Gesamtes Protokol
Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Jahr der Lebenswissenschaf-
ten.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung,
Edelgard Bulmahn.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Herren und Damen! Kein anderes Forschungs-
feld bewegt die Menschen zurzeit so sehr wie die
Lebenswissenschaften. Es bewegt sie emotional, rational
und intellektuell. Deshalb wollen und müssen wir uns mit
diesem Thema hier im Parlament, aber auch in vielen De-
batten an vielen Orten und Plätzen auseinander setzen.
Genomforschung und Biomedizin bestimmen die
Schlagzeilen. Manche fühlen sich angesichts der Vielzahl
von Schlagzeilen mitten hineingesetzt in einen Science-
Fiction-Film. Schlagzeilen verändern allerdings auch die
Sicht auf die Lebenswissenschaften, auf Biomedizin und
Genomforschung. Sie lösen auf der einen Seite sehr große
Hoffnungen aus, Krankheiten zu heilen, die bisher nicht
heilbar sind, auf der anderen Seite aber auch Ängste.
Es gibt heute viele Fragen, viel mehr Fragen als Ant-
worten. Deshalb ist Aufklärung dringend notwendig. Des-
halb ist eine breite gesellschaftliche Debatte dringend not-
wendig. Genau dies ist das Ziel des Jahres der
Lebenswissenschaften. Denn ich bin davon überzeugt,
dass Informationen und ihre Bewertung und damit die
Möglichkeit, sich eine Meinung zu bilden, die ent-
scheidende Grundlage dafür sind, die Chancen, die uns
die Lebenswissenschaften bieten, tatsächlich zu nutzen
und in einem breiten gesellschaftlichen Konsens die Risi-
ken zu minimieren.
Dass diese breite gesellschaftliche Debatte, verständ-
liche Informationen, der Diskurs, der Dialog notwendig
sind, kann man allein daran feststellen, dass sich etwa
62 Prozent der Menschen in Deutschland eher schlecht
und nur 1,5 Prozent sehr gut über Lebenswissenschaften,
über Gentechnik informiert fühlen. Das macht deutlich,
wie wichtig das Jahr der Lebenswissenschaften ist, wie
wichtig die Möglichkeiten sind, die im Rahmen dieses
Jahres vielen Menschen angeboten werden.
Es gibt eine zweite Entwicklung, die unterstreicht, wie
wichtig das Jahr der Lebenswissenschaften ist. Wir erhal-
ten in einem sehr hohen Tempo immer neue For-
schungsergebnisse. Über sie müssen wir einen Diskurs
führen. Wir müssen einen Meinungsaustausch darüber or-
ganisieren, wie wir die Rahmenbedingungen gestalten.
Ich glaube, das ist auch angesichts der Tatsache wichtig,
dass wir nur auf diesem Weg Science-Fiction und wirkli-
ches Leben auseinander halten können. Ich will ein Bei-
spiel dafür nennen: Ein gezüchteter menschlicher Klon
als persönlicher Organspender wäre ein Thema von
Romanautoren, ist aber kein Thema von Forschung. – Es
geht in der Bio- und Gentechnologie, in den Lebenswis-
senschaften darum, die Chancen zu nutzen und die Risi-
ken zu minimieren. Dazu brauchen wir diese Diskussion.
Mit dem Jahr der Lebenswissenschaften will die Bun-
desregierung einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass es
zu Beginn unseres Jahrhunderts keine Kluft zwischen den
Wissenden und den Nichtwissenden gibt. Wir wollen dem
Bedürfnis nach guten Informationsmöglichkeiten Rech-
nung tragen. Aus diesem Grund haben wir vor genau an-
derthalb Jahren mit den großen Wissenschaftsorganisatio-
nen in Deutschland und dem Stifterverband die Initiative
„Wissenschaft im Dialog“ gegründet. Wir haben uns da-
mals entschieden – ich habe den Wissenschaftsorganisa-
tionen einen entsprechenden Vorschlag gemacht –, dass
wir jedes Jahr eine Wissenschaft in den Mittelpunkt einer
breiten Debatte stellen. Im letzten Jahr haben wir die Phy-
sik mit ihren Anwendungsbereichen, der Informations-
und Kommunikationstechnologie sowie der astronomi-
schen Forschung, in den Mittelpunkt dieser Debatte ge-
stellt. Wir haben damit ein Experiment gewagt, bei dem
keiner sicher war, wie es ausgehen würde. Nach diesem
Jahr können wir sagen, dass das Experiment gelungen ist,
weil über 200 regionale Initiativen diese Idee aufgegriffen
und das Jahr der Physik wirklich gelebt haben. Wir hatten
14461
148. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001
Beginn: 13.00 Uhr
große Veranstaltungen mit einer beachtlichen Nachfrage.
Sehr viele Menschen haben diese Chance genutzt. Genau
das wollen wir mit dem Jahr der Lebenswissenschaften in
diesem Jahr wieder erreichen und nach Möglichkeit wol-
len wir noch ein Stück erfolgreicher sein.
Die Zielgruppen, die wir ansprechen wollen, sind die
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selber, weil
wir sie mit dieser Initiative motivieren wollen, ihre For-
schungseinrichtungen im wahrsten Sinne des Wortes zu
verlassen und auf andere Menschen zuzugehen. Das ha-
ben sie im letzten Jahr getan und werden es auch in die-
sem Jahr tun. Wir führen viele Veranstaltungen auf Markt-
plätzen, in Kaufhäusern und in Theatern durch. Wir
weichen damit von dem typischen Bild ab, das man er-
wartet, nämlich dass in einer Hochschule eine entspre-
chende Vorlesung oder Informationsveranstaltung ange-
boten wird. Wir nutzen ganz unterschiedliche Wege, um
Menschen diese Informationsmöglichkeiten näher zu
bringen. Dies geschieht, wie gesagt, mit breiter Beteili-
gung der Forschungseinrichtungen, der Wissenschaftle-
rinnen und Wissenschaftler.
Wir werden auch in diesem Jahr eine Vielzahl von re-
gionalen Veranstaltungen durchführen. Das BMBF selber
organisiert vier große Veranstaltungen. Wir haben in der
letzten Woche die erste große Veranstaltung hier in Berlin
mit dem Titel „Gen-Dschungel“ begonnen. Auch die
Wissenschaftsorganisationen werden eine ganze Reihe
von großen Veranstaltungen durchführen. Parallel dazu
gibt es vor Ort Angebote zum Dialog.
Als Ergebnis erhoffe ich mir, dass die Menschen, die
im positiven wie im negativen Sinne mit Ergebnissen der
Lebenswissenschaften unmittelbar konfrontiert sind, mit-
entscheiden können und dass alle verstehen, worum es
geht. Das ist es, was wir erreichen wollen.
Vielen Dank.
Ich bitte da-
rum, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen,
über den die Frau Bundesministerin berichtet hat. – Als
erster hat sich der Kollege Parr gemeldet.
Frau Ministerin, zunächst einmal
begrüßen wir es, dass das Jahr der Lebenswissenschaften
stattfindet und dass Sie in diesem sehr schwierigen und
diffizilen Bereich einen Dialog führen wollen.
Ein Teilaspekt, der aus der Sicht meiner Fraktion eine
große Bedeutung hat, ist die Präimplantationsdiagnostik.
Wir haben den Antrag gestellt, die Präimplantations-
diagnostik rechtlich abzusichern. Es geht darum, dass wir
den wenigen Paaren in Deutschland, die durch schwere
genetische Schäden in der Familie vorbelastet sind und
damit vor der Frage stehen, entweder keine Kinder zu ha-
ben oder welche zu adoptieren, die Möglichkeit geben
wollen, über die Präimplantationsdiagnostik zu einem ge-
sunden Kind zu kommen.
Ihre Kollegin aus dem Gesundheitsministerium hat in
mehreren öffentlichen Erklärungen deutlich gemacht,
dass die Bundesregierung diese Frage diskutiert und
hier einen neuen Weg gehen will, um deutschen Paaren
auf diesem Wege zu helfen. Es handelt sich um etwa
100 Paare jährlich, die bisher noch ins Ausland gehen
müssen.
Ich möchte Sie fragen, wie Sie das Problem der
Präimplantationsdiagnostik in das Jahr der Lebenswis-
senschaften einbetten wollen und ob Sie mit uns gemein-
sam das Ziel verfolgen, eine rechtliche Absicherung die-
ses Verfahrens hinzubekommen?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Die Politik hat grundsätzlich die Aufgabe,
die Grundlagen ihres Handelns zu formulieren und mit
den Menschen zu diskutieren. Genau das wollen wir auch
im Jahr der Lebenswissenschaften leisten. Dazu wird si-
cherlich auch die PID gehören. Ich finde es daher richtig,
dass dieses Thema im Ausschuss erörtert wird. Wir soll-
ten im Rahmen von Diskussionen mit der Bevölkerung im
Parlament eine Position dazu entwickeln. Das Ergebnis
dieser Debatte will ich nicht vorwegnehmen. Ich habe zu
diesem Thema eine persönliche Meinung, die Sie sicher-
lich schon zur Kenntnis genommen haben. Ich finde aber,
die endgültige Positionsbestimmung sollte durch das Par-
lament vorgenommen werden.
Eine weitere
Frage des Kollegen Parr.
Frau Ministerin, ich darf in die-
sem Zusammenhang daran erinnern, dass die Ethikkom-
mission des Landes Rheinland-Pfalz zu der PID Stellung
genommen hat und notwendige Regelungen fordert und
dass auch die Ärztekammer hierzu einen Richtlinienent-
wurf vorgelegt hat. Kann ich davon ausgehen, dass Sie
dem Parlament noch in diesem Jahr eine entsprechende
Vorlage unterbreiten werden, die eine Entscheidung in
dieser Frage zulässt?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Sie können davon ausgehen, dass die Po-
sitionen der Expertengruppe aus Rheinland-Pfalz – sie
geht davon aus, dass die Arbeit mit pluripotenten Zellen
als eine Analysemethode bei der PID im Rahmen unseres
Embryonenschutzgesetzes möglich ist; es gibt aber auch
andere rechtliche Auffassungen – vonseiten der Bundes-
regierung abgewogen werden. Ich gehe davon aus, dass
das auch für das Parlament und die zuständigen Aus-
schüsse gilt.
Eine Frage
des Kollegen Wiese .
Frau Ministe-rin, Sie haben auf die große Anzahl von Veranstaltungenhingewiesen, die dazu dienen sollen, in einen breiten Dia-log mit der Bevölkerung einzutreten. Es stellt sich dabei
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001
Bundesministerin Edelgard Bulmahn14462
die Frage nach der Finanzierung. Sie haben eine neueGmbH, die gemeinnützige GmbH „Wissenschaft im Dia-log“, erwähnt. Ich denke, dass auch durch diese Gesell-schaft die Finanzierung in gewissem Umfang gesichertwerden kann. Haben Sie weitere Sponsoren an der Handbzw. ist daran gedacht, die geplanten Vorhaben überHaushaltsplanmittel hinaus durch Sponsoring voranzu-treiben?Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung: Wir haben seitens meines Ministeriumsfür das Jahr der Lebenswissenschaften einen Betrag von4,2 Millionen DM vorgesehen. Die Forschungsorgani-sationen – die Max-Planck-Gesellschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft und die Wis-senschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz –beteiligen sich ihrerseits an dieser Initiative. Sie führengroße Veranstaltungen durch und finanzieren diese auchselbst. Es handelt sich von daher um eine gemeinsameInitiative des BMBF und der großen Forschungsorganisa-tionen, von denen jeder seinen Teil der Finanzierung über-nimmt.Die vier großen Veranstaltungen, die ich eben genannthabe, finanzieren wir seitens des BMBF.
Vielen Dank.
Eine Frage
des Kollegen Tauss.
Sehr geehrte Frau Ministerin, wir
begrüßen Ihre Initiative zum Jahr der Lebenswissen-
schaften sehr. Ich denke, nach dem erfolgreich abge-
schlossenen Jahr der Physik haben wir hier eine hervorra-
gende Chance, zum richtigen Zeitpunkt einen gesell-
schaftlichen Dialog zu führen, den wir sehr begrüßen
– der Kollege Parr von der F.D.P. ist leider schon weg –,
weil nicht mit fertigen Antworten an derart wichtige
Fragestellungen herangegangen wird.
Ergänzend zu dem, was Sie angesprochen haben, dass
neue Formen der Öffentlichkeitsarbeit gewählt werden
müssen, dass man dorthin gehen muss, wo die Menschen
sind, auf Märkte und Plätze, und nicht darauf warten darf,
dass die Menschen auf die Wissenschaft, die sich im El-
fenbeinturm versammelt hat, zugehen, würde mich inte-
ressieren, auf welche Weise die Schulen einbezogen sind.
Ich halte das für einen ganz wichtigen Punkt. Im Jahr der
Physik haben wir sehr viel für die Physik tun können. Ich
glaube, die spannende Diskussion, die gerade angeklun-
gen ist, betrifft ein Thema, mit dem sich junge Menschen
beschäftigen müssten und könnten. Mich würde interes-
sieren, was hier konzeptionell vorgesehen ist.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Ich habe vorhin darauf hingewiesen, dass
wir mehrere große Veranstaltungen durchführen und dass
es auch sehr viele regionale Initiativen gibt. Die Schulen
sind in beide Sparten einbezogen.
Die Veranstaltung „Kosmos Gehirn“ zum Beispiel, die
vom 7. bis 10. Juni in Göttingen stattfinden soll, beinhal-
tet Filmvorführungen, Autorenlesungen, eine Ausstellung
und eine Fortbildungsveranstaltung für Lehrer und für
Schülerinnen und Schüler und richtet sich daher sowohl
an ein allgemeines Publikum, aber mit ihren speziellen
Angeboten an Schulen eben auch an Schülerinnen und
Schüler. In dieser Art und Weise geschieht das im Übrigen
bei einer ganzen Reihe von größeren Veranstaltungen.
Gleichzeitig haben wir aber die regionalen Initiativen,
bei denen der Anstoß häufig von einer Hochschule oder
von einem Forschungsinstitut, zum Beispiel einem Max-
Planck-Institut oder einem Fraunhofer-Institut in der
Stadt oder in der Region, ausgeht, die dann auch die Schu-
len einbeziehen.
Umgekehrt hatten wir im letzten Jahr regionale Initia-
tiven, die von den Schulen selber ergriffen wurden. Auch
das halte ich von der Sache her für notwendig und richtig.
Diese Initiativen haben im Übrigen teilweise aus unserem
Haus, aus dem BMBF, eine kleine finanzielle Förderung
erhalten. Das wird auch in diesem Jahr wieder so sein.
Eine Frage
der Kollegin Böttcher.
Frau Ministerin, der zweiteTeil meiner Frage, die ich stellen wollte, ist soeben beant-wortet worden. Ich möchte deshalb nur auf den ersten Teilmeiner Frage abheben.Offiziell, zum Beispiel im Lenkungsausschuss derGmbH, sind alternative sozialökologisch orientierteWissenschaftseinrichtungen sowie gesellschaftliche Or-ganisationen, wissenschaftskritische Initiativen in Hoch-schulen und Gesellschaft und die Öffentlichkeit imAllgemeinen nicht beteiligt. Können Sie noch etwas dazusagen, wie unter diesen Umständen eben dieser kritischeDialog, von dem Sie gesprochen haben, in der Gesell-schaft zustande kommen soll und in welcher Weise diesegesellschaftlich relevanten Gruppen und wissenschafts-kritischen Dialogpartner in die Projekte im Rahmen desJahres der Lebenswissenschaften einbezogen werdenkönnen?Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung: Wir haben diese Organisationen mit ein-bezogen; in dem mir vorliegenden Faltblatt werden auchdie Internet-Adressen angegeben werden. Ich will nur ei-nige nennen: logischerweise das Ministerium für Bildungund Forschung, aber auch das deutsche Humangenom-projekt, das Informationssekretariat Biotechnologien, dasDeutsche Referenzzentrum für Ethik in den Biowissen-schaften, das Gen-ethische Netzwerk, das Internet-Maga-zin „Life Science“ und „Wissenschaft im Dialog“. Dasmacht sehr deutlich, dass wir hier wirklich eine sehr großePluralität und Breite haben. Das ist mir auch ein wichti-ges Anliegen.Wir haben auch Organisationen einbezogen, die viel-leicht eher eine skeptische Haltung haben. Wir beziehenauch ethische Fragestellungen in die Diskussion ein. Das
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001
Heinz Wiese
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ist schon in der Eröffnungsveranstaltung deutlich gewor-den. Dort haben wir die Fragestellungen, die sich mit denLebenswissenschaften verbinden, mit den Hoffnungenund Ängsten, in einem breiten Kontext diskutiert undzwar sowohl unter ethischen Fragestellungen als auch un-ter naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftli-chen Fragestellungen. Das ist die rote Linie, die sichdurch alle Veranstaltungen zieht, die wir im Jahr der Le-benswissenschaften durchführen.Um es ganz klar zu sagen: Das Jahr der Lebenswissen-schaften ist keine Akzeptanzkampagne, sondern hat dasZiel, dass ein großer Teil der Menschen, die sich nicht gutinformiert fühlen, die Chance hat, sich eine eigene Mei-nung zu bilden. Sie sollen die Chance haben, mit For-scherinnen und Forschern direkte Gespräche zu führen,und zwar nicht nur Fragen zu stellen – auch diese Chancemüssen sie haben –, sondern auch Meinungen zu äußernund Gegenmeinungen zu hören und damit vielleicht – dasist im Übrigen eine Erfahrung aus dem Jahr der Physik –wieder Denkanstöße in Richtung Wissenschaft zu geben.
Ein Frage
des Kollegen Röspel.
Frau Ministerin, die wissen-
schaftliche Entwicklung im Bereich der Bio- und Gen-
technologie ist ja sehr rasant. Häufig verläuft sie schnel-
ler, als wir in der Lage sind, gesellschaftliche und ethische
Fragen vernünftig zu diskutieren. Herr Parr, der Kollege
von der F.D.P., der leider wieder gegangen ist, nachdem er
seine Frage gestellt hat, hat ein Thema angesprochen, das
die F.D.P. gerne sehr schnell entschieden hätte, nämlich
die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik. Frau Mi-
nisterin, sind Sie, anders als die Vorgängerregierung, be-
reit, auf Basis einer breiten Diskussion die gesellschaftli-
chen und ethischen Konsequenzen neuer Technologien zu
bewerten, und gibt es seitens des Bildungs- und For-
schungsministeriums eine verstärkte Förderung der For-
schung an ethischen und gesellschaftlichen Fragen?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Herr Röspel, ich bin nicht nur willens,
diese Debatte zu führen, sondern ich führe sie genau mit
diesem Jahr der Lebenswissenschaften, weil ich diese De-
batte für notwendig und wichtig halte und der Auffassung
bin, dass das, was alle Menschen berührt, auch von allen
Menschen gekannt und mitentschieden werden sollte. Ge-
nau deshalb haben wir das Jahr der Lebenswissenschaften
gestartet.
Im Übrigen fördern wir Forschungsprogramme, in de-
nen den von Ihnen angesprochenen Fragestellungen nach-
gegangen wird, aus dem Ministerium für Bildung und
Forschung durchaus sehr stark. Wir entwickeln zurzeit ein
Programm, in dem wir unter dem Titel „Vorsorgebegleit-
forschung“ Fragestellungen nachgehen, die sowohl der
grünen Gentechnik als auch der Anwendung der Gen-
technik am Menschen zuzuordnen sind. Allein für dieses
geplante Programm haben wir ein Volumen von 26 Milli-
onen DM vorgesehen. Ich kann Ihnen jetzt leider nicht die
Projektförderliste vorlesen, weil dies zu lange dauerte. Es
sind zig Seiten mit jeweils 15 Einzelprojekten. Daher
kann ich Sie nur bitten, sie sich bei uns im Internet anzu-
schauen. Dort wird deutlich, dass wir ein ganz breites
Spektrum von naturwissenschaftlichen wie auch ethi-
schen Fragestellungen bearbeiten. Auch auf diesem Wege
wollen wir dazu beitragen, eine fundierte und wirklich
vernünftige Meinungsbildung und Entscheidungsfindung
vorzubereiten und zu unterstützen.
Danke schön.
Eine Frage
des Kollegen Dr. Rossmann.
Frau Ministerin,mir geht es noch einmal um die Breite des Ansatzes, überJahre der Wissenschaften den Dialog in der Gesellschaftzu befördern. Deshalb die erste Teilfrage: Wie weit sindOrganisationen, die in Deutschland im Weiterbildungsbe-reich – ich denke hier an den Volkshochschulverband undandere – tätig sind, in die Vorbereitung und Vermittlungeinbezogen? Zweite Teilfrage: Wissenschaftsrezeption er-folgt auch über Journalismus, über Zeitungen. Gibt es sys-tematische Ansätze, den Wissenschaftsjournalismus ge-nerell zu beleben und ihn auf das zu orientieren, was inden jeweiligen Jahren der Wissenschaften gemacht wird,und in welcher Weise ist diese Vermittlungsquelle in dieVorbereitung und Durchführung solcher Kampagnen ein-bezogen?Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung: Auch Wissenschaftsjournalisten sind ein-bezogen. Zum einen berichten sie über diese Kampagne.Zum anderen sind sie ständiger Partner sowohl der For-schungs- und Wissenschaftsorganisationen als auch mei-nes Ministeriums. Auch die Weiterbildungsorganisatio-nen und Volkshochschulen sind im Rahmen derregionalen Initiativen einbezogen.All das kann und soll allerdings nicht zentral über meinMinisterium gesteuert werden; dies hielte ich für falsch.Vielmehr setzen wir einen Rahmen: Ich habe das Jahr derLebenswissenschaften vorgeschlagen und wir führendiese Initiative gemeinsam mit den großen Forschungsor-ganisationen und dem Stifterverband durch. Wir setzendabei den Rahmen und unterstützen auch regionale Initia-tiven. Das Jahr der Physik hat gezeigt, dass die damit ver-bundenen Chancen breit wahrgenommen werden, undzwar sowohl von den Hochschulen und Fachhochschulenals auch den Volkshochschulen, also den traditionellenWeiterbildungsanbietern.Ich gehe davon aus, dass das auch im Jahr der Lebens-wissenschaften so sein wird. Deshalb haben wir geradebei der Planung des Rahmens der großen Veranstaltungendie Zielperspektive ganz klar entwickelt, uns nicht nur mitden traditionellen Formen, zum Beispiel mit Vorlesungenin Hochschulen, an die Menschen zu wenden; vielmehrwollen wir ganz unterschiedliche Darstellungsformen wieTheateraufführungen, Filme und Diskussionsveranstal-tungen anbieten. Es soll unter anderem eine Science-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001
Bundesministerin Edelgard Bulmahn14464
Street – das ist eine Art Talkrunde – stattfinden. Die über-raschende Erfahrung des letzten Jahres, dass diese Mög-lichkeit von sehr vielen Menschen aufgegriffen wird, warpositiv.
Herr Kol-
lege Hauser, mir wurde mitgeteilt, dass Sie eine Frage zu
einem anderen Themenbereich stellen wollen.
– Dann bekommen Sie gleich das Wort.
Frau Kollegin Volquartz hat zunächst eine Frage.
Frau Ministerin,
ich habe eine Frage zur kommerziellen Nutzung von Gen-
mais. Sie haben im Zusammenhang mit dem Jahr der Le-
benswissenschaften ein neues Biotechnologieforschungs-
programm aufgelegt. Warum wurde in diesem Programm
die Förderung der Begleitforschung auf dem Gebiet der
kommerziellen Nutzung von Genmais in letzter Minute
gestrichen? Warum hat der Bundeskanzler seine im letz-
ten Jahr angekündigten Gespräche mit den betroffenen
Firmen über einen erweiterten Freilandanbau und die da-
mit verbundene Begleitforschung nicht geführt? Welche
Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der deut-
schen Saatgutzüchter sind dadurch zu erwarten?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Zu Ihrer Frage nach der Forschung im Be-
reich gentechnisch veränderten Saatgutes für Mais
möchte ich Folgendes sagen: Es ist nicht richtig, dass wir
die Begleitforschung eingestellt haben. Ich will nur fol-
gendes Forschungsprojekt – für einige ist es leider etwas
schwierig, zu verstehen; ich versuche, es zu erklären –
nennen – ich habe vorhin gesagt, dass mir eine lange Liste
laufender Vorhaben auf dem Gebiet der Sicherheitsfor-
schung vorliegt –: In diesem Projekt werden die ökologi-
schen Auswirkungen insektenresistenter Kulturpflanzen
mit rekombinanten Bacillus-thuringiensis-Toxin-Genen
– das betrifft den gentechnisch veränderten Mais, über
den wir häufig diskutieren – untersucht. Dabei geht es
auch um die Auswirkungen auf den Maiszünsler, also auf
das Insekt. Behandelt wird ebenfalls, in welchem Umfang
es einen nicht beabsichtigten Gentransfer gibt.
In einem weiteren Forschungsprojekt – dies wird erst
noch starten – geht es um die Entwicklung einer besseren
Methodik, um DNA zurückzuverfolgen. Beispiel: Eine
Pflanze mit einer bestimmten genetischen Veränderung
– solche Pflanzen gibt es in unserem Land – wird von ei-
nem Tier gefressen, das dann von Menschen gegessen
wird. Es soll erforscht werden, ob man genetische Ände-
rungen der Pflanze auch am Ende der Nahrungskette noch
feststellen kann. Bisher liegt keine ausgeklügelte Metho-
dik vor; daran arbeiten wir noch. Die Erforschung dieser
Fragestellung ist von der alten Regierung nicht verfolgt
worden; wir tun dies.
Das macht deutlich, dass wir wirklich ein ganz breites
Spektrum von Forschungsansätzen verfolgen. Wir
bemühen uns, in einem sehr breiten Diskurs mit vielen
Wissenschaftlern ganz unterschiedlicher Disziplinen –
sowohl mit Wissenschaftlern, die in der Genomforschung
tätig sind, als auch mit Wissenschaftlern, die sich stärker
auf ökologische Fragestellungen, zum Beispiel auf Pro-
bleme der Biosphäre, konzentrieren – alle relevanten For-
schungsaspekte zu bearbeiten.
Was ist mit der
zweiten und der dritten von mir in diesem Zusammenhang
gestellten Frage, die jeweils den Bundeskanzler betrifft?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Das war die Frage nach der kommerziel-
len Freisetzung?
Ja.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Die Gespräche mit den Unternehmen, die
im Bereich der Pflanzenzüchtung tätig sind, sind ausge-
setzt worden. In diesen Gesprächen ging es um die
Rahmenbedingungen für kommerzielle Freisetzungen.
Unser Anliegen war es, die Unternehmen dazu zu moti-
vieren, selbst auf kommerzielle Freisetzungen zu verzich-
ten. Freisetzungen im Rahmen von Forschungsvorhaben
finden statt; sie müssen auch stattfinden, damit wir durch
diese Forschungsarbeiten besseres Wissen über langfristi-
ges Verhalten, aber auch über die langfristigen Auswir-
kungen von gentechnisch veränderten Pflanzen in unserer
Umwelt erhalten. Deshalb muss man unterscheiden zwi-
schen kommerzieller Freisetzung, die ja nicht zum Ziel
hat, mehr Wissen zu erhalten, sondern bei der es darum
geht,
beispielsweise eine bestimmte angebaute Maissorte an-
schließend zu verkaufen, und Freisetzungen zu Forschungs-
zwecken. Freisetzungen im Rahmen von Forschungs-
projekten finden statt und werden durchgeführt, um durch
mehr Wissen bessere Grundlagen für unsere Entschei-
dungen zu erhalten. In der öffentlichen Debatte sind die
Freisetzungen zu Forschungszwecken gelegentlich mit
anderen durcheinander gebracht worden. Ich habe ja vor-
hin auf die lange Liste laufender und auch geplanter Vor-
haben hingewiesen.
Zwei Fragen
liegen noch vor: eine vom Kollegen Hauser und eine vom
Kollegen Koppelin.
Frau Minister,wir haben heute – das klang auch in der Frage meines Kol-legen Parr an – im Ausschuss für Bildung, Forschung und
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001
Bundesministerin Edelgard Bulmahn14465
Technikfolgenabschätzung die Frage der Präimplantati-onsdiagnostik diskutiert. In diesem Zusammenhang hieltStaatssekretär Catenhusen es für möglich oder denkbar– um es vorsichtiger zu formulieren –, dass im Embryo-nenschutzgesetz geregelt wird, dass Präimplantationsdia-gnostik dann zulässig ist, wenn sie auf die Herbeiführungeiner Schwangerschaft zielt und nicht allein Forschungs-zwecken dient. Würden Sie diese Meinung teilen?Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung: Dieses ist die Rechtsauffassung mehrererRechtswissenschaftler. Ich habe ja vorhin darauf hinge-wiesen, dass ich davon ausgehe, dass diese Frage auch imParlament erörtert wird. Es gibt unterschiedliche Rechts-auffassungen. Die Rechtsauffassung durchaus maßgebli-cher Rechtswissenschaftler entspricht genau derjenigen,die Sie jetzt geschildert haben.
Darf ich eine
Nachfrage stellen, Herr Präsident?
Ja, bitte
schön.
Frau Minister,
ich hatte Sie nicht danach gefragt, ob es Rechtsauffassun-
gen gibt, die das besagen, sondern ich hatte Sie gefragt, ob
Sie persönlich diese Rechtsauffassung teilen.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Ich bin Ministerin und vertrete hier von
daher auch die Bundesregierung. Diese Frage wird nicht
allein von der Forschungsministerin entschieden, sondern
sie muss sowohl von der Kollegin Justizministerin wie
auch von der gesamten Bundesregierung bewertet wer-
den.
Kann ich da-
raus schließen – –
Herr Kol-
lege Hauser, mit Blick auf die Zeit müssen zwei Fragen
genug sein. Diese waren schon ganz gut, die Antworten
übrigens auch.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Ich bin der Auffassung, dass es einer so-
liden Analyse und Betrachtung der unterschiedlichen
Rechtsauffassungen bedarf. Genau diese wird die Bun-
desregierung auch durchführen.
Herr
Koppelin.
Frau Ministerin, nachdem
zweimal von Mitgliedern der sozialdemokratischen Frak-
tion kritisiert wurde, dass mein Kollege Parr nicht anwe-
send ist,
möchte ich Sie fragen: Teilen Sie meine Auffassung, dass
er vorhin zwei vernünftige Fragen gestellt hat? Geht es Ih-
nen auch so wie dem Kollegen Parr, dass Sie zum Beispiel
um diese Zeit eigentlich an drei verschiedenen Orten sein
müssten? Der Kollege Parr ist im Augenblick in einem
Ausschuss. Können Sie das nachvollziehen?
Können Sie weiterhin nachvollziehen, dass wir als Op-
position, wenn solche Fragen vonseiten der Sozialde-
mokraten kommen, demnächst einmal fragen, wo welche
Minister zu welchen Zeitpunkten jeweils sind?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Ich kann vieles nachvollziehen; wie ich es
bewerte, ist eine ganz andere Frage.
