Sie mal Herrn Metzger!)


Damit können wir die Garantien, die wir in der Gesund-
heitspolitik zu geben haben, nicht einhalten. Das wäre in
der Tat der Weg in eine Zweiklassenmedizin, die sowohl
Sie als auch wir nicht wollen und die wir der Gesellschaft
auf keinen Fall zumuten werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die aber bei euch momentan eingeführt wird!)


Man muss über die Zukunft der sozialen Sicherungs-
systeme in Deutschland und über deren Finanzierung
sprechen. Ich habe schon die mögliche Alternative ge-
nannt – wir sollten sie nicht vergessen –, die Pflichtver-
sicherungsgrenze zu erhöhen, um mehr Menschen in die-
ses System aufnehmen zu können.


(Beifall der Abg. Dr. Ruth Fuchs [PDS])

Diese Alternative ist elementar. Sie werden an keiner
Stelle erkennen, dass sich in unserer Regierung diese Auf-
fassung auch nur in Nuancen ändern wird.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie werden sich noch wundern, wo Sie zustimmen werden!)


Entsprechende Aussagen stehen im Koalitionsvertrag. Sie
sind für die weitere Ausgestaltung der rot-grünen Ge-

sundheitspolitik entscheidend. Ich hoffe, dass damit die-
ser Teil der Debatte geklärt ist.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nein!)

Das Arzneimittelbudget ist der Ausgangspunkt der

heutigen Debatte. Ich weiß nicht, was den Äußerungen
der Frau Ministerin Schmidt hinzuzufügen wäre.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Kollektivhaftung weg!)


Ganz wesentlich scheint mir zu sein, auf den Wettbewerb
zu orientieren, den Herr Seehofer angesprochen und ge-
fordert hat,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Guter Vorschlag!)


der sich dabei grüner Vokabeln und Gedankenbilder be-
dient hat.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Bitte?)

Das ist wunderbar. Warum auch nicht? Nichts anderes
kann das Ziel der Gesundheitspolitik sein, als die Interes-
sen der Patientinnen und Patienten ins Zentrum zu stellen.

Aber genau das müssen auch die niedergelassenen
Ärzte in ihren Kassenärztlichen Vereinigungen aufgrund
ihrer Verantwortung für das Arzneimittelbudget tun. Sie
haben die Möglichkeit und auch die Aufgabe – vielleicht
können wir es auch evidenzbasierte Medizin nennen –,
Qualitätsorientierung anzustreben und Behandlungs-
leitlinien zu erlassen. Auf jeden Fall müssen sie in ihrer
Zuständigkeit als niedergelassene Ärzte solche Formen
der Honorierung entwickeln, die Arzneimittelausgaben
zielgerecht mit einbinden, damit sie mit dem vorhandenen
Geld auch auskommen. Wir können zu Recht die Forde-
rung an die niedergelassene Ärzteschaft stellen, dass sie
nicht darauf besteht, das Arzneimittelbudget frei zu las-
sen. Es muss vielmehr ein qualitativer Zugewinn erkenn-
bar sein, der zeigt, dass die Mittelsteuerung zielgenau ist.

Ich will, dass Phytopharmaka wie auch hochpreisige
Medikamente zu den qualitativen Standards gehören, die
die Versorgung der Patienten, der chronisch Erkrankten,
aber auch der nicht manifest Erkrankten, zielgenau si-
cherstellen. Warum sind einige Kassenärztliche Vereini-
gungen in Deutschland in der Lage, das zu leisten? Es ist
nicht wahr, dass in der Bundesrepublik die Kassenärzte
insgesamt mit dem Geld nicht auskommen. Die Hälfte der
Kassenärztlichen Vereinigungen stellen sich dieser quali-
tativen Neuorientierung und kommen mit dem Geld aus.
Ich bitte die Ärzteschaft insgesamt, sich aus dieser Kon-
fliktkonstellation zu lösen und die Problematik vor allen
Dingen in den eigenen Reihen zum Wohle der Patientin-
nen und Patienten konstruktiv anzugehen. Das ist der Sinn
des Sicherstellungsauftrages; das müssen sie auch leisten.

Dialog bedeutet – das halte ich für eine wichtige Aus-
sage –, dass wir die Kompetenz und den Willen innerhalb
der Kassenärztlichen Vereinigungen sehen, die Arznei-
mittelversorgung nach qualitativen Kriterien in den Be-
handlungskontext einzubeziehen.
Den Dialog so zu führen bietet Möglichkeiten, langfristig
zu einer Überwindung der Probleme auch in den Sektoren




Monika Knoche
14844


(C)



(D)



(A)



(B)


kommen zu können. Anders, denke ich, kann man die Mi-
nisterin in dieser Frage gar nicht verstehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es gibt noch einiges, was in den letzten Tagen bewegt
worden ist, woran erkennbar wird, dass sich hier eine
Richtungsänderung vollziehen soll. Welche Merkmale
dafür haben Sie gefunden? Wo sind sie für Sie sichtbar ge-
worden? Ich konnte nicht sehen, dass hier in irgendeiner
Weise versucht worden ist, das Modell, das die
CDU/CSU-F.D.P.-Regierung in ihrer Regierungszeit
hatte, neu zu beleben oder neu zu bedienen.

Die Frage des Risikostrukturausgleiches ist ange-
sprochen worden. Mit diesem Thema mussten wir deshalb
neu beginnen, weil – vielleicht erinnern sich manche noch
daran – die CDU/CSU Gefahr lief, die Beitragssätze zu
regionalisieren und sich insgesamt aus dem Konsens über
die Notwendigkeit eines gesamtdeutschen Risikostruk-
turausgleiches zu verabschieden.

Morbiditätskriterien sind neu in den Risikostrukturaus-
gleich aufgenommen worden. Diese Parameter sind wich-
tig, um den Wettbewerb der Krankenkassen um risikoarme
Versicherte sozial gerecht auszubalancieren. Durch die
Aufnahme dieses neuen Kriteriums in den Risiko-
strukturausgleich wird es Gesetzgebungsverfahren geben,
bei denen auch die Länder gefragt sind, sich konstruktiv an
diesem Prozess zu beteiligen. Bei der Durchführung wird
sich zeigen, ob der Wettbewerb unter den Krankenkassen
sozial ist, ob wir die soziale Ausrichtung in den Vorder-
grund stellen oder ob der Wettbewerb destruierende Wir-
kungen entfaltet. Die Entwicklung, auch hinsichtlich der
Honorierung der Niedergelassenen, wird zeigen, ob das in
dieser Legislaturperiode eingeleitete Reformwerk der
neuen Ausbalancierung des Risikostrukturausgleiches er-
folgreich sein wird.

Ich möchte auf jeden Fall, dass die Bevölkerung trotz
des ganzen Gezerres und Mutmaßens weiß: Auf Zuruf aus
den Medien wird sich die Politikgestaltung durch diese
Regierung nicht verändern.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Hahaha!)

Dazu ist das Themengebiet zu groß. Es ist zu wichtig für
unser Selbstverständnis, wie wir in der Gesellschaft leben,
was der Wert des Sozialen in unserer Gesellschaft ist. Ich
denke, nirgendwo drückt sich deutlicher als im Gesund-
heitswesen aus, welches Verständnis von Krankheit und
Krankheitsentwicklung wir haben. Es muss immer die Si-
cherheit gegeben sein, dass wir keine Ausdifferenzierung
wegen des sozialen Status, wegen finanzieller Vorausset-
zungen seitens der Patientinnen und Patienten haben.

Mit Sicherheit ist es wichtig, die Patientinnen und Pa-
tienten stärker an dem Prozess der Qualitätsorientierung
zu beteiligen. Aber diese Fragen sollten im Vergleich zu
den Systemfragen in der Politik nicht so hochrangig be-
handelt werden. Die Probleme, die Patientinnen und Pati-
enten im System haben, dürfen nicht dazu benutzt oder so-
gar missbraucht werden, um aus dem System
auszusteigen.

Die Probleme sind handhabbar; sie sind lösbar. Des-
halb bin ich außerordentlich froh darüber, dass bei der
heutigen Debatte von all den Erwartungen, die da herum-
waberten, nichts übrig geblieben ist,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Weil nichts gekommen ist!)


woraus Sie schlussfolgern könnten, es gebe in der rot-grü-
nen Gesundheitspolitik keine Kontinuität.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die gibt es wirklich nicht!)


Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Petra Bläss [PDS])



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415203800
Ich gebe das
Wort der Kollegin Dr. Ruth Fuchs für die Fraktion der
PDS.


Dr. Ruth Fuchs (PDS):
Rede ID: ID1415203900
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! CDU/CSU und F.D.P. stellen heute erneut die
Budgetierungsproblematik in den Mittelpunkt der De-
batte. Ohne Frage: Hier liegt ein entscheidender
Schwachpunkt der bisherigen rot-grünen Gesundheitspo-
litik und das scheint endlich auch die Regierung begriffen
zu haben.


(Beifall bei der PDS – Zustimmung bei der CDU/CSU – Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Beifall von der falschen Seite!)


Nur so ist die angekündigte Streichung der ärztlichen
Kollektivhaftung beim Arznei- und Heilmittelbudget zu
verstehen.

Wie die Praxis zeigt: Dies war mehr als überfällig.
Schlimm wäre aber, wenn diese Maßnahme nur dazu
führen sollte, das aufgewühlte Gesundheitswesen, also
Ärzte und Patienten, für den Rest der Legislaturperiode
ruhig zu stellen und hinter dieser Fassade ein ganz ande-
res Szenario vorzubereiten.

Wenn auch nur einiges von dem stimmt, was gestern im
„Stern“ – ich weiß aus Erfahrung, dass sich Zeitungs-
meldungen oft als Zeitungsenten entpuppen; aber es wa-
ren keine Nobodys, die dort zitiert worden sind; darauf,
denke ich, sollte man schon achten – über die gesund-
heitspolitischen Absichten der jetzigen Regierung nach
den nächsten Wahlen zu lesen war – Frau Ministerin,
natürlich habe ich Ihr Dementi gelesen und Ihrer Rede
heute sehr aufmerksam zugehört –, dann ist festzustellen:
Die Menschen, besonders die kranken, älteren und behin-
derten, gehen traurigen Zeiten entgegen. Eine SPD-ge-
führte Bundesregierung würde – ich betone das Wort
„würde“ – im Hinblick auf das Gesundheitswesen eine
Umwälzung planen, deren soziale Härte all das in den
Schatten stellt, was wir vor 1998 erlebt haben.


(Beifall bei der PDS)





Monika Knoche

14845


(C)



(D)



(A)



(B)


Frau Ministerin, Sie plädieren für eine Gesundheitspo-
litik des Vertrauens. Aber auch Sie benutzen in Ihrem De-
menti das verräterische Wort von der Eigenverantwor-
tung der Versicherten und Patienten.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Was haben Sie gegen Eigenverantwortung?)


Die gesundheitspolitisch tätigen Kollegen in Ihrer Frak-
tion haben schon oft genug klargestellt – die Kollegin
Monika Knoche hat dies heute noch einmal getan –, was
damit bei der Vorgängerregierung gemeint war: noch
mehr Zuzahlungen, Leistungskürzungen, private Zusatz-
versicherungen nach individueller Zahlungsfähigkeit und
andere soziale Grausamkeiten. Ins Spiel gebracht wurden
diese von Arbeitgebern, neoliberalen Wirtschaftsprofes-
soren und sonstigen marktradikalen Vordenkern.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sicher, Sie kommen aus der sozialistischen Richtung!)


Trotz mancher Enttäuschung in den letzten zwei Jah-
ren: Es fällt mir immer noch schwer, zu glauben, dass so
etwas sozialdemokratische Gesundheitspolitik werden
soll. Liebe Kollegin Monika Knoche, ich möchte das in
Ihrer Rede Dargestellte wirklich gerne glauben – und dies
vor allem im Interesse der Versicherten und Patienten.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Die ist doch total isoliert bei ihren eigenen Leuten!)


Aber allein die Rentenreform hat für mich gezeigt, wozu
die Regierung Schröder inzwischen in der Sozialpolitik
fähig ist.


(Beifall bei der PDS – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Da haben Sie Recht!)


Natürlich wissen wir alle, dass der Bedarf an gesund-
heitlicher Versorgung weiter steigen wird. Selbst wenn
es gelingt, die Effizienz zu erhöhen, werden die Aufwen-
dungen deutlich stärker. Somit ist eine Erweiterung der
Finanzgrundlage der gesetzlichen Krankenversicherung
unausweichlich. Seit langem setzen wir uns dafür ein. In
der Vergangenheit haben wir dazu viele konstruktive Vor-
schläge gemacht.

Der entscheidende Unterschied scheint aber zu sein:
Wir sagen, eine solche Entwicklung könne und müsse
strikt an sozialer Gerechtigkeit und Solidarität orientiert
bleiben. Unser Credo ist: Gesundheitssicherung und
medizinische Versorgung sind Menschenrechte. Sie
gehören zu den elementaren Voraussetzungen von sozia-
ler Gerechtigkeit und Chancengleichheit und sie müssen
für jeden gleichermaßen zugänglich sein und bleiben.


(Beifall bei der PDS)

Was nun die Budgetierung betrifft, so gilt für uns: Ge-

setzlich verordnete Ausgabenbegrenzungen eignen sich
auf Dauer nicht als Steuerinstrument im Gesundheitswe-
sen. Wie ich gehört habe, sind wir uns alle an dieser Stelle
einig. Mit dem Arzneimittelbudget werden die Ärzte in
unzumutbare Gewissenskonflikte und noch dazu in
Existenzängste gestürzt. Die Patienten sind zu Recht ver-

unsichert und dem Arzt-Patienten-Verhältnis wird schwe-
rer Schaden zugeführt.

Auch wir, Frau Ministerin, halten es für richtig, dass
die Ärzteschaft als Ganzes nicht aus der Verantwortung
für die rationelle Arzneimitteltherapie entlassen wird. Das
ergibt sich für uns schon aus der Tatsache, dass dort der
nötige Sachverstand vorhanden ist. Wir können auch fest-
stellen, dass bereits anerkennenswerte Ergebnisse erreicht
wurden. Der jüngste Arzneiverordnungsreport, der eines
Lobbyismus in Bezug auf Ärzte und Industrie wahrlich
unverdächtig ist, bescheinigt, dass es ärztlicherseits ge-
lungen ist, einen beachtlichen Teil der Rationalisierungs-
reserven zu erschließen.

Was jetzt vor allem fehlt, ist der Beitrag, den die Re-
gierungsseite zu leisten hat. Wir fragen: Warum sehen Sie
hilflos zu, wie die Pharmaindustrie mittels juristischer
Einsprüche eine Steuerungsmaßnahme nach der anderen
außer Kraft setzt? Sie, meine Damen und Herren von
Union und F.D.P., sollten, wenn Sie schon Vorschläge zur
Abschaffung des Budgets machen, das richtig tun. Was in
Ihren Anträgen völlig fehlt, lieber Kollege Thomae, ist
eine klare Benennung jener Aufgaben, die die Politik
selbst zu lösen hat.

Warum – das frage ich Sie besonders – trauen Sie sich
nicht, die Pharmaindustrie zu kritisieren?


(Beifall bei der PDS)

Am Ende unterbindet diese nämlich die elementaren
Bemühungen von Kassenärztlichen Vereinigungen, die
Ärzte systematisch über wirtschaftliche Verordnungsweisen
zu informieren.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wer hat denn die Festbeträge eingeführt?)


Insidern sage ich nur: Denken Sie an die KV Hessen und
an das, was dort läuft!

Im Übrigen hat es auch Rot-Grün bisher nicht ge-
schafft, die hemmungslose Preistreiberei der Pharmain-
dustrie besonders bei innovativen Arzneimitteln zu unter-
binden. Frau Ministerin, Sie haben sich hierzu geäußert.
Ich hoffe, es wird in Zukunft auch hierzu Maßnahmen ge-
ben.

Könnte es sein, dass Union und F.D.P. dazu nichts sa-
gen, weil sie es selbst nie gewagt haben, am übermächti-
gen Einfluss der Pharmaindustrie zu rütteln?


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wer hat denn die Festbeträge eingeführt?)


Herr Seehofer, ich möchte in diesem Zusammenhang nur
noch einmal an das Zerreißen der Positivliste erinnern,
über das wir – damals noch in Bonn – alle gelacht haben.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das war ein Glück!)


Ich frage: Was hindert uns eigentlich, in diesem Parla-
ment einen fraktionsübergreifenden Antrag zu stellen,
dass zum Beispiel bei Arzneimitteln nur der halbe Mehr-
wertsteuersatz anzuwenden ist oder dass man sogar ganz
auf die Mehrwertsteuer verzichtet?


(Beifall bei der PDS)





Dr. Ruth Fuchs
14846


(C)



(D)



(A)



(B)


Alle von uns wissen, dass wir damit den Ärzten wirklich
einen enormen Druck nähmen. Wir bleiben dabei: Es kann
nicht allein um die Streichung des Budgets gehen. Not-
wendig ist ein ganzes Bündel von Maßnahmen im Sinne
einer überzeugenden Arzneimittelpolitik.

Ein weiterer Vorschlag der Unionsfraktion bezieht sich
auf die Abschaffung der Honorarbudgets. Sie sollen durch
Regelleistungsvolumina mit festen Punktwerten ersetzt
werden.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Guter Vorschlag!)

– Ja, ein guter Vorschlag und auch ein wich-
tiges Thema. – Auch aus unserer Sicht verfügt ein zuneh-
mender Teil der Ärzte – als Ostdeutsche sage ich, weil ich
es aus eigenem Erleben kenne: in Ostdeutschland beson-
ders – nicht mehr über ein angemessenes Einkommen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es!)

Dabei muss gerade in den neuen Bundesländern ange-
sichts der stärker überalterten Bevölkerung von einem
höheren Bedarf an medizinischer Versorgung ausgegan-
gen werden. Dennoch bleiben die Einkommen der Ärzte
dort deutlich hinter denen der Ärzte in den alten Bundes-
ländern zurück. Hier besteht tatsächlich dringender Hand-
lungsbedarf und auch diesbezüglich hoffe ich, dass die
Versprechungen der Frau Ministerin Realität werden.

Was die ärztlichen Vergütungsformeln im Einzelnen
betrifft, so sollte unserer Auffassung nach die Entwick-
lung noch stärker weg von der Einzelleistungsvergütung
hin zu pauschalen Honorierungsformen führen. Sie müs-
sen vor allen Dingen von kommerziellen und bürokrati-
schen Zwängen entlasten und mehr zuwendungsorien-
tierte Medizin ermöglichen. Der alleinige Übergang zu
Regelleistungsvolumina, wie er im Antrag der Union vor-
geschlagen wird, greift unserer Meinung nach zu kurz.
Aber ich denke, wir werden in den Ausschüssen noch
genügend Zeit haben, über Ihren Antrag zu debattieren.

Lieber Herr Thomae, Ihrem Antrag können wir aus den
genannten Gründen unsere Zustimmung nicht geben.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415204000
Für die
Fraktion der SPD spricht nun die Kollegin Regina
Schmidt-Zadel.


Regina Schmidt-Zadel (SPD):
Rede ID: ID1415204100
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, ich finde es
ganz besonders bemerkenswert – deswegen will ich das
hervorheben –, dass Sie in den Mittelpunkt Ihrer Rede,
aber auch Ihrer Politik die Menschen stellen, nämlich die
Versicherten und die Kranken. Deswegen möchte auch
ich Ihnen ganz herzlich für Ihre Rede danken.


(Beifall bei der SPD)

Herr Seehofer, es reizt mich ja, auf Ihre Rede einzuge-

hen. Ich werde es aber nicht tun; denn ich habe positive
Dinge zu verkünden und das andere ginge von meiner Re-
dezeit ab. Nur eines will ich Ihnen sagen: Wir haben die
Budgets wieder eingeführt,


(Zurufe von der F.D.P.: Leider!)


weil Sie uns eine desolate Situation im Gesundheitswesen
hinterlassen haben, meine Damen und Herren. Deswegen
mussten wir sie wieder einführen.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: 2,8 Milliarden DM Überschuss sind desolat?)


Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür – Herr
Thomae, da können Sie noch so böse gucken –, dass Sie
Ihre Rückwärtsgewandtheit in vielen Bereichen zum
Grundprinzip Ihrer gesundheitspolitischen Überlegungen
machen. Aber das genau tun Sie mit den heute vorliegen-
den Entwürfen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Ach, Regina!)

Wenn ich mir ansehe, was in Ihrem Gesetzentwurf steht,
dann frage ich mich ernsthaft: Warum haben Sie denn
nicht gleich einen Gesetzentwurf für die Wie-
dereinsetzung der alten Kohl-Regierung geschrieben?
Darauf läuft die Sache doch letztlich hinaus, meine Da-
men und Herren.


(Beifall des Abg. Klaus Kirschner [SPD] – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Da waren die Leute besser dran als mit eurem Gemurkse!)


Sie kommen mit alten Kamellen. Sie legen verstaubte
Vorschläge vor, mit denen Herr Seehofer schon zu seinen
Ministerzeiten große Schwierigkeiten hatte. Herr
Seehofer, wir würden Ihnen ja einen Botschafterposten
gönnen. Wir können gemeinsam überlegen, wo.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Israel!)

Dazu sind wir gerne bereit.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nein! Wir brauchen unsere guten Leute hier! – Zuruf von der CDU/CSU: Das würde Ihnen so passen!)


Ich stelle fest: Anstatt überzeugende Konzepte vorzu-
legen, mit denen unser Gesundheitswesen für die nächs-
ten Jahrzehnte fit gemacht werden kann, anstatt in einen
Dialog darüber einzutreten, welche Prioritäten in der Ge-
sundheitspolitik gesetzt werden sollen, und anstatt kon-
struktiv mit uns zu diskutieren – dazu fordern wir Sie
heute auf – kramen Sie in der Mottenkiste die alten, ver-
staubten Parolen heraus.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Was wollt ihr denn?)


– Hören Sie gut zu! Dazu komme ich noch. – Dabei ist
doch allen Akteuren im Gesundheitswesen längst klar: In
der Debatte um die Zukunft der GKV geht es nicht in ers-
ter Linie um die Budgetierung. Wer über die Zukunft der
gesetzlichen Krankenversicherung spricht, muss doch vor
allem über die Verbesserung der Versorgungsqualität
und über die Situation der Menschen sprechen. Darauf hat
die Ministerin hingewiesen.


(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie uns doch nicht über eine Gesundheitspoli-

tik von gestern reden,

(Klaus Kirschner [SPD]: Von vorgestern!)





Dr. Ruth Fuchs

14847


(C)



(D)



(A)



(B)


sondern über eine von morgen. Unsere Ideen und Vorstel-
lungen möchte ich Ihnen jetzt gerne vortragen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ist das jetzt die dritte Version?)


Die Bundesgesundheitsministerin hat in ihrer Rede die
Grundzüge formuliert. Ich möchte daran anknüpfen und
für meine Fraktion auf einige Aspekte eingehen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Ja, bitte!)

Wie wir alle wissen, bewirken die Strukturen unseres Ge-
sundheitswesens derzeit Unter-, Fehl- und Überversor-
gung.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das Gutachten ist doch noch gar nicht vorgelegt!)


Jahrzehntealte Strukturen stemmen sich trotz manchen
Erfolges immer noch gegen eine Weiterentwicklung.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wo sind die Erfolge?)


In einigen Bereichen fehlt das Geld, in vielen anderen Be-
reichen wird es aber geradezu verschleudert, auch im Ge-
sundheitswesen.


(Beifall bei der SPD)

Das gilt vermutlich für viele medizinische Versorgungs-
bereiche;


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Beispiele!)

das wird das Gutachten des Sachverständigenrates be-
stätigen. Wir alle wissen das und wir alle müssen verhin-
dern, dass diese Entwicklung, auf die ich eben hingewie-
sen habe, so weitergeht. Erfolgreiche Konzepte der
Gesundheitsreform 2000 – auch darauf hat die Ministerin
hingewiesen –, wie die Schaffung integrierter Versor-
gungsformen, müssen konsequent umgesetzt und weiter-
entwickelt werden.

Sie alle wissen, warum bisher nicht mehr Veränderun-
gen in der Gesundheitspolitik möglich waren. Sie von der
CDU/CSU und der F.D.P. haben mit Ihrer Fundamen-
talopposition und Ihrem Stimmverhalten im Bundesrat
Veränderungen verhindert.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das Globalbudget haben wir verhindert, mehr nicht!)


Umdenken heißt die Parole. Ziel muss es sein, eingespar-
tes Geld nicht aus dem System herauszuziehen, sondern
in den unterentwickelten Bereichen des Systems einzu-
setzen.


(Beifall bei der SPD)

Es ist höchste Zeit zum Umdenken bei allen politisch

Verantwortlichen – dazu fordere ich Sie auf –, aber auch
bei den Krankenkassen, der Pharmaindustrie – darauf ist
schon hingewiesen worden –, den die Leistungen erbrin-
genden Menschen


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ihr müsst nicht so oft wechseln! Sonst müsst ihr immer wieder von vorne anfangen!)


– Herr Zöller, Sie können gleich noch reden und darauf
eingehen –


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Leider nicht!)

und den unterschiedlichen Verbänden. Für viele ist das
selbstverständlich. Ich möchte aber nochmals betonen:
Wir erwarten, dass die Menschen, ganz gleich mit welcher
Erkrankung sie zum Arzt gehen und ob in Norddeutsch-
land oder in Süddeutschland, ob in Ballungszentren oder
auf dem Land, möglichst einheitlich und nach dem wis-
senschaftlichen Stand behandelt werden. Das ist es, was
wir fordern.


(Beifall bei der SPD – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wir auch!)


Sie wissen, dass das heute keineswegs der Fall ist.

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Und wo ist das Konzept?)

Wir wissen, es kann theoretisch nur die beste Behand-

lung einer Erkrankung geben. In der Praxis geht es um die
am besten geeigneten Therapien. Alle diese Therapien
müssen jedem gesetzlich Krankenversicherten unabhän-
gig vom Einkommen und unabhängig vom Wohnort zur
Verfügung stehen. Dafür kämpfen wir.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Durch Budgetierung?)


Behandlungsleitlinien, Qualitätszirkel und vergleichbare
Einrichtungen scheinen hier wirklich eine Lösungsoption
zu sein. Diese Entwicklung kommt, aber sie kommt viel-
leicht auch zu langsam. Das will ich eingestehen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Deshalb brauchen wir Neuwahlen!)


Wir brauchen den Willen und auch die Fachkompetenz
der Ärzteschaft. Wir möchten den emanzipierten Patien-
ten. Wir möchten, dass auch die Krankenkassen sich der
Qualitätsaufgabe noch mehr annehmen, als dies bereits
in der Vergangenheit geschehen ist. Wir wünschen uns
mehr Experimentierfreude bei Erkrankungs- und Einzel-
fallmanagement im Interesse aller Versicherten. Wir
werden – darauf können Sie sich verlassen – alles dazu
Notwendige veranlassen, damit dieses in die Tat umge-
setzt wird.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Bitte nicht! – Detlef Parr [F.D.P.]: Dann sind wir verlassen!)


Wir begrüßen ausdrücklich Ihre Einladung, Frau Mi-
nisterin, zu einem Dialog aller am Gesundheitswesen Be-
teiligten. Es gibt nämlich viele Gemeinsamkeiten und
Ziele, für die sich der gemeinsame Kampf lohnt. Wir müs-
sen es nicht Lahnstein 2 nennen, Herr Seehofer. Ich
komme aus dem Wahlkreis Mettmann, vielleicht machen
wir ein Mettmann 1, um diese Ziele durchzusetzen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Nein! Rheinisch geklüngelt wird nicht!)


Wir wünschen uns eine finanzielle und eine solida-
risch-menschliche Seite, die oft vergessen wird. Ich lade
alle Verantwortlichen zur Mitarbeit ein. Die SPD-Bun-




Regina Schmidt-Zadel
14848


(C)



(D)



(A)



(B)


destagsfraktion und die SPD wissen, dass die Gesund-
heitspolitik einen sehr hohen Stellenwert in der Bevölke-
rung einnimmt. Ich erinnere an die vergangenen Wahlen,
die das gezeigt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen scheuen wir uns nicht, vorzuzeigen, was wir
bisher geleistet haben.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Jeden Tag etwas Neues verkünden!)


Auch für die Zukunft gelten die Grundsätze unserer
Gesundheitspolitik: hohe Dialogbereitschaft, hohe Ver-
sorgungsqualität und – darauf will ich ganz besonderen
Wert legen – die solidarische Finanzierung und die medi-
zinisch beste Versorgung.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Und das für 2,50 DM!)


Darauf können sich die Bürgerinnen und Bürger in diesem
Land verlassen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Auf die Budgetierung!)


Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415204200
Nunmehr
gebe ich das Wort dem Kollegen Wolfgang Lohmann für
die CDU/CSU-Fraktion.


(Klaus Kirschner [SPD]: Lüdenscheid!)

– Ja, Lüdenscheid.


Wolfgang Lohmann (CDU):
Rede ID: ID1415204300

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade wurde „Lüden-
scheid“ gerufen. Ich schlage vor, aus Lahnstein Lü-
denscheid zu machen.


(Klaus Kirschner [SPD]: Das ist ein Angebot!)

Dann sind wir auch sicher, dass nicht geklüngelt wird. Sie
wissen, dass im Rheinland geklüngelt wird, wir Westfalen
aber sind strack durch, wie man bei uns sagt.

Meine Damen und Herren, liebe Frau Schmidt-Zadel,
Sie erwarten eine einheitliche und qualitativ hochwer-
tige Versorgung nach Standards. Aber wir sehen daran,
dass die Betroffenen nicht mehr zu Ihnen kommen, wie
sehr die Versorgung inzwischen gelitten hat, und zwar un-
ter dieser Regierung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Insofern hätte es auch möglich sein können, dass Sie

das, was in der Vergangenheit geschehen ist, kritisieren
und sagen: Wir wollen zu neuen Ufern aufbrechen, um
diese Ziele, die im Grunde genommen gemeinsame Ziele
sein müssen, zu erreichen. Eingefangen werden wir aber

nicht. Und wenn Sie glauben, dass wir Horst Seehofer
gern irgendwo zum Botschafter machen würden,


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Im Vatikan!)

irren Sie. Der wird hier dringend gebraucht. Wir lassen
ihn uns nicht wegmobben; damit das klar ist.

Frau Ministerin, jetzt möchte ich gern etwas aus dem
Blatt zitieren, das heute erschienen ist und in dem sicher
wieder alles falsch steht. Dort heißt es:

Ulla Schmidt ist richtig nett. Ob Ärzte, Patienten oder
Kassenmanager – für jeden hat die Gesundheitsminis-
terin ein aufmunterndes Wort. Mit pädagogischer
Freundlichkeit wirbt sie für eine „Gesundheitspolitik
des Vertrauens“

– das macht sie auch heute hier –
oder lädt zum „Miteinander“ ein.

Letzter Satz in diesem Absatz:
Eine rheinische Frohnatur als wandelnde Beruhi-
gungspille.

Genau diesem Eindruck können wir uns nicht entziehen,
denn immer dann, wenn auch von diesem Blatt die Frage
gestellt wird, was möglicherweise konkret gemacht wer-
den soll, um eine Wende einzuleiten, bleiben Sie im Ne-
bulösen.

Sie haben unmittelbar nach Amtseintritt angekündigt,
Sie wollten die Kollektivhaftung der Ärzte abschaffen.
Sie sagten wörtlich:

Es bleibt bei der Grundaussage, dass berechenbare
finanzielle Stabilität letztlich nicht durch starre Bud-
gets gewährleistet werden kann. ... Am allerwenigs-
ten brauchen wir Instrumente, deren Wirksamkeit in
der Praxis nicht unter Beweis gestellt werden kön-
nen.

Das ist ein Teil unseres Antrags, Sie haben aber kein gutes
Haar daran gelassen bzw. nichts zu diesem Antrag gesagt.

Sie tun seit Ihrem Amtsantritt so – das ist jetzt der für
uns entscheidende Punkt –, als würde Rot-Grün nicht
schon seit zwei Jahren regieren. Auf dem Empfang der
Bundesärztekammer vergangene Woche sagten Sie sogar,
Sie hätten alles viel schlimmer vorgefunden als erwartet.
Ist Frau Fischer gerade da? – Nein.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Sie wird sich sicher sehr für die Beurteilung dessen, was
sie in den letzten zwei Jahren gemacht hat, interessieren,
die von einem Mitglied der Koalitionsregierung geäußert
wird. Aber Sie sind doch dafür verantwortlich, was sich
tagtäglich in den Arztpraxen und Krankenhäusern ab-
spielt. Mit Ihrer Budgetierungsorgie – wir haben das an
den verschiedensten Stellen immer wieder kritisiert; auch
Horst Seehofer hat das eben noch einmal deutlich ge-
macht – sind Sie gescheitert. Jetzt muss Farbe bekannt
werden, was sich in Zukunft ändern soll.

Es ist auch zu fragen, ob beim Bundeskanzler und bei
Ihnen in Vergessenheit geraten ist, dass durch Ihren
Druck – auch das wurde heute schon angedeutet – die




Regina Schmidt-Zadel

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(C)



(D)



(A)



(B)


Einführung der Budgets in die Koalitionsvereinbarung
aufgenommen worden ist. Sie werden sich jetzt überlegen
müssen, wie Sie aus dem eben schon geschilderten Di-
lemma herauskommen wollen, um die Koalition auf-
rechtzuerhalten.

Nun haben wir gestern in den Abendstunden und heute
verschiedene Zitate gelesen. Ein Teil wird sicherlich de-
mentiert werden oder ist schon dementiert worden, viel-
leicht auch das, was Professor Rürup, einer der wich-
tigsten Berater der Regierung, gesagt hat. Das mag ja sein.
Aber was die Einzelnen von Ihnen gesagt haben, kann we-
niger gut dementiert werden. Danach soll es im Gegensatz
zu dem, was Frau Schmidt-Zadel eben angekündigt hat
– sie sagte, es bleibe alles beim Alten – , eine grundsätz-
liche Änderung und Wende geben.

Herr Struck zum Beispiel, der Fraktionsvorsitzende,
sagt, dass bis zur Wahl bloß keine umstürzlerischen Ge-
sundheitsreformversuche unternommen werden sollen.
Dies richtet er praktisch an Ihre Adresse.

Herr Minister Müller, der Gralshüter der Wirtschafts-
interessen, charakterisiert das, was in der Parteispitze bei
Ihnen als „harter Sprung für die SPD“ verklausuliert wird,
folgendermaßen:

Das wird eine Revolution; aber wir müssen ja ir-
gendwann mal damit anfangen.

Es wäre gut, wenn man einmal hören würde, was konkret
damit gemeint ist.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Der Müller kippt doch permanent!)


Vorsichtshalber haben Sie aus diesen Gründen den
Zeitpunkt für den angekündigten Kurswechsel offen ge-
lassen. Weil man den Eindruck haben könnte, dass große
Teile dieser neuen Überlegungen bei uns auf fruchtbaren
Boden fallen würden, haben wir Ihnen nun ganz kurz-
fristig den Gefallen getan, diesen Gesetzentwurf als Hilfe
mit ins Gespräch zu bringen, damit Sie in Ihrer Koalition
vielleicht noch schneller daran arbeiten können, als Sie es
ursprünglich vorgesehen haben.

Diese Budgets müssen weg. Die Multiple-Sklerose-
Gesellschaft berichtet, dass von 60 000 Patienten, bei de-
nen eine Therapie mit Interferon indiziert ist, wegen der
fallbeilartigen Verhinderung durch das Budget zurzeit nur
15 000 behandelt werden können. Die Deutsche Parkin-
son-Vereinigung weist darauf hin, dass häufig im Kran-
kenhaus medikamentös gut eingestellten Patienten vom
ambulant weiterbehandelnden Arzt aus Budgetgründen
die Medikamente vorenthalten werden. – All das sind Tat-
sachen, auf die Sie bisher aber nicht eingegangen sind.
Darüber wundern wir uns, denn Sie führen doch offen-
sichtlich – zumindest nach Ihren Ankündigungen – auch
Gespräche mit den Betroffenen. Und in Ihrer Koalitions-
vereinbarung haben Sie den Patienten- bzw. Verbrau-
cherinteressen Vorrang eingeräumt.

Diese Beispiele ließen sich fortführen. Ich möchte aber
noch gerne auf den vielstimmigen Chor – es ist ja ein
misstönender Chor, weil jeder aus der Koalition etwas an-
deres singt – eingehen und erläutern, welche Töne dort
zurzeit angestimmt werden.

Eike Hovermann – er ist ja nicht irgendjemand; herzli-
che Gratulation zur Wahl zum stellvertretenden gesund-
heitspolitischen Sprecher – hat in der Veröffentlichung
der Betriebskrankenkassen unter dem Titel „Wettbewerb
im Gesundheitswesen“ gesagt:

Wir werden ein entscheidendes Thema nicht mehr
ausklammern können, nämlich die Diskussion über
Kernleistungen und Ergänzungsleistungen. Dabei
werden wir uns wichtigen Fragen stellen müssen:
...Was kann und soll in Zukunft solidarisch von der
Gemeinschaft der Versicherten bezahlt werden ...?

Das bezieht sich also auf den Regelleistungskatalog.
Was muss in Zukunft jeder selbst tragen ... ?

Es ist doch interessant, dass das Dementi schnell, in den
nächsten Tagen, erfolgt ist.

Herrn Müller habe ich eben als Gralshüter bezeichnet.
Zu Herrn Kirschner würde ich sagen: Er ist einer der letz-
ten Betonfacharbeiter aus der Dressler-Riege.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Kirschner [SPD]: Ich bin Werkzeugmacher!)


Er sagt schon vorbeugend, die Debatte um eine Spaltung
der Krankenversicherung in Grund- und Wahlleistun-
gen zerstöre die Akzeptanz jedes Solidarsystems. Das
heißt, wir können mit Ihnen gar keine Gespräche führen,
solange wir dafür keine Basis haben. Oder wollen Sie uns
zumuten, dass wir mit zehn, zwölf oder 15 verschiedenen
Mitgliedern Ihrer Koalition Einzelgespräche führen, um
erst einmal zu erkunden, auf welchem Pfad sie sich be-
wegen? Dies hat wenig Sinn.

Inzwischen beklagen – das ist heute auch schon gesagt
worden – die Ärzte – weil wir gerade von Budgets, der
Abschaffung des Honorarbudgets und den damit verbun-
denen Regressforderungen sprechen – im Osten große
Schwierigkeiten. Wir reklamieren schon seit Monaten in
fast jeder Ausschusssitzung, dass etwas geschehen muss,
aber es geschieht nichts.

Es ist nicht nur so, dass dort die Morbiditätsrate höher
ist als bei uns, dass dort also mehr geleistet werden muss.
Nein, allein schon die Zahl der Patienten pro Arzt ist in
den neuen Bundesländern größer als hier. Infolgedessen
müssen sie wesentlich mehr arbeiten, bekommen aber we-
niger Honorar und müssen obendrein noch einen Ab-
schlag hinnehmen. Das muss unbedingt geändert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Bei der Ministerin spielt der Osten überhaupt keine Rolle!)


Wenn Vertreter unserer Seite das Wort „Eigenverant-
wortung“ in den Mund nehmen, ruft Herr Kirschner meis-
tens „Zuzahlung!“.


(Klaus Kirschner [SPD]: Das stimmt doch!)

Das ist uralt und falsch. Sie können sich nicht vorstellen,
dass Menschen Eigenverantwortung übernehmen kön-
nen, ohne automatisch zu Mehrzahlungen gezwungen zu
sein. Die Menschen wollen entscheiden, welche Versor-




Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)

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(C)



(D)



(A)



(B)


gung, welche Sicherheit sie für ihr Geld einkaufen. Sie
wollen möglicherweise ein geringeres Risiko abdecken
und dafür einen geringeren Beitrag zahlen. Warum sollen
sie das nicht können?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Monika Knoche [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Weil sie nicht wissen, wann sie wie krank werden! – Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Dann müssen die Bürger ein Medizinstudium anfangen, damit sie auch entscheiden können!)


Frau Schmidt, Ihr Chef, Herr Schröder, der Ihnen auch
die Verhaltensmaßregeln mit auf dem Weg gegeben hat
– was auch richtig ist –, hat in dem Aufsatz „Zivile Bür-
gergesellschaft“ auch geschrieben, dass ein Gesundheits-
wesen ohne finanzielle, geistige und in diesem Fall buch-
stäblich körperliche Selbstbeteiligung der Versicherten
nicht mehr vorstellbar ist.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.], zur SPD gewandt: Klaus, stimmt das?)


Das ist eine richtige Erkenntnis, die aber bisher von Ihnen
immer diffamiert wurde und keineswegs zu einem Um-
denken geführt hat.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415204400
Herr Kol-
lege Lohmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Ab-
geordneten Dr. Seifert?


Wolfgang Lohmann (CDU):
Rede ID: ID1415204500
Ja.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1415204600
Herr Kollege Lohmann, können
Sie mir und anderen vielleicht erklären, wie ein System
solidarisch funktionieren soll, bei dem sich jemand dann,
wenn er gesund ist, überlegt, für welche Krankheiten er
sich versichert und für welche nicht? In Ihrer Rede haben
Sie gesagt, dass gerade das solidarische System ein wich-
tiger Bestandteil unseres Gesundheitswesens sei. Wie soll
dies funktionieren, wenn sich jemand aussuchen kann, für
welche Krankheiten er sich absichert? Sie wissen ganz ge-
nau, dass das Prinzip der solidarischen Versicherung darin
besteht, dass diejenigen, denen es gut geht, mehr einzah-
len, als sie herausbekommen, und diejenigen, denen es
schlecht geht, mehr herausbekommen, als sie einzahlen.
Anders kann es nicht funktionieren.


Wolfgang Lohmann (CDU):
Rede ID: ID1415204700
Sie
versuchen mich nun auf den Pfad der Differenzierung
zwischen Kern- und Wahlleistungen zu führen und wol-
len, dass ich einzelne Krankheiten benenne. Das ist so
nicht richtig. Es geht um Folgendes: Es gibt heute einen
Leistungskatalog. Jeder weiß, welche Leistungen dieser
umfasst. Dieser Katalog enthält so genannte Kernleistun-
gen, die unbedingt Bestandteil der Krankenversicherung
bleiben müssen, damit nicht jemand, der sie abgewählt
hat, in einigen Jahren sagen kann: Ich habe die entspre-
chende Krankheit und muss nun behandelt werden, und
zwar zulasten der Solidargemeinschaft. – Das andere sind
Wahlleistungen oder – wie Herr Hovermann sagt – Zu-
satzleistungen. Nun soll der Versicherte nicht entscheiden

müssen, ob er Leistungen hinzuwählt und dafür zusätzlich
bezahlt, sondern sagen können: Auf diesen Teil kann ich
verzichten und habe dafür einen niedrigeren Beitrag zu
zahlen. Das ist eine ökonomische Eigenverantwortung.

Anders ausgedrückt: Warum soll es nicht möglich sein
– das stand bereits in unserem Gesetz –, zum Beispiel
500 DM pro Jahr selbst an Kosten zu übernehmen, wenn
dadurch weniger Beiträge bezahlt werden müssen, wie
das bei einer privaten Krankenversicherung immer schon
der Fall gewesen ist? Warum wollen Sie den Menschen
die Möglichkeit der freien Entscheidung, der Wahl und
ein Mehr an Eigenverantwortung nicht geben? Das ist die
Frage.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Menschen werden nicht gezwungen, dies zu machen,
sondern es ist eine Option, die ihnen geboten wird.

Ich will in der letzten Redeminute, die mir bleibt, noch
etwas ansprechen: Liebe Frau Schmidt, Sie hätten die
Möglichkeit gehabt – Sie haben das nicht getan, was ich
bis zu einem gewissen Grad verstehen kann –, zu dem,
was bei vielen Kollegen und wichtigen Kräften Ihrer Ko-
alition im Gespräch ist, Stellung zu nehmen. Wenn das
heute nicht geschieht, dann erwarten wir, dass Sie dies in
den nächsten Tagen tun, spätestens am 7. März dieses Jah-
res, an dem Sie – immerhin sieben Wochen nach Ihrer Ver-
eidigung – dem Ausschuss Bericht erstatten werden. Wir
möchten gerne wissen, was unter einer „Grundversor-
gung“ zu verstehen ist, von der heute Ihre Kollegen ge-
sprochen haben. Gleiches gilt, wenn von einem Verzicht
auf Zahnersatz oder Psychotherapie die Rede ist. Ich zi-
tiere Sie selbst, Frau Schmidt, und keinen anderen: Ich
meine die Unfallkosten bei Risikosportarten. Übrigens
betreibe auch ich eine Risikosportart.


(Klaus Kirschner [SPD]: Welche? – Zuruf von der SPD: Er ist in der CDU!)


Sie sagten: Wer das macht, muss sich nebenbei versi-
chern.

Wenn Sie dies vorhaben, sagen Sie dies bitte deutlich.
Dann werden wir gemeinsam darüber sprechen und ein
Gesamtkonzept erarbeiten, bei dessen Diskussion sich un-
sere Standpunkte annähern können. Aber Ihre Freund-
lichkeit allein reicht nicht. Sie haben schon die ganze
Zeit – das ist mein letzter Satz – den Mund gespitzt. Ich
habe bei anderer Gelegenheit Frau Fischer gesagt: Den
Mund zu spitzen reicht nicht, es muss auch gepfiffen wer-
den. Nur dann gibt es Antworten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415204800
Für die
Fraktion der F.D.P. spricht nun der Kollege Detlef Parr.


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1415204900
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Oecher Tön, dat is schön, Frau Ministerin.
Als Düsseldorfer könnte ich eigentlich über den rheini-
schen Ton froh sein, der die gesundheitspolitische Musik
in Zukunft ausmacht. Aber die Frage bleibt auch nach




Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)


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(A)



(B)


Ihrer Antrittsrede, Frau Ministerin, weiter unbeantwortet,
ob Sie die schrillen Dissonanzen der Vergangenheit wirk-
lich abstellen können.


(Beifall bei der F.D.P.)

Auch wenn in Ihrer Heimatstadt Aachen soeben Guido

Westerwelle den „Orden wider den tierischen Ernst“ er-
hielt – ich will kein Spaßverderber sein –, kommen wir an
der Feststellung nicht vorbei, Herr Kirschner: Die Lage
im Gesundheitswesen ist bitterernst. Mit Schönrederei
kommen wir nicht weiter.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das habt Ihr doch zu verantworten!)


Wir haben durch die Rolle rückwärts, Frau Schmidt-
Zadel, der grünen Amtsvorgängerin von Frau Schmidt
zweieinhalb Jahre Zukunft verspielt.


(Beifall bei der F.D.P.)

Erinnern wir uns, welche zarten Pflänzchen der Eigen-

verantwortung, der Wahlmöglichkeiten und des Wett-
bewerbs Ihre grüne Vorgängerin konzeptions- und gedan-
kenlos zertreten hat. Ich nenne einige Beispiele: die freie
Entscheidung der gesetzlich Versicherten für die Kosten-
erstattung und damit den Durchblick des Patienten auf die
tatsächlichen Kosten eines Arztbesuches, den möglichen
Versicherungsschutz mit Selbstbehalt und Beitragssen-
kungen,


(Klaus Kirschner [SPD]: Warum haben wir das Transparenzgesetz?)


Beitragsrückerstattungen, eine berechenbare Bezahlung
ärztlicher Leistungen mit festen Punktwerten und Preisen.
Wo sonst gibt es in Deutschland einen Berufsstand, der et-
was leistet und erst später erfährt, was ihm für diese Leis-
tung gezahlt wird?


(Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU] Weitere Punkte sind: Festzuschüsse beim Zahnersatz mit der Freiheit der Vereinbarung, bei höherwertigem Zahnersatz nach eigenem Ermessen zuzuzahlen, und – als letztes Beispiel – die Abschaffung der Kostenübernahme von Zahnersatz bei Jugendlichen, um die Verantwortung für die eigene Zahnpflege von klein auf anzureizen. An dieser Stelle ein Wort an Horst Seehofer mit einem verschmitzten Blick zurück, der aber ohne Zorn ist. Bei mancher heute von Ihnen mit Begeisterung vorgetragenen Idee hat Sie die F.D.P. ein wenig tragen müssen. (Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Wen wollt ihr denn tragen?)


Für manches mussten wir uns sogar beschimpfen lassen.
Wir werden, Dieter Thomae, die Last des Transports über-
zeugender Ideen natürlich gerne weiter auf uns nehmen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Gute Medizin schmeckt manchmal bitter. Wir müssen

den Versicherten endlich die Wahrheit sagen: Mit be-
grenzten Mitteln sind Leistungen nicht unbegrenzt zu be-
zahlen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Kirschner [SPD]: Das sagt doch niemand!)


– Doch, das sagen Sie. Sie gaukeln den Versicherten et-
was vor, Herr Kirschner.

Wir werden immer älter. Der medizinische Fortschritt
ist rasant und nicht zum Nulltarif zu haben.

Ordnen wir das Verhältnis von Subsidiarität und Soli-
darität neu! Reden Sie nicht nur von Solidarität, sondern
auch von Subsidiarität. Trauen wir allen Beteiligten im
Gesundheitswesen mehr Eigenverantwortung und eigene
Entscheidungen zu! Herr Seehofer hat das Neuordnungs-
gesetz von 1997 angesprochen. Stellen wir dieses Gesetz
auf den Prüfstand und entwickeln wir es in den Punkten
weiter, wo es angefangen hat, sich zu bewähren. Dabei
gehören Verantwortung und Transparenz zusammen. Das
Bewusstsein für die Kostenentwicklung, die alle Beteilig-
ten beeinflussen können, muss geschärft werden. Es muss
ein Wettbewerb der Krankenkassen um Qualität – oft an-
gesprochen – durch Flexibilisierung und echte Gestal-
tungsrechte in den Tarifen und Versorgungsstrukturen in
Gang gesetzt werden.

Eines steht auch für uns außer Frage: Auch in Zukunft
sollen Bürger im Krankheitsfall die notwendige medizi-
nische Versorgung erhalten. Niemandem darf die medi-
zinisch notwendige Versorgung versagt werden – wie dies
Ihre Budgetierungspolitik zur Folge hat –, nur weil er über
zu wenig Einkommen verfügt. Genauso gilt aber, dass
nicht alles, was wünschenswert ist, über die sozialen Si-
cherungsnetze finanziert werden kann.


(Klaus Kirschner [SPD]: Das gab es noch nie!)

Frau Ministerin, ein letztes Wort: Bedenken Sie bei al-

len neuen Überlegungen, dass wir eine Gesundheitspoli-
tik für mündige Versicherte und freie Heilberufe machen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sollten wir!)

Auch den Forschungsstandort Deutschland dürfen wir da-
bei nicht vergessen. Ärzte, Apotheker und Therapeuten
dürfen nicht zu Kassenangestellten oder Staatsbeschäftig-
ten degradiert werden.


(Beifall bei der F.D.P.)

Die Versicherten sollen nicht länger Zwangsversicherte
ohne eigene Gestaltungsmöglichkeiten bleiben.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Ohne eigene Zuzahlung!)


Abschließend, Frau Schmidt-Zadel, erinnere ich an ein
Wort Ihres Kanzlers, das wir alle noch im Ohr haben: Wir
wollen nicht alles anders, aber vieles besser machen. –
Diese Bundesregierung hat in der Gesundheitspolitik bis
heute fast alles anders, aber nichts besser gemacht. Also:
Ballonmütze ab, ideologische Scheuklappen weg und Al-
ternativen erkennen! Wir sind zu einem sachlichen Dialog
bereit.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)





Detlef Parr
14852


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415205000
Als letzter
Redner in dieser Debatte spricht der Kollege Klaus
Kirschner für die SPD-Fraktion. Er ist nicht Beton-
facharbeiter, sondern Werkzeugmacher und Mechaniker-
meister.


Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1415205100
Herr Präsident! Auch der
mir zugedachte Beruf ist keine Schande, ich wollte nur
korrekterweise die Tatsache dem Kollegen Lohmann
durch meinen Zuruf deutlich machen.

Was die neue Politik angeht: Lieber Herr Kollege Parr,
ich denke an den Gewürzpflanzenanbau in Westfalen-
Lippe. Das ist ja die neue Gesundheitspolitik.


(Eike Maria Hovermann [SPD]: Gegen die Pharmaindustrie!)


Als Fazit dieser Debatte will ich feststellen: Sie von
CDU/CSU und F.D.P. haben das Ziel – das kommt sowohl
im Gesetzentwurf als auch in Ihrem Antrag zum Aus-
druck –: Es soll mehr Geld für die Leistungserbringer
fließen. Herr Kollege Seehofer, das ist Ihre Botschaft. Sie
blenden aber aus, wer es bezahlen soll.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Nein! Nein!)

– Doch, sicher. Ich habe nichts davon gehört.

Lassen Sie mich noch eines sagen: Die einzige Bot-
schaft, die ich von Ihnen vernommen habe, ist die Aus-
grenzung des Zahnersatzes aus der vertragszahnärztlichen
Versorgung. Dazu kann ich nur sagen: Diagnose falsch
und Therapie verfehlt. Wir haben das in der Vergangenheit
erlebt.

Es ist unbestritten, dass eine moderne Gesundheits-
versorgung viel Geld kostet. Man kann doch nicht so tun,
Herr Kollege Parr, als ob Gesundheit zum Nulltarif zu ha-
ben sei. Ich bitte Sie: Die GKV hat 1999 256 Milliar-
den DM ausgegeben, 2000 260 Milliarden DM und wird
in diesem Jahr voraussichtlich 266 Milliarden DM ausge-
ben. Wer kann denn in diesem Zusammenhang von einem
Nulltarif reden?


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Herr Parr kann nicht rechnen!)


– Wo steht denn die Bundesrepublik Deutschland?
Herr Kollege Lohmann, wenn Sie die Gesundheitsmi-

nisterin Schmidt zitieren, tun Sie das bitte im richtigen
Zusammenhang. Wenn Sie sie mit der Aussage zitieren,
sie habe die Verhältnisse schlimmer vorgefunden, so muss
man den Zusammenhang sehen. Sie hat gesagt, das Ganze
sei ein Haifischbecken, in dem um Partikularinteressen
gestritten werde, und dieser Umstand sei viel schlimmer,
als sie sich das gedacht habe. Ich bitte Sie, in dieser Aus-
sage keine Abgrenzung – wie das von Ihrer Seite zwar
versucht wird, wie es aber nicht gemeint ist – zu ihrer Vor-
gängerin zu sehen.

Ich frage noch einmal: Wo stehen wir? Die Bundesre-
publik Deutschland gibt in Europa, gemessen am Brut-
toinlandsprodukt, das meiste Geld für das Gesundheits-
wesen aus. Wir stehen damit weltweit an zweiter Stelle.
Deshalb kann die Frage auch nicht lauten: Muss mehr

Geld in das Gesundheitssystem hineingesteckt werden?
Die entscheidende Frage lautet vielmehr: Wie viel Geld
wird bei der Diagnostik und bei den Therapien durch nicht
notwendige, nicht indizierte und nicht qualitätsgesicherte
Leistungen – auch bedingt durch Überkapazitäten und
Doppelstrukturen –, die deswegen nicht solidarisch zu fi-
nanzieren sind, fehlgeleitet?


(Beifall bei der SPD)

Sie können doch nicht die Tatsache ignorieren, dass wir

in Deutschland die höchste Bettendichte mit der längsten
Verweildauer in den Krankenhäusern, die höchste Zahl an
Röntgenuntersuchungen, die meisten Linksherzkatheter-
untersuchungen und mit die höchsten Arzneimittelkos-
ten haben. Sie tun so, als ob die Sparmöglichkeiten bei
den Medikamenten ausgereizt seien.

Ich möchte jetzt auf Ihre Angstmacherei mit der Ratio-
nierung eingehen. Ein Kostenvergleich bei Blutdrucksen-
kern in Baden-Württemberg


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Nicht schon wieder Baden-Württemberg!)


– lieber Kollege Dieter Thomae, ich kann auch Rhein-
land-Pfalz als Beispiel nehmen – macht deutlich


(Zuruf des Abg. Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU])


– hören Sie doch einmal genau zu; Sie können ja versuchen,
das, was ich Ihnen jetzt sagen werde, zu widerlegen –, dass
zum Beispiel durch die Verordnung von Generika und den
Verzicht auf teure Analogpräparate, die in der Fachspra-
che Metoos heißen, alleine im zweiten Quartal 2000 nur
bei den kostenintensivsten Arzneimitteln rund ein Drittel
der Kosten,


(Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Ein Drittel!)

nämlich sage und schreibe 46Millionen DM, einzusparen
gewesen wären. Hätte man 1999 beim ACE-Hemmer
Captopril in allen KV-Bereichen – zu diesem Ergebnis
kommt das Wissenschaftliche Institut der Ortskranken-
kassen bei der Auswertung des Arzneimittelmarktes –
zum günstigsten Tagestherapiepreis substituiert, ergäbe
sich ein theoretisches Einsparpotenzial im gesamten Be-
reich der GKV von fast 140 Millionen DM.


(Zuruf von der SPD: Ohne Qualitätsverlust!)

Beim Betarezeptorenblocker Metoprolol wären es rund
177 Millionen DM gewesen. Meine Damen und Herren
von der Opposition, in welcher Welt leben Sie denn, dass
Sie solche Fakten nicht zur Kenntnis nehmen?


(Beifall bei der SPD)

Ich möchte auch etwas zur Versorgung der Diabetiker

sagen, die der Kollege Seehofer bereits angesprochen hat.
Der MDK Baden-Württemberg hat in einer Untersuchung
festgestellt, dass im zweiten Quartal 2000 in Baden-Würt-
temberg 10,63 Millionen DM für Kunstinsuline, Amaryl
und Glucobay ausgegeben wurden. Hätte man auf die
preisgünstigsten Generika und auf standardisierte Thera-
pien mit bewährten Diabetesmedikamenten zurückge-
griffen, hätte man 7 Millionen DM einsparen können.
Wenn Sie sich diese Zahlen einmal vor Augen führen,






(C)



(D)



(A)



(B)


dann können Sie mit der Rationierung doch nicht den
Teufel an die Wand malen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist ein typisches Beispiel für unsere Richtgrößen!)


– Darauf komme ich gleich zu sprechen. – Der Kollege
Thomae hat gefragt: Wie sieht es mit der Deregulierung
aus? Der Kollege Seehofer, der nicht mehr anwesend ist


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Der ist noch da!)


– Entschuldigung, ich habe ihn nicht gesehen; ich nehme
alles zurück und behaupte das Gegenteil –, hat von Regu-
lierungswut gesprochen. Lieber Kollege Thomae und lie-
ber Kollege Seehofer, wie sieht es denn eigentlich aus?
Welcher andere Markt ist so reguliert wie der Arzneimit-
telmarkt? Wie lautet denn eure Antwort? – Bei euch
herrscht Stillschweigen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Richtgrößen!)

– Haben Sie schon einmal etwas von Marktwirtschaft
gehört? Hier könnte man marktwirtschaftliche Instru-
mente auf diesem Markt einführen.


(Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Dann kriegen die keine Spenden mehr!)


Aber Sie wissen ganz genau, dass man dann natürlich auf
gewaltigen Widerstand stößt, weil damit wirtschaftliche
Interessen berührt sind.

Ich möchte noch auf ein paar andere Bereiche einge-
hen, in denen auch Geld verschwendet wird. Die Deut-
sche Röntgengesellschaft beziffert die Ausgaben für nicht
notwendige Röntgenaufnahmen auf 800 Millionen DM
pro Jahr. In einem Punkt muss ich dem Kollegen Seehofer
immer wieder Recht geben. Er hat früher einmal das Wirt-
schaftlichkeitspotenzial in der GKVauf 25 Milliarden DM
geschätzt. Ich bin der Meinung, dass diese Einschätzung
nach wie vor aktuell ist.

Sie blenden neben dem Wirtschaftlichkeitsaspekt auch
den Qualitätsaspekt weitestgehend aus. Dies wird zuneh-
mend zu einem Kernproblem des deutschen Gesundheits-
wesens. In der Lebenserwartung – meine Damen und Her-
ren, daran müssen wir uns orientieren – nehmen wir
lediglich einen Mittelplatz ein. Das müsste doch auch bei
Ihnen Nachdenken erzeugen.

Das zum 1. Januar 2000 in Kraft getretene Gesund-
heitsreformgesetz – jetzt setzen wir die Reformen Schritt
für Schritt um – bringt für die Bürgerinnen und Bürger
mehr Qualität im Gesundheitswesen. Das gilt beispiels-
weise für die Wiedereinführung der von Ihnen gestriche-
nen Prävention. Die haben Sie doch gestrichen. Wie viel
war Ihnen Prävention denn wert?


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Stimmt ja gar nicht!)


– Was heißt, das stimmt nicht? Haben Sie den § 20 nicht
gestrichen?


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Er ist nicht ganz gestrichen worden! Das wissen Sie ganz genau!)


– Na also.
Ferner haben wir die durchgängige Verpflichtung der

Leistungserbringer zur Qualitätssicherung; an entspre-
chenden Richtlinien wird gearbeitet. Dann haben wir in
§ 140 die integrierte Versorgung weiterentwickelt. Das
wird zu einer Verbesserung in der Versorgung führen.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben die Arzneimittelpositivlistewieder ins Ge-

setz geschrieben. Sie können jetzt einmal beweisen, ob
Sie für mehr Qualität sind, indem Sie dafür sorgen, dass
dies im Bundesrat auch durchkommt.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Nein! Das wäre ja noch schöner!)


Der Kollege Seehofer hat die Positivliste Herrn Professor
Vogel, dem damaligen Hauptgeschäftsführer des BPI, zu
seinem 60. Geburtstag geschreddert überreichen lassen.
Hätten Sie diese Positivliste – wir haben sie in Lahnstein
gemeinsam verabredet – weitergeführt, dann wären wir,
was Qualität und mehr Wirtschaftlichkeit in der Arznei-
mittelversorgung angeht, ein gewaltiges Stück weiter.


(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich erinnere daran, dass wir

einen Koordinierungsausschuss installiert haben, der
jährlich auf der Grundlage evidenzbasierter Leitlinien
Kriterien zur Behandlung von zehn Krankheiten zu be-
schließen hat. Das wird ebenfalls die Qualität verbessern.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415205200
Herr Kol-
lege Kirschner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Zöller?


Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1415205300
Ja, bitte.


Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1415205400
Herr Kollege
Kirschner, halten Sie es für richtig, wenn in einer Positiv-
liste nur noch vier Firmen vertreten sind, aber Hunderte
von mittelständischen Unternehmen nicht erscheinen?
Halten Sie eine solche Positivliste für sinnvoll?


Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1415205500
Lieber Herr Kollege Zöller – –

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Jetzt eine klare Antwort! – Zurufe von der CDU/CSU)

– Nein, mir ist der Hals trocken geworden.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Vor Schreck?)


– Nein, nicht vor Schreck. So schnell lasse ich mich nicht
erschrecken.

Herr Kollege Zöller, Sie wissen doch genau, dass die
von uns in Lahnstein beschlossene Positivliste – –


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das war ein Fehler!)


– Sehen Sie, das ist ja schon die Antwort: Das war
grundsätzlich ein Fehler. Sie haben sich davon verab-




Klaus Kirschner
14854


(C)



(D)



(A)



(B)


schiedet, wie Sie sich auch von dem dahinter stehenden
Konzept und von einer ganzen Reihe von Dingen verab-
schiedet haben.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie geben mir keine Antwort auf meine Frage!)


– Nein, es stimmt ja auch nicht, dass am Schluss vier Arz-
neimittelfirmen übrig bleiben. Das ist doch überhaupt
nicht wahr.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Dann sind es drei! – Heiterkeit des Abg. Dr. Dieter Thomae [F.D.P.])


– Entschuldigen Sie bitte: In der Arzneimittelpositivliste
werden – das wissen Sie genau – die Wirkstoffe festge-
legt.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Aber dahinter stehen Firmen!)


Die eben auch von Ihnen genannte Zahl ist eine Horror-
zahl, die einfach nicht stimmt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, wenn Sie Richtgrößen

wollen, dann erinnere ich Sie daran, dass es heute schon
Richtgrößen gibt, allerdings budgetbegleitet. Die Prüfver-
einbarungen werden in vielen KVen – auch das müssen
Sie zur Kenntnis nehmen – beim jeweiligen Sozialgericht
beklagt. In Hessen drohen 10 bis 15 Prozent der nieder-
gelassenen Ärzte Richtgrößenprüfungen. Da können Sie
sich einmal vorstellen, was das bei 120 000 niedergelas-
senen Ärzten an Sozialgerichtsverfahren und vielen Din-
gen mehr bedeutet. Dieses Konzept funktioniert doch
nicht.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sie liegen doch unter dem Deckel!)


Was die Regelleistungsvolumina angeht, die Sie for-
dern, so geht der Gesetzentwurf ins Leere und ist pure
Kosmetik, da die Selbstverwaltung heute schon nach der
bestehenden Gesetzeslage dies vereinbaren kann. Ihr Ge-
setzentwurf entspricht der Rechtslage des Jahres 1997.
Auf der Grundlage des 2. NOG sind jedoch in den KVen
keine Vereinbarungen über Regelleistungsvolumen zu-
stande gekommen, da sie auch damals nicht finanzierbar
waren und der Grundsatz der Beitragssatzstabilität entge-
gensteht.

Meine Damen und Herren, kurzum: die Vorgabe fester
Steigerungsraten der Gesamtvergütung – daran möchte
ich Sie auch noch einmal erinnern – galt mit dem Solida-
ritätsgesetz nur für ein Jahr, für das Jahr 1999. Bereits seit
dem Jahre 2000 ist die Selbstverwaltung wieder frei, sek-
toral andere Margen zu vereinbaren, wenn sie denn mit
dem Grundsatz der Beitragssatzstabilität vereinbar sind.
Ich kann es daher nicht anders sagen: Ihr Gesetzentwurf
ist populistische Spiegelfechterei.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Den letzten Satz hätte es nicht gebraucht!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415205600
Ich schließe
die Aussprache.

Wir kommen nun zu den Abstimmungen.
Wir stimmen zunächst über die Beschlussempfehlung

des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Frak-
tion der F.D.P. zur Abschaffung der Arznei- und Heilmit-
telbudgets auf Drucksache 14/5319. Der Ausschuss emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3299 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und
PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. ange-
nommen.

In Bezug auf Tagesordnungspunkt 4 b wird interfrak-
tionell die Überweisung der Vorlage auf Drucksa-
che 14/5225 an den in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden?
– Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlos-
sen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 k sowie
Zusatzpunkt 2 auf. Es handelt sich um Überweisungen im
vereinfachten Verfahren ohne Debatte:
20a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-

gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die An-
passung von Dienst- und Versorgungsbezügen in
Bund und Ländern 2000

(Bundesbesoldungsund -versorgungsanpassungsgesetz 2000 – BBVAnpG 2000)

– Drucksache 14/5198 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherstellung der
Nachsorgepflichten bei Abfalllagern
– Drucksache 14/4926 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-
zung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-
Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum
Umweltschutz
– Drucksache 14/5204 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dagmar
Schmidt (Meschede), Brigitte Adler, Ingrid Becker-
Inglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der




Klaus Kirschner

14855


(C)



(D)



(A)



(B)


SPD sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-
Loßack, Hans-Christian Ströbele, Kerstin Müller

(Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des

BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Förderung von Entwicklungspartnerschaft mit
derWirtschaft/Vergabe eines Preises fürUnter-
nehmerinnen und Unternehmer
– Drucksache 14/3810 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katherina
Reiche, Volker Rühe, Dr. Friedbert Pflüger, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Für eine zukunftsgerichtete deutsch-polnische
Freundschaft
– Drucksache 14/4162 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Karl
Lamers, Christian Schmidt (Fürth), Hartmut
Koschyk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Chancen des deutsch-polnischen Nachbar-
schaftsvertrages fürVersöhnung stärker nutzen
– Drucksache 14/5138 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien

g) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Für eine gemeinsame Zukunft: Deutsche und
Polen in Europa
– Drucksache 14/5244 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien

h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eduard
Lintner, Dirk Fischer (Hamburg), Dr.-Ing. Dietmar
Kansy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Erlaubnis zum Führen von Schienenfahrzeugen
– Drucksache 14/4933 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hartmut
Koschyk, Arnold Vaatz, Christian Schmidt

(Fürth), Karl Lamers und der Fraktion der CDU/

CSU
Frieden, Stabilität und Einheit auf der koreani-
schen Halbinsel
– Drucksache 14/4936 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Helmut
Haussmann, Ulrich Irmer, Ina Albowitz, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Die russische Exklave Kaliningrad/Königsberg
unterstützen
– Drucksache 14/5141 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidi
Lippmann, Eva Bulling-Schröter, Wolfgang
Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der PDS
Aktuelle Menschenrechtssituation in derTürkei
– Drucksache 14/5165 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Werner
Lensing, Ilse Aigner, Dr. Maria Böhmer, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Zukunftsorientierte Weiterbildung durch Eigen-
verantwortung und Selbstorganisation – Ein
Paradigmenwechsel
– Drucksache 14/5312 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Kultur und Medien

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 14/5204, Tages-
ordnungspunkt 20 c, soll abweichend von der Tagesord-
nung zusätzlich an den Rechtsausschuss und an den In-
nenausschuss, jedoch nicht an den Ausschuss für die
Angelegenheiten der Europäischen Union überwiesen
werden. – Das Haus ist damit einverstanden. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen zur Beschlussfassung über Vorlagen, zu
denen keine Aussprache vorgesehen ist.




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
14856


(C)



(D)



(A)



(B)


Tagesordnungspunkt 21 a:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Europäischen Überein-
kommen vom 5. März 1996 über die an Verfah-
ren vor dem Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte teilnehmenden Personen
– Drucksache 14/4298 –

(Erste Beratung 127. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/5330 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hedi Wegener
Norbert Röttgen
Hans-Christian Ströbele
Jörg van Essen
Dr. Evelyn Kenzler

Der Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksa-
che 14/5330, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte die-
jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu
erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 21 b:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zu den Änderungen vom 1. Oktober
1999 der Satzung der Internationalen Atom-
energie-Organisation
– Drucksache 14/4454 –

(Erste Beratung 137. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

– Drucksache 14/5183 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Volker Jung (Düsseldorf)


Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-
fiehlt auf Drucksache 14/5183, den Gesetzentwurf anzu-
nehmen. Wer zustimmen möchte, den bitte ich, sich zu er-
heben. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Ich gehe davon
aus, dass auch diejenigen, die sich an dieser Abstimmung
nicht beteiligt haben, damit zum Ausdruck bringen woll-
ten, dass sie zustimmen. Der Gesetzentwurf ist angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 21 c:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zu dem Zusatzabkommen vom 19. Mai
1999 zum Europipe-Abkommen vom 20. April
1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und dem Königreich Norwegen über den Trans-

(Europipe II)

Bundesrepublik Deutschland

– Drucksache 14/4300 –

(Erste Beratung 130. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

– Drucksache 14/5184 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Börnsen (Bönstrup)


Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-
fiehlt auf Drucksache 14/5184, den Gesetzentwurf anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen möchten, sich zu erheben. – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Auch dieser Gesetzentwurf
ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 21 d:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Vertrag vom 3. Juni 1999
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
der Tschechischen Republik über das Grenzur-
kundenwerk der gemeinsamen Staatsgrenze
– Drucksache 14/4707 –

(Erste Beratung 140. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärti-
gen Ausschusses (3. Ausschuss)

– Drucksache 14/5187 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Petra Ernstberger
Karl Lamers
Rita Grießhaber
Ulrich Irmer
Wolfgang Gehrcke

Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt auf Drucksa-
che 14/5187, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen möchten,
sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 21 e:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der Bun-
desregierung
Zweiundfünfzigste Verordnung zur Änderung
derAußenwirtschaftsverordnung
– Drucksachen 14/4389, 14/4571 Nr. 2.1, 14/5182 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Kutzmutz

Der Ausschuss empfiehlt, die Aufhebung der Verordnung
auf Drucksache 14/4389 nicht zu verlangen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des
Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen.

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Peti-
tionsausschusses.




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

14857


(C)



(D)



(A)



(B)


Tagesordnungspunkt 21 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 240 zu Petitionen
– Drucksache 14/5257 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 240 ist mit den Stimmen
des Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen.

Tagesordnungspunkt 21 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 241 zu Petitionen
– Drucksache 14/5258 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 241 ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 21 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 242 zu Petitionen
– Drucksache 14/5259 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 242 ist mit den Stimmen
des Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen.

Wir kommen zum Zusatzpunkt 3 a:
Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-
sprache

(Ergänzung zu Tagesordnungspunkt 21)

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung der Europäischen Sozialcharta
– Drucksache 14/4671 –

(Erste Beratung 149. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss)

– Drucksache 14/5327 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Johannes Singhammer

Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung emp-
fiehlt, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera-
tung einstimmig angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist einstimmig angenommen.

Zusatzpunkt 3 b:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Zulassung einerAusnahme vom Verbot der Zu-
gehörigkeit zu einem Aufsichtsrat für Mitglie-
der der Bundesregierung
– Drucksache 14/5271 –

Wer stimmt für den Antrag auf Drucksache 14/5271? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist
einstimmig angenommen.

Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt 4 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Haltung der Bundesregierung zu den von grü-
nen Kernkraftgegnern angekündigten Protes-
ten bei Wiederaufnahme der Castortrans-
porte

Ich gebe für den Antragsteller, also für die CDU/CSU-
Fraktion, zunächst dem Kollegen Dr. Paul Laufs das Wort.


Prof. Dr. Paul Laufs (CDU):
Rede ID: ID1415205700
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Demnächst, aber erst nach den Land-
tagswahlen, wird es wieder Atomtransporte in Castor-
behältern geben.


(Uwe Hiksch [PDS]: Skandalöserweise!)

Es wäre ehrlicher, Transporte schon ab sofort durchzu-
führen. Sie kommen aus Frankreich, gehen nach Gorleben
und werden in ausschließlicher Verantwortung der Bun-
desregierung durchgeführt. Der Bundesumweltminister
Trittin sieht keine Gefahren durch radioaktive Strahlun-
gen für Begleitpersonal und Umwelt.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Das ist gut.

Wir erinnern uns an die 90er-Jahre, als in großer Zahl
Castortransporte stattfanden, die ebenfalls in jeder Hin-
sicht gefahrlos waren, aber von der rot-grünen Anti-
Atom-Bewegung zum Inbegriff des Schreckens und der
Lebensgefahr erklärt wurden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Bündnis 90/Die Grünen hat damals zu Massenprotesten
aufgerufen. Namhafte Politiker haben Gewalt befürwor-
tet und gebilligt. Elisabeth Altmann hat als grüne Bun-
destagsabgeordnete zur Demontage von Schienen aufge-
rufen.


(Uwe Hiksch [PDS]: Das waren noch Zeiten!)

Die bündnisgrüne Europaabgeordnete Undine von
Blottnitz fand in einem Fernsehinterview das Lockern
von Schrauben an Gleisen total in Ordnung. Der ehema-
lige grüne Bundestagsabgeordnete Wolfgang Ehmke for-
derte Sabotage und Bandenbildung.


(Monika Ganseforth [SPD]: Wer hat Ihnen das denn aufgeschrieben?)


Andere Grüne riefen zur Blockade von Bahnanlagen auf.




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
14858


(C)



(D)



(A)



(B)



(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Damals haben wir darauf gewartet, dass der Sprecher
der grünen Fraktion Joseph Fischer seine gewaltgeneigten
Kolleginnen und Kollegen öffentlich abmahnt und zur
Ordnung ruft. Er hat es nicht getan; wir haben nichts
vernommen. Tatsächlich kam es damals zu gewalttätigen
Ausschreitungen und nahezu bürgerkriegsähnlichen Zu-
ständen: Schienen wurden demontiert, Bahndämme un-
terminiert, auf Oberleitungen wurden Krampen geworfen
und Personen verletzt. Mehr als 30 000 Polizei- und Bun-
desgrenzschutzbeamte mussten aufgeboten werden.
Minister Trittin spricht heute vom Missbrauch der Polizei;
damals marschierte er noch selber gegen den Castor, hat
die Proteststimmung aufgeheizt und die Bundesrepublik
als Polizeistaat diffamiert.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Was wir vor vier Jahren erlebt haben, darf sich nicht

wiederholen. Wir fordern die Bundesregierung auf, ohne
jede augenzwinkernde Sympathie alle Aktionen entschie-
den zu verurteilen,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

die zu Blockaden, Transportgefährdungen und Gewalt
führen können. Proteste gegen seine eigenen Castortrans-
porte, so meint Minister Trittin heute, seien unbegründet
und unklug. Nach allem, was sich in Diskussionen, in An-
kündigungen in Presse und Internet abzeichnet, muss man
feststellen: Die Atomblockierer lassen sich nicht gängeln,
von den Regierungsgrünen schon gar nicht.


(Beifall des Abg. Uwe Hiksch [PDS] – Monika Ganseforth [SPD]: Was schließen Sie daraus?)


Selbst Trittins Parteifreunde wollen protestieren, gegen
ihn auf die Straße gehen und friedliche, fantasievolle Sitz-
blockaden veranstalten, wie es euphemistisch ausge-
drückt wird.


(Beifall des Abg. Uwe Hiksch [PDS])

Es braut sich etwas zusammen.


(Zurufe von der PDS: Ja! – Ulrich Kelber [SPD]: Das freut Sie, oder?)


Die Bürgerinitiative vor Ort will die gesamte 56 Kilome-
ter lange Bahnstrecke von Lüneburg nach Gorleben als
Aktionsfläche blockieren.

Nun muss Minister Trittin durchsetzen, was er gestern
selbst kompromisslos bekämpft hat. Wir werden mit Inte-
resse verfolgen, wo er sich aufhält, wenn mithilfe des
Bundesinnenministers und von Landesinnenministern die
Strecke für die Atomtransporte geräumt wird.


(Ulrich Kelber [SPD]: Da, wo Angela Merkel auch war: an der Spitze des Zuges!)


Die Geister, die er rief, wird er nun nicht los. Deshalb will
Minister Trittin die Zahl der Transporte reduzieren, koste
es, was es wolle. Davon sind die innerdeutschen Trans-
porte in die regionalen Zwischenlager betroffen.

Der Zweck heiligt offenbar die Mittel. Das gilt auch für
die rechtswidrige bundesaufsichtliche Weisung an das

Land Baden-Württemberg vom 22. Januar. In Neckar-
westheim dürfen die zum Transport bereitgestellten
Brennelemente plötzlich nicht mehr zu der am Standort
zugelassenen Umgangsmenge gerechnet werden. So wird
Platz geschaffen und werden Atomtransporte vermieden.
Das ist reine Willkür und in eklatantem Widerspruch zum
Atomgesetz und zu den Genehmigungsbescheiden. Hier
wird für politische Ziele das Recht manipuliert und in-
strumentalisiert.

Am 14. Juni 2000 wurde zwischen der Bundesregie-
rung und den Energieversorgern vereinbart, dass Castor-
transporte bis zur Inbetriebnahme standortnaher Zwi-
schenlager in einem Zeitraum von längstens fünf Jahren
nicht behindert werden. Auch diese Zusage gilt offenbar
nicht mehr.

Herr Trittin, Sie haben diesen Staat früher aktiv und ve-
hement bekämpft. In Ihrem Ministeramt sind Sie heute in
der Pflicht, Völkerrecht und Gesetz zu achten und den
Rechtsstaat zu verteidigen. Daran werden wir Sie messen
und Sie in den kommenden Wochen sehr kritisch beglei-
ten.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415205800
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Arne Fuhrmann.


Arne Fuhrmann (SPD):
Rede ID: ID1415205900
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Ich bin überrascht, Herr Laufs,
dass Sie heute ohne die sonstige Polemik ausgekommen
sind


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das können Sie jetzt nachholen!)


und sich darum bemüht haben, so etwas wie Sachkompe-
tenz in diesen Raum hineinsprudeln zu lassen.

Allerdings habe ich bei der ganzen Geschichte etwas
vermisst, nämlich erstens eine Begründung dafür, wieso
Sie diese Aktuelle Stunde – vor allem unter der von Ihnen
gewählten Überschrift – beantragt haben.


(Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: Haben Sie nicht gemerkt, was draußen los ist?)


Zweitens habe ich vermisst, dass Sie irgendwann ein-
mal – das ist aber wahrscheinlich von der Opposition in
diesem Haus zurzeit überhaupt nicht zu erwarten – darauf
eingehen, dass es so etwas wie einen Rechtsstaat gibt, in
dem auch Dinge, die Ihnen nicht gefallen, von den gel-
tenden Gesetzen gedeckt sind.


(Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Mit 30 000 Polizisten!)


– Herr Uldall, Sie kommen noch dran. Dann können Sie
alles sagen, was Sie möchten. Jetzt müssen Sie – egal, ob
es Ihnen gefällt oder nicht –,


(Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Das gefällt mir nicht! Wenn so demonstriert wird, dass 30 000 Polizisten gebraucht werden, dann gefällt mir das nicht!)





Dr. Paul Laufs

14859


(C)



(D)



(A)



(B)


weil Sie da sitzen, sich das anhören, was ich Ihnen ins
Stammbuch schreibe.

Wenn Sie so gesetzestreu sind, wie Sie immer vorge-
ben, dann nehmen Sie gefälligst zur Kenntnis, dass dieser
Staat mit Ihrer Unterstützung Meinungs-, Versammlungs-
und Demonstrationsfreiheit als ein ganz prinzipielles
Recht, das jedermann und jeder Frau in diesem Land zu-
steht, festgeschrieben hat.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Aber nicht mit Molotowcocktails! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Ohne Prügel!)


Die schamlose Unterstellung von Ihrer Seite, dass es
bei künftigen Castortransporten zu Gewalt kommt, wird
wahrscheinlich dazu führen – dies war eh und je der Fall;
diese verbalen Entgleisungen kennen wir von Ihnen –
dass sich die betroffenen Menschen in der Region und da-
rüber hinaus bereits jetzt wieder in der Ecke fühlen, ob-
gleich das, was sie zum Teil mit Fantasie und äußerster
Kreativität tun, nämlich ihren Ausdruck von: „Ich will das
nicht“ deutlich zu dokumentieren, von uns als Parlament
nicht nur hingenommen werden sollte, sondern im
Grunde genommen als Bestätigung unserer demokrati-
schen Grundauffassung für richtig geheißen werden
muss.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Es kann nicht angehen, dass jedes Mal, wenn sich je-
mand in dieser Republik gegen eine Entscheidung des
Parlaments verbal oder durch eine vom Gesetz erlaubte
Handlung – dazu gehören zum Beispiel friedliche Sitz-
blockaden –


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

zur Wehr setzt, Parlamentarier sagen: Das ist ein Geset-
zesverstoß! Wehret den Anfängen!


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Er ruft doch dazu auf!)


– Das hat der Minister niemals getan.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)


Er hat in seiner Partei die Menschen, die bisher sehr en-
thusiastisch gehandelt haben und die sich manchmal in ih-
rer jugendlichen und leichtsinnigen Art angekettet haben,


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Jetzt kommen die 25-jährigen Jugendlichen!)


vernünftigerweise daran erinnert, dass ihr friedlicher Pro-
test in Ordnung ist; aber all das, was nicht in friedlicher
Form geschieht, nicht in Ordnung ist.


