Protokoll:
14146

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 146

  • date_rangeDatum: 25. Januar 2001

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:48 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Nachträgliche Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Dr. Harald Kahl und Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten . . . . . . . . 14249 A Erweiterung und Umstellung der Tagesordnung 14249 A Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 14249 C Tagesordnungspunkt 3: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bundesbericht Forschung 2000 (Drucksache 14/4229) . . . . . . . . . . . . . . . 14250 A Edelgard Bulmahn, Bundesministerin BMBF 14250 B Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 14252 C Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen) CDU/CSU 14253 D Hans-Josef Fell BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14256 C Ulrike Flach F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . 14258 B Ulrike Flach F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14260 A Maritta Böttcher PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14262 B Jörg Tauss SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14264 A Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 14266 D Dr.-Ing. Joachim Schmidt (Halsbrücke) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14267 D Ulrich Kasparick SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14270 C Tagesordnungspunkt 4: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Kurt-Dieter Grill, Gunnar Uldall, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Energiepolitik fürDeutsch- land – Konsequenzen aus dem Ener- giedialog 2000 (Drucksachen 14/3507, 14/4338) . . . . 14271 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Klaus Lippold (Offenbach), Dr. Paul Laufs und der Fraktion CDU/CSU: Energieeinsparung durch Minderung des Stromverbrauchs von Elektro- geräten im Leerlaufmodus (Stand-by- Effekt) (Drucksachen 14/2348, 14/3328) . . . . 14272 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Techno- logie zu der Unterrichtung durch das Eu- ropäische Parlament: Entschließung des Europäischen Parlaments zu Elektri- zität aus erneuerbaren Energieträgern und zum Elektrizitätsbinnenmarkt (SEK (1999) 470 – C5-0342/1999 – 2000/2002 (COS)) (Drucksachen 14/3428 Nr. 1.9, 14/4339) 14272 A d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Walter Hirche, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Zukunftsfähige Energiepolitik für den Standort Deutschland (Drucksachen 14/2364, 14/2946) . . . . 14272 B e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Kurt-Dieter Grill, Gunnar Uldall, weiterer Abgeordneter Plenarprotokoll 14/146 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 146. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001 I n h a l t : und der Fraktion CDU/CSU: Energie- politik für das 21. Jahrhundert – Ein- stieg in ein nachhaltiges, klima- verträgliches Energiekonzept statt Ausstieg aus der Kernenergie (Drucksachen 14/543, 14/3229) . . . . . 14272 B f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Techno- logie zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Walter Hirche, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P. zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Stromerzeu- gung aus erneuerbaren Energien (Er- neuerbare-Energien-Gesetz) sowie zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes (Drucksachen 14/2341, 14/2778, 14/3343) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14272 C g) Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Birgit Homburger, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion F.D.P.: Solar- bericht (Drucksache 14/1234) . . . . . . . . . . . . . 14272 C Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . . . . . . 14272 D Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 14274 C Dr. Axel Berg SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14276 A Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . . . . . . 14277 B Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 14277 C Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14278 A Walter Hirche F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14279 D Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . 14282 A Dr. Werner Müller, Bundesminister BMWi . . 14283 B Gunnar Uldall CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 14286 C Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . 14288 B Dr. Christian Ruck CDU/CSU . . . . . . . . . . . 14289 D Volker Jung (Düsseldorf) SPD . . . . . . . . . . . 14291 C Walter Hirche F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 14292 D Tagesordnungspunkt 17: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Jörg van Essen, Gerhard Schüßler, weiteren Abgeordneten und der Frak- tion F.D.P. eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Ergänzung des Deutschen Richtergesetzes (DRi- GErgG) (Drucksache 14/4909) . . . . . . . . . . . . . 14294 A b) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 13. Dezember 1999 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Panama über den Luft- verkehr (Drucksache 14/4988) . . . . . . . . . . . . . 14294 B c) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. Mai 1997 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Est- land über den Luftverkehr (Drucksache 14/4989) . . . . . . . . . . . . . 14294 B d) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurAufhebung des Magnet- schwebebahnbedarfsgesetzes (Drucksache 14/5067) . . . . . . . . . . . . . 14294 B e) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umstellung von Vor- schriften im land- und forstwirt- schaftlichen Bereich auf Euro (Fünf- tes Euro-Einführungsgesetz) (Drucksache 14/4555) . . . . . . . . . . . . . 14294 C Tagesordnungspunkt 18: Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Ersten Gesetzes zur Ände- rung des Gesetzes über die Verarbei- tung und Nutzung der zur Durchfüh- rung derVerordnung (EG) Nr. 820/97 des Rates erhobenen Daten (Drucksachen 14/4721, 14/5142) . . . . 14294 C b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zi- vil- und Handelssachen (Drucksachen 14/4591, 14/5143) . . . . 14294 D c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungsur- kunden vom 6. November 1998 zur Konstitution und zur Konvention der Internationalen Fernmeldeunion vom 22. Dezember 1992 (Drucksachen 14/3952, 14/5104) . . . . 14295 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001II d) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 28. Juli 1995 zwischen der Regierung der Bundes- republik Deutschland und der Regie- rung derAserbaidschanischen Repu- blik über den Luftverkehr und zu dem Protokoll vom 29. Juni 1998 zur Berichtigung und Ergänzung des Ab- kommens vom 28. Juli 1995 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Aserbaidschanischen Republik über den Luftverkehr (Drucksachen 14/3476, 14/4971) . . . . 14295 B e) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. Mai 1999 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Moldau über den Luftverkehr (Drucksachen 14/3475, 14/4972) . . . . 14295 C f) – m) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses Sammelübersichten 174, 194, 234, 235, 236, 237, 238, 239 zu Petitionen (Drucksachen 14/3537, 14/4561, 14/5098, 14/5099, 14/5100, 14/5101, 14/5102, 14/5103) . . . . . . . . . . . . . . . 14295 D Zusatztagesordnungspunkt 2: Aktuelle Stunde betr. Keine Ausgrenzung unserer Bauern – die Bundesregierung muss dem ländlichen Raum in der ge- genwärtigen Krise helfen . . . . . . . . . . . . 14296 C Michael Glos CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 14296 D Waltraud Wolff (Wolmirstedt) SPD . . . . . . . . 14298 A Marita Sehn F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14299 A Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14300 B Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 14301 C Iris Hoffmann (Wismar) SPD . . . . . . . . . . . . 14302 C Heinrich-Wilhelm Ronsöhr CDU/CSU . . . . 14303 B Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14304 A Peter Bleser CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 14305 C Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär BMVEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14306 D Albert Deß CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 14308 C Holger Ortel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14309 D Manfred Grund CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 14311 A Reinhard Schultz (Everswinkel) SPD . . . . . . 14312 B Tagesordnungspunkt 5: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zurÄnderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer straßenverkehrsrechtlicherVorschrif- ten (StVRÄndG) (Drucksachen 14/4304, 14/5132) . . . . 14313 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen – zu dem Antrag der Abgeordneten Rita Streb-Hesse, Dr. Margrit Wetzel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion SPD sowie der Abge- ordneten Albert Schmidt (Hitzho- fen), Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜND- NIS 90/ DIE GRÜNEN: Regelung des Anwohnerparkens durch Städte und Gemeinden – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel, Hans-Günter Bruckmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion SPD sowie der Ab- geordneten Albert Schmidt (Hitzho- fen), Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜND- NIS 90/ DIE GRÜNEN: Verbot des Mitführens von Radar- und Laser- warngeräten in Kraftfahrzeugen (Drucksachen 14/1258, 14/1351, 14/5132) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14314 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Christine Ostrowski, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion PDS: Geschwindig- keitsbegrenzung auf 130 km/h auf Autobahnen (Drucksachen 14/1082, 14/5076) . . . . 14314 B Rita Streb-Hesse SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14314 C Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU . . 14316 A Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14318 A Horst Friedrich (Bayreuth) F.D.P. . . . . . . . . . 14320 B Christine Ostrowski PDS . . . . . . . . . . . . . . . 14321 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001 III Stephan Hilsberg, Parl. Staatssekretär BMVBW 14322 D Christine Ostrowski PDS . . . . . . . . . . . . . 14324 B Georg Brunnhuber CDU/CSU . . . . . . . . . . . 14325 D Tagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Dr. Norbert Lammert, Bernd Neumann (Bremen), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Jüdisches Museum, „Topo- graphie des Terrors“, Mahnmal für die ermordeten Juden Europas (Drucksache 14/4249) . . . . . . . . . . . . . . . 14327 B Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . . . . . . 14327 C Eckhardt Barthel (Berlin) SPD . . . . . . . . . . . 14329 A Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . . . . 14329 D Ina Albowitz F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14331 A Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . . . . 14332 A Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14332 A Monika Griefahn SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14333 B Ina Albowitz F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14333 C Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 14333 D Tagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zurAnpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschrif- ten an den modernen Rechtsgeschäfts- verkehr (Drucksache 14/4987) . . . . . . . . . . . . . . . . 14334 C Tagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Carl-Ludwig Thiele, Gisela Frick, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Abschreibungstabellen nicht än- dern (Drucksachen 14/1887, 14/5149) . . . . . . . 14334 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurVerbesserung derAbschrei- bungsbedingungen (Drucksache 14/5135) . . . . . . . . . . . . . . . 14334 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt, Heinz Seiffert, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion CDU/CSU: Den Wirtschaftsstandort stärken statt Ab- schreibungsbedingungen verschlechtern (Drucksache 14/5134) . . . . . . . . . . . . . . . 14334 D Jörg-Otto Spiller SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14335 A Hans Michelbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 14336 A Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14338 A Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU . . . . 14338 D Leo Dautzenberg CDU/CSU . . . . . . . . . . 14339 C Carl-Ludwig Thiele F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 14340 D Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU . . . . 14341 C Jörg-Otto Spiller SPD . . . . . . . . . . . . . . . 14342 A Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14342 D Karl Diller, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . 14343 C Carl-Ludwig Thiele F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . 14344 D Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 14345 B Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14351 B Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Fraktionen SPD und BÜND- NIS 90/ DIE GRÜNEN: Arzneimittelthe- rapie bei Kindern und Jugendlichen si- cherer machen (Drucksache 14/5083) . . . . . . . . . . . . . . . 14345 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Zöller, Eva-Maria Kors, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Medizinische Versorgung von Kindern sichern (Drucksache 14/5136) . . . . . . . . . . . . . . . 14345 C Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD . . . . . . . 14345 D Eva-Maria Kors CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 14347 B Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14349 A Detlef Parr F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14349 D Rosel Neuhäuser PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14350 C Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Gudrun Kopp, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Stiftung Waren- test in die Unabhängigkeit entlassen (Drucksache 14/4284) . . . . . . . . . . . . . . . 14353 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001IV Gudrun Kopp F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14353 D Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 14354 B Jella Teuchner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14355 A Vera Lengsfeld CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 14356 D Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14358 C Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14359 C Gudrun Kopp F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 14360 A Dr. Margrit Wetzel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 14360 D Max Straubinger CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 14362 D Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär BMVEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14364 A Tagesordnungspunkt 11: Erste Beratung des von den Abgeordneten Brunhilde Irber, Iris Gleicke, weiteren Ab- geordneten und der Fraktion SPD sowie den Abgeordneten Sylvia Voß, Ekin Deligöz, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gaststättengesetzes (Drucksache 14/4937) . . . . . . . . . . . . . . . 14365 B Renate Gradistanac SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 14365 C Klaus Brähmig CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 14366 B Sylvia Voß BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . 14368 A Ernst Burgbacher F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 14368 D Rosel Neuhäuser PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14369 D Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 14370 C Klaus Brähmig CDU/CSU . . . . . . . . . . . 14371 B Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 14371 D Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Norbert Geis, Maria Eichhorn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Ratifizie- rung des HaagerAdoptionsabkommens (Drucksache 14/4932) . . . . . . . . . . . . . . . 14372 D Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Christine Ostrowski, Gerhard Jüttemann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: So- forthilfe für konkursbedrohte Woh- nungsgenossenschaften aus TLG-Be- ständen organisieren (Drucksache 14/4939) . . . . . . . . . . . . . . . 14373 A Christine Ostrowski PDS . . . . . . . . . . . . . . . 14373 A Tagesordnungspunkt 10: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen), Thomas Rachel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Eckpunkte für eine Re- form des Hochschuldienstrechts (Drucksache 14/4382) . . . . . . . . . . . . . 14374 B b) Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Dienstrechts- reform an den Hochschulen konse- quent für eine umfassende Hoch- schulreform nutzen (Drucksache 14/4415) . . . . . . . . . . . . . 14374 B Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Heidi Lippmann, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion PDS: Aufhe- bung der Sanktionen gegen den Irak (Drucksache 14/4709) . . . . . . . . . . . . . . . 14374 C Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 14374 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14375 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 14377 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (PDS) zur Abstimmung über die Sammelübersicht 194 zu Petitionen – Scha- densersatzleistungen aufgrund eines in der früheren DDR erlittenen Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit (Drucksache 14/4561) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14378 A Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und an- derer Vorschriften an den modernen Rechts- geschäftsverkehr (Tagesordnungspunkt 7) . . . 14378 C Christine Lambrecht SPD . . . . . . . . . . . . . . . 14378 C Dr. Wolfgang Götzer CDU/CSU . . . . . . . . . . 14380 A Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14381 B Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14381 D Sabine Jünger PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14382 B Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14382 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001 V Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Eckpunkte für eine Reform des Hochschul- dienstrechts – Dienstrechtsreform an den Hochschulen konsequent für eine umfassende Hoch- schulreform nutzen (Tagesordnungspunkt 10 a und b) . . . . . . . . . . 14384 A Dr. Peter Eckardt SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 14384 A Thomas Rachel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 14384 D Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) CDU/CSU 14386 A Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14386 D Cornelia Pieper F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . 14387 C Maritta Böttcher PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14388 B Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekre- tär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14389 C Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrages: Ratifizierung des Haager Adoptions- abkommens (Tagesordnungspunkt 12) . . . . . . 14391 C Margot von Renesse SPD . . . . . . . . . . . . . . . 14391 C Renate Diemers CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 14391 D Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14392 D Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14393 C Christina Schenk PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14394 A Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrages: Soforthilfe für konkursbedrohte Wohnungsgenossenschaften aus TLG-Bestän- den organisieren (Tagesordnungspunkt 13) 14394 C Dr. Peter Danckert SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 14394 C Norbert Otto (Erfurt) CDU/CSU . . . . . . . . . 14396 A Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14396 D Dr. Karlheinz Guttmacher F.D.P. . . . . . . . . . 14397 B Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrages: Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak (Tagesordnungspunkt 15) . . . . . . . . . 14397 D Christoph Moosbauer SPD . . . . . . . . . . . . . . 14397 D Joachim Hörster CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 14399 A Ulrich Irmer F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14400 A Dr. Ludger Volmer, Staatsminister AA . . . . . . 14400 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001VI Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001 Wolfgang Gehrcke 14375 (C) (D) (A) (B) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001 14377 (C) (D) (A) (B) Adam, Ulrich CDU/CSU 25.01.2001* Dr. Bartsch, Dietmar PDS 25.01.2001* Behrendt, Wolfgang SPD 25.01.2001* Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 25.01.2001 Bindig, Rudolf SPD 25.01.2001* Dr. Blank, CDU/CSU 25.01.2001* Joseph-Theodor Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 25.01.2001 Breuer, Paul CDU/CSU 25.01.2001 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 25.01.2001* Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ 25.01.2001 DIE GRÜNEN Eich, Ludwig SPD 25.01.2001 Fischer (Berlin), Andrea BÜNDNIS 90/ 25.01.2001 DIE GRÜNEN Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 25.01.2001 Friedhoff, Paul K. F.D.P. 25.01.2001 Friedrich (Altenburg), SPD 25.01.2001 Peter Dr. Fuchs , Ruth PDS 25.01.2001 Gröhe, Hermann CDU/CSU 25.01.2001 Haschke (Großhenners- CDU/CSU 25.01.2001 dorf ), Gottfried Dr. Hendricks, Barbara SPD 25.01.2001 Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 25.01.2001 DIE GRÜNEN Hoffmann (Chemnitz), SPD 25.01.2001* Jelena Homburger, Birgit F.D.P. 25.01.2001 Dr. Hornhues, CDU/CSU 25.01.2001* Karl-Heinz Hornung, Siegfried CDU/CSU 25.01.2001* Imhof, Barbara SPD 25.01.2001 Klappert, Marianne SPD 25.01.2001 Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 25.01.2001 Lamers, Karl CDU/CSU 25.01.2001 Laumann, Karl-Josef CDU/CSU 25.01.2001 Lintner, Eduard CDU/CSU 25.01.2001* Dr. Lippelt, Helmut BÜNDNIS 90/ 25.01.2001* DIE GRÜNEN Lörcher, Christa SPD 25.01.2001* Lötzer, Ursula PDS 25.01.2001 Dr. Lucyga, Christine SPD 25.01.2001* Dr. Luft, Christa PDS 25.01.2001 Dr. Luther, Michael CDU/CSU 25.01.2001 Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 25.01.2001* Erich Mehl, Ulrike SPD 25.01.2001 Mogg, Ursula SPD 25.01.2001 Müller (Berlin), PDS 25.01.2001* Manfred Oesinghaus, Günter SPD 25.01.2001 Ostrowski, Christine PDS 25.01.2001 Pau, Petra PDS 25.01.2001 Dr. Pfaff, Martin SPD 25.01.2001 Pflug, Johannes SPD 25.01.2001 Poß, Joachim SPD 25.01.2001 Rübenkönig, Gerhard SPD 25.01.2001 Rupprecht, Marlene SPD 25.01.2001* Schloten, Dieter SPD 25.01.2001* Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 25.01.2001* Hans Peter von Schmude, Michael CDU/CSU 25.01.2001* Schröder, Gerhard SPD 25.01.2001 Siebert, Bernd CDU/CSU 25.01.2001* Steiger, Wolfgang CDU/CSU 25.01.2001 Stübgen, Michael CDU/CSU 25.01.2001 Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 25.01.2001* Vogt (Pforzheim), Ute SPD 25.01.2001 Wiesehügel, Klaus SPD 25.01.2001 Wohlleben, Verena SPD 25.01.2001 Zierer, Benno CDU/CSU 25.01.2001* * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (PDS) zur Ab- stimmung über die Sammelübersicht 194 zu Pe- titionen – Schadensersatzleistungen aufgrund eines in der früheren DDR erlittenen Arbeitsun- falls oder einer Berufskrankheit (Drucksache 14/4561) Dr. Ilja Seifert (PDS): Der vom Petitionsausschuss vorgelegten Beschlussempfehlung zur Sammelübersicht 194 zu Petitionen, die Schadensersatzleistungen aufgrund eines in der DDR erlittenen Arbeitsunfalls oder einer Be- rufskrankheit begehren, kann ich aus folgenden Gründen nicht zustimmen: Erstens. Die Betroffenen fordern mit ihrer Petition die Weiterführung bereits früher – das heißt, bis etwa Mitte der Neunzigerjahre – geleisteter Schadensersatzleistun- gen für einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit, die sie in der DDR erlitten haben. Mit der Übernahme der staatlichen Versicherung der DDR, später der Allianz-Versicherung als Rechtsnachfol- ger, wurde öffentlich erklärt, dass die Ansprüche auf Leis- tungen, die vertraglich vereinbart waren, nicht entfallen. Es handelt sich um Verträge aus der Haftpflichtversiche- rung von Betrieben nach einem schweren Betriebsunfall. Die Schadensersatzleistungen waren auf Lebenszeit zu- gesichert. Die Zusicherung wurde von der Allianz be- stätigt. In der Reichsversicherungsordnung ist eine Streichung von Leistungen im Zusammenhang mit Renten gesetzlich nicht vorgesehen. Im Einigungsvertrag ist festgehalten, dass Verwaltungsakte der DDR gültig bleiben, sodass auch in diesem Falle ein Rechtsanspruch besteht. Das Bundesarbeitsgericht hat mit dem Urteil vom 4. Dezember 1995 die Ansprüche aus dem Arbeitsgesetz- buch der DDR aufgehoben und ihre Streichung angeord- net. Diese Urteil wurde von der Allianz aufgegriffen und als Rechtsgrundlage benutzt, um den Betroffenen die ih- nen zustehenden Rechte abzuerkennen. Damit wurde eine große Anzahl von Widersprüchen ausgelöst. Andererseits hat das Bundessozialgericht den Rechtsanspruch mit dem Urteil – Aktenzeichen 2 RU 24/94 – bestätigt. Diese doppeldeutige Rechtssituation darf nicht zulas- ten der Betroffenen gehen. Daraus ergibt sich dringender Bedarf, eine gesetzliche Regelung herbeizuführen, die den Rechtsansprüchen der Betroffenen gerecht wird. Eine solche Regelung muss dazu beitragen, dass die Betroffe- nenen auch in finanzieller Hinsicht für die Einbußen, die ihnen aufgrund der jahrelangen Aberkennung ihrer be- rechtigten Ansprüche unverschuldet entstanden sind, ent- schädigt werden können. Zweitens. In einer mit der Situation der Petenten ver- gleichbaren Weise waren nach Angaben aus dem Jahr 1996 zwischen 3 000 bis 6 000 ehemalige DDR-Bürger betroffen. Wie die Petenten sind die Betroffenen in den meisten Fällen durch den unerwarteten Ausfall der Scha- densersatzleistungen in eine schwierige soziale Lage und oft in ausgesprochene Notsituationen geraten. Die in Stellungnahmen des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung mehrfach und unter parteipoli- tisch unterschiedlicher Führung nahezu wortgleich er- folgte Begründung, dass aufgrund der angespannten Haushaltslage keine Regelung im Interesse der Betroffe- nen erfolgen könne, ist für mich weder nachvollziehbar noch in irgendeiner Weise akzeptabel. Deshalb werde ich Bemühungen, entgegen der bisheri- gen Position der Bundesregierung doch noch eine Rege- lung im Sinne der Betroffenen zu erreichen und Gerech- tigkeit herzustellen, weiterhin unterstützen. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetztes zur Anpassung der Formvorschriften des Pri- vatrechts und anderer Vorschriften an den mo- dernen Rechtsgeschäftsverkehr (Tagesord- nungspunkt 7) Christine Lambrecht (SPD):Willkommen im 21. Jahr- hundert! Hinter dem etwas gestelzten Titel „Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und an- derer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsver- kehr“ verbirgt sich ein entscheidender Durchbruch in der Anpassung unseres Rechtssystems an die Entwicklung moderner Kommunikationstechnik. Die Entwicklung der elektronischen Datenverarbei- tung, die Möglichkeiten, via Internet in Sekundenschnelle über den ganzen Erdball zu kommunizieren, hat unsere Lebens- und Arbeitswelt in großem Umfang verändert. Längst ist das Bestellen von Waren über das Internet ge- nauso selbstverständlich geworden wie das Bestellen im Versandhauskatalog. Längst ist es üblich, auch einen großen Teil des Schriftverkehrs über das Netz abzu- wickeln – und dies im privaten Bereich, in der Arbeitswelt und auch – soweit bisher zulässig – im Rechtsverkehr. Nur die Rechtssicherheit in diesem Bereich bestand bislang nicht in ausreichendem Maße. Ja, selbst der Ein- satz von Faxgeräten hat bisher in einer rechtlichen Grau- zone stattgefunden, was die Funktion eines Faxes als Ur- kunde und gültige Willenserklärung angeht. Es ist höchste Zeit, dass die mittlerweile zum Alltagsleben gehörenden elektronischen Kommunikationsmittel im Rechtsverkehr auf eine solide rechtliche Basis gestellt werden. In diesem Zusammenhang drängt sich die Frage auf, warum das eigentlich nicht schon längst geschehen ist. Nun wissen wir um die Begeisterung für moderne Kommunika- tionstechnik bei der vorhergehenden Bundesregierung. Wenn man in einem Kanzleramt residiert, in dem das fort- schrittlichste Kommunikationsmittel die Rohrpost ist, hält man „E-Mail“ wahrscheinlich für eine genetisch veränderte Backzutat. – So ist also auch dies ein Gesetzesvorhaben, bei dem man sagen kann: Es ist seit langem überfällig und es ist gut, dass es nun endlich umgesetzt wird. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 200114378 (C) (D) (A) (B) Es verwundert nicht, dass dieses Gesetz und auch das Signaturgesetz so schnell angegangen werden. Wer die Justizministerin kennt und sie auf Sitzung beobachtet, der weiß, dass wir eine Justizministerin haben, die nicht nur über den Einsatz von neuen Medien und modernen Kom- munikationsmethoden redet und bei der das allzeit prä- sente Notebook kein schickes Accessoire, sondern ein ständig im Einsatz befindliches Arbeitsmaterial ist. Im Kern geht es bei diesem Gesetz darum, Regelungen, die das Bürgerliche Gesetzbuch, das bekanntlich im Jahr 1896 geschaffen wurde, so zu verändern, dass sie den Ent- wicklungen des modernen Rechtsverkehrs entsprechen. Dazu gehört eben auch die Möglichkeit der elektroni- schen Datenübermittlung. Dies ist eine Entwicklung, die täglich zunimmt. Seit 100 Jahren gilt im BGB der Grundsatz der Form- freiheit. Dieser Grundsatz wird durchbrochen von einzel- nen Formvorschriften. Diese sind die Schriftform, die notarielle Beurkundung und die öffentliche Beglaubi- gung. Und immer dann, wenn der Gesetzgeber eine sol- che Form vorsieht, ist dies zwingend. Diese Formvorschriften entsprechen zum Teil nicht mehr der Entwicklung des modernen Rechtsverkehrs. Die Schriftform verhindert im modernen Geschäftsverkehr zum Teil ein zügiges Handeln und den rationellen Einsatz von modernen Techniken. So können geschäftliche Er- klärungen, die dem Erfordernis der eigenhändigen Unter- schrift unterliegen, zwar auf dem Computer erstellt, aber nicht direkt auf telekommunikativem Wege übermittelt werden. Jeder formbedürftige Vertrag muss ausgedruckt werden. Der vorliegende Gesetzentwurf sieht jetzt vor, zu dieser in § 126 BGB normierten Schriftform eine Möglichkeit zu einer elektronischen Form hinzuzufügen. Um diese für den Rechtsverkehr sicher zu machen, wird eine qualifizierte elektronische Signatur geschaffen. Grundlage dafür ist das bereits in der parlamentarischen Beratung befindliche Si- gnaturgesetz. Hierbei wurde erkannt, dass die Möglichkeit von Veränderungen oder Verfälschungen von Erklärungen ausgeschlossen sein muss. Mit dieser Signatur wird ein Zertifikat geschaffen, das von einer zuverlässigen Zertifi- zierungsstelle vergeben wird. So ist die Identität und die Authentizität einer in elektronischer Form übermittelten Erklärung für den Empfänger erkennbar. Der Absender wiederum hat die Sicherheit, dass niemand in seinem Na- men eine solche Erklärung abgeben bzw. eine abgegebene Erklärung verändern kann. Die elektronische Form soll eine gleichwertige Alternative an den Stellen werden, an denen das Gesetz eine schriftliche Form – mit eigenhändi- ger Unterschrift – verlangt. Wir sind aus diesem Grund auch der Überzeugung, dass es darüber hinaus keiner besonderen Neuregelung der Anfechtbarkeit von elektronisch übermittelten Wil- lenserklärungen bedarf. Die bereits bestehenden gesetzli- chen Regelungen und die von der Rechtsprechung ent- wickelten Auslegungskriterien reichen hierfür unserer Auffassung nach aus. Mit dem neu eingefügten § 126 b BGB, nämlich der Textform, soll eine weitere Erleichterung des Rechtsver- kehrs erreicht werden. Eine Erklärung soll in lesbaren Schriftzeichen erfasst werden, das heißt eine eigenhän- dige Unterschrift ist entbehrlich und die Erklärung muss nicht mehr zwingend auf Papier erfolgen, ist also auch per E-Mail möglich. Die Textform ist für solche Erklärungen vorgesehen, bei denen eine ausreichende Rechtssicherheit auch gege- ben ist, wenn beispielsweise lediglich die Kopie einer Er- klärung – zum Beispiel per Telefax –, eine nicht unter- schriebene schriftliche Erklärung oder die Erklärung überhaupt nur mittels telekommunikativer Einrichtungen übermittelt wird. Dies gilt vor allem dann, wenn keiner der Beteiligten ein ernsthaftes Interesse an einer Fäl- schung der Erklärung haben kann. Die jahrelangen Er- fahrungen mit schon bestehenden unterschriftslosen Einzelformbestimmungen zum Beispiel im Miet- und Ge- sellschaftsrecht bestätigen, dass aus der Formerleichte- rung keine schwerwiegenden Probleme entstanden sind. Wird auf die eigenhändige Unterschrift verzichtet, er- scheint auch ein Ausdruck eines Dokuments auf Papier nicht zwingend erforderlich. Erklärungen werden heute vielfach am Computer erstellt, aber auch von Computer zu Computer übermittelt und elektronisch gespeichert. Im Wirtschaftsverkehr, der in steigendem Maße elektronisch abgewickelt wird, ist der Ausdruck einer selbst erstellten oder empfangenen Datei auf Papier und eine Papierablage häufig entbehrlich. Auch das Fax wird in zunehmendem Maße als Computerfax ohne Verwendung von Papier über- mittelt. Dem hat der BGH dadurch Rechnung getragen, in- dem er die Zulässigkeit der Übermittlung bestimmter Schriftsätze per Telefax auf das Computerfax ausgedehnt hat. Der rationelle Einsatz, sprich der Verzicht auf einen Ausdruck, erspart Kosten, nämlich Arbeitszeit und Papier, und wird von der Praxis ausdrücklich begrüßt. Darüber hi- naus werden durch diesen Gesetzentwurf auch endlich die elektronischen Pforten zu den Gerichten eröffnet. Ich weiß nicht, ob Sie alle die zurzeit noch gängige Pra- xis des anwaltlichen Alltags kennen. Wenn ich als Anwäl- tin bei Gericht einen Schriftsatz einreichen will, sieht der Vorgang nach derzeit geltendem Recht folgendermaßen aus: Die Klageschrift muss in dreifacher schriftlicher – das heißt auf Papier – Ausführung eingereicht werden: einmal als Original mit eigenhändiger Unterschrift, ein- mal als beglaubigte Kopie – hier ist ein Stempel „beglau- bigte Abschrift“ und eine Unterschrift erforderlich – und einmal als normale Kopie, hier ist nur ein Stempel „Ab- schrift“ erforderlich. Das wird in Zukunft nicht mehr nötig sein. In Zukunft, wenn die Länder die entsprechen- den Voraussetzungen geschaffen haben, kann ich die Kla- geschrift als Dokument mit der entsprechenden Signatur mit per E-Mail verschicken. Das ist nicht nur eine Er- leichterung für Anwälte, sondern auch für Zeugen und Sachverständige. Der europäische Rahmen für das neue Gesetz besteht bereits. Der Gesetzentwurf steht im Einklang mit der EG-Richtlinie über gemeinschaftliche Rahmenbedingun- gen für elektronische Signaturen und nimmt bereits die Umsetzung der EG-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr vorweg. Er ist kompatibel mit interna- tionalen Regelungswerken für den elektronischen Daten- verkehr. Wir stehen mit diesem Gesetzentwurf also mit an Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001 14379 (C) (D) (A) (B) der Spitze für verbindliche, sichere Regeln zur Anwen- dung elektronischer Kommunikation im Rechtsverkehr, aber auch in der Wirtschaft. Dies bietet Unternehmen, großen wie mittelständischen, die am E-Commerce teil- nehmen, bessere und gesicherte Möglichkeiten, diesen Markt zu nutzen. Vor allem aber bietet es dem Verbrau- cher einen ausreichenden Schutz und Rechtssicherheit beim Internetshopping und im Umgang mit Behörden. Ich bitte Sie, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen und seine Umsetzung zu befördern. Sicher wird es noch Ex- pertenanhörungen geben. Der Kurs aber steht. Und denen unter Ihnen, die diesem Vorhaben skeptisch gegenüber- stehen, weil sie den neuen Kommunikationsformen nicht trauen, sei gesagt: Sehen Sie in dieser Technik nicht in ers- ter Linie die Risiken, sondern die Chancen, die darin stecken. Skeptiker und Bedenkenträger können die Aus- breitung dieser Kommunikationsform vielleicht zum Schaden von uns allen verzögern; verhindern können sie sie nicht. Deshalb wollen wir diesen Bereich politisch ge- stalten, was wir mit diesem Gesetzentwurf tun. Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): Wir sind uns alle bewusst, dass es für die Menschen in unserem Land zwei- fellos spannendere Themen gibt als das, worüber wir heute debattieren. Für den Juristen freilich ist klar, dass Formvorschriften von erheblicher Bedeutung sind. Es steht außer Zweifel, dass sich durch die rasante Ent- wicklung im Bereich der Informations- und Kommunika- tionstechnologie große Veränderungen im Geschäftsver- kehr ergeben haben und weiter ergeben werden, die bedeutsame juristische Fragen aufwerfen. Der vorlie- gende Gesetzentwurf der Bundesregierung hat zum Ziel, das deutsche Privatrecht den Entwicklungen des moder- nen Rechtsverkehrs anzupassen, und schlägt eine Reihe von Neuerungen bei den Formvorschriften des Pri- vatrechts und anderen Vorschriften vor, um diesen Anfor- derungen Rechnung zu tragen. Eine wesentliche Neuerung soll die Einführung einer „elektronischen Form“ als Option zur Schriftform sein, die als Substitut für die eigenhändige Unterschrift die elektronische Signierung des Dokuments erfordert. Außerdem soll eine „Textform“ als neuer Formtypus des Privatrechts eingeführt werden, die in einer Reihe von Fällen als Erleichterung gegenüber der Schriftform die Unterschrift entbehrlich machen soll. Darüber hinaus ist eine Neukonzeption prozessrechtlicher Vorschriften vor- gesehen, die den Parteien und auch am Verfahren betei- ligten Dritten ermöglichen sollen, ihre Schriftsätze und Erklärungen als elektronisches Dokument einreichen zu können. Da es sich heute um die erste Lesung des Gesetzent- wurfes handelt, möchte ich nicht auf alle einzelnen Punkte detailliert eingehen. Dies wird im Rechtsausschuss ge- schehen und hoffentlich auch in Berichterstatterge- sprächen. Die in dem neuen § 126 a BGB vorgesehene Ein- führung einer elektronischen Form ist grundsätzlich zu begrüßen. Sie entspricht der Zielrichtung des Beschlusses der Konferenz der Justizministerinnen und -minister in der Sitzung am 7./9. Juni 1999, wonach es notwendig ist, im Zuge einer weiteren Rationalisierung des Geschäftsab- laufs bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften den Ge- schäftsverkehr, einschließlich der Abgabe verfahrens- rechtlich relevanter Erklärungen, auch im Wege der elektronischen Entwicklung zu ermöglichen. Die Ein- führung einer mit qualifizierter elektronischer Signatur nach dem Signaturgesetz versehenen Willenserklärung in elektronischer Form trägt der Bedeutung und raschen Ausdehnung der elektronischen Kommunikation in der Öffentlichkeit, vor allem in der Wirtschaft, Rechnung. Die Aufnahme einer entsprechenden Regelung in den All- gemeinen Teil des BGB ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Um zweifelsfrei klarzustellen, dass die elektronische Form einem Teilnehmer am Rechtsverkehr nicht gegen seinen Willen aufgezwungen werden kann, sollte allerdings die jetzige Formulierung in § 126 a BGB entsprechend ergänzt werden („aufgrund Vereinbarung“). Auch über die Anregung des Bundesrates, eventuell den Empfänger zu verpflichten, den Empfang der Er- klärung unverzüglich auf demselben Weg zu bestätigen, sollte in der weiteren Beratung ebenso nachgedacht wer- den wie über die Frage, ob es notwendig ist, den Zugang bei der elektronischen Form gesetzlich zu regeln. Letzte- res ließe sich vielleicht durch die Bestätigungspflicht mit lösen. Die Einführung der Textform als einer gegenüber der Schriftform erleichterten Form, die die eigenhändige Un- terschrift entbehrlich machen soll, ist jedoch aus unserer Sicht problematisch und jedenfalls in der bislang vorge- sehenen Form deshalb abzulehnen. Auch der Bundesrat spricht sich gegen die Einführung der Textform aus und hält es für erforderlich, den Gesetzentwurf im weiteren Gesetzgebungsverfahren entsprechend zu überarbeiten. Dem Bundesrat ist zuzustimmen, wenn er feststellt, der Gesetzentwurf, soweit er die Textform einführen wolle, verkenne die Bedeutung der Formvorschriften. Das Pri- vatrecht wird beherrscht vom Grundsatz der Formfreiheit. Einschränkungen sind nur gerechtfertigt zum Schutz des Erklärenden oder zur Klarstellung, mit welchem Inhalt ein Geschäft zustande gekommen ist. In diese Systematik passt die Textform gerade nicht, vielmehr handelt es sich um eine „qualifizierte Formlosigkeit“, wie es in der Be- gründung der Ablehnung treffend heißt. Die vorgeschlagene Textform bietet vielfältige Mani- pulationsmöglichkeiten: Zwar muss die Person des Er- klärenden erkennbar sein, aber es werden keine Anforde- rungen gestellt, dass sich der Empfänger auf die Identität des Erklärenden verlassen kann. Ohne Sicherheitsmecha- nismen wie zum Beispiel die digitale Signatur wird es wohl nicht gehen. Große Probleme ergeben sich außer- dem, wenn der Absender den Zugang seines Dokumentes beweisen muss. Zahlreiche weitere Probleme, die auch Fragen der Beweislast und der Beweisbarkeit betreffen, können bei der Übertragung auf elektronischem Wege un- ter Einhaltung der Textform auftreten. Wer soll zum Bei- spiel das Übermittlungsrisiko tragen, wenn aufgrund technischer Störungen, deren genaue Ursache nicht nach- zuvollziehen ist, Veränderungen am übermittelten Text auftreten? Wer trägt das Risiko des Datenverlustes? Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 200114380 (C) (D) (A) (B) Anlässlich der parlamentarischen Behandlung dieses Gesetzentwurfs wäre es viel sinnvoller, zu überprüfen, wo auf Schriftformerfordernisse verzichtet werden kann. Die Auslegungsregeln des neuen § 127 erscheinen ebenfalls problematisch: Demnach sollen künftig die An- forderungen an die gewillkürte Schriftform identisch sein mit jenen der „Textform“. Ob diese Auslegungsregel („Wer Schriftform sagt, meint eigentlich Textform“) den Erwartungen des Rechtsverkehrs entspricht, ist zu be- zweifeln. Noch eine Bemerkung zu dem geplanten § 130 a: Ich halte es auch aus Gründen des Rechtssicherheit für sinn- voll, dass jedenfalls die Klageschrift und andere bestim- mende Schriftsätze mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen werden müssen, wenn sie als elektro- nisches Dokument übermittelt werden, und zwar nicht nur im Zivilrecht. An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass die mit dem Gesetz unter anderem verfolgte Rationalisierung und Beschleunigung der Verfahrensabläufe im Gerichtsbe- reich nicht allein durch die Kommunikation in eine Rich- tung zu erreichen sein wird. Notwendig ist deshalb auch, die Rechtsgrundlagen dafür zu schaffen, um auch ausge- hende Schriftstücke elektronisch übermitteln zu können. Lassen Sie mich abschließend feststellen: Als Begrün- dung für die Einführung der „Textform“ wird angeführt, dass durch die Entbehrlichmachung der Unterschrift eine Erleichterung gegenüber der Schriftform erreicht werde. Ich glaube nicht, dass dieses Ziel mit dem vorliegenden Entwurf erreicht wird. Vielmehr entstehen zahlreiche neue Probleme, insbesondere aufgrund der Zweifel an der Authentizität und Endgültigkeit der Erklärungen. Ich be- fürchte, dass das Recht künftig nicht vereinfacht, sondern eher kompliziert wird und die Gerichte viele neue Pro- bleme klären werden müssen. Auf die Einführung der „Textform“ sollte deshalb besser verzichtet werden. Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die Anpassung der Formvorschriften im deut- schen Privatrecht an den modernen Rechtsverkehr ist dringend geboten. Zwar gilt seit über 100 Jahren im BGB der Grundsatz der Formfreiheit. Wo dieser Grundsatz aber durch das Gesetz durchbrochen wurde – durch Schriftform- erfordernis, notarielle Beurkundung oder öffentliche Be- glaubigung –, kann das heutige Privatrecht den Entwick- lungen des modernen Rechtsverkehrs nicht mehr Rechnung tragen. Es ist bekanntlich seit längerer Zeit schon Realität, dass sich das allgemeine Geschäftsgebaren im privaten Rechtsverkehr durch die rasanten Technologieentwick- lungen der vergangenen Jahre deutlich verändert hat. Eine Vielzahl von Rechtsgeschäften wird heutzutage am Computer und zum Teil über große Entfernungen abge- wickelt. Dass sich die Vertragsparteien gegenüber sitzen und feierlich Schriftstücke unterschreiben, wird in ganz kurzer Zeit endgültig die Ausnahme sein – leider. Das Szenario, welches uns durch Digitalisierung der Kommu- nikationstechnik ins Haus steht, hat uns Herr Professor Dr. Holznagel in seiner Rede anlässlich des gestrigen Treffens der Rechtsausschussmitglieder bei der Justizmi- nisterin eindrucksvoll und ungeschönt dargestellt. Durch Zusammenfassung von Rundfunk, Telekommunikation und Online-Diensten zu einem Kommunikationsmedium wird sich der private Rechtsverkehr weiter drastisch ver- ändern. Das persönliche Gegenübertreten der Vertrags- parteien wird spätestens dann der „guten alten Zeit“ an- gehören. Ich werde schon jetzt ganz sentimental. Dass aber für bestimmte Rechtsgeschäfte, die für die Vertragspartner besondere Risiken mit sich bringen, auch in der modernen Zukunft nicht auf die Warn- und Be- weisfunktion der Formvorschriften verzichtet werden darf, ist wohl allen klar. Allein aber die Schriftform, als die verbreitetste und „verkehrsfähigste“ der existierenden Formvorschriften, behindert ein zügiges Handeln und den rationellen Einsatz moderner Kommunikationstechnik. Gesetzgeberisches Handeln im Sinne einer Moderni- sierung der Formvorschriften im Privatrecht ist darum dringend geboten. Zwar steht im formfreien Privatrechts- verkehr der Anwendung elektronischer Signaturen nichts im Wege. Auch beweisrechtlich gibt es für formfreie Rechtsgeschäfte keine Probleme, wird doch der Grund- satz der Formfreiheit im BGB durch den Grundsatz der freien Beweiswürdigung auf prozessualer Ebene ergänzt. Im formgebundenen Bereich ist jedoch ein elektronisches Dokument – und damit auch die Verwendung elektroni- scher Signaturen – bisher ausgeschlossen. Der vorliegende Gesetzentwurf führt deshalb als Op- tion zur Schriftform die elektronische Form in das BGB ein. Als Substitut für die eigenhändige Unterschrift ist die elektronische Signatur vorgesehen. Das Verfahren der Signierung richtet sich dabei nach dem Signaturgesetz, welches die technischen Rahmenbedingungen für elek- tronische Signaturen anwendungsneutral regelt. Mit der Einführung der Textforen als einer gegenüber der Schrift- form erleichterten verkehrsfähigen Formerfordernis, soll eine weitere Erleichterung des Rechtsverkehrs bewerk- stelligt werden. Für Fälle, in denen der Beweis- und Warn- funktion der Schriftform ohnehin kaum Bedeutung zu- kommt, ist es ausreichend, zukünftig lediglich die Abfassung in lesbaren Schriftzeichen zu verlangen und auf eine Unterzeichnung zu verzichten. Ich verspreche mir von dem Gesetz, dass es für den formfreien Bereich im modernen Rechtsverkehr zusätz- lich eine Signalfunktion entfaltet und auch dort Bewusst- sein für eine unter Umständen später notwendige Beweis- funktion schafft. Ich jedenfalls werde auch zukünftig nicht auf Papier und Tinte verzichten. Rainer Funke (F.D.P.): Die F.D.P: Fraktion begrüßt, dass die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Anpas- sung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr vor- legt. Die technische Entwicklung und der zunehmende Ge- brauch der elektronischen Medien im modernen Rechtsge- schäftsverkehr macht eine solche zusätzliche gesetzliche Ausgestaltung zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts notwendig – insbesondere, um der nun seit län- geren möglichen elektronischen Signatur den Weg in den täglichen Rechtsgeschäftsverkehr zu erleichtern: Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001 14381 (C) (D) (A) (B) Dieser Entwurf wird aber dennoch intensiv zu beraten sein. Im Vorfeld dieses Gesetzentwurfes ist im wissen- schaftlichen Bereich und später auch im Bundesrat viel- fältige Kritik geäußert werden. Das ändert nichts an dem Umstand, dass aufgrund der Entwicklungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien neue Bestimmungen über den elektronischen Rechtsver- kehr notwendig sind. Es besteht sicherlich Einigkeit, dass die elektronische Form der Schriftform gleichgesetzt werden soll. Ob dazu die Neueinfügung der „Textform“ notwendig ist, muss im Rechtsausschuss intensiv disku- tiert werden. Ob darüber hinaus auch die vorgelegten Än- derungen in Art. 3 bis 34 tatsächlich notwendig sind, und ob es nicht zweckmäßiger ist, die in den Art. 3 bis 34 vor- gesehenen Änderungen gesetzestechnisch sozusagen vor die Klammer zu ziehen, muss sicherlich auch diskutiert werden. Sicherlich tragen die Änderungen zum Bundes- kleingartengesetz und zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung der ehrenamtlichen Richter, um nur zwei Beispiele zu nennen, nicht zur Transparenz und Ak- zeptanz des Gesetzes in der Öffentlichkeit bei. Juristen tun sich oft, so wird behauptet, mit der Ein- bindung neuer Technik in ihr tägliches Geschäft schwer. Beispielhaft könnten hier die Diskussionen zu der Ver- wendung von Telefaxen vor Gericht oder auch im tägli- chen Rechtsgeschäftsverkehr genannt werden. Mit die- sem Gesetz bietet sich die Möglichkeit, möglichst schnell das, was schon tausendfach im Internet geschieht, auch auf eine rechtssichere Grundlage zu stellen. Es ist für den Standort Bundesrepublik Deutschland von hoher Wich- tigkeit, dass nicht nur die technischen Möglichkeiten im- mer weiter voranschreiten, sondern auch die gesetzlichen Regeln fortentwickelt werden. Dabei ist auch zu überle- gen, ob pseudonymes Handeln auch im elektronischen Rechtsverkehr ermöglicht werden soll und damit der Da- tenschutz gefördert wird. Die Gesellschaft für Informatik hat uns hierfür bereits Vorschläge unterbreitet. Diese Vor- schläge der Verbände und der Wissenschaft sollten von uns ernsthaft geprüft werden und möglichst bei der No- vellierung einbezogen werden. Sabine Jünger (PDS):Recht, Rechtsverkehr und Jus- tiz müssen nicht nur inhaltlich mit der Zeit gehen, sondern sie sollten auch die technischen Entwicklungen ihrer Zeit berücksichtigen und sich ihrer bedienen. Das ist bisher nicht unbedingt gegeben. Österreich zum Beispiel ist uns in dieser Hinsicht schon mindestens einen Schritt voraus. Dort wurde bereits 1999 die elektronische Klageerhebung eingeführt. Seither gehen immerhin zwei Drittel der jährlich erhobenen Kla- gen elektronisch bei Gericht ein. Damit ist im Übrigen auch angedeutet, was in etwa auf die deutschen Gerichte zukommen wird. Eine zeitgemäße Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts ist grundsätzlich richtig und vielleicht sogar schon überfällig. Mit Sicherheit wächst das Bedürfnis nach modernen Verfahren der Fixierung, Übermittlung und Authentisierung von Willenserklärungen und der Zu- erkennung ihrer rechtlichen Relevanz im Rechtsverkehr rapide weiter. Die Vorteile der elektronischen Übermitt- lung von Daten, ihrer Speicherung und der Möglichkei- ten, sie lesbar zu machen, liegen auf der Hand: Rechtsge- schäfte lassen sich schneller, kostengünstiger, weniger aufwendig und damit bequemer erledigen. Doch wie fast immer gibt es bei jedem Fortschritt auch Gefahren. Und diese bestehen hier im Bereich der Rechtssicherheit und Gerechtigkeit. An dieser Stelle muss ich allerdings bekennen, dass ich die rein technischen Fragestellungen nicht wirklich beur- teilen kann. Ich denke, damit bin ich in dieser Runde si- cher nicht allein. Ich kann insofern nur darauf vertrauen, dass zum Beispiel die elektronische Signatur sicher ist. Auch Datenschutz und Datensicherheit müssen beim elektronischen Rechtsverkehr selbstverständlich gesi- chert sein. Probleme können sich insbesondere bei der Beurtei- lung des Zugangs einer elektronisch übermittelten Wil- lenserklärung ergeben. Wohl nicht grundlos halten die Verbraucherschützer die Einführung der so genannten Textform neben der elektronischen Form für entbehrlich und sogar schädlich. Denn anders als bei der elektroni- schen Form soll für die Textform schon der Versand einer E-Mail ausreichen. E-Mails sind aber spurenfrei manipu- lierbar, sodass ihnen nach Meinung der Verbraucher- schützer keinerlei Sicherheitswert zukommt. Die Möglichkeiten des elektronischen Rechtsverkehrs sollte man deshalb nutzen, ohne alles gleich verbindlich darauf zu konzentrieren. Der Schutz des Erklärungsemp- fängers zum Beispiel darf nicht geschwächt werden. Er muss auch im elektronischen Rechtsverkehr im gleichen Umfang wie bisher die Gewissheit haben, dass er es wirk- lich mit einer Erklärung des dazu Berechtigten zu tun hat. Nicht zu unterschätzen ist außerdem die Signalfunk- tion, die ein herkömmliches Schreiben hat. Darauf weist die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände hin. So ist zum Beispiel nicht unbedingt davon auszugehen, dass eine E-Mail, mit der ein Vermieter eine Mieterhöhung durchsetzen will, rechtzeitig vom Mieter wahrgenommen und in ihrer Bedeutung erkannt wird. Das ist bei einem Brief anders, zumal wenn er, wie meist in solchen Fällen, per Einschreiben zugestellt wird. Wenn der per E-Mail verständigte Mieter dann nicht fristgerecht reagiert, kann er sich gegen die Mieterhöhung nicht mehr wirksam weh- ren. Sowohl der Schutz des Erklärenden als auch der des Erklärungsempfängers müssen – vor allem im Konsum- bereich – gegeben sein: Und hier, so glaube ich, bedarf es der Nachbesserungen. Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der Jus- tiz: Die neuen Informations- und Telekommunikations- technologien, IT, verändern das gesellschaftliche Umfeld ebenso wie den privaten Alltag. Der Gesetzgeber muss eingreifen, um zu gestalten, zugleich aber auch um Risi- ken zu begrenzen, kurz: um unser Recht zeitgemäß zu ge- stalten. Der heute zur Beratung vorgelegte Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Anpassung der Formvorschrif- ten schafft insofern eine wichtige Grundlage für das ge- samte Privatrecht. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 200114382 (C) (D) (A) (B) Dem Bundestag liegen schon der Gesetzentwurf eines Zustellungsgesetzes vor – das eine andere Seite des Ge- samtproblems regelt – und auch der Entwurf eines Geset- zes über Rahmenbedingungen für elektronische Signatu- ren, der die technischen Anforderungen an elektronische Signaturen fortsetzt. Ein Hauptanwendungsbereich elek- tronischer Signaturen ist der Rechtsgeschäftsverkehr, um Erklärungen auf elektronischem Wege mithilfe eines si- cheren technischen Instrumentariums austauschen zu können. Deshalb erfolgt jetzt die Anpassung der Form- vorschriften für den Rechtsverkehr, die grundsätzlich noch auf dem Stand der vor 100 Jahren entstandenen BGB-Vorschriften und auf das Papier als Trägermedium fixiert sind. Bei uns gilt zwar das privatrechtliche Prinzip der Formfreiheit. 450 zwingende Sachverhalte allerdings er- fordern, so schreiben die Gesetze das vor, die eigenhän- dige Unterschrift. Folge: In diesen Fällen kann man heute weder Fax noch E-Mail einsetzen, bleibt also auf das Me- dium Papier angewiesen. Die Bundesregierung schafft mit dem vorliegenden Gesetzentwurf Abhilfe: Wir legen mit der neuen Vor- schrift in § 126 a BGB eine neue elektronische Form als Option zur eigenhändigen Unterschrift vor. Diese ver- langt eine elektronische Signierung des Dokuments und knüpft dabei an die Vorgaben des von mir eingangs er- wähnten Signaturgesetzes an. Lassen Sie mich auf eines hinweisen, weil es in der Diskussion immer wieder aufgekommen ist: Der Gesetz- entwurf gibt keinen Anlass zur Befürchtung, dass durch diese neue elektronische Form jemand gegen seinen Wil- len zum elektronischen Geschäftsverkehr gezwungen werden kann. Die elektronische Form, zu deren Verwen- dung ja eine technische Ausstattung unverzichtbar ist, wird nicht gesetzlich angeordnet. Sie wird den Ge- schäftspartnern als Option angeboten. Wichtig ist zudem, dass diese elektronische Form auch unabhängig von einem gesetzlichen Formerfordernis von Geschäftspartnern verabredet werden kann und so eine praktikable Handlungsalternative im nicht formge- bundenen Bereich ist, die das Vertrauen in den elektro- nischen Geschäftsverkehr stärken soll. Im Zuge der Gespräche mit vielen Praktikern hat die- Bundesregierung geprüft, ob in geeigneten Fällen auf die gesetzliche Anordnung der eigenhändigen Unterschrift ganz verzichtet werden kann. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass in einer ganzen Reihe von Sachverhal- ten die eigenhändige Unterschrift keinen „Mehrwert“ hat, sondern, insbesondere bei „Massenvorgängen“, ein unnötiges Erschwernis ist. In diesen Fällen kann jedoch nicht insgesamt auf ein Schriftstück verzichtet werden, da wenigstens etwas schriftlich Festgehaltenes, etwas Les- bares, vorliegen muss, also die Erklärung nicht „über den Gartenzaun“ zugerufen werden kann. Beispiele dafür sind etwa Betriebskostenabrechnungen oder Modernisie- rungs- und Erhöhungsanzeigen im Mietrecht, Hinweis- pflichten bei gefährlichem Frachtgut oder bestimmte Er- klärungen und Informationspflichten im Gesellschafts- und Wertpapierrecht. Für diese Fälle sehen wir eine unterschriftslose Schrift- form vor, wie wir sie aus Einzelfallregelungen teilweise schon über 20 Jahre kennen: Sie taucht unter dem Namen „Textform“ in § 126 b BGB auf, ist also begrifflich, nicht aber inhaltlich eine neue Form. Nochmals: Erforderlich ist nicht die eigenhändige Unterschrift, sondern lediglich eine in Schriftzeichen fixierte Erklärung. Die kann dann auch durch Fax oder E-Mail abgegeben werden. Wie immer, wenn etwas in neuer Form daherkommt, gibt es natürlich Bedenken, auch bei Juristen. Allerdings werden solche Befürchtungen, diese unterschriftslosen schriftlichen Erklärungen, also die ,,Textform“, führten zu Rechtsunsicherheit, durch die langjährige, reibungslose Praxis unterschriftsloser schriftlicher Mitteilungen wider- legt. Nicht die „Textform“ als solche, sondern allenfalls ihre gesetzliche Anordnung in ungeeigneten Sachverhal- ten könnte zu Problemen führen. Darauf haben wir bei un- seren Vorschlägen geachtet. Wir sehen sie deshalb nur für Erklärungen vor, bei denen Beweisfunktion und Warn- funktion eindeutig zu vernachlässigen sind und die Infor- mations- und Dokumentationsfunktion im Vordergrund stehen. Ein weiterer Gesichtspunkt: Es wäre sicherlich falsch – Fachleute sprechen von „Medienbruch“ –, wenn wir Er- klärungen in elektronischer Form zwar grundsätzlich zu- ließen, für den Fall einer gerichtlichen Inanspruchnahme aber vorschreiben würden, diese als Papierdokument vor- zulegen. Deshalb sieht der Gesetzentwurf zugleich den elektronischen Zugang zum Gericht vor: In den Fällen, in denen die Zivilprozessordnung die prozessuale Schrift- form vorsieht, eröffnet unser Entwurf die Möglichkeit für Parteien, aber auch für am Verfahren beteiligte Dritte, zum Beispiel Zeugen oder Sachverständige, ihre Schriftsätze und Erklärungen als elektronisches Dokument einzurei- chen. Als Substitut für die eigenhändige Unterschrift sieht der Entwurf das Erfordernis einer qualifizierten elektroni- schen Signatur nach dem Signaturgesetz vor. Mit dem Signaturgesetz, dem Formvorschriftengesetz und dem Zustellungsgesetz schaffen wir sichere gesetzli- che Grundlagen für den elektronischen Rechtsverkehr und zugleich für die so genannte E-Justiz. Nun wird jeder die angemessene Nutzung der IT-Mög- lichkeiten in diesem Bereich befürworten, ich tue es nach- drücklich. Heute allerdings müssen wir feststellen, dass die Mo- dernisierung der Justiz noch viel zu wünschen übrig lässt. Die Verabschiedung der drei von mir genannten Gesetze wird den schmerzhaften Graben zwischen den IT-Mög- lichkeiten und der Wirklichkeit in unseren Gerichten, auf die uns ja der EDV-Gerichtstag immer wieder aufmerk- sam macht, noch deutlicher sichtbar machen. Nun über- brückt unser Gesetz diesen breiten Graben durch die Be- stimmung, dass jedes Bundesland den Zeitpunkt selbst bestimmen kann, von dem an elektronische Dokumente bei den Gerichten ihres Zuständigkeitsbereichs einge- reicht werden können. Die Bundesregierung hält es für richtig, die E-Justiz in allen Gerichtszweigen zu ermöglichen. Auch der Bun- desrat sieht das so; das ist gut. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001 14383 (C) (D) (A) (B) Ich darf Sie herzlich bitten, die Bundesregierung dabei zu unterstützen, das Gesetz zur Anpassung der Formvor- schriften des Privatrechts so bald als möglich in Kraft tre- ten zu lassen. Ich freue mich, sagen zu können, dass wir damit auch im internationalen Vergleich auf diesem Rechtsgebiet eine innovative Rolle einnehmen. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Eckpunkte für eine Reform des Hochschuldienst- rechts – Dienstrechtsreform an den Hochschulen konse- quent für eine umfassende Hochschulreform nut- zen (Tagesordnungspunkt 10 a und b) Dr. Peter Eckardt (SPD): Die deutschen Hochschu- len sind nach wie vor erfolgreiche wissenschaftliche Ein- richtungen unserer Gesellschaft. Forschung und Lehre genügen im Wesentlichen der internationalen Konkurrenz und haben zur Kultur und zum Wohlstand unserer Landes viel beigetragen. Die Fachhochschulen sind seit 30 Jahren als jüngster Hochschultyp ein besonderes deutsches Er- folgsmodell. Sie sind gerade in den neuen Ländern wis- senschaftlich sehr erfolgreich. Auch im Ausland werden Fachhochschulen zum Teil nach deutschem Vorbild ge- gründet. Als anerkannte wissenschaftsgestützte und pra- xisorientierte Ausbildungsstätten für technologische und sozial-kulturelle Managementberufe bedürfen die Fach- hochschule unserer besonderen wissenschaftspolitischen Beachtung und finanziellen Förderung. Nicht erst seit 1998 ist es politisch an der Zeit, die deutschen Hochschulen weiter zu reformieren. Bisher ist allerdings schon viel geschehen: Die Einrichtung interna- tionaler Studiengänge, die Steigerung der drittmittelfi- nanzierten Forschung, die Straffung der Curricula, Vorle- sungen in Fremdsprachen, Kontaktstudien im Ausland, studienintegrierte Praktika und Projektarbeiten und Wei- terbildungsstudiengänge haben Forschung und Lehre schon erheblich verbessert. Nun werden wir uns politisch daran machen und daran machen müssen, auch das Dienstrecht an den Hochschu- len zu modernisieren. Das Dienstrecht ist ein wesentlicher Faktor der inneren Struktur der Hochschulen, aber nicht die einzige Bedingung für Leistung und Erfolg. Eine auch in Zukunft leistungsgerechte Besoldung, die von Kritikern einer Dienstrechtsreform gefordert wird, ist natürlich gewährleistet. Die Besoldungsreform als Teil der Dienstrechtsreform ist wichtig, aber nicht das einzige Kriterium der Reform. Weitere Strukturen der deutschen Hochschulen müssen geändert werden, eine Reform ist überfällig, die Kritik aus der Wissenschaft an sich selbst ist dabei ebenfalls nicht zu überhören. Auch bei den Be- troffenen gibt es Ängste – sie sind meist verständlich, aber nach intensiver Diskussion geglättet. Es gibt viel Ver- ständnis und Zuspruch für unser Vorhaben einer Dienst- rechtsreform. Was wir politisch wollen und wovon wir uns auch nicht abbringen lassen sollten, ist Folgendes: Internationaler und nationaler Wettbewerb und ein Teilrückzug des Staa- tes aus den Detailregelungen ermöglichen den Hochschu- len in der Wissenschaft höhere Leistungen und ein ver- bessertes gesellschaftliches Ansehen, den Angehörigen der Hochschulen mehr Motivation, den Studierenden mehr Qualifikation und Erfolg. Der Einführung von Stu- diengebühren bedarf es zu dieser Motivationssteigerung nicht. Der Antrag der F.D.P. möchte möglichst schnell mög- lichst alles neu regeln – sie nennt das eine umfassende Re- form. Von den verfassungsrechtlichen Vorgaben, die die Hochschulen mit Recht der Länderhoheit unterstellen und nicht zulassen, umfassend in ihre Struktur einzugreifen, will ich nicht sprechen. Ich will mich auf die Inhalte des F.D.P.-Antrages konzentrieren. Ich kann nur warnen, in das komplexe soziale Gebilde der Hochschulen so rigoros und ohne zumindest die Teilzustimmung der Angehörigen dieser Institution einzugreifen, wie dies der F.D.P.-Antrag vorsieht. Sie werden mit diesen Ideen genau das Gegen- teil von dem erreichen, was Sie vermutlich vorhaben. Der Antrag der CDU/CSU ist realistischer, er akzep- tiert die Eckpunkte der Bundesregierung zu Recht. Bei ei- nem Festhalten an der Habilitation müssen Sie aber wis- sen, dass Sie sich gegen alle stellen, die im In- und Ausland dazu etwas gesagt haben. Der akademische Ritus Habilitation gilt als Hindernis für vieles, was wir refor- mieren wollen. International ist dieses Verfahren kein wissenschaftlicher Standard mehr. Richtig ist aber, dass man dann aber über die Qualität der Promotionen nach- denken muss, wenn es zukünftig keine Habilitation mehr geben wird. Zur Besoldung, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, kann ich nur sagen: Dies wird in Zukunft der Markt richten und nicht ein Festhalten an Art. 33 Abs. 5 des Grundgesetzes, der historisch von einer amtsange- messenen Besoldung spricht. Die Höhe der Besoldung an deutschen Hochschulen wird sich in der internationalen Konkurrenz der akademischen Arbeitsmärkte an diesen Bedingungen orientieren. Der reklamierten Gleichwertigkeit der unterschiedli- chen Hochschullehrer wird in der neuen Dienstrechtsre- form Rechnung getragen. Auf die Gremien an den Hoch- schulen wird nach der Dienstrechtsreform viel Arbeit zukommen. Sie werden die wissenschaftsadäquate Leis- tungsbewertung und ein Qualitätsmanagement auch bei der Evaluation bewältigen müssen. Dieser Prozess wird wie in der Politik nicht ohne Kon- flikte sein. Aber die Reform ist zu schaffen und wir wer- den es schaffen. Thomas Rachel (CDU/CSU):Auch die Dienstrechts- reform ist wieder mal ein Beispiel dafür, dass sich in der Bildungspolitik der rot-grünen Bundesregierung nichts bewegt. Frau Ministerin Bulmahn, Sie hätten heute die Chance gehabt, dem Plenum des Deutschen Bundestages Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 200114384 (C) (D) (A) (B) Ihren Gesetzentwurf für eine Dienstrechtsreforrn an den deutschen Hochschulen vorzulegen. Doch leider wieder einmal Fehlanzeige: Bald sind zwei Drittel dieser Legis- laturperiode verstrichen, ohne dass Sie die von Ihnen ver- sprochenen Reformmaßnahmen in der Bildungspolitik realisiert haben. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat heute – im Ge- gensatz zur Bundesregierung – einen Antrag mit einem klaren Konzept für eine Dienstrechtsreforrn vorgelegt. Lassen Sie mich die wichtigsten Elemente ansprechen: Heute haben nur die C4-Professoren/Professorinnen die Möglichkeit, ihr Gehalt durch Zulagen anlässlich von Berufungen und Bleibeverhandlungen zu erhöhen. Das reicht aber nicht aus. Alle Professoren an Universitäten und Fachhochschulen sollen spüren, dass Leistungen in Forschung und Lehre wahrgenommen und auch finanziell honoriert werden. Nicht mehr allein das Älterwerden soll in Zukunft das Gehalt der Hochschullehrer bestimmen, sondern ihr persönlicher Einsatz in Forschung und Lehre. Das durch den Wegfall der bisherigen Dienstaltersstufen gewonnene Geld soll für neu zu schaffende Zulagen ge- nutzt werden. Nach unserer Auffassung sollen Zulagen in drei Fällen gewährt werden: erstens im Falle einer Berufung und der Abwendung einer Berufung, zweitens als Funktionszulage für nicht hauptamtlich wahrgenommene Funktionen in der Hochschulverwaltung und zum Beispiel für die Leitung eine Sonderforschungsbereiches und drittens als Leis- tungszulage für die persönliche Leistung in Forschung und Lehre. Eine Leistungszulage sollte auch der Professor er- halten, der bereit ist, ein erhöhtes Lehrdeputat an der Hochschule zu übernehmen. Denn es muss darum gehen, gerade die Lehre an unseren Hochschulen zu stärken. Die wissenschaftlich fundierte, praxisorientierte Aus- bildung an unseren Fachhochschulen hat sich bewährt. Deshalb ist es sinnvoll, ihre Kapazitäten weiter auszu- bauen und das Fächerspektrum zu erweitern. Um auch in Zukunft hoch qualifizierte Praktiker für das Professoren- amt zu gewinnen, ist es zusätzlich erforderlich, das Be- soldungsniveau anzuheben. Deshalb sollte die bisherige C2-Besoldung für Fachhochschulprofessoren entfallen und durch eine einheitliche W2-Besoldung an Fachhoch- schulen und Universitäten ersetzt werden. Die Universitäten und gleichgestellte Hochschulen sollten zusätzlich auf jeden Fall ein höherwertiges Pro- fessorenamt W3 anbieten können. Denn die Professoren an den Universitäten haben im Unterschied zu den Fach- hochschulen zusätzlich die Aufgaben, den wissenschaftli- chen Nachwuchs – Promotionen – auszubilden und in der Grundlagenforschung Exzellentes zu leisten. Ein gestuf- tes Besoldungssystem an Universitäten ist auch sinnvoll, um der unterschiedlichen Bedeutung von Lehrstühlen und Instituten, aber auch der besonderen Verantwortung von Klinikleitern Rechnung zu tragen. Nicht zustimmen können wir den von Bundesbil- dungsministerin Bulmahn für Professoren vorgeschla- genen Besoldungsstufen W2 in Höhe von 7 000 DM und W3 in Höhe von 8 500 DM. Diese Mindestbeträge sind definitiv zu niedrig. Sie entsprechen dem Gehalt von Oberregierungsräten und Regierungsdirektoren und schrecken den qualifizierten Nachwuchs ab, eine Hoch- schullaufbahn anzustreben. Wir können es uns nicht län- ger leisten, dass die besten Köpfe ins Ausland abwandern, weil sie dort bessere Bedingungen vorfinden! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion will das beste Know-how, die besten Wissenschaftler für unsere Hoch- schulen gewinnen. Das kann man nicht mit den von Bil- dungsministerin Bulmahn vorgesehenen Grundgehältern. Die von Rot-Grün vorgesehene Mindestbesoldung ent- spricht nicht der in Artikel 33, Absatz 5 des Grundgesetzes garantierten amtsangemessenen Besoldung. Die Grund- gehälter müssen erhöht werden. Die Leistungszulagen sol- len nicht automatisch jedem gegeben werden, sondern nur dem, der die Leistungen auch nachgewiesen hat. Andern- falls kann man sich das ganze neue System sparen. Die Vorschläge von Bildungsministerin Bulmahn lau- fen auf eine Gehaltskürzung für einen bedeutenden Teil der Professoren in Deutschland hinaus. Das lehnen wir ab. Eine solche Reform darf eben nicht kostenneutral sein. Denn wir müssen uns endlich dazu bekennen, dass wir in Deutschland Eliten brauchen, und Eliten sind nicht zum Nulltarif zu bekommen. Die Qualifikation des wissenschaftlichen Nachwuch- ses an den Hochschulen bis hin zum Professorenamt dau- ert zu lange. Dies ist ein Problem. Habilitierte sind im Durchschnitt über 40 Jahre alt. Wer danach nicht direkt eine Berufung als Hochschullehrer bekommt, gerät in eine „Altersfalle“. Eine berufliche Neuorientierung ist zu Beginn des fünften Lebensjahrzehnts nur noch mit äußersten Schwierigkeiten möglich. Die Einführung eines so genannten Juniorprofessors ist deshalb sinnvoll. Er muss selbstständig forschen und leh- ren können und über eine drittmittelfähige Grundausstat- tung verfügen. Es ist allerdings ein Fehler, wenn Rot-Grün nun gene- rell die Habilitation abschaffen will. Ich stimme Ihnen in- soweit zu, als der Nachweis einer zusätzlichen wissen- schaftlichen Leistung in Form der Habilitation in manchen Fächern wie zum Beispiel den Ingenieurwissen- schaften heute de facto kaum noch eine Rolle spielt. Hier ist die so genannte Juniorprofessur der richtige Qualifika- tionsweg. In anderen Fächern kann man seine wissen- schaftliche Kompetenz aber nur mit einer Habilitation be- weisen. Der Philosoph zum Beispiel muss eine Schrift einreichen. Bei den Naturwissenschaftlern und den Inge- nieuren ist das hingegen nicht so. Anstatt mit dem Vor- schlaghammer die bewährte Habilitation kaputtzuschla- gen, sollte man den unterschiedlichen „Fächerkulturen“ Rechnung tragen. Neben der „Juniorprofessur“ sollte es deshalb auch weiterhin die Habilitation geben. Es ist kein Wunder, dass von den Professoren deutliche Kritik an dem rot-grünen Konzept geübt wird. SPD und Grüne wollen wieder einmal Veränderungen über die Köpfe der Betroffenen hinweg durchsetzen. Diesen Stil der Politik lehnen wir ab. Es ist schade, dass Rot-Grün auf diese Weise ein gemeinsames Vorgehen mit der Professo- renschaft gefährdet. Denn Sie versuchen nicht, die Be- troffenen für vernünftige Veränderungen zu gewinnen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001 14385 (C) (D) (A) (B) Die Union wird sich dafür einsetzen, eine Reform mit den Professorinnen und Professoren durchzuführen und nicht gegen sie. Das ist unser Verständnis von Reformpo- litik, die langfristig tragfähig ist. Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU): Die Sicherung eines qualitativ hochwertigen Bildungssystems in Deutschland, gerade an den deutschen Hochschulen und Fachhochschulen, gehört zu den zentralen Herausfor- derungen unseres Landes. Nur erstklassig ausgebildete Arbeitskräfte ermöglichen uns eine Spitzenposition im in- ternationalen Wettbewerb um Innovation und technologi- sche Spitzenleistungen. Um diesen hohen Stellenwert deutscher Hochschulen im internationalen Vergleich zu behaupten bzw. auszu- bauen, muss die Verbesserung der Leistungen in For- schung und Lehre durch mehr Wettbewerb erreicht wer- den. Ziel der von uns geforderten Reform des deutschen Hochschulsystems ist es deshalb, durch Deregulierung, durch Leistungsorientierung und durch die Schaffung von Leistungsanreizen Wettbewerb und Differenzierung zu ermöglichen sowie die internationale Wettbewerbsfähig- keit der deutschen Hochschulen für das 21. Jahrhundert zu sichern. Unsere jungen Menschen werden nur dann die erstklassige Ausbildung erhalten können, die sie verdient haben und die wir dringend brauchen, wenn die Politik auf wohlfeile Worte endlich die notwendigen Aktionen folgen lässt und ernsthaft beginnt, die allseits bekannten Un- zulänglichkeiten eines überregulierten Hochschulsystems in Deutschland abzustellen. Mit einer umfassenden und radikalen Verringerung der staatlichen Regelungsdichte an Hochschulen muss im Sinne der Subsidiarität den Hochschulen ein größerer Ge- staltungsspielraum für Strukturen, personelle Zusammen- setzung und die Verwendung zugewiesener Mittel gege- ben werden. Damit können die Hochschulen in die Lage versetzt werden, ein eigenständiges Profil mit Schwer- punktbereichen auszubilden. Damit können die Voraus- setzungen für einen Wettbewerb um die fähigsten Studen- ten, die fähigsten Forscher und die fähigsten Dozenten geschaffen werden. Mehr Flexibilität, Eigenverantwortung und Motivation für die Hochschulen und ihr Lehrpersonal ist daher das Ziel des vorliegenden Antrages der CDU/CSU-Bundes- tagsfraktion. Wir wollen keine uniforme Hochschulpoli- tik, die einfarbig alles vorschreibt und bis ins letzte Detail regelt. Wir wollen eine bunte Hochschullandschaft in Deutschland mit Hochschulen, die im Wettbewerb um die besten Konzepte untereinander um ihre Stellung kämp- fen. Wettbewerb fördert die Entwicklung insgesamt und sorgt damit für bessere Ausbildung und Forschung an un- seren Universitäten und Fachhochschulen. Gerade des- halb sieht das in der letzten Legislaturperiode beschlos- sene Hochschulrahmengesetz vor, dass bei der Verteilung von staatlichen Mitteln auf die Hochschulen und inner- halb der Hochschulen Leistungskriterien stärker zu berücksichtigen sind. Derzeit stehen fast ausschließlich die Leistungen in der Forschung im Vordergrund. Gerade solche Veröffentlichungen bieten Chancen, Forschungs- mittel aus der Industrie oder aus staatlichen Forschungs- programmen zu erhalten. Ein besonderes Engagement in der Lehre wird gerade an Universitäten unzureichend ho- noriert. Stattdessen wird landauf, landab der natürliche Alterungsprozess besonders prämiert. Wir wollen dies ändern und den Hochschulen Freiräume schaffen. Um im Wettbewerb um die besten Dozenten und Forscher bestehen zu können, sollen Ober- grenzen für die individuelle Besoldung von Professoren entfallen. Die Hochschulen sollen selbst entscheiden, wen sie als Professor, also als Forscher und Lehrer einstellen wollen und was sie bereit sind, ihm dafür zu bezahlen. Wenn eine Universität oder Fachhochschule im Informa- tikbereich Bill Gates als Lehrkraft verpflichten will, dann soll sie dies tun können. Deshalb soll es möglich sein, Zu- lagen zu gewähren. Das an dieser Stelle ausgegebene Geld muss die Hochschule dann eben an anderer Stelle einsparen. Gleichzeitig muss das Besoldungsniveau an Universitäten und Fachhochschulen so angehoben wer- den, dass die Hochschullaufbahn für qualifizierten Nach- wuchs attraktiv ist. Die im Konzept des Bundesminis- teriums für Bildung und Forschung vorgesehenen Min- destbeträge für die Vergütungen in Höhe des Gehaltes von Oberregierungsräten bzw. Regierungsdirektoren sind vor diesem Hintergrund nicht ausreichend und schrecken den qualifizierten Nachwuchs eher ab. Die zügige Verwirklichung einer echten Reform des deutschen Hochschulwesens ist eine notwendige Voraus- setzung für eine erfolgreiche weitere Entwicklung des Wissens- und Wissenschaftsstandortes Deutschland. Als wichtigste Stützen für Wissen und hoch qualifizierte Aus- bildung müssen unsere Hochschulen in die Lage versetzt werden, diesem hohen Anspruch auch in Zukunft gerecht zu werden. Exzellenz und Effizienz können die Hoch- schulen dauerhaft nur dann miteinander verbinden, wenn sie ein eigenes Profil und entsprechende Handlungsfrei- heiten erlangen. Antje Hermenau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heute werden zwei Oppositionsanträge im Zusammen- hang diskutiert, die sich auf eine Reform des Hochschul- dienstrechts beziehen. Es liegt nun ein Reformvorschlag des BMBF auf dem Tisch und die Opposition macht ihre Anträge dazu. Weit auseinander liegen CDU/CSU und F.D.P. dabei nicht und wir werden beide Anträge ableh- nen. Zu Recht haben wir alle gemeinsam festgestellt, dass die Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses einfach zu lange dauert. Der Reformvorschlag der rot-grünen Regierung macht dazu nicht etwa irgendwelche kleinen, vielleicht brauch- baren Änderungsvorschläge, sondern ruft auf zu einer kleinen Revolution an den Hochschulen. Der einzige Schritt zur großen Revolution, den wir nicht gemacht ha- ben, weil er nicht durchsetzbar war, ist die Aufhebung der Verbeamtung von Professoren. Das ist eigentlich das Ein- zige, was Sie uns vorwerfen könnten. Die F.D.P. tut das. Die CDU/CSU hält sich da vornehm in ihrem Antrag zurück und will die Verbeamtung aufrechterhalten: Sie wird ihre Gründe haben... Aber damit wiederholt sie einen Fehler des HRG aus dem Jahre 1976. Der damals geschaffene Hochschulassis- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 200114386 (C) (D) (A) (B) tent, zu selbstständiger Lehre und Forschung berechtigt, wurde in der Praxis durch vorrangige Berufungen über den Habilitationsweg als Karreriesstufe unterlaufen. Ähn- lich muffig mutet an, dass die CDU/CSU an einer unter- schiedlichen Besoldung von Professoren an Hochschulen und Fachhochschulen festhalten will. Das mutet nun ziemlich altertümlich an. Gerade der Wettbewerb zwi- schen den akademischen Bildungsträgern ist ganz offen- sichtlich ein Merkmal der heutigen Zeit und auch für die Wissenschaftslandschaft mehr als wünschenswert. In Ihren Anträgen versuchen Sie, mutige Reform- schritte aufzuhalten. Das Konzept der Juniorprofessur wird von Ihnen beiden begrüßt, allerdings soll ihrer Mei- nung nach die Habilitation parallel dazu erhalten bleiben: Das ist Nonsens. Dann werden sich die alteingesessenen Profs darauf verständigen, auf der Habilitation zu beste- hen, weil das ja immer schon so gewesen ist. Das ist ab- solut ständisches Denken, das Sie hier legitimieren und stabilisieren wollen. Mir ist unverständlich, wie Sie auf diesem veralteten Standpunkt beharren können. Aber das ist ja alles nur mildes Debattenvorgeplänkel. Die eigentliche Revolution ist, eine leistungsbezogene Besoldung bei den Professoren vorzunehmen. Dem stim- men Sie im Prinzip zu. Betrachtet man die Entwicklung der Leistungszulagen an deutschen Hochschulen, kann man auch nicht anders denken: Wir kehren zurück zu ei- nem Prinzip, das über viele Jahre offensichtlich besser funktioniert hat als das heutige. 1965 wurde die so ge- nannte Kolleggeldgarantie in eine Kolleggeldpauschale umgewandelt, die dann seit 1978 dem Grundgehalt ein- fach zugeschlagen wurde. War das Kolleggeld noch eine echte Leistungszulage, die sich nach Anzahl der Hörer und Höhe der an den Vorlesungsstunden verdienten Ge- bühren richtete, war der Kollegpauschale keinerlei Leis- tungsnachweis in der Lehre mehr zu entnehmen, was zur allgemein bekannten Misere in der Lehre führte. Von den Sondergehältern und Zuschüssen rede ich gar nicht mehr. Nun soll es klare Kriterien geben: Neben dem Grund- gehalt ist eine variable Zulage durch entsprechende Leis- tung zu erwerben. Die variable Zulage kann zwischen ei- nem Viertel und einem Drittel des möglichen Endgehalts ausmachen und stellt damit sicherlich einen entscheiden- den Anreiz dar. Sie sprechen sich nicht dagegen aus. Sie überreizen nur wieder bei den Anreizen. Da Sie für eine solide Finanzierung nicht mehr zuständig sind, kommen Sie mit ins Unendliche reichenden Gehaltsvorstellungen für Professoren – kein Oberlimit heißt es bei der F.D.P. Es ist unsere Chance, dass in den nächsten Jahren eine Vielzahl von Professoren aus dem Hochschuldienst aus- scheiden wird. Wir haben die Möglichkeit, den immer noch lausig niedrigen Frauenanteil an der Professoren- schaft zu erhöhen. Wir haben die Chance, jüngere Leute in Forschung und Lehre zu bekommen. Es wird also nicht nur einen Generationenwechsel geben, sondern auch eine Entwicklung, die ungleiche Verteilung zugunsten des männlichen Geschlechts nach und nach abzumildern. Das macht auch Sinn! Es studieren mehr Frauen als Männer. Mädchen machen im Durchschnitt dass bessere Abitur. Diese Generation soll daher verstärkt in die Lehre und die Forschung vordringen. Das sie es vermag, hat sie längst unter Beweis gestellt. Man muss ihr nur die entsprechen- den Chancen einräumen. Genau das tun wir! Cornelia Pieper (F.D.P.): Wir Liberalen wollen mit unserem Antrag zur Hochschuldienstrechtsreform deut- lich machen, dass es der Regierungskoalition an politi- schem Gestaltungswillen fehlt, eine wirkliche Hoch- schulstruktur- und Studienreform in Angriff zu nehmen. Was wir zu Beginn des neuen Jahrtausends brauchen, ist eine Reform der Hochschulen am Hochschulstandort Deutschland, eine Reform an Kopf und Gliedern. Hierzu bedarf es einer Vision, die auch mutig die Kon- turen der Hochschule des 21. Jahrhunderts zeichnet. Diese Vision muss den schöpferischen Raum für eine wirklich autonome Hochschule in freier Selbstbestim- mung und Selbstverwaltung bei uneingeschränkter Perso- nalhoheit schaffen. Nicht der Staat darf das Profil der ein- zelnen Hochschule bestimmen, darf über Studiengänger, die Zahl der zu immatrikulierenden Studenten entschei- den, nein, das sollte künftig nur noch die jeweilige Hoch- schule selbst. Der Staat muss seine Hochschulen in die Freiheit ent- lassen. Sie entscheiden über ihren Status künftig selbst, so wie es das novellierte Hochschulrahmengesetz schon 1998 vorsah. Der Staat stößt immer mehr an seine Gren- zen. Er muss agieren und sich auf seine eigentlichen Auf- gaben konzentrieren. Immer mehr Studenten drängen heute an die Hoch- schulen. Im vergangenen Jahr waren es schon wieder fast 1,8 Millionen: Doch die Hochschulen sind dieser Flut nicht gewachsen. Sie sind ausgerichtet auf circa 700 000 Studierende. Die Folge sind überfüllte Hörsäle, fehlende Seminar- und Praktikumsplätze, zu lange Studienzeiten und nicht zuletzt auch fehlende Hochschullehrer. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Wir brauchen in der Zukunft mehr denn je hoch qualifizierte junge Leute. Die Nachfrage nach akademisch Gebildeten wird auf dem Arbeitsmarkt weiter ansteigen. Ihr Anteil wird in den nächsten Jahren auf 35 Prozent anwachsen. Was wir brauchen, sind gleichwertig nebeneinander wirkende Hochschulen und Universitäten bei weiter steigendem Anteil der Ausbildung von akademischen Berufen an den Fachhochschulen. Doch soll gerade die Dienstrechtsreform einen ersten Schritt hin zu einer um- fassenden Reform der Hochschulen darstellen, muss sie Optionen für zukünftige Entwicklungen des Hochschul- systems offen halten. So betrachtet scheinen die bisherigen Vorschläge von Bildungsministerin Bulmahn etwas wirklichkeitsfremd. Und überhaupt: Wo ist denn der Gesetzentwurf der Bun- desregierung? Den Hochschulen soll, mit dem Verweis auf zu lange dauernde Qualifizierungsphasen, eine neue Korsettstange bei der Ausbildung des Hochschullehrernachwuchses ein- gezogen werden. Sie nennt sich „Juniorprofessur“. Ich streite nicht ab, dass sie ein – ich betone: ein – Weg zur Qualifizierung von Nachwuchswissenschaftlern sein kann. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001 14387 (C) (D) (A) (B) Die Habilitation sollte der andere Weg bleiben. Beide sollten im Wettbewerb zueinander ihre Stärken und auch Schwächen zeigen. Vielfalt statt Einfalt! Wettbewerb statt Gängelei! Kommen die so oft beschworenen Vorteile der Juniorprofessur in allen Wissenschaftsbereichen zum Tra- gen, dann wird sie sich auch durchsetzen und die Habili- tation wird aussterben. Hierzu bedarf es keines Gesetzes. Ich bin mir aber sicher, dass die Abschaffung der Ha- bilitation nichts bewirken wird. Sie wird „ein neues Va- kuum mit neuen Konfusionen“ schaffen, wie es Frau Pro- fessor Dorothea Frede am vergangenen Montag in der „FAZ“ formulierte. Bei der letzten Novellierung des Hochschulrahmenge- setzes haben wir schon die Tür geöffnet, indem wir der Habilitation als Regelvoraussetzung für die Professoren- laufbahn andere gleichwertige Qualifikationen gegen- übergestellt haben. Quereinsteigern aus der Wirtschaft, die über eine hohe Praxiserfahrung verfügen, wurde der Einstieg in die Hochschullehrerlaufbahn – auch an Uni- versitäten – ermöglicht. Gestatten Sie mir an dieser Stelle ein Wort zu den über- mäßig langen Ausbildungszeiten in Deutschland. Eine er- folgreiche Habilitation steht doch nun wirklich am Ende einer langen Kette von Problemen. Die Ausbildungszeiten können um bis zu fünf Jahre verkürzt werden, wenn wir den Mut dazu aufbringen: das Einschulungsalter um ein Jahr zu senken, das Abitur bundeseinheitlich auf zwölf Schuljahre festzuschreiben, bei stärkerer Vorbereitung auf die nachfolgende Hochschulausbildung, die Wehrpflicht abzuschaffen, die Regelstudienzeit durch ein gut organi- siertes Studium zu senken, den Umfang von Magister- und Diplomarbeiten auf ein notwendiges Maß zu be- schränken und in die normale Studienzeit einzubeziehen. Nehmen wir unseren Auftrag für eine umfassende De- regulierung und Umstrukturierung des Dienstrechts für die Hochschulen ernst und fühlen wir uns dem Ziel ver- pflichtet, ein hohes Niveau der Lehre zu sichern, Spitzen- forschung zu fördern und Kompetenzzentren an den Hochschulen zu schaffen, dann brauchen wir Spitzen- kräfte in Forschung und Lehre. Das bedeutet eine konse- quente Abwendung von bestehenden Beamtenstrukturen bis hin zu international wettbewerbsfähigen Gehältern. Über eines müssen wir uns im Klaren sein: Das geht nicht mit einer von vornherein verordneten Kostenneutra- lität. Diese schadet der Stellung deutscher Hochschulen im internationalen Wettbewerb um die besten Wissen- schaftler und Hochschullehrer. Das schadet auch Ihnen, Frau Bulmahn, da Sie ja auch mit einer groß angelegten Kampagne international agierende deutsche Spitzenfor- scher zu einem stärkeren Engagement in Deutschland be- wegen wollen. Das schadet der weiteren Entwicklung der Fachhoch- schulen und das schadet den Hochschulen in Ostdeutsch- land. Sie werden, vor dem Hintergrund des BAT Ost und einer drohenden Personalabwanderung, so als erste den internationalen Anschluss verlieren. Maritta Böttcher (PDS): Die PDS hat bereits vor ei- nem halben Jahr als erste Bundestagsfraktion einen eige- nen Antrag zur Personalstruktur- und Dienstrechtsreform an Hochschulen und Forschungseinrichtungen vorgelegt. Mittlerweile sind auch die beiden anderen Qppositions- fraktionen mit eigenen Initiativen nachgezogen. Was je- doch nach wie vor aussteht, ist ein Gesetzentwurf der Bundesregierung. Wie lange wollen Sie sich eigentlich noch Zeit lassen? Die Bundesregierung ist dabei, einen besonders güns- tigen Zeitpunkt für eine Personalstrukturreform zu ver- passen. Die Hochschulen und Forschungseinrichtungen werden derzeit von einer historisch nahezu einmaligen Pensionierungswelle erfasst. Wenn Sie jetzt nicht endlich handeln, werden die verknöcherten Strukturen unseres Wissenschaftssystems bis in die Dreißigerjahre des 21. Jahrhunderts verstetigt. Mit den vollmundigen Refor- mankündigungen, die die Ministerin heute Morgen aus Anlass der Debatte zum Bundesbericht Forschung ge- macht hat, hätte eine solche Versteinerung der Verhält- nisse nichts, aber auch gar nichts zu tun. Bei der Personalstruktur- und Dienstrechtsreform steht eine Menge auf dem Spiel. Es geht um sehr viel mehr als um die Frage der Besoldung von Professorinnen und Pro- fessoren. Der vorliegende Antrag der CDU/CSU ist leider allzu stark auf dieses Detailproblem verengt und daher eine untaugliche Antwort auf den über Jahrzehnte ange- stauten Reformbedarf. Auch die PDS sieht in diesem Punkt Handlungsbedarf: Wir brauchen eine Reform der Vergütungsstrukturen von Wissenschaftlerinnen und Wis- senschaftlern, der mehr an den tatsächlich erbrachten Leistungen und Belastungen ansetzt und weniger an ein- mal erworbenen Titeln. Aber wir dürfen nicht bei dieser Frage stehen bleiben. Wir brauchen über eine Novellie- rung des Besoldungs- und Dienstrechts hinaus eine um- fassende Reform der Personalstruktur, und zwar nicht nur im Interesse der betroffenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern auch im Interesse der Studentin- nen und Studenten sowie der gesamten Gesellschaft, für die eine hohe Qualität der von den Hochschulen und For- schungseinrichtungen erbrachten Leistungen von Bedeu- tung ist. Die antiquierte Personalstruktur ist für manche Ineffi- zienzen, Fehlleistungen und Qualitätsdefizite verantwort- lich, die sich die Hochschulen vorwerfen lassen müssen. Denken Sie nur an das altertümliche System der Ausbil- dung des Hochschullehrernachwuchses. Nach wie vor müssen sich Anwärterinnen und Anwärter auf eine Uni- versitätsprofessur dem viel kritisierten Habilitationsver- fahren unterziehen. Die Habilitation ist nicht nur äußerst langwierig und zementiert Abhängigkeiten. Sie ist vor al- lem auch einseitig auf – zudem isoliert zu erbringende – Forschungsleistungen ausgerichtet. Die anderen Anforde- rungen an den modernen Hochschullehrerberuf fallen un- ter den Tisch: insbesondere die Qualifikation in der Lehre. Dieser Mechanismus setzt sich auch nach der Berufung auf eine Professur ungebrochen fort: Reputation und Auf- stieg von Professorinnen und Professoren bestimmen sich ausschließlich nach besonderen Leistungen in der For- schung und nach Zahl und Gewicht von Publikationen. Wie erfolgreich ihre Lehrveranstaltungen sind und wie gut sie ihre Studierenden betreuen, hat in der Regel kei- nen Einfluss auf ihre Karrierechancen. Die gegenwärtige Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 200114388 (C) (D) (A) (B) Personalverfassung lässt die Studierenden mit ihrem Inte- resse an einer guten Hochschulausbildung im Regen ste- hen. Wenn wir dies ändern wollen, müssen wir die Lauf- bahn des Hochschullehrernachwuchses reformieren und die Habilitation abschaffen. Die Vorschläge der PDS dazu liegen längst auf dem Tisch. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein weiteres Problem ansprechen: das der fortschreitenden Deregulie- rung, Flexibilisierung und Prekarisierung der Arbeitsver- hältnisse an Hochschulen und Forschungseinrichtungen: Für fast alle nicht professoralen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind befristete Arbeitsverträge zum Regel- fall geworden. Zunehmend werden wissenschaftliche Mit- arbeiterinnen und Mitarbeiter auf Basis von Zwangsteil- zeitverträgen auf halben, Drittel- oder gar Viertelstellen beschäftigt. Diese Situation gefährdet die Kontinuität und die Qualität wissenschaftlicher Arbeit, unter der wiederum nicht nur die Betroffenen, sondern alle, die die Forschungs- und Lehrleistungen der Hochschulen in Anspruch nehmen, zu leiden haben. So richtig es ist, eine angemessene Vergütung von Pro- fessorinnen und Professoren an Universitäten, Fach- und Kunsthochschulen und Forschungseinrichtungen zu for- dern, so wichtig ist es, jene Gruppe nicht zu vergessen, die die Hauptlast der wissenschaftlichen Arbeit trägt. Zwei Drittel der Lehr- und drei Viertel der Forschungsaufgaben werden nach Berechnungen des Wissenschaftlichen Zentrums für Berufs- und Hochschulforschung der Uni- versität Gesamthochschule Kassel von Angehörigen des akademischen Mittelbaus bzw. wissenschaftlichen Nach- wuchses erbracht. Die von der Bundesregierung angekün- digte Reform des Hochschuldienstrechts will diese Gruppe im Abseits stehen lassen. Das Gleiche gilt für die von CDU/CSU und F.D.P. vorgelegten Anträge. Was wir brauchen, ist eine tarifliche Regelung und soziale Absi- cherung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen des gesamten in Hochschule und Forschung beschäftigten Per- sonals. Dies gilt auch für Doktorandinnen und Doktoran- den, für wissenschaftliche und studentische Hilfskräfte. An den Hochschulen und Forschungseinrichtungen wahrzunehmende Daueraufgaben müssen von Mitarbeite- rinnen und Mitarbeitern in unbefristeten Beschäftigungs- verhältnissen – auf Funktionsstellen – wahrgenommen werden. Die PDS fordert die Aufhebung des Hochschul- fristvertragsgesetzes von 1985, damit wie in anderen Bran- chen üblich auch im Wissenschaftsbereich Arbeitgeber und Gewerkschaften die Modalitäten der Befristung von Arbeitsverhältnissen aushandeln und diese nicht länger einseitig von Arbeitgeberseite diktiert werden. Was die Neuordnung der Laufbahn des Hochschulleh- rernachwuchses angeht, so unterstützt die PDS die Forde- rung nach einer früheren Selbstständigkeit junger Wis- senschaftlerinnen und Wissenschaftler. Es kann nicht sein, dass wissenschaftliche Assistenten und Oberassis- tentinnen bis weit ins fünfte Lebensjahrzehnt hinein in Abhängigkeit gehalten werden. Die PDS unterstützt daher grundsätzlich das Modell Juniorprofessur. Ich begrüße ausdrücklich, dass die Ministerin unseren anlässlich der Beratung des Bundeshaushalts 2001 gestellten Antrag, ein Sonderprogramm zur Erstausstattung der Hochschulen mit Juniorprofessuren aufzulegen, nunmehr aufgreifen möchte. In einem zentralen Punkt bestehen wir aber auf einer Nachbesserung: Ich fordere Sie dringend auf, auf jedwede Altersgrenzen zu verzichten. Es ist nachgewie- sen, dass sich Altersgrenzen in der Hochschullaufbahn strukturell zulasten der Chancen von Frauen auswirken. Ich darf Sie in diesem Zusammenhang auf eine Resolu- tion von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf- merksam machen, die der Frau Bundesministerin sowie den zuständigen Ministerinnen und Ministern in den Län- dern, dem Wissenschaftsrat und der Hochschulrektoren- konferenz übergeben worden ist. Ohne eine durchgreifende Personalstruktur und Dienst- rechtsreform ist die Erneuerung unserer Hochschulen und Forschungseinrichtungen zum Scheitern verurteilt. Die Vorschläge unserer Fraktion liegen Ihnen längst vor. Ich hoffe jetzt auf einen zügigen Fortgang der Beratungen. Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Mit der Reform des Hochschuldienstrechts nimmt die Bundesre- gierung ihre Verantwortung wahr, die Leistungs- und In- novationsfähigkeit unseres Wissenschafts- und For- schungssystems zu stärken und die Kooperations- wie Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Hochschul- und For- schungslandschaft auch im internationalen Vergleich zu sichern. Wir wollen und werden flexiblere und stärker leistungsorientierte Beschäftigungs- und Vergütungs- strukturen sowohl für den Hochschulbereich als auch für den außeruniversitären Forschungsbereich schaffen. Hierdurch sollen Anreize für mehr Leistung und bessere Qualität geschaffen, Entwicklungspotenziale für Kreati- vität im gesamten Innovationszyklus eröffnet und der Know-how-Transfer zwischen Wissenschaft und Wirt- schaft beflügelt werden. Der Qualifikationsweg für den wissenschaftlichen Nachwuchs soll kürzer und übersicht- licher werden. Wir wollen insbesondere mehr weibliche Spitzenkräfte für die Wissenschaft gewinnen. Zur Vorbereitung von Reformvorschlägen der Bundes- regierung hat die Bundesministerin für Bildung und For- schung im Juni 1999 die Expertenkommission „Reform des Hochschuldienstrechts“ berufen. Die Kommission hat in ihren Empfehlungen vom 10. April 2000 grundlegende Änderungen des Qualifikationsweges zur Professur sowie eine Neugestaltung der Besoldung von Hochschullehrern und Mitgliedern von Leitungsorganen der Hochschulen vorgeschlagen. Das im September letzten Jahres von Bundesministerin Bulmahn gemeinsam mit Staatssekretärin Zypries aus dem BMI vorgestellte Konzept des BMBF für ein neues Hoch- schuldienstrecht knüpft weitgehend an die Empfehlungen der Expertenkommission an, setzt aber, besonders bei der Reform der Professorenbesoldung, eigene Akzente. Kernpunkte des Konzepts sind: die Einführung einer Juniorprofessur mit dem Recht zu selbstständiger For- schung und Lehre, die Abschaffung der Habilitation, die Eröffnung des Karrierewegs an der eigenen Hochschule durch Begrenzung des Hausberufungsverbots und Er- möglichung von Besoldungsverbesserungen ohne Hoch- schulwechsel, die besoldungssystematische Gleichstel- lung von Universitäten und Fachhochschulen und die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001 14389 (C) (D) (A) (B) Ersetzung der leistungsunabhängigen Altersstufen der Besoldung durch variable Gehaltsbestandteile. Entwürfe für die zur Umsetzung der Hochschuldienst- rechtsreform erforderlichen Änderungen des Hochschul- rahmengesetzes und des Bundesbesoldungsgesetzes – für Letzteres ist das Bundesministerium des Innern feder- führend – werden zurzeit erarbeitet. Die geplanten Ände- rungen des Hochschulrahmengesetzes werden in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf Ministerebene vorberei- tet. Dies nimmt einige Monate Zeit in Anspruch, aber wir wollen einen möglichst breiten Konsens mit den Ländern zur Dienstrechtsreform. Angestrebt ist, dass das Kabinett vor Ostern die Ge- setzentwürfe beschließt. Im Anschluss daran sollen die parlamentarischen Beratungen aufgenommen werden. Die Hochschuldienstrechtsreform soll zum 1. Januar 2002 in Kraft treten. Ich begrüße es sehr, dass nun endlich auch CDU/CSU und F.D.P., die in Zeiten ihrer Regierungs- tätigkeit durch Untätigkeit glänzten, Position beziehen. In den Anträgen der CDU/CSU „Eckpunkte für eine Reform des Hochschuldienstrechts“ und der F.D.P. „Dienstrechtsreform an den Hochschulen konsequent für eine umfassende Hochschulreform nutzen“ sind einige Aspekte des Konzepts für ein Hochschuldienstrecht des 21. Jahrhunderts aufgegriffen worden, zu denen ich Stel- lung nehmen möchte. Zur Juniorprofessur und zur Habilitation: Durch die Einführung einer befristeten Juniorprofessur in möglichst zeitnahem Anschluss an die Promotion soll erreicht wer- den, dass junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft- ler künftig Anfang/Mitte 30 selbstständig und unabhängig lehren und forschen können. Die Juniorprofessur soll die Regelvoraussetzung für eine Berufung auf eine Universi- tätsprofessur sein. Alternative Wege für eine Berufung auf eine Universitätsprofessur sind die Qualifizierung auf- grund beruflicher Tätigkeit, die Qualifizierung im Aus- land und die Qualifizierung durch wissenschaftliche Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer Hochschule bzw. außeruniversitären Forschungseinrich- tung. Diese strukturellen Änderungen werden auch einen Beitrag dazu leisten, die von der HRG gebotene Förde- rung von Frauen in den Hochschulen im Sinne des „Gen- der mainstreaming“ zu sichern und bessere Rahmenbe- dingungen auch für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der Wissenschaft zu schaffen. Wesentliches Element der künftigen Wege zu einer Dauerprofessur ist, dass nicht die „abgebenden“, sondern ausschließlich die „aufnehmenden“ Institutionen darüber entscheiden, ob Bewerber über die für die Berufung auf eine Lebenszeitprofessur erforderliche Eignung und Be- fähigung verfügen. Dies entspricht internationaler Üb- lichkeit und ist deshalb eine wichtige Voraussetzung für die Herstellung der internationalen Anschlussfähigkeit des deutschen Hochschulsystems. Es ist zugleich die „conditio sine qua non“ dafür, dass unser Hochschulsys- tem für deutsche und ausländische Nachwuchswissen- schaftler attraktiver wird. Die Bundesregierung teilt die jüngst getroffene Fest- stellung des Wissenschaftsrates, dass das Habilitations- verfahren nicht zur Realisierung der mit der Dienstrechts- reform verfolgten Ziele beiträgt. Die Habilitation als Prü- fungs- und Lizenzierungsverfahren steht vor allem der gewollten größeren Selbstständigkeit und Eigenverant- wortlichkeit des wissenschaftlichen Nachwuchses entge- gen. Wir werden deshalb geeignete Maßnahmen vor- schlagen, die ein Unterlaufen dieses Reformansatzes ausschließen. In welchem strukturellen Dilemma wir stecken, zeigt sich beispielsweise bei den im Emmy- Noether-Programm der DFG geförderten hoch qualifi- zierten Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchs- wissenschaftlern, die in signifikanter Zahl – entgegen den Intentionen des Programms – doch eine Habilitation an- streben, um bei Berufungen nicht chancenlos zu sein. Die Anforderungen an die über die Promotion hinaus- gehenden wissenschaftlichen Leistungen für die Beru- fung auf eine Professur werden auch in Zukunft je nach Fach und Fachkultur unterschiedlich ausgestaltet sein. So werden in den Naturwissenschaften typischerweise Ver- öffentlichungen in international führenden Zeitschriften nachzuweisen sein, während zum Beispiel in den Geis- teswissenschaften wohl auch künftig ein „2. Buch“ vor- zulegen sein wird. Die Bundesregierung wird die Länder bei der Einrich- tung von Juniorprofessuren unterstützen. Sie beabsichtigt hierzu, ab 2002 zur Unterstützung der Einführung der Ju- niorprofessur ein Ausstattungsprogramm für Juniorpro- fessoren zu starten. Es ist darüber hinaus zu erwägen, die Vielzahl an Personalkategorien, die bislang mit wei- sungsgebundenen Aufgaben in Forschung, Lehre, Selbst- verwaltung und in der Krankenversorgung verknüpft sind – einschließlich der wissenschaftlichen Assistenten –, durch einen von den Hochschulen flexibel gestaltbaren Bereich wissenschaftlicher Mitarbeiter zu ersetzen, der auch den Erwerb von Qualifikationen für eine weiter- führende wissenschaftliche Karriere ermöglicht. Zur Besoldung von Hochschullehrern und Hochschul- leitern: Zweites zentrales Thema der Hochschuldienst- rechtsreform ist die Reform der Professorenbesoldung. Statt der bisherigen Professorenbesoldung, bei der die Dienstaltersstufen ein wichtiges Bestimmungskriterium der Besoldungshöhe sind, soll ein neues, flexibles und stärker leistungsorientiertes Besoldungssystem geschaf- fen werden. Mit ihm soll im Wettbewerb mit ausländi- schen Hochschulen und der Industrie in Zukunft auch Marktgegebenheiten bei der Gewinnung von Nachwuchs- wissenschaftlern und Professoren besser Rechnung getra- gen werden können. Gleichzeitig soll der Karriereweg an der eigenen Hochschule eröffnet werden: Leistungsge- rechte Gehaltssteigerungen sollen künftig unabhängig von Berufungsverhandlungen und ohne Weggang an eine andere Hochschule möglich sein. Hierzu soll eine neue Besoldungsordnung W – W steht für Wissenschaft – eingeführt werden. Neben der Junior- professur – neue Besoldungsgruppe W 1 –, die an den Universitäten eingeführt werden soll, wird es künftig für Professoren zwei Besoldungsgruppen, W 2 und W 3, ge- ben, die sowohl an Fachhochschulen als auch an Univer- sitäten vorgesehen werden können. Über die Frage, wel- che Professorenstellen in welchem Umfang an welcher Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 200114390 (C) (D) (A) (B) Hochschulart eingerichtet werden, wird künftig nicht der Bund, sondern werden die Länder entscheiden: Die Län- der erhalten damit die Möglichkeit, die entsprechend den jeweiligen hochschulspezifischen Gegebenheiten und Zielsetzungen jeweils von ihnen für richtig gehaltene Stellenstruktur einzuführen. Das bedeutet, dass die Fach- hochschulen mit den Universitäten künftig besoldungs- systematisch grundsätzlich gleichgestellt sind. Damit werden im Bereich der Besoldung zukunftsfähige Rah- menbedingungen für die Fortentwicklung des Hochschul- systems geschaffen. Dem neuen Besoldungssystem liegt die ordnungspoli- tische Vorstellung zugrunde, bundesrechtlich Handlungs- möglichkeiten zu schaffen, Entscheidungen über deren Nutzung aber den Ländern zu überlassen. Dieses Ord- nungsprinzip wird auch bei anderen Elementen des neuen Besoldungssystems verfolgt. Juniorprofessoren – die neue Besoldungsgruppe W 1 – erhalten künftig in den ersten drei Jahren 6 000 DM, nach positiver Zwischenevaluation 6 500 DM. In den Professo- renämtern W 2 und W 3 setzt sich die konkret-individu- elle Besoldung aus einem Mindestbetrag und zusätzlichen variablen Gehaltsbestandteilen zusammen. Neu und si- cherlich gewöhnungsbedürftig ist, dass es hierbei nur für die Mindestbezüge einen fixen Betrag geben wird – W 2: 7 000 DM, W 3: 8 500 DM –, während sich die weiteren Besoldungskomponenten nur als Bandbreite bzw. Durch- schnittswert ausdrücken lassen. Die Mindestbeträge orientieren sich dabei an der heu- tigen Besoldung 31- bis 34-jähriger Professoren in den Besoldungsgruppen C 3 und C 4, während für die insge- samt für die Professorenbesoldung zur Verfügung stehen- den Mittel bundesrechtlich ein Vergaberahmen festgelegt wird. Dieser Vergaberahmen wird sicherstellen, dass die Reform der Professorenbesoldung nicht zu einer Besol- dungskürzung führt. Mit anderen Worten: Die durch- schnittliche Besoldung der Professoren wird künftig nicht niedriger sein als heute. Eine Erhöhung der Mindestbe- träge, wie in den Anträgen gefordert, würde zum einen in größerem Umfang zu automatischen Gehaltssteigerungen allein durch die Umstellung des Besoldungssystems und zum anderen dazu führen, dass sich der Spielraum für weitere Besoldungskomponenten massiv verringert. Demgegenüber eröffnen die vorgesehenen Mindestbe- träge die Option, dass auch schon bei der Erstberufung höhere Bezüge vereinbart werden können. Die variablen Gehaltsbestandteile werden individuell – in der Regel auch schon bei der Erstberufung – im Rah- men des Personalbudgets der Hochschule verhandelt und vereinbart werden. Sie können vergeben werden aus An- lass von Berufungs- oder Bleibeverhandlungen, für die Übernahme von Funktionen und besonderen Aufgaben sowie für besondere individuelle Leistungen in den Be- reichen Forschung, Lehre, Weiterbildung und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Die Details der Besoldungsreform werden derzeit in- nerhalb der Bundesregierung abgestimmt. Wir sind im Zeitplan, sodass das Reformvorhaben wie geplant Anfang 2002 in Kraft treten wird. Ergänzend und parallel zur Besoldungsreform wird es im Frühjahr erste Gespräche der Tarifvertragsparteien über die Frage einer wissenschaftsadäquateren Ausgestal- tung des Tarifwerkes des öffentlichen Dienstes geben, die die Bundesregierung im Rahmen der gebotenen Tarifau- tonomie begleiten wird. Sie sehen: Die Bundesregierung hält Wort. Wir sind – auch in Gesprächen mit den Ländern – über Ankündi- gungen weit hinaus, wir handeln! Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrages: Ratifizierung des Haager Adoptionsabkommens (Tagesordnungs- punkt 12) Margot von Renesse (SPD): Es bedarf keiner langen Rede zu diesem Antrag der CDU/CSU. Eigentlich kann man zu der Forderung nach einem Gesetzentwurf zur Um- setzung eines völkerrechtlichen Abkommens nur das Ad- ventslied singen, das uns aus dem Jahr 2000 noch in Er- innerung ist und in dem es heißt: „Es ist schon auf dem Weg.“ Das ist eigentlich seltsam für die frühere Regie- rungspartei, die das fragliche Abkommen unterzeichnet und fünf Jahre unratifiziert gelassen hat, der neuen Re- gierung schon nach zwei Jahren eine Mahnung ins Haus zu schicken. Sei es drum: Die Türen waren so selten of- fen, die unsere Opposition mit Schwung eintreten will. Wie sagt der Zivilrichter in solchen Fällen? „Die Angele- genheit ist in der Hauptsache erledigt.“ Renate Diemers (CDU/CSU): Deutschland ist für Gründlichkeit und Reglungsbedarf bekannt. Alles muss seine Ordnung haben. Also müssen Paare, die ein Kind adoptieren wollen, enorme behördliche Auflagen in unse- rem Land erfüllen, die so hoch sind, dass sie auf die Be- troffenen manchmal widersinnig wirken. Aber im Inte- resse des Kindes sollten und müssen wir weiterhin an der Prüfung der Eignung festhalten. Viele Paare empfinden eine besondere Verantwortung angesichts der unterschiedlichen globalen Lebensver- hältnisse und wollen ein ausländisches verwaistes Kind adoptieren. Die sozialen Umstände in vielen Ländern sind insbesondere für Kleinkinder schlichtweg un- menschlich. Es handelt sich dabei um Kinder in Län- dern, die vom Bürgerkrieg zerrüttet sind oder die unter Hungersnot leiden. Viele der Kinder leben in Staaten, die einfach kein Geld haben, um ein staatliches Fürsorgesystem einzurichten, oder wo mafiöse Strukturen das Geld abzweigen. Und wir müssen auch feststellen, dass es Staaten gibt, die für allein lebende Kinder – ich denke in diesem Zusammenhang auch an die so genannten Straßenkinder – kein Geld aus- geben wollen. Und direkt vor unserer Haustür, den so genannten westlichen Ländern, mussten wir in der Vergangenheit und insbesondere in den letzten Tagen mit Wut im Bauch Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001 14391 (C) (D) (A) (B) erleben, dass um Kinder im Internet gefeilscht wird: meistbietend – mit Umtauschgarantie und Rückrufaktion. Ihnen ist bekannt, dass die Haager Konferenz eine in- ternationale Organisation für Privatrecht ist, in der inzwi- schen über 60 Staaten mitarbeiten. Die Haager Konferenz erkannte rasch, dass ein internationales Abkommen not- wendig ist, um Kinderhandel, Kindesentführungen und Kinderauktionen zu bekämpfen. Auch stand fest, dass es nur dann Erfolg versprechende Lösungen geben kann, wenn die Herkunftsländer der Adoptivkinder – also auch Problemländer – mitarbeiten können. So war es selbst- verständlich, auch Nichtmitgliedsländer als Ad-hoc-Mit- glieder an der Ausarbeitung des Adoptionsabkommens zu beteiligen. Damit wird deutlich, dass diesem Abkommen eine enorme internationale Bedeutung zukommt. Bereits die UN-Kinderrechtskonvention hat zur Adop- tion einige Grundsätze genannt. Dort ist festgelegt, dass eine Adoption ein staatlicher Akt ist und privater Befug- nis entzogen ist. Kommerzielle Kindervermittlung soll auf jeden Fall verhindert werden. Grundsätzlich soll eine internationale Adoption erst dann möglich sein, wenn das Kind in seinem Heimatland nicht geeignet betreut werden kann und dort keine Adoption möglich ist. Die Unterzeichner haben sich verpflichtet, die inner- staatlichen Voraussetzungen für die Umsetzung dieser UN-Konvention zu schaffen. Außerdem ist ein multilate- rales Abkommen notwendig und dieses liegt in Form des Haager Abkommens vor. Die Ziele dieses Abkommens waren auf der Grundlage der UN-Forderungen schnell herausgearbeitet: Erstens: Es sollten Schutzmaßnahmen entwickelt wer- den, die sicherstellen, dass grenzüberschreitende Adop- tionen zum Wohle des Kindes unter der Wahrung der Grundrechte stattfinden. Zweitens war sicherzustellen, dass die Vertragsstaaten durch eine Zusammenarbeit diese Schutzmaßnahmen ein- halten und somit sicherstellen, dass Kindesentführung etc. vermieden werden. Und drittens werden somit die durchgeführten Adop- tionen rechtlich anerkannt. Ein besonderer Verhandlungspunkt der Haager Konfe- renz war es auch, die staatliche Aufsicht über die Adop- tionen zu gewährleisten. Auf Druck der USAwurden auch private Vermittler zugelassen, wenn diese staatlich ge- prüft sind. Aber die neuen Entwicklungen und die aktuel- len Skandale aus den USA zeigen auch hier noch Schlupflöcher und den rechtsfreien und anonymen Raum des Internets auf. Die bisherige ungeklärte Rechtslage hat in Deutsch- land in der Zwischenzeit zu einer paradoxen Situation ge- führt. Wir haben auf der einen Seite quasi staatlich ge- prüfte Eltern, worauf ich eingangs hinwies, die sich seit fast sieben Jahren um eine Auslandsadoption bemühen, und wir haben im Ausland hilfsbedürftige Kinder. Aber es können kaum noch Adoptionen nach Deutsch- land vermittelt werden. Die ausländischen Staaten, die das Haager Adoptionsabkommen bereits ratifiziert haben, sind dazu übergegangen bzw. sind durch die Ratifizierung verpflichtet, Kinder nur noch in die Staaten zu vermitteln, die bereits Vertragspartner sind. Und auch für ein reiches und durchaus immer noch preußisches Deutschland wird keine Ausnahme gemacht. Es ist möglich, dass die Adoption erst nach dem Wech- sel des Aufenthaltsortes des Kindes stattfindet. In einigen deutschen Familien leben also bereits ausländische – nicht adoptierte – Kinder. Aber rechtlich und emotional gesehen ist dies für alle Beteiligten ein äußerst ungewis- ser und unzumutbarer Zustand. Auch besteht die Gefahr, dass illegale Adoptionen in Kauf genommen werden. Die adoptivwilligen Eltern sind inzwischen so zermürbt, dass sie sich bereits an den Peti- tionsausschuss unseres Hauses gewandt haben. Und etli- che Eltern haben sich direkt an Abgeordnete und somit auch an mich gewandt. Ich zitiere aus einem der Elternbriefe; da heißt es: „Kinder, die in Heimen seelisch, geistig und körperlich zerstört werden, weil sie keine Eltern finden“. Diese emo- tionalen Schilderungen haben mich persönlich veranlasst, diesen Sachverhalt noch einmal verstärkt in den Blick zu rücken. Das Haager Abkommen existiert bereits seit 1993 und wurde von der damaligen Bundesregierung mit erarbeitet. Es gilt seit 1995 und wurde später auch von Deutschland unterzeichnet. Ich bedaure, dass während unserer Regie- rungsverantwortung die anschließend notwendige Ratifi- zierung nicht mehr auf den Weg gebracht werden konnte; aber auch die neue Bundesregierung hat inzwischen eingestanden, dass es sich in der Tat um ein überaus kom- plexes Thema handelt, das viel Vorbereitungszeit und langwierige Abstimmungen mit den Bundesländern erfor- dert. Erfreulicherweise hat das Bundeskabinett am 20. Dezember des vergangenen Jahres entsprechende Ge- setzentwürfe an den Bundesrat gebilligt. Unser Hauptaugenmerk gilt den Kindern und dies gibt mir die Hoffnung, dass für den Antrag meiner Fraktion zur Ratifizierung des Haager Adoptionsabkommens eine breite Zustimmung in diesem Hause möglich ist. Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Ein Kind um jeden Preis“ wünschen sich zahlreiche Paare auch in Deutschland. Rund 7 000 bis 8 000 Kinder werden jährlich adoptiert. Über ein Viertel, also fast 2 000 der Kinder, kommen aus dem Ausland. Die Dunkelziffer weiterer Adoptionen ist hoch. Denn nur ein kleiner Teil der Kinder wird laut Angaben der Kinder- rechtsorganisation „terre des hommes“ über seriöse, staat- lich anerkannte Vermittlungsstellen adoptiert. In Deutschland gibt es einen Kinderhandelsmarkt, wo- bei die Nachfrage deutlich höher liegt als das Angebot – Tendenz steigend. Waren es Anfang der 80er-Jahre noch zehn Bewerber, die sich um ein Kind bemühten, so stieg die Zahl in den 90er-Jahren auf 20 bis 30 an. Der Schritt vom Kindeswohl zum Kindesmarkt scheint dabei schnell getan zu sein. Auch vor dem Shopping per Internet wird nicht zurückgeschreckt. So genannte Online-Adoptionen sind keine Seltenheit. Ein Drama über eine derartige Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 200114392 (C) (D) (A) (B) Adoption wurde kürzlich durch die Presse bekannt. Eine US-amerikanische Vermittlungsagentur ließ eine Mutter von Zwillingen ihre Kinder zweimal verkaufen. Das Ziel war höherer Profit. Die Säuglinge wurden durch die USA geschickt und landeten schließlich in England. Auch Großbritannien will nun die Gesetze über Adoptionen verschärfen. Liebe Kollegen und Kolleginnen der CDU/CSU, ich bin froh, dass auch Sie jetzt endlich einen Sinneswandel vollzogen haben. Das zeigt der vorliegende Antrag. Noch zu Ihrer Regierungszeit mussten wir über Jahre auf eine Ratifizierung des Haager Adoptionsabkommens warten. In den Jahren 1994 und 1995 hat uns Ihre F.D.P.-Justiz- ministerin Frau Leutheusser-Schnarrenberger die rasche Umsetzung der Konvention versprochen. Dem damaligen Finanzministerium gingen aber wohl die Kosten zu weit. Spätestens im Jahr 1997 sollte es soweit sein. Das Warten war jedoch vergeblich. Ich frage Sie: Warum ist es ei- gentlich nicht dazu gekommen? Die rot-grüne Bundesre- gierung hat bereits im vergangenen Jahr die notwendigen Ratifizierungs- und Ausführungsgesetze verabschiedet, womit Ihr Antrag völlig überflüssig wird. Wir können da- von ausgehen, dass Anfang 2002 die Haager Konvention in Deutschland in Kraft treten wird. Bereits die Kinderrechtskonvention der Vereinten Na- tionen aus dem Jahr 1989 gesteht jedem Kind umfassende Rechte zu. Erstmalig wurden hier Kinderrechte als Men- schenrechte formuliert. Danach sollte ein Kind nach Mög- lichkeit in der Fürsorge seiner Eltern aufwachsen. Die Er- klärung der Vereinten Nationen war Ausgangspunkt für das Haager Abkommen. Erfreulich dabei ist, dass sich im- mer mehr Herkunftsländer, wie Polen, Rumänien und mehrere lateinamerikanische Staaten, dem Abkommen an- geschlossen haben. Schließlich stimmten 66 Staaten der Übereinkunft zu. In 41 Staaten ist sie inzwischen in Kraft. Die Regelungen der Konvention sehen erhebliche Ver- besserungen vor. Es ist ein wichtiger Schritt zum Schutz von Kindern bei internationalen Adoptionen. Eine Adop- tion wird danach eindeutig als Sache von Kinderrechten angesehen. Ein wichtiges Ziel des Abkommens ist der verbesserte Rechtsstatus ausländischer Adoptivkinder. Durch die Konvention entsteht ein ausgefeiltes System der internationalen Zusammenarbeit, mit dem sicherge- stellt werden soll, dass keine Kinder mehr entführt, ver- kauft und gehandelt werden, um schließlich als Adoptiv- kinder getarnt auf dem Weltmarkt verhökert zu werden. Außerdem werden die Verfahrenswege einer Adoption vereinfacht und damit transparenter, vor allem auch für die zukünftigen Adoptiveltern. Das Verfahren sieht vor, dass das Herkunftsland in jedem einzelnen Fall die best- mögliche Lösung für das Kind suchen muss. Für uns Bündnisgrüne ist immer die Fürsorge für das Kind im In- land vorzuziehen, bevor es schließlich zu einer Auslands- adoption kommt. Heimat- und Aufnahmestaat entschei- den schließlich gemeinsam darüber, ob die Annahme eines bestimmten Kindes durch bestimmte Adoptionsbe- werber dem Wohl des Kindes dient. Diese Ziele sollen un- ter anderem dadurch erreicht werden, dass in jedem Staat eine zentrale Behörde geschaffen wird, die für alle inter- staatlichen Adoptionen zuständig ist. Das bedeutet nicht etwa das Ende von Privatadoptionen. Staatlich zugelas- sene private Organisationen sollen ihre Aufgaben weiter- führen, immer in Abstimmung mit der zentralen Behörde. In Deutschland wird diese Behörde beim Generalbundes- anwalt angesiedelt sein. Mit der Haager Konvention wird die Untrennbarkeit von Adoptionspraxis und Achtung der Kinderrechte fest- geschrieben. Mit der Umsetzung dieses Abkommens sorgt die rot-grüne Koalition für eine gerechte Adoptions- politik. Die Kinderrechte stehen dabei im Vordergrund, damit bei jeder Adoption die Würde des Kindes garantiert werden kann. Rainer Funke (F.D.P.): Der Antrag der CDU zur Ra- tifizierung des Haager Adoptionsabkommens ist nicht nur richtig, er rennt offene Türen ein. Es ist zwar richtig, dass die Bundesregierung mit der Ankündigung von Gesetzen häufig schneller ist als mit deren Umsetzung, und es dann gut ist, dass durch Anträge der Bundesregierung Beine ge- macht werden. In diesem konkreten Fall muss man jedoch einräumen, dass die Bundesregierung durchaus rechtzei- tig den Gesetzentwurf vorgelegt hat. Das gilt auch dann, wenn man bedenkt, dass das Haager Abkommen vom 29. Mai 1993 stammt, denn schließlich mussten für die Umsetzung dieses Haager Abkommens schwierige inner- staatliche Regelungen gefunden werden. Nach unserem föderalen System mussten die zentralen Behörden von Ju- gendämtern und zugelassenen Adoptionsvermittlungs- stellen befragt und deren Zuständigkeiten geregelt wer- den. Dies ist nicht nur eine Frage der behördlichen Strukturen, sondern auch die Frage, inwieweit potenzielle Adoptiveltern sich auf den Rat dieser Stellen verlassen können. Die F.D.P.-Fraktion begrüßt daher, dass die Bundesre- gierung beim Bundesrat den Entwurf eines Gesetzes zu dem Haager Übereinkommen vom 29. Mai 1993 über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Ge- biet der internationalen Adoption eingebracht hat. Hiermit wird sich der Bundestag sicherlich bald zu beschäftigen ha- ben. Nach der Übereinkunft nehmen Heimatstaat und Auf- nahmestaat bei der Vermittlung einer grenzüberschreiten- den Adoption unterschiedliche Aufga-benschwerpunkte wahr. Die Behörden im Heimatstaat klären, ob eine inter- nationale Adoption dem Kind in seiner persönlichen Situa- tion eine geeignete Lebensperspektive bieten könnte, und holen erforderliche Zustimmungen, namentlich der leibli- chen Eltern, ein. Die zuständigen Stellen im Aufnahmestaat prüfen die Eignung der Adoptionsbewerber und stellen si- cher, dass das Kind in den Aufnahmestaat einreisen und sich dort aufhalten kann. Heimat- und Aufnahmestaat ent- scheiden gemeinsam, ob die Annahme eines bestimmten Kindes durch bestimmte Adoptionsbewerber dem Wohl des Kindes dient. Eine gemäß den Bestimmungen des Über- einkommens vollzogene Adoption wird in allen Vertrags- staaten anerkannt. Dieses Haager Übereinkommen ist nach langen Ver- handlungen und einem angemessenen Interessensaus- gleich zwischen Heimat- und Aufnahmestaaten zustande gekommen. Die damalige Bundesregierung war eine der treibenden Kräfte für dieses Haager Übereinkommen. Die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001 14393 (C) (D) (A) (B) F.D.P.-Fraktion wird daher dieser Vereinbarung und deren Umsetzung in nationales Recht zustimmen. Christina Schenk (PDS): Jedes Jahr werden mehr als 1 000 ausländische Kinder von deutschen Paaren adop- tiert; Tendenz steigend. Von diesen Kindern kommen nur wenige über anerkannte Vermittlungsstellen zu den Adop- tivfamilien. Wie viele Kinder insgesamt an Vermittlungs- stellen und den bestehenden Gesetzen vorbei nach Deutschland gebracht werden, ist nicht bekannt. Terre des hommes hat 1996 mit der Studie „Kein Kind um jeden Preis“ nachweisen können, dass es auch in der BRD einen fest etablierten Adoptionskinderhandelsmarkt gibt. Deut- sche Paare besorgen sich ihre Kinder privat oder über unseriöse Agenturen in Staaten der Dritten Welt oder Osteuropas. Für eine entsprechende Summe bekommen Bewerber das Kind ihrer Wahl: hellhäutig, gesund, mög- lichst jung. Die Beschaffungspraktiken reichen von Be- trug und Urkundenfälschung bis zur Kindesentführung. Oft wird die soziale Notlage lediger Mütter skrupellos ausgenutzt. Die Kinder sind Ware auf einem Markt, der durch Angebot und Nachfrage geregelt wird. Um diesen illegalen und halblegalen Kinderhandel ein- zudämmen, bedarf es der schnellstmöglichen Ratifizie- rung der Haager Konvention. Denn die bisherige Nichtra- tifizierung der Konvention hat genau den Effekt, dass die Möglichkeiten legaler Auslandsadoptionen eingeschränkt wurden und adoptionswillige Paare sich auf halblegale oder illegale Wege einlassen. Die Bundesregierung hat das „Übereinkommen über die Zusammenarbeit und den Schutz von Kindern auf dem Gebiet der grenzüberschreitenden Adoption“ 1997 – vier Jahre nach seinem Zustandekommen – gezeichnet. Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung zu seiner Umsetzung wurde vor kurzem dem Bundesrat zugeleitet. Die PDS wird auf eine zügige Behandlung im Bundestag drängen. Die Haager Konvention schreibt fest, dass bei einer Adoption das Wohl des Kindes an erster Stelle steht. Eine Auslandsadoption kann nur dann stattfinden, wenn die Grundrechte des betreffenden Kindes gewahrt sind. Sie soll nur dann möglich sein, wenn im Herkunftsland keine andere Möglichkeit besteht: Erst wenn weder die eigene Familie noch andere Familien im Land ein Kind anneh- men, kann über eine Adoption im Ausland nachgedacht werden. Alle Beteiligten sind verpflichtet, diese Alterna- tiven konkret zu prüfen. Vermittelt werden dürfen Adop- tionen nur von anerkannten Stellen. Auf keinen Fall darf eine der beteiligten Seiten einen finanziellen Vorteil durch die Vermittlung erlangen. So soll gesichert werden, dass keine Kinder entführt, verkauft und gehandelt werden, um dann als Adoptivkinder „verpackt“ auf dem Weltmarkt verhökert zu werden. Ob dies alles gelingt, hängt maßgeblich davon ab, wie die Konvention umgesetzt wird. Dabei geht es nicht nur um gesetzliche Regelungen. Es geht auch um eine auf- klärende und bewusstseinsbildende Arbeit, die klarstellt, dass auch bei Auslandsadoptionen die Rechte der Kinder uneingeschränkt an erster Stelle zu stehen haben. Zu- gleich geht es auch darum, den adoptierten Kindern und ihren Eltern die notwendige Infrastruktur zu ihrer Unter- stützung bereit zu stellen. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrages: Soforthilfe für kon- kursbedrohte Wohnungsgenossenschaften aus TLG-Beständen organisieren (Tagesordnungs- punkt 13) Dr. Peter Danckert (SPD): Die PDS beantragt So- forthilfe für konkursbedrohte Wohnungsgenossenschaf- ten aus TLG-Beständen und tut dies auf die ihr typische Art und Weise, nämlich pauschal und undifferenziert. Um aber zu einer sachgerechten Lösung für die betroffenen TLG-Genossenschaften kommen zu können – und dieser Bundesregierung kommt es auf sachgerechte wohnungs- politische Lösungen an, wie das zweite Altschuldenhil- feänderungsgesetz, die Wohngeldreform und auch die Novellierung des Eigenheimzulagegesetzes beweisen –, ist eine objektive Betrachtungsweise notwendig. Dies beginnt mit einer seriösen Bestandsaufnahme, Frau Ostrowski; sonst könnten schnell falsche Eindrücke erweckt werden. Ihr wohnungspolitischer Einsatz in allen Ehren, aber wenn Sie zum Beispiel in der „Leipziger Volkszeitung“ vom 10. Januar 2001 auf Seite 17 wie folgt zitiert werden: „Die in Not geratene WG Lößnig und die anderen TLG-Genossenschaften tragen keine Schuld an der entstandenen Lage“, dann gehen Sie mit diesen Pau- schalisierungen wirklich zu weit. Lassen Sie mich Folgendes zur Sache ausführen. Worum ging es in den Jahren 1993, 1994 und 1995? Die Bewohner in den Regionen der ehemaligen Kohle-, Mon- tan- und Chemieindustrie der neuen Bundesländer sollten gesicherte Wohnperspektiven erhalten. Die Treuhandlie- genschaftsgesellschaft mbH wird beauftragt, bundesei- gene Wohnungen und Werkswohnungen vor allem an den ehemaligen Industrie- und Armeestandorten in Ost- deutschland zu verwerten. Da sich eine direkte Mieterpri- vatisierung nicht erreichen ließ, sollten nach dem Konzept der TLG die Mieterinnen und Mieter dieser Wohnungen für die Bildung von Wohnungsgenossenschaften gewon- nen werden. Im Vertrauen auf eine gesicherte Wohnper- spektive haben sich überwiegend ältere Bewohner unter Verwendung ihrer Ersparnisse mit Geschäftsanteilen zwi- schen circa 6 000 DM und 12 000 DM beteiligt. In den Jahren 1993 bis 1996 sind so zehn Wohnungsgenossen- schaften gegründet worden, die insgesamt 12 848 Woh- nungen erworben haben und in denen mehr als 30 000 Menschen wohnen. Dies geschah freiwillig. Die Miete- rinnen und Mieter haben sich zusammengetan. Es gab Standortuntersuchungen. Die Verkehrswerte wurden er- mittelt und dann Genossenschaften – mit Vorständen und Aufsichtsräten – gegründet. Alle Beteiligten sind mit großem Optimismus an diese Form der Mieterprivatisie- rung herangegangen. Doch welche Faktoren müssen bei einer Genossen- schaftsgründung beachtet werden? Der Wohnungsbestand selbst, also seine Lage und bauliche Beschaffenheit muss geeignet sein. Ein tragfähiges Wirtschaftskonzept muss die wirtschaftliche Lebensfähigkeit der Wohnungsgenos- senschaft sichern. Die Sozial- und Altersstruktur der Mie- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 200114394 (C) (D) (A) (B) ter sollte ausgewogen sein. Das gesellschaftliche und po- litische Umfeld sollte die Genossenschaftsgründung un- terstützen. Eine lebendige Mieterinitiative, die das Ge- nossenschaftsprojekt auch nach der Gründungsphase unterstützt, ist erforderlich und ein geschlossenes Kom- munikationskonzept, damit wichtige Informationen die Mieter schnell erreichen. Heute stellen wir fest, dass die Erwartungen – ich könnte auch sagen, die Hoffnungen – der TLG-Woh- nungsgenossenschaften und ihren Mieter aus ganz unter- schiedlichen Gründen enttäuscht worden sind. Was sind die Ursachen für diese Situation? Aus heutiger Sicht er- scheinen die damals einvernehmlich ermittelten Kaufpreise mit durchschnittlich 400 DM pro Quadratmeter zu hoch. Die Sanierungskosten von durchschnittlich 1000 DM pro Quadratmeter haben erhebliche Zins- und Tilgungslasten verursacht. Struktureller Leerstand verschlechtert die Si- tuation erheblich und letztlich – und das sollte man nicht vergessen – gab und gibt es bei einigen Genossenschaften ein erhebliches Missmanagement. Diese sich schnell ab- zeichnenden Defizite waren der Grund, weshalb bereits im September 1998 die TLG-Genossenschaften einen Arbeitskreis gründeten. Nach einer einberufenen Gesprächsrunde im Bundes- kanzleramt hat die TLG den zehn Genossenschaften ange- boten, durch die Firma Bonkconsult eine einzelfallbezo- gene und kostenlose betriebswirtschaftliche Beratung durchführen zu lassen. Dieses Angebot haben – ich weiß nicht warum – nur fünf TLG-Genossenschaften angenom- men, denen allen gutes Management bescheinigt wurde. Der Antrag der PDS mit den angedeuteten Soforthilfen schießt weit über das Ziel hinaus. Bevor die von der Lehmann-Grube-Kommission skizzierten Instrumenta- rien wie Abrissförderung umgesetzt werden und mögli- cherweise auch auf TLG-Genossenschaften Anwendung finden, müssen Gespräche stattfinden. Diese Gespräche müssen nicht zwingend unter der Leitung des Beauftrag- ten der Bundesregierung für die Angelegenheiten der neuen Länder, Staatsminister Rolf Schwanitz, stattfinden, wie es die PDS in ihrem Antrag fordert. An diesen Ge- sprächen müssen die Kommunen, die Genossen und vor allem die Bundesländer teilnehmen. So ist das Land Brandenburg an dem Erfolg der Brandenburger Woh- nungsgenossenschaft „Stahl“ e. G., einer der zehn TLG- Genossenschaften, maßgeblich beteiligt. Die Genossen- schaftsgründung ist in Brandenburg an der Havel auf große Resonanz seitens der Mieter gestoßen: 75 Prozent der Mieter haben sich mit Anteilen von durchschnittlich 9 000 DM pro Wohnungseinheit finanziell beteiligt. Auch die Leerstandsproblematik spielt bei der Woh- nungsgenossenschaft „Stahl“ e. G. nur eine untergeordnete Rolle: Von den bereits sanierten 1 400 Wohneinheiten stehen lediglich 3 bis 5 Prozent, von den restlichen cir- ca 200 unsanierten Wohneinheiten stehen allerdings schon 50 Prozent leer. Das zeigt, wo ein wichtiges Teilproblem liegt. Hinzu kam die richtige Entscheidung des Vorstandes, schnell zu investieren und mit umfassenden Modernisie- rungsmaßnahmen gefragten Wohnraum zu schaffen. Da- bei sind zusätzlich Sanierungskosten von circa 1 600 DM pro Quadratmeter Wohnfläche angefallen; die Wohnungs- genossenschaft „Stahl“ liegt damit sogar im oberen Fi- nanzierungsbereich. Hier hat sich dank dem Engagements des Landes Brandenburg die Schuldenspirale nicht weiter gedreht. Der Brandenburger TLG-Genossenschaft wurde vom Land Brandenburg über die Landesbank ein günsti- ges Darlehen gewährt. In erster Linie ist es deshalb Auf- gabe der Länder, ihre Finanzierungsmöglichkeiten zu überprüfen und mit den betroffenen TLG-Genossenschaf- ten in Nachverhandlungen zu gehen. Dem „Leipziger Volksblatt“ vom 16. Januar 2001 habe ich entnommen, dass sich diese Lösung auch bei dem In- solvenzfall Lößnig e. G. in Leipzig abzeichnet. Hauptur- sache für die Liquiditätsprobleme der Lößnig e. G. war die hohe Leerstandsquote von über 33 Prozent. Die Sächsi- sche Aufbaubank, die der Genossenschaft schon im ver- gangenen Jahr mit einer Bürgschaft geholfen hat, hatte letztlich aber aufgrund von Fehlern im Management einen Stundungsantrag verweigert. Inzwischen hat der Ge- schäftsführer der Lößnig e. G. gewechselt und der Vor- stand der Sächsischen Aufbaubank zeigt wieder Interesse an einer konstruktiven Lösung. Der Insolvenzfall Lößnig e. G. zeigt deutlich, dass pauschale Lösungen im kon- kreten Einzelfall nicht helfen, sondern Gespräche zwi- schen den Beteiligten geführt werden müssen. Hinsichtlich der TLG-Genossenschaften stehen dem Bund zudem nicht die Finanzierungskompetenzen über das Altschuldenhilfegesetz zu. Bei den TLG-Genossen- schaften handelt es sich nicht um so genannte Bestands- unternehmen, sondern um neu gegründete Unternehmen, die Kaufpreise auf Grundlage abgestimmter Bewertungen akzeptiert haben. Eine Analogie zu den Bestandsunter- nehmen im Sinne des Altschuldenhilfegesetzes verbietet sich also; Entlastungen nach dem Altschuldenhilfegesetz scheiden aus. Vielmehr bietet der Bericht der Lehmann- Grube-Kommission „Wohnungswirtschaftlicher Struk- turwandel in den neuen Bundesländern“ auch für die TLG-Genossenschaften übertragbare Lösungsansätze an, über die wir hier im Bundestag sachgerecht diskutieren sollten. Zum einen empfiehlt die Kommission den TLG-Ge- nossenschaften einzelfallbezogene Vertragsnachverhand- lungen mit der TLG, um so eine Verbesserung der wirt- schaftlichen Situation zu erreichen, Nach meinen Kenntnissen ist die TLG bereit, wie bisher über offene Forderungen Stundungsvereinbarungen zu treffen oder über Zinszahlungen Nachverhandlungen zu führen. Der zweite Vorschlag der Kommission lautet, die Maß- nahmen zur Abrissförderung auch für TLG-Genossen- schaften zu öffnen. Nach dem Bericht soll die Ab- rissförderung von maximal 140 DM pro Quadratmeter an bestimmte Kriterien gekoppelt sein. So muss die Leerstandsquote mindestens 6 Prozent be- tragen, muss dem Abriss ein städtebauliches Konzept zu- grunde liegen und der Abriss darf nicht rentabel sein und dem Eigeninteresse des Eigentümers entsprechen. Neben den emotionalen Bedenken – jahrelanger knap- per Wohnraum wird jetzt abgerissen – kommt ein weite- rer, TLG-genossenschaftsspezifischer Einwand hinzu: Die Kommission schränkt ihre Abrissförderung bei den Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001 14395 (C) (D) (A) (B) Standorten ein, die abseits und ohne räumlichen Bezug zur Stadt liegen. Gerade die TLG-Genossenschaften be- finden sich vorzugsweise an solchen ehemaligen Indus- trie- und Armeestandorten. Die Kommissionsvorschläge können nicht von heute auf morgen umgesetzt werden, auch nicht von dieser woh- nungspolitisch engagierten Bundesregierung. Dagegen kann der Ministerpräsident Biedenkopf hier beweisen, dass er die Sorgen der TLG-Genossenschaften, in seinem Bundesland Sachsen ernst nimmt. Frau Ostrowski wird si- cher gerne an einem solchen runden Tisch Platz nehmen, wenn er denn gedeckt wird. Norbert Otto (Erfurt)(CDU/CSU): Zum wiederholten Mal beschäftigen wir uns heute mit der Wohnungssitua- tion in den neuen Bundesländern. Ich denke, das ist auch ein Zeichen der Fürsorgepflicht, die wir als Abgeordnete gegenüber den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern wahrnehmen. In dem heute zu behandelnden Antrag geht es um eine sehr komplizierte Problematik, nämlich um die Existenz von Wohnungsgenossenschaften, die sich neu gegründet und ihren Wohnungsbestand von der Treuhandliegen- schaftsgesellschaft erworben haben. Man kann heute zwar darüber polemisieren, ob die damaligen Gründer der Genossenschaften verantwortlich gehandelt haben, ob sie sich über den Tisch ziehen ließen, ob die vereinbarten Ver- kaufspreise realistisch waren oder ob die Wirtschaftlich- keitsberechnungen korrekt verlaufen sind. Tatsache ist, dass sich diese TLG-Genossenschaften in einer extrem schwierigen Situation befinden und dass man ihnen hel- fen muss. Im Abschlussbericht der Kommission zum wohnungs- wirtschaftlichen Strukturwandel in den neuen Bundeslän- dern wird auf Seite 29 auch auf diese Problematik hinge- wiesen. Die Kommission stellt dabei fest, dass sich die TLG-Genossenschaften aufgrund des hohen Kapitaldiens- tes und des relativ hohen Kaufpreises in einer schwierigen Lage befinden, schwieriger jedenfalls als die anderer Ge- nossenschaften oder Gesellschaften an gleichen Stand-or- ten. Der Lösungsansatz der PDS, wie er im Antrag for- muliert ist, erscheint mir allerdings nicht geeignet. Runde Tische, wie beantragt, haben meist den Charakter endlo- ser Diskussionsrunden. Es muss aber den Wohnungsge- nossenschaften schnelle und konkrete Hilfe erwachsen. Es ist zwar bedauerlich, dass unsere weiter gehenden Vorschläge für die Verordnung zum Altschuldenhilfe-Ge- setz keine Berücksichtigung mehr fanden – übrigens auch ergänzende Vorschläge einiger SPD-Kollegen wurden nicht mehr aufgenommen –, die eingesetzte Bund-Län- der-Kommission ist allerdings prädestiniert, um sich mit der Thematik der TLG-Genossenschaften zu beschäftigen und wirkungsvolle Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Zum Beispiel könnte überprüft werden, ob die Kaufver- träge den Tatbestand der Sittenwidrigkeit aufgrund unrea- listischer Kaufpreisbedingungen erfüllen. Dies ist umso bedenkenswerter, als aufgrund der hohen Leerstände der Ertragswert einer Wohnung extrem niedrig ist. Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank und Mitglied der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission, äußerte deshalb auch folgerichtig, dass es besser wäre, leere Wohnungen zu verschenken, als diese mit hohem Kosteneinsatz leer stehen oder abreißen zu lassen. Oder es wäre auch zu klären, ob die Aufwendungen für die Woh- nungsmodernisierung zu hoch waren. Meines Erachtens sind Aufwendungen bis zu 1 100 DM pro Quadratmeter sehr hoch gegriffen. Der Bundesregierung ist die Thematik seit mehreren Monaten hinreichend bekannt. Es wird – allerdings von den Wohnungsunternehmen kritisiert, dass von dort noch keine Reaktion auf entsprechende Briefe erfolgte. Wie dringlich die Angelegenheit ist, zeigt das eingeleitete In- solvenzverfahren einer sächsischen Wohnungsgenossen- schaft. Jeder einzelne Fall der Wohnungsgenossenschaf- ten muss separat geprüft werden. Nichts kann man davon halten, eine nochmalige spezi- elle Verordnung oder gar Gesetzesnovellierung herbeizu- führen. Dies würde mit Sicherheit Begehrlichkeiten, bei manch anderem Zwischenerwerber von größeren Woh- nungsbeständen wecken. Auch bei einigen dieser Käufer haben sich so manche erwarteten Geschäftserfolge be- kanntlich nicht eingestellt. Die Bundesregierung sollte durch die Bund-Länder- Kommission prüfen lassen, inwieweit man eine nachträg- liche Kaufpreisreduzierung in Verhandlungen mit der TLG erreichen kann. Allerdings wird dies sicher nicht auf Gegenliebe bei der TLG stoßen, da sich dieses Unterneh- men bekanntlich auch im defizitären Bereich befindet. Es wären aber auch andere Möglichkeiten machbar: zum Beispiel die Stundung der Kreditverbindlichkeiten oder der Abschluss von Landesbürgschaften. Entsprechende Bemühungen der Genossenschaften blieben allerdings bisher erfolglos. Ein weiterer Aspekt könnte den betroffenen Woh- nungsgenossenschaften auch helfen: Aufgrund der hohen Leerstände werden sich einige entscheiden müssen, den Abriss von Wohnbebauung vorzunehmen. Natürlich setzt das den vorherigen Freizug der Gebäude voraus. In der jetzt anstehenden Diskussion zum Mietrecht müssen wir den Wohnungsunternehmen insofern helfen, als Kündi- gung und Umzug betroffener Mieter nicht zusätzlich er- schwert werden. Die Kündigung einer Wohnung aus diesem Grund, also zum Zwecke des Freizuges eines Ab- risshauses, muss – natürlich vorausgesetzt, dass entspre- chender Ersatzwohnraum zur Verfügung gestellt wird – unkompliziert möglich sein. Lange Kündigungsprozesse würden hier für alle Seiten kontraproduktiv wirken. Abschließend ist festzustellen, dass den TLG-Woh- nungsgenossenschaften umgehend geholfen werden muss. Die gemeinsame Kommission von Bund und Län- dern sollte schnellstmöglich entsprechende Vorschläge erarbeiten, um somit weitere Insolvenzverfahren abzu- wenden. Allerdings ist der Antrag der PDS dazu nicht das geeignete Mittel. Aus diesem Grund werden wir diesen Antrag nicht mittragen, wenngleich er in die richtige Richtung zielt. Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): An dieser Stelle geht es um den Antrag Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 200114396 (C) (D) (A) (B) der PDS-Fraktion auf Soforthilfen für konkursbedrohte TLG-Genossenschaften. Die PDS fordert, einen runden Tisch unter Leitung von Staatsminister Schwanitz einzu- richten, der Strategien zum Erhalt und zur Sanierung die- ser Genossenschaften entwickeln soll. Es handelt sich um zehn zwischen 1993 und 1996 ge- gründeten TLG-Genossenschaften, deren wirtschaftliche Situation ohne Zweifel sehr schwierig ist. Sie wurden zur Privatisierung von Werkswohnungsbeständen ehemals volkseigener Betriebe überwiegend in den Regionen ge- gründet, die heute am stärksten mit Bevölkerungsrück- gang und Leerständen zu kämpfen haben. Sie sind infolge relativ hoher Kaufpreise und der Refinanzierung notwen- diger Sanierungsmaßnahmen stark belastet und kon- kurrieren auf diesen ohnehin schwierigen Wohnungs- märkten der Regionen mit stärkeren Konkurrenten. Inso- fern nehme ich dieses Problem ernst. Der Vorschlag der PDS zur Einrichtung eines runden Tisches im Kanzleramt leuchtet mir allerdings überhaupt nicht ein. Sie wissen, dass die Bauministerkonferenz eine Arbeitsgruppe eingesetzt hat, die auf der Basis des Be- richts der Expertenkommission Hilfsstrategien für alle leerstandsbetroffenen Wohnungsunternehmen, auch für die TLG-Genossenschaften, erarbeiten soll. Sie wissen auch, dass sich die Sächsische Aufbaubank intensiv um die Rettung der Wohnungsgenossenschaft Lößnig küm- mert, die einen Insolvenzantrag gestellt hat, und dass die Sächsische Aufbaubank auch Hilfen für die anderen vier sächsischen TLG-Genossenschaften bereitgestellt hat. Ich muss schon fragen: Was soll eine weitere Arbeitsgruppe – sei es im Kanzleramt oder anderswo anders und besser machen als die zwei, die es schon gibt. Konkrete Sanierungskonzepte für die Unternehmen und die betroffenen Stadtteile können sowieso nur vor Ort und für jedes Unternehmen einzeln erarbeitet werden: mit der TLG, den betroffenen Ländern, den Gläubigerbanken und den anderen Wohnungsunternehmen der Region. Ich finde auch, hier hat zunächst die TLG, die diese Genos- senschaftsgründungen betreut hat, eine Verpflichtung gegenüber den Genossenschaften. Sie hat den Genossen- schaften bereits kostenlose betriebswirtschaftliche Bera- tung angeboten. Fünf Genossenschaften haben dieses An- gebot angenommen. Die TLG stundet außerdem offene Forderungen und verzichtet teilweise auf Nutzungs- oder Verzugszinsen. Die Expertenkommission hat den Genos- senschaften darüber hinaus Nachverhandlungen mit der TLG empfohlen. Dies kann ich nur unterstützen. Dr. Karlheinz Guttmacher (F.D.P.): In der Debatte fällt der Bundesregierung heute zu Recht auf die Füße, dass sie ihre Wohnungspolitik in Bezug auf die neuen Bundesländer ganz einseitig auf ein Teilsegment ausge- richtet hat. Es sind die kommunalen Bestände, die Be- stände der Unternehmen in kommunaler Hand und die der Genossenschaften, die von den geplanten zusätzlichen Entlastungen nach der Altschuldenhilfeverordnung profi- tieren. Die PDS weist mit dem heutigen Antrag nicht ohne Be- rechtigung darauf hin, dass durch diese Politik der Unaus- gewogenheit neue Marktverzerrungen entstehen. Die TLG-Bestände bilden eine besondere Spezies am Woh- nungsmarkt in den neuen Bundesländern. Sie sind nicht un- ter das Altschuldenhilfegesetz gefallen, sie sind nicht teil- entlastet worden, mit entsprechenden Auswirkungen auf den Marktpreis. Die TLG hatte ein eigenes Privatisierungs- modell, das eine weitgehend unsanierte, dafür aber billige Abgabe der Bestände an interessierte Mieter vorsah. Allerdings leiden die TLG-Bestände genauso unver- schuldet unter der Leerstandsproblematik wie alle ande- ren Marktteilnehmer. Diesen wird jedoch zumindest an- satzweise im Rahmen der Altschuldenhilfeverordnung geholfen. Auf der Strecke bleiben die TLG-Bestände, die anderen erhalten mit staatlicher Hilfe einen Marktvorteil. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion fordert die Bundesre- gierung auf, aus der einseitigen Ausrichtung ihrer Woh- nungspolitik Konsequenzen zu ziehen und endlich ein wohnungspolitisches Konzept für den Wohnungsmarkt in den neuen Bundesländern vorzulegen, das alle am Woh- nungsmarkt Beteiligten gleichermaßen berücksichtigt. Wir brauchen mehr privates Wohneigentum, um die Nachbarschaften sozial zu stabilisieren. Wir brauchen mehr private Anbieter, um das Angebot zu flexibilisieren und zu differenzieren. Wir brauchen eine gerechte Struk- turhilfe für die unverschuldeten Probleme der Wohnungs- wirtschaft Ost, um die zu erwartenden Marktanpassungen abzufedern. Mit dem KfW-Wohnungsmodernisierungs- programm wurde und sollte auch weiterhin den Unter- nehmern ermöglicht werden, ihre Wohnungsbestände den gestiegenen Anforderungen anzupassen und somit besser zu vermarkten. Soweit die Wohnungen der TLG-Bestände im Städtebausanierungsbereich liegen, muss geprüft wer- den, ob zur Sanierung dieser Wohnungen auch Städte- baufördermittel eingesetzt werden. Bei den TLG-Beständen, bei denen Leerstände und nicht Sanierungen ursächlich für die Existenzbedrohung anstehen, ergeben sich bei Prüfung der Werthaltigkeit der Wohnungsbestände zum Teil Unterdeckungen. In diesen Fällen sollten die Bundesländer und der Bund je zur Hälfte Fördermittel für den Abriss ständig leerstehender Wohnungen zur Verfügung stellen, um die Bewirtschaf- tungssituation zu verbessern. Hierdurch könnte auch die Bereitschaft der Banken, sich für eine dauerhafte und sta- bile Bewirtschaftung zu engagieren, gestärkt werden. Es ist nicht damit getan, einzelne und kleinteilige An- träge plakativ in die Öffentlichkeit zu stellen. Wir brau- chen endlich eine Gesamtschau und ein ausgewogenes Konzept. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrages: Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak (Tagesordnungs- punkt 15) Christoph Moosbauer (SPD): Ich möchte vorweg klarstellen: Ich habe große Sympathie für das Grundan- liegen des Antrages, den die PDS uns hier heute vorlegt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001 14397 (C) (D) (A) (B) In der Tat müssen wir nach nunmehr zehn Jahren Sankti- onsregime gegen den Irak feststellen, dass die humanitäre Situation der Bevölkerung des Irak mehr als alarmierend ist und das Regime Saddam Husseins mitnichten ge- schwächt ist. Im Gegenteil, der Diktator sitzt fester im Sattel als je zuvor und die Sanktionen haben sich bei sei- nem brutalen Vorgehen zur Sicherung seiner Herrschaft auch noch als dienlich erwiesen. Am Rande erwähnt: Ich muss mich dabei nicht unbe- dingt auf den UNICEF-Bericht berufen. Er wurde von der irakischen Sektion, von irakischen Ortskräften, erstellt. Wer den Bericht gelesen hat, weiß das. Dass da auch Po- litik und Propaganda gemacht wird mit so einem Bericht, sollte hier nicht unter den Tisch gekehrt werden. Aber das tut eigentlich nichts zur Sache, da die hoffnungslose Situation der Bevölkerung unbestritten ist. Nur die Dra- matisierung, die von Hunderttausenden toten Kindern spricht, taugt nicht unbedingt als Grundlage für eine kon- struktive Kritik am Sanktionsregime. Auch an anderer Stelle vermisse ich leider die Sachkenntnis, etwa wenn die PDS fordert, die eingefrorenen irakischen Auslandskon- ten für soziale Projekte aufzutauen. Diese Konten sind von Gläubigern bereits mehrfach überpfändet. Da stehen Forderungen, die zuerst bedient werden müssen, bevor der Irak das Geld für etwas anderes verwenden kann. Das mag man nicht schön finden, aber so ist es eben. Die Sanktionen kann und muss man hinterfragen. Doch genau das passiert in Ihrem Antrag nur bemerkens- wert einseitig, – „wie immer“, ist man versucht zu ergän- zen. Kein Wort davon, dass die Sanktionen ja nicht etwa aus einer Laune des Sicherheitsrates heraus entstanden sind, sondern aufgrund des Überfalls Iraks auf Kuwait und der beharrlichen Weigerung Saddam Husseins, bei der Rüstungskontrolle mit der Weltgemeinschaft zu ko- operieren! Kein Wort in Ihrem Antrag von den Raketen auf Israel! Kein Wort davon, dass Saddam Hussein be- wusst die Situation der irakischen Bevölkerung ver- schlechtert, indem er Einnahmen aus dem Oil-for-Food- Programm eben nicht für die Versorgung seines Volkes verwendet! Es müsste keine humanitäre Katastrophe im Irak geben, denn Lebensmittel und Medikamente sind ja ausdrücklich vom Embargo ausgenommen. Saddam Hussein verweigert sie seinem Volk aber. Kein Wort da- von in Ihrem Antrag! Sie prangern in Ihrem Antrag die Zerstörung der Infra- struktur des Landes einseitig als Ergebnis des Luftkrieges der Golfkriegsallianz an. Sie erwähnen nicht einmal an- satzweise, wie es zum Luftkrieg kam; auch kein Hinweis darauf, dass Saddam Hussein die gesamte Infrastruktur Kuwaits zerstört sowie beim Rückzug aus dem besetzten Land planmäßig Ölfelder in Brand gesteckt und mehr als 750 Ölquellen gesprengt hat und damit eine Umweltkata- strophe größten Ausmaßes zu verantworten hat. Bei aller guten Intention, die ich den Kolleginnen und Kollegen der PDS und ihrem Antrag nicht absprechen will, vor allem diese Einseitigkeit macht es uns unmög- lich, dem Antrag zuzustimmen. Aber die PDS erweist sich nicht nur als einseitig, sondern auch als Meister des schlechten Timings: Vor zwei Wochen erklärte Udai, der Sohn Saddam Husseins, dass die Karte des irakischen Par- laments unvollständig sei, da sie Kuwait nicht als un- trennbaren Teil des Iraks verzeichnet. Er forderte das Par- lament auf, dies zu ändern. Nun mag man das als Rheto- rik abtun, aber anlässlich des zehnten Jahrestags des Beginns des zweiten Golfkriegs muss man hier schon mehr vermuten als die Einzelmeinung eines einfachen Parlamentariers, zumal da es sich um den Sohn von Sad- dam Hussein handelt. Ich finde das schon Besorgnis erre- gend, wenn der Irak wieder mit dem Säbel rasselt, der nach allem, was wir wissen und was wir vermuten kön- nen, gar nicht so rostig ist, wie wir uns das wünschen. Und natürlich hat das auch mit dem Wechsel der Ad- ministration in den Vereinigten Staaten zu tun. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das irakische Regime in der einen oder anderen Weise testen wird, inwiefern der neue ame- rikanische Präsident und seine Regierung bereit sind, sich in dem Maße zu engagieren, wie es ihre Vorgänger getan haben. In dieser Situation hier im Bundestag einen Antrag zu beschließen, der dazu auch noch ermutigt, halte ich für unverantwortlich. Und ich gebe auch zu bedenken, dass in Israel in zwei Wochen ein neuer Ministerpräsident gewählt wird. Darü- ber möchte ich hier im Detail nicht sprechen; aber wir wissen doch alle, dass eine solche Entscheidung, wie sie uns heute von der PDS vorgeschlagen wird, in Israel sehr sensibel zur Kenntnis genommen werden würde, und dass so etwas in der momentanen Stimmung dort natürlich auch ein Signal wäre. Das fehlt nämlich auch in Ihrem An- trag: dass der Irak nach wie vor eine Bedrohung für die Region und ganz besonders für Israel ist. Grundsätzlich stimmen wir mit der Intention überein, die wirtschaftlichen von den militärischen Sanktionen zu trennen. Die militärischen Sanktionen müssen bleiben, aber dann auch konsequent überwacht werden. Das findet im Übrigen derzeit nicht statt. Wir wissen, dass das Em- bargo löchrig ist – und das nicht erst, seit wieder Flug- zeuge in Bagdad landen, sondern schon länger. Die Last- wagen an der türkischen und jordanischen Grenze werden nur unzureichend kontrolliert. Daher funktioniert das Em- bargo schon heute nicht mehr so, wie es eigentlich ge- dacht war. Hier brauchen wir ohne Frage mehr Effizienz. Doch der Ort, wo so etwas beschlossen wird, ist nicht hier, sondern im Sicherheitsrat in New York. Natürlich wollen wir uns bei unseren westlichen Partnern hier für eine praktikable und sinnvolle Lösung einsetzen, die das Sicherheitsinteresse der Staatengemeinschaft, aber auch die humanitäre Situation der irakischen Bevölkerung berücksichtigt. Und wir werden das auch tun, sorgfältig und in Absprache mit unseren europäischen Partnern, al- len voran Frankreich, das hier ja eine ganz ähnliche Auf- fassung hat. Klar muss aber sein, dass wir dabei immer auch be- nennen, wer letztendlich die humanitäre Katastrophe im Irak zu verantworten hat, wer die Region mit Krieg über- zogen hat und wer keinen Zweifel daran lässt, dass er nichts dazu gelernt hat. Und das ist Saddam Hussein. Ein Antrag, der sich mit der Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak beschäftigt, muss dies entsprechend würdigen. Außerdem muss man sich im Klaren darüber sein, welche Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 200114398 (C) (D) (A) (B) Zeichen er zu welcher Zeit setzt. Der uns vorliegende Antrag erfüllt diese beiden Kriterien nicht. Joachim Hörster (CDU/CSU): Aus der Grundstruk- tur des Antrages der PDS ist erkennbar, dass diese die Ur- sachen für die von den Vereinten Nationen gegen den Irak verhängten Sanktionen weniger in dem das irakische Volk beherrschende Unrechtsregime sieht als vielmehr bei den Alliierten des Golfkrieges: Mit keinem Wort erwähnt der Antrag, dass das irakische Regime mit brutaler Gewalt, mit fortdauernden gravierenden Menschenrechtsverlet- zungen und ohne Rücksichtnahme auf das irakische Volk seine Macht aufrechterhält. Es ist unbestritten, dass das irakische Volk unter dem auch durch das Embargo verursachten Mangel an Le- bensmitteln, Medikamenten und erheblichen Schäden an der Sozialinfrastruktur leidet. Andererseits ist aber festzu- stellen, dass die irakische Regierung nur 60 Prozent der aus den Ölexporten erwirtschafteten Mittel für die Ver- sorgung der eigenen Bevölkerung zur Verfügung stellt und damit ganz im Gegensatz zur öffentlichen Propa- ganda nicht das ihr Mögliche tut, um der eigenen Bevöl- kerung zu helfen. Richtig ist: Der Irak ist heruntergewirtschaftet, die Wirtschaft liegt am Boden, die Bevölkerung leidet. Rich- tig ist sicherlich auch die Aussage, dass das Regime Saddam Hussein aus dem wirtschaftlichen und sozialen Niedergang des Landes politisches Kapital zu schlagen versucht nach dem Motto: Die westliche Zivilisation un- ter Anführung des „Großen Teufels“ USAist schuld an der Misere, an Eurem Hunger, Eurem Leiden, am Sterben Eurer Kinder. Es gibt ernstzunehmende Hinweise, dass sogar das Oil-For-Food-Programm, mit dem dringend benötigte Lebensmittel und Medikamente ins Land kom- men sollen, vom Regime missbräuchlich eingesetzt wird, dass Lieferungen auf irgendwelchen Schwarzmärkten verschoben werden, nur um die Sündenbock-Theorien aufrechterhalten zu können. Tatsache jedenfalls ist, dass im Irak die gesamte Ver- sorgung am Boden liegt und nicht funktioniert. Gute Ärzte und Schwestern sind wegen dieser Lage außer Lan- des gegangen. Signifikant für die Lage ist neben den der flächendeckenden Verarmung das vollständige Ver- schwinden des Mittelstandes. Die Jugend des Landes ist mangels Bildung antiwestlich eingestellt und begreift sich als Sanktionsopfer Nummer ein. Es bestehen schon jetzt schwere materielle und psychologische Folgen. Die Antwort auf all diese offensichtlichen Missstände kann aber doch nicht ein außenpolitischer Alleingang Deutschlands sein. Gerade in dieser Frage, in dieser sen- siblen Region, in der der kleinste Funke zu einer Explo- sion führen kann, brauchen wir mehr als anderswo eine wohlabgestimmte europäische Politik, bei der alle Partner an einem Strang ziehen. Wenn es um die Aufhebung der Sanktionen geht, so ist festzuhalten, dass der Irak – konkreter: die Regierung des Irak – eine Bringschuld hat. Da ist zunächst einmal die Frage der Rüstungskontrolle. Gerade wir Deutschen kön- nen aus eigener geschichtlicher Erfahrung bestätigen, wie wichtig und notwendig es ist, in Folge eines Angriffskrie- ges die Rüstungsproduktion internationaler Kontrolle zu unterwerfen, dabei verlässlich und vertrauenswürdig zu agieren und so verlorenes Vertrauen in der Nachbarschaft wiederherzustellen. Daran hapert es nach wie vor im Irak. Als Vorsitzender der Parlamentariergruppe für die Be- ziehungen zu den Arabisch sprechenden Ländern des Na- hen Ostens kann ich aus zahlreichen Gesprächen und Kontakten berichten, dass es dem Irak noch nicht gelun- gen ist, Vertrauen bei seinen Nachbarn wiederzugewin- nen. Es sind nicht nur die Zweifel hinsichtlich ausrei- chender Kooperation im Zusammenhang mit Fragen der Rüstungskontrolle und der Vernichtung von Waffen- und Massenvernichtungsarsenalen. Es geht auch um die Ver- meidung des verbalen Radikalismus und des Aufbaus von Bedrohungsszenarien. Nicht zuletzt geht es auch um die Frage, ob der Irak sich glaubhaft darum bemüht, das Schicksal und den Ver- bleib von vermissten kuwaitischen Soldaten und Staats- bürgern – es ist die Rede von bis zu zweitausend Men- schen – aufzuklären. Wenn wir darangehen, etwas für die Abschaffung der Sanktionen zu tun, so kann dies nur funktionieren in Übereinstimmung mit dem arabischen Umfeld. Das Regime in Bagdad wäre zuallererst gut be- raten, vertrauensbildende Maßnahmen im Hinblick auf seine direkten Nachbarn zu unternehmen. Ich will nicht verkennen, dass die von den Vereinten Nationen verhängten Sanktionen Wirkungen entfalten, die so nicht beabsichtigt waren. Allerdings ist es äußerst schwierig, mit einem Regime, das zu keinerlei vertrau- ensbildender Kooperation bereit ist, Regelungen zu fin- den, die die irakische Bevölkerung in ihren alltäglichen Grundbedürfnissen nicht tangieren. Keiner von uns will das irakische Volk leiden sehen, zumal es kaum eine Chance hat, sich dem Würgegriff seiner diktatorischen und menschenverachtenden Regierung zu entziehen. So- lange diese Regierung aber selbst ihre aus den Petro- dollars erwirtschaftete Finanzkraft nicht ausschließlich für die Bevölkerung einsetzt, ist es sehr schwierig, ein an- deres Sanktionssystem, das die Angriffsfähigkeit des Irak gegen andere Staaten in der Region verhindert, zu finden. Deswegen bedarf es diplomatischer Bemühungen vieler Seiten, um dem im Irak herrschenden Regime klarzuma- chen, dass ihre Propagandapolitik mit den Leiden des ira- kischen Volkes nicht der Weg ist, um das Sanktionsregime zu beenden. Es muss dieser Regierung klargemacht werden, dass der einzige Weg darin besteht, die Aggressionsbereit- schaft gegenüber anderen Staaten in der Region aufzuge- ben, militärisch abzurüsten, sich dabei internationaler Kontrolle zu unterwerfen und auch dem eigenen Volk wieder die Mindeststandards an Menschenrechten ein- zuräumen. Der PDS-Antrag ist in diesem Sinne nicht hilfreich, zu- mal er bei dem herrschenden Regime in Bagdad eher den Eindruck erwecken könnte, als sei man mit der verach- tenden Politik auch gegenüber dem eigenen Volk letztlich international erfolgreich. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001 14399 (C) (D) (A) (B) Ulrich Irmer (F.D.P.): Über Sinn und Unsinn von Sanktionen als Instrument der Außenpolitik kann trefflich gestritten werden. Zum Erfolg führen sie selten, oft sind sie kontraproduktiv. Trotz – oder vielleicht gerade wegen der Sanktionen – konnte sich seinerzeit das postkoloniale Regime in Rhodesien über viele Jahre halten und auch das nunmehr fast vierzigjährige amerikanische Handelsem- bargo gegen Kuba hat es nicht vermocht, den Maximo Li- der Fidel Castro zu stürzen. Andererseits haben Sanktio- nen den libyschen Revolutionsführer Gaddafi sicherlich geneigt gestimmt, die Attentäter von Lockerbie der inter- nationalen Justiz zu überstellen. Selbst die Taliban haben sich angesichts der Sanktionen in letzter Zeit menschen- rechtsfreundlicher geäußert. Nicht zuletzt haben Sanktio- nen und auch freiwillige Verhaltenskodizes gegen Süd- afrika zur Überwindung der Apartheid beigetragen. Ebenso wichtig wie die Frage nach dem Sinn der Ver- hängung von Sanktionen ist indes die Frage, welche Wir- kung deren Wiederaufhebung hat. Ein besonders an- schauliches Beispiel für diese Problematik ist die für die Europäische Union schon eher peinliche Posse um die Ös- terreich-Sanktionen. Mit der Verhängung von Sanktionen soll – wie auch im Falle des Irak – in der Regel zweierlei erreicht werden: Zum einen soll das betroffene Regime oder Land durch wirtschaftlichen und politischen Druck zu einer Handlung oder Unterlassung veranlasst werden, zum anderen sind Sanktionen per se aber auch ein besonders deutliches Symbol der Missbilligung von politischem Fehlverhalten. Mit der Aufhebung von Sanktionen wird mithin auch an- erkannt, dass die Gründe für ihre Verhängung nicht mehr vorliegen. Uns ist noch allen der Eiertanz in Erinnerung, den die Europäische Union auch nach der Vorlage des Gutachtens der drei Weisen bis zur Aussetzung der Sank- tionen gegen Österreich aufgeführt hat. Doch wie sieht die Situation im Irak aus? Zehn Jahre nach Beginn der Operation Wüstensturm sitzt Saddam Hussein fester im Sattel als je zuvor: Und sein Regime meldet sich auf internationalem Parkett zurück. Auf dem Saddam International Aerport landen wieder Linienflug- zeuge, Botschaften werden in Bagdad wieder eröffnet und der Irak ist wieder zum zweitgrößten Erdölexporteur der Welt avanciert. Statt Medikamente und Nahrungs- mittel für sein darbendes Volk zu besorgen, lässt er lieber 11 Milliarden Öldollar ungenutzt auf Depotkonten lie- gen. Nach UNO-Beobachtungen werden die dank gestie- gener Weltmarktpreise enormen Einnahmen aus Öl- schmuggel für den Wiederaufbau seiner konventionellen Streitkräfte eingesetzt. Der ehemalige UNSCOM-Chef Richard Butler schätzt, dass Bagdad nunmehr imstande ist, innerhalb eines Jahres eine Atombombe zu ent- wickeln. Gleichzeitig weigert sich Saddam Hussein wei- terhin, die UNO-Waffeninspektoren ins Land zu lassen. Besonders aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Meldung der „Bild“-Zeitung, Saddam habe 4 000 Ex- emplare der Sony-Playstation II bestellt. Fünfzehn mitei- nander vernetzte Playstationen reichen aus, um eine Ra- kete fernzulenken. In jüngster Zeit nutzt Saddam die Krise im Nahost- Friedensprozess, um sich wieder als panarabischer Führer zu präsentieren. Während sein Volk hungert und Kran- kenhäuser geschlossen werden müssen, ließ Saddam Hussein jetzt über fünfzig Lastwagen mit 1 600 Tonnen Medikamenten und Lebensmitteln auf dem Landweg über Jordanien nach Palästina schaffen. Zehntausende Iraker warten angeblich darauf, in einem israelisch-palästinensi- schen Krieg an der Seite ihrer arabischen Brüder kämpfen zu dürfen. Überdies kündigte er jüngst, am Montag ver- gangener Woche, die Bildung einer Kommission an, mit der 100 Millionen Euro an arbeitslose amerikanische Staatsangehörige verteilt werden sollen. Gleichzeitig führt er sein Regime nach innen mit einer derart unerbitt- lichen Härte, dass sich die UNO-Vollversammlung am 6. Dezember 2000 bei nur drei Gegenstimmen zur Verab- schiedung einer Resolution veranlasst sah, die der Regie- rung von Saddam Hussein „systematische weitverbreitete und besonders schwere Verstöße gegen die Menschen- rechte und internationales humanitäres Recht“ vorwirft. Wenn es je Anlässe zur Verhängung von Sanktionen gegeben hat, dann sind sie durch dieses Verhalten des Dik- tators von Bagdad eher noch verstärkt worden. Es ist unbestritten, dass – wie die PDS in ihrem Antrag darstellt – die Versorgungslage im Lande ausgesprochen prekär ist und die Mehrheit der Bevölkerung vom Lande katastrophale Lebensverhältnisse erdulden muss. Umge- kehrt gilt aber auch, dass das „Öl für Nahrungsmittel“- Abkommen in den letzten Jahren zu einer deutlich spür- baren Verbesserung der Situation beigetragen hat. Es fragt sich also, was mit der Aufhebung der Sanktio- nen erreicht werden könnte. Eine erste Maßnahme wäre doch sicherlich, das Programm „Öl für Nahrungsmittel“ abzustellen mit der Folge, dass Saddam nunmehr freie Hand hätte, seinem Volk noch zusätzliche weitere Leiden aufzubürden. Er könnte dabei überdies noch auf eine Art Quasilegitimierung durch die Aufhebung der Sanktionen verweisen. Dass es bereits heute – Sanktionen hin, Sank- tionen her – nur eines Fingerzeiges des Diktators bedürfte, um die Lebenssituation der Iraker nachhaltig zu entspan- nen, ist ebenso klar. Bei aller wohlgemeinter Intention des vorliegenden PDS-Antrages führt eine nüchterne Analyse der Lage im Irak daher zu dem Ergebnis, dass mit der Aufhebung der Sanktionen die Position des Diktators weiter gestärkt, sei- nem Volk aber nicht geholfen würde. Deshalb lehnen wir ihn ab. Dr. Ludger Volmer, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Lassen Sie mich zum vorliegenden Antrag der Frak- tion der PDS zur Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak folgende Anmerkungen machen: Die Sicherheitsrats-Resolution 1284 vom Dezember 1999, die in dem vorliegenden Antrag im Übrigen nicht er- wähnt wird, bietet dem Irak die Möglichkeit, durch Zu- sammenarbeit mit dem neuen Rüstungsüberwachungsme- chanismus UNMOVIC eine Suspendierung der Sanktionen zu erreichen. Bislang verweigert der Irak jedoch jedwede Kooperation mit UNMOVIC, mit den entsprechenden Konsequenzen für die Diskussionen im Sicherheitsrat, un- ter dessen Mitgliedern angesichts dieser Situation keine Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 200114400 (C) (D) (A) (B) Mehrheit für eine Aufhebung oder Suspendierung der Sanktionen besteht. Angesichts der Tatsache, dass der Irak weiter auf Kooperationsverweigerung setzt und damit die ihm von der internationalen Gemeinschaft gebotenen Wege und Möglichkeiten zur Beendigung der Sanktionen nicht nutzt, sind Zweifel berechtigt, ob er denn bei einer Aufhe- bung der Sanktionen, wie der Antrag sie vorsieht, bereit wäre, mit UNMOVIC zu kooperieren. Bisher können wir noch keine Signale aus Bagdad erkennen, die eine solche Annahme rechtfertigen. Die Situation der Menschenrechte im Irak bleibt besorgniserregend. Weiterhin gibt es immer noch Kräfte; die einer Zugehörigkeit Kuwaits zum Irak das Wort reden, wie dies kürzlich durch Saddam Husseins. Sohn Udai in seiner Eigenschaft als Parlamentsabgeordne- ter geschehen ist. Dies trägt nicht dazu bei, die Situation in der Region zu entschärfen und die Sicherheitsbesorgnisse der Nachbarstaaten gegenüber dem Irak abzubauen. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen plant allerdings ein weiteres Treffen mit dem irakischen Außenminister für Ende Februar, von dem wir erwarten, dass der Irak dabei seine Vorstellungen und Ideen zu einer wirklichen Zusam- menarbeit mit den Vereinten Nationen darlegen wird. Eine Änderung des Sanktionsregimes setzt als Zeichen des guten Willens ein gewisses Maß an Kooperation in der Frage der Abrüstung von Massenvernichtungswaffen sei- tens der irakischen Führung voraus. Lassen Sie mich fest- stellen, dass die SR-Resolution 1284 darauf abstellt, auf Grundlage kalkulatorisch hinreichender Verifikation Irak effektiv daran zu hindern, unbemerkt Entwicklungen zu Massenvernichtungswaffen voranzutreiben. Dies ist ange- sichts der noch insbesondere im B-Waffenbereich weitge- hend ungeklärten irakischen Potenziale wohl der kleinste gemeinsame Nenner. Unsere Forderung an den Sicher- heitsrat und an die irakische Regierung, konstruktive Lö- sungen zu suchen, bleibt bestehen. Die Bundesregierung wird sich auch weiterhin dafür einsetzen, dass alle Betei- ligten ihrer Verantwortung nachkommen. Allerdings er- fordert jeder Schritt zur Weiterentwicklung des Sankti- onsregimes entsprechende Mehrheiten im Sicherheitsrat. Ich muss hier aber auch mit Realismus deutlich machen, dass angesichts der bestehenden Situation und der Nicht- Mitgliedschaft Deutschlands im Sicherheitsrat unser Hand- lungsspielraum begrenzt ist. Zur Klarstellung sei auch an- gefügt, dass das Sanktionsregime keine Straf-, sondern eine Erzwingungsmaßnahme darstellt. Aber auch diese fällt unter das Kapitel VII der VN-Charta. Auch die Bundesregierung sieht die humanitäre Lage im Irak mit Besorgnis. Der Verbesserung der humanitären Lage wurde durch Verabschiedung der Resolution 1284 und weiterer Resolutionen zur Erweiterung des „Öl für Lebensmittelprogramms“ wiederholt Rechnung getragen, insbesondere durch die Aufhebung der Obergrenzen für den Ölverkauf. Damit kann der Irak nun unbegrenzte Mengen von Öl zu Weltmarktpreisen verkaufen und diese Erlöse zur Sicherung der humanitären Bedürfnisse seiner Bevölkerung einsetzen. Das nunmehr stark ausgeweitete Programm bietet eine gute Grundlage zur Verbesserung der humanitären Lage im Irak. Die kürzlichen Berichte des Leiters des Irak-Programms der Vereinten Nationen stellen fest, dass eine ausreichende Versorgung der iraki- schen Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln gewährleis- tet ist. Neben diesen konkret auf die Verbesserung der hu- manitären Lage der Bevölkerung im Irak zielenden Maß- nahmen setzt sich die Bundesregierung auch aufgrund der Erfahrungen und unbestrittenen Schwierigkeiten, die das Irak-Sanktionssystem aufwirft, grundsätzlich für eine Weiterentwicklung der der internationalen Gemeinschaft zur Verfügung stehenden Mechanismen ein. Wir beteili- gen uns aktiv an Konzepten, die unter dem Stichwort „smart sanctions“ in den Vereinten Nationen diskutiert werden. Hierzu haben wir eine Reihe von Diskussions- und Expertenveranstaltungen durchgeführt, deren Ergeb- nisse in unsere Initiative eingeflossen sind und in die De- batte der Vereinten Nationen eingeführt wurden. „Wir werden diese lnitiative fortsetzen, um das Sanktionsre- gime zielgerichteter und wirkungsvoller zu machen. Aber wir müssen dabei auch sehen, dass die jeweiligen Macht- haber dieser Welt alle Möglichkeiten ausschöpfen, um derartige Sanktionsregimes zu unterlaufen. Der Irak hat allein in den letzten sechs Monaten des Jahres 2000 rund 11 Milliarden US-Dollar als Einnahmen aus Ölverkäufen erzielt. Mit diesen Mitteln können nicht nur humanitäre Güter im engeren Sinne, sondern auch zi- vile Investitionsgüter eingeführt werden. Auf diese kommt es im Hinblick auf die Zukunft des Landes beson- ders an. Wie Sie wissen, werden die Mittel des Treuhand- fonds der Vereinten Nationen nach einem bestimmten Schlüssel aufgeteilt, unter anderem für die humanitäre Versorgung der Nordprovinzen, die direkt durch die VN erfolgt. Nach Abzug aller dieser Mittel verblieben der ira- kischen Regierung für diesen Zeitraum rund 7,7 Milliar- den US-Dollar zur Beschaffung humanitärer Güter für die von ihr verwalteten restlichen Provinzen. Von diesem Be- trag hat die irakische Regierung, die es selbst in der Hand hat, über Bestellung und Verteilung auf die einzelnen Sektoren zu entscheiden, jedoch nur etwa 4,2 Milliarden genutzt, der Restbetrag liegt weiterhin auf dem für Irak eingerichteten VN-Treuhandkonto. Gerade in dem so wichtigen Gesundheitssektor hat der Irak lediglich An- träge für 83 Millionen US-Dollar eingereicht, obwohl ihm 624 Millionen US-Dollar zur Verfügung standen. Lassen Sie mich in einer Nebenbemerkung darauf hin- weisen, dass der Irak aber einen Antrag an den Sanktions- ausschuss gestellt hat, aus dem „Ö1 gegen Nahrungsmit- telprogramm“ 100 Millionen Euro zur Unterstützung sozial Schwacher und Obdachloser in den USA, zur Ver- fügung zu stellen. Ich will das hier nicht näher bewerten, denke aber, es spricht für sich. Die Vereinten Nationen haben in einem Brief an die irakisch Seite am 15. Januar 2001 zu Recht ihre Besorg- nis über die geringe Antragsrate durch den Irak zum Aus- druck gebracht. Hier trägt die irakische Führung Verant- wortung, die zur Verfügung stehenden Mittel auch einzusetzen und die Einfuhr der notwendigen Güter zu be- antragen. Den Irak hier einfach aus seiner Verantwortung zu entlassen, ist nicht der richtige Weg. Der den Vereinten Nationen zur Verfügung stehende Betrag für die Versor- gung der Nordprovinzen wurde hingegen fast völlständig ausgegeben. Die humanitäre Lage der dortigen Bevölke- rung ist nach allen uns vorliegenden Berichten im Übri- gen sichtbar besser als die in den südlichen Provinzen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001 14401 (C) (D) (A) (B) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 200114402 (C)(A) Was die Finanzierung von Importen durch Nutzung eingefrorener irakischer Auslandsguthaben betrifft, so würde dies angesichts des erwähnten beträchtlichen Gut- habens des Irak im VN-Treuhandfonds keinen nennens- werten zusätzlichen Beitrag leisten können. Die gefor- derte Aufstockung des EU-Programms würde in die Zuständigkeit der Kommission fallen. Nach Erkenntnis- sen der Bundesregierung wird die Wirksamkeit des Pro- gramms durch mangelhafte Mitwirkung der irakischen Behörden beeinträchtigt. Eine Aufstockung der Mittel würde den Nutzen somit nicht vergrößern. Der im Antrag auch angesprochene Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Irak wird regel- mäßig unter Nutzung aller Quellen aktualisiert Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414600000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Auch in dieser Woche ist zwei Kollegen nachträglich
zum 60. Geburtstag zu gratulieren. Dr. Harald Kahl fei-
erte am vergangenen Sonntag und Dr. Wolfgang
Freiherr von Stetten am Montag. Ihnen gilt unser bester
Glückwunsch.