Es liegen
jetzt noch zu einem anderen Themenbereich zwei Fragen
vor, einmal vom Kollegen Hauser und einmal vom Kolle-
gen von Klaeden. Sind diese Fragen auch an die Ministe-
rin gerichtet? – Nein, dann danke ich der Frau Ministerin.
Herr von Klaeden.
Zunächst, Herr
Präsident, darf ich die anwesenden Kabinettsmitglieder
bitten, dem Herrn Bundeskanzler die besten Genesungs-
wünsche auszurichten.
Wir vermissen ihn sehr.
Ich frage, ob sich das Kabinett, das ohne den Bun-
deskanzler und seine Richtlinienkompetenz auskommen
musste, heute mit der Frage der Auslieferung von Herrn
Sirven beschäftigt hat und warum die Bundesjustizminis-
terin, die nach der einschlägigen Bund-Länder-Zustän-
digkeitsvereinbarung die Auslieferung jedenfalls so weit
hätte verzögern können, dass eine vernünftige Zeugen-
vernehmung durch den Untersuchungsausschuss möglich
gewesen wäre – die ja auch parteiübergreifend gewünscht
war –, nicht dem Wunsch des Untersuchungsausschusses
nachgekommen ist und nicht von der Möglichkeit einer
Verzögerung der Auslieferung Gebrauch gemacht hat.
Möchte derVertreter des Kanzleramtes oder der Vertreter des Bundes-justizministeriums sprechen? – Herr Staatssekretär Pick,bitte schön.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001
Norbert Hauser
14466
D
Nach meiner Kenntnis, Herr von
Klaeden, hat die Bundesjustizministerin unter anderem
dieses Thema angesprochen.
Zur Sache darf ich Ihnen sagen, dass die Bundesjus-
tizministerin bzw. das Bundesjustizministerium keinerlei
Rechtsgrundlage gesehen haben, um eine Auslieferung
des betreffenden Herrn zu verzögern.
Kollege
Hauser, Bonn.
Die juristische
Belehrung, Herr Kollege, könnten wir weiterführen. Wir
hätten Ihnen schon Wege aufzeigen können. Aber da Herr
Sirven uns nun Richtung Frankreich verlassen hat und wir
ihn vorerst nicht befragen können, die Frau Ministerin
gestern aber mitgeteilt hat, sie habe mit ihrer französi-
schen Kollegin darüber gesprochen, wann der Untersu-
chungsausschuss Herrn Sirven in Frankreich befragen
könnte, frage ich Sie, ob das Kabinett darüber gesprochen
hat und, wenn ja, welche Schritte Sie einleiten wollen, da-
mit der Untersuchungsausschuss diese Frage möglichst
schnell klären kann, deren Klärung durchaus im nationa-
len Interesse ist.
D
Herr Kollege, mir ist nicht im Ein-
zelnen bekannt, ob diese Details besprochen worden sind.
Aber Sie wissen, dass die Bundesjustizministerin erklärt
hat, dass sie gestern mit ihrer Kollegin gesprochen hat und
dass vonseiten der französischen Justiz die Bereitschaft
besteht, dem Ausschuss die Gelegenheit zu geben, Herrn
Sirven zu befragen.
Eine weitere
Zusatzfrage.
Über Schritte,
die die Bundesregierung einleiten wird, können Sie also
nichts sagen. Es hat jedoch wenig Sinn, ihn im Oktober
2002 zu befragen; denn dann haben wir keinen Untersu-
chungsausschuss mehr, weil wir in einer neuen Legisla-
turperiode sind. Es müsste also schon sehr bald gesche-
hen.
D
Ich sagte Ihnen bereits, dass die
Bundesjustizministerin keine rechtliche Grundlage hatte,
die Auslieferung zu verzögern. Ich glaube, das ist unab-
hängig von jeder parteipolitischen Sicht festzustellen;
denn es bedarf natürlich eines entsprechenden Grundes,
um tätig werden zu können. Der Generalbundesanwalt ist
hier nicht zuständig, sondern es sind die Landesjustiz-
behörden.
Unabhängig davon hat die Bundesjustizministerin er-
klärt, dass sie alles tun wird, was in ihren Möglichkeiten
steht, um die französische Justiz zu veranlassen, dem Un-
tersuchungsausschuss die Gelegenheit zu geben, Herrn
Sirven ausführlich zu befragen – sofern er das will.
Sie würden uns
bald über die Schritte unterrichten, die Sie unternehmen?
D
Ich sagte Ihnen: Wir werden alles
tun, was im Rahmen unserer Möglichkeiten liegt. Wir
werden Sie dann gegebenenfalls über diese Schritte infor-
mieren. Ich gehe davon aus, dass wir auch dem Untersu-
chungsausschuss entsprechend Mitteilung machen wer-
den.
Eine Zu-
satzfrage der Kollegin Bonitz.
Mich würde doch interes-
sieren, welche konkreten rechtlichen Möglichkeiten die
Bundesjustizministerin überhaupt geprüft hat, um dieses
Verfahren an sich zu ziehen. Das Interesse – das haben
meine Kollegen beschrieben – daran war überparteilich.
Da Sie sagen, es gibt keine rechtlichen Möglichkeiten,
bitte ich Sie, hier die einzelnen rechtlichen Prüfgrundla-
gen zu erläutern. Sie haben ja eine andere juristische Auf-
fassung.
D
Sehr verehrte Kollegin, Sie können
davon ausgehen, dass das Bundesjustizministerium die in
Betracht kommenden Möglichkeiten geprüft hat, aber
keine rechtliche Grundlage gesehen hat, hier tätig zu wer-
den. Sie wissen, dass der Generalbundesanwalt nur in
ganz besonderen Ausnahmefällen ein Verfahren an sich
ziehen kann. Zunächst einmal sind die Landesjustiz-
behörden zuständig.
Sie wissen auch, dass es in diesem Gesamtkomplex
ausgesprochen schwierig ist, eine Behörde der Länder zu
finden, die sich in diesem Verfahren für zuständig hält. In-
sofern sind der Bundesjustizministerin die Hände gebun-
den gewesen.
Ich beendedie Regierungsbefragung.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:Fragestunde– Drucksache 14/5203 –Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bun-desministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung stehtdie Parlamentarische Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch zur Verfügung.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001 14467
Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Wolfgang Dehnel auf:Beabsichtigt die Bundesregierung, Mittel zur Entschädigungvon Catgut-Herstellern bereitzustellen, die durch das angekün-digte Herstellungsverbot besonders betroffen sind?G
Herr Kollege
Dehnel, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizin-
produkte hat vor dem Hintergrund der neuen Entwicklung
bezüglich BSE die Risiken von Catgut als nicht mehr ver-
tretbar beurteilt und den zuständigen Landesbehörden
empfohlen, das In-den-Verkehr-Bringen und die An-
wendung zu untersagen.
Allerdings sieht die Bundesregierung bei dieser Sach-
lage derzeit keine Möglichkeit für eine Entschädigung
von Catgut-Herstellern. Inwieweit eine finanzielle Unter-
stützung seitens der Länder möglich ist, konnten wir von
hier aus nicht beurteilen.
Eine Zu-
satzfrage.
Frau Staatssekretä-
rin, können Sie sich vorstellen, dass wir gemeinsam mit
den Bundesländern, besonders mit dem Bundesland
Sachsen, eine Lösung finden, damit beispielsweise den
beiden betroffenen Firmen in meinem Wahlkreis in Sach-
sen geholfen werden kann? Denn es geht hier um
Millionenverluste und um die Verluste von Arbeitsplätzen
in einer Grenzregion mit einer Arbeitslosenquote von circa
20 Prozent.
G
Wir sehen natür-
lich, dass Arbeitsplätze gefährdet werden. Aber spätestens
seit dem Bericht des Scientific Committee for Medical
Products and Medical Devices der Europäischen Kom-
mission zu Catgut vom 16. September 1998 war damit zu
rechnen, dass im Lichte der BSE-Erkenntnisse, die wir
haben, Maßnahmen gegen die Anwendung getroffen wer-
den müssen und dass das wirtschaftliche Risiko – wir be-
dauern das sehr – von den Unternehmen getragen werden
muss. Vonseiten der Bundesregierung gibt es keine Mög-
lichkeit, einen besonderen Fonds zu bilden. Ich sehe auch
nicht die Möglichkeit, dieses für ein bestimmtes Bundes-
land zu tun.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Sie sagten gerade, es
gebe keine Möglichkeit. Wieso aber werden landwirt-
schaftliche Betriebe durch EU-Mittel unterstützt, wäh-
rend die Catgut-Hersteller, die von der Nachfrage abhän-
gig sind, die ihre Produktion ebenfalls umstellen und die
dafür neue Investitionen tätigen müssen, nicht unterstützt
werden? Wieso können Sie nicht ein Programm auflegen,
um auch diese Unternehmen zu unterstützen?
G
Die EU-Mittel wer-
den ausschließlich zweckgebunden für Maßnahmen zur
Stützung des Rindfleischmarktes und in geringem Um-
fang auch für die Finanzierung der BSE-Tests zur Verfü-
gung gestellt. Eine anderweitige Möglichkeit der Mittel-
vergabe sehen wir nicht.
Die Bundesregierung wird sich allerdings an der Ver-
nichtung von Altbeständen an Tiermehlen in einer
Größenordnung von 60 Millionen DM beteiligen. Das ist
ein Drittel der Gesamtkosten. Sie betreffen den Bereich
Tiermehlvernichtung, Tierfette und Futtermittel. Darüber
hinaus sehen wir aber keine Möglichkeiten für weitere
Entschädigungsmaßnahmen.
Ich rufe die
Frage 2 des Kollegen Dehnel auf:
Plant die Bundesregierung, diese Unternehmen gegebenen-
falls mit EU-Mitteln zu unterstützen, wie dies bei BSE-betroffe-
nen landwirtschaftlichen Betrieben geschieht?
G
Ich habe vorhin
ausgeführt, dass diese EU-Mittel zweckgebundene Mittel
sind. Wir können sie nicht zur Unterstützung von anderen
Industriezweigen zur Verfügung stellen. Wir können da-
mit ausschließlich den Landwirtschaftsbereich fördern.
Damit ist
dieser Geschäftsbereich abgeschlossen. Ich danke Ihnen,
Frau Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit. Die Beantwortung der Fragen übernimmt die Parla-
mentarische Staatssekretärin Gila Altmann.
Ich rufe die Frage 3 der Abgeordneten Vera Lengsfeld
auf:
Hat nach Kenntnis der Bundesregierung die Parlamentarische
Staatssekretärin beim Bundesministerium für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit, Gila Altmann, 1996 oder 1997 ei-
nen Aufruf der niedersächsischen Grünen oder einer anderen
Gruppierung unterschrieben, in dem zur Beschädigung von Bahn-
anlagen aufgerufen wurde, um die Castortransporte so teuer wie
möglich zu machen und schließlich zum Erliegen zu bringen?
G
Verehrte Kollegin Lengsfeld, die Bundesregierung beant-
wortet die Frage mit Nein.
Zusatz-
frage?
Sind Sie da ganz sicher?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters14468
G
Ich habe meiner Antwort nichts hinzuzufügen.
Dann rufe
ich die Frage 4 der Abgeordneten Vera Lengsfeld auf:
Wie kann nach Ansicht der Bundesregierung die Parlamenta-
rische Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit, Gila Altmann, ihre damalige Hal-
tung mit der Tatsache vereinbaren, dass sie heute politisch
mitverantwortlich für die nächsten Castortransporte ist?
G
Mit der Antwort auf Ihre erste Frage entfällt eine Antwort
auf Ihre zweite Frage, da sie suggestiv ist.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
ich hätte, da Sie bekanntermaßen eine Befürworterin der
Blockaden waren – Sie waren ja selbst anwesend –, gerne
gewusst, wie Sie heute glaubhaft dafür sorgen wollen,
dass solche Blockierungen nicht stattfinden.
G
Verehrte Frau Kollegin, ich beantworte die Fragen hier im
Namen der Bundesregierung.
In diesem Rahmen beantworte ich Ihre Frage nach den
Transporten so, dass die Bundesregierung die Transporte
für notwendig hält und sie rechtlich unabweisbar sind. Ich
persönlich habe dem nichts hinzuzufügen.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen von Klaeden.
Frau Staatssekre-
tärin, haben Sie damals einen solchen Aufruf unterschrie-
ben oder nicht?
G
Zunächst einmal war die Frage an die Bundesregierung
gerichtet.
Ich stehe hier als Vertreterin der Bundesregierung und
habe diese Frage mit einem klaren Nein beantwortet. Das
ist Punkt eins.
Zum Zweiten müssen Sie schon etwas konkreter wer-
den, wenn Sie von mir persönlich eine Antwort haben
wollen.
– Herr von Klaeden, der Form halber muss ich jetzt die
erste Frage an mich kurz zitieren, damit Sie mein Problem
mit Ihrer Frage verstehen. Dort heißt es nämlich:
Hat nach Kenntnis der Bundesregierung die Parla-
mentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Gila
Altmann,
– das bin ich –
1996 und 1997
– im Gegensatz zu einigen anderen kann ich lesen;
in meiner Unterlage steht „1996 und 1997“ –
einen Aufruf der niedersächsischen Grünen oder ei-
ner anderen Gruppierung unterschrieben, in dem zur
Beschädigung von Bahnanlagen aufgerufen wurde,
um die Castortransporte so teuer wie möglich zu ma-
chen und schließlich zum Erliegen zu bringen?
Das heißt, selbst wenn zwischen 1996 und 1997 „oder“
stehen sollte, heißt es hier: „Aufruf der niedersächsischen
Grünen oder einer anderen Gruppierung unterschrieben“.
Es sind zwei Jahreszahlen angegeben. Deshalb kann ich
auf diese Frage nur mit Nein antworten.
Nur, damit
alle Kolleginnen und Kollegen vom richtigen Sachverhalt
ausgehen: In der Frage steht in der Tat „oder“. – Das ist
keine Bewertung, sondern lediglich eine Feststellung.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege von Klaeden,
haben Sie nicht. Aber die Kollegin Bonitz hat eine Zu-
satzfrage.
Frau Staatssekretärin,
dann frage ich, ob Sie persönlich seit 1996 – als Mitglied
der Bundesregierung oder in der Zeit davor – einen sol-
chen Aufruf unterschrieben haben.
G
Ich habe bereits gesagt, dass ich hier als Vertreterin derBundesregierung Fragen beantworte und diese Frage mit
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001 14469
Nein beantworte. Es geht hier nicht um eine persönlicheTalkshow, sondern um Fragen an die Bundesregierung.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Fischer.
Axel E. Fischer (CDU/CSU): Frau
Staatssekretärin, ich frage Sie: Kann die Bundesregierung
ausschließen, dass Sie einen solchen Aufruf unterschrie-
ben haben?
G
Ja,
das kann sie.
Damit sind
die Fragen zu diesem Geschäftsbereich beantwortet. Ich
danke Ihnen, Frau Staatssekretärin.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Bildung und Forschung auf. Zur Beantwortung
steht der Parlamentarische Staatssekretär Wolf-Michael
Catenhusen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Norbert Hauser
auf:
Kann die Bundesregierung beziffern, wie hoch die Kosten für
die betroffenen Unternehmer wären, wenn man die durch die Bun-
desministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn, in
einem Interview in der „Welt“ vom 30. Januar 2001 aufgestellte
Forderung nach einem Recht auf Weiterbildung in die Tat um-
setzte, und wäre die Bundesregierung bereit, dann auch flächen-
deckend angelegte Unterstützungen zumindest für kleine und mit-
telständische Unternehmen zu leisten, damit die entstehenden
finanziellen Lasten ausgeglichen werden?
W
Herr
Kollege Hauser, auf Ihre Frage, wie hoch die Kosten für
betroffene Unternehmer wären, wenn man die durch
meine Ministerin aufgestellte Forderung nach einem
Recht auf Weiterbildung in die Tat umsetzte, möchte ich
wie folgt antworten.
Die Bundesministerin für Bildung und Forschung,
Edelgard Bulmahn, hat in dem angesprochenen Interview
mit der „Welt“ ausgeführt, dass sie eine Verankerung des
Rechts auf Weiterbildung in den Tarifverträgen befür-
worte. Diese Vereinbarungen unterlägen damit der Tarif-
autonomie der Sozialpartner und könnten unter spezi-
fischer Berücksichtigung der Fortbildungserfordernisse
einzelner Branchen die für deren internationale Wettbe-
werbsfähigkeit immer bedeutsamer werdende Fortbil-
dung im Sinne des lebenslangen Lernens flankieren. Auch
vonseiten der Unternehmen wird der lebenslangen Wei-
terqualifikation ein wachsend hoher Stellenwert beige-
messen.
Soweit solche Regelungen über Weiterbildung in Tarif-
verträge aufgenommen werden, sind natürlich kurzfristig
zusätzliche Kosten für die Unternehmen nicht aus-
zuschließen. Zugleich muss aber beachtet werden, dass
besser ausgebildete Mitarbeiter auch zu einer größeren
Wettbewerbsfähigkeit des jeweiligen Unternehmens
beitragen. Insofern ist es aufgrund der Tarifautonomie der
Sozialpartner kaum möglich, die tatsächlich entstehenden
Kosten abzuschätzen; denn darüber würden sie verhan-
deln. Es ist ebenso kaum möglich, abzuschätzen, ob über
die Laufzeit entsprechender Tarifvereinbarungen für die
einzelnen Unternehmen netto mehr Kosten oder netto
mehr Erträge aus solchen Weiterbildungsmaßnahmen
entstehen.
Ich glaube, wir sind uns einig, dass die Finanzierung
von Weiterbildungsanstrengungen für die Belegschaften
auch Zukunftsinvestitionen von Unternehmen darstellt.
Eine Zu-
satzfrage.
Vielen Dank,
Herr Staatssekretär. Sie sind Ihrem Stil treu geblieben. Sie
wissen, dass ich diesen zu schätzen weiß. – Das bedeutet
aber gleichzeitig, dass es, soweit keine Tarifgebundenheit
vorliegt, für die Mitarbeiter eine zwingende, flächen-
deckende Weiterbildung nicht gibt, oder ist daran gedacht,
solche Tarifverträge allgemeinverbindlich zu machen?
W
Erstens
stellt sich auch dann die Frage von Betriebsvereinbarun-
gen. Das wissen auch Sie als sachkundiger Jurist. Zwei-
tens ist natürlich klar: Wenn die Ministerin sagt, dass wir
eine Lösung über Tarifverträge befürworten, denken wir
nicht daran, solchen Tarifvereinbarungen gesetzlich eine
andere Rechtsqualität zu verleihen, als sie sie durch den
Tarifvertrag haben.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Herr Staatsse-
kretär, die Ministerin hat auch angedeutet, dass sie es für
sinnvoll halte, im Betriebsverfassungsgesetz zusätzliche
Möglichkeiten für die Betriebsräte zu verankern, um bei
Fragen der Weiterbildung im Unternehmen mitzubestim-
men und mitzuberaten. Ist ein solcher Gedanke mit Herrn
Müller, der ja zurzeit mit Herrn Riester im Clinch liegt,
abgesprochen oder gibt es insofern die nächsten Mei-
nungsverschiedenheiten und Auseinandersetzungen zwi-
schen zwei Bundesministern?
W
Es istein normaler Vorgang, dass in Vorbereitung einer Kabi-nettsentscheidung unterschiedliche Sichtweisen verschie-dener Ressorts diskutiert und erörtert werden. MeineMinisterin, Frau Bulmahn, hat von Anfang an keinenHehl daraus gemacht, dass wir als zuständiges Bundes-ministerium für Bildung und Forschung insbesondere dieInitiativrechte von Betriebsräten bei der betrieblichen
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001
Parl. Staatssekretärin Gila Altmann14470
Weiterbildung stärken wollen. Wie weit dies konkret aus-gestaltet wird, ist eine Frage, die, so vermute ich, bei Vor-lage des Gesetzentwurfes in völligem Einvernehmensachgerecht gelöst sein wird.
Ich danke
Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums der Justiz. Es antwortet der Parlamentarische
Staatssekretär Prof. Dr. Eckhart Pick.
Ich rufe auf die Frage 6 des Kollegen Dr. Heinrich
Kolb:
Wie beurteilt die Bundesregierung die im Strafrecht vorgese-
hene Mindeststrafe für sexuelle Übergriffe auf eine widerstands-
unfähige Person, wie zum Beispiel Behinderte, von einem halben
Jahr Freiheitsstrafe im Gegensatz zur Mindeststrafe für sexuelle
Übergriffe auf eine widerstandsfähige Person von einem Jahr
Freiheitsstrafe vor dem Hintergrund des Art. 3 des Grundgesetzes
und wie rechtfertigt sie diese Unterscheidung?
D
Herr Kollege Dr. Kolb, in Beant-
wortung Ihrer Frage darf ich ausführen:
Sexuelle Übergriffe gegen behinderte Menschen wer-
den in gleicher Weise bestraft wie Übergriffe gegen nicht
behinderte Menschen. Die sexuelle Nötigung oder Verge-
waltigung eines behinderten Menschen ist wie die eines
nicht behinderten Menschen nach § 177 StGB strafbar.
Durch das Dreiunddreißigste Strafrechtsänderungs-
gesetz wurde der Schutz behinderter Menschen durch
§ 177 StGB sogar noch erweitert. Neben der Anwendung
der Nötigungsmittel „Gewalt“ und „Drohung mit Gefahr
für Leib und Leben“ wurde auch das „Ausnutzen einer
hilflosen Lage“ unter Strafe gestellt. Damit wurde vor
allem der Schutz körperlich und geistig behinderter Men-
schen mit eingeschränkter Widerstandsfähigkeit gegen
erzwungene sexuelle Übergriffe verbessert.
In § 179 StGB wird behinderten Menschen ein zusätz-
licher Schutz gegen sexuelle Übergriffe gewährt. Nach
dieser Vorschrift ist bereits die bloße Vornahme einer se-
xuellen Handlung strafbar, wenn das Opfer wegen einer
Krankheit, Behinderung, tief greifenden Bewusstseins-
störung oder seiner körperlichen Verfassung widerstands-
unfähig ist. Ob der Täter mit Gewalt oder Drohung gehan-
delt oder die hilflose Lage des Opfers ausgenutzt hat, ist
im Rahmen des § 179 StGB unerheblich. Dies rechtfertigt
auch die im Vergleich zu § 177 StGB niedrigere Strafdro-
hung.
Die Bundesregierung hat sich in einem Bericht an den
Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages ausführlich
zur Strafvorschrift des § 179 StGB geäußert. Ich bin gerne
bereit, Ihnen im Anschluss an Ihre Frage diesen Bericht
persönlich zur Verfügung zu stellen.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Kolb.
Herr Staatssekretär,
vielen Dank für dieses Angebot, das ich natürlich sehr
gerne annehme.
Sie haben sich in Ihrer Antwort auf die Strafbarkeit
konzentriert und am Schluss in einem Halbsatz gesagt,
dass ein unterschiedliches Strafmaß gerechtfertigt sei. In
meiner Funktion als behindertenpolitischer Sprecher der
F.D.P.-Fraktion erreichen mich viele Zuschriften von An-
gehörigen behinderter Menschen, in denen die Befürch-
tung zum Ausdruck kommt, dass dieses unterschiedliche
Strafmaß beim Täter dazu führen kann, dass er sich auf
bestimmte Opfergruppen konzentriert, was aus ihrer Sicht
nicht akzeptabel ist. Wir haben 1994 im Deutschen Bun-
destag gemeinsam eine Grundgesetzänderung beschlos-
sen, und zwar in Art. 3 Abs. 3: „Niemand darf wegen
seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Sehen Sie
nicht eine Benachteiligung behinderter Menschen darin,
dass beim Strafmaß mit zweierlei Maß gemessen wird und
sich von daher eine besondere Gefährdung dieser Men-
schen ergibt?
D
Herr Dr. Kolb, Ihre Auffassung be-
ruht auf einem Irrtum. Ich hatte Ihnen gesagt: Wenn eine
Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung in Form ei-
ner Nötigung oder einer Vergewaltigung vorliegt, ist die
Strafbarkeit genau die gleiche, unabhängig davon, ob die
betroffene Person körperlich oder in anderer Form behin-
dert ist. Als 1997 § 179 StGB geändert worden ist, haben
wir in dem entsprechenden Bericht des Rechtsausschus-
ses gesagt, dass § 179 – das war in diesem Hause allge-
meine Auffassung – einen Auffangtatbestand für die Fälle
darstellt, in denen der Wille des Opfers nicht gebeugt oder
gebrochen werden kann, weil es wegen seines körperli-
chen oder geistigen Zustandes nicht in der Lage ist, einen
entgegenstehenden Willen zu äußern. Für diese Fälle ha-
ben wir damals § 179 eingeführt.
In dem erwähnten Bericht der Bundesregierung steht
auch, dass diese Vorschrift vom Bundesgerichtshof in
seiner letzten in diesem Zusammenhang getroffenen
Entscheidung vom Oktober 1999 genauso gesehen wird.
Die Rechtsprechung ist mit diesem Auffangtatbestand
einverstanden. Er ist nach unserer Kenntnis innerhalb von
knapp anderthalb Jahren immerhin 15-mal im Falle von
hilflosen Personen zur Anwendung gekommen.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie
beurteilen Sie vor diesem Hintergrund die aktuellen
– nicht nur in Einzelfällen, sondern in vielen Zuschriften –
vorgetragenen Bedenken der Angehörigen behinderter
Menschen?
D
Zur Aufklärung ist zu sagen, was derdamals gemeinsam geäußerte Wille des Bundestages ge-rade in diesen Fällen war. Was wäre denn die Konsequenz
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001
Parl. StaatssekretärWolf-Michael Catenhusen14471
gewesen, wenn wir hier keine Strafbarkeit eingeführt hät-ten? Möglicherweise wäre es ein Beleidigungsdelikt, weilnach Auffassung der Rechtsprechung bei behindertenMenschen nicht der Wille gebrochen wird und für den Tä-ter kein entgegenstehender Wille erkennbar ist. Insofernist dies eine Auffangvorschrift, die letztlich dazu dient,gerade behinderte Menschen, aber auch Personen, diezum Beispiel infolge von Drogen- oder Alkoholgenusswiderstandsunfähig sind, zu schützen.Insofern betrifft es nicht nur Personen, die eine ent-sprechende Behinderung haben, sondern auch Menschen,die zum Beispiel infolge von Alkoholgenuss oder anderenUmständen widerstandsunfähig sind. Es handelt sich alsowirklich nicht um eine Diskriminierung; das wird auch imBericht deutlich. Ihre Fragestellung sollte aber Anlasssein, diese Auffassung einmal den entsprechenden Ver-bänden mitzuteilen.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Dr. Seifert.
Herr Staatssekretär, Sie haben
sehr ausführlich geschildert, dass die Regelung aus Sicht
des Justizministeriums relativ problemlos ist. Dennoch
muss man das, was Herr Kolb geschildert hat, dass zum
Beispiel die Behindertenbeauftragten der Fraktionen ver-
stärkt über diesbezügliche Ängste informiert werden,
ernst nehmen. Ich nehme an, das tun Sie auch. Kann es
nicht sein, dass die Vorschrift, die eine verminderte Straf-
androhung vorsieht, ein Fehler war und es daher sinnvoll
wäre, das Strafmaß diesbezüglich anzugleichen? Muss
man nicht, wann immer es sich um sexuelle Betätigungen
handelt, die nicht in beiderseitigem Einverständnis statt-
finden, klipp und klar sagen: gleiche Strafe für gleiche
Tatbestände?
D
Herr Seifert, ich will wiederholen:
Wir haben, was Vergewaltigungen und andere Straftaten
gegen die sexuelle Selbstbestimmung betrifft, den glei-
chen Strafrahmen unabhängig davon, ob Menschen mit
oder ohne Behinderung betroffen sind. Es gibt auch kei-
nen Grund, hier zu differenzieren. Es war der Wille des
gesamten Parlaments, einen Auffangtatbestand für solche
Fälle zu schaffen, in denen der Wille des Opfers nicht ge-
brochen wird. Wir haben damals eine Regelung formu-
liert, die nicht nur Menschen mit Behinderungen betrifft,
sondern auch Menschen, die durch Alkohol- oder Dro-
genkonsum oder durch andere Umstände nicht fähig sind,
ihren entgegenstehenden Willen zu äußern.
Dass dieser Tatbestand durchaus auch praktische Be-
deutung hat, wird einerseits dadurch deutlich, dass der
Bundesgerichtshof diese Auffassung des Gesetzgebers in
einem Urteil bestätigt hat, und andererseits dadurch, dass
wir innerhalb eines überschaubaren Zeitraums 15 Fälle
hatten, in denen sich die Gerichte dieses Tatbestands be-
dient haben.
Anderenfalls gäbe es eine schmerzhafte Strafbarkeits-
lücke. In solchen Fällen nur mit dem Beleidigungstatbe-
stand zu arbeiten und dafür Sanktionen vorzusehen wäre
zu wenig.
Ich rufe die
Frage 7 des Abgeordneten Dr. Kolb auf:
Sieht die Bundesregierung die Gefahr, dass zum Beispiel be-
hinderte Mädchen und Frauen für Sexualstraftäter zur bevorzug-
ten Opfergruppe werden könnten, und beabsichtigt die Bundesre-
gierung, diese Vorschriften im Mindeststrafmaß anzugleichen?
D
Herr Dr. Kolb, die Bundesregierung
sieht nicht die Gefahr, dass behinderte Mädchen und
Frauen zu einer bevorzugten Opfergruppe für Sexualstraf-
täter werden. Ich hatte Ihnen bereits ausführlich dargelegt,
dass diese Mädchen und Frauen durch das geltende Straf-
recht besonders geschützt werden. § 179 StGB ist im Ver-
hältnis zu § 177 StGB nur ein Auffangtatbestand, der ge-
ringere Anforderungen an die Strafbarkeit stellt. Es ist
deshalb nicht beabsichtigt, das Mindeststrafmaß der bei-
den Vorschriften anzugleichen. Ich füge ergänzend hinzu:
Der Strafrahmen umfasst immerhin sechs Monate bis
zehn Jahre Freiheitsentzug.
Eine Zu-
satzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie
haben, wenn ich mich recht erinnere, von 15 Fällen ge-
sprochen, in denen der Auffangtatbestand von Gerichten
zur Aburteilung herangezogen wurde. Haben Sie Er-
kenntnisse, in welchem Rahmen sich das Strafmaß
tatsächlich bewegt hat, sodass belegbar ist, dass die von
mir oder den Petenten, die sich an mich gewandt haben,
befürchtete Sanktionslücke auch faktisch geschlossen ist?
Ich beziehe die Sanktionslücke nicht auf die Strafbarkeit,
sondern auf das Strafmaß.