(Beifall bei der SPD)

Sie sollten sich beispielsweise auch einmal mit der

Presse auseinander setzen. Ich habe einen Artikel mit der
Schlagzeile „Dialog soll Gewalt verhindern“ vor mir lie-
gen. Ich empfehle Ihnen, keine hämischen – ich will nicht

sagen: dümmlichen, weil das nicht parlamentarisch
wäre – Bemerkungen zu machen.


(Lachen des Abg. Horst Kubatschka [SPD])

Sie sollten sich vielmehr mit den Möglichkeiten ausei-
nander setzen, die Sie haben, um diejenigen, die protes-
tieren, davon zu überzeugen, dass ihr Protest überflüssig
ist. Das wird uns aber erst dann gelingen, wenn die
Castortransporte in dieser Republik weniger werden und
wenn die Menschen in Gorleben nicht wie in diesem Jahr
die Aufnahme von zwölf Castoren aus La Hague hinneh-
men müssen, obwohl es ein Moratorium gibt.

Wir werden in diesem Bereich erst erfolgreich sein,
wenn dieses Haus bereit ist, sich auf die Seite derer zu
stellen, die mit uns allen zusammen – das unterstelle ich
auch Ihnen – einen Ausstieg auf gesittete Art und Weise
erreichen wollen. Dieser Ausstieg kostet im Zweifelsfall
etwas, in dem einen oder anderen Fall auch einen großen
Teil der bisherigen eigenen Überzeugungen.

Dies ist nicht leicht und fällt gerade den betroffenen
Menschen in der Region um Gorleben ganz besonders
schwer. Herr Laufs, Sie haben es wesentlich einfacher,
weil Sie nicht in dieser Gegend wohnen. Vielleicht erin-
nern Sie sich daran, welche Debatten im Laufe der letzten
zehn Jahre in diesem Haus stattgefunden haben. Ich wün-
sche mir, dass Sie nicht mehr von Gewalt reden und dass
Sie die entsprechenden Unterstellungen aufgeben. Ver-
bale Gewalt nämlich ist immer der Funke, der das Feuer
entzünden kann.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Widerspruch bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415206000
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Walter Hirche.


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1415206100
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Es ist schon bemerkenswert, mit wel-
chen sprachlichen Verrenkungen sich rote und grüne Po-
litiker heute zu den gleichen Transporten äußern und diese
rechtfertigen, die sie noch vor zwei Jahren abgelehnt ha-
ben.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Sachlich hat sich im Hinblick auf die Transporte doch

nichts verändert: Erstens. Es gibt seit Jahren völkerrecht-
lich verbindliche Vereinbarungen mit Frankreich, wieder-
aufgearbeiteten Atommüll aus La Hague zurückzuneh-
men. Zweitens. Die Transporte bedeuten keine Ge-
fährdung der Bevölkerung. Jeder weiß: Das war so und
das ist so geblieben.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war nicht so! – Arne Fuhrmann [SPD]: Sie wissen doch genau, dass es nicht so war!)


Wenn das Bundesamt für Strahlenschutz nach dem
Stopp der Transporte durch Frau Merkel vor gut zwei Jah-




Arne Fuhrmann
14860


(C)



(D)



(A)



(B)


ren einige Auflagen verfügt hat, dann entspricht das dem
in Deutschland glücklicherweise üblichen guten Verwal-
tungshandeln, bei Erkennen von Problemen im Detail
Auflagen anzuordnen. Das ändert nichts an der Tatsache,
dass von den Castortransporten noch nie eine akute Ge-
fährdung für die Polizei oder für die Begleitung ausge-
gangen ist. Wer anderes behauptet, will immer nur Hyste-
rie schüren.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Geändert hat sich nur eines: Die Grünen sind gerade

durch die Verbreitung hysterischer Parolen an die Macht
gekommen und müssen jetzt denen, die an die Parolen ge-
glaubt haben, verklickern, warum das heute beim glei-
chen Sachverhalt alles anders ist. Jetzt rufen die Bürger-
intiativler: Das sind doch aber die gleichen Castoren! –
Das ist natürlich korrekt. Aber Herr Trittin und Frau
Müller erklären, dass des Kanzlers neue Castoren jetzt
eben grüne Kleider hätten.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Einige tragen offenbar sogar ein schwarzes „T“.

Warum kapieren die armen Wendländer denn nicht,
dass damit alles anders ist? Warum wird denn nun vor Ort
weiter die Stimmung aufgeheizt und gegen alle Trans-
porte Stellung bezogen? Das ist einfach zu erklären: Rot
und Grün stehen angesichts der Proteste als Zauberlehr-
linge da. Sie müssen die Suppe auslöffeln, die sie sich
eingebrockt haben. Das macht die Situation aus.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Arne Fuhrmann [SPD]: Die Sie diesem Land eingebrockt haben! Die löffeln wir jetzt aus!)


Die Transporte sind ungefährlich und notwendig. Das
sagen auch Sie heute. Ich begrüße das. Aber wer jahrelang
dafür getrommelt hat, zu demonstrieren, zu blockieren
und zu verhindern, der muss sich doch nicht wundern,
dass es Menschen gibt, die an solche Aufrufe glauben.
Tatsache ist, dass für diese notwendigen und ungefährli-
chen Transporte offenbar wieder Irrsinnskosten anfallen,
für ein Demonstrationsziel, das die Grünen selbst nicht
mehr vertreten. Wer in Deutschland über Polizeikosten für
Castortransporte nachdenkt und darüber spricht, der kann
diese Kosten für Blockaden und gewalttätige Ausschrei-
tungen getrost der jahrelangen früheren Politik der Grü-
nen zuschreiben.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Um nicht missverstanden zu werden, nachdem gerade

die F.D.P. jahrelang eine Distanzierung der Grünen von
Gewalt gefordert hat: Wir begrüßen es, wenn die Grünen
jetzt zum Verzicht auf Blockaden auffordern. Wir würden
es noch mehr begrüßen, wenn dem heute ausdrücklich der
öffentliche Verzicht auf Gewalt nachgeschoben würde.
Das ist das Mindeste, was Sie tun können und müssen, da-
mit nicht weiterhin im Schutz von Demonstrationen und
Blockaden gewalttätige Aktionen stattfinden.

Denn genau das ist der Punkt. Herr Fuhrmann, ich
knüpfe an Ihre Worte an: Demonstrationen gehören zum
guten politischen Grundrecht auf Meinungsfreiheit in
Deutschland. Das trifft auf jeden Sachverhalt zu, ob es ei-

ner politischen Partei, einer Regierung oder einer Oppo-
sition passt oder nicht. Aber Gewalt, die direkt oder indi-
rekt von solchen Demonstrationen ausgeht, ist nicht zu to-
lerieren.


(Arne Fuhrmann [SPD]: D’accord!)

– Ich sehe: Auch da stimmen wir überein.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Aber genau das bleibt von Ihrer früheren Politik. Sie

wussten, dass Demonstrationen als Schutzwände für Ge-
waltaktionen genutzt werden konnten.


(Arne Fuhrmann [SPD]: Nein! Das stimmt nicht!)


Das ist der Beginn der Unterminierung des Rechts auf
friedliche Demonstrationen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Unsinn! Und so was von einer liberalen Partei! – Arne Fuhrmann [SPD]: Das ist jedes Mal Ihre Unterstellung!)


Die Gefahr, dass friedliche Demonstrationen von einigen
für gewalttätige Happenings genutzt werden, müssen die
Demonstranten selbst ausschließen, wenn sie ihr Ziel
nicht gefährden wollen. Das haben Sie in der Vergangen-
heit nicht getan. Die Aussage des Sprechers der Lüchower
Bürgerinitiative jetzt, dass der Protest das Wichtigste sei
– und nicht die Verhinderung des Transports der Castoren
in die Zwischenlager –, dieser solle „die Kunst des Wi-
derstands“ zeigen, macht deutlich, dass hier eine Sache
um ihrer selbst willen getrieben werden soll.

Diese lockere Selbstbeschreibung führt zum Kern des
Problems. Es geht nicht mehr vorrangig um Bedenken ge-
gen die Transporte, sondern es geht darum, der demokra-
tischen Mehrheit im Staat die rote Karte zu zeigen. Das
trifft Sie so, weil Sie sich in der Vergangenheit an diesem
Spiel beteiligt haben und so Ihr politisches Süppchen ge-
kocht haben. Jetzt sind Sie selber die demokratische
Mehrheit und merken zum ersten Mal, was Sie angerich-
tet haben.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Eine Regierung, die auf zwei Schultern trägt, eine
grüne Partei, die gleichzeitig vorwärts und rückwärts
läuft, das ist wie Zirkus pur, nur nicht ganz so lustig. Wer
ein solches Vorbild abgibt, muss sich nicht wundern, dass
in der Gesellschaft Werte und Normen durcheinander
kommen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415206200
Herr Abgeord-
neter, Ihre Redezeit ist beendet.


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1415206300
Das ist der rote Faden, Herr
Minister Trittin, der sich aus Ihrer Studentenzeit bis in die
heutigen Tage zieht.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)





Walter Hirche

14861


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415206400
Das Wort hat
jetzt der Herr Bundesminister Jürgen Trittin.

Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Mancher Faden der Rhetorik, lieber
Herr Hirche, entwickelt sich zum Knäuel, bei dem am
Ende der Zauberlehrling als Suppenkaspar dasteht. Inso-
fern sollte man aufpassen, welche Bilder man verwendet.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD – Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist eine interessante Selbstbeschreibung!)


Herr Glos hat letzte Woche gefordert, wir sollten die
Atomtransporte vor den nächsten Landtagswahlen durch-
führen. Ich muss Ihnen mit allem Ernst und Nachdruck sa-
gen: Die Bundesregierung genehmigt Atomtransporte
nicht aus Daffke und nicht zur Unterhaltung von Herrn
Glos. Die Bundesregierung genehmigt Transporte, wenn
sie notwendig sind. Sie genehmigt sie, wenn sie dazu in-
ternational verpflichtet ist, und sie genehmigt sie aus-
schließlich unter der Voraussetzung, dass die Sicherheit
dieser Transporte gewährleistet ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Wie war das früher? – Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Was ist daran neu?)


Die Ausführungen von Herrn Laufs hätten eines nicht
deutlicher machen können: Es geht Ihnen nicht um die
Notwendigkeit und die Sicherheit der Transporte. Es geht
Ihnen ausschließlich um ein politisches Spektakel. In
Bayern ist Fasching und in Baden-Württemberg Land-
tagswahlkampf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Es geht uns um die Wahrheit! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– Regen Sie sich ruhig auf! – Dass bei der CDU/CSU die
närrische Zeit nicht an die Faschingssaison gebunden ist,
wissen wir: Merz gegen Merkel und beide gegen Stoiber!


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Ich warte noch auf den Tag, an dem Sie Herrn Landowsky
zum Kanzlerkandidaten ausrufen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich will mit allem Nachdruck auf folgende Dinge hin-
weisen:

Erstens. Sie tragen die Verantwortung dafür, dass über
Jahre hinweg deutscher Atommüll im Ausland zwi-
schengelagert worden ist. Die Zwischenlagerung deut-
schen Atommülls im Ausland entspricht weder dem deut-
schen noch dem französischen Recht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: Die Antwort der Bundesregierung war: Das ist rechtlich in Ordnung!)


Zweitens. Sie haben dafür gesorgt, dass da, wo ein
Transport nötig gewesen wäre, dreimal transportiert
wurde, und zwar in die Wiederaufarbeitungsanlage, in das
zentrale Zwischenlager, nach Gorleben und nach Ahaus,
und anschließend wieder zurück.

Drittens. Sie haben unter dem Deckmantel der Erkun-
dung – wohlgemerkt: der Erkundung! – den Bau des End-
lagers in Gorleben betrieben, dessen einziger geologi-
scher Vorteil im Vergleich zu anderen Standorten es
gewesen ist, dass er sehr nahe an der Grenze zur damali-
gen DDR gelegen war.

Für all das tragen Sie durch Ihre Atommüllpolitik die
Verantwortung!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist doch unfassbar! Das ist reine Polemik! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich sage Ihnen mit allem Nachdruck: Gegen diese Politik
des Faktenschaffens haben die Wendländer zu Recht pro-
testiert und demonstriert. Deswegen sind sie mit ihrem
Protest von den jetzigen Koalitionsfraktionen zu Recht
unterstützt worden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn wir heute Atommüll aus Frankreich zurückholen
müssen, dann ist dies auch eine Folge Ihres unverant-
wortlichen Handelns, die wir zu tragen haben. Sie können
hier reden, wie Sie wollen; eines lassen wir Ihnen nicht
durchgehen: Wenn wir versuchen, mit den Folgen Ihres
Handelns fertig zu werden, und von Ihnen dafür noch be-
schimpft werden, dann akzeptieren wir das nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: Warum haben Sie den Ministerposten eigentlich angetreten?)


Wir haben im Rahmen des Atomkonsenses zum ersten
Mal die Menge des Atommülls definiert und begrenzt.
Erst damit beginnt eine Entsorgungspolitik.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Die Nerven liegen blank!)


Wir haben mit dem Verzicht auf Wiederaufarbeitung ab
2005 die Menge des Atommülls vermindert. Wir haben
durch das Konzept der dezentralen Zwischenlagerung und
der direkten Endlagerung die Zahl der Transporte per-
spektivisch auf ein Drittel reduziert. Gegen all diese
Dinge sind Sie; gegen all diese Dinge protestieren Sie!

Die Betreiber von Atomanlagen beurteilen die Situa-
tion heute anders, als Sie das tun. Zum Beispiel erfolgte
der Verzicht auf den Transport von Atommüll von Neckar-
westheim nach Ahaus, obwohl die Betreiber zwei gel-
tende Transportgenehmigungen hatten.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Ein Verzicht war das? Eine Anordnung war das! Eine bundesaufsichtliche Weisung von Ihnen war das!)







(C)



(D)



(A)



(B)


– Lieber Herr Hirche, Sie sollten sich diese anschauen.
Die hat den Transport nicht untersagt. – Der Verzicht er-
folgte durch den Betreiber und gegen den wütenden Pro-
test von Herrn Laufs und gegen die rechtswidrige Haltung
der örtlichen Atomaufsicht, die eine atomrechtliche Posi-
tion eingenommen hat, die in dieser Form nicht einmal
von Bayern geteilt wird.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Das wird am Ende das Bundesverfassungsgericht klären!)


– Das sehen wir mit großer Gelassenheit.
Der Ausstieg aus der Atomenergie wird auch mit

Transporten einhergehen. Dafür haben wir die Vorausset-
zungen – auch die politischen Voraussetzungen – ge-
schaffen. Wir haben den Bau des Endlagers in Gorleben
unterbrochen und wir entwickeln wissenschaftlich be-
gründete Standortkriterien für ein solches Endlager, an-
statt eine fachliche Standortbestimmung durch politische
Vorfestlegungen zu ersetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Walter Hirche [F.D.P.]: Eine Verschwendung von Milliarden zulasten des Steuerzahlers! – Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: Und gleichzeitig haben Sie die Forschungsansätze zurückgefahren!)


Nur wenn uns diese fachliche Standortbestimmung ge-
lingt, werden wir Akzeptanz erhalten.

Außerdem haben wir die Festschreibung Gorlebens als
Endlagerstandort beendet.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Auf ein Jahr! – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Dieselbe Rechtsgrundlage! Es ist nicht zu glauben!)


Deswegen finde ich die Proteste gegen den jetzigen
Rücktransport verständlich, aber in der Sache falsch. Da
kann es kein Vertun geben. Dieser Transport dient, anders
als Ihre Transporte, nicht dem unbegrenzten Betrieb von
Anlagen. Dieser Transport ist Folge der Abwicklung der
Atomenergie.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Das glauben Ihre eigenen Leute nicht!)


Aber, meine Damen und Herren, auch wenn wir das
Ziel des Ausstiegs mit den Menschen im Wendland teilen,
so teile ich dennoch ihre Gründe nicht, gegen diesen
Transport zu demonstrieren. Eines allerdings verteidige
ich mit Nachdruck: das Recht der Wendländer, für diese
ihre – aber in meinen Augen falsche – Auffassung ge-
waltfrei zu demonstrieren.


(Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Da will doch keiner gewaltfrei demonstrieren! Sie sind doch von Ihnen alle heiß gemacht worden!)


Ich verwahre mich mit aller Entschiedenheit dagegen,
dass der gewaltfreie Protest der Wendländer von der Op-
position hier im Hause mit Gewalt in Verbindung ge-
bracht wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg hat stets und
immer zu gewaltfreiem Widerstand aufgerufen.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist richtig so!)

Der zivile Ungehorsam im Wendland war deswegen so er-
folgreich, weil er massenhaft auf gewaltfreie Aktionen ge-
setzt hat.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sie sollten sich einmal ein Beispiel daran nehmen!)


Die Menschen im Wendland brauchen von Ihnen, Herr
Hirche – und das gilt besonders für die CDU –, keine Be-
lehrungen über die Art und Weise von gewaltfreiem Pro-
test.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Walter Hirche [F.D.P.]: Die Attacken betreffen Sie, nicht die Wendländer!)


Meine Damen und Herren, Sie sollten sich vielleicht
einmal in aller Ruhe das Urteil des Bundesverfassungsge-
richts zu der Frage, ob Sitzblockaden Nötigung und ob sie
Gewalt sind, anschauen.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Sie haben das früher schon so betrieben! Das ist der Punkt! – Zuruf von der CDU/CSU: Friedensengel!)


Sie wissen es doch selber besser. Ich will Ihnen das an
einem Beispiel verdeutlichen. Ich war am 2. Oktober auf
der Insel Rügen. An diesem Tage kam der Verkehr fak-
tisch zum Erliegen, weil Taxifahrer und Bauern mit
schwerem Gerät – Treckern, Bussen – die zentrale Kreu-
zung in Bergen dichtgemacht hatten. Zum Dank für diese
Aktion wurden sie von der CDU-Kreistagspräsidentin
empfangen. Sie hat sich selber als „Bindeglied“ zwischen
den Blockierern und der Bundespolitik angeboten. Ich
weiß genau, was sie damit gemeint hat. Vermutlich spielte
sie auf die örtliche CDU-Abgeordnete an. Das ist Angela
Merkel.

Meine Damen und Herren, eines will ich Ihnen sagen:
Ich habe das Anliegen dieser Demo nicht geteilt. Ich fand
es ziemlich daneben. Aber so lange Sie Straßenblockaden
mit Treckern, mit Lastern und Bussen für zulässige Pro-
testformen halten und sich Ihre Mitglieder daran beteili-
gen, so lange haben Sie überhaupt keinen Grund, andere
Menschen, die sich friedlich auf die Straße setzen, als
Gewalttäter zu diffamieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS – Lachen bei der CDU/CSU – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Die Nerven liegen total blank!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415206500
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Roland Claus.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1415206600
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Also sprach der Grünen-
Vorstand: „Schluss mit Protestieren“, wird nix mit Castor
nix, bleibt daheim und achtet die Gesetze!“


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)





Bundesminister Jürgen Trittin

14863


(C)



(D)



(A)



(B)


Dazu kann man eine Meinung haben. Ich werde Ihnen
meine Meinung auch sagen, will aber zunächst eine Frage
stellen: Wo soll das hinführen, wenn Vorgänge innerhalb
einer politischen Partei – innerhalb einer politischen Par-
tei! – von einer anderen politischen Partei hier im Bun-
destag zum Gegenstand einer Debatte gemacht werden?
Anders gefragt: Was geht es die Schwarzen an, dass die
Grünen sich nicht grün sind?


(Beifall bei der PDS)

Ich glaube Ihnen nicht, dass Ihr Begehren darin be-

steht, die Grünen auf den wahren Tugendpfad der Demo-
kratie zu führen. Wir dürfen uns hier nichts vormachen.
Ich denke, es ist der erneute Versuch der Christdemokra-
ten, die Geschichte und Gegenwart demokratischer Wi-
derstandsbewegungen zu diskriminieren und zu krimina-
lisieren.


(Beifall bei der PDS, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Darum geht es: um nicht mehr, aber auch nicht um weni-
ger.

Die 68er-Bewegung, die aus ihr entstandene Friedens-
bewegung, die ich heute sehr, sehr vermisse,


(Walter Hirche [F.D.P.]: Damit haben die gewalttätigen 70er nichts zu tun! Fischer und Trittin haben mit den 68ern nichts zu tun!)


der Drang nach Demokratisierung und Liberalisierung
der Gesellschaft und auch das Ideal von sozialer Gerech-
tigkeit lassen sich nicht wegreden, nicht wegverordnen
und auch nicht wegtragen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das weiche Wasser bricht den Stein.
Genauso gilt heute: Niemand darf das Demonstra-

tionsrecht infrage stellen. Es hat nämlich etwas mit der
Würde des Menschen gemein. Deshalb gehört die bürger-
nahe Anticastorbewegung unterstützt und nicht diskrimi-
niert.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie werden mit dem Versuch scheitern, diese volksnahe
Bürgerinitiative quasi als Vereinigung von Gewalttätern
darzustellen. Sie gehört erst recht nicht in Käfige gesperrt,
die den schönen Polizeibegriff „mobile Gewahrsamszel-
len“ bekommen sollen.

Ich glaube, die CDU versucht hier, die Diskriminie-
rung und Diskreditierung demokratischer Bewegungen
fortzusetzen. Ich glaube, das alles sind keine Betriebsun-
fälle Ihrer parlamentarischen Arbeit,


(Walter Hirche [F.D.P.]: Der niedersächsische Innenminister gehört der SPD an!)


sondern Sie knüpfen damit bewusst an antidemokratische
Ressentiments, die es in der Gesellschaft gibt, an. Diesen
Vorwurf muss man Ihnen machen.


(Beifall bei der PDS)


Insofern sage ich Ihnen: Sie haben nichts, aber auch gar
nichts aus Ihrer Anti-Schröder-Plakat-Affäre gelernt. Frau
Merkel hat gesagt – das hat mich sehr beeindruckt –, sie
habe 48 Stunden darüber nachgedacht. Ich habe großen
Respekt davor, wenn jemand 48 Stunden am Stück nach-
denkt. Aber das hat ihr heute nichts genutzt.


(Zustimmung bei der PDS)

Frau Merkel sagt noch immer – ich zitiere sie –: Unser
Staat, die Bundesrepublik Deutschland, ist seit 1949 un-
unterbrochen eine freiheitliche, solidarische und weltof-
fene Republik.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt!)

Wenn das stimmt, meine Damen und Herren,


(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, das stimmt!)

dann stimmt es auch, dass Gehlen, Globke und Heusinger
nie in hohen Bundesämtern waren, dass die Erde eine
Scheibe und die CDU eine Partei der christlichen Nächs-
tenliebe ist,


(Beifall bei der PDS)

wobei ich seit dem Gebaren von Herrn Landowsky besser
verstehe, was bei der CDU Nächsten-Liebe bedeutet,


(Beifall bei der PDS)

und dann wird es auch stimmen, dass die anonymen Spen-
der von Helmut Kohl alle in der PDS sind.

Die Grünen leisten Hilfestellung bei der Entsorgung
und Klitterung der eigenen Vergangenheit. Es ist natürlich
kurios, wenn Jürgen Trittin gleichzeitig auf der einen
Seite die Kernkraft und auf der anderen Seite die Kern-
kraftgegner bekämpft. Das muss man erst einmal hinbe-
kommen. Dafür muss man Formeln schaffen wie: die
guten und die schlechten Transporte. Er geht sogar noch
weiter – er ist ja pfiffig –: Er hat die Transporte in un-
heimliche und heimliche unterteilt, wie wir seit einiger
Zeit wissen.


(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, Parteien sollen laut Grund-

gesetz an der Willensbildung des Volkes mitwirken, nicht
aber den eigenen Mitgliedern den Willen nehmen. Ich will
jetzt aber enden, sonst richten Sie doch noch die Frage an
mich: Was geht es die Roten an, wenn sich die Grünen
nicht grün sind?

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der PDS – Vera Lengsfeld [CDU/ CSU]: Wann ist der Vereinigungsparteitag?)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415206700
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Ulrich Kelber.


Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1415206800
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Eines wird von Tag zu Tag deutli-
cher: Viele Politiker von CDU/CSU können ihre klamm-




Roland Claus
14864


(C)



(D)



(A)



(B)


heimliche Freude, dass es zu möglichen Krawallen
kommt, kaum mehr verhehlen.


(Zurufe von der CDU/CSU, an Minister Trittin gewandt: Da sitzt er!)


– Klammheimliche Freude passt dieses Mal sehr gut zur
CDU/CSU.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Warum wärmen Sie das auf?)


Wenn ich mir die Ausführungen von Herrn Hirche anhöre,
dann muss ich feststellen, dass auch in der F.D.P. dem ei-
nen oder anderen die rechte liberale Gesinnung in dieser
Frage fehlt. Dabei geht es der Opposition überhaupt nicht
um die Form der Proteste. Mit ihrer dümmlichen Anti-
Ökosteuer-Kampagne haben CDU/CSU selber zu Blocka-
den und teilweise sogar zu Rechtsbruch aufgerufen.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Langsam! Überlegen Sie zweimal, was Sie da sagen!)


Es geht der Opposition nur um die inhaltlichen Ziele der
Protestierer. Möglichst viele Atomtransporte passen in
das politische Kalkül von CDU/CSU/F.D.P., weil die Welt
dann endlich wieder so schön schwarz-weiß ist, wie das
Meyer, Merz und Merkel brauchen.

Dabei ist es der Opposition völlig egal, ob die Trans-
porte zulasten der Dienstzeiten der Polizeibeamten und
zulasten der Steuerzahler gehen. CDU/CSU/F.D.P. sind
bereit, Hunderte Millionen DM aus Steuergeldern indirekt
für ihre Wahlkämpfe in Baden-Württemberg und Rhein-
land-Pfalz zu missbrauchen.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Wer hat denn die Leute aufgeheizt?)


Die Quelle für dieses politische Kalkül ist die völlige
Ignoranz dessen, wieweit Technologien von der Bevölke-
rung akzeptiert werden. Besonders pikant an der Sache
ist, dass die Südländer, selber immer glühende Befürwor-
ter der Atomenergie, nicht bereit sind, Zwischen- und
Endlager auf ihrem Gebiet einzurichten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Quelle für die Proteste ist die Atompolitik der letz-
ten Jahrzehnte. Die SPD hat sich davon lösen können,
CDU/CSU/F.D.P. aber sind im alten Denken verblieben.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Verantwortungslosigkeit Ihrerseits ist kein Fortschritt!)


Die Transportlogik der früheren Bundesregierung, hoch-
radioaktiven Abfall quer durch die Republik zu schicken,
und zwar durch dicht besiedelte Gebiete, ist der entschei-
dende Fehler gewesen, der den Menschen so aufgestoßen
ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Niemandem ist es verständlich zu machen, warum man

hochradioaktiven Abfall quer durch unser Land nach
Frankreich schickt, ihn dann in ein Zwischenlager und
schließlich in ein imaginäres Endlager bringt, das noch
immer nicht zur Verfügung steht.

Der Frust der Protestierer vor Ort ist deswegen gut ver-
ständlich. Man hatte sich natürlich von einer neuen Atom-
politik auch ein Ende der Transporte erhofft. Es ist Ironie
der Geschichte, dass die rot-grüne Bundesregierung aus
der Atomenergie aussteigt und trotzdem mit Atomgegnern
in Konflikt gerät. Das tut weh, das muss man zugeben, da-
rum kommt man nicht einfach herum.

Deswegen werden wir mit den Menschen noch inten-
siver sprechen müssen und ihnen eine Perspektive für die
Beendigung der Atomenergie und der Transporte deutlich
machen. Wir werden ihnen zeigen, dass wir die Zahl der
Transporte schon heute über die Wege, die wir gegangen
sind, verringert haben. Gleichzeitig werden wir die inter-
nationalen Vereinbarungen erfüllen müssen, die Folge der
falschen Politik der Vorgängerregierung sind.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zum Schluss möchte ich noch einmal in Richtung
CDU/CSU, insbesondere an die CSU gewandt, deren Vor-
sitzender Stoiber der Hauptkonfliktschürer in diesem
Land ist, aber noch nicht einmal den Unterschied zwi-
schen Zwischen- und Endlagern kennt – das zeigte er bei
einer seiner letzten Reden –, sagen: Diese Aktuelle Stunde
– einige der Vorredner haben schon gesagt, welch ein Un-
sinn diese Aktuelle Stunde ist – wäre überflüssig, wenn
Sie bei der Erinnerung an Franz Josef Strauß nicht immer
nur an seine Sonthofen-Rede denken würden, sondern
sich darüber freuen würden, dass sich diese Bundes-
regierung strikt an das von Strauß so oft zitierte Prinzip
„Pacta sunt servanda“ hält.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415206900
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Vera Lengsfeld.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Jetzt kommt die schärfste Waffe der CDU!)



Vera Wollenberger (CDU):
Rede ID: ID1415207000
Da habe ich von der
SED schon andere Dinge gehört, das nehme ich ganz ge-
lassen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sie sind gefangen in Ihrer Vergangenheit!)


Sie sollten sich schon ein bisschen weniger in diese Tra-
dition stellen.

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, eine Bemerkung muss ich vorweg machen:
Die Regierung Kohl hat ganz bestimmt Großes geleistet;
aber wenn Sie meinen, dass sie die Salzstöcke in Richtung
Grenze schieben konnte, überschätzen Sie sie wirklich
maßlos.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Monika Ganseforth [SPD]: Das war Albrecht, das können Sie nicht wissen!)


Diese sind schon im Perm entstanden, als es die 16 Jahre
Kohl noch nicht gegeben hat.




Ulrich Kelber

14865


(C)



(D)



(A)



(B)


Nun zur Sache: Für eine Partei, die sich selbst als ge-
waltfrei bezeichnet, haben die Grünen eine erstaunlich
enge Beziehung zu einer Vielzahl von gewaltsamen Er-
eignissen in der Geschichte unseres Landes vor und nach
der Vereinigung: Ob Wackersdorf, Brokdorf, Startbahn
West, die alljährliche Revolutionäre 1.-Mai-Demo in Ber-
lin bis hin zu den Castorblockaden, immer waren grüne
Parteiaktivisten dabei und meist hat die Partei sogar zu
den Mitaufrufern gehört.

Feinsinnig wurde zwischen Gewalt gegen Sachen, die
angeblich akzeptabel sei, und Gewalt gegen Menschen
unterschieden, die man nicht unterstützen wolle. Dabei
zählten Polizisten offensichtlich nicht zu den Menschen;
denn bei den aufopferungsvollen Schlachten um das Gute
kamen regelmäßig Polizisten zu Schaden, was kaum ei-
nen grünen Politiker je zu einem Wort des Bedauerns
genötigt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Walter Hirche [F.D.P.]: Genauso ist es!)


Heute, wo die Grünen in der Regierungsverantwortung
sind, lehnen sie in dem gleichen Brustton der Überzeu-
gung Gewalt gegen Sachen als illegitim ab, wie es uns
Kerstin Müller am Montag vorgeführt hat, die im Frühjahr
1996 die Demontage von Bahnanlagen „erst mal o.k.“
fand und heute


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorsicht!)


Gewalt gegen Sachen für illegitim erklärt.
Das geschieht nach dem Motto: Wir verkünden heute

dies und morgen das Gegenteil, aber auf jeden Fall sind
wir die besseren Menschen.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist dir völlig unbekannt, wie wir wissen! Darüber müsstest du eigentlich ein Buch schreiben!)


Wer angesichts der unaufgearbeiteten Gewaltgeschichte
der Grünen Zweifel und Fragen hat, dem drohen schärfste
Konsequenzen.

Man könnte nun den Grünen zugute halten, dass sie ei-
nen erheblichen Teil des gewaltbereiten linken Protestpo-
tenzials in diesem Lande domestiziert und zur Demokra-
tie bekehrt haben, aber leider fehlt es an der nötigen
Ehrlichkeit gegenüber der eigenen Geschichte. Denn es
waren eben jene grünen Politiker, die noch heute ihrer Ba-
sis im revolutionären Rolli und in der Lederjacke ge-
genübertreten, um anschließend im Dienstwagen in den
Nadelstreifenanzug für den Stehempfang zu wechseln,
die in den 70er-Jahren die Gewalt vom linken Rand „in
die Mitte der Gesellschaft“ getragen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie schafft man es, in jedem Fall im Bundestag zu bleiben? Darüber müsstest du eigentlich ein Buch schreiben! Da kennst du dich doch gut aus! – Zurufe von der SPD)


Das war die Zeit der „klammheimlichen Freude“ über
die Ermordung von Buback und Schleyer, Herr Kollege

Kelber, die Zeit der kaum kaschierten Parteinahme für die
RAF, der Sympathie mit der SED-Diktatur, die Zeit des
Gefasels vom „Vorbild Kuba“ und der Forderung nach ei-
ner Kulturrevolution in Deutschland.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hauptsache Diäten, egal, was man meint!)


Die Zeit des Straßenterrors war auch eine Zeit der Ver-
harmlosung der stalinistischen Verbrechen,


(Arne Fuhrmann [SPD]: Sie schwingt den Hammer in alle Richtungen!)


der Ergebenheitsadressen an Pol Pot und des Wunsches
nach dem Sieg des palästinensischen Volkes auf dem ge-
samten Territorium von Palästina, das heißt nach Auslö-
schung Israels.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Walter Hirche [F.D.P.] – Horst Kubatschka [SPD]: Demonstriert jetzt der Arafat?)


Unserem Land steht eine Aufarbeitung und eine Aus-
einandersetzung mit dieser verdrängten bzw. verklärten
Gewaltgeschichte noch bevor. Sie wird heute entschei-
dend durch den Umstand erschwert, dass die damals
Agierenden und Sympathisierenden heute die Interpreta-
tionsmacht besitzen, und sie zeigen, wie sie diese Inter-
pretationsmacht benutzen.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schreib doch einmal ein Buch über die Nachwende-Wendehälse: „Wie schaffe ich es, in jedem Fall im Bundestag zu bleiben?“)


Da wird allen Ernstes behauptet, eine demokratische
Bürgergesellschaft wäre erst durch gewaltsamen Protest
entstanden, so als wäre gewaltsamer Protest eine Art Zi-
vilcourage und Voraussetzung für die Civil Society.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schreib ein Buch „Wie bleibe ich im Bundestag?“! – Gegenruf des Abg. Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Das hat Sie getroffen, Frau Müller! So aufgeregt waren Sie noch nie!)


Da wird zur Rechtfertigung des NATO-Einsatzes, als
wäre Völkermord nicht Grund genug, der Holocaust
bemüht, um alle Zweifler gleich mit der Moralkeule, dass
sie sich zu Mitschuldigen machen, zu erledigen. Da wird
das Land wie selbstverständlich mit vermeintlich poli-
tisch korrekten Verdikten überzogen, und wer sich diesen
Verdikten nicht gleich beugen will,


(Arne Fuhrmann [SPD]: Thema verfehlt, Frau Lengsfeld! Setzen, Fünf!)


wird schon mal verbal aus der Gemeinschaft der Anstän-
digen ausgeschlossen,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Walter Hirche [F.D.P.])


wobei es sich lohnt, einige besonders edle Exemplare die-
ser Gemeinschaft der Anständigen einmal näher zu be-
trachten.




Vera Lengsfeld
14866


(C)



(D)



(A)



(B)


Ist es anständig, wenn man sich wie Umweltminister
Trittin noch 1996 an den gewaltsamen Protesten gegen
den Castortransport beteiligt hat oder im Juli 1994 ge-
meinsam mit gewaltbereiten Vermummten marschiert,
aber heute seiner grünen Basis per Rundbrief ihr demo-
kratisches Recht auf Demonstration abspricht?


(Uwe Hiksch [PDS]: Da kommt mir die Galle hoch! – Arne Fuhrmann [SPD]: Und ich habe mich damals darüber geärgert, dass er nur dagestanden hat!)


Die CDU sollte vielleicht eine Sitzblockade für das
Recht der Grünen machen, friedlich gegen die Castor-
transporte zu protestieren.


(Horst Kubatschka [SPD]: Das wäre mal was!)

Ist es anständig, dass Herr Trittin nach 1992 in einem

Interview in der „Welt am Sonntag“ seine K-Gruppen-
Vergangenheit nicht bestätigen will?


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415207100
Frau Kollegin,
denken Sie bitte daran, dass Sie fünf Minuten Redezeit
haben.


Vera Wollenberger (CDU):
Rede ID: ID1415207200
Ich bin sofort fertig.
Ist es anständig, wenn er später so tut, als hätte er im-

mer öffentlich zu seinem Hinterzimmerkommunismus
gestanden?


(Horst Kubatschka [SPD]: Den haben Sie wohl mal gehabt!)


Ist es anständig, dass die Grünen sich nicht einmal zu
dem einfachen Bekenntnis durchringen können, dass das
Gewaltmonopol des Staates immer gleich ist, egal, ob man
sich in der Regierung oder in der Opposition befindet?

Es stellt sich die Frage, wie sich Herr Trittin verhalten
wird, wenn er morgen nicht mehr Minister ist.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Sehr gute Frage!)

Wird er wieder mit Vermummten gegen den Polizeistaat
demonstrieren? Diese Frage könnten Sie gern einmal be-
antworten.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415207300
Frau Kollegin,
fünf Minuten heißen wirklich fünf Minuten. Ich bitte Sie,
jetzt Ihren letzten Satz zu sagen.


Vera Wollenberger (CDU):
Rede ID: ID1415207400
Das ist mein letzter
Satz.

Ist es anständig, dass Herr Wolfram König, Präsident
des Bundesamtes für Strahlenschutz, heute eine Bro-
schüre verbreitet, in der die sicherheitstechnische Unbe-
denklichkeit der Castortransporte mit Fakten und Zahlen
belegt wird, –


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415207500
Frau Kollegin,
ich bitte Sie jetzt aufzuhören.


Vera Wollenberger (CDU):
Rede ID: ID1415207600
– die eben jene Fakten
und Zahlen sind, die jahrelang von grünen „Experten“ und
so genannten kritischen Wissenschaftlern im grünen Um-
feld bestritten worden sind?


(Beifall bei der CDU/CSU)

Soll diese Art von Doppelmoral, die die Grünen hier – –


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415207700
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Winfried Hermann.


Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415207800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kol-
legin Lengsfeld, bei Ihren Reden und bei all dem, was Sie
über uns erzählen und behaupten, frage ich mich manch-
mal wirklich, welcher Teufel Sie eigentlich geritten hat,
dass Sie ausgerechnet zu den Grünen gegangen sind.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Ich war beim Bündnis 90! – Walter Hirche [F.D.P.]: Das zeigt, dass Sie nicht wissen, dass Bündnis 90 eine andere Partei war!)


Es ist unglaublich, dass Sie jahrelang in dieser Fraktion
waren und sich jetzt so benehmen.

Dabei will ich es aber bewenden lassen und zum ei-
gentlichen Tagesordnungspunkt, den Castortransporten,
kommen. Sie haben mehrfach versucht, das Thema so
hinzustellen, als wären nicht die Atomtransporte für die
Risiken und die Ängste der Menschen verantwortlich und
das eigentliche Problem, sondern als wäre der Protest als
solcher das Problem. Das ist eine völlige Verkehrung der
Situation. Wir haben es hier mit Problemen zu tun, die Sie
mit Ihrer Politik nie haben lösen können.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Herr König, der Präsident des Strahlenschutzamtes, erklärt, dass das ungefährlich ist!)


Zu den Protesten, die Sie heute beklagen, und von denen
Sie behaupten, sie kämen nur aus dem grünen Umfeld,
muss ich Ihnen, Herr Laufs, sagen: Ob in Baden-Württem-
berg oder anderswo, der Protest gegen Transporte und vor
Ort an den Atomkraftwerken kam aus allen Bevölkerungs-
schichten, ob von CDU-Mitgliedern oder Grünen. Vor Ort
saßen alle zusammen, unter Umständen vor den Toren oder
auf dem Bauplatz.


(Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: Wir haben Hunderte solcher Transporte gemacht!)


Das ist die Wahrheit. Es war nicht nur eine grüne Marotte,
wie Sie das jetzt darstellen. Es gab überall vor Ort einen
breiten Bürgerprotest.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Unter anderem haben diese Proteste und dauernden
Aufmärsche bei der Polizei, die man gebraucht hat, um
Risiken zu minimieren, dazu geführt, dass man nachge-
dacht hat, wie man aus diesem Teufelskreis herauskommt,


(Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Wie schön!)





Vera Lengsfeld

14867


(C)



(D)



(A)



(B)


wenn es offensichtlich ist, dass die Bevölkerung vor Ort
diese Technologie nicht akzeptiert, wenn es offensichtlich
ist, dass die Mehrheit der Bevölkerung das Risiko der
Atomwirtschaft nicht tragen will. Den Ausweg daraus ha-
ben wir gesucht.

Wir haben mit unserem Ansatz versucht, aus einer, wie
wir finden, verheerenden Technologie langfristig mit ei-
ner Strategie herauszukommen, die das vorhandene Ri-
siko zwar nicht mehr wegzaubern, es aber begrenzen und
schließlich minimieren kann. Das ist schwierig,


(Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: Illusion, wenn ringsum Atomkraft genutzt wird!)


weil wir hier eine Suppe auszulöffeln haben, die Sie, Herr
Hirche, uns angerührt haben.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Die Sie sich eingebrockt haben! Sie haben den Widerstand angefacht!)


Nur handelt es sich nicht um ein beliebiges Süppchen,
sondern um eine hochgefährliche Atomsuppe.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Schauen Sie über die eigenen Landesgrenzen hinweg!)


Sie können wirklich froh sein, dass sich die heutige Re-
gierung dieses Problems annimmt, mit dieser Technologie
Schluss macht und für ihre Entsorgung und Beendigung
sorgt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: Das ist lachhaft! Sie stoppen alle ernsthaften Bemühungen! Sie machen Schluss mit allem, was wir auf den Weg gebracht haben!)


Wir haben deutlich gemacht – darüber reden wir ganz
offen –: Grüne waren immer Teil der Anti-AKW-Bewe-
gung. Wir haben immer gesagt: Atomkraft ist riskant, ge-
fährlich. Die Zukunft ist unklar. Die Endlagerung ist völ-
lig unklar. Hier stehen wir auf der Seite der Bevölkerung.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Nicht der Bevölkerung!)


Aber es gibt bei den Grünen sehr wohl eine ganz lange
Tradition bei der Debatte darüber, welcher Protest sinn-
voll und was gewaltfrei ist. Ich bin von Anfang an bei den
Grünen dabei: Wir haben diese Debatte immer hart ge-
führt; intern und auch in der Bewegung. Wir haben klar
gesagt: Für uns kommen nur gewaltfreie Widerstandsfor-
men infrage. – Wir haben das auch konsequent praktiziert.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Wie bei Fischer? Steine in die Luft geworfen?)


Das war der Grundkonsens. – Dies haben manche von Ih-
nen schon damals nicht zur Kenntnis genommen. Dazu
kann ich Ihnen sagen: Die Grünen haben ein reines Ge-
wissen. – Dies können Sie in vielen Papieren nachlesen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren von der CDU, wir müssen
uns nicht von Dingen distanzieren, die Sie uns seit 20 Jah-
ren unterstellen und die noch nie wahr waren. Herr Laufs

oder Herr Hirche, wenn Sie hier reden, müssen Sie immer
Menschen zitieren, die schon lange nicht mehr bei den
Grünen sind oder das Thema früher einmal ganz anders
betrachtet haben. Es tut mir Leid, aber Sie kommen im-
mer mit Leuten, die schon lange draußen sind.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Fischer und Trittin sind doch nicht draußen bei den Grünen!)


Das wäre etwa so, als wenn ich Rechtsradikalismus damit
beweisen würde, dass ich Republikaner zitiere, die mal
CDU-Mitglieder waren. Das ist doch absurd; das kann
man nicht machen. Aber so unfair und ungerechtfertigt ar-
gumentieren Sie. Damit liegen Sie, wie ich glaube, völlig
daneben.

Ich komme zum Schluss. Meine Damen und Herren
von der CDU: Eine Partei, die es bis zum heutigen Tage
nicht geschafft hat, sich anständig von ihrem Ehrenwort-
Vorsitzenden zu distanzieren, sollte hier im Hause nie-
manden in Sachen Rechtsstaat belehren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: Distanzieren Sie sich erst einmal von Ihrem Steine werfenden Außenminister!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415207900
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Max Straubinger.


(Uwe Hiksch [PDS]: Jetzt wird er erst einmal sagen: In Bayern ist alles besser!)



Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1415208000
Sowieso. – Frau Prä-
sidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Pünktlich
nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und
Rheinland-Pfalz wird Ende März oder Anfang April auf-
grund regierungsamtlicher Vereinbarungen zwischen
Bundeskanzler Schröder und dem französischen Minis-
terpräsidenten Jospin unter der rot-grünen Bundesregie-
rung der erste Castortransport von La Hague nach Gorle-
ben durchgeführt werden. Damit kommt – das begrüßen
wir – der Bundesumweltminister Trittin zu der überfälli-
gen Einsicht, dass Transporte sicher getätigt werden kön-
nen und dass die von grünen Aktivisten verbreiteten
Ängste über irrationale Risiken bei Castortransporten in
der Vergangenheit falsch waren.

Die Bundesregierung hat dies noch zusätzlich unter-
mauert; denn in der heutigen Pressemitteilung kann man
lesen, dass zwischen 1998 und 2000 mehrere Transporte
von nuklearem Material zwischen Hanau und La Hague
getätigt wurden, dies der Öffentlichkeit aber nicht darge-
legt wurde. Hier sieht man sehr deutlich, wie rot-grünes
Regierungshandeln in der Bundesrepublik letztendlich
funktioniert.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Aufgrund dieser Einsichten wäre eine Grundlage dafür

gelegt, ideologiefrei und offen über die Risiken und
Chancen der Kernenergie zu reden. Doch damit beginnt
das Problem mit den grünen Anhängern, die sich zu Recht
verschaukelt fühlen. Wenn jetzt richtigerweise Herr
Trittin, Herr Kuhn und Frau Müller an die grüne Par-
teibasis Aufrufe richten, von Blockaden des Transportes




Winfried Hermann
14868


(C)



(D)



(A)



(B)


abzusehen, und erklären, dass Demonstrationen eigent-
lich unnötig sind, begreift das die grüne alternative An-
hängerschaft nicht. Sie fragt sich zu Recht, ob denn von
Rot-Grün genehmigte Transporte besser als die Trans-
porte sind, die unter einer CDU/CSU-F.D.P.-Regierung
durchgeführt wurden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich gebe Ihnen sofort die Antwort: Sie sind unter Rot-
Grün nicht besser geworden. Die frühere Bundesumwelt-
ministerin Angela Merkel hat nämlich für die notwendi-
gen Sicherheitsstandards gesorgt,


(Arne Fuhrmann [SPD]: Nein, das ist mir neu!)


die darüber hinaus in den vergangenen zwei Jahren von
Rot-Grün nicht verbessert wurden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Christoph Matschie [SPD]: Weshalb musste dann ein Transportstopp ausgesprochen werden?)


Aber die grüne Parteibasis hat ein starkes Erinne-
rungsvermögen. Haben nicht Trittin, Fischer und die
Führung der grünen Partei in der Vergangenheit zu De-
monstrationen aufgerufen, welche zum Teil sehr gewalt-
tätig verlaufen sind? Wurde nicht aufgrund des Aufrufs
der ehemaligen Kollegin von Bündnis 90/Die Grünen
Elisabeth Altmann, sich am „lustigen Demontieren von
Schienen“ zu beteiligen, die Sicherheit der Transporte ge-
fährdet und damit natürlich eine Grundlage für gewalt-
tätige Ausschreitungen gelegt?


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der grünen Parteibasis wird immer mehr bewusst, dass sie
von Fischer und Trittin hintergangen wurde und weiterhin
wird und dass die Antiatombewegung von den beiden
Herren nur zur Erringung der Macht benutzt wurde.

Eine weitere Frage drängt sich mir angesichts der
Ankündigung von Blockaden und Demonstrationen auf,
und zwar inwieweit der zu Unrecht viel gelobte Atom-
konsens vom 15. Juni 2000 trägt. Vollmundig hatte der
Bundeskanzler ausgeführt – ich zitiere mit der Genehmi-
gung der Frau Präsidentin –:

Als in jener Nacht zum 15. Juni 2000 die Einigung
erzielt war und ein grüner Umweltminister und die
Chefs der Energiewirtschaft zugestimmt hatten, da
ging eine Epoche gesellschaftlichen Konfliktes zu
Ende.

Ich frage mich angesichts der Aufrufe zu Blockaden
und Demonstrationen: Wo ist denn der Konflikt beendet?
Hat nicht die rot-grüne Bundesregierung neue Konflikte
geschaffen, weil sie nicht bereit ist, die Entsorgungsfrage
zu lösen, sondern das Problem nur vor sich herschiebt,
Zwischenlager an Kernkraftwerksstandorten einrichtet,
die zu Endlagern werden, die Wiederaufbereitung von
Kernbrennstäben verhindern möchte, die sichersten Kern-
kraftwerke stilllegen will und bereit ist, aus dem Ausland
in unsicheren Reaktoren erzeugten Atomstrom zu impor-
tieren?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Das verstehen die Bürger nicht und die Steuerzahler ha-
ben kein Verständnis für die Blockaden und Demonstra-
tionen, die die grüne Basis nur deshalb durchführen
möchte, um ihre Parteiklientel bei der Stange zu halten.
Der Steuerzahler und die Stromabnehmer sind nämlich die
Zahler dieser verfehlten rot-grünen Kernenergiepolitik.

Besten Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415208100
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Monika Ganseforth.


Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1415208200
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ohne den Schluss Ihrer Aus-
führungen hätte ich Ihre Rede als flammende Lobesrede zur
Unterstützung einer Bürgerinitiative gegen die Atomenergie
aufgefasst. Insofern habe ich mich etwas gewundert.

Wir als rot-grüne Regierung sind angetreten, um den
Weg zu gehen, den die Mehrheit unserer Bevölkerung ge-
hen möchte, nämlich die Nutzung der Atomkraft zur Ener-
gieerzeugung zu beenden und aus dem Betrieb der Atom-
kraftwerke auszusteigen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Wie kommen Sie denn dazu?)


Die Auffassung hierüber hat sich seit dem Regierungs-
wechsel grundsätzlich geändert. Wir haben aber leider
noch mit den Altlasten zu tun, die Sie uns hinterlassen ha-
ben. Am schönsten fand ich in diesem Zusammenhang,
wie Herr Hirche über die Suppe gesprochen hat, die wir
nun auslöffeln müssten, die wir aber Ihnen zu verdanken
haben.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Die Sie sich eingebrockt haben!)


Wir stehen zu den notwendigen Konsequenzen und
werden die nationalen sowie internationalen Verträge ein-
halten. Außerdem tragen wir die Verantwortung für die
Suche nach einer nationalen Lösung für die Entsorgung
des deutschen Atommülls. Auch wenn die Lösung dieser
Frage in einem gewissen Widerspruch zu unserer Über-
zeugung, endlich mit der Nutzung der Atomenergie auf-
zuhören, steht, müssen wir diese Altlasten beseitigen.

Gegenüber den Transporten, die zu Ihrer Regierungszeit
stattgefunden haben, hat sich allerdings etwas geändert.


(Zuruf von der CDU/CSU: Nichts hat sich geändert!)


Wir haben die Rahmenbedingungen verändert: Wir haben
die Menge begrenzt – das bedeutet, dass ein Ende der
Transporte abzusehen ist – und wir tun alles, um die Zahl
der Transporte zu reduzieren. Wir wollen unnötige Trans-
porte vermeiden. Unsere Maßnahmen zeigen auch bereits
Wirkung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)





Max Straubinger

14869


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich will schließlich an die Schlampereien erinnern, die
es im Zusammenhang mit den Transporten in den letzten
Jahren Ihrer Regierung gegeben hat. Wir stellen heute
eine penible Einhaltung des Atomrechtes und des Ver-
kehrsrechtes durch das Bundesamt für Strahlenschutz si-
cher, sodass gewährleistet ist, dass die Transporte, die
heute noch stattfinden müssen, nach geltendem Recht und
unter größter Sorgfalt durchgeführt werden.

Des Weiteren – das ist die allerwichtigste Botschaft,
die ich sowohl an die rechte Seite als auch an die Bürger-
initiativen richten muss – gilt: Wir machen aus diesen
Transporten keine Kraftprobe für einen ideologischen
Weiterbetrieb der Atomkraftwerke zur Energieerzeugung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Insofern sind die Atomtransporte kein Symbol mehr für
eine ideologische Unterstützung einer falschen Energie-
politik. Das ist die Hauptbotschaft und darin besteht der
entscheidende Unterschied gegenüber Ihrer Regierungs-
zeit. Deswegen benötigen die Bürgerinnen und Bürger
den Protest gegen diese Transporte nicht mehr als Symbol
eines Kampfes gegen die Atomenergie.

Trotzdem gibt es natürlich Menschen – Bürgerinnen
und Bürger in der Region –, die besorgt sind. Es ist ganz
selbstverständlich ein demokratisches Bürgerrecht, gegen
diese Transporte zu demonstrieren, wenn man davor Angst
hat. Wo sind wir denn? Es ist ein demokratisches Recht.
Dass wir immer wieder betonen müssen, dass solche De-
monstrationen Gewaltfreiheit verlangen, ist allmählich
richtig ärgerlich. Sie verlangen in diesem Zusammenhang,
dass wir uns immer wieder zu Selbstverständlichkeiten be-
kennen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Allerdings stellt sich die Frage, ob es klug ist, wenn

Mitglieder von Parteien gegen Maßnahmen einer Regie-
rung, an der die eigene Partei beteiligt ist, demonstrieren.
Das ist eine andere Frage. Aber legitim ist das.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Oh!)

Zu den diesbezüglichen Zwischenrufen möchte ich sagen:
Ich erinnere mich, dass ich demonstriert habe, als Helmut
Schmidt regiert hat. Ich denke, es ist legitim, gegen Maß-
nahmen der eigenen Regierung zu demonstrieren. Wo
sind wir denn?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin allerdings sicher, dass sich die zukünftigen De-
monstrationen nicht mehr in erster Linie wie zu Ihrer Zeit
gegen die Regierung, sondern gegen die Atomenergienut-
zung richten werden.


(Lachen bei der CDU/CSU)

– Aber sicher! – Der Kampf der Menschen gegen die
Atomenergienutzung wird erst beendet sein, wenn das
letzte Atomkraftwerk vom Netz gegangen ist. Darauf war-
ten wir und dafür kämpfen wir seit vielen Jahren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Walter Hirche [F.D.P.]: Wenn dann in Russland 40 neue Atomkraftwerke ans Netz gegangen sind, haben wir Sicherheit!)


Vielleicht haben Sie es vergessen: Im April vor 15 Jah-
ren geschah die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl. Ich
erinnere mich noch sehr deutlich, dass es damals auch auf
der rechten Seite des Parlaments sehr nachdenkliche Töne
gab und auch viele von Ihnen davon überzeugt waren,
dass man von der Atomenergienutzung Abschied nehmen
müsse. Das hat sich inzwischen leider geändert. Es gab si-
cherlich auch Leute in Ihren Reihen, die schon als Atom-
energielobbyisten auf die Welt gekommen sind.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber es gab auch einmal andere. Es ist schade, dass es die-
sen Konsens nicht mehr gibt; denn die Atomenergie ist ri-
sikoreich. Die Endlagerfrage ist national und international
nicht gelöst. Auch das Problem der Proliferation ist nicht
gelöst. Es gibt inzwischen viele Studien, in denen bewie-
sen wurde, dass man auf die Nutzung der Atomenergie
verzichten kann und eine nachhaltige und klima-
freundliche Energiepolitik auch ohne Atomenergienut-
zung möglich ist. Wir sind auf dem Weg dahin.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415208300
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Jürgen Gehb.


Dr. Jürgen Gehb (CDU):
Rede ID: ID1415208400
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Ich muss mich schon wun-
dern,


(Susanne Kastner [SPD]: Wir wundern uns auch!)


ausgerechnet aus dem Munde unseres Umweltministers
zu hören, dass die Ausübung des Demonstrationsrechts
davon abhängen soll, ob atomrechtliche Maßnahmen un-
ter einer CDU/CSU/F.D.P.-Regierung oder unter einer
rot-grünen Regierung beschlossen worden sind. Herr
Trittin, zu dem Versuch, zwischen moralisch guten und
rechtmäßigen und weniger moralisch guten, illegitimen
oder, wie Frau Roth gesagt hat, sogar illegalen Genehmi-
gungen und Transporten zu unterscheiden, möchte ich Ih-
nen etwas sagen: Sie haben heute zum wiederholten Male
unter Beweis gestellt, dass Sie als Minister nicht in der
Lage sind, einen Notenschlüssel von einem Paragraphen-
schlüssel zu unterscheiden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Horst Kubatschka [SPD]: Was für ein Kalauer! – Susanne Kastner [SPD]: Tataa, tataa, tataa!)


Bei großem Bemühen gelingt Ihnen, Herr Trittin, viel-
leicht die Parallelwertung in der Laiensphäre. Das werde
ich Ihnen jetzt einmal klarmachen.

Sämtliche Transportgenehmigungen der letzten Jahre
sind auf der Rechtsgrundlage des Atomgesetzes in der




Monika Ganseforth
14870


(C)



(D)



(A)



(B)


Fassung der Bekanntmachung vom 15. Juli 1985 erteilt
worden. Das gilt für die gestern und für die heute erteilten
Genehmigungen. Aber das wird auch für die morgen und
übermorgen erteilten Genehmigungen gelten. De lege lata
sind sämtliche Genehmigungen, ausschließlich auf dem
Atomgesetz beruhend, legal, legitim und rechtmäßig.
Selbst de lege ferenda – ich übersetze für Sie, Herr Trittin:
nach der künftigen Gesetzeslage –, wenn Sie den so ge-
nannten Atomkonsens parlamentarisch umgesetzt haben
und wenn das neue Atomgesetz, dessen Entwurf jetzt vor-
liegt, in Kraft ist – letztlich wollen wir Parlamentarier da-
rüber befinden und nicht irgendwelche Gruppen, die zwi-
schen den Energieversorgungsunternehmen und Regie-
rungsmitgliedern stehen –, wird es weiterhin genehmigte
Transporte geben.

Herr August Fuhrmann, da Sie mich gerade so an-
schauen: Sie haben zwar nicht nur in Ihrer eigenen Frak-
tion, sondern auch außerhalb dieses Hauses den Ruf eines
„ausgewiesenen Atomrechtsexperten“. Aber als Sie in Ih-
rer Rede am 7. Dezember letzten Jahres – mit sicherem
Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit in der Sache – be-
hauptet haben, dass es in Zukunft – außer bei völker-
rechtlichen Verpflichtungen – keine Genehmigungen für
Castortransporte mehr geben werde, haben Sie damit Ihre
völlige Ahnungslosigkeit unter Beweis gestellt.


(Arne Fuhrmann [SPD]: Sie sind ein Witzbold! Sie müssen sich über mehrere Dinge im Klaren sein! Reden Sie nur über das, wovon Sie etwas verstehen! Ansonsten setzen Sie sich hin und schweigen!)


Sie haben uns darüber hinaus – das finde ich besonders
verwerflich, weil Sie gerade Sprache und Gewalttätigkeit
gerügt haben – Geheimniskrämerei bei den letzten Ge-
nehmigungen vorgeworfen. Wer sich wie ich fünf Jahre
lang am höchsten hessischen Gericht mit Atomrecht be-
fasst hat, der weiß, dass es kein transparenteres, kein
mehrstufigeres und kein offeneres Verfahren gibt als bei
der Erteilung von atomrechtlichen Genehmigungen.

Uns haben Sie Geheimniskrämerei vorgeworfen – viel-
leicht sagt Herr Uldall nachher noch etwas dazu –; aber
bei Ihnen gab es ein paar Transporte, die jenseits aller Ge-
setzlichkeit geheim abgelaufen sein sollen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich verstehe gar nicht, was

Sie hier bei der Genehmigungspraxis ins Feld führen wol-
len. Frau Roth, Sie als designierte Vorsitzende einer Par-
tei, die an der Regierung ist, haben davon geredet – Sie,
Herr Trittin, übrigens auch –, dass in der Vergangenheit
Atommüll verschoben worden sei. Sie haben es noch ge-
toppt, indem Sie gesagt haben, dies sei illegitim. Dann
kam der Höhepunkt: Es sei auch illegal.


(Susanne Kastner [SPD]: Sie sind kein Höhepunkt! – Arne Fuhrmann [SPD]: Sie sind eine parlamentarische Katastrophe!)


Nichts von alledem ist der Fall. Es waren alles legale
Transporte.

Sie wollen nur neben der Rechtsmäßigkeitsvorausset-
zung einen neuen Parameter bilden und Moral zu der

Messlatte machen, an der sich Genehmigungen auszu-
richten haben. Wissen Sie, dazu, dass in den 70er-Jahren,
als unter der „Schreckensherrschaft“ der sozialdemokra-
tischen Kanzler Brandt und Schmidt


(Lachen bei der PDS)

Polizeihundertschaften durch die Straßen Frankfurts ma-
rodierten, um 25-jährige jugendliche Studierwillige, die
freilich kein Abitur hatten, am Besuch von Vorlesungen
zu hindern,


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

wird heute gesagt, es sei gerechtfertigt gewesen, sich ge-
gen diese Polizisten mit Gewalt zur Wehr zu setzen.


(Klaus Bühler [Bruchsal] [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Sie führen ganz neue Prüfungsmaßstäbe für die Erteilung
von Genehmigungen ein,


(Horst Kubatschka [SPD]: Sie aber auch!)

nämlich jenseits von Recht und Gesetz Moral und mora-
lische Verpflichtung. Nicht nur, dass Sie diese Parameter
neu setzen, Sie füllen sie auch noch mit Inhalt aus. Das
heißt, dass nur Sie sagen dürfen, was moralisch verwerf-
lich ist und was nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wer so mit dem Rechtsstaat umgeht und die Hysterie in
der Bevölkerung geradezu schürt, indem er sagt, Atom-
müll sei verschoben worden und dies sei illegitim und so-
gar illegal gewesen, hat es schlichtweg nicht verdient,
sich selbst „rechtsstaatlich“ zu nennen.

Wenn nun ausgerechnet Sie, Frau Müller – Sie sind ge-
rade so schön in Ihre Unterlagen vertieft; eben hatten Sie
schon einmal einen puterroten Kopf – sich zum Sprach-
rohr derer machen, die wollen, dass nicht und schon gar
nicht gewalttätig demonstriert wird, dann kommt mir
das – mit Verlaub; im Moment ist Berlinale – so vor, als
wollte Dr. Hannibal Lecter Graf Dracula von seinen
nächtlichen Blutraubzügen ablenken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen bei der SPD – Arne Fuhrmann [SPD]: Diese Rede hätten Sie auch in Mainz halten können!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415208500
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Reinhard Loske, dem ich vorab zu
seinem heutigen Geburtstag gratuliere.


(Beifall)



Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415208600

Frau Präsidentin, schönen Dank für die Glückwünsche.
Das sollte mich eigentlich milde stimmen. Aber ange-
sichts des Blödsinns, der hier erzählt worden ist – vor al-
len Dingen in der letzten Rede –, geht das leider nicht.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)





Dr. Jürgen Gehb

14871


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich will nur auf einige Argumente eingehen, die hier ge-
bracht worden sind.

Ich beginne mit Ihnen, Herr Hirche. Sie haben sinn-
gemäß gesagt, die Transporte seien in der Vergangenheit
unproblematisch gewesen, seien in der Gegenwart unpro-
blematisch und würden auch in der Zukunft unproblema-
tisch sein.


(Walter Hirche [F.D.P.]: „Ungefährlich“ habe ich gesagt!)


– Das ist ja noch schlimmer. Sie haben jedenfalls gesagt,
es gebe keinen Unterschied zwischen früher, jetzt und in
Zukunft. Das ist falsch. In der Zeit, als Ihre Transporte
stattgefunden haben, waren sie Teil einer unendlichen Ge-
schichte. Seitdem wir an der Regierung sind, sind sie Teil
einer Abwicklungsgeschichte. Das ist ein fundamentaler
Unterschied.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Walter Hirche [F.D.P.]: Die Transporte sind ungefährlich und waren ungefährlich!)


Wir haben den Atomausstieg vereinbart und, wie Sie wis-
sen, ein drei- bis zehnjähriges Erkundungsmoratorium in
Gorleben vereinbart. Das ist ein sehr wichtiger Unter-
schied. Sie haben nichts dergleichen gemacht. Insofern
unterscheiden sich diese Transporte vom Prinzip her fun-
damental.

Zweiter Punkt: Herr Claus und Herr Gehb haben aus-
geführt, bei den Dingen, die jetzt bekannt geworden seien,
handele es sich um Geheimtransporte. Es gibt kundigere
Leute als mich, die dazu sprechen können, zum Beispiel
der Minister selbst oder Vertreter seines Hauses. Die
Wahrheit ist, dass im Jahr etwa 350 vergleichbare Trans-
porte stattfinden. Fakt ist auch, dass gerade diese Trans-
porte Teil einer Abwicklungsgeschichte sind: Die MOX-
Brennelemente-Fabrik in Hanau ist geschlossen worden
und die Transporte, die daraus resultieren, sind 1996 Teil
eines Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahrens gewesen.
Hier von Geheimtransporten zu reden ist schierer Blöd-
sinn.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD –Walter Hirche [F.D.P.]: Auch das zeigt: Solche Transporte sind ungefährlich und unterliegen den Sicherheitsvorschriften!)


Der dritte Punkt betrifft die Glaubwürdigkeit der
CDU/CSU; dies liegt mir besonders am Herzen, Frau
Lengsfeld und Herr Gehb. Das Vorgehen der CDU/CSU
grenzt schon fast an Chuzpe. Man muss übrigens dazu gar
nicht auf die Insel Rügen gehen, Herr Minister, man kann
hier in Berlin bleiben. Vor wenigen Monaten haben am
Brandenburger Tor LKW-Fahrer Randale gemacht. Auch
das war eine vollkommen legitime Nutzung des Demons-
trationsrechts; dieses Kronjuwel der Demokratie sollten
wir hüten und pflegen, das ist überhaupt keine Frage.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Als die Herrschaften dann aber in das Regierungsviertel,
in die so genannte Bannmeile – über deren Sinn kann man

unterschiedlicher Meinung sein – , eindrangen, haben sich
Abgeordnete aus den Reihen der CDU mit Ihnen gemein
gemacht und sich den Randalierern angeschlossen. Zu
dem, was aus Ihrem Munde hier vorgetragen wurde, sind
Sie nicht berufen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ulrich Kelber [SPD]: Die Junge Union mit Plakaten! Ich habe die Leute angesprochen! Das war Rechtsbruch!)


Auf die Rede von Frau Lengsfeld, die sehr stark bio-
grafische Züge gehabt hat, will ich nicht weiter eingehen.
Ich möchte nur sagen: Der Hass, der darin zum Ausdruck
kam, entspricht doch nicht der Realität. Eine Gesellschaft
entwickelt sich dadurch weiter, dass es Konflikte gibt. Ihr
statisches Verständnis von der Gesellschaft ist vollkom-
men unrealistisch und muss hier insofern nicht weiter dis-
kutiert werden.

Zu dem Punkt, an dem die Grünen angegriffen werden,
muss ich Ihnen sagen: Ich bin froh darüber und sogar ein
bisschen stolz darauf, dass wir uns mit dieser Sache
quälen; das kann gar nicht anders sein. Unsere Grundhal-
tung ist nämlich: Wir wollen so schnell wie möglich aus
der Atomenergie aussteigen; für uns sind die besten Trans-
porte diejenigen, die gar nicht stattfinden müssen. Wir ha-
ben dem Atomkonsens auf unserem Parteitag – unter
Mühen – mit einer großen Mehrheit zugestimmt. Wir ste-
hen zu dem Atomkonsens, auch zu den Teilen, die uns un-
angenehm sind. Dazu gehören zum Beispiel die notwen-
digen Rücktransporte aus La Hague und der Bau von
standortnahen Zwischenlagern, der vor Ort nicht gerade
Hallelujarufe auslöst.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Im Moment gilt noch das Atomgesetz und kein Atomkonsens!)


Die CDU, die Atompartei schlechthin – Filbinger hat
vor 25 Jahren gesagt: „Wenn wir nicht noch mehr Atom-
kraftwerke bauen, dann gehen die Lichter aus.“ – organi-
siert jetzt den Protest vor Ort gegen die standortnahen
Zwischenlager. Das ist unglaubwürdig, heuchlerisch und
verlogen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: Leer stehende große regionale Zwischenlager!)


Als Abgeordneter aus Nordrhein-Westfalen möchte ich
zum Abschluss Folgendes sagen: Herr Laufs, Sie kommen
doch aus Baden-Württemberg. Es gibt Transporte, die den
Charakter einer politischen Provokation hätten. Der
Transport von Neckar-Westheim nach Ahaus in Nord-
rhein-Westfalen wäre eine solche politische Provokation
gewesen, die von der Sache her in gar keiner Weise not-
wendig gewesen wäre.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P. –Walter Hirche [F.D.P.]: Warum denn eigentlich? Weil es Ihre Zwiespältigkeit offen gelegt hätte!)


Ein Geschäft funktioniert nicht: Sie kassieren in Baden-
Württemberg sozusagen die Gewerbesteuer für die Atom-
anlagen und wir in Nordrhein-Westfalen nehmen Ihren




Dr. Reinhard Loske
14872


(C)



(D)



(A)



(B)


Müll entgegen, wofür wir noch Danke schön sagen sollen.
So geht es nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415208700
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Gunnar Uldall.


Gunnar Uldall (CDU):
Rede ID: ID1415208800
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst wünsche ich
unserem Kollegen Loske alles Gute für das neue Lebens-
jahr. Vor allen Dingen wünsche ich Ihnen, Herr Loske,
sehr viel Weisheit, damit Sie die politischen Dinge immer
richtig einordnen können.


(Horst Kubatschka [SPD]: Noch mehr? –Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Scheinheiligkeit!)


Über Jahre hinweg wurden die Demonstranten am
Rande der Castortransporte von den Grünen aufgehetzt.
Angeblich bestand eine Verstrahlungsgefahr. An den Cas-
tortransporten hat sich aber nichts geändert.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Sie waren kontaminiert!)


Minister Trittin hat eben gesagt, dass durch die Transporte
der nächsten Zeit keine Gefahr besteht. Wenn das so ist,
dann bestand auch bei den früheren Castortransporten
keine Gefahr. Das zeigt: Minister Trittin, Frau Müller und
alle anderen, die zu den Anführern der früheren Demons-
trationen gegen die Castortransporte gehörten, sie sind als
Pharisäer entlarvt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Offensichtlich gilt für die Grünen: Castortransporte

unter einer CDU-geführten Regierung sind schlecht, Cas-
tortransporte unter einer Regierung, an der die Grünen be-
teiligt sind, sind gut. So einfach kann man die Rechnung
aber nicht machen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zu Recht schreibt die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrer
Ausgabe vom Dienstag, Herr Minister Trittin: „Die Cas-
tortransporte befördern nicht nur Müll, sondern auch Kar-
rieren.“ Herr Minister Trittin, ich finde, das ist eine sehr
gute Beschreibung Ihrer politischen Karriere. Ich frage
mich: Würden Sie heute auf dieser Regierungsbank sit-
zen, wenn Sie damals gegen die Castortransporte nicht so
engagiert demonstriert hätten? Die Castortransporte be-
fördern nicht nur Müll, sondern auch Karrieren.


(Horst Kubatschka [SPD]: Aber das versuchen Sie jetzt auch!)


Heute berichtet die „Berliner Zeitung“, dass der Herr
Minister Trittin heimlich acht Atomtransporte hat durch-
führen lassen.


(Eva Bulling-Schröter [PDS]: Ja, so was!)

Er hat damit die Bevölkerung und seine eigenen

Parteifreunde auf das Schlimmste hintergangen.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Sehr wahr! – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wurde vorhin schon dreimal erklärt!)


Die Transporte mögen gerade noch legal gewesen sein,
aber politisch, Herr Minister, haben Sie durch die Ver-
heimlichung Ihre eigene Basis betrogen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Schön, dass Sie so gut auf uns aufpassen!)


Ihre Fraktion und die Sozialdemokraten wurden von Ih-
nen hinters Licht geführt.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie wären ein guter Gastredner auf unserem Parteitag!)


Man stelle sich einmal einen Moment lang vor, was
hier im Parlament und auf den Straßen in Deutschland los
gewesen wäre, wenn unter einer CDU/CSU/F.D.P.-Regie-
rung insgeheim acht Transporte mit Atommüll durch-
geführt worden wären,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Insgeheim!)


Heute ist hier alles ganz ruhig. Die Grünen klatschen so-
gar noch Beifall, wenn der Minister hier spricht. Ich weiß
eigentlich nicht, worüber ich mehr den Kopf schütteln
soll: darüber, dass der Minister Trittin seine eigene Frak-
tion hinters Licht führt, oder darüber, dass die Grünen-
Fraktion Trittin dafür nicht kritisiert. Ein solches Maß an
politischer Unterwürfigkeit habe ich bei einer anderen
Bundestagsfraktion noch nie erlebt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das will was heißen in der CDU!)


Alles das wäre noch erträglich, wenn es nicht noch ei-
nen weiteren und sehr viel ernsteren Aspekt bei dieser
Angelegenheit gäbe: Über 25 Jahre haben Sie Ihre politi-
schen Vorstellungen stets moralisch überhöht. Ihre politi-
schen Ideen hielten Sie nicht nur für richtig – das muss
man als Politiker natürlich immer tun –, sondern Sie hiel-
ten Ihre Vorstellungen auch immer für moralisch so hoch
stehend, dass Sie für deren Umsetzung auch andere Mit-
tel als die politische Überzeugungsarbeit als gerechtfer-
tigt ansahen. Der politische Gegner wurde nicht nur mit
Worten bekämpft, der politische Gegner wurde ver-
dammt. Das war zum Beispiel bei den Auseinanderset-
zungen um den NATO-Doppelbeschluss oder auch bei
den Demonstrationen gegen die Kernenergie der Fall.

Mit dieser moralischen Selbstüberhöhung haben Sie
die einfachen, gutgläubigen Demonstranten angetrieben,
sodass viele von ihnen glauben, dass Gewalt bei diesen
Demonstrationen auch heute gerechtfertigt sei.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Arne Fuhrmann [SPD]: Das ist die typische Unterstellung, die ewig aus Ihren Reihen kommt!)





Dr. Reinhard Loske

14873


(C)



(D)



(A)



(B)


Deswegen liegt bei Ihnen ganz persönlich, Herr Minister
Trittin, bei Ihnen ganz persönlich, Frau Müller, die politi-
sche Verantwortung dafür, wenn auf diesen Demonstra-
tionen Gewalttätigkeiten vorkommen sollten.


(Arne Fuhrmann [SPD]: Sie diffamieren damit die Demonstranten und nicht uns! Unglaublich so etwas!)


Sie tragen dafür die Verantwortung, dass dieses vermie-
den wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Arne Fuhrmann [SPD]: Sie sollten sich für Ihre Schlussworte wirklich schämen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415208900
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Horst Kubatschka.


Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1415209000
Sehr geehrte Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Uldall, Sie unter-
stellen, die Grünen hätten den politischen Gegner ver-
dammt.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Unterstellen? Das ist heute noch so!)


Ihre Rede könnte man bestens dafür hernehmen, um zu
beweisen, wie Sie das machen. Wie die rechte Seite des
Hauses in letzter Zeit den politischen Gegner verdammt,
geht eigentlich nicht mehr auf die berühmte Kuhhaut. Per-
manent versuchen Sie das.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Eigentlich muss die Regierungsarbeit von Rot-Grün
sehr gut sein.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Eigentlich!)

Anders lässt es sich nicht erklären, dass die CDU/CSU
verzweifelt nach Themen für eine Aktuelle Stunde sucht.
Heute setzen wir uns mit dem Thema „Haltung der Bun-
desregierung zu den von den grünen Aktivisten angekün-
digten Protesten bei Wiederaufnahme der Castortrans-
porte“ auseinander. Erst heute früh haben Sie es etwas
abgemildert und sprechen jetzt von „grünen Kernkraft-
gegnern“. In ihrer Verzweiflung greift die CDU/CSU-
Fraktion in innerparteiliche Vorgänge bei den Grünen ein.
Dieses Thema müssten eigentlich die Grünen in ihren Par-
teigremien diskutieren; es ist eigentlich überhaupt kein
Thema für den Deutschen Bundestag.


(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, hinter die Aussage,

ob dieser Protest vernünftig ist, setze ich ein Fragezei-
chen. Ich will es aber auch klar sagen: Der Protest ist le-
gitim. In Art. 8 unseres Grundgesetzes heißt es:

Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmel-
dung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu
versammeln.

Dies ist ein selbstverständliches Grundrecht. Aber ent-
scheidend ist auch das Wort „friedlich“. Jede Gewalt wird
von uns Sozialdemokraten abgelehnt. Gleichwohl gibt es

immer wieder Versuche, Rot-Grün in die Nähe von Ge-
walt zu rücken. Dies geht bis hin zu Fälschungen in der
Zeitung mit den großen Buchstaben. Dies ist eine Strate-
gie der CDU/CSU-Fraktion und der gesamten Partei, wie
sie hier schon öfter erlebt haben.

Um aber die SPD-Linie noch einmal klar zu formulie-
ren: Wir lehnen Gewalt gegen Menschen und Sachen ab.
Am 17.April 1996 habe ich vor diesem Hohen Hause aus-
geführt:

In unserem Rechtsstaat bleibt es jedem unbenom-
men, gegen Entscheidungen, die er für falsch oder
richtig hält, friedlich zu demonstrieren oder in ande-
rer Weise friedlich vorzugehen. Wir fordern die Teil-
nehmerinnen und Teilnehmer an der Demonstration
auf, sich nicht an gewalttätigen Aktionen zu beteili-
gen. Gewalt gegen Menschen und Sachen ist ein Irr-
weg. Gewalttätige Aktionen arbeiten den Befürwor-
tern der Kernenergie in die Hände.


(Monika Ganseforth [SPD]: So ist es!)

Der letzte Satz gilt immer noch. Im Rahmen der Aktuel-
len Stunde ist schon angesprochen worden, wie das da-
mals dargestellt wurde.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Castortransporte
sind nicht zu vermeiden. Die rot-grüne Koalition hat nach
Regierungsantritt Kriterien und Bedingungen genannt,
die erfüllt sein müssen, damit die Transporte wieder ge-
nehmigt werden können. Nachdem diese lange Liste ab-
gearbeitet wurde, besteht ein Rechtsanspruch auf die
Transporte. Darauf habe ich bereits im November 1999 in
diesem Hohen Hause hingewiesen.

Durch die Transporte, die jetzt in der Diskussion sind,
sollen Glaskokillen aus der Wiederaufbereitungsanlage in
La Hague in das zentrale Zwischenlager Gorleben ge-
bracht werden. Auch Frankreich hat einen Anspruch da-
rauf, dass man die Glaskokillen abtransportiert.

Dazu hat sich die Bundesregierung in einer gemeinsa-
men Erklärung vom 6. Juli 1989 und in einem Brief-
wechsel zwischen der deutschen und der französischen
Regierung vom 25. April 1990 verpflichtet. Die jetzige
Regierung hat sich ebenfalls dieser Verpflichtung gestellt.

Wir müssen also abtransportieren, um die Verträge ein-
zuhalten. Es ist nach wie vor eine Verpflichtung, eine na-
tionale Lösung für die Endablagerung zu finden. Die Cas-
tortransporte sind nicht zu verhindern. Sie können aber
minimiert werden. Deswegen will die rot-grüne Koalition
dezentrale Zwischenlager schaffen. Damit werden sinn-
lose Castortransporte verhindert. Dadurch wird die Zahl
der Transporte minimiert. Nach Errichtung der dezentra-
len Zwischenlager sollen sie nur noch ein Drittel des jet-
zigen Umfangs betragen.

Um es aber noch einmal klarzustellen: Bei der Lage-
rung an den Kernkraftwerken darf es keine geringere Si-
cherheit geben als bei den zentralen Zwischenlagern.

Herr Hirche, noch einmal zu Ihrem Zwischenruf. Sie
haben von den gewalttätigen Siebzigern gesprochen. Ich
muss sagen: Sie hatten einmal einen Generalsekretär na-
mens Flach. Ich glaube, der dreht sich im Grabe um, wenn
er solche Zwischenrufe hört. Sie sind wirklich zu einer




Gunnar Uldall
14874


(C)



(D)



(A)



(B)


Partei verkommen, die Big Brother nützt und Fallschirm
springt. Das ist nicht die alte liberale Partei.
Ich danke fürs Zuhören.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Walter Hirche [F.D.P.]: Das hatten Sie offenbar schon vor der Rede aufgeschrieben! Das ist bemerkenswert!)


– Nein.

(Ulrich Kelber [SPD]: Sie sind ein Eiferer, Herr Hirche! Das passt nicht zur F.D.P.!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415209100
Das Wort erhält
noch einmal der Herr Bundesminister Jürgen Trittin.

Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Erstens. Pro Jahr finden in der Bun-
desrepublik Deutschland ungefähr 45 000 Transporte ra-
dioaktiver Stoffe statt.

Zweitens. Die Stoffe, um die es hier geht, sind Brenn-
elemente. Von dieser Kategorie finden pro Jahr – jeden-
falls über den Daumen; ich habe aber auch die genauen
Zahlen für den Fall hier, dass Sie sie haben wollen –
350 Transporte statt. Mich wundert schon, dass Parla-
mentarier, die schon eine geraume Zeit im Geschäft sind,
angesichts dieser Tatsache behaupten, sie hätten von
nichts gewusst.

Man kann von diesen acht Transporten in keiner Weise
behaupten, dass sie geheim stattgefunden hätten. Die ers-
ten vier dieser Transporte wurden im September 1998 und
die nächsten vier Transporte im August 2000 genehmigt.
Diese Genehmigungen waren zuvor Gegenstand eines
öffentlichen Anhörungsverfahrens im Zusammenhang
mit der Stilllegung der Anlage in Hanau. Im Rahmen die-
ses Anhörungsverfahrens ist darüber debattiert worden,
was mit dem Müll und mit den Kernbrennstoffen, die sich
noch in dieser Anlage – beruhend auf der Stilllegung die-
ser Anlage – befanden, zu passieren habe.

Ergebnis des öffentlichen Anhörungsverfahrens ist ge-
wesen, dass die einzige Möglichkeit der Entsorgung die-
ser Kernbrennstoffe der Transport zur Wiederaufberei-
tungsanlage in La Hague war. Was ist daran geheim? Die
„Berliner Zeitung“ hat versucht, ihre mangelnde Recher-
chefähigkeit dadurch zu verdecken, indem sie von Ge-
heimtransporten spricht, obwohl sie Gegenstand von öf-
fentlichen Anhörungen gewesen sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Jürgen Gehb [CDU/ CSU]: Dann sind Sie in bester Gesellschaft mit Fuhrmann! Der wirft uns auch immer Geheimniskrämerei vor!)


– Ich weiß nicht, wie Sie Richter am Hessischen Verwal-
tungsgerichtshof werden konnten.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das ist schwieriger, als Minister zu werden! – Gegenruf des Abg. Arne Fuhrmann [SPD]: Herr Kollege, Sie haben doch keine Ahnung!)


