Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebeKolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.Auch in dieser Woche ist zwei Kollegen nachträglichzum 60. Geburtstag zu gratulieren. Dr. Harald Kahl fei-erte am vergangenen Sonntag und Dr. WolfgangFreiherr von Stetten am Montag. Ihnen gilt unser besterGlückwunsch.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundeneTagesordnung zu erweitern. Die Zusatzpunkte entneh-men Sie bitte der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste:1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Bundes-politische Auswirkungen des aktuellen Schweinemast-skandals in Bayern
2. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:Keine Ausgrenzung unserer Bauern – die Bundesregierungmuss dem ländlichen Raum in der gegenwärtigen Krise hel-fen3. Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU einge-brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Ab-schreibungsbedingungen – Drucksache 14/5135 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieHaushaltsausschussgemäß § 96 GO4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt,Heinz Seiffert, Norbert Barthle, weiterer Abgeordneter und derFraktion der CDU/CSU: Den Wirtschaftsstandort stärkenstatt Abschreibungsbedingungen verschlechtern – Drucksa-che 14/5134 –5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Zöller, Eva-Maria Kors, Wolfgang Lohmann , weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der CDU/CSU: MedizinischeVersorgung von Kindern sichern – Drucksache 14/5136 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendHaushaltsausschussVon der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-weit erforderlich, abgewichen werden.Des Weiteren ist vereinbart worden, den Tagesord-nungspunkt 10, Reform des Hochschuldienstrechts, mitTagesordnungspunkt 14, Stiftung Warentest, zu tauschen.Außerdem mache ich auf die nachträglichen Überwei-sungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:Der in der 135. Sitzung des Deutschen Bundestagesüberwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem In-nenausschuss und dem Finanzausschuss zur Mitbera-tung überwiesen werden:Antrag der Abgeordneten Peter Hintze, PeterAltmaier, Renate Blank, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der CDU/CSU: Der Europä-ische Rat von Nizza muss zum Erfolg für Eu-ropa werden– Drucksache 14/4732 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger AusschussInnenausschussRechtsausschussFinanzausschussVerteidigungsausschussDer in der 135. Sitzung des Deutschen Bundestagesüberwiesene nachfolgende Entschließungsantrag soll zu-sätzlich dem Innenausschuss und dem Rechtsausschusszur Mitberatung überwiesen werden:Entschließungsantrag der Abgeordneten Günter
SPD sowie der Abgeordneten Christian Sterzing,Claudia Roth , Ulrike Höfken, weitererAbgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN zur Abgabe einer Erklärung derBundesregierung zum bevorstehenden Europä-ischen Rat in Nizza am 7./8. Dezember 2000– Drucksache 14/4733 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger AusschussInnenausschussRechtsausschussAusschuss für Arbeit und SozialordnungVerteidigungsausschuss14249
146. SitzungBerlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001Beginn: 9.00 UhrDer in der 135. Sitzung des Deutschen Bundestagesüberwiesene nachfolgende Entschließungsantrag soll zu-sätzlich dem Innenausschuss, dem Finanzausschuss unddem Verteidigungsausschuss zur Mitberatung überwie-sen werden:Entschließungsantrag der Abgeordneten UweHiksch, Dr. Klaus Grehn, Dr. Gregor Gysi, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der PDS zurAbgabe einer Erklärung der Bundesregierungzum bevorstehenden Europäischen Rat in Nizzavom 7. bis 9. Dezember 2000 – Drucksache14/4666 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger AusschussInnenausschussRechtsausschussFinanzausschussVerteidigungsausschussSind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungBundesbericht Forschung 2000– Drucksache 14/4229 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Angelegenheiten der neuen LänderNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für dieAussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort derBundesministerin Edelgard Bulmahn.Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehrgeehrten Herren und Damen! Der Bundesbericht For-schung 2000 belegt: Seit 1999 geht es mit Bildung undForschung in Deutschland endlich wieder aufwärts.
Diese Bundesregierung hat eine klare strategischeEntscheidung für Bildung und Forschung getroffen. Wirhaben den Haushalt in diesem Jahr auf knapp 16 Milli-arden DM deutlich erhöht. Wir haben uns entschieden, dienotwendigen Reformen nicht länger auf die lange Bank zuschieben, sondern sie endlich anzupacken.
Ich bin gerade aus den Vereinigten Staaten zurückge-kehrt. Ich habe in Palo Alto mit sehr vielen jungen Wis-senschaftlerinnen und Wissenschaftlern diskutiert, dieDeutschland verlassen haben und in die USA gegangensind, um dort zu arbeiten, weil sie dort für sich bessereChancen sahen, ihre Ideen zu verwirklichen, zu lehrenund zu forschen. Es ist offensichtlich: Deutsche Hoch-schulen bieten ihren Absolventen hervorragende Voraus-setzungen für den Wettbewerb um interessante Stellen aufder ganzen Welt, aber sie bieten ihnen zu wenig interes-sante Arbeitsplätze im eigenen Land.Fatal haben sich dabei nicht nur die Mittelkürzungenunter der Regierung Kohl ausgewirkt, sondern auch diemangelnde Kraft zur strukturellen Neuordnung unsererForschungslandschaft. Es genügt eben nicht, nur dieschöne Fassade des Forschungsgebäudes zu erhalten,vielmehr muss das Haus selbst modernisiert werden.
Der jahrelange Stillstand in der Forschungspolitik warin Wahrheit ein Rückschritt; denn er kostete uns beson-ders viele fähige Nachwuchswissenschaftler. Das mussgeändert werden. Zusätzliche Mittel sind notwendig,bringen aber alleine nichts, wenn das Forschungsgebäudeselbst renovierungsbedürftig ist. Deshalb sind die von unsin Angriff genommenen strukturellen Reformen entschei-dend.Erster Schwerpunkt dabei ist die Dienstrechtsreform.
Sie sorgt dafür, dass die besten Köpfe im Land bleibenwerden bzw. zurückkehren. Zweiter Schwerpunkt ist dieNeustrukturierung der Forschungslandschaft. Sie bringtDeutschland in den Zukunftsthemen der Forschung an dieSpitze. Hinzu kommen die deutliche Verbesserung derNachwuchswissenschaftlerförderung,
die stärkere Internationalisierung unserer Forschungsein-richtungen und -organisationen, das Marketing, das einenotwendige Ergänzung darstellt, sowie – dieser Punkt istsehr wichtig – eine bessere Vernetzung von Forschungund Wirtschaft.
Erst wenn die begabtesten Forscher aus anderen Län-dern, beispielsweise aus den USA und aus Südostasien,auch verstärkt zu uns kommen, um hier zu forschen undzu lehren, dann haben wir unser Ziel erreicht, Deutsch-land wieder zu einem attraktiven Forschungsstandort zumachen.
Lassen Sie uns dazu den alten Zopf der Habilitation ab-schneiden
und mit der Juniorprofessur den jungen Menschen end-lich die Chance geben, deutlich früher eigenständig zu
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Präsident Wolfgang Thierse14250
forschen und zu lehren! Damit nutzen wir selbst dieChance, als Wissenschaftsstandort attraktiv zu sein undden Wettbewerb um die besten Köpfe dieser Welt zugewinnen.An die Stelle jahrelanger Untätigkeit setzen wir aufeine Strategie des Gewinnens im Wettbewerb um die bes-ten Köpfe. Die Dienstrechtsreform schafft – um in demeingangs von mir erwähnten Bild zu bleiben – die moder-nen Arbeitsräume, die wir brauchen, und mehr Bewe-gungsmöglichkeiten. Genau das macht unser Forschungs-gebäude attraktiver.Die zweite strategisch wichtige Reform ist die Neu-ordnung der Forschungslandschaft.Unser Ziel ist es, inden besonders zukunftsträchtigen Bereichen – in den Le-benswissenschaften, in der Informations- und Kommuni-kationstechnologie, in der Mikrotechnik und in der Nano-technologie – führend zu sein. Dafür müssen wir unsereKräfte bündeln. Das erfordert mehr Flexibilität im deut-schen Wissenschaftssystem, mehr Profilbildung und mehrWettbewerb, um wirklich die besten Ideen hervorzubrin-gen und dann zu fördern. Dabei gilt es, Wände einzu-reißen und neue Räume für Kreativität und für Eigenver-antwortung zu schaffen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das erfordert vor allemunsere Bereitschaft, sich für dieses Ziel einzusetzen.Die bereits vollzogene Fusion von GMD und Fraun-hofer-Gesellschaft ist dafür ein Beispiel. Wir schaffen mitdieser Fusion in einem der wichtigsten Technologie- undForschungsbereiche die größte und leistungsfähigste For-schungseinrichtung für Informationstechnik in Europa.Die Helmholtz-Zentren, deren Gemeinschaft die größteForschungsorganisation in unserem Land darstellen, wol-len wir künftig programmorientiert fördern. Was bedeutetdas? Wir wollen weg von der starren Förderung der Insti-tutionen und hin zu einer Programmförderung. Damit sti-mulieren wir den Wettbewerb, den wir dringend brau-chen, um gute Ergebnisse zu erreichen. Damit stimulierenwir ebenfalls die Entstehung hervorragender Ideen unddie Profilbildung der Zentren.Wir schaffen damit also die notwendigen Strukturen,um den wohlfeilen Satz, dass sich die Forschung den Zu-kunftsthemen widmen solle, in die Realität umzusetzen.