(Beifall)

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene

Tagesordnung zu erweitern. Die Zusatzpunkte entneh-
men Sie bitte der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste:

1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Bundes-
politische Auswirkungen des aktuellen Schweinemast-
skandals in Bayern (siehe 145. Sitzung)


2. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:
Keine Ausgrenzung unserer Bauern – die Bundesregierung
muss dem ländlichen Raum in der gegenwärtigen Krise hel-
fen

3. Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Ab-
schreibungsbedingungen – Drucksache 14/5135 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
gemäß § 96 GO

4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt,
Heinz Seiffert, Norbert Barthle, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU: Den Wirtschaftsstandort stärken
statt Abschreibungsbedingungen verschlechtern – Drucksa-
che 14/5134 –

5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Zöller, Eva-
Maria Kors, Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid), weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Medizinische
Versorgung von Kindern sichern – Drucksache 14/5136 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden.

Des Weiteren ist vereinbart worden, den Tagesord-
nungspunkt 10, Reform des Hochschuldienstrechts, mit
Tagesordnungspunkt 14, Stiftung Warentest, zu tauschen.

Außerdem mache ich auf die nachträglichen Überwei-
sungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:

Der in der 135. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem In-
nenausschuss und dem Finanzausschuss zur Mitbera-
tung überwiesen werden:

Antrag der Abgeordneten Peter Hintze, Peter
Altmaier, Renate Blank, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU: Der Europä-
ische Rat von Nizza muss zum Erfolg für Eu-
ropa werden
– Drucksache 14/4732 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Verteidigungsausschuss

Der in der 135. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Entschließungsantrag soll zu-
sätzlich dem Innenausschuss und dem Rechtsausschuss
zur Mitberatung überwiesen werden:

Entschließungsantrag der Abgeordneten Günter

(Ingolstadt)

SPD sowie der Abgeordneten Christian Sterzing,
Claudia Roth (Augsburg), Ulrike Höfken, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN zur Abgabe einer Erklärung der
Bundesregierung zum bevorstehenden Europä-
ischen Rat in Nizza am 7./8. Dezember 2000
– Drucksache 14/4733 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Verteidigungsausschuss

14249


(C)



(D)



(A)



(B)


146. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001

Beginn: 9.00 Uhr

Der in der 135. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Entschließungsantrag soll zu-
sätzlich dem Innenausschuss, dem Finanzausschuss und
dem Verteidigungsausschuss zur Mitberatung überwie-
sen werden:

Entschließungsantrag der Abgeordneten Uwe
Hiksch, Dr. Klaus Grehn, Dr. Gregor Gysi, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der PDS zur
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
zum bevorstehenden Europäischen Rat in Nizza
vom 7. bis 9. Dezember 2000 – Drucksache
14/4666 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Verteidigungsausschuss

Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Bundesbericht Forschung 2000
– Drucksache 14/4229 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Bundesministerin Edelgard Bulmahn.

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Herren und Damen! Der Bundesbericht For-
schung 2000 belegt: Seit 1999 geht es mit Bildung und
Forschung in Deutschland endlich wieder aufwärts.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Diese Bundesregierung hat eine klare strategische
Entscheidung für Bildung und Forschung getroffen. Wir
haben den Haushalt in diesem Jahr auf knapp 16 Milli-
arden DM deutlich erhöht. Wir haben uns entschieden, die
notwendigen Reformen nicht länger auf die lange Bank zu
schieben, sondern sie endlich anzupacken.


(Beifall bei der SPD)

Ich bin gerade aus den Vereinigten Staaten zurückge-

kehrt. Ich habe in Palo Alto mit sehr vielen jungen Wis-
senschaftlerinnen und Wissenschaftlern diskutiert, die

Deutschland verlassen haben und in die USA gegangen
sind, um dort zu arbeiten, weil sie dort für sich bessere
Chancen sahen, ihre Ideen zu verwirklichen, zu lehren
und zu forschen. Es ist offensichtlich: Deutsche Hoch-
schulen bieten ihren Absolventen hervorragende Voraus-
setzungen für den Wettbewerb um interessante Stellen auf
der ganzen Welt, aber sie bieten ihnen zu wenig interes-
sante Arbeitsplätze im eigenen Land.

Fatal haben sich dabei nicht nur die Mittelkürzungen
unter der Regierung Kohl ausgewirkt, sondern auch die
mangelnde Kraft zur strukturellen Neuordnung unserer
Forschungslandschaft. Es genügt eben nicht, nur die
schöne Fassade des Forschungsgebäudes zu erhalten,
vielmehr muss das Haus selbst modernisiert werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der jahrelange Stillstand in der Forschungspolitik war
in Wahrheit ein Rückschritt; denn er kostete uns beson-
ders viele fähige Nachwuchswissenschaftler. Das muss
geändert werden. Zusätzliche Mittel sind notwendig,
bringen aber alleine nichts, wenn das Forschungsgebäude
selbst renovierungsbedürftig ist. Deshalb sind die von uns
in Angriff genommenen strukturellen Reformen entschei-
dend.

Erster Schwerpunkt dabei ist die Dienstrechtsreform.

(Ulrike Flach [F.D.P.]: Wo ist sie denn?)


Sie sorgt dafür, dass die besten Köpfe im Land bleiben
werden bzw. zurückkehren. Zweiter Schwerpunkt ist die
Neustrukturierung der Forschungslandschaft. Sie bringt
Deutschland in den Zukunftsthemen der Forschung an die
Spitze. Hinzu kommen die deutliche Verbesserung der
Nachwuchswissenschaftlerförderung,


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


die stärkere Internationalisierung unserer Forschungsein-
richtungen und -organisationen, das Marketing, das eine
notwendige Ergänzung darstellt, sowie – dieser Punkt ist
sehr wichtig – eine bessere Vernetzung von Forschung
und Wirtschaft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Erst wenn die begabtesten Forscher aus anderen Län-
dern, beispielsweise aus den USA und aus Südostasien,
auch verstärkt zu uns kommen, um hier zu forschen und
zu lehren, dann haben wir unser Ziel erreicht, Deutsch-
land wieder zu einem attraktiven Forschungsstandort zu
machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lassen Sie uns dazu den alten Zopf der Habilitation ab-
schneiden


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


und mit der Juniorprofessur den jungen Menschen end-
lich die Chance geben, deutlich früher eigenständig zu




Präsident Wolfgang Thierse
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(D)



(A)



(B)


forschen und zu lehren! Damit nutzen wir selbst die
Chance, als Wissenschaftsstandort attraktiv zu sein und
den Wettbewerb um die besten Köpfe dieser Welt zu
gewinnen.

An die Stelle jahrelanger Untätigkeit setzen wir auf
eine Strategie des Gewinnens im Wettbewerb um die bes-
ten Köpfe. Die Dienstrechtsreform schafft – um in dem
eingangs von mir erwähnten Bild zu bleiben – die moder-
nen Arbeitsräume, die wir brauchen, und mehr Bewe-
gungsmöglichkeiten. Genau das macht unser Forschungs-
gebäude attraktiver.

Die zweite strategisch wichtige Reform ist die Neu-
ordnung der Forschungslandschaft.Unser Ziel ist es, in
den besonders zukunftsträchtigen Bereichen – in den Le-
benswissenschaften, in der Informations- und Kommuni-
kationstechnologie, in der Mikrotechnik und in der Nano-
technologie – führend zu sein. Dafür müssen wir unsere
Kräfte bündeln. Das erfordert mehr Flexibilität im deut-
schen Wissenschaftssystem, mehr Profilbildung und mehr
Wettbewerb, um wirklich die besten Ideen hervorzubrin-
gen und dann zu fördern. Dabei gilt es, Wände einzu-
reißen und neue Räume für Kreativität und für Eigenver-
antwortung zu schaffen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das erfordert vor allem
unsere Bereitschaft, sich für dieses Ziel einzusetzen.

Die bereits vollzogene Fusion von GMD und Fraun-
hofer-Gesellschaft ist dafür ein Beispiel. Wir schaffen mit
dieser Fusion in einem der wichtigsten Technologie- und
Forschungsbereiche die größte und leistungsfähigste For-
schungseinrichtung für Informationstechnik in Europa.

Die Helmholtz-Zentren, deren Gemeinschaft die größte
Forschungsorganisation in unserem Land darstellen, wol-
len wir künftig programmorientiert fördern. Was bedeutet
das? Wir wollen weg von der starren Förderung der Insti-
tutionen und hin zu einer Programmförderung. Damit sti-
mulieren wir den Wettbewerb, den wir dringend brau-
chen, um gute Ergebnisse zu erreichen. Damit stimulieren
wir ebenfalls die Entstehung hervorragender Ideen und
die Profilbildung der Zentren.

Wir schaffen damit also die notwendigen Strukturen,
um den wohlfeilen Satz, dass sich die Forschung den Zu-
kunftsthemen widmen solle, in die Realität umzusetzen.


(Beifall bei der SPD)

Der Dreh- und Angelpunkt ist dabei die Stärkung der Pro-
jektförderung gegenüber der institutionellen Förderung.
Wir haben die Mittel für diese Förderung seit 1998 um
38,7 Prozent gesteigert. Das bedeutet einen enormen
qualitativen Fortschritt.

Um Deutschland zu einem bevorzugten internatio-
nalen Wissenschaftsstandort zu machen, richten wir im-
mer mehr Studiengänge international aus. Auch dies ist
ein Teil des notwendigen kulturellen Wandels in unserem
Land. Wir betreiben die wechselseitige Anerkennung von
Hochschulabschlüssen, die Akkreditierung von Studien-
gängen und schaffen damit erst internationale Vergleich-

barkeit. Ein ganz wichtiger Schritt ist dabei die Ein-
führung von Bachelor- und Master-Studiengängen. Ich
bin sehr froh, dass sie von den Hochschulen engagiert be-
trieben wird.


(Beifall bei der SPD)

Das heißt, auch in Deutschland forscht und lehrt man

in einem internationalen Umfeld. Diese Internationali-
sierung flankieren wir mit einem starken Fokus auf die
neuen Medien, konkret mit dem Ausbau virtueller Studi-
engänge. Das BMBF fördert in den nächsten drei Jahren
mit rund 400 Millionen DM die Entwicklung multime-
dialer Studiengänge, neue Fernstudienangebote und Kom-
binationen mit der Präsenzlehre. Damit soll sowohl die
Qualität der Lehre verbessert als auch der Anteil des be-
treuten Selbststudiums vergrößert werden.

Wichtig ist aber nicht nur eine stärkere Internationali-
sierung unserer Hochschulen, sondern auch ein gezieltes
Marketing für unseren Wissenschafts- und Forschungs-
standort. Deshalb starten wir in diesem Jahr eine Mar-
ketingoffensive. Wichtig ist natürlich ebenso unsere Mit-
wirkung bei der Entwicklung eines europäischen
Hochschul- und Forschungsraumes.

Eminent wichtig ist die bessere Verzahnung von For-
schung und Wirtschaft. Nur dadurch können wir errei-
chen, dass Forschung wirklich den Menschen zugute
kommt. Wir fördern verstärkt Kompetenznetzwerke zwi-
schen Wissenschaft und Wirtschaft oder Anwendern, da-
mit eine schnelle Umsetzung von Forschungsergebnissen
in neue Produkte und Dienstleistungen gelingt, und zwar
insbesondere in den neuen Ländern. Inno-Regio ist dabei
nur eines unserer Programme, ein besonders erfolgreiches
und bekanntes. Mit der Förderung innovativer Wachs-
tumskerne in den neuen Ländern setzen wir unsere An-
strengungen zur Revitalisierung der Wirtschaft in den
neuen Bundesländern fort.

Mir liegt besonders die gute Kooperation zwischen
KMUs und Forschungseinrichtungen am Herzen, weil ich
weiß, dass diese gerade in den neuen Ländern eine zwin-
gende Voraussetzung für die Revitalisierung ist.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Sie ist besonders in wichtigen Zukunftsbranchen wie der
Biotechnologie und der Informations- und Kommunika-
tionstechnologie bedeutsam, weil in diesen Branchen ge-
rade die kleinen und mittleren Unternehmen neue Ideen
schnell aufgreifen und zügig umsetzen. Deshalb haben
wir diese Zusammenarbeit in den Mittelpunkt gerückt und
unsere Anstrengungen hier verstärkt.

Aufbruch und Aufschwung sind nicht nur bei der öf-
fentlichen Forschungsförderung zu beobachten, sondern
auch die Wirtschaft engagiert sich wieder deutlich stärker
in Forschung und Entwicklung. Das ist auch notwendig.
Diese Entwicklung ist nicht von allein gekommen, son-
dern hängt mit den notwendigen Reformen und der Er-
höhung der Mittel der Bundesregierung zusammen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Bundesministerin Edelgard Bulmahn

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Um diesen Kurs weiter zu unterstützen, werden wir in
Kürze zusätzlich das Aktionsprogramm „Wissen schafft
Märkte“ starten. Wegweisend ist dabei unsere Strategie,
Ausgründungen aus Hochschulen und aus Forschungs-
instituten zu begünstigen. Wir brauchen die Bereitschaft
von mehr Forschern, ihre Erfindungen selbst auf den
Markt zu bringen.

Die Intensivierung der Kooperation von Wirtschaft
und Wissenschaft sowie die Verstärkung der Anwen-
dungsbezogenheit von Wissenschaft und Forschung be-
deuten weder eine Schwächung der Grundlagenforschung
noch einen Ausverkauf der Wissenschaft an die Industrie.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wozu betreiben wir denn Forschung und Wissenschaft?
Damit sie den Menschen in diesem Lande zugute kommt.
Dies geschieht durch die Sicherung der Lebensgrundla-
gen, durch neue Erkenntnisse über die Behandlung von
Krankheiten, aber auch durch die Sicherung von Arbeits-
plätzen in Deutschland. Diesen Ansatz treiben wir in den
Bereichen Gesundheit, Verkehr, Lebens- und Informa-
tionswissenschaften auch innerhalb der gemeinsamen eu-
ropäischen Forschungsarbeit voran. Denn die Aufgabe,
ein nachhaltiges und damit global nachahmenswertes
Wohlstandsmodell zu entwickeln, wird sich Europa zur
historischen Aufgabe wählen müssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir müssen uns dabei auf die Arbeitsplatzlokomotiven
von heute und morgen – die Informations- und Kommu-
nikationstechnologien, die Mikrosystemtechnik, die Na-
notechnologie, die Biotechnologie – konzentrieren. Deshalb
fördern wir seit 1999 verstärkt diese Technologiebereiche.

Mit dem Rahmenkonzept „Innovation und Arbeits-
plätze in der Informationsgesellschaft des 21.Jahrhun-
derts“ der Bundesregierung haben wir den Weg dafür be-
reitet, Deutschland bei der Nutzung der modernen
I-und-K-Technologien in den nächsten drei bis fünf Jah-
ren in die Spitzengruppe der führenden Industrienationen
zu bringen. In bisher einmaliger Art und Weise arbeiten
Wirtschaft und Staat in der Initiative D 21 zur Stärkung
der New Economy zusammen.


(Beifall bei der SPD)

Besonders wichtig für die Menschen ist die Forschung

im Bereich der Lebenswissenschaften, in der Gesund-
heitsforschung und in der Bio- und Gentechnologie. Dies
sind die Zukunftsfelder. Die Genomforschung eröffnet
ganz neue Chancen zur Bekämpfung von Krebs,


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Und was ist mit den Risiken?)


zur Bekämpfung von Alzheimer, zur Bekämpfung von In-
fektionen und zur Bekämpfung bisher nicht oder nur un-
zureichend behandelbarer Krankheiten.


(Zuruf von der F.D.P.: Hat sich das in Ihrer Fraktion auch schon durchgesetzt?)


Wenn man diese Chancen nicht nutzt – das sage ich Ih-
nen ganz klar –, handelt man verantwortungslos.


(Beifall bei der SPD – Dr. Ilja Seifert [PDS]: Wenn man die Risiken übersieht, auch!)


Zur Politik gehört deshalb – weil es eben auch Risiken
gibt –, dass man Risiken minimiert, sie verringert und die
Grenzen so gestaltet, dass die Risiken ausgeschlossen
werden, dass wir aber zugleich die Chancen mutig und
couragiert nutzen. Das ist, wie ich finde, die richtige Poli-
tik.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben daher in diesem Jahr im Rahmen des

Zukunftsinvestitionsprogramms der Bundesregierung
eine koordinierte nationale Maßnahme „Krankheitsbe-
kämpfung durch Genomforschung“ gestartet. Die Mittel
für diesen Bereich haben wir um fast 300 Prozent auf rund
500 Millionen DM gesteigert.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414600100
Frau Ministerin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert von
der PDS-Fraktion?

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Ja, ich gestatte eine Zwischenfrage.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1414600200
Frau Ministerin, Sie sprachen
gerade sehr engagiert von den Chancen der Gentechnolo-
gie und der Biomedizin usw. und sagten, man müsse die
Risikenminimieren. Halten Sie es nicht für möglich, dass
es auch Risiken gibt, die man aus ethischer Verantwortung
für die Zukunft der gesamten Menschheit nicht eingehen
darf? Glauben Sie nicht, dass es zumindest die Möglich-
keit gibt, dass bestimmte Biotechnologien nicht in Be-
tracht kommen, wirklich angewandt zu werden, weil eben
die Risiken viel zu groß sind und die Chancen in keinem
angemessenen Verhältnis dazu stehen könnten? Immerhin
gibt es ja eine Enquete-Kommission, die das herauskrie-
gen soll.

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Ich halte das für möglich. Es herrscht ja
in diesem Parlament ein sehr breiter Konsens darüber,
dass wir die Klonierung des Menschen nicht wollen. Des-
halb sage ich: Wir müssen die Risiken und die Anwen-
dungen, die wir für falsch halten, durch gemeinsame Ent-
scheidungen ausschließen und erklären, dass wir diesen
Weg nicht gehen wollen.

Das kann und darf aber nicht heißen, dass ich eine
Technologie, einen Forschungsbereich als Ganzes, der
auch ungeheuer viele Chancen birgt, in Zukunft bisher
nicht heilbare Krankheiten tatsächlich heilen zu können,
einfach ad acta lege und sage: In diesem Bereich wollen
wir nichts tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)





Bundesministerin Edelgard Bulmahn
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(B)


Nach meiner Meinung unterscheiden wir Menschen
uns gerade dadurch von allen anderen Lebewesen, dass
wir eine Vernunft besitzen, dass wir ein Gewissen haben
und deshalb auch vernunftgemäße Entscheidungen tref-
fen können. Ich finde, wir sollten die Aufklärung und das,
was sie uns gebracht hat, nicht vergessen, sondern dies al-
les aktiv nutzen und einsetzen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414600300
Frau Ministerin, ge-
statten Sie eine Nachfrage des Kollegen Seifert?

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Ja.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414600400
Bitte schön.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1414600500
Vielen Dank für die Freund-
lichkeit. – Frau Ministerin, ich verstehe das, was Sie über
die Vernunft gesagt haben, durchaus. Aber wenn Sie in Ih-
rer Rede die Chancen ganz groß herausstellen und erklä-
ren, wir müssten die Chancen nutzen und die Risiken mi-
nimieren, ist das dann nicht eine Präjudizierung in der
Richtung: Lasst es uns einmal versuchen und sehen, was
dabei herauskommt? Besteht denn nicht auch die Mög-
lichkeit, dass bestimmte Forschungsbereiche – Sie spra-
chen die Klonierung von Menschen an; es gibt ja noch
sehr viele andere Projekte, die genauso gefährlich sein
könnten – so gefährlich sein könnten, dass man das lieber
lassen sollte? Es geht mir darum, dass man nicht die
Chancen zu sehr betont und die Risiken ein bisschen he-
runterspielt.

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Es ist genau deswegen keine Präjudizie-
rung, weil wir die Risiken minimieren wollen. Weil wir
Risiken ausschließen wollen, haben wir ja diesen Konsens
gefunden. Ich habe auch die Mittel für die Sicherheitsfor-
schung erheblich erhöht, damit wir mehr darüber wissen
und auch vorbeugend tätig werden können. Das ist also
kein Gegensatz. Vielmehr gehören Chancen und Risiken
zusammen. Das ist im Übrigen auch in vielen anderen Le-
bensbereichen so.

Wir haben deshalb, wie gesagt, in diesem Bereich die
Mittel für die staatliche Forschungsförderung erhöht, um
zum Beispiel die notwendige Sicherheitsforschung zu
finanzieren. Wir liegen hier im Übrigen inzwischen welt-
weit an zweiter Stelle hinter den USA. Auch das ist ein Er-
folg unserer Politik. Ebenso ein Erfolg unserer Politik ist
– auch das will ich ausdrücklich betonen –, dass wir in-
zwischen in Europa bei der Zahl der Biotechnologieunter-
nehmen an erster Stelle liegen. Das heißt auch, dass hier
zukunftsfähige Arbeitsplätze geschaffen wurden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Um zum aktuellen Thema Nummer eins, zur BSE-
Bekämpfung, etwas zu sagen: Wir konzentrieren uns in
der Forschung auf die Bereiche Diagnostik und Therapie.
Das ist richtig und notwendig. Wir fördern den Wissens-

austausch in Europa und wir entwickeln ein nationales
Forschungskonzept, dessen Ziel die Gesundheit von Mensch
und Tier ist.

Wir verfolgen also mehrere Ziele gleichzeitig: Wir in-
tensivieren den Kampf gegen Krankheiten, die viele Men-
schen in der ganzen Welt betreffen, und wir sichern außer-
dem die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und damit
zukunftsfähige Arbeitsplätze.

Meine Damen und Herren, Sie sehen, wir haben
Schluss gemacht mit der Förderphilosophie nach dem
Motto: „The same procedure as every year“,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


mit Mittelkürzungen und mit dem Senioritätsprinzip bei
der Besoldung von Hochschullehrern. Wir haben mit un-
seren Reformen die Weichen für mehr Innovation und den
notwendigen Aufbruch richtig gestellt.

Die Entscheidung der Bundesregierung, die deutsche
Forschungslandschaft zu modernisieren, zahlt sich aus.
Sie hat entscheidend dazu beigetragen, dass Deutschland
im international bekannten „World Competitiveness Re-
port“ des Wirtschaftsforums in Genf von Platz 25 im Jahre
1997 auf Platz 3 im Jahre 2000 vorgerückt ist. Ein so ge-
waltiger Sprung beweist: Wir machen die richtige Politik.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414600600
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Gerhard Friedrich, CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Gerhard Friedrich (CSU):
Rede ID: ID1414600700
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der For-
schungsbericht 2000 nennt endgültige Daten nur bis zum
Jahre 1998. Deshalb ist es sehr problematisch, die Zeit bis
zum Regierungswechsel und die Zeit nach dem Regie-
rungswechsel miteinander zu vergleichen. Bis 1998 wer-
den Istdaten, also Ergebnisse, genannt, danach Haushalts-
ansätze. Ein Vergleich zwischen Soll und Ist ist aber nicht
ganz korrekt. Wir haben nicht vergessen, dass die Bun-
desforschungsministerin im ersten Jahr ihrer Amtszeit,
nämlich 1999, 236 Millionen DM an den Bundesfinanz-
minister zurückgegeben hat. Das heißt, sie hat die Mittel
zwar bereitgestellt, sie aber nicht ausgegeben. Das wollen
wir in das Zahlenwerk eingearbeitet sehen. Dann können
wir wirklich vergleichen.

Frau Ministerin Bulmahn, ich halte es für ein bisschen
kleinkariert, wenn Sie die Forschungslandschaft, die Sie
von Ihrem Vorgänger, von Herrn Minister Rüttgers,


(Jörg Tauss [SPD]: Oh, oh!)

übernommen haben, in den düstersten Farben schildern,
um sich dann selbst als Lichtgestalt zu preisen, die die
Trendwende herbeigeführt hat.


(Jörg Tauss [SPD]: Im Vergleich ist sie das schon!)


Sie verweisen zum Beispiel auf sinkende Ausgaben in
dem Ressort für Bildung und Forschung. Dabei kommt es




Bundesministerin Edelgard Bulmahn

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(C)



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(A)



(B)


darauf an, mit welchem Jahr man mit einem Vergleich be-
ginnt. Zu Beginn der deutschen Einheit sind die Aus-
gaben für Forschung und Entwicklung deutlich gestiegen;
wir sind ja auch ein bisschen größer geworden. Dann
haben sich ab etwa 1994 die Verhältnisse normalisiert


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abgesenkt haben Sie sie! Nicht normalisiert!)


und die Ausgaben für Forschung und Entwicklung haben
sich bei etwa 10 Milliarden DM jährlich eingependelt.
Das waren also wirklich außergewöhnliche Zeiten. Sie
eignen sich sehr wenig für einen Vergleich.

Sie sagten, Kürzungen seien insgesamt etwas Schreck-
liches. Wir haben uns nicht darüber gefreut. Betroffen war
übrigens vor allem der Bildungsbereich. Aber dass das
manchmal notwendig ist, haben Sie ja selbst erfahren. Wir
haben noch in Erinnerung, dass Sie im letzten Jahr für
Ihren Haushalt 340Millionen DM weniger zur Verfügung
gestellt bekommen haben als im Jahr davor.

Wie problematisch der Vergleich ist, zeigt auch eine
andere Zahl, die Sie immer wieder in Ihren Presse-
erklärungen im Zusammenhang mit diesem Bundesfor-
schungsbericht nennen. Sie weisen darauf hin, dass in den
Jahren 1989 bis 1997 die Ausgaben für Forschung und
Entwicklung pro Kopf nur um 23 US-Dollar auf etwa
511 US-Dollar gestiegen sind. Damit vergleichen Sie die
Verhältnisse in den alten Bundesländern mit den Verhält-
nissen nach der deutschen Einheit. Wir wissen doch – vor
allem der Kollege Schmidt, der sich sehr engagiert hat und
nachher noch reden wird –, dass die großen Forschungs-
kombinate der DDR nach der deutschen Einheit als Erstes
ihre Forschungsabteilungen ausgegliedert haben. Viele
davon sind untergegangen, einige haben wir als For-
schungs-GmbHs am Leben gehalten. Es ist nach wie vor
so, dass die Unternehmen in den neuen Bundesländern,
im Beitrittsgebiet – das ist traurig, aber wahr –, nur etwa
halb so viele Forscher und Entwickler pro 1 000 Einwoh-
ner beschäftigen wie die Unternehmen in den alten Bun-
desländern.


(Zuruf von der F.D.P.: Das ist leider wahr!)

Daran ist nicht vorrangig die jetzige Forschungsminis-
terin schuld, aber auch nicht Herr Rüttgers, sondern Herr
Honecker und die, die mit ihm früher in einer Partei
waren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Ministerin, ich schlage Ihnen vor,

die Auseinandersetzungen des Wahlkampfjahres 1998
jetzt langsam zu beenden. Es ist doch kein Beweis für
Souveränität, wenn man dauernd nachtritt. Auf dem Fuß-
ballfeld wird man beim Nachtreten vom Platz gestellt.

Meine Damen und Herren, da die zuverlässigen Daten
des Berichtes nur bis zum Jahre 1998 reichen, also sozu-
sagen eine abschließende Bilanz unserer Regierungszeit
erlauben, und die Frau Ministerin hier wieder von Still-
stand und Rückschritt gesprochen hat, möchte ich einmal
aufzeigen, was sich verbessert hat.

Wir haben in diesen Jahren begonnen – das beweisen
alle Berichte, nicht nur der neue –, in den Spitzentechno-
logien aufzuholen. Wir haben, wie auch Sie, Schwer-
punkte im Bereich der Informationstechnologie und im
Bereich der Biotechnologie gebildet. In der IT-Branche
sind schon in den 90er-Jahren die Umsätze jährlich um
10 Prozent gestiegen, es gab einen deutlichen Zuwachs
bei der Beschäftigung.

Wie war es denn bei der Biotechnologie? Minister
Rüttgers hat doch erst durch seinen Bio-Regio-Wett-
bewerb dafür gesorgt, dass wir jetzt in Deutschland – zum
Beispiel in Martinsried bei München oder in der Stadt da-
neben, in Großhadern – Kompetenzzentren haben, die in-
ternational an der Spitze mitmischen können.

Die chemische Industrie, mit deren Vertretern ich
früher viele Gespräche geführt habe, hat uns bestätigt,
dass wir die Investitionshemmnisse im Bereich der Ge-
nehmigungsverfahren für Gentechnik abgeschafft haben.
Wer war denn damals in diesem Bereich eines der großen
Investitionshemmnisse in Deutschland? Fragen Sie doch
einmal bei der Firma Hoechst in Frankfurt nach! Das war
doch der frühere hessische Umweltminister Fischer, jetzt
Außenminister dieser Regierung. Ich war einmal gemein-
sam mit einigen Forschungspolitikern in Kalifornien und
habe gesehen, dass Hoechst im Bereich der Gentechnolo-
gie jahrelang in den USA investiert hat, weil man mit
Herrn Fischer in Frankfurt überhaupt nicht zurechtge-
kommen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Frau Bulmahn, die Humangenomforschung halten

wir gemeinsam für wichtig. Wir waren ja schon vor Ver-
abschiedung des Haushalts 2001 übereinstimmend der
Überzeugung, dass jährlich rund 200 Millionen DM mehr
bereitgestellt werden sollten. 100Millionen DM hat Ihnen
der Bundesfinanzminister bewilligt; das ist schon ein
Fortschritt. Wir wollten gemeinsam mehr. Aber ich
möchte daran erinnern: Gestartet wurde das Human-
genomprojekt bzw. die Finanzierung durch Ihren Vorgän-
ger, Herrn Minister Rüttgers.

Herr Rüttgers hat auch das neue Instrument der Förde-
rung der Leitprojekte eingeführt und Sie sind jetzt stolz
auf Inno-Regio. Wir wissen, dass die Pläne dafür in den
Schubladen des Ministeriums lagen. Sie wenden also In-
strumente an, die andere entwickelt haben. Wir finden das
gut. Aber man kann doch nicht sagen: Vor meiner Amts-
zeit war alles katastrophal und bei mir, kaum sitze ich auf
dem Sessel, wird alles besser.

Ich erinnere an den Kapitalmangel unserer Hightech-
firmen. Wir haben uns jahrelang darüber unterhalten, dass
es Probleme in der Phase der Unternehmensgründung
gibt, weil Risikokapital gefehlt hat. Schauen Sie sich die
Berichte an! Bei Beginn Ihrer Amtszeit war die Versor-
gung mit Risikokapital ausreichend. Auch das hat übri-
gens nicht nur die damalige Bundesregierung geschafft,
sondern dazu gab es kräftige Beiträge einzelner Länder,
zum Beispiel des Freistaates Bayern.

Wir sind bei der Umsetzung von Forschungsergeb-
nissen in marktfähige Produkte deutlich besser geworden.




Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen)

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(D)



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Allerdings wissen wir – auch der Wissenschaftsrat hat uns
wieder daran erinnert –, dass wir im Bereich Anwen-
dungsorientierung und Praxisbezug der Forschung noch
besser werden müssen, zumindest in den naturwissen-
schaftlichen und technischen Disziplinen. Auch wir wis-
sen – nicht nur die neue Ministerin –, dass wir Fortschritte
bei der Internationalisierung unseres Wissenschaftssys-
tems brauchen. Denn wenn die Wirtschaft immer globaler
handelt, dann müssen auch Hochschule und unsere For-
schungslandschaft insgesamt international mehr koope-
rieren, Erfahrungen und Forschungspersonal austau-
schen.

Wir haben damit begonnen, indem wir bei der Hoch-
schulreform die neuen internationalen Abschlüsse Bache-
lor und Master eingeführt und ein Förderprogramm für in-
ternational ausgerichtete Studiengänge ins Leben gerufen
haben. Leider haben Sie für dieses Förderprogramm keine
einzige zusätzliche Mark in den Haushalt 2001 einge-
stellt, obwohl es, sehr viele positiv begutachtete Anträge
der Hochschulen gab.

Ich unterstütze Ihren Vorschlag – das wissen Sie –, in
Ergänzung der Hochschulreform auch das Hochschul-
dienstrecht zu ändern, es leistungsorientierter zu gestal-
ten. Es ist notwendig – ich möchte das ausdrücklich be-
stätigen –, dass wir die Qualifizierungsphase an unseren
Hochschulen verkürzen, dass wir unseren jungen Wissen-
schaftlern die Chance geben, früher wissenschaftlich
selbstständig zu arbeiten. Wir sind deshalb einer Mei-
nung, dass wir die neue Stellung eines Juniorprofessors an
den Hochschulen einführen sollten; wir streiten nur noch
darüber, ob es erforderlich ist, die Habilitation insgesamt
abzuschaffen. Die Stellungnahmen, die wir von den
großen Wissenschaftsgesellschaften, auch von der Hoch-
schulrektorenkonferenz bekommen, sind mehr für Ab-
schaffung. Reden wir aber vor Ort mit den Professorinnen
und Professoren an unseren Universitäten, dann sagen
diese: Wir brauchen in einigen Fächern – zwar nicht al-
lein, aber als Alternative zum Juniorprofessor – auch die
Habilitation. – Darüber werden wir heute und in den
nächsten Wochen sicher noch diskutieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

In seinen Thesen zur künftigen Entwicklung des Wis-

senschaftssystems in Deutschland stellte der Wissen-
schaftsrat im letzten Jahr fest:

Die Stärkung des institutionellen Wettbewerbs ist ein
entscheidendes Instrument, um die bisherige Über-
betonung funktionaler Differenzierung im deutschen
Wissenschaftssystem auszugleichen.

Das ist sehr kompliziert, deshalb übersetze ich es: Die an
den vorhandenen Planstellen ausgerichtete staatliche För-
derung der großen Forschungsinstitutionen führt dazu,
dass die Verhältnisse relativ starr und unbeweglich sind
und dass diese institutionell geförderten Forschungsein-
richtungen nur schwer auf neue Forschungsziele ausge-
richtet werden können.

Es gibt übrigens noch jemanden, der uns manchmal da-
ran hindert, die Gewichte rechtzeitig zu verlagern. Das
sind die Länder, die gemeinsam mit dem Bund, mit un-
terschiedlichen Prozentsätzen – das nennt man Misch-

finanzierung –, diese großen Forschungseinrichtungen
fördern: die großen Zentren zu 90 Prozent Bund, zu
10 Prozent Land. Bereits diese 10 Prozent Anteil des Lan-
des führen aber dazu, dass die Länder eine Art Vetorecht
haben. Die Länder sind in der Theorie für Veränderungen.
Wenn es aber darum geht, Forschungsmittel umzuleiten,
sodass einige Mittel in ein anderes Bundesland fließen
und man ein paar Planstellen verliert, woanders aber ein
paar Planstellen mehr entstehen, dann wird ein Veto ein-
gelegt. Trotzdem werden wir, glaube ich, die Misch-
finanzierung nicht abschaffen können; denn dann hätten
wir einen fürchterlichen Streit mit unseren eigenen Bun-
desländern. Ich möchte aber an die Länder appellieren,
nicht nur in Besitzstandsdenken zu verharren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der F.D.P.)


Frau Ministerin, die unionsgeführten Bundesländer
kommen übrigens immer sehr gut weg; das wissen Sie.
50 Prozent der Menschen, die bei uns im Bereich For-
schung und Entwicklung arbeiten, tun das in Bayern und
Baden-Württemberg.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: CSUund CDU-geführt!)


Deshalb gibt es in SPD-regierten Ländern immer wie-
der Bedenken. Wenn Sie ein neues Forschungsprogramm
auflegen oder ein Programm aufstocken, wie in der Ge-
nomforschung, dann sagen die Rheinland-Pfälzer: Das
Geld wird wieder vollständig nach Bayern und Baden-
Württemberg fließen. – Das heißt, den Wettbewerb fürch-
ten wir überhaupt nicht, auch nicht der Kollege Schmidt
aus Sachsen. Wenn man sich die Bilanz der neuen Bun-
desländer anschaut, können Herr Jork, der jetzt ein biss-
chen lacht, und Herr Schmidt wirklich zufrieden sein. Die
Zentren der Forschung in den neuen Bundesländern lie-
gen in Sachsen. Ich wiederhole: Wir haben überhaupt
keine Angst vor Wettbewerb.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Frau Ministerin, es ist schlicht falsch, dass wir in Sa-
chen Strukturreformen während unserer Regierungszeit
nichts unternommen hätten. Ich gebe nur eines zu: Wir
hatten noch ein wichtigeres Problem Anfang der 90er-
Jahre. Das vergessen Sie. Die deutsche Einheit blenden
Sie aus. Wir haben eine ostdeutsche Forschungsland-
schaft übernommen – eigentlich müsste man „mitteldeut-
sche Forschungslandschaft“ sagen –,


(Zurufe von der SPD: Oh!)

die abzukippen drohte. Wir mussten schnell begutachten,
was davon erhaltenswert ist und was wir in unsere Wis-
senschaftsgesellschaften und in die Hochschulen einglie-
dern. Dies hatte oberste Priorität. Dann kann man nicht
gleichzeitig die Verhältnisse in den alten Bundesländern
umkrempeln. Die Kapazitäten der Minister und ihrer Mit-
arbeiter sind eben irgendwann erschöpft.

Trotzdem haben wir schon Mitte der 90er-Jahre be-
gonnen, Strukturreformen durchzuführen. Sie haben
von der Helmholtz-Gemeinschaft gesprochen, von den
großen Forschungszentren. Ich erinnere nur daran, dass




Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen)


14255


(C)



(D)



(A)



(B)


wir dort den Strategiefonds eingeführt haben. Wir haben
die Planstellenfinanzierung ein bisschen heruntergefah-
ren und die Mittel in einen gemeinsamen Topf gegeben.
Die einzelnen Zentren bewerben sich seither um Projekt-
mittel. Das war der Beginn der Flexibilisierung. Ich gebe
zu, dass dies nicht viel gebracht hat, wie wir heute wissen.
Das neueste Gutachten des Wissenschaftsrates führt aus,
dass dies etwas unterlaufen wurde. Deshalb sind wir
durchaus bereit, mit Ihnen konstruktiv über das zu reden,
was Sie jetzt Programmsteuerung nennen.

Die unionsregierten Länder sagen auch: Im Grundsatz
sind wir uns einig, im Detail gibt es aber noch viele un-
gelöste Probleme. – Das müssen wir wissen. Ich frage
mich zum Beispiel, wie wir mit dem Problem der Verant-
wortung des Leiters eines großen Forschungszentrums
und der des Zuständigen für ein Programm, das in mehre-
ren Forschungszentren durchgeführt wird, zurechtkom-
men. Da besagen die Papiere, die uns bisher vorliegen: Sie
sollen sich eben einigen. – Wenn sich die Leute einigen,
brauche ich keine Spielregeln und keine Rechtsnormen.
Leider einigen sich die Menschen nicht immer, sondern es
gibt Interessenkonflikte. Dafür brauchen wir noch ver-
nünftige Regeln. Wir müssen hier schon noch etwas wei-
terarbeiten.

Sie sagen, Sie sind die große Reformerin in der Struk-
tur der Forschungslandschaft.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist wahr!)

– Dazu sage ich Ihnen nur, Herr Kollege Tauss: Bisher ha-
ben Sie vom Ergebnis her nur eines geschafft, nämlich die
Eingliederung der GMD in die Fraunhofer-Gesellschaft.

Etwas anderes können Sie nicht vorweisen. Sonst ha-
ben Sie nur Absichten geäußert. Die Eingliederung der
GMD geschah mit der Brechstange. Es gab einen Auf-
stand. Jetzt hören wir, das werde eine großartige Sache,
ein neuer Schwerpunkt in Sachen Informationstechnolo-
gie. Kollege Hauser hat uns in der Arbeitsgruppe gesagt,
die Herren in der Nähe von Bonn, wo die Gesellschaft für
Mathematik und Datenverarbeitung sitzt, folgen jetzt Ru-
fen von Universitäten und gehen. Wir müssen da behut-
sam vorgehen. Das Projekt GMD/Fraunhofer-Gesell-
schaft war nicht gerade beispielhaft.

Meine Damen und Herren, ich will zum Schluss noch
zwei Dinge sagen. Das Erste: Wenn Sie den Bundes-
bericht Forschung lesen, dann schauen Sie sich bitte auch
einmal an, wie die Bilanz der Bundesregierung insgesamt
aussieht. Frau Bulmahn, Sie haben in zwei Jahren mehr
Geld in das System gegeben; der Wirtschaftsminister hat
kräftig gespart. Nach den Haushaltsansätzen sollten die
Ausgaben für Forschung und Entwicklung in den ersten
beiden Jahren, also 1999/2000, um 4,1 Prozent steigen.
Das steht so im Bericht. Das Ist wird geringer sein, näm-
lich 3,8 Prozent in zwei Jahren. Herzlichen Glückwunsch
zum Inflationsausgleich! So toll ist das ja nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zum Zweiten sollte man sich bei der Beurteilung der

Verhältnisse nicht immer nur auf sich selbst verlassen. Sie
sind subjektiv, ich natürlich auch. Darum haben wir ein-

mal im Archiv geschaut, was andere dazu sagen. Das
„Handelsblatt“ hat am 15. Dezember das Ergebnis einer
Umfrage unter Führungskräften der Wirtschaft veröffent-
licht. Sie sollten sich äußern, wo die Kompetenz in Sa-
chen Technologie und Innovation liegt. Die Union liegt
mit 56 Prozent vorn; die SPD liegt mit 24 Prozent hinten.
Das entspricht der Verteilung der Forschung in Deutsch-
land.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414600800
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hans-Josef Fell, Bündnis 90/Die Grünen.


Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414600900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Dr. Friedrich, Sie haben zu Recht angemahnt, den Wahl-
kampf 1998 endlich zu beenden. Aber ich finde es nicht
gut, dass Sie den Wahlkampf 2002 eröffnen wollen und
dass Sie immer wieder den Blick nach vorne richten und
Wahlkampf betreiben wollen.


(Zuruf von der F.D.P.: Sie gucken nach hinten, wir nach vorne!)


Nein, daran werde ich mich nicht beteiligen. Vielmehr
werde ich aufzeigen, wo die Fehler der Vergangenheit in
der Forschungspolitik lagen – sie sind im Forschungs-
bericht 2000 offenkundig geworden – und wo die neue
Regierung neue Akzente gesetzt hat.

An einem Punkt will ich das gleich verdeutlichen. Sie
haben behauptet, das Programm Inno-Regio für die Ost-
förderung sei unter Rüttgers vorbereitet und von uns nur
hervorgeholt worden. Es mag sein, dass er etwas in der
Schublade gehabt hat. Aber der entscheidende Unter-
schied ist doch:


(Jörg Tauss [SPD]: Es kam nie aus der Schublade heraus!)


Wir haben es hervorgeholt. Wir haben neue Konzepte ver-
wirklicht. Wir haben damit Ihre Pläne, von denen Sie im-
mer gesprochen haben, aber die Sie nie verwirklicht ha-
ben, in die Tat umgesetzt. Das ist der Unterschied in der
Forschungspolitik zwischen der rot-grünen und der alten
Regierung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Forschung ist der Garant einer zukünftigen Entwick-
lung. Forschung wird für die Entwicklung neuer Techno-
logien genauso wie für die Analyse ihrer Auswirkungen
benötigt. Die Erkenntnisse der Forschung geben uns Hin-
weise auf gesunde und ungesunde Entwicklungen. Vor al-
lem gibt uns Forschung neue Erkenntnisse, die wir zum
Wohle von Mensch und Umwelt einsetzen können. Daher
gilt auch für Bündnis 90/Die Grünen: Forschung ist un-
verzichtbar und Forschung hat einen hohen gesellschaft-
lichen Wert.




Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen)

14256


(C)



(D)



(A)



(B)


Wer wie die alte Bundesregierung die Ausgaben für
Forschung senkt, setzt fahrlässig die Zukunft des Tech-
nologiestandortes Deutschland aufs Spiel. Der Anteil
der Forschungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt ist laut
dem heute diskutierten Bericht – Herr Dr. Friedrich, hören
Sie zu! – von 2,87 Prozent im Jahre 1989 auf 2,32 Prozent
im Jahre 1998 gesunken. Das nennen Sie eine notwendige
Nivellierung? Nein, Herr Dr. Friedrich, das ist der Aus-
druck des Rückganges der Forschung unter der alten Bun-
desregierung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Andere Industrieländer haben diesen Anteil auf zum
Teil deutlich höherem Niveau halten können, zum Bei-
spiel Japan mit 2,9 Prozent oder die USA mit 2,77 Pro-
zent. Die Folge ist klar: Bei neuen Technologien bekamen
vor allem Japan und USA immer mehr Weltmarktanteile
– eine bedrohliche Entwicklung für die exportabhängige
Bundesrepublik Deutschland.