Angesichts Ihrer Beiträge komme ich ins Grübeln. Dieses
Verfahren hat übrigens in Hessen stattgefunden. Viel-
leicht beschäftigen Sie sich einmal damit, Herr Kollege.

Ich lege ausdrücklich Wert auf die Feststellung, dass es
seit 1998, also seit dem Verhängen des Transportstopps,
keine Castortransporte nach Frankreich mehr gegeben
hat. Diese Transporte hat es nicht etwa deswegen nicht
gegeben, weil eine hysterische Öffentlichkeit – Sie haben
versucht, es so darzustellen – suggeriert hat, diese Trans-
porte seien gefährlich. Diese Transporte haben vielmehr
deswegen nicht mehr stattgefunden, weil die damalige
Umweltministerin Merkel – sie hat jetzt in ihrer Partei
eine bestimmte Funktion – gezwungen war, sie zu stop-
pen. Warum war sie dazu gezwungen? – Weil die Betrei-
ber von Atomtransporten zehn Jahre lang nicht gemeldet
haben, dass bei diesen Transporten die international gül-
tigen Grenzwerte nicht nur nicht eingehalten, sondern um
das Hundertfache und in einigen Fällen sogar um das Tau-
sendfache überschritten worden sind. Das ist der Grund,
warum Frau Merkel völlig zu Recht diese Transporte ge-
stoppt hat.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das ist doch in Ordnung!)


Wenn Sie versuchen, diese richtige Entscheidung – sie
ist eine der wenigen richtigen atompolitischen Entschei-
dungen von Frau Merkel – in Zusammenhang mit angeb-
lich hysterischem Gerede aus der Richtung der Grünen
und der SPD zu bringen, dann verkennen Sie schlicht und
ergreifend einen einfachen Umstand: Eine Atomaufsicht
kann nicht tolerieren, dass bei Transporten Grenzwert-
überschreitungen in dieser Höhe vorkommen. Wir haben
es hier nicht mit dem Betrieb einer Pommesbude zu tun.
Das ist der Grund, warum die Transporte gestoppt worden
sind und warum wir mit neuen Auflagen sicherstellen,
dass es nicht wieder zu diesen Grenzwertüberschreitun-
gen kommt. Das ist der Unterschied zwischen der heuti-
gen Praxis und der Praxis vor zehn Jahren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Guck mal, wie der Trittin grinst!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415209200
Der Herr Bun-
desminister Trittin hat nach Ablauf der vorgesehenen
Dauer der Aussprache gesprochen. Da, wie nach unseren
Regeln vorgesehen, eine fünfminütige Antwort innerhalb
der Dauer der Aussprache nicht mehr möglich ist, eröffne
ich auf Verlangen der CDU/CSU eine weitere Ausspra-
cherunde. Jede Fraktion kann sich daran mit einem fünf-
minütigen Redebeitrag beteiligen.

Zunächst erteile ich dem Abgeordneten Uldall das
Wort.


Gunnar Uldall (CDU):
Rede ID: ID1415209300
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so
aufregen, Herr Kollege Trittin.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhn [CDU/CSU]: Jetzt grinst er! Hat er Pommes frites gegessen?)





Horst Kubatschka

14875


(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn das Verfahren in Ordnung und jedermann be-
kannt gewesen ist: Warum echauffieren Sie sich dann am
Rednerpult? Es kommt außerordentlich selten vor, dass
eine Aussprache im Rahmen einer Aktuellen Stunde vom
Minister noch einmal eröffnet wird, weil er ein bestimm-
tes Thema in der vorgesehenen Debattenzeit nicht ange-
sprochen hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Sehr gut! – Zuruf von der CDU/CSU: Weil er sich gedrückt hat!)


Wenn Sie dieses Thema ganz bewusst nicht angespro-
chen haben, obwohl es heute in einer Vielzahl von Agen-
turmeldungen abgehandelt wurde, obwohl Rundfunkmel-
dungen dazu gelaufen sind und die „Berliner Zeitung“
einen großen Bericht geschrieben hat, dann zeigt das
doch, Herr Minister Trittin, dass Sie in dieser Frage ein
außerordentlich schlechtes Gewissen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Ich glaube, der hat überhaupt kein Gewissen!)


Wir haben mit Ihnen hier ja schon viele Debatten geführt.
Aber dass Sie einmal schlichtweg etwas vergessen hätten,
war nie der Fall. Sie haben dieses Thema ganz bewusst
ausgeklammert.

Wenn Sie nun sagen, es sei für Sie völlig unverständ-
lich, warum dieses Thema in der Öffentlichkeit zu einer
solchen Erregung führe, dann will ich nur an das erinnern,
was der Kollege Michael Müller von der SPD hierzu ge-
sagt hat.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Wo ist der eigentlich heute?)


– Der Kollege Michael Müller fehlt natürlich, weil ihm
diese ganze Geschichte außerordentlich peinlich ist. Das
kann ich auch verstehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Aber ich vermisse ihn nicht!)


Der Kollege Müller hat – obwohl Sie gemeint haben,
das hätte eigentlich jeder wissen müssen – gesagt: Ich
habe von diesen Transporten nichts gewusst, das ist eine
Unverschämtheit. – Recht hat Herr Müller, kann ich nur
sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn Sie sagen, dass das Ganze eigentlich völlig in

Ordnung gewesen sei, dann kann ich nur wiederholen,
was ich schon vorhin ausgeführt habe:


(Monika Ganseforth [SPD]: Das wird durch Wiederholung nicht besser!)


Es ist beschämend, dass sich die grüne Fraktion von ihrem
Minister so abbürsten lässt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!)

Der Einzige, der hier wenigstens etwas Flagge gezeigt
hat, war der Vertreter von der Sozialdemokratischen Par-
tei. Es wäre gut, wenn Frau Müller gleich noch einmal
nach vorne gehen würde und genauso mannhaft und klar

wie ihr Namenskollege aus der SPD dieses von Trittin
verschwiegene, verheimlichte Transportieren von Atom-
müll durch Deutschland verurteilen würde.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Ahnung, aber große Worte! – Ulrich Kelber [SPD]: Sie sollten eine Aktuelle Stunde beantragen zu dem Thema „Das Verhältnis Trittins zu den Grünen“!)


Es handelt sich hier nicht um eine vernachlässigbare
Größenordnung, – überhaupt nicht, Herr Trittin. Das lässt
sich nicht einfach vom Tisch wischen. Wir haben ja von
Herrn Trittin schon gehört, dass es in den Jahren 1998 und
2000 Fuhren gab. Die ersten Transporte wurden also
durchgeführt, sofort nachdem Herr Trittin Umweltminis-
ter geworden war und wenige Monate nachdem Frau
Merkel einen allgemeinen Transportstopp ausgesprochen
hatte. Jeder politisch denkende Umweltpolitiker wusste
doch, dass damit im Grunde genommen jegliche Art von
Transporten gestoppt werden sollte. Aber Sie, Herr
Trittin, als grüner Umweltminister haben dann sofort
dafür gesorgt, dass diese Transporte wieder durchgeführt
wurden.

Bei der zweiten Runde im letzten Jahr handelte es sich
um Transporte von insgesamt 3 927 Kilogramm Uran und
154 Kilogramm Plutonium. Ich kann nur sagen: Dies ist
der Rohstoff, aus dem man auch Bomben bauen kann.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Wir haben das nicht verstanden! Bitte wiederholen!)


Wie ist eigentlich gesichert worden, dass hieraus keine
Bomben gebaut werden und dass nichts irgendwie abhan-
den kommt?

Dies ist ein großer Skandal. Durch den zweiten Auftritt
von Herrn Minister Trittin hat dieser Skandal erst seine ei-
gentliche Dimension erfahren. Deswegen ist es richtig,
dass wir zu dieser Sache noch einmal das Wort bekommen
haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415209400
Das Wort hat
jetzt der Herr Kollege Kubatschka.


Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1415209500
Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Auch wenn Sie noch so lautstark sind, Herr
Uldall: So schnell wird kein Skandal daraus.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Es ist schon einer!)


– Das wollen wir erst einmal prüfen.

(Lachen bei der CDU/CSU)


Ich meine, wir sollten uns im Umweltausschuss einen
Bericht dazu anhören und darüber sprechen. Sie reagieren
auf Pressemeldungen und sagen, sie seien wahr.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Herr Trittin hat es Ihnen doch bestätigt!)





Gunnar Uldall
14876


(C)



(D)



(A)



(B)


– Ich habe ja nicht die Existenz der Transporte geleugnet.
Ich denke auch, wir müssen über diese Meinung von
Herrn Trittin sprechen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Geheimniskrämerei!)


Aber nach meiner Auffassung ist der Umweltausschuss
der Ort, wo das erörtert werden sollte.


(Monika Ganseforth [SPD]: Genau!)

Ich möchte das nicht aus der Hüfte heraus im Schnell-
schuss beurteilen, denn ich möchte zu vernünftigen Aus-
sagen kommen.

Ich wurde gerade von n-tv zu einem Interview über die
Castortransporte gebeten. Als mir der Journalist die Fra-
gen stellte, fiel mir auf, dass er von etwas ganz anderem
spricht. Ich hatte angenommen, es gehe um die Castor-
transporte, die Thema dieser Aktuellen Stunde sind. Er
aber wollte über die so genannten Geheimtransporte spre-
chen.

Es gab diese Geheimtransporte nicht. Minister Trittin
hat klargelegt, dass es natürlich Transporte gegeben hat.
Wegen dieser Transporte sollten Sie dem Minister kein
schlechtes Gewissen einreden.


(Lachen bei der CDU/CSU – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Der hat doch keines!)


Sie versuchen einen Skandal herbeizureden, der so nicht
stattgefunden hat.


(Abg. Peter H. Carstensen [Nordstrand][CDU/ CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Frau Präsidentin, ich weiß nicht, ob Zwischenfragen
zulässig sind.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415209600
Nein. Wir befin-
den uns immer noch in der Aktuellen Stunde.


Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1415209700
Dies geht also leider nicht.
So müssen die Kollegen von der CDU/CSU weiter randa-
lieren und können sich nicht artikulieren und mir damit
nicht die Möglichkeit geben zu antworten.

Diese Geheimtransporte – sie würden in Ihr politisches
Kalkül passen – haben so nicht stattgefunden. Aufgrund
meiner Informationen gehe ich davon aus, dass diese
Transporte selbstverständlich unter höchster Bewachung
durchgeführt wurden, wenn dabei Plutonium im Spiel
war. Dann besteht schon die Gefahr, dass etwas passiert.

Meine Damen und Herren, im Grunde genommen ba-
den wir aus, was Sie uns bis 1995 eingebrockt haben.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Hör doch auf! Die alte Leier!)


Bis 1995 wurde überlegt, in Hanau eine Atomfabrik zu
bauen. Sie ist dann Gott sei Dank nicht gebaut worden.
Das dafür notwendige Atommaterial existiert und muss
abtransportiert werden.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das hat die hessische Landesregierung damals schön kaputtgemacht!)


Ich halte es für vernünftig, es nach La Hague zu transpor-
tieren, weil das meiner Meinung nach eine vernünftigere
Lösung ist, als das Material weiter in Hanau zwischenzu-
lagern. In La Hague wird es, wenn dazu die Genehmigung
erteilt wird, zu MOX-Brennelementen aufgearbeitet wer-
den.

Diese Angelegenheit hat also nichts mit den Castor-
transporten zu tun, über die hier zunächst diskutiert wor-
den ist. Das ist ein ganz anderes Thema. Wenn dieses
Atommaterial in Castorbehältern transportiert und das
Verbot, das Ihre Ministerin ausgesprochen hat, umgangen
worden wäre, dann wäre dies für mich ein Skandal. Aber
dies hat so nicht stattgefunden.

Dadurch, dass Sie es behaupten, wird es nicht wahrer.
Das ist das Entscheidende bei dieser Sache. Wir werden
im Umweltausschuss prüfen, ob der Transport nach La
Hague eine vernünftige Lösung ist. Ich glaube, das, was
Sie hier vorbringen, ist ein Schnellschuss und bringt uns
nicht weiter.

Ich danke Ihnen für Ihr Zuhören.

(Beifall bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415209800
Das Wort hat
jetzt noch einmal der Abgeordnete Walter Hirche.


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1415209900
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! In Wirklichkeit geht es hier darum, dass
ein Fall von Doppelmoral offenkundig geworden ist.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Herr Minister Trittin, ich halte Ihre Sachdarstellung – der
Ausschuss wird sie prüfen – für durchaus nachvollzieh-
bar. Aber Herr Uldall hat es auf den Punkt gebracht: Wenn
eine andere Regierung in dieser Art und Weise solche
Transporte durchgeführt hätte, hätten Grün und Rot die
halbe Republik mobilisiert


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

und beispielsweise gesagt: Verstoß gegen Recht und Ge-
setz, die Atommafia ist am Werke, da soll etwas verscho-
ben werden – um mit Trittins Worten zu sprechen.

Der Hauptpunkt in dieser Geschichte ist, dass der Ver-
such gemacht wird, mit zweierlei Maßstäben zu arbeiten,


(Ulrich Kelber [SPD]: Das ist im September 1998 beschlossen worden!)


und zwar je nachdem, ob Rot-Grün es tut oder ob es die
alte Regierung getan hat.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sie waren es doch!)

Das ist die Verbindung zum ersten Thema dieser Aktuel-
len Stunde.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Trittin war Demonstrant!)


Ich habe hier gesagt – dabei bleibe ich; Herr Kollege
Loske, Sie haben das dankenswerterweise aufgegriffen –,
dass die Transporte, die unter der CDU/CSU-F.D.P.-Re-
gierung durchgeführt wurden, ungefährlich und sicher
waren und dass auch die neuen Transporte sicher sind.




Horst Kubatschka

14877


(C)



(D)



(A)



(B)


Daraufhin haben Sie gesagt, ob die Transporte sicher
sind, sei letztlich überhaupt nicht der Punkt. Früher haben
Sie aber die Leute mobilisiert


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

und gesagt: Die Polizeibeamten, die sich in der Nähe die-
ser Castorbehälter bewegen, werden alle impotent; man
fällt um, wenn man sich zu lange in deren Nähe aufhält.
Es wundert mich immer, dass die Leute dann direkt vor
Ort demonstrieren. Das waren Ihre Vokabeln. Sie haben
gesagt, das sei das Schlimme; deswegen dürften solche
Transporte nicht stattfinden. Ich habe dagegen gesagt: Die
alten Transporte waren genauso sicher, wie die neuen es
sind. Es sind zusätzliche Auflagen in einzelnen Punkten,
an denen man Schwächen erkannt hat, gemacht worden.
Das ist das klassische deutsche Verwaltungshandeln.

Jetzt kommen wir an einen interessanten Punkt. Sie sa-
gen: Gegen die neuen Transporte haben wir nichts, weil
der Zweck ein anderer ist.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil etwas anderes transportiert wird! Sie haben einfach keine Ahnung!)


Denn Sie bringen dies in Verbindung mit Ihrem Plan, aus
der Kernenergie auszusteigen. Damit führen Sie etwas
Neues in das deutsche Rechtsverständnis ein. Es geht
nicht mehr darum, einen Sachverhalt zu beurteilen und zu
prüfen: ob ein Transport sicher ist oder nicht. Weil ein
Zweck für richtig gehalten wird, ist vielmehr plötzlich der
gleiche Sachverhalt heute in Ordnung, während er früher
nicht in Ordnung war.


(Ulrich Kelber [SPD]: Den solltet ihr in die CDU abschieben! – Monika Ganseforth [SPD]: Sie sind blind gegen Argumente!)


Meine Damen und Herren, das ist die eigentliche
Frage, mit der wir uns auseinander setzen müssen, und das
zeigt auch die Linie zu dem auf, was sich Anfang der
70er-Jahre an den Hochschulen abgespielt hat, Herr
Kubatschka. Ich hatte dies bereits angesprochen. Einige
glaubten, nachdem sie definiert hätten, was für sie selber
das Richtige ist, sagen zu können


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Selbstjustiz!)

– Selbstgerechtigkeit, sage ich zunächst einmal –, ob eine
Sache richtig oder falsch ist.


(Monika Ganseforth [SPD]: Sie haben das immer noch nicht verkraftet!)


Wir haben aber unseren Rechtsstaat errichtet, damit un-
abhängig von den Zwecken und den Meinungen der Leute
objektiv Recht gesprochen wird. Dagegen verstoßen Sie
an dieser Stelle fundamental.


(Monika Ganseforth [SPD]: Das ist doch gar nicht wahr! Unterstellungen sind das!)


Das wäre ein Staat, wie ich ihn in Deutschland nicht ha-
ben will.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Ich will einen Staat haben, bei dem der Buchstabe des Ge-
setzes gilt, unabhängig von dem Zweck, für den etwas ge-
macht wird. Insoweit unterscheiden sich unsere Beweg-
gründe fundamental.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht aufregen! – Ulrich Kelber [SPD]: Ein peinlicher Auftritt!)


Herr Kubatschka, ich habe in diesem Zusammenhang
im Übrigen nicht pauschal von den 70ern gesprochen.


(Monika Ganseforth [SPD]: Unterstellungen sind das!)


Wenn Sie das so aufgefasst haben, tut mir das Leid. Dann
nehme ich das zurück. Ich habe gesagt: Es gibt einen Un-
terschied zwischen den 68ern und dem, was sich bei den
70ern an Gewalttätigkeit abgespielt hat. Das wird ja auch
in der Presse breit diskutiert. Da sage ich: Ein Bindeglied
– darüber werden wir noch diskutieren müssen – ist der
berühmte Chefberater Herrn Fischers, Herr Schmierer,


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Nomen est omen! – Horst Kubatschka [SPD]: Sinnlose Diskussion!)


der damals, 1970, den Psychoterror an der Universität
Heidelberg organisiert hat und unter dem ich und viele
andere gelitten haben. Ich nehme nicht hin, dass das Recht
noch einmal für Zwecke instrumentalisiert wird, dass
unterschieden wird, ob etwas gut oder böse ist. Recht gilt
für alle, unabhängig vom Zweck.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Zurufe von der CDU/CSU: Bravo! – Ulrich Kelber [SPD]: Illiberal ohne Ende! Gebt die politische Mitte nur auf! Wir übernehmen sie gerne! – Monika Ganseforth [SPD]: Jetzt zeigt er sein wahres Gesicht, der Liberale!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415210000
Das Wort hat
noch einmal der Abgeordnete Reinhard Loske.


(Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.: Wir wollen Frau Müller hören!)



Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415210100

Herr Hirche, wir wollen einmal ein wenig mehr Ruhe in
die Debatte hineinbringen. Den Pappkameraden, den Sie
hier aufbauen, gibt es in dieser Form überhaupt nicht.

Jetzt zu Ihren Argumenten, und zwar zunächst nur zu
den Tatsachen, soweit ich sie aus dem Stand beurteilen
kann. Es ist vollkommen richtig, dass wir nicht alle De-
tails ständig parat haben –, auch als Abgeordnete nicht.

Erstens, zu den Transporten: Ich habe mich noch ein-
mal vergewissert. Es geht um zwei Chargen à vier Trans-
porte. Die Transporte aus dem Jahre 1998 sind am
18. September 1998 von der Umweltministerin Merkel
genehmigt worden.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hört! Hört!)





Walter Hirche
14878


(C)



(D)



(A)



(B)


Zu diesem Zeitpunkt war Walter Hirche von der F.D.P.
Parlamentarischer Staatssekretär. Er tut jetzt so, als wenn
er von Tuten und Blasen keine Ahnung hätte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Unglaublich!)


Herr Hirche, Sie wissen, dass ich Sie als Kollegen schätze.
Aber das nenne ich absolut scheinheilig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Monika Ganseforth [SPD]: Oder ahnungslos! – Walter Hirche [F.D.P.]: Wissen Sie denn auch, was ich über die Transporte gesagt habe?)


Zweiter Punkt. Hier werden systematisch und vorsätz-
lich die Castortransporte auf der einen Seite und auf der
anderen Seite die notwendigen Transporte, die aufgrund
der Abwicklung, Schließung, Stilllegung und Dekontami-
nation der Anlagen von Alkem und Nukem in Hanau not-
wendig geworden sind, vermischt. Das sind zwei äußerst
unterschiedliche Dinge.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Trotzdem sind beide rechtmäßig!)


Ich möchte Sie wirklich bitten, diese Dinge auseinander
zu halten.

Hier ist viel über Juristerei geredet worden. Frau
Merkel hat sich geärgert, weil sie jahrelang von der Atom-
industrie nach Strich und Faden belogen worden ist. Des-
halb hat sie politischen Druck ausgeübt. Dieser Druck hat
dazu geführt, dass die Atomkraftwerksbetreiber von den
erteilten Genehmigungen keinen Gebrauch gemacht ha-
ben. Das war der Stand der Dinge. Sie dürfen hier nicht al-
les miteinander vermischen.

Bei dem dritten Punkt, den ich noch ansprechen
möchte, geht es um die Frage, wie sich das in der Praxis
verhält. Darüber können wir im Detail noch einmal im
Umweltausschuss reden, wobei mir der Fall allerdings re-
lativ klar zu sein scheint. Hier hat eine Information der
Öffentlichkeit durch die hessische Landesregierung statt-
gefunden. Diese Information war umfassend. Klar war
nämlich, dass viele öffentliche Belange berührt sind,
wenn eine solche Anlage wie in Hanau abgebaut wird.
Das muss man umfassend besprechen. Das ist geschehen.
Insofern besteht kein Grund, von Geheimaktionen zu
sprechen. Das ist absoluter Blödsinn.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sprechen kann man sicherlich noch einmal über die

Frage, ob dann, wenn das Bundesamt für Strahlenschutz
als Genehmigungsbehörde ein bestimmtes Zeitfenster für
die Transporte angibt, auch der Tag genau genannt wird.
Ob das bei 350 Transporten im Jahr sinnvoll und für die
Öffentlichkeit wirklich erforderlich ist, kann man in Ruhe
besprechen.

Ich möchte Sie aber bitten, nicht Äpfel mit Birnen zu
vergleichen und nicht eine Debatte aufzuziehen, Herr
Hirche, die sozusagen den Charakter eines Popanzes hat.
Jürgen Trittin vertritt – das gilt für ihn in ganz besonderer
Weise, völlig unabhängig davon, welche politischen Vor-

behalte Sie ihm gegenüber haben, – in dieser Frage eine
150-prozentig klare rechtsstaatliche Position, die ihm im
Übrigen auch viel Ärger einbringt. Das nötigt mir durch-
aus Respekt ab. Von daher sollten Sie keine Zwischentöne
in die Diskussion bringen, die so nicht gerechtfertigt sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415210200
Das Wort hat die
Abgeordnete Eva Bulling-Schröter.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1415210300
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe das Gefühl,
dass diese Debatte scheinheilig geführt wird, und zwar auf
allen Seiten.


(Beifall bei der PDS)

Ich beginne einmal mit Frau Lengsfeld und Herrn Gehb.
Aus den Reden hat der Hass gegenüber Demonstrantin-
nen und Demonstranten nur so getrieft. Frau Lengsfeld ist
leider schon weg. Offensichtlich hatte sie keine Zeit mehr.

Scheinheiligkeit der CSU: In Bayern sind Sie gegen
Zwischenlager, in einem Land, in dem die Atomkraft ab-
solut befürwortet wird. Vielleicht werden Herr Stoiber
und ich gemeinsam gegen Zwischenlager demonstrieren
müssen. Sie wollen aber die Atomkraftwerke weiterbe-
treiben. Sie wollen keinen Atomkonsens. Sie wollen über-
haupt nichts.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ja!)

Gute und schlechte AKWs: Die CSU spricht sich in Bay-
ern bei Bürgerinitiativen gegen Temelin aus.


(Zurufe von der CDU/CSU: Nein!)

In Passau ist das alles bekannt. Gleichzeitig werden von
der Bayerischen Staatsregierung Kredite für den Bau von
Temelin vergeben. Die CSU lehnt es im Bayerischen
Landtag natürlich ab, einen Untersuchungsausschuss ein-
zusetzen.

Ein Stadtrat in Passau fordert die Bürger auf, von ihrem
Versorgungsvertrag mit Eon zurückzutreten, damit kein
Strom von diesem schmutzigen Atomkraftwerk bezogen
wird.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aber ein SPD-Oberbürgermeister!)


Dieser Mann soll entlassen werden. Das ist Scheinheilig-
keit hoch drei. Irgendwann muss man sich entscheiden.
Sie tun das aber nicht.

SPD und Atomkonsens: Die Laufzeit der AKWs soll
noch 32 Jahre betragen. Schacht Konrad soll genehmigt
werden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ist schon!)

Zwischenlager sollen genehmigt werden. In der Geneh-
migung von Gundremmingen steht eine Laufzeit bis
2046. Das ist ein bisschen länger als ein paar Jahre. Die
Wiederaufbereitung soll bis 2005 genehmigt werden.




Dr. Reinhard Loske

14879


(C)



(D)



(A)



(B)


Über die atomare Verstrahlung der Meere spricht nie-
mand, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen.
Meine Kollegin Ursula Schönberger stand hier mit mir.
Wir haben über diese Themen diskutiert. Damals klang
das noch ganz anders; AKWs und Transporte galten als
schädlich. Jetzt sind sie plötzlich nicht mehr schädlich.
Das müsst ihr uns einmal erklären.


(Beifall bei der PDS)

Warum sich die CSU und die F.D.P. aufregen, verstehe

ich nicht. Sie wollen doch die Atomkraft noch viel länger
nutzen.

Die Bundesregierung garantiert im Zusammenhang
mit dem so genannten Atomkonsens den ungestörten Be-
trieb. Wie die Anti-AKW-Bewegung kann auch ich nur
sagen: Konsens ist Nonsens. Denn nach wie vor wird kein
einziges AKW abgeschaltet. Wir werden sehen, wann
überhaupt eins abgeschaltet wird.


(Ulrich Kelber [SPD]: Dann laden wir dich ein!)


Im Grunde gibt es eine Atomverstromungsgarantie, das
heißt, die Atomkonzerne werden weiter Profite machen.
Sie haben jetzt auch noch die Garantie durch die rot-grüne
Regierung. Danke.


(Beifall bei der PDS)

Die Leute in Gorleben haben das Recht zu demonstrie-

ren. Es geht darum, dass sie den Atomausstieg wollen,
und zwar nicht in 10 oder 20 Jahren, sondern jetzt. Da-
hinter steht die PDS. Wir werden den Protest unterstützen.


(Beifall bei der PDS)

Was Sie von der rechten Seite hier betreiben, ist Hetze.

Diese Hetze haben wir schon ein paarmal erlebt. Demje-
nigen, der sagt, das ist die Ecke der Buback-Mörder, kann
ich nur sagen, dass ich in München bei einer Demo gegen
die NPD war und uns die NPD entgegengerufen hat: „Ihr
Buback-Mörder“. Wenn Sie sich auf diese Ebene begeben
wollen, täte mir das wirklich Leid.


(Beifall bei der PDS)

Bezüglich der geheimen Transporte bin ich der Mei-

nung: Aufklärung muss natürlich sein. Im September
1998 war Herr Hirche noch Staatssekretär; da gab es die
neue Regierung noch nicht. Wir wollen Aufklärung. Für
mich ist eines ganz klar: Wenn es heißt, alle Transporte
werden nicht genehmigt, dann meine ich auch alle, dann
sollte auch die Bundesregierung, egal welche, alle Trans-
porte meinen. Hier ist Aufklärung nötig. Natürlich ist klar
– Sie haben Recht, Herr Hirche –: Was hätte die grüne Par-
tei gesagt, wenn Sie das damals gemacht hätten?


(Ulrich Kelber [SPD]: Sie haben es ja gemacht! September `98!)


– Sie haben es gemacht, das ist das Schlimme. Wo ist der
Unterschied?


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Ich meine, hier muss es einen Unterschied geben.

Ich wünsche mir, dass trotz der geänderten Haltung der
Grünen möglichst viele Menschen in Gorleben demons-
trieren; denn die AKW-Bewegung hat sich inzwischen
emanzipiert, sie braucht keine Parteien mehr. Es wird eine
gute außerparlamentarische Opposition.


(Horst Kubatschka [SPD]: Auch nicht die PDS!)


– Vielleicht braucht sie uns nicht, aber wir unterstützen
sie, ohne sie parteilich vereinnahmen zu können oder zu
wollen. Das ist eine wichtige Sache.

Ich denke, die Proteste werden sehr stark werden. Ich
wünsche den Leuten dort viel Erfolg.


(Beifall bei der PDS – Horst Kubatschka [SPD]: Und Sie werden zusammen mit Herrn Stoiber gegen Zwischenlager demonstrieren!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415210400
Die Aktuelle
Stunde ist damit beendet.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung futtermittelrechtlicher, tierkörperbe-
seitigungsrechtlicher und tierseuchenrechtlicher
Vorschriften im Zusammenhang mit der BSE-
Bekämpfung (BSE-Maßnahmengesetz)

– Drucksache 14/5219 –

(Erste Beratung 149. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten

(10. Ausschuss)

– Drucksache 14/5332 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Helmut Lamp

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Matthias Weisheit.


Matthias Weisheit (SPD):
Rede ID: ID1415210500
Frau Präsidentin! Geschätzte
Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Gesetz zur Änderung
futtermittelrechtlicher, tierkörperbeseitigungsrechtlicher
und tierseuchenrechtlicher Vorschriften im Zusammenhang
mit der BSE-Bekämpfung stellen die Koalitionsfraktionen
von SPD und Grünen und die Bundesregierung erneut unter
Beweis, wie ernst sie diese Aufgabe nehmen und dass sie
durch schnelles und konsequentes Handeln das Vertrauen
der Verbraucherinnen und Verbraucher in unsere heimi-
schen Nahrungsmittel wiedergewinnen wollen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Oppositions-
fraktionen und den Bundesländern dafür, dass sie auf die




Eva Bulling-Schröter
14880


(C)



(D)



(A)



(B)


üblichen Fristen bei der parlamentarischen Beratung ver-
zichten und so eine Verabschiedung dieses Gesetzes in-
nerhalb einer guten Woche ermöglichen.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Eine anständige Opposition!)


So werden unnötige Verzögerungen bei der BSE-
Bekämpfung vermieden.

Dieses Gesetz enthält eine Reihe von Verordnungser-
mächtigungen, die notwendig sind, um die Vorschriften
der einschlägigen Gesetze im Zusammenhang mit der
BSE-Bekämpfung neuen Entwicklungen und wissen-
schaftlichen Erkenntnissen jeweils aktuell anpassen zu
können. Die im Ausschuss vorgetragenen grundsätzlichen
Bedenken des Kollegen Heinrich gegen diese Verord-
nungsermächtigungen – er wird sie hier sicherlich wie-
derholen – sind nicht tragfähig. Ich will das am Beispiel
der derzeit verfügten Bestandskeulung von Rinderher-
den, in denen ein BSE-Fall aufgetreten ist, verdeutlichen.
Nach gegenwärtigem Stand der wissenschaftlichen Er-
kenntnisse bleibt unter dem Primat des vorsorgenden Ver-
braucherschutzes keine andere Möglichkeit, als die ge-
samte Herde zu schlachten. Diese Anordnung fällt mit
Sicherheit keinem von uns leicht; dessen können Sie si-
cher sein.

Gibt es aber Fortschritte, neue wissenschaftliche Be-
wertungen, können sie durch Verordnung, so wie wir es
vorgesehen haben, sofort umgesetzt werden, ohne dass es
eines – wie wir alle wissen – langwierigen Gesetz-
gebungsverfahrens bedarf. Der Umgang mit Beständen,
in denen BSE aufgetreten ist, kann in Zukunft flexibel den
jeweiligen Erkenntnissen entsprechend gehandhabt wer-
den. Auch die Sorge, wir Parlamentarier würden in dem
Fall außen vor bleiben, ist angesichts der bisher geübten
Praxis der Bundesregierung nicht begründet, und daran
wird sich speziell im Zusammenhang mit der BSE-
Bekämpfung nichts ändern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Besonders froh bin ich darüber, dass unser aller
Wunsch, eine Sonderregelung im Milchquotenregime für
von BSE betroffene Betriebe zu treffen, mit diesem Ge-
setz erfüllt wird. Die betroffenen Betriebe können ihre
Milchquote maximal zwei Jahre, bis ihre Herde wieder
aufgebaut ist, ganz oder teilweise verleasen. So wird der
wirtschaftliche Schaden durch das Auftreten von BSE in
einem Betrieb in Grenzen gehalten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein Ansatz, der die Entschädigung unbilliger Härten
durch Maßnahmen zur BSE-Bekämpfung geregelt hätte,
musste zu unserem Bedauern aus dem Entwurf gestrichen
werden, um die rasche Zustimmung des Bundesrates zum
Rest des Gesetzes zu ermöglichen.

An die Adresse aller Länder – hierbei spielt die Farbe
überhaupt keine Rolle – richte ich den dringenden Appell,
sich sehr schnell mit der Bundesregierung über eine Auf-
teilung der Kosten im Zusammenhang mit der BSE-Be-
kämpfung zu einigen. Es kann nicht angehen, dass die

Bundesländer, die unter anderem für die Kontrolle von
Futtermitteln verantwortlich sind und die einen großen
Teil der Verantwortung dafür tragen, dass es in der Ver-
gangenheit in diesem Sektor nicht immer nach Recht und
Gesetz zugegangen ist, die finanziellen Lasten jetzt auf
den Bund allein abschieben wollen. Auf diese Art und
Weise wird das föderale System leichtfertig in Misskredit
gebracht. Die Leidtragenden sind die betroffenen Unter-
nehmen und die Bauern. Deshalb noch einmal mein Ap-
pell: Einigen Sie sich – auf der Bundesratsbank sitzt
natürlich niemand – möglichst schnell mit der Bundes-
regierung auf eine Regelung für die Entschädigung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Eine letzte Anmerkung zu den Vorschlägen Kommis-
sar Fischlers zur weiteren Begrenzung der Überschüsse.
Eine 90-Tier-Obergrenze für Rinderprämien lehnen wir
ebenso ab wie weitere Tötungsaktionen über die beschlos-
sene Zahl von Tieren hinaus.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das steht nicht im Gesetz! – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Steht das auch im Gesetz?)


– Das steht nicht im Gesetz, aber ich mache hier noch
diese Anmerkung, damit das klar ist. – Wir erwarten in
Zukunft von der Europäischen Union keine weiteren Tö-
tungsaktionen und auch nicht diese 90-Tier-Obergrenze.
Wir unterstützen hier die Ministerin in ihrer Haltung mas-
siv und hoffen, dass sie das in Brüssel so durchsetzen
kann.
Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415210600
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Helmut Lamp.


Helmut Lamp (CDU):
Rede ID: ID1415210700
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und liebe Kolle-
gen! Die CDU/CSU-Fraktion hat erhebliche Bedenken
gegen die Verabschiedung dieses Gesetzes. Wir werden
aber aus übergeordneten Gründen und insbesondere weil
wir heute Morgen nach Rücksprache mit verschiedenen
Ländern signalisiert bekommen haben, dass in nächster
Zeit einige Ergänzungen umgesetzt werden, die uns sehr
am Herzen liegen und auf die ich noch zu sprechen kom-
men werde, mehrheitlich zustimmen.

Das Gesetz ist eine erste Korrektur des Verfütterungs-
verbotsgesetzes vom 1. Dezember. Weitere Nachbesserun-
gen werden ganz sicher bald folgen. Im Dezember akzep-
tierten wir die Eilbedürftigkeit der Gesetzesverabschiedung.
Auch wenn wir diesmal dem Gesetz zustimmen werden, so
fehlt uns jetzt für das überstürzte Verfahren doch das Ver-
ständnis. Die rot-grüne Regierung hatte zwei Monate Zeit
zur Vorbereitung des Nachbesserungsgesetzes.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)

Auch ein Ministerwechsel kann nicht als Grund der Ver-
zögerung vorgeschoben werden. Der Mitarbeiterstab im




Matthias Weisheit

14881


(C)



(D)



(A)



(B)


Ministerium ist in die Problematik eingebunden. Die Pro-
bleme sind seit Wochen und Monaten bis ins letzte Detail
bekannt. Es wäre durchaus möglich gewesen, die parla-
mentarischen Gremien in ausreichender Weise in die Be-
ratungen mit einzubeziehen.

Nun werden immer noch etliche Fragen offen bleiben.
Auch die betroffenen Verbände bemängeln nachdrück-
lich, dass ihnen nicht der erforderliche Zeitrahmen für
umfassende Stellungnahmen eingeräumt wurde. Wir
werden ein oberflächliches Durchpeitschen so wichtiger
Gesetzesvorhaben künftig nicht mehr einfach hinneh-
men.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Abgesehen von gewissen Vorbehalten kann die

CDU/CSU den Gesetzestext in den wichtigen Teilen mit-
tragen. So stehen wir im Sinne eines vorbeugenden Ver-
braucherschutzes zu den futterrechtlichen Bestimmun-
gen des Gesetzentwurfes. Wir begrüßen, dass in der
gestrigen Ausschusssitzung unser Antrag Berücksichti-
gung fand, den Herr Weisheit schon angesprochen hat.
Damit wird einem wichtigen CDU-Anliegen Rechnung
getragen, nämlich dass auch die Milchbetriebe in die
Übergangsregelung für Milcherzeuger einbezogen wer-
den, die nur indirekt von einem BSE-Fall betroffen wur-
den, also zum Beispiel jene Betriebe – wie das hier schon
gesagt wurde –, von denen Rinder verkauft worden wa-
ren, die auf anderen Höfen an BSE erkrankten.

Ein entscheidender Punkt, den ich vorhin schon an-
deutete, ist, dass uns heute Vormittag in Aussicht gestellt
wurde, dass der Tiermehltourismus über die Ländergren-
zen hinweg eingedämmt werden soll, und zwar vonseiten
der Länder; die werden darauf drängen.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Das werden wir auch nachprüfen!)


Damit zeichnet sich die baldige Lösung eines für uns sehr
zentralen Problems ab. Das erleichtert es uns, unser Un-
behagen zurückzustellen und dem Gesetz nun doch zu-
zustimmen.

Mit dem Tiermehltransport über Ländergrenzen hin-
weg sind vielfältige Probleme verbunden. So sind
während des Transportes feinkörniger Tiermehle aus
Großbritannien, die für die Verbrennung in Deutschland
vorgesehen sind, Verwehungen nicht auszuschließen. Die
CDU/CSU fordert die Bundesregierung nachdrücklich
auf, gemeinsam mit den Ländern sicherzustellen, dass
möglichst bald zumindest Tiermehlimporte nach
Deutschland unterbunden werden. Wir sind der Überzeu-
gung, dass das Tiermehlproblem von jedem Land inner-
halb seiner eigenen Grenzen gelöst werden muss. Damit
würde auch die Gefahr vermindert, dass Tiermehle doch
widerrechtlich als Tierfutter eingesetzt werden.

Man kann sich natürlich fragen, warum wir uns über
Verwehungen Sorgen machen, ist Tiermehl doch immer
noch in Gartenfachgeschäften in unbegrenzten Mengen
frei verkäuflich. Seit Wochen mahne ich das Verbrau-
cherministerium, dieses Problem aufzugreifen, ohne dass
erkennbare Konsequenzen zu registrieren sind. Noch
heute Morgen wurde mir auf Anfrage bestätigt, dass in

der Gartenabteilung eines Berliner Baumarktes reines
Knochenmehl, aufgepeppt mit Blutmehl, für jedermann
in ausreichenden Mengen zu haben sei. Ich denke, hier
könnte die Verbraucherministerin auch einmal Aktivitä-
ten zeigen und dieses doch so kleine Problem in Kürze
lösen.

Ich erwarte in diesem Zusammenhang von der Regie-
rung – auch dies hätte Niederschlag im Gesetz finden
können –, dafür zu sorgen, dass auf EU-Ebene umgehend
die Düngung mit Tiermehlen in Gärten und im ökologi-
schen Landbau verbindlich untersagt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Auch wenn wir dem Gesetz zustimmen werden, so

sind noch eine Reihe von Fragen offen. Ich möchte hier
einige markante Punkte nennen: Herr Weisheit, viel zu
weit gehen unserer Ansicht nach die im Gesetz vorgese-
henen Verordnungsermächtigungen. Damit können
Verordnungen – für einen gewissen Zeitraum geltend –
an Parlament und Länderkammer vorbei erlassen wer-
den.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Genau das ist das Problem!)


Was sollen wir davon halten, wenn uns gestern der Re-
gierungsvertreter eher lapidar mitteilt, dem zuständigen
Fachausschuss würden anstehende Verordnungstexte zur
Kenntnis gegeben? Das ist keine Beratung in den politi-
schen Gremien.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das ist Demokratie per Kopfnicken!)


Existenzielle Rechte des Parlaments werden hiermit aus-
gehöhlt, eine parlamentarische Kontrolle ist somit nicht
möglich. Wie die Praxis aussehen wird, werden wir sehen
und sehr genau beobachten.

Es wird unserer Meinung nach langsam skandalös,
dass es immer noch keine verbindlichen Vorgaben zur Fi-
nanzierung der Folgekosten der BSE-Krise gibt. Wir
erlassen Gesetze – auch heute wieder –, deren Finanzie-
rung im Nebel liegt.

Während der Anhörung am 5. Januar dieses Jahres im
Berliner Roten Rathaus kündigte der damalige Landwirt-
schaftsminister Funke an, die Frage der Finanzierung im
Zusammenhang mit den Folgekosten werde in den nächs-
ten zwei Wochen geklärt.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Bis heute leider Fehlanzeige!)


Einige Tage später wurde Frau Künast die verantwortli-
che Ministerin. Auch sie hat bis heute kein Konzept zur
Finanzierung der Folgekosten vorgelegt. Nichts ist da!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Zuruf von der CDU/ CSU: Bis heute ist nichts da!)


Im Gegenteil: Sie ließ es zu, dass im vorliegenden
BSE-Maßnahmengesetz der § 5 zum „Ausgleich unbilli-
ger Härten“ komplett gestrichen wurde. Der Kernsatz des
§ 5 lautete:




Helmut Lamp
14882


(C)



(D)



(A)



(B)


Wird durch eine Anordnung aufgrund dieses Geset-
zes ... dem Betroffenen ein erheblicher Vermögens-
nachteil zugefügt, so kann ein Ausgleich in Geld ge-
währt werden.

Selbst diese pflaumenweiche Formulierung war zu viel.
Die Betroffenen aber haben einen Anspruch darauf, um-
gehend und verlässlich darüber informiert zu werden, wie
es mit der Finanzierung der Folgen der BSE-Krise wei-
tergehen soll. An der Finanzierung soll sich jeder beteili-
gen, heißt es. Offensichtlich haben aber manche noch
nicht begriffen, dass die Bauern, die Futtermittelindustrie
und das Fleischereigewerbe mit dem Rücken an der Wand
stehen und kaum mehr finanzielle Spielräume haben.

1995 verkaufte ich Mastbullen aus meinem Stall für
8,40 DM das Kilogramm. Bullen gleicher Qualität wer-
den heute in Schleswig-Holstein mit 3,35 DM notiert. Das
ist eine Mindereinnahme von weit über 1 000 DM je Tier.
In der Zwischenzeit explodierten förmlich die Kosten.
Die Beiträge für den Tierseuchenfonds werden sich in
nächster Zukunft wahrscheinlich verzehnfachen. Es dro-
hen der Gesamtwirtschaft Folgen, die in ihrem Gesamt-
umfang immer noch weit unterschätzt werden.

Ich möchte zum Schluss kommen. Ich hätte noch gerne
das eine oder andere zum Außenschutz gesagt.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Das wäre sehr wichtig gewesen!)


Wir werden – wenn auch mit erheblichem Unbehagen –
dem vorliegenden Gesetzentwurf mehrheitlich zustim-
men. Unsere uns nicht leicht fallende Zustimmung sollte
die Ministerin als Angebot zur kritisch-konstruktiven Be-
gleitung im Interesse eines wirksamen Verbraucher-
schutzes und des Erhaltes einer vielfältigen mittelständi-
schen Landwirtschaft verstehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415210800
Für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin
Ulrike Höfken.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415210900
Sehr
geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Der Agrarbericht zeigt – das ist erfreulich –, dass es
aufwärts geht. Für die Betriebe gibt es bei den Einnahmen
ein Plus von etwa 13 Prozent. Eine Ausnahme stellt hier
Rheinland-Pfalz dar, wo der F.D.P.-Landwirtschaftsmi-
nister Bauckhage auch aktuell nicht allzu viel Innovati-
onskraft beweist.


(Zuruf von der SPD: Da hört man es! – Marita Sehn [F.D.P.]: Na, na! Unglaublich!)


Dieses Plus von 13 Prozent – das wissen wir natürlich –
hat sich aber hauptsächlich im Bereich der Veredlung bei
den Schweinepreisen ergeben. Dabei muss man im Zu-
sammenhang mit der Diskussion um den aktuellen Skan-
dal darauf hinweisen, dass es erheblichen Handlungsbe-
darf gibt; denn wenn der Skandal um die Haltung von
Schweinen anhält, wird es auch in diesem Bereich einen

Preiseinbruch geben. Ich nenne die Haltungsform und die
illegale Abgabe von Antibiotika. All diese Probleme müs-
sen jetzt gelöst werden, auch vom Berufsstand selber.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Die grüne Ministerin ist gegen Bestandsobergrenzen!)


Im Agrarbericht wird auch deutlich, dass es eine Struk-
turveränderung gibt, die in der zunehmenden Aufgabe
von Betrieben zum Ausdruck kommt. Das zeigt die man-
gelhafte Bereitschaft zur Betriebsnachfolge. Dies ist ein
klares Zeichen für die bisherige Perspektivlosigkeit und
Unattraktivität des landwirtschaftlichen Berufs.

Es gibt aber auch eine positive Entwicklung, nämlich
die gleichzeitige Zunahme von Arbeitnehmerzahlen, also
eine Entwicklung hin zur Arbeitnehmerlandwirtschaft.
Wir von Rot-Grün wollen Möglichkeiten zur Erhöhung
der Zahl der Arbeitsplätze in der Landwirtschaft mas-
siv unterstützen. Umwelt- und tiergerechte Produktion,
Ökolandbau und Qualitätsproduktion – all das sind posi-
tive Faktoren für den Arbeitsmarkt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das sind Felder, in denen Menschen wieder gerne arbei-
ten sowie Ansehen und Einkommen erzielen sollten.
Diese Aspekte möchten wir durch eine verbesserte För-
derpolitik unterstützen.

Im Agrarbericht wird auch deutlich, dass die Einkom-
mensgrundlage im Futterbau und in Milchviehbetrieben
bedroht ist.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Wir behandeln heute nicht den Agrarbericht, sondern ein anderes Thema!)


In diesem Punkt handelt die Bundesregierung. Unsere Mi-
nisterin, Frau Künast, hat in Brüssel auf der letzten Ta-
gung des Agrarrates eine ganze Reihe von Maßnahmen
vorgeschlagen, von denen im Notfallpaket des Agrar-
kommissars Fischler eine größere Zahl Berücksichtigung
gefunden hat.

Die Vorschläge von Agrarkommissar Fischler wei-
sen sowohl eine gute als auch eine problematische Seite
auf. Gut ist, dass die Vorschläge der Koalitionsfraktionen,
zum Beispiel auf den Stilllegungsflächen Kleegras anzu-
bauen – ein Antrag, der mit den Stimmen des ganzen Hau-
ses verabschiedet worden ist –, Aufnahme in den Katalog
von Agrarkommissar Fischler gefunden haben. Auch die
Flächenbindung der Tierhaltung – er hat jetzt eine Grenze
von 1,8 Großvieheinheiten eingezogen, auch das ist eine
positive Sache –


(Albert Dreß [CDU/CSU]: Wir liegen in Bayern doch darunter!)


sowie die Änderungen bei der Gewährung von Prämien
mit dem Ziel, weniger Fleisch auf den Markt zu bringen,
sind sinnvolle Ziele. Wir müssen diese Vorschläge nach-
haltig unterstützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)





Helmut Lamp

14883


(C)



(D)



(A)



(B)


Nicht gut ist, dass diese Maßnahmen durch den Vor-
schlag, 1,2 Millionen Tiere in ein so genanntes Sonder-
aufkaufprogramm einzubeziehen, konterkariert werden.
Ich glaube, in diesem Punkt muss man viel mehr auf die
Maßnahmen Wert legen, die sowohl die Koalitionsfrak-
tionen als auch die Ministerin vorgeschlagen haben, näm-
lich Veränderungen bei der Prämiengewährung mit dem
Ziel einer Verringerung der Fleischmengen einzuführen.
Eine solche Form von Sonderaufkaufprogrammen, wie
sie vorgeschlagen werden, werden wir uns kaum vorstel-
len können. Ganz gewiss darf keine weitere Vernichtung
von Tieren geschehen. Nicht akzeptabel für Deutschland
ist auch eine Begrenzung auf 90 Tiere. Wichtig für uns ist,
wie ein Tier gehalten wird,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


und nicht, wie viel Weidefläche zur Verfügung steht. In
diesem Zusammenhang bleibt festzustellen, dass wir in
den neuen Bundesländern die geringsten Tierzahlen ha-
ben.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Also doch wieder Massentierhaltung!)


Eine solche Begrenzung darf keine Rolle spielen. Wichtig
ist, wie ein Tier gehalten wird, und danach muss sich die
Prämiengewährung richten.

Jedenfalls setzt das Programm endlich eine notwen-
dige Neuorientierung um, auch wenn es nur ein Notfall-
programm ist. Es setzt aber die Zeichen in die richtige
Richtung. Wichtig ist dabei, dass die Punkte, die ich an-
gesprochen habe und die wir nicht mittragen können,
nicht mehr in dem Programm enthalten sind. Wir können
nicht – auch nicht mit den neuen Bundesländern – über
Modulation reden und gleichzeitig über eine solche Form
der Begrenzung diskutieren.

Für uns steht heute das BSE-Maßnahmengesetz in der
dritten Lesung und damit zur Verabschiedung an. Ich be-
danke mich bei der CDU/CSU, dass sie dem Gesetzent-
wurf nunmehr zustimmt. Für uns ist die Verabschiedung
des Gesetzes zur Umsetzung der beschlossenen Maßnah-
men notwendig und es ist in diesem Sinne auch eilig. Wir
haben hier ganz eindeutig die Notwendigkeit zur Beseiti-
gung der rechtlichen Defizite. Das Gesetz schafft die tier-
seuchenrechtlichen Bekämpfungsmöglichkeiten. Auch
das ist notwendig, und zwar für alle Bundesländer.

Wir haben hier auch eine Lösung des Milchproblems
für die betroffenen Betriebe. Herr Lamp, Sie haben darauf
hingewiesen, dass wir in diesem Punkt im Ausschuss eine
Änderung vorgenommen haben. Wir hatten aber von An-
fang an die Intention, die Betriebe mit einzubeziehen, die
dadurch betroffen sind, dass ein erkranktes Tier in ihrer
Herde gestanden hat, was zur Folge hat, dass die gesamte
Herde gekeult werden muss.

Das Gesetz schafft die Voraussetzungen, die angespro-
chenen Maßnahmen durchzuführen. Aber niemand von
uns sagt, dass das alles ist. Diese Maßnahmen sind ein
Baustein zur Problemlösung. Wir haben noch einiges an-
dere zu tun. Alle Bereiche des Verbraucherschutzes sind
in der Regierungserklärung und in dem Antrag der Koali-

tionsfraktionen bereits angesprochen worden. Darunter,
Herr Lamp, ist auch das Problem des Tiermehltouris-
mus. Wir müssen eine rechtliche Möglichkeit finden
– wir werden uns anstrengen, das bald zu tun –, Exporte
von Tiermehl zu verhindern, die als Wertstoff und nicht
als Tiermehle deklariert sind und bei denen sich plötzlich
herausstellt, dass dieses reimportierte Tiermehl eine In-
karnation zum Futterstoff erfahren hat. Das kann nicht
sein.

Wichtig sind auch die Vorschläge des Bundesamtes für
gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedi-
zin, zum Beispiel zu den Schlachtverfahren. Auch diese
Vorschläge sind Bestandteil unseres Konzepts. Dasselbe
gilt für die Frage der Kosten. Aber um es ganz deutlich zu
sagen: Das BSE-Maßnahmengesetz ist natürlich kein Ge-
setz zur Kostenregelung. Diese findet an anderer Stelle
statt, nämlich bei den Verhandlungen zwischen Bund und
Ländern. Auch ich bin der Meinung, dass die Kosten nicht
länger hin- und hergeschoben werden dürfen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Der Bund drückt sich aus der Verantwortung!)


Es ist auch das zu unterstützen, was Ministerin Künast
im Ausschuss gesagt hat: Wir werden auf jeden Fall die
Länder unterstützen, die jetzt bei der Beseitigung von Fut-
termitteln, von Altrückständen auf den Bauernhöfen han-
deln. Natürlich muss eine bessere Lösung gefunden wer-
den, als Steuerzahlergelder zwischen Bund und Ländern
hin- und herzuschieben. Wir sollten versuchen, markt-
wirtschaftliche Lösungen zu finden, und dafür sorgen,
dass zum Beispiel tierische Bestandteile auf ungefährli-
che Art und Weise im Rahmen der energetischen Verwer-
tung genutzt werden. All das sind Maßnahmen zur Kos-
tensenkung, die der Bund, die Länder und die Kommunen
und natürlich auch die Steuerzahler benötigen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415211000
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Heinrich-
Wilhelm Ronsöhr, CDU/CSU.


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU):
Rede ID: ID1415211100
Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Ich war zuerst etwas
erstaunt. Ich dachte, dass es um ein BSE-Bekämpfungs-
gesetz gehe. Ulrike Höfken muss wohl – jedenfalls mit
Blick auf ihre anfänglichen Ausführungen – ein falsches
Redemanuskript erwischt haben;


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein!)


denn sie hat sich vorwiegend mit dem Agrarbericht 2000
auseinander gesetzt.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich!)


Ich möchte darauf hinweisen – unser Vorredner konnte
natürlich nicht mehr darauf eingehen –, dass man dann,
wenn man behauptet, dass die Einkommen der Land-




Ulrike Höfken
14884


(C)



(D)



(A)



(B)


wirte gestiegen seien, zuerst einmal beziffern muss, um
wie viel die Einkommen der Landwirte im Vorjahr gesun-
ken sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Einkommen, die zuerst gesunken sind und jetzt wie-
der steigen, erreichen damit lediglich den Status quo.

Nach meiner Meinung sollten wir alle gemeinsam den
Agrarbericht 2000 zu Makulatur erklären, damit wir uns
endlich der Lösung der wahren Probleme in der Land-
wirtschaft zuwenden können. Wie sieht es denn zurzeit
bei den Rindfleisch produzierenden und den Milchvieh
haltenden Betrieben aus? Die deutsche Landwirtschaft
wird wahrscheinlich eine Superabgabe zahlen müssen,
weil sie die Milchquoten überschritten hat und weil diese
Bundesregierung bezüglich bestimmter Herauskaufaktio-
nen nicht in Gang gekommen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist zwar richtig, dass sich eine neu ernannte Ministerin
erst einmal einarbeiten muss. Aber es gibt sicherlich auch
andere Mitglieder der rot-grünen Bundesregierung, die
Verantwortung tragen und die die entsprechenden Ent-
scheidungen viel schneller hätten treffen können. Das
Gleiche gilt für viele andere Bereiche. Obwohl sich die
Landwirtschaft in einer existenziellen Krise befindet,
wird hier von Einkommenserhöhungen von 13 Prozent
gesprochen. Ich glaube, dass das der Situation in den länd-
lichen Räumen in der Bundesrepublik Deutschland auf
keinen Fall gerecht wird. Ich hätte es lieber gesehen, wenn
man sich bei den Ausführungen auf die im Gesetz vor-
gesehenen BSE-Bekämpfungsmaßnahmen beschränkt
hätte; denn schließlich soll heute das BSE-Maßnahmen-
gesetz verabschiedet werden.

Frau Höfken, wir werden Sie in der Tat daran messen,
ob Sie es schaffen, den Tiermehltourismus in der Europä-
ischen Union zu unterbinden. Die rot-grüne Bundesregie-
rung hat sich mit dem vorliegenden BSE-Maßnahmenge-
setz eine Verordnungsmöglichkeit geschaffen. Ich hoffe
– deswegen stimmen wir dem Gesetz zu –, dass die rot-
grüne Bundesregierung diese Verordnungsmöglichkeit im
Sinne des Verbraucherschutzes nutzen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415211200
Zur Erwiderung Frau
Kollegin Höfken, bitte.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415211300
Herr
Kollege Ronsöhr, wenn Sie sich durch den Titel des Ta-
gesordnungspunktes beschränkt fühlen, dann kann ich das
nicht ändern. Ich rede jedenfalls zu aktuellen politischen
Themen, die – ich glaube, das wird niemand bestreiten
wollen – im Zusammenhang mit diesem Tagesordnungs-
punkt stehen. Ich bin auf sämtliche Vorwürfe, die Sie jetzt
gemacht haben, schon in meiner Rede eingegangen und
habe bei meiner Argumentation die Ergebnisse des Agrar-
berichts in einen Zusammenhang mit der Notwendigkeit
des Handelns und mit unserem Entwurf eines BSE-Maß-
nahmengesetzes gesetzt. Das ist sicherlich notwendig und
es tut mir Leid, wenn Ihr Redner das eben nicht getan hat.

Zum Zweiten gehe ich auf die Herauskaufaktion ein.
Gerade aus Ihrer Fraktion und gerade von der F.D.P.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Herr Ronsöhr hat für die CDU/CSU gesprochen!)


kam der riesengroße Popanz, dies dürfe man alles nicht
machen. Widerspruch kam aber auch vonseiten des Tier-
schutzes und der Kirchen; das ist eine ernst zu nehmende
Sache.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Die alternativen Verwendungsmöglichkeiten müssen wir auch nutzen! Dabei bleibe ich!)


Insofern kann man vernünftigerweise nur Argumente auf-
nehmen und dafür sorgen, dass es hier wenn schon keinen
Konsens, dann doch wenigstens ein gewisses Verständnis
für Maßnahmen gibt. Ohne jegliche Akzeptanz sind sie
nämlich nicht durchführbar. Insoweit hat es nicht im Min-
desten eine Verzögerung gegeben, sondern, ganz im Ge-
genteil, eine Verständigung mit der Gesellschaft und eine
Erklärung von Maßnahmen. Dies empfand ich in diesem
Zusammenhang weiß Gott als notwendig.

Was die Tiermehlexporte betrifft, so bedanke ich mich
für die Unterstützung. Im Übrigen leide ich nicht an
Selbstüberschätzung und sage, dass sich erst noch erwei-
sen wird, wer die europäischen Fragen regeln kann. Wir
haben hier unseren Part zu erledigen, und das tun wir.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415211400
Nächster Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Ulrich Heinrich für die
F.D.P.-Fraktion


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1415211500
Frau Präsidentin! Meine lie-
ben Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute
über ein BSE-Bekämpfungsgesetz, das von den Koaliti-
onsfraktionen – bemerkenswerterweise nicht von der Re-
gierung – eingebracht worden ist. Erstaunlicherweise be-
antragt die Koalition für die Regierung weit gehende
Ermächtigungen. Nur derjenige, der trotz der Erfahrungen
der Vergangenheit der Meinung ist, der Staat und die Po-
litik hätten im Zusammenhang mit BSE alles richtig ge-
macht, kann glauben, es seien zusätzliche Ermächtigun-
gen notwendig. Wir sind hier absolut anderer Meinung.


(Beifall bei der F.D.P.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Er-

mächtigungen gehen weit über das hinaus, was in einer
Demokratie üblich ist und was demokratisch erträglich
ist. Wir wollen die Debatte im Plenum des Bundestages
und im Ausschuss führen. Wir wollen aber keine einsa-
men Beschlüsse der Bundesregierung, die uns dann nur
noch zur Kenntnis gegeben werden.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wir wollen vor allen Dingen, dass in jedem Gesetz –

das schreibt eigentlich schon der Anstand vor – Aussagen




Heinrich-Wilhelm Ronsöhr

14885


(C)



(D)



(A)



(B)


über die Finanzierung enthalten sind. Wenigstens müsste
da stehen, wer finanziert.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Auch wenn Sie die Zahlen noch nicht kennen, müssten
Sie doch wissen, wer finanziert. Aber das wissen Sie auch
nicht. Deshalb ist es äußerst unsolide, was Sie mit diesem
Gesetzentwurf vorhaben.


(Beifall bei der F.D.P.)

Das widerspricht jeder ordentlichen Haushaltsführung.
Wie jemand dem zustimmen kann, wenn er nicht in Not
ist, ist für mich völlig unverständlich.


(Beifall bei der F.D.P.)

Die Ermächtigung zur Keulung der gesamten Bestände

möchte ich ausdrücklich nicht, weil ich eine andere Rege-
lung haben will, nämlich das Schweizer Modell, das die
Anonymität der betroffenen Betriebe und eine Kohorten-
keulung, nicht aber die Keulung der gesamten Bestände
beinhaltet.


(Heino Wiese [Hannover] [SPD]: Dann werfen Sie uns wieder Verschleierung vor!)


Ein weiterer Punkt ist der 0,00-Prozent-Grenzwert bei
Futtermitteln: Wir haben uns darüber im Ausschuss un-
terhalten und waren uns einig, dass ein solcher Grenzwert
nicht einzuhalten ist. Wenn Sie in einen Gesetzentwurf et-
was hineinschreiben, von dem jeder Fachmann weiß, dass
es nicht einzuhalten ist, dann ist das von vornherein
schlampig, überstürzt und der Sache nicht dienlich.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Solche Grenzwerte lassen sich schon bei einem Getrei-
debestand nicht einhalten, in dem sich ein Getreideschäd-
ling, zum Beispiel ein Käfer, vermehrt. Verfüttern Sie die-
ses Getreide als Futtermittel an Ihre Tiere, verstoßen Sie
gegen dieses Gesetz. Es ist doch absurd, so etwas in ein
Gesetz hineinzuschreiben.


(Beifall bei der F.D.P.)

Genauso absurd ist es mit Blick auf Kleintiere, deren Auf-
nahme und Tötung im Rahmen der Silageherstellung un-
vermeidbar ist. Wenn man das Futter untersucht, dann
stellt man möglicherweise fest, dass es tierisches Eiweiß
enthält. Der im Gesetzentwurf enthaltene Wert von
0,0 Prozent ist absoluter Unsinn. Sie wissen offensichtlich
nicht, was Sie tun.


(Karsten Schönfeld [SPD]: Sie wissen nicht, was Sie reden!)


Die F.D.P. wird diesem Gesetzentwurf nicht zustim-
men.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415211600
Herr Kollege
Heinrich, ein seltener Fall: Ihre Redezeit ist noch nicht ab-
gelaufen. Außerdem hat die Kollegin Höfken den Wunsch
nach einer Zwischenfrage. Lassen Sie die zu?


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1415211700
Gerne.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415211800
Herr
Kollege Heinrich, erkennen Sie an, dass in all Ihren Aus-
führungen der Aspekt des Verbraucherschutzes deutlich
missachtet wurde? Sie haben nichts anderes getan, als auf
Probleme hinzuweisen und einige Defizite aufzuzeigen.
Wirkliche Problemlösungen haben Sie aber nicht einbe-
zogen.

Wissen Sie, dass in der Schweiz Bekämpfungsmaß-
nahmen zehn Jahre lang sehr verantwortungsvoll durch-
geführt worden sind? Das hatte Auswirkungen auf den
Grad der epidemiologischen Durchseuchung. Nach dem,
was Sie hier gesagt haben, glaube ich, dass Sie die Gefahr,
dass die Milchproduktion schwer in Misskredit gerät,
nicht ausreichend berücksichtigt haben.

Wissen Sie, dass wir uns hinsichtlich der Grenzwerte
dafür einsetzen, dass es zu einer angemessenen Berück-
sichtigung unbeabsichtigt eingetragener Bestandteile,
zum Beispiel von auf dem Feld herumlaufenden Tierchen,
kommt, wodurch die Praktikabilität verbessert wird?


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1415211900
Liebe Frau Kollegin
Höfken, ich hätte einem schlüssigen, sauber ausgearbei-
teten und dem Verbraucherschutz tatsächlich dienenden
Gesetzentwurf sehr gerne zugestimmt.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dass ein solcher Gesetzentwurf vorliegt, ist nicht der Fall.
Mit diesen Inhalten bringen Sie den Verbraucherschutz in
den von mir angesprochenen Bereichen nicht voran; viel-
mehr schaffen Sie neue Problemfelder. Das garantiere ich
Ihnen schon heute.

Zur Keulung – Stichwort „Schweizer Modell“ – sei Ih-
nen gesagt, dass dem Verbraucherschutz sowohl bei der
Bestandstötung als auch bei der Kohortentötung gleicher-
maßen Rechnung getragen wird. Das sagen die Schweizer
Wissenschaftler. Sie haben sehr sorgfältig gearbeitet; von
ihren Ergebnissen können wir einiges aufnehmen. Wir
sollten nicht so tun, als müssten wir in dieser Frage das
Rad neu erfinden. Wir können vielmehr auf den Erfah-
rungen der Schweizer aufbauen und daraus unsere
Schlüsse ziehen. Wenn das geschieht, dann können wir
schon heute entsprechende Maßnahmen ergreifen. Die
Erfahrungen der Schweizer lehren, dass man mittels der
Kohortentötung den gleichen Grad an Verbraucherschutz
wie mittels der Tötung des gesamten Bestands gewähr-
leisten kann.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir alle rücken den Verbraucherschutz an die vor-
derste Stelle. Daher verstehe ich nicht, dass Sie in den Ge-
setzentwurf Ziele aufnehmen, bei denen von vornherein
klar ist, dass sie nicht erreichbar sind. Die Analyseme-
thoden zur Ermittlung von Futtermittelbestandteilen sind
schon heute so fein, dass man einfach davon ausgehen
muss, dass auch die kleinsten Bestandteile feststellbar
sind. Im Nachhinein lässt sich nicht bestimmen, ob ein be-




Ulrich Heinrich
14886


(C)



(D)



(A)



(B)


stimmtes Eiweiß durch eine schlampige Herstellung in
das Futtermittel gekommen ist oder von einer Maus oder
von einem Insekt stammt.

Die gleichen Probleme gab es bereits bei der Herstel-
lung von Wurstwaren. Man hatte auf die Verpackung ge-
schrieben, dass das Nahrungsmittel rindfleischfrei sei.
Bei der Analyse stellte man zwar fest, dass Rindfleisch
enthalten ist; tatsächlich aber war es so, dass die Verwen-
dung von Naturdarm von Rindern ausreichte, um das Ana-
lyseergebnis entsprechend zu beeinflussen.

Sie kommen mit dem Gesetz nicht weit. Ich garantiere
Ihnen: In der Praxis werden Sie damit scheitern.


(Beifall bei der F.D.P. – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Insofern tun wir lieber gar nichts?)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415212000
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Kersten Naumann.


Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1415212100
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Um endlich Klarheit und Rechtssi-
cherheit zu schaffen, hält auch meine Fraktion die Verab-
schiedung eines BSE-Maßnahmengesetzes im Eilverfah-
ren für notwendig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dass der Gesetzentwurf bereits fünf Tage nach seiner Ge-
burt zurechtgestutzt werden musste, nur um morgen im
Bundesrat nicht zu scheitern, erinnert aber schon sehr an
Flickschusterei.


(Beifall bei der PDS)

Ich habe kein Verständnis dafür, dass so wichtige Pro-
blemfelder wie Sperrung von Schlachthöfen, Tötung von
Rinderbeständen, Entschädigung von Landwirtschafts-
betrieben und Schlachthöfen, die im Gesetzesantrag des
Freistaates Thüringen enthalten sind, im Entwurf der Bun-
desregierung ausgeklammert wurden. Immerhin sind das
die Fragen, die gerade die Betroffenen besonders bewe-
gen. Da ist es wenig tröstlich, lieber Kollege Weisheit,
wenn Sie, wie gestern im Ausschuss, ankündigen, dass
weitere Gesetze kommen werden. Nach Ihrer Aussage,
Kollegin Höfken, dass der vorliegende Gesetzentwurf nur
ein Baustein sei, bin ich gespannt, wann das Haus endlich
fertig ist.

Wo ist nun das BSE-Folgekostenkonzept der Bundes-
regierung? Das war für den 31. Januar 2001 angekündigt
und soll nun morgen mit den Ministerpräsidenten, aber
ohne Bundeskanzler Schröder, der plötzlich abgesagt hat,
verhandelt werden. Es steht jedem offen, dies zu bewer-
ten. An ein Ergebnis werde ich allerdings erst dann glau-
ben, wenn es schwarz auf weiß vorliegt. Wenn Sie hier
schnell Klarheit herstellten, würde das mehr Akzeptanz
für Ihre Politik der Krisenbewältigung schaffen und vor
allem Existenznöte und -ängste verringern. Um nicht miss-
verstanden zu werden: Mein Plädoyer ist kein Plädoyer
für eine unkritische Übernahme der Thüringer Positionen,
sondern für eine klare Regelung.

Notwendig ist die vorgesehene Änderung des Verfüt-
terungsverbotsgesetzes vom 1. Dezember 2000, um die

EU-Entscheidungen in nationales Recht umzusetzen und
Regelungen zum Schutz vor BSE schnell auf dem Ver-
ordnungsweg treffen zu können.


(Beifall bei der PDS)

Das Gleiche gilt für die Änderungen im Tierkörperbe-
seitigungsgesetz, namentlich für die Aufnahme des Ver-
brennens von Tierkörpern und Tierkörperteilen als Ent-
sorgungsform. Erforderlich ist auch, dass mit dem
Tierseuchengesetz eine Rechtsgrundlage für eine Tötung
von Rindern bei Ausbruch von BSE im Interesse des Ge-
sundheitsschutzes der Verbraucher geschaffen wird. Ich
halte es für richtig, dass im Gesetz nicht geregelt wird, ob
der Bestand oder die Kohorte zu töten ist. Sicher wird
früher oder später – abhängig vom Erkenntnisstand – der
Übergang zur Kohortentötung möglich werden.

Da es für die Gesundheit und das Leben von Menschen
Gefahren durch BSE gibt, akzeptiert meine Fraktion auch,
dass die Bundesregierung mit diesem Gesetz ermächtigt
wird, bei Gefahr im Verzug Eilverordnungen mit befris-
teter Geltungsdauer ohne Zustimmung des Bundesrates
zu erlassen. Ich gehe – im Unterschied zum Kollegen
Heinrich – nicht davon aus, dass dadurch die parla-
mentarische Demokratie ausgehöhlt wird. Solche Gefah-
ren sehe ich auf ganz anderen Gebieten.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Wehret den Anfängen!)


– Wehret den Anfängen? Gut, dann werden Sie darauf
achten.

Vernünftig ist auch die Übertragung der Milchquote
eines Agrarbetriebes, dessen Milchkuhbestand wegen ei-
nes BSE-Falles getötet wird, bis zum Wiederaufbau eines
neuen Bestandes an einen anderen Milcherzeuger. Sicher
bedarf es in punkto Milch einer Lösung zur Abwehr der
Superabgabe für die drohende Überschreitung der natio-
nalen Milchreferenzmenge. Aber das ist keine Frage die-
ses Gesetzes.

Die Aufnahme von Straftatbeständen in das Gesetz
deckt sich mit den Forderungen der PDS und wird von uns
ausdrücklich unterstützt. Die PDS sieht den dringenden
Handlungsbedarf, wird sich aber aufgrund der von mir
kritisierten Punkte der Stimme enthalten.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415212200
Letzter Redner in die-
ser Debatte ist der Parlamentarische Staatssekretär
Dr. Gerald Thalheim.

Dr
Dr. Gerald Thalheim (SPD):
Rede ID: ID1415212300
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir haben mit dem heutigen Tag 29 bestätigte
BSE-Fälle und neun Verdachtsfälle.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Wie viele Tests?)

– Ungefähr 140 000.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Es müssen mehr sein!)





Ulrich Heinrich

14887


(C)



(D)



(A)



(B)


– Jetzt reden wir über den Gesetzentwurf; Antworten kann
ich Ihnen später geben.

Wir haben also Grund genug, sehr intensiv die weitere
Bekämpfung von BSE anzugehen. Das BSE-Maßnah-
mengesetz ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg. Es ist
notwendig im Interesse der Risikominderung, des vor-
beugenden Verbraucherschutzes und natürlich als Hilfe
für die Landwirte.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415212400
Herr Staatssekretär,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hermann
Otto Solms?

Dr
Dr. Gerald Thalheim (SPD):
Rede ID: ID1415212500
Ja, bitte.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415212600
Herr Kollege,
wären Sie bitte bereit zur Kenntnis zu nehmen, dass es bis
zum 2. Februar bei ungefähr 185 000 Rindern Tests gege-
ben hat und bis zu diesem Zeitpunkt 28 Fälle festgestellt
worden sind?

Dr
Dr. Gerald Thalheim (SPD):
Rede ID: ID1415212700
Meine Zahlen, Herr Kollege Solms, be-
zogen sich auf die uns gemeldeten Fälle; nach dem Stand
von heute früh gibt es 29 bestätigte Fälle und neun Ver-
dachtsfälle, unabhängig davon, wie viele Tests es gegeben
hat. Diese Zahlen entsprachen der letzten Meldung der
Länder. Ich habe das nicht wegen der heutigen Debatte ab-
gefragt, weil das hier nicht Gegenstand ist.

Was den BSE-Erkrankungsumfang anbelangt – da gibt
es überhaupt keinen Zweifel –, so gelten die Zahlen, die
ich genannt habe. Es kommen aber leider fast täglich viel
zu viele hinzu. Das ist das eigentliche Problem.

Herr Lamp hat die Eilbedürftigkeit des Gesetzes kri-
tisiert. Herr Kollege Lamp, das ist nicht eine Frage der
Versäumnisse der Bundesregierung, sondern der Dyna-
mik, die der Krankheit innewohnt. Das heißt, der Sach-
verhalt ändert sich fast täglich. Das gilt zum Beispiel für
die Regelungen bei der Milchquote. Wäre es bei einem,
zwei oder drei Fällen geblieben, was wir alle gehofft ha-
ben, hätten wir in dem Punkt nichts regeln müssen. Aber
wir mussten hier letztendlich zur Tat schreiten.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415212800
Herr Staatssekretär, es
gibt einen weiteren Wunsch nach einer Zwischenfrage.

Dr
Dr. Gerald Thalheim (SPD):
Rede ID: ID1415212900
Ja, gerne.


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1415213000
Herr
Staatssekretär Thalheim, wie bewerten Sie unter dem Ge-
sichtspunkt des Verbraucherschutzes Plakate, die in Gast-
stätten hängen und auf denen geschrieben steht: „Argen-

tinien bietet, was die Kunden jetzt fordern: Rindfleisch
garantiert frei von BSE“, mit amtlicher Genusstauglich-
keitsbescheinigung als BSE-frei zertifiziert, offensicht-
lich herausgegeben vom Staatssekretariat für Landwirt-
schaft, Fischerei und Ernährung in Argentinien? Wie
werden Sie gegen eine solche Verbrauchertäuschung vor-
gehen?

Da dies offensichtlich bei uns möglich ist, frage ich
Sie: Warum bekommt zum Beispiel die Edeka Nord, die
freiwillig alle Rinder testet und dieses im Sinne des Ver-
braucherschutzes tut, nämlich um den Verbrauchern et-
was mehr Sicherheit zu geben, nicht die Genehmigung,
ihre Waren entsprechend auszuzeichnen?

Dr
Dr. Gerald Thalheim (SPD):
Rede ID: ID1415213100
Herr Kollege Carstensen, als Erstes ist
festzuhalten, dass wir das als sehr problematisch erachten;
denn Frau Bundesministerin Künast ist nicht nur die Ver-
braucherschutzministerin für die Produkte, die in Deutsch-
land hergestellt werden, sondern für die Produkte insge-
samt. Da ist es schon problematisch, wenn mit BSE-
Freiheit geworben wird, ohne dass ein Nachweis erbracht
werden kann. Ganz eindeutig wird in Argentinien wie in
vielen Drittländern nicht getestet.

Es ist das Bemühen der Bundesministerin auf europä-
ischer Ebene, bei Drittlandimporten die gleichen Stan-
dards einzuführen oder, wenn es aus WTO-Gründen nicht
möglich ist, entsprechend auszuzeichnen, um zumindest
zu erreichen, dass der Verbraucher dann ganz genau weiß,
dass das Produkt – im Gegensatz zu den Produkten, die
bei uns hergestellt werden – aus einem Drittland mit ei-
nem anderen Schutzniveau kommt.

Was die Frage Edeka Nord und BSE-Tests angeht, so
wissen wir natürlich alle, dass die Aussagekraft der Tests
umso stärker zurückgeht, je jünger die Tiere sind. Mit den
Tests ist es nicht möglich, BSE-Prionen im Anfangssta-
dium nachzuweisen. Insofern ist natürlich die Aussage
„getestet“ mit einem gewissen – die Betonung liegt auf
„gewissen“ – Fragezeichen zu versehen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415213200
Herr Kollege
Thalheim, es gibt eine weitere Frage des Kollegen
Carstensen.

Dr
Dr. Gerald Thalheim (SPD):
Rede ID: ID1415213300
Ja, bitte.


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1415213400
Nur
noch eine kurze Frage, Herr Staatssekretär: Habe ich Sie
richtig verstanden, dass die Bundesregierung jetzt endlich
die Initiative ergreifen und dafür sorgen wird, dass in der
EU beschlossen wird, nur noch getestetes Rindfleisch auf
den deutschen bzw. den europäischen Markt zu lassen?

Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und




Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim
14888


(C)



(D)



(A)



(B)


Landwirtschaft: Die Bundesregierung – das ist auch die
Aussage von Frau Bundesministerin Künast – hat sich be-
reits beim letzten Agrarrat auf der europäischen Ebene
dafür eingesetzt – dies wird sie auch in Zukunft tun –, dass
für Drittlandimporte der gleiche Standard gilt wie für
Ware, die in Deutschland hergestellt wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415213500
Es gibt eine weitere
Frage des Kollegen Ulrich Heinrich.


(Zuruf von der SPD: Wir sind doch jetzt nicht in der Fragestunde!)


Dr
Dr. Gerald Thalheim (SPD):
Rede ID: ID1415213600
Wenn der Erkenntnisgewinn der Opposi-
tion dient, dann kann es ja nicht schaden.


(Beifall bei der SPD)



Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1415213700
Vielen Dank, Herr Staatsse-
kretär Thalheim. Ich habe mich sehr gefreut zu hören,
dass Sie sich auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass
auch von Drittländern entsprechende Tests verlangt wer-
den sollen. Aber das sind längere Prozesse, die man nicht
von heute auf morgen hinbekommt. Deshalb aktuell die
Frage: Was unternimmt die Bundesregierung, damit es für
die Betriebe, die mit dem vorhin erwähnten Plakat wer-
ben, entsprechende Konsequenzen gibt? Mich würde die
Antwort auf diese Frage sehr interessieren.

Dr
Dr. Gerald Thalheim (SPD):
Rede ID: ID1415213800
Herr Kollege Heinrich, die Bundesminis-
terin hat gestern in der Ausschusssitzung zugesagt, in die-
sem Punkt aktiv zu werden. Ich gehe davon aus, dass sie
sich seit heute Morgen damit beschäftigt, und hoffe, dass
ich Ihnen zur nächsten Ausschusssitzung eine Antwort ge-
ben kann.

Herr Kollege Heinrich, ich bleibe bei Ihren Argumenten.

(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Soll ich aufstehen?)


Wie notwendig der Erkenntnisgewinn gerade bei Ihnen
wäre, haben Sie durch Ihren Redebeitrag deutlich ge-
macht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zu Ihrer Argumentation wäre mir eine Reihe landwirt-
schaftlicher Fachbegriffe eingefallen, die ich hier aber aus
Höflichkeit nicht äußern will.


(Heiterkeit bei der SPD – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Ich könnte auch zurückschießen! Darauf können Sie sich verlassen!)


Erstens. Verordnungsermächtigungen sind im Be-
reich des landwirtschaftlichen Fachrechtes, also im Fut-
termittelrecht, im Tierkörperbeseitigungsrecht und übri-

gens auch im Lebensmittelrecht, durchaus üblich und kein
Novum, wie Sie es dargestellt haben.

Zweitens. Die Frage der 0,0-Grenze wird durch das
Gesetz überhaupt nicht berührt. Sie wird durch das Ver-
fütterungsverbotsgesetz geregelt, dem Sie übrigens zuge-
stimmt haben.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Oh, jetzt haben wir Herrn Heinrich erwischt!)


Sie haben also ein Plädoyer gegen ein Gesetz gehalten,
dem Sie selbst zugestimmt haben. Ich kann Ihrer Argu-
mentation nur insofern folgen, als dass wir das bei nächs-
ter Gelegenheit ändern sollten.

Drittens. Auch die Keulung ist nicht Gegenstand des
BSE-Maßnahmengesetzes.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Natürlich!)

– Nein! – Das Gesetz enthält zu Recht eine Verordnungs-
ermächtigung.


(Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Das kommt auf dasselbe heraus!)


– Nein, es kommt nicht auf dasselbe heraus. – Die Ver-
ordnung muss natürlich auf politischer Ebene diskutiert
werden: auf der einen Seite mit den Ländern und auf der
anderen Seite im Parlament und dort vor allen Dingen im
Ausschuss. Die Frage wird sein – das ist der entschei-
dende Punkt –, ob wir uns eher Ihrer Argumentation an-
schließen, für die zugegebenermaßen einiges spricht, oder
ob wir auch Argumente übernehmen, die dafür sprechen,
dem vorbeugenden Verbraucherschutz das entsprechende
Gewicht einzuräumen.

Ich kann Ihnen als Antwort auf Ihre Frage, ob die Keu-
lung in Zukunft praktiziert werden solle oder nicht, nur
das sagen, was ich angesichts der Tötung von 1 000 Rin-
dern in Sachsen-Anhalt gesagt habe. Ich habe dort ausge-
führt, dass wir von dieser Praxis abrücken, sobald wir es
vor den Verbraucherinnen und Verbrauchern und vor den
Landwirten verantworten können. Diese Aussage gilt
weiterhin.


(Beifall bei der SPD – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Was Sie hier erzählen, ist nichts wert! Damit fängt niemand etwas an!)


Wir werden eine Verordnung auf den Weg bringen. Der
Vorschlag der Bundesregierung, alle Rinder einer betrof-
fenen Herde zu töten, wird in dem Entwurf enthalten sein.
In diesem Zusammenhang haben wir über den vorbeu-
genden Verbraucherschutz zu diskutieren. Wenn es richtig
ist, dass BSE über Futtermittel übertragen wird und dass
auch andere Tiere des Bestandes das gleiche Futter fres-
sen, dann entspricht es einer gewissen Logik, den ganzen
Bestand zu töten.