Der Dreh- und Angelpunkt ist dabei die Stärkung der Pro-jektförderung gegenüber der institutionellen Förderung.Wir haben die Mittel für diese Förderung seit 1998 um38,7 Prozent gesteigert. Das bedeutet einen enormenqualitativen Fortschritt.Um Deutschland zu einem bevorzugten internatio-nalen Wissenschaftsstandort zu machen, richten wir im-mer mehr Studiengänge international aus. Auch dies istein Teil des notwendigen kulturellen Wandels in unseremLand. Wir betreiben die wechselseitige Anerkennung vonHochschulabschlüssen, die Akkreditierung von Studien-gängen und schaffen damit erst internationale Vergleich-barkeit. Ein ganz wichtiger Schritt ist dabei die Ein-führung von Bachelor- und Master-Studiengängen. Ichbin sehr froh, dass sie von den Hochschulen engagiert be-trieben wird.
Das heißt, auch in Deutschland forscht und lehrt manin einem internationalen Umfeld. Diese Internationali-sierung flankieren wir mit einem starken Fokus auf dieneuen Medien, konkret mit dem Ausbau virtueller Studi-engänge. Das BMBF fördert in den nächsten drei Jahrenmit rund 400 Millionen DM die Entwicklung multime-dialer Studiengänge, neue Fernstudienangebote und Kom-binationen mit der Präsenzlehre. Damit soll sowohl dieQualität der Lehre verbessert als auch der Anteil des be-treuten Selbststudiums vergrößert werden.Wichtig ist aber nicht nur eine stärkere Internationali-sierung unserer Hochschulen, sondern auch ein gezieltesMarketing für unseren Wissenschafts- und Forschungs-standort. Deshalb starten wir in diesem Jahr eine Mar-ketingoffensive. Wichtig ist natürlich ebenso unsere Mit-wirkung bei der Entwicklung eines europäischenHochschul- und Forschungsraumes.Eminent wichtig ist die bessere Verzahnung von For-schung und Wirtschaft. Nur dadurch können wir errei-chen, dass Forschung wirklich den Menschen zugutekommt. Wir fördern verstärkt Kompetenznetzwerke zwi-schen Wissenschaft und Wirtschaft oder Anwendern, da-mit eine schnelle Umsetzung von Forschungsergebnissenin neue Produkte und Dienstleistungen gelingt, und zwarinsbesondere in den neuen Ländern. Inno-Regio ist dabeinur eines unserer Programme, ein besonders erfolgreichesund bekanntes. Mit der Förderung innovativer Wachs-tumskerne in den neuen Ländern setzen wir unsere An-strengungen zur Revitalisierung der Wirtschaft in denneuen Bundesländern fort.Mir liegt besonders die gute Kooperation zwischenKMUs und Forschungseinrichtungen am Herzen, weil ichweiß, dass diese gerade in den neuen Ländern eine zwin-gende Voraussetzung für die Revitalisierung ist.
Sie ist besonders in wichtigen Zukunftsbranchen wie derBiotechnologie und der Informations- und Kommunika-tionstechnologie bedeutsam, weil in diesen Branchen ge-rade die kleinen und mittleren Unternehmen neue Ideenschnell aufgreifen und zügig umsetzen. Deshalb habenwir diese Zusammenarbeit in den Mittelpunkt gerückt undunsere Anstrengungen hier verstärkt.Aufbruch und Aufschwung sind nicht nur bei der öf-fentlichen Forschungsförderung zu beobachten, sondernauch die Wirtschaft engagiert sich wieder deutlich stärkerin Forschung und Entwicklung. Das ist auch notwendig.Diese Entwicklung ist nicht von allein gekommen, son-dern hängt mit den notwendigen Reformen und der Er-höhung der Mittel der Bundesregierung zusammen.
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Bundesministerin Edelgard Bulmahn14251
Um diesen Kurs weiter zu unterstützen, werden wir inKürze zusätzlich das Aktionsprogramm „Wissen schafftMärkte“ starten. Wegweisend ist dabei unsere Strategie,Ausgründungen aus Hochschulen und aus Forschungs-instituten zu begünstigen. Wir brauchen die Bereitschaftvon mehr Forschern, ihre Erfindungen selbst auf denMarkt zu bringen.Die Intensivierung der Kooperation von Wirtschaftund Wissenschaft sowie die Verstärkung der Anwen-dungsbezogenheit von Wissenschaft und Forschung be-deuten weder eine Schwächung der Grundlagenforschungnoch einen Ausverkauf der Wissenschaft an die Industrie.
Wozu betreiben wir denn Forschung und Wissenschaft?Damit sie den Menschen in diesem Lande zugute kommt.Dies geschieht durch die Sicherung der Lebensgrundla-gen, durch neue Erkenntnisse über die Behandlung vonKrankheiten, aber auch durch die Sicherung von Arbeits-plätzen in Deutschland. Diesen Ansatz treiben wir in denBereichen Gesundheit, Verkehr, Lebens- und Informa-tionswissenschaften auch innerhalb der gemeinsamen eu-ropäischen Forschungsarbeit voran. Denn die Aufgabe,ein nachhaltiges und damit global nachahmenswertesWohlstandsmodell zu entwickeln, wird sich Europa zurhistorischen Aufgabe wählen müssen.
Wir müssen uns dabei auf die Arbeitsplatzlokomotivenvon heute und morgen – die Informations- und Kommu-nikationstechnologien, die Mikrosystemtechnik, die Na-notechnologie, die Biotechnologie – konzentrieren. Deshalbfördern wir seit 1999 verstärkt diese Technologiebereiche.Mit dem Rahmenkonzept „Innovation und Arbeits-plätze in der Informationsgesellschaft des 21.Jahrhun-derts“ der Bundesregierung haben wir den Weg dafür be-reitet, Deutschland bei der Nutzung der modernenI-und-K-Technologien in den nächsten drei bis fünf Jah-ren in die Spitzengruppe der führenden Industrienationenzu bringen. In bisher einmaliger Art und Weise arbeitenWirtschaft und Staat in der Initiative D 21 zur Stärkungder New Economy zusammen.
Besonders wichtig für die Menschen ist die Forschungim Bereich der Lebenswissenschaften, in der Gesund-heitsforschung und in der Bio- und Gentechnologie. Diessind die Zukunftsfelder. Die Genomforschung eröffnetganz neue Chancen zur Bekämpfung von Krebs,
zur Bekämpfung von Alzheimer, zur Bekämpfung von In-fektionen und zur Bekämpfung bisher nicht oder nur un-zureichend behandelbarer Krankheiten.
Wenn man diese Chancen nicht nutzt – das sage ich Ih-nen ganz klar –, handelt man verantwortungslos.
Zur Politik gehört deshalb – weil es eben auch Risikengibt –, dass man Risiken minimiert, sie verringert und dieGrenzen so gestaltet, dass die Risiken ausgeschlossenwerden, dass wir aber zugleich die Chancen mutig undcouragiert nutzen. Das ist, wie ich finde, die richtige Poli-tik.
Wir haben daher in diesem Jahr im Rahmen desZukunftsinvestitionsprogramms der Bundesregierungeine koordinierte nationale Maßnahme „Krankheitsbe-kämpfung durch Genomforschung“ gestartet. Die Mittelfür diesen Bereich haben wir um fast 300 Prozent auf rund500 Millionen DM gesteigert.