Die rot-grüne Regierung hat aber bereits die Kehrt-
wende eingeleitet. So konnten die Bruttoinlandsausgaben
von 87 Milliarden DM 1998 bereits für 1999 auf 92 Mil-
liarden DM gesteigert werden. Auch für 2000 und 2001
sind im Bundeshaushalt Ausgabensteigerungen vorge-
nommen worden. Dies ist eine großartige Regierungsleis-
tung, da wir gleichzeitig im Gegensatz zu Ihnen die Sen-
kung der Staatsausgaben insgesamt erreicht haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Diese Steigerung der Forschungsausgaben zeigt ein-
drucksvoll, dass wir es mit der Forschung und übrigens
auch mit der eng damit zusammenhängenden Bildung
ernst meinen. Wir Bündnisgrünen streben an, mittelfristig
3,0 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Forschung
auszugeben.

Die demographische Entwicklung dieses Landes ist
aus meiner Sicht ein zwingender Grund, dieses Ziel anzu-
streben. Nur so wird es möglich sein, dass zukünftig im-
mer weniger junge Menschen unseren Wohlstand finan-
zieren können.

Gesamtausgabensteigerungen sind ein wichtiges Ziel.
Genauso wichtig sind aber auch strukturelle Verbesserun-
gen der Forschungslandschaft und neue inhaltliche
Schwerpunktsetzungen. Auch hier hat Rot-Grün bereits
Zeichen gesetzt, weitere sind in Bearbeitung. Struktu-
relle Veränderungen sollen dazu dienen, Flexibilisie-
rung von Entscheidungsprozessen, Entbürokratisierung,
Stärkung der Eigenverantwortung und Straffung der For-
schungslandschaft endlich zu erreichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dazu dient zum Beispiel die Programmsteuerung bei
den Helmholtz-Gemeinschaften. Diese wird dort stärker
als bisher Innovationen beschleunigen oder auch den ge-
sellschaftlichen Einfluss auf die Forschungsinhalte ver-
stärken. Allerdings darf sich der gesellschaftliche Einfluss
nicht allein von wirtschaftlichen Interessen leiten lassen.

Auch der Einfluss beispielsweise von Gewerkschaften
oder Umweltverbänden ist zu verstärken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Eine Reform des Dienstrechtes ist notwendig. Die An-
reize für junge Wissenschaftler, in Deutschland zu blei-
ben, statt in die USA abzuwandern, können so verstärkt
werden, zum Beispiel durch eine Juniorprofessur. Frau
Bulmahn hat auf ihrer USA-Reise zu diesem Thema wich-
tige Aussagen gemacht und es zu Recht in den Mittel-
punkt gerückt.

Forschung ist die Grundlage für technologischen Fort-
schritt und damit für den Erhalt und den Ausbau von Ar-
beitsplätzen. Da gerade der Mittelstand den Löwenanteil
an Arbeitsplätzen stellt, ist es nur folgerichtig, auch für
den Mittelstand die Forschungsunterstützung zu verstär-
ken. Bündnis 90/Die Grünen begrüßen es daher sehr, dass
im Wirtschaftsministerium die Mittel für die Forschungs-
förderung des Mittelstandes von 1998 bis 2000 um fast
5 Prozent erhöht werden konnten.

Um Arbeitsplätze zu sichern und neue schaffen zu kön-
nen, ist es richtig, die Forschung anwendungsbezogen zu
verstärken. Enge Kooperationen mit der Wirtschaft kön-
nen die öffentlichen Haushalte entlasten. Allerdings ist
bei allen jetzt vorgesehenen Strukturänderungen immer
im Auge zu behalten, dass die Grundlagenforschung da-
bei nicht unter die Räder kommt. Wer heute die Grund-
lagenforschung vernachlässigt, dem gehen in wenigen
Jahren die Ideen für neue anwendungsorientierte For-
schungen aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Im Ost-West-Vergleich hat die Bundesregierung den
Anteil der neuen Länder leicht steigern können, aller-
dings – das geben wir unumwunden zu – ist der Nachhol-
bedarf in den neuen Bundesländern weiterhin groß und
wir werden uns dafür einsetzen, diesen endlich zu stillen,
beispielsweise mit neuen Institutsgründungen.

Meine Damen und Herren, neben den strukturellen
Verbesserungen, die in der Forschungslandschaft anste-
hen und die wichtig sind, haben wir uns aber auch um
neue inhaltliche Schwerpunktsetzungen zu kümmern. Ich
möchte als wichtigsten Schwerpunkt aus meiner Sicht die
Anpassung der Forschungsinhalte an die veränderten Be-
dingungen dieser Welt aufzeigen. Ich sehe vor allem, dass
die Ergebnisse des Weltumweltgipfels 1992 in Rio wich-
tige und notwendige Maßnahmen auch für die Forschung
sind. Die Grundgedanken von Rio müssen auf die For-
schung übertragen werden. Das heißt, die Forschung
muss demokratischen, ökologischen, sozialen und frie-
denspolitischen Pflichten endgültig und vollständig ver-
pflichtet werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Für einige Forschungsschwerpunkte möchte ich diese
grüne Sicht verdeutlichen.




Hans-Josef Fell

14257


(C)



(D)



(A)



(B)


In vielen Grundsatzreden und Grundsatzartikeln wer-
den die wichtigsten Forschungsschwerpunkte genannt.
Immer finden sich darunter die Biotechnologie, die Infor-
mations- und Kommunikationstechnologie, die Gesund-
heitsforschung, manchmal auch die Materialforschung
und die Nanotechnologie. Ohne Zweifel sind diese For-
schungsfelder auch aus grüner Sicht wesentlich und für
eine technologische Entwicklung Deutschlands unver-
zichtbar.

Aber in den Aufzählungen für diese zukunftsorientier-
ten Forschungsfelder fehlt fast immer ein zentraler und
extrem wichtiger Forschungszweig. Es ist die Energie-
forschung. Kaum genannt werden aber auch andere
wichtige Forschungsbereiche, wie beispielsweise die land-
wirtschaftliche Forschung, die Friedensforschung oder
die Sozialforschung.

Lassen Sie mich die Energieforschung etwas näher be-
leuchten. Wie wichtig Energie für unsere Gesellschaft ist,
kann man zurzeit in Kalifornien an einem Lehrbeispiel für
ideologisch geleitetes politisches Handeln erkennen.


(Jörg Tauss [SPD]: Neoliberales Handeln!)

Dort wurde die Liberalisierung des Strommarktes mit
dem ausschließlichen Ziel billiger Strompreise bis zum
Extrem vorangetrieben. Das führte zusammen mit Eng-
pässen in der regionalen Gasversorgung zu einem teil-
weisen Zusammenbruch der Stromversorgung.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Hätte der Rexrodt bei uns auch noch geschafft!)


Ich hoffe, dass dieses Beispiel für eine verfehlte Liberali-
sierungspolitik auch bei den Vertretern einer neoliberalen
Energiepolitik in Europa endlich zu einem Erwachen
führt.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414601000
Kollege Fell, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Flach?


Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414601100
Ja,
gerne.


(Jörg Tauss [SPD]: Zur Liberalisierung des Strommarktes!)



Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1414601200
Herr Kollege Fell, ist Ihnen klar,
dass Sie, wenn Sie sagen, dass es hier nur um den Fehler
der Liberalisierung geht, völlig am Thema vorbeireden?
Die Liberalisierung spielt in Kalifornien an keiner Stelle
eine Rolle, sondern das Problem ist die Regulierung des
Preises.


(Zurufe von der CDU/CSU: So ist es! – Jörg Tauss [SPD]: Preisfreigabe!)



Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414601300

Verehrte Kollegin Flach, das Problem ist die Regulierung
des Preises; aber schon der Grundgedanke, Billigprodukte
seien das Wichtigste, was in unserem Leben anzustreben

ist, ist falsch. Das Ziel, nur für billige Preise zu sorgen, hat
mit den Liberalisierungstendenzen dazu geführt, dass
Preissteigerungen, die notwendig wären, um Fehlent-
wicklungen zu verhindern, nicht möglich waren. Genau
dies entspricht dem falschen Grundgedanken, über eine
Liberalisierung des Marktes billigen Strom zu bekom-
men. Dieses nun auch regulierend durchzusetzen – da
stimme ich Ihnen zu – ist ein dramatischer Fehler, den wir
nicht machen sollten.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414601400
Kollege Fell, gestat-
ten Sie eine Nachfrage der Kollegin Flach?


Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414601500
Ja.


Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1414601600
Herr Kollege Fell, wir sind uns
also offensichtlich einig, dass das Modell von Bundesmi-
nister a. D. Günter Rexrodt in keiner Weise mit dem kali-
fornischen identisch ist.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Genauso falsch!)



Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414601700

Doch! Es gibt dort einige Gemeinsamkeiten.


(Lachen bei der CDU/CSU)

– Sie sind nicht vollständig identisch, das ist klar, aber es
gibt einige Gemeinsamkeiten zwischen beiden Modellen.
Die wichtigste Gemeinsamkeit ist der Glaube an die Ideo-
logie, dass alleine die Kräfte des Marktes zu billigen Prei-
sen führen und damit alle Probleme insgesamt zu lösen
wären.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Es gibt doch keinen Markt! Monopolstruktur!)


Hier liegt der Trugschluss. Diesen Weg gehen wir nicht
mit. Wir sehen, dass Regulierung dort notwendig ist, wo
es der Markt alleine nicht schafft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dirk Niebel [F.D.P.]: Gut, dass die Frau Wolf nicht da ist! Wenn sie das hören würde, würde sie wieder zurücktreten!)


Wir stehen für den liberalisierten Markt.
Lassen Sie mich zur Energieforschung zurückkehren:

Viele Forschungsergebnisse aus den zurückliegenden Jah-
ren über zukünftige Energieverbräuche, Energieressour-
cen oder Umweltauswirkungen legen den Schluss nahe,
dass die Energieversorgung in dieser Welt als Motor für
alle Technologien vor einem gewaltigen Wandel steht.
Die entscheidende Strategie liegt darin, neue Energieer-
zeugungstechnologien auf der Basis erneuerbarer Ener-
gien rasant auszubauen. Nur diese sind meines Erachtens
in der Lage, mittel- und langfristig die sich ankündigen-
den Versorgungsengpässe zu schließen.




Hans-Josef Fell
14258


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Energiekommissarin der EU, Frau Palacio, hat
kürzlich mit dem Grünbuch der Versorgungssicherheit auf
eine bedrohliche Entwicklung hingewiesen: Im Jahre
2020 wird Europa über 70 Prozent seiner Energie impor-
tieren müssen. Das ist ein Schreckensszenario, wenn man
die Abhängigkeit unserer Technologien von Energie be-
trachtet. Es sind daher auch die Forschungsmittel für er-
neuerbare Energien und Einspartechnologien weiter dras-
tisch zu erhöhen. Ein erster Erfolg versprechender Schritt
ist, dass im Haushalt 2001 dieser rot-grünen Regierung
100 Millionen DM mehr für die Erforschung neuer
Energietechnologien, beispielsweise der Brennstoffzelle,
bereitgestellt wurden. Eine weitere Steigerung der For-
schungsmittel für erneuerbare Energien und rationelle
Energieverwendung in den kommenden Jahren ist aus
grüner Sicht dringend geboten.

Damit bei den jetzt anstehenden Strukturveränderun-
gen der gesamten deutschen Forschungslandschaft nicht
wieder die Entwicklungen, die in der Vergangenheit durch
falsche Schwerpunktsetzung eingeleitet wurden, fort-
wirken, fordern Bündnis 90/Die Grünen eine interminis-
terielle Arbeitsgruppe unter Beteiligung der Fraktionen
zur Neufestlegung der Energieforschungsschwerpunkte.
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die jahrelange einsei-
tige Förderung für die Erforschung der Kernenergie
nicht den gewünschten Erfolg brachte. Man kann sogar
sagen: Das einseitige Festlegen auf die Erforschung der
Kernenergie war ein zentraler Fehler der Forschungsför-
derung der letzten Jahrzehnte.


(Zuruf von der CDU/CSU: Reine Ideologie!)

Das kann man unschwer daran erkennen, dass der Beitrag
der Kernenergie an der gesamten Energieversorgung in
der EU knapp unter 10 Prozent liegt. Mehr hat diese mas-
sive Forschungsförderung nicht gebracht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Eine Neufestsetzung der Energieforschungsschwer-
punkte unter dem Aspekt des mittelfristigen Ersatzes für
Erdöl und Kernenergie, vor allem aus Klimaschutzgrün-
den und Gründen der Versorgungssicherheit, ist unver-
zichtbar. Das bezieht sich auch auf die Erarbeitung der
Schwerpunkte des 6. Forschungsrahmenprogramms der
Europäischen Union. Auf europäischer Ebene sollten wir
darauf hinwirken, dass alle Forschungsmittel – ganz spe-
ziell die Mittel für Euratom – endlich einer demokrati-
schen Kontrolle, zum Beispiel durch das Europäische Par-
lament, unterworfen werden.

Ich möchte noch einige Schlaglichter auf andere
Forschungsschwerpunkte werfen. Bündnis 90/Die Grü-
nen stehen hinter der Neutronenforschung.Daher setzen
wir uns für den Bau einer neuen europäischen Spallati-
onsquelle ein. Sehr kritisch betrachten wir aber weiterhin
die Verwendung von hochangereichertem Uran, wie es in
einem Forschungsreaktor in Garching geplant ist. Aus
Gründen der Proliferation und der Entsorgung sollten wir
hier auf eine andere Technologie setzen; denn dieser
FRM II wird nach Fertigstellung der europäischen Spal-
lationsquelle zum alten Eisen gehören.

In den kommenden Jahren wird beim Verbraucher-
schutz und bei der Landwirtschaft ein Forschungs-
schwerpunkt liegen müssen. Die BSE-Krise hat uns in
aller Eindringlichkeit vor Augen geführt, wohin das Igno-
rieren von wichtigen Forschungsergebnissen führt. War-
nende Stimmen aus den Kreisen der Gesundheitsforscher
hat es viele gegeben. Damit nun der Wechsel in der Land-
wirtschaft zu einer verbraucherorientierten, sauberen und
ökologischen Landwirtschaft gelingen kann, muss die
Forschung ihren Anteil beisteuern. Bündnis 90/Die Grü-
nen fordern daher für die kommenden Haushalte eine
Stärkung der Landwirtschaftsforschung aus der Zukunfts-
milliarde.

Welche Chancen in der Landwirtschaftsforschung lie-
gen, zeigen beispielsweise Forschungsergebnisse von
bayerischen Biobauern auf, die ohne staatliche Unterstüt-
zung die Problemlösungen für Tierfutter, Nahrungsmit-
telanbau und Energieproduktion mit hochinteressanten
Ergebnissen vorantrieben. So wurde im Mischfruchtan-
bau Gerste gleichzeitig mit der Ölpflanze Leindotter an-
gebaut. Es gab keine Ertragsminderung der Gerste, aber
eine Steigerung der Gerstenqualität. Der Leindotter brach-
te über das Pflanzenöl zusätzlich Energie, und zwar mehr
als zur Bewirtschaftung des Ackers notwendig war.
Gleichzeitig entstand aus dem Pressen dieses Leindotters
ein eiweißreiches Tierfutter. Das zeigt: Es gibt Möglich-
keiten für einen Ersatz von Tiermehl und gentechnischem
Soja durch einen entsprechenden Anbau auf unseren Fel-
dern, ohne dass dabei dem Nahrungsmittelanbau Konkur-
renz gemacht wird. Das ist ökologischer Landbau.

Solche Forschungen wurden in unserem Lande jahre-
lang nicht vorangetrieben. Wir werden uns dafür einset-
zen, dass die Forschung solche neuen Ergebnisse insge-
samt aufgreift und darauf aufbaut.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Einen Beginn haben wir in der rot-grünen Regierung be-
reits gemacht, beispielsweise mit der Neugründung eines
Institutes für die Erforschung des ökologischen Landbaus
in Trenthorst. Der gesamte Bereich der grünen Biotechno-
logieforschung ist unter den Erfahrungen der BSE-Krise
kritisch neu zu bewerten. Kritiker sagen für gentechnisch
veränderte Pflanzen ähnliche Risiken voraus, wie sie kri-
tische Forscher für BSE bereits vor Jahren geäußert hat-
ten. Wir begrüßen daher den gestrigen Stopp der Ver-
handlungen zwischen Regierung und Industrie zum
Anbau gentechnisch veränderter Lebensmittel.

Wir Grüne sehen die starke Fokussierung der biotech-
nologischen Forschungsförderung auf gentechnische
Fragen mit einem gewissen Unbehagen, auch wenn die
Sicherheitsforschung und ethische Begleitforschung da-
durch deutlich gestärkt wurden. Wir erkennen aber Defi-
zite in der Forschungsförderung von gentechnikfernen
Zweigen der Biotechnologie. Ich nenne hier: Bionik, Far-
ben oder Treibstoff aus Pflanzen sowie Medikamente aus
der Biodiversität der Natur. Grüne stehen für Biotechno-
logie. Aber wir wollen verstärkt Biotechnologieforschung
in Bereichen, die eben nicht durch berechtigte Bedenken
belastet sind.




Hans-Josef Fell

14259


(C)



(D)



(A)



(B)


Lassen Sie mich zum Ende kommen. Der vorliegende
Forschungsbericht 2000 bietet eine Fundgrube an exzel-
lenten Informationen über die deutsche Forschungsland-
schaft. Aus ihm lassen sich die Grunddaten für die Verän-
derung der kommenden Jahre in der Forschung sehr gut
ableiten. Er zeigt aber auch auf, welch hohes Niveau die
bundesdeutsche Forschung aufweist.

Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen
wird weiterhin gemeinsam mit der Bundesregierung für
eine Stärkung und Modernisierung der Forschung eintre-
ten, vor allem mit Blick auf die Umsetzung der Nachhal-
tigkeitsziele von Rio.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414601800
Ich erteile der Kolle-
gin Ulrike Flach, F.D.P.-Fraktion, das Wort.


Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1414601900
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Der Bundesbericht Forschung 2000 ist in dop-
pelter Hinsicht ein gewichtiges Werk: erstens physisch mit
rund 1 900 Gramm und zweitens als wichtigstes Über-
sichtswerk über die Forschungslandschaft in Deutschland.
Ich darf mich als Vorsitzende des Forschungsausschusses
herzlich bedanken: Der Bericht ist erfreulich übersichtlich
und lesbar. Wir werden ihn gut gebrauchen können.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der PDS)


Es wird allerdings niemanden verwundern, dass ich
trotzdem noch einige Kritikpunkte anfüge.


(Jörg Tauss [SPD]: Jetzt dachten wir gerade, es wäre alles gut! – Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Es fing so schön an!)


– Lassen Sie mich Ihnen zuliebe, Herr Tauss, mit dem Po-
sitiven beginnen. Die Investitionen in Forschung und
Entwicklung sind gestiegen, der Bericht bekennt sich zu
einer wettbewerblich organisierten Projektförderung und
zu einer regelmäßigen Überprüfung der Wissenschaftsor-
ganisationen bezüglich der Qualitätssicherung der For-
schung. Das ist urliberales Denken. Ich begrüße, dass dies
auch bei Ihnen Fuß gefasst hat, Frau Bulmahn.


(Beifall bei der F.D.P.)

Mir fehlt die Zeit, auf alle Forschungsbereiche einzu-

gehen. Fest steht: Deutschland ist vor allem in der Brei-
tenforschung gut, hat auch in einigen Bereichen aufgeholt;
dennoch liegen wir bei der Entwicklung der Investitionen
in Forschung insgesamt seit zehn Jahren hinter Japan und
den USA– und das mit wachsendem Abstand. Eine Trend-
wende, die trotz aller vollmundigen Erklärungen nicht ein-
getreten ist – Frau Bulmahn, ich möchte Sie an dieser
Stelle an Ihre Versprechungen im Wahlkampf erinnern –,
können wir bisher nur in Ihren Reden, weniger in Ihren Ta-
ten nachvollziehen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Lasst Zahlen sprechen!)


In der Spitzenforschung zeigt sich dieses besonders.
Nach wie vor haben wir keine Struktur, wie von uns allen
gewünscht, die eindeutig auf Centers of Excellence, an
denen erstklassige Wissenschaftler unter hervorragenden
Bedingungen arbeiten können, ausgerichtet ist. Dass dies
auch nicht so einfach ist, hat Herr Dr. Friedrich gerade mit
dem Beispiel der IuK-Akademie in Bonn sehr klar und
deutlich belegt. Spitzenforschung ist vernetzte Forschung
und Sie, Frau Bulmahn, stehen vor der sehr schwierigen
Aufgabe, mit Bund, Land, Kommune und Universität so
etwas auf den Weg zu bringen, damit es endlich schneller
und zügiger vonstatten geht und uns die Wissenschaftler
nicht wegrennen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist – auch vor dem Hintergrund der Koordinie-
rungsaufgabe der Bundesforschungsministerin – ganz in
unserem Sinne, dass der Wissenschaftsrat am Montag
dem Bund empfohlen hat, die Gesundheitsforschung und
den Verbraucherschutz durch Ihr Ministerium, das Wis-
senschaftsministerium, und nicht durch die Ministerele-
vin Renate Künast zu koordinieren.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dies soll jeweils in Abstimmung mit der Hochschulfor-
schung und der außeruniversitären Forschung geschehen.
Frau Bulmahn, das ist eine Chance, die Sie wirklich nut-
zen sollten.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie haben bei der größten Gesundheitskrise der letzten
Jahre reagiert. Wir wünschen uns allerdings – gerade auf
den gestrigen Ausschussdiskussionen basierend – mehr
Tempo. Es mag üblich sein, erst einmal Programme zu
sortieren, Länder abzufragen und Schwerpunkte festzule-
gen; aber diese Situation erfordert eine deutlich schnellere
Vorgehensweise als üblich. Hier geht es um die Gesund-
heit unserer Bevölkerung und es geht selbstverständlich
auch um die Existenz zahlreicher Landwirte. Das erfor-
dert unbürokratisches und zügiges Vorgehen.

Ich begrüße an dieser Stelle ausdrücklich für uns, dass
Sie Geld aus dem Gesundheitsforschungsprogramm für
die BSE-Forschung einsetzen wollen. Ich begrüße auch
ausdrücklich den von Ihnen betonten europäischen An-
satz der Forschung. Der Fehler der englischen Regierung,
die Gängelung der BSE-Forschung, darf sich bei uns nicht
wiederholen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Kollege Fell, er darf übrigens auch nicht durch eine vor-
eilige Festlegung auf die allheiligmachende ökologische
Landwirtschaft entstehen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)





Hans-Josef Fell
14260


(C)



(D)



(A)



(B)


Es gibt bisher keine Forschungsergebnisse, die belegen,
dass die ökologische Landwirtschaft die Lösung ist.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das genau ist das Problem, wir hatten früher keine Forschung!)


– Forschung macht nur Sinn, Kollege Fell, wenn sie vor-
urteilsfrei ansetzt.


(Beifall des Abg. Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU])


Frau Ministerin, 15 Millionen DM sind schön und gut,
aber man muss auch die richtigen Fragen stellen und die
richtigen Projekte anschieben. Der F.D.P. geht es dabei im
Sinne des Verbrauchers ganz konkret um drei Punkte: Wir
brauchen ein Forschungsprojekt zur Entwicklung eines
BSE-Schnelltests am lebenden Rind, ein Forschungspro-
jekt zur Entwicklung eines Heilmittels für BSE und ein
Projekt zur Züchtung BSE-immuner bzw. -resistenter
Rinder, wie es der Genforscher Weissmann im „Focus“
dieser Woche zu Recht gefordert hat.


(Beifall bei der F.D.P.)

Das sind die Fragen, die die Verbraucher und die Land-
wirte umtreiben.

Unabhängig von dieser aktuellen Forschungsdebatte
möchte ich im Folgenden noch auf einige Standortnach-
teile eingehen, die unserer Meinung nach daran schuld
sind, dass wir uns in der Bundesrepublik nach wie vor bei
der internationalen Schul- und Forschungslandschaft auf
einem sehr mäßigen Platz befinden:

Erstens: Mangelnder Nachwuchs. Wo man hingeht, je-
der jammert über Nachwuchsmangel in der Wissen-
schaft; vor allem bei Ingenieuren, Mathematikern und Na-
turwissenschaftlern. „Deutschland laufen die Forscher
weg“, so warnt der Präsident der Max-Planck-Gesell-
schaft, Hubert Markl. Doktorandenstellen können oft nicht
besetzt werden. Dies alles ist ein Skandal. Ich muss darum
bitten, dass wir dieses Problem endlich einmal aktiv ange-
hen. Wir müssen in Deutschland mehr junge Leute für die
Naturwissenschaften begeistern, es fehlt eine breit ange-
legte Werbekampagne. Einzelprojekte wie „Saturday mor-
ning physics“ sind gut, reichen aber nicht aus.

Wir müssen viel früher ansetzen, nämlich in den Schu-
len, und zwar bereits in den Grundschulen. Auch in diesem
Punkt ist der Bericht eindeutig; er betont ausdrücklich den
Zusammenhang zwischen Bildung und Forschung. Es
muss jedoch beunruhigen, wenn wir 25 Prozent weniger
Erstsemester im Studiengang für das Lehramt Physik ha-
ben und nur noch jeder zehnte Gymnasiast Physik oder
Chemie als Leistungskurs belegt. Das sind Alarmzeichen,
die wir als Politiker nicht mehr länger ignorieren dürfen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Im internationalen Vergleich sind unsere Erstsemester

mit durchschnittlich 22 Jahren zu alt und die Postdoc-
Phase ist mit acht bis zehn Jahren nach wie vor zu lang.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft weist in einem
Strategiepapier zur Nachwuchsförderung darauf hin, dass
Wissenschaftler bei uns oft bis ins fünfte Lebensjahrzehnt
nicht selbstständig forschen. Auslandsaufenthalte behin-

dern oft, weil der Forscher hinterher keine Stelle mehr fin-
det, und Hausberufungsverbote behindern die Auswahl
der Bestqualifizierten. Frau Bulmahn, die Förderung der
Wissenschaftler muss verbessert werden gerade vor dem
Hintergrund, dass Sie das Emmy-Noether-Programm
nicht aufgestockt haben; dieses Programm dümpelt wei-
ter im Kleinen vor sich hin.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Eine gute Entwicklung der Forschung im Bereich der
Naturwissenschaften können wir heute – darüber freue
ich mich – im Osten verzeichnen. Dort haben die Länder
viel getan und dort hat auch die alte Regierung Erhebli-
ches geleistet. Dort bilden sich Cluster- und Innovations-
zentren mit Wirkung auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt.
Bio-Regio der alten und Inno-Regio der neuen Regierung,
Herr Tauss, haben hier viel Gutes bewirkt.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es gibt aber ein Problem: Die immer noch geringere
Bezahlung nach BAT Ost sorgt für die Abwanderung von
Spitzenleuten in den Westen oder ins Ausland. Die pau-
schale Stellenkürzung, Frau Bulmahn, von jährlich
1,5 Prozent bei den Instituten der Leibniz-Gemeinschaft,
die primär im Osten sitzen, macht es den Forschern
schwer, ihre Aufträge zu erfüllen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweites Problem: Auslandsmarketing. Im Bundesbe-
richt Forschung 2000 kommt das Thema nicht vor. Ich
freue mich, dass Sie eben angeregt haben, dies in Zukunft
zu ändern. Es wäre auch sehr schön, wenn Sie dieses für
uns sehr wichtige Thema bei einer Kabinettssitzung ein-
mal Ihrem Kollegen Fischer vermitteln könnten. Nach wie
vor leben wir damit, dass Goethe-Institute im Ausland ge-
schlossen werden. Damit haben wir einen der Türöffner,
den es für ausländische Studenten gibt, wieder blockiert.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ihre Rückrufaktion für deutsche Wissenschaftler im
Ausland kann bei der F.D.P. nur ein müdes Lächeln her-
vorrufen. Ich frage mich, wieso ein Wissenschaftler, der
tagtäglich Reden wie beispielsweise die von Herrn Fell
hört und eine Atmosphäre einer voreingenommenen Wis-
senschaftsdiskussion erfährt, wieder zurückkommen soll.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Weitere Defizite kommen hinzu, zum Beispiel ein ver-
krustetes Hochschuldienstrecht. Frau Bulmahn, es ist
schön, dass Sie das erkannt haben. Allerdings muss ich Ih-
nen vorhalten: Bei der Debatte darüber heute Abend lie-
gen zwei Anträge von F.D.P. und CDU/CSU auf dem
Tisch – und keiner aus Ihrem Haus. Das ist die Lücke, die
wir nach wie vor zu beklagen haben. Das Ganze führt
dazu, dass wir nach wie vor nicht dazu in der Lage sind,
international zu agieren. Unsere Professoren haben zu ge-
ringe Gehälter. Ich darf erneut Herrn Markl von der MPG




Ulrike Flach

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zitieren, der sagt: „Es reicht nicht mehr, mit dem Ruhm zu
wedeln.“ Auch Naturwissenschaftler lesen die Zeitung
und wissen, was in der Industrie verdient wird. Vor die-
sem Hintergrund wundert es mich nicht, dass sie nicht an
die Universitäten gehen.

Die USAsteigerten ihren Forschungsetat – nur, um das
einmal in Erinnerung zu rufen – im Jahre 2000 um 14 Pro-
zent, die Briten um 7 Prozent.


(Jörg Tauss [SPD]: Das würden wir auch gerne machen!)


Das sind die Richtgrößen, die für uns Maßstab sein soll-
ten, wenn wir Ihnen begeistert zujubeln sollen, wenn Sie
uns erzählen, welche großen Fortschritte diese For-
schungslandschaft unter Ihrer Ägide gemacht hat. Da
können wir noch etwas zulegen, Frau Bulmahn.


(Ulrich Kasparick [SPD]: Wir machen 10 Prozent mehr!)


Frau Ministerin, wir stimmen, wie Sie wissen, mit
Ihren Zielen oft überein. Das macht der vorliegende Be-
richt auch deutlich. Leider fehlt Ihnen nach wie vor die
Durchschlagskraft, die wir uns für Sie und für dieses Land
sehr wünschen. Sie regieren nicht, Sie reagieren sehr oft.
Jetzt, wo die Hälfte Ihrer Kabinettskollegen entweder neu
oder angeschlagen ist, sollten Sie die Gelegenheit nutzen,
um einmal so richtig loszulegen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Erweitern Sie Ihren Spielraum! Kommen Sie mit Refor-
men, nicht mit Reförmchen! Wenn Sie wirklich einen
Aufbruch in der deutschen Bildungs- und Forschungs-
landschaft wollen, dann kommen Sie mit uns, Frau
Bulmahn. Sie werden uns dort finden, wo die F.D.P. im-
mer ist: nämlich an der Spitze des Fortschritts.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414602000
Ich erteile der Kolle-
gin Maritta Böttcher, PDS-Fraktion, das Wort.


Maritta Böttcher (PDS):
Rede ID: ID1414602100
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Ich überlege noch, ob ich
mit zur Spitze komme, Frau Flach.


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Natürlich!)

Der Forschungsbericht unterliegt – das ist hier schon

deutlich geworden; ich will das unterstreichen – seit Jahr-
zehnten einer Schieflage. Der Beitrag, den die Forschung
für die gesellschaftliche Entwicklung insgesamt erbringen
könnte, ist systematisch vernachlässigt worden. Die aktu-
elle BSE-Debatte macht exemplarisch deutlich, wovon ich
spreche: Beim Streben nach einem Höher, Schneller und
Weiter in der agrarindustriellen Produktion, die einem ver-
schärften Konkurrenzdruck ausgesetzt ist, kamen Fragen
nach den Folgen für die Umwelt und die Gesundheit der
Verbraucherinnen und Verbraucher unter die Räder. Das
BMBF hat gestern zwar eine Liste mit BSE-relevanten
Projekten an Hochschulen und Forschungseinrichtungen
zusammengestellt, im vorliegenden Forschungsbericht
kommt aber nicht einmal der Begriff BSE vor.

Dieses aktuelle Beispiel unterstreicht die Notwen-
digkeit einer sozialökologischen Umorientierung der
Forschungspolitik des Bundes. Eine nach wie vor unter-
geordnete Rolle spielen unter anderem das Welternäh-
rungsproblem, die globale Klimakatastrophe, die drohende
Deindustrialisierung und Entvölkerung ganzer Landstri-
che im Osten Deutschlands und Europas. Es geht mit an-
deren Worten um die Mobilisierung wissenschaftlicher
Kompetenz für die Lösung der Konfliktdimensionen
Mensch-Natur, Mann-Frau, Nord-Süd, West-Ost oder
Arm-Reich.

Damit sind wesentliche Herausforderungen für die
Forschungspolitik des 21. Jahrhunderts benannt, von der
wir einen entscheidenden Beitrag zum sozialökologi-
schen Umbau unserer Gesellschaft erwarten. Das verlangt
aber zunächst, dass wir die Eigenständigkeit der For-
schungs- und Technologiepolitik gegenüber der Wirt-
schafts- und Industriepolitik akzeptieren. Die Abspaltung
des Technologieressorts aus dem ehemaligen Bundesmi-
nisterium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und
Technologie macht die Einlösung dieses Anspruchs auf
jeden Fall nicht leichter.

Ich nehme durchaus zur Kenntnis, dass der vorliegende
Bericht neue Akzente erkennen lässt, was die eingangs
von mir betonte gesellschaftspolitische Funktion von For-
schungs- und Technologieförderung betrifft. Frau Minis-
terin, Sie haben es sich zumindest zum Ziel gesetzt, das
einseitig dem ökonomischen Standortwettbewerb unter-
geordnete forschungspolitische Verständnis der Vorgän-
gerregierung nicht ungebrochen fortzusetzen, und haben
sich vorgenommen, die gesellschaftlichen Aufgaben des
wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts ernst zu nehmen.

Die Erhöhung der Haushaltsmittel für die For-
schungsförderung ist unbestreitbar und grundsätzlich
auch anzuerkennen. Wir kritisieren aber die einseitige
Schwerpunktsetzung: Die größten Steigerungsraten gibt
es in den Bereichen molekulare Medizin, Genomfor-
schung und Biotechnologie. Mit der Gentechnologie wird
einer Risikotechnologie Priorität – es geht um Priorität! –
eingeräumt, die aufgrund ihrer Gefahren, ihrer ethischen
Grenzüberschreitungen und ihres fragwürdigen Nutzens
gesamtgesellschaftlich äußerst umstritten ist.


(Beifall bei der PDS)

Es ist bemerkenswert, dass unter der Verantwortung einer
rot-grünen Regierung ein Sechstel der Mittel des Zukunfts-
investitionsprogramms in die Genomforschung fließen und
dies von den Grünen leidenschaftlich begrüßt wird.

Die Forschungsförderung des Bundes weist insge-
samt ein Ungleichgewicht auf; ihre Struktur wird der Not-
wendigkeit einer sozialökologischen Umorientierung der
Forschungs- und Technologiepolitik nicht gerecht. Auf
Förderbereiche wie Weltraumforschung und Weltraum-
technik, nukleare Energieforschung und Kernfusionsfor-
schung, Informationstechnik und Fertigungstechnik, Ma-
terialforschung, Innovationsförderung sowie die bereits
erwähnte Biotechnologie und die gendeterminierte Ge-
sundheitsforschung entfallen nach wie vor die Löwenan-
teile der Forschungsausgaben des Bundes.

Die technologieorientierte Forschung dominiert abso-
lut, während die Förderbereiche Geistes-, Wirtschafts-




Ulrike Flach
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und Sozialwissenschaften oder Bildungsforschung auf
äußerst niedrigem, geradezu marginalem Niveau stagnie-
ren: Weniger als 5 Prozent der Forschungsausgaben des
Bundes fließen in diesen Bereich.

Ungebrochen ist hingegen auch unter Rot-Grün die Be-
deutung der Militärforschung. Jede achte Forschungs-
mark wird erklärtermaßen für Militärforschung ausgege-
ben. Darin ist noch nicht die Förderung von Technologie
mit Dual-Use-Charakter enthalten, die eine indirekte
Form der Rüstungsforschung darstellt.

Die unter dem Förderbereich „umweltgerechte nach-
haltige Entwicklung“ subsumierten Programme wurden
zwar erfreulicherweise verstärkt, haben aber insgesamt
nach wie vor eine untergeordnete Bedeutung; ihr Anteil
macht gerade ein Zwölftel der Gesamtausgaben aus.
Zweieinhalb Jahre nach dem Regierungswechsel führen
sozialökologische Wissenschaftsansätze immer noch ein
Schattendasein in der deutschen Wissenschaftslandschaft.

Die Umwandlung der Hochschulen in marktgesteu-
erte Dienstleistungsunternehmen gefährdet kritische,
nicht marktangepasste Wissenschaftsansätze.


(Beifall bei der PDS)

Zur Stunde führen die Studierenden des Otto-Suhr-Insti-
tuts der Freien Universität Berlin einen Aktionstag gegen
geistigen Kahlschlag durch.


(Beifall des Abg. Dr. Winfried Wolf [PDS])

Ich möchte den beteiligten Studierenden und Lehrenden
auch von dieser Stelle aus meine Solidarität aussprechen.


(Beifall bei der PDS)

Die Bundesregierung fordere ich auf, in ihrer For-

schungspolitik kritischen, alternativen und nicht ökono-
misch verwertbaren Wissenschaftsansätzen einen gesi-
cherten Status zu geben.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Das ist richtig!)

Zugleich trete ich dafür ein, dass die Hochschulen als
Schnittstellen von Forschung, Lehre und Studium wieder
zur tragenden Säule des bundesdeutschen Wissenschafts-
systems werden und die sukzessive Auswanderung der
Forschung in außeruniversitäre Forschungseinrichtungen
und in die Wirtschaft gestoppt wird.


(Beifall bei der PDS)

Das gilt auch für die Fachhochschulen, die in der For-

schungspolitik des Bundes systematisch benachteiligt
werden. Der Anteil der von Fachhochschulen beantragten
Forschungsvorhaben an allen von der Deutschen For-
schungsgemeinschaft geförderten Projekten beträgt ge-
rade einmal 0,2 Prozent.


(Ulrich Kasparick [SPD]: Der Anteil ist gerade gesteigert worden! Es ist falsch, was Sie sagen!)


– Der Anteil beträgt 0,2 Prozent, trotz Aufstockung! Das
muss hier gesagt werden können und das muss zur Kennt-
nis genommen werden.


(Jörg Tauss [SPD]: Die Entwicklung ist entscheidend!)


Die Bundesregierung stellt in ihrer Forschungspolitik
die bisherige strikte Unterscheidung von Grundlagenfor-
schung und anwendungsorientierter Forschung infrage.
Wenn dies zutrifft, so erlangt aber auch die Arbeitsteilung
zwischen Universitäten und Fachhochschulen in der For-
schung eine neue Bedeutung. Die Fachhochschulen, die
bisher auf die anwendungsorientierte Forschung verwie-
sen worden sind, während die Grundlagenforschung den
so genannten wissenschaftlichen Hochschulen, den Uni-
versitäten, vorbehalten blieb, müssen gleichberechtigte
Partner in der Forschungspolitik des Bundes und der Län-
der werden. Ich fordere daher eine strukturelle Öffnung
der DFG für die Fachhochschulen. Die Wissenschaftspo-
litik der Bundesregierung darf die Fachhochschulen nicht
länger bremsen, sondern muss ihre Entwicklung aktiv un-
terstützen.

Über die Personalstruktur und das Dienstrecht an Hoch-
schulen und Forschungseinrichtungen reden wir ja heute
noch. Deshalb an dieser Stelle nur so viel: Was den gleich-
berechtigten Zugang von Frauen zu Wissenschaft und
Forschung angeht, hat sich die Situation nicht grundle-
gend verbessert. Die Lage an den außerhochschulischen
Forschungseinrichtungen ist diesbezüglich noch düsterer
als an den Hochschulen. Bei den Führungspositionen an
Forschungseinrichtungen in den alten Bundesländern liegt
der Frauenanteil bei verschwindenden 2 Prozent. Auch aus
diesem Grunde ist eine Strukturreform der Personalverfas-
sung an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen
geboten. Leider warten wir bis heute auf den versproche-
nen Gesetzentwurf der Bundesregierung.

Lassen Sie mich abschließend etwas zur viel diskutier-
ten Internationalisierung von Wissenschaft und For-
schung sagen. Mit dem Stichwort „Internationalität deut-
scher Forschung“ zeigt der Bundesbericht am deutlichsten,
dass sich die neue Bundesregierung keineswegs vollständig
von der Standortpolitik der alten Regierung Kohl emanzi-
piert hat. Internationalisierung von Wissenschaft und For-
schung wird in erster Linie als Europäisierung verstanden
und dort wiederum stark auf die Mitgliedstaaten der Euro-
päischen Union bezogen. Im globalen Maßstab wird Inter-
nationalisierung vor allem unter das Verdikt der „Tria-
denkonkurrenz“ Europas mit Japan und den USAgestellt.
Wir brauchen aber eine gleichberechtigte und partner-
schaftliche Kooperation mit allen Völkern dieses Erd-
balls.

Frau Ministerin, ich kann Ihnen den guten Willen nicht
absprechen und will es auch nicht tun. Aber ich muss sa-
gen, dass die bisherigen Ergebnisse Ihrer Arbeit noch zu
wenige Belege für den Vollzug der angekündigten sozial-
ökologischen Neuorientierung der Forschungspolitik ent-
halten. Der Regierungswechsel ist bereits Geschichte; der
qualitative Politikwechsel steht allerdings noch aus. Des-
halb möchte ich mit Ihnen – wenn es sein muss, auch mit
Frau Flach – an die Spitze vordringen.

Danke.

(Beifall bei der PDS – Ulrike Flach [F.D.P.]: Aber nur, wenn es sein muss!)





Maritta Böttcher

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Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414602200
Ich erteile nun das
Wort dem Kollegen Jörg Tauss, SPD-Fraktion.


Jörg Tauss (Plos):
Rede ID: ID1414602300
Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine lieben Kolleginnen! Meine lieben Kollegen! Ich
will mich dem Dank der Opposition für den Bundesbe-
richt Forschung selbstverständlich anschließen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mit diesem Bericht legt die Bundesregierung dem
Deutschen Bundestag alle vier Jahre


(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/CSU]: Fünf Jahre!)


eine sehr umfassende Darstellung zur Forschungspolitik
in Deutschland vor. Dieser Bericht gibt – Herr Kollege
Friedrich, Sie müssen natürlich pflichtgemäß protestie-
ren – in aller Klarheit Auskunft über folgenschwere for-
schungspolitische Versäumnisse in den 90er-Jahren. Er
gibt gleichzeitig die richtigen Hinweise auf die Neuaus-
richtungen und auf die Schwerpunktsetzungen in der
Forschungspolitik für die nächsten Jahre.

In den 90er-Jahren wurde zu wenig – darauf wurde
schon ausführlich von dem Kollegen Fell hingewiesen – in
Deutschlands Zukunft investiert. Lieber Kollege Friedrich,
die Erklärung, daran sei Herr Honecker schuld, ist einfach
zu dünn. Sie sollten sich nicht hinter Herrn Honecker ver-
stecken, sondern sich klar zu den eigenen Versäumnissen
bekennen. Auch das gehört zur Wahrheit und zum politi-
schen Anstand.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


In den 90er-Jahren haben Sie die Ausgaben für Bil-
dung und Forschung stark gekürzt, während es in den
Vereinigten Staaten und Japan immense Steigerungen
gab. Jetzt sprechen Sie davon, dass es heute im For-
schungsbereich nur eine kleine Erhöhung in der Größen-
ordnung der Inflationsrate gebe. Die Inflationsrate liegt
bei deutlich unter 2 Prozent, während in diesem Jahr die
Ausgaben für Bildung und Forschung in unserem Haus-
halt um über 9 Prozent steigen. Ihre Interpretation der
Zahlen stimmt einfach nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ebenso wenig, wie Sie der Forschung in Deutschland
in der Vergangenheit die notwendige Mittelaufstockung
gewährt haben, die dringend notwendig gewesen wäre,
um den Anschluss an andere Industrienationen nicht zu
verlieren, haben Sie die längst überfälligen Reformen der
strukturellen und rechtlichen Rahmenbedingungen für
eine zukunftsfähige Forschung in Deutschland eingelei-
tet. Auch an diesem Versäumnis ist Herr Honecker nicht
schuld, Herr Friedrich.

Aus den Versäumnissen, die Sie zu verantworten ha-
ben, haben sich strukturelle Probleme für den For-
schungsstandort Deutschland ergeben. Die jetzt not-
wendigen strukturellen Reformen sind von uns in Angriff

genommen worden – die Ministerin hat sie schon er-
wähnt –: die Modernisierung der Forschungslandschaft
und die Reform des Dienstrechtes an den Hochschulen.

Gegen viele dieser Prozesse – heute haben sich Ihre
Einwände vergleichsweise moderat angehört – erheben
Sie vor Ort, zum Beispiel in Bayern, lebhaften Protest.
Der Kollege Rachel glaubt, die Beschäftigten an den For-
schungseinrichtungen mit negativen Meldungen über die
Reformprozesse beglücken zu müssen. Sie erheben Pro-
test, ohne selbst Alternativen vorzulegen. Sie verkürzen
die Sachverhalte polemisch und in unzulässiger Weise.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Sie sind ja ganz nervös!)


Die von Ihnen vorgetragenen Einwände sind in bewun-
dernswerter Form untereinander völlig inkompatibel.
Herr Kollege Rachel, angesichts dieser Inkompatibilität
Ihrer eigenen Vorstellungen brauche ich nicht nervös zu
sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)


In dem Bericht wird völlig zu Recht festgestellt, dass
„der selbstverständliche Zusammenhang von Forschung
und Bildung lange Jahre übersehen wurde“. Auch dieses
ist Ihr Versäumnis.

Frau Kollegin Flach, die heute vorzufindenden Pro-
bleme, die wir alle sehen können, reichen vom Nach-
wuchsmangel in der Wissenschaft – auch das ist eine
Folge von unflexiblen und verkrusteten Strukturen – bis
hin zur fehlenden Motivation und Bereitschaft junger
Menschen, eine akademische naturwissenschaftliche
Laufbahn zu wählen. Diese Mängel jedoch sind alle nicht
erst gestern aufgetreten. Sie haben sich vielmehr im Laufe
der Jahre entwickelt. Aus diesem Grunde wäre es auch
gut, Frau Kollegin Flach, wenn Sie diesen Zustand nicht
nur beschreiben, sondern wenn Sie sich auch zu den von
Ihnen eingeleiteten Fehlentwicklungen klar bekennen
würden.
Auch das würde zur politischen Ehrlichkeit gehören.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich stimme Ihnen völlig zu: Es ist ein absolutes Un-
ding, dass bei der Zahl der Studienanfänger in Physik ein
Rückgang um 80 Prozent zu verzeichnen ist. Von den In-
genieurberufen will ich an dieser Stelle gar nicht spre-
chen. Aber wenn wir über den Mangel an Fachkräften re-
den und über wichtige Initiativen diskutieren, wie
beispielsweise in einem Bereich die Green-Card-Aktion,
dann kommen von Ihrer Seite, wie im NRW-Wahlkampf,
verantwortungslose polemische Sprüche statt inhaltlicher
Argumente, obwohl diese Maßnahmen ein wichtiger Bei-
trag sind, hier ein Stück weit gegenzusteuern und die
gröbsten Probleme zu beseitigen.

Das ist nur ein Baustein im Maßnahmenbündel. Da-
rüber hinaus brauchen wir ein Sofortprogramm zur Wei-
terentwicklung der Informatikstudiengänge. Dieses ist
angepackt worden. Wir brauchen die Steigerung der Zahl
der Ausbildungsplätze in den IT-Berufen. Das ist mit der






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Wirtschaft vereinbart worden. Wir brauchen die intensive
Förderung von Bildungssoftware. Dieses Projekt ist mit
sehr viel Geld auf den Weg gebracht worden.

Das alles sind Belege dafür, dass die Probleme, die wir
geerbt haben, von dieser Bundesregierung nicht nur er-
kannt worden sind, sondern auch ernst genommen und an-
gepackt werden. Wir bitten um Ihre freundliche Unter-
stützung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die SPD-Fraktion begrüßt daher, Frau Ministerin, aus-
drücklich die mit dem Regierungswechsel begonnene
Neuausrichtung der Forschungspolitik. Viele der in
Angriff genommenen Reformvorhaben und viele neue
Akzentuierungen in der Forschungs- und Förderpolitik
sind richtig. Die Internationalisierung von Lehre und For-
schung, das Durchbrechen von Überreglementierung und
komplizierten Entscheidungsprozessen, die Verbesserung
des Wissenstransfers an der Schnittstelle von Wirtschaft
und Wissenschaft – Stichwort Info-Mining; da können wir
alle miteinander noch einiges tun –, die Entwicklung von
Leitprojekten und die klare Prioritätensetzung bei der
Leistungsförderung – all dies sind notwendige und richtige
Entscheidungen, die Sie, lieber Kollege Friedrich, eigent-
lich mit starkem Beifall begrüßen müssten. Sagen Sie des-
halb an dieser Stelle ein klares Ja zur Programmsteuerung
und hören Sie auf, Verunsicherung zu säen. Geben Sie zu,
dass das, was die Bundesregierung hier angepackt hat, der
richtige Weg ist, statt mit Ihrer Lokalzeitung darüber zu
diskutieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Bundesregierung hat ihre Forschungs- und Förder-

politik an programmatischen Schwerpunkten ausgerich-
tet, auf die ich nicht im Detail eingehen möchte. Ich
möchte jedoch einige Schlüsselbereiche nennen, zunächst
die Informations- und Kommunikationstechnik. Ihr
kommt eine wesentliche Bedeutung zu. Wir müssen in
diesem Zukunftsbereich wieder Anschluss an die Spitze
gewinnen. Sie haben immer von der Wissens- und Infor-
mationsgesellschaft geredet. Wenn man von den Multi-
mediagesetzen absieht – über die man auch diskutieren
kann, weil sie eine durchaus unterschiedliche Qualität ha-
ben –, haben Sie es versäumt, Ihre Sonntagsreden zur In-
formations- und Wissensgesellschaft politisch und for-
schungspolitisch zu begleiten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zu nennen ist an dieser Stelle die Förderung der Bio-
technologie, mit der, gerade bei der Bekämpfung von
Krankheiten, wichtige Innovationsprozesse gefördert
werden. Wir hoffen, Frau Gesundheitsministerin, Ihnen
auf diesem Gebiet viele Ergebnisse vorweisen zu können,
damit Sie Ihren Etat schonen können und vor allem ein
Beitrag dazu geleistet wird, dass die Menschen weniger
häufig krank werden. Deshalb wollen wir die Lebenswis-
senschaften, die Gesundheitsförderung insgesamt mit Ih-
nen gemeinsam ausweiten. Bei allen politischen Diskus-
sionen auf diesem Feld geht es um die Frage, wie wir mit
den Ergebnissen dieser Forschung für die Menschen eine

leistungsfähige und dabei wirtschaftliche Versorgung si-
cherstellen können. Auch das ist ein wichtiger Punkt.

Auf alle Punkte kann man nicht eingehen. Aber man
kann sagen: Der vorliegende umfängliche Bericht gibt
Antworten zu Forschungsprojekten von der Gesundheit
auf der Erde bis hin zur Raumfahrt. In all diesen Berei-
chen werden wichtige Initiativen ergriffen.

Die Ministerin verdoppelt die Mittel zur Förderung
der interdisziplinären Innovations- und Technikana-
lyse. Das ist ein Punkt, der von Ihnen immer kritisch ge-
sehen worden ist; gelegentlich wurde sogar polemisiert,
wurden die Risiken in den Mittelpunkt gestellt und die
Chancen nicht gesehen. Wir müssen beides tun: Wir müs-
sen Chancen und Risiken bewerten.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Als Stichwort sei hier der gesamte Bereich „Wissenschaft
im Dialog“ genannt. Wie notwendig dieser Dialog ist,
zeigte sich in den vergangenen Wochen beinahe täglich
beim Blick in die Zeitungen.

Der Bundesbericht Forschung listet umfassend die for-
schungspolitischen Aktivitäten und Ziele der Bundesre-
gierung auf. Wir können feststellen, dass wir in einigen
Forschungsfeldern – trotz, nicht wegen Ihrer Politik – an
der Spitze stehen. Dazu gehören die Nanotechnologie, die
kombinatorische Chemie und die Entwicklungsbiologie,
um nur einige Felder zu nennen.

In den neuen Bundesländern, wo wir sicherlich noch
Sorgen haben – der Kollege Kasparick wird darauf noch
im Detail eingehen –, ist der Aufbau der wissenschaftlich-
technischen Infrastruktur immerhin weit vorangekom-
men.

Wenn wir im Übrigen gemeinsam beklagen, Frau
Flach, dass ein Nachwuchsmangel herrscht, dann müssen
wir uns wohl auch darüber unterhalten, dass 50 Prozent
der Menschheit, die Frauen, gerade in der naturwissen-
schaftlichen Forschung nicht anzutreffen sind und dass
uns dies von anderen Nationen unterscheidet. Mit ge-
zielter Nachwuchsförderung gerade für junge Frauen
haben wir wichtige Schritte in diesem Bereich getan. Ich
weiß nicht, woher Sie Ihre Zahlen nehmen; denn nach
dem Bericht – Sie sollten ihn lesen und ihn nicht nur nach
Stichworten durchforsten – werden in die Nachwuchsför-
derung 1,2 Milliarden DM investiert. Das Noether-Pro-
gramm stagniert nicht – auch diese Aussage ist unrich-
tig –, sondern es wird gemeinsam mit den Bundesländern
Stück für Stück aufgestockt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im Mittelpunkt steht vor allem die Förderung junger
Wissenschaftlerinnen. Darauf sind wir, wie ich sagen
möchte, ein Stück weit stolz.

Die letzten Tage und Wochen haben aber auch gezeigt,
meine Damen und Herren, dass Forschungspolitik nicht
eine Politik im abgeschotteten Elfenbeinturm ist. Ich
denke an das Thema BSE und an mögliche Folgen für
den Menschen. Übrigens sei Ihnen, Frau Böttcher, die




Jörg Tauss

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(D)



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(B)


Seite 161 des Berichts zur Lektüre empfohlen. Natürlich
wird BSE in dem Bericht erwähnt; Sie sollten nicht nur
quer lesen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Da habt ihr aber Glück gehabt!)


Aber die Wissenschaft kann natürlich auch einen Bei-
trag dazu leisten – sie sollte dies jedoch nicht tun –, sol-
che Probleme zu ignorieren. Wir sollten den Weizen von
der Spreu trennen, die gesellschaftlichen Probleme auf-
greifen und zu wirksamen Lösungen jenseits von Lobby-
interessen kommen. Wir sollten die wissenschaftlichen
Erkenntnisse und die Notwendigkeit politischen Han-
delns miteinander verbinden. Das gilt für den internatio-
nalen Bereich, zu dem in einem Bericht festgestellt wor-
den ist, dass die Ignoranzquote von Politik gegenüber
erkannten Problemen noch immer viel zu hoch sei; sie
habe sich aber wenigstens nicht verschlechtert.

Lieber Herr Merz, da ich Sie gerade sehe: Wenn ich an
den Begriff „Ignoranzquote“ denke, fallen Sie mir ein; ich
weiß nicht, warum. Was sollen denn Ihre wunderschönen
Aktionen an Tankstellen, die die Zusammenhänge zwi-
schen Energieerzeugung, Energiepreisen und Umweltbe-
lastung leugnen? Genau das ist es, was Sie bei der Öko-
steuer tun: Sie zeigen eine Ignoranz gegenüber wissen-
schaftlichen Erkenntnissen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aus diesem Grunde setzen Sie sich mit Ihrem Aktio-
nismus bei den Bürgerinnen und Bürgern nicht durch und
müssen Ihre Plakate zurücknehmen. Sie richten Schaden
an, ohne die Folgen zu bedenken.

Bleiben wir bei BSE: Es wäre sehr schön, wenn nach
Frau Stamm in Bayern auch Frau Staiblin endlich ginge.
Eine Landwirtschaftsministerin der CDU, die wissen-
schaftliche Erkenntnisse und daraus resultierende Gesetze
gering schätzt, ist in diesem Lande – auch in Baden-Würt-
temberg – untragbar. Auch dort könnte ein Beitrag geleis-
tet werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im Übrigen ist Baden-Württemberg ein Land, das die
Ausgaben für Forschung ebenfalls gekürzt hat, und zwar
entgegen allen Auskünften, die Sie sonst geben. Das ist
nicht Geschwätz, sondern Sie sollten sich einfach einmal
mit den Zahlen – unter anderem des Technologierates der
Landesregierung Baden-Württemberg – beschäftigen. In
dem dortigen Bericht wird die Landesregierung wegen
der Kürzung der Forschungsausgaben kritisiert. Sie neh-
men die Wirklichkeit nicht zur Kenntnis; das ist Ihr Pro-
blem, das Sie immer wieder haben und dessentwegen Sie
gelegentlich Plakate zurückziehen müssen.


(Dr.-Ing. Rainer Jork [CDU/CSU]: Er selbst ist ja ein wandelndes Plakat da vorn, nichts anderes! – Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben als
Politik auch die Aufgabe, ethische Grundlagen des Han-
delns klar zu formulieren. Ich denke, es darf keine Situa-

tion geben – um an eine Frage, die vorhin gestellt wurde,
anzuknüpfen –, in der sich die Wissenschaft unbeobach-
tet über die Gesellschaft verbindende Grundsätze erhebt
oder in der allein wirtschaftliches Tun die Ausrichtung
von Forschung bestimmt oder gar Ethik als Wert ersetzt.
Ich glaube, dies könnte eine Gemeinsamkeit sein, auf die
wir uns auch in diesem Hause verständigen könnten. Wirt-
schaftliches Handeln und ethische Grundsätze können
nicht einfach gleichgestellt werden. Selbstverständlich
sind die Grenzen fließend; dies ist klar. Ethische Grund-
lagen werden durch die Politik gesetzt, wie tages-
aktuelle Beispiele zeigen. Denken wir an die Abtrei-
bungsdebatte in den USA oder an das Klonen in Großbri-
tannien.

Aber ich rede darüber – wenn ich auch auf diese Fra-
gen jetzt nicht im Detail eingehe –, dass wir in diesen
Punkten einen zumindest mehrheitlichen Konsens zwi-
schen Politik, Wissenschaft und Wirtschaft und einen
möglichst breiten Konsens innerhalb der gesamten Ge-
sellschaft brauchen und ihn schnell erzielen müssen. Das
gilt natürlich auch für dieses Parlament.

Dabei dürfen übrigens Wissenschaft und Forschung
nicht in Unklarheit bleiben; ganz im Gegenteil, sie müs-
sen in Klarheit darüber leben können, in welchem Kon-
text sie arbeiten. Ich wiederhole und spitze es zu: Dieser
mehrheitliche Kontext wird sich beispielsweise in der
Biotechnologie weder an dogmatischen Verkürzungen der
einen Seite noch an kritiklosem wirtschaftlichen Handeln
der anderen Seite orientieren dürfen. Weder sollten wir
dogmatische Verkürzungen zum Gegenstand unseres
praktischen Handelns in der Politik machen, noch sollten
wir Handeln kritiklos an wirtschaftlichen Vorgängen ori-
entieren.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414602400
Herr Kollege Tauss,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert?


Jörg Tauss (Plos):
Rede ID: ID1414602500
Bitte schön, lieber Kollege Seifert.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1414602600
Lieber Kollege, Sie haben bei
Ihren Bemerkungen hinsichtlich der dogmatischen Ver-
kürzungen ein bisschen in meine Richtung geschaut. Ich
glaube, das war reiner Zufall.

Eine Frage gestatten Sie mir bitte: Ist es nicht so, dass,
selbst wenn die Mehrheit, wie Sie sagen, ethische
Grundsätze sehr achtet und nur ganz wenige das nicht tun,
diese wenigen irreversible Schäden anrichten können, so-
dass die gesamte Menschheit mit den Folgen leben muss,
wenn zum Beispiel in der Biotechnologie oder in der
medizinischen Genforschung Dinge in die Welt gesetzt
werden, die wir nie wieder loswerden können? Das
Problem dabei ist doch, dass wir mögliche For-
schungsergebnisse nicht zurücknehmen können.


Jörg Tauss (Plos):
Rede ID: ID1414602700
Kollege Seifert, das ist genau das
Problem, über das ich sprach. Im Übrigen, wenn Sie sich
den Schuh des Dogmatikers anziehen wollen, dann will
ich Sie daran nicht hindern. Ich meinte damit aber durch-
aus auch andere: zum Beispiel bestimmte Zirkel von Dog-




Jörg Tauss
14266


(C)



(D)



(A)



(B)


matikern wie etwa Opus Dei, Fundamentalisten einer
ganz anderen Seite. Möglicherweise gibt es solche Fun-
damentalisten auch in Vorstandsetagen einiger Unter-
nehmen.

Unsere Rahmenbedingungen – das war meine Aus-
sage – benötigen im Interesse der Wirtschaft und der For-
schung eine möglichst breite gesellschaftliche Akzeptanz,
die nur im Diskurs und im Abwägen des Für und Wider
gewonnen werden kann. Wir haben eine Debatte über die
Notwendigkeit und die Chancen der Biotechnologie und
über deren mögliche Grenzen eingefordert. Dabei ist die
Tatsache zu beachten, dass diese gesellschaftspolitisch
wichtige Debatte über tradierte Ressortabgrenzungen hi-
naus geführt wird. Für diese Debatte und die Art und
Weise, wie sie geführt wird, tragen gerade wir als For-
schungspolitikerinnen und Forschungspolitiker in diesem
Hause eine große Verantwortung. Wir sollten diese Ver-
antwortung wahrnehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Das war meine Antwort auf Ihre Frage. Ich würde mich
freuen, wenn Sie mit eigenen Antworten dazu beitragen
würden, diese Probleme zu lösen.

Ich stelle zusammenfassend fest: Die Politik hat zu-
vörderst mit der Wissenschaft – dies betrifft auch die Wis-
senschaft selbst – die Aufgabe, die ethischen Grundlagen
ihres Tuns zu definieren. Sie hat die Aufgabe – auch das
ist ganz klar –, die Forschung in den Dienst der Menschen
zu stellen und nicht allein in ihren Dienst. Nur so bildet
sie eine Grundlage für ein nachhaltiges wirtschaftliches
Wachstum, für eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung
und letztlich auch für kulturelle Vielfalt.

Ich sehe gerade Herrn Staatsminister Nida-Rümelin.
Ich gratuliere ihm recht herzlich zu seinem neuen Amt.


(Beifall des Abg. Michael Müller [Düsseldorf] [SPD])


Wir haben in diesen Fragen schon einen sehr interessan-
ten Dialog begonnen.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Skandalös waren die Äußerungen von Nida-Rümelin!)


– Sie sollten sie einmal nachlesen. Dann wüssten Sie, was
gesagt worden ist.

Für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung trägt
letztlich auch die Kultur Mitverantwortung. Wir müssen
eine kulturelle Vielfalt schaffen. Kultur und Wissen-
schaft sind keine getrennten und einander unzugäng-
lichen Welten. Wissenschaft ohne Kultur wäre im Übrigen
folgenlos. Deshalb meine Bitte: Sie sollten die Politik, die
wir betreiben und die im Forschungsbericht 2000 klar
zum Ausdruck kommt, unterstützen.

Herr Kollege Friedrich, Sie sollten aufhören, sich mit
fremden Federn zu schmücken. Sie sprachen von Schub-
laden. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Beispielsweise bei
dem Programm Inno-Regio, das Sie angesprochen haben,
war die Schublade so leer, dass nicht einmal Staub darin
war, den wir hätten aufwirbeln können.

Hier muss Folgendes klargestellt werden: Sie haben
Versäumnisse zu verantworten. Nicht alles, was Sie getan
haben, war schlecht. Aber, wie wir es schon im Wahl-
kampf gesagt haben, wir bemühen uns, das, was Sie
schlecht gemacht haben, besser zu machen. Dass dies ge-
schieht, zeigt die Entwicklung im ganzen Land. Dies gilt
bis hin zu den Auslandsinvestitionen, die sich aufgrund
unserer Steuerreform, die Sie noch immer mit Argumen-
ten bekämpfen, die nicht nachvollziehbar sind, in kür-
zester Zeit vervierfacht haben. Genauso werden wir das
auch im Bereich der Wissenschafts- und der Forschungs-
politik tun. Sie versuchen, Staub aufzuwirbeln, und zwar
auch dort, wo Sie in den Schubladen nichts hinterlassen
haben.

Aus diesem Grunde kann ich nur sagen, Sie werden
ähnlich wie bei der Ökosteuer und bei sonstigen Mätz-
chen, die Sie machen – mit Plakaten, egal welcher Art –,
weder bei der Bevölkerung noch bei der Wissenschaft
noch in der Forschungslandschaft Zuspruch finden. Sie
werden die Menschen im Lande nicht überzeugen, Sie
werden mit diesem destruktiven Oppositionskurs nichts
bewirken. Wir werden so, wie der Weg eingeschlagen
worden ist, Frau Ministerin, fortschreiten und es wird wie
auch in den anderen Bereichen ein erfolgreicher Weg sein.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414602800
Ich erteile dem Kolle-
gen Joachim Schmidt, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Dr.-Ing. Joachim Schmidt (CDU):
Rede ID: ID1414602900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren
heute nicht nur über den Bericht, sondern auch über die Si-
tuation der Forschung 2000 in Deutschland. Dabei muss
die Erhöhung der Effektivität eine wichtige Rolle spielen.
Dieses unstrittige Ziel versucht die Bundesregierung un-
ter anderem durch Strukturveränderungen in der For-
schungslandschaft, zum Beispiel Fusionen – davon war
heute schon die Rede –, zu erreichen. Mit gleichem In-
strumentarium hat seinerzeit auch die DDR versucht, den
Wirkungsgrad ihrer Forschung zu erhöhen. Das Ergebnis
war, dass das Ziel klar verfehlt wurde.


(Jörg Tauss [SPD]: Die Forschung der Forschung!)


Im Lichte meiner eigenen langjährigen beruflichen Tätig-
keit in der DDR-Forschung habe ich hier nur eher leid-
volle Erfahrungen in Erinnerung.


(Zuruf von der CDU/CSU: Herr Tauss, hören Sie hin!)


Wenn man die Effizienz der Forschung wirklich stei-
gern will, dann müssen zum einen Denkweise und Denk-
muster derer, die aktiv Forschung betreiben, und zum an-
deren deren Interessen Gegenstand der Überlegungen
sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)





Jörg Tauss

14267


(C)



(D)



(A)



(B)


Dabei ist davon auszugehen, dass die verantwortungsbe-
wusst und kompetent arbeitenden Wissenschaftler – das
ist die übergroße Mehrheit in unserem Land – sich auf
ihren Gebieten am besten auskennen und auch Risiken
und Chancen am klarsten beurteilen können. Aus der
Wissenschaft müssen nachvollziehbare Informationen
und Botschaften an die Politik gerichtet werden, um da-
raus sinnvolle politische Entscheidungen abzuleiten.
Strukturelle Überlegungen sind dabei absolut nebensäch-
lich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Im Hinblick auf die Interessenlage sind vor allem An-

reize und Wettbewerb notwendig. Leistung und Erfolg
müssen sich lohnen. Das war in der DDR leider nicht der
Fall. Deshalb muss das Dienstrecht – da sind wir uns alle
einig – unbedingt auf den Prüfstand. Aber dazu müssen
nun auch bald einmal Vorschläge gemacht werden.

Hinsichtlich des Stellenwertes der Strukturveränderun-
gen möchte ich nur vor einem warnen: Man sollte nicht
Fehler wiederholen, die andere gemacht haben, und man
sollte diesbezügliche Erfahrungen ernst nehmen. Des-
halb: Stellen Sie die Überlegungen zu Strukturverände-
rungen zurück! Sie werden nicht viel bringen. Sie erzeu-
gen damit nur Unruhe, keine schöpferische, sondern eine
aufgeregte, und die ist für die Forschung vom Grundsatz
her eher kontraproduktiv.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Da hat Herr Friedrich etwas anderes gesagt!)


Verstärken Sie dafür die Kommunikation mit den For-
schern. Ich meine jetzt nicht so sehr die Forschungsmanager,
die die Kommandohöhen in den Forschungsgesellschaften
und -verbänden besetzen, sondern die, die aktiv an der Front
der Erkenntnis arbeiten. Von ihnen hängen die Fortschritte
in unserer Forschung in entscheidender Weise ab. Ihre
Probleme und Lösungsansätze müssen bevorzugt in die
praktische Politik einfließen. Lassen Sie sich das von je-
mandem sagen, der selbst viele Jahre Forschung betrieben
hat. Man kann inhaltliche Probleme nicht mit formalen In-
strumenten lösen. Ich wäre froh, wenn Sie das berück-
sichtigten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, ich wechsele das Thema.

Wenn wir heute über die Forschung 2000 diskutieren,
dann ist es im Rahmen dieses Themas nicht nur sinnvoll,
sondern unbedingt notwendig, auch eine kritisch-kon-
struktive Bilanz der Forschung in den neuen Bundeslän-
dern zu ziehen. Ich will dies im Folgenden versuchen.

Wir sind in der Forschung wie auch auf anderen Ge-
bieten im Osten gut vorangekommen, sicherlich weiter als
auf halbem Wege, aber noch lange nicht am Ziel. Die ost-
deutsche Forschungslandschaft ist kein Steinbruch,
auch kein Kahlschlag, sie steht auch nicht auf der Kippe.
Aber es gibt nach wie vor ernsthafte Probleme, die gelöst
werden müssen. Die ostdeutschen Forschungsein-
richtungen haben sich in der nationalen und internationa-
len Forschungslandschaft einen festen und respektablen
Platz erarbeitet. Dabei ist festzustellen, dass sich seit zehn
Jahren Bund und Länder sehr engagiert um diese For-

schungseinrichtungen bemüht haben. Seit 1991 wurden
im Einzelplan des BMBF jährlich circa 3 Milliarden DM
für die ostdeutsche Forschung und Entwicklung bereitge-
stellt. Viele spezielle Förderprogramme, die im Großen
und Ganzen zielführend waren und auch dankbar ange-
nommen wurden, haben entscheidend zum Aufschwung
von Forschung und Entwicklung im Osten beigetragen.

Die positive Bilanz betrifft vor allem die außeruni-
versitäre und die Hochschulforschung. Beide können
im Wesentlichen als konsolidiert angesehen werden. Dies
hat sich nicht zuletzt darin gezeigt, dass bei der Eva-
luierung der Institute der Wissenschaftsgemeinschaft
Leibniz die ostdeutschen Institute ganz besonders gut ab-
geschnitten haben. Das ist um so erfreulicher, als die ehe-
maligen Blaue-Liste-Institute eine herausragende Rolle in
der ostdeutschen Forschungslandschaft spielen. Die
außeruniversitäre und die Hochschulforschung der neuen
Bundesländer haben nationale und internationale Repu-
tation gewonnen. Bemerkenswert ist in diesem Zusam-
menhang, dass sie sich durch überdurchschnittlich hohe
Drittmittelaktivitäten auszeichnen.

Weitaus kritischer ist die Situation in der wirtschafts-
nahen Forschung, das heißt in der Industrieforschung,
einzuschätzen. Dies gilt nicht – das will ich ausdrücklich
betonen – für das intellektuelle und fachliche Niveau,
wohl aber für Kapazität und wirtschaftliche Lage. 1990
umfasste die Industrieforschung circa 85 000 Beschäf-
tigte, 1993 waren in ihr noch 15 000 Mitarbeiter beschäf-
tigt, deren Zahl bis 1998 auf 21 000 anstieg. Seitdem
stagniert die Entwicklung. Die Industrieforschungskapa-
zitäten in den neuen Bundesländern entsprechen zurzeit
etwa 6 Prozent der in den alten Ländern. Um proportio-
nale Verhältnisse zu erhalten, müssten diese Kapazitäten
also um das Dreifache erhöht werden.

Die Industrieforschung war in besonderem Maße – das
muss man wissen – vom totalen Umbruch des Wirt-
schaftssystems betroffen. Im Ergebnis dieser Umwand-
lung ist im Osten eine Wirtschaftslandschaft entstanden,
die vor allem durch kleine und mittelständische Betriebe
geprägt ist, die eigene Forschungskapazitäten meist nicht
betreiben können. Auch darin liegt eine Ursache dafür,
dass die Kapazitäten der Industrieforschung bei uns so ge-
ring sind. Die Feststellung, dass die Industrieforschung
sich auf niedrigem Niveau stabilisiert hat, trifft zwar zu,
aber seit zwei Jahren sind kapazitätsmäßige Fortschritte
nicht mehr zu beobachten.

Umso unverständlicher und inakzeptabler ist es, dass
die derzeitige Bundesregierung in den letzten zwei Jahren
die für die ostdeutsche Industrieforschung eingesetzten
Mittel drastisch gekürzt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Waren 1998 dafür im Einzelplan 09 des Wirtschafts-
ministeriums noch 300 Millionen DM eingestellt, sind es
im Haushaltsjahr 2001 nur noch 240 Millionen DM, für
die zusätzlich noch eine globale Minderausgabe von
5 Prozent gilt,


(Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört! – Jetzt kommts raus!)





Dr.-Ing. Joachim Schmidt (Halsbrücke)

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(C)



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(A)



(B)


sodass de facto nur 228 Millionen DM zur Verfügung ste-
hen.

Nach Informationen des Verbandes innovativer Unter-
nehmen werden bei einer derartigen Entwicklung in die-
sem Jahr 2 000 Arbeitsstellen in der ostdeutschen Indus-
trieforschung direkt gefährdet sein. Ein solches Vorgehen
ist deshalb nicht zu verantworten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Schließlich gelten nach wie vor die Zahlen – sie sind

nicht korrigiert – der mittelfristigen Finanzplanung des
Bundesfinanzministeriums für die ostdeutsche Industrie-
forschung. Danach soll die Förderung bis zum Jahr 2003
auf 50 Millionen DM reduziert werden. Dies würde be-
deuten, dass die gesamte externe Industrieforschung in ih-
rer Existenz gefährdet würde. Das darf nicht geschehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Absichtserklärung der Bundesregierung, die ost-

deutsche Industrieforschung zukünftig – ich zitiere –
„weiterhin auf hohem Niveau zu fördern“, ist angesichts
dieser Tatsache wenig glaubwürdig. Wunsch und Tat klaf-
fen weit auseinander.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Wie üblich!)


Es sei hinzugefügt, dass die ständigen Haushaltssperren in
den Jahren 1999 und 2000 für die Ostprogramme des
BMWi dazu geführt haben, dass diese Programme teil-
weise außer Tritt geraten sind und Anträge für neue Pro-
jekte nicht mehr gestellt werden konnten.

Auf diese Weise erzielt man jedenfalls eines nicht: un-
bedingte Planungssicherheit für die Forschung, und unter
der Rubrik „aktiver Einsatz für den Osten“ kann man dies
wohl auch nicht verbuchen.


(Dr.-Ing. Rainer Jork [CDU/CSU]: Eine Nullsumme ist das!)


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt im
Blick nach vorn auf einige Probleme der ostdeutschen
Forschung eingehen, die aktuell zur Debatte stehen und
die zum Teil echte Sorgen auslösen.

Erstens. Wir sollten alles unternehmen, damit in unse-
rem Land generell, in Ostdeutschland im Besonderen, ein
Klima der Technikfreundlichkeit erhalten bleibt.

Dies schließt ein, dass im öffentlichen Bewusstsein die
Chancen eine mindestens so große Rolle spielen müssen
wie die Risiken, die von Wissenschaft und Technik ausge-
hen. Wissenschaft und Technik sollten im Grundsatz eher
positive Emotionen auslösen und weniger Ängste.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Ilja Seifert [PDS]: Aha!)


Schulen und Medien können hierbei eine sehr hilfrei-
che Rolle spielen. Ihnen kommt in dieser Hinsicht eine be-
sondere Verantwortung zu,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

den Schulen vor allen Dingen auch deshalb, weil aus ih-
nen der Nachwuchs für unsere Forschungslandschaft

kommen muss. Denn unser derzeit größtes Defizit in den
neuen Bundesländern besteht vor allem darin, dass die
Forschungslandschaft überaltert ist. Nachwuchs zu ge-
winnen und im Land zu halten, dies ist eine der gegen-
wärtigen Kernaufgaben.

Es besteht kein Zweifel darüber, dass hierbei vor allem
auch materielle Randbedingungen eine entscheidende
Rolle spielen, wobei im Hinblick auf die reale Finanzkraft
der neuen Bundesländer leider eindeutige Grenzen gezo-
gen sind. Aber der Anreiz für junge begabte Wissen-
schaftler, für die Forschung zu arbeiten, umfasst nicht nur
das dabei zu verdienende Geld – das steht außer Frage –,
sondern in nicht zu unterschätzender Weise auch die spe-
ziellen Arbeitsbedingungen, das heißt die intellektuellen
und fachlichen Freiräume in den jeweiligen Forschungs-
einrichtungen. In dieser Hinsicht bieten sich überall große
und immaterielle Möglichkeiten, weil die Ausrüstungen
in unseren Forschungsinstituten mittlerweile durchgängig
gut sind. Ich bin nicht sicher, ob überall davon Gebrauch
gemacht wird und ob dies vor allen Dingen auch überall
nachvollziehbar propagiert wird. Wer Interesse, ja wer
Passion für die Forschung hat, wird derartige Konditionen
für seine Arbeitsplatzwahl jedenfalls nicht gering schät-
zen.

Zweitens. Wichtigstes wirtschafts- und forschungspo-
litisches Gebot ist die erhebliche Verstärkung der Koope-
ration zwischen den kleinen und mittelständischen Be-
trieben, die sich keine eigenen Forschungskapazitäten
leisten können, und der aus außeruniversitärer, Hoch-
schul- und externer Industrieforschung bestehenden For-
schungslandschaft. Diese Forschungslandschaft muss
zukünftig weit mehr zur Wertschöpfung in den neuen
Bundesländern beitragen als bisher.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zu diesem Zwecke ist es auch erforderlich, dass in den
kleinen und mittelständischen Betrieben mehr Personal
angesiedelt wird, das für die Kooperation mit diesen
Forschungseinrichtungen verfügbar und entsprechend
kompetent ist. Dies gilt sowohl für die Erarbeitung von
Aufgabenstellungen als auch für die Umsetzung der er-
reichten Forschungsergebnisse in den eigenen Unterneh-
men.

Ich schlage vor, zukünftig bei der Evaluierung ostdeut-
scher Forschungseinrichtungen auch in besonderem
Maße die Anstrengungen zu bewerten, die diese For-
schungseinrichtungen unternehmen, um zur Wertschöp-
fung im Osten einen größeren Beitrag zu leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]: Na ja, also!)


– Man muss sich im Osten auskennen, Herr Tauss. – Dies
gilt insbesondere für Forschungseinrichtungen, die sich
vor allem mit angewandter Forschung befassen, und dies
gilt selbstverständlich für alle Hochschulen. Nach meiner
festen Überzeugung liegen in der Verstärkung und Quali-
fizierung dieser Kooperation auf jeden Fall außerordent-
lich hohe Reserven für den Aufschwung im Osten.


(Beifall bei der F.D.P.)





Dr.-Ing. Joachim Schmidt (Halsbrücke)


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(A)



(B)


Drittens. Die verstärkte Gründung technologieorien-
tierter Unternehmen, hier insbesondere auch in Form
von Ausgründungen aus Forschungsinstituten und Hoch-
schulen, bleibt auf Sicht eine herausragende förderwür-
dige Aufgabe.

Schließlich viertens. Für die überschaubare Zukunft
bedarf die Forschung, insbesondere die wirtschaftsnahe
Forschung, im Osten weiter einer angemessenen und wir-
kungsvollen finanziellen Unterstützung. Ich wiederhole
deshalb, dass die beabsichtigten Kürzungen der BMWi-
Programme für die neuen Bundesländer in keiner Weise
akzeptabel sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es gibt keinen einzigen vernünftigen, auch keinen ord-
nungspolitischen Grund für eine wie geplant rabiate De-
gression der Forschungsförderung. Ich halte es deshalb
für absolut erforderlich, im Einzelplan 09 für die nächsten
fünf Jahre mindestens 300 Millionen DM, wie im Haus-
halt 1998, für das FuE-Sonderprogramm für die neuen
Bundesländer vorzusehen. Für die Zukunft sollte sicher-
gestellt werden, dass die der ostdeutschen Forschung ge-
widmeten Programme nicht durch Haushaltssperren – ich
habe gerade darüber gesprochen – in ihrer Wirkung emp-
findlich gestört werden.

Insgesamt ist zu konstatieren, dass die temporär ange-
legte Förderung der ostdeutschen Forschung, der Indus-
trieforschung in besonderer Weise, nach derzeitiger Er-
kenntnis über das Jahr 2005 hinausgehen muss, um das
gestellte wirtschaftspolitische Ziel einer weitgehenden
Angleichung des Niveaus von Produktivität, Exportkraft
und Beschäftigung an das des früheren Bundesgebietes zu
erreichen.

Im Abstand von circa vier Jahren sollte deshalb eine
weitere Evaluierung der Wirkung des FuE-Sonderpro-
gramms vorgenommen werden.

Für 2004 auslaufende Programmteile, wie zum Bei-
spiel das Programm „Personalförderung Ost“, mit dem
die Verstärkung der Personalbasis für Forschung und Ent-
wicklung in den ostdeutschen kleinen und mittelstän-
dischen Unternehmen bisher wirkungsvoll gefördert
wird, sollte ein sinnvolles, praktikables Forschungsfort-
setzungsprogramm entwickelt werden. Die AiF hat dafür
kürzlich einen sehr interessanten Vorschlag gemacht, der
erfreulicherweise auch steuerliche Anreize vorsieht – in
der Forschung wäre das einmal etwas Neues –, wobei
dieses Programm nach 2004 bundesweit eingeführt wer-
den sollte.

Meine Damen und Herren, ich fasse alles Gesagte in ei-
nem Satz zusammen,


(Zurufe von der SPD: Oh!)

den ich in diesem Hause – wie ein Ceterum censeo – nicht
zum ersten Male ausspreche: Das Wohl und Wehe der ost-
deutschen Forschungslandschaft bleibt auf Sicht eine zen-
trale Aufgabe deutscher Forschungspolitik, zu der sich die
CDU/CSU-Fraktion ohne Wenn und Aber bekennt, heute
und auch morgen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414603000
Ich erteile dem Kolle-
gen Ulrich Kasparick, SPD-Fraktion, das Wort.


Ulrich Kasparick (SPD):
Rede ID: ID1414603100
Verehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn dieser kur-
zen Rede einen herzlichen Dank an die Bundesfor-
schungsministerin! Sie war jetzt gerade in den Vereinig-
ten Staaten und hat sehr engagiert dafür gekämpft,
Spitzenforscher nach Deutschland zurückzuholen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das nur als Antwort auf Ihre Randbemerkung, Frau Flach,
die Regierung tue nichts. Sie tut aktiv etwas dafür, dass
Spitzenforscher zurückkommen.

Meine zweite Bemerkung geht an Herrn Friedrich. Sie
betrifft die Schubfächer, die Sie vorhin angesprochen ha-
ben. Sie haben das Gerücht verbreitet, das Inno-Regio-
Konzept habe im Schubfach von Herrn Rüttgers gelegen.


(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/CSU]: Hat mir ein Abteilungsleiter gesagt!)


Als historisch-kritischer Exeget darf ich Ihnen mitteilen:
Dies ist ein Gerücht. Die Idee zu Inno-Regio entstammt
dem Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung – so viel
Ehre muss ich meinen früheren Kollegen doch erweisen –
und nicht aus dem Schubfach von Herrn Rüttgers. Ich
finde es gut, dass diese Regierung diese Idee sofort auf-
gegriffen und schnell und konsequent umgesetzt hat, ins-
besondere zum Vorteil von Ostdeutschland. Ich sage dazu
gleich noch mehr.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Drittens. Herr Friedrich, Sie haben gefragt, wie sich die
Forschungspolitik in die gesamten politischen Entschei-
dungen dieser Regierung einordne. Ich mache Sie nur auf
eine Zahl aufmerksam, die man heute der „Berliner Zei-
tung“ entnehmen kann: Die Auslandsinvestitionen sind
vom Jahr 1999 auf das Jahr 2000 um das Vierfache ge-
stiegen.


(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/CSU]: Das wart ihr?)


– Das ist das Ergebnis der Steuerreform; da haben Sie sehr
Recht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/CSU]: Das war Mercedes!)


Unverdächtige Zeugen wie Hilmar Kopper, den Sie von
bestimmten Bemerkungen her kennen, sagen: Endlich
kommt wieder Auslandskapital nach Deutschland. Ich bin
mir sicher, dass dieses Geld sich auch in der Forschungs-
landschaft bemerkbar machen wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Jetzt zu den einzelnen Punkten.
Ich will etwas zu Inno-Regio sagen. Eben ist von dem

Kollegen aus Sachsen gesagt worden, die Industriefor-
schungsmittel seien degressiv. Ich sage Ihnen eines: Ich




Dr.-Ing. Joachim Schmidt (Halsbrücke)

14270


(C)



(D)



(A)



(B)


war bei der Tagung der AiF dabei. Ich finde es im Übri-
gen gut, dass die AiF jetzt berechtigt werden soll, europä-
ische Fördermittel zu beantragen. Das ist eine ganz wich-
tige Innovation.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde den Mut dieser Regierung richtig und wichtig,
die sagt: Wir wollen nicht nur in bisherigen Strukturen
weiter fördern, sondern wir wollen strukturelle Innova-
tion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Mit Inno-Regio belohnt diese Regierung Kooperationen.
Genau das, was der Kollege Schmidt eben eingefordert
hat, tun wir. Sie haben das nicht hinbekommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich selber komme aus einem Wahlkreis, der neben ei-

nem sächsischen Projekt den Hauptpreis in der Endphase
von Inno-Regio bekommen hat. 40 Millionen DM kom-
men zu uns in die Region.


(Dr.-Ing. Joachim Schmidt [Halsbrücke] [CDU/CSU]: Damit lösen Sie nicht die Probleme der Industrieforschung!)


Wenn Sie mit Vertretern der Institute in Gatersleben und
der angrenzenden Institute, die da jetzt mitmachen, spre-
chen, dann stellen Sie fest, dass es eine große Bereitschaft
zu dieser Kooperation gibt. Die Regierung hilft dabei,
dass wir mit diesen Kooperationen vorankommen. Das
haben Sie leider Gottes nicht erreicht. Wir tun es.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bin dieser Regierung ausgesprochen dankbar dafür,
dass wir bei der BAföG-Reform jetzt eine Gleichstellung
von Ost und West erreicht haben. Das ist ein ganz wichti-
ger Punkt, weil jetzt ein Klima des Selbstbewusstseins
entsteht. Die Studenten können sagen: Wir als junge, an
Wissenschaft interessierte Menschen studieren mit glei-
chem Förderungssystem.

Wichtig ist: Wenn man sich die ostdeutsche Landschaft
anguckt und mit den Menschen spricht – ich bin in den
letzten zwei Jahren in 145 Instituten gewesen, von Greifs-
wald bis Ilmenau, und habe mit über 500 Wissenschaft-
lern gesprochen –, dann merkt man, dass in den Instituten
sehr wohl verstanden wird, dass diese Bundesregierung
für Forschung mehr als in der Vergangenheit tun wird. Die
Institute haben sehr fein registriert, dass die Haushalte im
Budget um 10 Prozent wachsen. 10 Prozent geben wir
mehr in die Forschung als Sie.


(Beifall bei der SPD)

Das ist ein Klima, von dem Sie, wenn Sie mit den In-

stitutsleuten reden – ich habe mit über 500 von ihnen ge-
sprochen –, zu hören bekommen. Es ist eine Aufbruch-
stimmung da, die wir fördern wollen; denn sie ist für
Ostdeutschland besonders wichtig. Dabei muss berück-
sichtigt werden: Wir haben noch keine Chancengleich-
heit. Das betrifft die Bezahlung, BAT-Vergütung, die wir
angesprochen haben. Die Richtung, dass wir sagen, der

Schwerpunkt der Wirtschaftsförderung muss über die
Förderung der Wissenschaft gehen, ist insbesondere für
Ostdeutschland richtig.

Für Ostdeutschland – das ist eine Bilanz, die ich nach
zwei Jahren intensiver Besuchsarbeit an den Instituten
ziehe –, für den Aufbau Ost muss die nächste wichtige
Phase heißen: Wer die Wirtschaft fördern will, der muss
die Forschung fördern. Genau dafür sind Konzepte wie
Inno-Regio und auch die Nachfolgeprojekte die geeigne-
ten Instrumente. McKinsey hat im europaweiten Ver-
gleich der interessanten Forschungscluster gezeigt, dass
Berlin-Adlershof und Dresden auf Platz 13 und Platz 15
mit zu diesen Clustern gehören. Die Richtung, Wirtschaft
über Forschungsförderung zu entwickeln, ist richtig.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Ich sage Ihnen zum Schluss aber noch eines: Das ist
keine Frage des Parteibuches. Sie haben heute am Anfang
Ihrer Rede darzustellen versucht, dass die CDU-regierten
Länder das günstiger machten. Ich komme aus einem
Bundesland, in dem eine CDU-Regierung – die erste Re-
gierung, die dieses Land hatte – den Leuten im Lande ge-
sagt hat: Statt Institute zu gründen und auf Wissenschaft
zu setzen, solltet ihr große kommunale Kläranlagen
bauen. Das Ergebnis ist, dass wir das heute immer noch
hinter uns herziehen müssen. Wir müssen jetzt sehen, dass
die Gründerjahre für neue Institute weitgehend vorüber
sind. Da ist sehr viel verschlafen worden. Deswegen sage
ich Ihnen: Es hängt an Personen und nicht an Par-
teibüchern. Ich bin mir ganz sicher, dass diese Angele-
genheit sowohl bei der Bundesbildungsministerin als
auch bei ihrem Staatssekretär Catenhusen, der sich
während der Evaluierungsphase und der Umstrukturie-
rungsphase um die ostdeutschen Institute sehr verdient
gemacht hat, in sehr guten Händen ist.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414603200
Ich schließe da-

mit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 14/4229 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Einverstanden? – Das
ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass wir die Sitzung
gegen 13 Uhr für circa eine halbe Stunde wegen einer
Fraktionssitzung der SPD unterbrechen.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 g auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Kurt-Dieter Grill, Gunnar Uldall, Dr. Klaus
W. Lippold (Offenbach), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU




Ulrich Kasparick

14271


(C)



(D)



(A)



(B)


Energiepolitik für Deutschland – Konsequen-
zen aus dem Energiedialog 2000
– Drucksachen 14/3507, 14/4338 –
Berichterstattung
Abgeordneter Kurt-Dieter Grill

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Klaus W.
Lippold (Offenbach), Dr. Paul Laufs und der Frak-
tion der CDU/CSU
Energieeinsparung durch Minderung des Strom-
verbrauchs von Elektrogeräten im Leerlaufmo-
dus (Stand-by-Effekt)

– Drucksachen 14/2348, 14/3328 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Marion Caspers-Merk
Dr. Christian Ruck
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch
das Europäische Parlament
Entschließung des Europäischen Parlaments zu
Elektrizität aus erneuerbaren Energieträgern
und zum Elektrizitätsbinnenmarkt

(SEK 1999 470 – C5-0342/1999 – 2000/2002 COS)

– Drucksachen 14/3428 Nr. 1.9, 14/4339 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Kurt-Dieter Grill

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Walter Hirche, Rainer Brüderle, Ernst
Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der F.D.P.
Zukunftsfähige Energiepolitik für den Standort
Deutschland
– Drucksachen 14/2364, 14/2946 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Volker Jung (Düsseldorf)


e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Kurt-Dieter Grill, Gunnar Uldall,
Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach), Dietrich
Austermann und der Fraktion der CDU/CSU
Energiepolitik für das 21. Jahrhundert – Ein-
stieg in ein nachhaltiges, klimaverträgliches

Energiekonzept statt Ausstieg aus der Kern-
energie
– Drucksachen 14/543, 14/3229 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Kubatschka
Kurt-Dieter Grill
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Entschließungsan-
trag der Abgeordneten Walter Hirche, Ulrike
Flach, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der F.D.P. zu dem Entwurf eines
Gesetzes zur Förderung der Stromerzeugung aus

(Erneuerbare-EnergienGesetz – EEG)

ralölsteuergesetzes
– Drucksachen 14/2341, 14/2778, 14/3343
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Hermann Scheer

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Flach, Birgit Homburger, Rainer Brüderle, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Solarbericht
– Drucksache 14/1234 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Kein Wi-
derspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Michael Müller.


Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1414603300
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Für die energiepolitische De-
batte, die wir heute führen, gibt es drei zentrale Aus-
gangspunkte. Diese drei Punkte stehen in einem engen
Zusammenhang. Der erste, der vielleicht wichtigste,
– diese Woche noch einmal in unser Bewusstsein ge-
rückte –, ist die Frage der Klimabelastung durch unser
Energiesystem. Wir haben die unmissverständlichen Si-
gnale von Schanghai auf der dritten Konferenz des IPCC
gehört: Die Erde wird sehr viel schneller erwärmt, als man
bisher angenommen hat. Dies ist ein Alarmsignal, das
nicht folgenlos bleiben darf. Es macht umso deutlicher,
wie groß unser Handlungsdruck ist.

Das IPCC kommt zu dem Ergebnis, dass die Erwär-
mung bis zum Ende dieses Jahrhunderts aller Wahr-
scheinlichkeit nach bei mindestens 2,5 Grad Celsius liegt,
aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie um bis zu
5,8 Grad Celsius ansteigt. Dies ist eine fast unvorstellbare
dramatische Entwicklung. Man muss sich nur vor Augen
halten, dass die Klimawissenschaft die Erwärmungsober-




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
14272


(C)



(D)



(A)



(B)


grenze bei 1,5 Grad pro Jahrhundert – also das Äußerste,
was vertretbar ist – ansetzt. Das ist eine alarmierende Ent-
wicklung, die uns in den Industriestaaten zutiefst heraus-
fordert, da überwiegend wir für den hohen Energiever-
brauch verantwortlich sind.

Schauen wir uns die Fakten an: Der Kohlendioxidge-
halt in der Atmosphäre ist der entscheidende Indikator für
unser Klimasystem. Er ist seit dem Beginn des industriel-
len Zeitalters um ungefähr ein Drittel angestiegen. Das
heißt, er liegt heute bei ungefähr 370 Teilen auf 1 Million
Teile. Dies ist ein eindeutiges Zeichen, dass sich die che-
mische Zusammensetzung und damit das ganze dynami-
sche System unserer Atmosphäre verändert. Damit bauen
wir eine ungeheure Hypothek für künftige Generationen
auf, die wir nicht verantworten können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Um es anders zu sagen: Wir würden, wenn dieser Trend
anhält, bis zum Ende dieses Jahrhunderts, also in einem
Zeitraum von weniger als 300 Jahren, das Klima in einem
Umfang verändern, für den natürliche Prozesse mehr als
10 000 Jahre gebraucht haben. Das kann das Ökosystem
nicht verkraften. Wir müssen dies vor allem vor dem Hin-
tergrund des großen Nachholbedarfs bei der Industriali-
sierung und des Bevölkerungswachstums in anderen Re-
gionen der Erde sehen. Mit anderen Worten: Wir haben
heute schon die Grenze der Belastbarkeit der Erde er-
reicht.

Hält der heutige Trend aber an, wird sich der Energie-
und Ressourcenumsatz in etwa 50 Jahren verdreißigfacht
haben. Dies ist nicht machbar. Es ist unsere Pflicht, heute
zu handeln, denn in der Zukunft werden wir dafür immer
weniger Handlungsspielraum haben. Deshalb haben wir
die energiepolitische Wende eingeleitet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Diese Wende ist keine Willkür, sondern ein Gebot von
Vernunft und Aufklärung.

Der erste wichtige Punkt für uns ist also, wegzukom-
men von einer Energiepolitik, die ihr zentrales Ziel in der
Sicherung hoher Kapazitäten und billiger Preise sieht. Die
Sicherung von Kapazitäten und von günstigen Preisen
sind weiter wichtige Gesichtspunkte, aber das zentrale
Ziel muss lauten, mit so wenig Energie wie möglich über-
haupt auszukommen – darin besteht die Kehrtwende –
und gleichzeitig die Brücke ins solare Zeitalter zu bauen.
Es handelt sich also um eine Doppelstrategie: Effizienz-
revolution und Solarwirtschaft.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es geht uns nicht, um es klar zu sagen, um einen Aus-
tausch von Energieträgern. Es geht nicht darum, einen
Energieträger jetzt durch einen anderen zu ersetzen. Es
geht um eine Veränderung der gesamten Struktur der
Energieversorgung, nämlich um eine ständige Verringe-
rung des Energiebedarfs. Die energiepolitische Losung
der Zukunft muss lauten, mit so wenig Energie wie mög-

lich auszukommen. Das Einsparkraftwerk ist das Kraft-
werk der Zukunft.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung – die alte wie die neue, Herr
Lippold – hat sich das ehrgeizige Ziel von minus 25 Pro-
zent beim Kohlendioxidausstoß gesetzt. Sie wissen noch
aus der damaligen Enquete-Kommission, dass wir uns so-
gar noch weiter gehende Ziele haben vorstellen können.
Wir wissen aber auch, dass schon das 25-Prozent-Ziel ein
sehr ehrgeiziges Ziel ist. Die Situation nach dem letzten
Jahr stellt sich wie folgt dar: Bei einem Wirtschafts-
wachstum von 3 Prozent haben wir im Jahr 2000 „nur“
eine Verringerung des Energiewachstums um 0,2 Prozent
erreicht. Das heißt, im letzten Jahr hat der Verbrauch nach
den neuen Zahlen der Arbeitsgemeinschaft der Energie-
bilanzen mehr oder weniger stagniert. Hier muss deutlich
nachgelegt werden, sonst werden die Verringerungen
nicht erreicht.

Gegenüber 1990 wurde eine Verringerung um etwa
150 Millionen Tonnen Kohlendioxid erreicht; es fehlen
also noch etwa 100Millionen Tonnen bis zum Jahre 2005.
Diese können nicht bei Beibehaltung des Status quo
eingespart werden. Sie werden nur eingespart werden,
wenn wir eine aktive Energiepolitik betreiben. Dazu
gehört der Ausbau der Solarenergie genauso wie eine Effi-
zienzrevolution. Dazu gehört auch – an diesem Ziel wird
kein Weg vorbeigehen – der Ausbau der Kraft-Wärme-
Kopplung. Ohne diese Maßnahmen wird diese ehrgei-
zige Reduktion nicht zu erreichen sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb begrüßen wir das Klimaschutzprogramm der
Bundesregierung vom 18. Oktober, in dem konkrete Zah-
len festgelegt sind. Wir können über Wege reden, eine In-
fragestellung dieses Zieles steht aber nicht zur Debatte.
Wir können uns nach all den seriösen wissenschaftlichen
Gutachten, die heute vorliegen, nicht vorstellen, dass das
auf einem anderen Weg zu erreichen ist als über den Aus-
bau der Kraft-Wärme-Kopplung. Dies ist, nach all dem,
was wir wissen, anders nicht möglich. Bei diesen Alter-
nativen müsste man zu einer gigantischen Subventionie-
rung übergehen, womit die ganze Argumentation der
KWK-Gegner, man sei aus wettbewerbsrechtlichen Grün-
den gegen die KWK, in sich zusammenbräche. Wir wol-
len dieses System, weil es richtig ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der zweite wesentliche Punkt ist der Ausstieg aus der
Atomkraft. Wir begrüßen die Vereinbarung vom
14. Juni 2000. Wir hoffen, dass die Atomnovelle schnell
vorgelegt wird, damit wir Klarheit schaffen und zu einer
Entscheidung kommen. Wir brauchen in diesen Fragen
eine berechenbare Politik. Dies ist auch notwendig, weil
Ausstieg und Einstieg eine Einheit bilden. Auch bei die-
sem Strukturwandel steht nicht der Austausch der Ener-
gieträger, sondern der Strukturwandel selbst im Vorder-
grund. Wir werden dieses Ziel nicht erreichen, wenn wir
glauben, die Ersetzung durch andere Energieträger nach




Michael Müller (Düsseldorf)


14273


(C)



(D)



(A)



(B)


Ausschalten der Atomkraftwerke sei die Lösung des Pro-
blems. Energieträger müssen sich daran messen lassen,
wie effizient sie eingesetzt werden können.

Das ist der entscheidende Punkt, der in einem engen
Zusammenhang mit den drei grünen Säulen der Ener-
giepolitik steht: erstens eine massive Steigerung der
Energieproduktitivität, zweitens Ausbau der Solarener-
gie – wir sind froh, dass wir im letzten Jahr beim Anteil
der Solarenergie einen deutlichen Sprung nach vorne ge-
macht haben, das war überfällig –,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


drittens der Ausbau der gekoppelten, intelligenten Sys-
teme in der Erzeugung von Strom und Wärme.

Eine dritte große Herausforderung ist Europa, mit der
Bildung einer europäischen Verbundwirtschaft. Wir
halten es nicht für ein zukunftsfähiges Energiesystem,
wenn jetzt die Gebietsmonopole durch Unternehmensmo-
nopole ersetzt werden. Was wir wollen, ist ein wirklicher
Wettbewerb, und zwar nicht nur zwischen einzelnen Un-
ternehmen, sondern auch zwischen unterschiedlichen
Diestleistungsformen. Deshalb wollen wir auch nicht,
dass die Bundesrepublik in der Zukunft zu einem reinen
Stromhandelsland wird. Wir wollen in der Bundesrepu-
blik Erzeugung, Beschäftigung und Umweltschutz si-
chern. Auch deshalb führt kein Weg an einem Struktur-
wandel vorbei.

Aus diesen Gründen – Klimaschutz, Ausstieg aus der
Atomenergie und europäische Herausforderung – ist das
Primat der Politik gefordert, die Rahmensetzung für mehr
Wettbewerb, für eine intelligente, zukunftsorientierte
Energiepolitik und für die Sicherung von Umweltschutz
und Beschäftigung zu schaffen. Das ist Zukunftsfähigkeit.
Ich will hinzufügen: Vor dem Hintergrund der amerikani-
schen Entwicklung, wo nach dem Amtsantritt des neuen
Präsidenten als Erstes der Umweltschutz zurückgedrängt
wurde, ist die Herausforderung für Europa und für unser
Land noch größer geworden, diesen Strukturwandel an-
zugehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich erinnere mich noch sehr gut an eine Debatte in der
Enquete-Kommission. Wir hatten damals Vertreter aller
Energieunternehmen eingeladen, um mit ihnen über Kli-
maschutz zu diskutieren. In dieser Debatte wurde uns von
den Vertretern der Energiewirtschaft eine Stunde lang er-
zählt, was alles nicht möglich ist. Daraufhin haben der
Kollege Schmidbauer von der CDU und ich gemeinsam
gesagt: Entweder diskutieren wir jetzt über das, was mög-
lich ist, um das CO2-Ziel zu erreichen, oder wir beendendie Veranstaltung. Da war einmal kreative Fantasie mög-
lich. Diese Kreativität und Verantwortung erwarten wir
von allen Beteiligten. Das ist die Grundlage für ein ko-
operatives Klima.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Hören wir mit kurzfristiger Interessenpolitik auf!

(Walter Hirche [F.D.P.]: Schön wäre es!)


Es steht sehr viel auf dem Spiel. Lassen Sie uns bitte den
Weg in die neue Energiepolitik mit möglichst viel Kon-
sens, aber auch mit möglichst viel Vernunft gehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414603400
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Klaus Lippold.


Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1414603500
Frau
Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Energiepolitik ist Zukunftspolitik für die Menschen und
die Umwelt, aber auch Zukunftspolitik für die Wirtschaft.
In diesem Sinne hat die CDU/CSU-Fraktion ein Energie-
konzept erarbeitet, das auf eine umweltfreundliche und
nachhaltige Energieversorgung, aber gleichzeitig auch
auf eine preiswerte und für die Zukunft sichere Energie-
versorgung abstellt.

Wir haben Energiepolitik – wie das neudeutsch heißt –
mit anderen Politikfeldern vernetzt: der Verkehrspolitik,
der Baupolitik, aber insbesondere auch der Umwelt- und
Klimaschutzpolitik, damit wir den Ansprüchen an eine
moderne und zukunftsorientierte Energiepolitik gerecht
werden. Das ist ein in sich schlüssiges Konzept und das
vermisse ich bei der Regierung.

Herr Minister Müller, Sie haben verschiedentlich ge-
sagt, dass Sie in sich schlüssige, abgewogene Konzepte
vorlegen werden, aber Sie sind uns den Nachweis, dass
Sie das auch wirklich tun, bis heute schuldig geblieben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wir brauchen nicht Ankündigungen, sondern wir brau-
chen auch von Ihnen klare Vorstellungen darüber, wohin
der Weg geht, damit wir uns daran orientieren können.
Diese müssen langfristig ausgerichtet sein, weil Energie-
politik nicht kurzfristig betrieben werden kann.


(Dr. Axel Berg [SPD]: Wie sieht denn Ihre Vorstellung aus?)


Wenn wir diesen Weg gehen, ersparen wir uns auch
eine ganze Reihe von – ich sage es einmal so – zumindest
irritierenden Vorstellungen. Wenn ich das unter dem
Aspekt betrachte, Energiepolitik soll einen Beitrag zur
Klimaschutzpolitik leisten, dann ist der Ausstieg aus der
Kernenergie falsch, weil wir ohne Kernenergiepolitik
mittel- und langfristig keine Klimaschutzpolitik leisten
können, die vor dem Hintergrund der IPCC-Warnung jetzt
besonders wichtig ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Genau umgekehrt!)


Sie selbst, Herr Müller, haben seinerzeit gesagt, dass Sie
sich einen späteren Einstieg wieder vorstellen können. Ich
halte das für richtig, aber Sie müssen auch durchsetzen,
dass darüber schon jetzt diskutiert wird und es nicht Ma-
kulatur bleibt.




Michael Müller (Düsseldorf)

14274


(C)



(D)



(A)



(B)


Es gibt einen anderen Ansatzpunkt, bei dem Sie Um-
weltschutz- und Energiepolitik miteinander verknüpfen,
ohne dass es zu einer klaren Aussage kommt. Ich meine
die Kraft-Wärme-Kopplung. Bei der Kraft-Wärme-
Kopplung, Herr Minister, gehen die Koalitionsparteien
davon aus, dass sie innerhalb kurzer Frist verdoppelt und
ihr Anteil von 10 Prozent auf 20 Prozent festgeschrieben
werden muss. Wir halten das für einen falschen Weg. Das
ist nicht ökologisch; denn wenn Sie ohne Rücksicht auf
Verluste eine Quote festschreiben, wird auch die traditio-
nelle Produktion gefördert, die nicht ökologisch und um-
weltfreundlich ist. Das kann es wirklich nicht sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


In diesem Sinne begrüße ich, was Sie im „Focus“ ge-
sagt haben:

Ich halte von einer relativ kurzfristigen Verdopplung
der Kraft-Wärme-Kopplung nichts. Man sollte nichts
beschließen, was einen politisch schon bald wieder
einholt ... KWK macht ökologisch nur da Sinn, wo
Wärme und Strom in der Industrie wirklich das ganze
Jahr über parallel gebraucht werden, zum Beispiel
bei Produktionsprozessen. Es reicht nicht, neben ei-
nem Kraftwerk als Alibi einen Fischteich anzulegen,
der dann mitbeheizt wird.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)

Und da es in Deutschland keine unbeheizte Wohnung
mehr gibt, müssen bestehende Heizungen durch
Fernwärme teuer ersetzt werden.

Sie beziffern die Zusatzkosten in diesem Bereich auf eine
Größenordnung von 6 bis 8Milliarden DM. Das heißt, die
Vorstellungen, die von dem Kollegen Michael Müller und
vielen anderen in der SPD-Fraktion entwickelt worden
sind, sind nicht nur unter dem Aspekt der Preiswürdigkeit,
sondern auch unter dem Aspekt der ökologischen Steue-
rung falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Walter Hirche [F.D.P.])


Deshalb, Herr Minister, hoffe ich, dass die Selbstver-
pflichtung jetzt nicht nur eine Ankündigung ist, sondern
dass sie auch umgesetzt wird, damit nicht wieder Erwar-
tungen geweckt werden, die in absehbarer Zeit bitter ent-
täuscht werden, wie wir es früher schon bei anderen Posi-
tionen erleben mussten.

Ich sage ganz deutlich, Herr Minister: Setzen Sie sich
doch einmal mit Ihren Vorstellungen im Kabinett durch!
Das wäre in diesem Fall erfreulich, natürlich immer un-
terstellt, dass das, wenn wir den Entwurf einmal vorliegen
haben und ihn prüfen können, zu einem positiven und
guten Ergebnis führen wird. Diese Prüfung behalten wir
uns vor; ich glaube, das ist ganz selbstverständlich. Set-
zen Sie Ihre Ziele einmal durch, Herr Minister, damit die
ideologischen Vorstellungen, die von den Koalitionspar-
teien entwickelt worden sind, so nicht zum Tragen kom-
men und der Weg nicht in die falsche Richtung führt. Das
können wir uns nicht leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


In der Frage der Ankündigung will ich gleich noch ei-
nen anderen Punkt nennen. Das ist die Frage der Ener-
gieeinsparverordnung. Sie sollte vor einem Jahr verab-
schiedet werden, sie sollte vor einem halben Jahr ver-
abschiedet werden. Dann hieß es, sie sollte jetzt verab-
schiedet werden, und schon wieder ist sie verschoben
worden und wir kennen nicht das Datum, wann Sie sie
vorlegen werden.

Ich sage ganz deutlich: Das ist ein Kernpunkt bei der
Abwägung zwischen Energiepolitik auf der einen und
Umweltschutzpolitik auf der anderen Seite. Auch in die-
sem Punkt schlabbern Sie, handeln nicht zügig und ver-
säumen Zeit, die wir dringend brauchen, um die Redukti-
onszeitkorridore einhalten zu können. So geht es nicht.
Nicht nur ankündigen, sondern handeln! Das ist angesagt.
Ich glaube, an diesem Punkt ließe sich noch einiges hin-
zufügen, was noch ungelöst ist.

Herr Minister, die alte Bundesregierung und die sie
tragenden Fraktionen haben mit der Novellierung des En-
ergiewirtschaftsrechts durchgesetzt, dass zugunsten der
Verbraucher und der Wirtschaft eine – ich sage es einmal
so – Preissenkung von circa 15 Milliarden DM möglich
gemacht wurde. Das war ein guter und richtiger Schritt.
Mit der Politik, die Sie jetzt betreiben – Ökosteuer, Sub-
ventionsspirale bei den erneuerbaren Energien, bislang
geplante Kraft-Wärme-Kopplung –, zehren Sie diese Vor-
teile Schritt für Schritt wieder auf und verkehren sie ins
Gegenteil. Ich halte das für einen völlig falschen Weg.

Wenn ich die Belastungen, die aus Ihren verschiedenen
Ankündigungen resultieren würden, in Extremform ein-
mal summiere, komme ich bis zum Jahre 2010 auf Belas-
tungen von circa 30 Milliarden DM. Herr Minister, das ist
nicht tragbar und hat nichts mit Umsteuern in der Ener-
giepolitik zu tun. Ein Umsteuern würde voraussetzen,
dass dahinter ein Gesamtkonzept steht, das ökologisch
orientiert ist. Das ist nicht der Fall. Deshalb: Verzichten
Sie auf die Belastungsspirale, die für die Verbraucher und
für die Wirtschaft schädlich ist!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Herr Minister, in diesem Zusammenhang kann ich Ih-
nen nicht ersparen, auf die Ökosteuer einzugehen. Alle in
diesem Hause wissen, dass Gutachten vorliegen, wonach
die Ökosteuer keine Lenkungswirkung hat.


(Monika Ganseforth [SPD]: Das ist nicht wahr!)


Das heißt, ebenso wie bei der Kraft-Wärme-Kopplung ist
es auch bei der Ökosteuer: Ihr fehlt die Lenkungswirkung.
Darüber hinaus haben Ihnen der Sachverständigenrat und
andere Sachverständige bescheinigt, dass die Ökosteuer
keine umweltschützende Leistung erbringt.


(Monika Ganseforth [SPD]: Das ist nicht wahr!)


Sie stellt aber eine zusätzliche Belastung dar, und des-
halb die Forderung: Sie sollten – Ministerkollegen aus
Ihrem Kabinett haben ja schon gesagt, dass in der Zukunft
auf sie verzichtet werden kann – sie nicht nur für die Zu-
kunft verzichtbar machen, sondern darüber hinaus deut-
lich machen, dass Sie auf diesen falschen Weg verzichten




Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)


14275


(C)



(D)



(A)



(B)


und von einer Straf- und Abkassieraktion, die ökologisch
keinen Sinn macht, Abstand nehmen. Es gibt einen we-
sentlich besseren Einsatz für diese Gelder und ich bitte Sie
zu überlegen, wie man mit einem vernünftigen Konzept
eine preiswerte und sichere Energieversorgung mit mehr
Ökologie kombinieren kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414603600
Herr Abgeord-
neter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Dr. Berg?


Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1414603700
Ja.


Dr. Axel Berg (SPD):
Rede ID: ID1414603800
Herr Dr. Lippold, ich hoffe, ich
habe Sie richtig verstanden. In der Analyse sind wir uns ja
mehr oder weniger einig: Das Klima ist bedroht. Ihre The-
rapieempfehlung ist: Wir brauchen mehr Atomkraft und
wir brauchen ein Konzept. Wenn wir durch Atomkraft das
Klima retten wollten – bei der Energieerzeugung durch
Atomkraft wird ja kaum Kohlendioxid ausgestoßen –,
müssten wir weltweit round about jede Woche ein neues
Atomkraftwerk ans Netz gehen lassen und würden uns da-
durch jede Menge andere Risiken aufladen. Wie stehen
Sie dazu?

Was stellen Sie sich unter einem Konzept vor? Ein
Konzept ist immer etwas Schönes. Meinen Sie aber nicht,
dass wir bereits genug wissen und endlich handeln soll-
ten, dass wir das Klima nicht dadurch retten können, dass
wir weitere zehn Jahre über das beste Konzept diskutie-
ren?


Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1414603900
Herr
Kollege, der erste Punkt ist: Meine Aufforderung war ja
gerade, in sich schlüssige Konzepte sofort vorzulegen und
Lösungen nicht, wie Sie es tun, immer weiter hinauszu-
zögern und zu verschieben. Das ist doch der Fehler, den
Sie begehen.

Der zweite Punkt ist: Ich werde mich nicht der Über-
treibung anschließen – mit der man einen vernünftigen
Gedanken, auf welche Weise auch immer, kaputtmachen
kann –, die Rettung des Klimaschutzes in einer einzigen
Maßnahme zu sehen. Wir brauchen ein breites Bündel
wohlabgestimmter Maßnahmen, um einen Beitrag zur
Klimaschutzpolitik zu leisten. Wir brauchen dieses breite
Bündel nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland,
sondern europaweit.

Ich füge hinzu: Dank der alten Bundesregierung haben
wir doch die Vorleistungen erbracht, mit denen die jetzige
Bundesregierung auf den Klimakonferenzen glänzt und
mit denen wir das europäische Bubble-Konzept, die euro-
päische Energieeinsparlösung, nach draußen tragen konn-
ten; denn ohne unsere Reduktionserfolge hätte es dort
keine gegeben.

Ich füge hinzu: Wir brauchen, wenn wir zu Lösungen
kommen wollen, natürlich ein globales Konzept, getragen
von den großen Industriestaaten, von den USA, aber auch
von den Schwellenländern China, Indien, Mexiko und an-

deren. Wir haben in der Enquetekommission gemeinsam
daran gearbeitet, Herr Berg. Es gibt viele vernünftige Vor-
stellungen, die aber auch ausdiskutiert und ausdifferen-
ziert werden müssen.

Hinsichtlich der Vorstellung dieser Regierung, wie die
zukünftigen Mechanismen genutzt werden sollen – ich
nenne nur Clean Development Mechanism, Joint Imple-
mentation, Sinks und dergleichen –, hätten wir von Ihnen
mehr erwartet, als Sie in die Konferenzen eingebracht ha-
ben. Dazu zählt auch eine konstruktivere Gestaltung. Das
alles ist nicht erfolgt.

Auch jetzt wären von Ihnen viel intensivere Anstren-
gungen vonnöten, um auf der internationalen Bühne zum
Ersten wissenschaftlich und zum Zweiten politisch ent-
sprechende Umsetzungen voranzutreiben, damit der Kio-
to-Prozess nicht mit der Konferenz in Den Haag ins
Stocken gerät, sondern wieder Fahrt aufnimmt. Solche
Anstrengungen sehe ich aber nicht; ich sehe nur gele-
gentlich eine Ankündigung. Was ich bei Ihnen vermisse,
das ist der massive politische Druck, wie wir ihn früher
von der Spitze, vom Kanzler und von den verschiedenen
Ministern – also nicht nur vom Umweltminister –, ge-
kannt haben. Einige werden sagen, ich hätte das schon
einmal gesagt. Das ist völlig richtig. Aber solange Sie
diese Politik nicht ändern, werden wir Ihnen das noch
häufiger sagen müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Noch einmal zur Frage der Kernenergie im Speziellen,
Herr Berg. Wir müssen – das sage ich Ihnen ganz deut-
lich – bei der Risikoabwägung natürlich an den Äußerun-
gen des Club of Rome, eines exzellenten Gremiums fähi-
ger Wissenschaftler, festhalten. Er schätzt das Risiko der
Klimakatastrophe wesentlich höher ein als die Risiken
aus Kernenergie und hält Kernenergie deshalb für vertret-
bar. Im IPCC-Bericht wird das bestätigt. Sie wollen doch
immer das Votum der Wissenschaft. Nehmen Sie dieses
Votum der Wissenschaft zur Kenntnis und halten Sie sich
daran! Bauen Sie Kernenergie in Ihr Energiekonzept ein –
nicht alleine, aber auch.

Ich komme nun zu einem weiteren Punkt, um deutlich
zu machen, dass es nicht nur um diese Frage geht. Wir ha-
ben seinerzeit die Förderung von Energieeinsparmaß-
nahmen im Baubereich eingeführt. Das halte ich für
richtig. Sie haben diesen Ansatz jetzt weiter ausgebaut.
Herr Kollege Berg, ich habe nie einen Hehl daraus ge-
macht, dass ich, wenn Schritte in die richtige Richtung ge-
hen, nichts anderes tue, als das zu akzeptieren. Ich kriti-
siere doch nicht um der Kritik willen.

Ich habe Ihnen, Herr Müller, aber auch gesagt, dass
man dieses Konzept auch um eine steuerliche Förderung
ergänzen könnte, nicht nur um die Herabsetzung von Zin-
sen. Diesen Gedanken der steuerlichen Förderung, mit
dem wir die Energieeinsparungen im Altbaubestand we-
sentlich schneller, wesentlich intensiver und wesentlich
marktkonformer vorantreiben könnten, greifen Sie nicht
auf. Wir haben Ihnen das mehrfach angeboten. Wenn Sie
das umsetzen würden, dann könnten Sie sagen: Wir haben
das gemacht. Darum wären wir nicht verlegen und wür-
den sagen: Diese Koalition hat endlich einmal etwas




Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)

14276


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Richtiges gemacht. Wenn Sie das schnell machen, dann
würden wir das begrüßen. Sie aber denken gar nicht in
diese Richtung; dieser breitere Ansatz fehlt bei Ihnen. Sie
begrenzen das Ganze ideologisch auf bestimmte Positio-
nen. Das ist der Punkt, den ich für falsch halte.


(Zuruf von der SPD: Es gibt einen Konsens mit der Wirtschaft!)


Deshalb sollten Sie hier noch einmal nachdenken. Ich
meine, dass wir in diesem Bereich noch viel aufzuarbei-
ten haben.

Folgendes möchte ich Ihnen noch sagen: In der Frage,
wie sie jetzt ansteht, brauchen wir nicht nur die Zinsver-
billigungsprogramme, sondern auch eine breite Auf-
klärungskampagne, wie und wo etwas gemacht werden
kann. Die Information der Öffentlichkeit ist sehr wichtig.
In diesem Punkt sehe ich bei Ihnen keine hinreichenden
Aktivitäten. Auch diesen Ansatz würden wir unterstützen,
weil wir konstruktiv sind. Wir würden ihn mittragen, weil
wir positive Ideen mittragen und nicht konterkarieren.
Aber Sie müssen, da Sie jetzt die Regierung stellen, auch
die Ansatzpunkte dafür liefern. Ich habe gehört, dass Sie
das machen wollen, sehe aber nicht, dass Sie es tun.

Ich bitte deshalb noch einmal darum: Legen Sie, ent-
sprechend unserem Energiekonzept, ein in sich geschlos-
senes Konzept vor, das die verschiedenen Aspekte von
Energie – sichere Energie und preiswerte Energie – mit
dem Umweltschutz nachhaltig verknüpft, das eine Leit-
orientierung bietet, damit Sie nicht wie jetzt bei KWK von
einem Tag zum anderen mal so und mal so argumentieren
müssen und keiner mehr weiß, was Sache ist. Auch bei Ih-
nen muss eine klare Leitlinie erkennbar sein, die Konti-
nuität für wirtschaftliche Investitionen und Entwicklun-
gen möglich macht und die gleichzeitig sicherstellt, dass
im Gegensatz zu Ihrer bisherigen Politik die Verbraucher,
unsere Bürger im Land, nicht durch Ökosteuer und andere
sinnlose Maßnahmen geschröpft und abkassiert werden,
ohne dass dies für die Ökologie etwas bringt. Denken Sie
darüber nach, setzen Sie das um, aber bitte nicht in ferner
Zukunft!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414604000
Eine Kurzinter-
vention des Kollegen Müller.


Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1414604100
Professor Latif
vom Max-Planck-Institut in Hamburg gilt als einer der
führenden Klimaforscher in der Bundesrepublik; Sie kön-
nen das bestätigen. Ihm wurde vorgestern die Frage
gestellt:

Ist das ein Argument für die weitgehend klimaneu-
trale Atomkraft?

Antwort Latif:
Überhaupt nicht. Da würden wir den nachfolgenden
Generationen andere Probleme aufhalsen. Wir wür-
den den Teufel mit dem Beelzebub austreiben.

Das ist also der falsche Weg. Das war die erste Be-
merkung.

Zweite Bemerkung. Sie kennen ja die Szenarien der
Weltenergiekonferenzen. Bei keinem einzigen Szenarium
kommt es zur notwendigen Reduktion von Kohlendioxid,
auch nicht bei einem massiven Ausbau der Atomenergie,
beispielsweise einer Verzwölffachung, und zwar aus
einem ganz einfachen Grund: weil die verschwende-
rischen Energiestrukturen festgeschrieben werden. Das
entscheidende Problem ist der Strukturwandel hin zu
einer effizienteren Nutzung von Energie. Diese kann man
nur mit bestimmten Strukturen erreichen.

Lassen Sie mich eine dritte Bemerkung machen: So
schlecht kann die Ökosteuer nicht sein, wenn wir jetzt in
allen Jahresabschlüssen feststellen, dass beispielsweise
der Mineralölverbrauch deutlich zurückgegangen ist,
nämlich um rund 4 Prozent,


(Beifall der Abg. Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


und gleichzeitig – wie wir von den wissenschaftlichen In-
stituten hören – große Arbeitsplatzeffekte erzielt werden.
Also, Sie sollten ein bisschen vorsichtiger mit Ihren Aus-
sagen sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1414604200
Herr
Kollege Müller, ich mache noch einmal deutlich: In
keiner unserer Aussagen stellen wir ausdrücklich auf die
Kernenergie ab. Im Gegenteil: Wir bieten eine breite
Palette an Maßnahmen, mit denen wir CO2-Einsparungengarantieren wollen. Aus Zeitgründen habe ich hier nur auf
Weniges eingehen können. Aber diese Gedanken greifen
Sie nicht auf.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Doch! Sei begreifen es nur nicht!)


Ein Zweites, Herr Müller. Der Gedanke der Energieef-
fizienz ist von der vorherigen Bundesregierung und den
sie tragenden Koalitionsparteien ständig vorangetrieben
worden. Die Energieeffizienz in unserem Land ist stetig
und ständig verbessert worden.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Nein, die Energieproduktivität ist gesunken!)


Bei uns gibt es – das ist nachweisbar – eine Abkopplung
des Energieverbrauchs vom Wirtschaftswachstum. Das
müssen Sie doch zur Kenntnis nehmen. Wir sind hier
weiter als viele andere Länder, wir gehören hier mit weni-
gen anderen weltweit zur Spitzengruppe. Die Japaner mö-
gen in diesem Bereich ein klein wenig vor uns liegen, aber
in anderen Bereichen schlagen wir auch die Japaner. Ich
hoffe, dass das auch zukünftig so sein wird.


(Zuruf des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Hinsichtlich der Castor-Transporte, Herr Kollege, fasst
Ihr Parteirat auf der einen Seite Beschlüsse, denen auf der
anderen Seite Ihre Kollegen aus dem betroffenen Bun-
desland sofort widersprechen. Klären Sie das einmal in




Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)


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den eigenen Reihen, dann brauchen wir solche Zurufe
nicht.

Zurück zum anstehenden Problem. Man sollte keine
Buhmänner aufbauen, Herr Müller. Sie können die breite
Palette dessen, was wir vorhaben gerne einmal mit uns
diskutieren und Sie werden sehen, dass Ihr Vorwurf un-
gerechtfertigt ist. Sie wiederholen ihn ja auch nur aus tak-
tischen Gründen, nach dem Motto: Wenn einer nicht
Bescheid weiß, dann kann er bei ihm vielleicht hängen
bleiben. Aus diesem Grund musste ich Ihnen wider-
sprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414604300
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Michaele Hustedt.


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414604400

Verehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Lippold, wie schön sind doch die Oppositionszeiten! Da
kann man sich im Schreiben von Grundsatzprogrammen
und Grundsatzpapieren ergehen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Die CDU hat es in der Tat nötig. Sie sagen zwar, Sie haben
eine breite Palette an Vorhaben, aber ehrlich gesagt: Dazu,
wie wir hier in Deutschland Klimaschutz betreiben
wollen, habe ich eben in Ihrer Rede keinen einzigen
konstruktiven Vorschlag gehört, sondern nur Ablehnung
unserer Vorschläge und unserer Vorangehensweise.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben sehr viele Aufgaben zu erfüllen, die es gilt,
ganz pragmatisch anzugehen. Dann wächst Stein für Stein
das Haus einer neuen Klimaschutzpolitik, einer neuen
Energiepolitik, die Umweltschutz und Wettbewerb
miteinander verknüpft.

Eine der ganz großen Herausforderungen, die anste-
hen, ist die Gasmarktliberalisierung. Die Gaspreise sind
in der letzten Zeit – aber nicht wegen der Ökosteuer – um
40 Prozent gestiegen. In diesem Bereich muss uns die
Liberalisierung einen großen Schritt voranbringen. Ein
Gesetzentwurf liegt im Bundesrat und wird im März im
Bundestag verabschiedet werden. Gestern ist das
Gespräch der Verbände über eine entsprechende Verein-
barung leider ohne Ergebnis zu Ende gegangen. Wir soll-
ten deshalb auch darüber diskutieren, wie wir eine höhere
Wettbewerbsintensität durch einen verbindlich geregelten
Netzzugang schaffen können.

Das gilt ausdrücklich auch für den Strombereich; denn
drei Jahre nach der Liberalisierung der Strommärkte
haben die Bürger – anders, als es das Gesetz verspricht –
noch keine freie Wahl des Stromanbieters. Hier wird
durch Schikane und durch hohe Preise ein Wechsel tat-
sächlich verhindert. Es ist deswegen wichtig, dass wir uns
in der anstehenden Debatte über die Novellierung des
Energiewirtschaftsgesetzes auch fragen, ob die beste-

hende Regulierungsdichte ausreicht, um jedem Anbieter
– ob klein oder groß – den Zugang zum Netz zu er-
möglichen.

Ich glaube auch, dass diejenigen Kolleginnen und Kol-
legen von der CDU/CSU und der F.D.P. auf dem falschen
Weg sind, die Wettbewerb und Regulierung gegeneinan-
der ausspielen wollen. Das Gegenteil ist der Fall: Eine
hohe Wettbewerbsintensität erreicht man dann, wenn man
die Netze, die ein natürliches Monopol darstellen, so or-
ganisiert, dass jeder einen fairen Zugang dazu bekommt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Organisation der Netze wird ein Teil der anstehenden
Debatte sein. Sie bedeutet Schutz für die kleinen Anbieter
und damit Schutz für die Kunden.

Ein zweiter wichtiger Punkt wurde schon ange-
sprochen: die Kraft-Wärme-Kopplung. Wie Sie alle
wissen, gibt es in der Gesellschaft eine intensive Diskus-
sion darüber. Es gibt Gruppen, die dafür sind, und es gibt
Gruppen, die dagegen sind.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Es gibt immer welche dafür und welche dagegen!)


Ich fange einmal mit den Gruppen an, die dafür sind.
Der Verband kommunaler Unternehmen und der
Deutsche Städtetag sind dafür. Sie sehen nämlich in der
Kraft-Wärme-Kopplung eine Chance, damit auch kleine
Akteure auf dem Markt weiter Strom produzieren können
und dass wir in Zukunft nicht ein Oligopol haben, weil nur
noch große Unternehmen Strom produzieren und dadurch
der Wettbewerb äußerst eingeschränkt wird.

Der VDMA, der größte Unternehmensverband
Deutschlands, ist dafür, weil er der Meinung ist, dass es
durch die hohen Überkapazitäten eine enorme Zurückhal-
tung bei den Investitionen gibt. Es besteht die große
Gefahr eines Fadenrisses im Anlagenbau. Deswegen ist es
gut, durch eine Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung
die Investitionsbereitschaft anzuregen, sodass Investiti-
onen vorgezogen werden können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Die ÖTV, die IG BAU, die DAG und die IG Metall, die
größte Einzelgewerkschaft Deutschlands, haben die Bun-
desregierung aufgefordert, umgehend einen Entwurf für
ein Gesetz zum Erhalt und Ausbau der Kraft-Wärme-
Kopplung bei der Energieerzeugung vorzulegen. Das
sichere den Energiestandort Deutschland und mehrere
10 000 Arbeitsplätze in der Metallindustrie, sowie in der
Bau- und Energiewirtschaft. Zudem seien bessere Ex-
portchancen für die Anlagenhersteller zu erwarten. Die
Umweltverbände BUND, NABU und Greenpeace sind
aus bekannten Gründen ebenfalls für den Ausbau der
Kraft-Wärme-Kopplung; denn auch nach ihrer Meinung
handelt es sich um einen substanziellen Beitrag zum Kli-
maschutz.

Die Stromkonzerne sind aus verständlichen Gründen
dagegen, weil sie in Zeiten von Überkapazitäten ihre
Kraftwerke so lange wie möglich betreiben und das Ende




Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)

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sozusagen abfedern wollen. Ein Nebeneffekt ist für sie,
dass der Markt von kleinen Anbietern bereinigt würde.
Wir haben den Stromkonzernen angeboten, Alterna-
tivvorschläge auf den Tisch zu legen. Am Freitag findet
ein entsprechendes Gespräch statt. Ich sage aber ganz
deutlich: Die Alternativvorschläge müssen beim Kohlen-
dioxidausstoß eine Einsparung von 23 Millionen Tonnen
durch den Ausbau von Kraft-Wärme-Kopplung er-
möglichen. Es darf keine Doppelzählung geben. Das
heißt, entsprechende Maßnahmen des Klimaschutzpro-
gramms dürfen nicht auf die Kraft-Wärme-Kopplung an-
gerechnet werden.

Es darf sich auch nicht um Vorschläge handeln, die
beinhalten, dass die Förderung der Kraft-Wärme-Kop-
plung aus dem Haushalt zu finanzieren ist. Wenn das
gefordert würde, müsste man soliderweise sagen, dass die
Ökosteuer erhöht werden muss.


(Heiterkeit bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Walter Hirche [F.D.P.]: Das muss eine Haushaltspriorität sein!)


Solche Vorschläge können nicht akzeptiert werden. Es
darf keine Schummelei und Augenwischerei geben.

Michael Müller hat schon darauf hingewiesen, dass wir
uns in einer außerordentlich schwierigen Situation
befinden. Die UNO schlägt Alarm, weil sich die Erde
wesentlich schneller erwärmt als zunächst geglaubt. Die
UN-Wissenschaftler warnen, dass eine katastrophale
Veränderung des Klimas bevorsteht. Töpfer – er ist Ihnen
ja durchaus bekannt und noch immer Mitglied der CDU –
sagt sehr deutlich, der Bericht solle in jeder Hauptstadt
und in jeder Gemeinde die Alarmglocken klingeln lassen.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Das SPD-Mitglied Töpfer!)


Jetzt ist Handeln notwendig. Von diesem Handeln kann
man sich nicht verabschieden. Man muss Vorschläge auf
den Tisch bringen, wie man den Klimaschutz voranbrin-
gen will.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es gibt auch von der Seite der Kohlelobby die Be-
fürchtung, dass sie der Verlierer einer Förderung der
Kraft-Wärme-Kopplung sein könnten. Ich halte diese
Haltung für außerordentlich defensiv, denn die Kohle
wird am Zertifikathandel teilhaben. Der Gaspreis ist, wie
gesagt, im letzten Jahr um 40 Prozent gestiegen. Damit ist
die wettbewerbliche Ausgangssituation für die Kohle
heute eine völlig andere als noch vor einem Jahr. Außer-
dem sind Effizienzkriterien ein Bestandteil des Zertifikat-
handels und Kohleanlagen, in denen modernste Tech-
nologie eingesetzt ist, werden diese Effizienzkriterien
erfüllen können.

Wir brauchen auch im Anlagenbau moderne
Kohletechnologien; das sage ich ganz deutlich. Weltweit
werden 50 Kohlekraftwerke gebaut und 25 modernisiert.
Es wird – leider, sage ich als Ökologin – noch lange Zeit
so sein, dass die Kohle zur Energieerzeugung beiträgt,
zum Beispiel in China und in Indien. Deshalb brauchen
wir in diesem Bereich modernste Kohletechnologien, die

den Einsatz von Kohle, wenn er denn schon erfolgt,
wesentlich effizienter machen.

In Amerika gibt es eine Offensive, um die Wirkungs-
grade von Kohle um 10 oder 20 Prozent zu steigern und
sogar in Richtung CO2-freies Kohlekraftwerk zu forschen,in dem CO2 abgefangen und in Salz eingelagert wird.

Das sind ungeheuer interessante Technologien. Lassen
Sie uns lieber darüber diskutieren, wie wir diese Tech-
nologien als Pilotprojekte, als Teil des KWK-Zerti-
fikathandels nach Deutschland holen. Das wäre eine kon-
struktive Debatte, die wir hier gemeinsam führen sollten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Walter Hirche [F.D.P.]: Das kann man direkt machen! Da muss ich nicht von hinten durch die Brust ins Auge vorgehen!)


Abschließend möchte ich die Opposition sehr deutlich
auffordern, sich von ihrer destruktiven Haltung zu verab-
schieden. Ich erwarte von Ihnen konstruktive Vorschläge.
Sie sollten sich nicht immer nur hier hinstellen und sagen,
was Sie alles falsch finden.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Das dürfen wir aber noch sagen! – Zurufe von der CDU/CSU)


– Sie dürfen sagen, was Sie falsch finden. Aber dann er-
warte ich – es kommen ja noch einige Redner von Ihrer
Seite, zum Beispiel Herr Uldall und Herr Hirche – an-
gesichts dessen, dass die UNO uns mahnt, von Ihnen – vor
dieser Verantwortung können auch Sie sich nicht
drücken –, dass Sie nicht nur sagen, andere, zum Beispiel
in Osteuropa, sollen sich um den Klimaschutz bemühen,
sondern dass Sie Vorschläge machen, wie wir in Deutsch-
land zum Erreichen des Klimaschutzzieles beitragen kön-
nen.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Warum regieren Sie denn überhaupt?)


Wenn Sie meinen, das soll durch Atomkraft geschehen,
dann erwarte ich von Ihnen, dass Sie ganz konkret dar-
legen, wie viel CO2 eingespart werden soll, indem so undso viele AKWs in Deutschland gebaut werden, und lassen
Sie uns darüber diskutieren. Aber wenn Sie einfach nur auf
den Tisch hauen und sagen, dass Ihnen unsere Vorschläge
nicht gefallen, und sich aus der Verantwortung stehlen,
dann werden Sie niemals wieder Regierungspartei wer-
den.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414604500
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Walter Hirche.


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1414604600
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Am Anfang eine Feststel-
lung der Gemeinsamkeit: Ich glaube, in diesem Hause
gibt es niemanden, der den letzten IPCC-Bericht infrage
stellt. Das ist unser Ausgangspunkt. Deswegen muss das




Michaele Hustedt

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oberste Ziel im Zusammenhang mit Klima- und Energie-
politik sein, den CO2-Ausstoß bzw. den Ausstoß von CO2-Äquivalenten zu verringern. Dabei muss man fürjede Maßnahme offen sein. Ich glaube, die Formel, die
Erde in der Balance zu halten, ist eine wesentliche Aus-
gangslinie. Herr Müller hat zu Beginn bereits die Zahlen
dargelegt, die der IPCC-Bericht zur Erderwärmungsge-
fahr nennt. Ich will sie nicht wiederholen. Selbst der Mit-
telwert und der untere Wert sind schon problematisch.

Angesichts dieser Situation würde ich mir allerdings
doch wünschen – das muss ich zu den beiden Rednern der
Regierungsfraktionen sagen –, dass die Bundesregierung
ein Konzept vorlegt, nach dem sie dann auch handelt.

Der Wirtschaftsminister Müller hat ja – wie ich meine,
verdienstvollerweise – im letzten Jahr einen Energiedia-
log durchgeführt. Es gab auch ein Ergebnis dieses Di-
alogs. In einem Punkt bestand allerdings Streit, nämlich
darüber, wieweit die Kernenergie insgesamt eine positive
Rolle spielen sollte. Im Übrigen gab es breite Überein-
stimmung. Ich sehe jedoch nicht, dass diese Übereinstim-
mung jetzt die Regierung insgesamt erreicht. Insofern
steht der Wirtschaftsminister wie bei so vielen seiner
Maßnahmen, die man öffentlich gut diskutieren könnte,
auf einsamem Posten. Deswegen sagt er, er wolle bis zum
Jahre 2010 einen Energiebericht vorlegen; ein konsis-
tentes Energieprogramm könne man erst für die Zeit nach
2020 vorlegen.

Das spricht vielleicht für seine ehrliche Darlegung des
Umgangs in dieser Bundesregierung, also dessen, wie
man miteinander zurechtkommt, aber ich finde es be-
merkenswert, dass die Mehrheit im Wirtschaftsausschuss
einen Antrag auf Vorlage eines Konzepts mit der Begrün-
dung abgelehnt hat, man brauche keine Konzepte, man
müsse handeln.

Auch ich sage: Natürlich muss man handeln; aber man
muss doch auf der Grundlage eines zusammenhängenden
Konzepts handeln. Das trifft aber für die Maßnahmen, die
Sie ergriffen haben, nicht zu. Frau Hustedt, das alles mag
ja pragmatisch sein; aber wenn es falsch ist, dann nützt
auch das Pragmatische nicht.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Sie haben eine Ökosteuer eingeführt, die keine

Lenkungswirkung hat. Ich darf hinzufügen: In keinem eu-
ropäischen Land, in dem die Ökosteuer eingeführt worden
ist, ist anschließend der CO2-Ausstoß zurückgegangen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Klaus W. Lippold [CDU/ CSU]: Ganz im Gegenteil!)


Das ist der Beweis dafür, dass es diese Lenkungswirkung,
wie Sie sie vermuten, nicht gibt. Ich bin durchaus bereit,
wie es der Sachverständigenrat zur Beurteilung der
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vorgeschlagen hat,
über ein anderes Modell zu diskutieren.


(Zuruf von der SPD: Schlagen Sie doch eines vor!)


Aber dieses Modell hat keine Lenkungswirkung; es ist ins-
gesamt eine Abzocke.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie können im Übrigen auch nicht sagen, der auch in
diesem Jahr wieder gesunkene Ölverbrauch hänge mit der
Ökosteuer zusammen. Womit hing das denn in den Vor-
jahren zusammen? Es hängt mit der Einsicht der Men-
schen zusammen, sich hinsichtlich des Energieverbrauchs
umstellen zu müssen. Das ist der wichtigste Punkt.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Auch dank der Preissignale, die wir gesetzt haben!)


Zur KWK-Regelung: Die KWK-Regelung, die Sie in
diesem Hause beschlossen haben, lenkt die Fördergelder
zu einem großen Teil fehl. Einem Bericht des Wirt-
schaftsministers ist zu entnehmen, dass die KWK-Kapa-
zität der öffentlichen Versorgung im kommunalen Bereich
28 Terawattstunden beträgt, es sind aber Fördergelder, für
48 Terawattstungen beantragt worden, für die auch ein
Bonus verlangt wird. Was ist denn da passiert? Da sind
plötzlich alte „Schleudern“, die überhaupt keine positive
CO2-Wirkung haben, sondern eine negative, wieder inGang gesetzt worden und wir erleben eine völlig kon-
traproduktive Entwicklung zu dem Oberziel, den CO2-Ausstoß zu senken. Das müssen Sie doch zur Kenntnis
nehmen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Auch die jetzt konstruierte Regelung wird dem nicht

entgegenwirken. Ich begrüße deswegen ausdrücklich,
dass die Wirtschaft noch einmal die Chance hat, etwas im
Wege der Selbstverpflichtung zu tun. Ich hoffe, dass dies
dann auch so vernünftig sein wird, dass es von der Politik
insgesamt akzeptiert wird. Denn – und dies ist meine
Antwort, Frau Hustedt – wir haben in Deutschland durch
die Selbstverpflichtung der Wirtschaft, ohne spezielle
Markteingriffe, sehr viel mehr erreicht als jedes andere
Land der Erde.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir haben auf Marktwirtschaft gesetzt, wir haben auf
Eigenverantwortung gesetzt, wir haben auf Kostenopti-
mierung in diesem Zusammenhang gesetzt. Damit haben
wir eine CO2-Verminderung erreicht. Es ist also nicht nurdurchaus möglich, sondern sogar geboten, sich dieser In-
strumente zu bedienen, weil die Ziele auf diese Weise
besser erreicht werden können als durch Vorgaben.


(Zuruf von der SPD: Das tun wir doch auch!)

Das gilt auch für das umstrittene Thema der Kern-

energie. Ich habe ja gesagt: Wenn der Markt es wirklich
so will, wie Sie es immer gesagt haben, Herr Minister
Müller, dann werden eben keine neuen Kernkraftwerke
gebaut. Dann kann ich das auch nicht ändern. Dann
brauche ich aber keinen Beschluss zu fassen; dann
brauche ich nicht einzugreifen. Dieser Beschluss verrät
doch, dass Sie an dieser These zweifeln.

Vizepräsidentin Vollmer – sie führt gerade den Vor-
sitz – hat anlässlich eines Besuches in China, an dem ich
teilgenommen habe, versucht, dem Vorsitzenden des chi-
nesischen Umweltausschusses klarzumachen, dass China
auf Kernkraftwerke verzichten müsse. Darauf wurde
geantwortet, dass man nicht daran denke und sich dies of-
fen halten wolle, dass China auch diese Energieform




Walter Hirche
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brauche. Wenn es aber so ist, dass andere Länder in der
Welt auf diese Energieform zurückgreifen, dann sollten
wir den in Deutschland bestehenden Technologievor-
sprung erhalten.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Insofern geht es hier um etwas anderes: nicht um einen

zusätzlichen Ausbau, sondern erst einmal darum, den
zurzeit existierenden Anteil der Kernkraft an der Ener-
gieversorgung zu erhalten. Wenn Sie diesen Anteil weg-
fallen lassen, kommt es zu einer Steigerung der CO2-Emissionen um einen Wert, der den Emissionen des
gesamten Straßenverkehrs in Deutschland entspricht.
Dies ist eine Größenordnung, die alle vorhandenen
Berechnungen durcheinander wirbelt.

Wenn das Thema der Minderung der CO2-Emissionenvon Ihnen ernst genommen wird, dann sollten Sie auf be-
stimmte Maßnahmen verzichten bzw. sie anders anlegen
– ich will nicht sagen, dass deswegen bestimmte Maß-
nahmen ausscheiden – und dann sollten wir uns in diesem
Zusammenhang über die Justierung vernünftig unterhalten.

Das gilt auch für das, was Sie im Bereich der erneuer-
baren Energien tun. Der von Ihnen vorgenommene Ein-
satz der Gelder ist nicht optimal. Auch ist zu fragen, ob bei
bestimmten Maßnahmen der Stand der Anwendung schon
so weit ist, dass sich der Einsatz von Fördergeldern für die
Anwendung rechtfertigt, oder ob es nicht besser wäre, er-
heblich mehr im Bereich Forschung zu tun.

Das 100 000-Dächer-Programm – das ist in der Öf-
fentlichkeit nicht sehr bekannt –, das Sie als einen überaus
wichtigen Baustein loben, trägt zur Energieversorgung im
Strombereich 0,1 Prozent bei, wobei umfangreiche Förder-
mittel notwendig sind. Ich behaupte, durch Unterstützung
der Forschung und Verschiebung der Anwendung um zwei,
drei Jahre würden Sie einen weit höheren Effekt erzielen,
als das jetzt der Fall ist.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich begrüße, dass parallel zu unserer Debatte eine
Pressekonferenz meiner Kollegin Flach, der Vorsitzenden
des Forschungsausschusses, zum Thema Brennstoffzelle
stattfindet. Denn ich glaube, das ist ein Stichwort, über
das wir uns im Gegensatz zur Kernenergie verständigen
könnten, indem wir uns gemeinsam dafür einsetzen, An-
wendungsformen zu untersuchen und Antworten darauf
zu finden, wie wir mit der Brennstoffzellentechnik
sowohl im Verkehrsbereich


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Machen wir doch!)


als auch im Bereich der Privathaushalte weiterkommen
können.

In diesem Zusammenhang hat der Wirtschaftsminister
darauf aufmerksam gemacht, dass man mit einer falschen
KWK-Förderung unter Umständen den Anwendungs-
bereich für eine entwickelte Brennstoffzelle, die sehr viel
günstigere Ergebnisse im Hinblick auf die CO2-Emissio-nen aufweist, verbaut, weil man den Markt mit einer Tech-

nologie zustopft, die nicht das verspricht, was heute auf
dem Markt eigentlich schon möglich wäre.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Insofern stimme ich Ihnen natürlich zu, wenn Sie sagen,

man müsse über Alternativen sprechen. Aber ich schließe
nicht aus, dass der für die Brennstoffzellentechnologie not-
wendige Wasserstoff – auch darüber müssen wir uns ja un-
terhalten – mithilfe der Kerntechnik erzeugt wird. Bauen
Sie doch nicht die Ausschlussszenarien auf!


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Macht doch keiner!)


Lassen Sie uns vielmehr im Sinne eines Energiemixes
an der Offenheit festhalten, die wir jetzt haben. Welchen
Energiemix wir in Zukunft haben werden, das wird sich
maßgeblich auf dem Markt und an der Rahmenbedin-
gung, welche CO2-Emissionen entstehen, entscheiden.Das ist ein wichtiger Punkt. Verengen Sie sich nicht auf
ein oder zwei Energietechnologien, sondern lassen Sie
eine gewisse Breite zu! Wir können uns doch nicht an-
maßen, heute zu wissen, zu welchen Entwicklungen es
kommt.

Insofern glaube ich, dass diese Offenheit auch auf den
Energiemärkten zu einem positiven Ergebnis führt. Die
Deregulierung und die Liberalisierung haben eine äußerst
positive Bewegung in diese Märkte gebracht. Nur dort,
wo die Liberalisierung und die Deregulierung nicht kon-
sequent durchgeführt worden sind, haben wir negative Er-
gebnisse.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Minister, ich frage mich sogar, ob auf einem wirk-
lichen Wettbewerbsmarkt Preisgenehmigungsbehörden
überhaupt noch gefragt sind. Ich glaube, auf die können
wir dann verzichten. Wenn die Praxis sogar so ist, wie ich
gestern in dem Bundesland, aus dem ich komme, gehört
habe, dass die Preisgenehmigungsbehörden den Stadtwer-
ken Preiserhöhungen verweigern, die aus der Ökosteuer,
dem Erneuerbare-Energien-Gesetz und dem KWK-Vor-
schaltgesetz resultieren – weil sie nicht zugeben wollen,
dass das preissteigernd ist –, dann ist das ein Beweis dafür,
dass wir diese Behörden nicht brauchen.

Lassen Sie mich am Ende sagen: Neben der Offenheit
beim Energienmix und bei den verschiedenen Tech-
nologien ist das Wichtigste, in dieser Debatte, nicht im-
mer nur über Deutschland allein zu reden. Wir agieren in
einem europäischen Markt, wir leben unter globalisierten
Bedingungen und die Welt wird sich nicht danach richten,
was sich Rot oder Grün ausdenkt. Es war für die Men-
schen und das Wohlergehen der Menschen immer noch
das Beste, wenn man die Verbraucher hat entscheiden las-
sen. Das ist nämlich das Marktprinzip, das demokratische
Prinzip in der Wirtschaft. Das wird auch in der Energie-
politik das erfolgreichste Prinzip sein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)





Walter Hirche

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Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414604700
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Eva Bulling-Schröter.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1414604800
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie von der CDU/CSU,
liebe Kolleginnen und Kollegen, beklagen in einem An-
trag, dass aus dem Energiedialog 2000 keine Konse-
quenzen gezogen wurden. Ich muss Sie aber daran erin-
nern, dass es sich beim Energiedialog 2000 um eine
außerparlamentarische Veranstaltung der Friedrich-
Ebert- und der Konrad-Adenauer-Stiftung unter leitender
Mitwirkung der Atom- und Energiewirtschaft gehandelt
hat. Wir sehen deshalb wenig Veranlassung, uns hier im
Haus mit gescheiterten Veranstaltungen von parteinahen
Stiftungen zu befassen.

Gleiches gilt für die Treffen der Energiewirtschaft mit
Vertretern der Bundesregierung, die zu einem Atomkon-
sens zwischen den Beteiligten geführt haben sollen. Außer
der Koalition setzt heute wohl niemand mehr auf einen
Atomkonsens. Die Energiekonzerne halten sich eine
zukünftige Fortsetzung der Atomkraftnutzung offen. Wie
die vorliegenden Anträge zeigen, werden sie darin von
Christdemokraten, der F.D.P. und von unionsregierten
Ländern unterstützt. Damit, so meine ich, dürfte die rot-
grüne Konsensstrategie gescheitert sein.

Zu den anderen Anträgen möchte ich mich kurz halten.
Gegen die Vermeidung von Stand-by-Verlusten bei Elek-
trogeräten ist vom Grundsatz her nichts einzuwenden. Es
gab in der letzten Legislaturperiode wesentlich Besseres.
Leider wurde das von Ihrer Seite damals abgelehnt. Jetzt
haben Sie etwas eingebracht. Nur, was die Frage der
Energieeinsparung betrifft, möchte ich einmal kurz von
der gestrigen Anhörung zur IVU/UVP-Richtlinie berich-
ten. BDI und VCI, Verband der Chemischen Industrie, ha-
ben sich besonders damit hervorgetan, dass sie einen be-
stimmten Artikel zur Energieeinsparung in diesem
Artikelgesetz nicht haben wollen. Wenn das gleich mit
Planwirtschaft und ähnlichen Dingen verglichen wird,
frage ich mich natürlich schon, wo die Industrie wirklich
Energie einspart und warum sie das nicht will.

Hinsichtlich der EU-Richtlinie zu regenerativen Ener-
gien haben wir beruhigt zur Kenntnis genommen, dass Ver-
gütungen nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz nicht
als Beihilfen im Sinne des EG-Vertrages verstanden wer-
den.

Die F.D.P. fordert mit ihrem Antrag die Bundesregie-
rung zur Abgabe eines jährlichen Solarberichtes auf. Un-
verständlich ist, warum dieser Bericht jährlich gegeben
werden soll. Das alte Stromeinspeisungsgesetz sah auch
keine jährliche Berichterstattung vor. Unklar ist, warum
zum Stand des Ausbaus anderer regenerativer Energien
kein Bericht gefordert wird.

Jetzt zum Trauerspiel KWK. Der seit Jahren seitens
des Wirtschaftsministeriums bestehende Widerstand ge-
gen den Ausbau der Kraft-Wärme-Koppelung tritt seit
den vergangenen Wochen offen zutage. Zur Kritik an der
Quote aus Teilnehmerkreisen einer „Handelsblatt“-Ver-
anstaltung sagte Bundeswirtschaftsminister Müller kürz-
lich:

Das, was Sie sagen, ist richtig, aber es befriedigt im
Inland keine Ideologien.

Offenbar war der Ideologe Müller nicht auf der Kabi-
nettssitzung zum nationalen Klimaschutzprogramm am
18. Oktober 2000, in der beschlossen wurde – ich zitiere
wiederum –:

Bis Ende 2000 wird die Bundesregierung Eckpunkte
einer Quotenregelung zum Ausbau der KWK vorle-
gen. Ziel ist die zusätzliche Minderung der CO2-Emissionen in einer Größenordnung von 10 Milli-
onen Tonnen bis 2005 bzw. 23 Millionen Tonnen bis
2010. Das Gesetzgebungsverfahren soll spätestens
Mitte 2001 abgeschlossen sein.

Also ich halte fest: Das Gesetzgebungsverfahren soll spä-
testens Mitte 2001 abgeschlossen sein. Jetzt haben wir
Ende Januar – und von Eckpunkten keine Spur. Morgen
trifft sich diesbezüglich Kanzler Schröder mit den Minis-
tern Trittin und Müller zum Krisengipfel, wo wohl der mit
Gewalt-Debatten weichgekochte Umweltminister zum
Kotau gezwungen werden soll. Das wäre natürlich ein Tri-
umph des Ex-VEBA-Managers im Ministeramt und der
Stromkonzerne auf der ganzen Linie. Nicht nur dass ihnen
die Verwertung ihrer Atomkraftwerke schon politisch ga-
rantiert wurde, es würde ihnen mit dem Fall der KWK-
Quote auch noch jede potenzielle Konkurrenz vom Leibe
gehalten, die mit einem größeren KWK-Anteil entstünde.

Natürlich wissen auch wir, dass das KWK-Vorschalt-
gesetz schnellstens ersetzt werden muss, weil es ökolo-
gisch in Teilen eher kontraproduktiv ist. Wenn im vergan-
genen Jahr statt der prognostizierten 20 Terawattstunden
tatsächlich 55 Terawattstunden als KWK-Strom vergütet
wurden, so spricht vieles dafür, dass hier massiv reiner
Kondensationsstrom überbezahlt wurde.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Richtig – aber in der Sache falsch!)


Aber auch diese Kritik muss sich zuerst an die Übertra-
gungsnetzbetreiber richten, also wieder die großen
Stromkonzerne. Ihnen ist offensichtlich jedes Mittel
recht, um die KWK zu diskreditieren.


(Beifall bei der PDS)

Denn selbstverständlich gibt es vernünftige Alternati-

ven: Statt der ursprünglich diskutierten abstrakten Ver-
dopplung der KWK-Stromerzeugung sollte auf die im be-
reits erwähnten nationalen Klimaschutzprogramm für den
KWK-Ausbau festgelegte konkrete Emissionsreduktion
abgehoben werden. Der Beitrag der einzelnen Anlagen
dazu, also die konkrete Zahl der für deren Betreiber gege-
benenfalls handelbaren Zertifikate, könnte definiert werden
durch das Produkt aus der Menge des bei der Nutzwärme-
produktion erzeugten Stromes und der Differenz zwischen
Brennstoffausnutzungsgrad dieser KWK-Anlage und dem
Durchschnitt des Ausnutzungsgrades der reinen Stromer-
zeugungsanlagen mit dem gleichen Brennstoff.

So ließen sich relativ einfach nicht nur vermiedene
Kohlendioxidmengen exakt ermitteln, auch hätten mo-
derne Braun- und Steinkohle-KWK-Anlagen wieder eine
Zukunftsperspektive, und ich denke, das ist auch notwen-
dig. Vielleicht würde das ja auch die nordrhein-westfäli-






(C)



(D)



(A)



(B)


sche SPD aus ihrer unheiligen Allianz mit den Strombos-
sen wieder etwas lösen.

Dieses Modell wäre tatsächlich voll klimaschutzorien-
tiert, da es sich direkt an der gesellschafts- und nicht an ei-
ner industriepolitischen Zielgröße ausrichtet, und es wäre
der zumindest EU-weit erstmals unternommene praktische
Versuch der Umsetzung eines flexiblen Instruments des
Kioto-Prozesses, der damit auch über seinen eigentlichen
Zweck weit hinausreichende Standards setzen könnte.


(Zustimmung bei der PDS)

Das müsste eigentlich auch die F.D.P. begeistern.

Aber all das scheint weder bei der Mehrheit der Regie-
rung noch in der Wirtschaft Gehör zu finden. Denn offen-
sichtlich haben maßgebliche Wirtschaftsverbände die
KWK-Förderung zu einer Entscheidungsschlacht über die
gesellschaftspolitisch fundamentale Frage auserkoren, ob
und wie schrankenlose Deregulierung weiterhin ein Pri-
mat von Regierungspolitik bleibt bzw. wieder wird. Ich
denke, wir haben da eine Verantwortung, und hier sollte
wirklich etwas getan werden. Herr Minister Müller, Sie
sind gefragt. Sie sollten nicht nur eine Lobby-Gruppe ver-
treten, sondern eben endlich auch im Sinne des Klima-
schutzes – alle Parteien haben es ausgeführt – handeln.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414604900
Wie es sich so
fügt, hat Herr Bundesminister Dr. Werner Müller jetzt
auch das Wort.

Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Ich werde im Protokoll der bisherigen Sitzung
einmal nachlesen, was die Opposition eigentlich so ge-
fordert hat. Hätten Sie – nehmen wir das einmal an – ins-
gesamt eine nachhaltige Energiepolitik von dieser Bun-
desregierung gefordert, dann hätte ich jetzt sagen können:
„Wir stimmen mit Ihnen überein“, hätte dann allerdings
hinzugefügt: Das Problem bei Ihnen, wenn Sie eine nach-
haltige Energiepolitik fordern, ist – das merkt man deut-
lich – die Glaubwürdigkeit, weil man ja fragen muss: Was
haben Sie in all den Jahren dazu beigetragen? Das frage
ich Sie eingedenk der Tatsache, dass Energiepolitik im-
mer eine sehr langfristige Sache ist.

Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen: Sie
haben sehr ehrgeizige Klimaschutzziele entwickelt und
sie international verbindlich gemacht. Sie haben aber
– das ist ein Problem für diese Bundesregierung – jahre-
lang nichts Konkretes eingeleitet, damit diese Ziele auch
verwirklicht werden können.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: Das ist doch nicht richtig! Aber das ist doch nun wirklich Polemik!)


Ich will Ihnen ein anderes Beispiel nennen: Sie haben
die Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte vorbe-

reitet – ganz ohne Zweifel –, aber Sie haben die Thema-
tik, nach welchen Regeln Wettbewerb ablaufen soll, nicht
konsequent bearbeitet. Was mich besonders gestört hat:
Sie haben nicht dafür gesorgt, dass das irgendwie im eu-
ropäischen Gleichschritt geschieht.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Richtig!)


Deswegen bin ich ganz zufrieden mit dem, was wir nach
langen Verhandlungen mit der Europäischen Kommission
erreicht haben. Wir werden unter schwedischer Präsident-
schaft einen neuen Anlauf nehmen, die Liberalisierung
der Strom- und Gasmärkte bis 2005 in Europa verwirk-
licht zu haben. Das ist, wenn es gelingt, ein wirklicher
Durchbruch. – Dies ist die erste Anmerkung dazu, dass
Energiepolitik natürlich, wie Sie gesagt haben, auch eu-
ropäische Dimensionen hat, aber man muss sie dann auch
konsequent befolgen.

Nehmen Sie Ihre Auseinandersetzung mit der Kern-
energie als weiteres Beispiel. Sie zementieren da alte
Grabenkämpfe. Das ist wirklich mein Eindruck.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Unterschrieben haben Sie es noch nicht! Nur paraphiert!)


Ich darf Ihnen sagen: Uns ist es gelungen, im Konsens mit
der Wirtschaft diesen Konflikt zu befrieden.


(Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: „Neckarwestheim“ sage ich nur!)


So haben wir bei Regierungsantritt rundherum, auch auf
dem Gebiet der Energiepolitik, viel Aufräumarbeit leisten
müssen, was nicht immer ein Zuckerschlecken ist. Aber
dafür sind wir ja gewählt worden, und wir werden die
Wege, die wir eingeschlagen haben, auch konsequent wei-
tergehen.

Nach etwa einjähriger Diskussion mit den meisten ge-
sellschaftspolitischen Gruppen und Verbänden haben wir
einen Grundkonsens über die Leitlinien einer langfris-
tigen Energiepolitik erzielt. Dabei sind wir mit den al-
lermeisten gesellschaftspolitischen Gruppen, außer der
Union, einig, dass die drei energiepolitischen Ziele Ver-
sorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umwelt-
verträglichkeit gleichrangig nebeneinander zu verwirk-
lichen sind.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Richtig!)

Wir sind uns auch mit allen, außer der Union, einig,

dass die Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte weiter
fortgesetzt werden muss. Der Markt soll also Vorrang ha-
ben. Wir sind uns allerdings in den Gesprächen über ener-
giepolitische Leitlinien mit allen, eben außer der Union,
auch einig geworden, dass der Markt alleine nicht alles re-
geln kann. Gerade in diesen Tagen erleben wir doch, dass
Liberalisierung im Strommarkt nicht heißen darf, nur auf
den Energiepreis zu schauen. Wenn Sie eine rein auf nied-
rige Preise orientierte Politik machen, erleben Sie, dass
die Strommärkte irgendwelche Versicherungsprämien in




Eva Bulling-Schröter

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Richtung einer langfristigen Zukunft nicht hergeben.
Wenn Sie Ihre Strommarktpolitik zehn Jahre fortgesetzt
hätten, hätten wir im Jahr 2010 Verhältnisse, wie wir sie
heute in Kalifornien haben, das heißt bankrotte EVU und
flächendeckende Stromausfälle.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist ja nun wirklich falsch! Das liegt doch an der Festschreibung von Preisen dort!)


– Ich rede ja nicht von Ihnen. Ich rede doch von der CDU.

(Walter Hirche [F.D.P.]: Das war unklar! Ich bedanke mich! – Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] [CDU/CSU]: Deshalb wird doch Ihre Äußerung nicht richtiger! Das sind völlig unvergleichbare Verhältnisse! Herr Minister, ich bin, ehrlich gesagt, enttäuscht! Das ist unter Ihrem Niveau!)


– Natürlich. Sie wären eine Art kalifornische Dunkel-
Union geworden.


(Heiterkeit bei der SPD)

Sie müssen einfach einmal zur Kenntnis nehmen, was sich
in Kalifornien tut, und daraus Rückschlüsse ziehen. Denn
so etwas entwickelt sich über ein Jahrzehnt, ist aber dann
in Jahren nicht mehr reparabel. Es ist unsere Aufgabe, die
Rahmendaten so zu setzen, dass diese Situation gar nicht
erst eintreten kann.


(Zuruf von der CDU/CSU: Mit der KWK-Quote!)


Ich will Ihnen sagen, was wir weiterhin mit Brüssel ver-
einbart haben, weil Sie die Europäisierung richtigerweise
für wichtig erachten. Wir haben inzwischen grundsätzliche
Übereinstimmung mit den Mitgliedstaaten und Brüssel er-
zielt, um bei den erneuerbaren Energien unsere natio-
nalen Fördersysteme abzusichern, die teilweise Sie noch
eingeführt haben, auch wenn Sie sie heute beklagen, zum
Beispiel das Energieeinspeisegesetz. Wir haben in Brüssel
auch umfangreiche andere Projekte wie Marktanreizpro-
gramme und vor allem Forschungsförderung abgesichert.

Auch mit dem Grünbuch zum Thema Versorgungs-
sicherheit hat die Europäische Kommission jetzt Vor-
schläge vorgelegt, mit denen unsere Energiepolitik der
letzten zwei Jahre in weiten Teilen nunmehr europäisiert
werden soll. Die Kommission setzt auf verstärkte Ener-
gieeffizienzmaßnahmen insbesondere im Verkehrs- und
Gebäudebereich. Sie will die Zusammenarbeit mit den
Lieferländern voranbringen. Sie setzt auf die Entwicklung
neuer, umweltfreundlicher Technologien und Antriebs-
stoffe. Sie schlägt vor, Importrisiken durch einen ausge-
wogenen Energiemix abzumildern. Die Nutzung einhei-
mischer Energieträger hat dabei in diesem Grünbuch
einen hohen Stellenwert. Um es kurz zu fassen: Die Kom-
mission greift mutig die Frage auf, ob nur das Thema „Li-
beralisierung der Energiemärkte“ die Energiepolitik be-
stimmt oder ob Energiepolitik nicht wesentlich weiter
verstanden werden muss. Auch hinsichtlich der Antwor-
ten darauf stimmen wir mit der EU-Kommission in vie-
lem überein.

Ganz sicher ist es eine Frage der Zukunftsvorsorge, wie
die Mitgliedstaaten der EU langfristig ihre Versorgungs-
sicherheit garantieren können und wie die Wirtschaftlich-
keit und die Umweltverträglichkeit der Energieversor-
gung darin eingebettet werden.

Ich teile vollkommen die Schwerpunkte, die die Kom-
mission setzt. In puncto Energieeffizienz und Energie-
einsparung werden alle Mitgliedstaaten, auch Deutsch-
land, alle Register ziehen müssen, wenn wir die ehrgeizigen
Ziele erreichen wollen. Das heißt, wir müssen die Energie-
effizienz im Umwandlungssektor, bei der Kraft-Wärme-
Kopplung, durch die Steigerung der Wirkungsgrade von
Kraftwerken und durch die Verringerung der Leerlaufver-
luste von Elektrogeräten erhöhen, vor allem aber den
Energiebedarf und die Nachfrage nach Raumwärme und
nach Mobilität senken. Diese Strategie vorrangig auszu-
bauen und langfristig und stetig zu betreiben, das wird
nicht nur die Umweltverträglichkeit der Energieversor-
gung erhöhen; auch die Preisrisiken der Importabhängig-
keit werden zunehmend abgefedert.

Nur am Rande, Herr Lippold: Es wird Ihnen wahr-
scheinlich entgangen sein, dass die von Ihnen angemahnte
Energieeinsparverordnung vom Kollegen Bodewig und
mir vor zwei Monaten im Entwurf der Öffentlichkeit vor-
gestellt wurde. Wenn Sie so freundlich sind, ihn lesen zu
wollen, sende ich Ihnen den Entwurf gerne zu.

Deutschland ist in der Entkopplung von Energiever-
brauch und Wirtschaftswachstum gerade in den letzten
Jahren ein großes Stück weitergekommen. Der Primär
energieverbrauch je Einheit Bruttoinlandsprodukt ist in
den letzten Jahren kontinuierlich um fast 16 Prozent ge-
sunken. Ich sage ganz deutlich: Wenn wir das Konzept der
Energiebesteuerung, der Ökosteuer fortführen, wird der
spezifische Energieverbrauch je Einheit Bruttoinlands-
produkt bis 2020 halbiert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das sind die Prognosen, die wir im Energiebericht aus-
werten.

Nun ist gefragt worden: Wo bleibt der Energiebe-
richt? Da haben Sie einmal etwas Richtiges festgestellt:
Ich habe ihn noch nicht vorgelegt. Aber ich darf Ihnen sa-
gen: Er wird vorgelegt werden, und zwar genau dann,
wenn er fertig ist.


(Lachen bei der CDU/CSU)

– Ich weiß nicht, was es da zu lachen gibt. Etwas Halb-
fertiges haben Sie immer vorgelegt. Wir legen nichts
Halbfertiges vor.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Wenn ich an Ihre Energieprogramme denke, darf ich

ein Zweites sagen: Ich will den Energiebericht, den ich
vorlege, noch in zehn und in 20 Jahren lesen können, ohne
rot zu werden. Das tun Sie mit Ihren Programmen nicht;
denn sonst würden Sie rot.


(Beifall bei der SPD – Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Schwarz!)





Bundesminister Dr. Werner Müller
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(A)



(B)


Meine Damen und Herren von der Opposition, mir ist
nicht unbekannt – das ist heute auch wieder deutlich ge-
worden –, dass Sie zur Kernenergie als Baustein im Rah-
men einer Nachhaltigkeitsstrategie eine andere Meinung
haben als diese Bundesregierung. Aber es ist doch auch
klar, dass diese nur noch von Ihnen – warum auch immer –
gepflegte Kontroverse wenig dazu beiträgt, mit einer ver-
nünftigen, nachhaltigen Energiepolitik weiterzukommen.

Ich habe in diesem Hause schon öfters gesagt: 85 Pro-
zent unseres Primärenergieverbrauches kommen aus fos-
silen Energieträgern.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Aber 60 Prozent der Stromerzeugung in der Grundlast kommen aus Kernenergie!)


Verkehr und Raumwärme mit einem Anteil von zwei Drit-
teln am Endenergieverbrauch sind mehr oder weniger
vollständig von den Importenergieträgern Öl und Gas ab-
hängig.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Richtig!)

Jeder Kundige – das betone ich – weiß, dass die steigende
Nachfrage nach Verkehrsleistungen Einsparerfolge beim
Energieverbrauch überkompensiert und dass sich hier die
großen Probleme der Energiepolitik der Zukunft auftun.
Jeder Kundige weiß, dass beim Energieeinsatz im Wär-
memarkt enorme Einsparpotenziale ausgenutzt werden
könnten. Jedenfalls wir wissen das und haben deshalb,
wie gesagt, die Energieeinsparverordnung auf den Weg
gebracht.

Alle Analysen, die wir im Rahmen des Energieberich-
tes bisher angestellt haben, zeigen uns, dass wir auf dem
richtigen Weg sind. Wir wissen, dass wir das Vorwärts-
kommen auf diesem richtigen Weg noch beschleunigen
müssen, damit wir die von Ihnen genannten Klimaschutz-
ziele erreichen. Wir müssen des Weiteren dafür sorgen,
dass wir hier in Europa gemeinsam vorwärts kommen.

Ein Wort über den Strommarkt, weil Sie ihn immer
wieder ansprechen: Bis 2005 hat die Vereinbarung mit der
Stromwirtschaft zum Thema Kernenergie keine nennens-
werten praktischen Auswirkungen. Nach 2010 stellen sich
dann die Fragen des Klimaschutzes und der Kernenergie
ganz anders, weil die Masse der Kernenergiestromerzeu-
gung nach 2010 peu à peu vom Netz gehen wird. Aber
diese Fragen stellen sich nicht nur bei uns, sondern überall
auf den integrierten europäischen Strommärkten, die wir
bis zum Jahre 2010 haben werden.

Eines will ich Ihnen zu bedenken geben: dass Investo-
ren in liberalisierten Märkten irgendwo in Europa ange-
sichts der hohen Investitionskosten und langfristiger Ka-
pitalbindung auf neue Kernenergiekapazitäten setzen, das
muss doch auch Ihnen aus heutiger Sicht völlig unwahr-
scheinlich vorkommen. Das bedeutet für Europa – kei-
neswegs nur für die Bundesrepublik –, dass das Problem
des Klimaschutzes nicht mit dem Thema Kernenergie
gelöst werden kann,


(Walter Hirche [F.D.P.]: Nicht allein! Das hat auch nie einer behauptet!)


es sei denn, Sie denken an staatliche Investitionslenkung.

(Zurufe von der CDU: Nein, überhaupt nicht! – Ach Gott!)

Aber wenn Sie das als Ziel propagieren, dann sind Sie,
ähnlich wie Frau Hustedt es gesagt hat, ganz konkret auf-
gefordert, konsequenterweise ein Kernkraftwerks-Neu-
bau-Gesetz hier in diesem Bundestag vorzulegen.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU: Blödsinn! – Walter Hirche [F.D.P.]: Dazu braucht man kein Gesetz; wir haben eine Vereinbarung, und wenn die das wollen, wird das nach Recht und Gesetz genehmigt! – Gegenruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die wollen das aber nicht!)


– Ich habe gesagt, es werde niemand mehr bauen, und Sie
haben auch keine Bauherren, und dann müssen Sie es
eben per Gesetz herbeizwingen. So einfach ist das.

Auch die Stromerzeugung in Kraftwerken mit niedri-
gen Umweltstandards in europäischen Mitgliedstaaten
kann keine Lösung sein, auf die wir langfristig setzen kön-
nen. Ich habe deswegen mit Frau de Palacio lange darüber
gesprochen, dass wir insbesondere mit den Beitrittslän-
dern auch über eine ökologische Reziprozität verhandeln
müssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich habe im Übrigen mit Frau de Palacio besprochen,
dass wir zum Schutz einheimischer Energieträger, seien
sie fossil, seien sie regenerativ, in Europa einen nationa-
len Primärenergiesockel einführen wollen, der vom Wett-
bewerbsregime der EU freigestellt ist.

Alles in allem, meine Damen und Herren, darf ich Ih-
nen sagen: Diese Bundesregierung macht eine vernünf-
tige Energiepolitik.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Eine völlig falsche Deregulierung!)


Die Punkte, die Sie manchmal kritisch anmerken, werden
wir so erledigen, dass sich alle Seiten in den Beschlüssen
wiederfinden.

Über die Frage, wie der Neubau von Kraft-Wärme-
Kopplungsanlagen erreicht wird, finden, wie Sie wissen,
Gespräche statt. Ich bin ganz zuversichtlich, dass wir Er-
gebnisse erreichen,


(Walter Hirche [F.D.P.]: Dann ist es ja gut!)

die uns dem Klimaschutz näher bringen – das kann die
Kraft-Wärme-Kopplung nämlich –,


(Walter Hirche [F.D.P.]: Natürlich, das bestreitet niemand!)


die die Wirtschaftlichkeitsziele nicht außer Acht lassen
und die auch beim Strommarkt nicht zu hohen Prozent-
sätzen neuer Reglementierungen führen.




Bundesminister Dr. Werner Müller

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Wenn Sie in der Stromwirtschaft auf Selbstverpflich-
tungen setzen – ich würde das gern tun –, dann müssen
diese erst einmal vorliegen,


(Walter Hirche [F.D.P.]: Natürlich!)

und man sollte möglichst nicht nach neuen Subventionen
rufen. Ich habe mit dem Thema der Selbstverpflichtung so
meine Erfahrungen.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Wir alle!)


Denn wie Sie wissen, ist die Gaswirtschaft aufgefordert
– oder sollte es als Chance begreifen –, sich selbst einen
Rahmen zu geben, wie der Wettbewerb im Gasmarkt ab-
laufen soll. Aber die Gaswirtschaft sagt mir mehr oder we-
niger deutlich: Mach lieber du das, das ist uns viel zu
kompliziert.

Ich weise abschließend auf Folgendes hin: Wenn die
Gaswirtschaft eine staatliche Netzzugangsverordnung
will, dann kann sie sie haben. Wir fangen parallel mit der
Arbeit an.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Die Formulierung ist interessant!)


Dann wird es eine Regulierungsbehörde Gas geben, und
wenn es eine Regulierungsbehörde Gas gibt, dann werden
wir auch, weil die Wirtschaft es so will, zu einer Regulie-
rungsbehörde Strom kommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


– Bitte, keinen Beifall! Ich bin ja eigentlich nicht dafür,
ich sage das nur so.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Dann werden wir auch das Problem gelöst bekommen,

dass wir das einzige Land in Europa sind, das gar keinen
staatlichen Regulator hat. Denn wir kommen in ein Pro-
blem – wie Frau de Palacio mir gesagt hat –: Wenn alle eu-
ropäischen Staaten im Jahre 2005 einen liberalisierten
Strom- und Gasmarkt haben, dann haben alle Länder ei-
nen staatlichen Regulator – Regulierungsbehörde, Netz-
zugangsverordnung etc. –, nur Deutschland nicht. Wenn
die Energiewirtschaft wirklich ernsthaft sagt, eine Regu-
lierungsbehörde sei besser, dann werde ich mich diesem
Diktat beugen. Ich erlebe dann ein weiteres Mal, dass in
den häufigen Klagen der Wirtschaft über staatliche Regu-
lierung nichts anderes zum Ausdruck kommt als die man-
gelnde Bereitschaft, Verantwortung in Form von Selbst-
regulierung zu übernehmen, sei es aus Bequemlichkeit
oder Angst. Das werde ich mir dann merken.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Walter Hirche [F.D.P.]: Schon Ludwig Erhard hat das Kartellgesetz gegen die Wirtschaft durchsetzen müssen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414605000
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Gunnar Uldall.


Gunnar Uldall (CDU):
Rede ID: ID1414605100
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Der Vorfall, dass der Herr Minister an
der falschen Stelle Beifall von der Regierungskoalition
bekommt,


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aber von der richtigen Seite!)


ist zum einen vielleicht eine kleine lustige Begebenheit;
er spricht aber auf der anderen Seite Bände, was das Ver-
hältnis zwischen Ihnen und der Regierungskoalition an-
geht.


(Widerspruch bei der SPD)

Darauf, Herr Minister, werde ich gleich noch einmal zu
sprechen kommen.

Vor drei Jahren haben wir, CDU/CSU und F.D.P., die
Strommonopole in Deutschland geknackt und die Märkte
dem Wettbewerb ausgesetzt. Das haben wir alle positiv
gespürt. Für eine kurze Zeit konnten wir eine erfreuliche
Tatsache registrieren: Wir bekamen nämlich Briefe von
unseren Stromversorgern, in denen keine Erhöhung der
Strompreise mitgeteilt wurde, sondern mitgeteilt wurde,
dass die Höhe der Stromabbuchungen pro Monat herab-
gesetzt wurde. Das waren gute energiepolitische Zeiten
unter CDU/CSU und F.D.P.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Jetzt sieht das alles schon ganz anders aus: Still und

heimlich hat die rot-grüne Koalition es verstanden, diese
Entlastungen, die wir für die Bürger und für die Betriebe,
die im internationalen Wettbewerb stehen und deshalb
dringend auf eine Senkung ihrer Kosten angewiesen wa-
ren, erreicht hatten, wieder zurückzufahren. Was ich da-
bei „bewundere“, ist, dass das gelungen ist, ohne dass es
von dem Einzelnen so richtig registriert wurde. Diese
Maßnahmen wurden nämlich immer in homöopathischen
Dosen verabreicht.

Ich will einmal die Dinge zusammenfassen, damit wir
alle das verstehen: Es hatte damit begonnen, dass im Zuge
der Ökosteuer auch eine neue Stromsteuer eingeführt
wurde. Inzwischen sind das 3 Pfennig. Man wird sagen:
Na ja, 3 Pfennig sind nicht so viel. Dazu muss man sagen:
Die Menge macht es; pro Kilowattstunde 3 Pfennig mehr,
das macht im Monat schon eine ganze Menge aus. Dann
kam das Erneuerbare-Energien-Gesetz; das brachte eine
zusätzliche Belastung von 0,3 Pfennig. Wer redet schon
über 0,3 Pfennig pro Kilowattstunde? So eine kleine
Größenordnung, so könnte man leichtsinnigerweise den-
ken, können wir vergessen. Dann wurde ein Viertel-
pfennig für die Kraft-Wärme-Kopplung draufgeschlagen.
Auch hier sagte man: Das ist unbedeutend, das können
wir eigentlich übergehen.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Die können nicht rechnen und nicht zusammenzählen!)


Wenn ich das alles zusammenzähle, stelle ich fest, dass
bereits die Belastungen durch das Erneuerbare-Energien-
Gesetz und das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz zusam-
mengenommen so hoch für die einzelnen Haushalte sind,
als wenn die Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt an-
gehoben worden wäre. Wenn man das gemacht hätte,




Bundesminister Dr. Werner Müller
14286


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(D)



(A)



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dann hätte es in Deutschland ein richtiges Aufbrausen ge-
geben, weil man sich diese Belastung nicht hätte gefallen
lassen. Durch eine geschickte Terminierung und eine Ver-
abreichung in homöopathischen Dosen aber ist es der Re-
gierung gelungen, diese Belastungen den Bürgern still
und heimlich aufzudrücken. Wir sind dafür da, das einmal
richtig darzulegen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Homöopathische Dosen sind ja manchmal gut! Das ist der Unterschied!)


Es geht aber noch weiter; es hört ja nicht beim Strom auf:
Auf Heizöl sind 4 Pfennig mehr Steuern als 1998 zu zah-
len. Es darf nicht vergessen werden, dass auch der öffentli-
che Nahverkehr, Stadtreinigung und Müllabfuhr infolge
der Energieverteuerung ihre Preise erhöhen müssen.


(Monika Ganseforth [SPD]: Wir haben die Lohnnebenkosten gesenkt!)


Schließlich kommen die drastischen Erhöhungen durch
die Ökosteuer hinzu, die ja bekannt sind.

Nun habe ich mir einmal die Mühe gemacht und alles
das in einer Übersicht zusammengestellt, was bei einem
Vierpersonenhaushalt, also Vater, Mutter und zwei Kin-
der, zusammenkommt.


(Monika Ganseforth [SPD]: Da ist der Wurm drin!)


Ich stelle fest: Gegenüber dem Jahre 1998, dem letzten
Regierungsjahr der CDU/CSU-F.D.P.-Koalition, muss
dieser Haushalt heute in einer 100 Quadratmeter großen
Wohnung 174 DM pro Jahr mehr für Strom bezahlen.
Durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz und die Kraft-
Wärme-Kopplung kommen 31,90 DM dazu. Beim Heizöl
sind es zusätzlich 116 DM. Bei den sonstigen Mehrkos-
ten, wie ÖPNV und Straßenreinigung, sind es 72 DM. Die
Mehrbelastung auf die Kraftstoffe durch die Ökosteuer
beträgt 203 DM.

Wenn ich alles zusammenzähle, so macht das 630 DM,

(Zuruf von der CDU/CSU: Wahnsinn! – Gegenruf von der SPD: Unsinn!)

die pro Jahr je Haushalt durch steuererhöhende Maßnah-
men zusätzlich verlangt werden, die Sie so durchgeführt
haben, dass das von der Bevölkerung gar nicht richtig re-
gistriert wurde. Deswegen war es notwendig, diese Rech-
nung an dieser Stelle einmal aufzumachen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Monika Ganseforth [SPD]: Sie ist falsch!)


Wenn ich das mit dem vergleiche, was an Entlastung
durch die Steuerreform kommt, dann kann ich nur sagen:
All das, was Sie immer wieder vorrechnen und unter das
Volk bringen, ist durch Ihren Griff in die Taschen der Bür-
ger längst wieder futsch, Herr Minister.

Zur Kraft-Wärme-Kopplung: Es ist richtig, dass die
Kraft-Wärme-Kopplung energiesparend ist. Aber diese
Anlagen haben einen großen Nachteil: Sie produzieren
Strom und Wärme immer gleichzeitig. Nun ist die Wirk-
lichkeit im Leben leider nicht so, dass immer gleichzeitig

Wärme- und Strombedarf besteht. Im Winter haben wir
die Notwendigkeit, Strom zu verbrauchen, um zu kochen,
weil wir etwas Schönes essen wollen, und gleichzeitig
heizen wir. Hier passt es zusammen. Im Sommer sieht es
schon anders aus. Im Sommer brauchen wir ebenfalls
Strom zum Kochen, aber keine Fernwärme, um die Woh-
nung zu heizen. Um das Energiesparkonzept der Regie-
rung in dieser Form aufgehen zu lassen, müsste man die
Fenster öffnen und die Wärme wieder herauslassen. Jeder
sieht, dass ein solches Konzept ökologisch unsinnig ist
und so nicht aufgehen kann.

Deswegen kann man sagen: Wir erkennen, dass die
Kraft-Wärme-Kopplung immer nur mit einem gewissen
Anteil für die Stromversorgung sinnvoll einsetzbar ist.
Die Grünen und die Sozialdemokraten wollen jedoch
durch eine Quotenregelung eine Verdoppelung des An-
teils des KWK-Stroms in Deutschland erreichen.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Prima!)


Dann würde so viel Wärme produziert werden, dass sie
gar nicht unterzubringen ist.


(Monika Ganseforth [SPD]: Das ist nicht wahr!)


Das zeigt, dass das KWK-Subventionsgesetz nicht nur ein
wirtschaftlicher Unsinn ist, da Überkapazitäten staatlich
gefördert würden, sondern dass es in dieser Form auch
ökologisch nicht vertretbar ist.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Der Verbraucher muss zahlen!)


Das, Herr Minister, darf in dieser Form in Deutschland
nicht stattfinden. Sie gehörten immer zu denen, die davor
gewarnt haben, dies beliebig auszubauen. Damit standen
Sie in einer Reihe mit unserem früheren Kollegen von der
SPD, Herrn Schwanhold. Er ist inzwischen Wirtschafts-
minister in Nordrhein-Westfalen. Schließlich hat auch der
Vorsitzende der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie
dasselbe wie Herr Schwanhold gesagt und das Konzept
der Regierung für falsch erklärt.

Deswegen kann ich nur sagen: Setzen Sie sich gegen
die Ökoideologen in der Koalition durch! Ich habe gestern
in der „Süddeutschen Zeitung“ einen Artikel gelesen, des-
sen Überschrift lautete: Grüne setzen Wirtschaftsminister
Müller unter Druck.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war die „Frankfurter Rundschau“!)


– Das war in der „Frankfurter Rundschau“. Herr Minister
Müller, Sie dürfen in dieser Frage nicht nachgeben. Las-
sen Sie den Ideologen nicht zu viel Spielraum! Wir wer-
den Sie in dieser Frage unterstützen, Herr Minister.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Können wir das noch irgendwie verhindern?)


Leider gibt es schon eine ganze Reihe von Fällen, in
denen Sie sich bei wirtschaftspolitischen Themen zwar
immer kernig geäußert, aber nicht durchgesetzt haben.
Ich will ein paar Beispiele anführen. Sie haben vor
einer Belastung der mittelständischen Betriebe durch




Gunnar Uldall

14287


(C)



(D)



(A)



(B)


das Gesetz zum Recht auf Teilzeitarbeit gewarnt – ohne
Erfolg, Herr Minister. Sie fordern eine steuerlich sinn-
volle Behandlung von Aktienoptionen – ohne Erfolg, Herr
Minister. Sie wenden sich gegen eine Ausweitung der
Mitbestimmung im Betriebsverfassungsgesetz – ohne Er-
folg, Herr Minister.


(Zuruf von der SPD: Ist das eine Haushaltsdebatte? Bitte zum Thema, Herr Uldall!)


Sie verlangen mit vollem Recht die Verantwortung für
wirtschaftspolitische Grundsatzfragen – ohne Erfolg,
Herr Minister.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Hör auf, er tritt gleich zurück! – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Er wird depressiv!)


Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Minister: Lassen Sie
sich das in dieser Form nicht gefallen! Verhindern Sie das
Subventionsgesetz für die Kraft-Wärme-Kopplung! Ver-
hindern Sie damit eine gigantische Fehlentwicklung in
der deutschen Energiepolitik! Diesmal, Herr Minister,
müssen Sie Rückgrat zeigen. Notfalls müssen Sie Minis-
ter acht sein, denn Sie haben bereits gute Angebote von
zukünftigen Arbeitgebern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414605200
Das Wort hat
jetzt der Herr Bundesminister Jürgen Trittin.

Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Herr Uldall, Sie haben mich gerade
an etwas erinnert. Als Sie sagten, das Ganze hätte einen
zusätzlichen Punkt Mehrwertsteuer bedeutet, habe ich
mich an den März 1998 erinnert. Im März 1998 hat Ihre
Mehrheit – übrigens gegen den Rat Ihres damaligen Frak-
tionsvorsitzenden, der etwas anderes wollte – die Mehr-
wertsteuer um einen Punkt erhöht, um die von Ihnen ver-
ursachte Rentenkrise zu finanzieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Das waren nicht wir allein! Da war die SPD dabei!)


Ich will eines hinzufügen: Das haben Sie in einer Si-
tuation getan,


(Walter Hirche [F.D.P.]: Die SPD hat zugestimmt!)


in der Sie innerhalb weniger Jahre die Sozialversiche-
rungsbeiträge von 35 Prozent des Bruttolohns auf fast
44 Prozent gesteigert haben. Anschließend haben Sie
noch die Mehrwertsteuer draufgehauen.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: „Draufgehauen“? So ein Wort darf man nicht benutzen! Ich würde mich distanzieren!)


Wenn Sie als Steuerpolitiker meinen, sich in der ener-
giepolitischen Debatte profilieren zu müssen, möchte ich
Ihnen in aller Ruhe sagen: Wir haben mit der Ökosteuer

den Irrweg der Anhebung der Bruttolohnkosten verlassen
und den Anschlag


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: „Anschlag“? Ein grausames Wort!)


auf Beschäftigung in Deutschland gestoppt. Stattdessen
besteuern wir das, was sinnvoll ist, nämlich den Ver-
brauch natürlicher Ressourcen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich kann noch ein Beispiel bringen: Sie haben dieser
Regierung und ihrem Wirtschaftsminister vorgeworfen,
sie könnten ihre Vorstellungen nicht durchsetzen. Das ist
falsch. Wer hat denn im Bundesrat versucht, die Steuer-
freistellung von Veräußerungsgewinnen zu blockieren?
Das waren die CDU/CSU-geführten Bundesländer. Es
war gut, dass wir es geschafft haben,


(Walter Hirche [F.D.P.]: Sie doch nicht!)

diese Blockade zu Beginn der Sommerpause zu durch-
brechen. Spielen Sie sich hier nicht als Scheinheiliger, als
Verteidiger des Wirtschaftsministers auf!


(Walter Hirche [F.D.P.]: Ohne Rheinland-Pfalz wäre das nicht gegangen!)


In Wirklichkeit versuchen Sie, die vernünftige Wirt-
schaftspolitik dieser Bundesregierung kaputtzumachen
und zu blockieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] [CDU/CSU]: Was nicht existiert, kann man nicht kaputtmachen!)


Ich möchte eine zweite Bemerkung machen. Es ist
schön, dass Herr Lippold angeblich ein Energiekonzept
hat.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Hat er! Haben Sie das nicht gelesen, Herr Minister?)


Aber, entschuldigen Sie, ein Energiekonzept ist noch keine
Energiepolitik. Die Frage danach muss doch erlaubt sein.

Wir alle finden den IPCC-Bericht zum Klimaschutz
und zur Notwendigkeit einer Klimapolitik richtig; Herr
Hirche sprach das bereits an. Wenn das unsere gemein-
same Priorität ist, dann möchte ich Sie fragen: Was haben
Sie gemacht, als diese Bundesregierung und die sie tra-
gende Koalition gesagt haben, der jetzige Ausbau der er-
neuerbaren Energien sei nicht hinreichend, hier müsse es
einen Push geben? Sie, die von Ihnen geführten Bundes-
länder, haben versucht, das Erneuerbare-Energien-Ge-
setz zu blockieren. Dieses Gesetz ist aber eine wirkliche
Erfolgsgeschichte. In den letzten zwei Jahren dieser Re-
gierung ist allein der Anteil des Stroms in diesem Land,
der aus Windenergie gewonnen wird, verdoppelt worden.
Wir sind heute mit 6 000 Megawatt absoluter Spitzenrei-
ter in der Welt; zweiter sind die USAmit 2 500 Megawatt.
Das ist die Wirklichkeit. Diese Energiepolitik hat unsere
Regierung gegen Ihren Widerstand durchgesetzt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Gunnar Uldall 14288 PDS – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das war das Energieeinspeisungsgesetz!)





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– Verehrter Herr Kollege, ich habe bewusst auf die Zah-
len von 1998 bis heute Bezug genommen.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Die Idee kam damals von uns!)


Wir haben die Verunsicherung, die Sie erzeugt haben,
durchbrochen. Wir haben Stabilität und Investitions-
sicherheit in diesen Bereich gebracht.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Das Gesetz ist im letzten Jahr beschlossen worden und nicht 1998!)


Wir haben nicht nur die Stromgewinnung aus Windenergie
gefördert, sondern gerade auch dem ländlichen Raum mit
der Biomasse eine Alternative gegeben. Ich glaube, von
Photovoltaik brauche ich an dieser Stelle nicht zu reden.

Nächste Bemerkung: Wenn es richtig ist, dass die Ener-
gieeffizienz eine Schlüsselfrage ist, warum legen Sie – in-
zwischen lachen die Leute ja schon darüber – jedes halbe
Jahr eine Kampagne gegen die Ökosteuer auf?


(Walter Hirche [F.D.P.]: Weil die nichts mit Effizienz zu tun hat!)


Das verstehe ich nicht.
Ich habe gestern mit Vertretern der OECD zu-

sammengesessen. Sie haben Deutschland zum zweiten
Mal begutachtet und uns ziemlich gute Noten gegeben.
Die OECD hat ausdrücklich festgehalten: Die Ökologisie-
rung des Steuersystems in der Bundesrepublik Deutsch-
land durch die Ökosteuer hat einen Lenkungseffekt. Sie
haben kritisch hinzugefügt, dieser Lenkungseffekt ließe
sich verstärken, und vorgeschlagen, den Steuernachlass
für die gewerbliche Wirtschaft von 20 Prozent zu erhöhen.
Ich möchte einmal erleben, wie sich die rechte Seite dieses
Hauses verhalten würde, wenn wir diesem Ratschlag der
OECD noch in diesem Jahr folgten. Aber darüber werden
wir bei der Fortentwicklung der Ökosteuer nach dem Jahre
2003 diskutieren müssen.

Sie stellen sich jedoch hierhin und sagen, die Ökosteuer
habe keine Lenkungswirkung. Herr Lippold, im Interesse
einer wirklich konsistenten Energiepolitik müssen Sie nun
springen und zu den Konsequenzen stehen. Springen ist
aber auch eine Frage der Kondition und der Fitness.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu den Berei-
chen Klimaschutz, Atomenergie und Effizienz machen.
Wenn wir Energiepolitik betreiben, haben wir eine
grundsätzliche Entscheidung zu treffen: Setzen wir auf ef-
fiziente und energiesparende Technologien oder halten wir
an einer kapitalintensiven und vor allen Dingen ineffizien-
ten Struktur fest? Wir sagen ganz bewusst: Anlagen wie
zum Beispiel Atomkraftwerke, die eine Effizienz von we-
niger als 40 Prozent haben, sind nicht nachhaltig zu-
kunftsfähig. Deswegen brauchen wir, wenn wir das Kli-
maschutzziel erreichen wollen, einen Umbau in der
Struktur. Nicht trotz des Atomausstiegs, sondern weil wir
schrittweise aussteigen, schaffen wir die Voraussetzung

für eine effiziente und sparsame, in vielen Fällen dezen-
tralen Energiestruktur.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


In einer solchen Struktur spielt neben den erneuerbaren
Energien auch die Kraft-Wärme-Kopplung eine Rolle.
Man kann sich nicht hierhin stellen und auf der einen Seite
sagen, man sei für Effizienz, auf der anderen Seite aber ein-
gestehen, keine Vorschläge zu haben. Ich hätte es verstan-
den, wenn Sie gesagt hätten: Lassen Sie uns darüber strei-
ten, ob die Quote das richtige Instrument ist! Man kann
dafür oder dagegen sein. Wir – Wirtschaftsministerium und
Umweltministerium – haben Gutachten vorliegen, die alle
zum gleichen Ergebnis kommen. Das DIW und das Wup-
pertal-Institut sagen: Wir bekommen die Einsparung von
23 Millionen Tonnen CO2, die zusätzlich zur Selbstver-pflichtung der deutschen Wirtschaft zu erbringen ist, nicht
mit dem Instrument der Quote hin. Wir sind bereit, über Al-
ternativen dazu zu diskutieren.

Aber eines muss ich an dieser Stelle mit allem Nach-
druck sagen: Es geht nicht an, dass man Verpflichtungen,
die man auf einem anderen Gebiet eingegangen ist – zum
Beispiel mit der Selbstverpflichtung –, ein zweites Mal
anrechnet. Es geht nicht an, dass man glaubt, man könne
zusätzlich 7 Milliarden DM an Steuermitteln aus der Ta-
sche holen. Das ist nicht die Alternative.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir sind dafür offen, diese effiziente Struktur auch mit an-
deren Instrumenten als der Quote hinzubekommen. Ich
sage Ihnen aber mit allem Nachdruck: Dies geht nicht
durch eine weitere Finanzierung aus dem Steuersäckel
und durch Anrechnung von Reduktionen in anderen Be-
reichen. In diesem Sinne wird diese Regierung in aller
Freundschaft und Solidarität mit der Wirtschaft zu reden
haben.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414605300
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Christian Ruck.


Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1414605400
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Die Wissenschaft hat uns in
eindringlicher Weise deutlich gemacht, wie sehr Energie-
politik auch Umweltpolitik ist. In der Tat ist der jüngste
Bericht des Gremiums für Klimaveränderung erneut be-
sorgniserregend. Es gibt keine Entwarnung, im Gegenteil.
Die energiepolitischen Weichen, die wir in diesen Tagen
und Jahren stellen, entscheiden auch über die Zukunft des
regionalen und globalen Klimas sowie über das Wohl und
Wehe von Regionen, ganzen Erdteilen und zukünftigen
Generationen.

Deswegen gebe auch ich meinen Vorrednern Recht:
Ziel jeder nationalen und internationalen Energiepolitik
muss neben der Sicherung einer Energieversorgung zu




Bundesminister Jürgen Trittin

14289


(C)



(D)



(A)



(B)


wettbewerbsfähigen Preisen das Zurückfahren der Treib-
hausgase sein. Das ist die Verpflichtung der heutigen Po-
litiker für unsere Kinder, Enkel und Urenkel. Ich glaube,
da sind wir uns alle weitgehend einig.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Nicht einig sind wir uns natürlich über den richtigen

energiepolitischen Weg, dieser Verpflichtung nachzu-
kommen. Die Vorstellungen von Rot-Grün sind von den
unsrigen meilenweit entfernt. Trotzdem ist es bemerkens-
wert, dass wir uns zumindest auf ein Instrument schon
einmal verständigt haben, wie unser Stand-by-Antrag
zeigt. Der so genannte Stand-by-Verbrauch, also der
Stromverbrauch von Geräten im Leerlauf, der immerhin
eine Größenordnung von 4,5 bis 5 Prozent des Gesamt-
stromverbrauchs ausmacht, ließe sich leicht auf einen
Bruchteil des heutigen Wertes reduzieren. Die Technik
dazu ist zu niedrigen Kosten vorhanden. Deswegen ist es
richtig, dass wir gemeinsam über alle Parteien hinweg der
Bundesregierung Dampf machen, ihre Aktivitäten zu ver-
stärken und zumindest diesem Einsparungspotenzial na-
tional und EU-weit zum Durchbruch zu verhelfen.

Ebenso richtig ist es, dass wir zuerst eine Verhandlung
mit den Herstellern mit dem Ziel einer freiwilligen Selbst-
verpflichtung anstreben, aber das Einsparungspotenzial
nach einer angemessenen Frist unter Umständen auch mit
entsprechenden ordnungsrechtlichen Maßnahmen auf
EU-Ebene durchsetzen.

Das damit ausgeschöpfte CO2-Minderungspotenzialist natürlich bescheiden. Aber es zeigt doch, dass man
auch in der Energiepolitik in Deutschland zu gemeinsa-
men Lösungen finden könnte, wenn man sich im Ziel ei-
nig ist, auf die Wissenschaft hört und an der Sache orien-
tiert diskutiert. Das ist aber leider bei Rot-Grün in weiten
Teilen ihrer Energiepolitik eben nicht der Fall – mit fata-
len Wirkungen für Ökonomie und Ökologie.

Ich nenne Ihnen dazu einige Punkte. Die Ökosteuer ist
schon mehrfach angesprochen worden. Sie ist gerade un-
ter ökologischen Gesichtspunkten irrational; denn die
energieintensiven Betriebe sind weitgehend ausgenom-
men, die Kohle wird geschont, die CO2-freie Kernenergiedagegen nicht, dafür werden Eisenbahn und öffentlicher
Personennahverkehr belastet. Vor allem aber verschwin-
det das finanzielle Aufkommen in Haushaltslöchern oder
im Rentensystem, nicht aber im Umweltsektor oder beim
Klimaschutz.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Damit ist die Ökosteuer nicht nur wirtschaftspolitisch ver-
fehlt und sozial unausgewogen, sondern auch ein um-
weltpolitischer Etikettenschwindel erster Ordnung.

Das Gleiche gilt für die Politik der Kraft-Wärme-
Kopplung. Natürlich kann KWK einen Beitrag zum Kli-
maschutz leisten. Aber Ihr KWK-Vorschaltgesetz dient
einzig und allein – das hat Herr Hirche schon ausgeführt –
der ökonomischen Rettung vor allem kommunaler Altan-
lagen mit meist geringem Energieausnutzungsgrad, die in
der Folge – auch hier wieder auf dem Rücken der Bürger
und Verbraucher – prompt ihre unökologische Produk-
tionsweise massiv hochgefahren haben.

Die endlich vorgelegte Energieeinsparverordnung
wurde vor einigen Tagen in einer Anhörung ebenfalls als
Rückschlag für den Umweltschutz kritisiert.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es!)

Ihre neuen Programme zur Sanierung des Gebäudebe-
stands sind im Gegensatz zu unserem Gegenvorschlag ein
Tropfen auf dem heißen Stein. Auch das EEG hat schwere
Mängel. Sie knöpfen dem normalen Verbraucher für das
100 000-Dächer-Programm in Deutschland pro Jahr ins-
gesamt 1,2 Milliarden DM ab; hinzu kommen noch
5,4 Milliarden DM aus dem EEG. Beides hat allerdings
den gigantischen Erfolg, dass sich der Anteil der Photo-
voltaik an der deutschen Stromproduktion auf sage und
schreibe 0,3 bis 0,6 Promille steigert.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Wahnsinn!)


Jetzt zum Stromeinspeisungsgesetz, Herr Trittin. Ich
glaube, jeder hier, der sich mit Energiepolitik beschäftigt,
weiß, dass die vorige Bundesregierung und die damalige
Koalition den Vorläufer der jetzigen Gesetzeslage und da-
mit auch die Grundlage für den Erfolg zum Beispiel bei
der Windkraft geschaffen haben. Wir können uns diesen
Erfolg also mit an den Hut heften.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das ist die Wahrheit!)


Sie fahren – es wurden China und Indien genannt – die
Entwicklungshilfe zurück, was natürlich die Handlungs-
spielräume für Energie- und Klimapolitik im Ausland ein-
schränkt, und schrauben die Ausgaben für die Energiefor-
schung zurück, und zwar vor allem auf dem Gebiet der
Kraftwerkstechnik, die Sie für besonders wichtig halten.
Ich gebe Ihnen Recht: Genau hier liegen die großen CO2-Minderungsspielräume für die Zukunft. Wenn Sie sich
aber die mittelfristige Finanzplanung anschauen, dann
wird deutlich, dass Sie dieses Programm bis 2004 erheb-
lich zurückfahren.

Besonders gravierend ist für mich die Frage des Kern-
energieausstiegs, und zwar nicht nur ökonomisch und
außen- und sicherheitspolitisch, sondern auch umweltpo-
litisch. Niemand von Rot-Grün hat bisher schlüssig darle-
gen können, wie wir die 160 Millionen Tonnen CO2, diewir zusätzlich produzieren, kompensieren können. Auch
die EU-Kommissarin de Palacio hat vor kurzem erklärt,
dass die Klimaschutzziele mit einem Atomausstieg nicht
in Einklang zu bringen sind.


(Walter Hirche [F.D.P.]: So ist es!)

Niemand konnte mir bisher erklären, welchen Gewinn die
Welt davon hat, wenn wir aus der sichersten Kerntechno-
logie aussteigen und andere Länder im Osten oder Ent-
wicklungsländer – übrigens nicht nur in China, sondern
auch in Indien – in eine viel weniger sichere Kerntechno-
logie einsteigen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wir exportieren damit nicht länger Sicherheit und Tech-
nologie, sondern wir importieren Atomstrom aus Kern-




Dr. Christian Ruck
14290


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(A)



(B)


kraftwerken, auf die wir keinen Einfluss mehr haben. Das
ist wirklich kein Gewinn, auch nicht für die Umwelt.

All diese Irrationalitäten Ihrer Energiepolitik sind ein
umweltpolitischer Rückschlag. Sie machen Deutschland
zu einem unsicheren Kantonisten, der international an
Einfluss verliert. Sie machen Umweltschutz teuer. Sie
verärgern die Leute und machen es der Politik damit
schwer, für Umwelt- und Klimaschutz zu werben.

Wir wissen alle, dass wir vor gigantischen Herausfor-
derungen stehen. Die Erfüllung der Verpflichtung, die
CO2-Emissionen in Deutschland bis zum Jahre 2005 um25 Prozent zu reduzieren, ist schwer genug. Aber jeder
von uns weiß, dass dies erst der Anfang ist, wenn wir un-
ser Klima einigermaßen in der Balance halten wollen.

Jeder von uns kennt das schwierige internationale Um-
feld. Wir werden unserer energiepolitischen Verantwortung
nur dann gerecht werden, wenn wir uns erstens internatio-
nal nicht isolieren, wenn wir zweitens die Klimaschutzziele
mit dem geringsten volkswirtschaftlichen Aufwand verfol-
gen und wenn wir drittens die Bürger in unserem Land da-
von überzeugen, dass wir ihnen für den Klimaschutz nur
die Opfer abverlangen, die wirklich nötig sind; denn dann
sind sie auch zu diesen Opfern bereit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Unsere Energiepolitik setzt nicht nur auf den Erhalt der
Kernenergie, sondern auch auf die technologische Fort-
entwicklung der Kernenergie hin zu noch mehr Effizienz
und Sicherheit, zum Beispiel auf den EPR. Auch wir set-
zen bei der Verdoppelung der regenerativen Energien an,
aber nicht mit Instrumenten, die schließlich zum Selbst-
zweck werden. Wir fordern eine Komplettsanierung des
Gebäudebestandes.

Frau Hustedt, es kränkt mich etwas, dass Sie die Anträge,
die wir dazu vorgelegt haben – sie sind auch von mir –, nicht
gelesen haben. Ich schicke sie Ihnen gerne noch einmal zu,
auch unseren Antrag zur KWK-Politik.

Wir wollen eine Stärkung der Energieforschung, aber
ohne ideologische Scheuklappen. Dabei denken wir an
Forschungen zur Effizienzsteigerung, an die Wasserstoff-
technologie, die Brennstoffzelle, aber auch an die Kern-
fusion. Wir setzen auf die Förderung von KWK, aber
nicht durch eine antiquierte Quotenregelung, sondern
zum Beispiel durch ein 100 000-Keller-Programm zur
Markteinführung innovativer, dezentraler Anlagen.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist es!)

Wir wollen auch die Stärkung der Entwicklungspolitik
zugunsten eines massiven Technologietransfers in die
Entwicklungs- und Schwellenländer;


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo sind Ihre Vorschläge? – Gegenruf des Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das sind die Vorschläge!)


denn hier – darauf wurde von Ihnen schon hingewiesen –
liegen die eigentlichen klimapolitischen Sprengsätze der
Zukunft.

Wir sind durchaus bereit und in der Lage, über Steuer-
politik zu reden, aber über Steuern, die die Gefahren-
quelle treffen, die wettbewerbsneutral sind und deren
Aufkommen wiederum für sinnvollen Klimaschutz ver-
wendet wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Eine solche Klimapolitik ist dann auch gleichzeitig
Umweltpolitik. Aber Ihre rot-grüne Energiepolitik steht
für Widersprüchlichkeit, für umweltpolitische Ineffi-
zienz, für Verschwendung knapper Ressourcen und leider
– dank Trittin und Co. – für ideologische Borniertheit bis
hin zur Sabotage des Rechtsstaats. Eine solche Energie-
politik ist nicht vernünftig, Herr Müller. Sie ist vielmehr
eine schlechte Politik. Wir haben dazu eine klare und gute
Alternative.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414605500
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Volker Jung.


Volker Jung (SPD):
Rede ID: ID1414605600
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! In dieser Debatte ist schon
sehr viel über Wettbewerb und Liberalisierung gespro-
chen worden. Das ist auch richtig so; denn in diesem Be-
reich gibt es sehr viele ungelöste Probleme. Ich möchte
meine knappe Redezeit nutzen, an diesen Punkt anzu-
knüpfen.

Wohin eine falsch angelegte Deregulierung in der
Stromversorgung führen kann – das ist schon verschie-
dentlich erwähnt worden –, können wir in diesen Tagen in
Kalifornien beobachten. Dadurch kann die Versorgungs-
sicherheitmassiv gefährdet werden und zu ruinösen Fol-
gen für die gesamte Wirtschaft führen. Die Internationale
Energie-Agentur sagt, dass uns dies in Europa nicht pas-
sieren könne. Sie schränkt diese Aussage aber ein, indem
sie hinzufügt, dass es nur dann nicht passieren könne,
wenn die Überkapazitäten bei der Stromversorgung nicht
wegfallen würden. Aber genau das ist die Entwicklung,
die vor uns liegt.

Auch bei uns ist zu beobachten, dass die Liberalisie-
rung der europäischen Strom- und Gasmärkte einen dra-
matischen Umbruch in unserer Energieversorgung einge-
leitet hat, der bis zum heutigen Tag nicht abgeschlossen
ist. Wir haben die überstürzte Liberalisierungspolitik der
damaligen Bundesregierung heftig kritisiert, nicht etwa
deswegen, weil wir den Wettbewerb auch in der leitungs-
gebundenen Energieversorgung ablehnen. Wir haben sie
vielmehr kritisiert, weil das neue Energiewirtschaftsge-
setz fast ausschließlich auf die Verschärfung des Preis-
wettbewerbes abstellt, und zwar ohne Rücksicht auf die
Umweltstandards und die Umweltziele, ohne Rücksicht
auf die Versorgungsstrukturen, die in unserem Land sehr
viel differenzierter angelegt sind, und ohne Rücksicht auf
die nationalen Energiestandorte und Arbeitsplätze.

Die alte Bundesregierung hat praktisch keinen der vor-
handenen Gestaltungsspielräume der europäischen Strom-
richtlinie genutzt und ausgeschöpft, wie zum Beispiel die




Dr. Christian Ruck

14291


(C)



(D)



(A)



(B)


stufenweise Marktöffnung, die Verankerung gemeinwirt-
schaftlicher Verpflichtungen, die Versorgungssicherheit,
den Umweltschutz und den Schutz heimischer Energieträ-
ger. Die Folge ist, dass ein reiner Preiswettbewerb ent-
standen ist, der mit Dumpingangeboten, mit Fusionen, mit
Unternehmensaufkäufen, mit Kraftwerksstilllegungen
und mit Billigstromimporten ausgetragen wird. Umwelt-
freundliche Arten der Energieerzeugung, heimische Kraft-
werksstandorte und verbrauchernahe Versorgungsstruktu-
ren sind dabei infrage gestellt.

Dies ist kein akzeptables Ergebnis der Deregulierung –
weder in Deutschland noch in Europa. Deshalb muss nach
unserer Auffassung im europäischen Binnenmarkt ausge-
schlossen werden, dass sich zulasten der Umwelt und
künftiger Generationen die billigsten Anbieter und die
schlechtesten Anlagen durchsetzen,


(Beifall des Abg. Dr. Norbert Wieczorek [SPD] und der Abg. Eva Bulling-Schröter [PDS])


dass die Stromversorgung in das Belieben der Anbieter
gestellt wird und dass das Netzmonopol missbraucht
wird. Es ist und bleibt Aufgabe der Politik, das auszu-
schließen. Wir tun dies Schritt für Schritt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva BullingSchröter [PDS])


Unsere Energiepolitik steht vor der Herausforderung,
das – wie ich es nennen möchte – Zielvieleck, bestehend
aus Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit und Um-
weltverträglichkeit – Bundeswirtschaftsminister Müller
hat diese Punkte schon erwähnt – und, wie ich hinzufügen
will, Standort- und Beschäftigungssicherheit, unter den
veränderten Bedingungen des europäischen Wettbewerbs
und gestiegener Klimaschutzanforderungen wieder ins
Gleichgewicht zu bringen.


(Beifall der Abg. Eva Bulling-Schröter [PDS])

Das gilt zunächst für die unterschiedlichen Marktöff-

nungen in Europa. Die alte Regierungsmehrheit hatte ent-
schieden, dass der deutsche Markt ohne Übergang, von
einem Tag auf den anderen, vollständig geöffnet wurde.
Unser Nachbar Frankreich zum Beispiel hat die Umset-
zung der europäischen Stromrichtlinie über ein Jahr ver-
schleppt und musste von der Europäischen Kommission
erst mit einem Vertragsverletzungsverfahren bedroht wer-
den, um ein nationales Gesetz zur Umsetzung der Strom-
richtlinie zu erlassen, das dann aber auch nur die minimal
vorgeschriebene Öffnung des französischen Marktes vor-
sah.

Dieses Problem lässt sich nach unserer Auffassung nur
auf zwei Wegen sauber lösen. Ein Weg ist, die Marktöff-
nung in Europa zu beschleunigen. Das halten wir für den
wettbewerbskonformen Weg. Deswegen unterstützen wir
die Initiative des Bundeswirtschaftsministers in Brüssel.
Die Kommission hat inzwischen vorgeschlagen, für Strom
bis zum Jahr 2005 eine vollständige Marktöffnung herbei-
zuführen. Eine parallele Initiative für Gas ist in Vorbe-
reitung.

Aber wer sich mit der Willensbildung in der Euro-
päischen Union etwas auskennt, wird eine gewisse Skep-

sis gegenüber den Erfolgsaussichten nicht verhehlen kön-
nen. Deswegen ist es unverzichtbar, auch über den alter-
nativen Weg nachzudenken, nämlich die Reziprozi-
tätsklausel im Energiewirtschaftsgesetz zu verschärfen.
Dieser Vorschlag liegt auf dem Tisch und muss gründlich
diskutiert werden.

Dies gilt aber auch für den Umwelt- und Klima-
schutz. Der drastische Preiswettbewerb hatte unmittelbar
zur Folge, dass die umweltschonende Stromerzeugung
aus erneuerbaren Energien und der Kraft-Wärme-Kopp-
lung, deren Ausbau seit Jahrzehnten mit dreistelligen Mil-
liardenbeträgen gefördert wurde, akut gefährdet war. Des-
halb sahen wir uns gezwungen, schnell zu handeln. Mit
dem Erneuerbare-Energien-Gesetz und dem KWK-So-
forthilfegesetz, die wir im vergangenen Jahr verabschie-
det haben, glauben wir, diese Fehlentwicklung gestoppt
zu haben und umkehren zu können.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Wettbewerbsmarkt Energie braucht ökologische
Flankierungen zugunsten erneuerbarer Energien und der
Kraft-Wärme-Kopplung sowie Anreize für einen sparsa-
men und effizienten Umgang mit Energie. Das gilt nicht
nur für unser Land, sondern für ganz Europa. Denn beide
Ebenen sind Signatare der Kioto-Verpflichtung und tra-
gen dafür auch die politische Verantwortung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mit den bisher beschlossenen Maßnahmen – ökologi-
sche Steuerreform, Erneuerbare-Energien-Gesetz, KWK-
Soforthilfegesetz, Förderprogramme für erneuerbare Ener-
gien – haben wir in Deutschland wichtige Schritte
unternommen. Weitere Maßnahmen, die in unserem Kli-
maschutzprogramm verankert sind, vor allem der Ausbau
der Kraft-Wärme-Kopplung,müssen folgen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414605700
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hirche?


Volker Jung (SPD):
Rede ID: ID1414605800
Bitte sehr, Herr
Hirche.


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1414605900
Herr Kollege Jung, ich erbitte
zu Folgendem Ihre Stellungnahme: Im KWK-Bereich öf-
fentliche Versorgung haben wir 28 Terawatt, für 48 Tera-
watt sind laut Bericht des Bundeswirtschaftsministers
Subventionsanträge gestellt worden. Wie soll bei dieser
Diskrepanz Qualität gesichert werden?


Volker Jung (SPD):
Rede ID: ID1414606000
Diese Verwirrung
bringen Sie in die Diskussion, weil Sie schlicht den För-
deransatz des Soforthilfegesetzes und den Ansatz, den wir
für das Ausbaugesetz finden müssen, verwechseln. Im
Soforthilfegesetz ging es immer um „stranded invest-
ments“. Dass dabei ein Teil des Kondensationsstroms mit-




Volker Jung (Düsseldorf)

14292


(C)



(D)



(A)



(B)


gefördert worden ist, liegt an der Anlage, daran, dass die
Anlagen insgesamt gefährdet sind. Deswegen war das
eine bewusste Entscheidung. Im Ausbaugesetz werden
die Effizienzkriterien sehr viel enger angelegt werden.
Wesentliche Mitnahmeeffekte sollen verhindert werden.
Es wird vor allen Dingen ein Marktdruck ausgeübt wer-
den, damit es im Anlagenbestand zu einer technologi-
schen Entwicklung kommt.

Das ist der Unterschied. Wenn Sie den nicht zur Kennt-
nis nehmen, dann können Sie die ganze Diskussion nicht
verstehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich empfehle Ihnen, abzuwarten, welche Vorschläge auf
den Tisch kommen. Die Arbeiten sind relativ weit voran-
geschritten.

Uns ist durchaus bewusst, dass all die Maßnahmen, die
ich hier erwähnt habe, die Wettbewerbsposition der deut-
schen Wirtschaft berühren. Darum müssen wir diese
Schritte auch mit Augenmaß unternehmen. Aber nach aller
Erfahrung geht kein Weg daran vorbei, das immer einige
Länder in Europa vorangehen müssen, um europäische
Entscheidungen voranzubringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Unser Ziel ist und bleibt es aber, diese Maßnahmen auf
europäischer Ebene zu ergänzen und auch zu harmonisie-
ren. Dies gilt nicht zuletzt für die Standort- und Be-
schäftigungssicherung. Unter den Rahmenbedingungen
eines zugespitzten Preiswettbewerbs, erheblicher Über-
kapazitäten in der Stromerzeugung, einer ungleichge-
wichtigen Marktöffnung und zunehmender Importab-
hängigkeit in der Energiewirtschaft sind Standort- und
Beschäftigungssicherung sehr viel schwieriger geworden,
aber gleichwohl unentbehrlich. Dort werden wir unsere
ganze Kraft einsetzen.

Ich glaube, meine Damen und Herren, dass die eigent-
liche Ideologie, die in dieser Debatte zum Ausdruck ge-
kommen ist, darin liegt, dass die Opposition meint, Wett-
bewerb als Selbstzweck hochstilisieren zu können.
Wettbewerb ist aber immer nur Mittel zum Zweck, das
heißt, die Politik muss die Rahmenbedingungen setzen,
unter denen sich Wettbewerb entfalten kann, und
Rahmenbedingungen müssen – wie es schon gesagt wor-
den ist – die Wirtschaftlichkeit, die Versorgungssicher-
heit, die Umweltverträglichkeit, aber auch die Standort-
und Beschäftigungssicherung berücksichtigen. Das sind
die Leitlinien unseres Handelns.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414606100
Ich schließe da-
mit die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen:
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und
Technologie zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
mit dem Titel „Energiepolitik für Deutschland – Konse-

quenzen aus dem Energiedialog 2000“. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3507 abzu-
lehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des
Ausschusses? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. angenommen.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der
Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Energieein-
sparung durch Minderung des Stromverbrauchs von Elek-
trogeräten im Leerlaufmodus“. Der Ausschuss empfiehlt
die Annahme des Antrags auf Drucksache 14/2348 in der
Ausschussfassung. Wer stimmt für die Beschlussempfeh-
lung des Ausschusses? – Gibt es Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig
angenommen worden.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft
und Technologie zu der Unterrichtung durch das Europä-
ische Parlament mit dem Titel „Entschließung des Euro-
päischen Parlaments zu Elektrizität aus erneuerbaren
Energieträgern und zum Elektrizitätsbinnenmarkt“. Der
Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis dieser Resolution eine
Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. angenommen.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft
und Technologie zu dem Antrag der Fraktion der F.D.P.
mit dem Titel „Zukunftsfähige Energiepolitik für den
Standort Deutschland“. Der Ausschuss empfiehlt, den An-
trag auf Drucksache 14/2364 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthal-
tungen? – Diese Beschlussempfehlung ist mit dem eben
festgestellten Stimmenverhältnis angenommen.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der
Fraktion der CDU/CSU zu dem Thema „Energiepolitik
für das 21. Jahrhundert – Einstieg in ein nachhaltiges,
klimaverträgliches Energiekonzept statt Ausstieg aus der
Kernenergie“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/543 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung des Ausschusses? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die
Stimmen der CDU/CSU angenommen; die F.D.P. hat sich
enthalten.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft
und Technologie zu dem Entschließungsantrag der Frak-
tion der F.D.P. zu dem Gesetzentwurf zur Förderung der
Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien sowie zur
Änderung des Mineralölsteuergesetzes. Der Ausschuss
empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksa-
che 14/2778 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. angenommen.




Volker Jung (Düsseldorf)


14293


(C)



(D)



(A)



(B)


Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/1234 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Einverstanden? –
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Die Fraktion der SPD hat gebeten, die Sitzung für etwa
eine halbe Stunde zu unterbrechen. Das tun wir auch. Der
Wiederbeginn der Sitzung wird rechtzeitig durch Klingel-
signal angekündigt.

Die Sitzung ist damit unterbrochen.

(Unterbrechung von 13:05 bis 13:45 Uhr)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414606200
Die un-
terbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17 e auf:
Überweisungen im vereinfachten Verfahren

a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jörg van
Essen, Gerhard Schüßler, Dr. Max Stadler, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung
des Deutschen Richtergesetzes (DRiG ErgG)

– Drucksache 14/4909 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 13. Dezember 1999 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Republik
Panama über den Luftverkehr
– Drucksache 14/4988 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Finanzausschuss

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 2. Mai 1997 zwischen der Regie-
rung der Bundesrepublik Deutschland und der
Regierung der Republik Estland über den
Luftverkehr
– Drucksache 14/4989 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Finanzausschuss

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhe-
bung des Magnetschwebebahnbedarfsgesetzes
– Drucksache 14/5067 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umstel-
lung von Vorschriften im land- und forstwirt-

(Fünftes EuroEinführungsgesetz)

– Drucksache 14/4555 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen beschlossen.

Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkte 18 a bis
18 m. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorla-
gen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 18 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Ge-
setzes zur Änderung des Gesetzes über die Ver-
arbeitung und Nutzung der zur Durchführung
der Verordnung (EG) Nr. 820/97 des Rates
erhobenen Daten
– Drucksache 14/4721 –

(Erste Beratung 137. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten

(10. Ausschuss)

– Drucksache 14/5142 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Franz Obermeier

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
dritter Beratung einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 18 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet
der Anerkennung und Vollstreckung ausländi-
scher Entscheidungen in Zivil- und Han-
delssachen
– Drucksache 14/4591 –

(Erste Beratung 137. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/5143 –




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
14294


(C)



(D)



(A)



(B)


Berichterstattung:
Abgeordnete Margot von Renesse
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
Rainer Funke

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 18 c:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
den Änderungsurkunden vom 6. November
1998 zur Konstitution und zur Konvention der
Internationalen Fernmeldeunion vom 22. De-
zember 1992
– Drucksache 14/3952 –

(Erste Beratung 121. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

– Drucksache 14/5104 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gudrun Kopp

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-
fiehlt auf Drucksache 14/5104, den Gesetzentwurf anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 18 d:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Abkommen vom 28. Juli
1995 zwischen der Regierung der Bundesrepu-
blik Deutschland und der Regierung der
Aserbaidschanischen Republik über den Luft-
verkehr und zu dem Protokoll vom 29. Juni
1998 zur Berichtigung und Ergänzung des Ab-
kommens vom 28. Juli 1995 zwischen der
Regierung der Bundesrepublik Deutschland
und der Regierung der Aserbaidschanischen
Republik über den Luftverkehr
– Drucksache 14/3476 –

(Erste Beratung 111. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(15. Ausschuss)

– Drucksache 14/4971 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Norbert Königshofen

Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
empfiehlt auf Drucksache 14/4971, den Gesetzentwurf
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 18 e:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. Mai
1999 zwischen der Regierung der Bundesrepu-
blik Deutschland und der Regierung der Repu-
blik Moldau über den Luftverkehr
– Drucksache 14/3475 –

(Erste Beratung 111. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(15. Ausschuss)

– Drucksache 14/4972 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Norbert Königshofen

Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
empfiehlt auf Drucksache 14/4972, den Gesetzentwurf
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange-
nommen.

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Peti-
tionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 18 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des
Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 174 zu Petitionen
– Drucksache 14/3537 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 174 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen aller anderen
Fraktionen angenommen.

Tagesordnungspunkt 18 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des
Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 194 zu Petitionen

(Schadensersatzleistungen aufgrund eines in der früheren DDR erlittenen Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit)

– Drucksache 14/4561 –




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

14295


(C)



(D)



(A)



(B)


Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS
auf Drucksache 14/4927 vor. Wer stimmt für diesen Än-
derungsantrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS mit den
Stimmen aller anderen Fraktionen abgelehnt.1)

Wer stimmt für die Sammelübersicht 194? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Sammelübersicht
194 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der
CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der PDS an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 18 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 234 zu Petitionen
– Drucksache 14/5098 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 234 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der F.D.P. bei
Enthaltung der PDS angenommen.

Tagesordnungspunkt 18 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 235 zu Petitionen
– Drucksache 14/5099 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 235 ist bei Enthaltung der
PDS mit den Stimmen aller anderen Fraktionen ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 18 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 236 zu Petitionen
– Drucksache 14/5100 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 236 ist damit einstimmig
angenommen.