Ein weiterer Aspekt ist der Verbraucherschutz
– wenn ich das so sagen darf – in Richtung der Landwirte.
Es würde keinem etwas nützen, wenn wir von der Praxis
der Tötung der jeweiligen Bestände abweichen, aber an-
schließend weder die Milch noch das Fleisch gekauft wer-
den würde. Das heißt, wir müssen mit der Öffentlichkeit,
mit der Wissenschaft, mit der Ernährungsindustrie, mit




Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim

14889


(C)



(D)



(A)



(B)


den Bauern und mit den Verbraucherinnen und Verbrau-
chern in einen Dialog eintreten. Erst wenn wir sicher sein
können, dass wir gute Gründe für ein Abrücken von die-
ser Praxis haben und unser Vorgehen letztendlich von der
Öffentlichkeit akzeptiert wird, können wir zu einer ande-
ren Entscheidung kommen.


(Beifall bei der SPD)

Um noch eine letzte Bemerkung anzufügen: Es ist

natürlich auch notwendig, das Thema in der Öffentlich-
keit nicht unter Sensationsaspekten, sondern sachlich zu
diskutieren.


(Beifall bei der SPD)

In der Vergangenheit lag hier der größte Missstand. Wir
werden dann erkennen, dass es mit dem Verbraucher-
schutz durchaus zu vereinbaren ist, wenn wir Schritt für
Schritt zu einer anderen Praxis kommen.

Zu diesem Dialog, Herr Kollege Heinrich, darf ich Sie
schon an dieser Stelle einladen. Im Gesetzentwurf steht,
wie gesagt, lediglich die Verordnungsermächtigung. Die
Verordnung wird damit keineswegs vorweggenommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415213900
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen ein-
gebrachten Entwurf eines BSE-Maßnahmengesetzes. Es
handelt sich um die Drucksachen 14/5219 und 14/5332.

Mir liegt eine schriftliche Erklärung gemäß § 31 der
Geschäftsordnung der Kollegin Susanne Jaffke vor.1) Zu
einer mündlichen Erklärung gemäß § 31 der Geschäfts-
ordnung erteile ich jetzt dem Kollegen Peter Harry
Carstensen das Wort.


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1415214000
Ich
mache es kurz, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.
Ich gebe diese Erklärung auch im Namen der Kollegen
Herr Kansy, Herr Siemann, Herr Scherhag, Herr Deß,
Herr Gerd Müller und Frau Ilse Aigner ab.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit die auch mal genannt werden!)


Wir werden dem Gesetz zustimmen, obwohl wir als
Parlamentarier bei einem Gesetz, das so viele Verord-
nungsermächtigungen enthält, dieselben Bauchschmer-
zen haben, wie sie der Kollege Heinrich hier formuliert
hat. Wir stimmen deswegen zu, weil wir in einer Situation
sind, in der schnelles Handeln angebracht ist


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Richtig und schnell, nicht schnell und falsch!)


und in der wir merken, dass wir von Woche zu Woche
neue Erkenntnisse gewinnen, die schnell umgesetzt wer-
den müssen. Obwohl ich, wie gesagt, als Parlamentarier
diese Bauchschmerzen habe, der Regierung durch die
Verordnungsermächtigung so viele Vollmachten zu ge-
ben, halte ich es für richtig, dass die Regierung in dieser
Sache bei neuen Erkenntnissen ausgesprochen schnell
reagieren kann.

Ich stimme auch deswegen zu, weil dadurch die Mög-
lichkeit besteht, nach neuen Erkenntnissen von der Her-
denkeulung abzukommen und sehr schnell zu einer Ko-
hortenkeulung oder einer anderen modifizierten Keulung
und Bekämpfung von BSE in den Beständen zu kommen.

Dies ist im Moment für mich sowie die Kolleginnen
und Kollegen, die diese Erklärung unterstützen, der
Grund, Ja zu sagen und der Regierung trotz unserer
Bauchschmerzen diese Ermächtigung zu geben. Wir wol-
len, dass schnell gehandelt wird. Wir wollen nicht jedes
Mal in ein langwieriges Gesetzgebungsverfahren eintre-
ten, sondern ermöglichen, dass Erkenntnisse sehr schnell
umgesetzt werden können. Das können wir mit diesem
Gesetz erreichen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415214100
Wir kommen zur Ab-
stimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die
Stimmen der F.D.P.-Fraktion bei Enthaltung der PDS-
Fraktion angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit gegen die Stimmen der F.D.P.-Fraktion und eine
Stimme aus der CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der
PDS-Fraktion angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-

neten Peter Rauen, Gerda Hasselfeldt, Dietrich
Austermann, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Senkung der Mineralölsteuer

(ÖkosteuerAbschaffungsgesetz)

– Drucksache 14/4097 –

(Erste Beratung 122. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des

Finanzausschusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/5272 –




Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim
14890


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 2

Berichterstattung:
Abgeordnete Heinz Seiffert
Detlev von Larcher


(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/5273 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Emil Schnell
Oswald Metzger
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel
Dietrich Austermann

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich

(Bayreuth), Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer

Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der F.D.P.
Kraftfahrzeugsteuer für schwere LKWauf EU-
Niveau senken – Bedingungen am Güterkraft-
verkehrsmarkt harmonisieren
– Drucksachen 14/4254, 14/5300 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Gerhard Schüßler

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu der
Unterrichtung durch die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission an den Rat, das
Europäische Parlament, den Wirtschafts- und
Sozialausschuss und den Ausschuss der Regio-
nen: Besteuerung von Flugkraftstoff
KOM (00) 110 endg.; Ratsdok. 06743/00
– Drucksachen 14/3576 Nr. 2.11, 14/4443 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Lennartz

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die SPD-
Fraktion ist der Kollege Ernst Ulrich von Weizsäcker.


Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker (SPD):
Rede ID: ID1415214200
Frau Präsi-
dentin! Meine verehrten Damen und Herren! Ich be-
trachte es als eine Ehre, gegenüber dem Hohen Hause zu
begründen, warum man einen in der gesamten Diktion
unsinnigen Antrag der CDU/CSU-Fraktion ablehnen
muss.


(Beifall bei der SPD)

Die CDU/CSU-Vertreter haben sich an einigen Stellen

sogar zu der Behauptung verstiegen, dass die ökologische
Steuerreform der Umwelt schade. Allerdings wurde dies
bei der Anhörung im November von niemandem bestätigt,
nicht einmal von denjenigen, die die Oppositionsfraktio-
nen eingeladen haben.

Es ist zwar zutreffend und bedauerlich, dass der eine
oder andere Busunternehmer in der Zeit der explodierten
Weltmarktölpreise hat aufgeben müssen. Das hatte aber
sehr wenig mit den damals 6 plus 1 Pfennig Ökosteuer zu
tun.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das sind die schlechten Rahmenbedingungen!)


Es ist unsinnig und unglaubwürdig, an diesen 7, 14 bzw.
inzwischen 21 Pfennig all die Veränderungen aufzuhän-
gen, die man in unserem Land sieht. Bekanntlich wurden
ja dem Benzinpreis während der Regierungszeit von
Dr. Kohl 50 Pfennig aufgeschlagen. Doch lassen wir die-
ses Aufrechnen. Denn schließlich plädiere ich ja nicht für
ein Gesetz zur Abschaffung der Kohl-Benzinsteuer.

Lassen Sie uns stattdessen über das sprechen, was in
der Diskussion neu ist, und nicht die alten Schlachten neu
schlagen. Neu ist zum Beispiel, dass bei der Anhörung,
die wir zu diesem Thema durchgeführt haben, in den
Herbstgutachten der Wirtschaftsinstitute und in den
Äußerungen des Sachverständigenrates zur Begutachtung
der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung auf einmal – an-
ders als früher – ein eindeutiges Plädoyer der führenden
Ökonomen dieser Republik für die ökologische Steuerre-
form zum Ausdruck gekommen ist.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Gegen die Verwendung!)


Ich gestatte mir hier, aus dem Herbstgutachten der
Wirtschaftsinstitute zu zitieren:

Eine Senkung der Mineralölsteuer würde lediglich
bedeuten, dass der Staat die Belastung von den
Ölverbrauchern auf die Allgemeinheit umverteilt.
Das wäre der falsche Weg.

Weiter unten heißt es:
Die Mineralölsteuersenkung (käme) letztlich gar
nicht beim Verbraucher an, sondern nützte lediglich
den Ölstaaten bzw. den Mineralölkonzernen,
während gleichzeitig die öffentlichen Haushalte be-
lastet würden.

So ähnlich hat sich vor etwa 14 Tagen Professor Norbert
Walter, der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, geäußert.

Allerdings raten diese renommierten Wirtschaftswis-
senschaftler, die ökologische Steuerreform noch etwas
konsequenter durchzusetzen, zum Beispiel die bestehen-
den Ausnahmen zu streichen. Das Geschrei derjenigen,
die sich gegen die ökologische Steuerreform ausgespro-
chen haben, möchte ich hören, wenn wir diesem Rat-
schlag folgen würden.

Oft hört man von der Oppositionsseite die Kritik, es
handele sich bei der ökologischen Steuerreform um eine
Vermischung von Zielen des Klimaschutzes, der Ressour-
censchonung und der Beschäftigungspolitik.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Es geht ums Kassemachen!)


Bei dieser Kritik liegt ein grundsätzliches Missverständ-
nis vor. Es beruht auf einer viel zu engen und veralteten
Auffassung von Umweltpolitik. Bei dieser alten Umwelt-
politik ging es um die rasche und gezielte Verminderung




Vizepräsidentin Petra Bläss

14891


(C)



(D)



(A)



(B)


von Schadstoffen. Diese Hausaufgaben sind in den letzten
Jahrzehnten – übrigens mit Beiträgen aus allen Parteien –
in Deutschland vorbildlich erledigt worden.

Bei der neuen ökologischen Herausforderung geht es
um etwas, was man eigentlich nur mit dem Wort „ökolo-
gischer Strukturwandel“ bezeichnen kann. Da geht es
um eine neue Agrarpolitik; darüber haben wir gerade ge-
sprochen. Es geht um eine neue Energiepolitik, eine neue
Verkehrspolitik und auch eine neue Technologiepolitik.
Es geht also nicht nur um die Minderung des CO2-Aus-stoßes, sondern um eine generelle Minderung des
Ressourcenverbrauchs. Das ist natürlich ein langfristiger
Prozess.

Auch die industrielle Revolution war ein langfristiger
Prozess. Sie hat 200 Jahre gedauert. Im Laufe dieser Zeit
ist die Arbeitsproduktivität etwa verzwanzigfacht wor-
den. Heute ist der Faktor Arbeit überhaupt nicht knapp
– sonst hätten wir keine Arbeitslosen –; heute ist die Na-
tur das eigentlich knappe Gut. Es geht also hauptsächlich
darum, endlich die Ressourcenproduktivität zu erhöhen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In diesem Kontext ist es dann verhältnismäßig nachran-
gig, ob Kohle oder Atomstrom eingespart wird. Die Be-
schränkung auf ein ganz bestimmtes Ziel, zum Beispiel
auf CO2, wird dem Thema nicht gerecht.

Dass die Wirkungen der ökologischen Steuerreform
nicht über Nacht eintreten, weiß jeder, der etwas vom
Strukturwandel versteht. Aber immerhin haben wir im Jahr
2000 interessante Signale für einen solchen beginnenden
Strukturwandel erlebt. Zum Beispiel ist die volkswirt-
schaftliche Energieproduktivität – die Menge Wohlstand
pro eingesetzter Energieeinheit – um mehr als 3 Prozent
gestiegen. Damit ist sie mehr als doppelt so groß wie in den
Jahren billiger Energie.

In der Zeit seit der Einführung der ökologischen Steu-
erreform erleben wir beispielsweise eine dramatische Ent-
wicklung hinsichtlich der Energieeffizienz im Gebäu-
debereich.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Bei den Preisen ist das kein Wunder!)


Die Bestellungen für so genannte Passivhäuser, die im
Vergleich zum Altbaubestand nur noch ein Zehntel Ener-
gie verbrauchen, gehen seit Jahren exponentiell in die
Höhe. Jetzt kommt die Altbausanierung hinzu. Mit den
Zinseinsparungen aus der Versteigerung der UMTS-Li-
zenzen werden 2 Milliarden DM für Zinsverbilligungen
zur Verfügung gestellt. Das summiert sich zu einem In-
vestitionsvolumen von etwa 10 Milliarden DM für Alt-
bausanierungen. Auch in diesem Bereich erwarten wir
technische Sprünge und große Einspareffekte.

Ähnlich sieht es im Automobilbereich aus. Wer vor
ein paar Jahren für ein Dreiliterauto eingetreten ist, war in
Gefahr, sich lächerlich zu machen. Heute schmückt sich
jede Firma, die sich modern geben will, mit einem Pro-
gramm für ein Dreiliterauto.


(Zuruf von der CDU/CSU: Aber wer kann denn das bezahlen?)


Ich möchte gerne wissen, ob Firmen, die noch die
Technologien vergangener Jahrzehnte verkaufen, den
großen chinesischen Markt oder andere Exportmärkte
erobern können. Nein, das werden eindeutig diejenigen
Firmen sein, die – zum Teil unter dem Druck der ökolo-
gischen Steuerreform, zum Teil aus internen Modernisie-
rungsgründen – auf das Effizienzauto setzen.

Ein weiterer Bereich des ökologischen Strukturwan-
dels, der eingesetzt hat, sind die erneuerbaren Energie-
quellen.Deutschland ist diesbezüglich in den letzten zwei
Jahren zum Spitzenreiter weltweit geworden. Hunderte
von Hightech-Arbeitsplätzen sind zum Beispiel in Baden-
Württemberg, aber auch in anderen Bundesländern ge-
schaffen worden; dieser Trend ist ungebrochen.

Nicht zu vergessen ist bei all dem die Finanzierungs-
seite der Ökosteuerreform. Dass wir endlich den jahr-
zehntelangen Trend der Steigerung der Lohnnebenkosten
gebrochen haben, ist ein unbestreitbar segensreiches Sig-
nal für die Arbeitsmärkte.

Diese erfreulichen Trends bei Gebäuden, Autos, Son-
nenenergie, Windenergie und Lohnnebenkosten jetzt ab-
zubrechen wäre also nicht nur umweltpolitisch, sondern
auch wirtschaftspolitisch unverantwortlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie können nicht im Ernst erwarten, dass sich die SPD-
Fraktion einer solchen unverantwortlichen Politik an-
schließt.

Ich hatte gesagt, ich wolle über neue Nachrichten spre-
chen. Eine sehr interessante neue Nachricht haben wir
dieser Tage aus Belgien gehört. Belgien wird ja in der
zweiten Jahreshälfte 2001 die Präsidentschaft in Europa
haben. Die durch den Gipfel von Nizza ermöglichte neue
Form der Koordination in dem so genannten Verfahren
der verstärkten Zusammenarbeit wollen die Belgier nut-
zen, um endlich eine europäische ökologische Steuer-
reform auf den Weg zu bringen.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Das wollten wir doch schon länger!)


Das wäre doch ein Angebot zur Güte an CDU/CSU und
F.D.P., die immer wieder, wenn sie die deutsche ökologi-
sche Steuerreform abgelehnt haben, beteuert haben, bei
einer europäischen würden sie selbstverständlich mitma-
chen. Das möchte ich dann auch einmal sehen.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Die machen wir mit, weil sie vernünftig ist, Herr Weizsäcker!)


Aber wenn man ausgerechnet in dem Moment, in dem
durch den Erfolg des Gipfels von Nizza diese Perspektive
eröffnet ist, ein Gesetz zur Abschaffung der Ökosteuer
vorlegt, dann heißt das: Die Unglaubwürdigkeit wird per-
fekt. Da machen wir nicht mit.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker
14892


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415214300
Für die CDU/CSU
spricht jetzt der Kollege Heinz Seiffert.


Heinz Seiffert (CDU):
Rede ID: ID1415214400
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die Ökosteuer war
von Anfang an eine Fehlkonstruktion,


(Beifall bei der CDU/CSU)

eine Fehlkonstruktion, die ideologisch geleitet war und die
auch durch Ihre Reparaturversuche nicht besser geworden
ist. Wenn ich mich recht entsinne, Herr von Weizsäcker,
haben Sie das anfangs ebenso gesehen. Die einzig konse-
quente Lösung ist: Diese Ökosteuer muss weg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Diese Steuer war immer ein Abkassiermodell mit
falschem Etikett. Sie haben nie besonders umweltfreund-
liches Verhalten belohnt und Sie haben umweltschädli-
ches Verhalten auch nicht in jedem Fall bestraft. Dafür ha-
ben schon die umfangreichen Ausnahmen gesorgt, die mit
einem wahnsinnigen bürokratischen Aufwand umgesetzt
werden. Es ging der rot-grünen Regierung in diesem Fall
immer nur ums Geld!

Die Mehreinnahmen aus der schrittweisen Erhöhung
von Mineralöl- und Stromsteuer dienen nicht der Förde-
rung erneuerbarer Energien oder sinnvoller Maßnahmen
im Umweltschutz. Auch sind die Steuermehreinnahmen
nicht in vollem Umfang für die Senkung des Rentenversi-
cherungsbeitrages verwendet worden, wie Sie immer vor-
gegeben haben. Damit sind auch noch Lafontaines Haus-
haltslöcher gestopft worden. Das wissen Sie ganz genau.

Die so genannte Ökosteuer ist eine sozial unausgewo-
gene Belastung für die Bürger, für viele Bereiche der
Wirtschaft, für den Arbeitsmarkt und auch für den Um-
weltschutz, weil nämlich viele Investitionen, die beim
Umweltschutz dringend notwendig gewesen wären, nicht
getätigt werden konnten, Herr von Weizsäcker, weil man
das Geld in die Rentenkasse abliefern musste. Sie
schwächt die Wettbewerbsposition der deutschen Wirt-
schaft und belastet den mühevollen Angleichungsprozess
der neuen Länder. Die Ökosteuer ist als untaugliches
Querfinanzierungsinstrument für die Rentenversiche-
rung konzipiert worden. Das führt zu einem Grundwi-
derspruch zwischen den Zielen einer dauerhaften Einnah-
meerzielung zugunsten der Rente auf der einen Seite und
der Lenkungswirkung, die eigentlich von einer ökolo-
gisch begründeten Steuer entwickelt werden sollte, auf
der anderen Seite.

Dass durch die Ökosteuer einzelne Branchen in ihrer
Existenz bedroht sind, kann Ihnen doch nicht egal sein!
Aber die Regierung bleibt trotz der massiven Proteste der
betroffenen Gewerbezweige und trotz des Unmuts der ge-
schröpften Autofahrer stur. Zum 1. Januar 2001 trat des-
halb, wie geplant, die dritte Stufe der Ökosteuer in Kraft,
die eine Verteuerung der Spritpreise um weitere 6 Pfen-
nige brachte. Dabei hatten Sie das Glück, dass die Mine-
ralölkonzerne kurz vorher die Preise aufgrund der Dollar-
entwicklung und der gesteigerten Fördermengen gesenkt
hatten.


(Joachim Poß [SPD]: Das hat Sie geärgert, was?)


Damit ist im Übrigen auch die Behauptung widerlegt,
Herr Poß, dass die Senkung der Ökosteuer nicht automa-
tisch zu einer Senkung der Benzinpreise führen würde.
Das haben Sie immer gesagt. Hier ist das Gegenteil be-
wiesen, dass nämlich nach den Faktoren kalkuliert wird,
die für die Preisgestaltung wichtig sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dies kann jedoch überhaupt nicht darüber hinwegtäu-

schen, dass der Staat bei jedem Liter Benzin heute schon
1,43 DM an Mineralölsteuer und Mehrwertsteuer kas-
siert. Das sind 70 Prozent des Spritpreises, die an den
Staat gehen. Bis 2003 folgen zwei weitere Erhöhungsstu-
fen. Damit wird dann der Staatsanteil bei 1,57 DM pro Li-
ter liegen.

Dass die Ölmultis diese Steuererhöhungen jeweils mit
eigenen Preiserhöhungen begleiten werden, kann Sie
doch nicht ernsthaft überraschen. Damit aber überfordern
Sie die Wirtschaftsbereiche, die ihre gestiegenen Kosten
nicht über höhere Preise abwälzen können. Rot-Grün be-
straft besonders die Menschen im ländlichen Raum, die
dringend auf ihr Auto angewiesen sind. Gerade dort hätte
man vielleicht noch einen Funken Verständnis, wenn zu-
mindest ein Teil der Ökosteuer dem Straßenbau – insbe-
sondere dem Bau von Ortsumgehungen – zugute käme.
Aber Fehlanzeige!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, ich

will Sie einmal an Ihren Koalitionsvertrag erinnern. Das
ist vielleicht ganz interessant für Sie.


(Zuruf von der SPD: Oh!)

Darin gehen Sie davon aus, dass nach 1999 zwei weitere
Erhöhungsschritte kommen. Damit sollen dann die So-
zialversicherungsbeiträge auf unter 40 Prozent sinken.
Bei der Ausgestaltung der Erhöhungsschritte wollten Sie
die Ergebnisse der deutschen EU-Präsidentschaft beach-
ten. Außerdem wollten Sie die konjunkturelle Lage und
die Preisentwicklung auf den Energiemärkten berück-
sichtigen.

Meine Damen und Herren, in allen wesentlichen Punk-
ten haben Sie sich über Ihre Koalitionsvereinbarung hin-
weggesetzt. Sie haben nicht drei Erhöhungsstufen, son-
dern fünf beschlossen. Außerdem haben Sie die
europäische Komponente, die konjunkturelle Lage in
Deutschland sowie die Preisentwicklung auf den Ener-
giemärkten nicht berücksichtigt. Von gesetzlichen Lohn-
nebenkosten unter 40 Prozent sind Sie trotz der drei Er-
höhungsstufen meilenweit entfernt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Statt nach Ihrer eigenen Vereinbarung zu handeln, ha-

ben Sie die Ökosteuer ohne Rücksicht auf Verluste durch-
gezogen. Weder die konjunkturelle Entwicklung noch
die Preisentwicklung auf den Energiemärkten hätten es
1999 zugelassen, die Preise noch weiter in die Höhe zu
treiben. Ganz im Gegenteil: Der Preis für Rohöl ist gerade
im letzten Jahr in Schwindel erregende Höhen geklettert
und hat damit die Inflation angeheizt. Auch die Abstim-
mung mit den europäischen Partnern war ein leeres Ver-
sprechen.






(C)



(D)



(A)



(B)


Wie sagte doch Bundeskanzler Schröder am 26. Okto-
ber 1998 im „Spiegel“?

Wir wollen auch aus Gründen der Wettbewerbs-
fähigkeit die Energiebesteuerung nicht im nationalen
Alleingang machen.

Im selben Interview sagte er:
Ich bedauere auch, dass der eine oder andere 10 Mark
im Monat mehr fürs Autofahren, fürs Heizen, fürs
Gas zu zahlen hat. Aber mehr sind es dann auch nicht
im ungünstigsten Fall. Bei 6 Pfennig ist Ende der
Fahnenstange.

Worte und Taten fallen beim Herrn Bundeskanzler ja
gelegentlich weit auseinander, es sei denn, er hätte mit
6 Pfennig nur die jährliche Erhöhungsquote gemeint. Hat
er aber nicht und die 10 Mark im Monat waren ebenfalls
ein schlechter Witz.

Deshalb sage ich Ihnen ganz offen: Ich glaube dem
Herrn Bundeskanzler kein Wort, wenn er jetzt sagt, nach
2003 und nach fünf Ökosteuerstufen soll keine weitere
Erhöhung folgen. Das ist doch ein durchsichtiges Spiel in
der rot-grünen Koalition, wenn zur gleichen Zeit nam-
hafte Grüne wie der stellvertretende Ministerpräsident
von NRW, Vesper, und unser geschätzter – weil ehrlicher –
Kollege Loske ankündigen, dass ihre Fraktion über 2003
hinaus an der schrittweisen Erhöhung der Ökosteuer fest-
halte.

Die Erfahrung zeigt doch, wie dieses abgekartete Spiel
läuft: Die Grünen sind nach wie vor auf dem Weg zu
5 DM pro Liter Benzin und der Bundeskanzler würde fol-
gen. Nur gut, dass die Meinung von Herrn Schröder nach
der verlorenen Bundestagswahl 2002 nur noch am Rande
interessiert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dabei würde seine Begründung für das Ende der

Ökosteuer nach 2003 bereits heute gelten. Herr Schröder
sagte vor wenigen Tagen im „Mannheimer Morgen“, es
sei ein Fehler, die Ökologisierung des Steuersystems stets
auf die Frage der Verteuerung des Sprits zu beziehen, hier
gebe es objektive Grenzen;


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Die Autofahrer sind immer die Dummen!)


diese hätten mit der Automobilkonjunktur zu tun, aber
auch mit der Belastbarkeit der Menschen. Ich denke, die
Äußerung war nicht mit Ihnen abgestimmt, Herr von
Weizsäcker.

Genau diese richtigen Argumente des Kanzlers gelten
nämlich bereits heute und nicht erst nach 2003. Es kann
Ihnen doch nicht entgangen sein, dass die Zulassungszah-
len der PKW in Deutschland dramatisch zurückgegangen
sind und dass die Grenze der Belastbarkeit der Menschen
und Unternehmen längst erreicht oder überschritten ist.

Den Menschen wird durch Ihre übermäßige Benzinbe-
steuerung und durch die demnächst ins Haus flatternde
Abrechnung der Mietnebenkosten Kaufkraft entzogen,
die im Wirtschaftskreislauf dringend benötigt wird. Die
teilweise minimale Entlastung, die Sie den Lohn- und

Einkommensteuerzahlern durch die Steuerreform ge-
währt haben, wird zu einem guten Teil wieder abkassiert.
All diejenigen Mitbürger, die weder von stabilen
Rentenversicherungsbeiträgen noch von der Steuerreform
profitieren, werden von der Ökosteuer netto erfasst. Das
sind vor allem Rentnerinnen und Rentner und die sozial
Schwachen, auf die Ihre Politik grundsätzlich keine Rück-
sicht nimmt.


(Widerspruch bei der SPD)

Darüber kann auch der untaugliche Reparaturversuch
durch die Entfernungspauschale und den einmaligen
Heizkostenzuschuss, die Sie zulasten der Länder und
Kommunen eingeführt haben, nicht hinwegtäuschen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, die Ökosteuer passt auch

konjunkturell nicht in die Landschaft. Es kann Ihnen doch
nicht verborgen geblieben sein, dass sich die Wachstums-
rate in Deutschland besorgniserregend entwickelt. Nam-
hafte Volkswirte halten die Prognosen der Regierung für
2001 für viel zu optimistisch.

Obwohl wir mit 2,4 Prozent Wirtschaftswachstum in
Euro-Land nur den vorletzten Platz einnehmen, drohen
wir auf 2,0 Prozent zurückzufallen. Ich will den Teufel gar
nicht an die Wand malen, denn der regiert in Baden-Würt-
temberg erfolgreich,


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Der ist doch an der Wand!)


aber wenn ich die konjunkturelle Entwicklung in den
USA sehe – meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich
hoffe, dass Ihnen das Zwischenrufen nicht vergeht –, dann
habe ich die große Sorge, dass dies auch auf unsere Wirt-
schaft übergreift und dass unsere exportorientierte Wirt-
schaft von dieser Entwicklung relativ rasch erfasst wird.

In dieser Situation müsste eigentlich die Binnennach-
frage anspringen, aber dafür sind Steuererhöhungen für
Wirtschaft und Verbraucher das pure Gift.

Viele Wirtschaftsbereiche, die auf bezahlbare Energie-
kosten angewiesen sind, empfinden die Ökosteuer zu
Recht als Folterwerkzeug. Ich nenne hier nur das Trans-
portgewerbe, die Spediteure, die Omnibusbetriebe; ich
nenne auch die Landwirtschaft und die Betriebe in den
neuen Ländern, die es derzeit besonders schwer haben. In
diesen Betrieben wird um die Erhaltung jedes einzelnen
Arbeitsplatzes gekämpft und diesen Kampf für die Ar-
beitnehmer sollte die Regierung nicht durch eine Öko-
steuer, die keiner akzeptiert, erschweren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, wenn Sie nun sagen:

„Aber das Geld für die Rente brauchen wir doch“, dann
will ich dazu als ehemaliger Kämmerer auch Stellung neh-
men. Ich kann nur entgegnen: Hätten Sie im November
1998 unsere Rentenreform nicht zurückgenommen, hätten
Sie den fairen demographischen Faktor nicht außer Kraft
gesetzt und dann zwei Jahre nur diskutiert, dann hätten Sie
von Anfang an keine Ökosteuer in dieser Form gebraucht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)





Heinz Seiffert
14894


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich finde, Lafontaines Haushaltslöcher hätten Sie
eben auf seriöse Weise stopfen müssen. Wenn Sie uns jetzt
vorwerfen, dass wir zur Finanzierung dieser Ausfälle
nichts sagen, dann ist das so, als wenn Ihnen, nachdem Sie
in den falschen Zug eingestiegen sind, der Schaffner
sagte: „Sie erreichen so Ihr Ziel nicht“ und Sie ihm ent-
gegneten: Jetzt müssen Sie mir aber sagen, wie ich wieder
zurückkomme und wer mir diese Fahrt finanziert. – So
geht es nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sehr guter Vergleich!)


Diese Ökosteuer ist als Bestandteil einer verfehlten Po-
litik, die Sie zulasten der Menschen und zulasten der Wirt-
schaft machen, abzulehnen. Kehren Sie auf diesem ver-
hängnisvollen Weg um. Stimmen Sie unserem Gesetz zur
Abschaffung dieser Ökosteuer zu!

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415214500
Das Wort hat Kollege
Dr. Reinhard Loske für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen.


Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415214600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Kollege von Weizsäcker hatte ja darum gebeten, wir soll-
ten uns einmal bemühen, nach neuen Argumenten Aus-
schau zu halten. Herr Kollege Seiffert, obwohl ich Ihnen
auch gern Ehrlichkeit attestiere und hohe Anerkennung
zolle, muss ich doch sagen: Dem haben Sie wirklich nicht
genügt. Das war alles altes Zeug von vorgestern.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Aber nur Ihrer Meinung nach!)


Das ist falsch und bleibt falsch.

(Zuruf von der CDU/CSU: Beratungs resistent!)

Was vielleicht für uns auch noch eine ganz interessante

Sache ist: Früher, wenn man klarmachen wollte, dass die
Union bei der Debatte über die Ökosteuer auch schon ein-
mal ein Stück weiter war, musste man immer im Zita-
tenschatz der Vergangenheit suchen. Man musste gucken,
was Herr Töpfer, Frau Merkel oder Herr Schäuble früher
gesagt haben.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Halten Sie sich doch an Ihren Bundeskanzler!)


Heute braucht man gar nicht mehr in alten Unterlagen
nachzusehen, sondern muss nur die Zeitungen von heute
heranziehen. Da wird nämlich unter anderem Herr
Schäuble, der leider zurzeit nicht da ist, interviewt und mit
dem bemerkenswerten Satz zitiert:

Der Verbrauch von Ressourcen muss langfristig in
größerem Maße zur Finanzierung öffentlicher Haus-
halte herangezogen werden als bisher, um die Ar-
beitskosten zu entlasten.

Da kann ich nur sagen: Der Mann hat Recht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Das ist nämlich ganz genau das Prinzip der ökologischen
Steuerreform, so wie wir sie umsetzen, wie Sie es aber
immer noch nicht verstanden haben.

Die ökologische Steuerreform ist und bleibt ein zen-
trales Instrument zur Modernisierung unserer Volkswirt-
schaft und vor allen Dingen zur Verringerung unserer Ab-
hängigkeit vom Erdöl. Man kann deshalb sagen: Eine
Abschaffung der Ökosteuer wäre unverantwortlich und
falsch.


(Beifall des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] sowie bei der SPD)


Ich will mich aber jetzt doch gern einmal mit Ihrem
Gesetzentwurf auseinander setzen, denn Sie haben ja ver-
sucht, auf die argumentative Ebene zu gelangen. Wir hat-
ten ja im Finanzausschuss vor wenigen Monaten eine
Anhörung und man darf sagen, dass das, was Sie da prä-
sentiert haben, vollkommen auseinander genommen
wurde.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht! Das stimmt wirklich nicht!)


Das wurde nicht ernst genommen und es war jedem mit
Ausnahme des BDI klar – Sie waren ja selbst da, Herr
Seiffert, zumindest zeitweise –,


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Ich war immer dabei, im Gegensatz zu Ihnen!)


dass das Ganze ein durchsichtiger Showeffekt ist und
keine Substanz vorhanden ist. Die Veranstaltung war im
Prinzip eine teure Anhörung auf Kosten des Steuerzah-
lers, auf die wir auch ganz und gar hätten verzichten kön-
nen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ich komme jetzt zu den einzelnen Argumenten. Ich
werde Herrn Ewringmann vom Finanzwissenschaftlichen
Forschungsinstitut der Universität Köln heranziehen.
Dieses hat viel für den BDI gearbeitet und steht deshalb
sicherlich nicht im Verdacht, übermäßig einseitig zu sein.
Er nimmt sich Ihre Argumente im Einzelnen vor und
schreibt als ersten Satz:

Der Gesetzentwurf ... geht von falschen Annahmen
und falschen Behauptungen aus.

Danach greift er sich einzelne Aussagen Ihres Gesetzent-
wurfes heraus. Ich werde ihn im Einzelnen zitieren.
Ewringmann sagt:

Erstens. Die Aussage, dass sich die Ökosteuer zu ei-
ner Belastung sowohl für alle Bürger als auch für die
Wirtschaft, den Arbeitsmarkt und den Umweltschutz
entwickelt,

(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Das habe ich begründet!)





Heinz Seiffert

14895


(C)



(D)



(A)



(B)


widerspricht sämtlichen bisher vorliegenden empiri-
schen Untersuchungsbefunden. Legt man die wis-
senschaftlichen Ergebnisse zugrunde, so ist die deut-
sche Wirtschaft insgesamt von der Ökosteuer und
den Sozialabgabensenkungen bisher entlastet worden,
der Arbeitsmarkt wurde – wenn auch nur leicht – po-
sitiv beeinflusst. Für die Umwelteffekte ist ein nega-
tives Ergebnis auszuschließen.

Im Gegenteil – dazu komme ich gleich –: Sie sind positiv.
Das heißt, das Argument, die Ökosteuer sei beschäfti-
gungs-, sozial- und umweltpolitisch kontraproduktiv,
wird durch die Fakten nicht gedeckt. Es ist schlicht und
einfach falsch und dumme Polemik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zweitens – ich zitiere wieder wörtlich –:
Die Aussage, dass die ökologische Lenkungswir-
kung daran scheitert, dass sie als Quersubventionie-
rungsinstrument für die Rentenversicherung konzi-
piert wurde, verkennt triviale Zusammenhänge. Die
ökologische Wirkung der Steuer hängt vor allem von
Bemessungsgrundlage und Steuersatz ab. ... Die Mit-
telverwendung für die Senkung der Sozialversiche-
rungsbeiträge stört indessen die ökologische Len-
kungswirkung ... überhaupt nicht.

Das heißt, auch diese Behauptung ist falsch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Drittens – ich zitiere wieder wörtlich –:
Die Aussage, dass die Wettbewerbsposition der deut-
schen Volkswirtschaft geschwächt werde, ist falsch!
Durch eine aufkommensneutrale Umschichtung von
volkswirtschaftlichen Abgaben- bzw. Steuerlasten
wird die Volkswirtschaft nicht geschwächt.

Auch diese Behauptung von Ihnen ist falsch.
Der vierte Punkt betrifft das so genannte Austermann-

Märchen. Herr Seiffert, hören Sie zu, es ist wirklich sehr
interessant. Ewringmann sagt:


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Der hat es Ihnen wohl angetan!)


Es heißt: Beträge in einer Größenordnung von jähr-
lich 16 Milliarden DM hat sie

– die Bundesregierung –
regelmäßig zur Finanzierung des allgemeinen Haus-
halts verwendet. Daraus muss bzw. soll wohl die Fol-
gerung abgeleitet werden, in den beiden bisherigen
Erhebungsjahren der Ökosteuer seien insgesamt
32 Milliarden DM des Ökosteueraufkommens falsch,
also nicht zur Senkung der Rentenversicherungs-
beiträge verwendet worden.

Jetzt kommt der schönste Satz:
Die Tatsache, dass dieser Betrag

– also diese 32 Milliarden DM –

weit über der bisher vereinnahmten Ökosteuer
– nämlich 25 Milliarden DM –

liegt, macht deutlich, wie diese Aussage einzuordnen
ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Seine Schlussfolgerung ist:
Der Gesetzentwurf sollte nicht weiter verfolgt wer-
den. Er steht einer sachlichen Diskussion ... entge-
gen.

Dem ist wirklich nichts mehr hinzuzufügen, außer viel-
leicht abschließend ein paar nackte Zahlen.

Neben der Tatsache – das wurde bereits von dem Kol-
legen von Weizsäcker genannt –, dass fast alle Heizungs-
anlagenbauer und alle Automobilkonzerne mittlerweile
mit energieeffizienten Modellen werben, gibt es weitere
Fakten. Erstes Faktum: Der öffentliche Personennahver-
kehr profitiert. Das Wachstum im letzten Jahr betrug
1,3 Prozent.

Zum Mineralölabsatz: Bei Ottokraftstoffen gab es ein
Minus von 4,3 Prozent, bei leichtem Heizöl ein Minus von
5,7 Prozent, bei schwerem Heizöl ein Minus von 8,7 Pro-
zent. Die Begründung des Mineralölwirtschaftsverban-
des – ich bin sofort fertig, Frau Präsidentin – lautet: ers-
tens Rückgang der Fahrleistung und zweitens geringerer
spezifischer Verbrauch der Fahrzeuge aufgrund effizien-
terer Modelle.

Ich glaube, diese Zahlen sprechen für sich und zeigen,
wie flach Ihr Antrag – ich muss sagen: leider – ist.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Die Inflation von 2,7 Prozent haben Sie vergessen!)


Ihn können wir leider nicht unterstützen. Wir werden ihn
ablehnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415214700
Jetzt spricht der Kol-
lege Hermann Otto Solms, F.D.P.-Fraktion.


(Zuruf von der SPD: Wo ist denn Ihr Kanister?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415214800
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier wird eine
ökologisch-ökonomische Rundumdiskussion geführt, die
von den eigentlichen Problemen ablenkt. Es ist offenkun-
dig so, dass die Oppositionsparteien, jedenfalls CDU/
CSU und F.D.P.,


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Völlig von der Rolle sind!)


auch früher Vorschläge für eine stärkere ökologische Be-
lastung vorgelegt haben. Das heißt aber doch noch lange
nicht, dass wir den Unsinn dieser Ökosteuer verteidigen
können.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)





Dr. Reinhard Loske
14896


(C)



(D)



(A)



(B)


Herr von Weizsäcker, das Problem haben Sie sauber
umgangen. In einer früheren Rede haben Sie es deutlicher
angesprochen: In dieser Ökosteuer stecken gewaltige
Konflikte, Widersprüche.

Erstens steht die ökologische Lenkungsfunktion völ-
lig im Hintergrund. In Wirklichkeit geht es um die Finan-
zierung der Rente.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Heinz Seiffert [CDU/CSU]: So ist es!)


Zweitens. Auch ökologisch ist diese Steuer nicht wett-
bewerbsneutral. Unterschiedliche Energieträger werden
unterschiedlich behandelt. Der ökologisch schlechteste
Energieträger, die Kohle, wird von dieser Belastung
ausgenommen.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!)


Der öffentliche Personennahverkehr ist in diese Besteue-
rung einbezogen.

Drittens. Die Betroffenen werden unterschiedlich be-
und entlastet. Eine große Gruppe der Bevölkerung kann
von den Entlastungen bei den Lohnzusatzkosten nicht
profitieren: Hausfrauen, Rentner, Sozialhilfeempfänger,
Arbeitslose, Studenten und Schüler. Das wissen Sie doch
alles.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Die Landwirtschaft wird einseitig belastet! 900 Millionen jedes Jahr)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415214900
Herr Kollege Solms,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Loske?


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415215000
Ja, bitte schön.


Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415215100

Herr Kollege Solms, ich als Ökologe bin wahrlich kein
übermäßiger Freund der Kohle, doch ich will Sie ernsthaft
fragen: Wissen Sie nicht, dass die Kohle im Wesentlichen
zur Stromerzeugung eingesetzt wird und dass wir eine
Stromsteuer haben, die die Kohle vollständig erfasst? Ihre
Behauptung, die Kohle sei von der Ökosteuer ausgenom-
men, ist deswegen schlichtweg falsch. Meinen Sie etwa
den kleinen Anteil des Hausbrandes? Wenn Sie wollen,
dass wir auch Briketts besteuern, dann bringen Sie doch
einen entsprechenden Antrag ein. Wenn Sie glauben, dass
dadurch die ökologische Konsistenz erhöht wird, können
Sie dies tun. Es könnte aber sein, dass Sie in diesem Punkt
irren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415215200
Herr Kollege
Loske, vielen Dank, dass Sie Ihre Frage selbst beantwor-
ten. Überall dort, wo Kohle direkt als Energieträger ein-
gesetzt wird, ist sie von der Besteuerung ausgenommen.
Das haben Sie gerade bestätigt. Dies ist einer der vielen
Widersprüche dieser Steuer. Einen würde man vielleicht

noch akzeptieren, aber die Fülle der Widersprüche ist so
groß, dass man sagen muss: Die Logik in diesem System
fehlt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich bekenne mich weiterhin offen zu dem Vorschlag

der F.D.P., dass ein dritter Mehrwertsteuersatz auf den
Energieverbrauch eine vernünftige Lösung dieses Pro-
blems wäre. Dieser Steuersatz müsste jedoch in Europa
einheitlich sein. Das wäre technisch unglaublich einfach,
völlig wettbewerbsneutral und würde die Energie ohne
Unterschied gleichmäßig belasten.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie schon einmal beantragt! Die Europäische Kommission hat es abgelehnt!)


– Das ist in Europa bis jetzt nicht akzeptiert worden, weil
es gar nicht verhandelt worden ist. Das ist das Problem.
Aber jeder, dem Sie dies erklären, wird dies als das ideale
Instrument ansehen.

Die Ökosteuer beinhaltet sehr viele Widersprüche. Ei-
nige besonders krasse will ich Ihnen erläutern. Sie be-
haupten, mit dieser Steuer würden die Lohnzusatzkosten
entsprechend der Belastung gesenkt. Bei der Ökosteuerer-
höhung Anfang dieses Jahres ist die Belastung für die Ver-
braucher um knapp 6 Milliarden DM einschließlich
Mehrwertsteuer gestiegen. Die Entlastung bei den Ren-
tenversicherungsbeiträgen von 19,3 auf 19,1 Prozent ist
nur zur Hälfte den Verbrauchern, den Arbeitnehmern, zu-
zurechnen, weil die andere Hälfte den Arbeitgebern zu-
gute kommt. Die Verbraucher werden also nur um
1,8 Milliarden DM entlastet. Wo findet denn ein Aus-
gleich statt? Was Sie der Öffentlichkeit erzählen, ist gelo-
gen. Es stimmt überhaupt nicht.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ein anderes pikantes Beispiel: Die Sozialhilfeempfän-

ger müssen keine Rentenversicherungsbeiträge zahlen.
Über die Ökosteuer müssen sie aber für ihre Rentenversi-
cherung indirekt Beiträge zahlen. Was soll das? Auch das
wird nicht erklärt.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die F.D.P. als Partei der kleinen Leute!)


Wir unterstützen den Vorschlag der Union, diese Steuer
abzuschaffen. Das Thema soll auf der Tagesordnung blei-
ben. Aber die Lösung soll systemimmanent, vernünftig,
gleichmäßig und ohne Wettbewerbsverzerrungen sein.

Eines möchte ich noch ergänzen, Herr von Weizsäcker.
Es ist nun wirklich nicht so, dass die gestiegene Energie-
effizienz auf die Ökosteuer zurückzuführen ist. Über das
Dreiliterauto redet die Automobilindustrie schon seit gut
zehn Jahren und forscht an seiner Entwicklung.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jetzt verkauft sie es aber! Das ist der Unterschied!)


Auch die Senkung des Energieverbrauchs in den Haus-
halten ist ein Thema, das schon in den 70er-Jahren disku-
tiert worden ist. Bereits damals gab es Anreize und das ist




Dr. Hermann Otto Solms

14897


(C)



(D)



(A)



(B)


seitdem konsequent fortgesetzt worden. Das hat mit der
Ökosteuer, die es erst seit zwei Jahren gibt, überhaupt
nichts zu tun.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zu dem Ge-

setzentwurf der F.D.P.-Fraktion zu den schweren LKW
machen. Wir haben gefordert: Aufgrund der unerträgli-
chen und inakzeptablen Belastungen des deutschen Spe-
ditionsgewerbes im Wettbewerb müssen wir eine Entlas-
tung schaffen, die wir europakonform ohne weiteres
selber umsetzen können. Wir müssen nämlich dazu die
Kfz-Steuer für schwere LKW in Deutschland auf das in
Europa festgelegte Mindestniveau senken. Das bedeutete
pro schwerem LKW eine Entlastung um 1 000 DM im
Jahr. Damit könnte die gewaltige Benachteiligung im
Wettbewerb ein wenig ausgeglichen werden.

Zu diesem Thema hat es Verhandlungen mit dem Ver-
bandspräsidenten Schmidt im Bundeskanzleramt gege-
ben. Man hat Nebelkerzen aufsteigen lassen, indem man
gesagt hat, man könne sich vorstellen, Entgegenkommen
zu zeigen. Der Finanzminister hat das am gleichen Tag de-
mentieren lassen und gesagt, er sei nicht bereit, in diesem
Punkt Entgegenkommen zu zeigen. Im Endeffekt passiert
gar nichts.

Im Gegenteil: Die Belastungen werden noch erhöht.
Die Belastungen werden zum einen durch die Verlänge-
rung der Abschreibungsfristen beim Speditionsgewerbe
– Frau Kollegin Hendricks, Sie wissen, dass uns das
Thema im Finanzausschuss beschäftigt hat – und zum an-
deren dadurch erhöht, dass die Bundesregierung auf eu-
ropäischer Ebene zugestimmt hat, die für Holland und
Frankreich vorgesehenen Ausnahmen im Zusammenhang
mit der Mineralölsteuer bis zum Ende des nächsten Jahres
beizubehalten. Das ist eine gewaltige Zeitspanne, da in
diesen zwei Jahren eine völlig inakzeptable, innerhalb Eu-
ropas eigentlich nicht zulässige Entlastung der Wettbe-
werber in Frankreich, Holland oder in anderen Ländern
erfolgt, ohne dass für das deutsche Speditionsgewerbe ein
Äquivalent ausgehandelt wurde.


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Das ist ein Skandal! – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das wäre den Franzosen nie passiert!)


Ein solches Ergebnis müsste aus Sicht der Bundesre-
gierung völlig unverantwortlich und inakzeptabel sein.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Deswegen möchte ich Sie sehr herzlich bitten, unserem
Gesetzentwurf zuzustimmen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist kein Gesetzentwurf! Das ist nur ein Antrag!)


Wenn Sie das im Augenblick aber nicht dürfen, weil Sie
nur das tun, was die Regierung Ihnen vorgibt – leider ha-
ben die Koalitionsfraktionen kein Selbstbewusstsein, sie
brauchen immer die Anweisung der Regierung dazu, was
sie beschließen dürfen –, und Sie diese Genehmigung
nicht bekommen, dann möchte ich Sie doch zumindest
auffordern, an die Bundesregierung heranzutreten, gerade

Sie, Herr Schmidt, der Sie sich als Verkehrspolitiker einen
gewissen Namen gemacht haben,


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Oh, danke! – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Aber nur einen gewissen!)


und zu sagen: Es kann nicht sein, dass Deutschland Wett-
bewerbsvorteilen für andere Länder zustimmt,


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich werde gleich etwas dazu sagen!)


das Speditionsgewerbe in Deutschland zusätzlich im steu-
erlichen Bereich benachteiligt wird und wir nicht handeln,
um einen gewissen Ausgleich für Benachteiligungen zu
schaffen.

Das kann nicht akzeptiert werden und das können auch
Sie nicht akzeptieren. Deswegen fordern wir Sie auf zu
handeln.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415215300
Jetzt spricht die Kol-
legin Dr. Barbara Höll für die PDS-Fraktion.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1415215400
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Im „Spiegel“ dieser Woche ist ein
sehr interessanter Artikel über ein Werk von Herrn
Professor Rüdiger Glaser mit dem Titel „Klimageschichte
Mitteleuropas. 1 000 Jahre Wetter, Klima, Katastrophen“
veröffentlicht. Er vermutet, dass das milde, trockene Bil-
derbuchwetter zwischen 1770 und 1820 die Dichter und
Denker zu ihren klassischen Höchstleistungen veranlasst
hat. Auch in den 90er-Jahren hatten wir ein sehr gutes
Wetter mit sehr guten Sommern. Ich glaube aber, der An-
trag der CDU/CSU beweist, dass gutes Wetter nicht ohne
weiteres zu geistigen Höchstleistungen führt.


(Beifall bei der PDS)

Ihr Antrag zeugt eigentlich nur von einem, nämlich von

Ihrer derzeitigen völligen Politikunfähigkeit.

(Beifall bei der PDS)


Fakt ist bei aller Kritik an der Ökosteuer: Sich hinzu-
stellen und ohne eigenes Konzept eine Rücknahme zu for-
dern zeugt von Politikunfähigkeit, weil Sie einfach nur
zum alten Zustand zurückkehren wollen.


(Beifall bei der PDS – Heinz Seiffert [CDU/ CSU]: Es wäre mir arg, von Ihnen gelobt zu werden!)


In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal auf
Professor Glaser kommen, der seine Geschichte über den
Klimawandel bestimmt nicht allein aus Jux und Tollerei
geschrieben hat. Er kommt zu der Erkenntnis, dass in den
letzten 1 000 Jahren die Durchschnittstemperatur in Mit-
teleuropa nur um 1,5 Grad Celsius geschwankt hat,
während wir in den nächsten 100 Jahren mit einer Erwär-
mung um mindestens 1,4 bis maximal 5,8 Grad Celsius
rechnen müssen.




Dr. Hermann Otto Solms
14898


(C)



(D)



(A)



(B)


In dieser Situation so zu tun, als könnte man weiter so
handeln wie bisher, zeugt einfach von Politikunfähigkeit.


(Beifall bei der PDS)

Sie haben keine eigene Antwort. Ich möchte mich nicht
weiter damit auseinander setzen. Es ärgert mich aber
schon, wenn Sie bei der Begründung Ihres Entwurfs, die
nicht einmal analytisch ist, auf die neuen Bundesländer
Bezug nehmen. Es ist sicher so, dass die gestiegenen
Preise insbesondere die Menschen in den neuen Bundes-
ländern belasten.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Das habe ich ja gesagt!)


Ich frage mich, warum Sie dann nicht zum Beispiel dem
Antrag, den die PDS in der vergangenen Woche im Fi-
nanzausschuss gestellt hat, zugestimmt haben, in dem wir
die Aufhebung der zweijährigen Begrenzung der steuerli-
chen Absetzbarkeit von Zweitwohnungen gefordert ha-
ben, einer Begrenzung, die von Ihnen eingeführt wurde
und die eine wirkliche Behinderung für die Menschen ist,
die zum Beispiel in Leipzig wohnen und in Stuttgart ar-
beiten und die nicht umziehen können bzw. wollen, weil
die Kinder in Leipzig zur Schule gehen und es in Sachsen
ein anderes Schulsystem als in Baden-Württemberg gibt.


(Beifall bei der PDS – Heinz Seiffert [CDU/ CSU]: Das hat doch damit nichts zu tun!)


– Das hat damit sehr wohl etwas zu tun; denn man kann
nicht einfach nur so Mobilität fordern. Man muss viel-
mehr die konkreten Bedingungen analysieren. Erst dann
kann man konkrete Antworten geben.

Ich muss leider zugeben, dass die rot-grüne Regie-
rungskoalition Ihnen durch eine schlecht gemachte Öko-
steuerreform erst das Einfallstor für Ihre platte Kampagne
geöffnet hat. Fakt ist leider: Ihre Ökosteuer ist eben nicht
ökologisch. Sie hat kaum ökologische Lenkungswir-
kung.


(Beifall bei der PDS – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Jetzt wird es falsch!)


– Herr Binding, man kann sich nicht darauf beschränken,
zu sagen: Wir verteuern jetzt ein kleines bisschen den
Strom und das Mineralöl. Wo ist denn bitte schön nun das
Dreiliter- oder das Einliterauto? Wo ist der Boom bei den
neuen Umwelttechnologien? Durch Ihre Ökosteuer ist
nichts dergleichen angeschoben worden. Man kann sich
die Ökosteuerreform, wie es im Finanzausschuss gesche-
hen ist, natürlich schönreden und sie zur Erfolgsge-
schichte von Rot-Grün umstricken. Aber darüber lacht
nicht nur ein Großteil der Abgeordneten im Parlament,
sondern auch diejenigen, die nicht hier sitzen. Die Men-
schen fühlen sich dadurch regelrecht veralbert.

Man kann zudem eine ökologische Steuerreform nur
dann in der Bevölkerung durchsetzen, wenn man sie so-
zial gerecht ausgestaltet. Das haben Sie eben nicht getan.
Die Ökosteuer ist keine sozial gerechte Steuer, weil sie
einseitig Rentnerinnen und Rentner, Sozialhilfeempfän-
gerinnen und -empfänger, Studentinnen und Studenten
belastet; denn diese haben nichts davon, dass das Auf-
kommen aus der Ökosteuer zur Senkung der Renten-

beiträge verwendet wird. Wenn man eine Ökosteuerre-
form durchführt, ohne gleichzeitig eine Wende in der Ver-
kehrspolitik einzuleiten, nimmt man von vornherein in
Kauf, dass sie Stückwerk bleibt.

Wir können hier gerne ausführlich darüber diskutieren,
warum Sie den ÖPNV in die Ökosteuerreform einbezo-
gen haben; denn das ist völlig unerklärlich. Nehmen Sie
Berlin als Beispiel: Im August sollen die Preise für den
öffentlichen Personennahverkehr wieder erhöht werden.
Der Fahrschein für eine einfache Fahrt wird dann
4,20 DM kosten. Da kann doch niemand davon sprechen,
dass die Menschen zum Umstieg auf den öffentlichen
Personennahverkehr angeregt werden. Der öffentliche
Personennahverkehr kommt dadurch nicht aus der Spirale
heraus, die darin besteht, dass immer weniger Menschen
mit dem ÖPNV fahren, dass der ÖPNV dadurch immer
teurer wird und dass dann im nächsten Jahr unweigerlich
die nächste Preiserhöhung ansteht. Das ist eine Politik, die
sehr kurzfristig angelegt ist.

Da einige Abgeordnete offenbar nur ein Kurzzeit-
gedächtnis haben – ich denke, dass sie manchmal wirklich
darunter leiden –,


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Jetzt wird sie persönlich!)


möchte ich auf unseren Entschließungsantrag auf Druck-
sache 14/4534, den wir eingebracht haben, verweisen, der
einen Katalog mit notwendigen Maßnahmen enthält.
Denn wenn Sie von der Bundesregierung in der Diskus-
sion über die Ökosteuer hauptsächlich daran denken, wie
das Straßennetz am besten ausgebaut werden kann,
während die Bahn vor Problemen steht und flächen-
deckend Strecken stilllegt, so zeugt das eindeutig davon,
dass Ihre Politik sehr kurzfristig angelegt ist. Leider ha-
ben Sie das Instrument Ökosteuer, mit der sich tatsächlich
eine ökologische Lenkungswirkung erzielen ließe, dis-
kreditiert.

Wir von der PDS sind für eine Verteuerung des Um-
weltverbrauchs, aber nicht auf diese Art und Weise. Des-
halb lehnen wir Ihre Ökosteuer weiterhin ab. Wir lehnen
allerdings auch den Gesetzentwurf der CDU/CSU ab. Der
Vorschlag der F.D.P. ist zwar vom Ansatz her verständ-
lich. Aber mit ihm wird leider nur der europäische Sub-
ventionswettlauf weiter vorangetrieben. Deshalb ist auch
das nicht der richtige Weg.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415215500
Das Wort hat jetzt der
Kollege Wolfgang Grotthaus für die SPD-Fraktion.


Wolfgang Grotthaus (SPD):
Rede ID: ID1415215600
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Wir reden heute erneut über
die Ökosteuer; ich weiß gar nicht, zum wievielten Male.
Ich hoffe aber, dass dies das letzte Mal sein wird;


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Das hoffen Sie nur!)





Dr. Barbara Höll

14899


(C)



(D)



(A)



(B)


denn das Interesse in Ihren Reihen, Herr Seiffert, zeugt
davon, dass das Thema sozusagen ausgelutscht ist. An-
sonsten wären mehr von Ihren Kolleginnen und Kollegen
im Parlament anwesend, zumal Sie die Debatte verlangt
haben.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Ich glaube, von uns sind mehr anwesend als von Ihnen!)


Auch der heute ebenfalls zur Debatte stehende Antrag
der F.D.P. stellt einen neuerlichen Versuch dar, über eine
scheinbare Initiative zum Güterkraftverkehr die Öko-
steuer infrage zu stellen. Die F.D.P. macht für die Lage des
Güterkraftverkehr die Ökosteuer verantwortlich,


(Zuruf von der CDU/CSU: Was denn sonst?)

obwohl sie genau weiß, dass die steuerliche Seite hier
nicht verantwortlich ist.

Die Opposition sollte durch die Anhörung zum
Thema Ökosteuer im November 2000 eigentlich dazu-
gelernt haben. Diese Anhörung wurde von der Opposition
inszeniert; doch dieses Schauspiel ist von der Öffentlich-
keit und von den Kritikern verrissen worden.


(Beifall bei der SPD – Heinz Seiffert [CDU/ CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Wir waren doch beide dabei! Lesen Sie einmal das Protokoll!)


– Herr Seiffert, darauf komme ich gleich noch zurück.
Wie Herr Kollege von Weizsäcker bereits darstellte,

fand sich auch nicht ein Ökonom, der sich auf Ihre Seite
schlug.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Das stimmt auch nicht!)


Sehr eindrücklich wird dieses für die Regierungspolitik so
positive Echo zu Beginn dieses Jahres im „Spiegel“ dar-
gestellt. Niederschmetternd, Herr Seiffert, ist das Urteil
für die Opposition:

Steuerpolitik muss stetig und verlässlich sein.
... Ganz besonders gelte das für die Ökosteuer, so der
Darmstädter Wirtschaftsexperte Rürup.
Bei der Expertenanhörung ... stand die Union fest an
der Seite der Autolobbyisten ...
Fachleute raufen sich die Haare. Selten sei eine poli-
tische Diskussion „dermaßen jenseits jeder Sachar-
gumentation“ geführt worden, klagt ein hoher Beam-
ter im Berliner Umweltbundesamt. ...
Umweltexperten, vor allem aber Finanz- und Wirt-
schaftswissenschaftler attestierten den Christdemo-
kraten „fehlerhafte Annahmen und falsche Behaup-
tungen“.

Schließlich zitiere ich noch Dieter Ewringmann.

(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Fällt euch sonst nichts ein?)

– Führen Sie sich das doch einmal zu Gemüte, hören Sie
doch einmal zu!


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Wenn die Kritik so einhellig war, warum dann immer dasselbe Zitat?)


Dann werden Sie in Ruhe überlegen können. Wir gehen
nämlich davon aus, dass Sie solche Anträge dann weiß
Gott nicht mehr stellen werden.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Das hätten Sie gerne!)


Zum Schluss also zitiere ich noch eine Äußerung von
Herrn Ewringmann, über die Sie besonders nachdenken
sollten:


(Beifall bei der SPD)

Die Behauptung, die Ökosteuer belaste die Bürger,
Wirtschaft, den Arbeitsmarkt und den Umwelt-
schutz, widerspreche „sämtlichen vorliegenden em-
pirischen Untersuchungsbefunden“. Die Union igno-
riere „triviale Zusammenhänge“ und arbeite mit
falschen Zahlen.

(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Nutzen Sie doch Ihre Redezeit besser! Das hat doch Herr Loske schon erzählt!)


– Dies, Herr Seiffert, auch zu Ihrer Bemerkung, die Öko-
steuer sei von Anfang an eine Fehlkonstruktion gewesen.
Festzuhalten ist, dass Sie nichts dazugelernt haben: nicht
weil Sie es nicht verstehen, sondern weil Sie in Ihren
Denkstrukturen verhaftet sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Im Gegensatz zu Ihnen, was?)


Mein Kollege von Weizsäcker hat schon die zentralen
Punkte der Ökosteuer aufgelistet. Ich möchte hier
nochmals einen der wichtigsten Punkte der Ökosteuer
aufgreifen, die Senkung der Lohnnebenkosten und damit
die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen.


(Zuruf des Abg. Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU])


– Herr Fromme, stellen Sie ruhig eine Zwischenfrage. Ich
erinnere mich noch an eine Zwischenfrage von Ihnen, bei
deren Beantwortung Sie am liebsten den Saal verlassen
hätten.

Die Opposition sollte nochmals die Zahlen des Deut-
schen Instituts für Wirtschaft und des RWI nachlesen, die
sich auf die Neuschaffung und den Erhalt von Arbeits-
plätzen durch die Ökosteuer beziehen. Dies sollten wir
den Arbeitnehmern in unserer Republik sagen, weil sie
von der Ökosteuer auch diesbezüglich profitieren.

Der Einsatz der F.D.P. für den Güterkraftverkehr in al-
len Ehren, ihr Antrag geht aber meines Erachtens völlig an
der Sache vorbei. Hier geht es nicht alleine um die Öko-
steuer, sondern es muss uns um die gesamte Wettbe-
werbslage im Güterkraftverkehr gehen. Die steuerliche
Seite ist nicht an vorhandenen Wettbewerbsverzerrungen
schuld. Zum Beispiel ist die Kraftfahrzeugsteuer unter
Berücksichtigung aller rechtlichen und tatsächlichen Rah-
menbedingungen ungeeignet, eine spürbare Verbesserung
der wirtschaftlichen Situation im deutschen Güterkraft-




Wolfgang Grotthaus
14900


(C)



(D)



(A)



(B)


verkehr herbeizuführen. Da sind viele weitere Faktoren
entscheidend; ich nenne nur den Faktor Sozial- und Lohn-
dumping. Das wissen Sie, meine Damen und Herren von
der F.D.P., genauso wie wir.

Aus diesem Grunde ist im zuständigen Fachausschuss
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen folgende Emp-
fehlung verabschiedet worden:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie-
rung auf, dem Deutschen Bundestag einen Bericht
vorzulegen, aus dem die Wettbewerbsverzerrungen
im europäischen Güterkraftverkehrsgewerbe bei
Steuer- sowie bei Sozial- und Umweltstandards her-
vorgehen; dem Deutschen Bundestag darüber zu be-
richten, welche Schritte die Bundesregierung in den
letzten zwei Jahren bereits unternommen hat, um die
Harmonisierungsdefizite zu verringern; den Deut-
schen Bundestag darüber zu informieren, wo die Wi-
derstände gegen eine Harmonisierung der Wettbe-
werbsbedingungen in erster Linie zu suchen sind.

Erst wenn diese Fragen beantwortet sind und alle Ant-
worten diskutiert werden können,


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Dann sind die „Spedis“ kaputt!)


werden wir uns in aller Ruhe und mit allen Fakten über
den Güterkraftverkehr unterhalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Diese Zeit haben die „Spedis“ nicht!)


Ich möchte ein letztes Zitat vortragen, mit dem ich
mich nicht nur an Sie, Herr Seiffert, sondern an alle Kol-
leginnen und Kollegen der CDU und der CSU richten
will. Folgende Sätze sind in einem Artikel des Informati-
onsdienstes des Zentralkomitees der deutschen Katholi-
ken unter der Überschrift „Warum die Ökosteuer zu er-
halten ist“ veröffentlicht worden:

Die Ökosteuer kann ein kleines, aber wichtiges Ele-
ment auf dem Weg zu einem verträglichen Ausgleich
zwischen Ökonomie und Ökologie sein. Es ist eine
Frage christlicher Schöpfungsverantwortung, dazu
beizutragen, dass sie entsprechend akzeptiert und
transformiert wird.

Der Autor ist Prof. Dr. Markus Voigt, Leiter der Clearing-
stelle Kirche & Umwelt, Benediktbeuren. Vielleicht ver-
suchen Sie einmal, dieses Informationsmaterial zu be-
kommen. Möglicherweise brechen Sie dann aus Ihren
engen Denkstrukturen aus und lernen tatsächlich etwas
dazu.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415215700
Das Wort hat der Kol-
lege Michael Meister für die CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Michael Meister (CDU):
Rede ID: ID1415215800
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das deutsche

Güterkraftverkehrsgewerbe geht wirtschaftlich auf dem
Zahnfleisch.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Das ist die Realität!)


Es steht aufgrund der Liberalisierung des europäischen
Binnenmarkts in scharfem Konkurrenzkampf. Dafür gibt
es drei wesentliche Gründe: erstens die fehlende Harmo-
nisierung der Wettbewerbsbedingungen, zweitens die il-
legalen Praktiken der Konkurrenz, drittens die politischen
Entscheidungen dieser Bundesregierung. Deshalb steht
die Bundesregierung in der Verantwortung, dem deut-
schen Güterkraftverkehrsgewerbe kurzfristig Flanken-
schutz zu geben, wenn nicht ein Großteil der 380 000 Ar-
beitsplätze vor allem im Bereich des mittelständischen
Gewerbes verloren gehen soll.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das kümmert die doch gar nicht!)


Leider spricht nichts dafür, dass sich die Bundesregie-
rung dieser Verantwortung bewusst ist. Sie nimmt, Herr
Kollege Grotthaus, die Probleme lediglich zur Kenntnis;
schließlich sind sie alle im Verkehrsbericht 2000 aufgelis-
tet. Jedoch frage ich mich, was Ihre Beschlussempfehlung
soll. All das, was Sie sich berichten lassen wollen, steht
im Verkehrsbericht 2000. Wir brauchen hier keine
Berichte, sondern Handlungen. Frau Mertens, Herr
Bodewig, handeln Sie endlich und tun Sie etwas für das
deutsche Verkehrsgewerbe!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Statt die Harmonisierung auf der EU-Ebene zu be-
schleunigen, hat unsere Bundesregierung – vor dem Hin-
tergrund massiver Kraftstoffverteuerungen – einem neuen
Subventionswettlauf in der EU zugestimmt. Die Konkur-
renten in Frankreich, Italien, Belgien und Holland haben
mit Zustimmung der deutschen Bundesregierung Rück-
vergütungen bekommen. Somit ist das deutsche Gewerbe
nicht nur national, durch die Ökosteuer, belastet. Die Ver-
günstigungen, die mit der Stimme der deutschen Bundes-
regierung der Konkurrenz genehmigt wurden, haben es
zusätzlich belastet. Sie haben durch die Ökosteuer keine,
wie Sie immer sagen, „Win-win-Situation“, sondern eine
„Lose-lose-Situation“ herbeigeführt. Es handelt sich um
einen doppelten Nachteil für Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Bundesregierung unterschätzt in fahrlässiger

Weise die Folgen der Ökosteuer hinsichtlich ihrer Wir-
kung auf die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Güter-
kraftverkehrsgewerbes. Höhere Beförderungsentgelte
sind auf dem Markt nicht durchzusetzen. Auf der geplan-
ten Endstufe der Ökosteuer, der fünften Stufe, haben die
deutschen Transportunternehmen unter Berücksichtigung
der steuerlichen Vorteile in anderen EU-Ländern pro Jahr
und Fahrzeug Mehrkosten in Höhe von netto 13 250 DM
zu tragen. Diese Mehrkosten lassen sich nicht auf den
Preis umlegen, wenn man in einem liberalisierten Markt
tätig ist.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: So ist es!)





Wolfgang Grotthaus

14901


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Bundesregierung hat in einer Antwort auf eine An-
frage unseres Kollegen Sebastian erklärt, dass kleine und
mittlere Unternehmen im gewerblichen Güterkraftver-
kehr „unter Umständen strukturelle Veränderungen vor-
nehmen müssen, um im europäischen Wettbewerb zu be-
stehen“. Es ist, als ob man Hohn und Spott über die
deutschen LKW-Fahrer und das deutsche Transportge-
werbe ausgießt, wenn man ihnen zumutet, sich strukturell
neu aufzustellen, obwohl man selbst die Verantwortung
für ihre Probleme trägt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Grotthaus, nehmen Sie diese Fakten doch einfach

zur Kenntnis! Wenn Sie das tun, dann brauchen Sie keine
Berichte anzufordern. Allen, die sich hier damit befassen,
ist das, was ich sage, bekannt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Loske, ich gehe davon aus, dass Sie ähnlich wie

der Kollege Grotthaus bei irgendeiner anderen Anhörung,
aber nicht bei der zur Ökosteuer waren. Dort ist nämlich
klar und deutlich gesagt worden, dass diese Ökosteuer für
unsere Unternehmen ökonomisch nicht vertretbar ist und
den Arbeitsplätzen am Standort Deutschland schadet.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine selektive Wahrnehmung!)


Ich will aber nicht nur über die Frage reden, wer in
Deutschland fährt, sondern auch über die Situation des
Logistikgewerbes in Deutschland insgesamt. In diesen
Komplex gehört zum Beispiel auch die Stromsteuer. Für
Logistikunternehmen gibt es am Standort Deutschland
keine Ermäßigung bei der Stromsteuer. Unsere europä-
ischen Nachbarländer haben konsequent auf den deut-
schen Markt ausgerichtete Logistikstandorte in Grenz-
nähe geschaffen und locken mit strukturellen Vorteilen:
geringere Steuern, niedrigere Investitionskosten, flexible-
rer Arbeitsmarkt, kürzere Genehmigungszeiten. Das alles
sind Vorteile, die gewährt werden, um gezielt Arbeits-
plätze aus Deutschland über die offene Grenze im EU-
Binnenmarkt herauszuziehen. Was tut die deutsche Bun-
desregierung? Sie sieht zu und unterstützt diese Ent-
wicklung durch die Erhebung von Strom- und Ökosteuer.
Das ist unverantwortlich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Die nächste einschneidende Änderung steht uns schon
bevor. Sie haben ja den Gipfel von Nizza als großen Er-
folg gelobt; aufgrund der dort gefällten Beschlüsse
kommt die EU-Osterweiterung auf uns zu. Wie wird ei-
gentlich das deutsche Logistikgewerbe auf die EU-Ost-
erweiterung vorbereitet? Was tun wir, um eine Stufenlö-
sung hinzubekommen, damit diejenigen, die dort zu
Billigstlöhnen und -konditionen anbieten, nicht unsere
Marktpreise total verderben? Die Bundesregierung wäre
hier gefordert; im Zusammenhang mit Nizza habe ich
dazu nichts gehört. Sehen Sie sich die Entwicklung im
Jahre 2000 an: Das Mengenwachstum im Logistikmarkt
wurde zu 10 Prozent von ausländischen Unternehmen und
zu lediglich 1,6 Prozent von deutschen Unternehmen ab-

geschöpft. Das zeigt, wo die Entwicklung hingeht. Sie
aber schauen zu, handeln nicht, sondern lassen sich nur
Berichte geben und auf diese Weise informieren. Handeln
Sie endlich, sonst verschwinden die Arbeitsplätze aus
Deutschland!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wir brauchen dringend mit Blick auf das deutsche
Güterkraftverkehrsgewerbe ein Maßnahmenpaket zur
Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen. 11 von 15
EU-Ländern subventionieren ihre Unternehmen, die
Deutschen schauen zu. Hier ist dringend Handlungsbe-
darf geboten. Im Rahmen der EU-Osterweiterung muss
die Interessenlage des deutschen Transportgewerbes strikt
beachtet werden. Wir brauchen eine Stufenlösung, damit
ein gemeinsamer Markt unter vergleichbaren Wettbe-
werbsbedingungen entsteht.

Wir brauchen schnellstens ein Gesamtkonzept zur
Bekämpfung der grauen und illegalen Kabotage sowie
der illegalen Beschäftigung im EU-Straßengüterverkehrs-
gewerbe. Die Bundesregierung hat einen entsprechenden
Gesetzentwurf im Kabinett verabschiedet. Es ist dringend
erforderlich, dass dieser Gesetzentwurf rasch beschlossen
und durchgesetzt wird, damit deutsche Unternehmen die
gleichen Chancen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wir müssen darüber hinaus etwas bezüglich der Öko-
Punkte-Problematik mit Österreich tun. Hier dürfen wir
die deutschen Unternehmen nicht alleine lassen und ihre
Interessen an diesem wichtigen Nord-Süd-Transportweg
in Europa nicht aus den Augen verlieren.

Wir brauchen ferner eine streckenbezogene, nutzungs-
abhängige LKW-Gebühr. Sie ist nötig, muss aber auf-
kommensneutral sein. Wir brauchen keine neuen Belas-
tungen. Außerdem muss sie bald eingeführt werden. Ich
glaube Herrn Bodewig nicht mehr, Frau Mertens. Ich
glaube nicht, dass sie 2003 kommen wird. Sie kündigen
an, dass diese Gebühr für LKWkommt. Ich frage Sie: Wie
weit sind Ihre Vorbereitungen? Es wird an dieser Stelle
viel zu wenig getan. Zugleich kommen wir in die Situa-
tion hinein, dass Ihr groß angekündigtes Anti-Stau-Pro-
gramm nur auf dem Papier finanziert erscheint, tat-
sächlich aber die Finanzierungsgrundlage fehlt. Hier ist
dringend Handlungsbedarf geboten.

Ich komme zum Punkt Ökosteuer. Die Ökosteuer muss
dringend abgeschafft werden, da sie die Wettbewerbssitu-
ation zusätzlich verschärft, ihre ökologische Lenkungs-
wirkung verfehlt und Aufkommensneutralität nicht gege-
ben ist. Wir haben immer gesagt: Klimaschutz hat für uns
Priorität, wenn EU-weite Maßnahmen ergriffen werden,
diese emissionsbezogen, aufkommensneutral und wettbe-
werbskonform sind. Von allen vier Punkten sind Sie mei-
lenweit entfernt, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Heute Morgen gab es eine intensive Debatte über IT-

Technologie. Der Logistikmarkt ist dabei, in immer klei-
nere Transporteinheiten zu zerfallen. Miniaturisierung




Dr. Michael Meister
14902


(C)



(D)



(A)



(B)


heißt das Stichwort. Was tun wir in Deutschland? Wir be-
hindern Transport- und Logistikgewerbe durch ständig
mehr Regulierung. Wir brauchen eine Öffnung, damit der
deutsche Markt von dieser durch die neuen Technologien
ausgelösten Entwicklung auf dem Logistikmarkt profitie-
ren kann. Hier sind weitere Verbote, mehr Regulierung
und weitere Behinderungen und Verteuerungen nicht
sinnvoll, hier bedarf es einer wettbewerbsgerechten Öff-
nung des Marktes, damit unsere Unternehmen an dieser
Entwicklung teilhaben können. Da sind intelligente, zu-
kunftsgerichtete Antworten nötig und nicht Ihre rück-
wärts gerichteten Verbote, Restriktionen und Ver-
teuerungen.

Wenn wir eine Chance haben wollen, dann ist der Weg
über die Verteuerung von Benzin nicht richtig; stattdessen
müssen neue Technologien gefördert und vorangebracht
werden. Man muss zukunftsgewandt agieren und nicht
mit Verboten, Steuererhöhungen und zusätzlichen Belas-
tungen hantieren. Sie tun nichts für die Ökologie in
Deutschland, sondern Ihre Politik richtet sich gegen die
Unternehmen und Arbeitsplätze am Standort Deutsch-
land.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Kommen Sie endlich zur Besinnung, führen Sie eine

Wende zu mehr Ökologie, mehr Arbeitsplätzen und einer
besseren Wirtschaftspolitik durch! Dann haben Sie uns an
Ihrer Seite.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415215900
Nächster Redner ist
der Kollege Albert Schmidt für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Jetzt berichtet er, wie die Deutsche Bahn von der Ökosteuer belastet ist!)


Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist im Moment schon eine verrückte Ge-
fechtslage: Vorgestern hat der Ecofin-Rat, also die ver-
sammelten europäischen Finanzminister, beschlossen,
dass man die – wie ich hoffe, von uns allen für falsch ge-
haltenen – Steuervergünstigungen, die einige europäische
Mitgliedstaaten für den LKW-Verkehr gewährt hatten,
erstens sofort um 20 Prozent reduziert, sie nämlich auf
40 000 statt bisher 50 000 Liter pro Jahr und Fahrzeug be-
grenzt, und dass man sie zweitens bis Ende 2002 befristet.

Zwei Tage später behandeln wir im Bundestag einen
Antrag von der rechten Seite des Hauses, der zum Inhalt
hat, vergleichbare Subventionen für das speditierende
Gewerbe in Deutschland einzuführen. Sie sagen Harmo-
nisierung, aber Sie meinen Subventionswettlauf. Das ist
der Fehler Ihres Antrags.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Herr Kollege Meister, in den ersten beiden Punkten Ih-
rer Problemanalyse stimme ich Ihnen ausdrücklich zu.
Was aber sind die wirklichen Probleme des Güterver-
kehrs, insbesondere der mittelständischen Unternehmen
des speditierenden Gewerbes? Sie haben Recht, wenn Sie
auf die illegale Kabotage verweisen. Dagegen ist die Bun-
desregierung vorgegangen und mit dem bekannten Ge-
setzentwurf tätig geworden. Aber das eigentliche Problem
ist eine gnadenlose Deregulierung und Liberalisierung,
einhergehend mit einem Preisverfall, der dazu führt, dass
niemand mehr bereit ist, den Transport per LKW zu be-
zahlen. Es ist heute billiger, mit dem Taxi von München
nach Hamburg zu fahren, als die Strecke per LKW
zurückzulegen. Das ist das eigentliche Problem, das wir
angehen müssen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Es ist ja wohl logisch, dass ein Taxi billiger ist als ein LKW!)


Kommen wir einmal ganz nüchtern zu dem Thema Mi-
neralölsteuer. Sie sagen ja, das sei das Hauptproblem.
Der Preis für einen Liter Diesel an deutschen Tankstellen
lag zu Beginn des Jahres 2001 im Durchschnitt bei etwa
1,60 DM.

In den Niederlanden, die als eines der subventionsge-
benden Länder als Vergleich herangezogen werden, liegt
der Preis bei 1,64 DM. Selbst wenn ich die 4,7 Pfennig,
die das Güterkraftgewerbe dort als Steuerbegünstigung
wieder herauskriegt, abziehe, Herr Solms, bin ich immer
noch bei 1,60 DM, also dem deutschen Niveau.

Oder nehmen Sie Frankreich: Der Tankstellenpreis für
Diesel liegt dort heute durchschnittlich bei 1,72 DM.
Selbst wenn die 7,5 Pfennig Vergünstigung abgerechnet
werden, liegt der Preis mit 1,64 DM nach Adam Riese im-
mer noch 4 Pfennig höher als in Deutschland.

In Italien, ein weiterer Subventionssünder, liegt der
Tankstellenpreis für Diesel bei 1,85 DM. Wenn ich die
Steuervergünstigung, also das, was erstattet wird, ab-
ziehe, dann beträgt der Preis 1,72 DM, 12 Pfennig mehr
als in Deutschland.

Lieber Herr Kollege Solms, wenn Sie behaupten, das
Hauptproblem des speditierenden Gewerbes sei die Mi-
neralölsteuer, dann kann ich Ihnen nur sagen: Sie haben
sich mit der Verkehrspolitik heute keinen Namen ge-
macht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Herr Schmidt, Sie verstehen nichts davon! – Zuruf von der CDU/CSU: Erzählen Sie mal etwas von Gütern auf die Bahn! – Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Bitte schön.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415216000
Herr Kollege Solms,
Ihre Zwischenfrage, bitte.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415216100
Herr Kollege
Schmidt, sollte es Ihnen entgangen sein, dass sich unser




Dr. Michael Meister

14903


(C)



(D)



(A)



(B)


Antrag auf die Senkung der Kfz-Steuer und nicht der Mi-
neralölsteuer gerichtet hat?

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Das ist mir natürlich nicht entgangen, weil
ich die Anträge der F.D.P. immer besonders genau lese.
Ich bin dankbar für Ihre Frage; denn jetzt kann ich Ihnen
dazu unmittelbar Antwort geben.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Voll daneben!)

In Ihrem Antrag, Herr Kollege Solms, heißt es zunächst

ganz pauschal – ich kann es fast auswendig –, der Deut-
sche Bundestag möge die Bundesregierung auffordern,
die Kraftfahrzeugsteuer für LKW abzusenken. Dann ist
die Rede vom europäischen Mindestniveau. Da denkt
man: Hoppla, das ist ja eine Wohltat für alle.

Liest man aber vier Zeilen weiter, so stellt man fest,
dass jedoch für die schweren LKW der Klassen Euro 1
und Euro 2, also für die normalen bis mittleren Stinker
– das sind die meisten Fahrzeuge –, der Steuersatz beibe-
halten werden soll. Nur für Fahrzeuge der Klasse Euro 3
soll die Steuer gesenkt werden. Da wird der Antrag also
wieder eingeschränkt.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Ökologischer Ansatz!)


Ich sage Ihnen Folgendes, Herr Kollege: Der Steuer-
satz für Euro 2 ist im Vergleich zu Euro 1 bereits abge-
senkt. Für einen 40-Tonner müssen, sofern dieser die
Euro-2-Norm erfüllt, schon heute 700 DM weniger Kraft-
fahrzeugsteuer gezahlt werden als für einen alten
Euro-1-Stinker.


(Zuruf von der F.D.P.: Das steht gar nicht zur Debatte, was Sie da erzählen!)


Gleiches gilt für Euro-3-Fahrzeuge.

(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Sie haben den An trag nicht verstanden!)

Was wir beachten sollten – dieser Punkt ist leider in

Ihrem Antrag nicht enthalten; aber man kann ihn mit
gutem Willen hineininterpretieren –, ist, dass die nächste
Generation von besonders schadstoffarmen LKW unmit-
telbar vor der Markteinführung steht. Wenn wir uns jetzt
in Bezug auf Euro 4 darauf einigen könnten – darüber
möchte ich mit Ihnen ernsthaft diskutieren –, eine zu-
sätzliche Begünstigung in Richtung Mindeststeuersatz
einzuführen, um diese Technologie beschleunigt auf den
Markt zu bringen, dann kämen wir vielleicht zusammen.
Ich möchte das Finanzministerium bitten, in diese Rich-
tung Überlegungen anzustellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Wir lassen uns von Ihnen nichts hineininterpretieren! Wir formulieren unsere Anträge selber!)