D
Ich habe die Einzelfälle jetzt nicht
im Kopf, aber ich werde Ihnen eine entsprechende Auflis-
tung gerne nachreichen. Nach meiner Erinnerung ist das
Strafmaß weitgehend – Freiheitsstrafe bis zu einigen Jah-
ren – ausgeschöpft worden, ist von diesen Möglichkeiten
also doch recht umfangreicher Gebrauch gemacht wor-
den. Aber ich werde Ihnen die genauen Daten gerne nach-
liefern.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, für
diese umfangreiche Beantwortung möchte ich mich wirk-
lich bedanken. Nur noch zur Klarstellung: Die Bundesre-
gierung sieht also derzeit keinen Handlungsbedarf in die-
sem Bereich?
D
Nein, den sehen wir nicht. Wir wer-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001
Parl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick14472
den allerdings, wenn der Rechtsausschuss das will, überdiesen Bericht diskutieren. Er ist ihm zugeleitet, ist dortaber noch nicht diskutiert worden. Im Übrigen wird dieBundesregierung die Entwicklung auf diesem Gebietesehr sorgfältig verfolgen und den Rechtsausschuss, wennwir über neuere Entwicklungen besorgt sein sollten, ent-sprechend informieren.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Dr. Seifert.
Herr Staatssekretär, auch ich
möchte Ihnen für die ausführliche und detaillierte Beant-
wortung danken. Aber eine Frage schließt sich für mich
an: Da die Betroffenen offensichtlich, im Gegensatz zu
dem, was Sie hier dargestellt haben, befürchten, dass das
Strafmaß weitgehend nicht ausgeschöpft wird, frage ich,
ob Sie als Bundesregierung nicht die Notwendigkeit
sehen, Betroffeneninitiativen – zum Beispiel von behin-
derten Frauen und Mädchen –, aber auch andere Selbst-
hilfeorganisationen so zu unterstützen, dass sie Auf-
klärungsarbeit leisten können, damit beispielsweise
behinderte Mädchen nicht Angst haben müssen, über-
haupt keine sexuellen Kontakte mehr haben zu können,
weil man die Befürchtung hat, sich strafbar zu machen.
Liebes- und sonstige Beziehungen müssen also einerseits
möglich sein – ich habe Sie auch so verstanden –, ohne
dass dabei eine Strafe droht, andererseits aber besteht
diese Gefahr. Sind Sie nicht der Meinung, dass da Auf-
klärungsarbeit geleistet werden müsste, zum Beispiel
durch Betroffene selbst, die finanziell oder organisato-
risch unterstützt werden müssten?
D
Herr Dr. Seifert, ich hatte schon vor-
her gesagt, dass das Bundesjustizministerium gerne bereit
ist, entsprechenden Verbänden Informationen zukommen
zu lassen. Ich werde in unserem Hause empfehlen, zu die-
ser Frage einige Informationen ins Internet zu stellen, da-
mit entsprechende Organisationen diese dort abrufen kön-
nen. Wir sind der Meinung, es ist wichtig und richtig, dass
die Betroffenen darüber informiert werden, dass sie in der
Tat nicht diskriminiert werden, sondern dass hinter dieser
Vorschrift ein besonderer Schutzgedanke steht, mit dem,
so denken wir, dem Willen des Hauses entsprochen
wurde. Wir werden diese Entwicklung der Strafbarkeit in
der Praxis allerdings, wie schon gesagt, beobachten, ent-
sprechende Konsequenzen ziehen und Vorschläge ma-
chen.
Keine wei-
teren Zusatzfragen. Dann danke ich Ihnen, Herr Staatsse-
kretär.
Die Fragen 8 und 9 der Kollegin Dr. Leonhard aus dem
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft
und Technologie werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
auf
Was tut die Bundesregierung, um dem durch die BSE-Krise
und den Schweinemastskandal stark in Mitleidenschaft gezoge-
nen Metzgerhandwerk sowie der Fleischindustrie sowohl ideell
als auch finanziell zu helfen, um Konkurse abzuwenden, Existen-
zen zu sichern und den Absatz von Fleischwaren wieder zu för-
dern?
Ma
Herr Kollege Hinsken, die Bundesre-
gierung ergreift im Zuge der Agrarwende umfangreiche
Maßnahmen. Zum Ersten geben wir über 900 Millio-
nen DM direkt für die BSE-Bekämpfung aus.
Zum Zweiten reagieren wir auf den Schweinemast-
skandal, der immer größere Ausmaße hat – inzwischen
sind 3 000 bis 4 000 Betriebe betroffen –, indem wir mit
den Ländern umfangreiche Kontrollmaßnahmen in Gang
setzen und auch so das Vertrauen der Deutschen in
Fleischprodukte wieder erhöhen.
Zum Dritten hat die Ministerin mit der Lebensmittel-
industrie, den Landwirten und den Verbrauchern umfang-
reiche Gespräche begonnen mit der Zielsetzung, über ent-
sprechende Qualitätslabels wieder Fleischprodukte auf
den Markt zu bringen, in die die Leute so viel Vertrauen
haben, dass sie diese dann auch kaufen und konsumieren.
Zusatz-
frage.
Herr Staatssekretär
Berninger, die von Ihnen getroffenen Aussagen sind sehr
allgemein. Sie berühren nicht den Kern der von mir ge-
stellten Frage. Deshalb habe ich mich zu dieser Zusatz-
frage gemeldet: Ist Ihnen bekannt, dass von den 205 000
Beschäftigten im Metzgerhandwerk 5 000 Arbeitsplätze
akut gefährdet sind, erstmals Kurzarbeit angemeldet
wurde, darüber hinaus Entlassungen vorgenommen wur-
den, Betriebsschließungen um Jahre vorgezogen werden
sowie junge und neue Betriebe, vor allem Neugründer,
größte Probleme haben, weil die Umsatzeinbrüche beim
Rindfleisch bis zu 80 Prozent und beim Fleisch allgemein
circa 20 Prozent betragen und die Versicherungen bisher
nicht bereit sind, Metzger gegen BSE-bedingte Schlie-
ßungen zu versichern? Warum hat Ihre Ministerin, Frau
Künast, mit allen möglichen Leuten gesprochen, aber mit
dem Deutschen Fleischer-Verband bisher kein einziges
Gespräch geführt? Dies ist ein Skandal ohnegleichen.
Ma
Herr Kollege Hinsken, Sie haben ver-schiedene Fragen gestellt. Zum ersten Punkt: Selbstver-ständlich ist der Bundesregierung bekannt, dass eineReihe von Arbeitsplätzen im Metzgerhandwerk und imländlichen Raum insgesamt infolge der BSE-Krise unddes Schweinedopingskandals in Bayern gefährdet sind.Selbstverständlich ist die Bundesregierung über dieseEntwicklung besorgt und unternimmt Schritte, um dieseArbeitsplatzgefährdung in den Griff zu bekommen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001
Parl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick14473
Zum zweiten Punkt: Die Ministerin hat mit einer Reihevon Leuten Gespräche geführt. Sie ist noch nicht so langeim Amt, dass sie mit all denen in dieser Republik, die un-mittelbar von diesen Problemen betroffen sind, gespro-chen hat. Zu viele Verbände und Interessengruppen sinddavon betroffen, als dass man alle innerhalb von drei Wo-chen zu Gesprächen hätte bitten können. Es fand aberetwa zu der Frage, wie wir mit den zur Schlachtung an-stehenden 400 000 Rindern umgehen, eine umfangreicheGesprächsrunde statt, zu der auch Vertreterinnen und Ver-treter der Fleischindustrie geladen waren. Insofern hatsich die Bundesregierung umfassend beraten.
Der Ab-
geordnete Ernst Hinsken hat eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, es
ist löblich, wenn man mit den betroffenen Verbänden
spricht. Mich berührt aber vor allem, dass man dem Deut-
schen Fleischer-Verband nicht die ihm gebührende Be-
deutung beimisst. Dieser ist die Dachorganisation aller
Metzgereibetriebe in der Bundesrepublik Deutschland,
um das nur nebenbei zu erwähnen. Dieser Verband hat
sich schon mit vielen Schreiben an Ihr Ministerium ge-
wandt, die zum Teil nicht – oder erst, nachdem sie hin und
her gegangen sind – beantwortet wurden. Aber die Minis-
terin, die dafür die Verantwortung trägt, ist bislang zu ei-
nem Gespräch nicht bereit gewesen. Deshalb habe ich
meine erste Zusatzfrage gestellt.
Nun meine zweite Zusatzfrage, Herr Staatssekretär: Ist
die Bundesregierung bereit, um Kostenreduzierung bei
den betroffenen Betrieben bemüht zu sein, wie zum Bei-
spiel BSE-Tests zu bezahlen, die Mehrkosten für die Ver-
brennung von Konfiskaten zu tragen, die Erstattung des
Erlösausfalls wegen der Nicht-mehr-Herstellung von
Tiermehl vorzunehmen und zinsgünstige Überbrückungs-
darlehen über eine bundeseinheitliche Lösung auflegen zu
lassen? Bislang hat sich nach meinen Informationen nur
das Land Rheinland-Pfalz dazu bereit erklärt. Dort sind
demnächst Wahlen, vielleicht hat das damit zu tun.
Diese Maßnahmen können unter Umständen in einem
halben Jahr wieder eingestellt werden. Dies ist aber nicht
die bundeseinheitliche Lösung, von der ich spreche. Ich
meine, der Metzgermeister im Norden der Republik, in
Schleswig-Holstein, ist genauso viel wert wie der Metz-
germeister im fernen Bayern oder in Rheinland-Pfalz.
Deshalb bitte ich Sie, mir zu sagen, was die Bundesregie-
rung zu tun gedenkt bzw. was sie schon unternommen hat,
abgesehen davon, dass man eine Arbeitsgruppe einge-
richtet hat, die sich damit beschäftigten soll. Arbeitsgrup-
pen gibt es viele. Es kommt aber immer darauf an, was da-
bei herauskommt und dass ein Ergebnis möglichst bald
und nicht erst dann erzielt wird, wenn viele Betriebe vor
die Hunde gegangen sind.
Herr
Staatssekretär, möchten Sie diesen Fragenkatalog beant-
worten?
Ma
Selbstverständlich, Herr Präsident. –
Zum Ersten: Herr Abgeordneter Hinsken, die Bundesre-
gierung übernimmt die Kosten für den Aufkauf der
400 000 Rinder im Zuge der Aufkaufaktion über die Bun-
desanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. Wir sind
das einzige Land innerhalb der Europäischen Union, das
diese Rinder testet, und infolgedessen auch das einzige
Land, das die Kosten übernimmt.
Die Bundesregierung ist nicht bereit, generell die
durch BSE-Tests entstehenden Kosten zu übernehmen,
sondern ist der Meinung, dass diese von den übrigen Be-
troffenen zu tragen sind.
Zum Zweiten: Wir richten nicht nur Arbeitsgruppen
ein, sondern geben auch konkrete Handlungsanleitungen
an die Länder, zum Beispiel zum Thema Schlachtung. Es
gibt einen konkreten Katalog, wie die Schlachtung in Zu-
kunft zu erfolgen hat, sodass die BSE-Risiken minimiert
werden. Im Zuge des Agrarministerrates Anfang letzter
Woche in Brüssel hat sich die Ministerin mit ihren euro-
päischen Amtskollegen darauf verständigt, eine Reihe
von Risikomaterialien künftig nicht mehr in den Nah-
rungsmittelkreislauf gelangen zu lassen und bei der
Schlachtung dafür Sorge zu tragen, dass das Risiko der
Kontaminierung mit Prionen oder anderen potenziellen
BSE-Erregern – etwa aus der Wirbelsäule – minimiert
wird.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Niebel.
Herr Staatssekretär, Sie haben zu
Beginn Ihrer Antwort gesagt: Die Bundesregierung über-
nimmt die Kosten für den Aufkauf der 400 000 Rinder. Ist
die Antwort so zu verstehen, dass Sie auf eine Beteiligung
der Länder verzichten?
Ma
Die Bundesregierung übernimmt die
Kosten der Aufkaufaktion, und zwar sowohl den Anteil
von 70 Prozent – das sind 500 Millionen DM –, den die
Europäische Union zu erbringen hat, als auch den 30-pro-
zentigen Anteil, der national erbracht werden muss.
Hieran sind die Länder nicht beteiligt.
Herr von
Klaeden hat eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekre-tär, wenn es der Terminplan der Ministerin nicht zulässt,sich mit dem Deutschen Fleischer-Verband zu treffen,wären Sie bereit, sich für einen solchen Gesprächsterminzur Verfügung zu stellen?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001
Parl. Staatssekretär Matthias Berninger14474
Ma
Herr Kollege von Klaeden, ich bin selbst-
verständlich bereit, mit allen Betroffenen zu reden. Sofern
es mein Terminkalender zulässt, mache ich das gern.
– Das dachte ich mir.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Girisch.
Herr Staatssekretär, Sie
sagten soeben, dass die Bundesregierung nicht bereit ist,
die BSE-Tests zu bezahlen. Ist Ihnen bekannt, dass der
Bundeskanzler in der nächsten Woche, in den nächsten
Tagen ein Gespräch mit den Ministerpräsidenten der Län-
der führen und gerade über dieses Thema sprechen wird?
Ma
Mir ist das sehr wohl bekannt. Am heuti-
gen Tag bereiten die Agrarminister von Bund und Ländern
das Gespräch des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsi-
denten der Länder am 16. Februar vor. Die Haltung der
Bundesregierung ist aber: Die laufenden Kosten, sowohl
für BSE-Tests als auch für die Tierkörperbeseitigung, sind
nicht Sache des Bundes. Wir haben eine föderale Finanz-
zuständigkeit. Da hat der Bund bestimmte Aufgaben zu
erfüllen; ich habe schon angedeutet, welche. Die Länder
müssen ihren Anteil ebenfalls erbringen.
Keine wei-
teren Zusatzfragen. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht
der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres zur Ver-
fügung.
Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Niebel auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Zusammenarbeit der
Bundesanstalt für Arbeit mit den wissenschaftlichen Forschungs-
instituten bei der Evaluation arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen
vor dem Hintergrund, dass die Herausgabe von Daten verweigert
und dadurch ein unabhängiges wissenschaftliches Gutachten ver-
hindert wird ?
G
Herr Kollege Niebel, es
ist nicht zutreffend, dass die Bundesanstalt für Arbeit sich
weigert, grundlegende Daten zugänglich zu machen. Die
Bundesanstalt ist vielmehr mit hohem Arbeitseinsatz
bemüht, Datenmaterial aufzuarbeiten und bereitzustellen.
Richtig ist, dass die bestehenden gesetzlichen Rege-
lungen in Bezug darauf, Daten von der Bundesanstalt zu
erhalten, und die Kooperationsbereitschaft der BA bisher
nur begrenzt in Anspruch genommen worden sind. Trotz
anhaltender Kritik einiger Wissenschaftler sind in den
vergangenen Jahren nur wenige Anträge auf Herausgabe
personenbezogener Daten – um die geht es – für die Eva-
luation arbeitsmarktpolitischer Instrumente gestellt wor-
den. Derzeit liegt kein ausreichend präzisierter Antrag auf
Herausgabe personenbezogener Daten für den entspre-
chenden Zweck vor. Insoweit muss die Behauptung, ein
unabhängiges wissenschaftliches Gutachten werde durch
diese Weigerung einer Herausgabe von Daten verhindert,
als gegenstandslos zurückgewiesen werden.
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der
Bundesanstalt hat im Übrigen mehrere Kooperationsver-
träge mit Wissenschaftlern zur Evaluation bestimmter In-
strumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik abgeschlossen.
Gegenstand dieser Verträge ist auch der Datenaustausch.
Eine Zu-
satzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie werden
mir wahrscheinlich zustimmen, dass man einen und den-
selben Menschen nicht zweimal gleichzeitig leben lassen
kann. Von daher ist es sehr wichtig, die Effizienz arbeits-
marktpolitischer Instrumentarien dadurch zu überprüfen,
dass man Lebensverläufe Arbeitsloser, die einander bis
auf die Teilnahme an arbeitsmarktpolitischen Maßnah-
men gleichen, miteinander vergleicht. Dafür braucht man
personenbezogene Daten. Kann ich Ihrer Antwort entneh-
men, dass einem entsprechenden Antrag eines wissen-
schaftlichen Forschungsinstitutes Rechnung getragen
würde?
G
Herr AbgeordneterNiebel, ich will Ihnen zunächst mitteilen, dass in den ver-gangenen Jahren das dafür zuständige BMA alle derarti-gen Anträge positiv beschieden hat. Ich weiß, auf welchenVorgang sich Ihre Frage bezieht. Die beteiligten Wissen-schaftler, die sich öffentlich geäußert haben – insbeson-dere einer aus Mannheim –, haben keine Anträge gestellt.Das will ich einmal klarstellen. Werden Anträge gestellt,muss das BMA sie entsprechend prüfen. Ich gehe davonaus: Wenn das wissenschaftlich fundiert ist, wird dem An-trag stattgegeben werden.Mit meiner Antwort zu dem ersten Teil Ihrer Frage willich ein Missverständnis ausräumen, das Ihnen allerdingsbekannt ist: Vor dem Hintergrund zunehmender Forde-rungen nach den Daten der Bundesanstalt durch externeWissenschaftler ist bereits im Vorfeld erkennbar gewor-den, dass einigen Wissenschaftlern der Unterschied zwi-schen der amtlichen Statistik – die Statistik der Statisti-schen Ämter des Bundes und der Länder – und denGeschäftsstatistiken – dabei handelt es sich um die Statis-tiken der Sozialversicherungsträger, zum Beispiel derBundesanstalt – nicht geläufig ist. Bei den gewünschtenDaten handelt es sich um Geschäftsstatistiken der Bun-desanstalt, die in der Regel dem Sozialdatenschutz unter-liegen. Damit ist ein Zugriff durch Dritte nur mit aus-drücklicher Genehmigung möglich.Zu diesem Zweck hat das jeweilige Forschungsinstituteinen spezifischen Antrag beim BMAzu stellen. Ich habe
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001 14475
das schon zu Beginn meiner Antwort auf Ihre Frage er-läutert. Das Genehmigungsverfahren erfolgt auf derGrundlage des § 75 des X. Sozialgesetzbuches. In denletzten Jahren wurde den Anträgen regelmäßig stattgege-ben.
Eine zweite
Zusatzfrage des Kollegen Niebel.
Herr Staatssekretär, vielen Dank
für die Antwort.
Stimmen Sie mir darin zu, dass es bei 43,4 Milliar-
den DM, die dieses Jahr für die aktive Arbeitsmarktpoli-
tik ausgegeben werden – trotz sinkender Arbeitslosenzah-
len sind es 1 Milliarde DM mehr als im letzen Jahr –, Sinn
macht, die Effizienz der arbeitsmarktpolitischen Instru-
mente zu überprüfen?
G
Ich kann zunächst be-
stätigen, dass in diesem Jahr 1 Milliarde DM mehr für die
aktive Arbeitsmarktpolitik ausgegeben wird. Das ist ein
besonderes Verdienst dieser Bundesregierung.
–Wenn er das so sagt, kann ich ihn nur bestätigen. Gleich-
zeitig will ich herausstellen, was die Bundesregierung
Gutes tut. Das habe ich hiermit getan.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Ich bin selbstverständ-
lich Ihrer Meinung, dass die Evaluation, also die Über-
prüfung dieser Maßnahmen, zeitnah und unmittelbar zu
erfolgen hat. Deswegen will ich Ihnen sagen – das wissen
Sie auch –, dass bei allen Programmen, die die neue Bun-
desregierung aufgelegt hat – ob es sich um das Jugendso-
fortprogramm oder um Programme zur Förderung der In-
tegration von Sozialhilfeempfängern in Arbeit handelt,
sehr penibel darauf geachtet wird, dass eine Evaluation
stattfindet.
Ich will Sie im Übrigen darauf hinweisen, dass die alte
Bundesregierung dies über Jahre hinweg versäumt hat.
Das war ein Fehler. Wir lassen über die Bundesanstalt so-
gar Sonderprogramme evaluieren, die die alte Bundes-
regierung aufgelegt hat, weil bisher keine Evaluation
stattgefunden hat. Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu, dass
man sehr genau schauen muss: Welche Mittel werden ein-
gesetzt? Wie ist die Wirkungsweise dieser Mittel? Es
macht keinen Sinn, für Maßnahmen Geld auszugeben, die
keinen Erfolg erzielen. Insofern kann ich Ihnen in diesem
Zusammenhang völlig zustimmen.
Ich danke
Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen jetzt zu den Fragen aus dem Geschäfts-
bereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen. Zur Beantwortung steht die Frau Staats-
sekretärin Angelika Mertens zur Verfügung.
Die Fragen 12 und 13 des Kollegen Wolfgang
Weiermann werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 14 des Kollegen Ernst Hinsken auf:
Was hat der Bundesminister für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen, Kurt Bodewig, aufgrund meiner brieflichen Anfrage
vom 12. Dezember 2000 bislang an Einwirkung auf die Deutsche
Bahn AG unternommen, damit der IR 25 nicht aus dem Verkehr
gezogen wird, für dessen weiteren Einsatz die Bayerische Staats-
regierung sogar bereit ist, das Defizit zu tragen?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
A
Herr
Kollege Hinsken, die Gestaltung des Schienenfernver-
kehrsangebotes der Deutschen Bahn AG gehört seit der
Bahnreform zum eigenverantwortlichen unternehmeri-
schen Bereich der im Verkehrsmarkt tätigen Aktiengesell-
schaft. Die DB AG richtet zum Fahrplanwechsel im
Juni 2001 ihren Personenfernverkehr neu aus. Ab diesem
Zeitpunkt entfallen dann eine Reihe von schwach ausge-
lasteten Zügen, um die Wirtschaftlichkeit dieses Bereichs
langfristig zu sichern. Auf Vorstandsebene führt die
DB AG derzeit mit den Bundesländern Gespräche über
ein nachfragegerechtes Ersatzangebot für künftig entfal-
lende Züge.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Hinsken.
Frau Staatssekretärin,
pflichten Sie mir bei, wenn ich feststelle, dass ich mich als
Parlamentarier total frustriert sehe, wenn ich auf einen
Brief vom 12. Dezember des letzten Jahres erst acht Wo-
chen später eine lapidare Antwort bekomme? Muss es
nicht als ungehörig bezeichnet werden, wie man seitens
Ihres Ministeriums mit uns umgeht?
A
HerrHinsken, ich glaube, ganz oft wird vergessen – Sie sind jaschon etwas länger dabei –, dass wir im Jahre 1994 eineBahnreform gemacht haben. Man kann nicht eine Bahn-reform machen und dann alles vergessen, was bei dieserReform vereinbart wurde. Die Bahnreform hatte dreiHauptziele: mehr Verkehr auf die Schiene, Schaffung ei-nes eigenverantwortlichen Bereichs für den Personenver-kehr und Entlastung des Bundeshaushalts. Ich denke, dasswir uns diesen Gegebenheiten beugen müssen.Sie können von uns nicht erwarten, dass wir jede Ver-kehrsverbindung kommentieren. Sie können sicher sein,dass es regelmäßig informelle Gespräche gibt; aber darü-ber hinaus ist diese Bahnreform für uns als Parlament einegute Grundlage dafür, dass die Bahn eigenwirtschaftlichhandeln kann. Die Frage, die Sie ansprechen, gehört zumoperativen Bereich und fällt nicht in die Verant-wortlichkeit der Bundesregierung. Das innerhalb derBundesregierung betroffene Ministerium – der Einzelplanweist das entsprechend aus – ist für die Infrastruktur zu-ständig. Das müssen wir so hinnehmen. Es wäre gut,wenn wir das ein bisschen verinnerlichen würden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001
Parl. Staatssekretär Gerd Andres14476
Eine zweite
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
ich gehe davon aus, dass Sie meine Frage genau gelesen
haben. Sie hat sich nämlich auf einen Punkt bezogen, zu
dem ich keine Antwort bekommen habe. Ich brauche nicht
darüber belehrt zu werden, was Inhalt der Bahnreform ist,
der ich damals zugestimmt habe. Ich habe mich be-
schwert, weil ich es einfach nicht einsehe, dass Parla-
mentarier acht Wochen lang hingehalten werden, ohne
dass eine Antwort erfolgt.
Ein Zweites: Wie bewerten Sie, dass der bayerische
Wirtschaftsminister Dr. Otto Wiesheu bereit ist, das Defi-
zit für die angesprochene Linie zu tragen, und die Bahn
trotzdem keine Bereitschaft erklärt, den IR 25 am Leben
zu erhalten?
A
Viel-
leicht mag es mit dem Ministerwechsel, den es gegeben
hat, zusammenhängen, dass die Antwort acht Wochen ge-
dauert hat. Ansonsten gebe ich Ihnen darin Recht, dass
acht Wochen zu lange sind.
Zum zweiten Punkt: Sie wissen, dass wir uns immer
darüber freuen, wenn die Bayerische Staatsregierung aus
ihren Regionalisierungsmitteln Züge bestellt. Ich gehe da-
von aus – das ist zumindest meine Information –, dass die
DB AG und die Bayerische Staatsregierung in Verhand-
lungen sind und wir irgendwann ein Ergebnis sehen wer-
den. Es verbietet sich für uns als Bund, in diese Verhand-
lungen einzutreten.
Eine Zu-
satzfrage, Herr Girisch.
Frau Staatssekretärin,
das Unternehmen Deutsche Bundesbahn ist zwar eine Ak-
tiengesellschaft, aber da der Bund ja zu 100 Prozent Ei-
gentümer ist, hat die Bundesregierung eine gewisse Auf-
sichtspflicht. Was die Streckenstilllegung beim Interregio
25 betrifft, so muss man anmerken, dass der Fernverkehr
immer noch ein grundgesetzlicher Auftrag des Bundes ist.
Der Bund kann sich daher aus dem Fernverkehr nicht so
schnell zurückziehen.
Teilen Sie die Auffassung der bayerischen SPD-Abge-
ordneten, dass die Strecke des Interregio 25 nicht stillge-
legt werden darf?
A
Ich
möchte zunächst zwei Korrekturen anbringen: Zum einen
reden Sie von der „Deutschen Bundesbahn“. Sie heißt
jetzt Deutsche Bahn AG.
Zum Zweiten habe ich die nochmalige Bitte an Sie, zu
verinnerlichen, dass wir eine Bahnreform gemacht haben.
Der Bund tritt für die Infrastruktur ein, damit die DBAG
ein ordentliches Fernverkehrsnetz aufrechterhalten kann.
Nur auf diese Weise macht das Vorgehen Sinn. Es macht
keinen Sinn, einzelne Strecken herauszugreifen und dafür
zu bezahlen. Auch das war Inhalt der Bahnreform und an
die Ergebnisse dieser Reform sollten wir uns auch halten.
Was den dritten Teil Ihrer Frage angeht: Ich freue mich
über jede Verbindung bei der DBAG, die zustande kommt
und die auch einigermaßen ausgelastet ist.
Ich denke aber, wir müssen genau darauf achten, wie stark
das Verkehrsaufkommen auf den einzelnen Strecken ist, in
welchen Relationen der Betrieb durchgeführt wird und wie
lang die befahrenen Strecken sind. Die Länder bekommen
für den Nahverkehr Regionalisierungsmittel. Es ist weder
ökonomisch noch ökologisch, warme Luft zu transportie-
ren; für den Betrieb einer Strecke muss eine entsprechende
Anzahl an Kunden vorhanden sein. Ich gehe davon aus,
dass die DBAG so schlau ist, dann Angebote vorzuhalten,
wenn eine entsprechende Nachfrage besteht.
Ich danke
Ihnen, Frau Staatssekretärin.
Zur Beantwortung der restlichen Fragen aus dem Ge-
schäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen steht der Parlamentarische Staatsse-
kretär Achim Großmann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 15 der Kollegin Ina Lenke auf:
Plant die Bundesregierung eine Änderung des bestehendenSystems der staatlichen Eigenheimzulage im Sinne einer Senkungder Eigenheimzulage für Neubauten im ländlichen Raum beigleichzeitig höherer Förderung von Ballungsgebieten und Altbau-ten, und wenn ja, welche Auswirkungen haben diese Änderungen?
A
Vielen
Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin Lenke, wegen des
Sachzusammenhanges möchte ich Ihre Fragen 15 und 16
zusammen beantworten.
Ich rufe dieFrage 16 der Kollegin Lenke auf:Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass eineReduzierung der Eigenheimzulage im ländlichen Raum für jungeFamilien, die sich städtisches Bauland nicht leisten können, zurFolge hat, dass durch die niedrigere staatliche Förderung für Neu-bauten im ländlichen Raum für viele Familien – nicht nur in Bal-lungsgebieten, sondern dann auch im ländlichen Raum – der Bauder eigenen vier Wände unfinanzierbar wird?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001 14477
A
Eine
bundesweite Änderung der Eigenheimzulage ist nicht be-
absichtigt, sodass sich dementsprechend auch keine
Auswirkungen auf die Wohneigentumsbildung im länd-
lichen Raum ergeben werden.
Eine Zu-
satzfrage.
Wie können Sie sich erklären, dass
die wohnungsbaupolitische Sprecherin der Grünen in ei-
nem Interview und in Meldungen an die Presse sagt, dass
die Bundesregierung darüber nachdenkt? Sagen Sie mir,
dass die wohnungsbaupolitische Sprecherin der Grünen
möglicherweise die Unwahrheit sagt?
A
Ich würde
in diesem Fall empfehlen, die wohnungsbaupolitische Spre-
cherin von Bündnis 90/Die Grünen selbst zu fragen. Sie
kann Ihnen sicherlich eine kompetentere Antwort auf die
Frage geben als ich. Ich kann Ihnen nur sagen, was die
Bundesregierung plant oder nicht plant. Danach haben Sie
gefragt und diese Frage habe ich beantwortet.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Ihre Antwort sagt mir, dass Sie
nicht wollen, dass die Eigenheimzulage für Familien im
ländlichen Raum geringer ausfällt als für solche in der
Stadt. Das heißt, diese Bundesregierung wird in dieser Le-
gislaturperiode die Eigenheimzulage nicht regional ge-
wichten. Ist das richtig?
A
Sie prä-
zisieren die Frage, die Sie anfangs gestellt haben. Ände-
rungen bei der Neubauzulage im gesamten Bundesgebiet
sind nicht geplant.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Goldmann.
Herr Staatssekre-
tär, Sie haben von bundeseinheitlicher Regelung gespro-
chen und eben noch einmal eine Formulierung benutzt,
die sich auf das gesamte Bundesgebiet bezog.
Ist der Umkehrschluss richtig, dass Sie eventuell re-
gionale Regelungen wollen, die zu einer Verlagerung der
Eigenheimzulage führen? Ganz konkret gefragt: Werden
Sie den Vorstellungen der Lehmann-Grube-Kommission
folgen, die den Vorschlag gemacht hat, die Eigenheimzu-
lage in den neuen Ländern zu verändern: weg vom Ei-
genheim im Grünen Richtung Innenstadt? Werden Sie
diesen Gedanken weiter verfolgen?