Frau Ministerin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert von
der PDS-Fraktion?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Ja, ich gestatte eine Zwischenfrage.
Frau Ministerin, Sie sprachengerade sehr engagiert von den Chancen der Gentechnolo-gie und der Biomedizin usw. und sagten, man müsse dieRisikenminimieren. Halten Sie es nicht für möglich, dasses auch Risiken gibt, die man aus ethischer Verantwortungfür die Zukunft der gesamten Menschheit nicht eingehendarf? Glauben Sie nicht, dass es zumindest die Möglich-keit gibt, dass bestimmte Biotechnologien nicht in Be-tracht kommen, wirklich angewandt zu werden, weil ebendie Risiken viel zu groß sind und die Chancen in keinemangemessenen Verhältnis dazu stehen könnten? Immerhingibt es ja eine Enquete-Kommission, die das herauskrie-gen soll.Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung: Ich halte das für möglich. Es herrscht jain diesem Parlament ein sehr breiter Konsens darüber,dass wir die Klonierung des Menschen nicht wollen. Des-halb sage ich: Wir müssen die Risiken und die Anwen-dungen, die wir für falsch halten, durch gemeinsame Ent-scheidungen ausschließen und erklären, dass wir diesenWeg nicht gehen wollen.Das kann und darf aber nicht heißen, dass ich eineTechnologie, einen Forschungsbereich als Ganzes, derauch ungeheuer viele Chancen birgt, in Zukunft bishernicht heilbare Krankheiten tatsächlich heilen zu können,einfach ad acta lege und sage: In diesem Bereich wollenwir nichts tun.
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Bundesministerin Edelgard Bulmahn14252
Nach meiner Meinung unterscheiden wir Menschenuns gerade dadurch von allen anderen Lebewesen, dasswir eine Vernunft besitzen, dass wir ein Gewissen habenund deshalb auch vernunftgemäße Entscheidungen tref-fen können. Ich finde, wir sollten die Aufklärung und das,was sie uns gebracht hat, nicht vergessen, sondern dies al-les aktiv nutzen und einsetzen.
Frau Ministerin, ge-
statten Sie eine Nachfrage des Kollegen Seifert?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Ja.
Bitte schön.
Vielen Dank für die Freund-
lichkeit. – Frau Ministerin, ich verstehe das, was Sie über
die Vernunft gesagt haben, durchaus. Aber wenn Sie in Ih-
rer Rede die Chancen ganz groß herausstellen und erklä-
ren, wir müssten die Chancen nutzen und die Risiken mi-
nimieren, ist das dann nicht eine Präjudizierung in der
Richtung: Lasst es uns einmal versuchen und sehen, was
dabei herauskommt? Besteht denn nicht auch die Mög-
lichkeit, dass bestimmte Forschungsbereiche – Sie spra-
chen die Klonierung von Menschen an; es gibt ja noch
sehr viele andere Projekte, die genauso gefährlich sein
könnten – so gefährlich sein könnten, dass man das lieber
lassen sollte? Es geht mir darum, dass man nicht die
Chancen zu sehr betont und die Risiken ein bisschen he-
runterspielt.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Es ist genau deswegen keine Präjudizie-
rung, weil wir die Risiken minimieren wollen. Weil wir
Risiken ausschließen wollen, haben wir ja diesen Konsens
gefunden. Ich habe auch die Mittel für die Sicherheitsfor-
schung erheblich erhöht, damit wir mehr darüber wissen
und auch vorbeugend tätig werden können. Das ist also
kein Gegensatz. Vielmehr gehören Chancen und Risiken
zusammen. Das ist im Übrigen auch in vielen anderen Le-
bensbereichen so.
Wir haben deshalb, wie gesagt, in diesem Bereich die
Mittel für die staatliche Forschungsförderung erhöht, um
zum Beispiel die notwendige Sicherheitsforschung zu
finanzieren. Wir liegen hier im Übrigen inzwischen welt-
weit an zweiter Stelle hinter den USA. Auch das ist ein Er-
folg unserer Politik. Ebenso ein Erfolg unserer Politik ist
– auch das will ich ausdrücklich betonen –, dass wir in-
zwischen in Europa bei der Zahl der Biotechnologieunter-
nehmen an erster Stelle liegen. Das heißt auch, dass hier
zukunftsfähige Arbeitsplätze geschaffen wurden.
Um zum aktuellen Thema Nummer eins, zur BSE-
Bekämpfung, etwas zu sagen: Wir konzentrieren uns in
der Forschung auf die Bereiche Diagnostik und Therapie.
Das ist richtig und notwendig. Wir fördern den Wissens-
austausch in Europa und wir entwickeln ein nationales
Forschungskonzept, dessen Ziel die Gesundheit von Mensch
und Tier ist.
Wir verfolgen also mehrere Ziele gleichzeitig: Wir in-
tensivieren den Kampf gegen Krankheiten, die viele Men-
schen in der ganzen Welt betreffen, und wir sichern außer-
dem die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und damit
zukunftsfähige Arbeitsplätze.
Meine Damen und Herren, Sie sehen, wir haben
Schluss gemacht mit der Förderphilosophie nach dem
Motto: „The same procedure as every year“,
mit Mittelkürzungen und mit dem Senioritätsprinzip bei
der Besoldung von Hochschullehrern. Wir haben mit un-
seren Reformen die Weichen für mehr Innovation und den
notwendigen Aufbruch richtig gestellt.
Die Entscheidung der Bundesregierung, die deutsche
Forschungslandschaft zu modernisieren, zahlt sich aus.
Sie hat entscheidend dazu beigetragen, dass Deutschland
im international bekannten „World Competitiveness Re-
port“ des Wirtschaftsforums in Genf von Platz 25 im Jahre
1997 auf Platz 3 im Jahre 2000 vorgerückt ist. Ein so ge-
waltiger Sprung beweist: Wir machen die richtige Politik.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Gerhard Friedrich, CDU/CSU-Fraktion.
HerrPräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der For-schungsbericht 2000 nennt endgültige Daten nur bis zumJahre 1998. Deshalb ist es sehr problematisch, die Zeit biszum Regierungswechsel und die Zeit nach dem Regie-rungswechsel miteinander zu vergleichen. Bis 1998 wer-den Istdaten, also Ergebnisse, genannt, danach Haushalts-ansätze. Ein Vergleich zwischen Soll und Ist ist aber nichtganz korrekt. Wir haben nicht vergessen, dass die Bun-desforschungsministerin im ersten Jahr ihrer Amtszeit,nämlich 1999, 236 Millionen DM an den Bundesfinanz-minister zurückgegeben hat. Das heißt, sie hat die Mittelzwar bereitgestellt, sie aber nicht ausgegeben. Das wollenwir in das Zahlenwerk eingearbeitet sehen. Dann könnenwir wirklich vergleichen.Frau Ministerin Bulmahn, ich halte es für ein bisschenkleinkariert, wenn Sie die Forschungslandschaft, die Sievon Ihrem Vorgänger, von Herrn Minister Rüttgers,
übernommen haben, in den düstersten Farben schildern,um sich dann selbst als Lichtgestalt zu preisen, die dieTrendwende herbeigeführt hat.