Was mir, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
F.D.P., nicht gefallen hat und was ich nicht als seriös emp-
finde, ist, dass Sie Steuersenkungen vorschlagen – egal,
für welchen guten Zweck –, ohne zu sagen, wie sie
gegenfinanziert werden sollen. Sie haben in der Begrün-

dung Ihres Antrags geschrieben – ich habe nicht nur Ihren
Antrag, sondern auch Ihre Begründung dazu gelesen –,
dass die Steuerentlastung durch eine Erhöhung der Kfz-
Steuer zum 1. Januar 2001 für diejenigen Fahrzeuge fi-
nanziert werden solle, die nur wenig emissionsreduziert
sind. Ich muss Sie daran erinnern, dass die ab 1. Januar
2001 geltende Steuererhöhung für die besonders schad-
stoffreichen und wenig modernen Fahrzeuge Bestandteil
eines Paketes gewesen ist, das Sie selbst 1997, als Sie
noch in der Regierung waren, mit den Ländern ausgehan-
delt haben – und zwar für die Länder aufkommensneutral.
Wenn Sie den Ländern also diese 1 Milliarde DM weg-
nehmen, dann würden Sie Ihr Versprechen brechen, das
Sie ihnen 1997 gegeben haben. Das ist absolut unseriös.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Lassen Sie mich abschließend noch eine kurze Bemer-
kung zu dem Thema Kerosinbesteuerung machen, das
ebenfalls auf der Tagesordnung steht. Ich halte es für eine
pure Selbstverständlichkeit, dass der Bundestag mit den
Stimmen des ganzen Hauses dem Entschließungsantrag
der Koalitionsfraktionen folgt und die Bundesregierung
nachdrücklich ersucht, die Einführung einer Kerosinbe-
steuerung oder eines vergleichbaren fiskalischen Elemen-
tes einer emissionsbezogenen Treibstoffabgabe auf inter-
nationaler Ebene im Gleichklang mit den anderen
Mitgliedstaaten zu forcieren. Wir waren 1995 schon ein-
mal weiter. Ich weiß dies ganz genau, weil ich zu diesem
Thema meine erste Rede als frisch gebackener Abge-
ordneter gehalten habe.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Wer regiert denn jetzt?)


Damals haben Politiker wie Schäuble – ein wirklich Wert-
konservativer! – dem zugestimmt. Heute wollen Sie da-
von nichts mehr wissen, Sie Scheinkonservativen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415216200
Das Wort zur Ge-
schäftsordnung hat der Kollege Peter Ramsauer.


Dr. Peter Ramsauer (CSU):
Rede ID: ID1415216300
Frau Präsidentin,
ich möchte gemäß § 42 unserer Geschäftsordnung na-
mens meiner Fraktion die Herbeirufung einer Vertreterin
oder eines Vertreters des Bundesfinanzministeriums be-
antragen. Die Federführung liegt nämlich beim BMF.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Hendricks war da!)


– Sie ist jetzt nicht da.

(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Sie war die ganze Zeit dabei!)

Dieses Ressort ist nicht vertreten.

Wir haben schon des Öfteren im Ältestenrat darauf hin-
gewiesen, dass bei wichtigen Debatten die federführen-
den Ministerien durch Abwesenheit glänzen. Es wurde
uns immer wieder zugesagt, dass sich diese Situation




Dr. Hermann Otto Solms
14904


(C)



(D)



(A)



(B)


verbessern würde. Sie hat sich aber nicht verbessert. Des-
wegen bestehen wir darauf, dass die Debatte gegebenen-
falls so lange unterbrochen wird, bis eine Vertreterin oder
ein Vertreter des BMF anwesend ist.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Richtig!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415216400
Das Wort zur Ge-
schäftsordnung hat die Kollegin Steffi Lemke.


Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415216500
Sehr
geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kolle-
gen! Der Kollege Ramsauer hat in meinen Augen zum
wiederholten Male das Parlament mit einer Angelegen-
heit belästigt, die aus meiner Sicht – –


(Widerspruch bei der CDU/CSU – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Fühlen Sie sich belästigt? Sie sind eine Parlamentarierin! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Sie sind eine Belästigung!)


– Sie sollten mich erst einmal ausreden lassen.

(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie haben doch „belästigt“ gesagt!)

Es geht mir darum, festzustellen, dass Sie hier einen Kla-
mauk inszenieren,


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Unglaublich!)


der nichts mit der Anwesenheit eines Vertreters der Bun-
desregierung bei dieser Debatte zu tun hat.

Erstens. Herr Ramsauer, Sie wissen – es wurde Ihnen
auch gesagt –, dass Frau Staatssekretärin Hendricks noch
bis vor kurzem im Plenum anwesend war. Sie hat also den
größten Teil der Debatte verfolgt.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist es! Er war nicht da!)


– Das kann sein. Er hat dann wahrscheinlich nicht be-
merkt, dass Frau Hendricks den größten Teil der Debatte
anwesend war.

Zweitens. Auf der Regierungsbank sind das Ver-
kehrsministerium, das Umweltministerium und ein wei-
teres Ministerium vertreten. Ferner ist Staatsminister
Schwanitz anwesend. Mit Hinweis darauf, dass ein Ver-
treter des Finanzministeriums den größten Teil der De-
batte anwesend war, möchte ich feststellen, dass die Re-
gierung in dieser Debatte ausreichend repräsentiert ist.
Ich betrachte das also als eine Inszenierung hier im Parla-
ment, die mit der Geschäftsordnung wenig zu tun hat, da
die Bundesregierung der Debatte natürlich aufmerksam
gefolgt ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415216600
Zur Geschäftsordnung
hat sich jetzt der Parlamentarische Geschäftsführer
Dr. Küster gemeldet.


Dr. Uwe Küster (SPD):
Rede ID: ID1415216700
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Herr Ramsauer, Sie wissen si-
cherlich, dass der Bundesfinanzminister durch einen Un-
fall gesundheitlich angeknackst ist und dass dadurch eine
gewisse personelle Schwierigkeit entstanden ist. Die bei-
den Staatssekretäre versuchen im Augenblick natürlich,
die Hausleitung wahrzunehmen.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Dass es nötig ist, am Rande des Plenums eine Reihe

von Abstimmungsgesprächen zu führen, wissen Sie aus
Ihrer Regierungszeit genau. Sie handeln im Augenblick
sehr unfair. Sie wissen auch genau, dass die Staatssekre-
tärin den größten Teil der Debatte mit verfolgt hat. Ich bin
sicher, dass sie auch am Ende dieser Debatte wieder im
Plenum sein wird.


(Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks nimmt auf der Regierungsbank Platz)


– Da ist sie schon.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden also auch den Rest der Debatte in Anwesen-
heit der Staatssekretärin Frau Dr. Hendricks führen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Blamage!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415216800
Dann kommen wir
jetzt zur Abstimmung. Wer dem Antrag auf Herbeirufung
zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Die
Frau Staatssekretärin ist da; Sie sollten sich bei ihr
entschuldigen.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Was sollen wir? Das ist ja unglaublich!)


Ihr Antrag ist doch ein Zeichen dafür, Herr Kollege, dass
Sie nicht die ganze Zeit anwesend waren und nicht mit-
bekommen haben, dass die Frau Staatssekretärin nur kurz
hinausgegangen ist. Wir müssen sie also nicht mehr
herbeirufen und wir müssen auch nicht mehr die Sitzung
unterbrechen. Damit ist dies erledigt.


(Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU] meldet sich zur Geschäftsordnung)


– Was wünschen Sie jetzt?


Dr. Peter Ramsauer (CSU):
Rede ID: ID1415216900
Sie haben mich
aufgefordert, mich zu entschuldigen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415217000
Nachdem die Frau
Staatssekretärin und weitere Mitglieder der Bundesregie-
rung nun da sind, können wir die Debatte fortführen.




Dr. Peter Ramsauer

14905


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Peter Ramsauer (CSU):
Rede ID: ID1415217100
Augenblick, Sie
verwechseln jetzt die Fragerolle, Frau Präsidentin. Sie
fragen mich, was ich will; aber Sie wollten gerade etwas
von mir. Sie haben von mir verlangt, dass ich mich bei der
Frau Staatssekretärin entschuldige. Ich möchte Sie jetzt
fragen, wofür ich mich entschuldigen soll. Ich habe le-
diglich namens meiner Fraktion den Wunsch geäußert,
dass eine Vertreterin oder ein Vertreter des federführenden
Ministeriums kommt. Das ist jetzt geschehen. Insofern
erübrigt sich der Antrag. Aber wenn eine Entschuldigung
für eine Äußerung ausgesprochen werden sollte, dann für
die, dass es eine Belästigung der Koalition und ein Kla-
mauk sei, wenn eine Oppositionsfraktion verlangt, dass
ein Regierungsmitglied herbeigerufen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dieter Grasedieck [SPD]: Sie war doch die ganze Zeit da!)


Das ist ein grundgesetzlich garantiertes Recht.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dass jemand eine Sitzung verlassen hat, haben wir in
dieser Woche schon einmal gehört, nämlich von Joschka
Fischer, der 1969 eine Sitzung nach einer Stunde wegen
Langeweile verlassen hat. Offensichtlich hat auch die
Frau Staatssekretärin dies aus diesem Grund getan.

Langer Rede kurzer Sinn: Sie ist jetzt da, der Antrag
erübrigt sich. Aber ich entschuldige mich für nichts.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415217200
Ich möchte Sie noch
einmal darauf aufmerksam machen, dass die Frau Staats-
sekretärin den überwiegenden Teil der Diskussion anwe-
send war und nur kurz hinausgegangen ist und Sie in der
kurzen Zeit nichts anderes zu tun hatten, als diesen Antrag
zu stellen.

Wir setzen jetzt die Debatte fort. Der letzte Redner ist
der Kollege Reinhold Strobl. Sie haben das Wort.


Reinhold Strobl (SPD):
Rede ID: ID1415217300
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir bera-
ten heute über den Antrag der CDU/CSU, die Mine-
ralölsteuer wieder zu senken


(Zuruf von der [CDU/CSU]: Stimmt gar nicht!)


bzw. die Ökosteuer abzuschaffen. Außerdem will die
F.D.P., dass die Kraftfahrzeugsteuer für schwere LKWs
abgesenkt wird. Beides – das werden Sie sicherlich ver-
stehen oder vielleicht auch nicht – müssen wir ablehnen,
und dies aus mehreren Gründen.

Das Verhalten der CDU/CSU, immer nur zu fordern,
finde ich nicht nur abenteuerlich, sondern geradezu un-
verantwortlich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Würden wir nämlich allen Wünschen der Opposition
nachkommen, würden wir riesige Haushaltslöcher schaf-
fen und unser Land weiter verschulden.

Die Ökosteuer wurde schließlich nicht aus Jux und
Tollerei eingeführt. Der frühere Umweltminister und heu-

tige Chef der UN-Umweltbehörde, Klaus Töpfer, war es
ja selbst, der voller Sorge hinsichtlich des Klimawandels
darauf verwies, dass die Lage überaus kritisch sei und die
extremen Wettersituationen dramatisch zugenommen hät-
ten. Herr Töpfer hat einmal in einem Interview gesagt,
dass er in seiner Zeit als Bundesumweltminister selbst
eine Anhebung des Benzinpreises in jährlichen 10-Pfen-
nig-Schritten empfohlen habe.

Verantwortlich ist man nicht nur für das, was man tut,
sondern auch für das, was man nicht tut. Wir, die Fraktio-
nen der SPD und der Grünen, sind uns unserer Verant-
wortung gegenüber der jetzigen Generation, aber auch
gegenüber nachfolgenden Generationen und unserer Um-
welt bewusst. Meine Damen und Herren von der
CDU/CSU, ich meinte, sogar bei Ihrem früheren
Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Schäuble so etwas wie
Verantwortungsbewusstsein verspürt zu haben. Seine
diesbezüglichen Aussagen sind heute schon zitiert wor-
den.

Von all dem wollen Sie nichts mehr wissen. Sie wettern
gegen die Ökosteuer und sammeln Unterschriften. Was ist
eigentlich mit diesen geschehen? Vielleicht können Sie
mir das bei Gelegenheit einmal beantworten. Sie haben
Unterschriften gesammelt, Postkartenaktionen gestartet;
aber man hat dann nichts mehr davon gehört.

Ihre Mandatsträger – das verurteile ich ganz beson-
ders – verbreiten sogar, dass sich aufgrund der Erhebung
der Ökosteuer die Heizölrechnung verdoppelt hat, ob-
wohl Sie selbst genau wissen, dass das nicht stimmt. Denn
sowohl im Jahre 2000 als auch im Jahre 2001 wurde gar
keine zusätzliche Ökosteuer auf das Heizöl erhoben. Der
Preis stieg aus anderen Gründen an.

Bereits jetzt ist die Europäische Union stark abhängig
von Erdölimporten. Sie musste im Jahre 2000 75 Pro-
zent ihres gesamten Ölbedarfs einführen. Dieser Anteil
dürfte bis zum Jahre 2020 auf über 85 Prozent ansteigen.
2020 werden über 40 Prozent der weltweiten Fördermen-
gen aus der Golfregion stammen. Die Abhängigkeit von
Rohölimporten muss verringert werden. Wir wollen, dass
auch unsere Kinder noch Auto fahren können. Wir haben
die nötigen Weichen gestellt. Die Autohersteller haben
reagiert und setzen immer mehr auf Autos mit niedrige-
rem Kraftstoffverbrauch bzw. auf die Brennstoffzelle. –
Erwähnen möchte ich auch den vermehrten Einsatz von
Biobrennstoffen, welcher neue wirtschaftliche Perspekti-
ven für die Landwirtschaft eröffnet. – Der Verbraucher
wiederum weiß, dass er zum Beispiel beim Kauf eines
Neuwagens auf den Spritverbrauch zu achten hat. Denn er
kann damit, auf längere Sicht gesehen, Geld sparen.

Bei dieser Gelegenheit ist festzustellen – denn es
wurde heute davon gesprochen, dass es sich bei der Öko-
steuer um ein Abkassiermodell handelt –: Wir haben die
Arbeitnehmer und die Familien finanziell entlastet.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Durch unsere Steuerreform profitieren die Arbeitnehmer:
Sie erhalten bis zum Zehnfachen dessen, was sie für die
Erhöhung der Mineralölsteuer ausgeben müssen. Nach
der Gehaltsabrechnung vom 1. Februar dieses Jahres






(C)



(D)



(A)



(B)


bestätigten mir viele Arbeitnehmer – fragen Sie sie doch
einmal selber –, dass sie netto 60, 70, 80 DM – oder sogar
einen noch höheren Betrag – mehr bekommen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie dagegen haben die Mineralölsteuer um 100 Prozent,
um 49 Pfennig, erhöht, ohne dass die Menschen eine Ent-
lastung erhalten haben.

Würden wir Ihren Forderungen nachgeben, so könnten
wir die Steuereinnahmen gleich an die Mitglieder der
OPEC überweisen. Die Absenkung der Kraftfahrzeug-
steuer für schwere LKWs, wie von der F.D.P. vorge-
schlagen, wäre ein falsches Signal und ein Schritt in die
falsche Richtung. Schon heute sind unsere Autobahnen
mit LKWs verstopft. Wir wollen die Straßen entlasten und
wieder mehr Verkehr auf die Schiene bringen. Auch Ihnen
dürfte bekannt sein, dass ein 40-Tonner die Straßen ge-
nauso stark belastet – die Zahlen habe ich vom VCD – wie
160 000 PKWs. Der größte Teil der Straßen- und
Brückenschäden geht direkt auf das Konto der schweren
LKWs. Auch deswegen liegen wir mit unserer Schwer-
verkehrsabgabe richtig.

Mit unserer Politik wollen wir unsere Umwelt schonen
und die verschiedenen Verkehrsträger, die Straße, die
Schiene, das Wasser und die Luft, aufeinander abstim-
men.


(Beifall des Abg. Dieter Grasedieck [SPD])

Auch der Luftverkehr muss dabei in die Anstrengungen
zu einer möglichst sparsamen Verwendung von fossilen
Kraftstoffen einbezogen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir unterstützen die Bundesregierung in ihren Bemühun-
gen, im Luftverkehr auf internationaler Ebene eine Kero-
sinbesteuerung bzw. eine emissionsbezogene Klima-
schutzabgabe zu erreichen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Schon jetzt zeigt sich, dass wir mit unserer Politik richtig
liegen. Wir stärken damit den Wirtschaftsstandort
Deutschland. Wir warten nicht, bis andere es uns vorma-
chen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir geben jetzt den Anreiz, neue energiesparende

Techniken zu entwickeln. Das Erneuerbare-Energien-
Gesetz wird von vielen Seiten gelobt. Wir schaffen damit
neue Arbeitsplätze. Meine Damen und Herren von der
Opposition, wir laden Sie ein, diesen Weg, der von den
Menschen in unserem Land mehr und mehr unterstützt
wird, mit uns zu gehen. Ich habe allerdings das Gefühl,
dass Sie viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind, als
dass Sie dazu in der Lage wären, eine Antwort auf die
Herausforderungen der Zukunft zu geben.

Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415217400
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU/CSU zur Senkung der Mineralöl-
steuer und zur Abschaffung der Stromsteuer auf Drucksa-
che 14/4097. Der Finanzausschuss empfiehlt auf Druck-
sache 14/5272, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf auf Drucksache
14/4097 zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung abgelehnt.

Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei-
tere Beratung.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Finanz-
ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der F.D.P. mit
dem Titel „Kraftfahrzeugsteuer für schwere LKW auf
EU-Niveau senken – Bedingungen am Güterkraftver-
kehrsmarkt harmonisieren“. Das ist die Drucksa-
che 14/5300. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a)
seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksa-
che 14/4254 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe b)
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/5300 die
Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung des
Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die Bun-
desregierung über die Mitteilung der Kommission zur Be-
steuerung von Flugkraftstoff auf Drucksache 14/4443 ab.
Der Ausschuss empfiehlt die Annahme einer Entschlie-
ßung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
genprobe! – Gegen die Stimmen von CDU/CSU und
F.D.P. ist diese Beschlussempfehlung angenommen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 7a bis 7 d auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Brunhilde

Irber, Dr. Eberhard Brecht, Annette Faße, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der
Abgeordneten Sylvia Voß, Dr. Thea Dückert,
Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Programm zur Stärkung des Tourismus in
Deutschland (Tourismusförderungsprogramm)

– Drucksache 14/5315 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit




Reinhold Strobl (Amberg)


14907


(C)



(D)



(A)



(B)


Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Brähmig, Ernst Hinsken, Anita Schäfer, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Touris-
muswirtschaft stärken
– Drucksache 14/5313 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst
Burgbacher, Cornelia Pieper, Hildebrecht Braun

(Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion der F.D.P.
Neue Kampagne „Deutschland besucht
Deutschland“ starten
– Drucksache 14/4153 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Haushaltsausschuss

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst
Burgbacher, Birgit Homburger, Dirk Niebel, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Beschilderungsmöglichkeiten für touristische
Hinweise entlang von Autobahnen flexibler ge-
stalten
– Drucksache 14/4635 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus (f)

Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Damit sind Sie ein-
verstanden. Das ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Für die SPD-Fraktion hat
die Kollegin Brunhilde Irber das Wort.


Brunhilde Irber (SPD):
Rede ID: ID1415217500
Sehr geehrte Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir in
den ersten beiden Jahren dieser Legislaturperiode den
Grundstein gelegt haben, um dem Tourismus zu den bis-
lang höchsten Wachstumsraten zu verhelfen, legen wir
nun ein gesondertes Tourismusförderprogramm vor, das
die bisherigen Bemühungen noch verstärken soll und ins-
besondere Qualifizierung in den Bereichen Arbeits- und
Umweltrecht zum Inhalt hat.

Noch einmal zur Verdeutlichung für die Opposition:
Die höchste Steigerungsrate bei den Übernachtungen
seit Beginn der Aufzeichnungen ist nicht vom Himmel ge-
fallen, Herr Brähmig. Durch die Maßnahmen der
Bundesregierung zur Steuererleichterung und zur Stär-
kung der Kaufkraft können sich die Menschen in unserem
Lande wieder mehr leisten


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Das meint ihr!)

und sie nutzen ihre gestiegenen Möglichkeiten, um in
Deutschland Urlaub zu machen. Das ist eine Entwick-
lung, auf die wir stolz sein können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Alle Maßnahmen, die die Opposition bisher vorge-
schlagen hat und die auch jetzt wieder in Ihren Anträgen
zu lesen sind, zielen darauf ab, dass andere Branchen
durch höhere Steuern und infolge einer höheren Staats-
verschuldung einen boomenden Wirtschaftsbereich sub-
ventionieren sollen. Diese Vorschläge von Ihnen, meine
sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition,
können nur dann bezahlt werden, wenn andere aus ihrem
Bereich etwas abgeben. Steuererleichterungen, die Ab-
senkung der Mehrwertsteuer, mehr Mittel für Zuwen-
dungsempfänger und was Sie sonst noch so auf Ihrer
Wunschliste haben – das alles kann nur finanziert werden,
wenn andere etwas von dem in ihrem Bereich erwirt-
schafteten Mehrwert an die Tourismuswirtschaft abgeben.

Wie sollen wir denen erklären, dass sie dafür bluten
sollen, dass der Wirtschaftsfaktor Tourismus mit seinem
– dank unserer Politik – größten Wachstum der Ge-
schichte noch weiter steuerlich entlastet werden soll? Das
müssen Sie den anderen Branchen erst einmal vorschla-
gen.

Ich glaube, Sie sind einfach unfähig, anzuerkennen,
dass unsere Wirtschafts- und Steuerpolitik für die Men-
schen wirklich etwas gebracht hat. Wir im Tourismus sind
auf der Gewinnerseite.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich fordere Sie auf: Erkennen Sie endlich an, dass unsere
Regierung dieser Branche zu einer Gesundung verholfen
hat!


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können die nicht, weil sie es nicht verstehen!)





Vizepräsidentin Anke Fuchs
14908


(C)



(D)



(A)



(B)


Gebetsmühlenartig wiederholen Sie Ihre Forderungen
nach Abschaffung der Ökosteuer – gerade eben hatten wir
dieses Thema auf der Tagesordnung –, nach Verringerung
des Mehrwertsteuersatzes für die Hotellerie und nach Än-
derung der 630-DM-Regelung.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415217600
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brähmig?


Brunhilde Irber (SPD):
Rede ID: ID1415217700
Ja, gerne.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415217800
Bitte sehr, Herr Kol-
lege.


Klaus Brähmig (CDU):
Rede ID: ID1415217900
Liebe Frau Kollegin
Irber, Sie schreiben in Ihrem Antrag und haben das auch
hier noch einmal persönlich an mich gerichtet angespro-
chen, dass diese positive Entwicklung Ergebnis der Re-
formpolitik von Rot-Grün sei. Ich stelle das hier infrage.
Ich bin der festen Überzeugung,


(Zurufe von der SPD: Fragen!)

dass dies das Ergebnis der Leistung der Touristiker in den
verschiedenen Regionen der Bundesrepublik Deutsch-
land ist.

Ich habe zwei konkrete Punkte. Erstens. Sie sprechen
von einem Förderprogramm. Dieses liegt aus meiner
Sicht noch nicht vor. Damit meinen Sie wahrscheinlich
den Antrag, den Sie hier einbringen.

Zweitens. In Ihrem Antrag wird mit Zahlen gespielt.
Ich denke dabei an die Angaben über die Steigerung der
Zimmerauslastung von 61,1 Prozent auf 63,6 Prozent. Es
kann doch nicht Ihr Ernst sein, dies als allgemein geltende
Zahlen für die deutschen Tourismusregionen anzusehen.
Hier ist aus meiner Sicht ein ganz kleines Segment der
Großstadthotellerie hinzugezählt worden.

Mich würde einmal Ihre Stellungnahme zu diesen bei-
den Punkten interessieren.


Brunhilde Irber (SPD):
Rede ID: ID1415218000
Herr Kollege Brähmig, es
freut mich, dass Sie diese Punkte angesprochen haben.
Diese Punkte haben Sie schon während der letzten De-
batte thematisiert und ich habe Ihnen schon damals darauf
geantwortet. Ich verweise deshalb auf diese Antwort.
Zum anderen werde ich Ihnen im Folgenden das Touris-
musförderprogramm erläutern, das wir mit unserem An-
trag vorgeschlagen haben. Wenn Sie gut zuhören, werden
Sie erfahren, was damit gemeint ist.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er sollte besser zuhören! – Annette Faße [SPD]: So ist das, Brähmig! Zack!)


– Jawohl.
Ich möchte jetzt mit meiner Rede fortfahren. Durch die

Maßnahmen, die sich aus der 630-DM-Regelung ergeben
haben, wurden die Lohnnebenkosten gesenkt. Die Ren-
tenversicherung wurde gestützt. Das wissen Sie. Das Ren-
tensystem war marode.


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Sie haben es marode gemacht!)


– Sie waren an der Regierung, Herr Burgbacher und Herr
Brähmig. Nicht wir waren 16 Jahre an der Regierung und
auch nicht wir waren es, die den Unsinn beschlossen ha-
ben, die Renten Ost aus dem Rententopf West zu bezah-
len. Es waren Ihre Leute, die das beschlossen haben.

Ich möchte jetzt gerne fortfahren. Was die Wachstums-
chancen angeht, die sich im Tourismus ergeben haben,
sind 326 Millionen Übernachtungen in Deutschland mit
der höchsten Steigerungsrate seit Beginn der Aufzeich-
nung kein Pappenstiel.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das ist nicht das Verdienst der rot-grünen Bundesregierung! Das wissen Sie genauso gut wie ich!)


Das ist das Verdienst der Leistungsträger in der Touris-
muswirtschaft, aber auch das Verdienst der rot-grünen
Bundesregierung, die die richtigen Rahmenbedingungen
gesetzt hat und damit dieses Wachstum ermöglicht hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir lassen uns auf diesem Wege nicht beirren; der Erfolg
gibt uns Recht.

Sie werden in Ihren Beiträgen sicherlich wieder die
gleiche Litanei herunterbeten und mit den 55 Punkten, die
in Ihrem Antrag stehen – das will ich Ihnen auch einmal
deutlich vorhalten –, den Tourismusstandort Deutschland
beschädigen. Sie reden andauernd von hohen Mehrwert-
steuersätzen in der Hotellerie, verschweigen aber, dass
die Hotelpreise in Deutschland deutlich niedriger sind als
in anderen Ländern. Den Kunden draußen wird weisge-
macht, sie würden in deutschen Hotels über den Eingriff
des Staates abgezockt. In Wirklichkeit findet er in den Ho-
tels ein Preisgefüge, das deutlich anders gestaltet ist als in
dem von Ihnen so hochgelobten Ausland mit den so nied-
rigen Mehrwertsteuersätzen. Ich bitte Sie also: Hören Sie
auf, den Tourismus- und Wirtschaftsstandort Deutschland
kaputtzureden und verabschieden Sie sich aus Ihrer Jam-
mer AG.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Wir reden ihn nicht kaputt! Den machen Sie durch Ihre Politik kaputt!)


Das Prinzip ist also – ich möchte es Ihnen noch einmal
verdeutlichen –: Wir werden einer boomenden Branche
nicht weitere Steuermittel andienen, für die andere auf-
kommen müssen. Die Zeichen der Zeit stehen auf Quali-
fizierung, Qualitätssicherung und Qualitätsverbesserung.
Das ist etwas, was auch wir als Fachausschuss bewegen
können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das machen wir doch! In den deutschen Ferienregionen wird das überall gemacht!)


Die Zeichen der Zeit stehen auch auf Nachhaltig-
keit und Umweltschutz. Das Motto lautet „Lust auf
Natur“. Diese beiden Eckpunkte – das Sichern von Ser-
vicequalität und die Nachhaltigkeit der Produkte im




Brunhilde Irber

14909


(C)



(D)



(A)



(B)


Deutschlandtourismus – werden wir in Modellprojekten
unterstützen.

Das Modellprojekt Qualitätsmanagement im Touris-
mus hat bereits begonnen. Ich danke der Bundesregierung
dafür, dass sie es ermöglicht hat, in Ostbayern beispielhaft
Lehrpläne zu entwickeln, mit denen die Macher des Tou-
rismus in Deutschland zukünftig qualifiziert und weiter-
gebildet werden können. Zunächst werden in dieser Qua-
lifizierungsoffensive 80 Referenten der Landkreise zu
Qualitätsmanagern im Tourismus ausgebildet. Diese ge-
ben ihr Wissen in 800 Qualitätszirkeln an Beschäftigte der
Tourismuswirtschaft weiter. Selbstverständlich ist diese
Arbeit ein Modell, das dann auf die gesamte Bun-
desrepublik übertragen werden kann. Darum geht es.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Wer bezahlt die Qualitätsmanager?)


– Der Bund bezahlt sie; das wissen Sie doch.
Die Qualifizierung und deren berufliche Anerkennung

waren bereits in der vergangenen Legislaturperiode unser
Anliegen. Das betrifft die Leiter von Fremdenverkehrs-
ämtern, das Personal im Gastgewerbe und natürlich auch
die Eigner und Manager von Tourismuseinrichtungen.

Eine hochwertige Leistung im Tourismus setzt Ausbil-
dung und Motivation voraus. Unsere Initiativen der letz-
ten Legislaturperiode und die Realisierung heute setzen
genau an diesen Punkten der Wertschöpfungskette in der
Dienstleistung an. Wir verwirklichen damit ein Projekt,
das Sie, lieber Herr Burgbacher – das muss ich jetzt leider
loswerden –, Ihrem Minister zu „verdanken“ haben, weil
er dies in der letzten Legislaturperiode vehement abge-
lehnt hat. Das ist schade; denn sonst wären wir heute viel-
leicht schon weiter.

Für uns steht das Interesse des Kunden im Vorder-
grund. Das ist das Einmaleins der Marktwirtschaft, das ist
der Schlüssel zu einer erfolgreichen Branche. Menschen,
die mit ihrem Urlaub in Deutschland zufrieden sind, wer-
den auch weiterhin gern hier Urlaub machen. Die Zufrie-
denheit hängt in hohem Maße davon ab, wie sich der Gast
aufgenommen fühlt. Wir wollen den Dienstleistenden in
der Tourismusbranche das Rüstzeug dafür geben, die
Wünsche der Gäste besser zu erkennen und entsprechend
vorbereitet zu sein.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das steht alles in unserem Antrag!)


Ich wiederhole meinen Dank an die Bundesregierung.
Sie hat die Sperre im Denken beseitigt.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/ CSU – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Wie gesagt: Das steht alles in unserem Antrag!)


– Ihr Antrag, Herr Brähmig – entschuldigen Sie –, ist ein
Sammelsurium von Punkten, wovon den Bundestag viel-
leicht acht Punkte angehen. Der Rest betrifft Länder und
Kommunen. Ihr Antrag ist also wirklich nicht der Rede
wert.

Ein weiteres Projekt, welches wir in der letzten Legis-
laturperiode eingebracht haben, war das Modellprojekt
zur umweltverträglichen Besucherlenkung im Touris-

mus. Auch das haben Sie abgelehnt. Den Trend zum nach-
haltigen Tourismus haben Sie nicht erkannt. Wie auch?
Ihre Regierung hatte mit Tourismus schlichtweg nichts
am Hut. Das war der Punkt, Herr Brähmig. Deshalb müs-
sen Sie jetzt 55 Forderungen in den Deutschen Bundestag
einbringen, um die Versäumnisse Ihrer Regierungszeit zu
heilen.


(Beifall bei der SPD – Klaus Brähmig [CDU/ CSU]: Völliger Quatsch ist das, Frau Irber, das wissen Sie genauso gut wie ich!)


Die Erhaltung der Natur, der Umweltschutz und die
Absicherung des sozialen Standards in den Ferienregio-
nen waren damals und sind auch heute ein aktuelles
Thema. Heute können wir einen Schritt weiter gehen, als
dies damals mit dem Modellprojekt möglich war; denn
heute haben wir die Mehrheit. Mit dieser Mehrheit haben
wir die Entwicklung der Dachmarke „Nachhaltiger Tou-
rismus – via bono“ vorangetrieben. Dazu steht etwas in
unserem Antrag. Wir wollen damit eine Entwicklung an-
stoßen, die beim Tourismus mehr Wert auf Qualität denn
auf Quantität legt.

Auch hier gilt mein Dank zunächst dem Ministerium
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Die An-
schubfinanzierung für die Dachmarke ist ein wichtiger
Beitrag zu deren Realisierung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mir fehlt jetzt leider die Zeit, um auf die anderen
Punkte in unserem Antrag einzugehen;


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das ist schade!)


ich würde das gern tun. Aber eines möchte ich noch fest-
stellen: Es geht uns darum, auch das Reisebürogewerbe
zu stützen. Wir werden ein Kompetenzzentrum für
E-Commerce einrichten, wodurch es der mittelständi-
schen Reisebürobranche ermöglicht wird, sich an das mo-
derne Zeitalter anzuschließen.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Das hat schon lange in dieser Branche Einzug gehalten!)


– Dann wundert es mich aber, Herr Feibel, dass gerade aus
Ihrer Branche dieser Wunsch an uns herangetragen wor-
den ist.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Es ist zu teuer!)

– Na also, dann brauchen wir es doch.

Wir wollen uns bemühen, eine Zertifizierung für die
Berufe im Tourismus zu etablieren, eine Kammerregelung
für die Fremdenverkehrsamtsleiter und -leiterinnen. Das
jetzige Qualitätsmanagementprojekt ist die Grundlage
dafür.

Ich sage Ihnen, Herr Burgbacher, jetzt hier schon: Wir
liebäugeln auch mit Ihrem Antrag, dass wir eine bessere
Beschilderung auf den Autobahnen erreichen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Und die Trinkgeldbesteuerung abzuschaffen!)





Brunhilde Irber
14910


(C)



(D)



(A)



(B)


Leider fehlt mir jetzt die Zeit, alle anderen Punkte die-
ses Antrags noch aufzuzählen,


(Zuruf von der CDU/CSU: Das steht schon in den tourismuspolitischen Leitlinien von 1998! Aber die sind schon längst in den Orkus geworfen worden!)


aber lassen Sie mich zum Abschluss feststellen: Der Weg
zum Erfolg führt nicht über ein bedingungsloses Ab-
nicken aller Forderungen der Branche. Der Weg zum Er-
folg führt über das Setzen von Rahmenbedingungen, die
das Augenmerk auf die Menschen im Lande, die Reisen-
den, die Kunden legen. Hier sind wir auf dem richtigen
Weg. Diesen Weg werden wir fortsetzen – zur Stärkung
des Tourismus in Deutschland.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Voll in der Sackgasse!)


– Am Ende wird abgerechnet!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Da bin ich gespannt!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415218100
Nun hat Kollege
Ernst Hinsken für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1415218200
Werte Frau Präsidentin!
Werte Kolleginnen und Kollegen! Wenn einer eine Reise
tut, kann er was erzählen. Das ist eine alte deutsche
Spruchweisheit.

Wenn einer in dieser Debatte reden darf, dann hat er
viel zu sagen.


(Renate Gradistanac [SPD]: Nicht alle!)

Frau Kollegin Irber hat eben gesagt, ihr fehle die Zeit. Ich
möchte die Zeit, die mir zur Verfügung steht, nutzen, um
die Probleme der Tourismuswirtschaft in der Bundesre-
publik Deutschland aus unserer Sicht zu beleuchten.

Frau Kollegin Irber, drei- oder viermal haben Sie ge-
sagt, wir seien unfähig. Ich überlasse es Ihnen allein, so
zu urteilen. Ich meine nur, Ihnen heute das Gegenteil sa-
gen und belegen zu können, damit Sie sehen, wer in die-
ser Bundesrepublik Deutschland unfähig ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn Sie hier von der Qualifizierungsoffensive Ost-

bayern sprechen, dann freue ich mich darüber, dass diese
Qualifizierungsoffensive in Ostbayern läuft.


(Brunhilde Irber [SPD]: Na hoffentlich!)

Aber warten wir zunächst einmal das Ergebnis ab. Hof-
fentlich lohnt sich der Einsatz. Schauen wir, was unter
dem Strich gesehen dabei herauskommt. Ich bin nicht
überwältigend beeindruckt und zuversichtlich, dass alles
geht. Ich möchte von dieser Stelle aus appellieren, dass
man von diesem Angebot Gebrauch macht,


(Brunhilde Irber [SPD]: Das Protokoll verschicke ich an den Tourismusverband Ostbayern!)


um die Grundlage zu schaffen, sich zu stärken, sich wei-
terzubilden, um zu bestehen.


(Brunhilde Irber [SPD]: Sie schädigen unsere Heimat!)


Eines muss ich Ihnen sagen, Frau Kollegin Irber: Sie
waren ja zu feige, im Tourismusausschuss des Deutschen
Bundestages einen Tagesordnungspunkt zuzulassen, in
dem die Bundesregierung über diese Qualifizie-
rungsoffensive berichten sollte. Dafür müssen Sie sich
schämen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415218300
Jetzt aber kommt eine
Zwischenfrage der Kollegin Irber, Herr Kollege. Lassen
Sie sie zu?


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1415218400
Selbstverständlich.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415218500
Bitte sehr, Frau Kol-
legin.


Brunhilde Irber (SPD):
Rede ID: ID1415218600
Herr Kollege Hinsken, kön-
nen Sie mir bestätigen, dass Sie aus Verärgerung darüber,
dass Sie bei der Präsentation dieses Modellprojekts nicht
in der ersten Reihe stehen konnten, zwei Briefe an den Re-
gierungspräsidenten von Ostbayern geschrieben sowie
den Kollegen Brähmig instruiert haben, bei der Bundes-
regierung einen entsprechenden Antrag auf Bericht zu
stellen?


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1415218700
Frau Kollegin Irber, Ers-
teres stimmt. Ich habe dem Präsidenten der Regierung
der Oberpfalz geschrieben und mich beschwert, dass ich
Sie bei dieser Präsentation nicht loben konnte, was ich
gerne getan hätte.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Zweite stimmt nicht, nämlich meinen Kollegen
Brähmig instruiert zu haben, in dieser Angelegenheit
tätig zu werden. Ich gehe davon aus, dass wir so mündige
Kolleginnen und Kollegen in der Arbeitsgruppe haben,
dass sie sehr wohl wissen, was sie wollen. Wenn diese hin-
terfragen, was speziell für ihren Bereich getan wird, ist
das richtig und rechtens. Solchen Wünschen möchte ich
mich grundsätzlich nicht verschließen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415218800
Nun möchte die Kol-
legin Faße eine Zwischenfrage stellen.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1415218900
Selbstverständlich
gerne. Frau Kollegin Faße ist eine nette Kollegin.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415219000
Bitte sehr, Frau Kol-
legin.




Brunhilde Irber

14911


(C)



(D)



(A)



(B)



Annette Faße (SPD):
Rede ID: ID1415219100
Herr Kollege Hinsken, ist es
vielleicht so, dass Sie die Briefe aus dem unbefriedigten
Ehrgeiz heraus geschrieben haben, dass Sie kein Rede-
recht bekommen haben? Haben Sie den Bericht deswegen
angefordert. Ist es nicht so, dass Sie mit Ihrem Ansinnen
ein wenig daneben gelegen haben?


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1415219200
Frau Kollegin Faße,
jetzt muss ich doch ein bisschen aus dem Nähkästchen
plaudern und darauf verweisen, dass sich der wissen-
schaftliche Referent der CDU/CSU-Fraktion drei Tage
vor dieser Präsentation an das Bundeswirtschaftsministe-
rium gewandt hat, um zu erfragen, was sich überhaupt
hinter dieser Qualifizierungsoffensive verbirgt. Ihm
wurde gesagt, das sei geheime Kommandosache und er
könne das am Freitag oder Samstag der Woche in der Zei-
tung lesen. Das ist meines Erachtens ein ganz schlechter
Stil. Den hat es zur Zeit der CDU/CSU/F.D.P.-Regierung
nicht gegeben.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Laufend! – Brunhilde Irber [SPD]: Siehe Bundeswehr-Geheimpapiere!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415219300
Nun möchte Ihnen
der Kollege Brähmig eine Frage stellen. Bitte sehr, Herr
Kollege.


Klaus Brähmig (CDU):
Rede ID: ID1415219400
Vielen Dank, Herr Kol-
lege Hinsken. – Ich habe eigentlich nur eine Nachfrage.
Die CDU hat Anfragen an die Bundesregierung zu den Pi-
lotprojekten und dem Qualitätsmanagement im Bayeri-
schen Wald bzw. in Ostbayern gestellt. Begrüßen Sie, dass
wir diese Fragen gestellt haben, um vor allem zu erfahren,
welche Maßnahmen die Bundesregierung – möglicher-
weise am Tourismusausschuss vorbei – in der Bundesre-
publik Deutschland noch plant, und inwieweit seitens der
Bundesregierung die Projekte zum Qualitätsmanagement,
die in der Bundesrepublik Deutschland schon seit vielen
Jahren vorhanden sind, in diesen Kommunikationspro-
zess und in die Projektförderung eingebunden werden?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1415219500
Herr Kollege Brähmig,
ich bin selbstverständlich voll und ganz Ihrer Meinung,


(Lachen bei der SPD dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


dass es richtig war, diese Fragen an die Bundesregierung
zu stellen. Einerseits freue ich mich, dass diese Qualifi-
zierungsoffensive in Ostbayern stattfindet,


(Brunhilde Irber [SPD]: Sie ist nur nicht gut, weil sie nicht von Ihnen ist!)


andererseits habe ich aber nichts dagegen, wenn auch an-
dere Teile der Bundesrepublik Deutschland hier Berück-
sichtigung finden und von den dort gewonnenen Erkennt-
nissen profitieren können.

Herr Staatssekretär Mosdorf, ich habe Ihnen schon da-
mals in der Sitzung gesagt, ich bedauere es sehr, dass Sie
dieses Projekt nicht positiv darstellen können. Die Bun-
desregierung hätte die Möglichkeit gehabt, dies zu tun.
Aber die Kollegin Irber hat das leider Gottes verhindert.


(Brunhilde Irber [SPD]: Man merkt die Absicht und ist verstimmt!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415219600
Herr Kollege, ich
gehe jetzt davon aus, dass Sie in Ihren Ausführungen fort-
fahren wollen, und lasse erst einmal keine weiteren Zwi-
schenfragen mehr zu. Sie haben weiterhin das Wort.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1415219700
Frau Präsidentin, es liegt
natürlich in Ihrem Belieben, so zu handeln, wie Sie das
gerade getan haben.


(Lachen bei der SP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Kollege Brähmig hat einmal gesagt: Die Touris-
muswirtschaft ist die Leitökonomie der Zukunft. Daran
ist nichts auszusetzen. Das haben Sie, Frau Kollegin Irber,
die Sie vorhin das Wort „unfähig“ gebracht haben, leider
noch nicht ausreichend zur Kenntnis genommen.

Wir müssen nur eines tun: Die Tourismuswirtschaft ist
gefordert, auf Urlaubswünsche, die immer anspruchsvol-
ler werden und differenzierter sind, vermehrt einzugehen.
Wenn die Tourismuswirtschaft die Trends frühzeitig er-
kennt und die Angebote danach ausrichtet, ist sie gut be-
raten und wird auch Zuwachsraten zu verzeichnen haben.
Hier spielt vor allen Dingen die regionale Vielfalt eine
wesentliche Rolle, die es gilt herauszuarbeiten.


(Renate Gradistanac [SPD]: Nichts Neues!)

Deutschland ist so vielseitig, Frau Kollegin Gradistanac,

dass man sagen kann: Es lohnt sich, einmal den Urlaub
nicht im Ausland, sondern in der Bundesrepublik
Deutschland zu verbringen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb muss es unser aller Anliegen sein, einen Aha-Ef-
fekt zu erzielen. Der Anreiz muss geschaffen werden, ein-
mal bei uns in der Bundesrepublik Deutschland Urlaub zu
machen.


(Annette Faße [SPD]: Einmal? Öfter!)

Dabei sollte man natürlich nicht aus den Augen verlieren,
was auch das Ausland an Schönheiten bietet. Dem zuneh-
menden Wunsch nach Erlebnisurlaub muss aber in
Deutschland durch Fitnessangebote, moderne Sportarten
und vieles andere mehr Rechnung getragen werden.

Wenn der Kollege Brähmig von der „Leitökonomie der
Zukunft“ spricht, dann kann ich dazu nur sagen: Allein im
vergangenen Jahr waren weltweit 700 Millionen Men-
schen unterwegs. Bis zum Jahr 2020 wird diese Zahl auf
2 Milliarden ansteigen. Diese Entwicklung darf am deut-
schen Tourismus nicht einfach vorbeigehen, sondern wir
müssen mit dabei sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ernst Burgbacher [F.D.P.])







(C)



(D)



(A)



(B)


Eines muss erwähnt werden: Der Freizeitforscher Pro-
fessor Opaschowski – das ist jüngst in der Öffentlichkeit
bekannt geworden – hat festgestellt, dass die Tourismus-
wirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland bei weitem
nicht so gut dasteht, wie das Frau Irber vorhin deutlich zu
machen versuchte. Über 96 Milliarden DM sind im ver-
gangenen Jahr ins Ausland getragen worden, aber nur
33 Milliarden DM kamen durch den Tourismus an Ein-
nahmen in die Bundesrepublik Deutschland.


(Brunhilde Irber [SPD]: Von außen! Aus dem Ausland!)


Das Verhältnis beträgt also 3:1. Das heißt, hier ist noch
viel zu tun.


(Brunhilde Irber [SPD]: Den Inlandsumsatz müssen Sie dazunehmen!)


Diese Entwicklung zeigt sich auch darin, dass die Luft-
hansa ein Rekordjahr mit 47 Millionen Passagieren hatte.
– Frau Kollegin Irber, wenn Sie ein bisschen aufpassen,
dann müssen Sie nicht mehr von Unfähigkeit reden. Sie
würden dann erfahren, dass Sie mit Ihren Ausführungen
total daneben lagen.


(Brunhilde Irber [SPD]: Unfähigkeit, zu erkennen! Sie drehen einem das Wort im Munde um!)


47 Millionen An- und Abflüge in der Bundesrepublik
Deutschland durch die Lufthansa lassen sich hören. Wenn
zu dem gerade jetzt, wenige Tage vor der Eröffnung der
Internationalen Tourismusbörse, festgestellt wird, dass
dieses Jahr mit 9 000 Anbietern 30 Prozent mehr als im
letzten Jahr verzeichnet werden können, dann ist das et-
was Positives, über das wir uns alle zusammen freuen
sollten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Angesichts der Forderung, dass die Deutschen ver-
mehrt in Deutschland Urlaub machen sollen, ist es wich-
tig, dass die Hotellerie und Gastronomie in einer Weise
unterstützt wird, dass sie weiterhin existenzfähig ist.


(Brunhilde Irber [SPD]: Mit den Preisen vor allem!)


Mich beunruhigt die Aussage des Deutschen Hotel-
und Gaststättenverbandes, dass viele kleinere und mittlere
Betriebe Existenzängste haben. Darum müssen Sie sich
kümmern. Es ist bei weitem nicht so, Frau Kollegin Irber,
wie Sie es dargelegt haben.


(Brunhilde Irber [SPD]: Das liegt aber nicht am Steuerrecht!)


Viele Betriebe müssen mit einer Auslastung von unter
30 Prozent auskommen. Sie können nicht die Städte mit
den Orten vermischen, in denen der Urlaub insgesamt ver-
bracht wird.


(Brunhilde Irber [SPD]: Das hängt aber nicht am Steuerrecht!)


Beim Städtetourismus sind Zuwachsraten von über
60 Prozent zu verzeichnen, aber in anderen Regionen
schaut es aber bei weitem nicht so gut aus.

Deshalb möchte ich nochmals Herrn Professor
Opaschowski erwähnen: Die Zahl der Reisenden im In-
land ist gestiegen, aber der Auslandstourismus ist pro-
zentual noch stärker gestiegen. Wenn man also davon
spricht, dass Jahr für Jahr immer mehr Deutsche ihr Land
als Reiseland entdecken, dann muss man sich auch be-
wusst machen, dass es die Deutschen noch mehr ins Aus-
land zieht. Es ist nach wie vor das Ausland, das vornehm-
lich von der Reiselust der Deutschen profitiert. Dies wird
durch die negative deutsche Reiseverkehrsbilanz belegt.
Das habe ich vorhin bereits angesprochen.

Frau Kollegin Irber, Sie haben darauf hingewiesen, wie
viel seitens dieser Bundesregierung für die mittelständi-
sche Wirtschaft getan worden ist und getan wird.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr habt keinen Mittelstandsbeauftragten geschaffen!)


Dazu muss ich Ihnen sagen, dass Sie damit ein klein
bisschen daneben liegen. Sie sprechen immer von weni-
ger Bürokratie und von Deregulierung. Das haben Sie be-
reits vor eineinhalb Jahren für Ihre Fraktion angekündigt.
Geschehen ist bislang nichts.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich hoffe und wünsche, dass die neue Mittelstandsbe-

auftragte der Bundesregierung nicht umsonst bezahlt
wird, sondern dass sie sich in ihrer Aufgabe darauf kon-
zentriert, die Deregulierung nach vorne zu treiben. Es
muss eingelöst werden, was sie versprochen hat, nämlich
noch in diesem Jahr einen Deregulierungskatalog für die
Bundesrepublik Deutschland vorzulegen, um die Grund-
lage dafür zu schaffen, dass die bürokratischen Belastun-
gen in Zukunft verringert werden.


(Brunhilde Irber [SPD]: Wer hat die Bürokratie aufgebaut?)


Ich erspare es mir, auf Einzelheiten – wie zum Beispiel
das 630-DM-Gesetz – einzugehen.


(Sylvia Voß Das ist auch gut so!)


Das wird unsere weitere Rednerin, Frau Töpfer, heute
noch tun. Wir haben uns die Aufgaben in gewisser Hin-
sicht geteilt. Hotellerie und Gastronomie klagen, über das
630-DM-Gesetz hinaus, über zu viel Bürokratie, die Öko-
steuer, die Steuerreform – Stichwort Personen- und Kapi-
talgesellschaften –, Verschlechterung bei den Abschrei-
bungsmöglichkeiten und über den Rechtsanspruch auf
Teilzeitarbeit. In diesem Zusammenhang werden Gering-
verdiener im Hotel- und Gaststättengewerbe in verwerfli-
cher Weise als volle Arbeitskräfte mitgezählt und dann ist
man gleich bei 15 Mitarbeitern angelangt. Weiterhin wird
über Belastungen im Zusammenhang mit der Kündi-
gungsschutzschwelle und dem Lohnfortzahlungsgesetz
geklagt. Die Tourismuswirtschaft wird in diesem Punkt
seitens der Politik auf stärkste Weise negativ tangiert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Brunhilde Irber [SPD]: Jetzt haben Sie Ihr wahres Gesicht gezeigt: Kündigungsschutz!)





Ernst Hinsken

14913


(C)



(D)



(A)



(B)


Die CDU/CSU-Fraktion versucht mit der Postkarten-
aktion, die sie jetzt starten wird, den Menschen klarzuma-
chen, dass die Tourismuswirtschaft einige Probleme hat.


(Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU] zeigt ein Bild)


Unter dem Begriff „Standortstau – SOS“ wird darauf
verwiesen, dass das Betriebsverfassungsgesetz, die Öko-
steuer, die Neufassung der AfA-Tabellen, das
630-DM-Gesetz und andere Maßnahmen für die Touris-
muswirtschaft negativ sind.


(Brunhilde Irber [SPD]: Wer hat denn das Bild, gemalt? Hoffentlich haben Sie das Recht an diesem Bild erworben! – Abg. Brunhilde Irber [SPD] meldete sich zu einer Zwischenfrage)


– Ich lasse Ihre Zwischenfrage zu, Frau Kollegin Irber,
wenn die Frau Präsidentin das erlaubt, selbstverständlich,
gern.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415219800
Nach dieser Demon-
stration, Herr Kollege muss ich das doch erlauben. Frau
Kollegin, bitte sehr.


(Zuruf von der F.D.P.: Das war eine Kunstausstellung!)



Brunhilde Irber (SPD):
Rede ID: ID1415219900
Ich möchte von Herrn Kolle-
gen Hinsken nur wissen, ob die CDU/CSU-Fraktion die
Rechte an diesem Bild erworben hat.


(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Doch, haben wir!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415220000
Das kam hier oben
akustisch nicht an.


(Brunhilde Irber [SPD]: Ob er die Rechte am Bild erworben hat! – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das kann ich beantworten: Die haben wir erworben! Volles Copyright!)



Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1415220100
Frau Kollegin Irber, Sie
haben gesehen, dass das kein Foto, sondern eine Zeich-
nung ist. Diese Zeichnung wurde in Auftrag gegeben. Das
bedeutet, dass die rechtlichen Voraussetzungen


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ihr seid fantastisch!)


voll und ganz erfüllt sind, so wie es sich für eine ord-
nungsgemäße Fraktion gehört.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Eberhard Brecht [SPD]: Helau! Helau! Helau!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415220200
Nun möchte Ihnen
auch Herr Schmidt eine Frage stellen. Anschließend fah-
ren sie in Ihrer Rede fort. Einverstanden? – Ja.

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Kollege Hinsken, ich wollte Sie nur fra-
gen, ob sie mir das Bild noch einmal zeigen könnten.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Barbara Höll [PDS]: Das ist jetzt wirklich Klamauk!)



Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1415220300
Herr Kollege Schmidt,
ich bin nicht nur bereit, Ihnen das Bild zu zeigen, sondern
Sie bekommen nachher von mir eine Postkarte, die Sie an
die Bundesregierung schicken können, um sich mit uns zu
identifizieren, weil unsere Forderungen berechtigt sind.


(Beifall bei der CDU/CSU – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mich interessiert das auch als Verkehrspolitiker, weil es offenkundig auch etwas mit der Binnenschifffahrt zu tun hat! – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415220400
Ich warte sowieso
schon lange auf Ausführungen über die Nordsee und nicht
nur über bayerische Tourismuszentren. Herr Kollege, Sie
haben das Wort.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1415220500
Herr Kollege Schmidt,
ich weiß nicht, wo Sie mit dem Schiff herumfahren wol-
len, ob auf hoher See oder als Binnenschiffer zum Bei-
spiel auf der Donau, die auch große Probleme haben. Es
bleibt Ihnen freigestellt, Ihren Horizont auf diese Art und
Weise zu erweitern.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr könnt den Kurs nicht halten! Das ist euer Problem!)


Ich möchte noch Ausführungen im Zusammenhang mit
den Kompetenzen des Wirtschaftsministeriums ma-
chen, weil man seitens des Wirtschaftsministeriums der
Tourismuswirtschaft zu wenig Bedeutung beimisst. In der
zuständigen Abteilung sind nur neun Personen beschäf-
tigt.


(Renate Gradistanac [SPD]: Schlanker Staat!)

– Ich war dagegen, eine weitere Staatssekretärin für die-
ses Ministerium zu ernennen, da das Geld kostet. Wenn
man aber Kompetenzen verliert, kann man interne Um-
stellungen zum Wohle der Tourismuswirtschaft vorneh-
men. Darauf warte ich, aber bislang ist nichts geschehen.


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Wen wollen Sie denn unterbringen?)


Ich darf noch darauf verweisen, dass nicht nur Hotel-
lerie und Gastronomie von der Politik negativ betroffen
sind, sondern dass neben anderem auch die Abschaffung
des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung Reise-
bürounternehmen betrifft. Kollege Feibel, Sie gehören
zu den Kollegen, die gerade auf diesem Sektor besonders
aktiv sind. Sie wissen davon ein Lied zu singen. Auch ich
bin für Deregulierung, ganz klar. Aber ich bin dagegen,
dass man das Kind mit dem Bade ausschüttet, dass man




Ernst Hinsken
14914


(C)



(D)



(A)



(B)


die Probleme kleiner und mittlerer Unternehmen nicht
sieht, diese außen vor lässt und sagt: Augen zu und durch!


(Sylvia Voß Tut auch keiner!)


So darf man bei diesem Gesetz nicht vorgehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb werden wir von der CDU/CSU danach trachten,
dass auch in Zukunft den kleineren und mittleren Betrie-
ben das notwendige Verständnis entgegengebracht wird.

Ein weiterer Punkt. Die Tourismuswirtschaft ist ein
großer Wirtschaftsfaktor. Fakt ist, dass in diesem Be-
reich mit 275 Milliarden DM ein großer Batzen erwirt-
schaftet wird. Man könnte diese Zahl noch erhöhen, wenn
man auch die Betriebe mit weniger als neun Betten statis-
tisch erfassen würde. Wenn man auch die Übernachtungs-
und Urlauberzahlen dieser Betriebe berücksichtigen
würde, kämen in verschiedenen Regionen fast 40 Prozent
dazu. Ich freue mich deshalb – es hat lange gedauert –,
dass die SPD-Fraktion jetzt auf den Trichter gekommen
ist und zwischenzeitlich auch von der Bundesregierung
signalisiert worden ist, dass man in Zukunft auch die Be-
triebe mit weniger als neun Betten statistisch erfassen
will.

Mir ist auch wichtig, dass wir in Zukunft alles tun, um
die Bundesrepublik Deutschland auf das Tourismuswesen
auszurichten. Marketing und Buchungssystememüssen
überregional aufeinander abgestimmt und die geforderten
Standards eingeführt werden.


(Brunhilde Irber [SPD]: Alles Landessache!)

Ich bin der Meinung – ich denke, darüber gehen die

Meinungen nicht auseinander –, dass die touristische
Landkarte Deutschlands neu gezeichnet werden muss.
Die Zahl der Tourismusorganisationen ist den natürlichen
Gegebenheiten anzupassen. Leistungsfähige Strukturen
haben sich künftig an den Grenzen der Ferienregionen zu
orientieren und dürfen nicht in die Grenzen von Kommu-
nen und Landkreisen verbessern. Dies würde zu einer Re-
duzierung auf 30 bis 50 wettbewerbsfähige Destinationen
führen.


(Brunhilde Irber [SPD]: Flurbereinigung der Tourismusstandorte! Vertreten Sie das dort einmal!)


Lassen Sie mich zum Abschluss feststellen: Herr Kol-
lege Burgbacher, Sie haben federführend für die F.D.P.-
Fraktion den Antrag „Beschilderungsmöglichkeiten für
touristische Hinweise entlang von Autobahnen flexibler
gestalten“ eingebracht.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Ein ganz wichtiges Thema!)


– Jawohl. – Unsere Fraktion möchte diesen Antrag nach-
haltig unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415220600
Herr Kollege, Sie
müssen auf Ihre Redezeit achten.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1415220700
Es ist wichtig, die Mög-
lichkeiten, Schilder mit touristischen Hinweisen entlang
der Autobahn aufzustellen, zu verbessern.

Wir wollen zudem auch den Campingtourismus un-
terstützen; denn in diesem Bereich wird eine Bruttowert-
schöpfung von 6,5 Milliarden DM erzielt. Dieser Bereich
soll nicht außen vor gelassen werden. Auch ihm müssen
wir das notwendige Verständnis entgegenbringen.

Allerletzte Bemerkung: Es passt nicht zusammen,
wenn man das Jahr 2001 zum Jahr des Tourismus in der
Bundesrepublik Deutschland erklärt – Herr Staatssekretär
Mosdorf, ich bedanke mich, dass Sie diesen Vorschlag,
den die CDU/CSU-Fraktion eingebracht hat, aufgegriffen
haben –


(Beifall bei der CDU/CSU)

und dann keine einzige Mark dafür zur Verfügung stellt.
Das bedaure ich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wenn man hier erfolgreich sein möchte, dann muss man
auch die notwendigen finanziellen Mittel bereitstellen,
die, wie gesagt, leider nicht bereitgestellt worden sind.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415220800
Herr Kollege, Sie
müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1415220900
Ich möchte mich herz-
lich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken und Ihnen emp-
fehlen: Anstatt die Bundesregierung weiterhin dabei zu
unterstützen, unsinnige Gesetze aufzulegen – um bei dem
Jargon von Frau Irber zu bleiben –, wäre es besser, wenn
Sie, die Mitglieder der Bundesregierung Urlaub in
Deutschland machen würden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Urlaub ist immer gut! Aber man kann auch Gesetze machen und gleichzeitig Urlaub!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415221000
Das Wort für das
Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Sylvia Voß.


Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415221100
Sehr ge-
ehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU sind im
Plakativen offensichtlich kreativer als in der Politik, kann
man nach ihrem Plakat nur sagen.

Die Gesellschaft für deutsche Sprache kürt jährlich ein
„Wort des Jahres“. Sie richtet sich dabei nach inhaltlichen
und sprachlichen Kriterien. Entscheidend ist aber das,
was im jeweiligen Jahr stattgefunden hat und besonders
wichtig war. Im Jahr 1998 gewann das Wort „rot-grün“.
Das war sehr schön und erfolgte völlig zu Recht. Im Jahr
2000 hatten wir leider keine Chance, denn als das Wort
des Jahres wurde diesmal „Schwarzgeldaffäre“ gekürt.




Ernst Hinsken

14915


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(D)



(A)



(B)


Das war zwar nicht schön, erfolgte aber auch völlig zu
Recht.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Quatsch, das gehört gar nicht hierher!)


– Herr Brähmig, Sie werden gleich wissen, warum ich
dieses Thema anspreche.

Wir möchten nachträglich noch einen Vorschlag für
das Jahr 2000 machen, nämlich das Wort „Rekordjahr“.
Von einem Rekordjahr sprechen nämlich die Tourismus-
verbände durchweg, wenn sie an das zurückliegende Jahr
denken. Noch nie reisten so viele Besucher aus Deutsch-
land innerhalb des Landes und noch nie kamen mehr Be-
sucher aus anderen Ländern nach Deutschland.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das Wachstum im Tourismusbereich machte aus
dem Jahr 2000 tatsächlich ein Rekordjahr, was sich leicht
mit Zahlen belegen lässt. Im zurückliegenden Jahr reisten
innerhalb Deutschlands 108,2 Millionen Menschen, die
326 Millionen Mal in Hotels, Pensionen und Gasthöfen
mit mehr als neun Betten übernachteten. Das entspricht
einem Anstieg von 6 Prozent. Bei den ausländischen Gäs-
ten stieg die Zahl sogar um 10 Prozent an. Dieser erneute
deutliche Anstieg sorgt bei den Mitarbeitern in der Tou-
rismusbranche, aber nicht nur dort für Freude


(Zurufe von der F.D.P.)

– bei Ihnen offensichtlich nicht –; denn durch die anhal-
tend positive Entwicklung in den vergangenen Jahren
konnte zum Beispiel das Gastgewerbe im Jahre 1999
13,7 Prozent mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung stel-
len.


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Aber sie haben nicht mehr verdient! Das ist das Problem!)


Die Zahl der Ausbildungsplätze ist übrigens auch eine
Rekordzahl. Weitere 15 000 Ausbildungsplätze kommen
in anderen Tourismusberufen hinzu.

Es gibt viele weitere positive Zahlen, die das Jahr 2000
zum Rekordjahr für den Tourismus machen. Schauen wir
aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, von den zufrieden
stellenden Statistiken auf; denn es geht ja letztlich nicht
um ständig neue Rekorde unter Rot-Grün.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Rot-grüne Negativrekorde! Das haben wir zur Genüge!)


Es geht uns in diesem Zusammenhang auch um den
Schutz von Natur und Kultur, um gesünderes Essen, um
die Stärkung des Mittelstandes und der ländlichen Räume.
Es geht um mehr Klasse statt Masse im Tourismus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Unser Programm zur Stärkung des Tourismus in Deutsch-
land beinhaltet dies, während Sie nichts Ähnliches zu-
stande gebracht haben. Wir werden unter Beachtung der
grundgesetzlich geregelten Zuständigkeit des Bundes die

Rahmenbedingungen für den Tourismus in Deutschland
verbessern.

Die Gäste- und Übernachtungszahlen in Deutschland
steigen. Auch das Jahr des Tourismus ist viel verspre-
chend angelaufen. Mit den fast unzähligen kulturellen,
sportlichen und kulinarischen Aktionen wird das Jahr
2001 wesentlich dazu beitragen, Deutschland als attrakti-
ves Reiseland noch bekannter zu machen, auch und ge-
rade in Deutschland selbst. Wer einmal mit dem Floß auf
den herrlichen Seen der Uckermark unterwegs war oder
die Störtebeker-Spiele in Ralswiek auf Rügen erlebte,
wird davon erzählen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Gäste, die sich beispielsweise in den Bann der Walpur-
gisnacht haben ziehen lassen oder den Klang des Chori-
ner Musiksommers erlebt haben, werden wiederkom-
men und vieles auch als Geheimtipp weiterempfehlen. So
wird das Jahr des Tourismus 2001 dazu führen, dass sich
immer mehr Bürger für eine Reise im eigenen Land be-
geistern.

Entscheidend für eine beständige, erfolgreiche Ent-
wicklung ist neben der Qualität der Produkte deren Ver-
marktung. Es reicht nicht mehr, die Möglichkeiten zu
nutzen, die der Markt bietet. Es kommt immer stärker da-
rauf an, neue Trends frühzeitig zu erkennen und diese
dann gegebenenfalls auch zu fördern, sofern sie naturver-
träglich sind. Darüber sind wir uns hoffentlich in allen
Fraktionen einig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben uns vorgenommen, entsprechende Modellvor-
haben anzuschieben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Zu Hause zu bleiben!)


Die guten Zahlen im Deutschlandtourismus sind auch
auf die Weitsicht der Touristiker zurückzuführen. Etwa
die Hälfte der Deutschlandreisen werden als Hauptur-
laub unternommen. Viele Touristen nutzen ihre Urlaubs-
tage aber mittlerweile und zunehmend auch dazu, einen
Kurzurlaub in einem unserer 16 Bundesländer zu ver-
bringen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415221200
Frau Kollegin, es
wird eine Zwischenfrage vom Kollegen Seifert ge-
wünscht. Nehmen Sie sie an?


Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415221300
Nein, ei-
gentlich nicht.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415221400
Dann haben Sie wei-
terhin das Wort.


Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415221500
Zweit-
und Dritturlaube sind ebenfalls gefragt. Darauf galt und




Sylvia Voß
14916


(C)



(D)



(A)



(B)


gilt es sich einzustellen. Während sich die Branche bei der
Buchung früher auf den Wochenrhythmus von Sonnabend
bis Sonnabend konzentrierte, haben sich einige Unterneh-
men bereits auf flexible und kreative Angebote für
Deutschland umgestellt.

Die Kunden werden anspruchsvoller. Auch diese Tat-
sache haben wir uns vor Augen geführt. Deshalb werden
wir Vermietern, die bemüht sind, ihren Gästen die schöns-
te Zeit des Jahres so angenehm wie möglich zu gestalten,
unter die Arme greifen. So können Vermieter zinsverbil-
ligte Kredite durch Inanspruchnahme des CO2-Ge-bäude-Sanierungsprogramms der Kreditanstalt für
Wiederaufbau erhalten, mit denen sie privat vermietete
Zimmer modernisieren und sanieren können. Mit dieser
Förderung ist beiden Seiten geholfen: Den Touristen ge-
fallen die schönsten Tage des Jahres noch einmal so gut
und die privaten Vermieter halten durch die Modernisie-
rung den Anschluss an gewünschte Standards. Gleichzei-
tig tun wir dabei etwas für den Klimaschutz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es wäre wirklich zu kurz gesprungen, sich nur um Freude
und Zufriedenheit unter Tourismusmitarbeitern und Tou-
risten zu sorgen. Wenn wir nicht gerade im Tourismus auf
unsere Umwelt Acht geben, dann kann es mit beiden ganz
schnell vorbei sein.

Nachhaltiger Tourismus lautet unser Konzept, bei dem
deutlich wird, dass im Mittelpunkt die Bemühungen zum
Schutz und zur Pflege der Umwelt stehen. So freut es uns
auch, dass im tourismuspolitischen Bericht der Bundesre-
gierung der Umweltschutz inzwischen zu einem neuen
Schwerpunkt gemacht wurde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das ist nur ein Zeichen dafür, dass die Beachtung des Zu-
sammenhangs von Umweltschutz und Tourismus in
Deutschland unter Rot-Grün endlich jenen Stellenwert er-
hält, den er eigentlich schon lange hätte erhalten müssen.
Der in Arbeit befindliche Bericht der Bundesregierung zu
Umwelt und Tourismus wird uns weitere und tiefere Ein-
blicke in diese Zusammenhänge liefern. Bei solchen Zei-
chen darf es aber nicht bleiben; dafür werden wir sorgen.

Als Abgeordnete der Regionen sollten wir uns aber
auch Bedächtigkeit auferlegen, wenn es um neue
Straßenprojekte geht. Ich denke zum Beispiel an die stil-
len kleinen Alleen auf Rügen. Tut es dieser Insel gut,
wenn ein neuer Rügen-Damm mit all den nachfolgenden
großen Verkehrsprojekten gebaut wird? Ist eine Straße
durch das Oderbruch oder durch den Nationalpark Unte-
res Odertal sinnvoll, obwohl diese Straße – auf der ande-
ren Seite ist nichts! – in wertvollsten polnischen Naturge-
bieten endet? Wir sollten uns auch fragen, ob wir ein
Bombodrom in Wittstock unterstützen – in dieser Gegend
ist Fontane gewandert –, obwohl dadurch die Mecklen-
burgische Seenplatte und auch der Nationalpark Müritz
beeinträchtigt werden.

Touristen lieben die unzerstörten stillen Räume, wo
man sich noch richtig von Lärm, Verkehr und Hektik er-
holen kann.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das müssen Sie Ihren eigenen Kollegen sagen, Frau Kollegin! Meine Unterstützung haben sie dabei!)


– Sie sollen jetzt zuhören! – Diejenigen, die es anders
wollen, können in die Städte gehen. Wir unterstützen die
behutsame und naturbewahrende Entwicklung des Tou-
rismus in den ländlichen Räumen. Es handelt sich nicht
nur um ein großes Potenzial bei der Bewältigung des so
dringend notwendigen Strukturwandels der Landwirt-
schaft, sondern auch um einen entscheidenden Beitrag zu
einer nachhaltigen und eigenständigen Regionalentwick-
lung. Eine solche Entwicklung gibt dem ökologischen
Landbau und der naturgemäßen Waldwirtschaft eine neue
Chance. Das bedeutet Gesundheit für alle: für Touristen,
für Einheimische und für die Natur.

Wenn wir hier über eine intakte Natur sprechen, dann
fallen uns die Nationalparke Deutschlands ein, die zur-
zeit 2,1 Prozent der Fläche des Bundesgebietes ausma-
chen.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Könnte mehr sein!)


Unsere Nationalparke, die vor allem der Bewahrung un-
seres nationalen Naturerbes dienen, wollen wir auch tou-
ristisch nutzen; denn wir wissen, dass die Akzeptanz des
Naturschutzes vor allem dann gegeben ist, wenn der
Mensch diese herrliche Natur unmittelbar erleben, sehen
und schätzen lernen kann, um sie dann auch schützen zu
wollen. Das ist ein Erfolg versprechender Weg. Darum
arbeiten wir mit Bund und Ländern bereits gemeinsam da-
ran, das Marketing für Nationalparke


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


und die Kenntnis von dieser hinreißend schönen Natur so-
wohl bei unseren Landsleuten – dort ist davon noch
viel zu wenig bekannt – als auch im Ausland deutlich zu
verbessern.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Nichts dagegen!)


Ich denke, da sind wir auf einem guten Weg. Die Erho-
lungssuche in der geschützten Natur muss mit einer sinn-
vollen Besucherlenkung selbstverständlich verbunden
werden.

An dieser Stelle möchte ich einige Anmerkungen zum
vorliegenden Antrag der CDU/CSU machen. Sie haben
sich Gedanken um die deutsche Tourismuswirtschaft ge-
macht. Allerdings kann ich mich, wie Frau Irber vorhin
schon sagte, des Eindrucks nicht erwehren, dass Ihr An-
trag nach dem Motto „Husch, husch!“ in den letzten Ta-
gen zusammengestellt worden ist; denn er ist wirklich
nur ein Sammelsurium, eine bunte Liste von Forderun-
gen. Was dort enthalten ist, hat der Bundestag zum Teil
längst beschlossen oder der Bundestag hat diese Forde-
rungen bereits mehrfach begründet abgelehnt, weil nur




Sylvia Voß

14917


(C)



(D)



(A)



(B)


die Länder betroffen sind usw. Ihr Antrag erinnert mich
– die Kollegen aus dem Osten werden verstehen, was da-
mit gemeint ist – an die Sendung „Wünsch Dir was“, die
es einmal im DDR-Fernsehen gab.

Tourismuspolitik, lieber Herr Brähmig und lieber Herr
Hinsken, ist aber kein Wunschkonzert, sondern die Ge-
staltung günstiger Rahmenbedingungen unter Beachtung
auch der finanziellen Möglichkeiten des Bundes.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Darüber werden wir im Ausschuss noch diskutieren! So einfach machen wir uns das nicht! Frau Voß, wer hat Ihre Rede geschrieben?)


Leider vergisst die Opposition nur allzu gerne, dass die
Haushaltsführung des Bundes viel zu lange in ihren Hän-
den lag.

Es ist der CDU/CSU mit ihren 5 Forderungen gelun-
gen, nahezu jeden Bereich, der auch nur im Entferntesten
etwas mit dem Tourismus zu tun hat, aufzulisten. Ihr An-
trag lässt aber leider kaum eine Anregung, geschweige
denn eine konkrete Idee erkennen, wie alle Ihre Forde-
rungen umgesetzt werden können.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Wer hat an der Rede herumgeschrieben?)


Vielleicht haben Sie als Ihren Beitrag zu dem „Wünsch dir
was“ und zum „Tischleindeckdich“ den Goldesel schon
im Stall stehen.

Wir begrüßen aber, dass die Opposition die Bundesre-
gierung in dem Vorhaben, die statistische Erfassung der
Anzahl der Übernachtungen unterhalb von acht Betten zu
verbessern, unterstützen wird.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Sie liest so schnell, ich kann nicht folgen! – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Von uns habt ihr alles abgeschrieben! Die guten Sachen habt ihr alle abgeschrieben!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415221600
Sie muss schnell le-
sen, weil ihre Redezeit schon abgelaufen ist.


Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415221700
Ja, ich
weiß.

Leider hat das Wort „Rekordjahr“ rückwirkend keine
Chance noch das Wort des Jahres 2000 zu werden.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Alles abgeschrieben und dann unseren Antrag mies machen! Das gefällt uns nicht!)


Wenn sich die Opposition aber in der nächsten Zeit
– jetzt kommt das scheußliche CDU-Wort – „brutalst-
möglich“ mit unserem Antrag beschäftigen wird,


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Der Kollege behauptet, es sei alles abgeschrieben! Stimmt das?)


statt nur neidvoll und in Trance realitätsvergessen zu jam-
mern, dann bestehen wirklich gute Chancen, im Jahre 2001

wieder einige Rekorde für den Tourismus in Deutschland
zu vermelden.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415221800
Nun hat das Wort der
Kollege Ernst Burgbacher für die F.D.P.-Fraktion.


Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1415221900
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte mich eigent-
lich darauf gefreut, hier vor der ITB eine Tourismusde-
batte zu einer vernünftigen Zeit zu führen. Dieser Wirt-
schaftssektor hat es nicht verdient, dass wir hier in
kleinkarierter Weise miteinander um manche Details
streiten. Da wäre wahrlich etwas anderes angesagt.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Sie haben in Ihrem Antrag zunächst einmal Zahlen ge-
nannt, die ich nur unterstreichen kann und über die wir
uns alle mächtig freuen. Die Steigerungsraten betragen
6 Prozent, bei Gästen und Übernachtungen aus dem Aus-
land sogar 10 Prozent. Nur kommt dann in Ihrem Antrag
der Kernsatz:

Diese Entwicklungen sind das Ergebnis der Reform-
politik der rot-grünen Bundesregierung.


(Zustimmung bei der SPD)

Nein, meine Damen und Herren, diese Entwicklungen
sind das Ergebnis der Risikobereitschaft und des Fleißes
von Unternehmern und Beschäftigten


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


in Hotels, Gaststätten, bei der Bustouristik, in Freizeitein-
richtungen, in Reisebüros, von Schaustellern und Unter-
nehmern, die dem rot-grünen Gegenwind trotzen, die Är-
mel aufkrempeln, um im Wettbewerb bestehen zu können.
Das ist der Sachverhalt.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist überhaupt nicht wahr! Wir haben das Umfeld dafür geschaffen! Das habt ihr nie geschafft!)


Alle diese Menschen, deren Tätigkeiten ich beschrieben
habe, müssen den Inhalt des von mir zitierten Satzes doch
als Hohn empfinden.

Ganz besonders müssen die in der Gastronomie Täti-
gen einen solchen Satz als Hohn empfinden.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es! Leider wahr!)


Sie haben Umsatzrückgänge und ansonsten überhaupt nur
geringe Zuwächse zu verzeichnen. Die Situation in der
Gastronomie ist Besorgnis erregend. Sie aber, Frau Voß,
sagen da ernsthaft, die rot-grüne Politik habe dazu ge-




Sylvia Voß
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(C)



(D)



(A)



(B)


führt, dass dort 13 Prozent mehr ausgebildet würden. Dass
sie ausbilden, ist eine riesige Leistung, die Respekt ver-
dient, da sie selbst fast nichts verdienen. Das ist doch der
Punkt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Sie, liebe Kollegin Irber, gaukeln uns hier vor, Sie hät-

ten den Menschen mehr Geld gegeben. Schauen Sie sich
doch die Zahlen an, die das von Ihnen geführte Finanz-
ministerium veröffentlich hat: Dort wurde errechnet, dass
die Steuerbelastung nicht abgenommen, sondern sich die
Steuerlastquote im Jahre 2000 sogar geringfügig um
0,1 Prozent erhöht habe. Trotz Steuerreform nimmt die
Steuerlast zu und nicht ab.


(Brunhilde Irber [SPD]: Gestiegene Umsatzzahlen im Einzelhandel! – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das habt ihr alles weggehauen!)


– Die Steuerlastquote ist gestiegen.
Der Tourismus ist zweifellos wichtig für die gesamte

Gesellschaft, aber man sollte die Kirche schon im Dorf
lassen. Nicht alle aktuellen gesellschaftspolitischen Pro-
bleme wie zum Beispiel die verfehlte europäische Agrar-
politik und BSE können wir durch Maßnahmen im Tou-
rismusbereich ausgleichen. Es bringt doch nichts, über
den ökologischen Landbau als Wegbereiter für Tourismus
zu reden.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich bringt das was!)


Es wäre viel sinnvoller, eine moderne Kampagne zu star-
ten. So könnten wir zum Beispiel eine Kampagne „Bauer
und Bett im Internet“ machen. Bieten wir das doch ein-
fach einmal am Markt an. Solche Wege müssen wir gehen.


(Brunhilde Irber [SPD]: Wird ja gemacht!)

Das funktioniert aber nicht auf der Basis der Aussagen in
Ihrem Antrag.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wenn Sie für sich in Anspruch nehmen, die Erfolge

seien das Ergebnis rot-grüner Politik, dann muss es um-
gekehrt einmal gestattet sein, in aller Kürze aufzulisten,
was Sie eigentlich konkret getan haben. Sie haben den
Tourismushaushalt unterm Strich um 1 Million DM ge-
kürzt; Sie haben zwar bei der DZT draufgelegt, aber dafür
an anderer Stelle umso stärker gekürzt. Im Resultat macht
das 1 Million DM weniger.


(Brunhilde Irber [SPD]: Aber insgesamt mehr als in Ihrer Regierungszeit!)


Weiterhin nenne ich das 630-Mark-Gesetz, die Erhebung
der Ökosteuer und die Einführung der echten 0,5-Pro-
mille-Grenze, die gerade für die Gastronomie ein Riesen-
problem darstellt, weil sie zu weniger Umsätzen führt.


(Lachen bei der SPD und der PDS)

Sie wollen die Gaststättenverordnung ändern; darüber ha-
ben wir neulich diskutiert. Dann muss man immer mit
dem Taschenrechner in die Wirtschaft gehen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, das Grundproblem hat sich
doch gerade in den letzten Tagen gezeigt: Wir haben einen
zuständigen Minister, der zwar bei großen Anlässen auf-
tritt, sich aber in keiner einzigen Frage durchgesetzt hat.
Herr Müller hat überall gekuscht. Er hat für den Touris-
mus überhaupt nichts Konkretes herausgeholt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Der hat doch keine Ahnung davon! – Zuruf von der F.D.P.: Bettvorleger!)


Lassen Sie mich jetzt ein Wort zu dem Antrag der
CDU/CSU-Fraktion sagen. Liebe Kolleginnen und Kol-
legen von der CDU/CSU, Sie listen in einem Katalog
von 55 Punkten wirklich alles auf, was überhaupt denk-
bar ist. Ich denke, es wäre sinnvoller, Schwerpunkte zu
setzen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das machen wir auch!)


Es wäre richtig, auch in der Opposition zu berücksichti-
gen, was überhaupt finanzierbar ist. Deshalb werden wir
hier ein Stück weit solider arbeiten.


(Beifall bei der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415222000
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Faße?


Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1415222100
Aber bitte.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415222200
Bitte sehr.


Annette Faße (SPD):
Rede ID: ID1415222300
Herr Burgbacher, habe ich Sie
eben richtig verstanden, dass Sie die Tatsache, dass wir
die Promillegrenze auf 0,5 gesenkt haben, allen Ernstes
mit der Begründung kritisiert haben, dass dies eine nega-
tive Auswirkung auf die Gastronomie habe?


(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich meine, dass dieser Zusammenhang ja wohl sehr weit
hergeholt ist. Können Sie mir ganz klar und deutlich sa-
gen, ob diese Senkung nicht im Hinblick auf die Sicher-
heit im Straßenverkehr sehr viel Sinn macht?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Unsinn ist das!)



Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1415222400
Liebe Frau Kollegin
Faße, darüber haben wir vor kurzer Zeit im Deutschen
Bundestag diskutiert. Sie wissen, dass die F.D.P.-Fraktion
dagegen gestimmt hat, weil es wieder ein typischer Vor-
wand ist: Sie senken diese Grenze, obwohl Sie genau wis-
sen, dass das Problem im Straßenverkehr nicht diejenigen
Menschen darstellen, die Promillewerte von 0,5 oder 0,8
haben, sondern die, die erheblich höhere haben.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber nicht die Frage!)





Ernst Burgbacher

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(D)



(A)



(B)


Es ist nachweisbar, dass diese Senkung dazu führt, dass
man beim abendlichen Ausgehen Angst hat, kein Viertel
Wein mehr trinken zu können. Dies hat auf das Verhalten
der Touristen natürlich erheblichen Einfluss.


(Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Wenn Sie davor die Augen verschließen, tun Sie mir Leid.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Mich wundert schon, wie weltfremd Sie manchmal ar-

gumentieren. Das ist unwahrscheinlich.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, lassen

Sie mich einen zweiten Punkt ansprechen. Der Hilferuf
„SOS für den Tourismusstandort Deutschland“ scheint
mir völlig überzogen zu sein.


(Zuruf von der F.D.P.: Richtig!)

Es ist richtig: Wir haben hohe Wachstumsraten. Wir ste-
hen gut da. Dann SOS zu sagen halte ich für völlig an der
Sache vorbei.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: „Standortsicherung“!)


Richtig ist: Wir könnten erheblich mehr machen, wenn die
Rahmenbedingungen stimmen würden. Dazu fordern wir
auf.

Wir als F.D.P.-Fraktion haben zwei Anträge einge-
bracht. Einmal fordern wir, die touristische Beschilde-
rung an Autobahnen nicht so zu handhaben, wie dies
jetzt der Fall ist.


(Beifall bei der F.D.P.)

Es ist doch verrückt: Wir erlauben nur alle 20 Kilometer
ein Schild. Es darf nur auf sichtbare Ziele hingewiesen
werden. Alle unsere Nachbarn machen das völlig anders.
Ich freue mich, dass ich von allen Seiten des Hauses Zu-
stimmung signalisiert bekommen habe, dass man hier
mitmachen wird.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415222500
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brähmig?


Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1415222600
Aber sehr gerne, von dem
Kollegen Brähmig doch immer.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415222700
Bitte sehr.