A
Der Vor-
schlag der Lehmann-Grube-Kommission, Herr Abgeord-
neter Goldmann, betraf eine Senkung der Neubauzulage.
Diese habe ich für die Bundesregierung gerade ausge-
schlossen.
Haben Sie
weitere Zusatzfragen? – Keine. Herr Staatssekretär, ich
danke Ihnen. Wir kommen zum Geschäftsbereich des
Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung der Fragen steht
der Staatsminister Dr. Ludger Volmer zur Verfügung.
Die Fragen 17 und 18 der Kollegin Monika
Brudlewsky, die Frage 19 des Kollegen Niebel und die Fra-
gen 20 und 21 des Kollegen van Essen werden schriftlich
beantwortet.
Ich rufe die Frage 22 der Kollegin Sylvia Bonitz auf:
Was wusste der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph
Fischer, zu der Zeit, als er in seiner Frankfurter Wohngemein-
schaft mit Daniel Cohn-Bendit nach eigener Aussage gemeinsam
mit der Ex-Terroristin Margrit Schiller 1973 frühstückte, über ihre
Person und ihre Motive, und wie lange hat der Kontakt zu Margrit
Schiller bestanden?
D
Die Frage beantworte ich wie folgt: Das Auswärtige
Amt hat in einer Presseerklärung vom 23. Januar 2001
hierzu Stellung genommen. Die Bundesregierung hat dem
nichts hinzuzufügen.
Eine Zu-
satzfrage.
Derweil die Stellung-nahme des Auswärtigen Amtes ausgesprochen dünn warund es hier um den Komplex geht, wieweit der Kontaktdes jetzigen Bundesaußenministers Joschka Fischer zurfrüheren Terroristin Margrit Schiller doch etwas intensi-ver war als bislang bekannt, stelle ich folgende Frage: Istes nicht vielmehr zutreffend, dass in den Gesprächen mitMargrit Schiller konkret über die logistische Unterstüt-zung der RAF durch den Revolutionären Kampf gespro-chen wurde – ich verweise auf den „Focus“-Bericht vom5. Februar 2001 – und dass der heutige Bundesaußenmi-nister von den terroristischen Aktivitäten von FrauSchiller damals somit Kenntnis gehabt haben muss, zumalSchiller seinerzeit gerade erst aus ihrer zweijährigen Haftentlassen worden war? Sie war zuvor wegen Mitglied-schaft in einer kriminellen Vereinigung zu einer Haftstrafevon zwei Jahren und drei Monaten verurteilt worden, warkaum aus dem Gefängnis entlassen, kam dann auf der Su-che nach einem Unterschlupf und nach neuen Unterstüt-zern für die RAF im Frühjahr 1973 nach Frankfurt, istdann im Haus Bornheimer Landstraße 64, in dem die heu-tigen Politiker Fischer und Cohn-Bendit wohnten, gelan-det und hat dort offensichtlich ganz gezielt Kontakt ge-sucht. Im „Focus“ heißt es dazu:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 200114478
Sie wollte wissen, ob der „Revolutionäre Kampf“mit der RAF kooperieren will.Vor diesem Hintergrund frage ich, welcher Kontaktzwischen Herrn Fischer und Frau Schiller bestanden hat.D
Frau Bonitz, wenn es Ihnen wirklich um Erkenntnis
ginge, hätten Sie auch den nächsten Satz aus dem „Fo-
cus“-Artikel zitiert. Dort heißt es nämlich, dass Fischer
solche Ansinnen rundheraus abgelehnt hat.
Eine weitere
Zusatzfrage.
Das beantwortet nicht die
Frage nach der Art und Dauer des Kontaktes. Ich stelle
eine weitere Zusatzfrage. Der Herr Außenminister will
zurzeit offensichtlich nicht zugeben, dass er in dem Pro-
zess vor dem Frankfurter Landgericht am 16. Januar die-
ses Jahres eine Falschaussage getätigt haben könnte.
Warum wird dann im Auswärtigen Amt eine Expertise in
Auftrag gegeben, die sich mit genau diesem Falle einer
möglichen Strafbarkeit wegen einer Falschaussage be-
schäftigt?
D
Indem Sie die Worte benutzen, Außenminister
Fischer wolle etwas nicht zugeben, insinuieren Sie eine
Straftat. Das weise ich auf das Schärfste zurück.
Ich rufe die
Frage 23 der Kollegin Bonitz auf:
Wird vom Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer,
der sowohl in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am
17. Januar 2001 als auch im Prozess gegen den Ex-Terroristen
Hans-Joachim Klein vor dem Frankfurter Landgericht am 16. Ja-
nuar 2001 ausgesagt hat, dass er sich 1977 von der Gewalt abge-
wandt habe, ausgeschlossen, nach 1977 Gewalttaten begangen zu
haben oder Gewalt – sei es durch Worte, sei es durch aktives Tun
oder Unterlassen – nach diesem Zeitpunkt noch gutgeheißen zu
haben?
D
Die Frage beantworte ich wie folgt: Bundesminister
Fischer hat in der Fragestunde vom 17. Januar 2001
hierzu umfassend Stellung genommen. Dem hat die Bun-
desregierung nichts hinzuzufügen.
Eine Zu-
satzfrage.
Ich frage noch einmal
ganz konkret danach, inwieweit nach 1977 weitere Aus-
sagen von Herrn Fischer getätigt sein könnten, die nicht
zu seiner Aussage passen, dass er sich nach diesem Zeit-
punkt konsequent von der Gewalt gelöst habe. Ich stelle
diese Frage vor dem Hintergrund folgender Zitate bzw.
Handlungen von Herrn Fischer: Er hat in einem in der
Zeitschrift „Kursbuch“ 1979 veröffentlichen Gespräch
– es ging um das so genannte Darmwickeln: Die Vietcong
hatten damals einem Dorfoberen den Bauch aufgeschlitzt,
die Därme herausgerissen und da hängen lassen – Fol-
gendes gesagt:
Da gab es einen ... Streit über das Prinzip des revo-
lutionären Terrors mit einer humanistischen Frak-
tion, ... während die andere, mehr politische Seite, zu
der ich gehörte, gesagt hat, ja, das ist zwar un-
menschlich, aber wenn’s der Sache dient, dann muss
das wohl sein.
Ein weiteres Zitat stammt aus einem Telefonat mit dem
Buchautor Christian Schmidt: Fischer soll 1983 in einer
Bonner Kneipe einem Fotografen ein Glas Bier ins Ge-
sicht geschüttet haben. Dabei reagierte er allein darauf,
dass dieser versucht hatte, ihn zu fotografieren, wie er sich
eine Zigarre anzündete. Daneben hat Fischer 1983 – zu
der Zeit war er bereits Mitglied im Bundestag – Folgen-
des gesagt – ich zitiere aus der „Wirtschaftswoche“ – –
– Nein, es reicht noch nicht; ich habe noch einiges. – In
der „Wirtschaftswoche“ vom 18. Januar 2001 heißt es,
Fischer habe noch 1983 erklärt:
Ich werde weiterhin Rechtsbrüche in Kauf nehmen,
um menschliche Verhältnisse zu schaffen.
Des Weiteren hat er 1983, wie wir jetzt von mehreren
Fraktionsmitarbeitern wissen – –
Frau Kolle-
gin Bonitz, Sie sollten uns alle jetzt nicht mit zu vielen Zi-
taten überstrapazieren. Der Gesamtzusammenhang ist
deutlich geworden. Nach der Geschäftsordnung muss ich
auf kurze Fragen drängen. Außerdem haben Sie gleich
noch eine weitere Zusatzfrage.
Dann möchte ich nur
noch ein letztes Zitat, das die Bundesregierung trotz zwei-
facher Nachfrage bisher nicht dementiert hat, von 1998
vortragen. Herr Fischer sagte 1998:
Ich war nie gewaltfrei. Ich bin es heute noch nicht in
meinen Überzeugungen.
D
Die Bundesregierung kann nicht zu jeder Kolpor-tage Stellung nehmen. Die Gesinnung und die politische
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001
Sylvia Bonitz14479
Überzeugung des Herrn Bundesaußenministers sind, wasdie Gewaltfrage angeht, völlig eindeutig und bedürfenkeiner weiteren Kommentierung.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, Sie
haben gesagt, Fischer Haltung sei völlig eindeutig. Zwi-
schen den von mir vorher genannten Zitaten und den Aus-
sagen von Herrn Fischers sowohl im Prozess als auch vor
dem Deutschen Bundestag in der Fragestunde am 17. Ja-
nuar, dass er sich seit 1977 von der Gewalt konsequent
losgesagt habe, besteht ein Widerspruch. Darf ich die
Schlussfolgerung ziehen, dass Sie diesen Widerspruch of-
fensichtlich nicht erkennen?
D
Das dürfen Sie daraus nicht schließen
Es gibt
keine weiteren Zusatzfragen. Ich danke Ihnen, Herr
Staatsminister.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
des Innern auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der
Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur
Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 24 des Kollegen Hartmut
Koschyk auf:
Welche Auswirkungen haben nach Ansicht der Bundesregie-
rung die noch nicht veröffentlichten Entscheidungen des Bundes-
verwaltungsgerichtes vom 19. Oktober 2000 auf die Prüfung des
Bestätigungsmerkmales Sprache im Rahmen des Aufnahmever-
fahrens für Spätaussiedler und beabsichtigt die Bundesregierung
aufgrund der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes eine
Initiative zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes?
F
Herr Kollege Koschyk, ich
beantworte Ihre Frage wie folgt: Mit der Zielsetzung, Ver-
waltungsgrundsätze im Lichte der angesprochenen Recht-
sprechung zu § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Bundesvertriebe-
nengesetz – Sie wissen, worum es geht – zu entwickeln,
traf sich am 5. Februar 2001 erstmals die unter Vorsitz des
Bundes mit Vertretern aus Hessen, Nordrhein-Westfalen
und Bayern gebildete Arbeitsgruppe. Eine klarstellende
Änderung des Bundesvertriebenengesetzes zur Fortset-
zung der bisherigen, bis jetzt höchstrichterlich bestätigten
Verwaltungspraxis ist, wie Sie wissen, vom Aussiedlerbe-
auftragten, Jochen Welt, bereits öffentlich gefordert wor-
den und wird von der Bundesregierung vorbereitet.
Eine Zu-
satzfrage.
In welche Richtung
soll die von der Bundesregierung vorbereitete Gesetzes-
änderung gehen?
F
Herr Kollege Koschyk, die beab-
sichtigte Gesetzesänderung geht wohl in die Richtung,
das bisherige Verfahren weitgehend einer gesetzlichen
Grundlage zu unterziehen.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
in einer der tragenden Säulen des Urteils des Bundesver-
waltungsgerichts heißt es – ich darf daraus zitieren –, dass
es ausreichend ist, wenn das Kind die deutsche Sprache
und die Landessprache im Elternhaus erlernt und gespro-
chen hat, also mehrsprachig aufgewachsen ist. Das heißt,
dass das Bundesverwaltungsgericht dem Kriterium der
Sprache nicht mehr die zentrale Bedeutung beimisst, wie
dies zum Beispiel durch die bisherige Anerkennungspra-
xis der Bundesregierung, durch das Verfahren des Bun-
desverwaltungsamtes und der Länder geschehen ist. Plant
die Bundesregierung, diesem Urteil Rechnung zu tragen,
oder will sie die Anerkennungstatbestände verschärfen?
F
Die Bundesregierung hat diese
Arbeitsgruppe eingesetzt, an der – das ist gar nicht un-
wichtig – insbesondere die betroffenen Länder Hessen,
Nordrhein-Westfalen und Bayern beteiligt sind, die für
den Vollzug in der Praxis verantwortlich sind. Es geht vor
allem um die Frage, wie dieses Urteil umzusetzen ist.
Wenn wir das alles schon wüssten, dann hätten wir diese
Arbeitsgruppe nicht einzusetzen brauchen. Ich spreche an
Sie, der sich in der Materie gut auskennt, die Einladung
aus, dort mitzuarbeiten. Diese Arbeitsgruppe soll die Vo-
raussetzungen dafür schaffen, gegebenenfalls – ich habe
darauf hingewiesen – auf gesetzlicher Grundlage reagie-
ren zu können.
DieFragen 25 und 26 des Kollegen Erwin Marschewski wer-den schriftlich beantwortet. Herr ParlamentarischerStaatssekretär, damit können Sie sich wieder Ihren übri-gen Tätigkeiten zuwenden.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriumsder Finanzen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht dieParlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendrickszur Verfügung.Die Fragen 27 und 28 des Kollegen Martin Hohmannwerden schriftlich beantwortet.Ich rufe die Frage 29 des Kollegen Hans Michelbachauf:Wie beurteilt die Bundesregierung die Ergebnisse des Gutach-tens von dem Verfassungsrechtler Stefan Korioth – vergleiche „DieWelt“ vom 31. Januar 2001 – zur Beteiligung der Bundesländer anden UMTS-Lizenz-Einnahmen und wird die Bundesregierung die
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001
Staatsminister Dr. Ludger Volmer14480
Bundesländer nun doch anteilig an den genannten Einnahmen be-teiligen, um einer verfassungsgerichtlichen Auseinandersetzungvorzubeugen?D
Lieber Kollege Michelbach,
ich weiß nicht, was das Haus tun sollte, wenn wir Ihre
wöchentlichen Fragen nicht zu beantworten hätten.
Der baden-württembergische Finanzminister Stratthaus
hat mit Schreiben vom 30. Januar 2001 auch im Namen der
Länder Bayern und Hessen den Bund aufgefordert, bis
zum 14. Februar 2001 ihrer Forderung nach hälftiger Be-
teiligung an den UMTS-Erlösen nachzukommen. Derzeit
wird das Gutachten im BMF geprüft. Die Prüfung ist noch
nicht abgeschlossen. Bisher sieht das BMF keine Veran-
lassung, von seiner bestehenden Haltung abzuweichen.
Eine Zu-
satzfrage? – Bitte.
Frau Staatssekretä-
rin, ich bedanke mich, dass Sie meinen Fleiß loben. – Ich
darf die ergänzende Zusatzfrage stellen: Ist hier nicht Eile
angesichts der Situation geboten, dass bis zum 19. Fe-
bruar dieses Jahres eine Normenkontrollklage erhoben
werden muss, um angesichts des vorliegenden Gutachtens
zu einer Lösung zu kommen?
Außerdem möchte ich Sie fragen: Ist es nicht einfach
notwendig, zu grundsätzlich gleichen Teilen Länder und
Kommunen zu beteiligen?
D
Herr Kollege, das Betreiben
von Übertragungswegen für Mobilfunkdienstleistungen
ist an eine staatliche Erlaubnis in Form einer Lizenz ge-
knüpft. Die Lizenzvergabe ist Teil der Regulierung der Te-
lekommunikation und der Frequenzordnung und wird als
hoheitliche Aufgabe des Bundes durch die Regulierungs-
behörde in bundeseigener Verwaltung durchgeführt. Die
Lizenzerteilung erfolgt gemäß § 16 Abs. 1 Telekommuni-
kationsgesetz gegen Gebühr. Im Falle einer Beschränkung
der Anzahl der Lizenzen, wie bei den UMTS-Lizenzen
gegeben, kann die Vergabe in einem Versteigerungsver-
fahren erfolgen. Gebühren nach § 16 Abs. 1 Telekommu-
nikationsgesetz werden nur insoweit erhoben, als die
Kosten den Versteigerungserlös übersteigen. Die Erlöse
stehen der staatlichen Ebene zu, die die Verwaltungskom-
petenz für die Regulierung der Telekommunikations-
dienstleistungen besitzt. Die Verwaltungskompetenz für
diesen Aufgabenbereich besitzt gemäß Art. 87 f Abs. 2
Satz 2 des Grundgesetzes der Bund.
Auch aus der Deckungsquotenrechnung ergibt sich
kein gesonderter Anspruch der Länder. Bei den Einnah-
men aus der UMTS-Versteigerung handelt es sich unter
anderem aufgrund ihres singulären Charakters nicht um
laufende Einnahmen im Sinne des Art. 106 Abs. 3 Grund-
gesetz. Die Umsatzsteuerverteilung dient außerdem nicht
einer jährlichen kurzfristigen Spitzabrechnung, sondern
korrigiert dauerhaft unterschiedliche Finanzentwicklun-
gen zwischen Bund und Ländern. Seit 1995 besteht eine
dauerhafte Schieflage zulasten des Bundes, die die Län-
der allerdings nie zum Anlass genommen haben, eine Um-
satzsteuerneuverteilung zugunsten des Bundes in Erwä-
gung zu ziehen.
Auch wenn das von den drei genannten Ländern in
Auftrag gegebene Gutachten zu anderen Ergebnissen
kommt – ich sagte Ihnen, dass wir noch nicht die Gele-
genheit hatten, das Gutachten abschließend zu prüfen –,
ist aus Sicht des Bundes keinerlei Eile geboten; denn so-
fern diese drei Länder klagen wollen, sind sie an diese
Frist gebunden, wir allerdings nicht. Wir würden einer
Klage mit Gelassenheit entgegensehen.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretä-
rin, sehen Sie es nicht doch, im Sinne der Herbeiführung
eines Konsenses beim Länderfinanzausgleich – daran
muss ja dem Bund besonders gelegen sein –, für notwen-
dig an, dass die Länder und Kommunen für die Steuer-
ausfälle, die sie aufgrund der Vergabe der UMTS-Lizen-
zen zu verzeichnen haben werden, einen gewissen fairen
Ausgleich erhalten? Diese Steuerausfälle entstehen da-
durch, dass die Lizenznehmer die Kosten für die Lizenzen
als Betriebskosten abschreiben können. Sollte im Sinne
eines Interessenausgleiches nicht dafür gesorgt werden,
dass dieses insbesondere bei Ländern und Kommunen
nicht in dieser Weise negativ zu Buche schlägt?
D
In der Tat können die Er-
werber der UMTS-Lizenzen die Kosten, die für deren Er-
werb angefallen sind, über einen Zeitraum von 20 Jahren
zu gleichen Teilen abschreiben. Die in Ihrer Frage enthal-
tene Unterstellung, dass dies dauerhaft zu Mindereinnah-
men führen würde, muss ich zurückweisen. Sie legen hier
eine sehr statische Betrachtungsweise an den Tag. Damit
dauerhafte Einnahmeausfälle des Staates entstehen,
müsste ja eine dauerhafte Minderung der Gewinne eintre-
ten, was ja die Ersteigerung von UMTS-Lizenzen völlig
sinnlos machen würde. Die Unternehmen haben die
UMTS-Lizenzen natürlich nur deswegen erworben, weil
sie hierdurch mittel- und langfristig eine Steigerung ihrer
Gewinne erwarten. Sonst hätten sie aus ökonomischer
Sicht nicht sinnvoll gehandelt. Insofern kann ich diese sta-
tische Betrachtungsweise nicht akzeptieren.
Ich rufe die
Frage 30 des Kollegen Michelbach auf:
Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus dem Urteil desBundesfinanzhofes, in dem die Begrenzung des Vorsteuerabzugsauf 50 v. H. für privat mitgenutzte Firmenwagen in Zweifel gezo-gen wurde, und wird die Bundesregierung vor einem Urteil desEuropäischen Gerichtshofes kurzfristig eine gesetzliche Regelungerwirken, die den vollen oder anteiligen Vorsteuerabzug zulässt?
D
Die von der Bundesre-gierung in der Antwort auf die schriftliche Frage
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters14481
Nummer 230 für den Monat August 2000 vertretene Auf-fassung zur EU-rechtlichen Absicherung der Beschrän-kung des Vorsteuerabzuges für gemischt genutzte Fahr-zeuge bleibt unverändert bestehen. Die Bundesregierunghält im Übrigen im Einvernehmen mit den obersten Fi-nanzbehörden der Länder an den entsprechenden Vor-schriften fest.Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs überdie in dem Vorlagebeschluss aufgeworfenen Fragen zurGültigkeit der rückwirkenden Ratsermächtigung für dieBundesrepublik Deutschland zum Erlass des § 15 Abs. 1 bUmsatzsteuergesetz bleibt abzuwarten.
Eine Zu-
satzfrage? – Bitte.
Frau Staatssekretä-
rin, sehen Sie denn überhaupt noch eine Basis für den
Steuerzahler, Ihrer Steuerpolitik zu vertrauen, wenn ent-
sprechende Regelungen immer wieder durch höchste Ge-
richte, wie hier durch den Bundesfinanzhof, aufgehoben
werden? Haben Sie nicht die Begründung verinnerlicht,
dass mit der Pauschale, die auch bei geringer privater Nut-
zung einen 50-prozentigen Abzug vorsieht, die Verhält-
nismäßigkeit in Bezug auf den Steuerzahler weit über-
schritten ist? Vor allem bitte ich Sie, mir die Frage zu
beantworten, warum dies rückwirkend gelten soll, ob-
wohl der Europäische Rat dies erst rund ein Jahr, nachdem
Sie mit dem Steuerentlastungsgesetz eine entsprechende
Regelung getroffen haben, die am 1. April 1999 in Kraft
getreten ist, genehmigt hat.
D
Herr Kollege, meiner An-
sicht nach entsteht kein Vertrauensschaden dadurch, dass
höchste Gerichte zu Rechtsauslegungen kommen, die der
Gesetzgeber so zunächst nicht gesehen hat. Aufgrund der
Gewaltenteilung kann es durchaus sein, dass Gerichte zu
anderen Auffassungen gelangen als der Gesetzgeber. Wel-
che Wirkungen solche Gerichtsentscheidungen haben, ist
vom jeweiligen Einzelfall abhängig. Nicht jedes Urteil ist
unmittelbar geltendes Recht.
In diesem Fall hat der BFH einen Vorlagebeschluss ge-
genüber dem Europäischen Gerichtshof gemacht, in dem
er lediglich Zweifel – das ist also sehr vorsichtig formu-
liert – an der Vereinbarkeit der Ratsentscheidung mit dem
Gemeinschaftsrecht geäußert hat, weil dem deutschen
Gesetzgeber durch die Ratsentscheidung eine rückwir-
kende Genehmigung gegeben worden ist. Daran, wie ge-
sagt, bestehen Zweifel. Der BFH hat in diesem Zusam-
menhang überhaupt nicht von Unverhältnismäßigkeit
gesprochen, die Sie in Ihrer Frage thematisiert haben;
vielmehr geht es lediglich um den Zeitpunkt der Ratsent-
scheidung.
Eine weitere
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretä-
rin, widerspricht es nicht auch Ihrem Empfinden für eine
gerechte und einfache Steuerpolitik, wenn selbst bei einer
sehr geringen privaten PKW-Nutzung pauschal 50 Pro-
zent Vorsteuerabzug gestrichen werden, also eine sehr tief
greifende Pauschale erhoben wird, die 50 Prozent aus-
schließt? Führt dies letzten Endes nicht von vornherein zu
einem Unverständnis beim Steuerzahler und wird dadurch
das Gerechtigkeitsempfinden nicht mit Füßen getreten?
D
Herr Kollege Michelbach,
Sie unterstellen in Ihrer Frage, dass der Ausschluss der
50-prozentigen Abzugsfähigkeit in jedem Falle gilt. Dies
ist jedoch nicht der Fall; vielmehr haben wir festgelegt
– ich sage das einmal aus dem Kopf –, dass eine sehr ge-
ringe private Nutzung gleichwohl zu einer hundertpro-
zentigen Abzugsfähigkeit führen kann und umgekehrt.
Ich will einmal ein Beispiel für eine sehr geringe private
Nutzung anführen: Angenommen, ein Taxifahrer fährt mit
seinem ihm selbst gehörenden Taxi von seiner Wohnung
zum Halteplatz, von wo aus er zum ersten Mal Taxifahr-
ten unternimmt. Er kann auch in Zukunft 100 Prozent gel-
tend machen, obwohl er in geringfügigem Umfang eine
private Nutzung hatte, da er erst die Fahrt von der Woh-
nung zur Arbeitsstätte unternommen hat. Das, was Sie un-
terstellt haben, ist also nicht richtig.
Im Übrigen – das ist fast eine rechtsphilosophische
Frage – birgt jede Grenzziehung, jede Pauschalisierung
eine Ungerechtigkeit in sich. Auf andere Weise aber sind
Pauschalisierungen und Grenzziehungen nicht möglich.
Ich danke
Ihnen, Frau Staatssekretärin.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
der Verteidigung auf. Frau Parlamentarische Staatssekre-
tärin Brigitte Schulte wird die Fragen beantworten.
Zunächst rufe ich die Frage 31 des Kollegen Hartmut
Koschyk auf:
Plant der Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping,dass die drastische Reduzierung des Bundeswehrstandortes Bay-reuth um das II./LwAusbRgt 3 durch Verlegung an den Regi-mentssitz nach Roth oder durch Auflösung des Bataillons erfolgensoll, und warum sieht er nicht die Auflösung eines der ebenfallszum Luftwaffenregiment 3 gehörenden Luftwaffenausbildungs-bataillone in Germersheim, Rheinland-Pfalz, oder Mengen, Ba-den-Württemberg, vor?
B
Herr Kollege Koschyk, auf-grund der künftig geringeren Personalumfänge für dieLuftwaffe wird die Zahl der Wehrpflichtigen von derzeit20 269 auf künftig 10 700 reduziert werden. Deshalb wirdauch die Luftwaffe einen geringeren Bedarf an Ausbil-dungsplätzen im Rahmen der Grundausbildung haben.Deshalb musste zumindest erst einmal eines der acht Luft-waffenausbildungsbataillone aufgelöst werden.Die Absicht, das zweite Luftwaffenausbildungsregi-ment 3 in Bayreuth aufzulösen, wurde nach einem umfas-senden Vergleich aller acht Grundausbildungsstandorteder Luftwaffe entwickelt. Grundlage für die Auswahl warnatürlich der vom Bundesminister der Verteidigung,Rudolf Scharping, vorgegebene Kriterienkatalog zurStationierung.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks14482
Die Luftwaffe plant keine Verlegung des Bataillonsnach Roth. Vielmehr plant sie aufgrund der gesunkenenZahl der Wehrpflichtigen dessen Auflösung. Dies schließtallerdings nicht aus, dass im Zusammenhang mit derPersonalsteuerungsmaßnahme einzelne Zeit- und Berufs-soldaten später von Bayreuth nach Roth versetzt werden,um dort ihren Dienst zu leisten.
Eine Zu-
satzfrage.
Frau Staatssekretä-
rin, kann denn die vom Bundesverteidigungsministerium
vorgesehene Auflösung des Ausbildungsbataillons in
Bayreuth nicht auch damit zusammenhängen, dass der
Standort Roth, an dem das zuständige Regiment sitzt,
durch die Ausgliederung der Sanitätstruppe ein Sanitäts-
ausbildungsbataillon verliert und dass für das nicht mehr
in Roth stationierte Sanitätsausbildungsbataillon des
Regimentes das Bayreuther Bataillon, auch wenn es vor-
her aufgelöst werden sollte, in einer anderen organisatori-
schen Form in Roth wieder aufgebaut werden soll? Die
für diesen Wahlkreis zuständige Kollegin Wohlleben hat
daher davon gesprochen, dass es in Roth einen Zuwachs
durch das in Bayreuth aufzulösende Bataillon geben soll.
B
Sie haben mich nach dem
Luftwaffenausbildungsregiment gefragt. Ich kann Ihre
Frage gut verstehen, Herr Kollege Koschyk. Es gibt viele
betroffene Kolleginnen und Kollegen, in deren Wahlkrei-
sen Standorte reduziert oder aufgelöst werden sollen. Klar
ist aber – ich habe mir die aktuellen Zahlen herausge-
sucht –: Die Zahl von 20 269 zur Luftwaffe einberufenen
Wehrpflichtigen – nicht alle sind zur gleichen Zeit in der
Ausbildung; viele leisten natürlich schon in den Verbän-
den ihren Dienst – wird auf rund 10 000 halbiert. Diese
Zahl der Einberufungen bedingt natürlich, dass wir nicht
mehr so viele Ausbildungsplätze brauchen. Da Roth und
Bayreuth nur 80 Kilometer von einander entfernt sind,
gab es die Entscheidung, einen der Standorte zu schließen.
Ich habe erfahren, dass aus wirtschaftlicher und infra-
struktureller Sicht Roth eindeutige Vorteile hat und des-
wegen die Liegenschaft dort weiter genutzt wird. Das ist
für einen Bayreuther Kollegen sicherlich keine befriedi-
gende Antwort. Aber diese Antwort ist sachlich begründet
und Sachargumente sollten wir in der Diskussion beden-
ken.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretä-
rin, Sie haben mehrfach ausgeführt, dass die Luftwaffe im
Bereich der Ausbildung Konzentrationen vornehmen
will. Der Inspekteur der Luftwaffe hat in dem Tagesbefehl
nach Bekanntgabe der Feinsteuerung zur Stationierung
gesagt, dass dafür ein Bataillon – in diesem Fall das Bay-
reuther Ausbildungsbataillon – aufgelöst werden solle.
Warum ist man nicht der Überlegung näher getreten,
das 4. Bataillon des Luftwaffenausbildungsregimentes in
Holzdorf aufzulösen, das nach mir zugänglichen Informa-
tionen nach Wittstock zu dem in der Öffentlichkeit
umstrittenen Übungs- und Bombenabwurfplatz der Luft-
waffe verlegt werden soll? Ist das Bayreuther Bataillon
dafür nicht das Bauernopfer? Denn ein Luftwaffenübungs-
platz ohne ein eigenes Bataillon – um das zu verhindern,
verlegt man jetzt das Bataillon von Holzdorf nach Witt-
stock – würde ja die Argumentation zur Erhaltung dieses
umstrittenen Übungsplatzes Wittstock schwächen. Kann
das nicht ein Grund für diese Entscheidung gewesen sein?
B
Herr Kollege, Sie wissen ganz
genau, dass das nicht stimmt. Wenn ich mich richtig erin-
nere, haben Sie sich in der Vergangenheit immer sehr für
Standorte im östlichen Teil Deutschlands engagiert. Sie
glauben doch nicht im Ernst, dass wir ohne besondere
Veranlassung einen ostdeutschen Standort für die Erhal-
tung von zwei bayerischen Standorten infrage stellen.
Dass in Zukunft die Wunstorfer Transportgeschwader in
Holzdorf stationiert sein werden, ist übrigens eine Ent-
scheidung der alten Regierung, die ich zwar bedauert
habe, aber nachvollziehen konnte.
Herr Koschyk, ich muss Ihnen sagen, dass Ihr Vor-
schlag, ein Ausbildungsregiment im Osten aufzulösen, ei-
nen faden Beigeschmack hat.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Friedrich.