Sie verweisen zum Beispiel auf sinkende Ausgaben indem Ressort für Bildung und Forschung. Dabei kommt es
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Bundesministerin Edelgard Bulmahn14253
darauf an, mit welchem Jahr man mit einem Vergleich be-ginnt. Zu Beginn der deutschen Einheit sind die Aus-gaben für Forschung und Entwicklung deutlich gestiegen;wir sind ja auch ein bisschen größer geworden. Dannhaben sich ab etwa 1994 die Verhältnisse normalisiert
und die Ausgaben für Forschung und Entwicklung habensich bei etwa 10 Milliarden DM jährlich eingependelt.Das waren also wirklich außergewöhnliche Zeiten. Sieeignen sich sehr wenig für einen Vergleich.Sie sagten, Kürzungen seien insgesamt etwas Schreck-liches. Wir haben uns nicht darüber gefreut. Betroffen warübrigens vor allem der Bildungsbereich. Aber dass dasmanchmal notwendig ist, haben Sie ja selbst erfahren. Wirhaben noch in Erinnerung, dass Sie im letzten Jahr fürIhren Haushalt 340Millionen DM weniger zur Verfügunggestellt bekommen haben als im Jahr davor.Wie problematisch der Vergleich ist, zeigt auch eineandere Zahl, die Sie immer wieder in Ihren Presse-erklärungen im Zusammenhang mit diesem Bundesfor-schungsbericht nennen. Sie weisen darauf hin, dass in denJahren 1989 bis 1997 die Ausgaben für Forschung undEntwicklung pro Kopf nur um 23 US-Dollar auf etwa511 US-Dollar gestiegen sind. Damit vergleichen Sie dieVerhältnisse in den alten Bundesländern mit den Verhält-nissen nach der deutschen Einheit. Wir wissen doch – vorallem der Kollege Schmidt, der sich sehr engagiert hat undnachher noch reden wird –, dass die großen Forschungs-kombinate der DDR nach der deutschen Einheit als Erstesihre Forschungsabteilungen ausgegliedert haben. Vieledavon sind untergegangen, einige haben wir als For-schungs-GmbHs am Leben gehalten. Es ist nach wie vorso, dass die Unternehmen in den neuen Bundesländern,im Beitrittsgebiet – das ist traurig, aber wahr –, nur etwahalb so viele Forscher und Entwickler pro 1 000 Einwoh-ner beschäftigen wie die Unternehmen in den alten Bun-desländern.
Daran ist nicht vorrangig die jetzige Forschungsminis-terin schuld, aber auch nicht Herr Rüttgers, sondern HerrHonecker und die, die mit ihm früher in einer Parteiwaren.
Sehr verehrte Frau Ministerin, ich schlage Ihnen vor,die Auseinandersetzungen des Wahlkampfjahres 1998jetzt langsam zu beenden. Es ist doch kein Beweis fürSouveränität, wenn man dauernd nachtritt. Auf dem Fuß-ballfeld wird man beim Nachtreten vom Platz gestellt.Meine Damen und Herren, da die zuverlässigen Datendes Berichtes nur bis zum Jahre 1998 reichen, also sozu-sagen eine abschließende Bilanz unserer Regierungszeiterlauben, und die Frau Ministerin hier wieder von Still-stand und Rückschritt gesprochen hat, möchte ich einmalaufzeigen, was sich verbessert hat.Wir haben in diesen Jahren begonnen – das beweisenalle Berichte, nicht nur der neue –, in den Spitzentechno-logien aufzuholen. Wir haben, wie auch Sie, Schwer-punkte im Bereich der Informationstechnologie und imBereich der Biotechnologie gebildet. In der IT-Branchesind schon in den 90er-Jahren die Umsätze jährlich um10 Prozent gestiegen, es gab einen deutlichen Zuwachsbei der Beschäftigung.Wie war es denn bei der Biotechnologie? MinisterRüttgers hat doch erst durch seinen Bio-Regio-Wett-bewerb dafür gesorgt, dass wir jetzt in Deutschland – zumBeispiel in Martinsried bei München oder in der Stadt da-neben, in Großhadern – Kompetenzzentren haben, die in-ternational an der Spitze mitmischen können.Die chemische Industrie, mit deren Vertretern ichfrüher viele Gespräche geführt habe, hat uns bestätigt,dass wir die Investitionshemmnisse im Bereich der Ge-nehmigungsverfahren für Gentechnik abgeschafft haben.Wer war denn damals in diesem Bereich eines der großenInvestitionshemmnisse in Deutschland? Fragen Sie docheinmal bei der Firma Hoechst in Frankfurt nach! Das wardoch der frühere hessische Umweltminister Fischer, jetztAußenminister dieser Regierung. Ich war einmal gemein-sam mit einigen Forschungspolitikern in Kalifornien undhabe gesehen, dass Hoechst im Bereich der Gentechnolo-gie jahrelang in den USA investiert hat, weil man mitHerrn Fischer in Frankfurt überhaupt nicht zurechtge-kommen ist.
Frau Bulmahn, die Humangenomforschung haltenwir gemeinsam für wichtig. Wir waren ja schon vor Ver-abschiedung des Haushalts 2001 übereinstimmend derÜberzeugung, dass jährlich rund 200 Millionen DM mehrbereitgestellt werden sollten. 100Millionen DM hat Ihnender Bundesfinanzminister bewilligt; das ist schon einFortschritt. Wir wollten gemeinsam mehr. Aber ichmöchte daran erinnern: Gestartet wurde das Human-genomprojekt bzw. die Finanzierung durch Ihren Vorgän-ger, Herrn Minister Rüttgers.Herr Rüttgers hat auch das neue Instrument der Förde-rung der Leitprojekte eingeführt und Sie sind jetzt stolzauf Inno-Regio. Wir wissen, dass die Pläne dafür in denSchubladen des Ministeriums lagen. Sie wenden also In-strumente an, die andere entwickelt haben. Wir finden dasgut. Aber man kann doch nicht sagen: Vor meiner Amts-zeit war alles katastrophal und bei mir, kaum sitze ich aufdem Sessel, wird alles besser.Ich erinnere an den Kapitalmangel unserer Hightech-firmen. Wir haben uns jahrelang darüber unterhalten, dasses Probleme in der Phase der Unternehmensgründunggibt, weil Risikokapital gefehlt hat. Schauen Sie sich dieBerichte an! Bei Beginn Ihrer Amtszeit war die Versor-gung mit Risikokapital ausreichend. Auch das hat übri-gens nicht nur die damalige Bundesregierung geschafft,sondern dazu gab es kräftige Beiträge einzelner Länder,zum Beispiel des Freistaates Bayern.Wir sind bei der Umsetzung von Forschungsergeb-nissen in marktfähige Produkte deutlich besser geworden.
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Dr. Gerhard Friedrich
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Allerdings wissen wir – auch der Wissenschaftsrat hat unswieder daran erinnert –, dass wir im Bereich Anwen-dungsorientierung und Praxisbezug der Forschung nochbesser werden müssen, zumindest in den naturwissen-schaftlichen und technischen Disziplinen. Auch wir wis-sen – nicht nur die neue Ministerin –, dass wir Fortschrittebei der Internationalisierung unseres Wissenschaftssys-tems brauchen. Denn wenn die Wirtschaft immer globalerhandelt, dann müssen auch Hochschule und unsere For-schungslandschaft insgesamt international mehr koope-rieren, Erfahrungen und Forschungspersonal austau-schen.Wir haben damit begonnen, indem wir bei der Hoch-schulreform die neuen internationalen Abschlüsse Bache-lor und Master eingeführt und ein Förderprogramm für in-ternational ausgerichtete Studiengänge ins Leben gerufenhaben. Leider haben Sie für dieses Förderprogramm keineeinzige zusätzliche Mark in den Haushalt 2001 einge-stellt, obwohl es, sehr viele positiv begutachtete Anträgeder Hochschulen gab.Ich unterstütze Ihren Vorschlag – das wissen Sie –, inErgänzung der Hochschulreform auch das Hochschul-dienstrecht zu ändern, es leistungsorientierter zu gestal-ten. Es ist notwendig – ich möchte das ausdrücklich be-stätigen –, dass wir die Qualifizierungsphase an unserenHochschulen verkürzen, dass wir unseren jungen Wissen-schaftlern die Chance geben, früher wissenschaftlichselbstständig zu arbeiten. Wir sind deshalb einer Mei-nung, dass wir die neue Stellung eines Juniorprofessors anden Hochschulen einführen sollten; wir streiten nur nochdarüber, ob es erforderlich ist, die Habilitation insgesamtabzuschaffen. Die Stellungnahmen, die wir von dengroßen Wissenschaftsgesellschaften, auch von der Hoch-schulrektorenkonferenz bekommen, sind mehr für Ab-schaffung. Reden wir aber vor Ort mit den Professorinnenund Professoren an unseren Universitäten, dann sagendiese: Wir brauchen in einigen Fächern – zwar nicht al-lein, aber als Alternative zum Juniorprofessor – auch dieHabilitation. – Darüber werden wir heute und in dennächsten Wochen sicher noch diskutieren.