Klaus Brähmig (CDU):
Rede ID: ID1415222800
Lieber Kollege
Burgbacher, Sie sprachen soeben von unserem Antrag und
thematisierten das „SOS“. Wir wollen mit diesem Begriff
„Standortsicherung“ darstellen. Ich glaube, wir sind uns
doch wohl einig – das war sowohl in den letzten Monaten
als auch in den zweieinhalb Jahren im Ausschuss und an-
sonsten im Parlament auch Ihr Petitum –, dass die Über-
bürokratisierung auch in der mittelständischen Branche

derartige Belastungen mit sich bringt, dass man diese
Dinge doch aufzeigen kann.


(Brunhilde Irber [SPD]: Sie haben 16 Jahre lang regiert und die ganzen Regulierungen aufgebaut!)


Dazu gehört ganz einfach, dass man die Öffentlichkeit
und die Branche insgesamt sensibilisiert. Das soll damit
zum Ausdruck gebracht werden – nicht mehr und nicht
weniger. Übrigens freue ich mich auf Ihre Argumente,
aber auch auf die der Kolleginnen und Kollegen von Rot-
Grün im Ausschuss, wie wir versuchen können, diese
Standortsicherung zu erreichen. Denn wer zur Quelle will,
muss gegen den Strom schwimmen. Dies haben wir letzt-
endlich auch mit diesem Antrag versucht zu tun. Lieber
Herr Burgbacher, ob nun 55 Einzelpunkte oder zehn Kern-
aussagen, darüber werden wir in der nächsten Zeit weiter
diskutieren.


Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1415222900
Lieber Kollege Brähmig,
gestern habe ich die Einladung zur Pressekonferenz gese-
hen: „SOS-Tourismus“. Ich habe gesagt: Das kann nicht
wahr sein. Dagegen wende ich mich. Wir können doch in
Bezug auf eine gut laufende Branche nicht sagen: Jetzt müs-
sen wir SOS funken. Das scheint mir unrealistisch zu sein.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich zu unserem zweiten Vorhaben kom-
men. Wir haben einen Antrag eingebracht, eine Kampagne
unter dem Motto „Deutschland besucht Deutschland“ zu
starten. Auch hier rufe ich Sie auf: Unterstützen Sie das!


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Machen wir doch!)


Für den Deutschlandtourismus ist es eine Riesenchance,
wenn wir nach zehn Jahren deutscher Einheit dafür wer-
ben, dass die Menschen aus den neuen Bundesländern mal
wieder in die alten Bundesländer reisen sollen und umge-
kehrt. Es ist auch eine große Chance für unseren Staat.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang Mark Twain
bemühen, der einmal gesagt hat: „Reisen ist tödlich für
Vorurteile.“ Ich glaube, dieser Satz passt sehr gut.

Ich möchte zum Schluss noch ein Wort zum Jahr des
Tourismus sagen. Ich habe die Idee immer für gut gehal-
ten; aber ich war der Einzige, der vor einer kurzfristigen
Umsetzung gewarnt hat.


(Brunhilde Irber [SPD]: Das stimmt nicht!)

– Sagen wir einmal so: Ich war der Einzige, der dagegen
gestimmt hat. – Ich mache nun die Erfahrung, dass bis
heute vor Ort fast niemand – übrigens auch nicht unter den
Touristikern – etwas vom Jahr des Tourismus gehört hat.


(Renate Gradistanac [SPD]: Das stimmt nicht! Hätten Sie es doch nur weitererzählt!)


– Ich habe diese Erfahrung auf zahlreichen Veranstaltun-
gen gemacht.

Wir haben eine Chance vertan. Lieber Herr Mosdorf,
ich fordere die Bundesregierung auf zu handeln. Es geht




Ernst Burgbacher
14920


(C)



(D)



(A)



(B)


nicht an, dass Minister Müller zwar das Jahr des Touris-
mus proklamiert, aber dann keinen Pfennig Geld dafür
ausgeben will.


(Beifall bei der F.D.P.)

Sie müssen schon Geld zur Verfügung stellen.

Lassen Sie mich zum Abschluss sagen: Wir schreiben
im Tourismus schwarze Zahlen, aber nicht dank, sondern
trotz Ihrer Politik. Wenn die Rahmenbedingungen günsti-
ger wären, wären die Zahlen noch besser. Wir werden Sie
aus Ihrer Verantwortung nicht entlassen, bessere Rah-
menbedingungen zu schaffen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415223000
Das Wort hat nun die
Kollegin Rosel Neuhäuser für die PDS-Fraktion.


Rosel Neuhäuser (PDS):
Rede ID: ID1415223100
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Burgbacher, Ihre Argu-
mentation hinsichtlich der 0,5-Promille-Grenze


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: War gut!)

ist schon sehr gewagt. Wir sollten einmal darüber reden.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Ihr wollt doch 0,0!)


Ich denke, Ihr Argument dient der Sache nicht.

(Beifall bei der PDS, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich Fink [PDS]: Das ist kriminell!)


Sie haben es eben schon angesprochen: 2001 ist das
Jahr des Tourismus in Deutschland. Haben Sie schon ge-
merkt, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass keiner hin-
geht? Oder geht es Ihnen wie den meisten Menschen hier
im Lande, dass sie den Eindruck haben, dass das fast un-
ter Ausschluss der Öffentlichkeit abläuft?

Es war uns ein ganz wichtiges Anliegen – ich denke, in
diesem Punkt stimmen wir überein –, deutlich zu machen,
dass bestimmte Maßnahmen notwendig sind. Es ist auch
die Einschätzung der Bundesregierung, dass der Tou-
rismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist, für den stei-
gende Tendenzen prognostiziert werden.

Was heißt das für uns konkret? Man kann doch nicht
davon ausgehen, dass sich der Tourismus im Selbstlauf
entwickelt. In den Anträgen von SPD, Bündnis 90/Die
Grünen, CDU/CSU sowie der F.D.P. wird deutlich, dass
die Tourismuswirtschaft ein buntes Netzwerk von vielfäl-
tigen Angeboten und Dienstleistern ist. Sie können mir si-
cher zustimmen, dass die einzelnen Regionen nicht nur
von der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft, sondern auch
die Wirtschaft von der touristischen Attraktivität der Re-
gionen lebt. Soll in diesem Sinne die deutsche Touris-
muswirtschaft wettbewerbsfähiger gestaltet werden,
benötigen wir den politischen Willen des Bundes, der
Länder, der Kommunen und natürlich der Branche.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was aus meiner Sicht ganz wichtig ist: Wir brauchen eine
hohe Koordinierungsbereitschaft.

Der Tourismusstandort Deutschland darf doch nicht
unter Kleingeist leiden. Es ist an der Zeit, nicht mehr nur
über neue Ansätze zu diskutieren, sondern endlich neue
Wege zu beschreiten.


(Beifall bei der PDS)

Dies geht aber nicht in der Weise, wie es am Dienstag
beim Neujahrsempfang des Bundesverbandes mittelstän-
dische Wirtschaft recht widersprüchlich von vielen Red-
nern und Referenten verkündet und auch gefordert wor-
den ist und wie es in einzelnen Punkten im Antrag der
CDU/CSU nachzulesen ist: Auf der einen Seite lehnt man
staatliche Bevormundung ab. Auf der anderen Seite ruft
man aber im gleichen Atemzug sehr energisch nach Re-
gularien und Rahmenbedingungen, die zu schaffen sind,
und zwar allein von der Bundesregierung, ohne dass die
Möglichkeiten der Mitwirkung erwähnt werden.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Wenn sie dafür zuständig ist!)


Dieser Zeitgeist ist überholt. Im Wettbewerb um die
besten touristischen Standorte gewinnen schließlich jene,
die neben viel Gastfreundschaft, Service und Dienstleis-
tung auch eine hohe Bereitschaft zur Koordination des
Marketings vor Ort signalisieren und die sich diesem Pro-
zess nicht verschließen.


(Beifall bei der PDS)

Ihre Anträge lassen an vielen Stellen den guten Willen

erkennen, für Veränderungen zu sorgen. In den Mittel-
punkt rücken Sie dabei die Forderung, Deutschland bes-
ser zu vermarkten. Das ist, denke ich, auch gut und rich-
tig, gerade in dieser Situation. Aber eines vergessen Sie:
Zu einer besseren, modernen Vermarktung gehört, dass
sich Deutschland jung, dynamisch und interessanter prä-
sentiert.

Ich will Herrn Brähmig jetzt nicht besonders heraus-
stellen. Aber es gab gestern Abend in Sachsen eine Prä-
sentation der Sächsischen Schweiz. Das war ein gelunge-
ner Ansatz. Das Angebot, Herr Brähmig, muss jedoch
auch für junge Menschen attraktiver sein. Das haben mir
Ihre jungen Kollegen gestern auch bestätigt. Junge Men-
schen müssen neugierig auf Deutschland gemacht wer-
den. Das ist eine Frage des Images. Wo – so frage ich zum
was weiß ich wievielten Mal hier in diesem Parlament,
auch an die Fraktionen von SPD und Grünen gerichtet –
bleiben Ihre konkreten Maßnahmen zum Kinder- und Ju-
gendtourismus?


(Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])

Kinder- und Jugendtourismus ist komplexer, als Sie

allgemein annehmen. Experten schätzen, dass der Kinder-
und Jugendtourismus in den vergangenen zehn Jahren in
Deutschland um 8 Prozent gewachsen ist. Damit liegen
die Steigerungsraten fast doppelt so hoch wie beim ge-
samten Tourismus.

In den nächsten Jahren wird die Kinder- und Jugend-
reisebranche aus ihrer Nische herauswachsen und einen




Ernst Burgbacher

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(C)



(D)



(A)



(B)


respektablen Platz in der Reisebranche einnehmen kön-
nen.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! Das haben wir befördert!)


Die umliegenden europäischen Staaten haben die jungen
Leute längst als eine wichtige Zielgruppe erkannt.
Deutschland hat mit seinen Regionen auf diesem Gebiet
noch einen Nachholbedarf. Der Zug ist in voller Fahrt.
Springen Sie auf!

Es kann doch auch nicht sein, dass das Problem des
Kinder- und Jugendtourismus nach einer Anhörung im
Ausschuss und mehreren Debatten danach in den Anträ-
gen, besonders der Regierungsparteien, mit einem Satz
abgetan wird.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Es muss gelingen, die vielfältigen Verantwortungsberei-
che aus Politik, Wirtschaft und Branche, die mit ihren Ak-
tivitäten bisher eher nebeneinander als miteinander agier-
ten, an einer gemeinsamen Zielrichtung im Kinder- und
Jugendreisebereich zu orientieren. Das sollte nicht zuletzt
für die Menschen mit Behinderungen gelten. Ich denke,
auch das ist eine Frage, der wir uns stellen sollten.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, Ihre
Ansätze, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Touris-
muswirtschaft zu stärken, gehen in der Fülle Ihres Forde-
rungskataloges unter. Warum müssen es 55 Punkte sein?
Viel muss nicht immer gut sein. Lieber Qualität als Quan-
tität!


(Beifall bei der PDS, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Noch eines zum Schluss. Lassen Sie uns in den weite-
ren Beratungen in den Ausschüssen um ein gutes Konzept
ringen. Dann haben wir alle Voraussetzungen, das Jahr
des Ökotourismus 2002, das international ausgeschrieben
wird, erfolgreich einzuleiten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415223200
Ich erteile das Wort
dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesmi-
nister für Wirtschaft und Technologie, Herrn Siegmar
Mosdorf.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Sagen Sie was zu Heidelberg, Herr Mosdorf?)


S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1415223300
Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst zu den
Fakten. Wir haben im Jahr 2000 im Tourismus ein

Rekordergebnis erzielt. 108Millionen Ankünfte von Gäs-
ten – 6 Prozent mehr als im Vorjahr –, 326 Millionen
Übernachtungen – 6 Prozent mehr als im Vorjahr – und,
was besonders bemerkenswert ist, 10 Prozent mehr aus-
ländische Gäste. Ich glaube, wir können alle gemeinsam
darauf stolz sein, dass wir dieses Ergebnis haben.


(Beifall bei der SPD und der F.D.P.)

Deshalb lassen Sie mich zu Beginn auch gleich sagen:

Ich glaube, die Leistungsträger dieser Branche, die Gas-
tronomie, die Hotellerie und diejenigen, die sich hier be-
sonders engagieren, die Tourismusbranche insgesamt ha-
ben ein Dankeschön für die qualitätsvolle Arbeit verdient,
die sie leisten.


(Beifall im ganzen Hause)

Wir sollten diesen Dank alle gemeinsam aussprechen.
Denn wir haben zwar gute Bedingungen in Deutschland,
weil unser Land wirklich interessant und vielfältig ist,
weil es kulturhistorisch, landschaftlich und regional sehr
viel zu bieten hat, aber letztlich hängt es doch von den
Leistungen der Menschen ab, ob wir Touristen gewinnen,
bei uns Urlaub zu machen. Dafür kann man ein Danke-
schön aussprechen; denn die Qualität war im letzten Jahr
besser als in den Jahren zuvor.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415223400
Herr Staatssekretär,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1415223500
Gerne.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415223600
Bitte sehr, Herr Kol-
lege.


Albrecht Feibel (CDU):
Rede ID: ID1415223700
Herr Staatssekretär, wir
sind natürlich stolz auf die großartigen Zahlen, was die
Touristen angeht. Aber die Zahl der Touristen ist nur die
eine Seite. Es gibt auch eine andere Betrachtungsweise.
Deshalb möchte ich Sie fragen, ob Sie der Auffassung
sind, dass zum Beispiel eine Umsatznettorendite von 0,6
bis 0,8 Prozent im deutschen Reisemittlergewerbe ausrei-
chend erscheint und ebenfalls zu solchem Jubel Anlass
gibt wie die Zahlen der Gäste, die nach Deutschland kom-
men, oder ob nicht vielmehr eine Reihe von Rahmenbe-
dingungen dazu beitragen, dass dieser Teil der Branche
fast nicht mehr überleben kann.

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1415223800
Herr Kollege, da
wir beide von der Sache etwas verstehen, ist dies für mich
eine rhetorische Frage. Natürlich wollen wir in dieser
Branche eine bessere Umsatzrendite haben; das ist
selbstverständlich. Aber die kann die Regierung nicht ver-
ordnen. Da spielen viele Dinge eine Rolle. Ich glaube,
dass eine positive Entwicklung in dieser Branche schon
dadurch erzielt wird, dass wir die Steuerreform zustande
gebracht haben. Denn sie führt zu einer ersten großen Ent-
lastung. Wir werden aber gemeinsam weitere Anstren-




Rosel Neuhäuser
14922


(C)



(D)



(A)



(B)


gungen unternehmen müssen, um die wirtschaftliche Si-
tuation dieser Branche zu verbessern. Auf eine Reihe von
Punkten wollte ich in diesem Zusammenhang noch zu
sprechen kommen. Da Sie schon zu Beginn meiner Rede
eine Zwischenfrage gestellt haben, haben Sie manche
Dinge vorweggenommen.

Ich habe meine Rede mit dem Hinweis auf diese posi-
tiven Zahlen nicht begonnen, um alles zu kalmieren bzw.
zu sagen, es sei alles in Butter. Wir arbeiten intensiv an der
Lösung der bestehenden Probleme.

Übrigens muss ich feststellen: Der Tourismusaus-
schuss ist ein sehr lebendiger Ausschuss. Dort wird sehr
vital und meist an der Sache orientiert gestritten. Was ich
heute im Ausschuss ein bisschen schade fand, ist die
Zeichnung, Herr Brähmig – ich weiß nicht, ob Sie sie sel-
ber gezeichnet haben –, die ein Störtebeker-Schiff und ein
SOS-Signal darstellt.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das ist der kraftvolle Dampfer Deutschland!)


Man kann auch Antiwerbung für Deutschland machen; da
teile ich die Auffassung von Herrn Burgbacher. Ich finde,
das ist nicht gut.


(Beifall bei der SPD – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Die wichtigsten Impulse sind von uns gekommen!)


Sie haben ja bereits Ihre Erfahrungen mit Plakaten ge-
macht. Wenn Sie diese Zeichnung den Hamburgern an-
bieten, die in diesem Jahr an die 600 Jahre zurückliegende
Hinrichtung Störtebekers erinnern, dann ist es in Ord-
nung. Aber ich finde, man muss ein gemeinsames Inte-
resse daran haben, den Standort Deutschland positiv dar-
zustellen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Weil auch Hamburger hier sind, freuen wir uns!)


– Eben.
Es ist wahr – Ernst Hinsken hat darauf hingewiesen; er

kann jetzt leider nicht mehr anwesend sein –: Wir haben
im Ministerium neun Mitarbeiter mit der Beantwortung
der Frage beschäftigt, wie man den Standort Deutschland
positiv darstellen kann. Das sind erstens mehr als in der
Vergangenheit und zweitens die Besten. Das ist nicht
schlecht; auch das sollte man einmal feststellen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ernst Burgbacher [F.D.P.] und des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten Herrn
Burgbacher – er ist ein sehr fachkundiger Kollege; er kommt
aus dem Schwarzwald und kennt sich sehr genau aus –


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

aus der Sackgasse befreien, in die er im Rahmen der
0,5-Promille-Grenze geraten ist. Ich formuliere es jetzt
einmal ökonomisch: Herr Burgbacher, wenn die Gäste die

Heimfahrt nicht überleben, dann sind sie morgen doch
keine Gäste mehr.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])


Insofern betrifft dies doch auch die Tourismusbranche.
Herr Burgbacher, verstehen Sie dies bitte nicht falsch. Es
ist auch nicht ganz ernst gemeint. Ich finde, man kann im
Überschwang des Gefechts auch einmal eine Spur verfol-
gen, die nicht hilfreich ist. Viele Ihrer Beiträge zum Tou-
rismus waren positiv. Außerdem kennen Sie sich in der
Sache aus.

Im Übrigen will ich feststellen: Das, was Frau Irber ge-
sagt hat, nämlich dass wir im Hinblick auf die Möglich-
keiten der Beschilderung entlang von Autobahnen einen
gemeinsamen Weg gehen sollten – dies sollte möglichst
noch breiter angelegt sein, also nicht nur auf die Auto-
bahnen begrenzt –, hat Herr Burgbacher bzw. die F.D.P. in
einem Antrag gefordert. Daran haben wir ein gemeinsa-
mes Interesse. Ich glaube, dass wir in diesem Punkt, auch
international gesehen, rückständig sind und noch einiges
tun können. Das sollten wir gemeinsam angehen. Ich je-
denfalls biete das ausdrücklich an.


(Beifall bei der SPD und der F.D.P.)

Wir haben uns direkt im Anschluss an das EXPO-Jahr

das Tourismusjahr auf die Fahnen geschrieben. Wir waren
uns einig, dass es sinnvoll ist, noch einmal besondere
Marketinganstrengungen im Hinblick auf den Tourismus
zu unternehmen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415223900
Herr Staatssekretär,
von Herrn Dr. Seifert wird noch eine Zwischenfrage ge-
wünscht.

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1415224000
Gerne.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415224100
Bitte sehr, Herr Kol-
lege.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1415224200
Herr Staatssekretär, Sie spra-
chen gerade von großen Erfolgen, aber auch davon, dass
wir, international gesehen, noch einiges aufzuholen ha-
ben. Was will die Bundesregierung tun, damit wir zum
Beispiel im barrierefreien Tourismus, also im Tourismus
für Menschen mit den verschiedensten Behinderungen,
ein bisschen vorankommen? Momentan sieht es ja so aus,
dass man zum Beispiel als Rollstuhlfahrer kaum irgendwo
hinfahren kann, weil man in kein Hotel hineinkommt. Es
werden höchstens ein oder zwei entsprechende Zimmer
angeboten; aber dann ist Feierabend. Es ist sehr schwierig
zu verreisen. Für die Regierung wäre es doch ein sehr loh-
nendes Ziel, in diesem Bereich etwas zu tun, was dann
übrigens einer ganzen Region zugute käme.

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1415224300
Herr Kollege, es




Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf

14923


(C)



(D)



(A)



(B)


ist völlig klar: Gerade bei hoch entwickelten Volkswirt-
schaften und bei hoch entwickelten Standorten werden
auf die gezielten Kundengruppen gerichtete spezielle An-
gebote immer wichtiger. Sonst steht man im Wettbewerb
mit ganz anderen Regionen, die hierauf vielleicht einen
besonderen Akzent legen. Ich meine, wir haben dazu auch
schon gezielte Initiativen ergriffen.


(Brunhilde Irber [SPD]: Es steht im Antrag! – Annette Faße [SPD]: In der 12. Wahlperiode!)


– Ja, im Antrag steht es. Wir haben aber auch schon vor-
her konkrete Initiativen angestoßen.

Wenn Sie das genau wissen wollen, werde ich Ihnen
dazu – weil ich jetzt gerne fortfahren möchte – gerne
schriftlich antworten. Es ist völlig klar, dass wir auf die-
sem Sektor gemeinsam Anstrengungen unternehmen
müssen


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Keine speziellen Regelungen!)


– nein, aber Sie wissen, was ich meine –, um ein beson-
deres Angebot zu machen, damit auch für diese Menschen
der Urlaub zum Vergnügen wird. Das ist ja nicht möglich,
wenn man nicht besondere Bedingungen schafft.

Meine Damen und Herren, weil es unser gemeinsa-
mes Anliegen ist, den Tourismus voranzubringen, will
ich noch einmal auf das Jahr des Tourismus zu spre-
chen kommen. Wir alle haben dies unterstützt und auch
die Bundesregierung hat Anstrengungen unternommen,
auf diesem Sektor in besonderer Weise voranzukommen.
Wir haben natürlich auch Partner gesucht, die mithelfen.
Sie wissen das ja auch, Herr Brähmig. Wir haben die
Bundesbahn gewinnen können, die sich bereit erklärt
hat, sich mit 1 Million DM an dieser Aktion zu beteili-
gen. Wir haben die Rundfunk- und Fernsehanstalten ge-
winnen können, sich daran zu beteiligen. Gleichzeitig
haben wir die Lufthansa gewonnen, spezielle Angebote
zu machen.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Ich habe das nicht kritisiert!)


Wir haben in unserem Haushalt selber 1 Million DM zu-
sätzliche Mittel mobilisiert, um im Jahr des Tourismus vor
allen Dingen hinsichtlich der Werbung Anstrengungen zu
unternehmen. Das heißt, wir sind doch gemeinsam
bemüht, alles zu tun, um das Jahr des Tourismus ins Be-
wusstsein zu rücken.

Ich will es noch einmal ausdrücklich sagen: Die Deut-
schen geben heute für Reisen ins Ausland über 90 Milli-
arden DM aus.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: In diesem Jahr sind es 100 Milliarden DM)


– Ja. Sie geben also über 90 Milliarden DM aus.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir liefern doch auch Maschinen, Autos und Geräte ins Ausland!)


– Das ist doch klar. Ich sage bloß: Einmal weniger Mallorca
und dafür ein Aufenthalt bei uns, am Schwäbischen Meer,

am Bodensee, im Schwarzwald oder in der Sächsischen
Schweiz, wo es besonders schön ist.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Oder in Heidelberg!)

– Oder in Heidelberg; das ist ganz wichtig.


(Zuruf von der CDU/CSU: Oder in Bayern!)

– Oder in Bayern. Einmal weniger Mallorca und sich ein-
mal zu Hause umschauen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oder SchleswigHolstein! – Oder Wilhelmshaven!)


– Ja, natürlich, Wilhelmshaven.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415224400
Die Nordsee verges-
sen Sie immer, Herr Kollege. Das ist unglaublich.


(Heiterkeit im ganzen Hause – Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mehr reisen, Herr Kollege!)


S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1415224500
Das wäre doch
etwas. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam Anstrengungen
unternehmen, damit wir im Jahr des Tourismus voran-
kommen.

Ich will nur sagen: Wir haben im Campingplatzwett-
bewerb 2000, bei den Radfernwegen, bei den National-
parks, bei der Umweltdachmarke, beim Qualitätsmana-
gement wichtige Fortschritte erzielt.

Ich muss, gerade was das Qualitätsmanagement an-
geht, sagen: Dass wir in Ostbayern begonnen haben, hat
natürlich auch etwas damit zu tun, dass dort die wichtigen
Akteure Bruni Irber und Ernst Hinsken wohnen. Aber es
hat auch etwas mit der schönen Gegend zu tun. Ich finde,
wenn man schon einen solchen Anstoß gibt, dann kann
man das doch positiv hervorheben und muss es nicht be-
kritteln. Dann kann man doch gemeinsam sagen: Die
Frage des Qualitätsmanagements ist eine wichtige Frage.
Man kann es möglicherweise mit den Erfahrungen ver-
knüpfen, die man mit dem Qualitätssiegel in der Sächsi-
schen Schweiz gemacht hat. Wir sollten es gemeinsam po-
sitiv versuchen und nicht immer gleich das Negative
sehen.

Gemeinsam können wir eine Menge bewegen. Das
müssen wir in der Tourismusbranche auch tun. Sie ist eine
der wichtigsten Wachstumsbranchen der Zukunft. Für die
Bundesrepublik ist es besonders wichtig, dass wir dieser
Wachstumsbranche helfen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415224600
Jetzt erteile ich für die
CDU/CSU der Kollegin Edeltraut Töpfer das Wort.


Edeltraut Töpfer (CDU):
Rede ID: ID1415224700
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der




Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
14924


(C)



(D)



(A)



(B)


Tourismus ist weltweit die Zukunftsbranche Nummer
eins. Die Tourismusbranche gilt auch in Deutschland, wie
wir bereits von allen Vorrednern gehört haben, als Hoff-
nungsträger bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und
hat eine große gesamtwirtschaftliche Bedeutung. Sie si-
chert in Deutschland direkt und indirekt 2,8 MillionenAr-
beits- und über 90 000 Ausbildungsplätze. Die Touris-
muswirtschaft erwirtschaftet mit einem Jahresumsatz von
275 Milliarden DM 8 Prozent des Bruttoinlandprodukts.

Die Rolle des Tourismus lässt sich am Beispiel Berlins
gut verdeutlichen. Der touristische Höhenflug hielt auch
im Jahr 2000 ungebremst an. Zum ersten Mal wurden
über 11 Millionen Übernachtungen in den Berliner Hotels
registriert. Das ist ein Plus von über 21 Prozent gegenüber
dem Vorjahr.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Rund 5 Millionen Gäste besuchten die Stadt, davon ein
Viertel aus dem Ausland. Besonders bei Gästen aus den
USA ist Berlin beliebter denn je. Hier wird sich positiv
auswirken, dass Berlin endlich wieder eine direkte Flug-
verbindung in die USAbekommt. Berlin ist damit ein Bei-
spiel für steigende touristische Wachstumsraten. Die Tou-
rismuswirtschaft als besonders personalintensive Branche
ist ein bedeutender Hoffnungsträger bei der Bekämpfung
der Arbeitslosigkeit. Die Zahl der Arbeitsplätze lässt
sich im Bereich Urlaub, Freizeit und Reisen in Deutsch-
land noch enorm steigern. Für die gesamte Europäische
Union hat eine Expertenkommission für den Zeitraum bis
2010 ein Potenzial von 3,3 Millionen neuen Arbeitsplät-
zen im Tourismus festgestellt. Bisher wirkt sich aber die
positive Entwicklung der Gäste- und Übernachtungszah-
len im Deutschlandtourismus leider nicht auf den Ar-
beitsmarkt aus. Darauf sind Sie leider nicht eingegangen.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! – Brunhilde Irber [SPD]: Das stimmt auch nicht!)


Die Zahl der Beschäftigten im Gastgewerbe als dem
wichtigsten Leistungsträger der deutschen Tourismus-
wirtschaft ist von Januar bis Oktober 2000 im Vergleich
zum Vorjahreszeitraum um 2,7 Prozent zurückgegangen.
Auch der Umsatzentwicklung im Gastgewerbe nutzten
die Gäste- und Übernachtungszuwächse kaum. 1999 sank
der Umsatz um 1,4 Prozent, während er von Januar bis
Oktober 2000 lediglich um 1,1 Prozent stieg. Gerade im
Gaststättenbereich ging der Umsatz von Januar bis Okto-
ber 2000 um 1,8 Prozent zurück. Hier scheint der Ar-
beitskräftemangel, der vor allem auf die Neuregelung
der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse zurück-
zuführen ist, am deutlichsten sichtbar zu werden. Seit dem
In-Kraft-Treten dieser Neuregelung im April 1999 sind
laut Angaben des Deutschen Hotel- und Gaststättenver-
bandes 100 000 nebenberuflich Beschäftigte als Arbeits-
kräfte verloren gegangen.


(Zuruf von der SPD: Alles Schwarzarbeit!)

Dies hat gravierende Einschnitte im Servicebereich und
beim Leistungsangebot zur Folge,


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Qualität statt Schwarzarbeit!)


und dies, obwohl wir gerade in Deutschland im Dienstleis-
tungsbereich einen enormen Nachholbedarf gegenüber
dem Ausland haben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wohl wahr!)


Auf der anderen Seite gibt es im Gastgewerbe zurzeit
80 000 freie Stellen. Darum fordern wir die Rücknahme
des Gesetzes zur Neuregelung der geringfügigen Be-
schäftigungsverhältnisse, da insbesondere das Gastge-
werbe


(Brunhilde Irber [SPD]: Edeltraut!)

– liebe Frau Irber, man kann das gar nicht oft genug er-
wähnen – durch einen massiven Rückgang der 630-DM-
Jobs sowie einen erheblichen bürokratischen Mehrauf-
wand dauerhaft schwer belastet wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Eine weitere schwere Belastung der Wettbewerbs-

fähigkeit stellt die Ökosteuer dar.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ihre ersten drei Stufen haben zu einer erheblichen nachhal-
tigen Mehrbelastung und Benachteiligung der deutschen
Tourismuswirtschaft im internationalen Wettbewerb ge-
führt. Ihre ökologische Lenkungswirkung ist verfehlt, und
die derzeit etwas niedrigeren Rohölpreise dämpfen die ne-
gativen Folgen nur kurzfristig.


(Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!)

Die Belastungen der Tourismuswirtschaft hat die SPD-

geführte Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große
Anfrage der CDU/CSU-Fraktion „Auswirkungen der
Ökosteuer und der hohen Kraftstoffsteuer auf den
Deutschlandtourismus“ bereits selbst festgestellt. Nach
Einschätzung der Regierung sind demnach vor allem drei
Bereiche betroffen, erstens das Gastgewerbe, zweitens
das Schaustellergewerbe und drittens die Deutsche Bahn.

Darüber hinaus legt auch die Bustouristik, die ein
wichtiges Rückgrat der touristischen Infrastruktur in
Deutschland darstellt, alarmierende Zahlen vor. Dort
schlugen im letzten Jahr die höheren Kraftstoffkosten pro
Bus durchschnittlich mit 10 500 DM zu Buche, davon al-
lein über 2 500 DM durch die Ökosteuer. Fast alle ande-
ren EU-Staaten gewähren Steuerbefreiungen bzw. Steuer-
erleichterungen, um den Bustourismus attraktiver zu
gestalten. In Deutschland dagegen wird ausgerechnet der
ökologisch besonders vorbildliche Reisebus genauso be-
steuert wie der PKW und unterliegt nicht etwa wie die
Bahn einem ermäßigten Steuersatz.


(Zuruf von der CDU/CSU: Für Flugzeuge wird überhaupt keine Ökosteuer gezahlt!)


Wo bleibt da die Rücknahme der Ökosteuer, die in Wahr-
heit keine Ökosteuer, sondern eine Haushaltsausgleichs-
steuer ist?


(Beifall bei der CDU/CSU – Brunhilde Irber [SPD]: Für die Schulden, die Sie uns hinterlassen haben!)





Edeltraut Töpfer

14925


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Bundesregierung hat sich zwar den von der
CDU/CSU im Tourismusausschuss unterbreiteten Vor-
schlag zu Eigen gemacht und das Jahr 2001 zum „Jahr des
Tourismus in Deutschland“ erklärt; schöne Worte allein
aber genügen nicht. Wo bleiben konkrete Pläne und Kon-
zepte? Jetzt müssen endlich Strategien entwickelt werden,
die den Tourismusstandort Deutschland weiter stärken.
Werbemaßnahmen sind zwar zu begrüßen, reichen aber
nicht aus. Eine solide Finanzierung muss her.

Insgesamt ist in aller Deutlichkeit festzustellen, dass
Maßnahmen, die der deutschen Tourismusbranche effek-
tiv helfen würden, bisher ausgeblieben sind. Die Bundes-
regierung muss sich die Frage gefallen lassen: Warum
sind die Zuwendungen an die Deutsche Zentrale für
Tourismus nicht deutlich erhöht worden,


(Brunhilde Irber [SPD]: Sie sind doch erhöht worden! Zweimal, jedes Jahr! – Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben nicht aufgepasst!)


um eine effizientere Vermarktung des Tourismusstandor-
tes Deutschland im In- und Ausland zu ermöglichen und
die Grundlage dafür zu schaffen, Deutschland auf wichti-
gen Auslandsmärkten besser darzustellen und Lust auf ei-
nen Besuch unseres Landes zu wecken?

Um insbesondere eine Erhöhung der Zahl der osteu-
ropäischen Touristen zu erreichen, muss endlich auch im
Hinblick auf die EU-Erweiterung nach Osten das Dreh-
kreuz nach Osteuropa, der Großflughafen Berlin Bran-
denburg International in Berlin-Schönefeld, ohne wei-
tere Verzögerungen ausgebaut werden. Ich fordere daher
die Bundesregierung auf, dieses Projekt in jeder Hinsicht
zu fördern.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415224800
Frau Kollegin, Ihre
Redezeit ist abgelaufen.


Edeltraut Töpfer (CDU):
Rede ID: ID1415224900
Meine Damen und
Herren, ich komme zum Schluss. Ich frage Sie: Aus wel-
chen Gründen hat der Umzug der Deutschen Zentrale für
Tourismus, DZT, nach Berlin noch nicht stattgefunden?


(Brunhilde Irber [SPD]: Die Reisebranche sitzt in Frankfurt!)


Viele wichtige Verbände der Wirtschaft haben die Bedeu-
tung Berlins längst erkannt und ihren Sitz nach Berlin ver-
legt. Sollte der Umzug der DZT aus finanziellen Gründen
noch nicht geschehen sein, muss die Bundesregierung
dafür Mittel zur Verfügung stellen. Die DZT muss, um
leistungsstärker tätig werden zu können, direkt in der
Hauptstadt präsent sein,


(Brunhilde Irber [SPD]: Sie sitzt dort, wo alle Reiseunternehmen sitzen!)


nachdem Politik und Wirtschaft inzwischen hier ihr Do-
mizil gefunden haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren – –


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415225000
Frau Kollegin, ich
bitte Sie, zum Schluss zu kommen.


Edeltraut Töpfer (CDU):
Rede ID: ID1415225100
Wir haben 2001, das
Jahr des Tourismus. Lassen Sie uns alles daransetzen, die
Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Tourismus gemein-
sam zu stärken. Tourismuspolitik ist Mittelstandspolitik
und Mittelstandspolitik ist Beschäftigungspolitik.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415225200
Jetzt erteile ich der
Kollegin Birgit Roth von der SPD-Fraktion das Wort.


Birgit Roth (SPD):
Rede ID: ID1415225300
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der
CDU/CSU-Fraktion ist mit den Worten betitelt: Wettbe-
werbsfähigkeit der deutschen Tourismuswirtschaft stär-
ken. Ich möchte Ihnen in den nächsten Minuten anhand
von Fakten belegen, dass genau das in den letzten zwei
Jahren unsere Politik gewesen ist und natürlich auch wei-
terhin sein wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Das kann doch nicht wahr sein! – Zuruf von der F.D.P.: Frau Roth, da sind wir mächtig gespannt!)


Um erst gar nicht in den Geruch zu kommen, ein Ten-
denzgutachten oder eine Tendenzumfrage zu verwenden,
möchte ich mich im Folgenden auf die Zahlen der DIHT-
Saisonumfrage Tourismus beziehen. Ihnen, Herr
Burgbacher, muss ich zunächst einmal sagen, dass Sie nur
die Hälfte zitiert haben, denn der Satz heißt

Gastgewerbe gespalten: Gastronomie im Minus,
– worauf Sie sich ja bezogen haben – und geht dann wei-
ter mit:

Beherbergungsgewerbe im Plus.

(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Ich habe ausdrück lich von der Gastronomie gesprochen!)

Ich möchte einige Zahlen aus der Umfrage herausgrei-

fen. Sie werden feststellen, dass 43 Prozent der Befragten
die Geschäftslagemomentan als befriedigend beurteilen,
und – das finde ich ganz erheblich, meine sehr verehrten
Damen und Herren von der Opposition – 40 Prozent der
Befragten beurteilen die Geschäftslage als gut.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mit anderen Worten: Das sind knapp über 80 Prozent.
Und da wollen Sie sagen, dass die Wettbewerbsfähigkeit
im Tourismusgewerbe nicht gegeben sei?


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Wer ist da befragt worden? – Brunhilde Irber [SPD]: Das müssen gerade Sie fragen!)


Es tut mir Leid, da kann ich Ihnen nicht ganz folgen.
Ein nächstes Beispiel sind die Umsatzzahlen. Ich fand

es sehr beeindruckend, dass Sie vorhin auf den Umsatz
eingegangen sind. 34 Prozent der Befragten sagen, der




Edeltraut Töpfer
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(C)



(D)



(A)



(B)


Umsatz sei gleich geblieben, und 44 Prozent – man höre
und staune – sagen sogar, der Umsatz sei gestiegen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Weil alles teurer geworden ist!)


Herr Hinsken hat vorhin gesagt, es gebe Existenzängs-
te. Auch hier sind es wieder 80 Prozent der Befragten, die
positive Zahlen, aber vor allem auch positive Erwartun-
gen und entsprechende Umsätze haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der F.D.P.: Gleich geblieben ist doch weniger!)


Übrigens haben Sie in der vorigen Debatte die Staats-
sekretärin Barbara Hendricks hier herzitiert, weil sie kurz
draußen gewesen ist. Mit Verlaub, meine sehr verehrten
Damen und Herren von der Opposition: Herr Hinsken war
Ihr erster Redner, und ich möchte auf ein paar Punkte sei-
ner Ausführungen eingehen, aber er ist einfach gegangen.
Ich muss sagen, das finde ich auch nicht in Ordnung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Brunhilde Irber [SPD]: Herr Brähmig ist auch nicht mehr da!)


Noch einige weitere Fakten. Es gab – Herr Staatsse-
kretär Mosdorf hat es ja bereits erwähnt – am Dienstag in
Frankfurt eine Pressekonferenz von Frau Schörcher, der
Leiterin der DZT, der Deutschen Zentrale für Tourismus-
wirtschaft. Sie hat ganz klar gesagt: Von Januar bis No-
vember wurden 37,2 Millionen Übernachtungen auslän-
discher Gäste gezählt. Das ist ein Plus von 10 Prozent.
Wenn Sie sich die Übernachtungszahlen für die inländi-
schen Gäste anschauen, dann werden Sie sehen: Hier ha-
ben wir eine Steigerungsrate von 5,3 Prozent. Da muss ich
Sie wieder fragen: Wie kann es denn sein, dass dann an-
geblich die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbe-
dingungen, sprich die Wettbewerbsfähigkeit, nicht gut
sind? – Das Gegenteil ist der Fall.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nehmen Sie den Städtetourismus! Frau Töpfer hat
es ja bereits angesprochen. Sie haben auch beim Städte-
tourismus für Berlin Zuwachsraten in zweistelliger
Höhe. Wir gehen für dieses Jahr davon aus, dass wir
21,2 Prozent Zugewinn in Berlin haben werden. Natür-
lich ist Berlin eine Ausnahmestadt, es ist die Hauptstadt
– überhaupt keine Frage. Aber nehmen Sie eines der
Bundesländer. Auf Platz eins steht Mecklenburg-Vor-
pommern. Auch hier haben wir Zuwächse von 17 Pro-
zent. Meine sehr verehrten Damen und Herren, da stim-
men die Wettbe-werbsfähigkeit und die Politik bei uns in
Deutschland.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn Sie einfach nur einmal einige der Zahlen, die ich
Ihnen genannt habe, reflektieren, dann ergibt sich, dass
diese Entwicklung auch das Ergebnis einer rot-grünen Re-
formpolitik ist.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415225400
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Feibel? – Bitte
sehr, Herr Kollege Feibel.


Albrecht Feibel (CDU):
Rede ID: ID1415225500
Frau Kollegin Roth,
könnte es sein, dass die Preissteigerungen, die auch in der
Tourismusbranche nicht zu verhindern waren, bedingt
durch höhere Öl- und Treibstoffkosten,


(Zurufe von der SPD und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


durch höhere Energiekosten, durch die steuerliche Zu-
satzbelastung, durch alle diese Faktoren, automatisch zu
höheren Preisen – das ist auch hier in Berlin sehr gut nach-
zuvollziehen, in der Hotellerie beispielsweise – und damit
automatisch zu einem höheren Umsatz geführt haben, die-
ser höhere Umsatz aber nicht zu einer höheren Rendite
und einer besseren Kapitalausstattung der Unternehmen
geführt hat? Ist das denkbar?


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: So einfach ist das!)



Birgit Roth (SPD):
Rede ID: ID1415225600
Ich danke Ihnen für die
Frage, Herr Feibel.

Nein, das ist nicht denkbar,

(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


denn bedenken Sie doch nur die Steuerreform.

(Beifall bei der SPD)


Die Steuerreform entlastet auf der einen Seite Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer, sie entlastet Familien,
und sie entlastet gleichzeitig Unternehmen, und zwar in
einer Höhe von 75 Milliarden DM. Das müssen Sie ein-
fach einmal reflektieren. Vorhin sind ja auch die AfA-Ta-
bellen angesprochen worden. Wir hatten hier gerade die
Diskussion über die angebliche Belastung. Da kann ich
Ihnen nur sagen: Bei den AfA-Tabellen geht es um eine
Belastung von 3,5 Milliarden DM, und Sie müssen diese
beiden Werte auch einmal gegenüberstellen. Ein Entlas-
tungsvolumen von 75 Milliarden DM steht einer Belas-
tung von 3,5 Milliarden DM gegenüber. Da muss ich Ih-
nen ganz einfach sagen: Nein, denn das Entlastungs-
volumen ist massiv größer.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Oder nehmen Sie die von Ihnen vorhin zitierte Öko-

steuer. Hier sehen Sie es ganz klar. Sie nennen ja immer
nur den einen Teil, nämlich die Belastung. Aber es hat
noch niemand von Ihnen hier erwähnt, dass auf der ande-
ren Seite die Lohnnebenkosten im Bereich der Rente re-
duziert worden sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Rechnen Sie es doch dagegen! Da sehen Sie es! Das ist doch Märchenstunde!)


Wir machen eine aktive Wirtschafts- und Finanzpoli-
tik. Denken Sie nur allein an die Staatsverschuldung:
Die wird gerade massiv reduziert. Ferner gehen wir auch




Birgit Roth (Speyer)


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(C)



(D)



(A)



(B)


dieses Jahr wieder von einem Wirtschaftswachstum von
ungefähr 2,7 Prozent aus.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das zweitniedrigste in Europa!)


Ganz nebenbei bemerkt: Auch die Arbeitslosigkeit
baut sich langsam, aber sicher ab. Das ist selbstverständ-
lich auch ein Ergebnis der demographischen Entwick-
lung, aber Sie müssen ebenso sehen, dass hier in diesem
Lande in den letzten zwei Jahren ungefähr 250 000 neue,
moderne und – das ist ganz besonders wichtig, Herr
Feibel; vielleicht hören Sie mir bitte zu – vor allem eben
auch sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstan-
den sind. Das wurde bereits vorhin in der Debatte um die
630-Mark-Jobs angesprochen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich kann auch hier Ihre Argumentation nicht nachvoll-
ziehen, weil ich im Tourismusbereich keine 630-Mark-
Jobs haben möchte; denn das, was unter anderem auch in
Ihrem eigenen Antrag steht, betrifft ja eine Qualitätsof-
fensive. Wir brauchen Fachservicekräfte, und diese arbei-
ten in erster Linie auf ganz normalen Arbeitsplätzen und
nicht in 630-Mark-Jobs.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mit dem Antrag zum Tourismusförderprogramm ge-
hen wir den eingeschlagenen Weg konsequent weiter.


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Das ist das Schlimme!)


Ich möchte mich an dieser Stelle nochmals bei Frau
Brunhilde Irber für ihr großes Engagement für diesen An-
trag bedanken. Darin finden Sie in erster Linie, dass wir
uns für eine Dachmarke im Tourismus und für weitere
Kompetenzzentren in diesem Bereich stark machen. Es
gibt mittlerweile 24 E-Commerce-Bildungszentren, eines
davon im Tourismusbereich, und zwar in Worms.

Vorhin haben Sie gesagt, dass Herr Minister Müller an-
geblich nur ankündigen würde.


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Ja!)

Mit Verlaub: Es sind 24 neue Kompetenzzentren entstan-
den, insbesondere aufgrund des Engagements von Minis-
ter Müller.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ihnen muss ich erst recht vorhalten, dass die Mittel für die
DZT jetzt zum ersten Mal wieder erhöht wurden. Wenn
Sie sich die letzte Finanzplanung Ihrer Regierungszeit an-
sehen würden, würden Sie sehen, dass Sie selbst die Mit-
tel für die DZT von ungefähr 40 Millionen DM auf
27 Millionen DM gekürzt hätten. Nur durch den Einsatz
von Minister Müller konnten die Mittel sogar noch auf
42 Millionen DM erhöht werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Aber dafür wurde an anderer Stelle mehr gekürzt!)


Sie kritisieren den angeblich mangelnden Abbau von
Bürokratie. Wer von uns beiden hat denn wirklich Ra-
battgesetz und Zugabeverordnung abgeschafft bzw. ist
dabei, sie abzuschaffen? Sie wissen ganz genau, dass die
Zugabeverordnung sehr alt, nämlich aus dem Jahre 1933
ist. Deutsche Anbieter im Internet sind beispielsweise
sehr negativ davon betroffen,


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Das Bürgerliche Gesetzbuch ist noch älter!)


weil alle anderen Anbieter höhere Rabatte geben können.
Dann sagen Sie: Wir können das Rabattgesetz wegen

des Mittelstandes nicht abschaffen. Ich bitte Sie! Ich habe
durch Zufall etwas dabei, nämlich ein tolles Beispiel für
eine Rabattkarte, und zwar für den Mittelstand, die ich
heute in der Post hatte.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Unerlaubt! Das Gesetz gilt immer noch!)


– Das ist richtig, momentan ist es noch unerlaubt. Aber
wir sind dabei, Rabattgesetz und Zugabeverordnung ab-
zuschaffen. Hier haben sich ungefähr 150 mittelständi-
sche, kleine Betriebe zusammengeschlossen. Sie müssen
mir jetzt einmal erklären, weshalb sich die Abschaffung
des Rabattgesetzes nicht positiv auf den Mittelstand aus-
wirkt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Eines muss ich noch zur Kritik von Herrn Hinsken an
der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes sagen. Mit
Verlaub, meine sehr verehrten Damen und Herren von der
Opposition, das Betriebsverfassungsgesetz ist aus dem
Jahre 1972. Sie kennen ganz genau die wirtschaftliche
Dynamik. Ich glaube, es ist unser aller Pflicht, auch die
Ihre, auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu
unterstützen,


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Das machen wir doch gerne!)


dass wir es schaffen, auch sie an dem Modernisierungs-
prozess teilhaben zu lassen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415225700
Frau Kollegin, den-
ken Sie bitte an die Redezeit.


Birgit Roth (SPD):
Rede ID: ID1415225800
Ja. – Niemand hat ein
größeres Interesse an dem Wohlergehen der Betriebe als
die eigenen Betriebsräte. In diesem Sinne bitte ich Sie um
Zustimmung zu unserem Antrag.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415225900
Ich schließe die Aus-
sprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 14/5315, 14/5313, 14/4153 und
14/4635 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? –
Dann ist das so beschlossen.




Birgit Roth (Speyer)

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(C)



(D)



(A)



(B)


Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Schnieber-Jastram, Karl-Josef Laumann, Brigitte
Baumeister, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
Beschäftigung älterer Arbeitnehmer durch
Qualifizierung sichern – drohendem Arbeits-
kräftemangel vorbeugen
– Drucksache 14/5139 –
Überweisungsvorschlag
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-
folgenabschätzung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch; dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Birgit Schnieber-
Jastram.


Birgit Schnieber-Jastram (CDU):
Rede ID: ID1415226000
Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir kommen
jetzt zu einem Thema, bei dem man nicht in der Weise
schönmalen kann, wie wir das eben erlebt haben, nämlich
zur Arbeitslosigkeit älterer Menschen, die in diesem
Land – ich glaube, das wissen wir alle – erschreckend
hoch ist. Ich bin sicher, dass wir quer durch die Parteien
Abhilfe schaffen wollen.

Das Problem betrifft rund 800 000 Menschen. Ich rede
von denjenigen, die älter als 55 Jahre alt sind. Im Übrigen
ist das heute kein Alter mehr. Viele fühlen sich in diesem
zünftigen Alter noch sehr jung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


– Bei dieser Aussage hätte auch der eine oder andere von
der SPD klatschen können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

– Danke schön.


(Klaus Brandner [SPD]: Bei so viel Eigenlob ist das schwierig!)


Wir reden über Menschen, die, bevor sie ihren Arbeits-
platz verloren haben, jahrzehntelang fleißig einem Beruf
nachgegangen sind und Steuern und Sozialabgaben ge-
zahlt haben. Plötzlich gehören sie zum alten Eisen, zu den
Verlierern. Diese Zahl stellt nur die Spitze des Eisbergs
dar. Jeder kann heutzutage im Arbeitsamt miterleben, wie
es einem 45-jährigen Erwerbslosen geht. Ihm wird direkt
gesagt: Vielen Dank für Ihren Besuch, aber Sie sind zu alt,
Sie haben keine Chancen mehr.

Wenn man sich den europäischen Vergleich anschaut,
stellt man fest, dass Deutschland bei den über 50-Jährigen
mit einer Erwerbstätigenquote von 39 Prozent 10 Pro-
zentpunkte unter dem europäischen Durchschnitt liegt.
Dies ist für uns kein Ruhmeszeichen.

Das Kuriose ist, dass diese Entwicklung vor dem Hin-
tergrund von Prognosen abläuft, die ab 2005 vor einem
Mangel an qualifizierten Arbeitsplätzenwarnen. Sechs
von zehn Arbeitnehmen werden dann älter als 40 Jahre alt
sein, ein Viertel sogar älter als 50 Jahre. Für 2030 wird
prognostiziert, dass jeder zweite Deutsche älter als
50 Jahre alt sein wird. Das sind in jeder Hinsicht Alarm-
zeichen. Der Mangel an Fachkräften ist vorprogrammiert.
Wenn wir nicht bereits heute die Weichen stellen, ältere
Erwerbstätige im Beruf zu halten und weiter zu qualifi-
zieren, dann wird es ein böses Erwachen geben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Welchen Schaden der Mangel an qualifizierten Arbeits-
kräften für die Volkswirtschaft bedeutet, ist absehbar. Hier
besteht für Politik und Wirtschaft akuter Handlungsbe-
darf. Das wissen wir alle miteinander.

Die Phrase vom lebenslangen Lernen müssen wir
endlich mit Inhalten füllen, damit auch in Zukunft erst-
klassige Fachkräfte aller Altersstufen in unseren Betrie-
ben arbeiten. Jenseits aller ökonomischen Gesichts-
punkte müssen wir wissen: Menschen sind keine
Maschinen, die nach abgelaufener Abschreibungsfrist
geleisteter Arbeit in Rente und Erwerbslosigkeit entsorgt
werden können, wenn neue Modelle am Markt auftau-
chen. Vergessen wir nicht, dass menschliche Arbeit eben
nicht nur materielle Versorgung bedeutet, sondern auch
etwas mit Würde, Selbstbewusstsein und sozialer Teil-
habe zu tun hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir reden über ein ernstes Thema, das nicht nur hun-

derttausende Einzelschicksale betrifft, sondern in einigen
Jahren unsere Volkswirtschaft nachhaltig beeinflussen
wird. Deshalb möchte ich den nachfolgenden Rednern
– Herrn Ostertag und Frau Dr. Dückert – einen Vorschlag
zur Dramaturgie der Debatte machen. Streiten wir nicht
über Prozentpunkte und Zahlen, sondern denken wir ge-
meinsam über vernünftige und pragmatische Lösungen
nach, wie wir den älteren Erwerbslosen eine neue Chance
auf ein Beschäftigungsverhältnis eröffnen können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich gestehe Ihnen gerne zu – damit habe ich keine Pro-

bleme –, dass die Zahlen des Arbeitsmarktes besser ge-
worden sind. Ich will nur in einem Nebensatz anmerken
– weil das immer schöngeredet wird –, dass dies zu ei-
nem Gutteil der Frühverrentung, der Altersteilzeit und
dem erleichterten Bezug von Arbeitslosengeld für ältere
Menschen zuzuschreiben ist. Wir wissen alle miteinan-
der, dass allein 100 000 Menschen die vorruhe-
standsähnliche Regelung gemäß § 428 SGB III, also Ar-
beitslosengeld unter erleichterten Voraussetzungen, in
Anspruch nehmen.

Damit Sie sich von der Regierungskoalition, insbeson-
dere von der SPD, im Folgenden konzentrierter mit unse-
rem Antrag beschäftigen, will ich gern auch das berühmte
Programm „50 Plus“ erwähnen. Dies ist ein Programm
der Bundesregierung, das vielleicht ein gut gemeinter
Schritt ist; aber die Substanz der dort vorgeschlagenen
Maßnahmen ist nicht nur meiner Meinung nach sehr




Vizepräsidentin Anke Fuchs

14929


(C)



(D)



(A)



(B)


mager. Ich will Ihnen aber die Peinlichkeit ersparen, die-
ses Programm, das eher Absichtserklärungen beinhaltet,
zu diskutieren.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Wir hätten das aber gerne gehört!)


Ich möchte vielmehr die Mehrheit der Abgeordneten
des Hauses davon überzeugen, dem von der CDU/CSU
eingebrachten Antrag zuzustimmen. Ich glaube, es ist
auch Sinn einer Debatte im Parlament, sich von guten
Vorschlägen überzeugen zu lassen. Dass ein solches Vor-
gehen kein sinnloses Unterfangen ist, zeigt die Absicht
der Regierungskoalition, jetzt ein „Job-Rotation“-Pro-
gramm aufzulegen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das haben sie abgeschrieben!)


Ich habe mich sehr darüber gefreut, als Herr Thönnes hier
vor einer Woche diese Absicht verkündet hat. Offensicht-
lich ist es sogar ihm aufgefallen, dass Ihre Regierung bei
diesem Programm nicht in die Puschen gekommen ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich halte dieses Modell für einen sehr guten Weg, einer-
seits älteren Arbeitslosen die Möglichkeit zur Qualifizie-
rung im Beruf zu bieten und andererseits älteren Arbeit-
nehmern eine Chance zu einer weiteren Qualifizierung im
Beruf zu eröffnen. Wie gesagt: Ich war über die Absicht
der Regierungskoalition, dieses Modell in Deutschland zu
praktizieren, hoch erfreut.

Etwas verwundert war ich allerdings, als ich vor einer
Woche Herrn Thönnes hörte, der sagte: Wir werden einen
Antrag in den Deutschen Bundestag einbringen, mit dem
wir die „Job-Rotation“ fördern wollen. Ein solcher Antrag
liegt tatsächlich druckfrisch vor. Dieses Vorhaben ge-
schieht jedoch ziemlich genau ein Jahr, nachdem
CDU/CSU das Gleiche in einem ausführlichen Antrag ge-
fordert haben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ein rot-grüner Spätzünder!)


Dieser Antrag mit der Drucksachennummer 14/2909
schmort seitdem im Ausschuss. Sie waren und sind herz-
lich eingeladen, diesen Antrag gemeinsam mit der
CDU/CSU-Fraktion schnellstmöglich vom Bundestag
verabschieden zu lassen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Ein rot-grüner Winterschlaf war das!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitions-
fraktionen, Sie hätten sich viel Energie für dringlichere
Aufgaben sparen können, etwa für die Ausarbeitung einer
durchdachteren Rentenreform oder eines durchdachteren
Betriebsverfassungsgesetzes. Aber von all dem abgese-
hen: Es sieht doch nicht gut aus, wenn die Regierungs-
parteien Anträge der Opposition zuerst ignorieren und
dann plagiieren. Wir bitten höflichst um die Beachtung
des Urheberrechtes.


(Zuruf der Abg. Erika Lotz [SPD])


– Seit zwei Jahren ist Ihre Partei an der Regierung, Frau
Lotz, und auf diesem Feld haben Sie nichts getan.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Alles, um was wir höflichst bitten, ist die Einhaltung

des Urheberrechtes. Es waren CDU und CSU, die als erste
Partei die Idee einer „Job-Rotation“ in den Deutschen
Bundestag eingebracht haben. Basta!


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gibt es schon länger!)


– Das ist doch keine Frage. Wir wissen, dass das Modell
praktiziert wird. Aber wir waren die Ersten, die es im
Deutschen Bundestag eingebracht haben, und freuen uns,
wenn Sie es jetzt machen wollen.

Davon abgesehen: Befürworten Sie doch einfach den
heute zur Debatte stehenden Antrag, denn er fordert als
ersten Punkt die Einführung einer „Job-Rotation“. Stim-
men Sie einfach zu, denn es ist wirklich der schnellste
Weg, um die Sache zum Laufen zu bringen. Außerdem le-
gen wir in unserem Antrag neun weitere vernünftige Ini-
tiativen vor. Ich nenne als Beispiel die Förderung von Wei-
terbildungsverbünden.Warum sollen sich Unternehmen
nicht zusammenschließen, um im Verbund Weiterbildung
anzubieten? Fördern Sie das und ermöglichen Sie eine Un-
terstützung durch die Bundesanstalt für Arbeit. Was spricht
gegen die Möglichkeit, den gesetzlichen Bildungsurlaub
in Absprache zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber
auch für die betriebliche Fortbildung zu nutzen?

Klar ist, dass wir älteren Arbeitnehmern und Erwerbs-
losen nur durch die Zusammenarbeit mit den Tarifpart-
nern wirklich helfen. Einige unserer Vorschläge zielen da-
rauf ab; ich nenne etwa die Einrichtung von lokalen
Netzwerken zur Beratung und gezielten Förderung älterer
Arbeitsloser oder die verstärkte Einbeziehung von Wei-
terbildungsmaßnahmen in Tarifverträge. Das sind
Maßnahmen, mit denen man die Qualifizierung älterer
Arbeitnehmer wirklich vorantreiben kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Gefordert sind übrigens auch die Unternehmen, die

speziell bei der Umsetzung anspruchsvoller und kontinu-
ierlicher Weiterbildung noch eine Menge aufzuholen ha-
ben. Man sollte nicht nur nach weiter reichenden Green-
Card-Regelungen rufen, sondern sich auch darum
bemühen, ältere Mitarbeiter, Fachleute, jene über
45 Jahre, nicht nur in die Rente oder auf das Arbeitsamt,
sondern in die betriebseigene Qualifizierung zu schicken.
Ich glaube, dass das ein sehr guter Weg ist, und denke
nicht, dass wir noch sehr viel Zeit haben, den problemati-
schen Entwicklungen länger tatenlos zuzusehen.

Unser Antrag sieht vor, Arbeitgebern, die spezielle
Qualifizierungsmaßnahmen anbieten, und Arbeitneh-
mern, die solche Maßnahmen wahrnehmen, Abschläge
bei den Beiträgen zur Rentenversicherung und zur
Arbeitslosenversicherung zu gewähren; denn wir glau-
ben, dass man diesen Bereich durch entsprechende An-
reize ein Stückchen anschieben muss. Von einem sol-
chen Anschub hätten alle Beteiligten etwas.


(Beifall bei der CDU/CSU)





Birgit Schnieber-Jastram
14930


(C)



(D)



(A)



(B)


Das war ein Auszug aus den zehn Punkten, deren Um-
setzung wir von der Bundesregierung in unserem Antrag
gefordert haben, um die Erwerbschancen und die Quali-
fizierung älterer Arbeitnehmer zu verbessern. Ich würde
mich freuen, wenn Sie nicht wieder so handeln würden,
wie Sie es im Hinblick auf unser Job-Rotations-Pro-
gramm getan haben, nämlich die Vorschläge abzulehnen,
nur weil sie von der Opposition stammen, um ein Jahr
später die Richtigkeit unserer Vorschläge einzugestehen
und dann die eigene Regierung aufzufordern, endlich et-
was zu tun.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Ich hoffe, dass Sie dem von uns vorgelegten Antrag im
Sinne der älteren Arbeitslosen zustimmen werden. Ich
freue mich auf die zukünftige Debatte. Ich befürchte al-
lerdings, dass wir im Ausschuss lange über unsere Vor-
schläge diskutieren werden, bevor wir im Bundestag da-
rüber abschließend beraten können. Ich bitte Sie: Lassen
Sie uns nicht zu viel Zeit verschwenden und lieber schnell
entscheiden! Die Lage auf dem Arbeitsmarkt bedarf drin-
gend einer Verbesserung.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415226100
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Adolf Ostertag
von der SPD-Fraktion.


Adolf Ostertag (SPD):
Rede ID: ID1415226200
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Es ist erfreulich, dass sich
die Union endlich mit diesem Thema befasst.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Klaus Brandner [SPD]: Die CDU/CSU ist endlich aufgewacht!)


Man kann nachlesen, dass die Union im Laufe des letzten
Jahres insgesamt vier Initiativen zu diesem unbestritten
wichtigen Thema gestartet hat, nämlich zwei Kleine An-
fragen und zwei Anträge. Eine Antwort auf eine der bei-
den Kleinen Anfragen liegt schon relativ weit zurück.
Aber Konsequenzen sind daraus eigentlich nicht gezogen
worden, vor allen Dingen nicht in dem jetzt vorliegenden
Antrag. Das bedauere ich außerordentlich. Wir haben die
Anträge, die die Union im Verlauf des letzten Jahres ge-
stellt hat, nicht ignoriert. Wir haben politisch gehandelt,
im Gegensatz zu Ihnen: Sie haben in den vielen Jahren, in
denen Sie in der Regierungsverantwortung waren, nicht
gehandelt.

Frau Schnieber-Jastram, Sie haben auch die Entwick-
lung auf dem Arbeitsmarkt angesprochen. Es ist be-
kannt, dass die Arbeitslosenzahl erheblich zurückgegan-
gen ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, das ist der größte Erfolg, den diese Regierung
neben anderen bei diesem Thema, über das wir heute de-
battieren, aufzuweisen hat.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Sie setzen wirklich Scheuklappen auf!)


Seit Antritt der rot-grünen Regierung ist die Arbeitslosen-
zahl kontinuierlich verringert worden. Die Erwerbstäti-
genzahl – dieser Aspekt ist genauso wichtig – ist um
1Million gestiegen. Das korrespondiert natürlich mit dem
Rückgang der Arbeitslosigkeit. Eigentlich hätte sich die
gestiegene Zahl der Arbeitsplätze – das ist der wichtigste
Indikator – noch stärker auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar
machen sollen. Trotzdem kann sich die Zahl von 1 Mil-
lion neuer Arbeitsplätze sehen lassen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben anscheinend nicht gemerkt – das ist ein wei-
terer wichtiger Indikator –, dass die Zahl der Arbeitslosen
über 55 Jahre im letzten Jahr im Durchschnitt um fast
12 Prozent zurückgegangen ist, stärker als in allen ande-
ren Problembereichen des Arbeitsmarktes. Darauf sind
wir stolz. Das ist letzten Endes das Ergebnis unserer Poli-
tik. Das ist ein gutes Zwischenergebnis, das die Opposi-
tion auch einmal zur Kenntnis nehmen sollte.


(Beifall bei der SPD – Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Altersteilzeit ist das Stichwort!)


Ich behaupte nicht, dass wir mit dieser Entwicklung zu-
frieden sind. Wir wollen – darauf komme ich noch zu
sprechen – noch mehr erreichen. Darauf können Sie sich
verlassen!

Im internationalen Vergleich steht Deutschland nicht
so schlecht da, wie Sie glauben machen wollen. Man
sollte natürlich nicht die Zahlen von 1990 bis 1995 neh-
men. Die aktuellen Daten von Eurostat belegen, dass die
Quote der Erwerbstätigen im Bereich der 50- bis unter
65-Jährigen im Jahr 1999 bei 48,2 Prozent lag, also nicht
bei 39 Prozent, die Sie angeführt haben. Damit liegt
Deutschland im Durchschnitt der Europäischen Union.

Mit ihrem beschäftigungspolitischen Aktionsplan wird
die Bundesregierung ihre Anstrengungen natürlich fort-
setzen; das ist überhaupt keine Frage. Die Europäische
Kommission hat unsere Arbeit anerkannt und bestätigt,
dass wir auf einem guten Weg sind. Trotzdem müssen die
Beschäftigungsquote und die Beschäftigungschancen der
älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiter ver-
bessert werden.

In dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion steht, dass man
über die momentane Situation erschrocken sei. Wenn Sie
schon erschrecken, dann doch bitte über die Arbeits-
marktpolitik, die in den letzten 16 Jahren der Kohl-
Regierung betrieben wurde; denn die Millionen von Ar-
beitslosen sind ja nicht in den letzten zwei Jahren der
rot-grünen Regierung vom Himmel gefallen. Dieses Pro-
blem hat sich vielmehr über lange Zeit entwickelt, ge-
nauso wie die Probleme der Langzeitarbeitslosigkeit und
der älteren Arbeitslosen. Das ist also ein erschreckendes
Ergebnis Ihrer Politik und nicht dessen, was in den letzten
zwei Jahren gemacht oder nicht gemacht worden ist; das
muss man hier fairerweise auch sagen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Birgit Schnieber-Jastram

14931


(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn Sie zum Beispiel die Antwort auf Ihre Kleine
Anfrage nachgelesen hätten, hätten Sie feststellen kön-
nen, dass die von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen
von der Bundesregierung längst auf den Weg gebracht
worden


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Bitte? Wo denn?)


– ich komme darauf zu sprechen, Frau Schnieber-
Jastram – oder auch im Bündnis für Arbeit in enger Zu-
sammenarbeit mit den Tarifvertragsparteien, also Arbeit-
gebern und Gewerkschaften, vorbereitet worden und
wirksam geworden sind. Daraus resultiert der Abbau der
Arbeitslosigkeit in dieser Altersgruppe um beinahe
12 Prozent in einem Jahr.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Das kommt von der Altersteilzeit! Das wissen Sie doch ganz genau! – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist die virtuelle Wahrnehmung der SPD!)


Nehmen Sie das doch bitte zur Kenntnis!
Ich nutze deswegen die Gelegenheit, Ihnen hier bei ei-

nigen Punkten auf die Sprünge zu helfen und ein paar
Wahrnehmungslücken in Bezug auf die Arbeitsmarktpo-
litik zu schließen. Ich glaube, dass das wichtig ist. Wir ha-
ben – Sie haben es vielleicht schon vergessen – im August
1999 mit dem Zweiten Änderungsgesetz zum SGB III
wichtige Akzente im Hinblick auf eine verstärkte Qualifi-
zierung von älteren Arbeitslosen gesetzt. Durch die Sen-
kung der Altersgrenze von 55 auf 50 Jahre können jetzt für
noch mehr ältere und vor allem Langzeitarbeitslose Ein-
gliederungszuschüsse gezahlt werden. Für ältere Arbeit-
nehmer im Osten haben wir spezielle Strukturanpas-
sungsmaßnahmen eingeführt; auch dies ist positiv zu
Buche geschlagen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415226300
Herr Kol-
lege Ostertag, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Meckelburg?


Adolf Ostertag (SPD):
Rede ID: ID1415226400
Natürlich.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415226500
Bitte.


Wolfgang Meckelburg (CDU):
Rede ID: ID1415226600
Herr Ostertag,
ich hätte die Frage nicht gestellt, wenn Sie jetzt nicht
zwei-, dreimal wiederholt hätten, dass im Bereich der Äl-
teren die Arbeitslosenquote sehr stark gesunken ist. Wir
haben dieses Thema angesprochen, weil wir darauf hin-
weisen wollten, dass wir nicht weiter den Weg gehen kön-
nen, immer mehr Leute in Altersteilzeit zu bringen. Stim-
men Sie mir also zu, dass Altersteilzeit eigentlich etwas
anderes – hier geht es darum, Menschen früher aus dem
Arbeitsleben heraus und in die Rente zu bringen – als das
ist, was Absicht unseres Antrags ist, nämlich ältere Ar-
beitnehmer stärker und länger im Arbeitsleben zu halten
und damit eine Beseitigung des absehbaren Fachkräfte-
mangels zu unterstützen?


Adolf Ostertag (SPD):
Rede ID: ID1415226700
Herr Meckelburg, auf das
Thema Altersteilzeit komme ich gleich noch zu sprechen,
weil das einer der Punkte ist, der natürlich auch zu dem
Instrumentenkasten gehört. Sie kommen ja auch aus der
Problemregion Ruhrgebiet, wo wir in den letzten Jahr-
zehnten viele Erfahrungen mit dem Strukturwandel ge-
macht haben. Ich bin davon überzeugt, dass dieses In-
strument, das wir ausgebaut haben, weiterhin einen
Stellenwert haben wird. Es ist immer noch ein besseres
Instrument als das, was wir vor zehn Jahren hatten,


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Aber es bringt doch die älteren Menschen aus dem Arbeitsmarkt heraus und nicht hinein!)


als mit einer ganz breiten Palette von Sozialplänen teil-
weise sogar 50-, 51-Jährige in den Vorruhestand geschickt
worden sind und dies insbesondere von Sozialkassen fi-
nanziert worden ist. Diese Politik der damaligen Regie-
rung wollen wir nicht fortsetzen, sondern wir wollen Äl-
teren behutsam eine Chance geben, im Arbeitsleben zu
bleiben, und zugleich einen gleitenden Ausstieg ermögli-
chen. Deswegen gehört dies zu den Instrumenten, zu de-
nen wir uns ausdrücklich bekennen.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das ist eine Fortsetzung unserer Politik, aber das reicht zurzeit doch nicht!)


– Nein, das reicht nicht. Deswegen werde ich auch gleich
noch auf eine Reihe weiterer Punkte eingehen und nach-
weisen, wo wir etwas unternommen haben.

Zuletzt habe ich etwas zum Thema Strukturanpas-
sungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Änderung
des SGB III gesagt. Zu dieser Reform des SGB III haben
Sie im Grunde genommen nur erklärt, es sei ein Auf-
blähen des Sozialhaushalts und eine Bürokratisierung.
Die Zahlen sprechen aber dafür, dass die Reform richtig
war. Die überdurchschnittliche Senkung der Arbeitslosig-
keit bei Älteren schlägt sich eben ganz konkret nieder.

Wir werden in den Betrieben auch künftig keine olym-
piareifen Mannschaften haben, gerade nicht bei den Älte-
ren.


(Beifall der Abg. Renate Rennebach [SPD])

Wir wollen eine Arbeitswelt, in der jeder, egal, wie alt er
ist, seinen Platz finden kann und Chancen des Wiederein-
stiegs hat. Deswegen unterstützen wir hier eine ganze
Reihe von Aktivitäten in der Arbeitszeitpolitik, insbeson-
dere Arbeitszeitmodelle. Gerade im Bündnis für Arbeit
sind einige wichtige Weichenstellungen vorgenommen
worden. Dazu gehört zum Beispiel das Thema Altersteil-
zeit, weil, meine Damen und Herren von der Union, das
Altersteilzeitgesetz an diesem Punkt ansetzt.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das bringt doch die Leute raus und nicht rein! Das ist doch das Problem! Die Firmen stellen doch keine Älteren ein! – Gegenruf des Abg. Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Haben Sie von diesem Thema auch Ahnung, Herr Niebel? – Dirk Niebel [F.D.P.]: Wir wissen eben, wovon wir reden! Das unterscheidet uns von Ihnen!)





Adolf Ostertag
14932


(C)



(D)



(A)



(B)


– Herr Niebel, Sie können sich gerne noch einbringen.

(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das werde ich gleich machen!)

Ich möchte noch auf eine Zahl hinweisen, die deutlich

macht, wie dieses Gesetz angenommen wird.

(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Alters teilzeit!)

– Ja, Altersteilzeit. – Innerhalb eines Jahres ist die Anzahl
der entsprechenden Tarifverträge von 349 auf 530 gestie-
gen; das ist eine gute Entwicklung. Dieses Instrument
wird vor allen Dingen in Problembereichen angewandt.
Wir dürfen uns nichts vormachen: Der Strukturwandel in
diesem Land hört nicht auf, weil wir ihn in großen Regio-
nen, in den neuen Ländern oder vielleicht in einigen Bran-
chen hinter uns gebracht haben, sondern er geht weiter.
Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass das Gesetz zur Al-
tersteilzeit vielen älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmern geholfen hat. Das gilt übrigens auch – das ist
ganz klar – für die Betriebe.


(Beifall des Abg. Klaus Brandner [SPD] – Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Den Jüngeren hilft es!)


Des Weiteren haben wir – auch das ist hier zu erwäh-
nen – auf den Gebieten „Teilzeit“ und „befristete Arbeits-
verträge“ einen Fortschritt gemacht. Seit dem 1. Januar
dieses Jahres ermöglicht das Gesetz über Teilzeit und
befristete Arbeitsverträge, Arbeitslose ab dem 58. Le-
bensjahr ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes in ein
befristetes Arbeitsverhältnis zu übernehmen.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist ja eine echte Verbesserung!)


Mit den Instrumenten „Teilzeit“ und „befristete Arbeits-
verträge“ werden wir in den nächsten Monaten und Jah-
ren eine weitere Entspannung gerade dieses Sektors der
Arbeitslosigkeit zustande bringen.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Es ist überhaupt keine Entspannung zu sehen! Wir brauchen zusätzliche Arbeitskräfte! Das ist der Punkt!)


Ich bin der festen Überzeugung, dass es uns gelingen
wird, diesen Weg fortzusetzen und die Quote erwerbstäti-
ger älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu stei-
gern.

Frau Schnieber-Jastram, Sie haben angesprochen, dass
wir, was Job-Rotation angeht, erst auf Ihre Aktion hin
und daher sehr spät reagiert haben. Wie Sie wissen, pla-
nen wir – wir haben ein Vorschaltgesetz verabschiedet –
eine Reform des SGB III.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Seit Beginn der Legislatur!)


Das Thema Job-Rotation und auch einige andere Punkte
werden – darauf können Sie sich verlassen – im Rahmen
der SGB-III-Reform angepackt werden.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Stimmen Sie doch unserem Antrag zu! Dann haben wir alles dabei!)


Auch unsere Regierung hat ein Konzept für ihre Arbeit.
Wir führen kontinuierlich eine Reform nach der anderen
durch und wir werden die SGB-III-Reform in dieser Le-
gislaturperiode auf den Weg bringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Wird die genauso wie die Rentenreform?)


Das Thema Job-Rotation wird dabei einen hohen Stellen-
wert haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Man muss auch fragen, warum Sie zum Thema Job-

Rotation 16 Jahre lang – das ist eine lange Zeit – keinen
Antrag eingebracht haben. Warum wurde nichts unter-
nommen?

Ihr Antrag, in dem zehn Punkte aufgelistet werden, ist
ein Sammelsurium von Forderungen, die entweder fernab
der Wirklichkeit sind – ich komme auf einige noch zu
sprechen – oder die durch Regierungshandeln und durch
das Handeln im Bündnis für Arbeit längst erledigt sind.


(Klaus Brandner [SPD]: So ist es!)

Einige Ihrer Forderungen sind mit uns allerdings nicht

zu machen.

(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Zum Beispiel?)

Sie wollen die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversiche-
rung und zur Arbeitslosenversicherung senken, wenn äl-
tere Arbeitnehmer eingestellt werden. Wir können und
werden dem nicht zustimmen. Ich glaube, dass diese For-
derung falsch ist. Wir wollen weder die Rentenversiche-
rung noch die Arbeitslosenversicherung weiter ausbluten
lassen; vielmehr wollen wir sie stärken.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Wenn die Leute nicht arbeiten, zahlen sie auch nichts!)


Wir haben in dieser Legislaturperiode einige Gesetz-
entwürfe eingebracht und verabschiedet, durch die die ge-
setzlichen Solidarsysteme gestärkt und nicht geschwächt
werden.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch, Herr Ostertag!)


Ich glaube, Sie wollen die Rentenkasse mutwillig
schwächen und die älteren Menschen zugleich als eine
Art Discountarbeitskraft verramschen.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das müssen gerade Sie sagen!)


Das wollen wir nicht machen. Es wäre gegenüber den äl-
teren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern unredlich,
wenn ihr Arbeitgeber plötzlich keine Beiträge zur Ar-
beitslosen- oder Rentenversicherung mehr zahlen würde.
Meine Fraktion und ich, wir halten diesen Weg für ver-
kehrt. Die Politik der Bundesregierung hat andere An-
sätze, die ich teilweise schon genannt habe.




Adolf Ostertag

14933


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Mittel für das lebensbegleitende Lernen – auch
das ist in Ihrem Antrag genannt – haben wir in den letzten
zwei Jahren verdoppelt. Während Ihres letzten Regie-
rungsjahres standen dafür gerade einmal 100 Milli-
onen DM zur Verfügung, inzwischen sind es 200 Milli-
onen DM.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Sie haben keinen Überblick über irgendeine Effektivität!)


Warum waren Sie in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit
nicht aktiv? Warum legen Sie jetzt plötzlich vollmundig
einen Katalog von Forderungen vor?

Ich verweise auf das von Ihnen angesprochene Pro-
gramm „50 plus – die können es“. Das ist eine gute Ak-
tion der Arbeitsämter, die von einer Kampagne begleitet
wird, die in der Öffentlichkeit und insbesondere mit Blick
auf die Arbeitgeber, Aktivitäten entfalten soll.

Ich möchte auch auf das Beispiel der betrieblichen
Weiterbildung eingehen. Ich glaube, dass die betriebli-
che Weiterbildung ein wichtiges Instrument ist, um älte-
ren Menschen wieder eine Perspektive zu geben oder sie
im Betrieb zu halten. Hier verweise ich aber in der Tat auf
das, was im Bündnis für Arbeit vereinbart worden ist und
auch die Arbeitgeber selbst so sehen: Sie wollen keine
diesbezüglichen gesetzlichen Regelungen, sie wollen die-
sen Bereich in der betrieblichen Verantwortung belassen.
Ich glaube, da gehört er letzten Endes auch hin.

Meine verehrten Damen und Herren insbesondere von
der Unionsfraktion, Sie werfen uns in Ihrem Antrag vor,
die Bundesregierung verharre in Untätigkeit.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Zu Recht! – Dirk Niebel [F.D.P.]: Wenn sie bloß untätig wäre, wäre das alles viel besser!)


Wenn man diese Punkte, die ich genannt habe, als Bei-
spiele nimmt, dann zeigt sich, dass wir tatsächlich einige
Schritte vorangekommen sind. Es kann doch nicht sein,
dass Sie das wirklich ernst meinen. Sie sollten besser
Ihren Antrag nicht weiter verfolgen,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Doch, das werden wir tun! Sie können ja dem Antrag zustimmen!)


sondern uns unterstützen, wenn wir konsequent die Ar-
beitsplatzfrage von älteren Arbeitnehmern in den Mittel-
punkt von Diskussionen stellen, zum Beispiel bei den Dis-
kussionen um die SGB-III-Reform. Das ist ganz wichtig.
Sie sollten das unterstützen, was die Arbeitsämter ma-
chen; ich glaube, das wäre der richtige Weg.

Wir werden bei der anstehenden SGB-III-Reform nicht
nur das Thema Jobrotation in Angriff nehmen, sondern
wir werden auch weitere Schritte in Richtung auf Wie-
dereingliederung von älteren Arbeitslosen in den Ar-
beitsmarkt machen. Das ist wohl auch angesichts der Ent-
wicklung der Zahlen angesagt.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Dann stimmen Sie doch unserem Antrag zu!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415226800
Herr Kol-
lege Ostertag, kommen Sie bitte zum Schluss.


Adolf Ostertag (SPD):
Rede ID: ID1415226900
Wir werden die Arbeitsmarkt-
politik auf hohem Niveau fortsetzen. Im Ansatz sind in-
zwischen 44 Milliarden DM für die aktive Arbeits-
marktpolitik vorgesehen.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: 45Milliarden DM! Reden Sie auch über die Effektivität! – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Und wie viel Leute?)


Bei Ihnen waren gerade einmal 37 Milliarden DM für die
aktive Arbeitsmarktpolitik vorgesehen, als Sie abgewählt
wurden. Inzwischen haben wir zusätzlich noch 1 Million
Arbeitslose weniger, wenn man das im Vergleich zu die-
sem Zeitpunkt sieht. Ich glaube, dass die Anstrengungen,
die wir unternommen haben, richtig waren.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415227000
Jetzt
kommen Sie bitte zum Schluss.


Adolf Ostertag (SPD):
Rede ID: ID1415227100
Ich lade Sie ein: Leisten Sie ei-
nen konstruktiven Beitrag, das Arbeitsplatzrisiko der älte-
ren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu senken, und
helfen Sie mit, dass das immense Erfahrungswissen der
älteren Arbeitslosen in den Unternehmen und unserem
Gemeinwesen wieder zum Tragen kommt.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Das ist der erste Satz, den Sie dazu sagen!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415227200
Herr Kol-
lege, ich hatte Sie jetzt dreimal gebeten, zum Schluss zu
kommen.


Adolf Ostertag (SPD):
Rede ID: ID1415227300
Diese Aufforderung richtet
sich auch an die Tarifvertragsparteien.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415227400
Als
nächster Redner hat der Kollege Dirk Niebel von der
F.D.P.-Fraktion das Wort.


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1415227500
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Ja, auch ich befürchte, dass die
Regierung ein Konzept hat, aber dieses Konzept führt
nicht dazu, dass die Situation auf dem Arbeitsmarkt ver-
bessert wird, sondern dazu, dass die Chancen, neue
Arbeitsplätze zu schaffen, erschwert werden. Dieses Kon-
zept wird ebenso wie die Maßnahmen im Antrag der
Union verhindern, dass die älteren Menschen in diesem
Land eine Chance auf Teilhabe am Arbeitsleben bekom-
men.


(Beifall bei der F.D.P.)





Adolf Ostertag
14934


(C)



(D)



(A)



(B)


Es gibt 1,2 Millionen Menschen über 50 Jahren, die ar-
beitslos sind. Das faktische Renteneintrittsalter liegt mitt-
lerweile bei 60,1 Jahren. Ein Zeitraum der Arbeitslosig-
keit von zehn Jahren ist nicht nur für die sozialen
Sicherungssysteme ein Problem, sondern ganz besonders
für die betroffenen Menschen außerordentlich schwierig.
Deshalb ist es dringend notwendig, dass wir sowohl die
menschlichen und sozialen Kompetenzen als auch die
Fachkenntnisse, die bei älteren Menschen vorhanden
sind, in die Betriebe einbinden. Das werden wir nicht
schaffen, Herr Ostertag, durch eine vermehrte Ausnut-
zung von Altersteilzeit, weil diese dazu führt, dass die Äl-
teren aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden und nicht wieder
neu hereinkommen. Das ist auch nicht durch eine erhöhte
Subventionierung der Einstellung von Arbeitssuchenden
aufseiten der Arbeitgeber zu schaffen,


(Beifall bei der F.D.P.)

sondern das werden wir nur schaffen, wenn wir die tarif-
vertraglichen Arbeitsmarkteintrittsbarrieren entschärfen
und so die Möglichkeit für ältere Arbeitnehmer schaffen,
wieder in den Arbeitsmarktprozess hereinzukommen.