Tagesordnungspunkt 18 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 237 zu Petitionen
– Drucksache 14/5101 –

Wer stimmt dafür? – Wer enthält sich? – Wer stimmt
dagegen? – Sammelübersicht 237 ist damit einstimmig
angenommen.

Tagesordnungspunkt 18 l:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 238 zu Petitionen
– Drucksache 14/5102 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 238 ist damit einstimmig
angenommen.

Tagesordnungspunkt 18 m:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 239 zu Petitionen
– Drucksache 14/5103 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 239 ist bei Gegenstimmen
der PDS mit den Stimmen aller anderen Fraktionen ange-
nommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Keine Ausgrenzung unserer Bauern – die
Bundesregierung muss dem ländlichen Raum
in der gegenwärtigen Krise helfen

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Michael Glos von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.


(Karsten Schönfeld [SPD]: Reden Sie jetzt über den Schweineskandal in Bayern?)



Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID1414606300
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die Gewerkschaft
Nahrung – Genuss – Gaststätten sagt: 40 000 Arbeits-
plätze sind durch BSE gefährdet. In der Fleischwarenin-
dustrie herrscht Kurzarbeit. Erste Konkurse sind zu ver-
zeichnen. Die Lage unserer Vieh haltenden Bauern ist
verzweifelt. In Bayern werden 30 Prozent des deutschen
Rindfleisches erzeugt. 80 000 schlachtreife, aber nicht
vermarktbare Rinder stehen derzeit allein in Bayern in
den Ställen. Jede Woche kommen 10 000 weitere hinzu,


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hätten Sie mal besser früher aufgepasst!)


die eigentlich geschlachtet werden müssten, aber gegen-
wärtig auf dem Markt nicht unterzubringen sind.


(Heidemarie Wright [SPD]: Wer ist daran schuld?)


Die deutschen Bauern haben sich stets bemüht, die
Rahmenbedingungen, die ihnen vorgeschrieben wurden,
einzuhalten und zu erfüllen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat sie denn vorgeschrieben?)





Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
14296


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 2, Erklärung nach § 31 GO des Abg. Dr. Ilja Seifert (PDS)


Die Wirtschaftsbereiche, die mit der Landwirtschaft ver-
bunden sind, wie der Landhandel, der Landmaschinen-
handel, aber auch die Banken, insbesondere die Genos-
senschaftsbanken, die den Landwirten Kredite gegeben
haben, befinden sich alle in einer sehr schwierigen Situa-
tion.

Deswegen fordern wir heute von der Bundesregierung
ein klares, rasches und überzeugendes Hilfskonzept.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Man kann einen Wirtschaftszweig in dieser dramati-

schen Situation nicht allein lassen. Gerade die CDU/CSU
und die Bayern sind verlacht worden


(Zuruf von der SPD: Mit Recht!)

wegen des so genannten bayerischen Weges,


(Zurufe von der SPD: Darüber haben wir ja gestern gesprochen! – Der Weg ist gescheitert!)


bei dem wir uns bemüht haben, möglichst viele Land-
wirtschaftsbetriebe am Leben zu halten


(Karsten Schönfeld [SPD]: Die CSU-Schweinereien sind gescheitert!)


und keine Politik des „Wachsens oder Weichens“ zu be-
treiben. Wenn heute gegenüber der Agrarindustrie der
Vorwurf unterschwellig – erhoben wird, alle größeren
Haltungsformen seien des Teufels, dann muss man sagen:
Gerade in Bayern ist dieses sehr viel weniger ausgeprägt
als anderswo.


(Karsten Schönfeld [SPD]: Reden Sie doch einmal über den bayerischen Saustall!)


Wir wissen allerdings, dass das nicht automatisch davor
schützt, dass es auch dort zu Krankheiten und Infektionen
kommen kann.

Anderswo, auch und gerade in Niedersachsen – –

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Warum ist denn aus gerechnet im Lande Bayern so viel?)

– Ich habe einmal gelernt: Wer schreit, der hat Unrecht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Dr. Uwe Küster [SPD]: Ich wollte Ihnen das nur ans Ohr bringen!)


– Jetzt warten Sie doch erst einmal ab.
Gerade in Niedersachsen, während der Regierungszeit

des Ministerpräsidenten Gerhard Schröder, setzte man
stark auf größere Einheiten in der Viehhaltung. Vor allen
Dingen hat man eine stärkere Orientierung an den euro-
päischen Märkten und auch an den Weltmärkten gefor-
dert. Dies alles ist in enger Fühlungnahme und in Ab-
stimmung – wie es sich gehört – mit dem Bauernverband
und auch mit dem damals hoch gelobten und jetzt rasch
entlassenen Agrarminister Funke geschehen.

Nach dem Regierungswechsel im Bund haben sich die
Verantwortlichen der Bauernverbände – das sind keine
Berufsfunktionäre, wie der Herr Bundeskanzler abwer-
tend sagte – mit der neuen Regierung zusammengesetzt,

um das Beste für ihren Berufsstand zu erreichen und da-
mit für eine sichere Ernährung in Deutschland zu sorgen.
Die Bauernverbände sind sogar so weit gegangen – was
ich nicht billigen kann; das geschah natürlich in Anpas-
sung an die neuen Herrschaftsverhältnisse in Deutsch-
land –, einen Bauernverderber wie den Herrn Gysi auf
dem Deutschen Bauerntag reden zu lassen.


(Gerhard Jüttemann [PDS]: Sehr gut!)

Man kann den Bauernverbänden keine Einseitigkeit

vorwerfen, so wie es jetzt im Nachhinein konstruiert wer-
den soll.


(Zuruf von der SPD: Herr Gysi ist Rinderzüchter!)


Ich wehre mich dagegen, dass SPD und Grüne unsere
Bauern wegen der BSE-Krise zu Prügelknaben der Nation
machen wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn der Herr Bundeskanzler, nachdem diese Krise

auch uns erreicht hat, sofort markig davon spricht, dass er
sich vom Geschrei der Funktionäre des Deutschen Bau-
ernverbandes, mit denen er sonst ein sehr spezielles Ver-
hältnis hatte, nicht mehr beeindrucken lässt, dann ist das
mindestens so unverschämt wie Ihr ständiges Geschrei
hier.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Am 29. November 2000 hat der Bundeskanzler von
dieser Stelle aus verkündet: „Weg von den Agrarfabri-
ken.“ Er hat angekündigt, „eine Perspektive für eine an-
dere, verbraucherfreundlichere Landwirtschaft zu ent-
wickeln.“

Derselbe Bundeskanzler, Gerhard Schröder, hat noch
am 2. Juli 1999 auf dem Bauerntag in Cottbus erklärt – ich
zitiere –:

Die teilweise Absenkung der Agrarpreise in der
Agenda 2000 ist ein Erfolg, weil jeder sich im Kla-
ren sein musste, dass wir näher an die Preise des
Weltmarktes heran müssen.“

Herr Funke hat die Bauern stets insbesondere vor der
Politik in Bayern gewarnt


(Zuruf von der SPD: Zu Recht!)

und hat die auf die Umwelt bezogenen Ausgleichsbeträge,
die es nur in Bayern gegeben hat, als einen Fehler be-
zeichnet.

Der Agrarsprecher der SPD – Weisheit soll er heißen;
hier ist der Name anscheinend nicht Omen, sondern of-
fensichtlich Zufall – hat gesagt


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)


– Moment, jetzt hören Sie sich doch erst einmal an, was
er gesagt hat; ich zitiere –:

In den letzten Jahren hat zu wenig Strukturwandel in
Teilen dieser Republik stattgefunden.




Michael Glos

14297


(C)



(D)



(A)



(B)


Er hat nicht den Strukturwandel hin zu mehr ökologischer
Landwirtschaft, sondern hin zu Großproduktion gemeint.

Eine Aktuelle Stunde erlaubt nicht, die Dinge zu Ende
zu führen. Deswegen sage ich, da das alles so war und da
Sie bei uns im Lande Verantwortung tragen: Handeln Sie
endlich zugunsten unserer Bauern!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414606400
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Waltraud
Wolff von der SPD-Fraktion.


Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1414606500
Sehr geehrter
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Rot-grünes
Chaos in der Krisenbewältigung“, „Die Bauern werden
allein gelassen“, „Es zählen nur noch Verbraucherinteres-
sen…“ – das sind Aussagen einer Opposition aus den ver-
gangenen Wochen und Tagen, die es heute wagt, zu die-
sem Thema eine Aktuelle Stunde zu inszenieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zum größten Teil besteht sie aus denselben Politikern, die
in den Jahren eigener Regierungsverantwortung die
Worte Sicherheit und Verbraucherschutz aus ihrem Wort-
schatz gestrichen hatten. Da frage ich natürlich ernsthaft:
Wer hat hier die Bauern im Regen stehen lassen? Warum
stehen denn, Herr Glos, wie Sie eben gesagt haben, die
vielen Arbeitsplätze im landwirtschaftlichen Bereich und
in den Sekundärbereichen auf der Kippe? Weil Sie nicht
gehandelt haben, weil Sie zu feige waren, die richtigen
Maßnahmen zu ergreifen. Gestern in der Ausschusssit-
zung glaubte ich allerdings, dass die Abgeordneten der
CDU in ihren Wortbeiträgen meine Kolleginnen von den
Grünen noch links überholen würden. So ändern sich die
Zeiten.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Nach dem ersten BSE-Fall in Deutschland hat die

Bundesregierung sofort gehandelt. Das Verbot der Verfüt-
terung von Tiermehl und der Verwendung von Milchaus-
tauschern kam augenblicklich. Rasche Hilfe ist notwen-
dig. Das ist völlig unstrittig. Komischerweise sind wir uns
darüber fraktionsübergreifend – allerdings: unpopulär,
hinter verschlossenen Ausschusstüren – einig.

Meine Damen und Herren, schnelle Hilfe tut Not – da-
rüber gibt es keine gegensätzlichen Auffassungen –: Ers-
tens. Wir sind für eine gesunde Ernährung von mehr als
80 Millionen deutscher Bürgerinnen und Bürger verant-
wortlich. Wir müssen dem Verbraucherschutz oberste Pri-
orität einräumen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Zweitens. Wir haben für eine gläserne Produktion zu sor-
gen, und zwar nicht nur, weil wir den Verbrauchern ver-
pflichtet sind, sondern auch, weil wir nur auf diese Weise
dem Berufsstand der Bauern helfen können.

Zweifelsohne kommen – das räume ich hier ein – die
Auswirkungen des Sofortprogramms zu langsam bei den
Bauern an. Aber was seit sechs oder sieben Jahren ver-
schlampt und verschlafen wurde, kann man nicht in einem
Monat wieder beheben. Meine Damen und Herren der
Opposition, Sie sollten lieber Ihre Kraft effektiv bei der
Krisenbewältigung einsetzen, statt hier populistisch Ak-
tuelle Stunden zu beantragen.


(Beifall bei der SPD)

In der nächsten Woche werden Entscheidungen der Mi-

nisterin, Frau Künast, zum Marktentlastungsprogramm
bekannt gegeben werden. Mit circa 1,9 Milliarden DM
will die EU den Aufkauf von rund 2 Millionen Rindern
über 30 Monate finanzieren und sich an den Kosten der
BSE-Tests beteiligen; in Deutschland könnten im Zuge
dieses Pakets allein 400 000 Rinder herausgekauft wer-
den. Ich weiß, bezüglich der Frage: „Was wird mit den
getöteten BSE-freien Tieren?“ gibt es ethische und auch
tierschutzrechtliche Bedenken. Meine Damen und Her-
ren, mir sind Tierschutz und Hunger in der Welt bei wei-
tem nicht egal. Aber mit aller Deutlichkeit will ich hier sa-
gen, dass wir angesichts unseres jetzigen Wissensstandes
weder um die Keulung ganzer Herden bei Auftreten von
BSE noch um das Marktentlastungsprogramm herum-
kommen. Die Bauern warten darauf. Auf ihnen lastet der
Druck. Sie wissen nicht mehr, wohin mit ihren Tieren. Sie
alle kennen das auch aus Ihren Wahlkreisen. Wer, bitte
schön, möchte sich das Horrorszenario ausmalen, das
Wirklichkeit wird, wenn wir jetzt nicht schnell handeln?

Gestern gab es eine Aktuelle Stunde zum Thema Arz-
neimittel in der Schweinehaltung. Es geht weiter, meine
Damen und Herren, die Skandale nehmen kein Ende.
Schuld daran sind meiner Meinung nach zum Teil auch
die Wünsche der Verbraucher, die ständig auf billige
Lebensmittel gedrungen haben, vorrangig aber kriminelle
Tierärzte und betrügerische, unverantwortliche Bauern,
die meinten, sie seien selber Arzt, und so dem gesamten
Berufsstand geschadet haben.


(Heidemarie Wright [SPD]: Und eine wegschauende Bayerische Staatsregierung!)


– Richtig, die Bayerische Staatsregierung schaut weg. –
Um gegenüber der Landwirtschaft wieder Vertrauen zu
schaffen, den Bauern wieder zu dem Vertrauen zu verhel-
fen, das sie verdient haben, hat der Bundeskanzler das ein-
zig Richtige getan, nämlich den Verbraucherschutz im
Landwirtschaftsministerium verankert. Lebensmittelsi-
cherheit durch Prüfungen ist unabdingbar. Harte Sanktio-
nen bei Verstößen reichen mir persönlich nicht aus. Ich
will, dass solche groben und wissentlichen Zuwiderhand-
lungen strafrechtlich geahndet werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Ich begrüße es, dass Frau Künast einen Wissenschaftli-
chen Beirat im Ministerium berufen will. Es wird eine
Behörde für Lebensmittelsicherheit geschaffen. Wir wer-
den ein staatliches Prüfsiegel erlassen, das strengen Kri-
terien unterliegt, und zwar sowohl für den konventionel-
len als auch für den ökologischen Anbau.




Michael Glos
14298


(C)



(D)



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(B)


Wir haben in den nächsten Wochen Entscheidungen
auf EU-Ebene und auf nationaler Ebene zu treffen. Sie
sind im gesamtdeutschen Interesse, aber vor allem auch
im Interesse des Berufsstandes der Bauern; denn es ist ihr
Ansinnen, Qualität zu sichern und Vertrauen in ihre Pro-
dukte wiederherzustellen. Nicht die Bauern sind ursäch-
lich schuld. Deshalb lassen die SPD und die Grünen, die
Regierungsfraktionen, die Bauern nicht allein. Wir küm-
mern uns weiterhin um die Entwicklung des ländlichen
Raumes.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414606600
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Marita Sehn von der
F.D.P.-Fraktion das Wort.


Marita Sehn (FDP):
Rede ID: ID1414606700
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen! Liebe Kollegen! In Ihrem Bericht vom 6. Dezem-
ber 2000 zur Politik der ländlichen Räume schreiben Sie,
dass nach dem Regierungswechsel von 1998 eine Neu-
ausrichtung der Agrarpolitik stattgefunden hat. Jetzt, im
Angesicht der BSE-Krise, wird der Kanzler nicht müde,
zu betonen, dass die Agrarpolitik wieder neu ausgerichtet
werden muss. Erneut ist die Rede von einer Wende.

Meine Damen und Herren, den Landwirten muss ja
schon ganz schwindlig werden, so schnell, wie sich die
Regierung in der Agrarpolitik wendet.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Aber es liegt nun einmal im Wesen von Wenden, dass der-
jenige, der sich zweimal wendet, wieder dort steht, wo er
am Anfang war. Eine Politik für den ländlichen Raum, die
diesen Namen verdient, darf sich nicht ausschließlich um
die Interessen der Landwirte kümmern. Sie muss die In-
teressen aller Bewohner und wirtschaftlichen Akteure des
ländlichen Raumes vertreten: des Handwerkes ebenso
wie des Mittelstandes und natürlich auch der Landwirte.

Die Neugestaltung des Agrarressorts hätte eine echte
Chance sein können, das Ziel einer integrierten Politik für
den ländlichen Raum auch institutionell zu verankern und
das Landwirtschaftsministerium mit zusätzlichen, für die
ländlichen Gebiete relevanten Kompetenzen auszustatten.


(Beifall bei der F.D.P.)

Auf diese Weise hätte ein kraftvolles, homogenes Minis-
terium für den ländlichen Raum geschaffen werden kön-
nen. Stattdessen hatte man den Eindruck, dass es bei der
Ressortaufteilung zuging wie auf einem parteipolitischen
Basar. Der Anspruch, effiziente Strukturen zu schaffen,
spielte in dieser Diskussion keine Rolle.

Die Politik der Bundesregierung wird nicht von der La-
dentheke her gedacht, sondern aus der Stadt heraus, und
dann den ländlichen Gebieten übergestülpt.


(Matthias Weisheit [SPD]: Oh!)


Die Bewohner des ländlichen Raumes – Herr Weisheit,
das ist leider wahr – fühlen sich von dieser Regierung
schon lange nicht mehr vertreten.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber was kümmern den Genossen der Bosse die Bauern?
Was kümmern ihn die Sorgen und Nöte des Handwerkes
und des Mittelstandes?

Ich freue mich immer wieder, wenn ich sehe, wie viel
sich in Berlin in den letzten Jahren verändert hat. Es freut
mich, zu sehen, was mit den eingesetzten Mitteln erreicht
werden konnte. Im krassen Widerspruch dazu stehen al-
lerdings die Schwierigkeiten, Mittel auf kommunaler
Ebene, selbst für dringend notwendige Maßnahmen, zu
bekommen. Die Verärgerung und Frustration, die in vie-
len ländlichen Gebieten zutage tritt, kann ich sehr gut
nachvollziehen. So warten, um Ihnen ein Beispiel zu nen-
nen – Herr Diller kennt es –, die Bürger von Kastellaun
und Gödenroth im Hunsrück schon seit langem vergeblich
auf die dringend benötigten Umgehungsstraßen, ohne
dass sich etwas tut.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind gar nicht planfestgestellt!)


– Es ist eine Bundesstraße, liebe Frau Höfken.

(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Trotzdem! Umgesetzt werden muss es auf Landesebene!)


Eine Politik für den ländlichen Raum würde ein kon-
zertiertes Vorgehen der relevanten Ressorts aus Verkehrs-,
Umwelt-, Wirtschafts- und Landwirtschaftsministerium
erfordern.


(Beifall bei der F.D.P.)

Hier wäre echte Teamarbeit gefragt und nicht das isolierte
Herumagieren der einzelnen Ressorts. Wie das Teamplay
innerhalb der Bundesregierung funktioniert, hat das Duo
Funke/Fischer in eindrucksvoller Weise demonstriert. Bei
einer Politik für den ländlichen Raum sind aber Konzepte
gefragt und keine grün-rote Flickschusterei.

Die Erfolgsbilanz der Agrarpolitik dieser Bundesregie-
rung ist bislang alles andere als beeindruckend.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Mager!)

Da wird ein Landwirtschaftsminister ernannt, und kaum
dass die Landwirte ein ernsthaftes Problem haben, macht
sich Herr Funke aus dem Staub und lässt die Bauern im
Regen stehen. Um dem Ganzen noch die Krone aufzuset-
zen, verkündet der Bundeskanzler, dass er sowieso nur
mit den „redlichen Landwirten“ reden möchte. Aber wer
sind denn nun die „unredlichen“ Landwirte, Herr
Schröder? Sind es die 97 Prozent konventionell wirt-
schaftenden Betriebe oder sind es die nicht SPD-wählen-
den Landwirte?


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Ist das langweilig, Frau Sehn! – Walter Hirche [F.D.P.]: Ein besonderes Verständnis von Demokratie!)


– Das ist wohl wahr.




Waltraud Wolff (Wolmirstedt)


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(D)



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(B)


Es ist interessant, wenn man sieht, wie fleißig Frau
Künast bemüht ist, sich von den vollmundigen Verlautba-
rungen ihres Kanzlers zu distanzieren. Da heißt es auf ein-
mal:

Ich werde mich nicht daran beteiligen, konventio-
nelle und ökologische, große und kleine Betriebe ge-
geneinander auszuspielen!

(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das macht der Kanzler auch nicht! Sie müssen zuhören, Frau Sehn!)


Das müssen Sie auch nicht, Frau Künast, da Ihr Chef das
bereits für Sie erledigt hat.

Und man höre und staune: Aus der groß angekündigten
Wende in der Agrarpolitik ist ein „Wendechen“ geworden.
Die einzigen Wenden, die diese Regierung hinbekommt,
sind die Wenden der grünen Politiker: Joschka Fischer
wendet sich vom Straßenkämpfer zum staatstragenden
Außenminister,


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, Frau Sehn! Sie fahren die ganze Palette hoch und runter!)


Jürgen Trittin vom Terrorismusbefürworter zum Armani-
träger und Frau Künast, liebe Frau Lemke, befindet sich
gerade in Vorbereitung ihrer agrarpolitischen Wende.

Aus dem im Bundestagswahlprogramm von 1998
pompös angekündigten sozialökologischen Agrarpro-
gramm ist mittlerweile ein bescheidenes Ausschöpfen der
bestehenden Möglichkeiten für eine differenzierte Förder-
politik geworden, was auch immer die Ministerin darunter
versteht. Sie ist also aus ihrem grünen Wolkenkuckucks-
heim auf den Boden der Realpolitik heruntergekommen.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Das kann nur gut sein!)


Sehr geehrte Damen und Herren, der ländliche Raum
und mit ihm die Landwirte sind für die kulturelle Identität
unseres Landes von extremer Bedeutung. Wir Liberalen
bekennen uns zu einer starken und selbstbewussten deut-
schen Landwirtschaft als integralem Bestandteil des länd-
lichen Raumes und fordern schnelle und unbürokratische
Hilfe.

Danke.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Haben Sie das vor zehn Jahren auch schon gemacht, Frau Sehn?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414606800
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Steffi Lemke,
Bündnis 90/Die Grünen.


Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414606900
Geehr-
ter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Deutschland steckt in der BSE-Krise, und zwar nicht nur
die deutschen Landwirte, sondern die gesamte Gesell-
schaft. Wir diskutieren über eine Neuausrichtung der
Agrarpolitik und über das aktuelle BSE-Krisenmanage-

ment. Die CDU/CSU leistet zu dieser Debatte so wert-
volle Beiträge wie die heutige Aktuelle Stunde.

Ich hatte erwartet, dass Sie inzwischen vielleicht Vor-
schläge und Konzepte zur BSE-Bekämpfung und zur
Neuorientierung der Agrarpolitik haben, die Sie dem Par-
lament vorlegen. Fehlanzeige! Sie sind damit beschäftigt,
Ihre Fehler der Vergangenheit aufzuarbeiten, und können
es nicht verknusen, dass die Bauern, die Sie bisher als Ihr
politisches Eigentum betrachtet haben, jetzt mit uns in ei-
nen Dialog eintreten – Herr Sonnleitner und die Präsiden-
ten anderer Bauernverbände haben uns die Bereitschaft
zum Dialog deutlich signalisiert – und über die Neuaus-
richtung der Agrarpolitik diskutieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie versuchen seit Wochen, Grabenkämpfe mit uns
auszutragen. Sie versuchen, uns zu unterstellen, wir wür-
den eine Ausgrenzungspolitik gegen die Landwirte be-
treiben. Sie versuchen, Gräben zwischen Ost und West,
zwischen Groß und Klein und zwischen Öko und Kon-
ventionell aufzuschütten. Ich sage Ihnen: Wir lassen uns
nicht in eine solche Debatte hineintreiben, und zwar we-
der von Ihnen noch von einzelnen Bauernverbandfunk-
tionären.

Es wird mit Rot-Grün keine einseitig ausgerichtete
Agrarpolitik geben. Wir werden auch weiterhin, wie wir
es in der Vergangenheit getan haben, für große und für
kleine Betriebe, für Betriebe im Osten und im Westen und
für ökologische und konventionelle Betriebe Landwirt-
schaftspolitik betreiben, weil im Moment alle Arten von
Landwirtschaft und alle Bauern eine Diskussion über ihre
Perspektiven und keinen billigen politischen Schlagab-
tausch, wie Sie ihn heute wieder zu liefern versuchen,
brauchen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Herr Glos, ich möchte Sie gern persönlich ansprechen,
weil Sie versuchen, die Bundesregierung und die Koaliti-
onsfraktionen mit Vorwürfen und Fehlern aus der Vergan-
genheit zu konfrontieren: Angesichts dessen, was in Bay-
ern passiert ist, möchte ich Ihnen raten, mit dem Kollegen
Stoiber zu sprechen, damit er sich Herrn Miller für ein
Vier-Augen-Gespräch vornimmt. Nachdem offensicht-
lich geworden ist, wie die hochgelobte Landwirtschaftpo-
litik in Bayern von offizieller Seite gegen die Wand ge-
fahren worden ist, sollten Sie hier im Parlament mit
Vorwürfen gegenüber anderen sehr zurückhaltend sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


1997 hat der Bayerische Landtag den Beschluss gefasst
– wenn ich richtig informiert bin, sind dafür die Stimmen
der CSU notwendig –, antibiotisch wirkende Leistungs-
förderer aus dem Qualitätsfleischprogramm in Bayern
herauszunehmen. Das ist im Landtag von allen Fraktio-
nen, also auch mit den Stimmen der CSU, beschlossen
worden. Und: Was ist passiert? Vor gerade einmal sechs
Tagen – man höre und staune – geht man daran, das um-




Marita Sehn
14300


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(B)


zusetzen, nachdem drei Jahre lang nichts passiert ist. Sie
hätten den Schweinemastskandal verhindern können,
wenn Sie mit wirksameren Kontrollen und mehr Durch-
setzungsvermögen an das Problem herangegangen wären.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Peter Dreßen [SPD]: Chaos in Bayern!)


Wenn ich höre, dass Frau Stamm noch im Sommer ge-
fordert hat, das Risikomaterial für BSE nicht aus der Nah-
rungskette zu nehmen, wohl wissend, welche Folgen BSE
in den vergangenen Jahren für die Bauern in anderen Staa-
ten hatte, muss ich sagen: Sie haben mit Ihrem Sicher-
heitsverständnis in den vergangenen Jahren eine fahrläs-
sige Politik gegen die Bauern betrieben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich glaube, gegenseitige Schuldzuweisungen sind das
Allerletzte, was die Landwirtschaft im Moment gebrau-
chen kann. Auch wir hätten eine Aktuelle Stunde beantra-
gen können


(Georg Girisch [CDU/CSU]: Ja, so ein Krampf!)


– Entschuldigung, das ist heute Ihre Debatte! –, um die
Fehler der ehemaligen Bundesregierung, allen voran von
Horst Seehofer, in den letzten zehn Jahren im Zusam-
menhang mit BSE aufzuarbeiten. Ich glaube, es ist jetzt
nicht die Stunde, dies zu tun.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Nennen Sie mal einen!)


Es ist vielmehr an der Zeit, den Bauern zu helfen, das Ver-
trauen der Verbraucher in die Nahrungsmittel wiederher-
zustellen und einen Dialog über die Neuausrichtung in der
Agrarpolitik zu führen, damit wir in Zukunft wieder einen
funktionierenden Rindfleischmarkt in Deutschland ha-
ben. Dazu haben Sie auch heute keinen Beitrag geleistet.
Vielleicht werden Sie das in den nächsten Wochen noch
tun.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wer regiert denn in diesem Land?)


– Herr Merz, danke für diesen Zuruf: „Wer regiert denn
hier?“ Ihr Kollege Ronsöhr, der agrarpolitische Sprecher
der CDU/CSU-Fraktion sagt, es sei nicht Aufgabe der Op-
position, Konzepte zu entwickeln, sie müsse vielmehr die
Regierung kritisieren. Fahren Sie damit fort, dann werden
Sie dort bleiben, wo Sie im Moment sitzen.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie sind in der Verantwortung!)


Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414607000
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Kersten Naumann von
der PDS-Fraktion das Wort.


Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1414607100
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Das Thema der Aktuellen Stunde ist
zwar hochaktuell. Ich weiß aber nicht, ob sich an den Ver-
hältnissen etwas ändert, wenn wir immer nur über dieses
Thema reden. Ich denke, wir sollten endlich handeln.


(Beifall bei der PDS)

Noch nie in der Geschichte hatte ein Lebensmittelskandal
solche Auswüchse. Noch nie war das Vertrauen der Ver-
braucher in die Agrarproduktion und deren Erzeugnisse
derart beschädigt. Das Ansehen der Landwirtschaft und
damit eines ganzen Berufsstandes ist ramponiert. Was im
Mittelalter die Pest war, scheint heute BSE zu sein.

Die Bauern werden an den Pranger gestellt. Das
scheint logisch, denn in ihren Ställen werden die BSE-er-
krankten Tiere entdeckt. Dabei haben die Bauern mit Si-
cherheit die geringste Schuld an der Krise der Landwirt-
schaft.


(Michael Glos [CDU/CSU]: LPG schützt nicht vor BSE!)


Eine Frechheit hierbei ist, dass ausgerechnet der Bundes-
kanzler vor laufenden Kameras wiederholt von den „red-
lichen Bauern“ gesprochen hat. Mit dieser Wortwahl hat
er den Fernsehkonsumenten im Umkehrschluss die „un-
redlichen Bauern“ als Sündenböcke präsentiert. Ich sage
offen: Diese und manch andere Wortwahl ist mir bitter
aufgestoßen. Es roch mir sehr nach einer Retourkutsche
des Kanzlers für die Schmach von Cottbus.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Das ist wohl wahr!)

Auf jeden Fall ist ein solch selektives Demokratiever-
ständnis nicht akzeptabel.

Für mich und meine Fraktion stellt sich die Frage,
warum die eigentlich Schuldigen – zum Beispiel die Be-
triebe der Futtermittelindustrie, deren Rindermischfutter
trotz Verbots nachweisbar Tiermehlbestandteile enthielt –
nicht mit Name, Straße und Hausnummer öffentlich
geächtet werden.


(Beifall bei der PDS)

Wer an die wirklichen Ursachen heranwill, muss klarstel-
len, dass Profitmacherei mit kriminellen Mitteln auch
nicht durch das Wettbewerbsprinzip der Marktwirtschaft
gedeckt ist, muss für staatliche Aufsicht und Kontrolle
sorgen. Sonst braucht sich der Bundeskanzler nicht zu
wundern, wenn er erneut mit dem Vorwurf konfrontiert
wird, er sei der Kanzler der Bosse.

Meine Fraktion jedenfalls wird darauf drängen, dass
das gesetzgeberisch Notwendige sehr rasch auf den Weg
gebracht wird, damit Verstöße gegen das Futtermittel- und
Lebensmittelrecht als Straftatbestände eingestuft und ent-
sprechend geahndet werden können. Denn auch Ab-
schreckung gehört zum vorbeugenden Verbraucherschutz.

Im Namen meiner Fraktion möchte ich sehr deutlich
unser Unverständnis darüber äußern, dass Frau Ministerin
Künast in ihrer Eröffnungsrede zur Grünen Woche kein
einziges Wort zu BSE-Finanzhilfen für betroffene Land-
wirte verloren hat. Dabei hat wohl keiner erwartet, dass
sie sich bereits über die Höhe und Modalitäten einer Un-
terstützung äußert. Es war aber einfach zu wenig und hat




Steffi Lemke

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(B)


die anwesenden Landwirte enttäuscht, lediglich festzu-
stellen, viele landwirtschaftliche Betriebe seien in Schwie-
rigkeiten und teilweise in Existenznot geraten. Auch in
der gestrigen Ausschusssitzung hat sie sich sehr bedeckt
gehalten.

Klar wurde allerdings, dass der Unterstützung der
Landwirtschaft wegen der Einkommensausfälle durch
den Nachfragerückgang bei Rindfleisch und den Preis-
sturz kein allzu großer Stellenwert in der Prioritätenliste
der BSE-Folgekosten beigemessen wird. Ich halte diese
Einschätzung für fatal, zumal allen Beteiligten klar ist,
dass es nur um Nothilfe und nicht um einen Ausgleich von
Einkommensausfällen gehen kann.

Für einen groben politischen Fehler halte ich es des-
halb, dass unser Antrag vom 1. Dezember des vergange-
nen Jahres betreffend ein Soforthilfeprogramm zur finan-
ziellen Entlastung der von der BSE-Krise betroffenen
Kommunen und Landwirte gestern im Ausschuss abge-
lehnt wurde. Welcher Landwirt soll das verstehen?


(Beifall bei der PDS)

Ein unmissverständlicher Auftrag des Parlaments wäre
ein wichtiges Signal der Solidarität des Bundestages mit
den betroffenen Bauern gewesen.

Ich kann hier nicht auf alle anderen Forderungen ein-
gehen, die von meiner Fraktion und von anderen Fraktio-
nen zur Bewältigung der BSE-Krise erhoben wurden. Al-
lerdings erwarte ich, dass im Ergebnis der verschobenen
Konferenz der Agrar- und Umweltminister endlich Ant-
worten kommen, auch zum bereits im November ange-
mahnten Konzept zur Entwicklung der heimischen Ei-
weißpflanzenproduktion.

Das Allerwichtigste ist jetzt zweifellos, das Vertrauen
der Verbraucher zurückzugewinnen. Die Chance dafür ist
gegeben, denn die Verbraucher sind wie nie zuvor für eine
nachhaltige, umweltschonende und tierartgerechte Land-
wirtschaft sensibilisiert, die vor allem gesundheitlich un-
bedenkliche Lebensmittel erzeugt. Deshalb wird meine
Fraktion auch alles unterstützen, was die Bundesregie-
rung in dieser Richtung initiiert.

Ich möchte aber auch zu bedenken geben, dass die
doch recht nebulösen Ankündigungen zur neuen Agrar-
politik zu einer zusätzlichen Verunsicherung bei den
Landwirten geführt haben. Deshalb müssen schnellstens
die Umrisse eines Agrarkonzepts auf den Tisch und in die
breite Diskussion. Die hierbei schwierigste Frage dürfte
sein, wie die Ökologisierung der Landwirtschaft bei be-
sonderer Förderung des Ökolandbaus unter den Bedin-
gungen des EU-Binnenmarktes und der EU-Agrarreform
umgesetzt werden kann.

Meine Damen und Herren, bei allen scheinbar unüber-
windbaren Problemen und den damit verbundenen drin-
gend erforderlichen Lösungen muss klar sein, dass es
keine Ausgrenzung der Bauern geben darf und die Bun-
desregierung dem ländlichen Raum in der gegenwärtigen
Krise schnell und zukunftsorientiert helfen muss. Die Zu-
sammenarbeit mit den Bauern und den Verbrauchern ist
für mich dabei unerlässlich.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414607200
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Iris Hoffmann von der
SPD-Fraktion das Wort.


Iris Hoffmann (SPD):
Rede ID: ID1414607300
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich eines gleich
vorwegnehmen und bekräftigen: Wir lassen die Landwirte
nicht alleine und stehen an der Seite der Bauern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Uns ist durchaus bewusst, dass nicht die deutschen Bau-
ern die Ursachen für BSE gesetzt haben. Nein, hier stehen
Hersteller der Futtermittel in der Kritik.

Meine Damen und Herren, die Situation der Landwirt-
schaft ist auch deshalb so dramatisch, weil derzeit keiner-
lei wissenschaftliche Erkenntnisse sowohl über den Erre-
ger als auch über die Übertragung der Krankheit
vorliegen. Fakt ist bislang nur, dass Tiermehl ein sehr we-
sentlicher Überträger zu sein scheint; auch Milchaustau-
scher sind nach wie vor nicht auszuschließen. Deshalb
war es nach dem Auftreten von BSE ein dringendes Ge-
bot, die Verwendung von Tiermehlen und Tierfetten zu
Futterzwecken zu verbieten. Wir sind dafür und bleiben
dabei – auch im Interesse der Landwirte –, das Verfütte-
rungsverbot in Deutschland unbefristet gelten zu lassen.
Dieses Verbot muss auch EU-weit Bestand haben.

BSE hat bei uns aber auch den Stellenwert des vorsor-
genden Verbraucherschutzes in ein anderes Licht gerückt.
Wir als Politiker haben jetzt die Aufgabe, im Konsens
zwischen Bauern und Verbrauchern die Agrar- und Ver-
braucherpolitik zu definieren. Dies ist auch im Sinne und
Interesse der deutschen Landwirte. Ich freue mich, dass
auch der Bauernverband zu diesem Konsens zwischen
Bauern und Verbrauchern steht. Nur wenn die Produkte
qualitativ den Ansprüchen der Verbraucher gerecht wer-
den, werden sie dauerhaft absetzbar sein. Die Verbraucher
müssen natürlich wissen, dass qualitativ hochwertige
landwirtschaftliche Erzeugnisse ihren Preis haben. Auch
dem Handel als einem Kettenglied zwischen Erzeuger
und Verbraucher kommt hierbei eine große und besondere
Verantwortung zu.

Wenn wir in diesem Zusammenhang über finanzielle
Mittel reden, muss aber auch klar sein, dass jeder hier das
Seine zu schultern hat. Mit Blick auf die Länder mache
ich deshalb deutlich auf deren Verantwortung aufmerk-
sam. Ganz sicher ist auch der Bund in der Pflicht. Natio-
nal werden wir 900 Millionen DM zusätzlich bereitstel-
len. 500 Millionen DM gehen an die EU, um den Anteil
Deutschlands an der Aufstockung des EU-Haushaltes zur
Finanzierung der EU-weiten BSE-Maßnahmen abzu-
decken. Des Weiteren werden wir bis zu 400 Millio-
nen DM zur Verfügung stellen, wenn die EU-Regelung
angewendet werden muss, bis zu 400 000 Rinder in
Deutschland zu keulen und zu vernichten. Aber: Was über
die Größenordnung von 900 Millionen DM hinausgeht,
muss und wird in den nächsten Wochen letztlich mit den
Ministerpräsidenten zu verhandeln sein.

Dabei wird sich zuallererst die Frage stellen, ob die
Maßnahmen der Länder wenigstens annähernd ein Volu-




Kersten Naumann
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(A)



(B)


men erreichen, das dem der Bundesbeteiligung entspricht.
Bis jetzt ist eigentlich von den Ländern nur lautes Rufen
nach dem Bund zu vernehmen. Deutlich sage ich aber
auch, dass der Bund nur in der Lage ist, innerhalb des be-
stehenden Haushaltvolumens weitere Mittel aufzubringen.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch etwas
sagen: Wenn ich Anträge der Opposition wie etwa mit
dem Titel „Ländlichen Raum gemeinsam mit der Land-
wirtschaft stärken“ sehe und darin die Forderung finde,
wieder den Titelansatz der Gemeinschaftsaufgabe anzu-
heben, ist das, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU, zynisch und auch unehrlich gegenüber den
deutschen Bauern. Das habe ich Ihnen vor acht Wochen in
der Debatte zum Agrarhaushalt gesagt und ich tue es heute
gerne noch einmal: Erst nach dem Regierungswechsel ha-
ben Sie Ihre Affenliebe zur Gemeinschaftsaufgabe ent-
deckt. Sie waren doch diejenigen, die die Mittelausstat-
tung der Gemeinschaftsaufgabe in 16 Jahren dramatisch
– um Milliardenbeträge – zurückgeführt haben.
Hinzu kommt, dass Sie genau wissen, dass der größte

Teil der Finanzminister der Länder bereits in argen Nöten
ist, den jeweiligen Länderanteil an der Gemeinschaftsauf-
gabe aufzubringen. Deshalb sage ich noch einmal: Ihre
Mätzchen machen wir nicht mit. Wir werden solche
Schaufensteranträge auch in Zukunft ablehnen, wenn sie
auf der Tagesordnung stehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414607400
Als
nächster Redner hat Kollege Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU):
Rede ID: ID1414607500
Herr Prä-
sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die
BSE-Krise trifft viele Vieh haltende Betriebe in der Bun-
desrepublik Deutschland. Die Ställe sind randvoll. Bei
mir hat sich neulich jemand mit den Worten beklagt, er
könne inzwischen ein Altersheim für Kühe einrichten. Die
Zahl der Schlachtungen ist drastisch zurückgeführt wor-
den.

Nun heißt es – diesen Vorwurf möchte ich zurückwei-
sen –, die Landwirte hätten am Markt vorbei produziert.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie uns vorgeworfen!)


– Ich habe doch dem Bundeskanzler zugehört, Frau
Lemke. – Noch vor kurzem hat man hier davon gespro-
chen, dass sich selbst für die konventionellen Rindfleisch-
erzeuger auf dem Rindfleischmarkt besondere Marktchan-
cen ergeben, dass sich die Rindfleischmärkte stabilisiert
haben. Heute können die Landwirte ihre Tiere teilweise,
zum Beispiel wenn sie Kälber, wenn sie Fresser gekauft
haben, um diese zu mästen, nicht einmal mehr zum Ein-
kaufspreis verkaufen. Ich finde, dass man durchaus ein-
mal an die Einschätzungen der Marktentwicklung erin-
nern muss. Man darf jetzt nicht so tun, als handele es sich
hier um ein Fehlverhalten in der Landwirtschaft.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Bundeskanzler – ich rede ganz bewusst über ihn –
hat den Landwirten und den Bauernfunktionären vorge-
worfen, sie würden teilweise keine gesunden Lebensmit-
tel produzieren. Dabei hat die Bundesregierung im
Ernährungsbericht 2000 selbst festgestellt – und im Par-
lament entsprechende Aussagen getroffen –, dass das Zu-
sammenwirken aller Maßnahmen dazu geführt hat und
weiterhin sicherstellen wird, dass der vorbeugende Ge-
sundheitsschutz des Verbrauchers bei der Ernährung um-
fassend gewährleistet ist. Hat man den Verbraucher hier
vielleicht beschwindelt? Es muss doch einmal jemand er-
klären, warum man heute ganz andere Aussagen hört und
den Bauern Vorhaltungen macht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es geht weiter: Damit nicht gesagt wird, dass es sich

um zwei oder drei Ministerien handelt, will ich einmal aus
dem Entschließungsantrag zum Agrarbericht 2000 zitie-
ren. In diesem Entschließungsantrag hat Rot-Grün festge-
stellt, dass die Landwirtschaft die Versorgung mit gesun-
den Lebensmitteln sichere. Bitte machen Sie den Bauern
jetzt also keine Vorwürfe!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie sind ungerechtfertigt. Damit wollen Sie nur von einem
Versagen der Politik ablenken.

Ich frage mich nach wie vor, was die Bauern in ihren
Betrieben eigentlich falsch gemacht haben.


(Heidemarie Wright [SPD]: Sie haben schlechte Futtermittel eingekauft! – Gegenruf des Abg. Albert Deß [CDU/CSU]: Unverschämtheit!)


– Sprechen Sie das doch offen an! Herr Schröder wirft den
Bauern ständig Versäumnisse vor, über die vorher aber
noch nie hier diskutiert wurde.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir dürfen die Bauern jetzt nicht im Stich lassen. Sie

befinden sich in einer existenziellen Krise. Ich war mit
Frau Merkel auf der Grünen Woche, um unsere Solidarität
mit den Bauern zu zeigen.


(Frank Hempel [SPD]: Sie hat das Plakat gestern aus dem Verkehr gezogen!)


– Aber der Bundeskanzler darf Herrn Sonnleitner belei-
digen und die Bauern anklagen! Das finde ich genauso un-
gehörig. Wenden Sie sich bitte auch einmal dagegen, dass
der Bundeskanzler die Bauern beleidigt.


(Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: Das vergleichen Sie? Das ist ein schönes Thema! Ich bedanke mich für die Vorlage!)


– Ja, das ist ein schönes Thema. Sie greifen nämlich jetzt
Menschen ungerechtfertigterweise an.

Wir haben allen Grund, jetzt endlich einen Soli-
daritätsfonds für den ländlichen Raum einzurichten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)





Iris Hoffmann (Wismar)


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(B)


Meine Fraktion hat gestern einen entsprechenden Antrag
eingebracht, der aber abgelehnt wurde. Wir waren uns bei
den Maßnahmen zur BSE-Bekämpfung weitestgehend ei-
nig. Jetzt fordern wir einen Aktionsplan für die Schlach-
tereien, für die vor- und nachgelagerten Bereiche in der
Landwirtschaft und für die Landwirtschaft selbst.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wir dürfen nicht erst die Strukturen wegbrechen las-
sen, um sie dann wieder aufbauen zu müssen. Wir müssen
vielmehr jetzt die Strukturen im ländlichen Raum sichern.
Es geht hierbei vor allen Dingen um die Menschen in die-
sem Raum, deren Erwerbsmöglichkeit auch weiterhin ge-
sichert werden muss. Ich möchte deshalb an Sie appellie-
ren, jetzt endlich Flagge für den ländlichen Raum und für
die Landwirtschaft zu zeigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414607600
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Ulrike Höfken vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414607700
Sehr
geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und
Kollegen! Man kann der Rede von Herrn Ronsöhr an-
merken, dass er die neue Rolle des Verbraucherschützers
noch nicht ganz angenommen hat. Ich will betonen, dass
wir die Lage der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer in der Ernährungsindustrie, im Handwerk und
in der Landwirtschaft sowie die Lage der Verbraucher
nicht missachten dürfen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Das habe ich alles schon gesagt!)


Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler müssen jetzt für
die mangelhaften Schutzmaßnahmen der alten Bundesre-
gierung aufkommen. Wir sind uns ja darin einig, dass die
Infektion vor fünf Jahren oder noch früher erfolgte. Es gab
mangelhafte Kontrollen – Stichwort „Bayern“ – und eine
unglaubliche Ignoranz von Ihrer Seite.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sagen Sie jetzt bloß nicht, Sie hätten all das nicht ge-
wusst! Denn wir haben in der Opposition entsprechende
Warnungen ununterbrochen ausgesprochen.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Sie haben zwei Jahre Zeit gehabt!)


Sie können dem früheren Landwirtschaftsminister
Funke vorwerfen, dass er bei der Krisenbewältigung ei-
nige Fehler gemacht habe. Aber er hat – im Gegensatz zu
Ihnen – die Verantwortung übernommen.


(Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Ja!)

Die Verantwortlichen für die Ursachen sind Sie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Verantwortung liegt auch bei den Funktionären des
Berufsstandes und vor allen Dingen bei der Futtermittel-
industrie,


(Heidemarie Wright [SPD]: Jawohl!)

für die Sie nun eine Entschädigung fordern. Nach Ihrer
Auffassung sollen also die Verursacher der Krise entschä-
digt werden. Ich bin sehr dafür, dass die Unternehmen, bei
denen es Panschereien gab – ich nenne in diesem Zu-
sammenhang Deuka und Raiffeisen – , zur Verantwortung
gezogen werden und sich an der Finanzierung beteiligen
müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich bin auch dafür, dass alle vorhandenen Futtermittel un-
tersucht werden.

Ich bedaure am meisten die betroffenen Betriebe. Ich
sehe es auch so, dass die Bauern in ihrer großen Mehrzahl
weit mehr Opfer als Täter waren.

Aber man kann beobachten, dass die fatale Ignoranz in
großen Teilen der Opposition weiter fortlebt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich erinnere nur an die Debatte gestern im Ausschuss, ge-
rade vonseiten der F.D.P. Bei der Diskussion über die
Kohortenschlachtung oder die Herdenschlachtung wer-
den Gebilde aufgebaut, die jeder Realität entbehren.
Wenn man die Hilfe für die Betriebe in den Vordergrund
stellen will, muss man doch auch die rechtlichen Voraus-
setzungen dafür schaffen. Stattdessen wird davon abgera-
ten, nach dem entsprechenden Seuchengesetz zu handeln,
und dazu geraten, alle möglichen Ausnahmeregelungen
zu schaffen. Man beruft sich von Ihrer Seite auf die
Schweiz.

Aber um das einmal klarzustellen: Die Schweiz hat,
sehr verantwortungsvoll, vor zehn Jahren mit der BSE-
Bekämpfung angefangen. Sie hat konsequent gehandelt
und jahrelang ganze Herden geschlachtet. Erst dann hat
sie überlegt, anders vorzugehen, und das macht sie jetzt.
Wenn Sie zehn Jahre so wie die Schweiz handeln, bin ich
einverstanden. Stattdessen betreiben Sie eine Verunsiche-
rung der Betriebe und verhindern, dass die entsprechen-
den Hilfen, Unterstützungsmaßnahmen und Neuaufbau-
maßnahmen dort ankommen können.

Das Zweite ist das Marktentlastungsprogramm. Ich bin
gestern fast vom Stuhl gefallen: Die F.D.P. spricht sich da-
gegen aus, dass ein solches Programm überhaupt aufge-
nommen wird.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Das ist doch gar nicht wahr! Nicht richtig verstanden!)


Mir tut es um jedes Tier Leid, das geschlachtet wird, und
ich teile weiß Gott ethische Bedenken, was eine Nicht-
verwendung von Fleisch als Lebensmittel angeht. Aber
man muss doch tatsächlich fragen: Was ist denn eigentlich
die Alternative? Möchten Sie Altersheime für Kühe fi-
nanzieren? Dann müssen Sie sich die Frage gefallen las-




Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
14304


(C)



(D)



(A)



(B)


sen, ob die Mittel dafür nicht besser den Menschen zugute
kommen sollten. Oder möchten Sie vielleicht eine
Zwangsverfütterung von Rindfleisch oder sollen sich
Freiwillige melden, die jede Woche 1 Kilo altes Rind-
fleisch essen? Das ist wirklich eine attraktive Angelegen-
heit, die dann sicher mit dem Bundesverdienstkreuz be-
lohnt wird. Oder soll das Rindfleisch in die Dritte Welt
geschickt werden? Oder soll es eine Intervention geben?
Sie wissen ganz genau, dass das Fleisch nach zwei Jahren
nicht mehr verkehrsfähig ist und dann verbrannt werden
muss. Dann hat man für die Lagerung auch noch die Ener-
gieverschwendung.

Wenn man sich wirklich entschließen will, die betrof-
fenen Betriebe zu unterstützen, dann muss man sich an ei-
nem Tisch zusammensetzen und dann muss man ein
Marktprogramm entwickeln, das anschließend konse-
quent umgesetzt werden muss. Ich glaube, dazu gibt es
keine Alternativen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


In einem ersten Schritt werden – auch Frau Hoffmann
hat darauf verwiesen – die alten Futtermittel abgeholt und
auf Bundeskosten entsorgt. Zweitens – da sind die Län-
der gefordert – müssen entsprechende Gebühren erhoben
werden, was die Nichtverwendung des Tiermehls anbe-
langt. Drittens müssen Bauern und Arbeitnehmer, die von
der jetzigen Absatzkrise betroffen sind, eine neue Per-
spektive erhalten, und zwar mit einer Agrarpolitik, die
auf Qualität setzt und das Vertrauen der Verbraucher
wiedergewinnt. Auch da – ganz wichtig – würden wir uns
freuen, wenn Sie dazu beitragen würden, im Rahmen der
Agrarreform beispielsweise die Verordnung für den länd-
lichen Raum zu stärken, statt immer nur auf Flächenprä-
mien und Tierprämien zu beharren – das gilt gerade für
die F.D.P. – ,


(Marita Sehn [F.D.P.]: Das ist überhaupt nicht wahr!)


und mit dieser Verordnung eine Umlenkung in Richtung
umweltgerechte Landwirtschaft und ländliche Räume zu
unterstützen.

Ich finde, im Rahmen eines Solidaritätsfonds – Sie
verstehen darunter: „Staat, gib uns Mittel“; so verstehe ich
das nicht – sollte darüber nachgedacht werden, ob es
nicht eine Umlage, wie es in Frankreich der Fall ist, ge-
ben sollte, die zweckgebunden für den Aufbau einer
neuen Qualitätsproduktion und die Sicherheit der Le-
bensmittel eingesetzt wird, und ob wir nicht auf diese Art
und Weise verhindern können, dass sich ein solches Ge-
schehen wiederholt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414607800
Frau Kol-
legin!


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414607900
Ich
denke, unser Motto muss lauten: Nie wieder!

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/ CSU]: Ulrike, warum habt ihr Lebensmittel für gesund erklärt? Ihr seid ignorant gewesen! Das ist im Grunde genommen das Schlimme!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414608000
Als
nächster Redner hat der Kollege Peter Bleser von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Peter Bleser (CDU):
Rede ID: ID1414608100
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ein Freund des ländlichen Raumes ist
unser Bundeskanzler ja nun wahrlich nicht.


(Widerspruch bei der SPD)

Das erfährt er jetzt jeden Tag auf seiner Wahlkampftour
durch Rheinland-Pfalz. Überall, wo er hinkommt, warten
die Bauern auf ihn


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die werden ihm hinterhergefahren! Das sind Busse des Bauernverbandes)


und zeigen ihm ihren Unmut. Sie sind äußerst verärgert
über die abfälligen Äußerungen des Bundeskanzlers über
die Bauern und deren gewählte ehrenamtliche Berufs-
standsvertreter.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, da wird vom Bundeskanz-

ler immer wieder die populäre Forderung erhoben, mehr
für gute Nahrungsmittel zu zahlen. Das ist richtig; Qua-
lität muss ihren Preis haben. Aber wer weiß noch, dass
derselbe Bundeskanzler im Jahre 1999 bei der Beschluss-
fassung über die Agenda 2000 massiv für eine Senkung
der Preise für Getreide um 15 Prozent und für Rindfleisch
um 20 Prozent eingetreten ist? Derselbe Bundeskanzler
vor anderthalb Jahren!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unter Borchert wäre das noch viel schlimmer gewesen. Der hatte gar nichts vorbereitet!)


– Vielleicht mäßigen Sie sich in den Äußerungen; dann
verstehen wir uns alle.

Am 24. November 2000 wurde in Deutschland das
erste Rind BSE-positiv getestet. Das war gestern vor zwei
Monaten. Heute haben wir es mit dem 19. Fall zu tun und
weitere positiv getestete Tiere stehen zur Überprüfung an.
Zwei lange Monate sind vergangen, ohne dass über das
Verfütterungs- und Verbringungsverbot von Tiermehl und
Tierfetten hinaus eine Strategie zur Bekämpfung dieser
Seuche vorgelegt worden ist. Zwei lange Monate sind also
vergangen.

Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das

(Zuruf von der SPD: Was habt ihr denn vorher gemacht?)


Die Verbraucher sind nach wie vor unsicher. Sie ver-
trauen nach wie vor nicht – das beweist das Kaufverhal-
ten – der versprochenen Fleischqualität und noch viel we-
niger vertrauen sie der Krisenlösungskompetenz dieser




Ulrike Höfken

14305


(C)



(D)



(A)



(B)


Bundesregierung. Die Verbraucher sorgen sich um ihre
Gesundheit, die Bauern kämpfen um ihre Existenz. Das
ist das Ergebnis von zwei Monaten Wurschteln dieser
Bundesregierung.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das sind 16 Jahre CDU-Regierung! Das ist doch Schwindel!)


Gestern hat bei einer Veranstaltung der Grünen Wo-
che – Sie waren dabei, Frau Wolff – eine junge rind-
viehhaltende Landwirtin sehr emotional die dramatische
Lage ihres Familienbetriebs geschildert. Die Frau war den
Tränen nahe.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Hören Sie doch auf, auf die Tränendrüsen zu drücken! Ich war gestern Abend auch da!)


Sie hat gesagt, dass die Fleischpreise im Keller sind, dass
die Tiere kaum noch absetzbar sind, dass die Ställe immer
voller werden und dass die Kosten Tag für Tag weiterlau-
fen. Bei ihr waren es dann auch noch die Kredite und die
Zinsen, die zusätzlich zu zahlen sind.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Diese Frau ist Ihnen nicht dankbar für das, was Sie hier sagen!)


Die Menschen haben Angst vor dem wirtschaftlichen
Ruin. Dies registrieren Sie hier nicht einmal.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Wenn Sie gestern da waren, dann wissen Sie, dass das nicht stimmt!)


Wenn der Staatssekretär Dr. Wille weisungsgemäß
sagt: „Wir brauchen noch Zeit, um eine Herauskaufaktion
von 400 000 Rindern über 30 Monate in Gang zu setzen,
wir brauchen noch Zeit, um die Finanzierung der BSE-
Tests zu regeln, wir brauchen noch Zeit, um die Vernich-
tung von Tiermehlresten und von mit Tiermehl vermisch-
tem Futter zu organisieren, wir brauchen noch Zeit, um
die Kostenübernahme zur Beseitigung der Tierkadaver
festzusetzen“ – und das nach über zwei Monaten – , dann
können wir das nicht auf sich beruhen lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Das ist Sache der Finanzverhandlungen mit den Ländern!)


Wenn darüber hinaus über Hilfen für die schwer ge-
schädigten Bauern und die Betroffenen im Fleischge-
werbe – Arbeitnehmer, Handwerker – noch nicht einmal
gesprochen wird, dann zeigt dies, wie zynisch der Bun-
deskanzler mit einer ganzen Branche umgeht.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen
mehr Sicherheit für die Verbraucher. Frau Ministerin
Künast – vielleicht übermitteln Sie, meine Damen und
Herren, ihr das, was ich jetzt sage – , ich vermute, es wird
kein Weg daran vorbeiführen, dass wir alle BSE-testfähi-
gen Tiere aus dem Markt nehmen, sobald sie zur Schlach-
tung anstehen, damit den Verbraucherschutz erhöhen,
Frau Ministerin; denn wenn nach zwei Jahren kein Tier
mehr auf dem Markt sein kann, das mit Tiermehl gefüttert
worden sein könnte, wäre mit Sicherheit davon auszuge-

hen, dass eine Infektion über das Futter nicht stattgefun-
den hat.

Ich sage Ihnen: Sie werden mit Ihren 400 000 Tieren
nicht zurechtkommen,


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Was heißt „Sie“? Es muss heißen: „wir“!)


solange es nicht möglich ist, einen Test am lebenden Tier
durchzuführen und damit zweifelsfrei zu garantieren, dass
der Verbraucher keine Gefahr zu fürchten hat.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Herr Bleser, Sie reden immer von „Sie“; Sie müssen „wir“ sagen!)


Es wird mit Sicherheit noch weitere Nachahmer einiger
Betriebe im Norden Deutschlands geben, die es ablehnen,
Tiere über 30 Monate überhaupt zu schlachten, weil sie
fürchten, in ihrem Betrieb könnte ein BSE-Fall auftreten
und damit auch ihre Existenz gefährdet werden. Der
„Spiegel“ spricht sogar davon, dass man weit über 1 Mil-
lion Tiere aus dem Markt nehmen muss.

Ich fordere die Bundesregierung auf: Finden Sie einen
Kompromiss mit Wissenschaftlern, Verbrauchern und
Bauern, aber auch mit dem Lebensmittelhandel über die
zukünftige Form der Lebensmittelproduktion. Dabei
müssen der vorsorgende Verbraucherschutz, der Tier-
schutz, eine nachhaltige Landbewirtschaftung sowie eine
transparente Produktion von Futter bis zum Fleisch, das
an der Ladentheke verkauft wird, im Vordergrund stehen.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind ja ganz neue Töne!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414608200
Kommen
Sie bitte zum Schluss.


Peter Bleser (CDU):
Rede ID: ID1414608300
Ich komme sofort zum
Schluss. – Wir bitten die Bundesregierung, unsere Unter-
stützung anzunehmen – wir jedenfalls bieten sie an – , um
dieses Land aus der derzeitigen schweren Krise herauszu-
führen. Dazu gehört, dass Sie endlich Ihrer Verantwortung
gerecht werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414608400
Für die
Bundesregierung erteile ich jetzt dem Parlamentarischen
Staatssekretär Gerald Thalheim das Wort.

Dr
Dr. Gerald Thalheim (SPD):
Rede ID: ID1414608500
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Wenn man der Diktion des
zu diesem Thema vorliegenden Antrags folgt, dann hat
man fast den Eindruck, als ob man die BSE-Krise wie
ähnliche Ereignisse in der Vergangenheit behandeln will:
Es kommt zu einer Krise, der Bund soll Geld geben und
das Problem ist aus der Welt geschafft.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch, Gerald!)


So wird es natürlich nicht gehen.




Peter Bleser
14306


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(D)



(A)



(B)


Dies ist schon gar nicht dadurch zu schaffen, dass ge-
genüber dem Bundeskanzler Vorwürfe erhoben werden
und suggeriert wird, die Bundesregierung grenze die Bau-
ern aus. Davon kann überhaupt keine Rede sein. Frau
Bundesministerin Künast hat hier im Plenum erst vor
kurzem erklärt, dass es bei der Bewältigung dieser Krise
nur ein Miteinander von Verbrauchern und Landwirten
geben kann. Das ist der einzig richtige Weg.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Marita Sehn [F.D.P.]: Das andere hat der Bundeskanzler schon gemacht!)


Natürlich trägt jeder seinen Teil der Verantwortung. Auch
die Funktionäre des Deutschen Bauernverbandes können
hiervon nicht ausgenommen werden.

In diesem Zusammenhang möchte ich auf das Stich-
wort „Redlichkeit“ zu sprechen kommen. Unredlich ha-
ben vor allen Dingen diejenigen gehandelt, die die Sorgen
um die Agenda 2000 politisch instrumentalisiert haben.
Unredlich haben auch die Kollegen gehandelt, die in
Cottbus auf dem Bauerntag fast Wortführer des Protestes
waren.

Unredlich handeln vor allem Sie, Herr Glos. Wenn man
seit 1990 die Ehre hat, diesem Hohen Hause anzugehören,
dann hat man ja an einigen Entscheidungen teilgenom-
men. Ich kann mich noch gut an die eigentliche Reform
von 1992 erinnern: Die hatte Ignaz Kiechle zu verant-
worten. Er hatte im Grunde genommen keinen Ausweg;
aber er führte die Orientierung Richtung Weltmarkt ein.

Dann kam die Uruguay-Runde von 1994 mit der Kon-
sequenz, auch die Agrarmärkte zu öffnen und die Zölle
abzubauen, und vor allen Dingen mit der Folge, nicht
mehr wie in der Vergangenheit mit Exporterstattungen ar-
beiten zu können. Wohlgemerkt, Herr Glos, das war 1994.
Da gab es gar keine andere Wahl, als auf diesem Weg wei-
terzugehen.

Hier wurde angesprochen, es sei immer von Welt-
marktorientierung die Rede gewesen. Wie deformiert wir
alle sind – ich schließe mich sehr wohl ein – , zeigt sich
daran, dass wir, wenn in der Landwirtschaft von Markt die
Rede ist, nur an den Preis denken. Dass aber auf dem
Markt auch Qualität und vieles andere mehr eine Rolle
spielen, ist fast vergessen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Was heißt das in der Konsequenz? Aus der BSE-Krise
sind keine parteipolitischen Funken zu schlagen. Hier hat
die Bundesregierung – da schließe ich meine Person nicht
aus – Fehler gemacht. Stichworte hierbei sind „Tiermehl-
verfütterungsverbot“ und „Herausnahme von Risikoma-
terialien“. Bei letzterem Stichwort habe ich noch gut die
Kritik von vielen Kollegen dahin gehend im Ohr, dass
dies gemacht wurde. Insofern sollten wir uns an dieser
Stelle gegenseitig nichts vorwerfen.

Das Problem ist, dass viele für das Entstehen der Krise
verantwortlich sind, auch der Handel. Ausgehend von
dem enormen Preisdruck, der im Lebensmitteleinzelhan-
del besteht, der mit Schleuderangeboten um Kunden ge-

worben hat, waren alle Beteiligten – beginnend bei der
Futtermittelindustrie, sich fortsetzend bei den Bauern und
endend beim Handel im nachgelagerten Bereich – ge-
zwungen, Kosten einzusparen.

Meine Damen und Herren, so richtig das in einer
Marktwirtschaft ist: Gefährlich wird es dann, wenn es um
die Lebensmittelsicherheit geht. In diesem Zusammen-
hang sind die Stichworte „Unvernunft“, „Verantwor-
tungslosigkeit“ und „Kriminalität“ zu nennen. Im Hin-
blick auf die Unvernunft ist zum Beispiel die Verwendung
von Separatorenfleisch zu nennen. Obwohl wir im Über-
fluss leben, musste noch das letzte von den Knochen ab-
gekratzte Fleisch mit in der Wurst verarbeitet werden.

Verantwortungslosigkeit betrifft die Frage, dass Tier-
mehl an Wiederkäuer verfüttert wurde, und es ist Verant-
wortungslosigkeit nicht nur bei der Futtermittelindustrie
vorhanden, sondern letztendlich auch bei denen, die zu
kontrollieren hätten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Kriminalität war gestern das Thema beim Arzneimittel-
skandal.

Meine Damen und Herren, eines ist, denke ich, an die-
ser Stelle grundsätzlich festzuhalten: Es ist mittlerweile
auch im Bewusstsein vieler Bauern, dass BSE nicht nur
die Folge von Verfütterungsfehlern ist, BSE stellt einen
Kollaps des Systems dar.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Das habe ich vor ein paar Jahren schon gesagt!)


– Die Konsequenz aus dieser Erkenntnis ist allerdings bei
dir persönlich wie auch bei der Bayerischen Staatsregie-
rung ausgeblieben.


(Heiterkeit bei der SPD)

Es ist also mehr erforderlich, als nur Geld in die Hand

zu nehmen. Die Bundesministerin Frau Künast wird am
8. Februar die Grundsätze ihrer neuen Agrarpolitik in ei-
ner Regierungserklärung bekannt geben. Natürlich kön-
nen wir nicht bis zum 8. Februar warten; da ist vorher ei-
niges zu tun. Es sind Fragen zu stellen, wie es am Ende
mit den Ernährungsgewohnheiten weitergehen soll, wie
die Art und Weise der Lebensmittelherstellung, die Orga-
nisation und Effizienz der Verwaltungsstrukturen sowie
die Kontrollen zwischen Bund und Ländern zu gestalten
sind, ebenso die Frage, wie wir noch mehr für den ländli-
chen Raum tun können.

An dieser Stelle möchte ich im Übrigen den Hinweis
geben, dass mit der Agenda 2000 eine neue Säule, wie wir
das nennen, geschaffen worden ist, um mehr Geld in die-
sen Bereich zu geben.


(Beifall bei der SPD)

Also, der Vorwurf, dass hier nichts getan worden sei, ist
völlig fehl am Platz.

Das Erste, was die Bundesministerin getan hat
– ich denke, das ist in dieser Situation das Wichtigste – ,
war, einige Entscheidungen zu treffen, um das Vertrauen der
Verbraucher wiederzugewinnen. Mit Aufkaufaktionen und




Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim

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(C)



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(A)



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allem, was wir diskutieren, ist das Problem nicht zu lösen.
Am Ende werden wir das Ziel nur erreichen, wenn die
Verbraucher wieder Vertrauen in Rindfleisch und in
Fleisch insgesamt gewinnen.

Natürlich geht es auch um direkte Hilfeleistungen. Der
Bund wird sich hier nicht verweigern. Wir müssen das
aber parallel zu einigen Entscheidungen im Futtermittel-
recht tun, im Grunde genommen auch dazu, wie künftig
geschlachtet wird, wie wir künftig bestimmte Regeln in
der Ernährungsindustrie neu fassen. Es wird um Liqui-
ditätshilfen für die Betriebe gehen.

Aber da, Kollege Ronsöhr, möchte ich einen dezenten
Hinweis geben: Wir alle wissen, wie groß das Missmana-
gement in der ganzen Schlachthofbranche war. Ihr dama-
liger Landwirtschaftsminister Jochen Borchert ist ja mit
dem Versuch gescheitert, ein Strukturkrisenkartell einzu-
richten. Was an der Stelle nicht geht, ist, dass wir mit
Steuergeldern das Missmanagement ausgleichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sie können doch nicht die ganze Branche verunglimpfen!)

Peter Bleser (CDU):
Rede ID: ID1414608600

An dieser Stelle hat diese Branche ihre eigene Verantwor-
tung.

Wenn wir jemandem zu helfen haben, dann den Be-
schäftigten in diesem Bereich. Der Bund wird auch für die
Konsequenzen aus dem BSE-Programm auf europäischer
Ebene finanziell einstehen. Da sind Zahlen um etwa
500 Millionen DM in der Diskussion, die mögliche Mit-
finanzierung des Bundes bei der europäischen Heraus-
kaufaktion überhaupt noch nicht eingerechnet.

Das heißt auf keinen Fall, dass diese ganze Geschichte
letztlich am Bund vorbeigehen würde, ohne dass finanzi-
elle Konsequenzen daran gebunden wären. Aber im Um-
kehrschluss heißt es, dass für vieles andere die Beteiligten
Mitverantwortung tragen, auch finanziell, die das mit ver-
ursacht haben. Alle in der Kette, auch die Verbraucher,
sind für Tests, Untersuchungen usw. mit in der Pflicht.

Ich möchte gerade bei der Frage, wer in der Kette die
Kosten trägt, abschließend die Gelegenheit für einen Ap-
pell vor allem an den Lebensmitteleinzelhandel nutzen,
dass in Zukunft eben nicht mehr der Wettbewerb aus-
schließlich über den Preis geführt wird, sondern dass Qua-
lität, Herkunft und Ähnliches eine größere Rolle spielen.

Wir als Politik haben für eine Kennzeichnung zu sor-
gen, hinsichtlich deren dort, wo Qualität draufsteht, auch
Qualität enthalten ist. Nur dann wird er bereit sein, den
entsprechenden Preis zu zahlen.

Kurz und gut: Wir werden den Teil finanzielle Verant-
wortung übernehmen, der uns zusteht, aber alle Beteilig-
ten in der Kette, auch die Länder, werden ihren Teil mit
übernehmen müssen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414608700
Als
nächster Redner hat der Kollege Albert Deß von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort


Albert Deß (CSU):
Rede ID: ID1414608800
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Ich glaube, Schuldzuweisungen
wegen BSE sind unangebracht. Wenn hier dauernd Bay-
ern an den Pranger gestellt wird, dann möchte ich fragen:
Was hat ein Ministerpräsident Schröder in Niedersachsen,
was hat eine Frau Simonis in Schleswig-Holstein getan,
um dort die BSE-Fälle zu verhindern? In diesem Punkt
sind keine politischen Debatten möglich,


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schärfere Kontrollen!)


sondern wir müssen jetzt versuchen, etwas zu unterneh-
men, damit diese Krise möglichst schnell bewältigt wer-
den kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Seit dem Auftreten von BSE in Deutschland hat sich

für die Verbraucher, die Landwirtschaft und die vor- und
nachgelagerten Bereiche vieles verändert. Oberstes Ziel
muss es jetzt sein, das Vertrauen der Verbraucher in ge-
sunde Nahrungsmittel wiederherzustellen. Es sind des-
halb alle geeigneten Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um
den Verbrauchern ein größtmögliches Maß an Sicherheit
zu geben. Zur Bewältigung der gegenwärtigen Situation
ist ein gemeinsames Vorgehen auf allen Ebenen und über
alle Parteigrenzen hinweg erforderlich. Europäische
Union, der Bund, die Länder und die Kommunen sind
ebenso gefordert wie die Verbände und die Betroffenen in
den vor- und nachgelagerten Bereichen.

Über zwei Monate sind vergangen, seit der erste BSE-
Fall in Deutschland aufgetreten ist. Die rot-grüne Bun-
desregierung hat bis heute kein Programm vorgelegt, wie
sie den vielen unverschuldet in existenzielle Schwierig-
keiten geratenen Betrieben helfen


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Leider wahr!)

und auch die unmittelbar davon betroffenen Wirtschafts-
zweige unterstützen will.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sie muss doch etwas vorlegen können!)


Im Gegenteil: Die Bundesregierung hat es bis heute nicht
geschafft, die strengen deutschen Maßnahmen, die im Zu-
sammenhang mit BSE beschlossen wurden, europaweit
umzusetzen. Wie sollen die deutschen Landwirte im eu-
ropäischen Wettbewerb bestehen können, wenn in an-
grenzenden EU-Ländern völlig andere Standards erlaubt
sind?


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es, jawohl!)


Wie will die rot-grüne Bundesregierung den Verbraucher-
schutz sicherstellen, wenn zum Beispiel in Holland zum
Beispiel bei der Kälbermast nach wie vor tierische Fette
einsetzt werden können?

Es nützt nichts, meine sehr verehrten Damen und Her-
ren, hier in Deutschland große Sprüche zu klopfen, wenn




Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim
14308


(C)



(D)



(A)



(B)


man andererseits nicht fähig ist, europaweit einen ein-
heitlichen Verbraucherschutz durchzusetzen. Wenn die
Bundesregierung dazu nicht in der Lage ist, muss sie
schnellstens ein Importverbot für Nahrungsmittel aus
Ländern durchsetzen, die nicht nach unseren Standards
produzieren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: Bayern!)


Wir haben hier die gleiche Situation wie beim Ab-
schluss der Agenda 2000 –: Außer großen Sprüchen ist
von den Ankündigungen des Bundeskanzlers nicht viel
übrig geblieben. Die einmalige Chance, eine Kehrtwende
in der europäischen Agrarpolitik vorzunehmen, wurde zu
nutzen versäumt.

Heute fordert der Bundeskanzler eine Kehrtwende der
von ihm mit beschlossenen Reformen. Die Halbwertzei-
ten der Aussagen des „Basta“-Kanzlers werden immer
kürzer. Es war eine Beleidigung vieler deutscher Bäue-
rinnen und Bauern, als der Bundeskanzler im Zusammen-
hang mit BSE von „Agrarfabriken“ und „Massentierhal-
tung“ gesprochen hat.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Eine Unverschämtheit!)


Gerade die Rinderhaltung befindet sich in Deutschland
weitgehend in bäuerlichen Strukturen. Von allen land-
wirtschaftlichen Produktionsbereichen findet die Rinder-
haltung in den kleinsten Strukturen statt.

Wenn die rot-grüne Bundesregierung zusammen mit
der Europäischen Union und den Ländern nicht schnells-
tens Hilfsmaßnahmen beschließt, werden am Ende dieser
Entwicklung Agrarfabriken stehen. Gerade die BSE-
Krise wird viele verbraucherfreundlich produzierende
bäuerliche Betriebe zur Hofaufgabe zwingen.

Und wann spricht der Bundeskanzler ein Machtwort
gegen die Preisdruckpolitik aus Brüssel, die unsere Bau-
ern zwingt, wertvolle Nahrungsmittel zu Ramschpreisen
zu verkaufen? Im Gegenteil: Er hat den Agrarpreisverfall
begrüßt.

Wie will die rot-grüne Bundesregierung eine nationale
Agrarpolitik gegen den Wettbewerb innerhalb der Euro-
päischen Union absichern? Wird bei der Osterweiterung
der Europäischen Union eine andere Agrarpolitik einge-
fordert und wird bei der nächsten Welthandelsrunde eine
Kehrtwende der Agrarpolitik weg von Weltmarkt-Agrar-
preisen massiv vertreten? – Eine Reihe von Fragen, die bis
heute von dieser Bundesregierung nicht beantwortet sind.

Zurzeit ist es für unsere Milchviehbetriebe eine uner-
trägliche Belastung, mit der Angst zu leben, dass ihr Be-
trieb der nächste ist, dessen Rinder beim Auftreten eines
BSE-Falles gekeult werden. Die Bundesregierung muss
schnellstens prüfen, ob statt der Keulung ganzer Bestände
das Schweizer Modell der Kohortenkeulung, ergänzt um
zusätzliche Maßnahmen im Interesse des Verbraucher-
schutzes, umgesetzt werden kann.

Wir müssen uns die Erfahrungen der Schweiz zunutze
machen, um die Krise schneller meistern zu können.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber dann auch genau so, wie sie es gemacht haben!)


Dazu brauchen wir die aktive Mitarbeit der Rinder hal-
tenden Betriebe. Dies wird am besten erreicht, wenn wir
den Bauern die Angst nehmen, dass beim Auftreten eines
BSE-Falles jahrzehntelange Zuchtarbeit zerstört wird.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414608900
Herr Kol-
lege, kommen Sie bitte zum Schluss.


Albert Deß (CSU):
Rede ID: ID1414609000
Einen Satz noch.
Der Bundeskanzler hat sich medienwirksam in Szene

gesetzt, als er das Leben einer Weihnachtsgans gerettet
hat. Er sollte sich auch einmal für die Tiere unserer Bau-
ern interessieren und sich dort ähnlich medienwirksam in
Szene setzen.

Die CDU/CSU-Fraktion wird die Interessen der bäuer-
lichen Landwirtschaft auch im Deutschen Bundestag
massiv vorbringen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Detlev von Larcher [SPD]: So, wie ihr es immer getan habt!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414609100
Als
nächster Redner hat der Kollege Holger Ortel von der
SPD-Fraktion das Wort.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters)



Holger Ortel (SPD):
Rede ID: ID1414609200
Herr Präsident! Werte Kollegin-
nen und Kollegen! Ich weiß nicht: Ist die CDU die bessere
Bauernpartei?


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das kann ich ganz klar mit Ja beantworten!)


Nach dem, was ich bisher hier gehört habe, habe ich
meine Zweifel. Die Menschen in diesem Lande verstehen
dieses Hickhack gar nicht mehr. Sie haben nämlich die
Nase voll davon. Die Menschen in diesem Lande wollen,
dass wir und vor allen Dingen Sie auf den Oppositions-
bänken mit diesem Aktionismus endlich aufhören.


(Zustimmung bei der CDU/CSU – HeinrichWilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Bravo! Sag das deinem Kanzler!)


Die Leute wollen, dass wir endlich vernünftig an die-
sem Thema arbeiten, und zwar alle zusammen.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Sag das deinem Bundeskanzler!)


Darum geht es.

(Beifall bei der SPD – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Wann setzen wir die Forderungen um?)





Albert Deß

14309


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir müssen gemeinsam an der Zukunft des ländlichen
Raumes arbeiten. Wenn sich die Opposition hier verwei-
gert, kann man das dann auch unverantwortlich nennen.

Wir müssen auch gemeinsam den Druck von unseren
Bauern nehmen,


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Richtig!)


den sie selber nicht erzeugt haben. Nicht alle Bauern sind
schwarze Schafe. Wenn Kollege Ronsöhr von „den Bau-
ern“ spricht, dann meint er 500 000 im Lande.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Natürlich!)


Bauer ist heute für mich immer noch ein hochanständiger
Beruf.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Natürlich!)


Man kann nicht 500 000 Bauern an den Pranger stellen
und alle meinen.


(Beifall bei der SPD – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Holger, sag das deinem Kanzler!)


– Auch der Kanzler weiß, dass das ein hochanständiger
Beruf ist.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Ach, der weiß das nicht! Das ist doch das Schlimme! – Gegenruf des Abg. Detlev von Larcher [SPD]: Er sagt es sogar!)


– Doch.
An dieser Stelle nutze ich die Gelegenheit, eine herzli-

che Bitte an die Medien zu richten: Bei der Aufgabe des
Aufklärens und Kommentierens von Missständen haben
auch unsere Medien eine Verantwortung. Ich bitte Sie von
den Medien herzlich, diese Verantwortung wirklich wahr-
zunehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der PDS)


Unsere Bauern sind, wie eine Zeitung jetzt getitelt hat,
nicht die „Mülleimer der Nation“.

Ich darf – sicherlich gemeinsam mit Ihnen, Herr
Ronsöhr – feststellen: Verbraucher und Erzeuger sitzen in
einem Boot.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Der Preisdruck, der vom Handel auf die Erzeuger aus-
geübt wurde und immer noch ausgeübt wird, spricht ge-
gen alle Vernunft. Lebensmittel als Lockmittel für den
Verbraucher zu nehmen halte ich für unanständig. Le-
bensmittel als Ramschware zu verhökern ist pervers.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ein halbes Pfund Butter für 0,99 DM, ein Kilo Roula-
den für 5,55 DM oder fünf Hähnchen für 10 DM, das sind
Preise, die man mit dem gesunden Menschenverstand

überhaupt nicht nachvollziehen kann. Wir Verbraucher
– auch ich bin einer – müssen auch einmal darüber nach-
denken, wie es wohl kommt, dass wir für die Freizeit mehr
ausgeben als für unsere Lebensmittel.

Es gibt auch bei Schlachtern und Metzgern schwarze
Schafe; das wissen wir. Wer meint, alles „verwursteln“ zu
können, der muss dann eben auf die Wurst einen Aufkle-
ber anbringen, wie wir ihn von Zigarettenschachteln ken-
nen: „Die Gesundheitsminister …“ Ein solcher Aufkleber
gehört dann auf die Wurst.

Wir sind uns sicherlich auch einig, Kollege Ronsöhr,
dass Futtermittelpanschern die rote Karte gezeigt werden
muss. Wir sind uns auch einig, dass Schweinedoping und
Rinder zu Kannibalen zu machen eine unvorstellbare
Grausamkeit ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich denke, auch in diesem Bereich können wir gemeinsam
etwas machen.

Chemiecocktails und chemische Keulen haben in der
Lebensmittelproduktion nichts zu suchen. Auch da gibt es
Einigkeit. Warum nutzen wir nicht unsere Einigkeit in
vielen Bereichen und setzen sie wirklich in Politik um?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – HeinrichWilhelm Rönsöhr [CDU/CSU]: Wir haben es doch angeboten! Wir wollen das doch!)


Ich denke, wir sind uns einig, dass wir gemeinsam den
Markt für unsere Bauern und unsere Produkte wieder in
Gang bringen müssen. Wir wollen und wir müssen den
ländlichen Raum weiterentwickeln. Auch da gibt es einen
Konsens. Wir streiten uns nachher über Beträge. Aber da-
rüber, dass wir das tun müssen, sind wir uns einig. Das
geht nur im Kontext mit allen Regionen in diesem verein-
ten Europa.

In der Landwirtschaft und im ländlichen Raum brau-
chen wir keine Revolution, sondern Evolution. Die beste-
hende Krise muss wirklich für uns alle eine nationale He-
rausforderung sein. Wir haben die Probleme abzuarbeiten
und nicht täglich von dieser Stelle aus zu beschwören. Ich
finde es beachtlich und positiv, dass jetzt endlich auch die
Vertreter des Berufsstandes laut über Veränderungen
nachdenken.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bei der Bundesre-
gierung ist diese Landwirtschaft wirklich in guten Hän-
den.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU – Zurufe von der CDU/CSU: Was? – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/ CSU]: Holger, das glaubst du doch selbst nicht! Nach deiner Rede ist es gar nicht mehr möglich, das zu sagen! – Gegenruf des Abg. Detlev von Larcher [SPD]: Ihr habt uns doch alles hinterlassen!)


Das muss man sagen, auch wenn hier und da einmal eine
überzogene Anmerkung kommt; das will ich gerne zu-
geben.




Holger Ortel
14310


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich denke, ein wohldurchdachter Schwenk in der
Agrarpolitik ist längst überfällig. Wir werden in diesen
Schwenk die Betroffenen im ländlichen Raum einbinden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Holger, das war eine gute Rede – bis auf den Schluss!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1414609300
Ich erteile
das Wort dem Kollegen Manfred Grund für die Fraktion
der CDU/CSU.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat der mit Landwirtschaft zu tun?)



Manfred Grund (CDU):
Rede ID: ID1414609400
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich als
vorletzten Redner die Gelegenheit nutzen, auf die Folgen
der aktuellen BSE-Krise für den ländlichen Raum in den
neuen Bundesländern hinzuweisen. Dies erscheint mir
deshalb geboten, weil es hier durchaus einige grundle-
gende Unterschiede gegenüber der Agrarstruktur in den
alten Bundesländern gibt, was die Größe der Betriebe und
damit auch die Folgen auftretender BSE-Fälle für Men-
schen und Tiere betrifft.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch geschimpft wegen der LPG!)


Die mehr oder weniger offen ausgesprochene Vorver-
urteilung landwirtschaftlicher Großbetriebe bereitet den
in den neuen Ländern in der Landwirtschaft arbeitenden
Menschen große Sorgen.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Sagen Sie das mal dem Kollegen Glos!)


– Ich sage es auch dem Bundeskanzler; das können Sie
vielleicht weitersagen. – Im Raum stehen Begriffe wie
„industrielle Landwirtschaft“, „Massentierhaltung“ und
„Agrarfabriken“.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das ist ja auch etwas anderes! Da helfen wir Ihnen!)


Die Ursache von BSE und mancherlei anderen Verirrun-
gen in der Landwirtschaft schien schnell ausgemacht zu
sein, nämlich in der industriellen landwirtschaftlichen
Produktion.


(Karsten Schönfeld [SPD]: Das haben uns die Bayern immer versucht weiszumachen!)


Rasch und lautstark haben der Bundeskanzler und die
neue Ministerin eine grundlegende Kehrtwende angekün-
digt. Doch eine Kehrtwende wohin und eine Abwendung
wovon?

Inzwischen zeigt sich immer deutlicher, dass BSE je-
denfalls kein ausschließliches Problem industrieller
Landwirtschaft ist, wenn man sie nur von der Betriebs-
größe her definiert. Der Erreger fragt nicht nach der Stall-

größe. Der aktuelle BSE-Atlas weist gerade Regionen mit
traditioneller bäuerlicher Landwirtschaft als Schwer-
punkte der Krise aus. BSE macht auch keinen Bogen um
Höfe mit gesicherter ökologischer Erzeugung.

Die Folgen eines nachgewiesenen BSE-Falls in einem
der vielen typischen Großbetriebe in den neuen Län-
dern – seit gestern gibt es ja den ersten nachgewiesenen
Fall in Sachsen-Anhalt – sind allerdings für die betroffe-
nen Menschen und auch für die Tiere enorm. So wird der
gestern nachgewiesene BSE-Fall wahrscheinlich dazu
führen, dass die gesamte Herde von nahezu 1 000 Tieren
auf einen Schlag getötet werden muss. Dies ist umso dra-
matischer, als die Voraussetzungen für eine artgerechte
Tierhaltung in den neuen Bundesländern durchaus gege-
ben sind. So liegt beispielsweise in Thüringen der durch-
schnittliche Tierbesatz mit 0,55 Kühen pro Hektar weit
unter dem Bundesdurchschnitt, wobei der Spitzenwert bei
1,24 Tieren je Hektar liegt.

Am Einsatz von Landesmitteln für die ökologische
Bewirtschaftung, für die Landschaftspflege, für den Ver-
tragsnaturschutz wird der Wille zur ökologischen Bewirt-
schaftung deutlich. Viele Betriebe in den neuen Bundes-
ländern, ob Wiedereinrichter oder Anlagen mit größeren
Tierbeständen, haben die Kehrtwende, die in der Agrar-
politik aktuell eingefordert wird, längst vollzogen:


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Vielleicht sollten Sie als Ostkollege mal in den Ausschuss kommen!)


Anlagen mit artgerechter Haltung, frei laufende Kälber
und Kühe, Haltung nach Leistungsgruppen, geräumige
und luftige Ställe. Eine Überdüngung der Felder ist weit-
gehend ausgeschlossen, weil der Höchstbesatz pro Hektar
weit unterschritten wird.

In diesem Zusammenhang ist auch wichtig, dass zum
Beispiel in Thüringen 87 Prozent des Grünlandes exten-
siv bewirtschaftet werden.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Die haben auch einen guten Landwirtschaftsminister, den Volker Sklenar!)


Vieles, was jetzt als Kehrtwende in der Agrarwirtschaft
gefordert wird, gibt es in den neuen Bundesländern längst.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Darüber freuen wir uns!)


BSE ist aber nicht nur ein Problem für die Landwirt-
schaft und die unmittelbar in ihr arbeitenden Menschen,
sondern hat auch weit reichende Folgen für andere Bran-
chen wie die Verarbeitung, die Gastronomie und den Tou-
rismus. Das ist deshalb ein Problem, weil vieles, was hier-
mit zusammenhängt, ungeklärt und ungeregelt ist.

In dieser ungeregelten Situation ist nun der erste BSE-
Fall in einer Anlage mit nahezu 1 000 Tieren aufgetreten.
Wer die Bilder vor Augen hat, wie einem Landwirt zu-
mute ist, wenn 30 Tiere aus dem Stall getrieben werden,
der kann sich vorstellen, was es bedeutet, wenn 30 mal 30
Tiere aus dem Stall getrieben werden und damit 30 bäu-
erliche Familien in ihrer Existenz betroffen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)





Holger Ortel

14311


(C)



(D)



(A)



(B)


Auch in Thüringen – bisher ohne einen BSE-Fall – gibt
es jetzt bereits Kündigungen. So werden im Schlachthof
Altenburg von bisher 200 Beschäftigten 60 entlassen.
Fleisch- und Wurstverarbeitungsbetriebe werden von
mehreren Seiten unter Druck gesetzt. Lebensmittelketten
verlangen die Umstellung der Produktion – was auch rich-
tig ist –, aber wie die Kostensteigerungen aufgefangen
werden können, ist ungeklärt.

Bisher klopften alle, also Landwirte, Schlachthöfe,
Fleischverarbeiter, an die Türen der Staatskanzleien. Die
Landesregierungen helfen, vielfach unbürokratisch
schnell und über ihre eigene Zuständigkeit hinaus. Von
der Bundesregierung hingegen – das ist hier schon mehr-
fach angesprochen worden – fehlen bisher konkrete Hil-
fen.


(Karsten Schönfeld [SPD]: Nur Sprechblasen!)

– Es sind Hilfen angekündigt worden, sie sind aber bisher
nicht da.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Alles das, was an Verunsicherung, an existenziellen Fra-
gen mit BSE zusammenhängt, bleibt ungeklärt.

Ich will darauf verzichten – es ist schon von meinen
Vorrednern gesagt worden –, darzustellen, was zu tun ist.
Hier ist, Frau Höfken, die Frage nach einem konkreten
Beispiel gestellt worden. Ich nenne Ihnen ein Beispiel.
Auf einem Schlachthof, auf dem ein BSE-infiziertes Rind
getötet und verarbeitet worden ist, müssen anschließend
ein oder zwei Quarantänetage eingelegt werden. Es muss
desinfiziert werden und die gesamte Charge, die ge-
schlachtet worden ist, ist verdorben. Wenn wir in Zukunft
dahin kommen, mehrere 100 000 Tiere, die über 30 Mo-
nate alt sind, vom Markt zu nehmen – also zu schlachten
und auf BSE zu testen –, so wird sich ein riesiges Problem
für die Schlachthöfe ergeben, wenn wir nicht festlegen
– das wäre ein konkreter Vorschlag –, bundesweit zwei
oder drei zentrale Schlachthöfe zu benennen, in denen die
Tiere geschlachtet werden, damit die Verarbeitung in den
anderen Betrieben nicht gestört wird. Das wäre ein kon-
kretes Beispiel.

Ansonsten: Handeln Sie schnell! Wenn Sie als Bun-
desregierung nicht bald helfen, kommt Ihre Hilfe nicht
mehr dort an, wohin sie kommen müsste.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Aber das ist nicht neu, was Sie sagen! Wann kommen Sie mal in den Ausschuss?)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1414609500
Als letzter
Redner in dieser Aktuellen Stunde spricht nun der Kollege
Reinhard Schultz für die SPD-Fraktion.


Reinhard Schultz (SPD):
Rede ID: ID1414609600
Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte noch
kurz auf einen Punkt zurückkommen, der mit der Sache
dieser Debatte eigentlich wenig zu tun hat, aber von Herrn
Ronsöhr hier – möglicherweise leichtfertig – eingeführt

worden ist. Sie haben sich dazu verstiegen – warum auch
immer, aus Panik oder aus Leichtsinn –,


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Panik!)


den Versuch der Kriminalisierung unseres Bundeskanz-
lers durch das berühmte Plakat, das sie gestern zurückge-
zogen haben, mit der politischen Auseinandersetzung
zwischen dem Bundeskanzler und dem Präsidenten des
Deutschen Bauernverbandes sozusagen gleichzustellen.
Das halte ich für einen groben Fehlgriff. Ich weise diese
Gleichstellung zurück.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Was ist mit diesem Plakat?)


Sie sollten in sich gehen und gucken, wie Sie mit Ihrer
Fehlleistung umgehen. Ihre Parteivorsitzende war we-
sentlich schlauer als Sie, die Sie heute noch einmal nach-
getreten haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – HeinrichWilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Hier! Darf ich Ihnen das einmal zeigen? Vielleicht sagen Sie dazu auch etwas!)


– Ich gucke mir das gleich an; denn trotz Brille ist meine
Weitsichtigkeit nicht so groß, dass ich das von hier aus ge-
nau sehen könnte.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Wir haben immer gedacht, dass Sie keine Weitsicht haben!)


– Um Sie zu erkennen, reicht sie allemal noch, aber weit
darüber hinaus geht es zugegebenermaßen nicht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Diskussion
um die Folgen von BSE geht es nicht nur darum – das
wird natürlich geschehen, auch auf der Grundlage der Re-
gierungserklärung der Ministerin in der nächsten Sit-
zungswoche –, konkrete Strukturhilfen und Liquiditäts-
hilfen zu leisten, die Entsorgung zum Beispiel von
Tiermehl und von Futtermitteln, in denen Tiermehl ent-
halten ist, vernünftig zu organisieren und sich darauf zu
verständigen, wie man eine Marktbereinigung dadurch
herbeiführt, dass man Bestände nach bestimmten Qua-
litätsmerkmalen ersatzlos aus dem Markt herausnimmt.
Das wird alles geschehen, und zwar schneller, als Sie
heute glauben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es geht auch darum, uns darüber klar zu werden, wie

das System der Nahrungsmittelerzeugung und Nahrungs-
mittelverteilung in Deutschland und in Europa heute ei-
gentlich funktioniert und wie es funktionieren sollte. Sie
haben ja alle Recht, die Sie sagen: Die Bauern und die
Verbraucher sind die Opfer einer solchen Entwicklung.
Aber welcher Entwicklung denn eigentlich? Wir haben in
Deutschland einen Lebensmittelhandel, in dem zehn Un-
ternehmen 80 Prozent des Marktes beherrschen. Das ist
eine marktbeherrschende Stellung, wenn auch nicht im
Sinne des Rechts, weil 33 Prozent am relevanten Markt
nicht überschritten werden. In diesem sensiblen Bereich
wird eine solche Nachfragemacht erzeugt, dass Preise
diktiert werden können.




Manfred Grund
14312


(C)



(D)



(A)



(B)


Überall dort, wo sich die Anbieter organisiert haben,
wie zum Beispiel im Milchbereich, um durch große Ein-
heiten ein Gegengewicht herzustellen, erzielen die Erzeu-
ger mittlerweile auch wieder auskömmlichere Preise. Im
Fleischbereich ist die Lage derartig zersplittert, dass die
Erzeuger dem Preisdiktat hilflos ausgeliefert sind, und
zwar nicht nur dann, wenn der Anbieter Fleisch so wie
früher Socken zu Schnäppchenpreisen anbieten will, son-
dern generell. Aufgrund des Wettbewerbs dieser Zehn in
Deutschland sind die Margen beim Endverbraucherpreis
so gering geworden, dass Geschäfte nur noch über die
Masse, also über massenhaften Verkauf von Lebensmit-
teln wie Fleisch, gemacht werden können; dieser Preis-
druck wird direkt an den Erzeuger weitergegeben. Der Er-
zeuger wird, wenn er sich diesem Tempo und dieser
Marktordnung nicht stellt, brutal ausgelistet und darf
überhaupt nicht mehr an diese Zehn liefern. Er steht dann
im Regen.

Im Alltag wird der Produzent erpresst, zu Bedingungen
zu produzieren, die seiner eigenen Überzeugung wider-
sprechen, nämlich ohne Berücksichtigung ökologischer
Kriterien und Qualitätskriterien. Er wird gezwungen, sol-
che Futtermittel einzusetzen, von denen er selber weiß,
dass ein Pflanzenfresser sie eigentlich nicht fressen sollte.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Stimmt doch nicht!)


Er wird, wie wir es beim Kälberskandal in Nordrhein-
Westfalen erlebt haben und Sie es jetzt in Bayern in Form
des Einsatzes von Pharmaka und Hormonen als Aufzucht-
mittel bei Schweinen erleben, immer wieder gezwungen
oder gedrängt, die Grenze von normaler Produktion zur
Kriminalität zu überschreiten. Ich bin überzeugt davon,
wir bekommen dieses System nicht durch Soforthilfen
oder durch eine Wende in der Landwirtschaftspolitik, wie
angekündigt, in den Griff, sondern nur im Rahmen eines
breiten Konsenses bezüglich der Qualität, die diese Ge-
sellschaft bei Lebensmitteln erwartet.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ CSU: Erzählen Sie das einmal den Einkäufern von Aldi!)


– Ja, ich meine auch die Einkäufer von Aldi.
Wir haben im Rahmen einer breiten gesellschaftlichen

Diskussion zum Beispiel die Produktionsmerkmale, nach
denen Kraftfahrzeuge in Deutschland hergestellt werden,
völlig verändert. In unserem Land werden aufgrund poli-
tischer und gesellschaftlicher Diskussionen, durch ein
entsprechendes Ordnungsrecht, durch Anreize und auf-
grund von freiwilligen Selbstverpflichtungen die ver-
brauchsärmsten Automobilflotten der Welt hergestellt.
Wenn wir im Bereich der Lebensmittelproduktion einen
nur annähernd vergleichbaren Konsens zwischen Politik,
Herstellern, Verbrauchern und dem Handel erreichten,
wären wir einen großen Schritt weiter.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In der Energiepolitik besteht weitgehend Konsens da-
rüber – er hat immer mehr zugenommen –, dass wir Ener-
gie nicht nur durch den Einsatz von Kernkraft oder fossi-

len Brennstoffen erzeugen dürfen, sondern auch durch
den Einsatz erneuerbarer Energien oder durch Energie-
sparen zu einem verantwortlichen Umgang mit unseren
natürlichen Ressourcen beitragen müssen. Durch eine
Verbindung von politischem Konsens, Ordnungsrecht
und Anreizen wird das bewerkstelligt; der Markt ent-
wickelt sich zunehmend dynamisch in diese Richtung.
Wenn wir einen ähnlichen Konsens zwischen Politik,
Handel und Produzenten im Nahrungsmittelsektor hätten,
wären wir einen ganzen Kilometer weiter.


(Beifall bei der SPD)

Deswegen hoffe ich, dass wir fraktionsübergreifend –

es handelt sich ja um ein Riesenthema, bei dem es um die
Macht und sehr große Gewinne von Unternehmen geht,
die aufgrund der hohen Konzentration in diesem Sektor
die Alternative haben, Aktivitäten ins Ausland zu verla-
gern oder sie hier zu belassen – große Qualitätskonferen-
zen durchführen, die zum Ziel haben, unter dem Dach des
Marktes einen Konsens über Spielregeln, die zwischen
Handel, Industrie und Produzenten in der Landwirtschaft
im Interesse der Verbraucher gelten sollten, zu erreichen.
Solche Qualitätskonferenzen könnten das Bewusstsein
sehr schärfen. Ich gehe davon aus, auch der Bauernver-
band würde daran teilnehmen.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1414609700
Herr Kol-
lege Schultz, Sie haben schon ein paar Mal zum Schluss-
satz angesetzt. In einer Aktuellen Stunde haben Sie fünf
Minuten und nicht, wie jetzt schon, sieben Minuten Re-
dezeit. Kommen Sie bitte zum Schluss.


Reinhard Schultz (SPD):
Rede ID: ID1414609800
Okay, ich
komme zum Schluss.

Wenn ich mir anschaue, wie in der Region, die ich
überschaue, nämlich im Westfälischen, heute Landwirte
auf diese Krise reagieren, dann stelle ich fest, dass sie
längst nicht so laut sind und das Kriegsgeschrei anstim-
men, das Herr Ronsöhr und andere hier an den Tag gelegt
haben,


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Wissen Sie, Sie schreien genauso wie ich!)


sondern sich freiwillig selbst bescheiden und auf die ei-
gene Verantwortung besinnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1414609900
Die Aktuelle
Stunde ist damit beendet.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-

gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vor-
schriften (StVRÄndG)

– Drucksache 14/4304 –




Reinhard Schultz (Everswinkel)


14313


(C)



(D)



(A)



(B)



(Erste Beratung 127. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(15. Ausschuss)

– Drucksache 14/5132 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Rita Streb-Hesse
Eduard Lintner
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Horst Friedrich (Bayreuth)

Dr. Winfried Wolf

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (15. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Rita Streb-

Hesse, Dr. Margrit Wetzel, Ingrid Becker-
Inglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD sowie der Abgeordneten Albert
Schmidt (Hitzhofen), Kerstin Müller (Köln),
Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Regelung des Anwohnerparkens durch
Städte und Gemeinden

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Margrit
Wetzel, Hans-Günter Bruckmann, Dr. Peter
Wilhelm Danckert, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Albert Schmidt (Hitzhofen), Kerstin Müller

(Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion

BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Verbot des Mitführens von Radar- und
Laserwarngeräten in Kraftfahrzeugen

– Drucksachen 14/1258, 14/1351, 14/5132 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Rita Streb-Hesse
Eduard Lintner
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Horst Friedrich (Bayreuth)

Dr. Winfried Wolf

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen (15. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Christine
Ostrowski, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der
PDS
Geschwindigkeitsbegrenzung auf 130 km/h auf
Autobahnen
– Drucksachen 14/1082, 14/5076 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Albert Schmidt (Hitzhofen)


Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung
des Straßenverkehrsgesetzes liegen ein Änderungsantrag
der Fraktion der CDU/CSU und ein Entschließungsantrag
der Fraktion der F.D.P. vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Das Haus ist damit
einverstanden.

Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst der Kol-
legin Rita Streb-Hesse für die SPD-Fraktion das Wort.


Rita Streb-Hesse (SPD):
Rede ID: ID1414610000
Herr Präsident! Meine Da-
men! Meine Herren! Heute werden wir – leider mit zwei-
monatiger Verzögerung – wichtige Neuerungen im
Straßenverkehrsrecht auf den Weg bringen. Unstreitig
sind Ergänzungen, zum Beispiel zum Fahrerlaubnis- und
Fahrlehrerrecht, sowie Anpassungen der 1999 vorgenom-
menen Änderungen. Auch zu den drei Schwerpunkten der
Novellierung, zu denen die CDU/CSU quasi über Nacht
doch noch eine Anhörung für nötig erachtete, findet sich
bei den Experten aus der Wissenschaft, bei den Verbänden
und auch in den Landesregierungen überwiegend
Unterstützung.

Das Verbot des Mitführens von Radar- und Laserwarn-
geräten – von der SPD-Fraktion 1999 beantragt – wird
voll mitgetragen. Solche Art von Technik ist für die Ver-
kehrssicherheit kontraproduktiv und wird weder im noch
am Auto – diesen bayerischen Ergänzungsvorschlag neh-
men wir auf – erlaubt.

Für Bewohnerparkzonen, besser bekannt als Anwoh-
nerparkplätze, bringen jetzt klare Vorgaben die notwen-
dige Rechtssicherheit.


(Iris Gleicke [SPD]: Sehr gut!)

Seit Mai 1998 waren nach höchstrichterlichem Spruch nur
noch kleinräumige Zonen zulässig, beschränkt auf zwei
bis drei Straßen im Wohnumfeld. Viele Städte mussten be-
währte Parkraumkonzepte abschaffen bzw. aussetzen. An-
dere behalfen sich mit Notlösungen wie Kurzparkzonen
und Ähnlichem. Die von der Bundesregierung vorgeschla-
gene Ermächtigung erlaubt nun Bewohnerparkzonen bis
zu einer maximalen Ausdehnung von 1 Kilometer. Sie ge-
währleistet den von den Kommunalpolitikern aller Par-
teien als notwendig erachteten Ermessensspielraum, um
angesichts von Parkraummangel, Pendlerverkehr und
nachhaltiger Stadtentwicklung praxistaugliche Parkkon-
zepte umsetzen zu können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir vertrauen auf die Kompetenz vor Ort. Streitpunkt
ist nicht das Ob. Wir sind uns darüber einig, dass wir eine
neue, rechtssichere Regelung brauchen. Das wollen die
Anwohner und die Kommunen. Es gibt Gewerbetrei-
bende in großer Zahl, die gute Erfahrungen gemacht ha-
ben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Streitpunkt bleibt das Wie. Der Schauplatz für eine rea-
litätsnahe und vernünftige Regelung wird der Verhand-
lungstisch mit den Ländern sein. Eine knappe Mehrheit
der Länder – den Anträgen Bayerns und Hessens fol-
gend – will maximal 50 Prozent der Parkplätze für An-
wohner und zusätzlich eine Beschränkung der Größe der
Zonen, gestaffelt nach der Einwohnerzahl der Städte.




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
14314


(C)



(D)



(A)



(B)


Dies, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, un-
terstützen Sie. Eigentlich haben Sie jetzt Erklärungsbe-
darf. Sie müssten doch wissen, dass dann unser gemein-
sam festgestelltes Anliegen, auch Kommunen ohne den
feststehenden Stadtstatus die Einrichtung von Bewohner-
parkzonen zu ermöglichen, außen vor bleibt.

Lassen Sie uns realistisch sein und die Fakten betrach-
ten. In der Praxis gab und gibt es nirgendwo hundertpro-
zentige Anwohnerparkzonen, in denen nicht auch Kun-
den, Handwerksbetriebe und Besucher parken dürfen.
Jede Kommune sorgt im eigenen Interesse für einen fai-
ren Ausgleich. Jede Kommune berücksichtigt bei der Ent-
scheidung über die Größe die Nutzungsstruktur. In der
Anhörung wurde erneut und überzeugend dargelegt, dass
restriktive Vorgaben weder praxistauglich sind noch den
kommunalen Anliegen gerecht werden.

Ich freue mich deshalb über die breite Zustimmung ei-
ner kommunalfreundlichen Regelung in diesem Haus,
auch vonseiten der F.D.P., die sich hier allerdings von
ihren Länderministern unterscheidet.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich werte dies auch als Unterstützung des Bundesminis-
teriums, bei den anstehenden Verhandlungen über die
Straßenverkehrsordnung und die notwendigen Verwal-
tungsvorschriften die kommunale Selbstverwaltung zu
achten.

Als streitiger Punkt bleibt – dies überrascht nicht – die
Festlegung von 0,5 Promille als einheitlichem Grenzwert,
ab dem Alkohol am Steuer künftig härter, also auch mit
Fahrverbot geahndet werden soll. Meine Damen und Her-
ren von der CDU/CSU und jetzt auch von der F.D.P., ich
kann nicht nachvollziehen, warum wir uns bei der Pro-
milleregelung nicht auf die einheitliche Absenkung eini-
gen können.

Das Grundargument, die Erhöhung der Verkehrssi-
cherheit, teilen wir. Das war Ihr Hauptargument, als Sie
1998 die 0,5-Promille-Grenze eingeführt haben. Nun be-
haupten Sie, eine Festschreibung dieser Grenze sei nicht
nötig bzw. sie komme zu früh. Sie pochen dabei auf statis-
tische Angaben, zum Beispiel darauf, dass über 70 Pro-
zent aller Unfälle unter Alkoholeinfluss von Fahrern mit
mehr als 1,1 Promille Alkohol verursacht wurden.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Sehr gut erkannt!)


Damit argumentieren Sie und hoffen, eine stichhaltige Be-
gründung für eine gestaffelte Promilleregelung zu haben.

Sie wollen auch glaubhaft machen, dass die 0,5-Pro-
mille-Grenze für eine unmaßgebliche und ungefährliche
Gruppe von schwach alkoholisierten Genusstrinkern ge-
dacht ist. Die Frage bleibt: Warum haben Sie 1998 über-
haupt die 0,5-Promille-Grenze als Gefahrengrenzwert
eingeführt? Sie und wir wissen, dass Sie ein eindeutiges
Signal setzen wollten. Deswegen haben wir damals Ihrem
Gesetz zugestimmt und werden es heute konsequent ver-
bessern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren von der Opposition, Ihre
Zahlen und die der Statistik, die von 70 Prozent spricht,
beziehen sich – das wissen Sie – auf die Zahl der regis-
trierten Unfälle.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Sie können ja gar nicht rechnen!)


Wie hoch aber ist die Dunkelziffer all der Fahrer, die
0,5 Promille oder 0,8 Promille hatten


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Es ist der Sinn von 0,5 Promille, dass sie nicht auffällig sind!)


und das Glück hatten, nicht erwischt zu werden, weil sie
Gott sei Dank keinen Unfall gebaut, aber in vielen Fällen
eine erhebliche Gefährdung für alle Verkehrsteilnehmer
dargestellt haben?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Wenn sie auffällig sind, werden sie registriert! Dann gilt die Grenze nicht!)


Die von Ihnen so viel zitierte Statistik sagt auch, dass
nur jede 600. Fahrt unter Alkoholeinfluss überhaupt ent-
deckt wird. Sie sagt auch, dass rund 100 Menschen getö-
tet und über 1 000 bei Verkehrsunfällen schwer verletzt
wurden, bei denen die Verursacher einen Blutalkohol-
gehalt von 0,5 bis 0,8 Promille hatten.

Sie ignorieren diese Zahlen ebenso wie – das ist mir
viel wichtiger – übereinstimmende Aussagen von Sach-
verständigen, dass sich ab 0,3 Promille, spätestens bei
0,4 Promille Ausfallerscheinungen und Einschränkungen
der Leistungsfähigkeit zeigen, dass die Einführung des
0,5-Promille-Wertes bereits jetzt einen Rückgang der
Zahl von Verkehrsunfällen unter Alkohol bewirkt hat
und – das ist für eine Regierungspartei und für die Regie-
rung wichtig – dass der allergrößte Teil der Bevölkerung
heute – 83 Prozent im Osten und 52 Prozent im Westen –
Verständnis für eine Senkung zeigt. Dies gilt für Fahran-
fänger und Fahrerfahrene. Für beide wird die 0,5-Pro-
mille-Grenze eine nachvollziehbare und akzeptierte
Regelung im Interesse der eigenen Sicherheit sein. Für ju-
gendliche Fahranfänger haben wir bereits die Probezeit
auf vier Jahre verlängert;


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Wir waren das, nicht Sie!)


weitere Konzepte zur Vorbeugung sind angebracht.
Meine Damen und Herren, die Festlegung einer ein-

deutigen und einheitlichen Promillegrenze ist ein glaub-
würdiger, richtungsweisender Kompromiss zwischen den
Vorstellungen mancher Bundesländer, ein Fahrverbot
schon bei 0,3 Promille bzw. 0,0 Promille festzulegen oder
die 0,8-Promille-Regelung beizubehalten.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Das wäre auch vernünftig!)


Diese Grenze unterstützt unser Bemühen, die Verkehrssi-
cherheit zu erhöhen und die Zahl von Unfallverletzungen
und Todesfällen zu senken. Sie ist weiterhin ein wichtiger




Rita Streb-Hesse

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(C)



(D)



(A)



(B)


Beitrag in der europaweiten Verabredung, eine Durchset-
zung der 0,5-Promille-Regelung oder weniger zu errei-
chen, wobei die Sanktionen in anderen Ländern bekann-
termaßen drastischer sind.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Und die Todeszahl höher!)


Umso mehr bedauere ich die Ablehnung von CDU/CSU
und F.D.P. Es wird Sie nicht erstaunen, dass wir Ihre heute
vorgelegten Anträge – bei der CDU/CSU in bekannter
Form, bei der F.D.P. dürftig kaschiert mit der Forderung
nach einer Konzeption – ablehnen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Das nehmen Sie aber zurück! Wir haben sehr viel Herzblut verwendet!)


Ein wichtiges Gesetzesvorhaben für den Straßenver-
kehr und die Verkehrssicherheit findet heute aus unserer
Sicht einen guten Abschluss. Dafür möchte ich mich bei
allen, die dazu beigetragen haben, bedanken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1414610100
Für die
CDU/CSU-Fraktion erteile ich das Wort dem Kollegen
Wolfgang Börnsen.


Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1414610200
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin
Streb-Hesse, ich finde, dass es ausgesprochen fair ist,
wenn Sie deutlich machen, dass große Teile des jetzt zu
verabschiedenden Gesetzes auf eine gemeinsame Initia-
tive zurückgehen, dass einige der Vorschläge fast drei
Jahre alt sind und von der alten Regierung stammen und
dass große Teile von CDU/CSU und F.D.P. mitgetragen
werden. Das halte ich für einen prima Stil und daran soll-
ten wir auch festhalten.

Ich will auf das eingehen, was uns trennt, und nicht auf
das, worüber wir uns einig sind, weil ich finde, dass es
richtig ist, sich mit einem Thema, das Millionen von Men-
schen interessiert, sachlich auseinanderzusetzen.


(Rita Streb-Hesse [SPD]: Das haben wir gemacht!)


Wer kennt nicht diese Wochenendschlagzeilen, die wir
alle im Ohr haben: „Trunkenheitsfahrt endet tödlich“,
„Junge Frau nach Verkehrsunfall querschnittsgelähmt“,
„Vier junge Leute schwer verletzt – Promillegrenze nicht
eingehalten“. Neben nicht angepasster Geschwindigkeit
und Vorfahrtsfehlern stehen Alkoholfahrten an der Spitze
der vermeidbaren Unfallursachen. Die Unfälle sind fol-
genreicher als andere, sie ereignen sich oft nachts, viel-
fach im Anschluss an Discobesuche, und an ihnen sind
mehr junge Leute als an den aus anderen Gründen verur-
sachten Unfällen beteiligt. Nach Angaben der Verkehrs-
verbände gibt es bei uns fast 29 000 Trunkenheitstäter
jährlich. Sie verletzen über 30 000 Menschen, und fast
1 200 Mitbürger jährlich werden getötet, weil durch Al-

kohol am Steuer ein Unfall verursacht wurde. Jeder siebte
tödliche Unfall geht auf eine Alkoholfahrt zurück. Die EU
beziffert ein Viertel der jährlich 40 000 Verkehrstoten
– also 10 000 Tote – als Opfer von Trunkenheitsfahrten;
davon sterben 3 500 Menschen unschuldig.