In seinen Thesen zur künftigen Entwicklung des Wis-senschaftssystems in Deutschland stellte der Wissen-schaftsrat im letzten Jahr fest:Die Stärkung des institutionellen Wettbewerbs ist einentscheidendes Instrument, um die bisherige Über-betonung funktionaler Differenzierung im deutschenWissenschaftssystem auszugleichen.Das ist sehr kompliziert, deshalb übersetze ich es: Die anden vorhandenen Planstellen ausgerichtete staatliche För-derung der großen Forschungsinstitutionen führt dazu,dass die Verhältnisse relativ starr und unbeweglich sindund dass diese institutionell geförderten Forschungsein-richtungen nur schwer auf neue Forschungsziele ausge-richtet werden können.Es gibt übrigens noch jemanden, der uns manchmal da-ran hindert, die Gewichte rechtzeitig zu verlagern. Dassind die Länder, die gemeinsam mit dem Bund, mit un-terschiedlichen Prozentsätzen – das nennt man Misch-finanzierung –, diese großen Forschungseinrichtungenfördern: die großen Zentren zu 90 Prozent Bund, zu10 Prozent Land. Bereits diese 10 Prozent Anteil des Lan-des führen aber dazu, dass die Länder eine Art Vetorechthaben. Die Länder sind in der Theorie für Veränderungen.Wenn es aber darum geht, Forschungsmittel umzuleiten,sodass einige Mittel in ein anderes Bundesland fließenund man ein paar Planstellen verliert, woanders aber einpaar Planstellen mehr entstehen, dann wird ein Veto ein-gelegt. Trotzdem werden wir, glaube ich, die Misch-finanzierung nicht abschaffen können; denn dann hättenwir einen fürchterlichen Streit mit unseren eigenen Bun-desländern. Ich möchte aber an die Länder appellieren,nicht nur in Besitzstandsdenken zu verharren.
Frau Ministerin, die unionsgeführten Bundesländerkommen übrigens immer sehr gut weg; das wissen Sie.50 Prozent der Menschen, die bei uns im Bereich For-schung und Entwicklung arbeiten, tun das in Bayern undBaden-Württemberg.
Deshalb gibt es in SPD-regierten Ländern immer wie-der Bedenken. Wenn Sie ein neues Forschungsprogrammauflegen oder ein Programm aufstocken, wie in der Ge-nomforschung, dann sagen die Rheinland-Pfälzer: DasGeld wird wieder vollständig nach Bayern und Baden-Württemberg fließen. – Das heißt, den Wettbewerb fürch-ten wir überhaupt nicht, auch nicht der Kollege Schmidtaus Sachsen. Wenn man sich die Bilanz der neuen Bun-desländer anschaut, können Herr Jork, der jetzt ein biss-chen lacht, und Herr Schmidt wirklich zufrieden sein. DieZentren der Forschung in den neuen Bundesländern lie-gen in Sachsen. Ich wiederhole: Wir haben überhauptkeine Angst vor Wettbewerb.
Frau Ministerin, es ist schlicht falsch, dass wir in Sa-chen Strukturreformen während unserer Regierungszeitnichts unternommen hätten. Ich gebe nur eines zu: Wirhatten noch ein wichtigeres Problem Anfang der 90er-Jahre. Das vergessen Sie. Die deutsche Einheit blendenSie aus. Wir haben eine ostdeutsche Forschungsland-schaft übernommen – eigentlich müsste man „mitteldeut-sche Forschungslandschaft“ sagen –,
die abzukippen drohte. Wir mussten schnell begutachten,was davon erhaltenswert ist und was wir in unsere Wis-senschaftsgesellschaften und in die Hochschulen einglie-dern. Dies hatte oberste Priorität. Dann kann man nichtgleichzeitig die Verhältnisse in den alten Bundesländernumkrempeln. Die Kapazitäten der Minister und ihrer Mit-arbeiter sind eben irgendwann erschöpft.Trotzdem haben wir schon Mitte der 90er-Jahre be-gonnen, Strukturreformen durchzuführen. Sie habenvon der Helmholtz-Gemeinschaft gesprochen, von dengroßen Forschungszentren. Ich erinnere nur daran, dass
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Dr. Gerhard Friedrich
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wir dort den Strategiefonds eingeführt haben. Wir habendie Planstellenfinanzierung ein bisschen heruntergefah-ren und die Mittel in einen gemeinsamen Topf gegeben.Die einzelnen Zentren bewerben sich seither um Projekt-mittel. Das war der Beginn der Flexibilisierung. Ich gebezu, dass dies nicht viel gebracht hat, wie wir heute wissen.Das neueste Gutachten des Wissenschaftsrates führt aus,dass dies etwas unterlaufen wurde. Deshalb sind wirdurchaus bereit, mit Ihnen konstruktiv über das zu reden,was Sie jetzt Programmsteuerung nennen.Die unionsregierten Länder sagen auch: Im Grundsatzsind wir uns einig, im Detail gibt es aber noch viele un-gelöste Probleme. – Das müssen wir wissen. Ich fragemich zum Beispiel, wie wir mit dem Problem der Verant-wortung des Leiters eines großen Forschungszentrumsund der des Zuständigen für ein Programm, das in mehre-ren Forschungszentren durchgeführt wird, zurechtkom-men. Da besagen die Papiere, die uns bisher vorliegen: Siesollen sich eben einigen. – Wenn sich die Leute einigen,brauche ich keine Spielregeln und keine Rechtsnormen.Leider einigen sich die Menschen nicht immer, sondern esgibt Interessenkonflikte. Dafür brauchen wir noch ver-nünftige Regeln. Wir müssen hier schon noch etwas wei-terarbeiten.Sie sagen, Sie sind die große Reformerin in der Struk-tur der Forschungslandschaft.
– Dazu sage ich Ihnen nur, Herr Kollege Tauss: Bisher ha-ben Sie vom Ergebnis her nur eines geschafft, nämlich dieEingliederung der GMD in die Fraunhofer-Gesellschaft.Etwas anderes können Sie nicht vorweisen. Sonst ha-ben Sie nur Absichten geäußert. Die Eingliederung derGMD geschah mit der Brechstange. Es gab einen Auf-stand. Jetzt hören wir, das werde eine großartige Sache,ein neuer Schwerpunkt in Sachen Informationstechnolo-gie. Kollege Hauser hat uns in der Arbeitsgruppe gesagt,die Herren in der Nähe von Bonn, wo die Gesellschaft fürMathematik und Datenverarbeitung sitzt, folgen jetzt Ru-fen von Universitäten und gehen. Wir müssen da behut-sam vorgehen. Das Projekt GMD/Fraunhofer-Gesell-schaft war nicht gerade beispielhaft.Meine Damen und Herren, ich will zum Schluss nochzwei Dinge sagen. Das Erste: Wenn Sie den Bundes-bericht Forschung lesen, dann schauen Sie sich bitte aucheinmal an, wie die Bilanz der Bundesregierung insgesamtaussieht. Frau Bulmahn, Sie haben in zwei Jahren mehrGeld in das System gegeben; der Wirtschaftsminister hatkräftig gespart. Nach den Haushaltsansätzen sollten dieAusgaben für Forschung und Entwicklung in den erstenbeiden Jahren, also 1999/2000, um 4,1 Prozent steigen.Das steht so im Bericht. Das Ist wird geringer sein, näm-lich 3,8 Prozent in zwei Jahren. Herzlichen Glückwunschzum Inflationsausgleich! So toll ist das ja nicht.
Zum Zweiten sollte man sich bei der Beurteilung derVerhältnisse nicht immer nur auf sich selbst verlassen. Siesind subjektiv, ich natürlich auch. Darum haben wir ein-mal im Archiv geschaut, was andere dazu sagen. Das„Handelsblatt“ hat am 15. Dezember das Ergebnis einerUmfrage unter Führungskräften der Wirtschaft veröffent-licht. Sie sollten sich äußern, wo die Kompetenz in Sa-chen Technologie und Innovation liegt. Die Union liegtmit 56 Prozent vorn; die SPD liegt mit 24 Prozent hinten.Das entspricht der Verteilung der Forschung in Deutsch-land.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hans-Josef Fell, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! HerrDr. Friedrich, Sie haben zu Recht angemahnt, den Wahl-kampf 1998 endlich zu beenden. Aber ich finde es nichtgut, dass Sie den Wahlkampf 2002 eröffnen wollen unddass Sie immer wieder den Blick nach vorne richten undWahlkampf betreiben wollen.