Frau Staatsse-
kretärin, die Besonderheit des Luftwaffenausbildungs-
regimentes 3 in Roth ist ja, dass es mit insgesamt vier Ba-
taillonen auf drei Bundesländer verstreut ist. Wenn es
denn schon Sinn macht, bei der Dislozierung eines Regi-
mentes ein Bataillon aufzulösen, dann sollte es
– davon bin ich immer ausgegangen – das Bataillon sein,
das am weitesten vom Regimentssitz entfernt ist, weil es
von der Führung und den sonstigen Bedingungen her am
schwierigsten zu steuern ist. Wie erklären Sie einem ver-
nünftig nachrechnenden Menschen, dass nun ausgerech-
net die beiden Standorte, die vom Regimentssitz in Roth
fast dreimal so weit wie Bayreuth entfernt sind, nämlich
Germersheim und Mengen, bestehen bleiben, während
der am nächsten am Regimentssitz Roth liegende Stand-
ort, nämlich Bayreuth, also der Standort, der vom Regi-
mentssitz aus am einfachsten zu steuern ist, aufgelöst
wird?
B
Offensichtlich ist Ihnen nichtbewusst, was in den Bataillonen stattfindet.
Es ist sehr bezeichnend, was die Kollegen zum Teil in derÖffentlichkeit sagen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001
Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte14483
In diesen Ausbildungsbataillonen werden die jungenWehrpflichtigen in den ersten drei Monaten – so wird eszumindest in Zukunft wieder sein; das ist eine unsererÜberlegungen – zusammengefügt. Das macht die Luft-waffe in meinen Augen sehr gut. Es ist zugegebener-maßen ein für einen Bayern verständliches Interesse, dieStandorte in der Fläche zu schließen und den StandortBayreuth zu belassen. Aber es ist selbstverständlich, dasswir möglichst die Fläche abdecken. Insoweit halte ich dieEntscheidung zwar für bedauerlich für Bayreuth – daswill ich überhaupt nicht bestreiten; so empfinde ich beider Schließung jedes Standortes –, aber in der Sache fürkorrekt. Ich glaube, dass wir sie mit gutem Gewissen ver-antworten können.
Herr Kollege von
Klaeden hat eine Frage.
Frau Staatssekre-
tärin, mir liegt hier ein Brief der Kollegin Sylvia Voß, Mit-
glied von Bündnis 90/Die Grünen, vor, in dem sie sich wie
folgt zu dem Standort Wittstock äußert. Ich möchte zwei
Absätze aus dem Schreiben zitieren. Das erste Zitat ist der
zweite Absatz:
Ehrlicherweise müsste das Verteidigungsministe-
rium eine vierte Kategorie von Standorten angeben,
nämlich die „aufzubauenden Standorte“.
In Wittstock jedenfalls müssen nach Angaben der
Bundeswehr erst 500 Mio. DM investiert werden,
um ein Luftwaffenausbildungsbataillon von 1200 Sol-
daten in
Wittstock funktionsfähig stationieren zu können.
Als Zweites möchte ich den vorletzten Absatz dieses
Schreibens zitieren:
Die Landesregierung Brandenburg, der Landrat der
Region, diverse Gemeinden, bundesdeutsche Frie-
densinitiativen u. v. m. setzen sich für eine zivile
Nutzung des durch Besatzungsrecht
geschaffenen Bombenabwurfplatzes ein. Sollte der
Flugbetrieb wieder aufgenommen werden, würde es
sich um eine erhebliche Beeinträchtigung einer der
schönsten Ferienregionen Deutschlands handeln.
Wenn solche Kritik aus der Koalition kommt, frage ich
mich, ob die Entscheidung für Wittstock und gegen Bay-
reuth tatsächlich sachgerecht sein kann.
B
Herr Kollege von Klaeden, es
wird mir ein besonderes Vergnügen bereiten, bei den Ant-
worten, die ich anschließend Herrn Gehrcke zu den Fra-
gen zur Nutzung des Standortes Wittstock gebe, darauf
hinzuweisen, wer die Entscheidungen sowohl hinsichtlich
der Nutzung dieses Bombenabwurfplatzes wie auch hin-
sichtlich dessen, dass dort stationiert werden soll – dass
der Standort also in der Zukunft nicht nur als Bombenab-
wurfplatz genutzt werden soll, sondern selbstverständlich
auch zur Stationierung der Truppe; denn das war natürlich
die Forderung, die die Brandenburger gestellt haben –, ge-
troffen hat. Die Entscheidungen sind im Jahre 1992 er-
folgt.
Bekanntermaßen war daran kein sozialdemokratischer Ver-
teidigungsminister beteiligt. Ob Frau Kollegin Voß
– die damals in der Opposition war, jetzt allerdings das
Vergnügen hat, einer Regierungspartei anzugehören – Zah-
len genannt hat, die nichts mit der Realität zu tun haben
– denn wir haben von 214 Millionen DM gesprochen –,
muss natürlich ebenfalls in der Zukunft überprüft werden.
Ihre Frage war also, glaube ich, nicht ganz so pfiffig.
Wir setzen diese Entscheidung um.
Ich stelle fest, dass es auf jeden Fall bei einem ost-
deutschen Standort bleibt. Dass, lieber Herr von Klaeden,
die alten Bundesländer einen Standort aufgeben müssen,
damit in den neuen Bundesländern einer erhalten werden
kann, halte ich im Sinne der deutschen Einheit, aber auch
angesichts des Aufkommens für gerechtfertigt.
– Danke.
Nun hat der Herr Kol-
lege Zumkley das Wort zu einer Zusatzfrage. Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin, können
Sie bestätigen, dass neben den von Ihnen bereits genann-
ten Gründen auch das Aufkommen von jungen Wehr-
pflichtigen und jungen Soldaten eine Rolle spielt und dass
es deswegen richtig ist, die Dislozierung beispielsweise
des Luftwaffenausbildungsregimentes eben nicht zu zen-
tralisieren, sondern so vorzugehen, wie im Falle von Ger-
mersheim, Wengen und anderswo entschieden wurde?
B
Lieber Herr Kollege Zumkley,das kann ich Ihnen ausdrücklich bestätigen. Auf der an-deren Seite will ich nicht bestreiten, dass Bayern natürlichein flächenmäßig großes Land ist. Aber angesichts derEntfernungen in Bayern hätte man schon in der Vergan-genheit darüber nachdenken können, dass das zweite Ba-taillon wahrscheinlich an anderer Stelle richtiger wäre. Soist es eine gerechte Entscheidung.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001
Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte14484
Es wäre ein Bärendienst an den neuen Bundesländern,wenn wir dort ausgerechnet ein Ausbildungszentrumwegnähmen.
Nun rufe ich die Fra-
gen 32 und 33 des Kollegen Gehrcke auf, die ja schon an-
gekündigt wurden:
Hält die Bundesregierung weiterhin an einer militärischenNutzung des Boden-Luft-Schießplatzes Kyritz-Ruppiner Heidefest, auch wenn das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteilvom 14. Dezember 2000 zumindest derzeitig eine militärischeNutzung des Platzes untersagt?
Welche Gründe bewegen die Bundesregierung zu einem Fest-halten an diesem Truppenübungsplatz, der in großen Teilen derdort ansässigen Bevölkerung auf Widerstand stößt, wenn in ande-ren Teilen der Bundesrepublik Deutschland bestehende Standortegeschlossen werden?
Frau Staatssekretärin.
B
Sehr geehrter Herr Kollege
Gehrcke, vielleicht erinnern Sie sich, dass ich vor Weih-
nachten eine Kleine Anfrage der PDS sorgfältig beant-
wortet habe. Dennoch will ich ausdrücklich noch einmal
darauf hinweisen, dass das Bundesverwaltungsgericht am
14. Dezember entschieden hat, dass der Truppenübungs-
platz Wittstock, der auf der Grundlage des Verteidigungs-
gesetzes der DDR Volkseigentum war und den sowje-
tischen Streitkräften zu militärischen Zwecken zur
Verfügung gestellt wurde, nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 in
Verbindung mit Art. 19 des Einigungsvertrages Eigentum
des Bundes geworden ist. Damit hat das Gericht die
grundsätzliche Nutzungsbefugnis des Bundesministe-
riums, der Bundesregierung und der Bundesrepublik
Deutschland bestätigt.
Nun zu Ihrer zweiten Frage. Der Boden-Luft-Schieß-
platz Wittstock bietet aufgrund seiner Ausdehnung und
Lage in vergleichsweise dünn besiedeltem Gebiet gut ge-
eignete Ausbildungsmöglichkeiten und entlastet den
Flugbetrieb an den beiden anderen Boden-Luft-Schieß-
plätzen Siegenburg und Nordhorn. Eine Entscheidung
über die weitere militärische Nutzung des Truppen-
übungsplatzes Wittstock ist aber noch nicht getroffen
worden.
Erste Zusatzfrage,
Herr Kollege.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Staatssekretärin, ich
bestätige Ihnen natürlich gerne, dass Sie die Kleine An-
frage korrekt, umfassend und gründlich beantwortet ha-
ben. Mit Ihren Antworten lässt sich übrigens in der Öf-
fentlichkeit gut arbeiten. Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür.
Sie sind in Ihren Äußerungen sehr freimütig.
Ich habe mit großem Interesse zur Kenntnis genom-
men, dass Sie eben gesagt haben, eine endgültige Ent-
scheidung über die militärische Nutzung sei seitens der
Bundesregierung noch nicht getroffen worden. Das ist
neu. Das möchte ich ausgesprochen festgehalten wissen.
Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, dass eine neue
Bundesregierung, wenn eine vorangegangene Bundesre-
gierung möglicherweise einen Fehler gemacht hat – ich
meine, sie hat 1992 mit Sicherheit einen Fehler gemacht –,
die Aufgabe hat, solche Fehler zu korrigieren?
B
Lieber Herr Kollege Gehrcke,
Sie haben das große Glück, dass ich manchmal in der Op-
position mit der Regierung gestimmt habe. So war ich im
Gegensatz zu anderen Kolleginnen und Kollegen nicht
der Meinung, dass wir auf Wittstock verzichten sollten.
Nun geschieht genau das Gleiche, Herr Kollege
Gehrcke. Wenn wir auf der einen Seite Solidarität mit den
neuen Bundesländern einfordern und Truppen dort statio-
nieren – auch so schöne Sachen wie zum Beispiel das
Ausbildungsregiment –, dann müssen wir auf der anderen
Seite auch erwarten, dass wir auf den vorhandenen
Flächen – Wittstock ist eine vorhandene Fläche; vielleicht
geben Sie mir durch Ihre Zusatzfragen noch die Chance,
mehr Zahlen zu nennen – in vernünftiger Weise Luft-Bo-
den-Übungen durchführen können, allerdings nie und
nimmer in der Art und Form der alt-ehemaligen sowjeti-
schen Streitkräfte. Wir prüfen jetzt die rechtlichen Grund-
lagen. Etwas muss geschehen, was damals von der alten
Regierung versäumt worden ist. Es muss ein Dialog mit
den Kommunen stattfinden, die geklagt haben. Es gibt ja
zwei verschiedene Gruppen. Die einen wollen unbedingt,
dass wir dort deswegen eine Garnison mit 1 000 Mann sta-
tionieren. Die anderen möchten, dass dort Ruhe ist. Ich
kann Ihnen das gerne aufgrund Ihrer weiteren Zusatzfra-
gen noch näher erklären.
Weitere Zusatzfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe ja noch die
Chance nachzufragen.
Bitte sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Würden Sie dem Haus be-stätigen, dass die Garnison in Wittstock bislang nur inRudimenten vorhanden ist und dass auf dem Truppen-übungsplatz bislang nur Luft-Boden-Übungen stattgefun-den haben, sodass Sie gar nicht davon ausgehen können,dass Sie hier eine Garnison auflösen, da Sie eine Garnisonmit über 1 000 Soldaten erst aufbauen wollen? Ich weißnicht, wie Sie mir aus der Logik der Bundesregierung he-raus erklären wollen – Sie werden mir sicherlich ein we-nig Nachhilfeunterricht geben –, dass Sie auf der einenSeite Garnisonen schließen, auf der anderen Seite aber ge-gen den Protest großer Teile der Bevölkerung und der Ge-meinden mit einigen hundert Millionen DM Aufwandeine Garnison aufbauen.
Meine Kollegin Voß hat dazugerechnet – was ich nichtgetan habe – was die Munitionsberäumung auf dem Platz
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001
Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte14485
kostet. Dann sind Sie nämlich bei 500 Millionen DM.Dieser Logik kann ich nicht folgen. Das dann noch als So-lidarität mit Ostdeutschland zu bezeichnen, das ist derGipfel der Logik.
B
Wenn ich mich nach Ihrer
Grundhaltung richten würde, müsste ich sagen: Alle für
Wittstock vorgeplanten Übungen, alle Luft-Boden-Übun-
gen, werden wir in Siegenburg durchführen. Herr
Koschyk weiß, wo das liegt. Denn es kann ja wohl nicht
ernsthaft sein, Herr Kollege Gehrcke, dass wir der Not-
wendigkeit, mit unseren Luftfahrzeugen zu trainieren,
nicht nachkommen können. 75 Prozent des Trainings ver-
legen wir schon ins Ausland. Es ist nun einmal so, dass
Besatzungen von Flugzeugen und vor allem die von
Jagdbombern üben müssen. Denn sie sollen eine Überle-
benschance haben. Dem müssen wir nachkommen.
Jeder, der sich in dieser Sache auskennt, weiß, zu wel-
chen Belastungen das führt. Wenn Sie sich das entspre-
chende Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes anschauen,
können Sie das nachlesen. Die alte Regierung hat es ver-
säumt, bei den betroffenen Kommunen nachzufragen. Erst
dadurch ist nämlich dieses Rechtsproblem entstanden.
Herr Kollege Koschyk, glauben Sie bitte nicht, dass der
Kollege Siemann und ich der Meinung sind, dass Nord-
horn allein die Leistungen übernehmen sollte. Ich bin der
Meinung, dass weiterhin eine Nutzung des Platzes in der
Kyritz-Ruppiner Heide erfolgen sollte.
Das, was wir räumen, sind doch keine Munitionsbe-
stände der ehemaligen Bundesrepublik Deutschland. Wer
soll denn einen solchen Platz mit einer solchen Belastung
räumen, wenn nicht die Bundeswehr? Warum haben wir
das wohl auch in Sachsen-Anhalt getan? Das war keine
besonders intelligente Frage von Ihnen.
Ich kann nachempfinden, dass es die Gemeinden gut
finden, wenn wir dort Auszubildende und Luftwaffen-
strukturen hinverlegen. Denn obwohl einige Gemeinden
dagegen geklagt haben, ist die Mehrzahl für einen Auf-
wuchs der Bundeswehr in Wittstock.
Herr Gehrcke, Sie ha-
ben jetzt noch zwei Zusatzfragen. Bitte sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Staatssekretärin, es
steht mir nicht zu, Bemerkungen zu machen. Ich habe es
als sehr charmant empfunden, wie Sie geantwortet haben.
Aber angesichts Ihrer Antwort habe ich auch den Ein-
druck, dass ich mit meiner Zusatzfrage ein wenig den
Nerv getroffen habe.
Zur Sache selbst: Sie irren sich, wenn Sie sagen, dass
es nur um Nachfragen bei den Gemeinden geht. Im dies-
bezüglichen Urteil steht, dass mit den Gemeinden ein
reguläres Anhörungsverfahren durchzuführen ist. Das ist
etwas anderes, als nur nachzufragen, ob sie eine militäri-
sche Nutzung wollen oder ob sie sie nicht wollen. Ein sol-
ches reguläres Anhörungsverfahren erfordert geraume
Zeit, in der Sie diesen Platz nicht militärisch nutzen dür-
fen. Daran geht erst einmal kein Weg vorbei. Würden Sie
zumindest das bestätigen, auch wenn Ihnen diese Frage
möglicherweise ebenfalls nicht als intelligent erscheint?
B
Ich teile Ihre Meinung. Auch
ich bin der Auffassung, dass wir bei den Gemeinden nach-
fragen müssen. Aber es gibt da einen Punkt, den auch Sie,
Herr Gehrcke, wissen, nämlich dass bei der Übertragung
dieses Platzes ein paar Fehler bei der Wegemarkierung er-
folgt sind, die die Oberfinanzdirektion in Cottbus mögli-
cherweise in Ordnung bringen kann. Dann sieht bei den
Kommunen das Mitspracherecht anders aus.
Dennoch bin ich folgender Meinung: Wenn man eine
so weit reichende Einrichtung wie einen Abwurfplatz
plant – wir arbeiten dort zwar nicht mit scharfer Munition,
was daher zu relativ geringem Lärm führt; aber die Flug-
zeuge machen natürlich Lärm –, dann muss man die Ge-
meinden ordnungsgemäß anhören. Das ist 1992 versäumt
worden, ganz zu schweigen davon, dass dies in der ehe-
maligen DDR gar nicht stattgefunden hat. Dass wir die
Gemeinden anhören müssen, will ich Ihnen ausdrücklich
dezidieren. Dass wir jetzt diesem Rechtsanspruch nach-
kommen, hat die neue Bundesregierung geregelt. Ich
glaube, dass wir hier zu einem vernünftigen Ergebnis
kommen werden.
Nun hat der Kollege
Gehrcke noch eine Zusatzfrage. Bitte sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist meine letzte
Frage. – Ich möchte festhalten, dass das nicht die neue
Bundesregierung geregelt hat, sondern dass das Bundes-
verwaltungsgericht das in einem Urteil festgestellt hat,
und zwar in einem Verfahren, in dem die Bundesregierung
in Revision gegen ein Urteil des Oberverwaltungsgerich-
tes Brandenburg gegangen ist. Das macht schon einen
kleinen Unterschied. Vorhin haben wir über Sache und
Sachkunde geredet.
Würden Sie mir noch eine Antwort zur militärischen
Seite geben? Diese sprechen Sie an und wissen, dass wir
dazu sehr gegensätzliche und nicht zu vereinbarende
Standpunkte haben. Könnte es sein, dass dieser Platz in
der militärischen Planung bezüglich der Krisenreaktions-
kräfte der Bundeswehr gerade bei der Übung von Luft-
Boden-Einsätzen einen so zentralen Platz einnimmt, dass
die Bundeswehr aus diesem Grund nicht auf ihn verzich-
ten will?
B
Nein, das trifft auch für den an-deren Standort zu. Wir wollten eigentlich nur eine gleich-mäßigere Verteilung vornehmen. Wir haben sie in deralten Bundesrepublik in der Vergangenheit mit Siegen-burg und Nordhorn durchgeführt. Wir haben diese Um-verteilung damals ungleich stärker durch die Partner-staaten belastet vorgenommen. Sie wissen, dass Nordhorn
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001
Wolfgang Gehrcke14486
lange von den Engländern genutzt wurde und erst jetzt andie Bundesrepublik Deutschland, damit an die Bundes-wehr, abgegeben wird.Ich halte das einfach für eine gerechtere Verteilung, zu-mal die optimalen Bedingungen bezüglich Entfernungund Anflug gegeben sind. Damit verbunden sind die Be-lastungen der Bevölkerung durch anfliegende Kampf-flugzeuge auf diesem Standort relativ gering. Man kanndie Menschen, Herr Gehrcke, wegen der Munitionsrestenoch nicht auf den Truppenübungsplatz lassen. Daherkann ich nicht verstehen, dass Sie das nicht nachvollzie-hen wollen.
Nun hat der Kollege
Goldmann eine Zusatzfrage. Bitte sehr.
Frau Staatssekre-
tärin, kann ich Ihren Antworten zum Komplex Wittstock
– so will ich es vereinfachen – und den damit verbunde-
nen Problemstellungen entnehmen, dass der Bombenab-
wurfplatz Nordhorn-Range noch lange benutzt werden
muss? Halten Sie es vor diesem Hintergrund nicht für eine
besondere Härte für die Bevölkerung in der Region, dass
der Standort Lingen im Grunde genommen geschlossen
wird? Er wird zwar als bestehend weitergeführt, aber im
Kern ist ein Abbau von 755 auf 30 Plätze mit einer an-
schließenden Privatisierung eine Schließung.
Ist es nicht Augenwischerei, dass man, damit die Be-
völkerung in Lingen weiterhin den Bombenabwurfplatz
Nordhorn-Range akzeptiert, so tut, als ob man den Stand-
ort Lingen bei zukünftigen Planungen doch noch ernsthaft
in Betracht zöge?
B
Wenn Sie ein wenig über den
Tellerrand schauen, werden Sie bemerken, dass im Land-
kreis Emsland noch ein zweiter Standort betroffen ist, der
sogar ganz aufgelöst wird: Werlte. Insofern ist das in der
Tat schwierig. Ich gehe davon aus, dass wir eine vernünf-
tige Aufgabenteilung in der Bundesrepublik finden wer-
den. Wir sind uns aber darüber einig, dass wir Standorte
nicht mehr erhalten können, an denen sich Truppenteile
befinden, deren Aufgaben zukünftig entfallen.
Da wir aufgrund der veränderten Bedrohungslage ge-
rade im Transportbereich vieles nicht mehr wie bisher
selbst machen müssen, kommt diese Problematik auf uns
zu. Genauso wird die Logistik eine andere Aufgabe als
früher wahrnehmen. Dazu gehören leider die zwei Ein-
richtungen, die im schönen Landkreis Emsland liegen.
Ich habe großes Verständnis für die Bevölkerung.
– Ich kann Ihnen nur sagen: Wir werden sehen, was mit
Lingen passieren wird. Die Logistikbrigade soll aufgelöst
werden, aber der Standort erhalten bleiben. Lassen Sie uns
doch erst einmal in Ruhe die Feinausplanung fortsetzen.
Das war eine weitere
halbe Zusatzfrage des Kollegen Goldmann und eine halbe
Antwort der Frau Staatssekretärin.
Ich rufe die Frage 34 der Abgeordneten Angelika
Volquartz auf:
Welche Gründe waren ausschlaggebend für die Bundesregie-rung, den Sitz der Wehrbereichsverwaltung I nach Hannover zuverlegen, und welche Gründe sprachen nach Ansicht der Bundes-regierung im Rahmen der Entscheidungsfindung gegen einen Ver-bleib des Sitzes dieser Behörde in Kiel?
Frau Staatssekretärin, bitte.
B
Frau Präsidentin! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Volquartz, bei
der Entscheidung zur Zusammenführung der Wehrbe-
reichsverwaltungen I und II in Hannover wurden funktio-
nale, personelle und infrastrukturelle Gesichtspunkte ge-
genübergestellt und bewertet. Für Hannover als Sitz der
künftigen Wehrbereichsverwaltung sprechen unter ande-
rem eine geeignetere Infrastruktur. Zu berücksichtigen ist
die günstigere Verkehrsanbindung Hannovers gegenüber
Kiel und die Tatsache, dass in Hannover im Gegensatz zu
Kiel eine modernere Liegenschaft vorhanden ist, die auch
noch zusätzliche Mitarbeiter aufnehmen kann.
Hinzu kommt, dass bei der Stationierung der höheren
Kommandobehörden und Dienststellen auf eine ausge-
wogene Verteilung geachtet wurde, sodass Kiel in Zu-
kunft auch Sitz eines Wehrbereichskommandos bleibt,
während es Hannover nicht mehr sein wird.
Zusatzfrage, Frau
Kollegin, bitte sehr.
Frau Staatssekretä-rin, dies steht in einem krassen Widerspruch zu einer Aus-sage, die Sie vor einem Jahr, am 19. Januar, hier in diesemRaum gemacht haben, fünf Wochen vor der Landtagswahlin Schleswig-Hostein. Damals haben Sie gesagt, dass Siewüssten, dass Unruhe in den Wehrbereichsverwaltungenherrsche, „aber es gibt keinerlei Absichten, die Wehrbe-reichsverwaltungen in Kiel und Hannover zusammenzu-legen“. Auf meine Frage: „Kann ich daraus schließen,dass der Bundeskanzler der gleichen Meinung ist wie derVerteidigungsminister?“ führten Sie aus:Wir haben das, was Sie vermuten, auch nicht vor;denn unsere Vorstellung ist nicht, dass es sinnvoll ist,die Wehrbereichsverwaltungen zu zentrieren. Siewissen ja selbst, wie groß der Wehrbereich I ist, derMecklenburg-Vorpommern, Hamburg und dasflächenmäßig große Schleswig-Holstein umfasst,und Sie wissen auch, wie groß Niedersachsen undBremen sind.Ich überspringe und zitiere dann weiter:Aber es gibt keinerlei Absichten hinsichtlich einerZusammenlegung dieser beiden Wehrbereichsver-waltungen. Deshalb kann der Bundeskanzler garnicht davon sprechen.Wie stehen Sie zu dieser klaren Aussage?
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001
Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte14487
In einer weiteren Ausführung zu meinen Fragen, wasden Standort Kiel anbetrifft, haben Sie auf die Arbeit derKommission hingewiesen. In diesem Zusammenhang ha-ben Sie nicht auf die Arbeit der Kommission hingewiesen.Erlauben Sie mir die Feststellung, dass Ihre Gründe, dieSie eben angeführt haben, überhaupt nicht stichhaltigsind. Das ist Ihnen auch bekannt. Nun meine Frage: Wiestehen Sie zu dieser Aussage, die Sie vor einem Jahr ge-macht haben – wie gesagt, fünf Wochen vor der Land-tagswahl in Schleswig-Holstein –, und zu dem Kaufkraft-verlust von 60 Millionen DM, der infolge des Abbauesvon 900 Dienststellen eintritt?B
Frau Volquartz, zu diesem
Zeitpunkt waren wir ernsthaft der Meinung, dass man auf
eine Zusammenlegung der Wehrbereiche verzichten
könne. Wir hatten aber schon lange das Gutachten des
Bundesrechnungshofes – das Sie und ich vielleicht nicht
im Auge haben – der zum Beispiel für die Zusammenle-
gung der Wehrbereichsverwaltungen von Stuttgart und
München plädierte. Bei der Überlegung, zwei Länder in
diesem Bereich zusammenzulegen, blieb natürlich ganz
klar die Erkenntnis, dass das dann auch für andere gilt.
Aber, Frau Volquartz, Ihre Frage gibt mir auch die
Möglichkeit – ich hätte diesen Punkt sonst im Zusam-
menhang mit der nächsten Frage beantwortet –, zu sagen,
dass wir ja nicht alles in Hannover zentrieren wollen. Wir
sind auch noch nicht so weit, dass wir alle einzelnen Or-
ganisationsbereiche fertig haben. Wir werden nur – wenn
Sie wollen – den Kopf statt zweimal einmal besetzen, das
heißt, was die Führung im Präsidialbereich und was be-
stimmte Aufgabenbereiche betrifft. Aber viele Aufgaben
sollten zunächst in der Zukunft ausdrücklich auch von
Kiel wahrgenommen werden, auch wegen der Fläche. Das
Gleiche gilt übrigens auch für München und Stuttgart, wie
Sie feststellen werden, wenn Sie sich einmal die Entfer-
nung ansehen. Das ist einfach das Ergebnis von Wirt-
schaftlichkeitsberechnungen. Wir kommen nicht ganz da-
ran vorbei, wenn der Rechnungshof solche Empfehlungen
gibt.
Meine persönliche Vorstellung wird sein, weiterhin
noch möglichst viel zu dezentralisieren. Bei der Abwä-
gung einer Zusammenlegung, hat Hannover – so viel Ver-
ständnis ich für die Argumente der Kieler habe – meiner
Meinung nach heute das Prä.
Ich entnehme jetzt
aus der Beantwortung, dass Sie die Frage 35 schon beant-
worten:
Beabsichtigt die Bundesregierung für den Fall, dass sie sichendgültig für Hannover als Sitz der Wehrbereichsverwaltung Ientscheidet, den dauerhaften Erhalt der 550 Dienststellen bei demin Kiel verbleibenden Teil der Wehrbereichsverwaltung I, undwelche Pläne verfolgt die Bundesregierung in Bezug auf das Ar-senal in Kiel?
Dann haben Sie noch drei Zusatzfragen. Bitte sehr,
Frau Kollegin.
Frau Staatssekretä-
rin, Sie gestatten erneut, dass ich Ihre Erinnerung bemühe.
Der Hinweis auf den Bundesrechnungshof hat in meiner
Fragestellung und in Ihrer Antwort schon eine Rolle ge-
spielt. Wir sind uns dieser Diskussion durchaus bewusst
gewesen. Trotz der Kenntnis der Diskussion im Bundes-
rechnungshof haben Sie darauf hingewiesen: Es gibt kei-
nerlei Pläne. Das muss ich hier noch einmal feststellen.
Wie erklären Sie, dass Sie jetzt darauf hinweisen, dass wir
diese Kenntnisse nicht hatten, die doch damals schon be-
wusst waren, auch in meiner Frage bzw. in Ihrer Antwort-
gebung?
Eine weitere Zusatzfrage zu dem Punkt, den Sie gerade
angesprochen haben, was das Belassen von 550 Dienst-
posten in Kiel betrifft. Uns ist mitgeteilt worden – viel-
leicht können Sie das ja dementieren –, dass diese 550
Dienstposten mit kw-Vermerken versehen sind und dass
wir eigentlich nur davon auszugehen haben, dass es sich
um ein vorübergehendes Verbleiben in Kiel handeln
sollte.
In der letzten Woche haben wir in Kiel mit der Minis-
terpräsidentin des Landes Schleswig-Holstein und Vertre-
tern der kommunalen Ebenen eine Gesprächsrunde ge-
führt. Wir waren uns einig, dass unsere Interpretation,
dass diese Dienstposten nur vorübergehend sind, nicht
verkehrt ist. Wenn Sie jetzt sagen, das sei falsch und die
Dienstposten sollen in der Anzahl, die ich eben genannt
habe, weiterhin in Kiel bleiben, würde ich Sie bitten, uns
zu sagen, wie die Perspektive von der Jahreszahl her aus-
sieht und ob die kw-Vermerke tatsächlich nicht vorhanden
sind.
Frau Kollegin, Sie ha-
ben jetzt so viele Fragen gestellt, dass ich Sie bitte, damit
einverstanden zu sein, dass die Frau Staatssekretärin diese
noch beantwortet, Sie darüber hinaus aber keine weiteren
Fragen mehr stellen dürfen. Frau Staatssekretärin, Sie
dürfen jetzt antworten.
B
Aber gern, Frau Präsidentin.Frau Kollegin Volquartz, Sie haben mit Recht auf dieKommission hingewiesen, die damals ihren Bericht nochnicht abgeschlossen hatte, gerade was die zivile Verwal-tung betrifft. Damals – erinnern Sie sich – war von derKommission, die Herr von Weizsäcker geleitet hat, einBundeswehrumfang von 240 000 empfohlen worden.Dies hätte eine noch weiter gehende erhebliche Reduzie-rung von Standorten, Standortverwaltungen und Wehrbe-reichsverwaltungen bedeutet.Weil wir mit Ihnen, der Union, bei der Wehrpflichtbleiben wollen, wollen wir einen Umfang der Bundes-wehr von 285 000 Soldaten behalten. Wir haben zurzeit310 000.