Die Union setzt mit ihrem Antrag im Wesentlichen auf
Subventionen und viel zu wenig auf Eigeninitiative auf-
seiten von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Lebensbe-
gleitendes Lernen – die Erwerbsbiografien verändern
sich ja und man bleibt nicht mehr direkt nach der Ausbil-
dung sozusagen über die goldene Uhr bis zum verdienten
Ruhestand im gleichen Betrieb und im gleichen Beruf –
setzt ein höheres Maß von Flexibilität auf beiden Seiten
voraus, bei den Arbeitnehmern und bei den Arbeitgebern.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Nennen Sie einmal ein Beispiel!)


Die Weiterbildung ist zunächst Sache der jeweiligen Be-
troffenen. Das kann man durch steuerliche Anreize abfe-
dern, aber das nicht ist in erster Linie Sache der staat-
lichen Unterstützungskassen.

Wir müssen mehr auf Prävention setzen, das heißt,
man soll sich nicht erst beim Arbeitsamt melden, wenn
man schon arbeitslos ist oder weiß, dass man es innerhalb
von zwei Wochen wird. Man kann auch schon früher dort-
hin gehen und die Vermittlungsdienste in Anspruch neh-
men. Aber das alles ändert nichts daran, dass die tarifver-
traglichen Eintrittshemmnisse abgebaut werden müssen.
Wir haben es hier mit einem Kartell der Arbeitsplatzbe-
sitzenden gegen die Arbeitssuchenden zu tun. Dieses Kar-
tell müssen wir aufbrechen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Das geht nur, wenn wir das Einkommen vom Lebens-

alter abkoppeln, wenn wir zu einer Bezahlung nach der
Tätigkeit und nach der Leistung kommen und die Bezah-
lung nach Alter und Betriebszugehörigkeit abschaffen.
Denn das ist gut für die, die drin sind, etwa für einen
53-Jährigen, der nach sechs Monaten Betriebszugehörig-
keit unkündbar ist. Das ist aber nicht gut für die, die
draußen sind, die mit 55 vielleicht noch hineinkommen
wollen. Deswegen war es falsch, die Chance von befris-
teten Arbeitsverhältnissen einzuschränken.

Sie müssten, da bei den 45-Jährigen jeder zweite Ar-
beitslose schon länger als ein Jahr arbeitslos ist, vielmehr
die Chance von befristeten Verträgen nutzen und für Ar-
beitnehmer ab 50 Jahren befristete Arbeitsverträge ohne
Einschränkung ermöglichen, wenigstens aber zur alten
Regelung zurückkehren; denn nur so bekommen Sie die
Menschen in den Arbeitsmarkt.


(Beifall bei der F.D.P. – Klaus Brandner [SPD]: Hat Ihnen die BDA das aufgeschrieben, Herr Niebel?)


Diese Regierung hat nicht erkannt, dass es besser ist,
befristet in Arbeit zu sein, als unbefristet arbeitslos zu
sein. Mit der Frühverrentung spielen Sie die junge Gene-
ration gegen die alte aus. Die Alten werden aus dem Ar-
beitsmarkt herausgedrängt. Die Jungen müssen es bezah-
len. Im Endeffekt hat keiner etwas davon. So wird es nicht
funktionieren.


(Beifall bei der F.D.P.)

Herr Staatssekretär Andres hat im Bündnis für Arbeit

einen richtigen Schritt eingeleitet. Dass der Einkom-
menszuschuss für ältere Arbeitslose ab 50 Jahre gewährt
werden kann, ist vernünftig; denn dieses Förderinstrument
greift im ersten Arbeitsmarkt, wodurch in aller Regel eine
neu eintretende Arbeitslosigkeit verhindert wird.

Wir werden auch – das werden wir in einem Teilbe-
reich zu späterer Stunde in diesem Hause noch tun – ver-
mehrt über Zuwanderung reden müssen. Aber auch mit
Zuwanderung werden wir die Probleme des Arbeits- und
Fachkräftemangels nicht dauerhaft lösen. Wir müssen uns
um die Menschen kümmern, die schon im Land sind. Das
sind Ältere und das sind Nichtdeutsche.

Kurz gesagt, es geht um Teilhabe für Ältere; wir brau-
chen mehr davon. Es geht aber auch um die Sicherung der
Fachkompetenz für die Betriebe, die diese Kenntnisse un-
bedingt brauchen, wir brauchen mehr davon. Im Endef-
fekt: F.D.P., mehr davon.


(Beifall bei der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415227600
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Dr. Thea
Dückert von Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415227700

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Es ist gut, dass wir über dieses Thema hier diskutieren.
Der von der CDU/CSU eingebrachte Antrag wäre sogar
gut, wenn nicht mindestens 80 Prozent dessen, was darin
vorgeschlagen wird, in den letzten zwei Jahren von dieser
Regierung bereits angegangen worden wäre bzw. in der
Umsetzung wäre.

Sie haben Beispiele genannt. Das eine Beispiel ist die
Job-Rotation, Sie behaupten, Sie seien die Erfinder, die
Urheber dieses Programms. Richtig aber ist, Frau
Schnieber-Jastram, dass das Programm in den vergange-
nen Jahren in rot-grün regierten Ländern wie zum Bei-
spiel Nordrhein-Westfalen erprobt worden ist


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Das habe ich auch nicht gesagt!)





Dirk Niebel

14935


(C)



(D)



(A)



(B)


und dass wir das Programm auf der Basis der während
dieser Erprobung gemachten Erfahrungen jetzt im Bund
als Regelinstrument in ein verändertes SGB III überneh-
men können. Das ist doch die Realität.


(Klaus Brandner [SPD]: Abgeschrieben! – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ein guter Grund zuzustimmen! – Birgit SchnieberJastram [CDU/CSU]: Ein Grund mehr, dem zuzustimmen!)


Frau Schnieber-Jastram, wenn Sie auf einen Zug auf-
springen wollen, der schon längst fährt, dann werden Sie
übernächste Woche in diesem Plenum Gelegenheit haben,
sich unserem Antrag, der das noch präzisiert, anzu-
schließen. Dann werden wir an dieser Stelle weiterkom-
men.


(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Was wollen Sie die Woche noch machen? Machen Sie es doch heute!)


Sie schlagen in Ihrem Antrag vor – ich finde, das ist
eine gute Idee –, den Bildungsurlaub für innerbetriebli-
che Bildung zu nutzen. Sie wissen aber genauso gut wie
ich, dass Bildungsurlaub Ländersache ist und in den Län-
dern sehr unterschiedlich geregelt ist. Ich frage Sie einmal
– wenn Sie doch schon dafür verantwortlich sind –, in
welchem CDU-Land Sie das schon umgesetzt haben. Wie
ist es denn mit dem Bildungsurlaub im CSU-Land Bay-
ern? Wenn Sie hier ernsthaft diskutieren wollen, dann ma-
chen Sie Vorschläge, über die wir auf Bundesebene reden
können.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Es gibt eine Bundesgesetzgebung!)


Wenn Sie meinen, Sie seien vorne an der Bewegung, dann
zeigen Sie uns doch einmal, wie Sie das in Ihren eigenen
Ländern regeln.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der Antrag wäre nicht nur gut, wenn nicht schon so viel
umgesetzt wäre, er wäre sogar sehr gut, wenn Sie Per-
spektiven aufzeigen würden. Auch das machen Sie natür-
lich nicht. Sie haben einen nur in Ihren Augen zu-
kunftsgewandten Vorschlag bezüglich der Rente gemacht,
nämlich dass nach 35 Jahren Mitgliedschaft in der ge-
setzlichen Rentenversicherung die Rentenbeiträge abge-
senkt werden sollen.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Das haben Sie sich gut angeschaut!)


Frau Schnieber-Jastram, ich muss Sie wirklich mit al-
lem Ernst fragen: Was haben wir im letzten Jahr eigent-
lich gemacht? Wir haben in zähen Gesprächen über die
Rentenreform gestritten. Sie hatten bis vor drei Wochen
noch Gelegenheit, Änderungsanträge einzureichen. Aber
was ist passiert? – Ich habe keinen Änderungsantrag ge-
sehen.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Sie haben doch während der Verabschiedung die Novellierung beschlossen! Hören Sie doch auf!)


– Herr Kollege Meckelburg, Sie wissen ganz genau, dass
Sie eine gegenteilige Position in der Rentendebatte auf
Basis eines CSU-Vorschlages eingenommen haben, der
Vorstellungen enthielt, wie man mit Rentnerinnen und
Rentnern nach 45 Beitragsjahren verfahren soll. Das ist
aber ein ganz anderes Thema.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Passen Sie auf, dass Sie sich nicht verheddern!)


Im Übrigen gibt es dabei ein Problem mit der Äquivalenz
in der Rentenversicherung. Sie blasen nur die Backen auf.
Sie hatten bis vor kurzem noch die Gelegenheit, sich kon-
struktiv mit diesem Thema zu befassen. Sie haben diese
Chance aber nicht genutzt.

Ich finde Ihre Analyse „spannend“, dass es für die äl-
teren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf dem Ar-
beitsmarkt ein Riesenproblem gibt,


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Sehr gut!)


dass wir ein Qualifikationsproblem in der Zukunft be-
kommen und dass wir uns damit auseinander setzen müs-
sen. Um aber eine sehr gute Analyse abzuliefern, hätten
Sie die Ehrlichkeit und den Mut haben müssen, sich ein-
mal mit der Tatsache auseinander setzen müssen, dass Sie
während Ihrer Regierungszeit den Paradigmenwechsel
verschlafen haben. Die Nachbarländer wie zum Beispiel
Dänemark und Holland haben in den vergangenen Jahren
schon längst erkannt – dieser Punkt war Bestandteil Ihrer
Vorschläge –, dass ein Renteneintrittsalter von durch-
schnittlich 58 Jahren der falsche Weg ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Sie haben die Altersteilzeit zweimal weitergeführt! – Gegenruf des Abg. Klaus Brandner [SPD]: Wirkungslos wart ihr!)


In Dänemark werden seit Jahren Job-Rotation und an-
dere Projekte angegangen.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Sie haben es bisher nicht gemacht!)


Sie hätten während Ihrer Regierungszeit die Chance ge-
habt, in diesem Bereich tätig zu werden. Aber Sie haben
sie nicht ergriffen. Wir müssen die Probleme jetzt an-
packen. Es ist gut, auch wenn es für Sie schwierig ist, dass
Sie auf den Boden der Tatsachen zurückkommen. Wir be-
grüßen Sie gerne an Bord des fahrenden Zuges.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Sie müssen erst noch in den Zug einsteigen!)


Machen Sie mit beim Kampf gegen die Arbeitslosigkeit
von älteren Menschen!

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415227800
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Pia Maier von der PDS-
Fraktion das Wort.




Dr. Thea Dückert
14936


(C)



(D)



(A)



(B)



Pia Maier (PDS):
Rede ID: ID1415227900
Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Frau Schnieber-Jastram, Ihre Analyse der Zu-
kunftsperspektive für die nächsten zehn Jahre teile ich
durchaus. Ich glaube aber, dass die Vorschläge in Ihrem
Antrag an den heutigen Problemen gänzlich vorbeigehen.


(Beifall bei der PDS)

Lassen Sie mich Ihre Vorschläge einmal ganz irdisch

betrachten. Frau Schnieber-Jastram, wären Sie eine ganz
normale Arbeitnehmerin – Ihr Alter kann man genauso
wie meines nachlesen: Sie sind 55 und ich werde 30 –,


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Sie sieht viel jünger aus! Sie hat sich gut gehalten!)


dann könnten Sie ohne Einschränkung befristet beschäf-
tigt werden.


(Zuruf der Abg. Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU])


– Habe ich mich verrechnet?

(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Sie wird erst noch 55! Sie fühlt sich viel jünger, hat sie gesagt!)


– Bei den von Ihnen vorgeschlagenen Fristen zählt nicht,
wie alt Sie sich fühlen, sondern wie alt Sie tatsächlich
sind.

Außerdem würden Sie, abgesehen davon, dass Sie be-
fristet beschäftigt werden, noch die Möglichkeit einge-
räumt bekommen, gefördert ein Tandem zu bilden – mei-
netwegen auch mit mir –, damit ich von Ihrer Qualifikation
profitieren kann. Über Weiterbildung soll geredet werden
und in lokalen Netzwerken sollen Sie sich fortbilden.

In gut zehn Jahren würden Sie nach dem heutigen
Stand der Dinge in Rente gehen. Ich würde dann immer
noch lange Zeit zu arbeiten haben. Sie hätten aber mit
Ihrem Antrag dafür gesorgt, dass ich keinen Bildungsur-
laub mehr nehmen kann bzw. von meinem Arbeitgeber
dahin gedrängt werde, ihn für innerbetriebliche Fortbil-
dung zu verwenden. Wenn mein Arbeitgeber nicht vo-
rausschauend plant, dann hätte ich keine Chance, meine
Qualifikation zu verbessern. Ich wäre vielmehr auf seine
Vorgaben angewiesen.

Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Ihre
Vorschläge sind kurzsichtig. Das Problem liegt nicht bei
den heute 55-Jährigen. Das Problem ist, dass die Arbeit-
geber nur noch das Nötigste in Bildung und Weiterbildung
investieren, weil sie wissen, dass sie nach dem Staat rufen
können, wenn etwas schief geht.

Das Problem ist die verfehlte Bildungspolitik der letz-
ten knapp 20 Jahre, die keinen Grundstein für eine ler-
nende Gesellschaft gelegt hat. Das Problem ist aber nicht
der Mangel an qualifizierten Mitarbeitern. Wir hätten ge-
nug Menschen, die qualifizierte Stellen besetzen könnten,
wenn sie schon viel früher die richtigen Bedingungen vor-
gefunden hätten, zu studieren, Kurse zu besuchen und
sich weiterzubilden. Aber es gibt bis heute kein Weiter-
bildungsgesetz und bei der Personalentwicklung konnten
die Unternehmen getrost sparen, wohl wissend, dass

dann, wenn Probleme auftauchen, staatlicherseits ent-
sprechende Maßnahmen ergriffen werden.

Ihre Vorschläge müssen in den Ohren der heute Ar-
beitslosen – das sind ja nicht gerade wenige und nicht ge-
rade ausgewählte Menschen – zynisch klingen.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Sie sollen nur noch befristet beschäftigt werden und hören
überall, dass ihre Qualifikation falsch sei, dass sie zu
nichts mehr nütze seien, außer kurzfristig und befristet
Löcher zu stopfen. Von den Arbeitslosen, die in Qualifi-
kationsmaßnahmen geschickt werden, hört man dann,
dass sie dort eigentlich nur gebeten werden, doch bitte
möglichst schnell den Arbeitsmarkt zu räumen und in den
Vorruhestand zu gehen.

So bereinigt man Statistiken, aber so löst man nicht die
Probleme der arbeitslos Gemeldeten. Die löst man nur, in-
dem man Arbeitsplätze schafft.


(Beifall bei der PDS)

Qualifikation, egal in welchem Alter, ist wichtig. Sie
bauen hier aber einen Popanz auf, der vor allem dazu
dient, die hier und heute bestehende Arbeitslosigkeit als
Problem wegzureden. Für einen solchen Ansatz bekom-
men Sie unsere Zustimmung nicht.

Danke.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415228000
Ich
schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5139 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
DritterBericht zurLage der älteren Generation
in der Bundesrepublik Deutschland: Alter und
Gesellschaft
und
Stellungnahme der Bundesregierung
– Drucksache 14/5130 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus

Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.






(C)



(D)



(A)



(B)


Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat
Bundesministerin Christine Bergmann das Wort.

Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Dritte Al-
tenbericht beschreibt sehr umfassend die Lebenssituation
der älteren Generation zehn Jahre nach Erreichen der
deutschen Einheit und er beschreibt grundlegende Verän-
derungen der Situation älterer Menschen in unserer Ge-
sellschaft. Bei aller Notwendigkeit einer differenzierten
Betrachtung ist festzustellen – das ist sehr erfreulich –,
dass die meisten Seniorinnen und Senioren heute gesün-
der, besser ausgebildet und materiell unabhängiger sind,
als es in früheren Generationen der Fall war.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Weit über das 70. Lebensjahr hinaus sind immerhin
80 Prozent der Rentnerinnen und Rentner zu einer weit-
gehend selbstständigen Lebensführung in der Lage. Der
größte Teil der älteren Bevölkerung lebt die ersten 15 bis
20 Jahre nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben
unabhängig von ständiger Hilfe und Pflege.

Die dritte Lebensphase wird vom überwiegenden Teil
der Menschen in unserem Land als Chance gesehen und
das ist sehr gut so.

Der Bericht stellt fest, dass die älteren Menschen in un-
serem Land in gesicherten sozialen und materiellen Ver-
hältnissen leben können. Das gilt für den Westen wie für
den Osten Deutschlands gleichermaßen, wobei die wich-
tigste Einkunftsquelle die Rente aus der gesetzlichen Ren-
tenversicherung ist. Dies gilt etwas mehr für Ostdeutsch-
land als für Westdeutschland.

Keine Altersgruppe in Deutschland weist eine so ge-
ringe Sozialhilfedichte auf wie die der älteren Menschen
über 65 Jahre. Das ist höchst erfreulich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Politik der Bundesregierung für ältere Menschen ist
so angelegt, dass dies auch in Zukunft so sein wird. Wir
haben mit der Rentenreform Bedingungen geschaffen,
die die demographischen Veränderungen, die auf uns zu-
kommen, berücksichtigen. Diese Veränderungen sind ge-
waltig. Ich will noch einmal die Zahlen nennen. Der An-
teil der über 60-Jährigen wird sich bis zum Jahr 2050 auf
36 Prozent erhöhen; gleichzeitig wird sich der Anteil der
unter 20-Jährigen auf 16 Prozent verringern. Das heißt,
innerhalb von 100 Jahren hat sich das Verhältnis genau
umgekehrt. Hatten wir 1950 ungefähr doppelt so viele un-
ter 20-Jährige wie über 60-Jährige, werden wir 2050 circa
doppelt so viele über 60-Jährige wie unter 20-Jährige ha-
ben. Darauf stellen wir uns in unserer Politik, und zwar
von der Rentenreform bis hin zu Altenhilfeprojekten, ein
und warten nicht ab, was passiert.

Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, der in dem
vorliegenden Altenbericht sehr deutlich zutage tritt: Die
Solidarität der Generationen in unserem Land ist – das
muss man immer wieder betonen – entgegen allen Un-

kenrufen intakt. Sie ist ein wichtiges Fundament unserer
Gesellschaft. Ältere Menschen haben eine enge Verbin-
dung zu ihren Familien, ihren Kindern und ihren Enkel-
kindern. 70 Prozent der Älteren wohnen mit mindestens
einem ihrer Kinder am selben Ort, 45 Prozent sogar im
selben Haus bzw. in unmittelbarer Nachbarschaft. Hilfe
wird vielfältig geleistet, und zwar in beiden Richtungen:
Die Älteren helfen den Jüngeren – häufig in materieller
Hinsicht – und die Jüngeren natürlich den Älteren.

Dieses „mitverantwortliche Leben“, wie es der Alten-
bericht nennt, zeigt sich auch an der aktiven Teilnahme
am gesellschaftlichen und am nachbarschaftlichen Leben.
Aus vielen Vereinen, Einrichtungen und Organisationen
ist die ehrenamtliche Arbeit der Älteren überhaupt nicht
mehr wegzudenken. Etwa jeder dritte ältere Mensch ist
bis zum 70. Lebensjahr ehrenamtlich engagiert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Haupt [F.D.P.])


– Dies verdient wirklich Anerkennung.
Wir können es nicht häufig genug betonen: Dieses En-

gagement ist ein bedeutendes gesellschaftliches Potenzial,
das wir fördern und stützen. Ich will ein Beispiel nennen:
Mit unserem Multiplikatorenprogramm „Erfahrungswis-
sen für Initiativen“ erhalten Ältere die Möglichkeit, ihre
Kompetenz einzubringen, indem sie ihr Wissen an jüngere
Generationen weitergeben. Das stärkt das Engagement,
die gesellschaftliche Stellung und die Anerkennung älterer
Menschen und das hilft den Jungen, weil sich die Älteren
wirklich aktiv kümmern können.

Dieses bürgerschaftliche Engagement zu würdigen
und zu stärken ist das Ziel unserer vielfältigen Aktivitäten
im Internationalen Jahr der Freiwilligen. Wir werden
uns an der einen oder anderen Stelle damit sicher noch
auseinander setzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, wir brauchen die aktive
Teilhabe älterer Menschen, um die Zukunft unserer Ge-
sellschaft zu gestalten. Das gilt auch für die Arbeitswelt.
Über dieses Thema wurde ja gerade eine Debatte geführt.
Auch im Altenbericht wird zu Recht festgestellt, dass es
paradox ist, dass bei einem steigenden Durchschnittsalter
der Bevölkerung insgesamt – das gilt auch für die Er-
werbsbevölkerung – der Anteil der über 50-Jährigen, die
noch einer Erwerbsarbeit nachgehen, gesunken ist. Wir
alle kennen die Arbeitsmarktsituation und wissen, dass es
in den letzten Jahren absolute Priorität war und im Mo-
ment noch ist, zu sichern, dass die Jungen am Arbeits-
markt teilhaben. Aber wir wissen auch, wie die Entwick-
lung weitergehen wird: Wir können es uns in den nächsten
Jahren nicht mehr leisten, auf die Kompetenz der über
50-Jährigen, auf diese Fachkräfte, zu verzichten. Deswe-
gen ist hier ein Umdenken notwendig. In den Unterneh-
men muss es zu einer vorausschauenden Personalpolitik
und zu einer Qualifizierung derjenigen kommen, die nicht
mehr ganz so jung sind, die also die 30 schon ein bisschen
überschritten haben.




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
14938


(C)



(D)



(A)



(B)


Alt sein heißt nicht zwangsläufig, gebrechlich und
hilfsbedürftig zu sein. Wir wissen, dass der medizinische
Fortschritt den Gesundheitszustand der älteren Men-
schen verbessert. Wir können davon ausgehen, dass wir
alle länger gesünder bleiben. Das ist eine sehr positive
Entwicklung. Aber wir wissen auch, dass vor allem die
über 80-Jährigen mit Gesundheits- und Funktionsein-
bußen zu tun haben. Bis zum Jahr 2050 wird der Anteil der
über 80-Jährigen an der Gesamtbevölkerung von jetzt
4 Prozent auf 12 Prozent wachsen. In diesem Alter stellt
sich natürlich einiges ein: Multimorbidität, chronische Er-
krankungen und insbesondere Altersdemenz, die heute
eine der häufigsten Ursachen von Pflegebedürftigkeit ist.
Das stellt die Altenhilfe vor große Herausforderungen.

Ich will ein paar Beispiele nennen, wie wir darauf rea-
giert haben – wir haben nämlich den hier bestehenden Re-
formstau kräftig abgebaut: Wir haben an der einen oder
anderen Stelle schon darüber gesprochen. Es geht darum,
den Schutz der Hilfsbedürftigen zu gewährleisten, die
Qualität der Hilfe zu sichern und die Strukturen der Al-
tenhilfe effektiver zu gestalten. Die Sicherung von Pfle-
gequalität ist nicht denkbar ohne die Sicherung einer
zeitgemäßen Ausbildung der Pflegekräfte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Damit fängt es an. Im Rahmen des neuen Altenpflegege-
setzes bzw. einer bundeseinheitlichen Altenpflegeausbil-
dung haben wir es erstmals geschafft, ein einheitliches
Berufsprofil herzustellen und diesen typischen Frauenbe-
ruf aufzuwerten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dieses Gesetz haben wir hier verabschiedet. Wir stehen
nun wieder vor der Situation, dass das Land Bayern – man
kann nicht vom vergangenen Jahrhundert sprechen, weil
es noch nicht lange zurückliegt – einige Jahrzehnte im
Rückstand ist und offensichtlich den Zustand der 17 un-
terschiedlichen Altenpflegeausbildungen noch eine Weile
beibehalten möchte.

Ich kann Ihnen eigentlich nur raten: Lesen Sie diesen
Dritten Altenbericht sehr genau. Sie finden darin viel zur
gesundheitlichen Situation, viele Empfehlungen, die un-
ser Handeln sehr unterstützen. Denn in Ihrer Klage vor
dem Bundesverfassungsgericht behaupten Sie ja, dass
dieser Beruf gar nicht so sehr in den medizinisch-pflege-
rischen Bereich hineingehört. Die alte Leier: Es reicht,
wenn man schon einmal in der Familie etwas getan hat. –
Das reicht eben nicht. Deswegen haben wir das Alten-
pflegegesetz verabschiedet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich will einen weiteren Punkt nennen. Wir hören leider
immer wieder von Missständen in Pflegeheimen.Auch in
dieser Hinsicht haben wir gehandelt. Mit der Novellierung
des Heimgesetzes und dem Pflege-Qualitätssicherungsge-
setz, die ja schon auf dem Tisch liegen, werden wir diese
Situation beträchtlich verbessern. Wir verbessern die
rechtliche Stellung der Bewohnerinnen und Bewohner der

Heime. Wir verstärken die Heimaufsicht. Wir stärken die
Qualitätssicherung in den Heimen. Unser Ziel ist klar:
Qualitätskontrolle und -sicherung müssen sich zukünftig
wie ein roter Faden durch Strukturen und Systeme in der
Altenhilfe ziehen. Letztlich geht es darum, die Würde der
älteren pflegebedürftigen Menschen zu respektieren. Die-
ses Ziel verfolgen wir mit diesen Gesetzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aber unsere Politik sorgt auch für eine zeitgemäße
Weiterentwicklung der Infrastruktur, zum Beispiel durch
das Modellprogramm „Altenhilfestrukturen der Zu-
kunft“. Hierbei geht es darum, die Übergänge, die Zu-
sammenarbeit zwischen Rehabilitation und Pflege, zwi-
schen Tagespflege und ambulanten Diensten und der
Beratung für Angehörige zu verbessern. Hier geht es ins-
besondere auch darum, den Menschen, die demenzkranke
Angehörige pflegen, Hilfe und Unterstützung zu geben
und damit auch neue Wege in der Pflege zu beschreiten.
Darüber hinaus wollen wir das Verständnis der Gesell-
schaft für das Zusammenleben mit Demenzkranken ver-
bessern und deutlich machen, welche Herausforderungen
auf die Familien und auf die Gesellschaft zukommen. Ich
denke, das sind sehr wichtige Punkte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich halte es für wichtig und richtig, dass sich der
Vierte Altenbericht, an dem jetzt schon gearbeitet wird
und der bis zum Ende der Legislaturperiode vorliegen
wird, das Thema Demenz in den Mittelpunkt stellen wird.

Die demographische Entwicklung der nächsten Jahr-
zehnte stellt unsere Gesellschaft vor neue Herausforde-
rungen. Diesen stellen wir uns, und zwar nicht nur auf na-
tionaler, sondern auch auf internationaler Ebene. Wir
haben angeregt, dass der Weltaltenplan nach 20 Jahren
endlich überarbeitet wird, dass dieses Thema also nicht
immer nur lokal oder regional bearbeitet wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dies geschieht jetzt und wir arbeiten hieran aktiv mit.
Im Jahr 2002 werden wir hier auch eine regionale ECE-
Konferenz durchführen, bei der es um die Implementie-
rung der Ergebnisse des überarbeiteten Weltaltenplans ge-
hen wird, weil wir auch internationale Unterstützung in
diesem Bereich haben wollen.

Ich komme zum Schluss. Der vorliegende Bericht un-
terstützt und bestätigt nachdrücklich die zukunftsorien-
tierte Seniorenpolitik der Bundesregierung. Wir schaffen
Bedingungen für ein aktives Altern inmitten der Gesell-
schaft und wir sichern Hilfe und Schutz für Menschen, die
im Alter unsere Unterstützung brauchen. Dafür steht un-
sere Politik.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Bundesministerin Dr. Christine Bergmann

14939


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415228100
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Maria Eichhorn von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Maria Eichhorn (CSU):
Rede ID: ID1415228200
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Der Dritte Altenbericht
zum Thema Alte und Gesellschaft beschreibt einerseits
Defizite und Verbesserungsmöglichkeiten bei der Gesund-
heitsversorgung und widmet sich andererseits den Anfor-
derungen, die sich aus einer alternden Gesellschaft erge-
ben.

Die Stellungnahme der Bundesregierung enthält keine
Antwort auf die aufgeworfenen Fragen. Auch der vorlie-
gende Entschließungsantrag der SPD


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Entschließungsantrag ist auch von den Grünen!)


enthält außer allgemeinen Feststellungen nichts Neues.
Der Lagebericht über die Situation der Älteren in der Bun-
desrepublik Deutschland zeigt die erheblichen Anstren-
gungen zu Regierungszeiten der CDU/CSU zur Verbesse-
rung der gesellschaftlichen Situation der Seniorinnen und
Senioren in unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Jetzt geht es darum, Perspektiven für die Zukunft zu

entwickeln. Die Bevölkerung erwartet von uns und vor al-
len Dingen von Ihnen, der Koalition, konkrete Schluss-
folgerungen und Handlungsanweisungen. Wir erwarten
eine konkrete Stellungnahme der Bundesregierung dazu,
ob und wie der Staat in einer alternden Gesellschaft be-
reit ist, vorzusorgen und die Teilhabe älterer Menschen
am gesellschaftlichen Leben zu fördern.


(Zustimmung bei der CDU/CSU – Arne Fuhrmann [SPD]: Wer des Lesens mächtig ist, weiß das!)


Wir erwarten konkrete Schritte und verlässliche Aussagen
der Seniorenministerin dazu, mit welchen Gesetzesvorha-
ben und inhaltlichen Zielvorstellungen sie die Senioren-
politik in unserem Lande betreiben will.

Zu Beginn der Legislaturperiode haben Sie, Frau Mi-
nisterin, lautstark mehrere Gesetze im Seniorenbereich
angekündigt.


(Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin: Zwei liegen auf dem Tisch! – Gegenruf von der CDU/CSU: Vielleicht sollte man die dort einmal wegnehmen!)


Aber was ist aus diesem Ihrem Versprechen geworden?
Lediglich ein Gesetz, das Altenpflegegesetz, ist bisher
verabschiedet worden. Dabei gibt es aber viele Probleme
bei der Umsetzung, wie uns die Fachleute sagen.

Nun soll endlich das Heimgesetz eingebracht werden.
Trotz langer Vorbereitungszeit gibt es in Fachkreisen er-
hebliche Zweifel, ob mit diesem Gesetz die gesteckten
Ziele erreicht werden können.

Alle weiteren angekündigten Gesetze sind auf die
lange Bank geschoben worden. Gestern haben Sie, Frau

Ministerin, im Ausschuss zugegeben, dass Sie das Alten-
hilfestrukturgesetz nicht mehr in dieser Legislaturperiode
verwirklichen wollen, anders als Sie es noch 1999 an-
gekündigt hatten.


(Arne Fuhrmann [SPD]: Damals wusste ja noch keiner, was für einen Schrott wir vorfinden!)


Zurück zum Altenbericht. Die Bundesregierung gibt
keine Antwort darauf, dass Leistungen, die bisher von der
Familie für die ältere Generation erbracht wurden, in Zu-
kunft nicht mehr zu erwarten sind. Kinder leben oft weit
entfernt von ihren Eltern, sodass sie sich schon allein des-
halb nicht mehr um sie kümmern können.

Ein großer Teil des vorliegenden Berichts ist dem Pfle-
gebereich gewidmet. Das Altenpflegegesetz, das im letz-
ten Jahr verabschiedet wurde, bringt bei der Umsetzung
erhebliche Probleme. So sind hinsichtlich der bisher nicht
erlassenen Rechtsverordnungen heute noch viele Fragen
offen. Die Altenpflegeschulen und die Träger müssen
endlich wissen, welche konkrete Bedeutung der ambulan-
ten Altenhilfe in der praktischen Ausbildung zugemessen
wird.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Bayern nicht so lange blockiert hätte, wäre das alles schon fertig!)


Es muss geklärt werden, wie die vorgeschriebene inhalt-
liche und organisatorische Abstimmung des Unterrichts
mit der praktischen Ausbildung gewährleistet werden
kann. Da heute noch keine Ausbildungs- und Prüfungs-
ordnungen vorliegen, können auch noch keine Ausbil-
dungsverträge ausgearbeitet werden, obwohl im Herbst
mit der neuen Ausbildung begonnen werden soll.

Nun aber zum drängendsten Problem. Für die Träger
der stationären Einrichtungen ist es völlig ungewiss, in
welcher Höhe die Ausbildungsvergütung tatsächlich in
den Pflegesatz aufgenommen wird. Deswegen frage ich
Sie, ob es sinnvoll ist, bei derartig vielen offenen Fragen
die neue Ausbildung nach dem Altenpflegegesetz zum
1. August dieses Jahres erzwingen zu wollen. Ich sage:
nein. Machen Sie zuerst Ihre Hausaufgaben!

Einen weiteren Bereich will ich herausgreifen, nämlich
die ökonomischen Ressourcen im Alter, wie sie der Be-
richt nennt. Die Sachverständigen warnen vor einer dro-
henden zunehmenden Altersarmut. Nach der von Ihnen
durch den Bundestag gepeitschten Rentenreform wird
aber die Altersarmut nicht ab-, sondern zunehmen. So se-
hen es auch die Rentenexperten. Vor diesem Hintergrund
kann man wohl kaum noch von ökonomischen Ressour-
cen sprechen, sondern eher von ökonomischen Zumutun-
gen im Alter.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Rentenanpassungsformel ist willkürlich und mani-

pulierbar. Dabei wird das Rentenniveau geschönt und ist
real niedriger als angegeben. Sie haben am Tage der Ver-
abschiedung mit Ihrem Entschließungsantrag selbst ver-
deutlicht, dass tatsächlich nur ein Rentenniveau von
64 Prozent erreicht wird.






(C)



(D)



(A)



(B)


Sagen Sie doch den Bürgern in unserem Land die
Wahrheit!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sagen Sie unseren Bürgern, dass trotz Senkung des Ren-
tenniveaus der Beitragssatz von 22 Prozent im Jahre 2030
nicht gehalten werden kann.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: So ist es!)


Die Förderung der privaten Altersvorsorge reicht nicht
aus, um Familien mit niedrigem Einkommen eine wirkli-
che zusätzliche Absicherung zu ermöglichen.

Die Rentenreform geht vor allem zulasten der Frauen.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Quatsch! Völliger Unsinn! – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Durch das Einfrieren der Freibeträge bei der Hinterblie-
benensicherung und die Anrechnung aller Einkommen
auf die Hinterbliebenenrente werden die Rentnerinnen be-
trogen.


(Zuruf von der SPD: Welches Frauenbild haben Sie denn?)


Diejenigen, die etwas angespart haben, um sich im Alter
besser zu stellen, werden bestraft.

Die Absenkung des Rentenniveaus trifft Frauen dop-
pelt, bei der eigenen Rente und bei der Witwenrente über
die abgesenkte Rente des Ehemannes. Hinzu kommt, dass
Frauen im Durchschnitt im Osten 35 und im Westen nur
26 Beitragsjahre aufzuweisen haben.

Auf die Ungerechtigkeiten und Ungereimtheiten im Zu-
sammenhang mit der Bewertung der Kindererziehung für
die Rente kann ich aus Zeitgründen nicht näher eingehen.


(Renate Diemers [CDU/CSU]: Das ist ein ganz wichtiges Thema!)


Festzustellen ist jedoch: Zukünftig gibt es Kinder unter-
schiedlicher Güte für die Rente. Der Bericht des „Spiegel“
in dieser Woche unter dem Titel „Riesters Reformruine“
könnte deutlicher nicht sein. Ich zitiere:

Tricks und Pfusch ... frisierte Zahlen ... steigende
Beiträge, kümmerliche Privatrente ... staatliche Be-
vormundung.

Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In einem künftigen Altersbericht wird die Rente wohl
nicht mehr unter „Ressourcen im Alter“ Erwähnung fin-
den, sondern in dem sich ausdehnenden Kapitel „Armut
im Alter“.

Meine Damen und Herren, das Alter ist eine Lebens-
phase, die sowohl für den Einzelnen als auch für die Ge-
sellschaft viele Chancen bietet, aber auch mit Anforde-
rungen verbunden ist. Der Dritte Altenbericht stellt die
Anforderungen dar. Ich fordere Sie, die Bundesregierung
und die Koalitionsfraktionen, auf, daraus die notwendi-
gen Schlussfolgerungen zu ziehen, damit Alt und Jung

wissen, wie es weitergeht.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415228300
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Irmingard Schewe-
Gerigk von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Die sieht schon aus, als wäre sie von der CDU!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und Kollegen! Ich möchte mit einem Zitat des Designers
Wolfgang Joop beginnen. Er sagt: „Grey is beautiful“ und
nennt damit ein neues Schönheitsideal. Im Zeichen der
immer älter werdenden Gesellschaft steht dieser Aus-
spruch für die Zukunft; denn bald wird jede dritte Person
in Deutschland über 60 Jahre alt sein. Die Ministerin hat
genauere Zahlen genannt; ich will das nicht wiederholen,
aber noch eine Zahl zur Verdeutlichung ergänzen: Nach
einer Schätzung des Max-Planck-Instituts wird jedes
zweite Mädchen, das heute geboren wird, 100 Jahre alt.

Die Menschen werden künftig aber nicht nur länger le-
ben, sondern immer mehr Lebenszeit relativ gesund ver-
bringen. Auf diese Entwicklung müssen sich Gesellschaft
und Politik einstellen. Der vorliegende Bericht bietet hier-
für wertvolle Hinweise. Er macht deutlich, wie differen-
ziert diese wachsende Gruppe von älteren und alten
Menschen zusammengesetzt ist. Die Klischees in der Ge-
sellschaft halten sich hartnäckig. Da gibt es die Oma im
Schaukelstuhl, den Pflegefall oder die rüstigen Mallorca-
Reisenden. Dazwischen ist nichts.

Aber alt sein heißt nicht zwangsläufig, gebrechlich und
hilfsbedürftig sein. Senioren sind keine graue Masse von
Gleichgesinnten, nein, sie sind ein bunter Haufen. Sie un-
terscheiden sich deutlich in ihrer Leistungsfähigkeit,
ihren Interessen und der Gestaltung ihres Alltags.

Von zentraler Bedeutung für ältere Menschen ist
Selbstständigkeit, Lebenszufriedenheit, soziale Integra-
tion und materielle Sicherheit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


80 Prozent der Älteren erfreuen sich guter Gesundheit.
Sie leben unabhängig von Hilfe und Pflege, sind aktiv, en-
gagieren sich in ihrem familiären Umfeld, in der Nach-
barschaft, in Kommunen und Vereinen.

Auch Familien profitieren von den alten Menschen;
denn familiäre Bindungen sind für sie ebenso wichtig wie
für die jungen. Das bestätigte jüngst die Shell-Jugendstu-
die.

Familienpflege wird zu 80 Prozent von Frauen zwi-
schen 50 und 65 Jahren geleistet und viele erbringen diese
Leistung sogar nach dem so genannten Sandwich-System.
Das heißt, sie pflegen die Generation vor ihnen und die
Generation nach ihnen, die Eltern und die Enkelkinder.
Das führt nicht selten zur Überforderung. Ich erwarte,




Maria Eichhorn

14941


(C)



(D)



(A)



(B)


dass bei der zunehmenden Frauenerwerbstätigkeit diese
für die Gesellschaft kostenlos geleisteten Dienste


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Das hat Frau Diemers schon 1991 erzählt!)


künftig so nicht aufrechtzuerhalten sein werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Um ihre Erfahrungen weiterzugeben, entwickeln ältere
Menschen aber auch ganz neue Beschäftigungsformen. In
Wissensbörsen bieten sie ihr Wissen und ihre Dienstleis-
tungen an. Sie schließen sich immer mehr zu lokalen
Initiativen und zu Seniorenbeiräten zusammen, um ge-
meinsame politische Interessen zu verfolgen.

Die Politik ist aufgerufen, dieses enorme Engagement
zu unterstützen. Dies gilt für alle Bereiche – für die Wei-
terbildung, für Wohnen und Stadtplanung bis hin zur Ar-
beitsmarkt-, Gesundheits- und Pflegepolitik. Wir ziehen
mit diesem Antrag jetzt die Konsequenzen daraus und un-
terstützen die Menschen, Frau Eichhorn.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Bildung und Weiterbildung bilden den Grundstock ei-
ner auf Wissen basierenden Gesellschaft. Wer nicht außen
vor bleiben möchte, muss bereit sein, ein Leben lang zu
lernen. Deshalb sind altersübergreifende Bildungsan-
gebote in Betrieben und Universitäten, aber auch selbst-
organisierte Angebote zu fördern.

Senioren sind aber auch in Sachen Verbandsarbeit sehr
aktiv. Die Zahl der Gründungen von gemeinnützigen
Initiativen hat sich in den letzten Jahren mehr als verdrei-
facht und diese Arbeit ist für unsere Gesellschaft wichtig.

Derzeit werden von der Bundesregierung zahlreiche
ehrenamtlich geführte Einzelprojekte gefördert. Weitere
Maßnahmen stehen noch an, um für das Ehrenamt auch
bessere Rahmenbedingungen zu schaffen.


(Renate Diemers [CDU/CSU]: Sie haben uns damals immer ausgelacht, wenn wir das gesagt haben!)


Dazu gehören Versicherungsschutz sowie qualifizierte
Weiterbildungsmaßnahmen.

In der vorigen Debatte haben wir gehört, dass Deutsch-
land Schlusslicht bei der Beschäftigung älterer Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer innerhalb der EU ist. Ich
frage Sie: Woran liegt denn das, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der CDU/CSU? Das, was Sie beklagen, ha-
ben Sie durch die jahrelange, fehlgeleitete Arbeitsmarkt-
politik der Frühverrentung geradezu herbeigeführt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir werden Beschäftigungsmöglichkeiten für ältere
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schaffen, wir wer-
den in Qualifizierung investieren. Dies ist nämlich nicht
nur ein Anspruch der Beschäftigten, sondern angesichts
der demographischen Entwicklung geradezu notwendig.

Ich komme zum Thema Wohnen im Alter.Alte Men-

schen wollen so lange wie möglich in ihrer gewohnten
Nachbarschaft bleiben. Kasernenartige Altenheime sind
keine Einrichtungen der Zukunft und müssen endlich der
Vergangenheit angehören.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wohnformen, die einen hohen Grad an eigener Häus-
lichkeit ermöglichen, sind gefragt. Die bestehenden For-
men des altersgerechten und generationenübergreifenden
Wohnens müssen daher weiter ausgebaut werden.

Deshalb begrüße ich das Modellprogramm der Minis-
terin Bergmann „Selbstbestimmt Wohnen im Alter“. Die-
ses Programm schafft gute Voraussetzungen dafür, dass
wir individuelle Möglichkeiten für vielfältige Wohnfor-
men schaffen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich komme jetzt zu einem sehr traurigen Thema. Dass
die Heimmindestbauverordnung umfassend überarbeitet
werden muss, ist ein Gebot der Stunde. Viel zu lange ist
auf diesem Gebiet überhaupt nichts passiert. Mich erfüllt
es mit Scham, wenn alten Menschen 12 Quadratmeter
zum Wohnen und Schlafen zugebilligt werden. Für einen
deutschen Schäferhund sind 10 Quadratmeter vorgese-
hen. Ich finde das schon sehr beschämend.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Kürze werden
wir – die Ministerin hat darauf hingewiesen – ein neues
Heimgesetz verabschieden. Mehr Mitbestimmungsrechte
und Stärkung der Heimaufsicht sind die Stichworte dafür.
Angesichts der zahlreichen Pflegeskandale ist das drin-
gend notwendig.

In allen gesellschaftlichen Bereichen muss die beson-
dere Lebenssituation alter Menschen berücksichtigt wer-
den. Das darf sich jedoch nicht nur auf diejenigen bezie-
hen, die in Deutschland geboren sind. Das ist eine
Grundvoraussetzung für eine solidarische Gesellschaft.
Dass Seniorinnen und Senioren bereit sind, hier Verant-
wortung zu übernehmen, zeigt der vorliegende Bericht
ganz eindringlich. Wir werden sie mit den vorgeschla-
genen Maßnahmen, die unserem Antrag zugrunde liegen,
in dieser anspruchsvollen Aufgabe unterstützen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415228400
Als
nächster Redner hat Kollege Klaus Haupt von der F.D.P.-
Fraktion das Wort.


Klaus Haupt (FDP):
Rede ID: ID1415228500
Herr Präsident! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Freiheit und Verantwortung
kennen weder Ruhestand noch Altersgrenzen. Das macht




Irmingard Schewe-Gerigk
14942


(C)



(D)



(A)



(B)


der Dritte Bericht zur Lage der älteren Generation sehr
deutlich. Im Mittelpunkt jeder Seniorenpolitik muss daher
das Selbstbestimmungsrecht der älteren Menschen
über ihre Lebensplanung stehen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Senioren von heute sind keine Menschen, auf deren
Produktivität oder Kreativität unsere Gesellschaft einfach
verzichten könnte. Sie bilden in Zukunft eine wichtige
Ressource, auch für die Arbeitswelt. Von dem Jugend-
wahn, der den Arbeitsmarkt noch bestimmt, müssen wir
uns schnellstmöglich freimachen. Die Ressourcen älterer
Arbeitnehmer werden auf dem Arbeitsmarkt derzeit nur
wenig geschätzt; das wurde in der Diskussion schon er-
wähnt.

Der demographische Wandel wird die Arbeitswelt
nachhaltig verändern. Von der Vorstellung einer sich stän-
dig verkürzenden Lebensarbeitszeit werden wir uns ver-
abschieden müssen.


(Walter Hirche [F.D.P.]: So ist es!)

Dem Trend zur Frühverrentung muss politisch entgegen-
gewirkt werden.


(Beifall bei der F.D.P.)

Die Rente mit 60 ist ein völlig ungeeignetes Instrument
der Arbeitsmarktpolitik.


(Zuruf von der CDU/CSU: Der größte Flop von Riester!)


Betriebliche Innovationsfähigkeit ist weniger vom Alter
als vielmehr vom Qualifikationspotenzial der Belegschaft
abhängig.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Den Vorsprung an Energie, Dynamik und Ehrgeiz der Jün-
geren können die Älteren durch Wissen, Erfahrung, Zu-
verlässigkeit und soziale Kompetenz ausgleichen. Das er-
fordert in der Wirtschaft eine neue Vorgehensweise bei
der Personalentwicklung. Es ist notwendig, von einer re-
aktiven Politik zu einer präventiven, das heißt zu einer le-
benslauforientierten und altersneutralen Politik der Be-
schäftigungsförderung und -sicherung zu kommen.

Aber auch jenseits des Erwerbslebens können, werden
und müssen ältere und alte Menschen Aufgaben und Ver-
antwortung für sich und unsere Gesellschaft wahrneh-
men. Bürgerschaftliches Engagement von Senioren im
sozialen, kulturellen, politischen und kirchlichen Bereich
stellt eine erhebliche gesellschaftliche Ressource da.

Wir reden derzeit viel über ein freiwilliges soziales
Jahr für Jugendliche. Sollten wir nicht auch einmal über
Derartiges für Senioren nachdenken?


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Dieses Jahr könnte vielleicht als Ausfallzeit auf die Rente
angerechnet werden. Das könnte für die Menschen eine
Hilfe sein, die die Höchstrente noch nicht erreicht haben.
Zugleich könnte dies eine Perspektive für die sozialen
Einrichtungen eröffnen, die unter der immer geringer

werdenden Zahl von Zivildienstleistenden leiden.
Soziale Altenarbeit knüpft an die Handlungskompe-

tenz der Menschen an und versteht ihre Angebote nicht als
Kompensation von Defiziten, sondern erschließt Akti-
vitätsfelder, die objektiv und subjektiv sinnvoll sind. Es
geht darum, die Selbstständigkeit alter Menschern zu er-
halten. Das bedarf der Weiterentwicklung formeller Hil-
fen zu einer Unterstützungskette, die von alten Menschen
eigenständig mobilisiert werden kann.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es gibt aber nicht nur aktiv-junge, sondern auch ge-
brechliche und pflegebedürftige Alte. Durch die demo-
graphische Entwicklung wird auch ihre Zahl in Zukunft
wachsen. Es ist unabdingbar, für diese Menschen ein breit
gefächertes, möglichst flexibles und auf die Bedürfnisse
der Betroffenen zugeschnittenes Angebot bereitzuhalten.
Dies muss durch neue Formen der Pflege aufgefangen
werden, etwa durch den so genannten Wohlfahrtsmix aus
informeller und professioneller Pflege, von marktgängi-
gen Dienstleistungen und staatlichen Solidarleistungen,
von stationärer, familiärer und ehrenamtlicher Versor-
gung. Die Förderung und Unterstützung alternativer
Heimkonzepte, die Klein- und Wohngruppenansätzen fol-
gen und die Einbeziehung von Angehörigen und bürger-
schaftlich Engagierten vorsehen, könnte „Heim-Sog-Ef-
fekte“, die insbesondere bei Demenzkranken problema-
tisch sind, abmildern.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das Eintrittsalter für Seniorenheime liegt heute bei

80 Jahren, das Durchschnittsalter bei 82 Jahren. Eine An-
passung des Heimgesetzes an die veränderte Situation ist
längst überfällig.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auch hier gilt: Selbst- und Mitbestimmung kennt keine
Altersgrenze. Heimbewohner wollen nicht nur versorgt
und verwaltet werden, sondern so aktiv wie möglich am
Heimleben teilnehmen und es mitbestimmen.


(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der SPD)


Sie haben Anspruch darauf, ihren Lebensraum selbst mit-
zugestalten.

Leider ist Mitbestimmung im bisherigen Referenten-
entwurf zum Heimgesetz nicht vorgesehen. Aber da die
Koalition daran schon länger arbeitet, als von ihr selbst
geplant, besteht noch die Hoffnung, dass sich dies ändert.
Bei aller Notwendigkeit, die gesetzlichen Regelungen
dem demographischen Wandel anzupassen: Wir müssen
darauf achten, nicht durch Überregulierung jede Initia-
tive, auch und gerade der privaten Dienstleister, zu er-
sticken.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Qualitätssicherung darf nicht kontraproduktiv werden.

(Walter Hirche [F.D.P.]: Richtig!)





Klaus Haupt

14943


(C)



(D)



(A)



(B)


Die F.D.P. wird sich am liberalen Leitbild eines selbst-
bestimmten, würdigen Lebens auch im Alter orientieren.
In diesem Sinne werden wir an den hoffentlich bald an-
stehenden Gesetzesberatungen wie bisher kritisch, aber
konstruktiv mitwirken.

Danke.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415228600
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Monika Balt von der
PDS-Fraktion das Wort.


Monika Balt (PDS):
Rede ID: ID1415228700
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! „Man braucht sehr lange, um jung zu wer-
den.“ Mit diesem schönen Satz von Pablo Picasso kann
man die Schlussfolgerung eines wesentlichen Teils des
Dritten Altenberichts beschreiben. Alt sein heißt nicht
zwangsläufig, gebrechlich und hilfsbedürftig zu sein.


(Beifall bei der PDS)

Der Bericht zeichnet unseres Erachtens ein relativ dif-

ferenziertes und realistisches Bild der älteren Generation.
Gleichzeitig beinhaltet er Perspektiven und Anforderun-
gen an eine Politik für ältere Menschen im Kontext indi-
vidueller und gesellschaftlicher Ressourcen. Die Ihnen al-
len bekannte demographische Entwicklung unserer
Bevölkerung in den nächsten Jahrzehnten unterstreicht
die wachsende Bedeutung der Altenpolitik. Längst hat die
Gesellschaft beispielsweise die jungen Alten als potenzi-
elle Käufergruppe entdeckt. Mir geht es um viel mehr: Äl-
tere Menschen sind mit ihren Erfahrungen für uns alle
eine Bereicherung.


(Beifall bei der PDS)

In ihrer Regierungserklärung betonte Frau Ministerin

Bergmann die Absicht, die ältere Generation stärker in
den Mittelpunkt der Politik zu rücken. Was ist bisher ge-
schehen und was ist bis zum Ende der Legislaturperiode
geplant? Die Bundesregierung trat an, den bis dahin auf-
gelaufenen Reformstau aufzulösen. Ich erinnere an das
Gesetz über die bundeseinheitliche Ausbildung in den
Berufen der Altenpflege, das beschlossen worden ist, und
die Novellierung des Heimgesetzes. Das Qualitätssiche-
rungsgesetz und andere Gesetze sind noch in der Diskus-
sion.

Die PDS erkennt die Notwendigkeit dieser Reformen
an. Aber eines ist all diesen Entwürfen und Gesetzen ge-
meinsam: Der soziale und sozialfürsorgliche Aspekt wird
Schritt für Schritt abgebaut und ausgeblendet. Alter wird
zunehmend auf Gebrechlichkeit, Krankheit und medizini-
sche Pflegebedürftigkeit reduziert.


(Arne Fuhrmann [SPD]: Eben genau nicht!)

Hinzu kommen die äußerst bedenklichen Äußerungen des
Bundeskanzlers und seiner Gesundheitsministerin, ähn-
lich wie bei der Rentenreform die Risiken des Alters
weitgehend zu privatisieren.

Die PDS tritt dafür ein, den Pflegebedürftigkeitsbe-
griff, wie er im SGB XI gefasst ist, nämlich im Sinne ei-

ner umfassenden Betreuung im Alter, also auch der sozia-
len Betreuung, auszubauen.


(Beifall bei der PDS)

Tatsächlich geschieht eine rasante Aushöhlung dieses Be-
griffes, indem die sozialen Kompetenzen älterer Men-
schen in der Politik völlig ausgeblendet werden.

Nehmen wir zum Beispiel die Entwicklungstendenzen
auf dem Arbeitsmarkt. Zum einen erleben wir eine groß
angelegte Diskussion um die Green Card. Zum anderen
weist der Bericht aus, dass die Erwerbslosenquote in den
letzten Jahren sowohl in West- wie in Ostdeutschland, so-
wohl bei Männern als auch bei Frauen stark angestiegen
ist. Die vorangegangene Debatte machte dies zusätzlich
deutlich. Von einer generellen oder automatischen Ab-
nahme der Leistungsfähigkeit älterer Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer kann überhaupt keine Rede sein. Ihre
Berufserfahrung und Kompetenz können wohl kaum er-
setzt werden.

Gefördert werden kann Leistungsfähigkeit durch ge-
sundheitsspezifische Merkmale am Arbeitsplatz und
durch eine gezielte und kontinuierliche Weiterbildung der
Qualifikation. Hier vermissen wir von der Bundesregie-
rung weit reichende Maßnahmen.


(Beifall bei der PDS)

Zum Schluss noch eines: Sorgen macht uns wohl allen

die anhaltende und überproportionale Abwanderung
jüngerer Menschen aus den neuen in die alten Bundes-
länder. Es sind nicht nur keine Maßnahmen der Bundes-
regierung zur Lösung des Problems erkennbar – offen-
sichtlich herrscht Ratlosigkeit. Lassen Sie nicht zu, dass
der Osten zum Altenheim Deutschlands wird!

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415228800
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Christa Lörcher von
der SPD-Fraktion das Wort.


Christa Lörcher (SPD):
Rede ID: ID1415228900
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Frau
Eichhorn, während Ihrer Regierungszeit waren drei
Ministerinnen im Amt und keine davon hat die Altenpfle-
geausbildung bundeseinheitlich regeln können. Seit un-
serem Regierungsantritt ist eine Ministerin im Amt und
wir haben das bereits in dieser Legislaturperiode ge-
schafft. Was die Rente angeht, so bitte ich Sie herzlich,
sich erst einmal sachkundig zu machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Haupt, bei der Novellierung des Heimgesetzes ist
Mitbestimmung sehr wohl vorgesehen. Es freut mich,
dass Sie sich derart für die Mitbestimmung einsetzen. Se-
hen Sie sich die Vorschrift einfach noch einmal genau an!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich stelle

fest, dass in der Reihe der bisher vorgelegten Altenbe-




Klaus Haupt
14944


(C)



(D)



(A)



(B)


richte mit diesem Dritten Altenbericht wichtige aktuelle
Grundlagen für eine differenzierte Einschätzung der Lage
der älteren Menschen bei uns sowie Leitlinien für eine Al-
tenpolitik, die auf allen Ebenen die Menschenwürde und
die Rechte der Älteren in den Mittelpunkt stellt, geschaf-
fen wurden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In diesem Altenbericht ist besonders hervorzuheben,

dass durch alle Kapitel hindurch von den Ressourcen des
älteren Menschen in unserer Gesellschaft und von den
Ressourcen der Gesellschaft zur Gestaltung einer gemein-
samen Zukunft für alle gesprochen wird.

Dies zeigt den Paradigmenwechsel in der Altenpolitik,
den wir in der Altenarbeit seit langem zu vermitteln ver-
suchen, und zwar: weg vom Defizitmodell, das vor allem
Schwächen aufzeigt, hin zu einem Kompetenzmodell, das
auf Stärken und Fähigkeiten hinweist, diese weiterent-
wickelt und nutzt, zum Wohle des Einzelnen und der Ge-
sellschaft.


(Beifall bei der SPD)

Dieses veränderte Bild des Alters aufzunehmen, wei-

terzutragen und in den Köpfen der Menschen zu veran-
kern sehe ich als eine der Chancen des Berichts und als
eine Aufgabe für uns alle. Für diese Weiterentwicklung zu
einem sehr differenzierten, ressourcenorientierten Bild
des Alters danke ich der Sachverständigenkommission
unter Leitung von Professor Kruse sehr herzlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aus der Fülle des Materials und der Anregungen will
ich nur einige Bereiche herausgreifen:

Zum Ersten, Gesundheit und Pflege: Die Zahl der
über 60-Jährigen bei uns wird – das wissen wir alle – von
rund 18 Millionen Anfang 1999 voraussichtlich auf über
26Millionen im Jahre 2030 anwachsen. Auch die Lebens-
erwartung wird weiter zunehmen; und zwar, so wird ge-
schätzt, um rund ein Jahr je Dekade. Allein diese Voraus-
schätzungen machen deutlich, welch hohen Stellenwert
Gesundheitsförderung sowie medizinische, pflegerische
und – Frau Balt, das wollte ich Ihnen gerne sagen – auch
soziale Dienste haben und haben werden.


(Beifall bei der SPD)

Zum Zweiten: Damit diese Dienste nicht nur in genü-

gender Zahl angeboten werden, sondern qualifizierte Ar-
beit geleistet werden kann, müssen die entsprechenden
Berufsbilder in Bezug auf Theorie und Praxis von hoher
Qualität sein. Dies erfordert – wie die Kommission an
mehreren Stellen des Berichts betont – eine Stärkung von
Ausbildung, Weiterbildung, Pflegeforschung und Pfle-
gewissenschaft.

Als Drittes: Unsere Gesellschaft wird bunter und viel-
fältiger. Von den bei uns lebenden 7,3 Millionen Men-
schen mit anderer als deutscher Nationalität ist erst ein
kleiner Teil in der nachberuflichen Lebensphase. Sie bil-
den aber die am stärksten anwachsende Gruppe unserer
Gesellschaft. Es ist jetzt und erst recht im Hinblick auf die
Zukunft wichtig, dass die Situation von Menschen mit

Migrationserfahrung aufgezeigt wird, zum Beispiel im
Hinblick auf ihre gesundheitliche Belastung oder die Zu-
gangsbarrieren zu unseren Diensten. Wir begrüßen es da-
her, dass der Bericht Forderungen für diese gesellschaft-
liche Gruppe einbezieht.


(Beifall bei der SPD)

Alter ist eine Lebensphase, die – so die Kommission –

mit Chancen und Anforderungen verbunden ist. Das gilt
für jedes Lebensalter, ist aber gerade für Menschen im
hohen Alter eine Herausforderung. Deshalb freue ich
mich, dass, kaum war der Dritte Altenbericht am 20. Juni
des letzten Jahres vorgelegt, am 1. Juli der nächste in Auf-
trag gegeben wurde: ein Bericht, der schwerpunktmäßig
Hochaltrigkeit und Demenzerkrankungen thematisiert.

Die demographische Entwicklung mit der Zunahme an
Älteren und der Zunahme an Lebenserwartung bietet den
Menschen in jedem Alter Chancen und Anforderungen:
dem 80-jährigen Diabetiker, der nach beidseitiger
Amputation im Rollstuhl sitzt, der 40-jährigen Ärztin, die
für ihre Arbeit den Schwerpunkt Geriatrie gewählt hat, ge-
nauso wie dem 20-Jährigen, der seinen Zivildienst been-
det hat und überlegt, ob er einen Pflegeberuf erlernen soll.
Es sind Chancen für mehr Lebensqualität und Anforde-
rungen durch komplexer gewordene Strukturen in Alltag
und Beruf.

41 der 81 Empfehlungen der Sachverständigenkom-
mission beziehen sich auf den Bereich Gesundheit und
Pflege. Die wichtigste Botschaft dieser Empfehlungen ist:
Gesundheitserhaltung und -sicherung sowie Prävention
und Rehabilitation sind die beste Strategie, um die Le-
bensqualität in jedem Lebensalter zu verbessern, um aber
gerade auch in der letzten Lebensphase physische und
psychische Einschränkungen oder Multimorbidität zeit-
lich hinauszuschieben oder die Folgen abzumildern. Das
hat auch eine Anhörung bestätigt, die wir in der Enquete-
Kommission „Demographischer Wandel“ zum Thema
Gesundheit durchgeführt haben: Wir brauchen – genau
dieser Punkt ist entscheidend – Prävention und Rehabili-
tation.

Der größte Teil der Älteren bei uns – darauf ist heute
mehrfach hingewiesen worden – führt ein selbstständiges
Leben im eigenen Haushalt. Aber rund ein Drittel lebt in
Einpersonenhaushalten. Gerade deswegen ist es notwen-
dig, vielfältige Formen des Wohnens anzubieten und sie
weiterzuentwickeln. Wir haben die Forderung nach dem
Mehrgenerationenwohnen in unserem Entschließungs-
antrag aufgenommen, weil wir das für sehr wichtig halten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Anfragen von Betroffenen, Angehörigen und Pflege-
kräften, die Erfahrung in der Pflege Älterer und psychisch
Kranker haben – seit 20 Jahren kenne und erlebe ich diese
Arbeit –, betreffen immer wieder die Rahmenbedingun-
gen in der Pflege. Wenn die Zahl der Pflegebedürftigen
genannt wird, dann wird immer, so auch im Dritten Be-
richt zur Lage der älteren Generation, die Zahl der Leis-
tungsempfängerinnen und -empfänger in der Pflegeversi-
cherung angeführt. Das ist zwar korrekt, spiegelt aber
nicht die Realität wider. Es gibt tatsächlich viel mehr




Christa Lörcher

14945


(C)



(D)



(A)



(B)


Pflegebedürftige, als die Statistik ausweist; denn auch
Menschen, die einen Pflegebedarf von weniger als 90 Mi-
nuten haben, sind pflegebedürftig. Sie werden allerdings
nicht von der Pflegeversicherung unterstützt. Auch diese
Menschen müssen wir in unseren Planungen berücksich-
tigen.

Ein großer Teil der Pflege und Betreuung wird im häus-
lichen Bereich geleistet. Rund 80 Prozent der Pflegenden
sind Frauen. Ihre Situation ist durch die Pflegeversiche-
rung mit Hilfen in Form von Geld- oder Sachleistungen
und durch die inzwischen von uns vorgenommenen Än-
derungen in der Pflegeversicherung verbessert worden.
Aber bei zunehmend schwieriger werdender Pflege muss
dem Risiko der Überforderung der Pflegenden – ich
komme darauf bei der teilstationären Pflege zurück
– durch Entlastung entgegengewirkt werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Sicherung der Pflegequalität, die Erreichbarkeit
von pflegerischen und sozialen Diensten, die Versorgung
und Betreuung Schwerkranker und Sterbender nicht nur
in stationären Einrichtungen, sondern auch zu Hause in
der gewohnten Umgebung wird jedoch in Zukunft bei ab-
nehmender Zahl jüngerer Menschen immer schwieriger
werden. Entscheidend ist deswegen, dass die Berufsbilder
in diesen Bereichen attraktiver werden und dass eine aus-
reichende Zahl an Pflegekräften für diese Aufgaben aus-
gebildet und weiterqualifiziert wird. Eine Aufwertung
und Neuordnung der Pflegeberufe ist im letzten Jahr
geschehen. Ich bin sehr dankbar, dass das Altenpflegege-
setz demnächst in Kraft treten wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr positiv sehe ich auch die Entwicklung in der teil-
stationären Pflege. Die Zahl der Tagespflegeeinrichtun-
gen und -plätze ist in den letzten Jahren sprunghaft gestie-
gen. Sowohl für die Tagesgäste wie auch für die zu Hause
Pflegenden bedeutet diese Form der Betreuung mit Si-
cherheit eine große Entlastung und eine Erhöhung der Le-
bensqualität. Ich möchte in diesem Zusammenhang kurz
von einer Einrichtung in Ulm-Wiblingen berichten: Dort
werden circa 25 Tagesgäste betreut. Es sind vorwiegend
Ältere mit demenziellen Erkrankungen. Ein Teil von ihnen
kommt aus der angegliederten stationären Einrichtung, die
anderen von zu Hause. Wir, eine Gruppe von Gästen, wur-
den dazwischengesetzt und nahmen am Singen, Essen und
an der gemeinsamen Kommunikation teil. Das war für alle
sehr lebendig und interessant. Den Ausbau solcher Ange-
bote sehe ich als Chance für viele der zu Hause Gepfleg-
ten, gerade auch bei Demenzerkrankungen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch für stationäre Einrichtungen gibt der Bericht
vielfältige Informationen und Anregungen. Ich will nur
die wichtigsten nennen, die sich in unserem Ent-
schließungsantrag finden: Verbesserungen zu Standards
für Wohnen und Personalbemessung. Die Novellierung
des Heimgesetzes wird dazu beitragen; sie ist auf den Weg
gebracht.

Altenpolitik – das möchte ich abschließend sagen – ist
mehr als die finanzielle Absicherung im Alter. Lebens-
qualität hängt natürlich auch von finanziellen Ressourcen
ab; aber Lebensqualität im Alter bedeutet ebenso das Vor-
handensein von vielfältigen Ressourcen in unserer Ge-
sellschaft, bedarf vor allem aber unserer Solidarität und
Achtung. Bei den vorgeschlagenen Initiativen, Projekten
und Forschungsvorhaben werden wir Prioritäten setzen
und Schritt für Schritt an die Umsetzung gehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Thema Alter be-
trifft alle und nimmt an Bedeutung zu. Ich freue mich auf
die gemeinsame Weiterarbeit an diesem Thema.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415229000
Zu einer
Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Klaus Haupt
das Wort.


Klaus Haupt (FDP):
Rede ID: ID1415229100
Ich weiß, dass man Damen sel-
ten widersprechen soll. Da Sie, liebe Kollegin Lörcher,
mich aber persönlich angesprochen haben, will ich noch
etwas zu Ihnen sagen; dann kann ich heute Abend auch
wirklich beruhigt schlafen gehen.

Es wird nicht wahrer, wenn Sie schlicht behaupten, die
Novelle des Heimgesetzes sehe Mitbestimmung vor, und
mich dann auffordern, es nachzulesen. In der Novelle des
Heimgesetzes ist von Mitsprache und Mitentscheidungs-
recht die Rede. In den §§ 2 bis 4, in denen der Wertekanon
aufgezählt ist, fehlt jedoch das Wort Mitbestimmung, weil
die Juristen, die das im Ministerium erarbeitet haben, be-
fürchten, dass ein solcher Begriff ganz bestimmte juris-
tische Konsequenzen nach sich ziehe. Ich empfehle also
wärmstens, dass wir beide nachlesen. Wenn Sie Recht haben
sollten, bezahle ich eine Flasche guten sächsischen Weines.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Rolf Kutzmutz [PDS]: Das kommt ins Protokoll!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415229200
Zur Erwi-
derung, Frau Lörcher.


Christa Lörcher (SPD):
Rede ID: ID1415229300
Herr Haupt, könnte es sein,
dass wir unter Mitbestimmung Unterschiedliches verste-
hen, dass Sie also eine ganz andere Vorstellung von Mit-
bestimmung haben als ich? Wenn ich in der Novelle des
Heimgesetzes sehe, dass Heimbewohnerinnen und -be-
wohner an Entscheidungen in vielen Bereichen beteiligt
werden sollen – die Heimträger kritisieren dies insbeson-
dere in Bezug auf finanzielle Entscheidungen –, dann
kann ich Ihre Kritik nicht nachvollziehen. Die Stärkung
des Heimbeirats ist klar gegeben. Dass auch noch andere
Personen als Fürsprecher hinzugezogen werden können,
sehe ich nicht als Schwächung, sondern als Stärkung der
Stellung der Menschen, die ihren Lebensabend in einem
Heim verbringen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)





Christa Lörcher
14946


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415229400
Als letz-
ter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kol-
lege Walter Link von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Walter Link (CDU):
Rede ID: ID1415229500
Herr Präsident!
Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu später
Stunde versuchen, Ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen, in-
dem ich den Dritten Bericht zur Lage der älteren Genera-
tion aus der Sicht der Demographie beleuchte. Verbes-
serte Lebens- und Umweltbedingungen, der Fortschritt in
der Medizin und ein gesundheitsbewusstes Verhalten der
Menschen haben dazu geführt, dass die durchschnittliche
Lebenserwartung von Frauen und Männern bei uns in
Deutschland weiterhin steigt. Wir wissen, dass in
Deutschland bis zum Jahre 2050 Frauen durchschnittlich
85 und Männer 80 Jahre alt werden. Das heißt, die Le-
benserwartung wird in den nächsten Jahren um weitere
vier Jahre steigen. Es ist immer ein Wunsch der Menschen
gewesen, bei guter Gesundheit möglichst alt zu werden.
Diesem Wunsch sind wir schon sehr nahe gekommen.

Getrübt wird diese Tatsache nur dadurch, dass die An-
zahl der Geburten auf einem relativ niedrigen Niveau ver-
harrt. Gegenwärtig werden in Deutschland durchschnitt-
lich weniger Kinder geboren, als zum Erhalt der
Bevölkerungszahl notwendig wären. Das heißt, die Be-
völkerungszahl geht zurück. Wenn diese Entwicklung an-
hält, werden wir in Deutschland im Jahre 2050 nur noch
circa 70 Millionen Menschen sein. Der Altenbericht
spricht davon, dass dann 37 Prozent älter als 60 Jahre sein
werden. Die Zahl der Erwerbspersonen wird sich von ge-
genwärtig 41 Millionen auf knapp 34 Millionen – das ist
eine alarmierende Zahl – im Jahre 2050 verringern. Meine
Fraktion, die CDU/CSU, ist der Meinung, dass diese Ent-
wicklung durch Zuwanderung im bisherigen Ausmaß ge-
mildert, aber nicht grundsätzlich gestoppt werden kann.
Im Übrigen betrifft diese Entwicklung nicht nur die
Bundesrepublik; vielmehr ist die Situation auch in allen
anderen EU-Staaten ähnlich.

Das von mir geschilderte Szenario ist demographisch
relativ sicher vorhersehbar und stellt uns vor enorme wirt-
schaftliche und soziale Herausforderungen. Der Bericht
zur Lage der älteren Generation, den die Bundesregierung
am 17. Januar 2001 vorgelegt hat und über den wir heute
diskutieren, beschreibt vor diesem Hintergrund die Le-
benssituation der älteren Menschen in der Bundesrepu-
blik Deutschland. Außerdem beschreibt der Bericht die zu
erwartenden gesellschaftspolitischen Herausforderungen
auch aus anderen Bereichen.

Dass Reformen dringend notwendig sind, stellt der Be-
richt der Sachverständigen auf analytisch gute Art und
Weise dar. Von den Sachverständigen, die von der frühe-
ren Bundesministerin Claudia Nolte im Januar 1998 be-
rufen wurden, ist gute Arbeit geleistet worden. Sowohl
aus individueller, innerfamiliärer als auch aus gesell-
schaftlicher und ökonomischer Perspektive werden Defi-
zite beschrieben und Empfehlungen an die Politik gege-
ben. – Empfehlungen, die mehr als die derzeitige
Situation und die Zukunft der älteren Generation be-
schreiben. Das war, so glaube ich, auch notwendig, weil
wir auf diesem Gebiet mithalten müssen.

Auch die vom Deutschen Bundestag eingesetzte En-
quete-Kommission „DemographischerWandel“, die in
der zweiten Legislaturperiode unter meinem Vorsitz tagt,
befasst sich mit den Auswirkungen einer älter werdenden
Gesellschaft und deren Folgen. Der Schlussbericht der
Enquete-Kommission hat allerdings nicht nur die ältere
Generation im Blick; sondern untersucht das Verhältnis
der Generationen unter ökonomischer, gesellschaftlicher
und politischer Perspektive.

Es geht in diesem Zusammenhang auch um Genera-
tionengerechtigkeit, die die sozialpolitische Grundlage
unserer Gesellschaftsordnung darstellt. Das beinhaltet je-
doch auch die Betrachtung der Grenzen der Finanzier-
barkeit unserer Sozialversicherungssysteme bzw. der
Grenzen der materiellen Leistungsfähigkeit unseres Sozi-
alstaates insgesamt. Es kommt darauf an, auf der Grund-
lage vorliegender Analysen – an dieser Stelle wird der Be-
richt der Enquete-Kommission ausreichend Material
bieten – heute die Weichen für die Demographietauglich-
keit unseres Sozialsystems zu stellen. Der Bericht der
Bundesregierung zur Lage der älteren Generation wird
darum im Schlussbericht der Enquete-Kommission mit
seinen analytischen Ergebnissen entsprechend sicherlich
gewürdigt werden.

Die Sachverständigenkommission spricht im Bericht
Empfehlungen für die medizinische Versorgung, für die
Versorgung psychisch Kranker, für das Pflegesystem, für
eine lebenslauforientierte, altersneutrale Politik der
Beschäftigungsförderung, für innerfamiliäre Netzwerke
und für vieles mehr aus. Diese Empfehlungen fordern von
unserer Seite ein Umdenken in der Politik.

Trotz der Freude über das Älterwerden der Menschen
müssen wir auch gravierende Gesundheitsbeeinträchti-
gungen im Alter realistisch zur Kenntnis nehmen. Die
Häufigkeit von Demenzen nimmt mit steigendem Alter
erheblich zu. Bei 80- bis 84-Jährigen liegt sie bei 11 Pro-
zent, bei über 90-Jährigen bei 31 Prozent, also bei unge-
fähr einem Drittel. Verantwortliche Politik muss darauf
reagieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Fraktion, die CDU/CSU, weist seit langem auf

eine notwendige Verbesserung der Leistungen für De-
menzkranke im Rahmen der Pflegeversicherung hin. Der
vorliegende Bericht bestätigt unsere Forderungen. Jetzt
warten wir auf einen Gesetzentwurf der neuen Gesund-
heitsministerin, die für einen guten Vorschlag die Unter-
stützung meiner Fraktion erhalten wird.

Wir brauchen nicht nur eine den gesellschaftlichen
Veränderungen angepasste Seniorenpolitik, sondern eine
diesen Veränderungen angepasste Gesellschaftspolitik.
Heute sind in Deutschland nur noch – bei einem anderen
Tagesordnungspunkt haben wir darüber gesprochen –
circa 37 Prozent der Erwerbstätigen im Alter von 55 bis
60 Jahren im Arbeitsprozess aktiv. Die Ursachen dafür
sind neben gesundheitlichen Faktoren, die zur Erwerbs-
und Berufsunfähigkeit führen, Frühverrentungen und eine
jugendzentrierte Einstellungspolitik der Unternehmen.

Wenn es nun gelänge, dieses Potenzial an qualifizier-
ten Arbeitskräften länger im Erwerbsleben zu halten, dann






(C)



(D)



(A)



(B)


würde sich das, wie sich leicht vorstellen lässt, auf die ge-
samte Sozialversicherung auswirken.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die deutsche Wirtschaft sollte nicht auf die Erfahrung ih-
rer Älteren verzichten. Darum darf lebenslanges Lernen
nicht nur ein Konzept bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der F.D.P. und der PDS)


Lassen Sie mich noch eines sagen: Wir haben weder
Rentnerberge noch eine alte, graue Gesellschaft. Auch
diskutieren wir nicht über den Altenbericht, wie es die
Bundesregierung in ihrer Presseerklärung tut. Wir spre-
chen über das positive Potenzial, das ältere Menschen in
der Gesellschaft darstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Fraktion, die CDU/CSU, ist der Meinung, dass

wir, wenn wir die aus der demographischen Entwicklung
entstehenden Anforderungen richtig, überlegt und tabulos
angehen, eine große Chance haben, diese Anforderungen
in der Zukunft zu meistern. Lassen Sie uns daran gemein-
sam arbeiten!

Wer nur einen Funken von der Arbeit versteht, die Hun-
derttausende Altenpflegerinnen und Altenpfleger und alle
im Ehren- und Hauptamt Tätigen für unsere älteren Men-
schen in der Bundesrepublik tun, versteht, dass ich für
meine Fraktion ein herzliches Wort des Dankes an diese
im Haupt- und Ehrenamt Tätigen richte.


(Beifall im ganzen Hause)

Danke schön.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415229600
Ich
schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5130 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungs-
antrag auf Drucksache 14/5322 soll zur federführenden
Beratung an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend und zur Mitberatung an den Ausschuss für Ar-
beit und Sozialordnung, den Ausschuss für Gesundheit,
den Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen so-
wie den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-
folgenabschätzung überwiesen werden. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Über-
weisungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Dr.-Ing. Rainer Jork, Ilse Aigner, Günter Baumann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Nutzung von Geoinformationen in der Bundes-
republik Deutschland
– Drucksachen 14/3214, 14/4139 –

Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie ein Ent-
schließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Dr. Rainer Jork von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.


Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU):
Rede ID: ID1415229700
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Geoinfor-
mationstechnik ist ein wesentlicher Nutzungsbereich der
Informationstechnik. Geoinformationen beschreiben Zu-
stände, Prozesse und Entwicklungen auf, über und unter
der Erdoberfläche. Was abstrakt klingt, erschließt sich am
ehesten, wenn man sich Anwendungsbeispiele aus dem
täglichen Leben vor Augen führt. Die Wanderkarte für den
Wochenendausflug, der Wetterflug am Ende der Fern-
sehnachrichten oder das Navigationssystem im PKW, all
dies wäre ohne Geoinformationen nicht möglich.

Etwa 80 Prozent aller erhobenen Daten weisen einen
räumlichen Bezug auf, zum Beispiel in Form von zu-
gehörigen Koordinaten, Ortsbezügen, Lagebeschreibun-
gen und Adressen. Damit sind Geoinformationen als in-
frastrukturelle Voraussetzung für die Verbesserung der
Lebensbedingungen heute von ähnlicher Bedeutung wie
früher Straßen und Schienenwege. Geoinformationen ha-
ben einen überaus interdisziplinären und dynamischen
Charakter. Sie sind ein Rohstoff, der es ermöglicht, durch
die Zusammenführung mit anderen Informationen neue
Informationen, Produkte und Dienstleistungen zu schaf-
fen. Gerade mittelständische Dienstleister können hier-
von sehr profitieren.

Wenn der frühere Bundespräsident Roman Herzog einst
einen Ruck forderte, der durch Deutschland und dessen
Bildungs- und Wissenschaftssystem gehen müsse, hat er
wohl nicht die Einführung der Green Card und die Anwer-
bung ausländischer Fachkräfte gemeint. Green-Card-Ak-
tionen in der Informationstechnik greifen allenfalls kurz-
fristig. Es ist absolut notwendig, künftig kontinuierlicher
und effektiver als bisher die neuen Wissensbereiche und
Hochtechnologien in Deutschland zu fördern, besonders
die Informationstechnik.

Deutschland hat auf dem Geoinformationsmarkt im
internationalen Vergleich akuten Nachhole- und Hand-
lungsbedarf. Das Finanzvolumen des deutschen Marktes
für Geoinformationen erreichte 1999 etwa 220 Milli-
onen DM und 7 000Arbeitsplätze. Das geschätzte Wachs-
tum liegt zwischen 10 und 30 Prozent pro Jahr.

In den USA rechnet man mit weitaus höheren Wachs-
tumsraten, vor allem wegen der dort besseren staatlichen
Rahmenbedingungen.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Wohl wahr!)

Dort ist die enorme Bedeutung von Geoinformationen

seit langem erkannt. Präsident Clinton hat bereits 1994
eine entsprechende Order zur Koordinierung erlassen. Die
USA fördern den Aufbau einer Geodateninfrastruktur mit
mehreren Milliarden Dollar und amtliche Daten werden
nahezu kostenlos abgegeben. Insbesondere amerikanische
Unternehmen drängen mit aller Macht auf den internatio-




Walter Link (Diepholz)

14948


(C)



(D)



(A)



(B)


nalen Markt und verkaufen orts- und raumbezogene Daten
zur weiteren Nutzung.

Das Hauptproblem in Deutschland ist sicher nicht der
quantitative Mangel an Geodaten und auch nicht deren
Qualität. Das speziell deutsche Problem besteht darin,
dass die amtlichen Daten unter Länderhoheit erhoben
werden und die Datenformate zu wenig aufeinander ab-
gestimmt und kompatibel sind.

Zudem kommt es oft zu Mehrfacherfassungen. Geoin-
formationen werden nämlich auch in der Privatwirtschaft
in großem Umfang erfasst.

Damit kann es vorkommen, dass parallel ähnliche Da-
tenbestände entstehen. Diese Mehrfacherfassungen von
Geoinformationen sind volkswirtschaftlich unsinnig.
Nötig wäre ein zentrales Auskunftssystem, das dem Inte-
ressierten Hinweise gibt, wo welche Daten in welcher
Qualität verfügbar sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Im Bereich der amtlichen Geodaten gibt es immerhin

erste Verbesserungsansätze durch das Bundesamt für Kar-
tographie und Geodäsie, das seit 1996 zentral Geodaten
aus den Ländern sammelt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Damit wird aber das Problem nicht gelöst, auf das ich
bei meinen Kontakten mit der Wirtschaft vielfach ange-
sprochen wurde. Es wird beklagt, dass die Preise für die
amtlichen Geodaten oft zu hoch sind. Gerade kleinere Un-
ternehmen mit wenig Eigenkapital, vor allem in den
neuen Bundesländern, können sich den Einkauf nicht leis-
ten. Um marktfähige Produkte aus oft inhomogenen Da-
ten herzustellen, entstehen ohnehin noch hohe Entwick-
lungskosten.

Hinzu kommt, dass von den Landesvermessungsäm-
tern der Bundesländer bei der Datenabgabe vielfach un-
terschiedliche Nutzungsbedingungen festgelegt werden.
Das erleichtert nicht gerade den länderübergreifenden
Einsatz der Daten.