Nein, daran werde ich mich nicht beteiligen. Vielmehrwerde ich aufzeigen, wo die Fehler der Vergangenheit inder Forschungspolitik lagen – sie sind im Forschungs-bericht 2000 offenkundig geworden – und wo die neueRegierung neue Akzente gesetzt hat.An einem Punkt will ich das gleich verdeutlichen. Siehaben behauptet, das Programm Inno-Regio für die Ost-förderung sei unter Rüttgers vorbereitet und von uns nurhervorgeholt worden. Es mag sein, dass er etwas in derSchublade gehabt hat. Aber der entscheidende Unter-schied ist doch:
Wir haben es hervorgeholt. Wir haben neue Konzepte ver-wirklicht. Wir haben damit Ihre Pläne, von denen Sie im-mer gesprochen haben, aber die Sie nie verwirklicht ha-ben, in die Tat umgesetzt. Das ist der Unterschied in derForschungspolitik zwischen der rot-grünen und der altenRegierung.
Forschung ist der Garant einer zukünftigen Entwick-lung. Forschung wird für die Entwicklung neuer Techno-logien genauso wie für die Analyse ihrer Auswirkungenbenötigt. Die Erkenntnisse der Forschung geben uns Hin-weise auf gesunde und ungesunde Entwicklungen. Vor al-lem gibt uns Forschung neue Erkenntnisse, die wir zumWohle von Mensch und Umwelt einsetzen können. Dahergilt auch für Bündnis 90/Die Grünen: Forschung ist un-verzichtbar und Forschung hat einen hohen gesellschaft-lichen Wert.
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Dr. Gerhard Friedrich
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Wer wie die alte Bundesregierung die Ausgaben fürForschung senkt, setzt fahrlässig die Zukunft des Tech-nologiestandortes Deutschland aufs Spiel. Der Anteilder Forschungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt ist lautdem heute diskutierten Bericht – Herr Dr. Friedrich, hörenSie zu! – von 2,87 Prozent im Jahre 1989 auf 2,32 Prozentim Jahre 1998 gesunken. Das nennen Sie eine notwendigeNivellierung? Nein, Herr Dr. Friedrich, das ist der Aus-druck des Rückganges der Forschung unter der alten Bun-desregierung.
Andere Industrieländer haben diesen Anteil auf zumTeil deutlich höherem Niveau halten können, zum Bei-spiel Japan mit 2,9 Prozent oder die USA mit 2,77 Pro-zent. Die Folge ist klar: Bei neuen Technologien bekamenvor allem Japan und USA immer mehr Weltmarktanteile– eine bedrohliche Entwicklung für die exportabhängigeBundesrepublik Deutschland.Die rot-grüne Regierung hat aber bereits die Kehrt-wende eingeleitet. So konnten die Bruttoinlandsausgabenvon 87 Milliarden DM 1998 bereits für 1999 auf 92 Mil-liarden DM gesteigert werden. Auch für 2000 und 2001sind im Bundeshaushalt Ausgabensteigerungen vorge-nommen worden. Dies ist eine großartige Regierungsleis-tung, da wir gleichzeitig im Gegensatz zu Ihnen die Sen-kung der Staatsausgaben insgesamt erreicht haben.
Diese Steigerung der Forschungsausgaben zeigt ein-drucksvoll, dass wir es mit der Forschung und übrigensauch mit der eng damit zusammenhängenden Bildungernst meinen. Wir Bündnisgrünen streben an, mittelfristig3,0 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Forschungauszugeben.Die demographische Entwicklung dieses Landes istaus meiner Sicht ein zwingender Grund, dieses Ziel anzu-streben. Nur so wird es möglich sein, dass zukünftig im-mer weniger junge Menschen unseren Wohlstand finan-zieren können.Gesamtausgabensteigerungen sind ein wichtiges Ziel.Genauso wichtig sind aber auch strukturelle Verbesserun-gen der Forschungslandschaft und neue inhaltlicheSchwerpunktsetzungen. Auch hier hat Rot-Grün bereitsZeichen gesetzt, weitere sind in Bearbeitung. Struktu-relle Veränderungen sollen dazu dienen, Flexibilisie-rung von Entscheidungsprozessen, Entbürokratisierung,Stärkung der Eigenverantwortung und Straffung der For-schungslandschaft endlich zu erreichen.
Dazu dient zum Beispiel die Programmsteuerung beiden Helmholtz-Gemeinschaften. Diese wird dort stärkerals bisher Innovationen beschleunigen oder auch den ge-sellschaftlichen Einfluss auf die Forschungsinhalte ver-stärken. Allerdings darf sich der gesellschaftliche Einflussnicht allein von wirtschaftlichen Interessen leiten lassen.Auch der Einfluss beispielsweise von Gewerkschaftenoder Umweltverbänden ist zu verstärken.
Eine Reform des Dienstrechtes ist notwendig. Die An-reize für junge Wissenschaftler, in Deutschland zu blei-ben, statt in die USA abzuwandern, können so verstärktwerden, zum Beispiel durch eine Juniorprofessur. FrauBulmahn hat auf ihrer USA-Reise zu diesem Thema wich-tige Aussagen gemacht und es zu Recht in den Mittel-punkt gerückt.Forschung ist die Grundlage für technologischen Fort-schritt und damit für den Erhalt und den Ausbau von Ar-beitsplätzen. Da gerade der Mittelstand den Löwenanteilan Arbeitsplätzen stellt, ist es nur folgerichtig, auch fürden Mittelstand die Forschungsunterstützung zu verstär-ken. Bündnis 90/Die Grünen begrüßen es daher sehr, dassim Wirtschaftsministerium die Mittel für die Forschungs-förderung des Mittelstandes von 1998 bis 2000 um fast5 Prozent erhöht werden konnten.Um Arbeitsplätze zu sichern und neue schaffen zu kön-nen, ist es richtig, die Forschung anwendungsbezogen zuverstärken. Enge Kooperationen mit der Wirtschaft kön-nen die öffentlichen Haushalte entlasten. Allerdings istbei allen jetzt vorgesehenen Strukturänderungen immerim Auge zu behalten, dass die Grundlagenforschung da-bei nicht unter die Räder kommt. Wer heute die Grund-lagenforschung vernachlässigt, dem gehen in wenigenJahren die Ideen für neue anwendungsorientierte For-schungen aus.
Im Ost-West-Vergleich hat die Bundesregierung denAnteil der neuen Länder leicht steigern können, aller-dings – das geben wir unumwunden zu – ist der Nachhol-bedarf in den neuen Bundesländern weiterhin groß undwir werden uns dafür einsetzen, diesen endlich zu stillen,beispielsweise mit neuen Institutsgründungen.Meine Damen und Herren, neben den strukturellenVerbesserungen, die in der Forschungslandschaft anste-hen und die wichtig sind, haben wir uns aber auch umneue inhaltliche Schwerpunktsetzungen zu kümmern. Ichmöchte als wichtigsten Schwerpunkt aus meiner Sicht dieAnpassung der Forschungsinhalte an die veränderten Be-dingungen dieser Welt aufzeigen. Ich sehe vor allem, dassdie Ergebnisse des Weltumweltgipfels 1992 in Rio wich-tige und notwendige Maßnahmen auch für die Forschungsind. Die Grundgedanken von Rio müssen auf die For-schung übertragen werden. Das heißt, die Forschungmuss demokratischen, ökologischen, sozialen und frie-denspolitischen Pflichten endgültig und vollständig ver-pflichtet werden.
Für einige Forschungsschwerpunkte möchte ich diesegrüne Sicht verdeutlichen.
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Hans-Josef Fell14257
In vielen Grundsatzreden und Grundsatzartikeln wer-den die wichtigsten Forschungsschwerpunkte genannt.Immer finden sich darunter die Biotechnologie, die Infor-mations- und Kommunikationstechnologie, die Gesund-heitsforschung, manchmal auch die Materialforschungund die Nanotechnologie. Ohne Zweifel sind diese For-schungsfelder auch aus grüner Sicht wesentlich und füreine technologische Entwicklung Deutschlands unver-zichtbar.Aber in den Aufzählungen für diese zukunftsorientier-ten Forschungsfelder fehlt fast immer ein zentraler undextrem wichtiger Forschungszweig. Es ist die Energie-forschung. Kaum genannt werden aber auch anderewichtige Forschungsbereiche, wie beispielsweise die land-wirtschaftliche Forschung, die Friedensforschung oderdie Sozialforschung.Lassen Sie mich die Energieforschung etwas näher be-leuchten. Wie wichtig Energie für unsere Gesellschaft ist,kann man zurzeit in Kalifornien an einem Lehrbeispiel fürideologisch geleitetes politisches Handeln erkennen.