Die EU-Kommission sieht vor allem bei den jugendli-
chen männlichen Fahrern aktuellen Handlungsbedarf, die
– so heißt es wörtlich – den harten Kern bei Unfällen mit
Alkohol ausmachen. Das Statistische Bundesamt in Wies-
baden bestätigt diese Aussage. Fast ein Viertel aller alko-
holisierten Unfallverursacher hat das 25. Lebensjahr noch
nicht erreicht. Der Anteil dieser Gruppe an der Gesamt-
bevölkerung beträgt gut acht Prozent, aber jeder fünfte
Unfall in Deutschland wird durch sie verursacht; auch je-
der fünfte tödliche Unfall.

Die Reaktion der Bundesregierung ist angesichts
dieser Sachlage erschütternd. Bundesverkehrsminister
Bodewig äußert sich fast gar nicht und will sich den Vor-
schlag erst einmal ansehen, obwohl die EU-Empfehlung
nach Rücksprache mit Berlin ausgesprochen wurde, die
Koalitionsvereinbarung klare Regelungen enthält und
SPD und Bündnisgrüne in ihrer Oppositionszeit klar auf
eine Null-Promillegrenze festgelegt waren. Leider fehlt
der Minister heute bei dieser Debatte; ich bedauere das
außerordentlich. Alkohol am Steuer ist auch für einen
Bundesverkehrsminister, der neu im Amt ist, ein wichti-
ges Thema.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Aufgrund der Zahlen müsste die eindeutige Konse-

quenz für Berlin und Brüssel sein: Null Promille für
Fahranfänger! Aber die Regierung ist dagegen, jedoch die
Mehrheit im Parlament offensichtlich dafür.


(Rita Streb-Hesse [SPD]: Sie haben keinen Antrag gestellt!)


Die jetzt neu anvisierte Grenze von 0,2 Promille ist
eine Halbentscheidung, die dadurch an Seriosität verliert,
weil Brüssel eine Empfehlung gegeben und nicht wie
sonst üblich eine Richtlinie vorgelegt hat. Man darf – will
man Risikogruppen verringern – nicht unverbindlich sein;
man muss konsequent und eindeutig handeln. Nach
Auffassung des Parlamentes muss für Fahranfänger in den
ersten Jahren eine Null-Promillegrenze gelten. Nach fast
vier Jahren Führerschein auf Probe die Promillegrenze
auf 0,5 anzuheben, ist eine Möglichkeit, aber nicht die
beste. Der ADAC bezeichnet dieses Vorgehen ohne Sub-
stanz als blanken Aktionismus.


(Rita Streb-Hesse [SPD]: Von dem haben wir nichts anderes erwartet! Das hat er schon vor zehn Jahren gesagt!)


Hier muss man konsequent handeln. Die bisher gestaf-
felte Regelung, Fahrten mit einem Alkoholgehalt zwi-
schen 0,5 und 0,8 Promille im Regelfall mit 200 DM Buße
und zwei Punkten in Flensburg zu ahnden, wird durch ein
starres Fahrverbot ab 0,5 Promille ersetzt. Der Führer-
scheinentzug erfolgt in Zukunft bereits bei 0,5 Promille
und diese Maßnahme wird durch kein Aufklärungs- oder
Verkehrssicherheitskonzept begleitet.




Rita Streb-Hesse
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(C)



(D)



(A)



(B)


Hier wäre es angemessen gewesen, die von uns initi-
ierte erfolgreiche Schutzengelkampagne aus den Jahren
1997 und 1998 aufzugreifen, fortzusetzen und auch aus-
zuweiten. In den drei Modellregionen Schleswig-Flens-
burg, Oberlausitzkreis und dem Stadtverband Saar-
brücken hat sie große Erfolge gezeigt: bis zu 30 Prozent
weniger Verkehrsunfälle von jugendlichen Autofahrern.
Dies hätten wir vorantreiben müssen.

Neben der aktiven Mitwirkung junger Frauen an die-
sem Programm bewirkte die Einbindung aller Fachkenner
vom deutschen Verkehrsrat über die Verkehrswacht, den
ADAC und die Polizei bis hin zu den Kommunen ein ein-
drucksvolles Resultat. So etwas ist nur möglich, wenn alle
an einem Strang ziehen. Dies sollte auch in Zukunft unser
Bestreben sein. Diese Erfolgsstory hat man aber dem ehe-
maligen Verkehrsminister Wissmann leider nicht gegönnt.


(Lachen bei der SPD – Rita Streb-Hesse [SPD]: Das ist ja unglaublich!)


Aber es wäre gut gewesen, sie wieder aufzugreifen und
gemeinsam weiterzuführen.

Im Interesse der Verkehrssicherheit bin ich wie viele
unserer Kollegen gegen Alkohol am Steuer. Das ist kein
Kavaliersdelikt, egal, mit welchem Fahrzeug man unter-
wegs ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Unbestritten ist – das hat Frau Kollegin Streb-Hesse auch
schon deutlich gemacht –, dass es ab 0,3 Promille Ausfall-
erscheinungen gibt. In den Ausführungen der Experten
auf unserem gemeinsamen Hearing ist deutlich geworden,
dass spätestens gegen Fahrer mit einem Alkoholgehalt ab
0,8 Promille, eigentlich aber schon ab 0,5 Promille von
den Verantwortlichen eindeutiger gehandelt werden
muss.

Die von uns eingeführte Regelung, bereits ab 0,5 Pro-
mille Maßnahmen vorzusehen, war ein Erfolg. Die An-
zahl der Menschen, die durch Alkoholfahrten getötet
wurden, hat sich zwischen 1997 und 1999 um fast 4 500
verringert, weil wir eine abgestufte Ahndung eingeführt
haben und weil sich unsere Bürger immer verkehrsge-
rechter verhalten. Unsere Bürger haben eine Anerken-
nung dafür verdient, dass sie verantwortungsbewusster
fahren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wichtig für den Erfolg eines Gesetzes ist die Kon-

trolle. Die Kontrollen sind durch die Einführung der
Atemalkoholanalyse deutlich verbessert worden. Aber
noch ist das Entdeckungsrisiko zu gering. Immer noch
gehen Experten von einem Verhältnis von 1:300 aus. Das
heißt, auf einen, der erfasst wird, kommen 300, die nicht
erfasst werden. Hier sind eindeutig mehr Kontrollen er-
forderlich.

Die starre Sanktionierung ab 0,5 Promille, die in der
Neuregelung vorgesehen ist, halten wir für nicht vertret-
bar. Sie ist weder pädagogisch noch psychologisch ver-

tretbar. Alle Verkehrsverbände sind sich darüber eigent-
lich einig.

Die Zahl alkoholbedingter Unfälle ist bereits seit Ein-
führung der 0,8-Promille-Grenze stetig gesunken: von
10,8 Prozent im Jahre 1993 auf 8,6 Prozent 1997. Die Ein-
führung der 0,5-Promille-Vorschaltregelung hat eine wei-
tere Reduzierung auf jetzt 7 Prozent bewirkt.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Jetzt geht es in diese Richtung weiter!)


Alle Experten gehen mit Blick auf andere Länder davon
aus, dass es keinen nennenswerten weiteren Rückgang
mehr geben wird. Der harte Kern der Trunkenheitsfahrer
muss anders erfasst werden. Rund 75 Prozent der bei
Kontrollen gefassten Alkoholfahrer haben einen Blut-
alkoholwert von mehr als 1,1 Promille. Da müssen wir an-
setzen: mit Prävention, mit Aufklärung und mit einem ab-
gestuften Ahndungskatalog.

Die Auswirkungen einer neuen Regelung müssen erst
einmal über mehrere Jahre beobachtet werden. Frühestens
nach vier bis fünf Jahren kann man sie beurteilen. Daher
ist es nicht sinnvoll, schon nach zwei Jahren mit einer
Neuregelung zu kommen. Die im April 1998 eingeführte
Promilleregelung bietet die Chance, auf dieser Grundlage
zu einer weiteren Verbesserung der Verkehrssicherheit in
Deutschland zu kommen. Die von der EU eingebrachte
neue Grenze von 0,2 Promille für junge Fahrer und für
weitere Risikogruppen ist weder Fisch noch Fleisch. Sie
führt nicht dazu, dass man sich in jungen Jahren daran ge-
wöhnt, auch ohne Alkohol fahren zu können. Man wird
ein wenig daran gewöhnt; aber eine solche Halbgrenze ist
nicht vertretbar.


(Detlev von Larcher [SPD]: Man gewöhnt sich nicht daran, ohne Alkohol fahren zu können?)


In dieser Frage muss von Anfang an Klarheit herrschen.

(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Wenn man älter als 24 Jahre ist, darf man sich an höhere Grenzen gewöhnen – das ist doch Unsinn, was Sie sagen!)


In der Regel fährt der überwiegende Teil der jungen
Leute korrekt und verantwortungsbewusst. Nur der harte
Kern hält sich nicht an Recht und Gesetz; wir dürfen junge
Leute nicht pauschal verurteilen.

Es gibt einen zweiten Grund, warum die Regierung
handeln muss, und zwar nehmen immer mehr, sowohl
junge als auch ältere Leute zum oder vor dem Alkohol
Medikamente ein. Die Kombination beider Einnahmen
bewirkt, dass es immer mehr Autofahrerinnen und Auto-
fahrer gibt, die ein Risiko im Verkehr darstellen.


(Rita Streb-Hesse [SPD]: Das ist doch ein Argument für die 0,5-Promilleregelung!)


Hier muss man ganz klar handeln und dafür sorgen, dass
so etwas in Zukunft reduziert bis abgebaut wird.

Wer wie die rot-grüne Regierung die Mittel für die Ver-
kehrssicherheit auf jetzt 22 Millionen DM niedergespart
hat – das ist so wenig wie seit zehn Jahren nicht mehr –,




Wolfgang Börnsen (Bönstrup)


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(C)



(D)



(A)



(B)


der verliert an Glaubwürdigkeit, wenn er für mehr Ver-
kehrssicherheit, für mehr Aufklärung und für mehr Prä-
vention in der Verkehrssicherheit plädiert.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich finde: Wir alle haben für mehr Mittel und dafür zu sor-
gen, dass die Verbände und alle, die für mehr Verkehrs-
sicherheit arbeiten, entsprechend ausgestattet sind, um
zielorientiert und eindeutig dazu beitragen zu können,
dass es zu weniger Verkehrsunfällen in Deutschland
kommt.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1414610300
Für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege
Albert Schmidt.

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! So ganz habe ich die Logik Ihrer Argumentation
nicht verstanden, Herr Kollege Börnsen.


(Iris Gleicke [SPD]: Das geht uns auch so!)

Auf der einen Seite haben Sie für eine Verschärfung der
jetzigen Regelung plädiert, nämlich für Fahranfänger die
0,0-Promille-Grenze einzuführen. – Herr Kollege Börnsen,
ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir für einen Mo-
ment Ihr Ohr leihen würden. Ich versuche gerade, Sie an-
zusprechen. Sie haben noch viel Gelegenheit, mit Herrn
Fischer zu sprechen.

Noch einmal: Ich habe Ihre Logik nicht ganz verstan-
den: Auf der einen Seite plädieren Sie für die 0,0-Pro-
mille-Grenze für Fahranfänger, also für eine strengere
Regelung. Auf der anderen Seite soll für die, die nach
zwei oder vier Jahren keine Fahranfänger mehr sind – ich
weiß nicht, nach wie viel Jahren Sie das für gegeben an-
sehen –, die alte 0,5/0,8-Promille-Regelung gelten. Hier
soll also keine Verschärfung in Form der 0,5-Promille-
Grenze für alle in Kraft treten. Für mich ist das in der Ar-
gumentation nicht konsequent. Deshalb versuche ich, Ih-
nen unsere Standpunkte noch einmal ein bisschen näher
zu bringen.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Straßen-
verkehr, über den wir heute abschließend debattieren,
sorgt in der Summe nicht nur für eine, sondern für meh-
rere Verbesserungen im Straßenverkehrsrecht. Diese Ver-
besserungen – das wissen viele der Experten und Exper-
tinnen, die hier sitzen – sind im Grunde seit Jahren
überfällig. Der Gesetzentwurf setzt übrigens auch weitere
Punkte aus der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD
und Bündnisgrünen um. Diese Umsetzung sind wir nicht,
wie Sie behauptet haben, schuldig geblieben. Es handelt
sich vielmehr exakt um die Einlösung dessen, was wir
vereinbart haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Bei der Promillegrenze ist ganz klar, dass der zweistu-
fige Sanktionsmechanismus, den wir bisher hatten, auf
nur noch eine Stufe reduziert wird. Das heißt, die Sank-
tionen, die bisher erst ab 0,8 Promille verbindlich gegrif-
fen haben, greifen jetzt schon ab 0,5 Promille. Das be-
deutet also: Geldbuße plus Führerscheinentzug. Das ist
ein ganz deutliches Signal, das auch jeder versteht, da es
eben nicht mehrstufig ist: Alkohol und Autofahren passen
nicht zusammen! Das ist der Kern dessen, worum es uns
geht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Gerhard Jüttemann [PDS])


Darüber hinaus ist es auch von der Sache her gerecht-
fertigt. Zahlreiche Untersuchungen und leider auch
zahlreiche Unfallanalysen haben gezeigt, dass gerade
zwischen 0,5 und 0,8 Promille beträchtliche Einschrän-
kungen der Fahrsicherheit zu verzeichnen sind, während
bei 0,3 Promille weniger beträchtliche Einschränkungen
zu konstatieren sind. Die Konsequenz daraus kann aus un-
serer Sicht nur lauten: Dieses „Herantrinken“ an eine be-
stimme Promillegrenze, wie an die 0,8er-Grenze – da geht
schon noch ein Halbes, wie man auf bayrisch sagt –, wozu
der Stufenmechanismus vielleicht nicht eingeladen, aber
zumindest angeregt hat, wird dadurch eher erschwert und
somit von den Autofahrerinnen und Autofahrern hoffent-
lich unterlassen, weil man sich sagt: 0,5 Promille hat man
gleich beisammen.

Vor diesem Hintergrund habe ich auch wenig Ver-
ständnis für die Anträge von CDU/CSU und F.D.P. zu die-
sem Thema. Ich erinnere daran – ich hab es auch schon im
Ausschuss getan –, dass der frühere Vorsitzende des Ver-
kehrsausschusses, der von uns allen sehr verehrte Kollege
Dr. Dionys Jobst, der jetzt im Ruhestand ist und den ich
von dieser Stelle sehr herzlich grüßen möchte – jetzt kön-
nen Sie ruhig klatschen –,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der CDU/CSU)


immer ein Verfechter einer klaren 0,5-Promille-Regelung
war. Er hat nur nicht die Unterstützung seiner Fraktion ge-
funden.


(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Er war leider für 0,0!)


Wir haben Verständnis dafür, dass man nicht immer eine
Mehrheit für seine Meinung findet. Ich muss aber sagen,
dass der Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden, viel
näher an seiner Position als an der heutigen Position der
CDU/CSU-Fraktion ist.

Ich möchte auch darauf hinweisen, dass die neue Rege-
lung im Interesse aller Verkehrsteilnehmerinnen und Ver-
kehrsteilnehmer einen Beitrag zur Harmonisierung auf
europäischer Ebene darstellt. Das ist auch für den
grenzüberschreitenden Autoverkehr sehr bedeutsam;
denn die Urlauberin und der Urlauber müssen nicht jedes
Mal bei einem Grenzübertritt nachdenken, welche Grenze
in dem jeweiligen Land gilt. Der Grenzwert ist zwar nicht
überall gleich. Aber das Spektrum der Regelungen wird
jetzt enger.




Wolfgang Börnsen (Bönstrup)

14318


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Autofahrerinnen und Autofahrer, aber vor allen
Dingen auch die nicht motorisierten Verkehrsteilnehme-
rinnen und Verkehrsteilnehmer – Kinder, Radfahrerinnen
und Radfahrer usw. –, die ja bei Autounfällen unter Alko-
holeinfluss meist die Opfer sind, gewinnen aufgrund die-
ser Regelungen mehr Verkehrssicherheit. Dieser Mei-
nung ist auch die Verkehrspolizei. Deshalb bitte ich Sie
ganz herzlich, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.

Ich möchte auch kurz auf den EU-Vorschlag eingehen,
der auch bei Ihnen, lieber Herr Kollege Börnsen, eine ge-
wisse Rolle gespielt hat, wonach eine 0,2-Promille-
Grenze für Fahranfänger eingeführt werden soll. Nach
den statistischen Zahlen, die ich recherchiert habe – viel-
leicht können wir unsere Zahlen gelegentlich in einem
Fachgespräch abgleichen –, gibt es keine besondere Auf-
fälligkeit von alkoholbedingten Unfällen in der Alters-
gruppe der Fahranfänger.


(Beifall der Abg. Rita Streb-Hesse [SPD])

Ich will Ihnen einmal die Zahlen nennen, die ich

recherchieren konnte: Die größte Häufung von Unfällen
unter Alkoholeinfluss findet sich in der Altersgruppe der
35- bis 44-Jährigen.


(Rita Streb-Hesse [SPD]: So ist es!)

Man sollte also nicht mit dem Finger auf die Jungen zei-
gen und sagen, das seien diejenigen, die saufen und dann
fahren. Das stimmt überhaupt nicht.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Das können auch Fahranfänger sein!)


– Völlig richtig, Herr Kollege. Ich unterstelle aber, dass
die Wenigsten in dieser Altersgruppe Fahranfänger sind.

Konkret zu den Zahlen: 5,1 Prozent der Unfälle in der
Altersgruppe der 35- bis 44-Jährigen passieren aufgrund
von Alkoholeinfluss. Die Gruppe der 21- bis 24-jährigen
sowie die Gruppe der 25- bis 34-jährigen Autofahrerinnen
und Autofahrer folgen dann erst mit einem Anteil von je-
weils 4,8 Prozent. Das heißt, die Differenzierung nach Al-
tersgruppen liefert für eine Sonderregelung der Promille-
grenze für junge Autofahrer kein Argument.

Es wird noch interessanter, bitte hören Sie einen Au-
genblick zu. Ich konnte folgende Zahlen für die Hauptur-
sachen von Unfällen von Fahranfängern finden: an erster
Stelle nicht angepasste Geschwindigkeit mit 25 Prozent,
an zweiter Stelle Missachtung der Vorfahrt mit 21 Pro-
zent, an dritter Stelle ungenügender Sicherheitsabstand
mit 9 Prozent, an vierter Stelle falsches Abbiegen und
Wenden mit 5,3 Prozent und dann erst an fünfter Stelle Al-
koholeinfluss mit 4,5 Prozent.

Jetzt kommt der eigentlich spannende Punkt in der Sta-
tistik: Das Fahren unter Alkoholeinfluss in den ersten Jah-
ren der Fahrpraxis ist ein Problem der Männer. 92 Prozent
aller alkoholbedingten Unfälle junger Fahranfänger wer-
den von Fahrern und nicht von Fahrerinnen verursacht.
Die Frauen haben nur einen Anteil von 8 Prozent an die-
sen Unfällen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Wenn Sie, Herr Kollege, schon für eine Sonderrege-
lung plädieren, dann müssten Sie eigentlich als Risiko-
gruppe die Gruppe der jungen Männer definieren. Für die
Gruppe der älteren Männer habe ich keine statistische
Aussage gefunden. Entsprechende Zahlen wären sicher-
lich interessant.


(Heiterkeit bei der SPD)

Wir wären gut beraten, wenn wir jetzt nicht mit einem

Schnellschuss Sonderregelungen in puncto Promille-
grenze für Fahranfänger treffen würden, die sachlich
möglicherweise nicht zu begründen sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.])


Lassen Sie mich zu einem zweiten Thema kurz Stel-
lung nehmen, nämlich zu den Radarwarngeräten, die
ebenfalls in dem Paket enthalten sind und über die man
immer wieder einmal etwas hört. Es gibt diese Radar-
warngeräte, die nicht wirklich funktionieren, jedenfalls
nicht zuverlässig – das muss man einmal klar sagen –, die
aber suggerieren, man könne, wenn man Geschwindig-
keitsbegrenzungen übertritt, sicher sein, dass im Fahrzeug
rechtzeitig eine Warnung erfolgt, wenn eine Kontrolle
droht.

Manche mögen es als Sport oder als interessantes Ex-
periment begreifen, zu schauen, ob man unter den Kon-
trollen durchtauchen kann. Ich möchte ganz klar sagen:
Wer sich gezielt darauf vorbereitet, Geschwindig-
keitsbegrenzungen zu übertreten in der Hoffnung, dabei
nicht erwischt zu werden, der hat den Schutz des Gesetz-
gebers nicht verdient. Hier muss eine klare Kante gezogen
werden. Deshalb muss das künftig strafbar sein. Ich hoffe,
wir sind uns in diesem Punkt einig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Beide Regelungen, die Promilleregelung und das Ver-
bot von Radarwarngeräten, sind keine Schikane und be-
ruhen nicht auf einem übertriebenen staatlichen Kontroll-
bedürfnis, sondern es sind Maßnahmen, die in letzter
Konsequenz auf der Straße jeden Tag Leben retten. Das ist
das eigentliche und, wie ich glaube, unser gemeinsames
Ziel.

Lassen Sie mich einen kurzen Gedanken zum Anwoh-
nerparken anfügen. Auch wir sind sehr froh, dass es nun
gelungen ist, eine Regelung zu finden, die sicherlich weit-
gehend einvernehmlich ist, nach der die Sonderpark-
berechtigungszone auf bis zu 1 000 Meter Entfernung
ausgedehnt wird. Dies ist lebensnah und nicht bürokra-
tisch. Es kommt auch den Gestaltungswünschen der
Kommunen entgegen. Ich bin froh, dass die kommunalen
Spitzenverbände ihr Anliegen hier im Wesentlichen er-
füllt sehen.

Zum Schluss möchte ich den eigentlichen Grundge-
danken der Verkehrssicherheit aufgreifen, den auch Kol-
lege Börnsen sehr stark ins Zentrum gestellt hat. Es ist
richtig, wenn Sie sagen, Ende der 90er-Jahre seien – Gott
sei Dank – auf den Straßen weniger Menschen tödlich




Albert Schmidt (Hitzhofen)


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(C)



(D)



(A)



(B)


verletzt worden als noch zu Beginn der 90er-Jahre, ob-
wohl die Fahrleistung in diesen zehn Jahren erheblich ge-
stiegen ist. Dies spricht auch für den Erfolg verbesserter
Sicherheitstechnik und verbesserter Sicherheitserzie-
hung. Dieser Erfolg hat sicherlich viele Väter und Mütter.
Dennoch gibt es für uns alle keinen Grund zur Selbst-
zufriedenheit an dieser Stelle, weil wir auch zur Kenntnis
nehmen müssen, dass erstens 7 800 tödlich verletzte Men-
schen immer noch viel zu viel sind und dass zweitens die
Zahl der Unfälle mit Personenschäden inklusive 1999 im-
mer noch zugenommen hat. Erst 2000 – wir haben jetzt
die ersten veröffentlichten Zahlen – war erstmals ein
Rückgang zu verzeichnen.

In jedem Fall – ich glaube, da sind wir uns einig – ist
jeder Verkehrstote und jeder Verletzte ein Opfer zu viel.
Es lohnt jede Anstrengung – ich bin gerne bereit, das in
der Verkehrssicherheitsdebatte, die wir demnächst mitei-
nander führen werden, und bei den Anhörungen zu ver-
tiefen – für mehr Sicherheit im Straßenverkehr und im
Verkehr generell. Wir sollten das Thema auch weiterhin
konsensual und mit gemeinsamen Anstrengungen behan-
deln.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1414610400
Der Kollege
Horst Friedrich spricht nun für die F.D.P.-Fraktion.


Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1414610500
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das heute zu debattie-
rende Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
hat einige Bestandteile, die wir durchaus bereit sind
mitzutragen.

Für die Veränderungen beim Anwohnerparken, Frau
Kollegin Streb-Hesse, haben die Kommunen eine Rechts-
grundlage benötigt. Wir sind nach wie vor der Meinung,
dass Berlin das nicht im Detail regeln sollte. Die Anwoh-
ner müssen dort parken dürfen, wo sie wohnen. Die Städte
müssen allerdings auch noch besucht werden können.
Voraussetzung dafür, dass das Ganze funktioniert, sind
Flexibilität und ein Gesamtkonzept, das vor Ort eingefor-
dert wird, das den ÖPNV, die veränderten Ladenöff-
nungszeiten und all die Bedingungen, die vor Ort sehr viel
besser zu lösen sind, beinhaltet. Deswegen setzen wir da-
rauf, dass das Problem vor Ort im Sinne der Betroffenen
gelöst wird.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Rita Streb-Hesse [SPD]: Da freue ich mich!)


Zu den Radarwarngeräten ist eigentlich schon fast al-
les gesagt worden. Ich kann mich da nahtlos dem Kolle-
gen Schmidt anschließen, auch wenn ihn das überrascht.
Auch ich bin der Meinung, dass es nicht sein kann, dass
bestehende Verkehrsvorschriften durch technische Ge-
räte, ob nun im Auto, am Auto oder wo auch immer, un-
terlaufen werden. Wer sich entgegen den bestehenden

Verkehrsregeln in der Hoffnung benimmt, sich mit diesen
Geräten bestimmten Strafen zu entziehen, ist eigentlich
nicht der Verkehrsteilnehmer, den man bei der heutigen
Verkehrsdichte und der Problematik des Verkehrs im Hin-
blick auf die Verkehrssicherheit braucht.

Ich füge allerdings auch kritisch hinzu: Es wäre für die
Akzeptanz von Kontrollmessungen der Polizei mit Ra-
dargeräten besser, diese Geräte tatsächlich dort einzu-
setzen, wo Gefahrenpunkte, wirkliche Unfallschwer-
punkte liegen,


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

nicht aber dort, wo seit vielen Jahren kein Unfall mehr
passiert ist, aber erkennbar eine Geldeinnahme winkt. Ge-
nau dies führt ja zu den Diskussionen auch der Verkehrs-
teilnehmer. Insofern wäre die Polizei aufgefordert, darü-
ber nachzudenken, ob sie den Blitzer unbedingt an dieser
oder jener Stelle aufstellen muss.

Ich habe mir einmal den Spaß gemacht, mir die Stellen
in meiner Heimatstadt anzuschauen – man kennt ja die
Ecken, wo die Blitzer stehen –, und überlegt, wann dort
der letzte Unfall geschehen ist. Dass diese Stellen Unfall-
schwerpunkte sind, kann man wirklich nicht sagen.

Nun zur Promillegrenze: Es wird ja immer behauptet,
wir ignorierten die Probleme. Wenn Sie uns das nicht
glauben, darf ich Ihnen vielleicht einmal vorlesen, was
Generalbundesanwalt Nehm heute erklärt hat. Er hat ge-
sagt, das Problem des Alkohols im Verkehr sei auch nach
der Senkung des Promillegrenzwerts nach wie vor un-
gelöst. Er bezieht sich auf dieselbe Situation, die auch un-
serem Entschließungsantrag zugrunde liegt, nämlich da-
rauf, dass die Zahl der Kontrollen zu gering sei. Genau
dies ist seine Aussage und auch unser Ansatzpunkt, Frau
Kollegin Streb-Hesse. Die Experten haben in der An-
hörung noch erklärt – zumindest Herr Professor Krüger
aus Würzburg –: Diejenigen, die durch die Senkung der
jetzigen Promillegrenze zu belehren sind, sind bereits be-
lehrt. Deswegen wird nicht erwartet, dass eine weitere
Änderung in diesem Bereich zwischen 0,5 Promille und
0,8 Promille signifikant zu weiteren Absenkungen führt.

Das gilt auch für die Sondergruppe der Fahranfänger.
Diese Fahranfänger haben Probleme. Sie verursachen
auch relativ viele Unfälle im Verhältnis zu ihrem Anteil an
der Gesamtbevölkerung. Das liegt aber in aller Regel
nicht am Alkohol, sondern an ganz anderen Dingen. Der
Kollege Schmidt hat sie exemplarisch aufgezählt. Dem ist
nichts hinzuzufügen.

Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, in Deutschland
liegt das eigentliche Problem bei der Spezialgruppe der
fahrenden Trinker, derjenigen, deren Blutalkoholgehalt
jenseits von 1,1 Promille – mit deutlicher Zunahme –
liegt. Die Promillewerte sind ja eigentlich erschreckend
hoch: 2,5 Promille, 3,4 Promille, in der Spitze bis zu
4,53 Promille; das ist jemand, den ich mit einer Diskus-
sion über 0,5 oder 0,8 Promille – bei immerhin unauffäl-
ligem Verhalten, das den Führerschein kostet – nicht be-
einflussen und schon gar nicht beeindrucken kann.
Denjenigen, der gegen diese Grenzwerte verstößt, der
diese Werte produziert – da kann man auch nicht mehr von
„Herantrinken“ reden, denn um mehr als 2 Promille zu ha-




Albert Schmidt (Hitzhofen)

14320


(C)



(D)



(A)



(B)


ben, muss man schon ganz ordentliche Mengen trinken
und sie auch noch vertragen –, den kann ich nur dann be-
eindrucken, wenn er sicher sein kann, dass er sehr viel
häufiger als jetzt kontrolliert und erwischt wird und dass
diese Kontrollen dann auch Konsequenzen haben.

Wie sieht es aber in der Realität aus? Das kritisiert im
Übrigen auch der Generalbundesanwalt. Die Atemwegs-
alkoholanalyse ist – obwohl sie als beweissicher vor Ge-
richt gilt – mittlerweile von mehreren Gerichten nicht
anerkannt worden. Das führt dazu, dass die Polizei – wenn
sie denn schon kontrolliert und jemanden erwischt – nach
wie vor zur alten Blutprobe schreitet, was dann wiederum
bedeutet, dass die ganze Truppe, die kontrolliert, ins
Krankenhaus marschiert, um die Blutprobe entnehmen zu
lassen, um vor Gericht Bestandskraft zu erlangen. Das
heißt im Endeffekt auch: Es wird einer erwischt, besten-
falls sind es zwei – und das war es dann. Die Wahr-
scheinlichkeit, dass sich durch alle diese Regelungen et-
was ändert, ist sehr gering.

Deswegen ist unser Ansatz: Lassen Sie uns ernsthaft
über die andere Seite diskutieren, darüber, wie auch mit
den Ländern – die Länder haben dies ja auszuführen – ge-
regelt werden kann, ob – und wenn ja, wie – die Atem-
wegsalkoholanalyse verbessert werden kann, ob – und
wenn ja, wie – die Sicherheit, dass Alkoholfahrer erwischt
werden, erhöht werden kann. Nur dann entsteht nach mei-
ner Meinung tatsächlich das Gefühl, dass Auto und Alko-
hol nicht zusammengehören und dass es sinnvoll ist, sich
ohne Alkohol ans Steuer zu setzen.

Deswegen noch einige Sätze zur EU:Was von der EU
jetzt vorgelegt worden ist, ist ja das entschiedene „Jein“.
Der Vorschlag von 0,2 Promille signalisiert doch: Eigent-
lich wollten wir ja mehr; eigentlich wollten wir ja eine
0,0-Promille-Grenze für jugendliche Fahranfänger vor-
schlagen.
Das hat man sich aber nicht getraut. Also führt man eine
0,2-Promille-Grenze ein. Beim Alkohol wäre das nur die
Nachweisgrenze. Das ist unehrlich. Man sollte es dann
lieber lassen und gleich konsequent 0 Promille verlangen.
Im Übrigen bin ich nach wie vor der Meinung, dass im
Rahmen des Subsidiaritätsprinzips die Einführung einer
solchen Regelung nicht unbedingt Aufgabe der europä-
ischen Ebene ist.

Noch ein paar Worte zu anderen Ländern und zu Er-
fahrungen mit der 0,0-Promille-Regelung: Die DDR
wurde dafür immer als Beispiel genannt. Im Verhältnis
zur Einwohnerzahl und zur Verkehrsdichte hatte die DDR
trotz einer 0,0-Promille-Regelung deutlich mehr Ver-
kehrsunfälle und Verkehrstote als die Bundesrepublik mit
ihrer damaligen Regelung. Auch in unseren Nachbarlän-
dern sind trotz anderer Regelungen deutlich mehr Alko-
holunfälle zu verzeichnen als bei uns.

In diesem Sinne ziehe ich mir den Schuh der Ignoranz
nicht an. Ich fordere Sie im Gegenteil auf, über das hi-
naus, was Sie bisher vorgelegt haben, zu handeln. Daher
werden wir den von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf
ablehnen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1414610600
Ich gebe der
Kollegin Christine Ostrowski für die Fraktion der PDS
das Wort.


Christine Ostrowski (PDS):
Rede ID: ID1414610700
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Sie von der Koalition haben selbst-
verständlich unsere Stimmen für die von Ihnen vorgese-
hene Änderung des Straßenverkehrsgesetzes. Es ist keine
Frage: Wir sind für eine Verbesserung des Anwohnerpar-
kens


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Erledigt! Setzen! Der nächste Redner!)


und für eine Promillegrenze in Höhe von 0,5, obwohl ich
natürlich eingestehen muss, dass ich manche Diskussion
darüber nicht verstehe. Denn eigentlich passen Autofah-
ren und Alkohol wirklich nicht zusammen.


(Beifall bei der PDS)

Eigentlich kann man nur eine 0-Promille Regelung zulas-
sen. Der Kanzler würde sagen: Basta! Dann wären nicht
solche Verrenkungen nötig, wie sie Herr Börnsen und
viele andere auch hier gemacht haben.

In der Politik geht es aber nicht immer so zu wie im Ge-
schäft, also nach dem Motto: Gibst du mir, geb ich dir!
Auch heute ist das nicht der Fall: Sie bekommen zwar un-
sere Stimmen, geben uns aber Ihre Stimmen nicht für un-
seren Antrag, der heute auch zur Debatte steht: Ein-
führung eines Tempolimits von 130 km/h auf
Autobahnen. Das wundert mich schon ein bisschen.
Denn die gesamte Debatte drehte sich bisher um die Ver-
kehrssicherheit. Letzte Woche ging es um die Verbesse-
rung des Verkehrsklimas, den Abbau von Stress usw. Da
frage ich schlicht und ergreifend: Hängt das nicht auch
mit einem Tempolimit zusammen?


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Natürlich!)


– Nicht wahr, Herr Schmidt,
Sie müssten mir eigentlich Recht geben.

Halten wir noch einmal in aller Ruhe folgende Punkte
fest:

Erstens. Ein Tempolimit auf Autobahnen – und wir se-
hen nur ein Tempolimit von 130 km/h vor – brächte nach-
weislich einen Rückgang der Zahl der Verkehrstoten.
Nach Berechnungen – die kennen Sie alle als Verkehrs-
politiker – würde es bei einem Tempolimit von 100 zu ei-
nem Abbau der Zahl der Verkehrstoten um 1 000 kom-
men. Vielleicht sind es bei einem Tempolimit von 130 nur
300 Tote weniger. Aber 300 Tote sind die dreifache Zahl
derjenigen, die beim Unfall von Eschede gestorben sind.

Alle Welt spricht ja jetzt sehr fleischfixiert über den
Verbraucherschutz. Ein Tempolimit von 130 ist für alle
Verkehrsteilnehmer der beste Verbraucherschutz.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)





Horst Friedrich (Bayreuth)


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Zweitens. Ein Tempolimit senkt die Schadstoffemis-
sionen – auch das ist völlig unbestritten –, insbesondere
die CO2-Emissionen.

Drittens. Eine Geschwindigkeitsbeschränkung senkt den
Lärmpegel. Auch das ist unumstritten. Sie wissen, dass al-
lein eine Reduktion der Durchschnittsgeschwindigkeit um
10 km/h die Lärmemissionen um die Hälfte senken würde.

Viertens. Ein Tempolimit reduziert den Flächenver-
brauch. Die jetzigen sehr breiten Autobahnen wären dann
nicht mehr nötig. Man könnte reduzieren und erhebliche
Kosten sparen. Für solche Anträge müssten Sie uns ei-
gentlich umarmen und ihnen zustimmen.


(Zuruf von der SPD: Das machen wir aber bei diesem Antrag nicht!)


Fünftens. Schließlich erhöht ein Tempolimit auch die
Durchlassfähigkeit des Autobahnnetzes. Wenn das
auch mancher Mensch nicht glauben mag: Wissenschaft-
lich ist das erwiesen. Das, was Sie im Rahmen von Tele-
matik und mit einem ungeheuren Milliardenaufwand er-
reichen wollen, könnten Sie durch eine einfache
Maßnahme wie die Einführung eines Tempolimits viel
billiger haben. Sie müssten also eigentlich mit beiden
Händen zugreifen.


(Beifall bei der PDS)

Ganz zum Schluss ist zu sagen: Unser Antrag zielt

exakt auf das, was Sie vergangene Woche im Rahmen des
Verkehrsberichtes als allgemeines Ziel ausgegeben ha-
ben: die Verbesserung des Verkehrsklimas, den Abbau
von Stress und den Abbau von Aggressivität. Da wundert
mich schon die interessante Formulierung meines hoch
geschätzten Kollegen Albert Schmidt im Aus-
schussbericht, der da schreibt:

Die Koalitionsfraktionen haben im Ausschuss für diesen
Antrag eine gewisse Sympathie erkennen lassen, sehen
aber derzeit keine Möglichkeit, die generelle Geschwin-
digkeitsbegrenzung gesellschaftlich durchzusetzen.

(Rolf Kutzmutz [PDS]: Das ist grüne Dialektik!)


Ja, welche Überraschung! Tatsachen sind: In der letz-
ten Legislaturperiode brachte die SPD einen Antrag auf
ein allgemeines Tempolimit ein.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Mehr als einen!)


Eine entsprechende Forderung, Herr Schmidt, Tempo 100,
ist traditioneller Bestandteil Ihrer Programmatik.

Im Jahre 1999, also unter der jetzigen Bundesregie-
rung, legte das Umweltbundesamt eine Studie vor, in der
die von mir eben genannten Vorteile einer allgemeinen
Geschwindigkeitsbeschränkung festgehalten werden.

Was die gesellschaftlichen Mehrheiten betrifft, die man
hier angeblich nicht hat, so dokumentieren alle seriösen
Umfragen, dass es diese Mehrheiten gibt. Die Studie des
Umweltbundesamtes nennt 72 Prozent der Befragten, die
mit einem Tempolimit von 120 km/h einverstanden sein
würden.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Die restlichen 28 Prozent fahren offensichtlich Auto auf den Autobahnen! Das sehe ich vor allem in den neuen Ländern!)


Im Übrigen nehmen Sie bei anderen Vorhaben auf gesell-
schaftliche Mehrheiten auch keine Rücksicht! Ich nenne
nur die Rentenreform.


(Beifall bei der PDS)

Lassen Sie mich diese Rede mit einem wunderschönen

Zitat beenden:
Das Tempolimit ist ein Gebot der Vernunft. Nun wird
es hoffentlich auch der Betonriege in der Bundesre-
gierung klar sein: Die Zeit der unbegrenzten Raserei
auf Deutschlands Autobahnen ist vorbei. Wir brau-
chen eine Rückkehr zum menschlichen Maß.

Dem ist nichts hinzuzufügen, außer der Quelle: Das war
Gerhard Schröder, und zwar nicht der Juso-Vorsitzende
Schröder, sondern der niedersächsische Ministerpräsident
im Jahre 1992.

Ich bedanke mich.

(Heiterkeit und Beifall bei der PDS – Beifall des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] Das Wort hat nunmehr der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bauund Wohnungswesen, Stephan Hilsberg. S Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses steht bei der heutigen Debatte zweifellos die Vereinheitlichung der Promillegrenze. Ich freue mich, hier der Öffentlichkeit gegenüber sagen zu können, dass wir mit dem Unfug der letzten Koalition, nämlich der Aufspaltung einer einheitlichen Promillegrenze auf 0,5 und 0,8 Promille, heute Schluss machen. Nebenbei ist es auch ganz schön – Herr Schmidt hat bereits darauf hingewiesen –, dass wir hier mit schlicht und einfach ein Koalitionsversprechen wahr machen. Das heißt, der heutige Tagesordnungspunkt firmiert auch unter dem Titel: Versprochen – gehalten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Wo steht denn, dass Koalitionszusagen kein Unfug sind?)

Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1414610800
Stephan Hilsberg (SPD):
Rede ID: ID1414610900

– Unfug war Ihre Regelung, die Sie seinerzeit getroffen
haben, denn sie hat zur rechtlichen Klarheit nicht beige-
tragen und war im Übrigen der Sache nicht angemessen.

Wenn Sie sich die Statistik ansehen, dann ist sie in der
Tat einigermaßen besorgniserregend. Es ist keineswegs
so, dass wir sagen könnten, die Situation ist entschärft und
wir brauchen an dieser Stelle nichts mehr zu tun. Im Ge-
genteil, wenn wir nichts tun würden, würden wir relativ




Christine Ostrowski
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(D)



(A)



(B)


schnell wieder die großen Debatten à la Herrn Kollegen
Börnsen zu führen haben, dass wir nämlich allesamt da-
rüber jammern müssen, welche erschreckende Unfallbi-
lanz gegenwärtig vorliegt. Das ist unser wichtigster
Punkt.

Es geht eben an dieser Stelle auch um entsprechende
Abschreckung. Diese Abschreckung ist sinnvoll, weil sie
vernünftig ist, und es ist vernünftig, die Bürger zu schüt-
zen. Im Mittelpunkt der Verkehrssicherheit steht der
Schutz der Verkehrsteilnehmer. Das ist eine enorm so-
ziale Aufgabe.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jeder im Straßenverkehr Getötete – ich meine, man
kann diesen Satz nicht häufig genug sagen –, ist einer zu-
viel. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Ursache Al-
kohol ist. Jeder kennt doch die Fälle des absurden, abso-
lut sinnlosen Sterbens auf den Straßen, wo junge Leute
mit 18, 19 Jahren mitten aus dem Leben gerissen werden.
Keiner kann sich das jemals erklären. Im Übrigen leiden
diejenigen, die einen solchen Unfall verursacht haben, da-
ran zum Teil zehn bis 20 Jahre. Das ist schlimm, das ist
absolut unmenschlich, das ist kein guter Ausweis einer
menschlichen Gesellschaft, wie wir sie sein wollen. Des-
halb müssen wir auch den Gegnern dieser ausschließlich
im Interesse der Verkehrssicherheit erlassenen Regelung
ganz klar sagen: Rund 950 bei Alkoholunfällen in
Deutschland im Jahre 2000 Getötete sind zu viel, rund
10 800 Schwerverletzte und rund 22 500 Leichtverletzte
sind einfach völlig unakzeptabel. Etwa jeder achte Ver-
kehrstote geht auf das Konto von Alkohol und mehr als je-
der zehnte Schwerverletzte ebenfalls.


(Widerspruch des Abg. Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.])


– Wissen Sie, Herr Friedrich, Sie hatten ja schon die Ge-
legenheit zum Reden, aber es gibt da eine bestimmte Me-
chanik, die ich Ihnen zu erläutern versuche.

Vorher lassen Sie mich aber noch eines feststellen: Al-
kohol ist nach wie vor die gefährlichste und bedeutendste
Droge, die wir in Deutschland haben.


(Beifall bei der SPD)

Es ist einfach alarmierend, dass in Deutschland die

Zahl der Alkoholabhängigen auf zweieinhalb Millionen
geschätzt wird. Über hunderttausend Menschen sind 1998
beim Fahren mit Alkohol am Steuer erwischt worden. Das
muss ich auch einmal ganz klar in Richtung von Herrn
Friedrich sagen, der sich gerade mit etwas anderem be-
schäftigt, aber das ist eine unmittelbare Antwort auf Sie,
Herr Friedrich. Die Atemalkoholanalyse ist der richtige
Weg. Wenn sie gegenwärtig noch Akzeptanzprobleme
hat, bedeutet das nicht, dass es der falsche Weg ist. Dann
müssen wir an der Akzeptanz gemeinsam arbeiten.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Das ist meine Forderung, das steht da drin!)


Es ist aber sehr richtig und sehr wichtig, die Methoden zur
Bekämpfung des Alkohols zu verbessern, und eine Alter-

native zur Atemalkoholanalyse haben wir nicht. Deshalb
ist das ein wichtiger Bestandteil der Gesamtstrategie.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Soll ich Ihnen den Antrag zuschicken? Denn Sie haben Ihn ja nicht gelesen!)


Neben der Absenkung der Promillegrenze gehört aller-
dings auch die Aufklärung dazu. Denn das Problembe-
wusstsein in Bezug auf Alkohol muss in den Köpfen ent-
stehen. Die Hemmschwelle muss erhöht werden. Die
Versuchung, vor der Fahrt noch schnell ein Glas Bier zu
trinken, muss gesenkt werden und muss dem Bewusstsein
Platz machen, dass jedes Glas Bier, jedes Glas Wein vor
der Fahrt eines zu viel ist. Wenn das gelingt, haben wir,
glaube ich, schon eine ganze Menge erreicht.


(Beifall bei der SPD)

Deshalb haben wir ja auch unsere Aktion „Darauf fahre

ich ab“ gemeinsam mit dem Deutschen Verkehrssicher-
heitsrat erfolgreich entwickelt. Und, Herr Börnsen – da
muss ich Sie korrigieren –: Diese Aktion wird nicht etwa
eingestellt. Sie wird fortgesetzt und sogar verbreitert. Sie
hat in der Tat die von Ihnen vorgetragenen positiven Ef-
fekte. Die Zahl der Unfälle konnte in den Aktionsregionen
um fast ein Drittel gesenkt werden. Wir halten also an die-
ser Strategie fest.

Was die Haushaltsmittel anbetrifft, so muss man ein-
fach sagen: Die Effektivität ist entscheidend. Wir werden
uns an der Bilanz der Alkoholunfälle messen lassen. Es
kommt nicht darauf an, dass man Massen an Geld ansetzt,
sondern darauf, dass es so gut wie möglich eingesetzt
wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die positive Entwicklung der Zahl der Alkoholunfälle
mit Personenschaden, die sich allein in dem Zeitraum von
1991 bis 1999 – und dafür waren, das kann man hier
durchaus einmal positiv hervorheben, auch Sie verant-
wortlich – um rund ein Drittel verringert hat, wird – da-
von bin ich fest überzeugt – hier einen weiteren Schub er-
halten. Die Tatsache, dass in diesem Zeitraum der
deutlichste Rückgang von Alkoholunfällen mit 12,6 Pro-
zent im Jahr 1998, dem Jahr, als die 0,5-Promille-Grenze
eingeführt wurde, zu verzeichnen war, spricht ja nicht ge-
gen, sondern für das Einführen dieser Promillegrenze.
Denn Sie haben neben der Strafbewehrung selbstver-
ständlich den Effekt der öffentlichen Debatte darüber. Die
Debatte, die wir heute hier führen, wirkt sich schon posi-
tiv auf die Aufklärung aus. Denn es dringt stärker in das
Bewusstsein dieser Gesellschaft ein, dass das ein Thema
ist, um das man sich weiter zu kümmern hat. Es lässt sich
nachweisen, dass jedes Mal dann, wenn eine Debatte über
die Promillegrenze geführt wurde, ein rücksichtsvolleres
und vorsichtigeres Fahren und eine stärkere Alkoholab-
stinenz zu verzeichnen waren. Deshalb wird das auch ein
Punkt bleiben, an dem man von der Strategie her dran-
bleiben muss.

Deshalb ist es übrigens auch falsch, was die Europä-
ische Kommission hier mit der 0,2-Promille-Grenze für
einzelne Fahrergruppen empfohlen hat, beispielsweise für




Parl. Staatssekretär Stephan Hilsberg

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(C)



(D)



(A)



(B)


Fahranfänger. Dieser Vorschlag verkennt, was die ei-
gentliche Unfallursache bei den Fahranfängern ist. Sie ha-
ben vielleicht Probleme mit der mangelnden Fahrpraxis,
sie haben aber nicht Probleme mit dem Alkohol, der bei
dieser Gruppe erst an fünfter Stelle der Unfallursachen
liegt. Ich denke, hier muss man sich einmal vor diese
Gruppe stellen; so unfair darf man also mit ihr nicht um-
gehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Übrigen: Dass wir die jungen Fahranfänger weiter
im Auge behalten, zeigt ja auch der Umstand, dass die
Bundesanstalt für Straßenwesen nach wie vor beauftragt
ist, die Auswirkungen der neuen Regelung zur Fahr-
erlaubnis auf Probe zu analysieren, und uns weitere Mög-
lichkeiten zur Optimierung anbieten soll. Außerdem über-
legen wir zurzeit, ob es so etwas wie einen Bonus geben
soll, einen Bonus in Form einer Probezeitverkürzung bei
freiwilliger Teilnahme an einem Modellversuch einer
zweiphasigen Fahrausbildung.

Meine Damen und Herren – Rita Streb-Hesse hat ja be-
reits darauf hingewiesen –, wir haben auch einen Auftrag
der Koalitionsfraktionen erledigt, was die Frage des An-
wohnerparkens betrifft, und ich freue mich sehr, dass der
Antrag, den die Koalitionsfraktionen in diesem Zusam-
menhang gestellt haben, erledigt werden kann, weil das,
was wir jetzt haben, die Ermächtigungsgrundlage, der Sie
hier heute mit großer Mehrheit zustimmen werden, den
Kommunen die Möglichkeit gibt, Regelungen in ihrem
Sinne zu treffen, und zwar nicht so, wie die PDS das will
– die PDS hat eh Schwierigkeiten mit der Freiheit –,


(Lachen bei der PDS)

sondern wir machen eine solche Regelung so, dass die
kommunale Selbstverwaltung an dieser Stelle im Mittel-
punkt steht. In den Kommunen soll entschieden werden,
ob und in welcher Art und Weise diese Regelung genutzt
wird, und das ist auch völlig richtig so.

Hinzu kommt das Verbot von Radar- und Laserwarn-
geräten in Kraftfahrzeugen. Das ist ja auch eine alte De-
batte, die wir hier haben.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1414611000
Herr Staats-
sekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Ostrowski?

S
Stephan Hilsberg (SPD):
Rede ID: ID1414611100
Ja, bitte.


Christine Ostrowski (PDS):
Rede ID: ID1414611200
Herr Staatssekretär, Sie
sind ja neu im Amt.


(Zuruf von der SPD: Das ist seine erste Rede heute!)


– Ja, ich weiß. Ich freue mich auch, dass Sie mir in Ihrer
Jungfernrede diese Zwischenfrage gestatten.


(Susanne Kastner [SPD]: „Jungfernrede“ ist gut!)


Ich habe in Nummer 49/2000 der „Wirtschaftswoche“
Folgendes gelesen: Der neu gebackene Minister Bodewig
b
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414611300
„Ich? Wieso denn ich? Ich habe doch vom
Verkehr keine Ahnung.“ Da antwortete Minister
Bodewig: „Das macht nichts. Ich auch nicht.“


(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich wollte Sie also fragen: Sind Sie immer noch auf

dem Stand von vor wenigen Wochen, oder wie schätzen
Sie das ein?


(Zurufe von der SPD: Oh! – Das Gegenteil hat er gerade bewiesen!)


S
Stephan Hilsberg (SPD):
Rede ID: ID1414611400
Für wen
dieses Zitat spricht oder nicht spricht und für wen es
spricht, dass Sie es hier in dieser Art und Weise zitieren,
will ich einmal dahingestellt sein lassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich will an dieser Stelle ganz klar sagen: In der Tat ist
dies ein neuer politischer Bereich für mich. Aber ich ma-
che die interessante Erfahrung, dass man auch als aktiver
Teilnehmer an der Öffentlichkeit mit seinem gesunden
Menschenverstand zu Erkenntnissen kommen kann, die
ich jetzt die Gelegenheit habe durch viele Gutachten und
Gespräche bestätigt zu sehen, und dass man gleichzeitig
die Möglichkeit hat, über bestimmte Bereiche hinaus zu
sehen.


(Beifall bei der SPD)

Das ist auch etwas, was mir die ehemalige DDR nie ge-

stattet hat. Da war man ausgegrenzt. Da hat man nicht ein-
mal an einer öffentlichen Debatte über solche Dinge teil-
nehmen können. Deshalb sollten Sie sich mit solcherlei
Hinweisen zurückhalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich meine, die Frage der Radarwarngeräte sollte man
ein Stück weit mit Ironie kommentieren. Es gibt aber in
der Tat einige schlitzohrige Mitbürger, die glauben, mit
Cleverness und dem entsprechenden Geldbeutel wichtige
und sinnvolle Regelungen schlicht und einfach umgehen
zu können.

Wenn es aber sinnvoll und richtig ist – unabhängig von
der Frage, wo die Messgeräte stehen –, die Geschwindig-
keit zu kontrollieren, und zwar in Verantwortung für die
Verkehrsteilnehmer und für deren Schutz, dann muss es
auch verboten sein, diese Regelung zu umgehen. Dann
müssen die Radarwarngeräte auch verboten werden. Es ist
erfreulich, dass alle Autoclubs in Deutschland diese Rege-
lung unterstützen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)





Parl. Staatssekretär Stephan Hilsberg
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(C)



(D)



(A)



(B)


Ein Tempolimit auf Autobahnen kann man so oder so
sehen. Das ist natürlich ein populistisches Thema; das will
ich gar nicht verschweigen. Für wen man da jeweils Par-
tei ergreift, ist auch ein interessanter Punkt. Deshalb ist es
ganz wichtig, zu den Fakten zurückzukommen. Dazu
möchte ich drei Dinge in Erinnerung rufen.

Erstens. Wir haben bereits Tempolimits auf deutschen
Autobahnen.


(Christine Ostrowski [PDS]: Es geht um ein allgemeines Tempolimit!)


– Ich verstehe Sie ja.
Auf mehr als einem Drittel der deutschen Autobahn-

strecken gibt es aus guten Gründen bereits Geschwindig-
keitsbegrenzungen. Die Zahl der mit einem Tempolimit
belegten Autobahnstrecken nimmt zu.

Zweitens werden die Kohlendioxidemissionen ange-
führt. Natürlich gibt es bei Geschwindigkeitsbeschrän-
kungen eine Senkung von Kohlendioxidemissionen, aber
in einem sehr geringen Maße. Ob es gerechtfertigt ist, des-
halb ein allgemeines Tempolimit einzurichten, ist sehr die
Frage. Selbst das Umweltbundesamt geht davon aus, dass,
wenn sich 80 Prozent der Verkehrsteilnehmer an ein Tem-
polimit von 120 km/h halten, die CO2-Gesamtbelastunginsgesamt nur um 0,3 Prozent sinken würde. Ob sich
80 Prozent an ein solches Tempolimit halten, will ich ein-
mal dahingestellt sein lassen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Das kann man besichtigen, wenn man auf die Autobahn fährt!)


Drittens. Auch die Unfallbilanz auf unseren Autobah-
nen ist kein Argument für ein generelles Tempolimit. Es
mag andere Argumente geben, aber die Unfallbilanz ist
keines.

Ich komme ja auch aus der ehemaligen DDR und war
aktiver und bekennender Trabifahrer. Aber in die Situa-
tion, als Trabifahrer die Geschwindigkeitsgrenze von
100 km/h zu überschreiten, ist man nur selten gekommen.
Es gibt allerdings noch einen anderen Aspekt. Spätestens
nach dem Abkommen über die Transitautobahnen war die
Begrenzung auf 100 km/h eine Devisen bringende Maß-
nahme. Schalck-Golodkowski wird wissen, wie viel
D-Mark er auf diese Art und Weise eingenommen hat.
Dies hat sicherlich zur Verlängerung der SED-Herrschaft
in der DDR beigetragen. Das mag ein Grund dafür sein,
dass Sie daran heute noch festhalten. Ein guter Ratschlag
ist das auf keinen Fall.

Tempo-30-Zonen in Innenstädten sind allerdings eine
sinnvolle Angelegenheit. Wir schaffen hiermit die Grund-
lage, dass in den Kommunen nach deren eigenen Kon-
zepten solche Zonen geschaffen werden können. Auch
dies ist in unseren Augen eine Frage der kommunalen
Selbstverwaltung. Es liegt in der Hand der Kommunen,
ob und wie sie dieses Instrument nutzen wollen. Generell
von dieser Stelle aus allen Kommunen zu verordnen,
Tempo 30 einzuführen, ist in der Tat der falsche Weg.
Auch das spricht wieder nicht unbedingt für die Qualität
Ihrer Anträge.

Noch ein Wort zu weiteren wichtigen Verbesserungen
in diesem Gesetz: Beispielsweise erleichtern wir die

Arbeit der Fahrerlaubnisbehörden und der Fahrleh-
rer, indem wir die Fahrschulerlaubnisklassen der Syste-
matik der Fahrlehrererlaubnisse anpassen. Wir stellen
klar, dass die Fahrschulen nur die Lehrfahrzeuge vorhal-
ten müssen, die für die Ausbildung einer Fahrerlaubnis-
klasse unbedingt erforderlich sind.

Wir verbessern nebenbei noch die Übergangsregelung
zum Fahrlehrergesetz im Hinblick auf die Fahrlehrerer-
laubnis zur Fahrgastbeförderung für Kraftomnibusse. Die
Fahrlehrerschaft wartet dringend auf diese wichtige Rege-
lung. Es genügt künftig, dass der Fahrlehrer am Stichtag
31. Dezember 1998 berechtigt war, Bewerber um die Fah-
rerlaubnis zur Fahrgastbeförderung für Kraftomnibusse
auszubilden.

Meine Damen und Herren, die Verkehrssicherheit,
die im Mittelpunkt dieser Debatte stand, ist ein wichtiger
Teil der Mobilität. Die Mobilität ist in der Tat eine der
zentralen Kategorien unserer modernen Gesellschaft.
Aber sie hat auch kritische Aspekte, deren negative Fol-
gen von uns hinterfragt werden müssen und um die man
sich zu kümmern hat. Soweit man das kann, müssen die
negativen Folgen von Mobilität gelindert und bekämpft
werden.

Es ist das Ziel unserer Verkehrssicherheitsarbeit, dass
die Verkehrsteilnehmer sich in Zukunft sicher, fair, kom-
petent und rücksichtsvoll zueinander verhalten. Das ist
die Voraussetzung dafür, dass wir alle auch in Zukunft den
Entwicklungen, die uns in der Verkehrspolitik beschäfti-
gen werden, gelassen entgegensehen können.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1414611500
Als letztem
Redner in dieser Debatte gebe ich das Wort dem Kollegen
Georg Brunnhuber für die Fraktion von CDU und CSU.


Georg Brunnhuber (CDU):
Rede ID: ID1414611600
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich heute
ausschließlich zum Thema der Promillegrenze äußern.
Mir fällt bei dieser Debatte wie so oft in den letzten Wo-
chen, wenn es um Verkehrspolitik ging, auf, dass Sie sug-
gerieren, eine Lösung für ein Problem zu haben, obwohl
Sie nur eine Scheinlösung haben.

Zum Beispiel haben Sie eine Ökosteuer eingeführt, um
die Umwelt zu schützen. Aber keine Mark fließt in die
Umwelt. Alles wird in die Rentenkasse gegeben.

Sie wollen mehr Güter auf die Schiene verlagern. Das
klingt gut und alle wollen das. Aber dann lassen Sie zu,
dass die DB Cargo gleichzeitig 1 000 private Schienenan-
schlüsse in Deutschland kündigt und den Leuten auch
noch schreibt, sie sollten ihre Güter in Zukunft auf der
Straße transportieren. Das ist die Politik von Rot-Grün!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Susanne Kastner [SPD]: Wer hat denn die Privatisierung vorangetrieben? – Weiterer Zuruf von der SPD: Zur Sache!)





Parl. Staatssekretär Stephan Hilsberg

14325


(C)



(D)



(A)



(B)


Heute tun Sie so, als würden Sie eine ganz neue Idee
gebären, indem Sie die Grenze von 0,5 Promille in den
Vordergrund stellen. Wir haben die 0,5-Promille-Rege-
lung. Darauf möchte ich einmal hinweisen. Was Sie wol-
len, ist eine Verschärfung des Strafmaßes.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist kein neues Thema!)


Sie suggerieren, damit gäbe es mehr Sicherheit auf der
Straße. Sie selber wissen, dass das eben nicht zutrifft.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Doch! Doch!)


Ich verweise auf den Kollegen Friedrich. Sie können
schauen, wohin Sie wollen: Wo 0,0 Promille eingeführt
sind – zum Beispiel in Tschechien, in Ungarn und in
Rumänien –, ist die Häufigkeit von Unfällen mit Alko-
hol in der Regel höher als bei uns. Auch in der DDR war
die Häufigkeit von Unfällen unter Alkoholeinfluss trotz
0,0 Promille und erheblichem Strafmaß genau so hoch
wie in der Bundesrepublik.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Das zeigt, dass es Ihnen mehr um Ideologie als um Ver-
kehrssicherheit geht.

Wenn Sie wirklich Verkehrssicherheit schaffen woll-
ten, dann hätten Sie sagen müssen: Wir müssen die Kon-
trolldichte erhöhen.


(Rita Streb-Hesse [SPD]: Polizei ist Ländersache!)


Denn ohne Kontrollen nützen alle diese Verschärfungen
und die entsprechende Zahlenakrobatik nichts. Sie wer-
den dadurch keinen einzigen Unfall verhindern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das können Sie Ihrer Landesregierung sagen, dass sie mehr kontrollieren soll!)


Sie könnten mehr für die Aufklärung tun. Denn auch
Aufklärung ist notwendig. Dazu sagen Sie gar nichts. Sie
ändern drei Zahlen und glauben, dass sich dadurch etwas
ändert. Das wird nicht eintreffen.

Warum hat man die Regelung, die am 1. Mai 1998 ein-
geführt wurde, nicht noch ein oder zwei Jahre beobachtet?


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Weil der nächste Schritt fällig ist! – Reinhard Weis verwirrend war!)


Wir können Sie nur nochmals darum bitten und hoffen,
dass das im Bundesrat noch einmal aufgegriffen wird.

Wenn zusätzlicher Handlungsbedarf erkennbar gewor-
den wäre, dann wären doch alle bereit gewesen, sich noch
einmal darüber zu unterhalten. Offensichtlich genügt Ih-
nen aber selbst die jetzt anstehende Änderung nicht.

Seit dem 1. Mai 1998 geht die Zahl der Unfälle unter
Alkohol eindeutig zurück.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Diesen positiven Trend wollen wir doch verstärken!)


Wir hätten doch testen können, ob das auf die Einführung
der 0,5-Promille-Grenze zurückzuführen ist oder eine all-
gemeine Tendenz ist.

Auf jeden Fall ist die Tendenz eindeutig: Die alkohol-
bedingten Unfälle gehen zurück.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die werden jetzt weiter zurückgehen!)


Deshalb ist das hier mehr oder weniger einfach eine
Gschaftlhuberei; man macht etwas, damit man den Leu-
ten erklären kann: Wir sind für mehr Sicherheit, wohl wis-
send, dass die Sicherheit dadurch nicht gewährleistet ist.
Deswegen hoffen wir, dass der Bundesrat dieses Gesetz
nicht durchwinkt.


(Zuruf von der SPD: Doch! Bei 0,5 hat er zugestimmt!)


Es ist zustimmungspflichtig. Immerhin gibt es auch SPD-
Verantwortliche, die das so beurteilen. Der Hamburger In-
nensenator zum Beispiel sagt, das seit dem 1. Mai 1998
gültige Gesetz sei ausgezeichnet, es habe in Hamburg
dazu geführt, dass über 13 Prozent weniger Unfälle mit
Alkoholeinwirkung zu verzeichnen seien. Da kann man
nur hoffen, dass noch mehr Leute so denken, damit es so
bleibt.

Wir lehnen es auf jeden Fall ab, weil die Verkehrssi-
cherheit durch diese Verschärfung nicht gewährleistet ist;
vielmehr treffen Sie hauptsächlich wieder denjenigen,
den Sie ideologisch einfach nicht mögen: den Autofahrer.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1414611700
Ich schließe
die Aussprache.

Wir kommen zu den Abstimmungen, zunächst zum Ta-
gesordnungspunkt 5 a: Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer straßen-
verkehrsrechtlicher Vorschriften auf den Drucksa-
chen 14/4304 und 14/5132. Der Ausschuss für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen empfiehlt unter Buchstabe a)
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/5132 die
Annahme des Gesetzentwurfes in der Ausschussfassung.

Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/5152 vor. Über ihn werden
wir zunächst abstimmen. Wer stimmt für diesen Ände-
rungsantrag der CDU/CSU-Fraktion? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit den
Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS ge-
gen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-




Georg Brunnhuber
14326


(C)



(D)



(A)



(B)


chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit dem glei-
chen Stimmverhalten der Fraktionen angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen
und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P.
angenommen

Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag der
Fraktion der F.D.P. auf der Drucksache 14/5154 ab. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist
mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der
F.D.P. abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 5 b: Der Ausschuss für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen empfiehlt unter Buchstabe b)
seiner Beschlussempfehlung in der Drucksache 14/5132,
die Anträge der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen zur Regelung des Anwohnerparkens durch Städte
und Gemeinden auf Drucksache 14/1258 und zum Verbot
des Mitführens von Radar- und Laserwarngeräten in
Kraftfahrzeugen auf Drucksache 14/1351 für erledigt zu
erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Bei voller Einmütigkeit
des Hauses ist diese Beschlussempfehlung angenommen.

Tagesordnungspunkt 5 c: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu
dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel „Ge-
schwindigkeitsbegrenzung auf 130 km/h auf Autobah-
nen“, Drucksache 14/5076. Der Ausschuss empfiehlt, den
Antrag auf Drucksache 14/1082 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
des Hauses gegen die Stimmen der PDS und die Stimme
des Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Bünd-
nis 90/Die Grünen, angenommen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Norbert
Lammert, Bernd Neumann (Bremen), Renate
Blank, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Jüdisches Museum, „Topographie des Ter-
rors“, Mahnmal für die ermordeten Juden Eu-
ropas
– Drucksache 14/4249 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe für den Antrag-
steller das Wort zunächst dem Kollegen Dr. Norbert
Lammert, CDU/CSU.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1414611800
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden
Antrag will die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dazu bei-
tragen, dass endlich ein zwischen der Bundesregierung
und dem Land Berlin abgestimmtes Konzept über die na-
tionalen Gedenkstätten in der Hauptstadt entwickelt und
die unwürdige Hängepartie, die es nun seit vielen Mona-
ten um den Weiterbau und die Fertigstellung der „Topo-
graphie des Terrors“ gibt, überwunden wird. Diese ist der
Bedeutung dieses Platzes und seiner Geschichte völlig
unangemessen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Stiftung „Topographie des Terrors“ verfolgt eines

der wichtigsten Bauprojekte im Rahmen der Gedenkstät-
ten der Bundeshauptstadt. Für die CDU/CSU-Fraktion
steht dieses Vorhaben in einem nicht auflösbaren Zusam-
menhang mit dem Mahnmal der ermordeten Juden Euro-
pas und dem im Aufbau befindlichen Jüdischen Museum.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Mit dem Denkmal soll der jüdischen Opfer gedacht wer-
den, das Museum rekonstruiert gewissermaßen die zer-
störte jüdische Geschichte in Deutschland. Die „Topogra-
phie des Terrors“ fragt nach den Voraussetzungen der
nationalsozialistischen Verbrechen, nach der Gesellschaft,
in der diese Verbrechen möglich wurden, und nach den
Personen, die sie planten und durchführten.

Meine Damen und Herren, für alle drei Projekte sind
durch die Beauftragung international renommierter Archi-
tekten baulich herausragende Lösungen gefunden worden.
Dass sie nicht nur auffällig, sondern umstritten sind,
spricht nicht gegen die Qualität dieser Entwürfe, die im
Übrigen in der Fachwelt fast ungeteilte Zustimmung ge-
funden haben; das ist mehr als ungewöhnlich. Sie setzen
allesamt auch in meiner Beurteilung ein überzeugendes
äußeres Zeichen für das Anliegen, das an diesen Stätten
zum Ausdruck kommen soll.

Wir wollen mit diesem Antrag das ausdrückliche Inte-
resse des Bundestages an der Fertigstellung aller drei Pro-
jekte und an einem überzeugenden Konzept ihrer jeweili-
gen aufeinander bezogenen Arbeit zum Ausdruck bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Nun ist allen Beteiligten klar, dass die Realisierung

dieser Projekte mit vielfältigen, übrigens nicht nur finan-
ziellen Aufwendungen verbunden ist. Ich möchte deswe-
gen für meine Fraktion auch ausdrücklich klarstellen, dass
die getroffenen Grundsatzentscheidungen der Regierun-
gen und Parlamente von Bund und Land Berlin in keinem
der drei Fälle beliebige Kostenentwicklungen rechtferti-
gen. Niemand darf sich ernsthaft auch nur andeutungs-
weise darauf verlassen, dass es, weil die Entscheidung
nun einmal getroffen sei, nun auf Kosten nicht mehr an-
komme.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Vielmehr muss bei allen drei Projekten sichergestellt
werden, dass die beabsichtigten Lösungen unter Berück-
sichtigung der finanziellen Belastung der öffentlichen




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

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(C)



(D)



(A)



(B)


Haushalte und ihrer anderen Verpflichtungen so kosten-
günstig wie möglich umgesetzt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dies gilt sowohl für die erforderlichen Investitionen wie
für die späteren Betriebskosten. Genauso deutlich sage
ich aber: Das gilt bitte schön für alle drei Projekte.

Wir können uns nicht mit einer heimlichen Hierarchie
dieser Projekte abfinden, nach der Kosten an einer Stelle
keine Rolle spielen, deswegen aber an anderer Stelle
umso sorgfältiger gespart werden müsse.


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Welches meinen Sie konkret?)


– Ich bin zwar sicher, Herr Kollege Barthel, dass Sie das
auch ohne Erläuterung verstanden haben, ich erläutere es
Ihnen aber gerne: Mit der Entscheidung des Bundestages,
die Kosten und die Verantwortung für das Mahnmal für
die ermordeten Juden zu übernehmen, mit der Entschei-
dung der Bundesregierung, die komplette Verantwortung
für das Jüdische Museum zu übernehmen, einschließlich
der damit verbundenen Kosten, ergibt sich ein – ich un-
terstelle einmal – von niemandem beabsichtigter, aber
tatsächlicher Druck auf das dritte verbleibende Objekt,
das sich in einer für uns alle peinlichen Situation befindet,
wie wir nun seit Monaten mit wachsendem Erschrecken,
wie ich einmal zu unser aller Gunsten unterstellen will,
beobachten. Deswegen bleiben Bund und Land nach der
Entscheidung des Bundestages in der Verantwortung, für
die beiden Einrichtungen, also für das Jüdische Museum
und für die „Topographie des Terrors“, Lösungen zu fin-
den, die ihre Fertigstellung und künftige Arbeit dauerhaft
sichern. Es gibt keinen überzeugenden Grund, dass der
Bund dies für das Jüdische Museum sicherstellt und für
die „Topographie des Terrors“ offen lässt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will im Übrigen eines ausdrücklich hinzufügen:

Möglicherweise wird gleich – hoffentlich aber nicht – von
der Koalition vorgetragen, es gebe ein Gedenkstätten-
konzept des Bundes und natürlich sei der Bund bereit, für
diese Gedenkstätte – in gleicher Weise wie für Dutzende
anderer Gedenkstätten an anderer Stelle in Deutschland –
Mitverantwortung zu übernehmen. Ich sage gleich vorab,
weil ich nur einmal reden darf: Die „Topographie des Ter-
rors“ kann nicht mit Sachsenhausen, Bergen-Belsen oder
Buchenwald verglichen werden. Wir haben in Berlin im
Grunde genommen nur noch eine authentische Stätte,
die an die entsetzliche Naziterrorherrschaft erinnert. Die
beiden Zentren der NS-Herrschaft waren die Reichskanz-
lei und das Prinz-Albrecht-Gelände. Von der Reichskanz-
lei ist im Stadtbild Gott sei Dank – in diesem Zusammen-
hang müsste man wohl eher „leider“ sagen – überhaupt
nichts mehr zu sehen. Auch das Prinz-Albrecht-Gelände
wäre in der Verdrängungsneigung der Nachkriegsjahre
beinahe ebenso unkenntlich verschwunden. Wir haben
nun seit der Wiederentdeckung dieses Geländes und sei-
ner überragenden historischen Bedeutung im Kontext des
Berliner Stadtjubiläums eine Entwicklung, in der das
Land wie der Bund zu Recht eine besondere Verantwor-
tung entdeckt und auch wahrgenommen haben, aus der
sich nun die Entwicklung dieses Konzepts ergeben hat.

Wenn es denn – auch das will ich sagen – so etwas wie
eine Gewichtung dieser drei Projekte geben müsste, für
die ich ausdrücklich nicht werbe, dann könnte ich allemal
eher den Vorrang der „Topographie des Terrors“ gegen-
über den anderen beiden Projekten begründen als umge-
kehrt. Sie ist die unverzichtbare Verbindung zwischen der
Darstellung einer jahrhundertelangen, dann durch organi-
sierten staatlichen Terror unterbrochenen jüdischen Ge-
schichte im Jüdischen Museum und dem Mahnmal zur Er-
innerung an die Opfer dieser Vernichtungsorgie. Dies ist
nach meiner Überzeugung eine der wichtigsten politi-
schen Gedenkstätten zumindest in Deutschland, wenn
nicht sogar weit darüber hinaus. Deswegen haben wir hier
eine besondere Verantwortung.

Es passt recht gut in diesen Zusammenhang, dass wir
morgen den jährlichen Tag des Erinnerns an die Opfer des
Naziregimes begehen, der den Bundestag nicht nur zu fol-
genlosen Gedenkstunden, sondern auch zu nachprüfbaren
Bekundungen seines Interesses an der Aufrechterhaltung
dieser historischen Verantwortung zusammenführen sollte.

Ich habe schon darauf hingewiesen, dass dieser Platz
– früher mit dem Prinz-Albrecht-Palais – nicht nur eine
der ganz wenigen verbleibenden authentischen Stätten
des Naziregimes in Deutschland ist. Er ist gleichzeitig
eine Stätte, die an Verdrängungsübungen in der Nach-
kriegsgeschichte erinnert. Ich habe keinen Zweifel daran,
dass wir in dem grundsätzlichen Anliegen keine Mei-
nungsverschiedenheiten zwischen den Fraktionen haben
und uns nicht darüber streiten müssen, dass es sich hier
um eine ganz originäre und besondere Verpflichtung des
Bundes handelt. Was sich auf diesem Gelände abgespielt
hat, das 1933 von der Gestapo und 1939 vom Reichssicher-
heitshauptamt bezogen wurde, ist nicht Berliner Stadtge-
schichte, sondern Nationalgeschichte. Leider ist es das
dunkelste Kapitel, das es in unserer Nationalgeschichte
gibt.

Es gibt im Übrigen auch einen ganz praktischen Zu-
sammenhang, aufgrund dessen wir das Gesamtkonzept
für unverzichtbar halten. Diese drei Einrichtungen befin-
den sich glücklicherweise nur wenige hundert Meter
voneinander entfernt, sie sind wie auf einer Perlenschnur
aufgereiht. Es gibt keinen vernünftigen Grund dafür, in
diesen drei Einrichtungen jeweils gleiche Vortragsräume,
Ausstellungen, Dokumentationen und Lesesäle vorzu-
halten. Man kann durch einen inhaltlich konzeptionellen
Zusammenhang einen in jeder Beziehung nicht nur be-
gründbaren, sondern auch vernünftigen Beitrag zur
Kosteneinsparung leisten. Auch deswegen müssen wir da-
rauf bestehen, dass endlich dieser Gesamtzusammenhang
hergestellt wird.

Lassen Sie mich zum Schluss eine eher persönliche Be-
merkung machen. Ich habe in den vergangenen Tagen,
zum Teil mit ausdrücklichem Hinweis auf unsere heutige
Debatte, einige – ich sage es einmal höflich – sehr enga-
gierte Bürgerbriefe bekommen. Unter ihnen waren einige
ausgesprochen unfreundliche, um nicht zu sagen üble
Schreiben – ich möchte sie nicht zitieren –, die sich auf die
Errichtung von Gedenkstätten im Allgemeinen und auf das
Erinnern an jüdische Opfer im Besonderen beziehen und
in denen das Engagement der Union und mein persönli-
cher Einsatz beklagt bzw. beschimpft werden.




Dr. Norbert Lammert
14328


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich trage das nur aus einem einzigen Grund vor: Dass
es solche Briefe immer noch gibt, hat mich in meiner per-
sönlichen Überzeugung sehr bestärkt, dass das wieder-
vereinigte Deutschland in seiner Hauptstadt demonstra-
tive Zeichen setzen muss, Zeichen des Erinnerns, des
Gedenkens und insbesondere unserer festen Entschlos-
senheit, die nach dem völligen politischen und morali-
schen Zusammenbruch dieses Landes mühsam wieder er-
richtete deutsche Demokratie und das Leben und die
Freiheit aller Menschen, die in diesem Lande leben, wel-
cher Nationalität und religiösen Überzeugung auch im-
mer, mit allen Kräften zu verteidigen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1414611900
Ich erteile
das Wort dem Kollegen Eckhardt Barthel für die Fraktion
der SPD.


Eckhardt Barthel (SPD):
Rede ID: ID1414612000
Meine Damen und
Herren! Herr Lammert, wer könnte dem widersprechen,
was Sie zum Schluss gesagt haben? Wer könnte Ihrem
Wunsch widersprechen, dass alle drei Institutionen auch
wirklich realisiert werden? Ich gehe davon aus, dass da-
rüber Konsens in diesem Haus besteht.

Das Ziel, das Sie hier nennen, teile ich – ich glaube,
auch meine Fraktion – voll und ganz. Ich habe jetzt aber
die Aufgabe, über Ihren Antrag zu reden, der im Aus-
schuss sicher intensiv behandelt werden wird. In diesem
Antrag fordern Sie den Bundestag auf, in sich abge-
stimmte, gut durchdachte und auch von der gesamten Op-
position bisher mitgetragene und nicht infrage gestellte
Konzeptionen neu zu ordnen. Man könnte diesen Antrag
so zusammenfassen, dass ebenso wie das Mahnmal für die
ermordeten Juden Europas und das Jüdische Museum
auch die „Topographie des Terrors“ in die volle Träger-
schaft des Bundes überführt werden soll.


(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Ja!)

– Sehen Sie, Sie sagen Ja und Herr Nooke schüttelt den
Kopf und sagt Nein. Es ist schon ein wenig bezeichnend,
wie das Meinungsbild in Ihrer Fraktion ist. Das aber ist
nicht mein Problem.

Es ist allerdings interessant, dass sich diese Unter-
schiedlichkeit auch im Text wiederfindet. Er drückt näm-
lich nicht klar und deutlich aus, dass es um die Träger-
schaft geht. Das muss man erst aus dem Antrag
herauslesen. Schauen Sie sich doch Ihren vierten Punkt
an! Dort steht:

Es gibt keinen überzeugenden Grund, dass der Bund
dies

– die Übernahme –
für das Jüdische Museum sicherstellt und für die
„Topographie des Terrors“ offen lässt.

Wenn man lesen kann und der deutschen Sprache mäch-
tig ist, heißt das, dass es im Kern um die Übernahme der
„Topographie des Terrors“ durch den Bund geht.

Ich gestehe, Sie haben das sehr gut dargestellt. Auf den
ersten Blick liegt diesen Überlegungen eine gewisse Lo-
gik zugrunde: das Jüdische Museum als Ort der Darstel-
lung des jüdischen Lebens und des Zusammenlebens mit
ihnen über Jahrhunderte hinweg, die „Topographie des
Terrors“ als Ort der Täter und das Mahnmal für die er-
mordeten Juden Europas als Ort der Erinnerung. Man
könnte fast sagen, das ist ein Drei-Säulen-Modell. Das be-
zieht sich auch auf den räumlichen Zusammenhang.

Dies hat nur einen Haken und der wird erst auf den
zweiten Blick sichtbar: Es handelt sich hier nur um eine
sehr begrenzte Sicht und eine begrenzte Logik; denn
natürlich fallen demjenigen, der darüber nachdenkt, auch
andere Orte ein. Ich denke zum Beispiel an die Villa am
Wannsee.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Dort wurde der Mord an den europäischen Juden organi-
siert.

Damit das nicht schief klingt: Ich glaube Ihnen hun-
dertprozentig, dass Sie die drei Institutionen nicht unter-
schiedlich werten wollen. Ich freue mich, dass Ihre Frak-
tion mit diesem Antrag die Bedeutung dieser drei
Institutionen so hoch hebt. Ich bin auch weit davon ent-
fernt, zu glauben, dass das bedeutet, dass Ihrer Meinung
nach andere Institutionen weniger Anerkennung verdie-
nen. Aber sie verengen den Blick zu stark auf diese drei
Institutionen.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Noch etwas ist für die Formulierung Ihres Antrags be-

zeichnend: Begriffe wie Gedenkstättenkonzeption oder
Hauptstadtkulturvertrag tauchen in diesem Antrag er-
staunlicherweise gar nicht auf. Wenn Sie aber tatsächlich
eine Gleichbehandlung von Jüdischem Museum und „To-
pographie des Terrors“ wollen, muss sich der Blick sofort
auf den Hauptstadtkulturvertrag richten. Sie verschwei-
gen diese Tatsache; man kann dies aber nicht beiseite
schieben. Der Grund für diese Betrachtungsweise ist: In-
dem Sie den Blick auf ein wichtiges Einzelelement legen,
verlieren Sie den Überblick über die Dimension bundes-
staatlicher Kulturpolitik.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1414612100
Herr Kol-
lege Barthel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Lammert?


Eckhardt Barthel (SPD):
Rede ID: ID1414612200
Aber natürlich.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1414612300
Ich bedanke mich
sehr. – Herr Barthel, Sie haben völlig zu Recht auf den Zu-
sammenhang mit dem Hauptstadtkulturvertrag hingewie-
sen. Wie Sie wissen, lag ein gesonderter Antrag zu diesem
Thema vor, zu dem wir inzwischen eine gemeinsame Ver-
einbarung getroffen haben. Der entscheidende Punkt
– deswegen greife ich Ihren Hinweis gerne auf – ist: Wir
haben die Sorge, dass mit dem Unterschreiben des vorlie-
genden Hauptstadtkulturvertrages die Schieflage festge-
zurrt wird, die wir mit Blick auf die Gedenkstätten in die-
sem Antrag reklamieren.




Dr. Norbert Lammert

14329


(C)



(D)



(A)



(B)


Deswegen ist meine Frage: Könnten Sie sich nicht
auch vorstellen – nachdem Sie Ihre prinzipielle Sympa-
thie und Übereinstimmung mit den vorgetragenen Über-
legungen bekundet haben –, dass man im Rahmen des
Hauptstadtkulturvertrages, der noch nicht unterzeichnet
ist, eine Vereinbarung zwischen Bund und Land Berlin
trifft, die die Gleichrangigkeit dieser Institutionen durch
eine entsprechend gleichartige Verantwortung des Bundes
und des Landes in belastbarer Weise zum Ausdruck
bringt?


Eckhardt Barthel (SPD):
Rede ID: ID1414612400
Es ist schon sehr
erstaunlich, dass Sie dies in Form einer Zwischenfrage
vorbringen und dies nicht Teil Ihres Antrages ist.


(Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich gehe gleich im Rahmen meiner Ausführungen auf Ihre
Frage in Bezug auf den Hauptstadtkulturvertrag ein. In-
sofern brauchen Sie nicht stehen zu bleiben. Sie dürfen
sich setzen.


(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Ich hätte dem Rest Ihrer Rede auch gern im Stehen gelauscht!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1414612500
Sie hätten
die Chance gehabt, Ihre Redezeit um die Zeit zu verlän-
gern, die der Abgeordnete Lammert steht. Aber Sie sind
sehr großzügig.


Eckhardt Barthel (SPD):
Rede ID: ID1414612600
Sehen Sie, ich bin
so gutmütig, dass ich die Kollegen nicht überstrapazieren
möchte.

Herr Lammert, soviel ich weiß, wird der Hauptstadt-
kulturvertrag in Kürze unterschrieben. Es soll Gespräche
zwischen dem Staatsminister und dem Kultursenator ge-
geben haben. Der Grund, warum ich dagegen bin, die ent-
sprechenden Elemente in den Hauptstadtkulturvertrag
aufzunehmen, ist: Wir sind uns wohl alle darüber einig,
dass die Erinnerungskultur bei der Förderung der Kultur
in der Hauptstadt einen hohen Stellenwert haben muss.
Ich möchte nicht, dass sich diese Förderung auf die Erin-
nerungskultur reduziert bzw. begrenzt.


(Beifall bei der SPD)

Wenn man Ihren Antrag zu Ende denkt – im Wissen um
die Begrenztheit der Mittel des Bundes für Berlin –,
kommt man zu der Feststellung, dass es darauf hinaus-
liefe. Wir wollen im Bewusstsein der Vergangenheit mit
Mitteln des Bundes für die Hauptstadt auch Gegenwärti-
ges für die Zukunft schaffen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist ein anderer Ansatz. Mit uns wird es deswegen
sicherlich nicht dazu kommen, dass dieser Vertrag neu
verhandelt wird, mit allen Konsequenzen.

Herr Lammert, ich habe neulich in der „Welt“ einen Ar-
tikel von Ihnen gelesen. Danach stimmen Sie zu, dass vier

von fünf Institutionen per Hauptstadtkulturvertrag durch
den Bund übernommen werden sollen. Sie begrüßen die
Einbeziehung der Werkstatt der Kulturen der Welt in den
Hauptstadtkulturvertrag, ebenso die des Gropiusbaus und
die des Jüdischen Museums sowieso. Auch sprechen Sie
sich – dafür bin ich sehr dankbar – für den Hauptstadt-
Kulturfonds aus. Das einzige, wozu Sie eine andere Mei-
nung haben, sind die Festspiele. Aber kann sich eine Re-
gierungskoalition mehr wünschen, als dass von der
Opposition vier von fünf Punkten zugestimmt wird? Das
ist doch eine schöne Sache.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Wobei die Zustimmung zum Jüdischen Museum an die Einbeziehung der „Topographie des Terrors“ gebunden ist!)


– Dies ist nicht dabei. Aber wir haben, glaube ich, mit die-
sem Hauptstadtkulturvertrag eine gute Basis gefunden,
für die wir breite Zustimmung finden. Deshalb hoffe ich
auch, dass er bald unterschriftsreif sein wird. Eigentlich
ist er ja schon überfällig, wenn wir ehrlich sind; denn seit
dem 1. Januar sind bereits die Weichen gestellt.

Erlauben Sie mir noch ein Wort zur „Topographie des
Terrors“: Wie hat das Prinz-Albrecht-Gelände denn früher
ausgesehen? Hier gibt es durchaus ein Stück Verdrängung.
Auf diesem Gelände konnten Leute ohne Führerschein mit
dem Auto herumfahren. Das war eine schlimme Sache und
deswegen bin ich froh, dass der Berliner Senat dieses Pro-
jekt aufgegriffen hat.

Dass die Kosten inzwischen so in die Höhe gestiegen
sind – da geht es nicht um Mehrkosten in Höhe von
10 Prozent; Sie wissen genau, um welche Dimensionen es
sich hier handelt –, ist allerdings nicht nur der Berliner Po-
litik zuzuschreiben; das muss man ehrlich sagen. Es gibt
eine Menge Probleme mit dem, was der Architekt vorhat.
Auf der anderen Seite würde ich mich riesig freuen, wenn
analog zu der gelungenen Gestaltung des Mahnmals und
der wunderbaren Architektur des Jüdischen Museums ein
sehr attraktives Gebäude als „Topographie des Terrors“
gebaut würde. Dies ist abzuwägen. Aber ich gebe Ihnen
Recht, dass die Kosten nicht beliebig nach oben gehen
können.

In einem Punkt Ihres Antrags haben Sie Recht: Es darf
kein unabgestimmtes Verhalten und erst recht kein Ge-
geneinander zwischen den drei Institutionen geben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])


Ich erinnere Sie an die Diskussion über das Mahnmal, wo
dies eine große Rolle spielte. Ich bin eigentlich ganz froh,
dass wir im Hinblick auf das, was Sie hier fordern, schon
auf dem richtigen Weg sind. Sehen Sie sich einmal an, wer
im Kuratorium der Stiftung „Denkmal für die ermorde-
ten Juden Europas“ sitzt! In ihm ist die „Topographie des
Terrors“ mit Herrn Professor Rürup vertreten, der darüber
hinaus auch in der Arbeitsgruppe für die inhaltliche Kon-
zeption des „Ortes der Information“ tätig ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)





Dr. Norbert Lammert
14330


(C)



(D)



(A)



(B)


Mit Herrn Professor Blumenthal ist das Jüdische Museum
vertreten. Auch andere Institutionen, über die Sie nicht
gesprochen haben, sind dort vertreten; beispielsweise ver-
tritt Dr. Morsch die Gedenkstätte und das Museum Sach-
senhausen. Das Ziel, das Sie zu Recht in Ihren Antrag hi-
neingeschrieben haben, wird hier bereits umgesetzt.
Insofern kann ich sagen, dass wir schon dort sind, wohin
Sie mit Ihrem Antrag erst noch wollen.

Ich bin sicher, dass der Bund nicht die volle Träger-
schaft der „Topographie des Terrors“ übernehmen wird.
Aber er wird seiner Verpflichtung, dieses Projekt finanzi-
ell zu unterstützen, nachkommen, wenn klare, überprüf-
bare Zahlen für den Bau der „Topographie des Terrors“
vorliegen werden. Das ist jedenfalls die Meinung meiner
Fraktion und auch – dessen bin ich genauso sicher – die
Meinung des Staatsministers für Kultur.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1414612700
Ich erteile
der Kollegin Ina Albowitz das Wort. Sie spricht für die
F.D.P.-Fraktion.


Ina Albowitz (FDP):
Rede ID: ID1414612800
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Meine Fraktion hält die Er-
richtung der „Topographie des Terrors“ für richtig, im Zu-
sammenhang mit der Gestaltung der beiden anderen
zentralen Orte der Auseinandersetzung Deutschlands mit
seiner NS-Vergangenheit, dem Holocaust-Mahnmal und
dem Jüdischen Museum, sogar für zwingend notwendig.

Herr Kollege Lammert, trotzdem lehnen wir den vor-
liegenden Antrag ab. Ich will dies auch begründen. Auch
wenn Deutschland, meine Damen und Herren, inzwi-
schen von Berlin aus regiert wird, ist der Bund nicht dazu
da, ständig Fehler der Berliner Landesverwaltung auszu-
bügeln.


(Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die „Topographie des Terrors“ ist im Übrigen kein Ein-
zelfall, wenn es um Beispiele für Missmanagement der
Berliner Bauverwaltung geht. Dort regiert – alle Insider
wissen das – seit vielen Jahren der Schlendrian. Die Bau-
geschichte der „Topographie des Terrors“ könnte man sar-
kastisch als Krönung der Geschichte institutioneller Un-
fähigkeit bezeichnen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Sie hätte längst errichtet sein können; wir befassen uns
seit Jahren mit diesem Thema.

Ich hätte mir im Übrigen gewünscht, dass die Grund-
steinlegung für das Holocaust-Mahnmal – der Grundstein
hätte eigentlich Samstag vor zwei Jahren gelegt werden
sollen – inzwischen erfolgt wäre. Aber wir warten noch
immer darauf. Wie man den Ticker-Meldungen vom heu-
tigen Tage entnehmen kann, wird sie, wenn wir Glück ha-
ben, noch in diesem Jahr erfolgen.

Zu Recht erinnern wir uns – auch die Länder Berlin
und Brandenburg – in diesem Jahr an 300 Jahre preußi-
sche Geschichte. Von den berühmten preußischen Tugen-
den allerdings, Herr Kollege Barthel, von Sparsamkeit
und Disziplin, ist in der Berliner Bauverwaltung so gut
wie nichts mehr übrig geblieben.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ich frage deswegen die CDU/CSU-Fraktion: Weshalb

lassen Sie sich, Herr Kollege Lammert, vor den Karren
dieser Verwaltung spannen, einer Verwaltung, die zuerst
Millionen Steuergelder in den sprichwörtlich märkischen
Sand setzt und dann, wenn sie nicht mehr weiter weiß,
nach dem Bund ruft? Aber das tun aus Sicht der Berliner
nicht nur Sie, sondern auch andere.

Dem alten Westberliner Prinzip „Der Bund wird es
schon richten“ muss endlich ein Riegel vorgeschoben wer-
den, auch deshalb, weil es die anderen Bundesländer leid
sind, dass die Rolle des Zahlmeisters in Berlin peu à peu
vom Bund übernommen und die Hauptstadt damit einsei-
tig gegenüber dem Rest der Republik bevorzugt wird.

Meine Fraktion wird nicht einer Politik die Hand rei-
chen, die über die bisherigen 100 Millionen DM für die
Berliner Kulturförderung hinaus weitere finanzielle Leis-
tungen des Bundes einfordert. Die Stiftung „Topographie
des Terrors“ findet im Rahmen des Gedenkstättenkon-
zeptes des Bundes ausreichend Berücksichtigung. Dort
gilt auch der Grundsatz der hälftigen Finanzierung durch
den Bund und das Sitzland.

Herr Kollege Lammert, lassen Sie mich in diesem Zu-
sammenhang eine persönliche Bemerkung machen. Wir
haben in den letzten Legislaturperioden ein Gedenkstät-
tenkonzept verabschiedet – ich durfte das damals in Ver-
antwortung einer Regierungskoalition für meine Fraktion
machen und die Kollegin Steinbach für ihre Fraktion –,
das von beiden Fraktionen getragen wurde, die Zu-
stimmung des Finanzministers erhielt und mit den Län-
dern vereinbart wurde. Deswegen kann ich mich eigent-
lich nur wundern, dass Sie heute von dem Grundsatz der
hälftigen Teilung der Kosten bestimmter Gedenkstätten
Abstand nehmen wollen; die „Topographie des Terrors“
gehörte schon damals dazu. Ich würde mir wünschen,
dass man sich, auch wenn man nicht mehr so in der Ver-
antwortung steht, trotzdem noch an seine vorherige Ver-
antwortung erinnert. Ich fordere deshalb die Berliner Ver-
antwortung ein. Zunächst muss das Gesamtkonzept
vorliegen und Berlin seine Hausaufgaben machen.

Gabriele Kamphausen, die engagierte Direktorin der
Stiftung „Topographie des Terrors“, hat, wie man der
„FAZ“ entnehmen kann, aufgezeigt, wie viel Zeit, Kraft,
Energie und Geld in den vergangenen fünf Jahren durch
Verzögerung, Aussitzen, Desorganisation, Schlamperei
und Desinteresse der Berliner Bauverwaltung verschwen-
det worden seien. Das heißt für uns, dass der Senat erst
einmal die Karten auf den Tisch legen muss. Dann reden
wir weiter.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so wie bei Abgeordneten der SPD)





Eckhardt Barthel (Berlin)


14331


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1414612900
Wenn Sie
möchten, dürfen Sie noch eine Frage stellen, Herr
Lammert.


Ina Albowitz (FDP):
Rede ID: ID1414613000
Entschuldigung, Herr
Lammert, ich habe Sie nicht gesehen, da ich so fasziniert
den Kollegen Barthel als Berliner angeschaut habe.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1414613100
Ich habe fast al-
les verstanden, was Sie vorgetragen haben, nur einen
Punkt nicht, für dessen Erläuterung ich dankbar wäre.
Worin besteht nach Auffassung Ihrer Fraktion der Unter-
schied zwischen dem Jüdischen Museum und der „Topo-
graphie des Terrors“ bei der Behandlung der Förderung
durch den Bund?


Ina Albowitz (FDP):
Rede ID: ID1414613200
Ich gebe Ihnen Recht: Es gibt
nicht sehr viele Unterschiede.


(Monika Griefahn [SPD]: Doch, die Authentizität des Ortes!)


– Entschuldigung, wir reden von der Finanzierung.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1414613300
Damit ist die
Frage beantwortet.

Ich gebe nunmehr der Kollegin Dr. Antje Vollmer für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414613400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Tatsache, dass die CDU/CSU so fleißig ist, im Bereich der
Kulturpolitik Anträge zu stellen, gibt uns wieder einmal
die schöne Gelegenheit, auf das zurückzublicken, was wir
schon alles geschafft haben: zum Beispiel die Gedenk-
stättenkonzeption des Bundes. Sie forderten uns auf, ein
Konzept zu erstellen, was wir getan haben. Die Kon-
zeption des Bundes mit der hälftigen Finanzierung ist ein
sehr großer Fortschritt, der uns in diesen Bereichen unge-
heuer gedankt wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])


Die Kulturpolitik des Bundes hat Freunde unter denen,
die für die Gedenkstätten verantwortlich sind. Im Übrigen
befinden sich darunter vielfach Verantwortliche in den al-
ten Bundesländern; denn wir hatten die ungewöhnliche
Situation, dass die Lage der Gedenkstätten in den alten
Bundesländern noch kritischer war als die Lage in den
neuen Bundesländern. Wir brauchen aber nicht ständig
neue Konzepte angesichts der Tatsache, dass wir gerade
ein gutes Konzept, das allseits Zustimmung gefunden hat,
erstellt haben.

Wir haben nach langen Auseinandersetzungen die
Entscheidung im Deutschen Bundestag gemeinsam ge-
fällt, das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas
zu errichten. Diese schwierige Debatte hat am Ende also
doch zu einem Konsens geführt. Die Verantwortung, die
sich daraus ergibt, wird von allen in diesem Haus getra-

gen. Der Einzige, der es ein wenig an Anerkennung für
diese Entscheidung fehlen lässt, ist der Regierende Bür-
germeister von Berlin, Herr Diepgen, der nicht einmal bei
der Grundsteinlegung anwesend war.


(Iris Gleicke [SPD]: Hört! Hört! – Hanna Wolf [München] [SPD]: Peinlich!)


Die Verantwortung für das Jüdische Museum wird
nach dem Hauptstadtkulturvertrag voll vom Bund über-
nommen. Wir alle warten auf das Konzept für dieses
Haus. Wir wissen, dass das Konzept von den Museums-
fachleuten unter der Leitung von Michael Blumenthal er-
stellt wird. Es ist nicht Sache des Gesetzgebers, ein sol-
ches Konzept zu erstellen. Warum sollten wir auch ein
Konzept erstellen, wenn es die Museumsfachleute viel
besser tun können?

Die Frage, warum das Jüdische Museum ein Teil des
Hauptstadtkulturvertrages ist – Herr Lammert, diese
Frage stellen Sie ständig –, ist damit zu beantworten, dass
das Land Berlin genau diese Regelung wollte. Das Land
Berlin wollte nämlich, dass der Bund die Verantwortung
für das Jüdische Museum übernimmt. Es waren damals
mehrere Möglichkeiten in der Diskussion. Es handelt sich
um eine Konsenslösung, auf die sich das Land Berlin mit
dem Staatsminister geeinigt hat. Gemäß dieser Einigung
übernehmen wir die gesamte Verantwortung für dieses
Projekt. Die Antwort auf Ihre Frage, warum es dieses und
nicht ein anderes Haus ist, lautet, dass damals dieses Pro-
jekt und nicht ein anderes ausgewählt wurde.

Ich komme zu der „Topographie des Terrors“. Ich
freue mich, dass Ina Albowitz schon sehr Kluges und auch
sehr Treffendes dazu gesagt hat, was die wirkliche Misere
dieses Hauses ist. Sie sollten eines zugeben, Herr
Lammert: Der Grund, warum Sie die „Topographie des
Terrors“ jetzt in diesem Zusammenhang erwähnen, liegt
nicht in der inhaltlichen Konzeption, sondern in der Tat-
sache begründet, dass sich dieses Haus in ganz besonde-
ren Schwierigkeiten befindet. Wie die Kollegin Albowitz
schon bemerkt hat, liegt die Verantwortung für diese Fehl-
planung bei der Berliner Bauverwaltung.


(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Wie bei dem anderen vorhin genannten Projekt auch!)


– Aber es hat eine Entscheidung gegeben.

(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Darum! Das ist Willkür!)

Wenn wir, lieber Herr Lammert, die Kosten zusammen-
rechnen würden, die Sie im Falle von Schwierigkeiten
dem Bund zuschustern wollen, dann könnten wir die ge-
samte Berliner Kulturpolitik übernehmen. Sie wissen sehr
wohl, dass uns das eine Menge Schwierigkeiten mit Ihren
Kollegen in den Ländern, beispielsweise mit den CDU-
Kulturpolitikern in Baden-Württemberg, bereiten würde.
Deswegen ist es völlig klar und entspricht auch den Re-
geln einer geordneten Haushaltsführung, dass man nur für
bestimmte Institutionen die Verantwortung übernehmen
kann und sie dann auch trägt. Genau dazu fordern wir das
Land Berlin auf.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)







(C)



(D)



(A)



(B)


Was die „Topographie des Terrors“ betrifft, sind wir ja
bereit, im Rahmen der Gedenkstättenkonzeption einen
großen Anteil zu übernehmen. Selbstverständlich gehört
dazu die hälftige Finanzierung. Wir haben signalisiert,
dass wir bereit sind, höhere Belastungen in einem bere-
chenbaren Umfang zu übernehmen, weil wir sehr wohl
wussten, welche planerische Katastrophe sich da an-
gebahnt hat. Das Land Berlin muss uns nun aber endlich
klare Zahlen nennen; sie liegen bis heute nicht vor.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])


In einer solchen Situation zu sagen: „Wir wollen uns
des Bundes sozusagen als Goldesel bedienen, wenn etwas
in den Ländern schief gelaufen ist“ widerspricht ganz und
gar den Richtlinien einer korrekten Haushaltsführung,
von der Sie wissen, dass wir uns darum ebenso bemühen
wie um eine in sich schlüssige und miteinander abge-
stimmte Kulturpolitik.

Deswegen sehe ich trotz aller positiven Punkte, die Sie
uns genannt haben, für uns keine Möglichkeit, Ihrem An-
trag zuzustimmen. Wir werden darüber aber noch reden.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414613500
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich der Kollegin Monika Griefahn das
Wort.


Monika Griefahn (SPD):
Rede ID: ID1414613600
Frau Albowitz, Sie haben ei-
nige richtige Bemerkungen – Frau Vollmer hat dies schon
erwähnt – bezüglich der hälftigen Finanzierung des Ge-
denkstättenkonzeptes gemacht. Ich denke, das ist eine der
großen Errungenschaften.

Aber Sie haben auf die Nachfrage des Kollegen
Lammert, was der Unterschied zwischen Jüdischem Mu-
seum, Holocaust-Mahnmal und „Topographie des Ter-
rors“ sei, gesagt: Da ist kein Unterschied, da gebe ich Ih-
nen Recht. – Ich muss Ihnen entschieden widersprechen,
denn die Gedenkstättenkonzeption beinhaltet die authen-
tischen Gedenkstätten, während das Jüdische Museum
und das Holocaust-Mahnmal „Extraeinheiten“ sind. Das
Jüdische Museum war ursprünglich als Anhang zu einem
städtischen Museum geplant und das Holocaust-Mahnmal
sollte nach dem Beschluss des Deutschen Bundestages in
einer eigenen Stiftung und als eigenes Denkmal, nicht an
einem authentischen Ort, errichtet werden.

Insofern hat die Forderung, für die „Topographie des
Terrors“ im Gedenkstättenkonzept die anteilige Finanzie-
rung von 50 Prozent beizubehalten, durchaus seine Logik.
Es geht dabei nicht um 50 Prozent von irgendetwas, son-
dern um 50 Prozent von einem konkret vorgelegten Kon-
zept, das nicht irgendwann ausufern darf, nur weil das
Land Berlin keine Verträge machen kann, die auch einge-
halten werden. Dafür muss ein Vertrag geschlossen wer-
den, der, wie es auch beim Holocaust-Mahnmal gesche-
hen ist, Regelungen beinhaltet, nach denen das Risiko von

Mehrkosten beim Architekten und nicht beim Auf-
traggeber liegt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414613700
Frau Kollegin, Sie
wollen antworten? – Bitte sehr.


(Zurufe von der CDU/CSU: Herr Strieder, gehen Sie doch in die Bütt! – Verteidigen Sie Berlin! – Peter Strieder, Senator [Berlin]: Geben Sie mir doch die Minuten!)


– Ein Mitglied des Bundesrates darf immer reden, Herr
Kollege.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sitzt da und sagt nichts!)


Bitte sehr, Frau Kollegin Albowitz.


Ina Albowitz (FDP):
Rede ID: ID1414613800
Einige Kollegen dürfen zwölf
Minuten reden, ich aber nur drei Minuten. Es ist schwie-
rig, mich in so kurzer Zeit konkret auszudrücken. Das
können Sie sicher nachvollziehen.

Meine Einlassungen zur Frage des Kollegen Lammert
bezogen sich – das haben Sie vielleicht nicht verstanden –
auf die Situation der Zeit vor 1998, auf die Gedenkstät-
tenkonzeption und die hälftige Finanzierung. Die Frage,
ob es da einen Unterschied gebe, habe ich knapp mit Ja
beantwortet.

Wenn ich noch sieben Minuten hätte reden dürfen,
hätte ich mit Sicherheit gerne mehr dazu gesagt. Ich bin
dankbar, dass ich jetzt wenigstens kurz Stellung dazu neh-
men kann. Ich hätte gerne noch etwas zu den Plänen der
Berliner Landesverwaltung und zu den Konzepten, die
Sie vorlegen, gesagt. Kosten sie 80 Millionen DM oder
noch mehr? Ich glaube, der Finanzminister wird sich herz-
lich bedanken, wenn die Schraube immer weiter nach
oben gedreht wird.

Wir können gerne noch darüber sprechen. Denken Sie
bitte daran, dass das in dreieinhalb Minuten nicht möglich
war.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414613900
Nun hat das Wort der
Kollege Professor Dr. Heinrich Fink für die PDS-Frak-
tion.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Geben Sie die Zeit Herrn Strieder! Das ist besser!)



Dr. Heinrich Fink (PDS):
Rede ID: ID1414614000
Ich werde mich hüten. –
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die im Antrag der CDU/CSU enthaltenen For-
derungen nach einer Gesamtkonzeption für die drei Ber-
liner Mahn- und Gedenkstätten erscheinen mir sehr plau-
sibel und aus historischen Gründen sehr zu unterstützen.
Insofern begrüßen wir den Antrag der CDU/CSU und
werden ihm auch zustimmen, gerade weil der Regierende
Bürgermeister von der CDU nicht gerade Sympathisant
der drei Gedenkstätten ist; seine Meinung hat er wohl bis
heute nicht geändert.




Dr. Antje Vollmer

14333


(C)



(D)



(A)



(B)


Es wäre also zu wünschen, dass die Antragsteller bei
ihren Parteifreunden im Berliner Senat mindestens so viel
Zustimmung fänden, wie sie es in diesem Hause erwarten.
Denn die werden sie brauchen, wenn es eine zwischen
Bund und Berlin abgestimmte Gesamtkonzeption geben
soll.

Besonders beschämend steht es derzeit um die „Topo-
graphie des Terrors“. Der Berliner Senat lässt kaum er-
kennen, dass er das Projekt, das auf einen eigenen Be-
schluss von vor nun fast fünf Jahren zurückgeht,
überhaupt noch will. Deshalb wäre es nicht hilfreich,
wenn sich der Bund bei den zugesagten 50 Prozent Fi-
nanzierung bereits jetzt, vor Vorliegen des endgültigen
Gutachtens, auf eine Kostenobergrenze versteife. Es
würde keinen Sinn machen, Berliner Dilettantismus so zu
bestrafen, dass am Ende eine politisch gewollte Gedenk-
stätte von nationaler Bedeutung und von architektoni-
schem Gewinn auf der Strecke bleibt.


(Beifall bei der PDS)

Bei dem Entwurf des Architekten Peter Zumthor für

die „Topographie des Terrors“ handelt es sich um ein Vor-
haben mit hohem künstlerischen Anspruch. Man sollte ihn
nicht ohne Not aufgeben, nur weil die Ausführung ein
paar Millionen DM mehr verlangt als ursprünglich
angenommen. Hier sollte sich neben dem Berliner Senat
auch der Bund seiner nationalen Verantwortung bewusst
bleiben und einer einzigartigen Architektur zur Ent-
stehung verhelfen. Letztlich ist die „Topographie des Ter-
rors“ die notwendige dritte Komponente im Ensemble mit
dem Holocaust-Mahnmal und dem Jüdischen Museum.
Sie ist unverzichtbar.

Hier entscheidet sich – ähnlich wie beim Holocaust-
Mahnmal –, ob erklärter politischer Wille tatsächlich mate-
rialisiert wird, wenn es an die finanzielle und bautechnische
Umsetzung geht. Das steht übrigens nicht im Widerspruch
zu der in dem vorliegenden Antrag enthaltenen Mahnung,
alles so kostengünstig wie möglich umzusetzen.

Es handelt sich um ein Objekt, an dem auch internatio-
nal der Umgang der Deutschen mit ihrer Geschichte be-
urteilt werden kann und werden wird. Wer auch immer für
die gestiegenen Kosten für die „Topographie“ die Verant-
wortung tragen mag – dass das Projekt wegen des kräme-
rischen Festhaltens an einer einst unter anderen Voraus-
setzungen zugesagten Summe scheitert, kann nicht sein.
Freuen werden sich dann allenfalls die Neonazis und ihre
Sympathisanten.

Der Antrag – im Oktober gestellt – sprach die Erwar-
tung aus, dass bereits jetzt eine Gesamtkonzeption vorlie-
gen könnte. Das war angesichts der geschilderten Pro-
bleme wohl auch wenig realistisch. Vielleicht ist das Ende
des ersten Halbjahrs 2001 ein wirklichkeitsnäherer Ter-
min. Darauf sollte der Bund den Berliner Senat schon
drängen. Die Stadt bedarf dieser Erinnerungskultur – so
wie das ganze Land. Dafür, diese Trias als ein Zeichen
dessen sichtbar zu machen, was in Berlin geschehen ist,
sollten wir uns einsetzen. Das ist auch ein Zeichen des
Umgangs mit deutscher Geschichte.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414614100
Ich schließe die
Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der
Vorlage auf Drucksache 14/4249 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit
sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpas-
sung der Formvorschriften des Privatrechts
und anderer Vorschriften an den modernen
Rechtsgeschäftsverkehr
– Drucksache 14/4987 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss

Ich eröffne die Aussprache. Alle Reden sind zu Proto-
koll gegeben worden.1) Damit schließe ich die Ausspra-
che.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 14/4987 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Auch damit
sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 sowie die Zusatz-
punkte 3 und 4 auf:
8. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Carl-Ludwig
Thiele, Gisela Frick, Dr. Hermann Otto Solms, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Abschreibungstabellen nicht ändern
– Drucksachen 14/1887, 14/5149 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Hans Michelbach
Carl-Ludwig Thiele
Jörg-Otto Spiller

ZP 3 Erste Beratung des von der Fraktion der
CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Verbesserung der Abschreibungsbedin-
gungen
– Drucksache 14/5135 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
gemäß § 96 GO

ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerda
Hasselfeldt, Heinz Seiffert, Norbert Barthle, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU




Dr. Heinrich Fink
14334


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 3

Den Wirtschaftsstandort stärken statt Ab-
schreibungsbedingungen verschlechtern
– Drucksache 14/5134 –

Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der
Fraktion der F.D.P. mit dem Titel „Abschreibungstabellen
nicht ändern“ werden wir später namentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
F.D.P. eine Redezeit von sieben Minuten erhalten
soll – Auch das ist so beschlossen.

Dann eröffne ich die Aussprache und erteile dem Kol-
legen Jörg-Otto Spiller für die SPD-Fraktion das Wort.


Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1414614200
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! „Deutschland zählt als
Wirtschaftsstandort wieder zu den ersten Adressen. Seine
internationale Wettbewerbsfähigkeit hat sich deutlich
verbessert.“ Mit dieser Bewertung wird heute der Auf-
sichtsratsvorsitzende der Deutschen Bank in diversen
Zeitungen zitiert. Positive Auswirkungen – so stellt er
fest – habe unter anderem die Steuerreform, die im Aus-
land hoch angerechnet werde.

Ich darf an das erinnern, was wir im vorigen Jahr be-
schlossen haben. Mit der Steuerreform, die am 1. Januar
dieses Jahres in Kraft getreten ist, werden die Unterneh-
mungen in Deutschland jährlich um rund 30 Milliar-
den DM entlastet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Löwenanteil davon kommt den kleinen und mitt-
leren Unternehmen zugute, nämlich etwa 23 Milliar-
den DM im Jahr; auf die großen Unternehmen entfällt
eine Steuerersparnis in der Größenordnung von 7 Milliar-
den DM im Jahr. Das sind echte Entlastungen. Es geht
nicht nur um vorübergehende Liquiditätshilfen.