Ohne also die föderale Struktur Deutschlands infrage zu
stellen, muss doch festgestellt werden, dass die föderale
Hoheit über öffentliche Daten besondere Schwierigkeiten
bereitet. Solange 16 Bundesländer über die Erhebung,
Bereitstellung und Vermarktung von Geodaten einzeln be-
stimmen, so lange scheint es für die wertvollen Informa-
tionen keine wirkliche Lösung des Verfügbarkeits-
problems zu geben. Es fehlt eine ordnende Hand, die
politische Führung, welche die Länderdaten auf Bundes-
ebene koordiniert und Ordnung in das Chaos bringt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Da Geoinformationen wesentlich mehr als die amtli-

chen Geodaten der Länder umfassen, kann die föderale
Aufgabenteilung völlig unangetastet bleiben. Der Bund
muss eine politische Führungsrolle übernehmen mit dem
Ziel, eine funktionierende Geodateninfrastruktur für den
gesamten Geoinformationsmarkt, also den privaten wie
den öffentlichen Teil, zu schaffen. Als positives Beispiel
hierfür mag die Organisation des Rundfunks gelten.

Um das Problem anzugehen, hat noch die alte Bundes-
regierung im Jahre 1998 einen ständigen Interministeri-
ellen Ausschuss für Geoinformationswesen, IMAGI,
unter der Federführung des BMI eingerichtet. Leider hat
dieser Ausschuss das Geoinformationswesen in Deutsch-
land bisher noch nicht entscheidend vorangebracht.


(Dr. Margrit Wetzel [SPD]: Das stimmt doch gar nicht! Keine Ahnung!)


Nach dem Beschluss der alten Bundesregierung von
1998 sollte „zur besseren Vertretung der deutschen Inte-
ressen im Ausland, insbesondere gegenüber der EU, ein
hochrangiger Vertreter auf Bundesebene in Fragen der
Geoinformation nach außen eingesetzt werden.“

Ich beklage, dass die benannte Vorsitzende des IMAGI,
Frau Staatssekretärin Zypries, zumindest öffentlich bisher
kaum in Erscheinung getreten ist. Ich sehe sie auch jetzt
nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat im April 2000

die Große Anfrage „Nutzung von Geoinformationen in
der Bundesrepublik Deutschland“ an die Bundesregierung
gerichtet, um den öffentlichen Missständen abzuhelfen.


(Barbara Wittig [SPD]: „Missstand“, das ist doch nicht wahr!)


Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Anfrage
liegt nun vor.


(Dr. Margrit Wetzel [SPD]: Sie ist doch gut! Sie zeigt doch die Missstände auf, die es gibt! Was wollen Sie denn?)


– Sie können gerne eine Frage stellen. – Sie ist im We-
sentlichen mit erheblicher Sorgfalt erstellt worden. Die
besondere Rolle der Geoinformation als Technologie- und
Wirtschaftsfaktor wurde augenscheinlich erkannt. Es liegt
jetzt eine umfassende Bestandsaufnahme der Aktivitäten
auf Bundesebene vor.

Bei dieser Bestandsaufnahme handelt es sich aller-
dings in erster Linie um eine Sicht auf die amtlichen Da-
ten, die von Bundesstellen erfasst werden. Die Situation
des deutschen Geoinformationswesens insgesamt – also
auch die Einbeziehung der Wirtschaft – ist aus der Ant-
wort weitgehend ausgeklammert.


(Dr. Margrit Wetzel [SPD]: Das stimmt auch nicht! Haben Sie das nicht gelesen?)


Damit wird zwar ein wichtiger, aber eben nur ein Teil des
Problems behandelt.

Besonders bedauerlich ist, dass der Antwort der Bun-
desregierung deutlich entnommen werden kann, dass of-
fensichtlich nach wie vor keine Bereitschaft besteht, einen
hochrangigen politischen Vertreter auf Bundesebene für
Fragen der Geoinformation zu benennen, der in dem eben
genannten Sinn tätig wird.


(Dr. Margrit Wetzel [SPD]: Das ist auch falsch! – Lothar Mark [SPD]: Das ist eine Fehlinformation!)





Dr.-Ing. Rainer Jork

14949


(C)



(D)



(A)



(B)


– Da bin ich gespannt, welchen Namen Sie nennen. – In
vielen Punkten enthält die Antwort lediglich Absichtser-
klärungen. Beschrieben ist, was man für sinnvoll und
wichtig hält.


(Barbara Wittig [SPD]: Und was gemacht wurde!)


Konkrete Taten und Aktionspläne fehlen dagegen.
Um eine spürbare Stimulierung des deutschen Geoin-

formationsmarktes zu erreichen, sind jetzt konkrete
Schritte und politische Initiativen zu ergreifen. Die Wich-
tigsten sind im vorliegenden Entschließungsantrag der
CDU/CSU genannt.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, in unserem!)


Ich nenne einige der Forderungen an die Bundesregie-
rung: Bekennen Sie sich klar zur Zuständigkeit auch des
Bundes in Fragen der Geoinformation! Benennen Sie
endlich einen hochrangigen politischen Vertreter, der die
Koordination innerhalb der EU und mit den Aktivitäten
der Länder übernimmt!


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Margrit Wetzel [SPD]: Eben haben Sie noch nach einer Frau gefragt! Jetzt wollen Sie einen Mann!)


– Warum stellen Sie keine Zwischenfrage? Ich frage Sie:
Warum stand in Ihrem ersten Antrag ebenfalls diese For-
derung? Es hat sich doch in der Zwischenzeit nichts geän-
dert.

Sorgen Sie für eine Vereinheitlichung der Datenfor-
mate bzw. für die Kompatibilität der erhobenen Daten!
Bauen Sie ähnlich wie in den USA eine nationale Geoda-
teninfrastruktur auf! Unterstützen Sie die Hersteller und
auch die Anwender von Geoinformationssystemen!

Ich darf daran erinnern, dass der Bundeskanzler gesagt
hat, die Informationstechnik sei Chefsache. Chefsache
war auch der Aufbau Ost. Ich habe aber den Eindruck,
dass beide Chefsachen Akte ein und desselben Theater-
stücks sind. Entwickeln Sie endlich einen Katalog kon-
kreter Maßnahmen, die eine gemeinsame, effektive Nut-
zung und Erhebung von Geoinformationen durch
Wirtschaft, Wissenschaft und Staat gewährleisten und be-
fördern!


(Lothar Mark [SPD]: Das ist richtig! Warum haben Sie das in der Vergangenheit nicht gemacht?)


Noch etwas Grundsätzliches: Unsere Probleme dürfen
nicht auf Kosten anderer Länder gelöst werden. Der wis-
senschaftliche Nachwuchs sowie Bildung und Forschung
in unserem Lande müssen dringend und weit besser als
bisher gefördert werden. Ich fordere die Bundesregie-
rung auf, hier das Nötigste zu tun. Sonst ist auch das Pro-
blem der Geoinformation in Deutschland nicht wirklich
lösbar.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415229800
Für die
SPD-Fraktion hat die Kollegin Dr. Margrit Wetzel das
Wort.


Dr. Margrit Wetzel (SPD):
Rede ID: ID1415229900
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Wissen Sie, wo Ekapa liegt? Ken-
nen Sie Kapkaupunki? Nein? – Doch! Denn Sie alle ken-
nen Kapstadt. Dieses kleine Beispiel zeigt schon, wie
wichtig die internationale Verbindlichkeit von Namen ist.
Allein diesem Randthema der Nutzung von Geoinforma-
tionen wird im Herbst 2002 eine internationale Tagung
der Vereinten Nationen in Berlin gewidmet sein.

Daten sind weder trocken noch verstaubt oder lang-
weilig, sondern sie sind der Schlüssel zu einem hochdy-
namischen Wachstumsmarkt mit sehr qualifizierten neuen
Arbeitsplätzen. Lassen Sie mich deshalb einige Beispiele
nennen:

Navigationssysteme.Der Autopilot auf Basis der elek-
tronischen Seekarte macht nautisch schwierigste Schiffs-
passagen mit der führerlosen Brücke technisch möglich.
Ein anspruchsvolles Navigationssystem im PKWwird für
den Verbraucher bezahlbar. Im LKW führt die elektroni-
sche Routenplanung zu einer optimalen Auslastung der
Fahrzeuge. Leerfahrten können vermieden werden. Das
ist aktiver Umweltschutz und CO2-Reduzierung dankGeodatenmanagement.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ist Ihnen bewusst, dass die modernen Handydienstleis-
tungen nur auf der Basis zuverlässiger Geodaten möglich
sind?

Nehmen wir Land- und Forstwirtschaft: Waldscha-
denserfassung, Bodenschutz durch sparsamste Düngung,
Ernteschadenversicherung, Kontrolle flächenbezogener
Beihilfen – alles wird wirtschaftlich überschaubar, ist be-
reits jetzt weder personal- noch kostenintensiv technisch
möglich.

Oder BSE: Hilfestellung durch Visualisierung über
Geodaten, Tierbestände, BSE-erkrankte Tiere, Einzugs-
bereiche, Hauptlieferrichtungen bestimmter Futtermittel-
hersteller, Milchaustauscher, selbst die Häufigkeit der
Dasselfliegenbekämpfung – all das kann mithilfe von Geo-
daten optisch überlagert werden, um daraus erste Ansätze
zur Lösung wichtiger aktueller Fragestellungen abzuleiten.

Oder nehmen wir die Raumplanung, zum Beispiel die
Findung einer Autobahntrasse: Planung wird exakter; Bür-
gerbeteiligung kann, wenn sie gut vorbereitet ist, Konflikte
entschärfen, statt sie zu produzieren. Wer optisch groß-
flächig projiziert, welche Nutzungen und welche Nut-
zungskonflikte es wo gibt, Naturschutzgebiete, Moore,
Flussverläufe mit notwendigen Querungsbauwerken auf-
zeigt, Einwohnerverteilungen, Belastungskorridore über-
lagert, findet nicht nur die konfliktärmste Trasse schneller,
sondern kann sie auch sofort anschaulich darstellen und
begründen.

Oder das Beispiel der Hilfe im Katastrophenfall,
beim Oder-Hochwasser: Über Erdbeobachtung und durch
Satellitendaten war konkrete, zielgenaue Hilfe, Vorsorge
und Evakuierung schneller möglich als jemals zuvor.




Dr.-Ing. Rainer Jork
14950


(C)



(D)



(A)



(B)


Geodaten, aktuell, zuverlässig und von gleichbleiben-
der Qualität, sind öffentliche Infrastruktur mit ständig zu-
nehmenden, grenzenlosen Anwendungsmöglichkeiten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb wollen wir die anwendungsorientierte Forschung
fördern, damit insbesondere kleinen und mittleren Unter-
nehmen durch die uneingeschränkte, zuverlässig verfüg-
bare Nutzung dieses spannenden Zauberlehrlings neue
Chancen gegeben werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deutschland nimmt in Qualität und Stand seiner Geo-
daten noch eine internationale Spitzenstellung ein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lothar Mark [SPD]: Neuerdings!)


– Neuerdings, das stimmt. – Aber sie ist durch die welt-
weite Konkurrenz gefährdet. Denn aus Indien kommen
nicht nur Green-Card-Inhaber. Wir sind zum Beispiel
auch darauf angewiesen, in Indien produzierte Satelliten-
bilder zu kaufen, weil uns leider Staatsverschuldung und
Zinsbelastung die Hände binden, sodass wir vom Finanz-
minister keine Mittel für einen eigenen Satelliten zur Erd-
beobachtung fordern können. Und wer uns die Staatsver-
schuldung eingebrockt hat, das brauche ich hier, glaube
ich, nicht zu betonen.

Der Interministerielle Ausschuss für Geoinformati-
onswesen und sein Konzept eines effizienten Geoda-
tenmanagements finden deshalb unsere überzeugte und
absolut engagierte Unterstützung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die selbstkritische Bereitschaft, ein noch effizienteres
Management im eigenen Zuständigkeitsbereich zu ent-
wickeln, ist hervorragend. Aber wir brauchen bis in die
Ebene der Gemeinden hinein die Bereitschaft, das mo-
derne Datenmanagement angemessen und zügig zu nut-
zen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir wollen den noch vorhandenen Vorsprung Deutsch-

lands auch politisch nutzen – Sie müssen unseren
Entschließungsantrag nur einmal anständig lesen, Herr
Jork –,


(Zurufe von der CDU/CSU: Na, na! – Was sind das für Töne!)


um die internationale Kooperation, die Kompatibilität der
internationalen Daten, Normung und Nutzung EU-weit
voranzutreiben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deutschland soll in den entsprechenden EU-Gremien
hochrangig und kompetent vertreten sein.

Ich danke speziell Frau Staatssekretärin Zypries für
ihren überzeugenden Einsatz als Leiterin des IMAGI.

Ich hoffe, dass diese parlamentarische Debatte, die im-
merhin die allererste zu diesem Thema ist, dazu beiträgt,
diesem Thema die notwendige öffentliche Aufmerksam-
keit zukommen zu lassen


(Lothar Mark [SPD]: Auch das erstmals!)

– ja, auch das erstmals –, damit Wirtschaft, Verwaltung
und Politik die vor uns liegenden Wertschöpfungspoten-
ziale erkennen, begreifen und umsetzen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415230000
Frau Kol-
legin Wetzel, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Jork?


Dr. Margrit Wetzel (SPD):
Rede ID: ID1415230100
Ja, wenn er das möchte.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415230200
Bitte
schön, Herr Jork.


Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU):
Rede ID: ID1415230300
Liebe Kollegin
Wetzel, Sie haben vorhin nicht gefragt. Ich nehme mir
jetzt die Freiheit zu fragen.

Ich möchte versichern, dass ich Ihren Entschließungs-
antrag „anständig“ gelesen habe. Ich habe auch dessen
erste Fassung sehr „anständig“ gelesen. Deshalb meine
Frage: Können Sie mir einmal erklären, weshalb wesent-
liche Forderungen, die auch in unserem Entschließungs-
antrag enthalten sind, in der zweiten Fassung Ihres Antra-
ges nicht mehr vorkommen?


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Aha!)

In der ersten Fassung des Antrages der SPD stand näm-
lich, dass Sie fordern, dass ein höherer Vertreter der Re-
gierung diese Aufgabe wahrnimmt. In der zweiten Fas-
sung fehlt dieser Punkt.

Bei „anständigem“ Lesen hatte ich einfach Probleme,
die Zusammenhänge zu verstehen. Seien Sie so nett und
erklären Sie sie mir bitte!


Dr. Margrit Wetzel (SPD):
Rede ID: ID1415230400
Herr Jork, das erkläre ich
Ihnen gerne. Dieser Antrag ist mehr oder weniger von mir
geschrieben worden. Ich habe ihn abgestimmt


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Abgeschrieben!)


mit Arbeitsgruppen, mit anderen Vertretern. – Nein, nicht
abgeschrieben, sondern abgestimmt. – Ihren Antrag kann-
ten wir nicht. Ich habe ihn heute erst erhalten. Es gibt we-
der einen ersten noch einen zweiten Antrag. Es gibt einen
Entwurf, der im Umlauf war und an dem geringe redak-
tionelle Änderungen vorgenommen wurden.


(Lachen bei der CDU/CSU)

– Moment, diesen Antrag müssen Sie mir erst einmal zei-
gen. Wir haben die CDU/CSU-Fraktion nicht in unsere
Beratungen einbezogen. Mir ist das nicht bekannt. Ich
weiß nicht, welcher Entwurf Ihnen vorgelegen haben soll.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Große Verwirrung! Chaos in der Regierung!)





Dr. Margrit Wetzel

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(C)



(D)



(A)



(B)


Auf jeden Fall ist an der hochrangigen politischen Vertre-
tung Deutschlands in den EU-Gremien nie irgendetwas
geändert worden. Wir wollen, dass Deutschland dort ver-
treten ist. Nichts anderes ist der Fall.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr.-Ing. Rainer Jork [CDU/CSU])


– Einen Dialog gibt es doch nicht, oder, Herr Präsident?


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415230500
Nein, es
gibt keinen Dialog.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Sie wollten doch wissen, welchen Antrag wir haben!)


Es sei denn, Sie würden eine weitere Zwischenfrage des
Kollegen Jork zulassen.


Dr. Margrit Wetzel (SPD):
Rede ID: ID1415230600
Ich lasse sie zu.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415230700
Bitte
schön, Herr Jork.


Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU):
Rede ID: ID1415230800
Frau Kollegin
Wetzel, haben Sie etwas dagegen, wenn ich Ihnen den
ersten Antrag, der von Herrn Tauss unterschrieben wor-
den ist, gleich einmal gebe? Ich suche ihn aus meiner Ta-
sche heraus.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Dann wissen Sie, wie bei Ihnen der Entwicklungsgang
war, und wir könnten im Nachgang – wenn es Ihnen Recht
ist – darüber sprechen. Ich lege Ihnen diesen Antrag gleich
vor; ich habe ihn hier.


Dr. Margrit Wetzel (SPD):
Rede ID: ID1415230900
Darauf antworte ich Ihnen
gerne. Ein Antrag von Herrn Tauss hat bei uns in der
Fraktion und auch in den Arbeitsgruppen nicht vorgele-
gen.


(Lachen bei der CDU/CSU)

– Es ist so. Ich weiß beim allerbesten Willen nicht, was
Sie in der Hand haben. Herr Tauss hat einige Ergän-
zungsvorschläge gemacht – das ist sicherlich auch bei Ih-
nen in der Fraktion üblich – und die sind alle aufgenom-
men worden.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ein Durcheinander, ein Durcheinander!)


Ich weiß beim besten Willen nicht, welche geheimnisvol-
len Quellen Sie haben. Ich denke, Sie schaden damit dem
Thema. Das ist absolut absurd.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Aus für Tauss!)


Ich möchte die letzten Sekunden meiner Redezeit dafür
nutzen, etwas zu Ihrem Antrag zu sagen: In der Sache
wollen Sie mit Ihrem Antrag das Geodateninfor-
mationswesen unterstützen. Ihr Antrag ist – wenn Sie ihn

mit unserem vergleichen, werden Sie das feststellen – we-
sentlich schlechter als unserer.


(Beifall des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir brauchen weder einen Maßnahmenkatalog für Öf-
fentlichkeitsarbeit noch ein Bekenntnis der Bundesregie-
rung. Das ist Quatsch! Wir brauchen auch keine qualifi-
zierte Erhebung der wirtschaftlichen Bedeutung. Die
Märkte werden die neuen Anwendungen aufsaugen wie
ein Schwamm. Sie werden eine solche Eigendynamik ent-
wickeln, dass Sie noch staunen werden.

Wir greifen dieses Thema auf und setzen uns überzeu-
gend dafür ein. Wir wünschen dem IMAGI einen durch-
schlagenden Erfolg und werden unserem Entschließungs-
antrag zustimmen.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist eine Überraschung!)


Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415231000
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Ulrike Flach
von der F.D.P.-Fraktion.


Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1415231100
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Wenn ich nur die wichtigsten Anwendungen
von Geoinformationen aufzählen wollte, wäre meine Re-
dezeit – sie ist für die Liberalen knapp bemessen – bereits
nach dieser Aufzählung zu Ende. Von Awie Altlastenkar-
tierung bis Z wie Zivilschutz reichen die Nutzungsmög-
lichkeiten. Sie können froh sein, dass mir zu dieser fort-
geschrittenen Stunde nur eine Redezeit von dreieinhalb
Minuten zusteht und ich mich daher kurz fassen muss.

Die Antwort auf die Große Anfrage der Union ist zwar
sehr umfangreich, hinterlässt aber auch Verwirrung. Denn
mehr als 200 Fachaufgaben mit Geodatenbezug werden
allein in 55 Einrichtungen mit Bundeszuständigkeit wahr-
genommen;


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sehen Sie einmal, was wir alles getan haben!)


von den Ländern und der EU ganz zu schweigen. Ich freue
mich, dass heute auch Zuhörer der Länderebene anwe-
send sind, die ja offensichtlich betroffen sind.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wo sind die?)


– Schauen Sie genau hin.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Die Bundes ratsbank ist leer!)

Damit kommen wir zu einem der Kernprobleme: zur

mangelnden Koordination und Harmonisierung von Da-
tenerhebungsmethoden und Datenkriterien sowie zur
Aufbereitung und Verfügbarkeit. So dauert es leider in
manchen Katasterämtern inzwischen fünf Jahre, ehe eine




Dr. Margrit Wetzel
14952


(C)



(D)



(A)



(B)


neue Grundstücksgrenze wirklich vermessen und einge-
tragen ist. Zwar ist die Datengenauigkeit in Deutschland
einmalig – das bestätigt uns jeder –; aber für Unterneh-
men, die als Nutzer von Geodaten zum Beispiel für Stand-
ortentscheidungen Datenprodukte brauchen, sind die
Zeitabläufe zu lang. Gerade länderübergreifende Daten
passen nicht zusammen und sind viel zu teuer.

Liebe Kollegen, es fehlt eine homogene Systemland-
schaft. Das heißt, Daten müssen immer wieder – darauf
haben die beiden Vorredner schon hingewiesen – zwi-
schen unterschiedlichen Computersystemen neu konfigu-
riert werden. Wir brauchen einen möglichst auch in der In-
dustrie verwendeten Standard und keine langen Debatten
– wie heute Abend – über die Weiterentwicklung der ein-
heitlichen Datenbankschnittstelle.

Die Einrichtung des Interministeriellen Ausschusses
für Geoinformationswesen war sinnvoll – wir stimmen
ihr zu –, dieser muss aber deutlich an Kooperationsfähig-
keit mit der Wirtschaft gewinnen. So, wie der Kanzler die
Landwirtschaft von der Ladentheke her denken will, müs-
sen wir Geoinformationen von der Nutzerseite her den-
ken.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Der Zugriff für die Bürger, die Datenumsetzung und die
Transparenz müssen verbessert werden.

Liebe Kollegen, in beiden Entschließungsanträgen,
über die wir heute abstimmen, sind gute Forderungen ent-
halten, um die Nutzung und Anwendung von Geoinfor-
mationen voranzubringen. Aus diesem Grunde wundere
ich mich über die etwas erregte Diskussion. Das, Herr
von Klaeden, ist offensichtlich bei einigen Kollegen da-
rauf zurückzuführen, dass sie den Inhalt nicht kennen.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ich bin völlig entspannt!)


Der Unionsantrag geht aus meiner Sicht weiter. Seine
Annahme würde uns – da stimme ich Ihnen zu, Herr
Dr. Jork – endlich eine Person bringen, die auf Regie-
rungsebene Ansprechpartner im Wust der Geoinformatio-
nen ist. Deshalb stimmen wir Ihrem Antrag zu.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine gute Entscheidung! – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das hätte man auch kürzer sagen können!)


Der Koalitionsantrag setzt zwar Akzente in die richtige
Richtung, aber, ehrlich gesagt: Sie könnten Ihrer Bundes-
regierung ruhig etwas mehr Dampf machen. Denn
schließlich sind Sie jetzt dran.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Dr. Margrit Wetzel [SPD]: Wir sind richtig gut!)


Wir hätten die Möglichkeit, zu einer transparenteren, nut-
zerfreundlichen Geoinformationspolitik zu kommen. Des-
halb werden wir uns bei Ihrem Antrag enthalten.


(Lothar Mark [SPD]: Das ist durchaus positiv!)

Ich hätte mir gewünscht, dass angesichts der grundsätz-

lichen Übereinstimmung auf diesem Gebiet ein gemeinsa-

mer Antrag von uns allen entstanden wäre. Bis vor weni-
gen Minuten habe ich mir gewünscht, dass dies auch bei
einem Bereich der Geoinformationen möglich ist, für den
ich in meinem früheren Leben als Umweltpolitikerin gear-
beitet habe: beim satellitengestützten Umweltmonitoring.


(Dr. Margrit Wetzel [SPD]: Das ist überhaupt kein Problem! Die CDU kann ja zurückziehen!)


Nun höre ich vom Kollegen Fischer, dass dieser Antrag im
Umweltausschuss erneut gescheitert ist. Das bedaure ich,
liebe Kollegen. Das wäre eine Möglichkeit gewesen, ge-
meinsam etwas voranzubringen.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

Wir sollten daran arbeiten, dass wir das in Zukunft etwas
besser machen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415231200
Ich erteile dem
Abgeordneten Hans-Josef Fell das Wort.


Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415231300

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Herr Jork, natürlich schauen auch wir neidisch in die
USA. Dort werden Milliardenbeträge für den Aufbau von
Geoinformationssystemen ausgegeben. Aber die USA
haben eben einen geordneten Haushalt. Hätten Sie uns ei-
nen geordneten und nicht überschuldeten Haushalt
hinterlassen, könnten wir auch mehr Mittel für den not-
wendigen Aufbau dieser Datensysteme zur Verfügung
stellen.


(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zurufe von der CDU/CSU: Warum wollt ihr denn regieren, wenn ihr nicht könnt? – Ihr wart gegen die Privatisierung!)


Ich fand den größten Teil Ihrer Rede völlig in Ordnung,
denn es ist unbestritten: Geoinformationsdaten sind wert-
volle Daten, die in vielen Bereichen die Grundlage sinn-
vollen planerischen Handelns bilden. Bündnis 90/Die
Grünen und die SPD unterstützen daher alle Bestrebun-
gen, eine weitere Verbesserung der Gewinnung, der Ver-
arbeitung und der Nutzung von Geoinformationen vo-
ranzutreiben.

Lassen Sie mich zunächst einige Schwerpunktbereiche
aufzeigen, in denen Geoinformationen unverzichtbar sind
und praktisch die Grundlage für gezieltes und erfolgrei-
ches Handeln darstellen.

Auswirkungen der Klimaveränderungen zeigen sich
zuerst im globalen Maßstab. Einzelbeobachtungen vor
Ort sind wenig hilfreich und führen häufig zu Fehlein-
schätzungen. Geoinformationen bieten die wichtigste Da-
tenbasis für klimabedingte Veränderungen, sei es die Aus-
breitung von Wüsten, das Abschmelzen von Gletschern,
der Anstieg des Meeresspiegels, das Abholzen von Wäl-
dern, Sedimentationen oder Bodenerosionen, und auch
für den Hochwasserschutz. Viele für die menschliche Da-
seinsvorsorge unverzichtbare Wissensgrundlagen finden
sich in den Geoinformationen.




Ulrike Flach

14953


(C)



(D)



(A)



(B)


Meine Aufzählung ist lange nicht vollständig und be-
inhaltet im Wesentlichen auch nur den Umweltbereich.
Mir ist sehr wohl bewusst, dass Geoinformationen auch in
anderen Bereichen wie der Informationstechnologie, der
Infrastruktur, der Wirtschaft, der Landwirtschaft und der
Verwaltung sehr wichtig sind. Vor allem mit der Raum-
fahrt, über Satelliteninformationen, lassen sich solche Da-
ten umfassend erheben.

Wie wichtig diese Erhebung von Geodateninformatio-
nen für Bündnis 90/Die Grünen und für die Bundesregie-
rung ist, wurde schon im Januar 2000 deutlich, als das
Umweltministerium einen viel beachteten Workshop zur
Fernerkundung für Umwelt, Natur und Landschaft orga-
nisiert hat. Frau Probst als wichtigste Koordinatorin und
Minister Trittin haben diesen Workshop initiiert. Diese
Fernerkundungsdaten liegen heute vor, und wir orientie-
ren uns auch an diesem Workshop.

Das letzte herausragende Ereignis für die Fernerkun-
dung war die von der Bundesregierung maßgeblich unter-
stützte SRTM-Mission des Spaceshuttle Endeavour. Eine
immense Datenflut mit der präzisen dreidimensionalen
Vermessung der bewohnten Erdoberfläche wurde gesam-
melt.

Ich selbst konnte vor wenigen Wochen beim Deutschen
Luft- und Raumfahrtzentrum in München/Oberpfaffen-
hofen die ersten beeindruckenden Auswertungen der
SRTM-Mission miterleben.

Bündnis 90/Die Grünen sehen aufgrund der wertvollen
Ergebnisse daher den Schwerpunkt der Raumfahrtfor-
schung gerade in der Erdbeobachtung. Wir haben uns im-
mer dafür eingesetzt


(Zuruf der Abg. Ulrike Flach [F.D.P.])

und werden auch in Zukunft weiterhin dafür arbeiten,
Frau Flach, dass die Mittelausstattung für die Erdbeo-
bachtung vor allem in der kosteneffizienten unbemannten
Raumfahrt den Erfordernissen angepasst wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die noch lange nicht bewältigte Datenflut der SRTM-
Mission ist ein Beispiel dafür dass auch die Datenaus-
wertungen und die Datennutzungen verbessert werden
müssen und können. Noch immer liegen Daten brach, die
einer wichtigen Nutzung zugeführt werden könnten. Al-
lerdings liegt dies auch darin begründet, dass der Aufbau
einer entsprechenden Nutzungsinfrastruktur naturgemäß
nicht mit der Erfassung der Datenfülle Schritt halten kann.

Die Bundesregierung hat, wie die vorliegende Antwort
auf die Große Anfrage der CDU/CSU zeigt, wesentliche
Verbesserungen vorangetrieben und arbeitet weiterhin ak-
tiv und erfolgreich an Verbesserungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Mit der Einrichtung des Interministeriellen Ausschusses
für Geoinformationswesen wurde die Koordination maß-
geblich gefördert.

Da hauptsächlich die Länder für die Bereitstellung der
Geoinformationsdaten zuständig sind, hat die Bundesre-

gierung mit der Bund-Länder-Vereinbarung vom
1. September 1999 bereits die Grundlagen für eine Ver-
einfachung der Nutzung angestoßen. Fachdatenzentren
sind an verschiedenen Bundesämtern im Aufbau. Der öf-
fentliche Zugang zu den Geoinformationen wurde lau-
fend verbessert, zum Beispiel über das Internet.

Mit Millionenbeträgen wurden verschiedene Projekte
von Datenbanken oder Informationssysteme von der
Bundesregierung unterstützt.

All diese Erfolge dürfen aber nicht darüber hinwegtäu-
schen, dass weiterhin an der Verbesserung der Nutzung
von Geoinformationen gearbeitet werden muss. Der von
den Regierungsfraktionen vorgelegte Antrag trifft die
richtigen Ziele und beschreibt die notwendigen Maßnah-
men; übrigens weitaus besser als der Antrag der
CDU/CSU.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Bündnis 90/Die Grünen sind sich daher mit dem Ko-
alitionspartner SPD einig, dass dem Anliegen der Union
voll Rechnung getragen wird. Die Nutzung von Geoin-
formationen wird damit in Zukunft weiter verstärkt
werden und die Informationen werden für die Lösung
vieler Probleme und Zukunftsaufgaben zur Verfügung
stehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lothar Mark [SPD]: Wesentlich besser als vorher!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415231400
Danke schön. –
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Heinrich Fink.


Dr. Heinrich Fink (PDS):
Rede ID: ID1415231500
Sehr geehrte Frau Präsiden-
tin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist
durchaus zu begrüßen, dass durch die Große Anfrage der
CDU/CSU die Bundesregierung genötigt ist, eine umfas-
sende Bestandsaufnahme auf den Tisch des Hauses zu le-
gen. Damit wird das Jahr 2002 als Jahr der Geowissen-
schaft angemessen eingeläutet.

Ohne Zweifel können Geodaten wichtige Aufschlüsse
über die Beschaffenheit der Umwelt, der Landschaft oder
der Meere, geben. Frau Dr. Wetzel hat das anschaulich,
engagiert und unübertroffen geschildert.


(Lothar Mark [SPD]: Das macht die Regierung sehr gut!)


Doch die plötzliche Entdeckung der hohen Bedeut-
samkeit von Geodaten macht mich misstrauisch. Als rele-
vant für die Nutzung von Geoinformationen sieht der An-
trag der CDU/CSU sowohl zivile wissenschaftlich-
technische – dem können wir zustimmen – als auch mi-
litärische Bereiche an. Der Antrag von SPD und Bündnis 90/
Die Grünen schließt die militärische Nutzung nicht un-
bedingt aus.

Nach meiner Erinnerung ging es bei Veranstaltungen
zur Datenfernerkundung vordergründig um deren Intensi-
vierung zu friedlichen Zwecken. Aber ich habe den Ein-
druck, dass die Bemühungen der Antragsteller eigentlich




Hans-Josef Fell
14954


(C)



(D)



(A)



(B)


auf die Legitimation laufender Planungen zum Satelliten-
navigationssystem Galileo innerhalb des 5. EU-For-
schungsrahmenprogramms gerichtet sind.


(Beifall bei der PDS)

In der Antwort auf die Große Anfrage steht auf Seite 19:
Die Satellitentechnik spielt eine wachsende Rolle bei
der Gewinnung und Verteilung von Informationen. ...
Das kann in Einzelfällen den Aufbau neuer Welt-

(z. B. die Planung für das Navigationssystem Galileo)

dass stärker auf Produkte des entstehenden privaten
Anbietermarktes zurückgegriffen wird.

Meine Damen und Herren, der Entschließungsantrag
der CDU/CSU, aber auch der entsprechende Antrag von
SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen lesen sich wie ein
Werbekatalog für die Auslastung von Galileo. Im Ent-
schließungsantrag der Regierung steht, dass die Bundes-
regierung

zum Wohle einer nachhaltigen Entwicklung ... den
Einsatz effizienter Technik unter konsequenter Nut-
zung von Geoinformation in allen Gesellschaftsbe-
reichen und Anwendungsfeldern ... entschieden vor-
antreiben soll.

Soll das bedeuten, dass die Bundesregierung auf Ge-
heiß der Wirtschaft künftige Nutzer für das Satellitensys-
tem werben soll? Denn zunächst sollen europäische Steu-
erzahler und Industrie in den Jahren 2001 bis 2007
3,25 Milliarden Euro dafür zahlen. Namentlich Daimler-
Chrysler erwartet für seine Vorleistungen in kurzer Zeit
hohe finanzielle Rückläufe. Aber der Markt für Geo-
informationen in der Privatwirtschaft, in Institutionen
und Behörden ist meines Wissens ziemlich begrenzt.

Was eigentlich soll Galileo können, was das GPS-Sys-
tem aus den USA nicht kann? Die Deutsche Gesellschaft
für Luft- und Raumfahrt bemerkt in ihren Internetseiten,
dass die

derzeit für die zivile Nutzung verfügbaren
Satellitennavigationssysteme – das russische GLO-
NASS und vor allem das weltweit genutzte amerika-
nische GPS – im Hinblick auf ihre Genauigkeit und
Zuverlässigkeit für eine Vielzahl von Anwendungen
ausreichend

sind. Ich bin deshalb nicht davon überzeugt, dass es hier
hauptsächlich um die zivile Nutzung von Geoinformatio-
nen geht; denn die zahlreichen Verweise auf die militäri-
schen Seiten der Satellitennavigation machen einfach
skeptisch. Die DLR hebt zum Beispiel hervor, dass es sich
beim GPS um ein


(Department of Defense)


handelt, dessen
Verfügbarkeit jedem ausländischen – also auch
europäischen – Mitspracherecht entzogen ist.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415231600
Lieber Herr
Kollege, selbst bei großzügiger Betrachtung ist Ihre Re-
dezeit bereits ausgeschöpft.


Dr. Heinrich Fink (PDS):
Rede ID: ID1415231700
Meine Fraktion betrachtet
eine militärische Variante der Nutzung von Galileo mit Arg-
wohn, wenn Westeuropa damit eigene militärische Interes-
sen verfolgen würde. Das wird die PDS nicht unterstützen.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415231800
Herr Kollege,
ich glaube, das wäre ein schöner Schlusssatz. Ihre Rede-
zeit ist tatsächlich vorbei.


Dr. Heinrich Fink (PDS):
Rede ID: ID1415231900
Wir sehen uns in der Ver-
antwortung, dafür zu wirken, dass wissenschaftliche For-
schung ausschließlich nichtmilitärischen Zwecken dient.


(Beifall bei der PDS – Lothar Mark [SPD]: Das war nur noch der eine Satz! – Dr. Uwe Küster [SPD]: Eine Seite lang!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415232000
Das Wort hat
jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf
Körper.

F
Fritz Rudolf Körper (SPD):
Rede ID: ID1415232100
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Es ist in der Tat richtig, dass das wirtschaftli-
che Potenzial der Geoinformationen gewaltig ist. Das Vo-
lumen des deutschen Marktes erreicht derzeit rund
125 Millionen Euro bei einem jährlichen Wachstum zwi-
schen 10 und 30 Prozent. Dem europäischen Markt wird bis
zum Jahre 2004 eine Steigerung von 840 Millionen Euro
prognostiziert. Der Geoinformationsmarkt der USA hatte
bereits 1998 ein Volumen von 4,2 Milliarden US-Dollar.
Die Wirtschaftsleistungen im Zusammenhang mit Geoin-
formationen beliefen sich auf 3,5 Billionen US-Dollar – die
Hälfte der Gesamtwirtschaftsleistung der Vereinigten Staa-
ten von Amerika.

Mit nicht geahnter Dynamik werden weitere wichtige
Anwendungsfelder erschlossen. Ein Beispiel dafür sind
die künftigen Dienste für Handys.

Die Bundesregierung hat die Chancen, die der Geoda-
tenmarkt gerade auch für kleine und mittlere Unterneh-
men bietet, erkannt und in den letzten beiden Jahren er-
hebliche Anstrengungen unternommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lieber Herr Dr. Jork, nicht seit 16 Jahren, aber seit
1990 sind Sie im Deutschen Bundestag. Bis zum heutigen
Tag habe ich zu diesem Thema bis auf Ihre Große Anfrage
keine einzige Rede, keine einzige Initiative erlebt.

Ja, die Situation war anders. Unter dem alten Bun-
desinnenminister wäre das zuständige Bundesamt um ein
Haar liquidiert worden.


(Lothar Mark [SPD]: Das ist die Wahrheit! Das muss einmal gesagt werden!)


Das ist Ihre Politik zu diesem Sachbereich gewesen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Dr. Heinrich Fink

14955


(C)



(D)



(A)



(B)


Jetzt fangen Sie nicht an, so zu tun, als ob Sie die Weisheit
erfunden hätten. Ich glaube, es ist nicht redlich, was Sie in
dieser Sache tun.

Im Übrigen – so sage ich einmal – ist diese Bundesre-
gierung für die Kompetenzzuteilung in unserer Verfas-
sung nicht verantwortlich. Dieser Bereich liegt nun ein-
mal in Länderkompetenz,


(Lothar Mark [SPD]: Aber kompetent sind wir immer!)


und wir müssen im föderalen System dafür sorgen, dass
wir vernünftige Lösungen zustande bekommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dann sage ich Ihnen noch etwas, Herr Dr. Jork: Der In-
terministerielle Ausschuss für Geoinformationswesen
wurde 1998 gegründet – das ist richtig –, aber erst nach
dem Regierungswechsel ist die Konzeption eines effizi-
enten Managements fürGeodaten auf Bundesebene ent-
wickelt worden.


(Abg. Dr.-Ing. Rainer Jork [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415232200
Herr Staatsse-
kretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

F
Fritz Rudolf Körper (SPD):
Rede ID: ID1415232300
Damit hatten Sie als Bundesre-
gierung überhaupt nichts zu tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben vielleicht formal etwas gemacht, aber inhaltlich
überhaupt nichts.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415232400
Herr Staatsse-
kretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

F
Fritz Rudolf Körper (SPD):
Rede ID: ID1415232500
Ich möchte gerade noch etwas zu
dem Interministeriellen Ausschuss für Geoinformations-
wesen sagen,


(Lachen bei der CDU/CSU)

weil es mir wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass sich der
gesamte Prozess in der Umsetzungsphase befindet, wobei
vorrangig ein Auskunfts- und Zugriffssystem entsteht, das
die in der Vergangenheit in mehr als 55 Einrichtungen
in Bundeszuständigkeit unkoordiniert aufgebauten Geo-
datensätze verknüpfen wird. Das ist unsere Lösung.

Ich will noch weiter darstellen, aber wenn Herr Kol-
lege Dr. Jork jetzt eine Zwischenfrage stellen möchte,
dann kann er das gern tun.


Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU):
Rede ID: ID1415232600
Ich danke Ihnen,
Herr Staatssekretär. Das erspart mir eine Kurzinterven-
tion.

Nachdem Sie mir direkt Unredlichkeit unterstellten
und vorwarfen – Sie haben gesagt, das, was ich getan
habe, sei nicht redlich gewesen –, frage ich Sie, ob es nicht
eine übliche und redliche Angelegenheit ist,


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: „Unmöglichkeit“ hat es geheißen!)


dass man dann, wenn man einen Aufgabenbereich als
wichtig erachtet, sich mit einer Großen Anfrage um die
Lösung der Probleme bemüht.

Ich lasse mich von Ihnen auch nicht in jeder Sache –
Sie wissen, dass ich 1990 aus einem der neuen Bundes-
länder hierher in den Bundestag gekommen bin – im Hin-
blick auf Fragen, deren Klärung früher versäumt worden
ist, in die Pflicht und Verantwortung nehmen.

Ist es nicht für Sie auch eine tolle Sache, dass Sie schon
zwei Jahre an der Regierung sind, dass Sie schon zwei
Jahre lang etwas tun können


(Lothar Mark [SPD]: Aber wir konnten in zwei Jahren nicht alles machen, was in 16 Jahren versäumt wurde!)


und dass Sie nach zwei Jahren mit einer solchen Anfrage
ernst genommen werden?

F
Fritz Rudolf Körper (SPD):
Rede ID: ID1415232700
Lieber Herr Dr. Jork, das Thema
zeigt beispielsweise auch, dass 16 Jahre lang Entwicklun-
gen verschlafen worden sind und dass diese Bundesregie-
rung handelt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das kann ich Ihnen auch noch weiter deutlich machen.
Im Geodatenzentrum des Bundesamtes für Kartogra-

phie und Geodäsie, Außenstelle Leipzig, haben wir bei-
spielsweise eine bundesweite Datenbank für Geobasis-
daten mit Anschluss an das Internet geschaffen.
Hervorgehoben werden muss hier die Zusammenarbeit
des Bundes mit den Ländern, die eben nach dem Grund-
gesetz für die Erfassung solcher Basisdaten verantwort-
lich sind.

Hier haben die Länder und das zuständige Bundesamt
das Amtliche Topographisch-Kartographische Informati-
onssystem entwickelt. Das sollten Sie auch einmal zur
Kenntnis nehmen. Durch das Geodatenzentrum nimmt
der Bund seine häufig geforderte Koordinierungsfunk-
tion wahr. Wir brauchen da nicht gemahnt zu werden,
sondern wir machen dies.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch in der Europäischen Kommission wird Geoin-
formation inzwischen als ein zentraler Teil der Informati-
ons- und Wissensgesellschaft gesehen. Auf politischer
Ebene ist die Bundesregierung gerade dabei auszuloten,
wie das europäische Geoinformationswesen – natürlich
unter deutscher Mitwirkung – gestärkt werden kann. Ich
bin zuversichtlich, dass die angebahnten Gespräche dazu




Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper
14956


(C)



(D)



(A)



(B)


beitragen, die bei der EU gelegentlich noch vorherr-
schende abwartende Haltung zu überwinden.

Lassen Sie mich zusammenfassen: Diese Bundesre-
gierung wird dafür sorgen, dass die Anwendung der Geo-
informationen den politischen Stellenwert erhält, der ihr
im Hinblick auf ihre außerordentlichen Chancen für die
Entwicklung der Gesellschaft zukommt. Sie wird in Zu-
sammenarbeit mit den Ländern sicherstellen, dass amtli-
che Geodaten für die Unterstützung der Wirtschaft und
der Wissenschaft stetig zur Verfügung stehen, sie wird die
Anwendung von Geoinformationen bei der Modernisie-
rung der Bundesverwaltung durch den Interministeriellen
Ausschuss für Geoinformationswesen koordinieren und
fortentwickeln und sie wird sich dafür einsetzen, dass das
Geoinformationswesen im internationalen Bereich unter
deutscher Teilnahme und Mitwirkung gestärkt wird. Die
Belehrungen, Herr Dr. Jork, können Sie für sich behalten;
wir haben sie nicht nötig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415232800
Ich schließe da-
mit die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnis-
ses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/5323. Wer stimmt
für diesen Entschließungsantrag? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
CDU/CSU und eine Stimme aus der PDS bei Enthaltung
der F.D.P. und der anderen Stimmen aus der PDS ange-
nommen worden.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache
14/5321. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag?
– Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Entschließungs-
antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. ab-
gelehnt worden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Gerhard Jüttemann, Angela Marquardt, Rolf
Kutzmutz, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung des Postgesetzes
– Drucksache 14/1108 –

(Erste Beratung 47. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

– Drucksache 14/2109 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Elmar Müller (Kirchheim)


Die Abgeordneten Barthel, Müller, Hustedt und Funke
sowie der Parlamentarische Staatssekretär Mosdorf bit-
ten, ihre Reden zu Protokoll geben zu dürfen.1) Sind Sie

damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann redet in die-
ser Runde nur der Abgeordnete der PDS, Gerhard
Jüttemann. Bitte, Sie haben das Wort.


Gerhard Jüttemann (PDS):
Rede ID: ID1415232900
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! In der Debatte zur zweiten und drit-
ten Lesung des Postgesetzes hat der Vertreter der SPD,
Hans Martin Bury, im Oktober 1997 gesagt:

Wir treten für einen fairen Wettbewerb ein. Dieser
basiert auf ordentlichen Arbeitsplätzen. Deswegen
wollen wir eine Lizenzbestimmung, wonach alle An-
bieter im Postsektor die üblichen wesentlichen Ar-
beitsbedingungen einhalten müssen.

Der damalige Antrag der PDS auf Festschreibung so-
zialer Standards im Postwesen wurde rundweg abge-
lehnt, auch von der SPD, weil diese, wie Bury damals
sagte, einen eigenen, besseren hatte. Dieser angeblich
bessere Antrag ist jetzt im Postgesetz verankert und führt
dazu, dass die Konkurrenten der Post, von der Regulie-
rungsbehörde ungehindert, flächendeckend die im Post-
sektor üblichen wesentlichen Arbeitsbedingungen unter-
schreiten. Der Trick ist einfach: Im Postgesetz ist zwar die
Rede von den wesentlichen Arbeitsbedingungen, die
nicht unterschritten werden dürfen. Die Regulierungs-
behörde prüft aber nicht die Arbeitsbedingungen, sondern
lediglich die Arbeitsverhältnisse.


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Eine Schlamperei!)

Die Frage lautet also nur noch: Sind die Arbeitsver-

hältnisse versicherungspflichtig oder nicht? Die wesentli-
chen Arbeitsbedingungen jedoch, von denen das Gesetz
ausgeht, umfassen weit mehr: Arbeitslohn, Arbeitszeit,
Urlaub und Kündigungsschutz. Das bedeutet: Das Post-
gesetz ist an dieser Stelle so beliebig – um nicht zu sagen,
schlampig – formuliert, dass die eingangs zitierte angeb-
liche Absicht der SPD, also die Einhaltung der üblichen
wesentlichen Arbeitsbedingungen im gesamten Postsek-
tor, überhaupt nicht zum Tragen kommt.


(Beifall bei der PDS)

Das Ergebnis ist die absolute Umkehrung der formu-

lierten Idee. Nicht die Postkonkurrenten passen ihre Ar-
beitsbedingungen an die der Deutschen Post AG an, son-
dern die Deutsche Post AG senkt das soziale Niveau der
bei ihr üblichen Arbeitsbedingungen auf das Niveau ihrer
Konkurrenten ab. Die ehemalige Staatspost macht das auf
zwei Wegen. Erstens hat sie unter dem Dach des Konzerns
ein riesiges Geflecht von Subunternehmen geschaffen,
in denen die Tarife der Deutschen Post AG nicht gelten.
Schlimmer noch: In diesen Unternehmen wird vielfach
mit Scheinselbstständigen und Menschen in prekären Be-
schäftigungsverhältnissen gearbeitet. Erst gestern wurde
bekannt, dass die Post durch Auslagerung bis Ende nächs-
ten Jahres 12 000 LKW-Fahrer einsparen will. Die Arbeit
wird dann von Privatunternehmen übernommen, die ihre
Mitarbeiter auch unter unsozialen Bedingungen beschäf-
tigen.

Der zweite Weg ist der Abbau der geltenden Tarif-
verträge. Wer seit Anfang dieses Jahres neu bei der Post
anfängt, für den gelten diese Tarife schon nicht mehr. Er




Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper

14957


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 3

muss Einkommensverluste zwischen 7 und 29 Prozent
hinnehmen. Der Grund dafür ist die Verwandlung der
ehemaligen Bürgerpost in eine Börsenpost. Was sich nicht
rechnet, wird abgeschafft.

Dazu zitiere ich den Vorsandsvorsitzenden der Deut-
schen Post AG, Klaus Zumwinkel, in der „Wirtschaftswo-
che“ vom 31. August 2000:

Wir haben mit den Gewerkschaften vereinbart, dass
jeder, der etwa in der Zustellung neu zu uns kommt,
nicht nach den Posttarifen bezahlt wird, sondern da-
nach, was auch für die Konkurrenz gilt ...


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Das ist eine Schweinerei!)


Der Gegenwert dieses Tarifvertrags und der daraus
resultierenden Einsparungen bei den Personalkosten
geht langfristig und kumuliert in den Milliardenbe-
reich.

Im Klartext heißt das: Die viel zitierten üblichen we-
sentlichen Arbeitsbedingungen im Postsektor sind seit
Anfang dieses Jahres ein Auslaufmodell. Sie wurden auf
dem Börsenaltar der Renditen geopfert. Leider ist zu be-
fürchten, dass die nun auch von der Regierung angestrebte
Verlängerung des Teilmonopols bei der Briefbeförde-
rung lediglich den Börsenwert der Deutschen Post AG
stärken soll, anstatt die sozialen Bedingungen der Be-
schäftigten im Postsektor endlich wieder den gesetzlichen
Erfordernissen anzupassen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415233000
Lieber Herr
Kollege, auch Sie müssten jetzt zum Schluss kommen.


Gerhard Jüttemann (PDS):
Rede ID: ID1415233100
Ich bin gleich am Ende.
Vielen Dank.

Letzteres ist das Ziel des Gesetzentwurfes, den die
PDS vorgelegt hat. Die SPD lehnt laut Bericht des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie unseren Entwurf
ab, weil angeblich kein Regelungsbedarf bestehe. Das ist
etwas rätselhaft, da es in den jüngst veröffentlichten The-
sen der AG Telekommunikation und Post der SPD-Frak-
tion heißt – ich zitiere –:


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415233200
Nein, Herr Kol-
lege, es geht wirklich nicht mehr, dass Sie jetzt noch zi-
tieren. Sie sind zwei Minuten über Ihre Redezeit.


Gerhard Jüttemann (PDS):
Rede ID: ID1415233300
Es sind nur noch zwei
Sätze. Das muss bei diesem Inhalt doch möglich sein. Ich
bin der letzte Redner. Es ist außerdem noch keine Schla-
fenszeit.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415233400
Ich glaube, dass
es Ihnen nicht zusteht zu bestimmen, ob Sie noch weiter-
reden dürfen oder nicht. Das geht jetzt wirklich zu weit.
Ich weiß, dass es für die kleinen Fraktionen schwierig ist.
Ich bin in der Regel aber wirklich sehr großzügig, aber
mehr als zwei Minuten über Ihre Redezeit kann ich Ihnen
nicht zugestehen.


Gerhard Jüttemann (PDS):
Rede ID: ID1415233500
Gut, dann versuche ich
es ganz kurz zu machen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415233600
Nein, Sie dürfen
sich auch nicht mehr kurz fassen, sondern Sie müssen jetzt
Schluss machen.


Gerhard Jüttemann (PDS):
Rede ID: ID1415233700
In der Analyse kommt
die SPD selbst zu der Erkenntnis, dass die Bedingungen
so sind. Ich gebe Ihnen eine Chance, sich Ihrer Sorgen zu
entledigen: Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS – Margot von Renesse [SPD]: Das war eine nichtige Werberede!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415233800
Ich schließe da-
mit die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf der
Fraktion der PDS zur Änderung des Postgesetzes auf
Drucksache 14/1108. Der Ausschuss für Wirtschaft und
Technologie empfiehlt auf Drucksache 14/2109, den
Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf auf Drucksache 14/1108 zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den
Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS,
die zugestimmt hat, abgelehnt worden.

Damit entfällt die weitere Beratung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:

Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Guido Westerwelle, Dr. Edzard Schmidt-
Jortzig, Dr. Max Stadler, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Ent-
wurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Aus-
ländergesetzes
– Drucksache 14/4893 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Hier bitten alle Redner, ihre Reden zu Protokoll geben
zu können. Das sind die Abgeordneten Veit, Philipp,
Beck, Niebel und Jelpke sowie die Parlamentarische
Staatssekretärin Cornelie Sonntag-Wolgast.1) Sind Sie da-
mit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann verfahren wir
so.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/4893 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überwei-
sungen so beschlossen.




Gerhard Jüttemann
14958


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 4

Ich rufe den letzten Tagesordnungspunkt auf, nämlich
den Tagesordnungspunkt 19:

Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Verbesserung

(Kinderrechteverbesserungsgesetz – KindRVerbG)

– Drucksache 14/2096 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Für die Beratung ist eine halbe Stunde vorgesehen. –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die
Senatorin der Hansestadt Hamburg, Frau Peschel-Gutzeit.
Bitte.


(Hamburg)

GRÜNEN sowie den Abgeordneten Dr. Heinrich Fink

(PDS) mit Beifall begrüßt):



(Dr. Heinrich Fink [PDS]: Das ist eine Hamburgerin!)


– Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehr-
ten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag berät
heute das Kinderrechteverbesserungsgesetz. Es handelt
sich dabei um einen Gesetzentwurf, der auf Antrag der
Länder Hamburg und Sachsen-Anhalt vom Bundesrat am
24. September 1999, also vor nunmehr fast eineinhalb
Jahren, beschlossen worden ist. Zwei Forderungen dieser
Gesetzesinitiative, nämlich das absolute Gewaltverbot in
der Erziehung und das kleine Miterziehungsrecht bei
Stieffamilien, sind inzwischen gesetzlich geregelt und da-
mit erledigt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Die anderen in dem Entwurf enthaltenen Forderungen
sind aber nach wie vor unerledigt und brandaktuell.
Worum geht es? Es geht abermals um die Verbesserung
der Rechte unserer Kinder.

Ich will die wichtigsten unerledigten Punkte dieser Ge-
setzesinitiative nennen: Es geht – erstens – um den Aus-
schluss der Vaterschaftsanfechtung bei einvernehmlicher
heterologer Insemination.

Margot von Renesse [SPD]: Das ist lange an
der Zeit!)

Es geht – zweitens – um die erleichterte Einbenennung
von Kindern in eine neue Familie, und zwar auch bei ver-
bliebener gemeinsamer Sorge der leiblichen Eltern. Es
geht – drittens – um die vollständige erbrechtliche Gleich-
stellung nichtehelicher Kinder.

Ich beginne mit dem ersten Punkt: Entscheiden sich
Paare gemeinsam dafür, einem Kind auf dem Wege einer
künstlichen Befruchtung mittels Samenspende eines
Dritten das Leben zu schenken, so lässt das geltende
Recht – genauer: die höchstrichterliche Rechtsprechung –

dem Manne die Möglichkeit, die Vaterschaft anzufech-
ten;


(Margot von Renesse [SPD]: Ein Unding!)

sozusagen Rückgabe bei Nichtgefallen. Dies geht natür-
lich nicht. Nebenbei: Eine solche Anfechtung geht natür-
lich durch; die Partner wissen ja ganz genau, dass das
Kind nicht vom Partner, sondern von einem Dritten
stammt. Eine solche Anfechtung führt zu einem Verlust
von Unterhalts- und Erbansprüchen, ganz zu schweigen
von den Auswirkungen auf die persönlichen Beziehungen
des Kindes zu seinen Eltern. Das Wohl des Kindes ver-
langt, dass Eltern, die sich bewusst für diesen Weg zu ei-
nem Kind entscheiden, hierfür beide die Verantwortung
tragen und behalten


(Margot von Renesse [SPD]: Und zwar lebenslänglich!)


sowie die Vaterschaft nicht im Nachhinein aufkündigen
können. Deshalb muss eine Regelung in das Bürgerliche
Gesetzbuch eingefügt werden, welche in diesen Fällen im
Interesse der Kinder eine Anfechtung der Vaterschaft
ausschließt.

Der zweite Punkt betrifft Stiefkinder. Stiefkinderfami-
lien sind eine millionenfach gelebte soziale Realität. Sie
stellen das Recht vor besondere Herausforderungen. Ein
Aspekt dieses Problemfeldes ist das Namensrecht. Lebt
ein Kind, dessen Eltern geschieden sind, in einer neuen
Familie – Vater oder Mutter sind wieder verheiratet –,
dann kann es die Integration des Kindes durchaus fördern,
wenn es auch den Familiennamen der neuen Familie, in
der es lebt, trägt; das heißt, wenn es einbenannt wird, wie
der Fachausdruck dafür lautet.

Dies ist besonders wichtig, wenn Kinder aus der Erst-
familie – ich nenne sie einmal die kleinen Meiers – mit
Kindern aus der Neufamilie – vielleicht den kleinen
Müllers – zusammentreffen und zusammen aufwachsen.
Schon jetzt kann das Kind einbenannt werden, wenn es
mit einem Elternteil in einer neuen Familie lebt und die-
ser Elternteil die alleinige elterliche Sorge hat.

Nach neuerem, seit 1998 geltendem Recht kommt es
viel häufiger vor, dass in der gleichen Situation beide El-
ternteile – also zum Beispiel die wieder verheiratete Mut-
ter und der geschiedene Vater – gemeinsam sorgeberech-
tigt sind und bleiben. Auch hier kann aber eine
Einbenennung in die neue Familie gewünscht und sinn-
voll sein. Sie scheitert aber, wenn zum Beispiel der mit-
sorgeberechtigte Vater widerspricht. Rechtlich wäre hier
nur über den Umweg einer Sorgerechtsänderung – einer
Änderung, die sehr weit reichende Folgen hat und die im
Übrigen oft gar nicht gewollt ist – zu helfen. Ein Kind, das
in einer solchen bleibenden Elternbeziehung lebt, muss
die Chance auf Einbenennung erhalten. Die entspre-
chende Vorschrift des Bürgerlichen Gesetzbuches muss
deshalb entsprechend flexibilisiert werden.

Dritter und letzter Punkt. Seit nunmehr über 30 Jahren
gilt in der alten Bundesrepublik das Gesetz über die recht-
liche Stellung nichtehelicher Kinder. Das Gesetz hat ganz
wesentlich zur Verbesserung der Rechtstellung nicht-
ehelicher Kinder beigetragen. Aber eine vollständige




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

14959


(C)



(D)



(A)



(B)


erbrechtliche Gleichstellung wurde bekanntlich nicht
vollzogen. Für die vor dem 1. Juli 1949 geborenen nicht-
ehelichen Kinder – ich möchte sie einmal etwas unchar-
mant die Altkinder nennen – gilt noch immer der alte, un-
befriedigende Rechtszustand fort. Der Bundesrat hat hier
wiederholt Abhilfe verlangt. Jetzt ist es endlich an der Zeit,
den letzten alten Zopf des Nichtehelichenrechts abzu-
schneiden und die entsprechende Vorschrift aus dem Nicht-
ehelichenrecht zu streichen.

Die Regelung, die das Erbrecht der vor dem 1. Juli
1949 geborenen nichtehelichen Kinder ausschließt, muss
vor allem gestrichen werden, um einen bis heute beste-
henden, nicht zu rechtfertigenden Unterschied zum Recht
der ehemaligen DDR zu beseitigen. Dort waren nämlich
die vor dem Stichtag geborenen nichtehelichen Kinder
schon lange voll erbberechtigt, sodass das Erbrecht der
vor dem 1. Juli 1949 geborenen Kinder im wieder-
vereinigten Deutschland davon abhängt, wo ihr Vater zum
Zeitpunkt der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 sei-
nen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt hat. Das ist eine Si-
tuation, die in Berlin besonders unbefriedigend ist, weil
vorstellbar ist, dass zwei nichteheliche Gemeinschaften in
ein und derselben Straße wohnen. Allerdings wohnten die
einen im Osten und die anderen im Westen. Kinder, die
aus solchen Verbindungen hervorgegangen sind, haben
nach wie vor einen völlig unterschiedlichen Status.

Die rechtliche Gleichstellung nichtehelicher Kinder ist
seit Jahrzehnten ein Thema der Rechtspolitik und auch
weitgehend umgesetzt. Ich vermag deshalb die bisweilen
geäußerte, meines Erachtens aus Besitzstandsdenken
herrührende Ansicht nicht zu teilen, dass in Altfällen Ver-
trauenstatbestände künftiger Erben entstanden seien. Es
kommt allein darauf an, die rechtliche Gleichstellung
nichtehelicher Kinder in ganz Deutschland endlich zu
vollenden und damit das deutsche Recht dem europä-
ischen Standard anzugleichen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415233900
Der Kollege
Pofalla von der CDU/CSU-Fraktion hat gebeten, seine
Rede zu Protokoll geben zu dürfen.1) Sind Sie damit ein-
verstanden? – Dann verfahren wir so.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ekin Deligöz.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415234000
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das neue,
erst zwei Jahre junge Kindschaftsrecht steht in einer sehr
guten Tradition. Kinder werden in unseren Gesetzen im-
mer mehr als eigenständige Rechtssubjekte und nicht mehr
nur als Rechtsobjekte betrachtet. Kinder werden als Träger
von Rechten anerkannt. Das neue Kindschaftsrecht ist in
diesem Sinne auch ein Stück demokratischer Erfolgsge-
schichte, auf die wir stolz sein können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das Kindschaftsrecht ist jedoch nichts Statisches,
nichts Unbewegliches, nichts Starres. Es ist Teil eines ge-
sellschaftlichen Veränderungs- und Entwicklungsprozes-
ses. Es muss deshalb immer wieder überprüft, überdacht
und an aktuelle Entwicklungen angepasst werden. Deshalb
hat die Koalition vereinbart, das neue Kindschaftsrecht zu
evaluieren und die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.
Die Vorlage, die wir heute behandeln, ist eine Vorstufe
dazu. Die Bundesratsinitiative greift im Wesentlichen die
Mängel auf und schließt die Lücken, die sich insbesondere
in den letzten zwei Jahren abgezeichnet haben. Wir – ich
sage das im Namen meiner Fraktion – unterstützen diese
Initiative voll und ganz, liebe Senatorin.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es geht vor allem um die praktischen und pragmati-
schen Probleme des Alltags, die mit dieser Initiative
gelöst werden sollen. Die wesentlichen Elemente wurden
schon von meiner Vorrednerin sehr ausführlich darge-
stellt. Es geht darum, Rechtssicherheit für unsere Kinder
zu schaffen. Alle geplanten Veränderungen dürften in die-
sem Hause wohl weitgehend auf Konsens stoßen.

Eine wichtige Forderung des Entwurfs ist seit gerau-
mer Zeit bereits erfüllt. Wir haben das Recht auf gewalt-
freie Erziehung in unser BGB aufgenommen. Die For-
mulierung, die wir dafür gefunden haben, greift die
Absicht des Bundesrats auf, ist aber um einiges präziser.
Es geht hier nämlich nicht nur um ein Gebot für Erwach-
sene, sondern um ein echtes Kinderrecht. Nur so erzielen
wir die nötige gesellschaftliche Signalwirkung; das haben
uns die Erfahrungen aus dem Ausland gezeigt.

Der zukünftige Handlungsbedarf im Kindschaftsrecht
ist trotz allem bereits heute erkennbar. Wir haben in unse-
rer Fraktion vor kurzem eine Fachanhörung veranstaltet,
auf der wir die Erfahrungen vor Ort ausgewertet und An-
forderungen für die künftige Entwicklung formuliert ha-
ben. Ich möchte heute Abend die Gelegenheit nutzen, sie
stichwortartig darzustellen.

Eine der besonders bedeutsamen Forderungen der vie-
len Interessensgruppen, Verbände und auch der Verfah-
renspfleger war, dass Kenntnisse über Kinderrechte kein
Insiderwissen darstellen dürfen. Kinder haben einen An-
spruch darauf, zu erfahren, welche Rechte sie haben. Hier
stehen wir alle gemeinsam in der Verantwortung: die Me-
dien, die Bildungseinrichtungen, die Schulen, die Eltern
usw.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Die Eltern nicht ganz so weit hinten!)


– Ich habe Sie leider nicht verstanden, Herr Kollege; an-
derenfalls würde ich darauf reagieren.

Von der Bundesregierung gibt es zum Thema gewaltfreie
Erziehung bereits ein Programm und eine öffentliche Kam-
pagne. In dieser Kampagne geht es auch darum, Kinder über
ihre Rechte zu informieren und sie ernst zu nehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ein weiterer Punkt ist ein Mitspracherecht der
Kinder in Scheidungsfällen. In der Praxis erweist es sich




Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit (Hamburg)

14960


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 5

immer mehr als problematisch, dass Kinder in Trennungs-
fällen nicht mehr angehört werden, wenn eine gemeinsame
elterliche Sorge vereinbart wird. Sehr viele Kinderpsycho-
therapeuten und -psychologen sowie zum Teil die Verfah-
renspfleger selbst bestätigen, dass dadurch sehr oft beste-
hende Probleme verdrängt werden und später auf die
Familie und vor allem die Kinder zurückschlagen. Es ist
nicht nur, aber gerade auch deshalb erforderlich, dass wir
den Kindern, aber auch den Eltern niedrigschwellige Be-
treuungs- und Beratungsangebote bereitstellen.

Ich komme zu meinem letzten Punkt, Frau Präsidentin.
Ein echter Fortschritt des neuen Rechts ist die Verfah-
renspflegeschaft. Die „Anwälte der Kinder“ leisten eine
hervorragende Arbeit. Damit sie aber ihre Arbeit noch
wirkungsvoller, dauerhaft und flächendeckend erledigen
können, benötigen wir ein paar Grundvoraussetzungen.
Eine davon ist die Fortbildung der Familienrichter, eine
andere die Qualitätssicherung für die Verfahrenspfleger
sowohl in ihrer Ausbildung also auch in der Praxis.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Kinderpolitik
basiert auf einem Leitprinzip: Gute Kinderpolitik ist eine
Politik, die die Rechte der Kinder anerkennt und schützt.
Sie ist eine Politik, die Kinder stark macht. Starke Kinder
wünschen wir uns in dieser Gesellschaft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415234100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Klaus Haupt.


Klaus Haupt (FDP):
Rede ID: ID1415234200
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Die F.D.P. begrüßt im Wesentlichen
den vom Bundesrat vorgelegten Entwurf eines Gesetzes
zur weiteren Verbesserung von Kinderrechten. Er nimmt
notwendige, aus der praktischen Erfahrung der Gerichte
gewonnene Detailverbesserungen im Interesse der
schwächsten Glieder unserer Gesellschaft vor. Die libe-
ral-konservative Koalition hat in der letzten Legislaturpe-
riode mit der großen Kindschaftsrechtsreform die maß-
gebliche Grundlage hierfür gelegt.

Ich weise hier grundsätzlich darauf hin, dass die Zeit
reif dafür ist, das Verhältnis der Generationen zu beden-
ken. Die Würde von Kindern und Erwachsenen ist
gleichwertig. Dem Schutz ihrer Persönlichkeit ist glei-
chermaßen Rechnung zu tragen. Wie meine Vorrednerin
sagte: Kinder sind nicht Objekte, sondern Subjekte, also
eigene Persönlichkeiten. Sie sind Träger von Rechten,
aber auch von Pflichten. Wir Erwachsenen müssen Kin-
der ernst nehmen.

Eigentlich wünscht sich das Kind die Familie wie ei-
nen starken, schützenden Ring. Ist dieser irgendwo unter-
brochen, so darf man wenigstens die Blickrichtung auf
das Kind nicht verlieren. Jede Diskussion über
Kindschaftsrechte muss davon ausgehen, dass es primär
um die Rechte der Kinder geht.

Eine sensiblere Gestaltung des Einbenennungsrechtes
sowie des kleinen Sorgerechtes für Stiefeltern im Innen-

verhältnis bei „Angelegenheiten der tatsächlichen Betreu-
ung“ dürfte häufig im Sinne der Kinder sein und ist daher
grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings müssen wir darauf
achten, dass wir die leiblichen Elternteile, die mit ihren
Kindern nicht mehr in einer Familie leben, nicht vor den
Kopf stoßen und noch mehr in die Empfindung drängen,
nur noch „Zahlmutter“ oder „Zahlvater“ zu sein.


(Beifall bei der F.D.P.)

Besonders beim Einbenennungsrecht muss das Ein-

vernehmen beider Elternteile gegeben sein. Auch die
Frage der Rückbenennungsmöglichkeiten ist zu prüfen.
Andererseits muss dem Kind natürlich ein permanenter
Namenswechsel erspart bleiben. Wir müssen daran den-
ken, dass seit der letzten Novellierung des Namensrech-
tes die Chance größer geworden ist, dass in einer Familie
verschiedene Nachnamen geführt werden. Insofern
könnte in absehbarer Zeit eine Namensverschiedenheit in-
nerhalb der Familie durchaus „normal“ und für ein Kind
weniger belastend als wiederholte Umbenennungen sein.
Auch in diesem Fall muss das Wohl des Kindes im Mit-
telpunkt stehen.

Die Anregung, dass eine einvernehmliche künstliche
Befruchtung eine Anfechtung der Vaterschaft aus-
schließt, ist logisch und konsequent. Allerdings – darin
stimme ich der Bundesregierung zu – bedarf es auch aus
liberaler Sicht wohl noch einiger Präzisierungen. Einer-
seits muss das Einvernehmen irgendwie nachweisbar
sein, andererseits darf die Anfechtung nicht ausgeschlos-
sen werden, wenn Zweifel daran bestehen, dass das Kind
auf dem vereinbarten Wege gezeugt worden ist.

Die gesetzliche Ächtung von Gewalt in der Erziehung
und die Garantie des Rechtes auf Gewaltfreiheit für un-
sere Kinder ist, wie schon erwähnt, mit Unterstützung der
F.D.P. Realität geworden. Das Erfahren von Gewalt im
Kindesalter wird sehr häufig weitergegeben. Dies führt zu
einem Teufelskreis, in dem die Würde junger Menschen
mit Füßen getreten wird. Dieser verhängnisvolle Kreis-
lauf von erfahrener und weitergegebener Gewalt wird
jetzt durchbrochen.

Die Frage der Erbberechtigung vor dem 1. Juli 1949
geborener nichtehelicher Kinder sehen wir Liberale inso-
fern als problematisch an, als eine gewachsene Rechtssi-
cherheit, die der Bundestag mehrfach so bestätigt hat,
durch eine Änderung nun plötzlich umgeworfen würde.


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Na ja!)

Wir müssen davon ausgehen, dass die potenziellen
Erblasser nicht auf diese zusätzlichen Pflichtteilsberech-
tigten vorbereitet sind.


(Margot von Renesse [SPD]: Obwohl sie die Kinder in die Welt gesetzt haben?)


Auch Rechtssicherheit, die in diesem Falle nicht zu einem
finanziellen Schaden führt, ist im Rechtsstaat ein hohes
Gut.

Aus liberaler Sicht ist es bedauerlich, dass eine nach der
letzten Kindschaftsrechtsreform offen gebliebene Frage
im vorgelegten Gesetzentwurf weiterhin offen bleibt: die
des gemeinsamen Sorgerechts beider Elternteile für




Ekin Deligöz

14961


(C)



(D)



(A)



(B)


uneheliche Kinder. Es gibt aus meiner Sicht eigentlich kei-
nen Anlass, Kindern ihre Eltern vorzuenthalten – egal ob
verheiratet oder nicht. Deshalb sollte das gemeinsame Sor-
gerecht beider Eltern generell und ausnahmslos die Regel
sein und nur bei Einvernehmen beider Elternteile oder in
besonders zu begründenden Fällen sollten abweichende
Regelungen im Sinne des Kindeswohls gerichtlich ange-
ordnet werden können.

Danke.

(Beifall bei der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415234300
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Christina Schenk.


Christina Schenk (PDS):
Rede ID: ID1415234400
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Der Gesetzentwurf des Bundesrates
enthält diskussionswürdige Aspekte. Ich kann mir vor-
stellen, dass die PDS-Fraktion den noch nicht geregelten
Punkten zustimmen wird.

Es ist unbestreitbar, dass die Kindschaftsrechtsreform,
die 1998 in Kraft getreten ist, reformbedürftig ist. Immer-
hin hat das auch die Bundesregierung insofern klarge-
macht, als sie in ihrem Koalitionsvertrag Maßnahmen in
dieser Richtung angekündigt hat.

In Teilbereichen – das will ich hier ausdrücklich aner-
kennen – ist auch bereits eine Nachbesserung erfolgt. Das
betrifft zum einen die Ächtung der Gewalt in der Erzie-
hung. Wir haben die Klarstellung im Bürgerlichen Ge-
setzbuch, dass Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erzie-
hung haben, nachdrücklich begrüßt. Wir meinen aber
auch, dass das nicht ausreicht. Vielmehr bedarf es vielfäl-
tiger Unterstützung, Angebote für Kinder, Jugendliche
und ihre Eltern, damit körperliche, seelische und emotio-
nale Gewalt dauerhaft aus dem Repertoire der Erzie-
hungsmethoden verschwindet.


(Beifall bei der PDS)

Die PDS hat das seinerzeit in einem eigenen Antrag deut-
lich gemacht.

Zum anderen hat die Bundesregierung im Zusammen-
hang mit der eingetragenen Lebenspartnerschaft das kleine
Sorgerecht eingeführt. Damit hat künftig der nicht biolo-
gische Elternteil eine Mitentscheidungsbefugnis in Ange-
legenheiten des täglichen Lebens. Dies gilt für soziale El-
tern sowohl in homo- als auch in heterosexuellen
Partnerschaften. Das begrüßen wir ausdrücklich. Jedoch
bleibt kritikwürdig, dass homosexuelle Eltern nach wie
vor keine Möglichkeit haben, das gemeinsame Sorge-
recht für ein Kind zu erhalten, das bereits mit dem Paar zu-
sammenlebt. Gemeinsame Adoption und Stiefelternadop-
tion sind ihnen verwehrt. Der Weg über eine Erklärung zur
gemeinsamen Sorge ist ebenfalls versperrt. Das, finde ich,
ist ohne jeden Zweifel diskriminierend.


(Beifall bei der PDS)

Mittlerweile gibt es genügend Untersuchungen, die die
Gleichwertigkeit homo- und heterosexueller Elternschaft
belegen. Es ist daher aus meiner Sicht überhaupt nicht zu
rechtfertigen, homo- und heterosexuelle Eltern rechtlich
verschieden zu behandeln.

Zu kritisieren ist auch die Untätigkeit der Bundesre-
gierung bezüglich der jetzt geltenden Regelung zur elter-
lichen Sorge nach Trennung und Scheidung. Da habe
ich eine ganz andere Meinung als Herr Haupt. Die Ge-
richte gehen von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis von
gemeinsamer und alleiniger Sorge aus. In dem ersten Jahr
nach In-Kraft-Treten der Reform wurde in fast 90 Prozent
der Scheidungsfälle das gemeinsame Sorgerecht bei den
Eltern belassen. Es gab dabei eine Reihe von Entschei-
dungen, in denen das gemeinsame Sorgerecht gegen den
Willen eines Elternteils verordnet wurde.

Glücklicherweise werden diese Extrempositionen ge-
genwärtig seltener. Es wächst die Zahl der Gerichte, die
richtigerweise einen Grundkonsens der Eltern als Voraus-
setzung für die Beibehaltung der gemeinsamen elterli-
chen Sorge ansehen. In dieser Auffassung wurden sie im
vergangenen Jahr vom Bundesgerichtshof unterstützt, der
die Gleichwertigkeit beider Sorgerechtsformen ausdrück-
lich betont hat.

Trotzdem ist es so, dass noch immer viele Scheidungs-
willige glauben, dass es nach Trennung und Scheidung
keine Möglichkeit der alleinigen elterlichen Sorge mehr
gebe. Aus Resignation oder auch aus Furcht vor dem
Sorgerechtsstreit verzichten vor allem Frauen darauf, ei-
nen Antrag auf alleinige Sorge zu stellen. Das führt zwin-
gend dazu, dass die ehelichen Konflikte weiter auf Kos-
ten des Kindes ausgetragen werden.

Um hier Rechtssicherheit zu schaffen, bedarf es drin-
gend einer Klarstellung durch den Gesetzgeber. Es sollte
darauf hingewiesen werden, dass das alleinige und das ge-
meinsame Sorgerecht gleichwertige Sorgerechtsformen
sind. Die Eltern müssen die Möglichkeit haben, sich be-
wusst und entsprechend ihrer ganz konkreten Situation
für eine dieser beiden Sorgerechtsformen zu entscheiden.

Ich meine, um diese Reform durchzuführen, müssen
nicht erst die Endergebnisse der Begleitforschung abge-
wartet werden. Der Handlungsbedarf ist überaus eindeu-
tig und einsichtig. Die PDS wird zur Reform des
Kindschaftsrechts demnächst einen eigenen Antrag in den
Bundestag einbringen.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415234500
Als letzter Red-
nerin erteile ich nun der Abgeordneten Margot von
Renesse das Wort.


Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1415234600
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Mit großer Freude erinnere
ich mich an die gemeinsame Arbeit an der Kindschafts-
rechtsreform. Herr Pofalla ist jetzt nicht da. Viele sind
jetzt nicht dabei, die damals mitgewirkt haben. Das waren
– wie auch Sie, Frau Kollegin, erwähnt haben – wirklich
so etwas wie Sternstunden demokratischen, kooperativen
Streits. Wir waren uns absolut nicht einig, aber wir haben
argumentativ so gestritten, dass etwas dabei herausge-
kommen ist, und zwar, wie wir alle sehen, etwas Gutes,
auch wenn noch Korrekturen nötig sind; das ist völlig
klar.




Klaus Haupt
14962


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir haben etwas geschafft, was bei den Eltern Streit
vermeidet, was Streit schlichtet, wo es ihn gibt, und was
vor allem nicht Streit provoziert, wie es das alte Recht
tat – selbst da, wo kein Streit war. Wir haben auf diese
Weise erreicht, dass viele Kinder ihre Eltern auch im
Scheidungskonflikt, im Trennungskonflikt als kompetent
und handlungsmächtig erleben und nicht zusehen müssen,
dass sie vor einem Dritten, nämlich dem Familienrichter,
zittern. Ich habe das immer als eine besonders problema-
tische Erfahrung für Kinder angesehen. Das ist das eine.

Nichts ist so gut, dass es nicht noch verbessert werden
könnte. Es gibt eine Reihe von Restanten aus dem dama-
ligen Diskussionsprozess, die die beiden grandes dames
der Justiz – wenn ich das einmal so sagen darf – aus den
Ländern aufgegriffen haben und uns dankenswerterweise
in diesem Gesetzentwurf vorgelegt haben. Ich denke, vie-
les davon wird in genau dieser kooperativen Weise ge-
meinsam mit ihnen beraten werden und, wie ich hoffe, zu
einem guten Erfolg geführt werden.

Aber es gibt noch ein paar Punkte, die ich auch gerne
einführen würde, wenn Sie erlauben. Da ist zum Beispiel
das Besuchsrecht Dritter bei Kindern. Ich habe immer
das Gefühl gehabt, dass das vom Kopf auf die Füße ge-
stellt werden muss. Ich nehme an, Frau Kollegin, dass wir
uns da einig sind. Es kann nicht das Recht von Großeltern
oder Dritten sein, Umgang mit einem Kind zu haben, son-
dern die Kinder haben ein Recht auf Kontinuität ihrer ge-
wachsenen Beziehungen. Wie ich weiß, ziehen manche
Großeltern die Eltern, die Familien von Enkelkindern mit
solchen Verfahren in Streitigkeiten hinein. Selbst wenn
sie im Ergebnis ihre Beschlüsse nicht bekommen, ist die
Kostenteilung schon ein großes Problem für die Familie
mit den Kindern. Das ist der eine Punkt.

Der andere Punkt ist die Prozessstandschaft im Un-
terhaltsverfahren für erwachsene Kinder, die noch im
Haushalt ihrer Eltern oder eines Elternteils leben. Ich
weiß ganz genau, man kann diesen Kindern sagen, dass
sie ihren Vater auf Unterhalt verklagen können. Aber es
entstehen Loyalitätskonflikte, die sehr problematisch
sind. Darüber werden wir nachdenken.

Jetzt komme ich zu drei Problemfeldern, die mir be-
sonders am Herzen liegen. Wir haben es leider immer
noch nicht geschafft – ich denke, wir werden uns das Hirn
zermartern müssen, damit uns etwas einfällt –, um erstens
Herausgabeverfahren nach Kinderklau, nach „legal kid-
napping“, effektiv abzuwickeln, damit nicht die Zeit die
Verhältnisse zementiert.

Das Zweite ist die Durchsetzung von Umgangsrech-
ten. Auch da ist uns noch nicht der Stein der Weisen ge-
glückt. Ich denke, dass wir nicht das Verfahren finden

werden, sondern dass wir den Instrumentenkasten mit
weiteren Möglichkeiten füllen müssen, um die Familien-
gerichte in den Stand zu setzen, in diesen Fällen effektiv
zu helfen. Was nützt es denn, wenn ein Verfahren vier
Jahre schwebt und ein unter zehnjähriges Kind, das seinen
Vater nicht mehr gesehen hat, eines Tages ein Umgangs-
recht vor die Stirn geknallt bekommt und sagt, den Herrn
kenne ich nicht? Das ist so gut wie Rechtsverweigerung.

Das Dritte ist die lange Verfahrensdauer bei Sorge-
rechts- und Umgangsverfahren, die das Verfassungsge-
richt inzwischen in mehreren Entscheidungen als verfas-
sungswidrige Rechtsverweigerung dargestellt hat. Wenn
man die Fälle sieht, wenn man sieht, wie beraubte Kinder
und beraubte Eltern am Recht verzweifeln, wie daraus tra-
gische Figuren à la Michael Kohlhaas werden, die wirk-
lich schon fast pathologische Züge annehmen, wie Men-
schen um Lebenssinn und Lebensglück gebracht werden
und wie Kindern korrigierende Erfahrungen mit dem an-
deren Elternteil genommen werden, dann ist das ein Zu-
stand, den wir nicht hinnehmen können, wo wir es
tatsächlich den Betroffenen, und zwar den Eltern wie den
Kindern, schuldig sind, dass wir mehr machen als nur zu
bedauern. Die Ohnmacht der Familienrichter ist im Er-
gebnis die Verzweiflung der Betroffenen. Das geht so
nicht mehr weiter.

Weil wir wissen, dass wir hier mit dem Schicksal an-
derer umgehen, appelliere ich noch einmal an alle Fami-
lienrichter, jeden einzelnen Fall so zu behandeln, dass es
nicht zur Routine wird, sondern jeden einzelnen Fall so zu
hantieren, als wäre es der eigene, als ginge es um die ei-
genen Kinder. Ich glaube, dann geht es weiter.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415234700
Danke schön.
Ich schließe damit die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 14/2096 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderwei-
tige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Freitag, den 16. Februar, 9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.