Dort wurde die Liberalisierung des Strommarktes mitdem ausschließlichen Ziel billiger Strompreise bis zumExtrem vorangetrieben. Das führte zusammen mit Eng-pässen in der regionalen Gasversorgung zu einem teil-weisen Zusammenbruch der Stromversorgung.
Ich hoffe, dass dieses Beispiel für eine verfehlte Liberali-sierungspolitik auch bei den Vertretern einer neoliberalenEnergiepolitik in Europa endlich zu einem Erwachenführt.
Kollege Fell, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Flach?
Ja,
gerne.
Herr Kollege Fell, ist Ihnen klar,
dass Sie, wenn Sie sagen, dass es hier nur um den Fehler
der Liberalisierung geht, völlig am Thema vorbeireden?
Die Liberalisierung spielt in Kalifornien an keiner Stelle
eine Rolle, sondern das Problem ist die Regulierung des
Preises.
Verehrte Kollegin Flach, das Problem ist die Regulierung
des Preises; aber schon der Grundgedanke, Billigprodukte
seien das Wichtigste, was in unserem Leben anzustreben
ist, ist falsch. Das Ziel, nur für billige Preise zu sorgen, hat
mit den Liberalisierungstendenzen dazu geführt, dass
Preissteigerungen, die notwendig wären, um Fehlent-
wicklungen zu verhindern, nicht möglich waren. Genau
dies entspricht dem falschen Grundgedanken, über eine
Liberalisierung des Marktes billigen Strom zu bekom-
men. Dieses nun auch regulierend durchzusetzen – da
stimme ich Ihnen zu – ist ein dramatischer Fehler, den wir
nicht machen sollten.
Kollege Fell, gestat-
ten Sie eine Nachfrage der Kollegin Flach?
Ja.
Herr Kollege Fell, wir sind uns
also offensichtlich einig, dass das Modell von Bundesmi-
nister a. D. Günter Rexrodt in keiner Weise mit dem kali-
fornischen identisch ist.
Doch! Es gibt dort einige Gemeinsamkeiten.
– Sie sind nicht vollständig identisch, das ist klar, aber esgibt einige Gemeinsamkeiten zwischen beiden Modellen.Die wichtigste Gemeinsamkeit ist der Glaube an die Ideo-logie, dass alleine die Kräfte des Marktes zu billigen Prei-sen führen und damit alle Probleme insgesamt zu lösenwären.
Hier liegt der Trugschluss. Diesen Weg gehen wir nichtmit. Wir sehen, dass Regulierung dort notwendig ist, woes der Markt alleine nicht schafft.
Wir stehen für den liberalisierten Markt.Lassen Sie mich zur Energieforschung zurückkehren:Viele Forschungsergebnisse aus den zurückliegenden Jah-ren über zukünftige Energieverbräuche, Energieressour-cen oder Umweltauswirkungen legen den Schluss nahe,dass die Energieversorgung in dieser Welt als Motor füralle Technologien vor einem gewaltigen Wandel steht.Die entscheidende Strategie liegt darin, neue Energieer-zeugungstechnologien auf der Basis erneuerbarer Ener-gien rasant auszubauen. Nur diese sind meines Erachtensin der Lage, mittel- und langfristig die sich ankündigen-den Versorgungsengpässe zu schließen.
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Hans-Josef Fell14258
Die Energiekommissarin der EU, Frau Palacio, hatkürzlich mit dem Grünbuch der Versorgungssicherheit aufeine bedrohliche Entwicklung hingewiesen: Im Jahre2020 wird Europa über 70 Prozent seiner Energie impor-tieren müssen. Das ist ein Schreckensszenario, wenn mandie Abhängigkeit unserer Technologien von Energie be-trachtet. Es sind daher auch die Forschungsmittel für er-neuerbare Energien und Einspartechnologien weiter dras-tisch zu erhöhen. Ein erster Erfolg versprechender Schrittist, dass im Haushalt 2001 dieser rot-grünen Regierung100 Millionen DM mehr für die Erforschung neuerEnergietechnologien, beispielsweise der Brennstoffzelle,bereitgestellt wurden. Eine weitere Steigerung der For-schungsmittel für erneuerbare Energien und rationelleEnergieverwendung in den kommenden Jahren ist ausgrüner Sicht dringend geboten.Damit bei den jetzt anstehenden Strukturveränderun-gen der gesamten deutschen Forschungslandschaft nichtwieder die Entwicklungen, die in der Vergangenheit durchfalsche Schwerpunktsetzung eingeleitet wurden, fort-wirken, fordern Bündnis 90/Die Grünen eine interminis-terielle Arbeitsgruppe unter Beteiligung der Fraktionenzur Neufestlegung der Energieforschungsschwerpunkte.Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die jahrelange einsei-tige Förderung für die Erforschung der Kernenergienicht den gewünschten Erfolg brachte. Man kann sogarsagen: Das einseitige Festlegen auf die Erforschung derKernenergie war ein zentraler Fehler der Forschungsför-derung der letzten Jahrzehnte.
Das kann man unschwer daran erkennen, dass der Beitragder Kernenergie an der gesamten Energieversorgung inder EU knapp unter 10 Prozent liegt. Mehr hat diese mas-sive Forschungsförderung nicht gebracht.
Eine Neufestsetzung der Energieforschungsschwer-punkte unter dem Aspekt des mittelfristigen Ersatzes fürErdöl und Kernenergie, vor allem aus Klimaschutzgrün-den und Gründen der Versorgungssicherheit, ist unver-zichtbar. Das bezieht sich auch auf die Erarbeitung derSchwerpunkte des 6. Forschungsrahmenprogramms derEuropäischen Union. Auf europäischer Ebene sollten wirdarauf hinwirken, dass alle Forschungsmittel – ganz spe-ziell die Mittel für Euratom – endlich einer demokrati-schen Kontrolle, zum Beispiel durch das Europäische Par-lament, unterworfen werden.Ich möchte noch einige Schlaglichter auf andereForschungsschwerpunkte werfen. Bündnis 90/Die Grü-nen stehen hinter der Neutronenforschung.Daher setzenwir uns für den Bau einer neuen europäischen Spallati-onsquelle ein. Sehr kritisch betrachten wir aber weiterhindie Verwendung von hochangereichertem Uran, wie es ineinem Forschungsreaktor in Garching geplant ist. AusGründen der Proliferation und der Entsorgung sollten wirhier auf eine andere Technologie setzen; denn dieserFRM II wird nach Fertigstellung der europäischen Spal-lationsquelle zum alten Eisen gehören.In den kommenden Jahren wird beim Verbraucher-schutz und bei der Landwirtschaft ein Forschungs-schwerpunkt liegen müssen. Die BSE-Krise hat uns inaller Eindringlichkeit vor Augen geführt, wohin das Igno-rieren von wichtigen Forschungsergebnissen führt. War-nende Stimmen aus den Kreisen der Gesundheitsforscherhat es viele gegeben. Damit nun der Wechsel in der Land-wirtschaft zu einer verbraucherorientierten, sauberen undökologischen Landwirtschaft gelingen kann, muss dieForschung ihren Anteil beisteuern. Bündnis 90/Die Grü-nen fordern daher für die kommenden Haushalte eineStärkung der Landwirtschaftsforschung aus der Zukunfts-milliarde.Welche Chancen in der Landwirtschaftsforschung lie-gen, zeigen beispielsweise Forschungsergebnisse vonbayerischen Biobauern auf, die ohne staatliche Unterstüt-zung die Problemlösungen für Tierfutter, Nahrungsmit-telanbau und Energieproduktion mit hochinteressantenErgebnissen vorantrieben. So wurde im Mischfruchtan-bau Gerste gleichzeitig mit der Ölpflanze Leindotter an-gebaut. Es gab keine Ertragsminderung der Gerste, abereine Steigerung der Gerstenqualität. Der Leindotter brach-te über das Pflanzenöl zusätzlich Energie, und zwar mehrals zur Bewirtschaftung des Ackers notwendig war.Gleichzeitig entstand aus dem Pressen dieses Leindottersein eiweißreiches Tierfutter. Das zeigt: Es gibt Möglich-keiten für einen Ersatz von Tiermehl und gentechnischemSoja durch einen entsprechenden Anbau auf unseren Fel-dern, ohne dass dabei dem Nahrungsmittelanbau Konkur-renz gemacht wird. Das ist ökologischer Landbau.Solche Forschungen wurden in unserem Lande jahre-lang nicht vorangetrieben. Wir werden uns dafür einset-zen, dass die Forschung solche neuen Ergebnisse insge-samt aufgreift und darauf aufbaut.