– Darüber, dass Sie sagen, dass ein Umfang von 285 000Soldaten nichts mit der Wehrpflicht zu tun hat, bin ich er-staunt.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001
Angelika Volquartz14488
Dies setzt aber voraus, dass sich anschließend die zivileVerwaltung daran orientiert, wo die Truppe ist.Sie stimmen sicher darin mit mir überein, dass Schles-wig-Holstein auch in Zukunft ein nicht ganz unbedeuten-der Standort bleiben wird. Das liegt natürlich auch an derTatsache, dass dort Luftwaffe, Heer und Marine statio-niert bleiben. Deshalb gehe ich davon aus – das ist meineauf den heutigen Kenntnissen beruhende Vorstellung –,dass es sinnvoll ist, auch weiterhin bestimmte Dinge de-zentral zu leisten. Wie aber in Zukunft die Aufgabentei-lung im Einzelnen sein wird, was zum Beispiel von denWehrbereichsverwaltungen, was von den Standortverwal-tungen bearbeitet wird, wo wir möglicherweise Truppen-und Standortverwaltung zusammenfügen, wie wir Stand-ortverwaltung neu definieren – so weit sind wir nochnicht.
– Wir müssen bei den Soldaten anfangen. Das ist wohlklar. Wir werden sehen, ob es uns gelingt, diese Zahlen zuhalten. Wir haben bekanntermaßen von Ihnen schon einDefizit an Zeit- und Berufssoldaten übernommen
– das wissen Sie ganz genau –, das aufgrund der gutenKonjunktur nicht gerade geringer wird. Alles, was wir beider zivilen Verwaltung tun, hat sich daran zu orientieren,was die Soldaten leisten. Wo sie es leisten und was mög-licherweise in Zukunft zivile Mitarbeiter übernehmenkönnen – so weit sind wir noch nicht.
Nun kommt die Frage
36 des Abgeordneten Dr. Müller:
Welche Gründe sind für die Bundesregierung ausschlagge-
bend, die angekündigte Verlegung der Schule für Feldjäger und
Stabsdienste Sonthofen nach Hannover durchzusetzen?
Wenn ich es richtig sehe, empfiehlt es sich, diese Frage
zusammen mit der nächsten Frage zu beantworten. Sind
Sie damit einverstanden? – Dann rufe ich auch die Frage
37 des Abgeordneten Dr. Gerd Müller auf:
Wie lässt sich die Verlegung der Schule für Feldjäger aus ei-
ner strukturschwachen, ländlichen Region nach Hannover in ein
boomendes wirtschaftliches Ballungszentrum mit den beschlosse-
nen Kriterien vereinbaren?
Frau Staatssekretärin, bitte.
B
Das will ich gern machen. Herr
Kollege Müller, zu Ihrer ersten Frage: Ausschlaggebend
für die Planung, die Schule für Feldjäger und Stabsdiens-
te von Sonthofen nach Hannover zu verlegen, ist die drin-
gend erforderliche Sanierung der Infrastruktur der Gene-
raloberst-Beck-Kaserne. Die Kosten dafür würden sich
auf mindestens 76 Millionen DM belaufen. Für die In-
standsetzungsdauer werden bis zu zehn Jahre veran-
schlagt. Durch laufende Baumaßnahmen würde der Aus-
bildungsbetrieb doch sehr eingeschränkt werden.
In Hannover hingegen steht aufgrund einer vorange-
gangenen Entscheidung der alten Bundesregierung die in
den 70er-Jahren gebaute ehemalige Offiziersschule des
Heeres mit geeigneter moderner Schulinfrastruktur zur
Verfügung. Zudem ist Hannover, was die zentrale Lage
betrifft, als Schulstandort natürlich günstiger. Dies hat zu
unserer Entscheidung geführt.
Zur Ergänzung und Beantwortung der zweiten Frage:
Die sehr hohen Einsparungspotenziale sowie die Möglich-
keit zur Nutzung auftragsgerechter, geeigneter Infrastruk-
tur in Hannover sind einige der Gründe für diese zentrale
Ausbildungsstätte gewesen. Im Übrigen muss ich aus-
drücklich sagen – ich bin selbst in Sonthofen gewesen –,
dass Sonthofen für mich eine attraktive Region ist, die das
Land Bayern weiterhin fördern sollte.
Erste Zusatzfrage,
Herr Kollege.
Frau Staatssekretärin,
haben Sie zur Kenntnis genommen, dass Ihnen die Bür-
germeister, der Landrat und die Abgeordneten vor Ort ein
Konzept vorgelegt haben, das dieses Investitionsvolumen
genau halbiert?
Wie begründen Sie die Entscheidung, diese Schule mit
2 500 Mann aus Sonthofen, einer strukturschwachen Re-
gion an der Peripherie, in den boomenden Ballungsraum
Hannover zu verlagern? Das widerspricht allen Kriterien,
die die Bundesregierung selber verabschiedet hat. Staats-
sekretär Kolbow hat noch im Dezember ein klares Ja zum
Standort gesagt und eine solche Verlagerung in eine
Boomregion wie Hannover ausgeschlossen.
B
Wenn ich richtig unterrichtet
bin, bleibt der Standort Sonthofen als ein Standort des
Heeres bestehen. Wenn ich das richtig sehe, bleibt die
ABC-Schule erhalten und es bleiben Teile einer Standort-
verwaltung erhalten. Das ist angesichts der Tatsache, dass
andere Regionen alles aufgeben müssen, immerhin noch
eine relativ gute Situation.
Ich habe für jede Kommune Verständnis, die in dieser
Situation sagt: Nehmt uns nicht die Bundeswehr und die
zivilen Mitarbeiter weg! Aber in der Region Sonthofen,
die ich kenne, besteht die Möglichkeit, im Fremdenver-
kehr und in anderen Bereichen etwas für die Infrastruktur
zu tun.
Herr Kollege, da ich die neuen Bundesländer sehr gut
kenne, bin ich sehr vorsichtig damit, von strukturschwa-
chen Räumen zu sprechen. Ich tue das selbst bei meiner
südniedersächsischen Heimat nicht.
Ihre zweite Zusatz-
frage.
Frau Staatssekretärin,habe ich Sie richtig verstanden, dass diese Entscheidungendgültig ist, dass keine Möglichkeit der Revidierungbleibt? Wenn dies so ist, können Sie mir mitteilen, in wel-chem Ausmaß der Bund bereit ist, in Konversionsmaß-nahmen zu investieren?
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001
Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte14489
B
Auch das will ich Ihnen gern
beantworten. Wenn ich eine andere Haushaltslage des
Bundes übernommen hätte, würde ich das mit großer
Freude tun.
Aber wegen der Europäischen Währungsunion müssen
wir uns bei der Staatsverschuldung an bestimmte Stabi-
litätskriterien halten. Wir sind doch die Leidtragenden der
Finanzpolitik der Vergangenheit.
Leise füge ich hinzu: Auch die Kommunen und die Län-
der haben sich ein Stück weit daran beteiligt. Im Moment
ist die Haushaltslage des Freistaates Bayern dank der
jahrzehntelangen Unterstützung durch andere Bundeslän-
der und den Bund günstiger als – –
– Ich lache mich doch kaputt. Ich bin zu lange im Bun-
destag, um nicht zu wissen, wie lange Sie Ergänzungs-
mittel bekommen haben. Ich war im Haushaltsausschuss.
Ich kann mich wirklich nur amüsieren. Ich freue mich
aber, was Sie daraus gemacht haben.
Noch sprechen wir mit den Landesregierungen, auch
wenn die jetzige bayerische Landesregierung den Termin
am Donnerstag erst einmal abgelehnt hat, wie wir heute
den Zeitungen entnehmen. Andere Länder haben Termine
wahrgenommen, sogar früher und in den Abendstunden.
Aber selbstverständlich werden wir alle Ihre Argumente
noch einmal aufnehmen.
Lieber Herr Dr. Müller, wir sind in der Situation, dass
wir die Bundeswehr verkleinern müssen. Wir müssen mit
dem Geld des Steuerzahlers anders umgehen. Es tut mir
wirklich sowohl für Sonthofen als auch für jeden anderen
Standort persönlich Leid. Aber wir werden nicht alles er-
halten können.
Wir werden abwägen. Aber wir haben in Hannover
diese Liegenschaft. Und über die Bezeichnung Boom-
town wollen wir einmal bei Gelegenheit reden.
Da fragen wir einmal
Herrn von Klaeden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
habe ich Sie richtig verstanden, dass diese Entscheidung
endgültig ist?
B
Nein. Ich habe Ihnen ja gesagt:
Wir reden mit den Bundesländern. Der Termin am Don-
nerstag war von Herrn Scharping angeboten worden. Ihn
hat die Landesregierung von Bayern abgelehnt. Die ande-
ren sind zum Teil da gewesen; heute hat Herr Scharping
zum Beispiel einen Termin mit dem Ministerpräsidenten
Clement. Sie alle werden ihre Sorgen und Bedenken auf
den Tisch legen.
Die Kommunen aus der ganzen Bundesrepublik treffen
sich am 14. Februar in Rheine, um ihre Besorgnisse noch
einmal darzustellen. Diese werden wir erneut aufnehmen
müssen. Aber Sie können sich doch vorstellen: Die Ent-
scheidung für einen Standort bedeutet gleichzeitig ein Vo-
tum gegen einen anderen Standort. Deswegen muss sorg-
fältig abgewogen werden.
Es ist sehr schwierig, eine solche Entscheidung zu tref-
fen. Wenn wir abwägen, was dabei herauskommt, dann
würde ich sagen: Die Mehrzahl der Entscheidungen wer-
den so bleiben, wie wir sie vorgeschlagen haben. Ob das
auch für den Standort Sonthofen zutrifft, kann ich heute
nicht abschließend beurteilen.
Die Frage 38 des Kol-
legen Hofbauer wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 39 des Abgeordneten Georg Girisch
auf:
Welche Erkenntnisse haben die Bundesregierung dazu ver-anlasst, noch am 29. Januar 2001 im nicht öffentlichen Bereich des Bundeswehrintranets weitere Auflösungen von Truppenteilenund Verringerungen an Standorten vorzustellen, obwohl im amselben Tag durch den Bundesminister der Verteidigung, RudolfScharping, vorgelegten Entwurf des Ressortkonzepts „Die Bun-deswehr der Zukunft – Feinausplanung und Stationierung” keineVerkleinerung ersichtlich war, wie es beispielsweise beim Stand-ort Weiden, für den im Ressortentwurf keine Verringerung ausge-wiesen wurde und noch am selben Tag im Intranet die Auflösungder 5. Kompanie des Nachschubbataillons 4 verbreitet wurde, ge-schehen ist?
Frau Staatssekretärin, bitte.
B
Ich schaue mir gerade die Fra-
gen 39 und 40 an.
Wollen Sie die Fra-
gen 39 und 40 zusammen beantworten?
B
Ich will einmal sehen.Herr Kollege Girisch, in dem Entwurf des Ressortkon-zepts sind Standortverkleinerungen nur dann aufgenom-men, wenn mehr als 500 Dienstposten oder mehr als dieHälfte der bisher am Standort vorhandenen Dienstpostenentfallen. Dies bedeutet aber nicht, dass alle anderen Stand-orte in jeder Hinsicht unverändert bleiben. Durch Auflö-sung der 5. Kompanie des Nachschubbataillons 4 werdendie genannten Bedingungen nicht erfüllt. Weiden wurde da-her unter den zu verbleibenden Standorten geführt.Wir haben natürlich Alternativen geprüft, ob wir zumBeispiel im Falle der 5. Kompanie des Nachschubbatail-lons 4 einen Ersatz finden können. Aber die Verlagerungvon Aufträgen der Logistiktruppen führt dazu, dass solcheVerbände aufgelöst werden. Einzelne Einheiten werdendann wiederum zur Aufstellung neuer Kräfte eingesetzt,weil wir ein streitkräfteübergreifendes Kommando schaf-fen werden. Insoweit wird darauf hingewiesen, dass dielogistische Unterstützung der Panzerbrigade 12 in der
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 200114490
Oberpfalz von den Einheiten in Roding, Regensburg undPfreimd durchgeführt werden kann.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege.
Frau Staatssekretärin,
aus welchen Strukturgründen der Bundeswehr wird dieses
Nachschubbataillon verlegt?
B
Wenn ich richtig unterrichtet
bin, wird es aufgelöst. Es werden eine ganze Reihe von
Nachschubbataillonen aufgelöst. Wir haben uns entschie-
den zur Erhöhung der Wirtschaftlichkeit des Verteidi-
gungshaushalts, Bereiche des Nachschubs, die früher,
Herr Kollege Girisch, darauf ausgerichtet waren, im Ver-
teidigungsfall gerüstet zu sein, teilweise zu privatisieren
und teilweise mit eigenen Kräften fortzusetzen. Das führt
dazu, dass eine ganze Zahl von Bataillonen aufgelöst
wird. Das trifft nicht nur Bayern, sondern auch Nieder-
sachsen. Hier ist der Standort Werlte im Emsland, den ich
schon erwähnt habe, betroffen. Dies ist zwar ein Trans-
portbataillon, doch die dargestellte Lage gilt auch für an-
dere Bereiche. Wir haben diese Situation an vielen Stand-
orten.
Für die Kollegen, die diese Thematik nicht so genau
kennen: In Weiden bleiben die Heeresunteroffiziers-
schule 2 und mehrere Kleindienststellen. Damit bleibt ein
geplanter Umfang an zivilen und militärischen Dienstpo-
sten – darunter sind nicht wenige Zeit- und Berufssolda-
ten sowie auch zivile Mitarbeiter – von 470 Dienstposten.
Eine weitere Zusatz-
frage, Herr Kollege Girisch.
Frau Staatssekretärin,
halten Sie die Art und Weise, wie man in Weiden mit den
Personen umgegangen ist, für richtig, nämlich dass die
Bundeswehr aus Roding in Weiden angerufen hat, um
mitzuteilen: Schaut einmal ins Intranet; dort steht, dass ihr
aufgelöst werdet? Sollte man so mit Soldaten umgehen?
B
Die Soldaten wussten genau,
dass sich die Bundeswehr grundlegend verändert. Auch
den zivilen Mitarbeitern hatten wir gesagt, dass wir eine
Strukturveränderung und eine erhebliche Reduzierung
vornehmen werden. Die Pläne, die über Monate diskutiert
wurden, riefen erhebliche Sorgen und Probleme hervor.
Das wissen Sie. Ich weiß, dass es für einige Kollegen, bei
denen man wusste, dass in ihrem Wahlkreis Standorte ge-
schlossen werden, sehr schwierig war. Die Kollegen ha-
ben zwar viele Resolutionen vorgelegt. Dennoch ist es zu
einer entsprechenden Entscheidung gekommen.
Ich kann Ihnen dazu nur sagen: Die Zeit- und Berufs-
soldaten werden, wie häufig in ihrem beruflichen Leben,
nur eine Veränderung ihres Einsatzortes hinnehmen müs-
sen. Wir sorgen uns um das zivile Personal. Für sie wer-
den wir nach Alternativen suchen müssen. Die Wehr-
pflichtigen sind nicht das Thema, weil die Zahl der Wehr-
pflichtigen in Zukunft reduziert werden wird und die dort
vorhandenen Wehrpflichtigen den Dienst beendet haben
werden. Wir haben im Zusammenhang mit der Nach-
wuchssituation bei den Zeitsoldaten ein großes Problem.
Die Soldaten sind in diesem Fall diejenigen, die wieder
einmal eine Umstrukturierung der Bundeswehr mitma-
chen. Ich habe in den letzten 20 Jahren – unabhängig von
den zwei Reformen der 90er-Jahre – eine ganze Reihe an
Umstrukturierungen mitgemacht. Die Sorge, die wir alle
teilen, ist: Was geschieht mit dem zivilen Personal?
– Ich habe versucht, die zweite Frage mitzubeantworten,
weil mich die Frau Präsidentin darum gebeten hat.
Ich dachte, es be-
stünde ein Zusammenhang. Wenn Sie noch etwas dazu sa-
gen wollen, bitte schön.
B
Ich habe versucht, den Zusam-
menhang zwischen beiden Fragen herzustellen.
Dann rufe ich die
Frage 40 des Abgeordneten Georg Girisch auf:
Steht der Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping,
zu seiner Aussage vom 29. Januar 2001 in der Sendung „heute“,
dass er bereit wäre, Änderungen an seinem Ressortkonzept vor-
zunehmen, wenn ihm die Länder Alternativvorschläge machen
würden, und, falls ja, welche Bedingungen müssten diese, aufge-
zeigt am Beispiel der umstrittenen Auflösung der 5. Kompanie des
Nachschubbataillons 4 in Weiden, erfüllen?
B
Darüber habe ich Ihnen doch
wirklich Auskunft gegeben.
Wir haben Verkleinerungen bei den Standorten, bei de-
nen über 500 Dienstposten wegfallen oder eine Reduzie-
rung um mehr als die Hälfte der bisherigen Dienstposten
vorgenommen wird, aufgenommen. Das trifft hier aber
nicht zu. Wir haben das Intranet und das Internet im Übri-
gen geschaffen, damit sich unsere Mitarbeiter – zivile wie
militärische – sofort und auf der Stelle erkundigen kön-
nen. Es ist aber doch wohl üblich, zunächst einmal den
Bundestag – in Form des Verteidigungsausschusses – zu
unterrichten, und das haben wir am 29. Januar getan.
Sie haben noch zweiZusatzfragen. Dann können wir den Komplex abschlie-ßen.Die erste Zusatzfrage, Herr Kollege Girisch.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001
Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte14491
Frau Staatssekretärin, es
trifft nicht zu, dass irgendjemand in meinem Wahlkreis
bzw. in der gesamten Oberpfalz über die Auflösung infor-
miert war. Ich habe mich allerdings darüber gewundert,
dass die SPD-Abgeordneten die Pläne als selbstverständ-
lich hingenommen haben. Anscheinend waren sie vorher
informiert.
B
Herr Kollege, ich versuche, Ih-
nen das noch einmal zu erklären: Wir haben jene Kolle-
gen zeitgleich mit dem Bundestag unterrichtet, in deren
Wahlkreis ein signifikanter Wegfall von über 500 Dienst-
posten oder eine Halbierung der Zahl der vorhandenen
Dienstposten vorgesehen sind. Wir haben mit Freuden er-
lebt, wie in der Julius-Leber-Kaserne viele Kollegen über
ihre Handys informiert wurden. Herr Kollege Breuer hat
uns extra gebeten, diese Möglichkeiten zu schaffen, damit
die Betroffenen telefonisch unterrichtet werden konnten.
Es war aber richtig, mit diesen Plänen – das hat übri-
gens damals Herr Stoltenberg genauso gemacht – zuerst
ins Parlament zu gehen, bevor die Öffentlichkeit unter-
richtet wird. Weil wir heute das moderne Internet haben,
haben wir zeitgleich mit der Unterrichtung des Verteidi-
gungsausschusses die Pläne ins Internet gestellt. Auch die
Mitglieder des Bundestages sind sofort darüber unterrich-
tet worden, dass sie die Abfrage durchführen können.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich lasse jetzt keine Zusatzfrage mehr zu.
Wir sind weit über die Zeit.
Ich darf der Frau Staatssekretärin für die Beantwortung
der Fragen sehr herzlich danken.
Die Fragestunde ist beendet. Ich rufe Zusatzpunkt 1 der
Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.
Haltung der Bundesregierung zu den Äuße-
rungen von Bundesminister Müller zur vorge-
sehenen Änderung des Betriebsverfassungs-
gesetzes
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Rainer Brüderle, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Müller,Ihr 26-Punkte-Papier ist eine einzige Abrechnung mit denverfehlten, durch die IG Metall geprägten Riester-Vorschlägen zur Ausdehnung der Mitbestimmung.
Die Freien Demokraten können Ihrer schonungslosenAnalyse nur zustimmen. Ihr Papier, Herr Müller, sagtganz deutlich: Der Gesetzentwurf aus dem Hause Riesterist mittelstandsfeindlich, bürokratisch und kostenintensiv.
Er ist nicht nur ein Anschlag auf die unternehmerischeFreiheit, sondern ein kräftiger Schlag ins Gesicht aller Ar-beitslosen. Knapp 4,1 Millionen Arbeitslose sprecheneine deutliche Sprache zur Beschäftigungspolitik derBundesregierung.
Der Gesetzentwurf zementiert die Fremdbestimmungin den Betrieben durch Gewerkschaftsfunktionäre undschwächt das Selbstbestimmungsrecht der Mitarbeiter inden Unternehmen vor Ort.
Er führt zu Mehrkosten von mindestens 2,7 Milliar-den DM, wie das Institut der deutschen Wirtschaft gesternfeststellte.Mitbestimmung darf nicht mehr als eine geschlosseneVeranstaltung von Gewerkschaftsfunktionären in Betrie-ben verstanden werden. Wir müssen heute vielmehr dieMitarbeiterbeteiligung als moderne Form der Mitbestim-mung stärken.
Mit der Beteiligung der Arbeitnehmer am Betriebsvermö-gen, mit Aktienoptionen als Gehaltsbestandteil werdenVerteilungskonflikte entschärft,
die Identifikation mit dem Betrieb gesteigert und die Ar-beitsmotivation erhöht.
Walter Riester und seine Mannen versuchen hier je-doch, den ewiggestrigen Gegensatz zwischen Arbeit undKapital künstlich am Leben zu erhalten.
– Dass Gewerkschaftsfunktionäre Probleme haben, ver-stehe ich.Sie wollen die Realität in ein Zwangskorsett pressenstatt zu überprüfen, ob die Mitbestimmungsrituale heutenoch zeitgemäß sind.
Das wird aber der zunehmenden Flexibilisierung der Ar-beitswelt und dem Strukturwandel der Wirtschaft nichtgerecht.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 200114492
Herr Müller, angesichts solch wirtschaftsfeindlicherund standortschädlicher Vorlagen ist das die letzte Chance,in dieser Legislaturperiode wirtschaftspolitisches Profil zuzeigen. Das ist angesichts der Betonmentalität der Regie-rung auch dringend notwendig. Ihre Rücktrittsdrohungvom Montag ist dem Ernst der Lage angemessen. HerrMüller, stehen Sie endlich einmal zu dem, was Sie sagen!
Erklären Sie sich heute eindeutig.
Nennen Sie die nicht verhandelbaren Punkte beim Na-men.
Ich habe nie geglaubt, dass ich einmal zu Protokoll ge-ben würde: Herr Müller ist der einzige Hoffnungsträgerdieser Regierung
für eine verzweifelt gegen den Riester-Unsinn kämpfendeWirtschaft.
– Wer schreit, ist getroffen; das ist ein altes Sprichwort;Sie als Funktionär entlarven sich hier deutlich. – HerrMüller, Sie werden sonst Nummer acht im Rücktrittsor-chester von Gerhard Schröder.Die SPD-Fraktion – allen voran Herr Struck, der schonviele vernünftige Dinge in dieser Periode gesagt hat –,lässt sich ohne Not vor den Gewerkschaftskarren span-nen. Die grüne Fraktionsspitze ist sich mal wieder unei-nig: Herr Schlauch kündigt Änderungen an, Frau Müllersteht komplett hinter Riester.
Was Herrn Schlauchs Meinung in der grünen Fraktionwert ist, hat man bei der Diskussion um das Günstigkeits-prinzip erfahren. Den Entschuldigungsbrief für die Ge-werkschaften hat er wahrscheinlich von seinen Partei-freunden schon wieder diktiert bekommen.Wo ist die neue Mittelstandsbeauftragte der Bundesre-gierung?
Frau Wolf bekommt mal wieder einen Maulkorb um-gehängt und lässt den Mittelstand im Regen stehen.
Im Übrigen war auch nicht mehr von einer grünen Staats-sekretärin zu erwarten. Die Vogel-Strauß-Politik der Grü-nen wird wieder offenkundig: Kopf in den Sand steckenund mit dem Hinterteil wackeln, damit sich überhaupt et-was bewegt.
Herr Müller, ich hoffe, Ihre Position ist wirklich ernstgemeint und keine bewusste Inszenierung zur Vorberei-tung eines eleganten Querausstiegs. Ich habe von Cham-pagner-Wetten gehört, die Sie auch gern verlieren wür-den. Doch bevor Sie aussteigen, machen Sie Ihren Jobendlich einmal richtig! Seien Sie ein Minister für die Wirt-schaft und nicht gegen die Wirtschaft!
Die Unternehmen, die Arbeitnehmer, die auf mehr Selbst-bestimmung und weniger Funktionärsfremdbestimmungsetzen, und die Arbeitslosen im Lande würden es Ihnendanken.
Das Wort hat der Bun-desminister für Arbeit und Sozialordnung, Walter Riester.
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-zialordnung: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Da-men und Herren! Lieber Herr Brüderle, eben musste nie-mand schreien, weil Sie mit dem, was Sie vorgetragenhaben, wirklich niemanden getroffen haben.
Zu den 4,1Millionen Arbeitslosen, die Sie jetzt bemühthaben, verweise ich darauf, dass es noch gar keine Reformder Betriebsverfassung gibt. Die Arbeitslosen haben wirmit der alten Betriebsverfassung.
Aber nun zur Sache: Worum geht es? Nach 30 Jahrenist eine Reform der Betriebsverfassung in der Tat überfäl-lig, weil sich in den Betrieben eine ganze Menge verän-dert hat.
– Meine Damen und Herren von der Union, auf Ihre Zwi-schenrufe gehe ich ja gerne ein, denn da lohnt es sich we-nigstens, wie ich Ihnen gleich noch zeigen werde.Wir wollen für Kleinbetriebe ein vereinfachtes, un-bürokratisches Wahlverfahren.
In Betrieben mit bis zu 50 Beschäftigten soll in einerWahlversammlung entschieden werden können. Nun hatmir die Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU dankenswer-terweise ihre Vorstellungen zugeschickt. Dieser Gruppe
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001
Rainer Brüderle14493
gehören immerhin 71 Parlamentsmitglieder an. Sie schrei-ben:Wir treten ein für eine Vereinfachung des Wahlver-fahrens in kleinen und mittleren Betrieben bis zu100 Beschäftigten.
Hier soll die Wahl eines Betriebsrats in einer Wahl-versammlung durchgeführt werden.Hier sind wir also nicht so ganz weit auseinander, meineDamen und Herren.
Worum geht es als Zweites? Wir wollen natürlich, dassdie Betriebsräte mit ordentlichen Mitteln ausgestattet sindund auf gleicher Augenhöhe agieren können, und wir wol-len, dass sie in ausreichender Zahl, auch was Freistellun-gen angeht, ihre Aufgaben erfüllen können. Was sagt unsdie Union dazu? Die Arbeitnehmervertreter der Unionwollen die Freistellung schon ab 100 Beschäftigte. Darü-ber kann man reden. Wir sagen: ab 200 in einem gestaf-felten Verfahren.Als Nächstes sagen wir: Weil sich in den Betriebeneine ganze Menge verändert hat und der Betrieb heutenicht mehr einfach wie früher der abgegrenzte Betrieb ist– es gibt Betriebe als fraktale Fabriken; es geht bis hin zuvirtuellen Unternehmen –, wollen wir, dass sich künftigper Tarifvertrag angemessene Strukturen entwickeln kön-nen. Auch hier habe ich dem Schreiben der Union mitFreude entnommen, dass wir auf einer Linie sind. Dort,wo kein Tarifvertrag besteht, soll das die Betriebsverein-barung machen. Hier ist also ein weiterer Punkt, bei demwir sehr produktiv zusammenarbeiten können.Ferner sagen wir – auch da dürfte es ein breites Ein-verständnis geben –: Wenn es zu Betriebsänderungenkommt, die nachhaltig dazu führen, dass Beschäftigte ihreerworbene Qualifikation nicht mehr einsetzen können,soll der Betriebsrat dort natürlich eine zusätzliche Quali-fizierung einfordern können. Wer kann eigentlich dage-gen sein?
Wir sind also guten Mutes, dass all das, was die Ar-beitnehmergruppe der CDU/CSU parteiübergreifend for-muliert hat – ich habe dieses Papier einen Monat nachdemwir die Eckpunkte vorgetragen haben, die die Regierungzur Betriebsverfassung einbringt, bekommen –, eine her-vorragende Grundlage dafür darstellt, hier zu einer Zu-sammenarbeit zu kommen.
Nun hat man mir im Ministerium gesagt, ich solle vor-sichtig sein; so wie es früher die „Herz-Jesu-Marxisten“gab, die wenig zu sagen hatten, handele es sich hier mög-licherweise um eine ganz kleine Gruppe. Nachdem ichmir das Schreiben angeschaut hatte, stellte ich fest, dasses 71 Mitglieder der Fraktion sind. Das finde ich prima;das ist eine gute Gruppe. Eines der 71 Mitglieder derFraktion heißt übrigens Angela Merkel.
Jetzt sind wir in der guten Position, davon ausgehen zukönnen, dass es eine breite Unterstützung für das Re-formvorhaben gibt, sodass wir, wenn wir in die Debattegehen, nachdem wir einen Regierungsbeschluss habenwerden, wichtige Reformschritte wohl nicht so strittigwerden diskutieren müssen, wie wir es leider bei der Re-form der Rentenversicherung machen mussten.
Meine Damen und Herren, wir haben also einen gutenAnsatz, eine breite parlamentarische Mehrheit für die Re-form eines Gesetzes hinzubekommen, das 1972 verab-schiedet wurde und 30 Jahre lang kaum verändert wordenist, das jetzt aber angesichts der Tatsache novelliert wer-den muss, dass es heute eine massive Veränderung in denBetrieben und bei den Beschäftigten gibt. Wenn Sie vonder F.D.P. große Bedenken haben und nicht mitstimmenwollen, dann wird das zu ertragen sein.
– Wenn Ihre Argumente gut sind, stelle ich mich ihnengern. Aber dann müssen sie anders als das sein, was HerrBrüderle heute vorgetragen hat.
Ich komme zum Schluss. Der von der F.D.P. beantrag-ten Aktuellen Stunde liegt eine ganz andere Frage zu-grunde.
– Ich kann Sie beruhigen. Sie dürfen davon ausgehen,dass es eine abgestimmte Position im Kabinett gebenwird. Sie wird darüber hinaus von einer breiten Mehrheitgetragen.
Ich werde mit allen mir zur Verfügung stehenden Mög-lichkeiten dazu beitragen, dass wir zu einer gemeinsamenPosition kommen, die wir Ihnen vortragen werden. Wenndie F.D.P. sie nicht mitträgt, dann werden wir das zurKenntnis nehmen. Wenn Sie gute Argumente haben, dannwerden wir uns mit denen auseinander setzen.
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Bundesminister Walter Riester14494
Ich baue darauf, dass das Wort der Union, wie es indem Schreiben zum Ausdruck kommt, das sie mir ge-schickt hat, weiterhin gilt. Insofern sehe ich dieser De-batte wirklich guten Mutes entgegen.Herzlichen Dank.