Daran muss man erinnern, wenn bei dem Thema der
heutigen Debatte über die AfA-Tabellen gesprochen
wird. Wir haben vor kurzem eigentlich noch eine weitge-
hende Übereinstimmung in diesem Hause darin gehabt,
dass Senkung der Tarife und Verbreiterung der Bemes-
sungsgrundlage die Grundkonzeption für Steuerpolitik in
Deutschland sein sollten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In diesem Zusammenhang möchte ich die Kolleginnen
und Kollegen der CDU/CSU an einen Text erinnern, den
sie vor ziemlich genau einem Jahr vorgelegt haben. Die
Überschrift lautete „Die bessere Alternative“. Es handelte
sich um die Steuerreformvorstellungen der Union, wobei
Sie vorsichtshalber darauf hingewiesen haben, dass dies
die gemeinsamen Vorstellungen von CDU und CSU seien
und nicht nur die der CDU bzw. die der CSU. Da haben
Sie geschrieben, dass zur Verbreiterung der Bemessungs-
grundlage eine Verlängerung der Abschreibungsfristen
hinzukommen müsse. Deswegen seien die AfA-Tabellen
zu überarbeiten. Ich möchte Ihnen dazu einen Passus vor-
lesen:

Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist es ...
notwendig, dass auch bei einer Heranziehung der
Abschreibungstabellen die zugrunde gelegte Nut-
zungsdauer sich am tatsächlichen technischen Ver-
schleiß des betreffenden Wirtschaftsgutes orientiert.
Überprüfungen haben ergeben, dass die bisherigen
Abschreibungstabellen diese Vorgabe nur unzurei-
chend erfüllen.

Das sagte die CDU/CSU.

(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Das ist die Wahrheit! Genau!)

Sie wollten auf diese Weise Mehreinnahmen in Höhe von
3,5 Milliarden DM erzielen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Hört! Hört!)

Wir haben diese Rechtsgläubigkeit übrigens nie geteilt.

Wir waren immer der Meinung, dass es bei Abschrei-
bungsfristen auch auf betriebswirtschaftliche Vernunft
ankommen muss und nicht ausschließlich auf eine ortho-
doxe Rechtsauslegung. Ich weiß nicht, ob Sie dazu in-
zwischen eine andere Meinung haben; fast liest es sich so.

Das Fazit ist jedenfalls folgendes: Noch unter der Ver-
antwortung des damaligen Bundesfinanzministers Waigel


(Detlev von Larcher [SPD]: Hieß der Waigel?)

– ja, der hieß Waigel – ist eine Kommission eingesetzt
worden, in der sich Steuerexperten der Bundesverwaltung
und der Länderverwaltungen über Abschreibungsfristen
austauschten. Herausgekommen ist der Entwurf einer Ta-
belle, der bei den Verbänden und auch beim Finanzaus-
schuss zunächst einmal ein erhebliches Stirnrunzeln aus-
gelöst hat. Denn zumindest uns erschienen die im Entwurf
vorgesehenen Fristen übertrieben.

Deswegen haben wir damals im Ausschuss und im Ple-
num wiederholt Folgendes bekräftigt: Bei den zusätzli-
chen Steuereinnahmen aus veränderten Abschreibungsbe-
dingungen liegt für uns die wirtschaftlich vernünftige
Obergrenze, die man der deutlichen Steuerentlastung in
einer Größenordnung von 30 Milliarden DM gegenüber-
stellen muss, bei 3,5 Milliarden DM. Daran halten wir
fest; das haben wir im Ausschuss in aller Deutlichkeit dar-
gelegt.

Trotz anfänglicher Schwierigkeiten, die darin bestan-
den, dass die Experten der Verwaltungen ein Stück weit
der Orientierung entbehrten


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Oh! Meinen Sie den Finanzminister?)


– ich meine damit die bei Bund und Ländern bestehenden
17 Ministerien und Verwaltungen –, werden wir an der
Größenordnung von 3,5 Milliarden DM festhalten; die
Leitung des Hauses hat das gestern sehr deutlich gemacht.
Auch bei den Tabellen, die jetzt noch zu erarbeiten sind,
bei den so genannten branchenspezifischen Tabellen, wird
darauf geachtet werden, dass diese Summe insgesamt
nicht überschritten wird. Wir werden ebenso darauf ach-
ten, dass eine faire Gleichbehandlung der unterschiedli-
chen Wirtschaftszweige gewährleistet wird. Wir sind da
sehr zuversichtlich.




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

14335


(C)



(D)



(A)



(B)


Zum Abschluss möchte ich noch feststellen: Unser Ziel
ist, dass die Modernisierung der deutschen Wirtschaft
durch diese Abschreibungsbedingungen nicht erschwert,
sondern erleichtert wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden allerdings an einem festhalten. Das ist
nicht sehr neu, das ist eher alt. Aber es gibt auch Bewähr-
tes, auf das man zurückgreifen darf. Ich meine die Mit-
wirkung, das Engagement der Leitung des Hauses, aber
auch das Engagement der Koalitionsfraktionen im Finanz-
ausschuss.

Schon die Alten haben gesagt: Am besten wird der
Fruchtbarkeit des Ackers gedient durch das Auge des
Herrn.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414614300
Jetzt erteile ich das
Wort dem Kollegen Hans Michelbach für die CDU/CSU-
Fraktion.


Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1414614400
Meine sehr geehrte
Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Bundesfi-
nanzminister Eichel ist auch in der Steuerpolitik ganz be-
sonders moralisch. Er hat eine doppelte Moral. Tricksen,
tarnen und täuschen war bisher die Linie, die Herr Eichel
bei der Verschärfung der Abschreibungstabellen verfolgt
hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


Durch die vorzeitige Inkraftsetzung der AfA-Tabellen
auf dem Verwaltungsweg sollten vollendete Tatsachen ge-
schaffen werden. Die Entlastung durch die Steuerreform
sollte heimlich kompensiert und die erkaufte Zustimmung
der Bundesländer zusätzlich ausgezahlt werden.

Zu all dem muss die Wirtschaft mit heimlichen Steuer-
erhöhungen beitragen. Sie wird von Ihnen gleichzeitig um-
worben und abgezockt. Die rot-grüne Koalition hat sich
dabei zum willfährigen Handlanger machen lassen. Nur
kurzzeitig haben Sie sich im Finanzausschuss mit einer of-
fiziellen Rüge über das willkürliche Vorgehen und die Mis-
sachtung des Parlaments empört. Mit neuen Verschleie-
rungsversuchen sind Sie aber schnell wieder eingeknickt.
Nur Marginalien wurden bisher von Ihnen im Finanzaus-
schuss geändert. In Ihrer Beweisnot sollten die Branchen-
tabellen jetzt geradezu als Beruhigungspille herhalten.

Damit, meine Damen und Herren, haben Sie sich völ-
lig auf den Holzweg begeben,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

denn die Branchentabellen haben natürlich Auswirkun-
gen auf die in Kraft gesetzte allgemeine Tabelle. Eine un-
gleiche Lastenverteilung – hier Branchentabelle und dort
allgemeine Tabelle – ist für die Wirtschaft auch gar nicht
akzeptabel.


(Klaus Lennartz [SPD]: Das hat doch keiner gesagt, Herr Kollege!)


Bei der gestrigen Finanzausschusssitzung wurde ja be-
hauptet, dass sich das Bundesfinanzministerium den Wirt-
schaftsverbänden geradezu angenähert habe; Konsens
gebe es, wurde gesagt.


(Zurufe von der CDU/CSU: Lüge!)

Dem haben heute die Wirtschaftsverbände vehement

widersprochen. Die Differenz zwischen den jeweiligen
Annahmen beträgt 50 Milliarden DM. Das ist die
„Annäherung“, wie sie das Bundesfinanzministerium
deutlich macht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, Sie haben jeden Kredit und

jedes Vertrauen in dieser Frage inzwischen zerstört. Das
ist die Situation.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Wahrhaftigkeit und das Bundesfinanzministerium

wohnen selten unter einem Dach. Das müssen wir deut-
lich feststellen.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Leider wahr!)

Tatsache ist: Die Wirtschaft steht vor dem Irrwitz: Wer in-
vestiert, wird bei uns bestraft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


Die Belastungsfähigkeit der Wirtschaft wird wieder
einmal getestet, die Innovations- und die Wettbewerbs-
fähigkeit der Wirtschaft werden aufs Spiel gesetzt und die
Gefährdung von Arbeitsplätzen wird in Kauf genommen.
Dem Mittelstand wird eine weitere Sonderlast aufgebür-
det und die Entlastungswirkungen der Steuerreform wer-
den geradezu konterkariert. Konjunktur, Wachstum und
Beschäftigung werden damit beschädigt. Der Planungs-
und Rechtssicherheit bei Investitionen in unserem Land
wird hoher Schaden zugefügt.

Dabei gibt es für all diese Beschwerungen des Wirt-
schaftsstandortes überhaupt keine rechtliche Notwendig-
keit. Der Bundesfinanzhof hat zu keiner Zeit dazu aufge-
fordert, die Nutzungsdauer in den AfA-Tabellen massiv
zu erhöhen. Die BFH-Präsidentin sagt: Dazu gibt es kei-
nen Anhalt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es geht also nur darum, Kasse zu machen. Die AfA-Ta-
bellen werden zur reinen Geldbeschaffungsmaßnahme
von Herrn Eichel zulasten der deutschen Wirtschaft. Die
Ökosteuer lässt grüßen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Nachrechnung und Überprüfung der BMF-Zahlen zei-

gen, dass eine zehnprozentige Erhöhung der Nutzungs-
dauern eine Mehrbelastung von 3,5 Milliarden DM dar-
stellt und die tatsächliche Erhöhung um 28 Prozent
natürlich nach Adam Riese eine dementsprechend höhere
Belastung ergibt. Auch Sie können Adam Riese nicht wi-
derlegen. Ein Vertreter des BMF sagte hierzu im Finanz-
ausschuss: Ja, das ist eine politische Deckelung. –
Deutlicher und entwaffnender konnte das wahrheitswid-
rige Vorgehen sicher nicht entblößt werden.




Jörg-Otto Spiller
14336


(C)



(D)



(A)



(B)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, sind Sie sich
überhaupt über die Folgen Ihres Handelns im Klaren?


(Zurufe von der SPD: Nein! – Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Das haben wir erwartet!)


Es gibt ernst zu nehmende Belastungswirkungen mit fol-
genden Konsequenzen für die Unternehmen: schwieri-
gere Eigenkapitalbildung, erschwerte Bedingungen bei
der Innenfinanzierung und natürlich ein erheblicher
Druck auf die Liquidität der Unternehmen. Die massiv
verschlechterten Abschreibungsbedingungen sind für die
ganze Wirtschaft schädlich und werden natürlich nicht
ohne negative Auswirkungen auf Wachstum und Be-
schäftigung bleiben.

Insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen
werden darunter jedoch besonders zu leiden haben. Die
mittelständischen Unternehmen haben es allein schon
durch diverse Benachteiligungen bei der Unternehmen-
steuerreform, die Sie zu verantworten haben, sehr schwer,
sich im Wettbewerb zu behaupten.

Wir haben durch die Steuerreform heute schon zwi-
schen den Kapitalgesellschaften und den Personen-
gesellschaften eine hohe Wettbewerbsverzerrung. Zu
nennen sind hier vor allem ein wesentlich höherer Steuer-
satz als bei den Kapitalgesellschaften und volle Besteue-
rung der Anteilsveräußerungsgewinne bei sofortiger und
gleicher Gegenfinanzierung wie bei den Kapitalgesell-
schaften. Sie sehen also unterschiedliche Steuersätze vor
und ziehen diese Firmen zur gleichen Gegenfinanzierung
über heimliche Steuererhöhungen verstärkt heran. Da
geht denen irgendwann die Luft aus und das haben Sie zu
verantworten, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Damit schaden Sie dem Mittelstand in höchstem Maße.

Das ist eine mittelstandsfeindliche Politik und das wird
natürlich Arbeitsplätze in unserem Land gefährden.

Ich komme nun zur Belastung der Liquidität. Die Li-
quidität der mittelständischen Unternehmen ist, wie wir
wissen, häufig sehr angespannt. Die verschlechterten Ab-
schreibungsbedingungen führen dabei zu einem immer
größeren Druck auf die laufende Zahlungsfähigkeit. Der
Zusammenhang zwischen den verschlechterten Abschrei-
bungsbedingungen und der Liquidität gestaltet sich fol-
gendermaßen – Sie müssen sich das vor Augen führen –:
Investitionen führen zunächst einmal zu Ausgaben, denen
in der ersten Zeit in der Regel keine Einnahmen gegen-
überstehen. Investitionen rentieren sich in der Regel erst
langfristig und sind mit hohen Risiken behaftet. Die Un-
ternehmen sind in dieser Anfangszeit der Investitionen
darauf angewiesen, dass sie hohe Abschreibungsaufwen-
dungen geltend machen können. Diese mindern den Ge-
winn und damit die Steuerlast, was wiederum eine posi-
tive Auswirkung auf die Liquidität hat.

Für Unternehmen aber, deren Liquidität angespannt
ist, ist es im Gegensatz zu den Äußerungen des BMF
nicht egal, zu welchem Zeitpunkt sie den Abschrei-
bungsaufwand geltend machen können. Diese Unterneh-
men benötigen die steuerliche Entlastung sofort, nach-
dem sie die Investition getätigt haben. Dies gilt umso

mehr, als die Personengesellschaften ihren Gewinn eben
sowieso schon mit einem viel höheren Steuersatz als die
Kapitalgesellschaften versteuern müssen. Den mittel-
ständischen Unternehmen nützt es nichts, dass sich bei
einer theoretischen Betrachtung über die Totalperiode le-
diglich ein negativer Zinseffekt ergibt, wie Sie das so ba-
gatellisieren.

Ein Beispiel für diesen angeblich geringen Zinsef-
fekt: Eine Personengesellschaft investiert jedes Jahr
5 Millionen DM. Die Nutzungsdauer für die Abschrei-
bung der Wirtschaftsgüter wird nun von 10 Jahren um
2 Jahre auf 12 Jahre erhöht. Sie haben ja teilweise 50-
und 60-prozentige Erhöhungen. Selbst unter Berück-
sichtigung der niedrigeren Einkommensteuersätze durch
die Unternehmensteuerreform führt die verschlechterte
Abschreibung zu einem langsam ansteigenden Liqui-
ditätsabfluss von immerhin 4,3 Millionen DM. Das ist
für die meisten Unternehmen keine Bagatelle, es ist ein
zinsloser Kredit an den Staat zulasten von Zukunfts-
fähigkeit, Investitionen und Arbeitsplätzen in der deut-
schen Wirtschaft. Sie erschweren diese Rahmenbedin-
gungen noch! Das ist für uns unverständlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es besteht somit die Gefahr, dass Unternehmen mit an-

gespannter Liquidität und wenig Eigenkapital kaum noch
Investitionen vornehmen. Das führt zu einer sinkenden
Rentabilität und verminderter Wettbewerbsfähigkeit und
langfristig zu weniger Beschäftigung. Das ist ein Teufels-
kreis, wie wir wissen.

Die Gefahr zusätzlicher Insolvenzen ist damit sehr
hoch. Es hat den Anschein, als würde sich die rot-grüne
Bundesregierung nur für die Insolvenzen von großen
Konzernen interessieren,


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!)


nach der Devise: Zu Holzmann kommt der Bundeskanz-
ler, zum Mittelstand kommt der Gerichtsvollzieher.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Bedenken Sie, meine Damen und Herren, zu welchen

Konsequenzen eine solche mittelstandsfeindliche Politik
in unserem Land führt. Bedenken Sie die Konsequenzen,
wenn die Nutzungsdauern in den Tabellen willkürlich
festgelegt werden, insbesondere angesichts der ohnehin
feststellbaren Überlastung der Gerichte aufgrund einer
zunehmenden Zahl von Einzelfallprüfungen.

Zur Stärkung von Wachstum und Beschäftigung for-
dert die CDU/CSU-Fraktion: Die neuen AfA-Tabellen
müssen umgehend zurückgezogen werden. Es müssen
neue Beratungen anberaumt werden, bei denen die Argu-
mente der Wirtschaft stärkere Berücksichtigung finden.
Sämtliche Berechnungen vom BMF müssen stärker trans-
parent gemacht werden. Wir fordern eine klare und ein-
deutige gesetzliche Regelung in § 7 des Einkommensteu-
ergesetzes, wie dies unser Antrag vorsieht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Nutzungsdauern der Wirtschaftsgüter müssen so-

wohl nach technischen als auch nach betriebswirtschaft-
lichen Gesichtspunkten bemessen werden. Investitionen




Hans Michelbach

14337


(C)



(D)



(A)



(B)


dürfen durch steuerliche Vorgaben nicht behindert oder
erschwert werden. Sie müssen eher gefördert werden. Ab-
schreibungsdauern haben im Ausland die gleiche Signal-
wirkung wie die Steuersätze. Wir brauchen in Deutsch-
land Abschreibungsbedingungen, die uns international
konkurrenzfähig machen. Der Wirtschaftsstandort muss
jetzt gestärkt werden, anstatt die Abschreibungsbedin-
gungen willkürlich zu verschlechtern.

Meine Damen und Herren von der Koalition, kehren Sie
von Ihrem Irrweg um. Entscheiden Sie sich für mehr Wachs-
tum und Beschäftigung und damit für den Antrag der
CDU/CSU-Fraktion „Den Wirtschaftsstandort stärken statt
Abschreibungsbedingungen verschlechtern“. Das ist für die
Zukunft das Maß aller Dinge. Damit werden neue Arbeits-
plätze geschaffen und das ist für unser Land wichtig.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414614500
Nun erteile ich der
Kollegin Christine Scheel für Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414614600

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Herr
Michelbach, Sie sind wirklich ein Künstler gnadenloser
Übertreibung. Das möchte ich vorab feststellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS – Detlev von Larcher [SPD]: Aber Frau Scheel! Er ist doch kein Künstler!)


Sie tun immer so, als würden wir mit unserer Politik die
Wirtschaft geradezu in den Ruin treiben.

Wir haben zurzeit hervorragende Wirtschaftsdaten, die
durch die Gutachten der Wirtschaftsweisen belegt sind.
Wir haben eine Steuerreform auf den Weg gebracht, die
auch im Ausland als zukunftsweisend angesehen worden
ist und die einen Anreiz für ausländische Investoren bietet.

Herr Michelbach, es war immer klar, dass wir im Zuge
einer Steuerreform die Tarife senken und die Bemes-
sungsgrundlage verbreitern. Dass im Zusammenhang mit
der Veränderung bei den Abschreibungstabellen ein Volu-
men von 3,5 Milliarden DM veranschlagt war, hat jeder
gewusst. Darüber haben wir uns auch immer verständigt,
als es um die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage
ging.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Nein, wir haben uns im Bundestag nicht verständigt!)


– Herr Thiele, auch die CDU/CSU-Fraktion hat – mit Ih-
rer Unterstützung – beim Petersberger Programm der Öf-
fentlichkeit nicht vorenthalten, dass eine solche Maß-
nahme Kosten verursacht,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


sondern immer gesagt – was ja auch richtig ist –: 3,5 Mil-
liarden DM brauchen wir dafür.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Das war eine andere Steuerreform!)


– Sie wollten eine andere Steuerreform. Sie wollten einen
noch niedrigeren Tarif.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Richtig!)

Aber für die Änderung der Abschreibungsfristen hätte das
in der Konsequenz bedeutet, dass Sie diese noch stärker
hätten verlängern müssen, weil sonst der niedrige Tarif
mit 3,5 Milliarden DM nicht zusammengepasst hätte. Das
ist die logische Konsequenz der Systematik. Da hätten wir
noch über ganz andere Daten geredet.

Herr Spiller hat gut dargestellt, dass ursprünglich
CDU/CSU und F.D.P. in ihrer Regierungsverantwortung
einen Auftrag gegeben hatten, die Abschreibungstabellen
im Hinblick auf die technische Nutzungsdauer zu über-
arbeiten.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414614700
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen?


(Zurufe von der SPD: Nein!)



Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414614800

Von wem?


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414614900
Kollege Fromme.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414615000

Von Herrn Fromme? – Ja, bitte.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414615100
Bitte sehr.


Jochen-Konrad Fromme (CDU):
Rede ID: ID1414615200
Frau Kolle-
gin Scheel, können Sie uns einmal erklären, warum Sie
nach der eindrucksvollen Anhörung, in der alle Experten
Ihr Vorhaben einmütig abgelehnt haben,


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Stimmt nicht! – Gegenruf von der CDU/CSU: Stimmt schon!)


erklärt haben, es bestehe Änderungsbedarf, und warum
Sie jetzt den Tabellen zustimmen wollen?


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414615300

Herr Fromme, wir hatten eine Vereinbarung getroffen.
Diese Vereinbarung ist getroffen worden zwischen Politik
und Wirtschaft


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Parlament?)

und auch denjenigen, die in der Projektgruppe an der
Ausgestaltung der Unternehmensteuerreform mitgear-
beitet haben. Das waren Leute aus der Wirtschaft und aus
der Finanzverwaltung, also auch aus den Ländern,


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Wer macht denn die Gesetze?)


aber auch aus den Verbänden. Sie erinnern sich bestimmt.
Die Leitung hatte der Steuerexperte des Deutschen Indus-
trie- und Handelstages.

Schon da war klar, dass die Abschreibungsvorausset-
zungen geändert werden sollen und dass die 3,5 Milli-




Hans Michelbach
14338


(C)



(D)



(A)



(B)


arden DM eingehalten werden müssen. Der Bundesfinanz-
minister hat dies zugesagt, der Bundeskanzler hat dies zu-
gesagt und auch vonseiten der Koalitionsfraktionen
wurde immer wieder darauf geachtet, dass dies so umge-
setzt wird. Wir stehen hier im Wort; jetzt geht es um den
Umsetzungsprozess.

Herr Fromme, ich habe gestern im Ausschuss klipp und
klar, mit sehr deutlichen Worten gesagt, dass ich die Art
und Weise, wie dieser Prozess vonseiten der Finanzver-
waltung vonstatten gegangen ist, kritisiere


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wer ist denn zuständig?)


und dass ich aufgrund der Zusagen, die gegenüber dem
Parlament gemacht worden sind, den Zeitpunkt, zu dem
die allgemeine Tabelle in das Bundessteuerblatt gesetzt
wurde, nicht richtig finde.

Dennoch sind wir der Auffassung, dass wir eine ver-
nünftige Regelung brauchen, die sowohl die Belange der
Wirtschaft berücksichtigt als auch die 3,5 Milliarden DM
im Auge hat. Genau dieser Prozess läuft im Moment. Es
gibt noch Absprachen mit der Wirtschaft. Es wird Ände-
rungen bei den Branchentabellen geben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Die sind doch schon in Kraft!)


So werden Wirtschaftsgüter, die jetzt in der allgemeinen
Tabelle sind, in der neuen Branchentabelle erscheinen.
Es liegt eine Eingabe des VDMA, des Verbandes Deut-
scher Maschinen- und Anlagenbau, vor. Ich kann auch sa-
gen, dass heute ein Brief von Herrn Philipp gekommen ist,
der auch an das BMF gegangen ist. Ich hoffe, dass man
hier gemeinsam mit dem Handwerk zu einer vernünftigen
Lösung kommt.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Nach der Anhörung hatten Sie sich inhaltlich geäußert!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414615400
Punkt! Damit ist,
glaube ich, die Frage beantwortet.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414615500

Ich finde das sehr schön. Das verlängert meine Redezeit.
Das ist Klasse.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414615600
Ja, das ist richtig.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414615700

Herr Fromme, vielen Dank!

Ich habe darauf hingewiesen, dass wir hier vor Ent-
scheidungen stehen, die noch nicht abgeschlossen sind.
Es wird im BMF weitere Gespräche mit der Wirtschaft ge-
ben. Wir als Abgeordnete werden mit Argusaugen darüber
wachen, dass es zu vernünftigen Ergebnissen kommt.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Und hinterher wieder einknicken!)


Das ist unser Auftrag und das haben wir zugesagt. Mehr
können wir nicht beitragen. Alles andere liegt – das wis-

sen Sie – in der Hand der Verwaltung. Es ist leider so, dass
die Ausgestaltung der Tabellen im Detail ein Verwal-
tungsakt ist, über den letztendlich nicht wir Parlamenta-
rier entscheiden.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414615800
Frau Kollegin, es gibt
noch eine Bitte um eine Zwischenfrage.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414615900

Gerne.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414616000
Bitte sehr, Herr Kol-
lege.


Leo Dautzenberg (CDU):
Rede ID: ID1414616100
Frau Kollegin
Scheel, halten nicht auch Sie es aus Ihrer Verantwortung
als Vorsitzende des Finanzausschusses heraus für erfor-
derlich, dass die zum 1. Januar 2001 in Kraft gesetzten
AV-AfA-Tabellen zunächst ausgesetzt werden, wenn das,
was Sie erklärt haben, richtig ist?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414616200

Herr Dautzenberg, ich bin Ihnen für diese Frage ganz
dankbar. Man muss sich einmal die Entwicklung an-
schauen. Bei der Finanzministerkonferenz hatten wir, als
es um die Grundentscheidung ging, das auf den Weg zu
bringen, was die 3,5 Milliarden DM betrifft – das BMF
hat 1,9 Milliarden DM für die allgemeine Tabelle veran-
schlagt –, ein Abstimmungsergebnis von 16:0. Das heißt,
alle Bundesländer – auch Baden-Württemberg, auch Bayern,
auch Hessen – hatten damals zugestimmt. Dann hat diese
Bund-Länder-Gruppe ein Ergebnis vorgelegt. Dieses Er-
gebnis war verheerend, hat aber das beinhaltet, was Sie
damals beschlossen hatten, und zwar die Anpassung an
die rein technische Nutzungsdauer. Herausgekommen
ist eine durchschnittliche Verlängerung der Abschrei-
bungsfristen um 60 Prozent. Das ist Wahnsinn! Es wäre
für die Wirtschaft äußerst kontraproduktiv gewesen, wenn
man das umgesetzt hätte, was Sie damals in Ihrer Regie-
rungsverantwortung auf den Weg gebracht haben. Das
muss man einmal klar sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Jetzt ist eine Tabelle vorgelegt worden, die im Bundes-
rat mit 8:8 abgestimmt worden ist. Im Bundesrat gibt es
bekanntermaßen andere Mehrheitsverhältnisse als im
Bundestag. Wenn Ihre eigenen Ländervertreter im Bun-
desrat unserem Vorschlag für eine Tabelle zugestimmt ha-
ben, muss man auch einmal fragen dürfen, warum
CDU/CSU und F.D.P. hier im Bundestag große Forderun-
gen erheben und solch wunderbar voluminöse Reden hal-
ten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414616300
Gestatten Sie eine
weitere Zwischenfrage des Kollegen Dautzenberg?




Christine Scheel

14339


(C)



(D)



(A)



(B)



Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414616400
Ja.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414616500
Bitte sehr.


Leo Dautzenberg (CDU):
Rede ID: ID1414616600
Ich stelle nochmals
die einfache Zwischenfrage, Frau Kollegin: Halten Sie es
aus Gründen der Rechtssicherheit und der Gleichbehand-
lung für erforderlich, dass die Tabelle zunächst ausgesetzt
wird? Das ist eine einfache Frage – ja oder nein?


(Lachen bei der SPD)



Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414616700

Nein; denn, Herr Dautzenberg, die neue allgemeine Ab-
schreibungstabelle steht im Bundessteuerblatt und es gibt
zurzeit – ich habe vorhin darauf hingewiesen – Gespräche
über die Branchentabelle, also darüber, wie die Tabellen
für die verschiedenen wirtschaftspolitischen Zweige und
die verschiedenen Branchen in Deutschland insgesamt
austariert werden können. Nachdem das BMF uns gestern
zugesagt hat, dass diese Austarierung stattfinden wird, ge-
hen wir davon aus, dass man eine faire Behandlung aller
Wirtschaftszweige und Branchen in diesem Land vorneh-
men wird. Wir haben das BMF gestern gemeinsam aufge-
fordert – ich habe das in meiner Funktion als Ausschuss-
vorsitzende vorgetragen –, uns die Branchentabellen
rechtzeitig, bevor sie in das Gesetzblatt kommen, vorzu-
legen und uns auch permanent über die Gespräche in die-
sem Prozess zu informieren – nicht bis ins letzte Detail,
aber darüber, wie diese Gespräche insgesamt laufen.

Ich setze darauf, dass man vonseiten der Verwaltung
einen vernünftigen Umgang mit der Wirtschaft pflegt und
dass das, was vor Weihnachten passiert ist, hoffentlich in
Vergessenheit gerät; denn das Verhalten, das dort an den
Tag gelegt worden ist, war teilweise nicht sehr sinnvoll.

Nun zu Ihrem Vorschlag zur Änderung des Einkom-
mensteuergesetzes, den Sie eingebracht haben: Unsere
Fraktion ist der Meinung, dass wir das Gesetz ändern
müssen. Wir brauchen in § 7 Einkommensteuer Klarheit
darüber, wie die Bewertung bei Abschreibungen in Zu-
kunft vorgenommen wird. Wir meinen, dass dies nach be-
triebswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu geschehen hat.
Im Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Ab-
schreibungsbedingungen, den Sie vorgelegt haben, heißt
es aber: Die „Nutzungsdauer bestimmt sich nach den tech-
nischen und betriebswirtschaftlichen Gegebenheiten“.
Das macht keinen Sinn; denn dann haben Sie wieder ge-
nau das Problem, dass Sie nicht wissen, mit welcher Ge-
wichtung bewertet werden soll. Wir brauchen eine ganz
klare Regelung nach rein betriebswirtschaftlichen Ge-
sichtspunkten. Es ist klar, dass auch die technische Nut-
zungsdauer darin einfließt. Diese Formulierung kann aber
so nicht ins Gesetz; sie hilft uns keinen Schritt weiter.

Wir werden von unserer Seite aus einen Auftrag an das
BMF geben, ein Gutachten zu erstellen, wie dies denn zu
werten ist, damit wir eine vernünftige Grundlage für die
Ausgestaltung der anstehenden – und auch notwendigen –
Gesetzesänderung haben. Ich kann also ankündigen, dass
wir diesen Schritt, der dem Rechtsfrieden zwischen Un-
ternehmen und Finanzverwaltung dienen wird, gehen
werden.

Lassen Sie mich noch etwas zu Ihrer Forderung sagen,
die Abschreibungsgrenze für geringwertige Wirt-
schaftsgüter auf 800 Euro zu erhöhen und somit nahezu
zu verdoppeln. Ich finde, das ist grundsätzlich keine
schlechte Idee.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Aha!)

Aber man muss das prüfen. Daran hängt beispielsweise
auch die Vergabe der Investitionszulage. Wir werden uns
damit im Finanzausschuss eingehend beschäftigen.

Zudem bin ich etwas überrascht, Herr Thiele: Das Ge-
setz gilt seit 1964. Sie waren meines Wissens 29 Jahre mit
an der Regierung.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Ich nicht!)

Warum erheben Sie immer, wenn Sie in der Opposition
sind, Forderungen, die einen Haufen Geld kosten? Da-
mals haben Sie das wahrscheinlich nicht eingebracht, weil
Sie befürchtet haben, dass die Kommunen, die Länder
und der Bund die vermuteten Steuerausfälle von 3 bis
5 Milliarden DM nicht verkraften können. Darüber wer-
den wir reden. Sie bringen immer wieder Forderungen
ein; wie die Umsetzung finanziert werden soll, sagen Sie
nie dazu. Das ist das Manko der F.D.P.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414616800
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich weiß, dass etwas Unruhe ist, weil gleich
eine namentliche Abstimmung stattfindet. Ich weiß auch,
dass es hoffnungslos sein wird, Sie zu ermuntern, lieber
zuzuhören als sich zu unterhalten. Ich habe aber die Bitte,
dass Sie sich zumindest hinsetzen, wenn Sie sich im Ple-
num aufhalten. Größere Gruppengespräche führen Sie
bitte außerhalb des Plenums.

In diesem Sinne hat jetzt der Kollege Carl-Ludwig
Thiele für die F.D.P.-Fraktion das Wort.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1414616900
Sehr geehrte Frau Prä-
sidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kolle-
gen! Frau Kollegin Scheel, zu Ihren Ausführungen
möchte ich Folgendes sagen: Seit 1999 beschäftigt uns
das Thema, jetzt erkennen Sie, dass es Handlungsbedarf
gibt. Dabei handeln Sie nach dem Motto: Und wenn du
nicht mehr weiterweißt, dann gründe einen Arbeitskreis.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Das kennen wir alles, aber das löst leider die Probleme,
vor denen wir stehen, überhaupt nicht.

Sie, Frau Kollegin Scheel, sagen immer, was Sie än-
dern wollen. Wenn es aber im Finanzausschuss um kon-
krete Änderungen geht, die umgesetzt werden können,
dann kneifen Sie und ändern nichts.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Unsinn!)


Insofern ist auch die Aussage des Vertreters des BMF in
der gestrigen Sitzung des Finanzausschusses erstaunlich,






(C)



(D)



(A)



(B)


dass es nicht zutreffe, dass es über das Zahlentableau eine
Abstimmung zwischen dem BMF und der Wirtschaft ge-
geben habe. Das war aber die Basis für Ihre Aufforderung,
jetzt erst noch einmal zu diskutieren und den Antrag der
F.D.P. abzulehnen. Wenn Sie tatsächlich etwas verändern
wollen, dann müssen Sie heute dem Antrag der F.D.P. zu-
stimmen, die neuen Abschreibungstabellen auszusetzen,
bis die anstehenden Fragen geklärt sind.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Außerdem haben Sie gesagt, das gehe überhaupt nicht,

weil auch der Bundesrat einbezogen werden muss. Ich
frage mich da, wie Sie dann im Nachhinein die Regelun-
gen für Schichtzuschläge verändern können, obwohl
diese genauso im Bundessteuerblatt veröffentlicht wur-
den wie die Änderung der AfA-Tabellen.


(Beifall des Abg. Hans Michelbach [CDU/CSU])


Wenn Sie das eine ändern können, dann können Sie auch
das andere ändern.

In unserem Antrag sagen wir nicht: Das Parlament be-
stimmt die Regierungspolitik. In unserem Antrag sagen
wir: Das Parlament fordert die Regierung auf, ent-
sprechend zu handeln. Ob die Regierung dann handelt
oder nicht, liegt immer im Ermessen der Regierung. Ich
gehe aber davon aus, dass sich die Regierung, wenn die
Mehrheit des Parlaments sie auffordert, entsprechend
tätig zu werden, dem dann nicht entziehen kann. Es gibt
damit die Möglichkeit, den Unfug, der jetzt beginnt und
noch nicht zu Ende ist, endlich zu stoppen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Noch weiter?)


Im Finanzausschuss hat das Finanzministerium gestern
eingeräumt, dass die Zahlen nicht stimmen. Das Ministe-
rium hat eingeräumt, dass die Belastungen durch die Än-
derung der AV-Abschreibungstabellen höher sind, als von
der Regierung und von den Koalitionsfraktionen immer
vorgetragen. Wenn Sie sagen, das werde durch eine Än-
derung bei den Branchentabellen ausgeglichen, dann
müssen Sie wissen, dass davon Einzelhändler, Handwer-
ker und Mittelständler nicht profitieren, aber durch ihre
Änderungen der AV-Abschreibungstabellen belastet wer-
den. Dass die einen belastet werden, die anderen aber
nicht entsprechend, verstößt gegen den Grundsatz der
Gleichmäßigkeit der Besteuerung. So lösen Sie das Pro-
blem überhaupt nicht.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414617000
Herr Kollege Thiele,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fromme?


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1414617100
Gerne, Herr Kollege.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414617200
Bitte sehr, Herr Kol-
lege Fromme.


Jochen-Konrad Fromme (CDU):
Rede ID: ID1414617300
Herr Kol-
lege Thiele, Sie sprachen eben von der Geschäftsgrund-
lage für die Veränderung. Können Sie uns noch einmal er-
klären, was die Parlamentarische Staatssekretärin hier im
November als Grund dafür genannt hat, dass man über-
haupt an die Tabellen heranmüsse?


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1414617400
Das ist eine sehr span-
nende Frage, Herr Kollege Fromme. Ich habe zufällig das
Protokoll mit; es handelt sich ja immerhin um die zweite
und dritte Lesung.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Ic
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1414617500


Der Antrag der F.D.P.-Fraktion zielt ja darauf, die
Überarbeitung der AfA-Tabellen einzustellen und es
bei den bisherigen AfA-Tabellen zu belassen... Ich
will aber eines klar sagen: Dieser Forderung kann die
Finanzverwaltung im Hinblick auf das auch Ihnen
bekannte Urteil des Bundesfinanzhofs vom 19. No-
vember 1997 zur Ermittlung der betriebsgewöhn-
lichen Nutzungsdauer eines Wirtschaftsgutes einfach
nicht nachkommen.

In der Sachverständigenanhörung, die wir am 15. Ja-
nuar dieses Jahres hatten, habe ich die Präsidentin des
Bundesfinanzhofes gefragt:

Ist das Urteil einschlägig oder verbirgt sich hinter der
Berufung auf das Urteil lediglich der Wunsch des
Fiskus, mehr Geld zu kassieren und die Steuerpflich-
tigen zu belasten? Ist das Urteil nicht lediglich ein
willkommener Rahmen, dies endlich umzusetzen?

Darauf die Antwort der Präsidentin:
Ich möchte dazu sagen, ich kann dem Urteil meines
Hauses nichts entnehmen, worauf sich das Bundes-
finanzministerium stützen könnte. Es handelt sich
um einen absoluten Einzelfall.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414617600
Nun hat der Kollege
Spiller den Wunsch nach einer Zwischenfrage.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1414617700
Gleich, Frau Präsiden-
tin. – Das zeigt, dass es dem Finanzministerium und dem
Bundesfinanzminister nicht um die Umsetzung von
Recht, sondern einzig und allein darum geht, die Steuer-
kassen durch Belastung der Betriebe und der Arbeits-
plätze zu füllen. Das lehnen wir ab.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414617800
Jetzt lasse ich als
letzte Frage in diesem Rahmen die Frage des Kollegen
Spiller zu. Danach wollen wir in der Debatte fortfahren.

Herr Kollege, bitte sehr.




Carl-Ludwig Thiele

14341


(C)



(D)



(A)



(B)



Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1414617900
Herr Kollege Thiele, hat Ih-
nen Herr Fromme auch erzählt, dass das Bundesfinanz-
ministerium damit dieselbe Rechtsauffassung wie die
CDU/CSU in dem vorhin von mir zitierten Papier vertre-
ten hat?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1414618000
Herr Kollege Spiller, es
ist im Finanzausschuss schon mehrfach diskutiert wor-
den, dass es auf der Arbeitsebene im Finanzministerium
Bestrebungen gab, die Tabellen zu ändern. Wenn aber
zum einen der politische Wille nicht vorhanden ist und
wenn zum anderen die Rechtslage so ist, dass das BFH-
Urteil überhaupt nicht einschlägig ist, dann ist kein Ge-
setzgeber gezwungen, diese Änderung vorzunehmen. Sie
können nicht auf die alte Koalition verweisen. Das liegt
einzig und allein in Ihrer Verantwortung. Wenn Sie mei-
nen, sich in Ihrer Verantwortung so verhalten zu müssen,
dann tun Sie das. Deshalb haben wir die namentliche Ab-
stimmung gefordert. Nach dieser Abstimmung kann jeder
Handwerker in Deutschland erkennen, welcher Abgeord-
nete die Investitionsbedingungen verschlechtern will und
wer dies ablehnt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Um das noch einmal in Erinnerung zu rufen: Es war
nicht die Steuerreform, sondern das Finanztableau, die
mittelfristige Finanzplanung 1999, aufgrund deren eine
Änderung der AfA-Tabellen gefordert wurde. Aus dieser
Zeit datiert auch unser Antrag. Die Frau Staatssekretärin
Hendricks hat im Finanzausschuss – aus meiner Sicht –
die Frechheit besessen, den Parlamentariern zu sagen:
Diese Änderung geht euch überhaupt nichts an. Das ist
einzig und allein Sache der Verwaltung. – Hier sind wir an-
derer Auffassung. Belastungen in dieser Größenordnung
gehören ins Parlament und müssen im Parlament disku-
tiert werden. Das Parlament muss die Verantwortung
dafür tragen, ob diese Belastungen geltendes Recht wer-
den sollen oder nicht.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Deshalb haben wir diesen Antrag eingebracht und uns

vom Finanzministerium darüber berichten lassen, wie der
Sachstand ist. Dass das Ganze von Ihnen als der Exeku-
tive unter der Decke gehalten wurde und auch die Wirt-
schaft nicht einbezogen worden ist, ist doch ein Treppen-
witz. Seit 1999 wird das Thema diskutiert. In der letzten
Woche fing das Finanzministerium an, sich mit der Wirt-
schaft zusammenzusetzen, um die Zahlen zu überprüfen.
Letzte Woche fand das erste konkrete Gespräch über Zah-
len dazu statt. Das ist unglaublich.

Die Anhörung, die das Finanzministerium im Dezem-
ber letzten Jahres durchführte, wurde von allen Sitzungs-
teilnehmern als reine Farce bezeichnet. Die Teilnehmer
wurden überhaupt nicht ernst genommen. Sie waren in der
Öffentlichkeit das Feigenblatt für den Willen der Verwal-
tung, die Steuerlast für Betriebe und Arbeitsplätze in
Deutschland klammheimlich zu erhöhen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben verlangt, dies im Ausschuss zu diskutieren.
Am 6. Dezember des letzten Jahres haben wir den Antrag
auf eine Anhörung am 15. Januar gestellt und gefordert,
diesen Vorgang schnellstmöglich ins Parlament zu brin-
gen. Das Finanzministerium hat uns zugesagt, vorher
nichts zu veröffentlichen. Trotz der Zusage des Finanz-
ministeriums gegenüber dem Ausschuss gab es die Ver-
öffentlichung. Eine solche Art der Gewaltenteilung, die
vielmehr eine Gewaltenvermischung zwischen der rot-
grünen Regierung und der rot-grünen Koalition ist, habe
ich hier bisher noch nicht erlebt. Das ist eine Missachtung
des Parlamentes,


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


die insbesondere der Finanzminister zu verantworten hat.
In der letzten Sitzungswoche haben wir im Finanzaus-
schuss festgestellt, dass dieser Vorgang eine überragende
Bedeutung habe und dass der Finanzminister hierzu per-
sönlich erscheinen und Rede und Antwort stehen müsse.


(Zuruf von der CDU/CSU: Er hat sich nicht getraut!)


Wir haben ihm zunächst die Möglichkeit gegeben, den
Termin in seinem Terminplan abzuklären. Nach zwei
Stunden bekamen wir die Antwort: „Stellen Sie den An-
trag! Wir werden ihn ablehnen.“ Wir haben den Antrag
gestellt. Herr Finanzminister Eichel hat sich weder im Fi-
nanzausschuss noch heute hier im Parlament der Diskus-
sion gestellt. Dabei hätte ich erwartet, dass nach der gan-
zen Diskussion über diesen Vorgang der Finanzminister
selbst das Wort ergreift. Er ist eben nicht Manns genug
und in der Lage, sich hier zu bekennen und sich vor sein
Ministerium zu stellen. So stelle ich mir einen Minister
nicht vor.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wenn wir die Glaubwürdigkeit der Politik wieder er-

langen wollen – auch seitens des Finanzministeriums;
denn die Behandlung der AfA-Tabellen durch die Finanz-
verwaltung ist ein einziger Skandal –, dann hat der Fi-
nanzminister hier zu erscheinen, dann hat er Rede und
Antwort zu stehen, dann haben die Abgeordneten von
Rot-Grün den Finanzminister nicht zu decken, sondern
haben dafür Sorge zu tragen, dass die Interessen des Par-
lamentes gegenüber der Exekutive geachtet werden.

Willy Brandt forderte seinerzeit: „Mehr Demokratie
wagen!“ Wenn wir heute feststellen, dass die rot-grünen
Abgeordneten im Parlament lediglich der verlängerte
Arm der Exekutive sind, dann müssen wir tatsächlich stär-
ker darauf dringen, dass die Gewaltenteilung wieder ein-
gehalten wird. Derzeit wird das von Rot-Grün nicht prak-
tiziert.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414618100
Ich erteile jetzt der
Kollegin Dr. Barbara Höll, PDS-Fraktion, das Wort.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1414618200
Frau Präsidentin! Meine lie-
ben Kolleginnen und Kollegen! Herr Michelbach, Herr






(C)



(D)



(A)



(B)


Thiele, Ihre Anträge und das, was Sie hier gesagt haben,
sind, schlicht gesagt, einfach heuchlerisch. Es ist nichts
heimlich gelaufen. Es war von Anfang an bekannt, dass
die Veränderung der AfA-Tabellen zur Gegenfinanzie-
rung, – sogar nur zur teilweisen Gegenfinanzierung – die-
nen soll. Um das einmal klar zu stellen: Diese 3,5 Milli-
arden DM beziffern nicht einmal die endgültige
Mehrbelastung für die Wirtschaft, sondern bedeuten nur
ein Vorziehen. Im Endeffekt muss sie nicht einmal mehr
zahlen. Sie tun so, als ob die deutsche Wirtschaft durch
diese 3,5 Milliarden DM zusammenbricht – und das, ob-
wohl eine Steuerreform verabschiedet wurde, die der
Wirtschaft bis zum Jahre 2005 eine jährliche Nettoentlas-
tung in Höhe von 14 Milliarden DM, also wesentlich
mehr als die in Rede stehenden 3,5Milliarden DM, bringt.

In Richtung der Regierungskoalition muss ich aller-
dings sagen: Die ganze unerquickliche Diskussion hätten
wir uns ersparen können, wenn Sie nicht so dilettantisch
Politik machen würden. Denn eine Steuerreform zu ver-
abschieden, mit der Sie Entlastungen für die Wirtschaft in
erheblicher Größenordnung festzurren, und gleichzeitig
nicht wenigstens über die teilweise Gegenfinanzierung
Klarheit zu schaffen, öffnet für die Einflussnahme der
Lobbyistenverbände natürlich Tür und Tor. Dass sich jetzt
die CDU/CSU und die F.D.P. zu ihren Fürsprechern ma-
chen, das darf nun niemanden überraschen.

Ich bin persönlich auch darüber enttäuscht, dass Sie bei
den Anhörungen im Finanzausschuss zu den AfA-Ta-
bellen kaum Präsenz gezeigt haben.


(Beifall des Abg. Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.])

Gestern sind Sie bei der Ausschusssitzung mit Ihrer Posi-
tion sehr ins Wanken gekommen und haben sich gefragt,
ob Sie an der Veränderung der Tabellen überhaupt fest-
halten wollen. Man muss natürlich zugeben, dass es Ihnen
das Finanzministerium auch schwer gemacht hat. Dort wur-
de schlampig gearbeitet – Stichwort Schichtzuschläge –
und der Wille des Parlaments und des Finanzausschusses
schlicht missachtet. Das geht nicht.

Es ist nun eine große Diskussion über den ersten Schritt,
die Veränderung bei den allgemeinen Tabellen, entstanden
und es wird im nächsten Jahr weitere Diskussionen geben,
wenn es um die Veränderung der Branchentabelle geht.

Ich muss sagen: Ich bin sehr froh darüber, dass die
Landesfinanzminister in diesem Punkt fest zusammen-
stehen. Sie bekommen einen Teil des Geldes, das infolge
der Veränderung der AfA-Tabellen eingenommen wird.
Das brauchen sie auch, weil mit der Einkommen- und Un-
ternehmensteuerreform, die Sie verabschiedet haben, die
sozialen Ungerechtigkeiten in dieser Gesellschaft nicht
beseitigt werden.


(Beifall bei der PDS)

Aus diesem Grunde werden wir die Anträge der

CDU/CSU und der F.D.P. ablehnen. Wir meinen, dass es
notwendig ist, in Richtung auf eine teilweise Gegenfinan-
zierung in Zukunft sauber zu arbeiten, nicht dem Poker-
spiel der Wirtschaftsverbände Tür und Tor zu öffnen und
das, was politisch notwendig ist, nämlich wenigstens eine

teilweise Gegenfinanzierung zu erreichen, politisch
durchzusetzen.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414618300
Jetzt erteile ich dem
Parlamentarischen Staatssekretär Karl Diller das Wort.

K
Karl Diller (SPD):
Rede ID: ID1414618400
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Da-
men und Herren! Der Antrag der F.D.P. wendet sich gegen
eine Verwaltungsvorschrift, die zwischen den obersten Fi-
nanzbehörden des Bundes und der Länder abgestimmt
worden ist.


(Jörg Tauss [SPD]: Der Länder?)

Das Verfahren ist mit der Entscheidung der Finanzmi-

nisterkonferenz vom 7. Dezember 2000, keine Einwände
zu erheben, abgeschlossen. Den Informationswünschen
des Parlamentes wurde im Finanzausschuss vielfältig
Rechnung getragen. Zuletzt war gestern mein Kollege
Professor Zitzelsberger dort und hat berichtet.

Die Überarbeitung der AfA-Tabellen geht – hören
Sie gut zu – auf einen einstimmigen Beschluss der obers-
ten Finanzbehörden des Bundes und der Länder vom
April 1998 zurück. Zu einer Zeit, in der Theo Waigel
Finanzminister war, ist dies einstimmig zwischen dem
Bund und allen Ländern beschlossen worden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der politische Vorwurf der F.D.P. hätte also vor Jahren
beispielsweise an die Adresse des damaligen Bundesfi-
nanzministers Theo Waigel und die sich damals im Amt
befindlichen Länderfinanzminister und Finanzsenatoren
gerichtet werden müssen. Ich frage mich, ob der damalige
Vorsitzende des Finanzausschusses, eben der Kollege
Thiele, bereits in der damaligen Koalition Bedenken
vorgetragen hat. Ich vermute: nein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414618500
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Thiele, Herr Staatssekretär?

K
Karl Diller (SPD):
Rede ID: ID1414618600
Nein.

Ich möchte bei dieser Gelegenheit, da Herr Thiele da-
rauf hingewiesen hat, dass Frau Hendricks heute nicht
hier ist, ihr von diesem Pult aus ganz herzliche Gene-
sungswünsche übermitteln. Sie ist seit mehreren Tagen
krank und auf dem Wege der Besserung. Herzliche Gene-
sungswünsche, liebe Kollegin!


(Beifall)

Ab April 1998 folgte ein Verwaltungsverfahren, dessen

Ziel die Finanzministerkonferenz der Länder zweimal
inhaltlich bestätigte. Im Juni 1999 wurde das Projekt in
einem BMF-Rundschreiben veröffentlicht, ohne dass dies




Dr. Barbara Höll

14343


(C)



(D)



(A)



(B)


irgendeine Reaktion bei den Verbänden oder beim Bun-
desfinanzhof ausgelöst hätte. Erst nachdem im August
1999 ein Arbeitsentwurf zu den allgemein verwendbaren
Wirtschaftsgütern den Verbänden zugeleitet wurde, löste
dies ein Medienecho aus.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414618700
Herr Staatssekretär,
ich muss Sie noch einmal fragen, ob Sie eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Thiele zulassen.

K
Karl Diller (SPD):
Rede ID: ID1414618800
Alle Kollegen warten auf die Abstimmung.
Deswegen wollen wir diese schnell herbeiführen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich gebe zu, dass der Arbeitsentwurf auf eine drasti-

sche Erhöhung der Nutzungsdauern schließen ließ; er war
fiskalisch und damit hinsichtlich der Belastung der Wirt-
schaft nicht bewertet, sondern lediglich mit der Bitte ver-
sehen, sich schriftlich zu äußern. Diese handwerklichen
Fehler haben auch auf der Leitungsebene des Bundesmi-
nisteriums der Finanzen keine Freude ausgelöst. Die
Bundesregierung hat schnell reagiert, indem sie das Fi-
nanztableau zum Steuersenkungsgesetz so formulierte,
dass die dort vorgesehene grobe Schätzung von 3,5 Milli-
arden DM Mehraufkommen als politische Obergrenze
anerkannt wurde.

Aus dem einst gemeinsam beschlossenen Projekt stie-
gen übrigens nach und nach mehrere Landesregierungen
aus. Aus der 16:0-Entscheidung wurde schließlich ein
Stimmenverhältnis, das ein In-Kraft-Treten der überar-
beiteten AfA-Tabellen gerade noch ermöglichte.

Dem Kollegen Michelbach sei gesagt, dass Bayern in
seinem steuerpolitischen Programm dieselben Milliar-
denbeträge als Mehrertrag aus den AfA-Tabellen einge-
setzt hat,


(Widerspruch des Abg. Hans Michelbach [CDU/CSU])


was dem CSU-Mitglied Michelbach heute offenbar sehr
peinlich ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zu der Frage, ob die Tabellen die politisch verabredete
Obergrenze überschreiten, ist mittlerweile ein intensives
Abstimmungsgespräch zwischen dem Bundesfinanz-
ministerium und den größten Wirtschaftsverbänden im
Gange. Das Gespräch verläuft in sachlicher Atmosphäre.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414618900
Herr Staatssekretär,
es gibt wiederum den Wunsch nach einer Zwischenfrage,
dieses Mal des Kollegen Michelbach.

K
Karl Diller (SPD):
Rede ID: ID1414619000
Ich bleibe bei dem, was ich eben schon
sagte.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Erst falsche Behauptungen aufstellen und dann keine Zwischenfrage zulassen!)


Zu den strittigen Einschätzungen versucht das Statisti-
sche Bundesamt die Datenbasis zu erweitern. Als Zwi-
schenergebnis kann ich Ihnen mitteilen, dass erstens von
der von Ihnen öffentlich behaupteten Mehrbelastung in
Höhe von 7 bis 10Milliarden DM nicht mehr die Rede ist,
dass zweitens das Rechenmodell des BMF von den Wirt-
schaftsverbänden anerkannt wird und dass sich drittens
abzeichnet, dass wir zu einem Ergebnis kommen, das in
eine Einigung mündet.

Im Übrigen wiederhole ich, was der Kollege
Zitzelsberger gestern im Finanzausschuss zu Protokoll
gegeben hat:

Erstens. Die 3,5MilliardenDM sind als Mehrertrag ga-
rantiert.

Zweitens. Die Abstimmung mit der Wirtschaft läuft
mit dem Ziel einer kurzfristigen Verständigung. Es sind
bereits deutliche Annäherungen erreicht.

Drittens. Die Feineinstellung wird über die Branchen-
tabellen in einem fairen Belastungsausgleich erreicht.
Dies gilt insbesondere dort, wo ein zusätzlicher Bedarf an
einer Branchentabelle belegt wurde, zum Beispiel im Ma-
schinenbau.

Viertens. Die Branchentabellen sind über die gesamte
Wirtschaft verteilt, erfassen also auch Handwerksbetriebe
und Betriebe des Mittelstandes.

Fünftens. Die verkürzte Fassung der Regelung zu den
Schichtzuschlägen, die leider zu einigen Missverständ-
nissen führte, wird in der Weise korrigiert, dass das BMF
die alte Fassung wiederherstellen wird.

Meine Damen und Herren, ich bin sicher, dass in we-
nigen Wochen nur noch eitel Freude über eine gewaltige
Steuersenkung zugunsten der Wirtschaft herrschen wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Das glauben Sie ja wohl selber nicht!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414619100
Jetzt hat Herr Kollege
Thiele das Wort zu einer Kurzintervention. – Bitte sehr.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1414619200
Sehr geehrte Frau Prä-
sidentin! Nachdem Herr Staatssekretär Diller mich per-
sönlich angesprochen hat, habe ich um das Wort gebeten.

Erstens. Mir war nicht bekannt, dass Frau Dr.Hendricks
erkrankt ist. Auch ich wünsche ihr persönlich gute Besse-
rung und alles Gute.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweitens. Ich habe den Worten von Staatssekretär
Diller aber nicht entnehmen können, warum Finanzminis-
ter Eichel an dieser Debatte nicht teilgenommen hat. Ich
habe erwartet, dass Herr Eichel zu diesem Thema Stellung
nimmt. Das vermisse ich nach wie vor.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Drittens. Herr Staatssekretär Diller hat den Finanzaus-

schuss der letzten Periode angesprochen. Mir ist bekannt,




Parl. Staatssekretär Karl Diller
14344


(C)



(D)



(A)



(B)


dass gerade Parlamentarische Staatssekretäre mitunter
Schwierigkeiten haben, die Gewaltenteilung exakt zu de-
finieren. Aber wenn der Finanzausschuss mit dem Thema
überhaupt nicht befasst worden ist – das wurde er in der
letzten Wahlperiode nicht, Herr Staatssekretär –,


(Widerspruch bei der SPD)

dann hat der Finanzausschuss zu diesem Thema auch
keine Stellungnahme abgeben können. So einfach ist das:
Wir sind im Finanzausschuss damit nicht befasst worden.


(Detlev von Larcher [SPD]: Doch, wir haben darüber gesprochen!)


Viertens. Wenn Sie hier eine Belastung in Höhe von
3,5 Milliarden DM garantieren, dann erinnert mich das
sehr an den Finanzminister und den Bundeskanzler, die
beide erklärt haben: Verlängerung um nicht mehr als
10 Prozent! Belastung nicht mehr als 3,5 Milliarden DM!
Basta, unser Wort gilt!

Ich glaube nicht daran und die Wirtschaft glaubt auch
nicht daran. Der Abstimmungsprozess verläuft anders, als
es gestern im Finanzausschuss berichtet wurde und als Sie
es heute dem Deutschen Bundestag berichtet haben. Was
die Belastungen angeht, gibt es riesige Differenzen zwi-
schen der Sicht des Finanzministeriums und der Sicht der
Wirtschaft. Die Differenzen hätten vorher geklärt werden
müssen. Sie können das jetzt nicht nach dem Motto ma-
chen: Rette sich, wer kann; eine Branche, die noch nicht
in der Branchentabelle enthalten ist, muss jetzt dafür
kämpfen, in eine Branchentabelle zu kommen. So werden
Sie das Problem nicht lösen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414619300
Herr Staatssekretär,
möchten Sie das Wort? – Nein.

Dann kommen wir zur Abstimmung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um Auf-

merksamkeit; denn es kann sein, dass Sie nicht genau wis-
sen, worüber wir abstimmen. Wir stimmen nicht über den
Antrag der F.D.P. ab, sondern über die Beschlussempfeh-
lung des Ausschusses. Darauf wollte ich Sie hinweisen, da
ich merke, dass der eine die rote Karte zieht, die eigent-
lich blau sein sollte und umgekehrt. Wie der Ausschuss
entschieden hat, sage ich Ihnen jetzt nicht, das wissen Sie.

Die F.D.P. verlangt namentliche Abstimmung über die
Beschlussempfehlung des Ausschusses. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen besetzt? –Alle Ur-
nen sind besetzt. Ich eröffne die Abstimmung. –

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das
Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt ge-
geben.1)

Wir setzten die Abstimmungen fort.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-

fes der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/5135
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor-
geschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Zusatzpunkt 4: Abstimmung über den Antrag der Frak-
tion der CDU/CSU mit dem Titel „Den Wirtschaftsstandort
stärken statt Abschreibungsbedingungen verschlechtern“.
Wer stimmt für diesen Antrag auf Drucksache 14/5134?
– Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist
abgelehnt.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 9 sowie den Zu-
satzpunkt 5 auf:
9. Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Arzneimitteltherapie bei Kindern und Jugend-
lichen sicherer machen
– Drucksache 14/5083 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang

(Lüdenscheid)

tion der CDU/CSU
Medizinische Versorgung von Kindern sichern
– Drucksache 14/5136 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich bitte alle Anwesenden, Platz zu nehmen, damit wir
mit der Debatte über dieses interessante Thema beginnen
können.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Horst Schmidbauer das Wort für die SPD-Fraktion.


Horst Schmidbauer (SPD):
Rede ID: ID1414619400
Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ein Ereignis hat mich im Zusammenhang
mit dem Thema „Kinderarzneimittel“ ganz besonders ge-
prägt: Eine Familie bringt ihr fünf Monate altes Baby mit
einer sehr hohen Herzfrequenz ins Krankenhaus. Es stellt
sich heraus, dass eine lebensbedrohliche Herzrhythmus-
störung vorliegt. Der behandelnde Arzt gibt zunächst
Medikamente gegen die Herzrhythmusstörung; aber das
Baby spricht darauf nicht an. Weil es für Kinder in diesem
Fall keine geeigneten Arzneimittel gibt, weicht man auf
einen Betablocker aus, der für Erwachsene bestimmt ist.
Der Arzt – Gott sei Dank ein erfahrener Arzt – weiß, dass
er die doppelte Dosis wie für einen Erwachsenen geben




Carl-Ludwig Thiele

14345


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Ergebnis Seite 14351 B

muss. Die Folge ist, dass das Herzrasen bei dem fünf Mo-
nate alten Baby nachlässt.

Man hat in der Klinik bei der Beobachtung der Wir-
kung dieses Medikaments mittels einer Spiegelung fest-
gestellt, dass man mit einer höheren Dosierung arbeiten
muss. Daraufhin hat man dem Baby eine vierfache Er-
wachsenendosis gegeben. Die Folge war, dass das Baby
geheilt wurde. Es konnte ohne Schädigungen aufgrund
von Nebenwirkungen die Klinik mit seinen Eltern verlas-
sen.

Warum nenne ich dieses Beispiel? Es zeigt, dass die Si-
tuation, die wir heute in Kinderkliniken vorfinden, leider
nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist. 80 Prozent der
eingesetzten Arzneimittel sind nämlich „Erwachsenenmedi-
kamente“, die nicht bezüglich einer Anwendung bei Kin-
dern geprüft und zugelassen wurden, sodass keine gesicher-
ten Dosierungsanweisungen vorliegen. Diese Situation
können wir den 11 000 Kinderärztinnen und Kinderärzten
sowie den Kindern, Jugendlichen und deren Eltern in
Deutschland nicht weiter zumuten und müssen sie daher
verbessern.

Für einen solchen Fall, den ich gerade geschildert habe,
gibt es weder in den Roten Listen noch in den Fachpubli-
kationen entsprechende Dosierungsanweisungen. Es ist
also eine Art Gratwanderung: Auf der einen Seite haben
die Ärztinnen und die Ärzte die berufsethische Verpflich-
tung, dem Kind oder dem Jugendlichen zu helfen. Auf der
anderen Seite wissen sie sehr wohl, dass die Regelungen
über Arzneimittelhaftung für den Arzt nicht greifen – er
ist außerhalb der Haftungssicherheit nach dem Arznei-
mittelgesetz –, wenn ein Medikament angewendet wird,
welches nicht für Kinder oder Jugendliche zugelassen ist.
Ich kann mir vorstellen – ich glaube, wir alle können uns
dies vorstellen –, dass das eine nicht haltbare Situation für
die Ärztinnen und Ärzte in Deutschland ist.

Dieses Problem ist nicht auf Kinderarztpraxen be-
schränkt. Da trifft es nur 40 Prozent der Arzneimittel. Das
Problem tritt vor allem dort auf, wo eine intensive Be-
handlung von Kindern angezeigt ist, zum Beispiel auf ei-
ner Intensivstation, wo keines von acht, neun oder zehn
infrage kommenden Medikamenten für die Anwendung
bei Kindern und Jugendlichen geprüft und zugelassen ist.
Auch im Bereich der chronisch kranken Kinder haben wir
eine ähnliche Situation.

Das Problem ist, dass Nierenversagen und Atemläh-
mungen mit tödlichem Ausgang die Folge sein können.
Außerdem wird der ausbleibende Heilungserfolg, auch
aufgrund zu geringen Wissens, oft der Krankheit und
nicht einer mangelnden Arzneimitteltherapie zugescho-
ben.

Aber wir haben noch einen Dritten im Bunde, mit dem
wir uns bei dieser Frage beschäftigen müssen, und zwar
die Arzneimittelindustrie.Auch hier ist Bewegung fest-
zustellen, und zwar deswegen, weil es unmöglich ist, dass
der Pharmastandort Deutschland im internationalen Wett-
bewerb nicht gut aussieht, wenn wir bei den Arzneimitteln
für Kinder und Jugendliche eine offene Flanke bieten.

Seit 1997 geben die Amerikaner in diesem Bereich das
Tempo an; denn sie haben mit einem Modernisierungsge-

setz genau diese Problematik aufgegriffen und kommen
nun zu Lösungen. Deswegen ist verständlich, dass wir
jetzt auch aus dem Bereich der Arzneimittelindustrie Zu-
spruch erfahren. Sie sagt: Es ist richtig und gut, dass die
Koalition dieses Thema jetzt anpackt und einer Lösung
zuführt. Denn wir müssen darauf achten, dass wir bei un-
seren Arzneimitteln Standards auch für Kinder und Ju-
gendliche haben, mit denen wir auf dem Weltmarkt mit
amerikanischen Herstellern konkurrieren können.

Ich freue mich insofern, als auch die CDU/CSU diese
Altlast – das ist ja nichts Neues; denn die Betablocker, von
denen ich gesprochen habe, sind seit 25 Jahren auf dem
Markt und haben seit 25 Jahren keine auf Kinder und Ju-
gendliche bezogene Zulassung – jetzt angehen will. Aber
es hilft natürlich nichts, wenn man in einem Antrag acht
Zeilen dazu formuliert und lediglich eine Analyse vor-
nimmt. Wir brauchen in dieser Situation Lösungsansätze;
denn wir können in Deutschland bei Kindern und Ju-
gendlichen nicht mehr mit dieser „Küchenrezeptart“ wei-
termachen. Hier sind wir einen Schritt weiter gegangen
und suchen nach Lösungen.

In unserem Antrag steht konkret unsere Zielrichtung,
weil wir wissen, dass es auch wirtschaftliche Gründe sind,
die vor allen Dingen die Industrie bisher gehindert haben,
in dieser Frage aktiver zu werden. Deswegen sagen wir,
wir brauchen beides: Wir müssen auf der einen Seite An-
reizsysteme für die Industrie schaffen, um in die aufwen-
digen Prüfverfahren für Kinder und Jugendliche einzu-
steigen, und wir müssen auf der anderen Seite darauf
achten, dort, wo öffentliches Interesse besteht, dafür zu
sorgen, dass diesem zum Durchbruch verholfen wird.


(Beifall bei der SPD)

Wir müssen vor allem die Kompetenz der Kinderärz-

tinnen und Kinderärzte in Deutschland einbringen. Un-
sere Vorstellung ist, dass wir dafür ein Kompetenzzen-
trum schaffen, in dem das Erfahrungswissen, das sich
über viele Jahre und Jahrzehnte angesammelt hat, gebün-
delt und wissenschaftlich bewertet wird, damit es uns bei
der Anwendung hilft. Wir haben hier auch bestimmte Fi-
nanzierungsvorstellungen. Wir glauben, dass es gut wäre,
dafür zum Beispiel eine Stiftung einzurichten, an der sich
Industrie und Politik in gleichem Maße beteiligen. Das ist
nichts Neues. Wir haben in Deutschland auch im Bereich
der Arzneimittelhaftung eine große Stiftung. Es wäre gut,
wenn wir eine solche Entwicklung einleiten würden.

Es ist vor allem wichtig, dass wir von unkontrollierten
Heilversuchen wegkommen. Die Ärztinnen und Ärzte im
Bereich von Kindern und Jugendlichen sagen, es sei ihnen
nicht zuzumuten, dass sie unkontrollierte Heilversuche
unternehmen müssen, um ihrem beruflich-ethischen Auf-
trag gerecht zu werden, auf der anderen Seite aber in der
Gefahr stehen, etwas zu machen, was nicht durch das Arz-
neimittelgesetz abgedeckt ist.

Deswegen müssen wir uns klar darüber sein, dass wir
mehr klinische Studien brauchen. Hier möchte ich, damit
kein Missverständnis aufkommt, ganz deutlich machen:
Diese klinischen Studien können nur unter hohen ethi-
schen Ansprüchen durchgeführt werden.


(Beifall der Abg. Regina Schmidt-Zadel [SPD])





Horst Schmidbauer (Nürnberg)

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(D)



(A)



(B)


Wir müssen klar machen, dass diese Studien mit kranken
Kindern nur gemacht werden, wenn darüber, weil sie
keine einwilligungsfähigen Personen sind, mit ihren El-
tern und den Ethikkommissionen Einverständnis erzielt
worden ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir freuen uns, dass auf der europäischen Ebene in
der letzten Woche eine positive Entwicklung eingetreten
ist. Sowohl im Europäischen Parlament als auch in der
Kommission sagt man: Wir wollen gemeinsame Richtli-
nien entwickeln, um diese Aufgabenstellung wahrzuneh-
men. Wir denken, dass wir damit auf dem richtigen Weg
sind und dass wir diese Aufgabe mithilfe der Richtlinien
und der eigenen Ansprüche an Ethikkommissionen lösen
können. Ich bin ganz sicher, dass wir mit unserer neuen
Ministerin, Ulla Schmidt, in dieser Frage sehr schnell aus
dem Abseits kommen.


(Beifall der Abg. Regina Schmidt-Zadel [SPD])


Wir sind es den Kindern, den Jugendlichen sowie den
Kinderärztinnen und Kinderärzten schuldig, dass wir
diese Aufgabe rasch lösen. Wir sind auf dem richtigen
Weg.

Der Chef des Zentrums für Kinderheilkunde an der
Universität Marburg, der für den Bereich der Heilmittel
zuständig ist, hat in einem Brief geschrieben:

Lassen Sie mich auf diesem Weg noch einmal ganz
herzlich danken, vor allen Dingen auch im Namen
unserer Fachgesellschaft, der Deutschen Gesell-
schaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, für
Ihr Engagement, den Arzneimittelstandard für Kin-
der zu verbessern. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg für
die nächste Woche. Nochmals ganz herzlichen Dank.

Das ist es, was wir spüren: einen ganz starken Rücken-
wind und von keiner Seite Gegenwind. Ich glaube, auf
dieser Basis schaffen wir es, die Zukunft zu meistern. Das
sind wir allen Betroffenen schuldig.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414619500
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht nun die Kollegin Eva-Maria Kors.


Eva-Maria Kors (CDU):
Rede ID: ID1414619600
Verehrte Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie
mir ein Bild: Kinder sind der wichtigste Baustein für un-
sere Zukunft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Aber als schwächste Mitglieder unserer Gesellschaft be-
dürfen sie des besonderen Schutzes jedes Einzelnen von
uns, der Familie und des Staates. Sie bedürfen einer be-
sonderen medizinischen Fürsorge und Versorgung. Ange-
sichts der aktuellen Entwicklung besteht die Gefahr, dass

in Deutschland eine umfassende und qualifizierte medizi-
nische Versorgung von Kindern in Zukunft nicht mehr ge-
währleistet sein wird. Dies betrifft beispielsweise die Ver-
sorgung von Kindern mit Arzneimitteln.

Wie internationale Studien belegen, erhalten Kinder
häufig Arzneimittel, die eigentlich nicht für sie zugelas-
sen sind. In Deutschland gibt es zu wenige speziell für
Kinder zugelassene Arzneimittel. Rund 80 Prozent der
Medikamente, die auf Intensivstationen verwendet wer-
den, sind für Kinder nicht adäquat untersucht.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das haben wir schon vor zehn Jahren gesagt, Frau Kollegin!)


Da der Stoffwechsel bei Kindern anders ist, können die
Wirkungen selbst reduzierter Dosierungen von Erwach-
senenmedikamenten nicht automatisch auf Kinder über-
tragen werden. Arzneimittel für Kinder bedürfen daher
einer eigenen grundlegenden wissenschaftlichen Betrach-
tung. Herr Kollege Schmidbauer, Sie sehen, in diesem
Punkt sind wir uns völlig einig.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Oh, das kommt ja selten vor!)


– Frau Schmidt-Zadel, das ist ein ernstes Thema, das man
nicht ins Lächerliche ziehen sollte.

Aber auch der Fortbestand unseres qualifizierten me-
dizinischen Betreuungssystems für Kinder und Jugend-
liche durch speziell ausgebildete Ärzte sowie Kinder-
krankenpflegerinnen und -pfleger ist zukünftig gefährdet.
Der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte beklagt
einen dramatischen Nachwuchsmangel im Bereich der
Kindermedizin. Ab 2003 müsse damit gerechnet werden,
dass die medizinische Versorgung von Kindern in ganzen
Regionen, insbesondere in Flächenländern und dort natür-
lich im ländlichen Raum, nicht mehr gewährleistet sei.

Auch die Kinderkrankenpflegerinnen und -pfleger spie-
len bei der medizinischen Betreuung von Kindern eine
ganz bedeutende Rolle. Im Rahmen der Novellierung des
Krankenpflegegesetzes gingen – ich verwende fairer-
weise die Vergangenheitsform – Überlegungen der Bun-
desregierung in Richtung einer generalistischen Pflege-
ausbildung. Dies käme, wenn es so erfolgen würde, der
Abschaffung der Kinderkrankenpflege gleich. Die Pflege
von Kindern erfordert aber eine besondere fachliche
Kompetenz sowohl im stationären als auch im häuslichen
bzw. im ambulanten Bereich.

Gerade im häuslichen Bereich sind die betroffenen El-
tern in ganz besonderem Maße auf die Unterstützung
durch ausgebildete Pflegekräfte angewiesen. Bisher ist
die häusliche Kinderkrankenpflege im Gegensatz zur psy-
chiatrischen und gerontopsychiatrischen Pflege im Gesetz
nicht erwähnt. Dies führt zwangsläufig zu Problemen, da
die Krankenkassen diese speziellen Leistungen nur ganz
selten anerkennen.

Die neuen Richtlinien des Bundesausschusses Ärzte
und Krankenkassen zur Verordnung häuslicherKranken-
pflege führen zu einer zusätzlichen Verschlechterung der
Pflegesituation von Kindern zu Hause. Gerade im Bereich
der häuslichen Krankenpflege ist zunehmend eine Unter-
versorgung von kranken Kindern zu beobachten. Dies gilt




Horst Schmidbauer (Nürnberg)


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(C)



(D)



(A)



(B)


insbesondere für chronisch kranke Kinder mit zum Bei-
spiel schweren Ernährungsstörungen oder Atemwegser-
krankungen. Dies gilt aber auch für die Pflege schwerst-
kranker Früh- und Neugeborener.

Mit häuslicher Krankenpflege lassen sich aber nicht
nur die ärztliche Behandlung und Therapie der Kinder si-
chern und verbessern. Es lassen sich auch stationäre Auf-
enthalte und Spätfolgekosten vermeiden. Aber wenn in
Zukunft ein stationärer Aufenthalt erforderlich wird, muss
sichergestellt bleiben, dass eine kind- und jugendgerechte
Versorgung in unseren stationären Einrichtungen im me-
dizinischen, psychosozialen und auch im pädagogischen
Bereich möglich bleibt. Ich erinnere an schwer krebs-
kranke Kinder, die auch in der Klinik Schulunterricht be-
kommen müssen. Hierfür brauchen wir, wie von uns in
unserem Antrag gefordert, gut und speziell ausgebildete
Pflege- und Betreuungskräfte.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Vor diesem dargestellten Hintergrund behandelt der
von uns heute vorgelegte Antrag die derzeitigen Probleme
im Bereich der medizinischen Versorgung von Kindern
sehr umfassend, sehr differenziert und zukunftsorientiert.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir von der Union wollen die medizinische Versorgung
von Kindern, Herr Kollege Schmidbauer, insgesamt ver-
bessern. Wir beschränken uns im Gegensatz zu Ihnen
nicht nur auf Verbesserungen im Bereich der Arzneimit-
telsicherheit. Dabei stelle ich überhaupt nicht in Abrede,
dass der Aspekt der Arzneimittelsicherheit auch in unse-
rem Antrag vorkommt, also auch uns sehr wichtig ist.


(Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD]: Liebe Kollegin, Sie haben Ihren Antrag erst Dienstagnacht eingebracht!)


Wir fordern die Bundesregierung angesichts der bei der
Fort- und Weiterbildung von Kinder- und Jugendärzten
bestehenden Probleme konkret auf, bei der Bundesärzte-
kammer auf eine Reform der Weiterbildung zum Kinder-
und Jugendarzt zu drängen. Die Bundesregierung muss
außerdem die gesetzlichen Grundlagen dafür schaffen,
dass die pädiatrische wie die allgemeinmedizinische Wei-
terbildung gefördert wird. Nur so kann zukünftig die Ver-
sorgung mit Kindermedizin sichergestellt werden. Eine
einseitige Bevorzugung der Förderung der Aus- und Wei-
terbildung zum Hausarzt, wie Sie es betreiben, ist für uns
in diesem Zusammenhang der absolut falsche Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir fordern die Bundesregierung weiter auf, endlich

die Budgetierung der ärztlichen Honorare und die Fort-
schreibung des Arznei- und Heilmittelbudgets aufzuge-
ben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir werden das immer wieder tun; verlassen Sie sich da-
rauf. Denn dadurch wird auch die medizinische Versor-
gung von Kindern mehr als eingeengt.

Wir wollen ferner, dass die Bundesregierung die Sorge
der Kinderärzte ernst nimmt und die Rahmenbedingungen

für eine Versorgung von Kindern mit qualitativ hochwerti-
gen Hilfsmitteln verbessert. Die CDU/CSU-Bundestags-
fraktion erwartet von der Bundesregierung endlich eine
deutliche Aufforderung an den Bundesausschuss Ärzte
und Krankenkassen, die Richtlinien zur häuslichen Kran-
kenpflege grundlegend zu überarbeiten. Dabei muss der
Bundesausschuss die besonderen Aspekte auch der häusli-
chen Kinderkrankenpflege berücksichtigen.

Aktuellen Pressemitteilungen zufolge scheint die Bun-
desregierung wenigstens bei der anstehenden Novellie-
rung des Krankenpflegegesetzes im Rahmen der geplan-
ten integrierten Ausbildung die spezielle Ausbildung für
die Kinderkrankenpflege erhalten zu wollen. Ich kann das
nur begrüßen. Ich hoffe, dass den Ankündigungen in der
Presse nun auch bald die Taten folgen.

Und nun noch kurz zu Ihrem Antrag. Keiner der hier
Anwesenden – das betone ich nochmals – bestreitet ernst-
haft, dass es im Bereich der Arzneimittelsicherheit bei
Kindern Handlungsbedarf gibt.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Aha!)

– Nicht „aha“, das ist so. – Aber es ist schon erstaunlich,
welchen Weg Sie nunmehr gehen wollen. Sie fordern in
Ihrem Antrag die Beteiligung – was nichts anderes heißt
als die finanzielle Unterstützung – der Pharmaindustrie
zur Gründung einer Stiftung. Noch im Februar 2000 ha-
ben Sie bzw. die Bundesregierung die Pharmaindustrie als
den eigentlichen Schuldigen für die Defizite bei der
Arzneimitteltherapie von Kindern angeprangert.


(Zuruf von der SPD: Na und? Ist doch richtig!)

Ich kann für die Kinder in unserem Land nur hoffen, dass
die Pharmaindustrie vergessen hat, wie sie von Ihnen jah-
relang bei jeder Gelegenheit, wo Sie es nur konnten, als
Prügelknabe benutzt worden ist.

Ebenfalls in der Fragestunde versicherte die Bundesre-
gierung, das BMG prüfe derzeit, ob es künftig, wie in den
USA, einen verlängerten Patentschutz auf Arzneimittel
einführen kann. Bis heute sind Ergebnisse nicht vorgelegt
worden. In der Zwischenzeit – Herr Schmidbauer, Sie ha-
ben es angeführt – haben sich die Gesundheitsminister der
Europäischen Union auf Richtlinien geeinigt. Auch von
diesen Bemühungen sehen wir – zumindest bisher – in der
Arbeit der Bundesregierung nur sehr wenig.


(Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD]: Der Antrag ist eine Woche alt!)


– Nein, Sie sind ja seit einem Jahr an dem Thema.

(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Sie haben 16 Jahre Zeit gehabt!)

– Das nimmt Ihnen doch keiner mehr ab, Frau Schmidt-
Zadel, nach zwei Jahren.


(Lachen bei der SPD – Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD]: Sich hinstellen und 16 Jahre negieren, das ist unverantwortlich!)


Zusammenfassend halte ich hier fest, dass Ihr Antrag
nicht nur inhaltliche Schwächen beinhaltet, sondern er
greift vor allem viel zu kurz. Unser Antrag hingegen ist
umfassend, denn er fordert die Beseitigung der gravieren-




Eva-Maria Kors
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(C)



(D)



(A)



(B)


den Mängel in der gesamten Kinderheilkunde und sorgt
so für eine bedarfsgerechte und zukunftsfähige medizini-
sche Versorgung der Kinder in unserem Land. Und das,
meine Damen und Herren, haben unsere Kinder wahrlich
verdient.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414619700
Jetzt hat das Wort die
Kollegin Göring-Eckardt für Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kors, ich finde es schon bedauerlich, dass Sie zu einem
Rundumschlag ausholen und die Koalition an einer Stelle
kritisieren, wo Sie nicht nur in den letzten 16 Jahren nichts
unternommen haben, sondern auch in den letzten zwei
Jahren keine entsprechenden Anträge eingebracht haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich bin dem Kollegen Schmidbauer sehr dankbar, dass

er sich eines Teilproblems angenommen hat, was die
Frage der Arzneimittelversorgung und der Arzneimittel-
sicherheit für Kinder und Jugendliche angeht, weil ich
denke, ein solcher erster Schritt ist dringend notwendig.
Weitere werden und sollten natürlich auch folgen.

Es ist darauf hingewiesen worden, dass die meisten
Arzneimittel nicht für Kinder geeignet sind und in Bezug
auf Dosierung, Wirksamkeit und Nebenwirkungen nicht
entsprechend untersucht worden sind. Besonders drama-
tisch ist natürlich, dass Kinderärzte oft gezwungen werden,
Erwachsenenmedikamente einzusetzen. Oftmals bewegen
sie sich dabei auch außerhalb des haftungsrechtlichen
Schutzes des Arzneimittelgesetzes. Es mangelt an systema-
tisch erhobenen Daten und wissenschaftlich differenzierten
Therapieempfehlungen. In all diesen Fragen ist es notwen-
dig, den Qualitätsstandard der Arzneimittelversorgung von
Kindern weit voranzutreiben und dem der Erwachsenen
gleichzustellen.

Andere Länder – auch darauf ist hingewiesen worden –
zum Beispiel die USA, sind hier schon weiter. Hier ist ein
Gesetzespaket geschnürt worden, das die Arzneimittel-
hersteller verpflichtet, auch für Medikation an Kindern
entsprechende Eignungsnachweise zu erbringen. Ich denke,
mit diesem Antrag sind wir in dieser Richtung auf dem
richtigen Weg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Was muss getan werden? Physiologische Besonderhei-
ten von Kindern müssen bei der Arzneimitteltherapie
berücksichtigt werden, um Über- und Unterdosierungen
sowie höhere Nebenwirkungen auszuschließen. Von der
richtigen Dosis des Arzneimittels für Erwachsene kann
ja – das Beispiel des Kollegen Schmidbauer war da sehr
eindrücklich – nicht auf die richtige Dosis für Kinder ge-
schlossen werden. Wir sind allerdings der Meinung, dass
Erprobungen von Medikamenten nur an kranken Kindern
durchgeführt werden sollten. Da sind wir allerdings ande-
rer Meinung als Sie; zumindest haben Sie sich in Ihrem
Antrag darauf ja nicht ausdrücklich bezogen.

Für eine kindgerechte Medikation fehlt es sowohl an
der notwendigen wissenschaftlichen Infrastruktur als
auch an staatlicher Forschungsförderung. Hierfür fühlen
wir uns als Koalition und Bundesregierung in der Verant-
wortung. Das gilt auch für das BfArM. Hier sind Kin-
derärzte unzureichend vertreten. Das BfArM muss besser
mit Ärztinnen und Ärzten ausgestattet werden, die pädia-
trische Kenntnisse haben.

Zu dem, was Sie, Frau Kollegin Kors, zum Thema Um-
gang mit der Pharmaindustrie gesagt haben: Natürlich
ist die Tatsache, dass die Pharmaindustrie bisher nicht aus
sich heraus entsprechende Dinge in die Wege geleitet hat,
bedauerlich. Ich finde es deswegen richtig, vorzuschla-
gen, dass man hier gemeinsam handelt: die Politik auf der
einen Seite und die Industrie auf der anderen Seite. Eine
Stiftung wird hier ein sinnvoller Weg sein, das gemeinsam
zu tun, gemeinsame Verantwortung zu übernehmen. Ich
kann daran nichts Eigentümliches finden, sondern das ist
angesichts der Versäumnisse, die wir vorfinden, genau
richtig.

Lassen Sie mich zum Schluss auf etwas verweisen, was
ich für einen der nächsten Schritte halte, die notwendig
sind, um beim Thema Kinder und Gesundheit weiterzu-
kommen und hier auch grundsätzlich zu anderen Verfah-
rensweisen zu gelangen. Ich habe der Kultusministerin
von Baden-Württemberg, Annette Schavan, die ja Ihrer
Partei angehört und zurzeit Vorsitzende der Kultusminis-
terkonferenz ist, in dieser Woche einen Brief geschrieben,
in dem ich sie bitte, darauf hinzuwirken, dass ein Fach Ge-
sundheitserziehung an unseren Schulen eingeführt wird.
Ich glaube, es ist notwendig, dass sich die Bundesregie-
rung, aber natürlich auch die Länderregierungen der
Frage des Umgangs mit Kindern und Gesundheit, natür-
lich auch mit Kindern und Krankheit sehr viel stärker wid-
men. Ich bin der Überzeugung, dass ein solches Fach, in
dem es dann um Präventionen, um die Suchtproblematik,
um gesunde Ernährung geht, ein wirklicher Schritt des
vorbeugenden Verbraucherschutzes wäre, der dringend
notwendig ist.

Der Antrag der Koalition ist ein solcher Schritt. In die-
ser Frage beschreiten wir neue Wege und ich bin darüber
sehr froh.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414619800
Für die F.D.P. spricht
jetzt der Kollege Detlef Parr.


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1414619900
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Frau Göring-Eckardt, Verbraucherschutz, in
der Tat, ist heute in aller Munde. Verbraucherschutz gilt
vor allem für eine Gruppe unserer Gesellschaft, die in den
beiden vorliegenden Anträgen angesprochen ist: für un-
sere Kinder und Jugendlichen.

Die Arzneimittelsicherheit muss generell im Zentrum
unserer Bemühungen zum Schutz der Verbraucher
– der Patienten – stehen. Diese Tatsache beweist: Die




Eva-Maria Kors

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(C)



(D)



(A)



(B)


Ansiedlung des Verbraucherschutzes im Landwirt-
schaftsministerium war eine vorschnelle Entscheidung.


(Beifall bei der F.D.P. – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Eine Katastrophe!)


Der Antrag der Regierungsfraktionen verweist zu Recht
auf die Food and Drug Administration in den Vereinigten
Staaten. Eine ähnliche Konstruktion


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Igitt! – Heiterkeit)


einer unabhängigen Einrichtung hätte ich mir neben der
Konzentration des Verbraucherschutzes im Gesundheits-
ministerium sehr gut vorstellen können.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Was hat das denn mit Kinderarzneimitteln zu tun?)


– Das ist nur die Einleitung, Frau Kollegin. – Wir werden
sehr genau beobachten, ob sich der organisatorische
Schnellschuss bewährt. Wir haben nach wie vor ganz er-
hebliche Zweifel.


(Beifall bei der F.D.P. – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Was heißt „Zweifel“? Katastrophe!)


Jetzt zu den Inhalten, um auch Ihnen gerecht zu wer-
den. Inhaltlich sprechen beide Anträge Defizite an, die wir
dringend beseitigen müssen. Systematisch erhobene wis-
senschaftliche Daten zum Einsatz von Medikamenten bei
Kindern und Jugendlichen sind ebenso wichtig wie wirt-
schaftliche Anreize für die Pharmaindustrie. Wir unter-
stützen die Bemühungen, die Akzeptanz der klinischen
Forschung auch an kranken Kindern zu erhöhen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Und das mit Festbeträgen? – Lachen bei der SPD)


Die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse werden die
Risiken unerwünschter Nebenwirkungen erheblich redu-
zieren können. Es ist auch richtig, Ethikkommissionen
einzuschalten, um Missbrauch zu verhindern.

Auch der Vorschlag der Verlängerung des Patent-
schutzes bzw. des Alleinvertriebsrechts, wenn das Medi-
kament auch für den Einsatz in der Kinderheilkunde zu-
gelassen wird, ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Ich finde es ganz putzig, Frau Schmidt-Zadel, wie
nachdrücklich SPD und Grüne sich in ihrem Antrag für
den Pharmastandort Deutschland einsetzen und weitere
Standortnachteile verhindern wollen.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Immer schon!)

Das könnte fast aus der liberalen Feder stammen. Herz-

lichen Glückwunsch! Genauso ordnen wir die Forderung
nach Einrichtung einer Stiftung zur Unterstützung klini-
scher Studien in der Kinderheilkunde ein. Auch dies ist
eine gute Sache – mehr privat, weniger Staat.

Weniger gut sind Ihre Staatsgläubigkeit und Ihr Ver-
trauen in den Erfolg staatlicher Förderungsprogramme
zur Errichtung kostenintensiver Kompetenzzentren. Ich
bin gespannt, wo Sie das Geld hierfür hernehmen wollen.

Ich stimme Kollegin Kors ausdrücklich zu: Ihr Antrag
ist wesentlich umfassender als der, den SPD und Grüne
vorgelegt haben.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Wir sollten in den Ausschussberatungen den Versuch ma-
chen – vielleicht können wir das schaffen –, einen ge-
meinsamen Antrag zu formulieren, der die von der Union
zusätzlich geforderten Lösungswege im Bereich der Imp-
fungen, der Aus- und Weiterbildung und der Pflege auf-
nimmt.

Wir sollten auch, Frau Schmidt-Zadel, die europä-
ischen Dimensionen etwas intensiver bedenken. Natio-
nale Alleingänge helfen auch in diesem Bereich nicht. Wir
müssen uns in der Europäischen Gemeinschaft vielmehr
auf gemeinsame Initiativen verständigen. Ein gutes Bei-
spiel ist die europaweit einheitliche Regelung der bereits
angesprochenen klinischen Arzneimittelprüfungen an
Kindern.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, das Thema der
Arzneimittelsicherheit und besseren medizinischen Ver-
sorgung von Kindern und Jugendlichen ist meines Erach-
tens ein Konsensthema. Wir sollten mit dieser Zielrich-
tung in die Ausschussberatung gehen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Regina SchmidtZadel [SPD]: Da kann ich sogar klatschen! – Klaus Kirschner [SPD]: Das war das Beste, was Herr Parr seit langem gesagt hat!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414620000
Ich erteile jetzt der
Kollegin Neuhäuser für die PDS das Wort.


Rosel Neuhäuser (PDS):
Rede ID: ID1414620100
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag der
Koalitionsfraktionen lenkt die Aufmerksamkeit auf Un-
zulänglichkeiten in der Arzneimitteltherapie von Kindern
und Jugendlichen. Dies ist heute schon mehrfach ange-
führt worden. Ein Hauptproblem besteht darin, dass ein
hoher Anteil der Medikamente, die in der Kinderheil-
kunde angewendet werden, dafür nicht speziell geprüft
sind. Kinderärzte sehen sich immer wieder in der Situa-
tion, Medikamente, deren Dosierung, Wirksamkeit bzw.
Nebenwirkungen nur an Erwachsenen ausreichend unter-
sucht wurden, auch bei Kindern einsetzen zu müssen. Das
ist in der Tat unhaltbar, denn es kann nicht sein, dass die
Qualität und Sicherheit der Arzneimitteltherapie bei Kin-
dern geringer ist als die bei Erwachsenen.

Es findet deshalb unsere Unterstützung, wenn der vor-
liegende Antrag der Koalition auf eine Verbesserung die-
ser Situation zielt. Um die Sicherheit von Kinderarznei-
mitteln zu erhöhen und auch die dafür erforderlichen
klinischen Studien durchzuführen, bedarf es intensiver
staatlicher Forschungsförderung an Universitäten und an
anderen einschlägigen Wissenschaftseinrichtungen sowie
verstärkter Aktivitäten des Bundesinstituts für Arzneimit-
tel und Medizinprodukte.

Dabei ist aus unserer Sicht ausdrücklich hervorzuhe-
ben, dass für klinische Prüfungen an erkrankten Kindern
besonders sorgfältige Ethik- und Sicherheitsstandards
gelten müssen und dass ihre Einhaltung strengster
Überwachung bedarf. Zu fragen bleibt allerdings, warum
die Regierung angesichts solch notwendiger und plausi-
bler Maßnahmen nicht selbst handelt, sondern von ihren




Detlef Parr
14350


(C)



(D)



(A)



(B)


eigenen Koalitionsfraktionen dazu speziell aufgefordert
werden muss.

Der kurzfristig ebenfalls zur Debatte gestellte Antrag
der CDU/CSU-Fraktion benennt weitere Schwachstel-
len in der medizinischen Versorgung der Kinder. Mit den
Missständen beim Impfen und generell in der Prävention,
mit Versorgungs- und Ausbildungsproblemen in der Kin-
dermedizin und der Kinderkrankenpflege werden zu
Recht gravierende Mängel angesprochen und Verbesse-
rungen gefordert.

Allerdings, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU-Fraktion, müssen Sie sich auch sagen lassen,
dass es dabei kaum um Probleme geht, die in der Zeit Ih-
rer Regierung nicht schon lange bestanden hätten oder
nicht längst absehbar gewesen wären.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Aber für Schritte in die richtige Richtung ist es natürlich nie
zu spät und insofern steht die heutige Regierung uneinge-
schränkt in der Verantwortung. Angesichts der Bedeutung,
die der Gesundheit der nachwachsenden Generation zu-
kommt, meinen wir allerdings, dass auf diesem Gebiet in-
zwischen eine möglichst umfassende, bundesweite Strate-
gie zur Erhaltung und Förderung der Gesundheit der Kinder
notwendig ist. Die Palette der Maßnahmen muss dabei vom
vorbeugenden Gesundheitsschutz über eine qualifizierte
medizinische Versorgung im Erkrankungsfall bis hin zur
Zurückdrängung umweltbedingter Gesundheitsschäden
reichen.

Meine Damen und Herren, Kinderarmut wird immer
stärker zur Ursache gesundheitlicher Fehlentwicklungen.

Deshalb ist die Gesundheit der Kinder letztlich auch nicht
ohne eine wesentlich stärkere Politik für Kinder zu ver-
bessern. Dazu gehören – das sage ich, um zwei Vorschläge
unsererseits im Parlament zu diskutieren – zum einen die
Erweiterung der Einflussmöglichkeiten der Kinderkom-
mission – sie würde durch dieses Parlament gestärkt – und
zum anderen eine Debatte über den Vorschlag der Akade-
mie für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, bei der
Bundesregierung oder im Parlament einen Kinderbeauf-
tragten einzusetzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414620200
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/5083 und 14/5136 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich gebe jetzt das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Ab-
stimmung über die Beschlussempfehlung des Finanzaus-
schusses zu dem Antrag der Fraktion der F.D.P. mit dem
Titel „Abschreibungstabellen nicht ändern“, Drucksachen
14/1887und 14/5149, bekannt. Abgegebene Stimmen 535.
Mit Ja haben gestimmt 311, mit Nein haben gestimmt 224,
keine Enthaltungen. Die Beschlussempfehlung ist damit
angenommen.




Rosel Neuhäuser

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(C)



(D)



(A)



(B)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 534;
davon

ja: 311
nein: 223

Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht

Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag

Lilo Friedrich (Mettmann)

Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Monika Heubaum

Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Siegrun Klemmer
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka






(C)



(D)



(A)



(B)


Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Erika Lotz
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Tobias Marhold
Lothar Mark
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Gerhard Neumann (Gotha)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Birgit Roth (Speyer)

Michael Roth (Heringen)

Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten


(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Volkmar Schultz (Köln)

Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz (Oldenburg)

Dr. Angelica Schwall-Düren
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Jochen Welt
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek (Böhlen)


Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Heidemarie Wieczorek-Zeul
Heino Wiese (Hannover)

Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff

(Wolmir-stedt)


Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Antje Hermenau
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)

PDS
Monika Balt
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Wolfgang Gehrcke
Dr. Gregor Gysi
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Sabine Jünger

Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann
Pia Maier
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Dr. Ilja Seifert

Nein
CDU/CSU
Ilse Aigner
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Axel E. Fischer

(Karlsruhe-Land)


Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Norbert Geis
Georg Girisch

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun
Kopp, Dr. Werner Hoyer, Rainer Brüderle, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Stiftung Warentest in die Unabhängigkeit ent-
lassen
– Drucksache 14/4284 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Auch
das ist so beschlossen.

Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort
der Kollegin Gudrun Kopp für die F.D.P.-Fraktion.


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1414620300
Frau Präsidentin! Sehr ge-
ehrte Herren und Damen! Derzeit reden alle von der BSE-
Krise. Doch der Verbraucherschutz ist eine umfassende
Aufgabe. So wird die Forderung, dass unabhängige und
wirklich hochwertige Verbraucherinformationen sicher-
gestellt werden müssen, sehr leicht in den Hintergrund ge-
drängt. Deshalb nehmen wir uns des Themas Stützung der
Stiftung Warentest und ihrer hervorragenden Arbeit an
und erinnern daran, dass wir dafür zu sorgen haben, dass
sie eine gute finanzielle Basis für die Zukunft bekommt.


(Beifall bei der F.D.P.)





Vizepräsidentin Anke Fuchs

14353


(C)



(D)



(A)



(B)


Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg)

Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein

Gerda Hasselfeldt
Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Rudolf Kraus
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz

Walter Link (Diepholz)

Dr. Klaus W. Lippold

(Offenbach)


Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Julius Louven
Erwin Marschewski

(Recklinghausen)


Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller (Kirchheim)

Bernd Neumann (Bremen)

Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch

(Wiesbaden)


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose

Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth (Gießen)

Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr
von Schorlemer

Wolfgang Schulhoff
Gerhard Schulz
Diethard Schütze (Berlin)

Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-
Schilling

Wilhelm-Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Dr. h. c. Rudolf Seiters
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Erika Steinbach
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Dr. Susanne Tiemann
Gunnar Uldall
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Willy Wimmer (Neuss)

Matthias Wissmann

Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
F.D.P.
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun

(Augsburg)

Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle

Sie wissen: Die Stiftung Warentest darf nach Sat-
zungslage keine Einnahmen aus Werbeanzeigen erwirt-
schaften und hat zum Ausgleich dafür schon seit vielen
Jahren Zuschüsse erhalten. In den letzten zehn Jahren wa-
ren dies 13 Millionen DM pro Jahr. Im Jahr 2000 wurde
erstmals drastisch gekürzt. Nach dem Entwurf des Haus-
halts sollte es eine Kürzung um 40 Prozent auf rund 8 Mil-
lionen DM geben. Wir haben daraufhin sofort einen An-
trag auf Erhöhung der Mittel gestellt, nämlich auf
11 Millionen DM. Dieser Antrag ist von Ihnen allen in
diesem Haus unterstützt worden.

Was Sie vielleicht nicht wissen, ist, dass die Stiftung
Warentest zum Jahresende 2000 aus dem damals noch zu-
ständigen Wirtschaftsministerium die Nachricht erhalten
hat, dass für den Haushalt 2002 erneut nur 8 Millionen
DM vorgesehen sind. Wie wichtig das neue Ministerium
für Verbraucherschutz und Landwirtschaft das Thema
Verbraucherschutz insgesamt nimmt, sieht man daran,
dass die Regierungsbank völlig leer ist.


(Beifall bei der F.D.P. – Vera Lengsfeld [CDU/ CSU]: Der neue Staatssekretär für Verbraucherschutz ist in der Kneipe!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414620400
Keine Aufregung,
meine Damen und Herren, er kommt.

Frau Kollegin, ich möchte Sie fragen, ob Sie eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Hinsken zulassen.


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1414620500
Ja, bitte.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414620600
Dann hat der Kollege
Berninger noch ein bisschen Zeit zu kommen, wenn sich
das hier verlängert.

Bitte sehr, Herr Hinsken.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1414620700
Frau Kollegin Kopp,
pflichten Sie mir bei, wenn ich feststelle, dass die Bun-
desregierung dem Verbraucherschutz, obwohl sie ihn in
letzter Zeit in den Vordergrund stellt, nicht die notwendige
Bedeutung beimisst? Denn es befindet sich kein einziges
Regierungsmitglied auf der Regierungsbank.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der F.D.P. – Susanne Kastner [SPD]: Das war ein wegweisender Beitrag, Herr Hinsken!)



Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1414620800
Herr Kollege Hinsken, ich
stimme Ihnen vollkommen zu. Ich betone, was der Kol-
lege Parr eben gesagt hat: Auch der Zuschnitt dieses Mi-
nisteriums ist äußerst zweifelhaft. Den umfassenden und
wichtigen Verbraucherschutz ausschließlich beim Land-
wirtschaftsministerium anzusiedeln wird sich als Fehler
erweisen. Das sehen wir heute Abend. Das ist ein schlech-
tes Omen für den Verbraucherschutz.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414620900
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie mir eine kurze Zwischenbemerkung. Ich glaube,
es steht uns zu, festzustellen, dass wir sehr bedauern, dass
keiner auf der Regierungsbank sitzt. – Das gilt unabhän-
gig von der Frage, ob der Herr Staatssekretär schon da ist
oder nicht. Es gibt mehrere Ressorts und mehrere Staats-
sekretäre. Wir ermahnen die Bundesregierung, bei Bun-
destagsdebatten ordentlich vertreten zu sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Frau Kollegin, bitte fahren Sie fort.


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1414621000
Ich erinnere daran, dass die
Stiftung Warentest im Jahr in etwa 2 200 Produkte und
über 130 Waren und Dienstleistungen testet. Das ist eine
enorme Leistung. Die F.D.P.-Fraktion ist der Meinung,
dass das Gezerre um jährliche Zuschüsse beendet werden
muss. Wie wollen wir das machen? Wir haben Ihnen ganz
konkret vorgeschlagen, Vater Staat möge sich aus der Stif-
tung Warentest zurückziehen und sie in die Unabhängig-
keit entlassen – aber natürlich nicht zum Nulltarif.


(Beifall bei der F.D.P.)

Die Stiftung braucht dringend Stiftungskapital, das sie

in entsprechender Höhe aufbauen muss. Ein erster kleiner
Schritt ist Ende des Jahres 2000 gemacht worden. Das
reicht aber bei weitem nicht aus. Wir beantragen deshalb,
dass ein Betrag von 100 Millionen DM eingebracht wird,
der auf mehrere Zahlungen über einige Jahre aufgeteilt
werden kann. In dieser Phase soll die Stiftung in die Lage
versetzt werden, weitere Einnahmequellen zu erschließen.
Der Stiftung soll auch ermöglicht werden, selber Stif-
tungskapital einzuwerben – nicht bei einzelnen Firmen,
aber beispielsweise bei Institutionen und Verbänden, die
sich dem Verbraucherschutz besonders verpflichtet füh-
len. Ich denke, das wäre ein sehr guter Ansatz.

Natürlich muss die Stiftung bis dahin weiterhin finan-
ziell unterstützt werden, und zwar nicht mit kleinen Häpp-
chen wie den 8 Millionen DM, von denen die Rede ist. Es
muss wenigstens bei den jetzt vereinbarten 11 Millio-
nen DM bleiben.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auf Dauer ist diese Lösung für den Bundeshaushalt
viel kostengünstiger, unabhängig davon, ob Sie drei Jahre
zahlen, um das Stiftungskapital aufzubauen, oder ob Sie
fünf Jahre zahlen, wie von uns vorgeschlagen. Ich denke,
das führt zu mehr Eigenverantwortung und unabhängiger
Arbeit dieser Stiftung. Mit dieser Lösung unterstützen wir
die Stiftung nicht nur verbal, sondern auch mit Taten,
sprich: indem wir ihr die Freiheit geben, am Markt zu
agieren. Das sollte sie uns wert sein. Das ist für die Ver-
braucher wichtig; denn unabhängige und qualitativ hoch-
wertige Verbraucherinformationen sind die Vorausset-
zung dafür, dass sich Konsumenten überhaupt einen
Überblick am Markt verschaffen können. Die Stiftung soll
also ein Wegweiser für Produkte und Kontrollen sein.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)





Gudrun Kopp
14354


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich hoffe – lassen Sie mich das am Ende noch sagen –,
dass der Verbraucherschutz, jetzt angesiedelt im Land-
wirtschaftsministerium, in Zukunft mehr Beachtung fin-
det. Ich befürchte aber, dass es nicht so sein wird; denn
schon im Wirtschaftsministerium hatten es der Verbrau-
cherschutz und damit die Stiftung Warentest sehr schwer.
Ich denke, wir sollten nicht nur mit Blick auf BSE, son-
dern auch insgesamt den Verbraucherschutz ernst nehmen
und hier zu einer Lösung kommen, die für alle Beteiligten
die beste ist. Ich bitte Sie also, diesen Antrag im Rahmen
der Beratungen und bei der Abstimmung wohlwollend zu
bescheiden.

Danke schön.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abge ordneten der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414621100
Jetzt erteile ich das
Wort der Kollegin Jella Teuchner, SPD-Fraktion.


Jella Teuchner (SPD):
Rede ID: ID1414621200
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen – besonders von der F.D.P.! Ich
darf zunächst die Ministerin entschuldigen. Wenn Sie sich
sachkundig gemacht hätten, würden Sie wissen, dass der
Verbraucherausschuss, der ursprünglich beim Ministe-
rium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten angesie-
delt war, heute einen Empfang auf der Grünen Woche
gibt. Von daher kann die Ministerin leider nicht hier sein.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist ja der Gipfel! Wir haben eine Bundestagssitzung und die Ministerin ist bei einem Empfang auf der Grünen Woche!)


Ich möchte zuerst auf den Antrag der F.D.P. zu spre-
chen kommen. Es ist verständlich, dass Sie von Ihrem
Aufsetzungsrecht Gebrauch machen; das sei Ihnen auch
zugestanden.


(Zuruf von der F.D.P.: Danke schön!)

Dafür, dass Sie es nicht abwarten können, wie die neuen
Strukturen des Verbraucherschutzministeriums und auch
des Verbraucherausschusses hier im Bundestag aussehen
werden, habe ich allerdings kein Verständnis.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414621300
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Göring-Eckardt?


Jella Teuchner (SPD):
Rede ID: ID1414621400
Nein, ich möchte im Zusam-
menhang vortragen. – Deshalb beantrage ich, bevor ich
meine Gedanken weiter ausführe, diesen Antrag feder-
führend dem Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernäh-
rung und Landwirtschaft zu überweisen. Das ergibt sich
aus dem neuen Zuschnitt des Ressorts wie auch aus den
entsprechend erweiterten Aufgaben, mit denen sich der
bisherige Landwirtschaftsausschuss zu befassen hat.

Soziale Marktwirtschaft ist undenkbar ohne vorsorgen-
den Verbraucherschutz. Eine starke Nachfrageseite ist
wichtige Voraussetzung für die Sicherung eines funktio-
nierenden Wettbewerbs. Dafür müssen Verbraucherinnen
und Verbraucher in die Lage versetzt werden, ihr Gewicht

am Markt auch wirklich einzubringen. Ihre Eigenver-
antwortung muss gestärkt werden. Die Kräfte des Marktes
allein sind nicht ausreichend zur Schaffung eines Aus-
gleichs zwischen den unterschiedlichen Zielen von Anbie-
tern und Nachfragern. Nur gut informierte Verbraucherin-
nen und Verbraucher können ihre Interessen gegenüber der
Anbieterseite durch die Entscheidung für oder gegen ein
Produkt selbst vertreten.

Verbraucherinnen und Verbraucher haben ein Recht
auf Information, auf Schutz vor Gefahren für Gesundheit
und Sicherheit, auf eine gesunde Umwelt, auf die Wah-
rung ihrer wirtschaftlichen Interessen. In diesem Gesamt-
kontext leistet die Stiftung Warentest seit ihrer Gründung
mit ihrer Aufklärungsarbeit unschätzbare Dienste. Die
Stiftung Warentest hat laut Satzung den klar umrissenen
Auftrag, die „Öffentlichkeit über objektivierbare Merk-
male des Nutz- und Gebrauchswertes sowie der Umwelt-
verträglichkeit“ von Waren und Dienstleistungen zu un-
terrichten.

Ganz aktuell passt da auch die Nachricht über den Ver-
zicht der Agrar- und Nahrungsmittelindustrie auf den Aus-
bau des Einsatzes der „grünen Gentechnik“. Die Stiftung
Warentest hatte im vergangenen Jahr bei einer Testreihe
herausgefunden, in wie vielen Lebensmitteln gentechnisch
veränderte Bestandteile ohne jede Kennzeichnung enthal-
ten sind, und das, obwohl die große Mehrheit der Konsu-
menten gerade bei Nahrungsmitteln besonders miss-
trauisch ist.


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Dann können Sie dem ja zustimmen!)


Noch immer steht der Beweis der Unschädlichkeit dieser
neuen Produkte für Mensch und Natur aus.

Auch am aktuellen Verbraucherverhalten nach Be-
kanntwerden der BSE-Fälle hier bei uns in Deutschland
zeigt sich erneut ganz deutlich: Verbraucher sagen jetzt,
wo es langgeht. Sie verweigern sich als Konsumenten:
Zum Beispiel musste Wurst aus dem Handel zurückgeholt
werden; der deutsche Rindfleischmarkt ist zusammenge-
brochen; Beschäftigte in der Fleischverarbeitung müssen
kurzarbeiten. Wieder wird der Staat mit sehr hohen Kos-
ten für die Folgen einer über Jahrzehnte fehlgesteuerten
Politik einstehen müssen. Unsere These gilt weiter: Vor-
beugen ist nicht nur besser, sondern auch billiger als Hei-
len. Das zeigt auch diese sehr weit reichende Krise. Die
Schäden müssen jetzt mit Geldern in enormer Höhe aus
dem Staatshaushalt repariert werden.

In diese Situation passt die von Ihnen geforderte De-
batte zur ersten Lesung Ihres Antrages „Stiftung Warentest
in die Unabhängigkeit entlassen“. Aber ich sage auch hier
ganz ungeschminkt: Dieser Antrag ist jetzt und in dieser
Form unseriös. Sie wissen, dass wir im Bundeshalt für das
laufende Haushaltsjahr 11 Millionen DM für die Stiftung
Warentest bewilligt haben. Wir mussten kämpfen – das
gebe ich gerne zu –, aber zumindest dies haben wir er-
reicht.


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Nur in diesem Jahr!)

– Jawohl, Frau Kopp. – Sie wissen von Ihren Berichter-
stattern aus dem Haushaltsausschuss so gut wie ich, dass




Gudrun Kopp

14355


(C)



(D)



(A)



(B)


derzeit ein Prüfauftrag im Wirtschaftsministerium in Ar-
beit ist.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Ein Trauerspiel war das!)


Zum damaligen Zeitpunkt war noch der Wirtschaftsaus-
schuss zuständig. Mit diesem soll festgestellt werden, wie
hoch das nötige Stiftungsvermögen sein müsste, damit
die Stiftung Warentest die jährlichen Bundeszuweisungen
durch Zinseinnahmen kompensieren könnte.

Sie jonglieren in Ihrem Antrag mit Zahlen, die einer
Überprüfung nicht standhalten. Beim Aufbau eines Stif-
tungsvermögens mit den von Ihnen beantragten 20-Milli-
onen-Mark-Raten über fünf Jahre würde bei einer 5-pro-
zentigen Verzinsung mit Zinseszins eine Summe von circa
115 Millionen DM anwachsen. Was soll Ihres Erachtens in
den Jahren bis zur Erreichung der endgültigen Höhe des
Stiftungsvermögens passieren? Die Stiftung Warentest hat
in verschiedenen Gesprächen mit mir und auch Vertre-
terinnen meiner Fraktion dargelegt, dass künftig jährlich
Zuwendungen in Höhe von 10 Millionen DM erforderlich
sein werden, um die gute Arbeit fortzuführen. Sollen jetzt
diese erforderlichen 10Millionen DM zusätzlich bereitge-
stellt werden?


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Ja, natürlich!)

Auch bei einem Stiftungsvermögen von 115 Millio-

nen DM sind diese erforderlichen Mittel nur mit einem wei-
teren Bundeszuschuss sicherzustellen; denn nach Adam
Riese ergeben 5 Prozent Zinsen von 115 Millionen DM nur
etwa 5,5 Millionen DM.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Wir wollen doch keine Erbsen zählen!)


Damit müssten weiterhin 4,5 Millionen DM – Ihr Antrag
spricht ja nur von Zinseinnahmen – aus dem Bundes-
haushalt zur Verfügung gestellt werden.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das haben Sie schon richtig gerechnet!)


– Jawohl, als Buchhalterin bin ich des Rechnens mächtig. –
Diese ganzen Aspekte werden wir natürlich im Ausschuss
sehr gründlich zu beraten haben.

Noch einmal zum Wortlaut Ihres Antrages. Kein Ver-
ständnis habe ich für die Forderung nach Unabhängig-
keit. Seit der Gründung durch die Bundesregierung 1964
hat sich die Stiftung als unabhängige Institution einen Na-
men gemacht. Diese Souveränität und Neutralität haben
in der Öffentlichkeit zu einem hohen Ansehen der Stiftung
geführt: sowohl bei Herstellern und Anbietern von Pro-
dukten und Dienstleistungen wie auch bei den durch die
öffentlichen Testergebnisse gut informierten Verbrauche-
rinnen und Verbrauchern. Meines Wissens war nie von
Abhängigkeit, Unfreiheit oder Unterordnung die Rede.