Nun hat der KollegeGerald Weiß, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Gerald Weiß (CDU/CSU): Herr Präsi-dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigent-lich wollte ich erst über das Verfahren und dann über dieSache reden. Herr Minister, nach Ihrem Beitrag drehe ichdie Reihenfolge um; denn ich befürchte, dass aus IhrenTagträumereien über Möglichkeiten der Zusammenarbeitmit der Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU nichts wird.Weil wir nicht wollen, dass es zu einer Legendenbildungkommt,
möchte ich folgende Hinweise machen.Erstens. Ein vereinfachtes Wahlverfahren ist in Ord-nung. Aber für ein Wahlverfahren, das zu einem undemo-kratischen Haurucksystem führt und die Arbeitnehmer-rechte statt sie zu stärken in Wahrheit verkürzt, gilt: Mituns nicht, Herr Riester!
Zweitens. In Ihrem Gesetzentwurf werden die Rechtevon Minderheiten mit einem Federstrich in brutaler Weiseabgeschafft.
Durch eine Manipulation, durch eine Neukonstruktiondes Wahlverfahrens zur Besetzung von Betriebsausschüs-sen
wird aus einem DGB-Stimmenanteil von 51 Prozent einStimmenanteil an den übrigen Mandaten von undemokra-tischen 100 Prozent – das sagt jemand, der einer DGB-Ge-werkschaft angehört –; daher ist das, was Sie hier vorge-legt haben, demokratisch nicht zu akzeptieren.
Was ist mit den kleineren Gewerkschaften? Was ist mitden christlichen Gewerkschaften? Was ist mit den unab-hängigen Betriebsräten? Wir wollen, dass sich die Plura-lität auch in den Mitbestimmungsorganen widerspiegelt!Ihr Tun ist massiv falsch.
Ich will auch etwas zum Unterlassen sagen: Vor Tischelas man es anders. In der Koalitionsvereinbarung von Ok-tober 1998 ist davon die Rede, dass die Mitbestimmungdes einzelnen Arbeitnehmers gestärkt werden soll. Dortist die Rede von der Aufwertung individueller Partizipati-onsrechte. Frau Thea Dückert von den Grünen glaubte so-gar noch im Jahr 2000 an die Koalitionsvereinbarung,
als sie davon sprach, man werde einen eigenständigenZweig direkter Partizipation der Mitarbeiter entwickeln.Von dem Ansatz der Stärkung personaler Rechte, die wirfür unverzichtbar halten, findet sich im Gesetzentwurfnichts.
Herr Riester, deshalb sind wir auch in diesem Punkt nichtmit dem einverstanden, was Sie vorgelegt haben.
In einem sind wir uns einig: Betriebliche Mitbestim-mung ist wichtig. Im Übrigen ist sie in Deutschland vonChristlich-Sozialen erfunden worden, als andere noch vonKlassenkampf, von Verstaatlichung und von Planwirt-schaft geträumt haben.
Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft sind auch einStandortfaktor. Dass Deutschland Vizeweltmeister hin-sichtlich der geringsten Anzahl an Streikverlusttagen ist,hängt mit der Sozialpartnerschaft in unserem Land zu-sammen.
Die Sozialpartnerschaft haben andere als diejenigen, dieden Klassenkampf gepredigt haben, geschaffen: LudwigErhard – Stichwort soziale Marktwirtschaft –, Hans Katzerund Konrad Adenauer. Das sind die Namen, die für dieseOrdnung stehen, meine sehr verehrten Damen und Her-ren.
Was wollen denn Müller oder Riester? Wer liegt denneigentlich unten, wer oben? Das kann man bei diesenSchaukämpfen von außen gar nicht mehr erkennen, meis-tens deswegen nicht, weil der Bundeskanzler die Szeneverstellt. Viel Lärm um eine schwere Geburt! In diesemkoalitionsinternen Selbstfindungsprozess musste daskommen, was immer kommt: das Machtwort des Kanz-lers. Aber es gibt, wie wir jetzt gelernt haben, ein Lebennach dem Machtwort Ihres Kanzlers. In diesem lebendi-gen Diskussionsprozess muss und wird es noch viele Aus-einandersetzungen geben. Was Sie uns jetzt hier vorgelegthaben, ist unzureichend und in zentralen Punkten bei Ih-nen selbst streitig. Jetzt muss deshalb eine gründliche,saubere, ehrliche und unideologische Diskussion geführtwerden.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
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Bundesminister Walter Riester14495
Jetzt erteile ich das
Wort der Kollegin Dr. Thea Dückert für Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gerade nachder einführenden Rede von Herrn Brüderle möchte ichdoch feststellen – ich glaube, das muss hier eingangs fest-gestellt werden –, dass für uns Demokratie, Partizipationund mehr Teilhabe in den Betrieben zum demokratischenProzess gehören, dass Demokratie in die Betriebe hinein-gehört und nicht vor den Betrieben Halt machen darf.
Für uns, Herr Brüderle, gehören hierzu nicht nur kollek-tive Mitbestimmung und kollektive Partizipation, sondernebenso die Stärkung der individuellen Beteiligungsrechtein den Betrieben.
Das, Herr Brüderle, empfinde ich nicht als einen Anschlagauf Unternehmer –
ich weiß gar nicht, was diese Kampfrhetorik aus finsterenZeiten hier soll –,
sondern ich halte es – das sage ich Ihnen deutlich – füreine Selbstverständlichkeit, dass Menschen, die ein Drit-tel ihrer Zeit in den Betrieben verbringen, die ihre sozialeSicherheit und auch ihre Gesundheit von ihrer Arbeit inden Betrieben abhängig machen, Mitbestimmung undPartizipation sowie Einfluss darauf, wie sie tagsüber ar-beiten, gewährt wird.Wir wollen einen Hauch von Bürgergesellschaft auchin den Betrieben. Das ist, meine Damen und Herren, keineKampfansage, sondern ein Angebot zur Kooperation.
Wer behauptet, dass das überflüssig oder gar undemokra-tisch ist, fällt wirklich in die verstaubten Auseinanderset-zungen der 50er- und 70er-Jahre zurück.
Herr Brüderle, wir müssen darüber konstruktiv diskutie-ren, wir brauchen aber keine Fundamentalopposition,keine Hahnenkämpfe zum Beispiel älterer Verbandsfürs-ten. So etwas gehört wirklich in die Asservatenkammerder Geschichte.Wir wollen nicht darüber diskutieren, ob wir mehrMitbestimmung brauchen; denn das ist ganz klar. Wirwollen darüber diskutieren, wie wir diese Mitbestimmungmodernisieren können. Der Minister hat hier richtig ge-sagt, das Gesetz ist veraltet und kann nicht mehr angepasstwerden an die Veränderungen, die wir in dieser Gesell-schaft im Arbeitsprozess, in den Betrieben und in den Un-ternehmensstrukturen erleben. Eines ist klar: Die Mitbe-stimmung hat sich in der Vergangenheit bewährt, ihrejetzige Form gibt aber keine angemessene Antwort mehrauf die Herausforderungen der Zukunft.Ich halte es nicht für unmodern, wenn man über Mit-bestimmung oder Partizipation diskutiert. Es ist vielmehrzeitgemäß, wenn die Betriebe versuchen, sich zukünftigperspektivisch an drei Kriterien auszurichten: Nötig sinderstens moderne Managementstrukturen, das ist völligklar – dazu gehören auch Kooperation und Auseinander-setzung in den Betrieben –, zum Zweiten gut angepassteund bewegliche Mitbestimmungsregeln und zum Dritteneben eine Erweiterung individueller Mitbestimmung inden Betrieben. Das ist ein spezifisch deutscher Weg, un-ser spezifisches Milieu industrieller Kooperation ist aufdieser Basis aufgebaut worden.
Ich denke, dass wir daran sehr gut anknüpfen können.
Das ist mitnichten eine Standortgefährdung. Die Vergan-genheit hat gezeigt, dass durch die Mitbestimmung in Kri-sensituationen in kleinen und in großen Unternehmenmehr Arbeitsplätze gesichert worden sind, als Mitbestim-mung an Arbeitsplätzen kostet. Ich erinnere nur an VWoder auch an kleinere Betriebe wie Olympia, Wilhelms-haven.Es ist eine große Herausforderung – das ist völligklar –, die Mitbestimmung zu verändern, zu modernisie-ren, den neuen Gegebenheiten anzupassen. Das geschiehtdurch flexible Regelungen, wie sie in diesem Entwurf inForm von Experimentierklauseln, was die Anpassung derMitbestimmungsstrukturen angeht, vorgesehen sind.
Das geschieht aber auch durch offene Regelungen – es istkein Arbeitsbegriff oder Betriebsbegriff abschließendmehr zu definieren – oder über Entschlackung, etwa durchvereinfachte Wahlverfahren.In dem Entwurf, der hier diskutiert wird, sind vieleAnregungen der Grünen aufgegriffen worden. Er ist – das
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Gerald Weiß
14496
sage ich deutlich – eine sehr gute Basis für das Gesetzge-bungsverfahren.
Dieses Gesetzgebungsverfahren beginnt nächste Woche.Die Diskussion ist also noch nicht abgeschlossen; viel-mehr müssen wir hier – das ist selbstverständlich – eineoffene Auseinandersetzung führen. Wir müssen dabeiauch über Veränderungen und Kompromisse reden. Ichglaube, dass es unsere Funktion ist, dabei einzelne Fragenaufzugreifen.
Frau Kollegin, den-
ken Sie bitte an die Redezeit. Wir sind in der Aktuellen
Stunde.
Ich komme auch gleich zum Schluss.
Eine Frage ist zum Beispiel die der vereinfachten
Wahlverfahren. Dass wir solche brauchen, ist überhaupt
keine Frage; denn die Mitbestimmung muss sich ausdeh-
nen.
Aber ich meine schon, dass man bei den Wahlverfahren,
die an einem Tag stattfinden, die Frage stellen sollte – wir
sollten dies auch diskutieren –, ob es nicht eine Mindest-
beteiligung geben muss.
Die Zahl von 35 Prozent ist jedoch viel zu hoch.
Frau Kollegin, Ihre
Redezeit ist leider abgelaufen. Wir sind in der Aktuellen
Stunde.
Sie haben Recht, Frau Präsidentin. Ich komme zum
Schluss.
Fundamentalopposition hilft nicht weiter. Ich glaube,
dass es viele Punkte gibt, die wir in der Debatte aufgrei-
fen müssen und können, und zwar auf der Basis dessen,
was hier in Form eines guten, zukunftsweisenden Ent-
wurfs eingebracht werden wird.
Sie wissen alle, dass
in der Aktuellen Stunde die Redezeit von fünf Minuten
eingehalten werden muss. Ich wollte gleichwohl noch ein-
mal darauf hingewiesen haben. Das tut mir manchmal
sehr Leid; aber so ist es.
Nun hat der Kollege Hiksch für die PDS das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Wer die Eingangsrede von HerrnBrüderle gehört hat, spürt die Unterschiede zwischen Ge-werkschaften und Betriebsräten auf der einen und demF.D.P.-Funktionär Brüderle auf der anderen Seite sehrdeutlich. Während Gewerkschaften und Betriebsräteschon lange erkannt haben und sich immer dafür einge-setzt haben, dass eine Grundvoraussetzung dafür, dassBetriebe sich innovativ entwickeln können, die ist, dassunternehmerische Fehlentscheidungen korrigiert werdenkönnen und dass vor allen Dingen eine soziale Absiche-rung vorhanden ist – sie haben mit dem DGB-Entwurfdeutlich gemacht, wie die betriebliche Mitbestimmung inZukunft weiterentwickelt werden kann –, hat sich KollegeBrüderle dafür entschieden, nicht zu erkennen, dass das19. Jahrhundert schon lange vorbei ist,
dass der Klassenkampf von oben, wie er ihn predigt,schon lange vorbei ist und dass vor allem ein Teil der De-mokratie darin besteht, dass Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer nicht mehr als Unterdrückte in die Betriebegehen, dass sie auf gleicher Augenhöhe mit den Unter-nehmern reden dürfen und dass Demokratie im Betriebeine Grundvoraussetzung dafür ist, dass sich Demokratieüberhaupt entwickeln kann.
Deshalb, Kolleginnen und Kollegen, muss man in dop-pelter Hinsicht dankbar für diese Aktuelle Stunde sein:erstens weil sie zeigt, dass die F.D.P. auf den Müllhaufender Geschichte des 19. Jahrhunderts gehört. Zweitens hatdie F.D.P. die Möglichkeit gegeben, deutlich zu machen,dass die Auseinandersetzungen, das, was in der Bundes-regierung inszeniert wurde, nicht mehr als ein Schauspielsind, ein Schauspiel deshalb, Kolleginnen und Kollegen,weil nicht glaubhaft ist, dass es wirklich fundamentaleAuseinandersetzungen zwischen denen, die im Wirt-schaftsministerium einen Entwurf vorgelegt haben, unddenen gibt, die den Entwurf erarbeitet haben, der derzeitvon Walter Riester als so genannter Riester-Entwurf ver-treten wird.Das, was die SPD noch in der Opposition, im Wahl-programm und später in der Koalitionsvereinbarung zu-gesagt hatte – nämlich Demokratie und weitere Mitbe-stimmungsmöglichkeiten voranzubringen, wie es imDGB-Entwurf deutlich dargelegt wurde –, findet man imRiester-Entwurf nicht. Fehlanzeige! Weder ist es gelun-gen, einen neuen Arbeitnehmerbegriff zu definieren, derden betrieblichen Realitäten endlich Rechnung trägt undder dafür sorgt, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-mer mitarbeiten können, auch wenn sie nicht Arbeitneh-mer in traditioneller Form sind, noch ist es gelungen,einen neuen Betriebsbegriff einzuführen, wie er beispiels-weise im DGB-Entwurf vorgeschlagen wurde und wie ihndie PDS unterstützt.Aufgrund der betrieblichen Realität von heute darfman nicht nur die räumliche Verbundenheit sehen, son-dern man muss räumliche Verbundenheit auf der einen
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001
Dr. Thea Dückert14497
Seite vor allen Dingen mit den Arbeitsabläufen auf deranderen Seite verknüpfen. Es kann nicht mehr alleine da-rum gehen, Betriebe traditioneller Prägung wie imRiester-Entwurf zu definieren. Man muss vielmehr vonArbeits-abläufen ausgehen. Die Mitbestimmung musssich auch dann auf einen einheitlichen Betrieb beziehen,wenn er in unterschiedlichen Unternehmen oder Rechts-formen angelegt ist. Auch da gilt für den Riester-Entwurf:Fehlanzeige.Wir als PDS-Bundestagsfraktion sehen das große Pro-blem darin, dass dieses Schauspiel zum einen die Ge-werkschaften disziplinieren soll
und zum anderen davon ablenken soll, dass mit dem jet-zigen Entwurf von Riester für ein Betriebsverfassungsge-setz der nächste Bruch mit Vorstellungen eingeleitet wird,die die Sozialdemokratie als Oppositionspartei noch fürrichtig gehalten hat.Warum spreche ich vom Disziplinieren der Gewerk-schaften? Herr Riester und die Partei der neuen Mitte, dieSPD, versuchen mit dem jetzigen Entwurf – gemessen anden Ansprüchen, auf die sich Gewerkschaften und die So-zialdemokratie in der Oppositionszeit verständigt hatten,geht er nicht weit genug; nein, er stellt in weiten Berei-chen sogar ein Placebo dar –, Folgendes zu signalisieren:Liebe Gewerkschaften, bitte schimpft nicht zu sehr aufdiesen schlechten Entwurf! Wir könnten nämlich nochganz anders.
Dieses Schauspiel wird durch diese Aktuelle Stunde end-lich offen gelegt.Es ist schon geradezu peinlich, wenn von 26 Kri-tikpunkten, die der Bundeswirtschaftsminister Müller inseiner Stellungnahme aufzählt, 25 mit Positionen derBundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbändeidentisch sind. Wenn man die Stellungnahme desBundeswirtschaftsministers liest, dann kann man erken-nen, dass in weiten Teilen Formulierungen von Arbeit-geberfunktionären, die hinter die Regelung von 1972zurück wollen, wörtlich übernommen wurden.
Es kann nicht angehen, dass der Bundeswirtschaftsminis-ter die Mitbestimmung infrage stellt, sie zurückschraubenwill und eine Position bezieht, die in unserem Land schonseit langem der Vergangenheit angehören sollte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich fordere Sie auf:Lasst uns gemeinsam über den DGB-Entwurf diskutie-ren! Lassen Sie uns über den Entwurf der PDS-Bundes-tagsfraktion für eine wirkliche und fortschrittliche Mitbe-stimmung im Betrieb diskutieren! Lassen Sie uns denBeitrag von Herrn Brüderle als einen Beitrag zum Fa-sching abhaken und endlich zu einer zukunftsorientiertenund tatsächlichen Mitbestimmung für die Arbeitnehme-rinnen und Arbeitnehmer kommen.Danke schön.
Ich erteile das Wortdem Bundesminister für Wirtschaft und Technologie,Werner Müller.
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaftund Technologie: Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Was ist eigentlich die Sachlage? Erstens. Geplantist, dass sich das Kabinett am 14. Februar mit demBetriebsverfassungsgesetz befasst.
Zweitens. Der Entwurf einer Novelle aus dem Arbeitsmi-nisterium liegt vor. Drittens. Ich habe gesagt, dass ich demsehr umfangreichen Entwurf so nicht in allen Punkten zu-stimmen kann.
Viertens. Es gilt die Geschäftsordnung der Bundesregie-rung.Das ist die Sachlage.
Nirgendwo steht geschrieben, dass die Kabinettsmitglie-der ihre Ressortabstimmung auf Antrag der F.D.P. im Ple-num durchzuführen haben.
Da ich noch ausreichend Redezeit habe, will ich einigeAnmerkungen zur Reform des Betriebsverfassungsgeset-zes machen, obwohl im Grunde alles schon gesagt ist. DieReform an sich ist, wie ich gestern der Presse entnehmenkonnte, auch aus Sicht der Unionsfraktion notwendig.
Ich gestehe: Ich bin ausweislich dessen, was ich in denZeitungen lese, wohl nicht der Wunschwirtschaftsminis-ter von Herrn Zwickel. Aber das ist auch nicht sehrschlimm; ich bin ja in diesem Hause nicht auf das Wohlder IG Metall vereidigt worden.
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Uwe Hiksch14498
Ich bin allerdings auch nicht auf das Wohl der BDAoder des BDI vereidigt und ich bin sicherlich nicht derWirtschaftsminister, den Herr Hundt sich immer wünscht;denn ich werde und will seinem Wunsch nicht entspre-chen, diese Reform generell zu verhindern.
Ich bin ein überzeugter Anhänger der Mitbestimmungund ich habe sie vor 20 Jahren zu lernen begonnen, ge-prägt beispielsweise von den Herren Adolf Schmidt undHermann Rappe. Im Gegensatz zu manchem Funktionär,der heute mitdiskutiert, habe ich 20 Jahre Erfahrung in deralltäglichen Zusammenarbeit mit Betriebsräten.
Sicher habe ich mein Berufsleben überwiegend ingroßen Unternehmen verbracht. An die Adresse derGroßindustrie gerichtet will ich sagen: Ohne die Mitbe-stimmung hätte die Großindustrie den Strukturwandel mitRationalisierungen, Fusionen, Ab- und Aufgabe von Be-triebsteilen in den letzten 15 Jahren schlicht nicht geschafft.
Für die Großindustrie ist der Betriebsrat heute unter an-derem ein unverzichtbares Element der strategischen Un-ternehmensführung.
Eines werden wir immer zu bedenken haben: Ist eineEntscheidung gefallen, geht der Unternehmer nach Hause.Der Betriebsrat aber muss dann die Entscheidung seinerBelegschaft vermitteln. Ich weiß aus unzähligen Gesprä-chen mit mittelständischen Unternehmern, wie sehr sie dieZusammenarbeit mit dem Betriebsrat schätzen.Das Betriebsverfassungsgesetz ist eines der zentralenElemente, den immer dynamischeren Wirtschaftsablaufgesellschaftspolitisch friedlich zu gestalten. Eine solcheGrundvoraussetzung kostet etwas; das steht außer Frage.Ich will hinzufügen: Gesellschaftspolitischer Unfriedegeht zulasten der Wirtschaft, der Gewinne und der Ein-kommen und schlussendlich zulasten der Arbeitsplätze.
Ich sehe meine Aufgabe darin, diese gesellschaftspoli-tische Grundfunktion des Betriebsverfassungsgesetzesauch in Zukunft wirkungsvoll zu erhalten.
Dieses Ziel erfordert, dass ich einige Punkte des BMA-Entwurfes kritisch hinterfrage;
denn sie könnten kontraproduktiv wirken.Damit bin ich dann wieder am Ausgangspunkt meinerAusführungen angelangt; denn die kritischen Fragen derRessortabstimmung finden eben nicht hier im Plenum,sondern erst einmal woanders statt.
Aber eines kann ich Ihnen prognostizieren: Es wird imErgebnis eine Reform geben, die die Unternehmen nichtunzumutbar belasten wird. Darin sehe ich meine Aufgabe.Ich sage jedoch auch: Die Unternehmen sind gefordert,den Kabinettsbeschluss, den wir für den 14. Februar ge-plant haben, dann konstruktiv aufzugreifen.
Die Fundamentalopposition, mit der einzelne Verbändeder Wirtschaft die Diskussion ursprünglich begonnen ha-ben, hilft nicht weiter. Im Gegenteil, sie ist kontraproduk-tiv.
Ich werde auch die Gewerkschaften bitten, den Kom-promiss, den wir im Kabinett beschließen werden, kon-struktiv aufzugreifen und sich insofern, wie ich hoffe, dervorbildlichen Haltung der Arbeitgeberverbände anzu-schließen.
In Richtung F.D.P. erlaube ich mir noch eine Bemer-kung: Sie haben durchaus die Möglichkeit, die Reform,die wir jetzt vorhaben, genauso mitzutragen, wie Sie dieReform 1972 mitgetragen haben.
Vielen Dank.
Nun erteile ich für die
CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen Gunnar Uldall das
Wort.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Dieser symbolische Handschlag zwi-schen Ihnen, Herr Minister Müller, und Ihnen, Herr
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Bundesminister Dr. Werner Müller14499
Minister Riester, zeigt gerade, wie gespannt die Situationzwischen Ihnen beiden ist.
Dadurch haben Sie nichts geheilt, sondern dadurch habenSie im Grunde genommen nur Auskunft darüber gegeben,wie angespannt die Lage zwischen Ihren beiden Häusern ist.
Selten hat es in den letzten Jahrzehnten eine derart großeDiskrepanz zwischen einem Wirtschaftsminister und ei-nem Arbeits- und Sozialminister gegeben, wie sie heutezwischen Minister Müller und Minister Riester deutlichgeworden ist.
Selten hat es in den letzten Jahrzehnten ein Papier einesMinisters gegeben, das den Gesetzentwurf eines anderenMinisters derart zerpflückt hat wie das sehr ausführlicheund sehr konzentrierte Papier, mit dem Sie, Herr MinisterMüller, gegenüber Herrn Minister Riester Ihren Wider-spruch deutlich gemacht haben. Und selten, Herr Minis-ter Riester, hat es – trotz des Handschlages eben – einenMinister gegeben, der einem anderen Minister das Ge-spräch verweigert hat, mit dem zu einem gemeinsamenund sachlich fundierten weiteren Vorgehen gelangt wer-den könnte.Herr Minister Müller will sich durchsetzen und sagt im„Focus“, er sei nicht gewillt, in dieser Sache wirkungsloszu bleiben.
Minister Riester will seine Konzeption auch durchsetzen.Was machen Sie, Herr Minister Müller,
wenn Sie in dieser Sache doch wirkungslos bleiben?
Die Fälle, in denen Sie und Ihre Vorstellungen vom Kabi-nett übergangen wurden, sind vielfältig. Deswegen ist esnicht ganz von der Hand zu weisen, dass Sie auch diesesMal wirkungslos bleiben werden. Ist danach dann Busi-ness as usual angesagt? Oder welche Konsequenzen wol-len Sie dann ziehen? Nur drohen, aber nicht handelnschwächt die Position des Wirtschaftsministers.Es ist ja interessant, Herr Minister, dass Sie nicht nurim Widerstreit mit Minister Riester stehen, sondern auchim Widerstreit zur Fraktion der SPD, die Ihnen eben garnicht die gebührende Aufmerksamkeit gezollt und nichtentsprechend geklatscht hat.
Auch ist es interessant, dass die Wirtschaftspolitiker, dieSozialpolitiker, die Finanzpolitiker der Fraktion der Grü-nen in dieser Frage hinter Müller stehen und dass auchFrau Dückert eben nicht die gebührende Aufmerksamkeitvon ihren Koalitionskollegen bekommen hat.Dieses Thema geht also tiefer an die sachliche Ausei-nandersetzung innerhalb der Koalition, als es der Hand-schlag zwischen Müller und Riester eben hätte zeigenkönnen.
Meine Damen und Herren, die weltweite Öffnung derMärkte, ein härterer internationaler Wettbewerb, eineschnellere Entwicklung neuer Produkte und neuer Tech-nologien, all das erfordert eine schnellere Handlungs-fähigkeit der Unternehmen.
Deswegen ist nicht mehr Regulierung, sondern mehr Frei-raum für die Unternehmen erforderlich.
Arbeitsplätze entstehen nicht dadurch, dass man mehrVorschriften erlässt, sondern sie entstehen durch mehr un-ternehmerischen Wagemut.
Aus diesem Grunde sagt Minister Müller in seiner kriti-schen Stellungnahme zu Recht, dieses Gesetz habe erheb-liche negative Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit deut-scher Unternehmen und Auswirkungen auf die Stand-ortwahl. Richtig, Herr Minister Müller! Deswegenmüssen Sie sich durchsetzen.Jetzt fragen wir uns einmal: Was bedeutet dieses Ge-setz eigentlich für die Arbeitnehmer im Betrieb? Zunächstkann man feststellen: Zukünftig muss ein Betrieb ab100Arbeitnehmern statt fünf Arbeitnehmer sieben Arbeit-nehmer in den Betriebsrat entsenden.
Nun frage ich mich: Was haben die Arbeitnehmer in die-sem Betrieb davon, wenn sich statt fünf Arbeitnehmernsieben Arbeitnehmer zu den Betriebsratssitzungen tref-fen? Dies bedeutet keinerlei qualitative Verbesserung.
Dann geht es weiter: Die Betriebe mit 200 Arbeitneh-mern müssen zukünftig einen Arbeitnehmer freistellen.Nun sind nicht alle Unternehmen kapitalintensiv und ha-ben Vollzeitkräfte. Ich möchte in diesem Zusammenhangdas Modell eines Betriebes, eines Reinigungsunter-nehmens, ansprechen, dessen 200 Arbeitnehmer fast aus-schließlich Teilzeitkräfte sind. Dieses Unternehmen hateine Gewinnsituation in der Größenordnung von150 000 DM, weil die Arbeitnehmer ja nur Teilzeitkräftesind und deswegen nicht sehr viel Umsatz machen. Einzusätzlicher Vollzeitbetriebsrat frisst den Gewinn in die-sem Betrieb fast vollständig auf. Das ist die Realität in denkleinen und mittelständischen Betrieben.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001
Gunnar Uldall14500
Deswegen sage ich abschließend: Die vorgeseheneÄnderung des Betriebsverfassungsgesetzes ist ein Schlaggegen den Mittelstand, gegen die Teilzeitarbeit und gegenden Wirtschaftsstandort Deutschland. Deswegen mussdiese Änderung im Kabinett gestoppt werden.
Ich erteile das Wortdem Kollegen Werner Schulz, Bündnis 90/Die Grünen.Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrKollege Uldall, es ist schon verblüffend, wie Sie hier ver-suchen, einen freundlichen Händedruck im Plenum inHandgreiflichkeiten umzudeuten.
Es ist genauso verblüffend – auch das muss ich Ihnen sa-gen –, dass man das gute und wichtige Thema der be-trieblichen Mitbestimmung zum Inhalt einer solchen Ak-tuellen Stunde macht.Herr Kollege Brüderle, Ihnen geht es doch gar nicht umKosten, um Mitgestaltung und um Inhalte.
Bei Ihnen kommt langsam die möllemannsche Sucht zumAusdruck, Sachfragen in Personalkonflikte zu verwan-deln.
Ihnen geht es nicht um die Anzahl der Betriebsräte, son-dern um die Zahl der zurückgetretenen Minister; das isthier deutlich geworden.
Dass sich diese Zahl erhöht, das möchten Sie erreichen.Aber diesen Spalt werden Sie nicht in die Koalitiontreiben. Denn beide Minister haben hier deutlich gesagt:Die Koalitionsfraktionen gehen mit einer abgestimmtenVorlage ins Kabinett. – Dort wird sie beraten. Dann be-ginnt die Stunde des Parlaments. Dann können wir dasGanze beraten. Wir sind offen für Veränderungen, Kor-rekturen, Verbesserungsvorschläge und dergleichen mehr.So ist normalerweise das parlamentarische Verfahren.So war das immer und so werden wir das auch jetzt tun.Das sei auch an alle Interessenverbände gesagt, die sichjetzt lautstark melden. Noch steht die Mitbestimmung derAbgeordneten, die der Fraktionen und selbstverständlichdie der Minister,
bevor die Gesamtberatung abgeschlossen ist. Das jetztGeplante kann im Laufe der Beratungen, wie das häufiggeschehen ist, verbessert werden. Da sind natürlich sub-stanzielle Vorschläge von Ihnen gefragt. Dazu habe ichnicht viel gehört.Eines muss man doch feststellen: Das Betriebsverfas-sungsgesetz hat sich bewährt. Es hat die Tarifpartner-schaft verstärkt, das Betriebsklima verbessert und den Be-triebsfrieden erhalten. Dieses Betriebsverfassungsgesetzist für unser Land zu einem Standortvorteil geworden.
Das sollten wir jetzt nicht, wie das in früheren Jahren pas-siert ist, wieder herunterreden. Auch sollten wir nicht wie-der die ganzen alten Kämpfe aufnehmen. Ich habe ja Ver-ständnis für die aktuelle 68er-Debatte. Die istbildungspolitisch sehr wichtig.
– Herr Brüderle, ich weiß darüber vielleicht mehr als Sie.Aber das ist ein anderes Thema. – Ich glaube bloß, dassuns dieses Polit-Revival im Hinblick auf die alten Kämpfeder Bundesrepublik von 1952 und von 1972, als imZusammenhang mit der Mitbestimmung schon der Unter-gang des Abendlandes und der Einbruch des Sozialismusauf westdeutschem Boden befürchtet worden sind, nichteinen Deut weiter bringt.
Wir befinden uns heute in der Situation, dass die Mit-bestimmung der betrieblichen und der gesellschaftlichenWirklichkeit angepasst werden muss. Das heißt, die Mit-bestimmung muss auf der einen Seite – das ist uns wich-tig – qualitativ verbessert werden. In den Betriebenkommt es heute angesichts der Globalisierung bzw. desStrukturwandels zu strukturellen Veränderungen. Das be-trifft den gesamten Bereich des Outsourcings, neue Orga-nisationsformen wie zum Beispiel Netzwerke, neue Be-schäftigungsformen und dergleichen mehr. Wir müssendem gerecht werden.
Denn machen wir uns nichts vor: Viele der kleinen undmittelständischen Betriebe sind eigentlich outgesourcteGroßindustrien.
Wenn die Tendenz zu kleinen und mittelständischenBetrieben geht, dann sollte die Mitbestimmung mitgehen.Auch das ist wichtig.
Denn nicht mit Konfrontation, sondern nur mit Koopera-tion kommen wir in diesem Bereich weiter.Wir wollen die Mitbestimmung auf der anderen Seiteals ein Instrument im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit
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Gunnar Uldall14501
stärken. Wenn es stimmt – empirische Untersuchungenbelegen das –, dass Unternehmenskrisen zum überwie-genden Teil auf Managementfehler zurückzuführen sind,dann frage ich Sie: Warum beziehen wir nicht rechtzeitigdas Wissen, die Erfahrung und die Kenntnisse der Be-triebsräte ein?
Das ist wichtig und wir können uns noch im Detail darü-ber streiten. Wie gesagt: Das Verfahren ist offen.Ich möchte betonen, dass wir den Wirtschaftsministerausdrücklich in seinen Bemühungen stärken, Anregun-gen, Verbesserungen und Kritik aus der Wirtschaft einzu-bringen. Es spricht auch überhaupt nichts dagegen, wenndieses Vorhaben im Bündnis für Arbeit behandelt wird.Wenn es dort Verbesserungen gibt, sind wir dafür offen,diese aufzunehmen. Es wird in dieser Situation hilfreichsein, denn eines sollte uns bewusst sein: Wir dürfen denStandort nie wieder so herunterreden, wie das in den90er-Jahren passiert ist; denn nur in der gemeinsamenAusgestaltung der Mitbestimmung besteht ein Standort-vorteil, den wir nutzen sollten.
Das Wort hat für die
F.D.P. der Kollege Dr. Heinrich Kolb.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Minister Müller,ich muss mich zunächst an Sie wenden. Wenn Ihre heutigeRede für das steht, was Sie in den nächsten Tagen an Kamp-fesgeist zeigen wollen, dann ist das kein gutes Ohmen.
Sie haben um den heißen Brei herumgeredet und sich imKreis gedreht. Am Schluss haben Sie symbolisch IhreZelte abgebaut. Ich kann Ihnen, Herr Minister, nur sagen:Wenn Sie in dieser Frage einknicken und umfallen, habenSie jede Glaubwürdigkeit beim deutschen Mittelstandverloren.
Sie haben als Minister jederzeit die Gelegenheit, noch-mals an das Rednerpult zu treten und mir zu antworten.
Ich frage Sie: Stehen Sie zu Ihren klaren Aussagen inIhrem Schreiben an Bundesminister Riester? Darin stehen26 Punkte, von denen ich Ihnen fünf nennen will. Zu Zif-fer 3 – aktives Wahlrecht für Leiharbeitnehmer – habenSie ganz klar gesagt: Lehne ich ab. Zu Ziffer 4 – Absen-kung des Schwellenwertes für die betriebliche Mitbe-stimmung – haben Sie eine klare Aussage gemacht: Lehneich ab. Zu Ziffer 5 – keine Wahl im Hauruckverfahren –frage ich Sie: Stehen Sie dazu? Zu Ziffer 10 – Freistel-lungen, Absenkung der Schwellenwerte – haben Sie ge-sagt: Lehne ich ab. Stehen Sie auch dazu, Herr MinisterMüller? In Ziffer 12 heißt es: kein obligatorischer Kon-zernbetriebsrat.
Das sind die Fragen, die wir heute von Ihnen beantwortethaben wollen. Ich fordere Sie auf: Schweigen Sie nicht!Kommen Sie her und stellen Sie die Dinge klar!
Ich fordere Sie wirklich dringend auf, mit der Formu-lierung, es gebe einen Modernisierungsbedarf im Be-triebsverfassungsgesetz, nicht einfach den Sprachge-brauch der Gewerkschaften nachzubeten.
Ein Wirtschaftsminister, der ständig im Mittelstand undbei den Unternehmen unterwegs ist, müsste es eigentlichbesser wissen.Herr Minister Riester, natürlich hat sich in den letzten30 Jahren etwas verändert.
Diese Veränderungen lassen sich mit den Stichworten In-dividualisierung, Flexibilisierung, Entbürokratisierung,mehr Betriebsautonomie und betriebliche Bündnisse fürArbeit beschreiben.
Sie, Herr Riester, versuchen, diese Entwicklungen zu kon-terkarieren und die Mitbestimmung alter Art, die eher durchden Amboss als durch das Internet gekennzeichnet ist,
in die Zukunft zu prolongieren. Das kann doch wohl nichtsein.
Ich möchte – Frau Dückert hat in das gleiche Horn ge-blasen – den Mittelstand gegen Vorwürfe, es gäbe ein De-mokratiedefizit – so sagt es Frau Engelen-Kefer – oderman brauche mehr Demokratie – so Dieter Schulte heutein der „Welt“ –, was impliziert, es gebe ein undemokrati-sches Verhalten im Mittelstand, in Schutz nehmen.
Dazu will ich, auch wenn das einige von Ihnen anders se-hen, klar sagen: Unternehmer, insbesondere mittelstän-dische Unternehmer, sind besonders wertvolle Mitgliederunserer Gesellschaft, weil sie eine überpersönlicheVerantwortung wahrnehmen und das wichtigste sozialeGut für die Menschen in unserem Lande schaffen: Ar-beitsplätze.
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Werner Schulz
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Wie ist das denn in anderen Ländern, in denen man Mit-bestimmung nach dem deutschen Muster nicht kennt? Istdas alles undemokratisches Gebaren, so beispielsweise inden Vereinigten Staaten oder in England, um nur zweiLänder zu nennen? Das kann doch wohl nicht Ihr Ernstsein.
Nehmen Sie, Herr Hiksch, bitte zur Kenntnis: DieMenschen, die in kleinen oder mittleren Unternehmen ar-beiten, sind keine entrechteten Sklaven, sondern selbstbe-wusste Leistungsträger, die sehr oft auf eine langjährigeBetriebszugehörigkeit zurückblicken können. Das wäredoch wohl kaum der Fall, wenn sie so geknechtet würden,wie Sie es hier behauptet haben.
Es gibt aber einen Unterschied: In kleinen und mittle-ren Unternehmen funktioniert die direkte Kommunika-tion zwischen dem Unternehmer und dem Arbeitnehmerin der Regel noch anders als in den großen Unternehmen,in denen Manager dann, wenn sie Fehler machen, mit Mil-lionenabfindungen auf den nächsten Posten geschobenwerden. Im Mittelstand steht der Unternehmer mit seinempersönlichen Hab und Gut für die Richtigkeit seiner Ent-scheidungen gerade. Diese Unternehmer haben in der Re-gel immer auch das Wohl der Arbeitnehmer im Blick.
Ich habe, liebe Kolleginnen und Kollegen, nur noch sehrwenig Zeit. Deswegen will ich symbolisch auf einen Punkteingehen. Es sind das neue Wahlverfahren in § 14 a Be-triebsverfassungsgesetz und die Erweiterung des Kündi-gungsschutzes in § 15 Kündigungsschutzgesetz, die imMittelstand wirklich die Alarmglocken läuten lassen. Dassieht dann doch so aus, Herr Riester: Wer als Arbeitneh-mer Probleme im Unternehmen hat und mit einer Kündi-gung rechnen muss, der ruft dann künftig zur Gründungeines Betriebsrates auf.
Das Ergebnis ist sofortiger Kündigungsschutz, mindes-tens bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses, aber alsMindestgröße dann noch drei Monate. Das wird von Ih-nen nicht limitiert, sondern kann beliebig oft geschehen.Es kann also nach drei Monaten durchaus noch einmal zurWahl eines Betriebsrates aufgerufen werden. Das, HerrMinister Riester, kann ja wohl nicht Ihr Ernst sein.
Wenn Sie den Mittelstand stärker als bisher mit Mitbe-stimmung überziehen wollen, dann werden wir versu-chen, Ihnen das auszureden. Allein, wir haben nicht dieMehrheit, das zu verhindern. Herr Minister Müller könntedas verhindern durch sein Veto.
Herr Kollege, Sie
müssen an Ihre Redezeit denken, bitte.
Ich komme zum
Schluss.
Sie, Herr Minister Müller, sollten wenigstens an dieser
Stelle die Bedenken des Mittelstandes im Auge behalten.
Insgesamt ist der Entwurf, so wie wir ihn jetzt kennen, ex-
trem mittelstandsfeindlich. Deswegen ist es an Ihnen zu
handeln: Lehnen Sie diesen Entwurf ab!
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Dr. Ditmar Staffelt.
Frau Präsidentin! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Ich finde, dass dieseDebatte in dieser Polemik, in dieser hektischen, überzoge-nen Art und Weise weder unserem Land noch den Arbeit-gebern und Arbeitnehmern helfen kann.
Sie sollten auf den Boden der Realität zurückfinden.
Das sage ich einmal in Richtung der F.D.P., die 1972 in ei-ner sozialliberalen Koalition – offensichtlich waren dasaber F.D.P.-Politiker, die noch etwas andere Wertvorstel-lungen für unsere Gesellschaft hatten –
mit uns gemeinsam dieses Mitbestimmungsgesetz verab-schiedet hat. Dies sage ich aber auch in Richtung derCDU/CSU. Wir haben ja ein modernes Gemeinwesen. Ichhabe einmal im Internet unter „CDU, Politik A bis Z, Par-teizentrale“ nachgeschaut. Dort steht:Mitbestimmung und Mitwirkung der Arbeitnehmerin Betrieben und Unternehmen sind für uns eine un-verzichtbare Grundlage unserer Wirtschafts- und So-zialordnung.
Die Würde des arbeitenden Menschen verlangt seineTeilhabe an Entscheidungen, die die Bedingungen fürseine Arbeitswelt setzen.
Merken Sie denn nicht, dass Sie schon wieder auf einempolitischen Irrweg ins Abseits dieser Gesellschaft sind?
Sie stehen ja nicht einmal zu dem, was schwarz auf weißin Ihren Programmen steht. Also kommen Sie doch zu ei-ner sachgerechten Diskussion zurück!Ich habe mit vielen Unternehmerinnen und Unterneh-mern geredet. Darunter sind übrigens sehr vernünftige, die
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Dr. Heinrich L. Kolb14503
wissen, dass eine vernünftige Zusammenarbeit mit denVertreterinnen und Vertretern der Arbeitnehmerschaft ins-besondere in schwierigen Situationen der Unternehmenaußerordentlich hilfreich ist. Daran gibt es doch gar kei-nen Zweifel.
Ich selbst habe in meiner beruflichen Tätigkeit erlebt, wiewichtig dieses Zusammenwirken in kritischen Situationenwar und ist.Ich füge noch eines hinzu: Wir leben in Deutschland ineiner auf Konsens ausgerichteten Gesellschaft. Sie sagen,Sie seien es, die die soziale Marktwirtschaft in diesemLande wesentlich geprägt haben. Warum bekennen Siesich dann aber nicht zu diesem Konsensmodell, zu demauch eine ordentliche Mitbestimmung gehört?
Herr Uldall, Sie haben gesagt: Noch nie haben Ar-beitsminister und Wirtschaftsminister so weit auseinandergestanden. Ich erinnere mich noch an Diskussionen zwi-schen Herrn Rexrodt
und Herrn Blüm: Steuerreform, Rente, nicht einmal daspopelige Ladenschlussgesetz haben sie in ihrer Zeit aufdie Reihe gekriegt. Seien Sie daher mal ganz ruhig undzurückhaltend!
Ich bin ganz sicher, dass diese Regierung in der nächs-ten Woche einen Beschluss fassen wird, der sich sehenlassen kann und den wir gemeinsam sachlich diskutieren.Ich weiß sehr genau, dass Sie am Ende dieser Auseinan-dersetzung, die Sie jetzt führen, in der Sache einschwen-ken müssen, weil es letztlich auch darum geht, dass Re-den und Handeln in Übereinstimmung bleiben.
Sie sagen hier: Wir brauchen nicht mehr Regulierung,sondern mehr Wagemut. Ich weiß gar nicht, warum Siedas alternativ zueinander diskutieren. Ein Unternehmerkann wagemutig sein, kann Fantasie entwickeln, Ideenhaben und wird dafür die Unterstützung seiner Betriebs-räte haben. Warum rücken Sie immer das Gegeneinanderund nicht das Miteinander in den Mittelpunkt Ihrer Be-trachtung?
Ich füge noch eines hinzu, womit wir aufräumen soll-ten – das gilt für das neue wie für das alte Gesetz –: Nie-mand wird gezwungen, einen Betriebsrat zu wählen.Wenn er in einem Unternehmen nicht gewollt wird, danngibt es auch keinen. Es gibt keinen entsprechenden Druck.
– Nein, daran ändert sich nichts.Ich füge hinzu: Schauen Sie sich an, was die Vertretervon Stiftungen, was bedeutende Leute der Wirtschaft zudiesem Thema gesagt haben:
Der Kooperationsgedanke auf der einen Seite und die ef-fektive Unternehmensführung auf der anderen Seite müs-sen und werden nicht gegeneinander stehen. Beispieledafür gibt es viele. Ich bin sicher, dass Detailfragen, diezwischen den Häusern und auch innerhalb der Koalitionin Rede gestanden haben, am Ende in befriedigenderWeise gelöst werden,
letztlich für mehr Mitbestimmung in dieser Gesellschaft,für ein Stück mehr Demokratie, aber auch für eineeffizientere Wirtschaft in unserem Lande.
Jetzt hat der Kollege
Johannes Singhammer für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
Frau Präsi-dentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! HerrKollege Staffelt, eine moderne Betriebsverfassung nutztden Arbeitnehmern, den Arbeitgebern und dem StandortDeutschland.
Aber die Pläne, die Sie hier vorgelegt haben, haben über-haupt keinen Nutzen. Sie nutzen nicht dem einzelnen Ar-beitnehmer, nicht der Belegschaft,
nicht dem Betrieb, nicht den Gewerkschaften, nicht denGewerkschaftsmitgliedern. Sie nutzen einzig und alleindem Monopol der größten und stärksten Gewerkschaft,dem DGB. So ist es auch beabsichtigt.
Dieser Entwurf ist in der DGB-Zentrale geschriebenworden und Herr Riester ist mit dem Föhn darüber ge-gangen.
Jetzt muss der Bundeskanzler die Zeche für die Unter-stützung seitens des DGB im Wahlkampf mit mindestens8 Millionen DM zahlen.
Ich sage noch etwas: Demokratie heißt Herrschaft derMehrheit und Schutz der Minderheit – auch im Betrieb.Das, was Sie hier vorlegen, würde zu einer Diskriminie-
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Dr. Ditmar Staffelt14504
rung und Ausgrenzung kleinerer Arbeitnehmervertretun-gen führen. Ich lese Ihnen einmal vor, was Ihr Entwurf inseiner Konsequenz bedeutet: Das Einreichen von Wahl-vorschlägen für kleine Gewerkschaften und Gruppen sollverhindert werden. Die Verhältniswahl/Listenwahl sollals Regelwahl abgeschafft werden. Die Freistellung vonBetriebsräten soll künftig mit einfacher Mehrheit zuguns-ten einer Fraktion erfolgen können. Die Besetzung vonAusschüssen und Arbeitsgruppen soll künftig mit einfa-cher Stimmenmehrheit erfolgen können. Der Wahlvor-stand soll künftig wieder nur nach Gutdünken einer Mehr-heitsfraktion zusammengestellt werden.Alle Maßnahmen haben zur Folge, dass sich 51 Pro-zent gegen 49 Prozent durchsetzen. Das ist das Gegenteilvon Minderheitenschutz. Wenn wir dieses Prinzip auf denDeutschen Bundestag übertragen würden, dann wäre dieOpposition in keinem Ausschuss vertreten und stellte kei-nen Ausschussvorsitzenden. Wenn es nach Ihnen ginge,hätten wir wahrscheinlich nicht einmal Rederecht hier imDeutschen Bundestag.
Dem Betriebsrat werden Aufgaben übertragen, die ernicht erledigen kann. Die Bekämpfung von Rassismusund Fremdenfeindlichkeit wird zum Thema von Betriebs-und Betriebsräteversammlungen und zu einer Aufgabedes Betriebsrats gemacht. Das ist ein gefährlicher Schritthin zu einem allgemeinen politischen Mandat, der den Be-triebsfrieden empfindlich stören wird.
Denn die Realität in den Betrieben sieht doch ganz andersaus.
Fremdenfeindlichkeit hat in den meisten Betrieben keineChance, weil das Prinzip „Kollegialität“ die Realität ist.
Die Betriebe brauchen auch keinen Betriebsrat, der letzt-lich zu einer Art Betriebspolizei verbogen werden soll.
Sie versäumen, mit Ihrem Entwurf auf die neuen Ent-wicklungen und die Globalisierung einzugehen, die natür-lich neue Herausforderungen mit sich bringen. Ich nennedas Verhältnis des Betriebsrates zu einem runden Tischund das Verhältnis einer Partnerschaft von Arbeitnehmernund Arbeitgebern in einem Betrieb zum Tarifvertrag. Dalohnt es sich, Regelungen zu diskutieren und die richtigeBalance zu finden. Das spielt in der Praxis der Betriebederzeit eine entscheidende Rolle. Wie sieht es mit demGünstigkeitsprinzip aus?
Welche Regelungen können hier gefunden werden, umden Tarifvertrag nicht auszuhöhlen, aber den einzelnenBetrieben die notwendige Flexibilität zu geben? Das istein spannendes Thema. Aber dazu lesen wir nichts.Jetzt noch zu Ihnen, Herr Wirtschaftsminister Müller.Ihre Aufgabe in der Bundesregierung ist es wohl, als po-litischer Urwalddoktor weiße Salbe an die Arbeitgeber zuverteilen. Dann kokettieren Sie noch mit dem Rücktritt.Ich lese, ein Rücktritt werde nicht ausgeschlossen. Dakriegt man eine richtige politische Gänsehaut.
Ich sage beiden Ministern: Die Betriebsverfassung istauf Konsens angelegt. Mit einem Dissens wird sie nichtzum gewünschten Erfolg führen.
Jetzt hat der Kollege
Franz Thönnes, SPD-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehrgeehrten Damen und Herren! Es ist schon merkwürdig,wenn ein Ministerialrat uns hier die betriebliche Alltags-welt erklären will und dann voll daneben liegt.
Sie sollten sich damit abfinden: Reform besteht nicht nurdarin, dass Steuern und Lohnnebenkosten reduziert wer-den und dass man Wirtschaftsförderprogramme neu orga-nisiert. Nein, Reform ist auch ein qualitativer Prozess,wenn es um die Erweiterung der demokratischen und so-zialen Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmerngeht.
Das heißt in unserer Demokratie Teilhabe und Verantwor-tung.1980 fielen noch gut 50,6 Prozent der Beschäftigtenunter die Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes.1998 waren es nur noch circa 36 Prozent. Das hat etwasmit der veränderten Wirtschaftsstruktur und den verän-derten Organisationseinheiten in den Unternehmen zutun. Unsere Absicht ist es, diese Zahl wieder zu erhöhen.Das ist nicht nur unsere Absicht, sondern auch die derCDU/CSU-Arbeitnehmergruppe, die in ihrem Positions-papier schreibt:Wir wollen mit der Reform des Betriebsverfassungs-gesetzes erreichen, dass wieder mehr Arbeitnehme-rinnen und Arbeitnehmer durch Betriebsräte vertre-ten werden.Das machen wir. Das setzen wir jetzt um. Dies bedeutetTeilhabe und Verantwortung.
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Johannes Singhammer14505
Wir haben 1972 gut 29 300 Betriebsratsgremiengewählt. 1998 betrug die Zahl 38 000. Das ist eine Stei-gerung um 30 Prozent. Dies war nicht der Untergangdes Abendlandes. Das konnte diese Wirtschaft nichtnur verkraften. Ich glaube, sie ist dadurch sogar stark ge-worden.
Herr Brüderle, das war das Resultat der Koalition, diedamals regiert hat und dieses Gesetz gegen die Stimmender Opposition, die dieses Gesetz damals nicht unterstützthat, beschlossen hat.
Sie haben heute hier erklärt, die Umsetzung dieses Ge-setzentwurfes brächte Kosten von 2,7 Milliarden DM mitsich. Für diese Zahl haben Sie überhaupt keine empiri-schen Grundlagen.
– Nein, das haben Sie nicht. Sie bauen einen Popanz auf,indem Sie den Betriebsrat mit einem Kostenfaktor gleich-setzen wollen. Das wird ihm nicht gerecht.
220 000 Kolleginnen und Kollegen in den Betriebenhaben das Vertrauen ihrer Wählerinnen und Wähler beiden Betriebsratswahlen gefunden. Das sind keine fernge-steuerten Funktionäre, wie Sie es hier darstellen wollen.Das sind Menschen, die bereit sind, sich für andere ein-zusetzen und Verantwortung zu übernehmen. Ich denke,im Internationalen Jahr der Freiwilligen – Sie reden dochso viel über das Ehrenamt – sollten wir diesen Menschenerst einmal herzlich für ihr Engagement danken.
Was wir jetzt brauchen, ist eine nüchterne Aufklärung.Wir brauchen eine Aufklärung über die Praxis und nichtdie ideologischen Nebelschwaden, die Sie von untenlangsam aufsteigen lassen.
Ich zitiere Ihnen einmal Herrn Niedenhoff. Er kommt ineiner Untersuchung für das Institut der deutschen Wirt-schaft im Sommer 1999 zu folgendem Ergebnis:Der Betriebsrat ist durch seine Mitwirkungs- undMitbestimmungsrechte ein Produktionsfaktor. Diesist so und sollte von keiner Seite beklagt werden. Inder überwiegenden Mehrzahl der Betriebe in derBundesrepublik Deutschland trägt die partnerschaft-liche Zusammenarbeit von Betriebsrat und Betriebs-leitung dazu bei, das Betriebsklima zu verbessernund den Betriebsfrieden zu erhalten. Gäbe es keinBetriebsverfassungsgesetz, müssten dennoch dieMitarbeiter in irgendeiner Weise am Entscheidungs-prozess im Betrieb beteiligt sein, um diesen Be-triebsfrieden zu erhalten.
– Ich kenne Ihre Zwischenrufe. Behalten Sie Ihre Mei-nung, Herr Brüderle, sie passt zu Ihnen!
Wir werden das Gesetz verändern, damit es den neuenAnforderungen und Bedingungen entspricht. Wir lassenuns nicht auf die Auseinandersetzung ein, die von draußenals Getöse in das Haus hineingetragen wird und die Siefortsetzen wollen. Die BDA spricht von „radikal“, „dich-tes Geflecht“, „Explosion der Kosten“, „standortschäd-lich“ und dass die Mitbestimmung die Spitzenstellung inder ganzen Welt gefährde. Das Getöse ist uns nicht neu.Das gab es schon 1920, 1952 und 1972. Drei Jahre da-nach, 1975, hat der Personalchef von Henkel eingesehen:Das Betriebsverfassungsgesetz müsste erfunden werden,wenn es nicht schon existieren würde.
Ich will Ihnen etwas sagen, was mich bedenklichstimmt. – Auf diese Spur werden Sie uns nicht bringen .–Der Präsident des BDI, Michael Rogowski, hat am27. November 2000 erklärt:Ich finde auch, dass die Mitbestimmung im Auf-sichtsrat eingeschränkt werden sollte und Arbeitneh-mer dort nicht vertreten sein müssen. Aber dafürsollte es in den Unternehmen starke Wirtschaftsaus-schüsse geben. Die Betriebsräte müssen die Mög-lichkeit haben, mit den Firmenleitungen über ihrePlanung und die Folgen, auch für die Beschäftigten,zu reden.Was wollen Sie denn nun? Ich will Ihnen sagen, was da-hinter steckt: eine Kampagne, die die Rechte der Arbeit-nehmer in dieser Gesellschaft einschränken soll. Das wirdmit dieser Regierung nicht zu machen sein.
Herr Kollege, bitte
denken Sie an Ihre Redezeit.
Begreifen Sie – das sage ich
dem Kollegen Uldall –, dass der Mensch im Betrieb nicht
auf eine Kostenstelle reduziert werden darf. Er ist wie un-
sere Mitbestimmung ein Produktivitätsfaktor.
Herr Kollege, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.
Mein letzter Satz: Dass Teil-habe und Verantwortung ernst genommen werden, zeigtsich daran, dass nur 0,3 Prozent aller Streitfälle vor Ge-richt und 0,1 Prozent in der Einigungsstelle ausgetragen
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Franz Thönnes14506
werden. Teilhabe wird jetzt mit Verantwortung be-antwortet. Wir sind bereit, Verantwortung mit Teilhabe zubeantworten. Die CDU/CSU sollte einmal in ihren eige-nen Reihen die Frage nach dem Betriebsklima stellen.Vielleicht brauchen Sie mehr als manch anderer einen Be-triebsrat.
Als letztem Redner
erteile ich dem Kollegen Karl-Josef Laumann für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin!Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenn man dieDebatte des letzten Vierteljahres über das Betriebsverfas-sungsgesetz in Deutschland verfolgt hat, wenn man dieDebatte innerhalb der Bundesregierung sowie die heutigeDebatte im Bundestag verfolgt hat, muss man feststellen,dass ein paar Dinge, die eigentlich selbstverständlich seinsollten, völlig aus dem Blickwinkel gerückt sind.Erstens. Ich kenne niemanden in der BundesrepublikDeutschland, der das bestehende Betriebsverfassungsge-setz nicht akzeptiert bzw. verinnerlicht hat und die be-triebliche Partnerschaft nicht für richtig hält. Warum ha-ben wir nun auf einmal eine derart emotionsgeladeneDebatte über das Betriebsverfassungsgesetz? Das liegtdaran, dass wir eine Bundesregierung haben, die nicht dieWeiterentwicklung des jetzigen Betriebsverfassungsge-setzes im Auge hat, sondern dabei ist, das Betriebsverfas-sungsgesetz in wesentlichen Punkten zu überfrachten,
und damit eine grundsätzliche Auseinandersetzung überdieses Thema heraufbeschworen hat.
Jetzt frage ich Sie: Warum belasten Sie denn die De-batte zum Betriebsverfassungsgesetz mit dem Vorhaben,den Minderheitenschutz in den Wahlverfahren abzuschaf-fen?
Die Grünen verstehe ich in diesem Punkt überhaupt nicht.Ich weiß noch nicht einmal, warum die DGB-Gewerk-schaftler das eigentlich wollen. Habt ihr Angst vor diesenWahlen? Wenn eine Wahl mit einem Ergebnis endet, dasdem DGB nicht gefällt, dann ist das dennoch zu akzeptie-ren, weil es die Belegschaft so gewollt hat.
Sie haben damit eine Diskussion begonnen, die Sie sichdadurch hätten ersparen können, dass Sie souverän überder Sache gestanden hätten.In keinem einzigen von Hunderten von Briefen, die inunseren Fraktionsbüros zum Betriebsverfassungsgesetzeingegangen sind, wird eine Abschaffung des Minderhei-tenrechtes bei Wahlverfahren gefordert, auch nicht von-seiten des DGB. Ich habe auch keinen einzigen Brief er-halten, in dem sich Betriebsräte für eine Änderung derSchwellenwerte ausgesprochen hätten. Das ist doch ir-gendwie komisch. Warum machen Sie an diesen EckenFässer auf, die Sie gar nicht brauchen? Vielleicht tun Siedies, weil ein paar Gewerkschaftsfunktionäre denken, eswäre ganz schön, damit den einen oder anderen zu bedie-nen. Damit aber werden Sie die soziale Partnerschaft inden Betrieben nicht verstärken können.
Wichtiger ist, im Zusammenhang mit dem Betriebs-verfassungsgesetz zu bedenken, dass 80 Prozent allerBeschäftigten in Kleinbetrieben arbeiten, dass es also für80 Prozent aller Beschäftigten darauf ankommt, sozialePartnerschaft in kleinen, überschaubaren Betrieben gelebtzu sehen. Es geht hier nicht um die BASF, die ich amDienstag in Ludwigshafen besucht habe und die einenmächtigen Betriebsrat hat, was in einem so großen Betriebja auch in Ordnung ist.Man muss anerkennen, dass es soziale Partnerschaftenauch in Betrieben gibt, die keinen Betriebsrat haben.
– Doch, die gibt es schon, nämlich dort, wo man sich je-den Morgen sieht, das heißt in Kleinstbetrieben mit fünf,sechs oder sieben Leuten. Das müssen Sie einfach mal zurKenntnis nehmen.Zweitens. Natürlich müssen wir für eine Vereinfa-chung von Wahlverfahren sein. Es ist falsch, dass esschwieriger ist, einen Betriebsrat zu wählen, als einenBundestagsabgeordneten in einem Direktwahlkreis auf-zustellen. Es muss sichergestellt sein, dass derjenige, dereine Betriebsratswahl anstößt, nicht entlassen wird. Wennso etwas geschieht, ist das eine Sauerei. Davor müssen wirdie Leute schützen.
Aber anders herum hält die betriebliche Partnerschaftnur, wenn Änderungen nicht in einem Ad-hoc-Verfahrenvorgenommen werden, bei dem unter Umständen nicht si-chergestellt ist, dass alle im Betrieb an diesem Verfahrenbeteiligt werden.
Deswegen ist neben dem, was wir heute für Kleinbetriebehaben, dem, was man sich vorstellen könnte, und dem,was Sie vorschlagen, eine Lösung möglich, mit der manbeidem Rechnung tragen kann, damit Ad-hoc-Entschei-dungen nicht möglich sind.
Vielmehr sollten alle beteiligt werden und es sollte gutüberlegt werden, wer als Betriebsrat auch gewählt wird.
Ich möchte für meine Fraktion ausdrücklich sagen: HerrRiester, wenn Sie die Überfrachtung der Zuständigkeiten
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 2001
Franz Thönnes14507
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. Februar 200114508
(A) der Betriebsräte – Umweltschutz, Radikalismus, Minder-heitenwahlverfahren –
in Ihrem Gesetzentwurf zur Disposition stellen, kann manmit uns über alles reden. Wir sind die Partei der sozialenPartnerschaft in Deutschland.
Das haben wir immer bewiesen. Die Union ist mit Perso-nen wie Konrad Adenauer, Karl Arnold, Norbert Blüm,Hans Katzer die Partei gewesen, die Betriebsverfassungund Mitbestimmung vorangebracht hat. Die Union istVater und Mutter der betrieblichen Partnerschaft.
Aber die wollen wir auf die Betriebsräte konzentrieren,möglichst ohne Einfluss von außen.Schönen Dank.
Die Aktuelle Stunde
ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen
Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages ein auf morgen, Donnerstag, den 8. Februar
2001, 9 Uhr, ein
Die Sitzung ist geschlossen.