Seit ihrer Gründung erhält die Stiftung die Bundesmit-
tel – bislang aus dem Haushalt des Bundesministeriums
für Wirtschaft – als Ausgleich dafür, dass sie kein Stif-
tungskapital erhalten hat und keine Einnahmen durch
Werbeanzeigen erzielen darf. Dennoch wurde mit dem
durch den Verkauf der Publikationen erzielten Erlös mitt-
lerweile eine gute finanzielle Rücklage erwirtschaftet.

Diese Rücklage dient nach meinen Informationen aus
dem Vorstand der Stiftung unter anderem auch dazu, ge-
gebenenfalls nötige Finanzmittel bei – hoffentlich nie
nötigen – Schadensersatzforderungen aufbringen zu kön-
nen. Dank der Sorgfalt der angewandten Prüfprogramme
musste sich die Stiftung meines Wissens bislang keinen
solchen Forderungen stellen, aber ein entsprechender
Notfonds ist natürlich notwendig.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414621500
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kopp?


Jella Teuchner (SPD):
Rede ID: ID1414621600
Nein, das möchte ich nicht.
Meine Redezeit ist gleich zu Ende.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414621700
Die Uhr wird ange-
halten, wenn Sie die Frage zulassen.


Jella Teuchner (SPD):
Rede ID: ID1414621800
Ich weiß, aber ich möchte es
trotzdem nicht.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie wollen wohl auch zum Empfang?)


– Möchten Sie mich begleiten, Herr Hinsken?
Die Breite der getesteten Produktpalette unter Einbe-

ziehung der mittelständischen Hersteller ist eines der po-
sitiven Markenzeichen der Stiftung. Wir sollten also bei
den jetzt anstehenden Beratungen mit diesem Thema sehr
sorgfältig umgehen und noch einmal über die Vorgehens-
weise und den Antrag diskutieren. Ich denke, oberflächli-
che Rechnungen und Zahlen wie in Ihrem Antrag werden
der Stiftung Warentest nicht gerecht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414621900
Jetzt erteile ich der
Kollegin Vera Lengsfeld für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.


Vera Wollenberger (CDU):
Rede ID: ID1414622000
Frau Präsidentin!
Meine Kolleginnen und Kollegen! Die einzige Konstante
der Regierung Schröder ist, dass man sich auf nichts ver-
lassen kann. Wie wir es gerade erlebt haben, kann man
sich noch nicht einmal darauf verlassen, dass sich der
frisch gebackene Staatssekretär bemüht, rechtzeitig zur
Debatte zu erscheinen, weil er damit beschäftigt ist, im
Parlamentsrestaurant „Kollegen-Bashing“ zu betreiben.
Aber dafür haben wir natürlich größtes Verständnis.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414622100
Frau Kollegin, der
Herr Staatssekretär hat mir erzählt, es gehe ihm nicht gut.
Er komme direkt von der Ärztin des Bundestages zu uns
ins Plenum.


Vera Wollenberger (CDU):
Rede ID: ID1414622200
Da hat der Herr Staats-
sekretär leider nicht die Wahrheit gesagt, weil ich ihn im




Jella Teuchner
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Parlamentsrestaurant gesehen habe. Er wird es sicherlich
nicht wagen, dies zu bestreiten.


(Jella Teuchner [SPD]: Ist das läppisch! – Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist echt peinlich!)


– Entschuldigen Sie bitte. Das war so.
Um wieder zum Thema zu kommen: Wir haben ein

Verbraucherministerium bekommen, das mit einer neuen
Ministerin bestückt ist, aber die entscheidende Frage, wie
es mit der Verbraucherpolitik weitergeht, ist damit nicht
beantwortet. Um wenigstens die Stiftung Warentest vor
der Willkür der schröderschen Kabinettstückchen zu be-
wahren, unterstützen wir den Antrag der F.D.P.

Die Stiftung Warentest sollte – von der Bundesregie-
rung mit dem nötigen Stiftungskapital von 100 Milli-
onen DM ausgestattet – in die Selbstständigkeit entlassen
werden. Sie soll von der Bundesregierung in die Lage ver-
setzt werden, das nötige Stiftungskapital aufzubauen und
damit eigenverantwortlich umzugehen.

Die Stiftung Warentest wurde 1964 vom Deutschen
Bundestag gegründet. Ihre Aufgabe ist es, dem Verbrau-
cher bei der Auswahl von Waren und Dienstleistungen
eine Orientierungshilfe an die Hand zu geben. Sie arbei-
tet seitdem in hohem Maße verlässlich und in guter Qua-
lität.

Jährlich testet die Stiftung über 2 000 Produkte aus
dem Konsumgüterbereich und führt 80 Dienstleistungs-
tests hauptsächlich in den Bereichen Privatfinanzen, Ver-
sicherungen, öffentliche Dienstleistungen, Gesundheit,
Freizeit und Reisen durch. In den 35 Jahren ihres Beste-
hens hat die Stiftung Warentest zu einer Steigerung der
Produktqualität beigetragen.

Ihre Arbeit finanziert die Stiftung überwiegend durch
die Einnahmen aus Publikationen, insbesondere der Zeit-
schriften „Test“ und „Finanz-Test“. 1999 verfügte die
Stiftung über Gesamteinnahmen in Höhe von 102,6 Mil-
lionen DM, von denen 84,5 Millionen DM, also der
Löwenanteil, aus den Verkaufserlösen der Zeitschriften
und anderer Publikationen stammten.

In der Satzung der Stiftung ist ein Anzeigenverbot für
Publikationen verankert. Das ist vor allen Dingen deshalb
geschehen, um die finanzielle Einflussnahme von Anbie-
tern von vornherein auszuschließen und der Stiftung ihre
Unabhängigkeit zu bewahren. Zum Ausgleich dafür erhält
sie Zuwendungen des Bundesfinanzministeriums. Die
Stiftung untersteht außerdem der Kontrolle durch den
Verwaltungsrat, der von der Bundesregierung berufen
wird. Dieser steht ihr auch beratend zur Seite.

Die Stiftung Warentest ist also auf Zuwendungen der
Bundesregierung angewiesen. Mitte Juli 2000 hatte das
Bundeswirtschaftsministerium allerdings bekannt gege-
ben, dass der Zuschuss des Bundes für die Stiftung von
13 Millionen DM im Jahre 2000 auf 8 Millionen DM im
Jahre 2001 gekürzt werden soll. Das wollte eine Bundes-
regierung machen, die den Verbraucherschutz als eines ih-
rer zentralen Themen bezeichnet. Das möchte ich hier be-
tonen. Ich stelle fest, dass zwischen dieser Entscheidung

und der vollmundigen Behauptung ein gewisser Wider-
spruch besteht;


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


denn die geplante Kürzung um 5 Millionen DM hätte die
Stiftung in ihrer Existenz bedroht. Die Ankündigung im
Juli 2000 war viel zu kurzfristig, die meisten Prüfberichte
für das nächste Jahr waren schon in Auftrag gegeben. Die
Tests sind zudem teurer als bei der Konkurrenz, weil mehr
Kriterien geprüft werden, wie etwa die Umweltverträg-
lichkeit der Produkte. Schon 1999 musste bei der Durch-
führung von Tests drastisch gespart werden, um ein aus-
geglicheneres Ergebnis zu erzielen. Weitere Kürzungen
wären an die Substanz gegangen.

Die CDU hat deshalb von Anfang an vehement die
Sparpläne der Bundesregierung bekämpft.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht richtig aktiv!)


– Doch. Wir haben auch Erfolg gehabt, denn die Ent-
scheidung ist revidiert worden.


(Jella Teuchner [SPD]: Das war noch zu der Zeit, als Sie bei den Grünen waren!)


– Die Entscheidung ist erst jetzt für dieses Jahr revidiert
worden. Statt der angekündigten 8 Millionen DM hat die
Stiftung 10 Millionen DM bekommen.


(Jella Teuchner [SPD]: Das ist aber kein Erfolg der CDU!)


Das wissen Sie doch. Das hat überhaupt nichts mit meiner
Parteizugehörigkeit zu tun, sondern war eher das Ergeb-
nis der berechtigten Entrüstung über diese Entscheidung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es ist gleichzeitig aber angekündigt worden, dass die

Zuwendungen für das nächste Jahr – also für das
Jahr 2002 – wieder auf 8 Millionen DM reduziert werden.
Das wird die Stiftung in Schwierigkeiten bringen. Des-
halb sind wir ganz entschieden der Meinung, dass diese
Unsicherheit ein Ende haben muss. Die Stiftung benötigt
eine solide Basis und die Unabhängigkeit von den Stim-
mungen in der Regierung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Deshalb unterstützen wir nachdrücklich die Forderung
der F.D.P., die Stiftung unabhängig zu machen. Der Weg,
wie das geschehen kann, ist hier schon beschrieben wor-
den; ich kann mir Ausführungen darüber sparen.

Zum Abschluss möchte ich noch einen Punkt anspre-
chen. Statt zu handeln und mit Taten zu beweisen, dass ihr
der Verbraucherschutz wirklich am Herzen liegt, fährt die
Regierung die bekannte Doppelstrategie:


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann nur jemand sagen, der nicht aufpasst!)


Sie gibt vollmundige Versprechen in hochemotionalisierten
Debatten, denen hektischer Aktionismus folgt. Bund und
Länder planen und berufen zurzeit eine Fülle neuer Beauf-
tragter und Verantwortlicher für den Verbraucherschutz,
um dem öffentlichen Erwartungsdruck zu genügen.




Vera Lengsfeld

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Von einem Bundesamt fürVerbraucherschutz ist be-
reits die Rede. Es drohen ein Wirrwarr an Kompetenzen
und ein Mangel an Koordination. Was wir brauchen, sind
keine neuen Schnellschüsse vom Bund, sondern eine rich-
tige und genaue Analyse, wo genau die Schwachstellen
liegen und wie man eine bessere Kompetenzabgrenzung
von EU, Bund und Ländern hinbekommt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir brauchen keine neuen Behörden, sondern Transpa-
renz und Kontrolle.

Ministerin Künast verspricht nun einen vorsorgenden
Verbraucherschutz. Das hört sich in der Debatte über BSE
mit den verängstigten Gemütern gut an, aber was ist denn
eigentlich damit gemeint? Das Wort suggeriert, es gebe
die Möglichkeit, alle Risiken des Lebens auszuschalten.
Das ist falsch. Wer nur auf staatlich verordnete Sicherheit
setzt, entmündigt sich selbst. Der anonyme Verbraucher
wird so zum Gegenstück des mündigen Bürgers.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lange wisst ihr das schon?)


Wenn Verbraucherschutz eine Flut von neuen Regle-
mentierungen bedeutet, wird er sich wie Mehltau über das
Land legen. Ob neue Reglementierungen am Ende wirk-
lich mehr Schutz bieten, ist sowieso fraglich. Schon jetzt
sind die vielfachen Regelungen kaum noch zu übersehen.
Die Umsetzung des Europäischen Weißbuches für Le-
bensmittelsicherheit zum Beispiel ist kaum praktikabel.
Was nützen immer neue Gesetze, wenn der Gesetzes-
dschungel so unübersichtlich wird, dass sich jeder darin
verirrt oder wenn über die vielen neuen Verordnungen die
einfachsten Grundregeln vergessen werden?

Mindestens seit 1923 ist bekannt, dass man Wieder-
käuern kein Tiermehl füttern darf, da sie sonst – wie es da-
mals auf einem Kongress hieß – irre werden.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was habt ihr dagegen getan?)


Seit Jahren ist bekannt, dass die Verfütterung von Anti-
biotika an Schlachttiere schädliche Folgen beim Men-
schen hat. Wenn wider besseres Wissen trotzdem Tier-
mehl an Wiederkäuer und Antibiotika an Schlachtvieh
verfüttert werden, kann das durch keine Vorsorge, son-
dern nur durch wirksame Kontrollen verhindert werden.

Wir brauchen auf Bundesebene gemeinsame Stan-
dards, die auch in den Ländern durchgesetzt werden, um
die unterschiedliche Kontrollpraxis zu beenden. Nachge-
ordnete Behörden eines Ministeriums sind nie gegen po-
litische Einflussnahme gefeit und deshalb brauchen wir
eine wirklich unabhängige Lobby der Verbraucher. Die
Stiftung Warentest ist eine gute Hilfe für die Bürger, wenn
es darum geht, eine Kaufentscheidung zu treffen. Wir
brauchen dieses Institut und ähnliche unabhängige Insti-
tute als Orientierungshilfe in der unübersichtlichen Kon-
sumwelt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414622300
Ich erteile der Kolle-
gin Ulrike Höfken vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414622400
Sehr
geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und
Kollegen! Es ist notwendig, den Verbraucherschutz
durch jede Fraktion, jede Partei und jede Institution zu un-
terstützen. Das gilt für die F.D.P. genauso wie für die
CDU. Es wäre aber schön, Frau Lengsfeld, wenn man Sie
beim Kämpfen auch mal sehen würde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Ich will zu dem neuen Schwerpunkt Verbraucherpoli-
tik einführend etwas sagen: Es ist ein entscheidender
Schritt, dass sich die Bundesregierung dazu entschlossen
hat, der Verbraucherpolitik und dem Verbraucherschutz
die höchste Priorität einzuräumen. Das gilt natürlich quer
durch alle Bereiche. Wichtig sind: Vorsorge statt Repara-
tur, Verbraucherinteressen mit betriebswirtschaftlichen
Interessen gleichsetzen, Verursacherprinzip verankern,
Transparenz schaffen – das bedeutet nicht nur Preisver-
gleich wie früher, sondern auch Einbeziehung von Qua-
lität, Eigenschaften und innerer Werte bei Waren und
Dienstleistungen – und Technikfolgenabschätzungen.

Ich denke, diese strukturellen Ansprüche verwirkli-
chen sich nun erstmals in der Politik und der Geschichte
der Bundesrepublik, nämlich in einem Ministerium für
Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft.


(Beifall der Abg. Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Ebenso wird es zu einer Neuorganisation der nachgeord-
neten Behörden kommen. Das bedeutet keine Schaffung
neuer Behörden, sondern Effizienzsteigerung, Zusam-
menfassung und Verbesserung der Koordination, auch mit
den Ländern.

Es gibt auch eine Reihe von anderen Vorschlägen, die
die Verbraucherorganisationen seit vielen Jahren vor-
bringen. Unter anderem wird gefordert, Einfluss des Ver-
braucherschutzes und Kontrollrechte in allen Bereichen
wirksam zu verankern, wie beispielsweise in der Wirt-
schaftspolitik oder in der Finanzpolitik. Es wird ein Veto-
recht für die Vertreterinnen und Vertreter des Verbraucher-
schutzes und die zuständige Ministerin sowie eine
Berücksichtigung der Verbraucherinteressen bei Geset-
zesberatungen gefordert. Wir werden über all dies zu spre-
chen haben.

Beispiele sind natürlich in mancherlei Hinsicht vor-
handen. Ein Ministerium für Verbraucherschutz kann sich
nicht allein den Dingen zuwenden, die mit Lebensmitteln
und Ernährung zu tun haben, sondern muss sich genauso
den Fragen zu Gewinnspielen, Finanzdienstleistungen
oder Pestiziden und Holzschutzmitteln widmen. Dies
wird es auch tun.

Wir brauchen auch ökonomische Instrumente. Ein Bei-
spiel ist, die Produzentenhaftung zu verstärken. Es geht
aber auch um eine Auseinandersetzung mit der Forderung
nach Abschöpfung der Unrechtsgewinne oder mit der
Umsteuerung der Agrarsubventionen, wie wir sie derzeit
diskutieren.




Vera Lengsfeld
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Natürlich gehört dazu auch die Finanzierung. Dies
gehört mit in diese Debatte, obwohl ich ansonsten die
Überschrift des Antrages nicht verstehe. Wir, die verbrau-
cherschutzpolitischen Sprecherinnen der SPD und der
Grünen, haben uns bemüht, gemeinsam mit den Spreche-
rinnen und Sprechern der anderen Fraktionen zu einer
Verbesserung der Finanzierung des Verbraucherschutzes
zu kommen. Ich möchte aber noch einmal leise darauf
hinweisen, dass doch weiß Gott unter der alten Bundesre-
gierung alle verbraucherschutzrelevanten Haushaltstitel
reduziert worden sind. Es wurde ein Einschnitt gemacht.


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Nein, 13 Millionen DM waren es!)


Es gab keine institutionelle Förderung mehr, sondern nur
noch eine Projektförderung. Damit ist beispielsweise die
Arbeit der Verbraucherzentralen ganz erheblich einge-
schränkt worden. Wir haben bis heute nur eine Projektför-
derung und müssen uns bemühen, hier andere Möglich-
keiten der Finanzierung zu schaffen und gegen den Trend
anzugehen, der schon vor einigen Jahren begonnen hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie haben Recht, die Stiftung Warentest war in der Dis-
kussion. Ich freue mich über die breite Unterstützung des
Hauses und der Bundesregierung in diesem Fall. 11 Mil-
lionen DM sind sicherlich eine Basis, auf der die Stiftung
Warentest ganz gut arbeiten kann.

Was ich aber erstens nicht verstehe, ist das Wort „Un-
abhängigkeit“ in Ihrem Antrag. Ich sehe auch nicht, wie
sie gewährleistet sein soll, weil Sie die Stiftung mit der
von Ihnen vorgeschlagenen Finanzausstattung noch stär-
ker auf Sparflamme setzen und sie wiederum von der
Bundesregierung abhängig machen. Das kann ich nicht
nachvollziehen. Frau Teuchner hat bereits die Berechnun-
gen erwähnt: Man bräuchte mindestens 170 Millio-
nen DM und keineswegs nur 100 Millionen DM, um eine
solche einmalige bzw. über fünf Jahre verteilte Finanzie-
rung hinzubekommen.

Zweitens frage ich mich, was Sie eigentlich damit mei-
nen, die Stiftung solle am Markt agieren. Die Stiftung
Warentest hat am Markt agiert. Sie hat alle sich ihr bie-
tenden Möglichkeiten wahrgenommen, zum Beispiel vor
kurzem mit der recht moderaten Erhöhung des Bezugs-
preises ihres Heftes. Ein ganz wichtiger Bestandteil ihrer
Unabhängigkeit sollte bleiben, dass die Stiftung Waren-
test Anzeigen gewerblicher Unternehmen oder Vereini-
gungen weder entgeltlich noch unentgeltlich veröffentli-
chen darf. Ansonsten kann sie sehr gut am Markt agieren.

Da die Idee der Finanzausstattung der Stiftung grund-
sätzlich nicht schlecht ist, sollte man sich interfraktionell
zusammensetzen und weiter über eine solche Möglichkeit
sprechen, sobald die Prüfung abgeschlossen ist.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414622500
Jetzt hat der Kollege
Rolf Kutzmutz, PDS-Fraktion, das Wort.


Rolf Kutzmutz (PDS):
Rede ID: ID1414622600
Verehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte etwas vor-
weg sagen, weil Frau Lengsfeld die Tiermehlverfütterung
angesprochen hat. Ich habe Sie so verstanden, dass Sie
sagten, das Jahr 2000 sei unmittelbar auf das Jahr 1923
gefolgt. Das halte ich zumindest rechnerisch für sehr ge-
fährlich.


(Heiterkeit und Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dazwischen lagen ja einige Jahre, in denen Tiermehl un-
ter ganz anderen Regierungen in Deutschland verfüttert
worden ist.


(Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Ich habe nur gesagt, dass das Problem schon 1923 bekannt war!)


Es stimmt: Verbraucherschutz ist in aller Munde.
Jetzt wird entschieden, ob Verbraucher nachhaltig ge-
schützt oder verschaukelt werden. Die erste Frage im Hin-
blick auf den Antrag ist also, ob der Inhalt hält, was die
Verpackung verspricht. Ich käme nie auf die Idee, Frau
Kollegin Kopp – Sie kennen mich lange genug –, Ihnen
und der F.D.P. zu unterstellen, dass Sie den Verbraucher-
schutz aushöhlen wollten. Dazu haben wir viel zu ernst-
haft gemeinsam gestritten.

Als Sie Mitte Oktober letzten Jahres, also mitten in den
Haushaltsberatungen, in denen massive Kürzungsdrohun-
gen im Raum standen, Ihren Antrag beschlossen haben,
hielt ich ihn für sinnvoll, um Druck auszuüben. Die Über-
schrift „Stiftung Warentest in die Unabhängigkeit entlas-
sen“ entsprach aber damals wie heute nicht dem Inhalt des
Antrages und auch nicht dem, was mit ihm erreicht wer-
den könnte.

Dass Sie diesen Antrag ausgerechnet jetzt, da über
BSE, Schweine-Antibiotika und viele andere Dinge dis-
kutiert wird, auf die Tagesordnung setzen und ihn nicht
still und leise beerdigen, was ich mir gewünscht hätte


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Was?)

– ja, dazu sage ich gleich etwas –, wirft eine ernste Frage
auf: Steht Liberalisierung wirklich über dem möglichen
und notwendigen Schutz von 80 Millionen Verbrauche-
rinnen und Verbrauchern?

Dabei – das will ich auch sagen – ist die Idee, die Stif-
tung durch einen Kapitalstock vom Wohlwollen des je-
weiligen Bundesfinanzministers unabhängig zu machen,
grundsätzlich ehrenwert. Wir haben beispielsweise mit
der Wirtschaftsförderung über das ERP-Sondervermögen
keine schlechten Erfahrungen gemacht.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414622700
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kopp?


Rolf Kutzmutz (PDS):
Rede ID: ID1414622800
Ja.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414622900
Bitte sehr.




Ulrike Höfken

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Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1414623000
Herr Kollege Kutzmutz, ge-
stehen Sie uns Liberalen zu, dass das Anliegen im Okto-
ber und heute noch viel mehr äußerst ernst war bzw. ist?
Wir kümmern uns im Augenblick fast ausschließlich um
die BSE-Krise und deren Bewältigung, was richtig ist,
aber Verbraucherschutz ist eben sehr umfassend. Deshalb
die Frage an Sie: Dieses Anliegen, die Stiftung Warentest
in die Unabhängigkeit zu entlassen, ist in Zusammenhang
damit zu sehen, dass wir möchten, dass die Stiftung ihre
qualitativ hochwertige Arbeit uneingeschränkt weiterfüh-
ren kann, ohne Jahr für Jahr von weiteren Finanzkürzun-
gen bedroht zu werden. Vielmehr soll sie in die Lage ver-
setzt werden, einen Kapitalstock aufzubauen. Sie soll in
der Zwischenzeit weiterhin die Zuschüsse in Höhe von
11 Millionen DM erhalten, sodass sie ihre Arbeit danach
aus eigenen Kräften auf der Basis, die sie derzeit nicht hat,
und unabhängig von jeder Regierung, von jedem Finanz-
minister oder von jedem, der gerade zuständig ist, aus-
führen kann. Sind Sie bereit, das so anzuerkennen?


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen Sie besser rechnen!)



Rolf Kutzmutz (PDS):
Rede ID: ID1414623100
Liebe Kollegin, ich erkenne
vieles von dem an, was Sie sagen. Ich erkenne auch Ihren
liberalen Anspruch an und – das habe ich in meiner Ein-
leitung gleich betont – ich würde Ihnen nie unterstellen,
dass Sie den Verbraucherschutz sozusagen der Liberali-
sierung opfern wollen. Aber – das sage ich noch einmal
ausdrücklich – die Gefahr besteht. Ich denke, die Stiftung
Warentest wird die Unabhängigkeit, von der Sie sugge-
rieren, dass sie erreicht werden könne, mithilfe der Mittel,
die Sie aufbringen wollen, niemals erreichen.

Ich sage auch noch etwas zu den Zahlen, Frau Kopp,
weil ich mich dafür interessiert habe, wie die Verhältnisse
im gesamten Wirtschaftsbereich aussehen. Ich werde Sie
nicht überzeugen, das weiß ich. Sie haben Ihren Antrag ja
mit gutem Herzen und mit viel Überzeugung geschrieben.


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Durchgerechnet!)

Ich will aber zumindest auf einige Punkte aufmerksam
machen, die wir gemeinsam in den Ausschussberatungen
beachten sollten. Ich komme noch darauf zurück.

Wir haben also gute Erfahrungen in Zusammenhang
mit dem ERP-Sondervermögen gemacht; da gibt es einen
Kapitalstock.Aber ich sage auch: Kein Mensch käme da-
rauf, diesen Kapitalstock jedes Jahr durch Substanzver-
zehr aufzubrauchen. Jeder, auch wir, achtet darauf, dass
dieser Kapitalstock erhalten bleibt.

100 Millionen DM für die Stiftung sind, gelinde ge-
sagt, ein schlechter Witz. Selbst wenn man die eigenen
Rücklagen berücksichtigt, könnten bei einem solchen Ka-
pitalstock und ohne Gefahr zu laufen, die Substanz anzu-
greifen, jährlich maximal 6,5 bis 7 Millionen DM aufge-
bracht werden; immerhin waren im Vorjahreshaushalt der
Bundesregierung trotz der von uns gemeinsam erfolg-
reich bekämpften Kürzungspläne der Bundesregierung
noch 8 Millionen DM eingestellt. Jetzt sind im Haushalt
11 Millionen DM eingestellt.

Sie begründen Ihren Antrag damit, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der F.D.P., dass es seit 13 Jahren Zu-
schüsse in unveränderter Höhe gegeben hat. Das hätte man
gutwillig durchaus als Selbstkritik durchgehen lassen kön-
nen. Schließlich hat Ihre Partei in elf dieser 13 Jahre den
Bundeswirtschaftsminister gestellt. Nicht einmal der In-
flationsausgleich ist beim Verbraucherschutz jedes Jahr
beachtet worden. Die erneuten Kürzungspläne jetzt zum
Anlass zu nehmen, den Bundeszuschuss faktisch zu hal-
bieren, halte ich für ein starkes Stück.


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Das stimmt nicht!)

Dem Ganzen setzt jedoch Ihre Forderung die Krone auf

– jetzt komme ich zu Ihrem Punkt –, der Bund solle sich
komplett aus der Stiftung zurückziehen. Sie nennen das:
Entlassung in die Unabhängigkeit. Glauben Sie wirklich
ernsthaft, dass in der Marktwirtschaft mit den Erkennt-
nissen, die auch Sie haben, dem Rückzug des Bundes
nicht der Einzug ganz anderer Firmen und Leute folgen
würde?


(Beifall bei der PDS – Gudrun Kopp [F.D.P.]: Nein! Schauen Sie einmal in die Satzung!)


Meinen Sie wirklich, Verbraucherschützer ohne öffent-
liche Hand im Rücken blieben unabhängig, wenn sie mit
ihrem 100-Millionen-DM-Etat einen Bereich kontrollie-
ren und bewerten, in dem jährlich 60 Milliarden DM für
Werbung eingesetzt werden?


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Die Satzung verbietet das doch!)


Bei 60 Milliarden DM wollen Sie mit 6 Millionen, 8 Mil-
lionen oder 10 Millionen DM etwas kontrollieren?
140 Millionen DM stehen beispielsweise der Centralen
Marketinggesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft zur
Verfügung – jene CMA, die derzeitig auf allen Plakat-
wänden Spitzenköche zur Fahndung ausschreibt. Ich
glaube nicht, dass der Antrag geeignet ist, die Sache des
Verbraucherschutzes wirklich voranzubringen.

Ich bitte Sie herzlich, dass wir in den Ausschüssen
– dorthin wird der Antrag überwiesen – ganz ernsthaft dis-
kutieren. Vielleicht kann der Antrag ergänzt werden. In
der jetzt vorliegenden Form können wir ihm aber nicht zu-
stimmen.

Ich möchte mit meiner letzten Bemerkung dem Herrn
Staatssekretär sagen: Wenn Sie es mit dem Verbraucher-
schutz ernst meinen, dann können Sie mit unserer Unter-
stützung rechnen. Wir müssen noch darüber streiten, wel-
ches die wirksamste Form ist. Transparenz wird nicht
alleine dadurch gesichert, dass sich der Staat zurückzieht.
Es gibt auch in der freien Wirtschaft genügend schwarze
Schafe.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414623200
Ich erteile der Kolle-
gin Dr. Margrit Wetzel, SPD-Fraktion, das Wort.


Dr. Margrit Wetzel (SPD):
Rede ID: ID1414623300
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Frau Kopp, ich will Ihnen






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durchaus zugestehen, dass Ihr Antrag mit Sicherheit gut
gemeint ist. Aber Sie konnten schon den Ausführungen
meiner Vorredner entnehmen, dass er in der Sache völlig
daneben gerutscht ist.

Der erste Ausrutscher – darauf haben schon mehrere
Redner hingewiesen – ist der Begriff „in die Unabhängig-
keit entlassen“. Dieser Begriff suggeriert schlicht und ein-
fach, dass es jetzt eine Abhängigkeit gibt.


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Genau!)

Aber genau die absolute Unabhängigkeit der Stiftung
Warentest ist es, die ihre Anerkennung bei den Verbrau-
cherinnen und Verbrauchern, aber auch bei den Produ-
zenten ausmacht, die sich den kritischen Untersuchungen
stellen. Die absolute Neutralität macht die Einzigar-
tigkeit der Stiftung Warentest aus.


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Eben! Es soll auch so bleiben!)


Genau diese Neutralität schafft Akzeptanz. Es ist über-
haupt keine Frage, dass wir diese erhalten wollen.

Der wichtigste Punkt für die äußerlich sichtbare Unab-
hängigkeit ist die Tatsache, dass die Stiftung Warentest
keine Anzeigenwerbung annimmt.


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Richtig!)

Genau das wollen wir nach wie vor unterstützen.


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Wir auch! Das ist doch völlig klar!)


Dass der Bund deshalb Ausgleichszahlungen leistet, ist in
der Vergangenheit völlig selbstverständlich gewesen.
Man wird sich darüber unterhalten müssen, ob diese
Regelung so bleiben kann oder ob sie geändert werden
muss. Wichtig aber ist, dieses äußere Zeichen der Unab-
hängigkeit zu erhalten.

Ich habe mir von der Stiftung bestätigen lassen, dass es
unter keiner Regierung und zu keiner Zeit, seit es die Stif-
tung gibt, in irgendeiner Form irgendeinen Versuch der
Einmischung in die Sacharbeit gegeben hat. Das heißt, die
Unabhängigkeit der Stiftung Warentest war und ist ge-
währleistet. Wenn wir nun aufgrund der Staatsverschul-
dung Einsparungen vornehmen müssen, dann liegt für je-
den, der Zuschüsse erhält, darin die Chance, die eigene
Wirtschaftlichkeit zu überprüfen und gegebenenfalls
Konsequenzen zu ziehen.


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Sie wollen doch eine Kürzung von 8 Millionen!)


Genau das hat die Stiftung gemacht: Sie hat Kosten ge-
senkt, Einnahmen erhöht und hat ihrerseits alles getan,
trotz der notwendigen Kürzung der Mittel die gleiche
Leistung und Qualität zu liefern. Ich denke, an dieser
Stelle gebührt der Stiftung Warentest ein ganz großes
Dankeschön, dass das erreicht worden ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414623400
Frau Kollegin, die
Kollegin Kopp möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.


Dr. Margrit Wetzel (SPD):
Rede ID: ID1414623500
Ich lasse die Zwi-
schenfrage nicht zu. Mir würde es zwar Spaß machen, da-
rauf zu antworten. Aber da sich Herr Koppelin eben bei
Frau Teuchner bedankt hat, dass sie mit Rücksicht auf die
Kollegen, die nachher noch reden, keine Zwischenfrage
zugelassen hat, möchte auch ich keine Zwischenfrage zu-
lassen. Diesen Dank möchte ich mir ebenfalls verdienen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr gut!)


Der nächste Punkt ist die angebliche Existenzbedro-
hung durch die Kürzung. Natürlich finden auch wir die
Kürzung nicht gut. Wir wollen versuchen, sie zu verhin-
dern. Aber daraus nun gleich eine Existenzbedrohung für
die Stiftung konstruieren zu wollen ist einfach absurd.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr richtig!)


Auch die Einnahmen aus Anzeigen können zurückgehen.
Es gibt immer Schwankungen, wenn man sich am Markt
behaupten will. Die Stiftung hat aber gezeigt, dass sie in
der Lage ist, auf Schwankungen sofort zu reagieren.

Wir sind in großer Sorge, dass die Stiftung die Prüfun-
gen einschränken muss, wenn ihr weniger Finanzmittel
zur Verfügung stehen. Die Einschränkungen könnten so-
wohl hinsichtlich der Tiefe – die Prüfungen würden also
nicht mehr so genau sein – als auch hinsichtlich der
Breite – es würden weniger Projekte in Angriff genom-
men werden – erfolgen. All das würde die Qualität beein-
trächtigen. Deswegen wollen wir keine Reduzierung der
Finanzmittel – im Gegenteil. Das ist eine ganz klare Aus-
sage.

Sie weisen in Ihrem Antrag kritisch darauf hin, dass
nun auch noch Verbraucherinformationen im Internet
angeboten werden sollen. Gott sei Dank gibt es diese Auf-
gabenausweitung.


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Dafür brauchen sie Geld!)


Gott sei Dank wird ein Markt erschlossen, der der Stiftung
eine weitere Verbreiterung ihres Angebots bringt und für
mehr Akzeptanz sorgen wird.


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Richtig und das kostet Geld!)


Diese sinnvollen Angebote spielen auch Erlöse ein. Wir
warten mit Spannung darauf, wie sich dieses Gebiet ent-
wickelt.

Hinzu kommt, dass jede Aufgabeneinschränkung kon-
traproduktiv wäre. Sie beklagen – das ist völlig absurd;
ich komme gleich darauf zurück – beispielsweise die Bil-
dungstests. Die Stiftung muss so viele Aufgaben überneh-
men, wie es nur möglich ist. Ich möchte an dieser Stelle
die Untersuchungen in Zusammenarbeit mit der EU-
Kommission über Verkehrsflughäfen oder – heute gab es
eine entsprechende Ticker-Meldung – die Untersuchun-
gen über Brandschutz und Sicherheit in europäischen
Bahnhöfe erwähnen. Das alles sind Dinge, mit denen sich
die Stiftung Warentest einen Namen macht. Es gilt, dieses
breite Aufgabenspektrum zu erhalten und die Stiftung
darin zu unterstützen.




Dr. Margrit Wetzel

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Deswegen halte ich es für einen großen Ausrutscher,
wenn Sie, wenn im Bildungsministerium überlegt wird,
mit der Stiftung zusammen Bildungstests zu entwickeln,
sagen, neue Aufgaben seien völlig unangebracht, und
wenn Sie das öffentlich ausschreiben lassen wollen.


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Bei dem wenigen Geld! Da müssen Sie mehr Geld zur Verfügung stellen!)


Ich halte das für völlig daneben. Wir haben eine öf-
fentliche Diskussion über die Qualität von Bildungsange-
boten, speziell von Bildungsangeboten im Internet; das ist
ein völlig neuer Markt. Wenn man da auf dem Know-how,
dem Wissen der Fachleute und der Infrastruktur der Stif-
tung Warentest aufbauen kann, ist das eine ganz hervorra-
gende Sache. Wir sollten alles tun, um zu unterstützen,
dass die Stiftung in diesen Aufgabenbereich hineinkom-
men kann. Dass dabei Vereinbarungen mit dem Ministe-
rium getroffen werden und auch die finanzielle Seite ab-
gesichert werden wird, ist doch völlig klar. Bisher hat die
Stiftung nie ehrenamtlich gearbeitet und das soll sie auch
in Zukunft nicht. Also wird das natürlich geklärt.

Ganz nebenbei gesagt, arbeitet die Stiftung schon bei
drei Projekten mit der Finanzierungshilfe des Bildungs-
ministeriums, gerade im Bereich Internet.

Ein letztes Wort zum Stiftungskapital; darauf sind
schon einige meiner Kolleginnen und Kollegen eingegan-
gen. Sie haben an dieser Stelle nichts anderes gemacht, als
auf einen fahrenden Zug aufzuspringen. Sie wissen ganz
genau, dass wir darüber diskutieren, die Stiftung mit dem
notwendigen Kapital auszustatten. Warum Sie uns nun al-
lerdings eine Ratenzahlung empfehlen, kann ich nicht
verstehen. Wir sind doch nicht im Versandhandel. Man
kann das also auch anders regeln.


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Unsachlich! Absolut daneben!)


– Es ist absolut absurd, auf der einen Seite mit Ratenzah-
lungen – –


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Dann machen Sie doch einen besseren Vorschlag!)


– Können Sie ein bisschen leiser dazwischenreden? Ich
habe noch anderthalb Minuten, die ich gerne nutzen
würde. Es ist sehr anstrengend, hier zu reden, wenn man
ständig Ihre Zwischenrufe im Ohr hat.


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Das ist einfach unsachlich!)


– Das ist nicht unsachlich, sondern es ist, wenn wir über
Stiftungskapital nachdenken, wichtig, dass wir von vorn-
herein die notwendige Höhe zur Verfügung stellen und
keine Ratenzahlungen vorsehen,


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Gern!)

sodass wir in den folgenden Jahren nicht ständig über wei-
tere Mittel, die jährlich dem Haushalt abgerungen werden
müssen, nachdenken müssen.

Wenn, machen wir eine vernünftige Sache. Den
Prüfauftrag gibt es. Die Haushälter, die Arbeitsgruppen

der Koalitionsfraktionen und auch das BMWi, das bisher
dafür zuständig war, prüfen das ausgesprochen wohlwol-
lend. Man kann das solide rechnen, indem man berück-
sichtigt, welche Rendite zu erzielen ist und welche Zu-
schüsse wir gezahlt haben. Wenn man davon ausgeht, dass
über Zinsen 10 Millionen DM zusammenkommen sollen,
können wir uns ausrechnen, dass das Stiftungskapital im
Moment irgendwo zwischen 140 und 170 Millionen DM
liegen müsste.

Wir werden intensiv darüber beraten müssen, ob wir
dieses Geld zur Verfügung stellen können, und wir wer-
den das in den Ausschüssen auch tun. Wir wissen alle,
dass wir uns in dieser Sache vollkommen einig sind: Wir
wollen absolute Sicherheit für die Stiftung.

An der Stelle noch ein Hinweis: Ihre Anregung, dass
die Rücklagen der Stiftung in Stiftungskapital umgewan-
delt werden sollen, ist eine reine Milchmädchenrechnung.
Sie können sich an fünf Fingern abzählen, dass die Ein-
nahmen, die von der Stiftung aus diesen Rücklagen er-
wirtschaftet werden, in die tägliche Arbeit einfließen und
die Zinsen insofern gar nicht als etwas, von dem man zeh-
ren kann, zur Verfügung stehen.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Genau!)


Deshalb bitte ich Sie, die Beratungen abzuwarten. Ihr
Antrag ist ja im Grundsatz nicht verkehrt, aber, wie ge-
sagt, an etlichen Stellen völlig daneben. Vor allem bitte
ich Sie, der neuen Ministerin Zeit zu lassen, damit sie sich
mit diesen Fragen in Ruhe auseinandersetzen kann. Denn
auch einer neuen Ministerin müssen wir eine Chance für
ganz seriöse Arbeit geben.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414623600
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Max Straubinger, CDU/CSU-Fraktion.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Straubing, Straubinger, am Straubingsten! – Heiterkeit)


Max Straubinger (CDU/CSU) (von der CDU/CSU mit
Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Verbraucherschutz, Verbraucherinformation
und Verbraucherpolitik sind häufig Schlagworte in der Öf-
fentlichkeit und sind aufgrund des erstmaligen Auftretens
von BSE jetzt noch weit stärker in die Öffentlichkeit gera-
ten. Das hat auch bei der Bundesregierung zu ersten Hand-
lungen geführt. Sie konzentriert die Verbraucherpolitik im
Landwirtschaftsministerium. Das tut zwar auch die Bayeri-
sche Staatsregierung, aber ich glaube, diese hat das Pro-
blem besser gelöst. Sie richtet ein eigenes Ministerium für
Verbraucherschutz und für Gesundheit ein.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wenn Frau Stamm rechtzeitig zurückgetreten wäre, wäre das nicht nötig gewesen!)





Dr. Margrit Wetzel
14362


(C)



(D)



(A)



(B)


– Nein, das hat mit Rücktritten überhaupt nichts zu tun.
Meines Erachtens ist vielmehr die Bewältigung der Krise
für die Menschen in unserem Land das Entscheidende.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Das hat Bayern auch nötig!)


– Wenn ich die aktuelle Situation und die Krisen – von
Schleswig-Holstein über Niedersachsen und andere Bun-
desländer – betrachte, stelle ich fest: Das ist im ganzen
Land nötig.

Verehrte Damen und Herren, ich glaube, dass es
grundsätzlich zu begrüßen ist, Verbraucherschutzfragen
zu bündeln, wobei dies natürlich schwierig ist, weil Ver-
braucherschutz eine Querschnittsaufgabe über viele Be-
reiche darstellt. Wir sollten durchaus auch danach fragen:
Was überhaupt ist Verbraucherschutz?

Zuerst möchte ich hier ausführen: Verbraucherschutz
darf nicht zur Bevormundung der Verbraucher führen.
Das, glaube ich, ist einer der wichtigsten Punkte. Viel-
mehr muss dem Verbraucher die höchstmögliche Sicher-
heit geboten werden, und zwar in folgenden Punkten.

Erstens. Gesetzliche Verpflichtungen in den Produkti-
onsverfahren müssen eingehalten werden; Einschränkun-
gen und erhöhte Verpflichtungen zum Schutz der Ver-
braucher müssen in den beteiligten Wirtschaftskreisen
ihre Berücksichtigung finden.

Zweitens. Der Verbraucher muss ausreichende In-
formationen erhalten und der Hersteller muss seinen Un-
terrichtungspflichten nachkommen, um Vor- und Nach-
teile abwägen zu können.

Drittens. Der Verbraucher muss durch ein Widerrufs-
recht vor Überrumpelungen geschützt werden.

Verehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, obwohl es in der Vergangenheit kein sehr po-
puläres Thema war, hat die alte Bundesregierung im Ver-
braucherschutz wesentliche Verbesserungen erreicht. Ich
erinnere gerade an gesetzliche Vorschriften und Änderun-
gen, vor allem an die Vorschriften des BGB zu Pauschal-
reisen, an das Verbraucherkreditgesetz, das Gesetz über
den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Ge-
schäften, an das Produkthaftungsgesetz und das Umwelt-
haftungsgesetz. Ich glaube, dies sind Gesetze, die auch
mit Blick auf den vorsorgenden Verbraucherschutz zu
verstehen sind.

Aufgrund des heutigen Antrages der F.D.P.-Fraktion,
die Stiftung Warentest in die Unabhängigkeit zu entlassen,
ist es durchaus angebracht, auch das bisherige Handeln der
rot-grünen Bundesregierung in den Fragen des Verbrau-
cherschutzes und den Stellenwert des Verbraucherschutzes
in ihrer Politik zu hinterfragen. Bisher gab es beim
Bundeswirtschaftsministerium zwei entsprechende Ein-
richtungen: einen interministeriellen Ausschuss für
Verbraucherfragen und einen Verbraucherbeirat. Beide
Einrichtungen haben seit dem Amtsantritt der rot-grünen
Bundesregierung nicht getagt bzw. sie wurden nicht beru-
fen. Ich glaube, dies wirft durchaus ein bezeichnendes
Licht auf den Stellenwert des Verbraucherschutzes in der
Vergangenheit. Ich hoffe, dass dies besser wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Der Verbraucherausschuss beim Bundeslandwirt-
schaftsministerium hat – man höre und staune – mittler-
weile sein 50-jähriges Bestehen gefeiert und ist schon fast
eine ehrwürdige Einrichtung. Aber auch er hat bisher lei-
der Gottes nur einmal getagt, nämlich am Rande der Grü-
nen Woche. Das bedeutet, dass gerade bei der rot-grünen
Bundesregierung in diesem Bereich durchaus Ver-
besserungen angesagt sind, und zeigt sehr deutlich, dass
mit dem Verbraucherschutz stiefmütterlich umgegangen
wurde.

Dieser Umstand setzt sich auch in der Haushaltspoli-
tik fort. Viele Vorrednerinnen und Vorredner sind bereits
darauf eingegangen, dass die Stiftung Warentest in der
Vergangenheit immer mit 13 Millionen DM aus dem
Bundeshaushalt unterstützt wurde, damit sie ihre selbst
gestellten Aufgaben, zum Beispiel die Produkttests und
die Darstellung der Ergebnisse, unabhängig und unpar-
teiisch durchführen konnte. Aufgrund des Vorschlages
des Bundeswirtschaftsministeriums bei den Haushaltsbe-
ratungen 2001 wurden nur noch 8 Millionen DM für die
Stiftung Warentest gewährt. Durch versammelten und
gestärkten Einsatz quer durch alle Fraktionen des Hohen
Hauses, des Parlaments, konnte zumindest eine Er-
höhung auf 11 Millionen DM erreicht werden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, ja, so war das!)

Aber es ist schon bezeichnend, wenn mit dem Zuwen-

dungsbescheid an die Stiftung Warentest – Frau Kopp hat
bereits darauf hingewiesen – gleichzeitig bedeutet
wurde, dass die Stiftung Warentest im Jahre 2002 mit nur
noch 8Millionen DM Unterstützung rechnen kann. Diese
Kürzungen schränken natürlich die Arbeit der Stiftung
Warentest drastisch ein.

Eine moderne Verbraucherpolitik bedeutet für mich
die Respektierung des Grundsatzes „Privatautonomie des
Einzelnen in einem wirtschaftlichen System mit hoher
Transparenz“. Der Verbraucherschutz soll keine Bevor-
mundung des Verbrauchers sein, sondern dem mündigen
Verbraucher gewährleisten, dass er über Kriterien, die für
seine Entscheidung maßgeblich sind, zutreffend und
vollständig informiert wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dies ist neben dem Schutz vor dem Überrumpeln des
Verbrauchers durch geschickte Verkaufstaktiken und ne-
ben der Kontrolle der Produktionstechniken die tragende
Säule des Verbraucherschutzes.

Die Stiftung Warentest liefert seit vielen Jahren Infor-
mationen und Testergebnisse, die viele Produkte umfas-
sen, und zwar nicht nur Verkaufsrenner, sondern auch Ni-
schenprodukte. Das ist besonders wichtig; denn gerade
Tests in diesem Bereich sind im Hinblick auf den Ver-
braucherschutz nützlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Angesichts der Kürzungsvorstellungen der Bundes-

regierung ist diese Arbeit gefährdet. Deshalb ist darauf
hinzuwirken, dass die Stiftung Warentest zukünftig von
politischer Unbill und vor allen Dingen von weiteren
finanziellen Kürzungseinschnitten verschont wird.




Max Straubinger

14363


(C)



(D)



(A)



(B)


Deshalb werden wir in den Ausschussberatungen den
Antrag der F.D.P. einer positiven Prüfung unterziehen.

Besten Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414623700
Herr Kollege, das war
im Hinblick auf die Ihnen zustehende Redezeit eine
Punktlandung.

Nun freuen wir uns auf den Vertreter der Bundesregie-
rung, auf den Parlamentarischen Staatssekretär Matthias
Berninger.

Ma
Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414623800
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Meine Freude ist nicht ganz so groß: Ich war so-
eben beim Arzt. Ich habe eine leichte Magen-Darm-
Grippe. Wenn ich hier also gleich weglaufe, dann liegt das
nicht am Thema.

Das neue Ministerium, in dem ich Parlamentarischer
Staatssekretär geworden bin, trägt den Namen „Bundes-
ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft“. Verbraucherschutz steht deshalb an erster
Stelle, weil die Bundesregierung dem vorsorgenden
Verbraucherschutz in den nächsten zwei Jahren ihrer
Arbeit ein besonderes Augenmerk widmen wird. Vor die-
sem Hintergrund ist auch die Stiftung Warentest für uns
ein sehr wichtiges Thema.

Frau Kollegin Kopp, ich bin Ihnen deshalb dankbar,
dass wir heute über einen Antrag bezüglich der Stiftung
Warentest diskutieren. Ich finde, wir sollten über die
Frage, wie eine solche Stiftung besser zu finanzieren
ist, keinen politischen Streit führen. Das ist für mich nur
eine Frage der Kalkulation. Wenn Sie Herrn Finanzminis-
ter Eichel überzeugen würden, uns beispielsweise
166,66 Millionen DM zur Verfügung zu stellen, dann
würden wir uns überlegen, ob wir die Stiftung Warentest
in Ihrem Sinne vollständig unabhängig machen. Wenn der
Herr Finanzminister diese Mittel nicht zur Verfügung stel-
len wird, werden wir um jährliche Zuwendungen für diese
Stiftung kämpfen.

Eines ist aber in jedem Fall klar: Wir wollen, dass die
Stiftung Warentest unabhängig ist, weil wir glauben, dass
der Verbraucherschutz ein Thema ist, das sich nicht zum
parteipolitischen Streit eignet, sondern alle Bürgerinnen
und Bürger gleichermaßen betrifft und daher überpartei-
lich sowie unabhängig zu betrachten ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Lassen Sie uns hier also nicht streiten und wenden Sie sich
an den Finanzminister!

Ich wäre auch für eine zweite Variante gerne zu haben:
Wenn er nicht bereit ist, in einem Jahr das nötige Stif-
tungskapital anzuhäufen, kann er dies gerne auch in fünf
Schritten tun. Dann bräuchten wir allerdings 189 Milli-
onen DM. Als ehemaliges Mitglied des Haushaltsaus-
schusses kann ich Ihnen dazu nur sagen: Ich wünsche Ih-

nen dabei viel Vergnügen. Ich vermute, das wird nicht
klappen.

Dennoch wird die Stiftung Warentest für uns eine ganz
wichtige Institution sein.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist kein Zufall, dass die Stiftung Warentest von allen
deutschen Institutionen die höchsten Sympathiewerte hat.
Diese Werte liegen höher als die des Parlamentes, die der
Bundesregierung und sogar die der katholischen Kirche.
Es ist kein Zufall, dass sie eine Art Leuchtturm unter den
deutschen Verbraucherorganisationen ist. Das wollen wir
für den vorsorgenden Verbraucherschutz nutzen. Denn ich
glaube, die Verbraucherinnen und Verbraucher brauchen
die Unterstützung der Stiftung Warentest.

Das Thema Nahrungsmittel beschäftigt zurzeit uns
alle. Die Bürgerinnen und Bürger sind besorgt, und das
völlig zu Recht. Vorhin wurde über den Tiermehlskandal
und über die in der Schweinemast verwendeten Antibio-
tika diskutiert. Lassen Sie mich gleich einmal klarstellen:
Je kleiner die Tiere sind, desto mehr Antibiotika bzw. Me-
dikamente erhalten sie. Der Zustand, den wir heute in der
Massentierhaltung haben, ist nur aufrechterhaltbar, wenn
man massenhaft Medikamente einsetzt.

Das alles sind Themen, denen sich die Stiftung Waren-
test weiterhin widmen kann. Das sind Themen, über die
die Verbraucherinnen und Verbraucher aufgeklärt werden
müssen. Ich mache mir allerdings nichts vor: Solche The-
men haben Konjunktur. Zurzeit reden alle über BSE. BSE
und die Diskussion darüber werden aber dieses Land und
die Landwirtschaft nur dann verändern, wenn die Ver-
braucherinnen und Verbraucher auf Dauer sensibilisiert
bleiben. Ich freue mich, dass sie es heute sind. Ich wün-
sche mir aber – und das wäre eine Unterstützung für die
Bundesregierung –, dass sie es auf Dauer bleiben, und um
daran erinnert zu werden, ist die Stiftung Warentest si-
cherlich eine wichtige Einrichtung.

Zwei erfolgreiche Publikationen gibt es: „Warentest“
und „Finanz-Test“. Am Beispiel der Zeitung „Finanz-
Test“ erkennen Sie, dass sich die Stiftung Warentest sehr
frühzeitig auf neue Felder konzentriert hat, wo die Ver-
braucher Dinge nachgefragt haben, übrigens weit vor der
Politik. In der Rentenpolitik ist über so etwas wie private
Altersvorsorge über Jahre nicht geredet worden. Die
Stiftung Warentest hatte ein besseres Gespür als die Poli-
tik sowohl der alten als auch der neuen Regierung dafür,
dass die Verbraucher hier ein Interesse haben.

Ich sehe es als eine Aufgabe des neuen Ministeriums,
die Rentenreform positiv zu begleiten und die Unsicher-
heit der Verbraucherinnen und Verbraucher hinsichtlich
der privaten Altersvorsorge möglichst gering werden zu
lassen, für Aufklärung zu sorgen und den Menschen, die
ihr Geld anlegen und im Alter dieses Geld auch haben
wollen, die nötige Sicherheit zu geben. Das ist ein ganz
wichtiges Thema für uns in den nächsten zwei Jahren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das Thema Bildungstest ist angesprochen worden. Es
gibt immer mehr Bildungsangebote, übrigens auch pri-




Max Straubinger
14364


(C)



(D)



(A)



(B)


vate Bildungsangebote, und die Qualität dieser Bildungs-
angebote ist für jemanden, der sie nachfragen will, nicht
auf den ersten Blick erkennbar. Auch hier wollen wir ei-
nen Akzent setzen. Es wird nur eines von vielen Themen
sein, wo wir Akzente setzen wollen; denn wir glauben,
dass in einer Gesellschaft, die lebenslang lernt, die Wei-
terbildung ein wichtiges Thema ist, dass die Eigenverant-
wortung zählt und wir die Menschen unterstützen sollten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich glaube, es gibt auch hier im Haus einen Konsens
darüber, dass Marktwirtschaft nur funktioniert, wenn
die Verbraucher faire Chancen haben. Es gibt viele Berei-
che – Ernährung ist ein Bereich, Kinderspielzeug ist mei-
ner Meinung nach ein ganz wichtiger Bereich –, wo vor
allem die Verbraucherinnen und Verbraucher, die nicht
viel Geld im Portemonnaie haben, keine fairen Chancen
haben. Es ist die Aufgabe der rot-grünen Koalition, dafür
zu sorgen, dass diese Chancen verbessert werden; denn
dann funktioniert auch die Marktwirtschaft besser.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414623900
Ich glaube, ich spre-
che in Ihrer aller Namen, wenn ich dem Herrn Kollegen
Berninger gute Besserung wünsche, damit er bald wieder
auf die Beine kommt.


(Beifall)

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstim-

mung. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/4284 auf die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Abweichend von der
Tagesordnung soll die Vorlage zunächst und federführend
an den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten überwiesen werden. – Heißt der Ausschuss noch
so? – Also, der heißt jetzt auch anders, also Überweisung
an den zuständigen Ausschuss. Damit sind Sie einver-
standen? – Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Brunhilde Irber, Iris Gleicke, Hermann Bachmaier,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD
sowie den Abgeordneten Sylvia Voß, Ekin
Deligöz, Christa Nickels, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnde-
rung des Gaststättengesetzes
– Drucksache 14/4937 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Damit sind
Sie einverstanden; dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe der Kollegin
Renate Gradistanac das Wort.


Renate Gradistanac (SPD):
Rede ID: ID1414624000
Frau Präsidentin! Werte
Kolleginnen und Kollegen! Wir wollten nicht alles anders
machen, sondern vieles besser. Heute Abend ist wieder
einmal Gelegenheit, das zu beweisen.


(Beifall bei der SPD)

– Danke für die Zustimmung.

In der letzten Legislaturperiode wurde das Gaststätten-
gesetz dahingehend geändert, dass alle Gastwirte mindes-
tens ein alkoholfreies Getränk anbieten müssen, das
nicht teurer sein darf als das preiswerteste alkoholhaltige
Getränk. Leider mussten wir feststellen, dass diese für den
Jugendschutz und auch für die Verkehrssicherheit wich-
tige Regelung in der Praxis – um es einmal vorsichtig aus-
zudrücken – zu Unklarheiten geführt hat und zum Teil leer
läuft.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Was?)

Nach wie vor ist der Konsum alkoholischer Getränke
günstiger als der alkoholfreier.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Nein, das stimmt nicht!)


Ich denke, wir können das alle hin und wieder in unseren
Wahlkreisen beobachten.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Nein, nein, nein! Das ist eine Unterstellung gegenüber dem Gaststättengewerbe!)


– Herr Hinsken, Sie werden doch da nicht auf einem Auge
blind sein.


(Zuruf von der CDU/CSU: Er trinkt Freibier, und das ist natürlich billiger als die alkoholfreien Getränke!)


Das haben die Überprüfungen von Gaststätten durch ver-
schiedene Verbraucherzentralen gezeigt.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist unerhört! Eine Unterstellung ist das!)


Dabei sind die Gaststätten vornehmlich dazu überge-
gangen – Herr Hinsken, es ist schon spannend, wie sie das
unterlaufen haben –, die Vorschrift formal nach Maßgabe
der Einzelverkaufspreise der Getränke zu erfüllen, hin-
sichtlich der Mengenpreise aber zu unterlaufen. Hinzu
kommt, dass dieses Vorgehen auch durch die Rechtspre-
chung bestätigt wurde.

Wir stellen nun klar, dass die vorgeschriebene Preisre-
lation auf der Grundlage des hochgerechneten Preises für
einen Liter der betreffenden Getränke zu gewährleisten
ist, sodass zumindest ein alkoholfreies Getränk sowohl
vom spezifischen als auch vom absoluten Preis her nicht
teurer sein darf als das billigste alkoholische Getränk.
Dies ist, so meinen wir, ein kleiner aber wichtiger Schritt,
um es gerade Jugendlichen, die mit ihrem Geld oft knapp
kalkulieren müssen, zu ermöglichen, ein alkoholfreies Er-
frischungsgetränk statt Bier zu wählen, das in Gaststätten
zumeist als billigstes Getränk angeboten wird. Soweit der
Inhalt der Gesetzesänderung – leicht zu verstehen.




Parl. Staatssekretär Matthias Berninger

14365


(C)



(D)



(A)



(B)


Lassen Sie mich als Mitglied im Ausschuss für Fami-
lie, Senioren, Frauen und Jugend und im Tourismusaus-
schuss zwei Punkte aufgreifen: die Eindämmung des Al-
koholkonsums, insbesondere bei Jugendlichen, und die
Erhöhung der Verkehrssicherheit. Wie allgemein be-
kannt – heute Nachmittag konnten wir es ja auch noch ein-
mal hören – gehört Deutschland leider zur europäischen
Spitzengruppe beim Alkoholkonsum. Das heutige Gesetz
kommt unserem, meinem Anspruch auf Suchtprävention
ein Stück näher.

Seit Anfang der 90er-Jahre ist der Anteil alkoholbe-
dingter Unfälle deutlich zurückgegangen. Erfreulicher-
weise gab es ein Umdenken bei den Verkehrsteilnehme-
rinnen und Verkehrsteilnehmern. Dennoch ist die Zahl der
Verkehrsopfer immer noch zu hoch. 14 Prozent aller Ver-
kehrstoten starben an den Folgen eines Alkoholunfalls; so
die Zahlen des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr
1999. Dabei fällt auf, dass sich die meisten Autounfälle an
den Wochenenden ereigneten. Noch deutlichere Unter-
schiede zeigten sich in der tageszeitlichen Verteilung:
Zwischen 18 Uhr abends und 4 Uhr morgens stieg der An-
teil der Unfälle mit Personenschaden, die auf Alkohol
zurückzuführen sind, auf 64 Prozent an. Nach Mitternacht
– hier liegt ein deutlicher Schwerpunkt – steigt er noch
stärker. Die Absenkung der Promillegrenze, heute im Ple-
num diskutiert, auf 0,5 Promille und die Änderung des
Gaststättengesetzes werden – so meine Erwartung – be-
stimmt zur Erhöhung der Verkehrssicherheit beitragen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Immer wieder höre ich aus uninformierten Kreisen
– dazu gehören die Mitglieder des Parlaments natürlich
nicht –, diese Gesetzesänderung verursache Kosten bei
den Gastwirten. Das stimmt nicht. Das Gesetz tritt mit der
Einführung des Euro am 1. Januar 2002 in Kraft. Die Ge-
tränkekarten müssen dann sowieso auf die neue Währung
umgestellt werden.

Meine Damen und Herren, nicht nur in der Politik, aber
da ganz besonders sollte gelten: Wenn wir Erkenntnisse
haben, dann besteht auch die Notwendigkeit zu handeln.
Denn wenn man den Kopf in den Sand steckt – so ein afri-
kanisches Sprichwort –, bleibt doch der Hintern – wir im
Schwarzwald sagen: das Ärschle – zu sehen.

Vielen Dank.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414624100
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Klaus Brähmig, CDU/CSU-Fraktion.


Klaus Brähmig (CDU):
Rede ID: ID1414624200
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! In der
heutigen Sitzung beraten wir in erster Lesung über den
Gesetzentwurf der Regierungskoalition zur Änderung des
Gaststättengesetzes. Als tourismuspolitischer Sprecher
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte ich die Frakti-

onsmitglieder von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD
dazu beglückwünschen, dass sie bereits zwei Jahre nach
der Regierungsübernahme die erste eigenständige touris-
muspolitische Initiative hier in den Bundestag einbringen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Anscheinend ist nicht nur der Aufbau Ost zur Chefsache
verkümmert.

Meine Damen, meine Herren, mit welcher wirklich
wichtigen Initiative beglücken Sie den Tourismusstandort
und das Gastgewerbe in Deutschland? Mit einer Gesetzes-
änderung im Gaststättengesetz, die vor allem für mehr Ju-
gendschutz und Verkehrssicherheit sorgen soll,


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wird sie auch!)


ein hehres Ziel, dem sich sicherlich alle verantwortlichen
Politiker zunächst einmal verpflichtet fühlen.Wer ist nicht
für den Schutz der Jugend und für die Erhöhung der
Verkehrssicherheit? Dennoch gehört es meines Erachtens
zur Pflicht eines Politikers, erst einmal zu prüfen, ob das
ihm vorgelegte Gesetz eine wirkliche Verbesserung ge-
genüber der jetzigen Situation darstellt und das vorgege-
bene Ziel auch wirklich damit erreicht werden kann.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir getan!)


Diese Frage habe ich mir auch in diesem Fall gestellt
und komme nach meinen Überlegungen zu folgendem
Schluss: In der letzten Legislaturperiode wurde ein-
vernehmlich zwischen allen Fraktionen das Gaststätten-
gesetz dahin gehend geändert, dass alle Gastwirte ein
alkoholfreies Getränk nicht teurer anbieten dürfen als das
billigste alkoholische Getränk in gleicher Menge. Nach
Einschätzung der Regierungskoalition ist nun aber nach
einem Beschluss des Amtsgerichts Überlingen vom
Juni 1997 eine Situation entstanden, die die Umgehung
dieser Regelung fördert. Denn das Amtsgericht erkannte
lediglich den absoluten Preis als Berechnungsgrundlage
an.


(Renate Gradistanac [SPD]: Wie ich schon sagte!)


Die Regierungskoalition fordert in dem heute vor-
liegenden Gesetzentwurf, dass der Preisvergleich in Zu-
kunft auf der Grundlage des hochgerechneten Preises für
einen Liter der betreffenden Getränke erfolgen soll. Die
Forderung der Regierungskoalition ins Hochdeutsche
übersetzt lautet also: Nach geltendem Recht ist beispiels-
weise folgende Preisgestaltung zulässig: In einer Gast-
stätte kosten 0,3 Liter Mineralwasser und 0,3 Liter Pils
jeweils 3 DM und 0,5 Liter Hefeweizen kosten 4,90 DM.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)

Ich wage zu bezweifeln, dass ein Jugendlicher gerade

deshalb zum Weizenbier greift, weil es hochgerechnet
einen geringfügig günstigeren Literpreis hat. Bei der Ge-
tränkewahl sind wohl eher individuelle Vorlieben und Ge-
schmacksfragen ausschlaggebende Faktoren.

Die gerade genannte Preisgestaltung wäre nach der
geplanten Änderung, liebe Frau Kollegin Gradistanac,




Renate Gradistanac
14366


(C)



(D)



(A)



(B)


nicht mehr zulässig. Entweder müsste der Gastwirt den
Preis für das Mineralwasser senken oder den Preis für das
Weizenbier anheben. Dies ist ein erneuter Eingriff in die
unternehmerische Freiheit,


(Zurufe von der SPD: Oh!)

kompliziert die Preisgestaltung und missachtet die be-
triebswirtschaftliche Kalkulationsgrundlage des Mengen-
rabatts für Getränke in größeren Darreichungsformen.

Weiterhin wird im Gesetzentwurf nicht spezifiziert
dargelegt, aus welchen Gründen gesetzgeberischer Hand-
lungsbedarf besteht. Ich frage Sie: Gibt es verlässliche
Untersuchungen darüber, in welchem Umfang Gaststät-
tenbetriebe tatsächlich unter Ausnutzung der Entschei-
dung des Amtsgerichts Überlingen alkoholische Getränke
in größeren Einheiten so günstig anbieten, dass Jugend-
liche allein aufgrund der Preisgestaltung Alkohol kon-
sumieren?

Liebe Kollegin, Sie sprachen vorhin von Verunfallten.
Es gibt überhaupt keinen Beweis, dass die Verunfallung
tatsächlich nach einem Besuch einer Gaststätte erfolgt ist.
Sie sind nur darauf eingegangen, dass der Unfall aufgrund
von Alkoholkonsum stattgefunden hat.


(Brunhilde Irber [SPD]: Das klingt aber jetzt gescheit!)


Oder liegen Ihnen Erkenntnisse vor, in welchem Um-
fang Gastronomen auf besonders selten nachgefragte
Getränke ausgewichen sind?

Der Gesetzentwurf wirft weitere Fragen auf: Welche
alkoholfreien Getränke sind jetzt beim Preisvergleich he-
ranzuziehen? Was ist denn ein attraktives, dem üblichen
Nachfrageverhalten angepasstes Getränk?


(Brunhilde Irber [SPD]: Cola!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihr Gesetzentwurf

berücksichtigt in keiner Weise regionale und betriebs-
typische Gesichtspunkte. In Diskotheken zum Beispiel
erfreuen sich alkoholfreie Getränke mit aufputschender
Wirkung, wie beispielsweise „Red Bull“, einer hohen
Nachfrage.


(Renate Gradistanac [SPD]: Ach ja? – Iris Gleicke [SPD]: Herr Brähmig, ich versuche Sie mir gerade mit Flügeln vorzustellen!)


Schließlich und endlich stellt sich die Frage: Was führt
junge Menschen zu der Entscheidung, Alkohol zu kon-
sumieren? Warum setzen alkoholisierte Jugendliche sich
und andere der Gefahr eines Verkehrsunfalls aus, wenn sie
noch aktiv am Straßenverkehr teilnehmen? Hier ist vor
wenigen Stunden über dieses Thema diskutiert worden.
Herr Schmidt, Ihren Beitrag habe ich mir sehr interessiert
angehört.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Deshalb senken wir die Promillegrenze!)


Ist es wirklich der von Ihnen angenommene ökonomi-
sche Druck durch das relative Preisniveau oder sind es
nicht vielmehr andere Faktoren, wie das Gruppenverhal-
ten von Jugendlichen oder deren Imponiergehabe?

Jugendliche haben heute zu jeder Tages- und Nachtzeit
über den Einzelhandel, Kioske und Tankstellen unkon-
trollierten Zugang zu Alkohol, und das zu ungleich güns-
tigeren Preisen als in Gaststätten und Diskotheken. Diese
Problematik würde auch Ihr Gesetzentwurf nicht lösen.

Wieder einmal zeigt sich in diesem Gesetzentwurf der
uneingeschränkte Glaube, der Staat müsse alle Lebens-
bereiche des Menschen bis ins Detail regeln.


(Brunhilde Irber [SPD]: Ach, komm!)

Warum machen Sie die Gastwirte verantwortlich für man-
gelnde Erziehung in den Familien, die Vermittlung
falscher Vorbilder und eine anscheinend nicht jugend-
gemäße Präventionspolitik?


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch!)


Warum wollen Sie Menschen aller Altersklassen noch
weiter aus ihrer Eigenverantwortung entlassen und den
Gastwirten eine Kontrollfunktion des Staates übertragen,
die sie nicht erfüllen können?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Jahre 2001, dem
Jahr des Tourismus, sieht die Union diesen Antrag als ein
nicht besonders geeignetes Signal; denn mit ihrem An-
liegen will die Regierungskoalition noch mehr Büro-
kratisierung und Regulierung.


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Tourismusstandort Deutschland und der Standort
Deutschland insgesamt braucht das Gegenteil. „Dere-
gulierung und Entbürokratisierung“ ist die Devise der Zeit.

Bei der augenblicklich überhitzten Diskussion über
BSE warte ich nur noch darauf, dass der Staat als Nächs-
tes gesetzlich festlegt, dass jedes Restaurant in Deutsch-
land gesetzlich verpflichtet wird, ein vegetarisches Ge-
richt anzubieten, und dies womöglich noch preiswerter als
das preiswerteste Gericht mit Fleisch.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tolle Idee! – Iris Gleicke [SPD]: Wir werden Ihren Vorschlag prüfen!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414624300
Herr Kollege Brähmig,
denken Sie bitte an Ihre Redezeit.


Klaus Brähmig (CDU):
Rede ID: ID1414624400
Ich bin gleich fertig. –
Dennoch werden wir als Fraktion uns eingehend mit
dieser Initiative beschäftigen. Die von Ihnen genannte Ar-
gumentationskette ist meines Erachtens kein eindeutiger
Beleg für die Notwendigkeit einer solchen Gesetzesän-
derung. Auf die Präzisierung Ihrer Argumentation in den
Ausschussberatungen sind wir sehr gespannt.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414624500
Das Wort hat jetzt
die Kollegin Sylvia Voß für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.




Klaus Brähmig

14367


(C)



(D)



(A)



(B)



Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414624600
Sehr
geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im
Jahre 1930 trat eine Bestimmung in Kraft, die Gastwirte
dazu verpflichtete, auch alkoholfreie Getränke anzubie-
ten. Erst 72 Jahre später, ab dem 1. Januar 2002, wird
Alkohol in Gaststätten tatsächlich nicht länger die finan-
ziell attraktivere Variante sein.

Wenn Jugendliche beispielsweise nach einem zünfti-
gen Schlittschuhlaufen noch irgendwo zusammensitzen,
etwas trinken und ein bisschen miteinander reden wollen,
so bietet sich der Besuch einer Gaststätte an. Frei nach
Wilhelm Busch: Da aber naht schon das Malheur:
Wasser? Cola? Bier? Likör?

Bei der Wahl der Getränke spielen immer mehrere
Überlegungen eine Rolle. Da alle einigermaßen stark
durchgefroren sind, erinnert sich mancher an die Sprüche
der Alten, dass Alkohol von innen wärme. Vom kräf-
tezehrenden Wettrennen sind die Jugendlichen natürlich
auch ungeheuer durstig. Aus der Werbung ist ihnen
bekannt, dass ein Glas kaltes Bier den Durst löscht. Da
Jugendliche in ihren Entscheidungen nicht unwesentlich
durch Gruppenzwang beeinflusst werden, kann auch der
Wunsch, cool, trendy und erwachsen zu wirken, die
Entscheidung für den Alkohol beeinflussen.

Auf diese Erwägungen haben wir mit einer Änderung
des Gaststättengesetzes natürlich keinen Einfluss. Hier
müssen wir auf das Verantwortungsbewusstsein von El-
tern und Medien vertrauen. Wir können und werden aber
einen anderen Faktor beseitigen und ausschließen.

Es ist einfach inakzeptabel und unverantwortlich, dass
sich Jugendliche angesichts ihrer meist doch knappen
Kassen quasi für ein alkoholisches Getränk entscheiden
müssen, weil es das preisgünstigste Angebot auf der
Getränkekarte ist. Eine Befragung von 7 604 Jugend-
lichen schon Anfang der 80er-Jahre ergab immerhin, dass
bei preiswerteren nicht alkoholischen Getränken je nach
Alter bis zu 24 Prozent der Jugendlichen auf den Konsum
von Alkohol in Gaststätten verzichten würden. Daran
knüpfen wir mit unserem Änderungsgesetz an.

Wir mussten feststellen, dass mit Appellen an das Gast-
gewerbe in dieser Frage wenig zu gewinnen war, auch
weil die einsichtigen Gastwirte – derer gab es eine ganze
Menge – Wettbewerbsnachteile in Kauf nehmen mussten.
Mit der gesetzlichen Regelung von 1994 sollten diese
Wettbewerbsnachteile eigentlich beseitigt werden. Die
neue Regelung, dass mindestens ein alkoholfreies
Getränk nicht teurer zu verabreichen ist als das billigste
alkoholische Getränk in gleicher Menge, sollte verhin-
dern, dass insbesondere jugendliche Gaststättenbesucher
ein alkoholisches Getränk bestellen, weil es billiger als
die angebotenen nichtalkoholischen Getränke ist, obwohl
sie eigentlich lieber ein alkoholfreies Getränk zu sich
nehmen würden.

Bei der gerichtlichen Auslegung des Gesetzes kam es
jedoch zu sinnwidrigen Interpretationen, indem nur reale
Ausschankmengen verglichen wurden, also 0,3 Liter Bier
mit 0,3 Liter Cola. Abgelehnt wurde beispielsweise ein
Vergleich mit dem nur in 0,5-Liter-Gläsern ausgeschenk-
ten Weizenbier. Somit brauchte der Wirt nur in Gläsern

der Größe, in denen er sein billigstes alkoholfreies
Getränk serviert, sein teuerstes Bier auszuschenken und
konnte dann sein billigeres Bier zu jedem beliebigen Preis
anbieten, sofern er nur nicht so unvorsichtig war, dafür
Gläser derselben Größe zu verwenden. Es kann aber nicht
sein, dass die Apfelschorle zwar günstiger ist als das Bier,
dass aber, wenn bei der Schorle nach 0,2 Litern der Boden
des Glases erreicht ist, das Bierglas immer noch halbvoll
oder – wie die Opposition jetzt sicher sagen würde – halb-
leer ist.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es besteht Handlungsbedarf. Mit dem vorliegenden
Änderungsgesetz wird gehandelt. Mit Art. 1 des Gesetz-
entwurfs zur Änderung des Gaststättengesetzes erreichen
wir, dass ab dem 1. Januar 2002 das alkoholfreie Getränk
auch dann günstiger bleibt, wenn der Preis auf einen Liter
hochgerechnet wird. Die größte Selbstverständlichkeit für
junge Menschen, sich in einer Gaststätte Saft oder Cola zu
bestellen, ohne sich damit gegenüber den Konsumenten
alkoholhaltiger Getränke finanziell schlechter zu stellen,
wird somit gesichert. Immerhin sollten wir dabei auch be-
denken, dass in Deutschland 5 Prozent der Jugendlichen
als alkoholgefährdet gelten. 1Million Kinder wachsen bei
tabletten- und alkoholabhängigen Eltern auf. Im Jahre
1998 haben 10 Prozent der Frauen und 16 Prozent der
Männer ihre Gesundheit durch übermäßigen Alkohol-
genuss gefährdet.

Auf die heutige Debatte zum Verkehrssicherheitspro-
blem ist schon hingewiesen worden; ich möchte es mir
sparen, noch einmal darauf einzugehen. Ich möchte aber
daran erinnern, dass Sie die 0,0-Promille-Grenze für
Fahranfänger offensichtlich etwas scheinheilig gefordert
haben.

Von übermäßigem und frühzeitigem Alkoholkonsum,
der ihnen im Alltag begegnet, gehen für Kinder und Ju-
gendliche unübersehbare Gefahren aus. Es ist für die Bun-
desregierung aus diesen Gründen selbstverständlich, un-
klare Bestimmungen im Gaststättengesetz zu präzisieren,
wenn diese auch nur ansatzweise dazu führen können,
dass Kinder und Jugendliche nicht ausreichend vor den
Gefahren des Alkohols geschützt werden.

Wünschenswert – das will ich noch anmerken – wäre,
dass Konsumenten alkoholfreier Getränke gegenüber den
Alkoholtrinkern finanziell deutlich besser gestellt wür-
den, wie wir dies in einigen nordischen Staaten durchaus
vorfinden. Vielleicht sollten wir das in einem nächsten
Schritt angehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414624700
Nächster Redner ist
der Kollege Ernst Burgbacher für die F.D.P.-Fraktion.

Ernst Burgbacher (F.D.P.) (von Abgeordneten der
F.D.P. und der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! Nach Ihrer Rede, liebe
Frau Voß, wird einem klar, wie kompliziert das Ganze ist.






(C)



(D)



(A)



(B)


Das, was Sie in Ihren letzten Sätzen vorgeschlagen haben,
in die Praxis übertragen zu wollen ist schon abenteuerlich.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Statt eine Debatte über diesen
Gesetzentwurf zu führen, hätten wir lieber alle miteinan-
der draußen Apfelschorle trinken sollen.


(Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Dann wäre es uns wohler und wir hätten für Umsatz
gesorgt. Am Problem würde sich nichts ändern.

Jetzt ganz ernsthaft. Dass der Kampf gegen Alko-
holmissbrauch, insbesondere bei Jugendlichen, eine
ernste Sache ist, ist hier doch völlig unbestritten. Dass wir
alle aufgerufen sind, alles uns Mögliche dagegen zu tun,
ist auch völlig unbestritten. Mit dieser Keule, die Sie
wieder bringen – der Staat soll neue Regelungen machen,
der Staat soll Gesetze ändern –,


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch keine Keule!)


werden wir in diesem Fall überhaupt nichts erreichen.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben eine Regelung. Diese Regelung hat sich

vielleicht in manchen Teilen nicht bewährt. Ihr jetziges
Vorgehen ist aber typisch: Wenn irgendwo Missstände
sind, kommt die staatliche Keule und es müssen Gesetze
her. Sie fragen nicht danach, was man in der Realität an-
ders machen könnte.

Worauf läuft das, was Sie hier machen, hinaus?

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sozialistische Planwirtschaft, was denn sonst?)


Lieber Herr Mosdorf, Sie haben zwischen meiner und
Ihrer Rede noch eine Rede lang Zeit. Sie können mir ja
nachher sagen, ob es genehmigt ist, wenn mir ein Mine-
ralwasser und ein Pils mit jeweils 0,3 Litern für 3,20 DM
und außerdem ein Bier mit 0,5 Litern für 5,40 DM ange-
boten werden. Ich freue mich eigentlich auf Ihre neuen
Regelungen; sie ermöglichen nämlich neue Berufs-
sparten, zum Beispiel den „Preisnachrechner“ in der Gas-
tronomie.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist wirklich Irrsinn, auf so etwas überhaupt zu kom-
men.


(Zuruf des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– An dem dauernden Dazwischenplärren merkt man
natürlich, dass Sie nicht zuhören wollen und dass Sie
keine Argumente haben. Das ist dann immer das Beste.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich wollte es nur noch einmal in Euro wissen!)


Natürlich müssen wir das Problem ernsthaft angehen,
aber doch nicht so, wie Sie es vorhaben. Es kann doch
nicht sein, dass wir so in die Kalkulationsfreiheit der
Wirte eingreifen, die zum Glück noch selbstständige Un-
ternehmer und keine Verwalter irgendwelcher staatlicher
Stellen sind. Es ist doch völlig normal, dass ein Wirt
größere Mengen anders bepreist als kleinere Mengen. Das
ist doch in der Kalkulation enthalten. Jetzt kommen Sie
und sagen, alles müsse nun auf den Literpreis hochgerech-
net werden. Ich frage mich wirklich, wo da der Funken be-
triebswirtschaftlicher Verstand ist. Der sollte doch wenigs-
tens noch erkennbar sein.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Überlegen Sie sich doch, wie die jungen Leute in der

Praxis verfahren! Es ist doch schlichtweg weltfremd,
anzunehmen, dass die den Taschenrechner nehmen und
ausrechnen, welches Getränk billiger ist. Aber genau
diese Rechnungen müssten sie doch machen; denn es gibt
Preise für 0,3 Liter, 0,5 Liter oder für andere Einheiten.
Davon ausgehend sollen sie jetzt ausrechnen, welches
Getränk das billigste ist? Weltfremder geht es doch wirk-
lich nicht mehr!


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Der Wirt soll offensiv werben!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, den
Problemen, die wir in diesem Bereich, aber auch im
Tourismusbereich haben – Kollege Brähmig hat es ange-
sprochen –, mit ernsthaften Initiativen zu begegnen und
nicht Scheingefechte auszutragen, die zu nichts führen,
das Ganze eher unglaubwürdig machen und die Branche
mit unsinnigen bürokratischen Regeln noch weiter belas-
ten. Das sollten wir doch wirklich bleiben lassen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414624800
Jetzt spricht die Kol-
legin Rosel Neuhäuser für die PDS-Fraktion.


Rosel Neuhäuser (PDS):
Rede ID: ID1414624900
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Es ist schwierig, in drei Minuten auf
die Dinge einzugehen, die hier schon gesagt worden sind.
Natürlich hat der Staat eine Fürsorgepflicht, Herr
Brähmig, auch für die gesundheitliche Entwicklung von
Kindern und Jugendlichen. Nach der UN-Kinderrechts-
konvention haben die Kinder ein Recht auf gesund-
heitliche Fürsorge des Staates.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Kinder sollen doch überhaupt keinen Alkohol trinken!)


Auch in diesem Zusammenhang sollte man dieses Gesetz
sehen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ein 18-Jähriger ist ein Jugendlicher, Kind ist er bis 14 Jahre!)


– Es geht aber um Kinder und Jugendliche. Unter das Ju-
gendschutzgesetz fallen sie bis zur Vollendung des
18. Lebensjahres. Auch wenn sie jünger als 18 Jahre sind,
dürfen sie Alkohol in Gaststätten trinken.




Ernst Burgbacher

14369


(C)



(D)



(A)



(B)


Mit dem vorliegenden Gesetz wird nicht nur eine
Lücke im Gaststättengesetz geschlossen, sondern hiermit
wird auch ein weiterer Schritt zur Verbesserung des gülti-
gen Jugendschutzgesetzes getan. Ich denke, dass an-
gesichts der unübersehbaren Gefahren für Kinder und Ju-
gendliche, die vom Alkohol ausgehen, frühzeitiger und
übermäßiger Alkoholkonsum eingedämmt werden muss.
Durch die Neuregelung des Jugendschutzgesetzes werden
bestehende Regelungen beibehalten bzw. auch ausgebaut,
zum Beispiel zur Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs
durch Minderjährige.

Die Beschränkung des Aufenthaltes von Kindern und
Jugendlichen in Gaststätten gehört aus meiner Sicht wei-
terhin zu den gesetzlichen Schwerpunkten der Prävention
von Alkoholmissbrauch. Was nützt aber eine gesetzlich
verordnete Beschränkung, wenn, wie durch die Regelun-
gen dieses Gesetzes nicht ausgeschlossen, nach wie vor
der Anreiz besteht, alkoholische Getränke zu kaufen, weil
alkoholfreie Getränke viel teurer sind? So werden Kinder
und Jugendliche durch entsprechende Angebote in nicht
unerheblichem Maße zum Alkoholkonsum animiert. Es
wäre ein wichtiger Schritt, dieses Problem zu beseitigen.
Gesetze und Regelungen werden aber nicht schon wirk-
sam, wenn sie beschlossen sind, sondern sie werden erst
dann wirksam, wenn sie umgesetzt werden und in den
entsprechenden Bereichen auch beachtet werden.

Bei der Frage des Alkoholgenusses spielen nicht nur
die Gaststätten eine Rolle, sondern hier stellt sich aus
meiner Sicht eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich brauche sicher nicht darüber zu sprechen, wie sich
Alkoholmissbrauch auf die Gesundheit, auf die
Verkehrssicherheit – das wurde schon von Frau Voß und
anderen Rednern angesprochen – oder auch auf den
gesamten sozialen Bereich auswirkt. Meine Überzeugung
und auch die meiner Fraktion ist, dass kein Jugendlicher
aufgrund von Mengen- und Preisangaben Hochrechnun-
gen anstellt und dann das billigste Getränk wählt. Hier
sind neben den Veranstaltern wir alle gefordert, um im
Bereich der Prävention tätig zu werden. Das hat Herr
Burgbacher hier eben noch einmal deutlich gemacht.


(Beifall bei der PDS sowie des Abg. Ernst Burgbacher [F.D.P.])


Ich möchte auch ein Augenmerk darauf richten, dass
junge Leute sehr reisefreudig sind. Jeder, der einmal mit
jungen Menschen unterwegs war, weiß, dass gerade auf
Gruppenfahrten das Probieren von solchen Sachen eine
wichtige Rolle einnimmt. Auch in diesem Bereich des Ju-
gendschutzes muss auf das Problem hingewiesen werden,
damit die Betreuer von Kindern und Jugendlichen ihren
Einfluss geltend machen können. Kinder und Jugendliche
sollen nicht dazu verleitet werden, in der Kaufhalle alko-
holische Getränke zu kaufen, weil die alkoholfreien
Getränke in der Gaststätte zu teuer sind.


(Beifall bei der PDS)


Hier sind wir alle gefragt. Die Unterstützung dieses
Gesetzes ist ein Schritt, um den Jugendschutz entspre-
chend zu würdigen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414625000
Das Wort hat der Par-
lamentarische Staatssekretär Siegmar Mosdorf.

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1414625100
Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns
darüber einig, dass wir alles tun wollen, um Alko-
holmissbrauch zu verhindern und zu vermeiden, dass Ju-
gendliche Alkohol trinken und hinterher womöglich Auto
fahren. Dies wollen wir alle gemeinsam erreichen.


(Beifall im ganzen Hause)

Ich darf übrigens darauf hinweisen, dass hier eine Kol-

legin anwesend ist, die diese Sorge als Gesundheitsminis-
terin schon 1980 geäußert hat: Anke Fuchs.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Damals leider ohne Erfolg!)


Anke Fuchs hat das Problem auf den Punkt gebracht. Wir
haben damals leider zu wenig Zeit zum Regieren gehabt.
Hätten wir mehr Zeit gehabt, Anke, dann hätten wir das
schon entschieden.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: So etwa 20 Jahre!)


Nun ist es so, Herr Brähmig – das haben Sie damals
noch nicht mitbekommen –,


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Ich war 1994 schon im Hause!)


dass Ihre Kollegen 1994 den § 6 des Gaststättengesetzes
geändert haben. Dort steht nun:

Ist der Ausschank alkoholischer Getränke gestattet,
so sind auf Verlangen auch alkoholfreie Getränke
zum Verzehr an Ort und Stelle zu verabreichen.
Davon ist mindestens ein alkoholfreies Getränk nicht
teurer zu verabreichen als das billigste alkoholische
Getränk in gleicher Menge.

Das ist der Beschluss Ihrer Regierung gewesen.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Er ist dabei gewesen!)

–War er 1994 schon dabei? Gut, ich wollte nur sagen, dass
dies ein Beschluss Ihrer Regierung war.

Das Problem ist nur: Dieser Beschluss hat wie viele
Ihrer Beschlüsse keine Wirkung entfaltet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU)


– Herr Koppelin ist damit nicht befasst gewesen.




Rosel Neuhäuser
14370


(C)



(D)



(A)



(B)


Im Übrigen musste ich mich gerade sehr auf den Ver-
lauf der Debatte konzentrieren; denn Herr Koppelin hat
mir einige Witze erzählt, die ich hier aber nicht
wiedergeben will. Einer war: Was macht ein frustrierter
Mann? Er geht in die Gaststätte; die zweite Hälfte will ich
nicht erzählen. – Im selben Moment präsentierte Herr
Burgbacher sein Rechenbeispiel. Damit muss man rech-
nen, wenn man weiß, dass Herr Burgbacher Mathematik-
lehrer ist. Aber Sie haben sich getäuscht, Herr Burgbacher.
Ich habe in der Schule im Kopfrechnen eine Eins bekom-
men. Deswegen konnte ich alles sofort umrechnen und
bin zu folgendem Ergebnis gekommen: Sie fragten, ob es
in Ordnung ist, wenn das 0,3-Liter-Getränk 3,20 DM
kostet und das 0,5-Liter-Getränk 5,40 DM. Meine
Antwort ist: Wenn der Gastwirt für das 0,5-Liter-Getränk
5,30 DM verlangt hätte, wäre es nicht in Ordnung gewe-
sen. Bei 5,40 DM stimmt das Verhältnis.


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: So ist es!)

– Sie bestätigen das Ergebnis. Wir haben beide ein Talent
für das Rechnen.

Es ist wirklich ein ernstes Thema; das sehen wir sicher-
lich alle so. Wir alle wissen, dass junge Leute, die abends
in die Diskothek gehen und wenig Geld haben, mehr als
einen Apfelsaft von 0,2 Litern trinken wollen, weil sie
dort tanzen und schwitzen


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Na, na, na!)

und leben.


(Zuruf des Abg. Klaus Brähmig [CDU/CSU])

–Wir wollen jetzt nicht über die Diskotheken in der Säch-
sischen Schweiz reden, Herr Brähmig.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414625200
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brähmig?

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1414625300
Ich kann nie
eine Zwischenfrage von ihm ablehnen.


Klaus Brähmig (CDU):
Rede ID: ID1414625400
Herr Staatssekretär, wir
sind uns sicherlich darüber einig, dass hier etwas getan
werden muss. Ich habe versucht, das darzustellen. Aber
ich bitte Sie, deutlich zu machen, wieso der Gastwirt als
der Verhinderer des Alkoholkonsums für Jugendliche gel-
ten soll. Wenn ich im Einzelhandel oder an Automaten
alkoholfreie Getränke billig kaufen kann, besteht doch
kein Zusammenhang zum Kauf in einer Gaststätte. Diese
Frage hätte ich gern beantwortet.

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1414625500
Herr
Brähmig, ich möchte Ihre Frage beantworten. Das Pro-
blem ist – aber vielleicht können wir ja gemeinsame
Anstrengungen in dieser Richtung unternehmen –: Sie
überlegen immer, warum es nicht geht. Wir überlegen,
was geht. Das ist der Unterschied.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Ernst Burgbacher [F.D.P.])


Nun einmal im Ernst: Herr Burgbacher, Sie müssen doch
nicht alles nachsingen, was die CDU sagt. F.D.P. bedeutet
liberal, unabhängig.


(Heiterkeit bei der SPD)

Ich will doch nur sagen: Wir sind uns einig in dem

Begehren,

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: „Begehren“ ist ein Grenzbegriff!)


dass die jungen Leute, wenn sie abends in die Disco
gehen, etwas trinken sollen, aber möglichst keinen Alko-
hol, zumal wenn sie mit dem Auto der Eltern oder mit der
Vespa dort sind. Es muss für sie ein entsprechendes Ange-
bot da sein; darüber sind wir uns einig.

Über eines sind wir uns doch im Klaren: Die Eltern tra-
gen eine hohe Verantwortung dafür, dass die Kinder
vernünftig mit solchen Dingen umgehen. Dies darf man
nicht dem Staat zuschieben. Die Eltern, wir alle tragen
eine hohe Verantwortung.


(Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber der Staat hat auch eine Ordnungsfunktion. Er
schreibt nicht vor, was getrunken werden soll, sondern
sagt: Wir schaffen Rahmenbedingungen. Ich kenne
einige Gastwirte, die das jetzt schon praktizieren. Im
Schwarzwald gibt es viele Gastwirte, die wollen, dass die
Jugendlichen auch zu ihnen in die bürgerliche Gaststätte
kommen und etwas Anständiges trinken, und die für sie
gezielt entsprechende Angebote bereithalten.

Deshalb schaffen wir nun ein Rahmengesetz, das auch
gerichtsfest ist. Ihres war es nicht; Sie wissen es. Wir
wollen nicht, dass sich die Justizministerin diesbezüglich
ständig mit den Gerichten herumschlagen muss. Deshalb
erarbeiten wir ein ordnungspolitisch sauberes Gesetz.
Aber im Begehren sind wir einig. Ich hoffe, dass wir
damit einen Fortschritt erzielen und unsere Jugendlichen
dann Apfelsaft oder Wasser trinken, sich vergnügen kön-
nen und ihnen beim Nachhausefahren nichts geschieht.
Das ist, glaube ich, unser wichtigstes Anliegen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Rosel Neuhäuser [PDS])



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414625600
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Ernst Hinsken für die
CDU/CSU-Fraktion.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1414625700
Frau Präsidentin!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ein weiter Bogen
wurde heute von meinen Vorrednerinnen Frau Gradistanac
und Frau Voß gespannt. Es wurde über Alkoholunfälle
und über Alkoholkonsum gesprochen.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht nur!)


Dies wurde damit in Zusammenhang gebracht, dass das
Angebot an alkoholfreien Getränken in den Gastwirt-




Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf

14371


(C)



(D)



(A)



(B)


schaften scheinbar nicht so ist, wie es sich der Gesetz-
geber gewünscht hat.

Ich habe mich im Jahre 1994 in die Erarbeitung des
Gesetzes eingebracht, habe dafür gekämpft, dass gesetz-
lich festgelegt wird, dass wenigstens ein alkoholfreies
Getränk genauso billig sein muss wie das billigste alko-
holhaltige Getränk bei gleicher Menge. Wenn man früher
selbst in Jugendorganisationen engagiert war, lässt man
sich gern etwas sagen. Ich habe damals vom Vorsitzenden
des Kreisjugendrings meines Heimatlandkreises, Josef
Zellmeier, die Bitte vorgetragen bekommen, dass ich in
dieser Angelegenheit tätig werden soll.

Das Gesetz wurde beschlossen. Nach sechs Jahren wis-
sen wir: Es war eine richtige Entscheidung. Schließlich
entscheidet unsere Jugend doch häufig ausschließlich
nach dem Preis.

Ich habe mich gerade in den letzten Tagen noch einmal
sachkundig gemacht und festgestellt, dass die Hotel- und
Gaststättenverbände ausdrücklich erklärt haben, dass
sich ihre Mitglieder auch an den Gesetzestext und -inhalt
halten. Frau Kollegin Gradistanac und Frau Kollegin Voß,
ich empfinde es als ganz üble Unterstellung, wenn Sie hier
ans Rednerpult treten und sagen, dass sich viele Gastwirte
nicht daran halten. Den Beweis dafür müssten Sie erst
noch erbringen. Dies kann im Protokoll nachgelesen wer-
den und die Betroffenen werden sich das nicht ohne weit-
eres gefallen lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Mir leuchtet nicht ein, dass dieses Gesetz, das wir vor

gut sechs Jahren beschlossen haben, nun geändert werden
soll. Nach dem Gesetzentwurf der Regierungskoalition
soll das preisrechtliche Gebot künftig nicht nur für die
kleinste Menge gelten, sondern auch dann, wenn größere
Mengen konsumiert werden. Für wie blöd werden denn
die Jugendlichen gehalten? Meinen Sie, dass diese nicht
in der Lage sind, 3 DM mit der Zahl fünf zu multiplizieren
und zu erkennen, dass der Preis unter Umständen in glei-
chem Umfang wie die Menge gestiegen ist? Ich setze in
diesem Fall auf die Vernunft und das rechnerische Kön-
nen der Jugend, die, Herr Staatssekretär Mosdorf, nicht
nur im Kopfrechnen stark ist, sondern insgesamt gute
Noten aufweist.

Bevor eine solche Gesetzesänderung vorgenommen
wird, sollten eine Befragung von Jugendämtern und
entsprechende Kontrollen durchgeführt werden.


(Peter Dreßen [SPD]: Am besten eine Anhörung!)


Gerade in einer Zeit, in der von allen Seiten nach
Deregulierung gerufen wird, sollte man die Hotellerie
und Gastronomie nicht mit weiterer Bürokratie belasten.
Herr Kollege Mosdorf, ich habe Sie im Ausschuss des
Öfteren als einen Freund der Deregulierung erlebt und
kennen gelernt. Wenn Sie hierher kommen und sagen:
„Wir überlegen, was geht,“ auf uns deuten, und sagen:
„Die überlegen, was nicht geht“, dann bezeichnen Sie
damit genau das Gegenteil von dem, was Sie jetzt
machen, nämlich eine gute Regelung zu beseitigen und

der Bürokratie das Wort zu reden. So darf das doch nicht
sein!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Peter Dreßen [SPD]: Was sagen Sie zu dem Urteil aus Überlingen?)


Eine solche Regelung bedeutet einen weiteren Eingriff
in das Geschäftsgebaren von Wirten. Deshalb ist meine
Forderung: Erst wenn Ergebnisse einer solchen Befra-
gung vorliegen, sollte über eine Gesetzesänderung ent-
schieden werden.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dann bin ich für eine Anhörung!)


Die Bundesregierung hat bisher nicht ausreichend
dargelegt, warum Regelungsbedarf besteht. Es fehlen
Angaben darüber, ob es tatsächlich in größerem Umfang
einen Missbrauch bzw. eine Umgehung der bisherigen
Regelung durch Gastwirte gegeben hat. Ich glaube das
nicht. Ich glaube, was mir gesagt wurde. Schwarze
Schafe, die sich nicht an bestehende Vorschriften halten,
gibt es immer wieder. Man kann für diese Fälle Kon-
trollen durchführen, damit sich die Betroffenen an das
halten, was der Gesetzgeber vorschreibt. Deshalb: Erst
Fakten auf den Tisch und dann handeln und nicht
umgekehrt! Das ist unsere Marschrichtung und unsere
Devise, Herr Staatssekretär.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414625800
Ich schließe die
Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des
Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/4937 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert
Geis, Maria Eichhorn, Renate Diemers, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Ratifizierung des Haager Adoptionsabkom-
mens
–Drucksache 14/4932 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Die Kolleginnen und Kollegen Margot von Renesse,
Renate Diemers, Irmingard Schewe-Gerigk, Rainer
Funke sowie Christina Schenk haben Ihre Reden zu Pro-
tokoll gegeben.1) – Ich höre keinen Widerspruch. Inter-
fraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Druck-
sache 14/4932 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. – Auch hierbei sehe ich Ein-




Ernst Hinsken
14372


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 5

verständnis im Saale. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine
Ostrowski, Gerhard Jüttemann, Rolf Kutzmutz,
Roland Claus und der Fraktion der PDS
Soforthilfe für konkursbedrohte Wohnungs-
genossenschaften aus TLG-Beständen organi-
sieren
– Drucksache 14/4939 –

Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Peter Danckert,
Norbert Otto, Franziska Eichstädt-Bohlig sowie Dr.
Karlheinz Guttmacher haben ihre Reden zu Protokoll
gegeben.1)

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die PDS-
Fraktion hat die Kollegin Christine Ostrowski.

Christine Ostrowski (PDS) (von der PDS mit Beifall
begrüßt): Frau Präsidentin! Meine dagebliebenen Damen
und Herren! In der heutigen Presse sagt Ihr Kollege
Edelbert Richter über Staatsminister Schwanitz, er sei
„ein netter Kerl, aber wir brauchen jemand, der mit der
Faust auf den Tisch haut“. Ich denke, Herr Richter hat
Recht. Ende 1998 hat Staatsminister Schwanitz von den
zehn TLG-Genossenschaften einen Brief bekommen. In
diesem Brief baten sie ihn – er ist schließlich der Ost-
Beauftragte – um ein Gespräch, weil „die Genossen-
schaften in ihrer Existenz enorm gefährdet sind“. Herr
Schwanitz ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, er tat auch
nichts, er schwieg einfach. Ein halbes Jahr später
schrieben die Genossenschaften erneut an ihn, dann noch
einmal im Oktober 1999. Dann gaben sie es auf.

Vor wenigen Tagen, im Januar 2001, ist die erste der
TLG-Genossenschaften in Leipzig mit 1 200 Wohnun-
gen – und doppelt so vielen Bewohnern – in Konkurs
gegangen. Zu retten ist sie nicht mehr. Es ist sogar
fraglich, ob die Konkursmasse reicht und ob die Ge-
nossenschaftsmitglieder, die vorwiegend ältere Menschen
sind und wahrhaftig nicht zu den Einkommensstärksten
gehören, nicht nur ihre Genossenschaftsanteile verlieren,
die überdurchschnittlich wertvoll sind – ihr Wert liegt
nämlich zwischen 6 000 und 9 000 DM –, sondern sogar
noch zuzahlen müssen. Außerdem ist ungewiss, wer die
Konkursmasse übernimmt. Die Leipziger Genossenschaft
ist die erste und die anderen neun Genossenschaften wer-
den mit Sicherheit folgen, wenn Sie nichts tun.

Die TLG-Genossenschaften entstanden folgender-
maßen: In den Jahren 1992 bis 1996 war die Treuhand-
liegenschaftsgesellschaft mit der Verwertung von bundes-
eigenen Wohnungen beschäftigt. Sie wollte eigentlich an
die Mieter direkt privatisieren; das ging aus den bekann-
ten Gründen nicht. Also kam sie auf die Überlegung
– das ist eigentlich ja nichts Schlechtes –, Mieter-
genossenschaften zu gründen. Sie umwarb insbesondere

die Mieter an ehemaligen Industrie- und NVA-Standorten
der DDR, also in den schwächsten Regionen Ostdeutsch-
lands, eine Genossenschaften zu gründen. Sie warb mit
dem Slogan: Gemeinsam wohnen – Mieter gründen eine
Genossenschaft. – Es haben sich Mieter gefunden und sie
haben eine Menge Geld eingezahlt: bis zu 12 000 DM
Genossenschaftsanteile, weit über den Bundesdurch-
schnitt hinaus.

Es wurden zehn Genossenschaften gegründet, die
eine Sonderrolle gegenüber den bestehenden Genossen-
schaften spielen. Sie haben keine große Lobby. Aber in
der krisengeschüttelten ostdeutschen Wohnungswirt-
schaft geht es ihnen im Vergleich zu allen anderen eben-
falls in sehr schwieriger Situation stehenden Wohnungs-
unternehmen am schlechtesten, weil erstens die
Treuhandliegenschaftsgesellschaft ihnen in der Regel
unsanierten Wohnungsbestand zu überhöhten Kauf-
preisen „übergeholfen“ hat.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Pfui!)

Sie haben für unsanierten Wohnungsbestand bis zu

600DM pro Quadratmeter bezahlt. Das ist eine ungeheure
Größe; das weiß jeder, der sich ein bisschen auskennt.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Das ist eine Sauerei gewesen!)


Sie sind zweitens deshalb über den Tisch gezogen wor-
den, weil die Treuhandliegengesellschaft sie damals mit
Verkehrswertgutachten umworben hat, die den Sanie-
rungsaufwand für die unsanierten Häuser als viel geringer
schätzten, als er in Wirklichkeit war; die Differenz betrug
zwischen 300 und 500 DM pro Quadratmeter. Sie sind
drittens auch deshalb über den Tisch gezogen worden,
weil ihnen die Treuhandliegenschaftsgesellschaft Wirt-
schaftlichkeitsberechnungen vorgestellt hat, in denen sie
ihnen eine langfristige wirtschaftliche Perspektive garan-
tiert hat.

Selbstverständlich haben die Mieter, die nun Genos-
senschafter geworden waren, im Vertrauen auf diese
Gutachten gesagt: Wir haben eine Perspektive; wir wollen
in eine Genossenschaft; also machen wir das. – Aufgrund
dieser Gutachten gaben die Banken ihnen Kredite. Heute
wissen wir, dass sie ungedeckt gewesen sind. Sie beka-
men Kredite über den Gegenwert hinaus und heute sind
die Genossenschaften – eigentlich nicht erst heute, schon
1998 – in einem Maße verschuldet, dass sie überhaupt gar
keinen Ausweg mehr finden.

Sie haben auch gegenüber bestehenden Genossen-
schaften keine gesetzlichen Vorteile: Die Kappung von
Altschulden auf 150 DM pro Quadratmeter hatten sie
nicht, sie mussten mehr für den Kauf von Grund und Bo-
den bezahlen, sie sind nicht von der Grunderwerbsteuer
befreit worden usw.

Nicht zuletzt war die TLG selbst die allerschärfste
Konkurrentin, denn sie behielt in der Regel den sanierten
Wohnungsbestand und konnte dadurch viel preiswerter
vermieten als die ausgegründeten Genossenschaften. Ich
sage Ihnen, meine Damen und Herren: Der Bund und
die Banken haben hier die Hauptverantwortung. Hauptur-
sache ist nicht das Missmanagement des einen oder




Vizepräsidentin Petra Bläss

14373


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 6

anderen Geschäftsführers, auch wenn es das durchaus
gegeben hat. Dazu kamen die Bevölkerungsabwanderung
und der natürliche Bevölkerungsschwund. Der Woh-
nungsleerstand ist in diesen Wohnungsgenossenschaften
exorbitant hoch.

Unser Antrag mit vielen Detailmaßnahmen schlum-
mert schon seit Wochen in der Schublade. Was wir heute
wollen, ist nichts anderes als einen runden Tisch unter
Leitung von Schwanitz, bei dem alle Beteiligten endlich
beginnen, um eine gemeinsame Lösung zu ringen.


(Beifall bei der PDS)

Dieser runde Tisch ist nicht mehr, aber auch nicht

weniger als das Zeichen, dass man überhaupt gewillt ist,
mit allen Beteiligten nach einer Lösung zu suchen. Diese
Bereitschaft ist der Anfang von Lösungen; das ist immer
so, ohne sie kommt das Ende der restlichen neun
Genossenschaften.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414625900
Ich schließe die
Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der PDS mit dem Titel: „Soforthilfe für konkurs-
bedrohte Wohnungsgenossenschaften aus TLG-Bestän-
den organisieren“. Wer stimmt für diesen Antrag auf
Drucksache 14/4939? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Antrag ist gegen die Stimmen der PDS-
Fraktion abgelehnt.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und b auf:
10a) Beratung des Antrags der Abgeordneten

Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen), Thomas Rachel,
Ilse Aigner, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
Eckpunkte für eine Reform des Hochschul-
dienstrechts
– Drucksache 14/4382 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung (f)

Innenausschuss
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Flach, Cornelia Pieper, Birgit Homburger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Dienstrechtsreform an den Hochschulen konse-
quent für eine umfassende Hochschulreform
nutzen
– Drucksache 14/4415 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Peter Eckardt,
Thomas Rachel, Axel E. Fischer, Antje Hermenau,
Cornelia Pieper, Maritta Böttcher sowie der Parla-

mentarische Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen
haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) – Auch hier sehe
ich keinen Widerspruch im Hause. Deshalb kommen wir
sogleich zu den Überweisungen.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 14/4382 und 14/4415 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich
sehe keinen Widerspruch im Hause. Dann sind die Über-
weisungen so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:
15. Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang

Gehrcke, Heidi Lippmann, Carsten Hübner, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak
– Drucksache 14/4709 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien

Die Kollegen Christoph Moosbauer, Joachim Hörster,
Ulrich Irmer sowie der Staatsminister im Auswärtigen
Amt, Dr. Ludger Volmer, haben ihre Reden bereits zu Pro-
tokoll gegeben.2)

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die PDS-
Fraktion hat der Kollege Wolfgang Gehrcke.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414626000
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir erzählen lassen,
dass die besten Filme im Spätprogramm laufen. Ich hätte
schon immer gerne einmal das letzte Wort in einer Bun-
destagsdebatte gehabt.


(Beifall bei der PDS – Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Das ist ein alter Film, den wir schon gesehen haben! – Ilse Janz [SPD]: Das letzte Wort wird die Präsidentin haben!)


– Ich weiß, das letzte Wort liegt bei Ihnen, Frau Präsi-
dentin, ich finde aber, dass es bei dem Thema der Aufhe-
bung der Sanktionen gegen den Irak nicht angehen kann,
seinen Vorschlag nicht zu begründen.

Aus meiner Sicht sprechen gegen eine Zustimmung zu
unserem Antrag zur Aufhebung aller nicht militärischen
Sanktionen gegen den Irak eigentlich nur zwei Gründe:
erstens die Tatsache, dass wir den Antrag eingebracht
haben, und zweitens die Furcht, sich öffentlich mit den
USA und vor allen Dingen mit der neuen Administration,
bei der die Golfkrieger dominieren, anzulegen.

Ich bin aber der Überzeugung: Weder Parteitaktik noch
Unterwürfigkeit sollten schwerer wiegen als politische




Christine Ostrowski
14374


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 4
2) Anlage 7

Vernunft und Humanität. Mit unserem Antrag, liebe Kol-
leginnen und Kollegen – vielleicht erzählen Sie das Ihren
Kolleginnen und Kollegen weiter –, bieten wir Ihnen die
Chance zu einem Akt der Selbstbefreiung aus den Dog-
men, die ich genannt habe. Ich meine, Sie sollten die
Chance nutzen.

Wenn wir Parteitaktik und Unterwürfigkeit als Gründe
für das Festhalten am Embargo ausschließen, bleiben
zwei wesentliche Fragen. Die erste lautet: Haben die
Sanktionen gegen den Irak Wirkung gezeigt? Ja, das
haben sie, schlimme Wirkungen sogar; nicht auf den Dik-
tator, sondern auf die Zivilbevölkerung. Seit Beginn und
infolge des Embargos sind eine halbe Million Kinder
gestorben. Das sagt die UNICEF, das sagt die Weltge-
sundheitsorganisation.

Ein Drittel der Kinder im Irak leidet an Unter-
ernährung. Das einst vorbildliche Gesundheitssystem
steht vor dem Kollaps. Transportwesen, Energie- und
Wasserversorgung sind durch das Embargo nachhaltig
gestört. Gelbsucht, Cholera und Typhus grassieren. Auch
daran sterben zuerst die Schwächsten, die Kinder.

Kriegsfolgen zeitigen die 315 Tonnen der berüchtigten
DU-Munition, die im Golfkrieg verschossen wurden.
Schon damals haben Ärzte und Wissenschaftler vor den
Folgen der uranhaltigen Munition gewarnt. Sie stießen
auf taube Ohren in Washington und bei der NATO, auf
taube Ohren allerdings auch im deutschen Verteidi-
gungsministerium.

Die Folge aber ist: Im Südirak stieg die Rate der
Leukämie-Erkrankungen um 67 Prozent. Das alles ist
bekannt und öffentlich, nicht zuletzt durch die Berichte
des ehemaligen Koordinators für das humanitäre UN-
Hilfsprogramm im Irak, Hans von Sponek, und der Lei-
terin des UNO-Ernährungsprogramms, Jutta Burghardt.
Beide haben aus Protest gegen das Embargo ihren Dienst
quittiert. Ich danke ihnen ausdrücklich für diese Zivil-
courage.


(Beifall bei der PDS)

Bleibt die zweite Frage: Hat das Embargo dazu beige-

tragen, die Macht von Saddam Hussein zu schwächen,
sie einzuschränken oder ihn zu stürzen? Das war doch das
erklärte Ziel des Embargos. Es ist verfehlt worden; das
Embargo hat das Gegenteil bewirkt. Mit anderen Worten:
Sollten die Embargo-Befürworter die Rechnung aufge-
macht haben „Wir nehmen die Leiden der Zivil-
bevölkerung und die Kinderopfer in Kauf, um Saddam
Hussein zu stürzen“, dann ist spätestens zehn Jahre nach
dem Golfkrieg klar: Sie haben sich verrechnet.

Ich halte eine solche Abwägung für inhuman. Auch
wenn man zu einer anderen Schlussfolgerung kommt,
muss man sagen, dass diese Politik gescheitert ist.
Saddam Hussein regiert immer noch mit absoluter Macht
und blutiger Unterdrückung. Er sitzt eher fester im Sattel
als vor dem Krieg. Das Embargo hat politische Wider-
sprüche im Irak eingeebnet; es hat einen falschen Schul-
terschluss befördert. Zum Feind, zum neuen Hitler und

zum Schurkenstaat erklärt zu sein, müssen Diktatoren
nicht fürchten. Ihre Angst ist soziale Wohlfahrt,
demokratische Öffnung und Hilfe für die Menschen.


(Beifall bei der PDS)

An uns liegt es jetzt, ohne Parteitaktik, ohne Unter-

würfigkeit zu entscheiden: Soll die Bevölkerung weiter
leiden? Können wir es mit unserem Gewissen verein-
baren, dass Kinder hungern, keine Bildung erhalten, dass
Kinder an Krankheiten sterben, die heilbar wären? Wer
nüchtern bilanziert, kann nur zu dem Schluss kommen:
Das Embargo und die Sanktionen gegen den Irak müssen
sofort aufgehoben werden.


(Beifall bei der PDS)

In einem Bereich bin ich allerdings für das Embargo:

kein Waffenexport und keine Lieferungen von Material,
das waffentauglich ist – nicht in den Irak und nicht anders-
wo hin. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, können
gegen das Embargo aufstehen oder Sie können es dulden
und wegsehen.

Zum Golfkrieg sagte Joseph Fischer vor zehn Jahren,
damals war er Oppositionsführer einer kleinen, aber
starken Oppositionspartei:

Jetzt muss man aufstehen. Jetzt geht es wirklich um
das massenhafte Nein ...

Mir ist der alte Fischer ohnehin sympathischer als der
neue; der Oppositionsführer ist mir sympathischer als der
Minister. Gemäß der Aussage des alten Fischer sage ich
heute: Jetzt muss man aufstehen; jetzt geht es wirklich um
das massenhafte Nein – gegen das Embargo.

Ich bitte Sie, im weiteren Verlauf der Beratung unseres
Antrags die Abwägung, die ich vorgenommen habe,
nachzuvollziehen und sich für eine Aufhebung des Em-
bargos auszusprechen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414626100
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/4709 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe das Einver-
ständnis im Hause. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit be-
reits am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 26. Januar 2001, 8 Uhr,
ein.

Die Sitzung ist geschlossen.