Einen Beginn haben wir in der rot-grünen Regierung be-reits gemacht, beispielsweise mit der Neugründung einesInstitutes für die Erforschung des ökologischen Landbausin Trenthorst. Der gesamte Bereich der grünen Biotechno-logieforschung ist unter den Erfahrungen der BSE-Krisekritisch neu zu bewerten. Kritiker sagen für gentechnischveränderte Pflanzen ähnliche Risiken voraus, wie sie kri-tische Forscher für BSE bereits vor Jahren geäußert hat-ten. Wir begrüßen daher den gestrigen Stopp der Ver-handlungen zwischen Regierung und Industrie zumAnbau gentechnisch veränderter Lebensmittel.Wir Grüne sehen die starke Fokussierung der biotech-nologischen Forschungsförderung auf gentechnischeFragen mit einem gewissen Unbehagen, auch wenn dieSicherheitsforschung und ethische Begleitforschung da-durch deutlich gestärkt wurden. Wir erkennen aber Defi-zite in der Forschungsförderung von gentechnikfernenZweigen der Biotechnologie. Ich nenne hier: Bionik, Far-ben oder Treibstoff aus Pflanzen sowie Medikamente ausder Biodiversität der Natur. Grüne stehen für Biotechno-logie. Aber wir wollen verstärkt Biotechnologieforschungin Bereichen, die eben nicht durch berechtigte Bedenkenbelastet sind.
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Hans-Josef Fell14259
Lassen Sie mich zum Ende kommen. Der vorliegendeForschungsbericht 2000 bietet eine Fundgrube an exzel-lenten Informationen über die deutsche Forschungsland-schaft. Aus ihm lassen sich die Grunddaten für die Verän-derung der kommenden Jahre in der Forschung sehr gutableiten. Er zeigt aber auch auf, welch hohes Niveau diebundesdeutsche Forschung aufweist.Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünenwird weiterhin gemeinsam mit der Bundesregierung füreine Stärkung und Modernisierung der Forschung eintre-ten, vor allem mit Blick auf die Umsetzung der Nachhal-tigkeitsziele von Rio.
Ich erteile der Kolle-
gin Ulrike Flach, F.D.P.-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damenund Herren! Der Bundesbericht Forschung 2000 ist in dop-pelter Hinsicht ein gewichtiges Werk: erstens physisch mitrund 1 900 Gramm und zweitens als wichtigstes Über-sichtswerk über die Forschungslandschaft in Deutschland.Ich darf mich als Vorsitzende des Forschungsausschussesherzlich bedanken: Der Bericht ist erfreulich übersichtlichund lesbar. Wir werden ihn gut gebrauchen können.
Es wird allerdings niemanden verwundern, dass ichtrotzdem noch einige Kritikpunkte anfüge.
– Lassen Sie mich Ihnen zuliebe, Herr Tauss, mit dem Po-sitiven beginnen. Die Investitionen in Forschung undEntwicklung sind gestiegen, der Bericht bekennt sich zueiner wettbewerblich organisierten Projektförderung undzu einer regelmäßigen Überprüfung der Wissenschaftsor-ganisationen bezüglich der Qualitätssicherung der For-schung. Das ist urliberales Denken. Ich begrüße, dass diesauch bei Ihnen Fuß gefasst hat, Frau Bulmahn.
Mir fehlt die Zeit, auf alle Forschungsbereiche einzu-gehen. Fest steht: Deutschland ist vor allem in der Brei-tenforschung gut, hat auch in einigen Bereichen aufgeholt;dennoch liegen wir bei der Entwicklung der Investitionenin Forschung insgesamt seit zehn Jahren hinter Japan undden USA– und das mit wachsendem Abstand. Eine Trend-wende, die trotz aller vollmundigen Erklärungen nicht ein-getreten ist – Frau Bulmahn, ich möchte Sie an dieserStelle an Ihre Versprechungen im Wahlkampf erinnern –,können wir bisher nur in Ihren Reden, weniger in Ihren Ta-ten nachvollziehen.
In der Spitzenforschung zeigt sich dieses besonders.Nach wie vor haben wir keine Struktur, wie von uns allengewünscht, die eindeutig auf Centers of Excellence, andenen erstklassige Wissenschaftler unter hervorragendenBedingungen arbeiten können, ausgerichtet ist. Dass diesauch nicht so einfach ist, hat Herr Dr. Friedrich gerade mitdem Beispiel der IuK-Akademie in Bonn sehr klar unddeutlich belegt. Spitzenforschung ist vernetzte Forschungund Sie, Frau Bulmahn, stehen vor der sehr schwierigenAufgabe, mit Bund, Land, Kommune und Universität soetwas auf den Weg zu bringen, damit es endlich schnellerund zügiger vonstatten geht und uns die Wissenschaftlernicht wegrennen.
Es ist – auch vor dem Hintergrund der Koordinie-rungsaufgabe der Bundesforschungsministerin – ganz inunserem Sinne, dass der Wissenschaftsrat am Montagdem Bund empfohlen hat, die Gesundheitsforschung undden Verbraucherschutz durch Ihr Ministerium, das Wis-senschaftsministerium, und nicht durch die Ministerele-vin Renate Künast zu koordinieren.
Dies soll jeweils in Abstimmung mit der Hochschulfor-schung und der außeruniversitären Forschung geschehen.Frau Bulmahn, das ist eine Chance, die Sie wirklich nut-zen sollten.
Sie haben bei der größten Gesundheitskrise der letztenJahre reagiert. Wir wünschen uns allerdings – gerade aufden gestrigen Ausschussdiskussionen basierend – mehrTempo. Es mag üblich sein, erst einmal Programme zusortieren, Länder abzufragen und Schwerpunkte festzule-gen; aber diese Situation erfordert eine deutlich schnellereVorgehensweise als üblich. Hier geht es um die Gesund-heit unserer Bevölkerung und es geht selbstverständlichauch um die Existenz zahlreicher Landwirte. Das erfor-dert unbürokratisches und zügiges Vorgehen.Ich begrüße an dieser Stelle ausdrücklich für uns, dassSie Geld aus dem Gesundheitsforschungsprogramm fürdie BSE-Forschung einsetzen wollen. Ich begrüße auchausdrücklich den von Ihnen betonten europäischen An-satz der Forschung. Der Fehler der englischen Regierung,die Gängelung der BSE-Forschung, darf sich bei uns nichtwiederholen.
Kollege Fell, er darf übrigens auch nicht durch eine vor-eilige Festlegung auf die allheiligmachende ökologischeLandwirtschaft entstehen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Hans-Josef Fell14260
Es gibt bisher keine Forschungsergebnisse, die belegen,dass die ökologische Landwirtschaft die Lösung ist.
– Forschung macht nur Sinn, Kollege Fell, wenn sie vor-urteilsfrei ansetzt.
Frau Ministerin, 15 Millionen DM sind schön und gut,aber man muss auch die richtigen Fragen stellen und dierichtigen Projekte anschieben. Der F.D.P. geht es dabei imSinne des Verbrauchers ganz konkret um drei Punkte: Wirbrauchen ein Forschungsprojekt zur Entwicklung einesBSE-Schnelltests am lebenden Rind, ein Forschungspro-jekt zur Entwicklung eines Heilmittels für BSE und einProjekt zur Züchtung BSE-immuner bzw. -resistenterRinder, wie es der Genforscher Weissmann im „Focus“dieser Woche zu Recht gefordert hat.
Das sind die Fragen, die die Verbraucher und die Land-wirte umtreiben.Unabhängig von dieser aktuellen Forschungsdebattemöchte ich im Folgenden noch auf einige Standortnach-teile eingehen, die unserer Meinung nach daran schuldsind, dass wir uns in der Bundesrepublik nach wie vor beider internationalen Schul- und Forschungslandschaft aufeinem sehr mäßigen Platz befinden:Erstens: Mangelnder Nachwuchs. Wo man hingeht, je-der jammert über Nachwuchsmangel in der Wissen-schaft; vor allem bei Ingenieuren, Mathematikern und Na-turwissenschaftlern. „Deutschland laufen die Forscherweg“, so warnt der Präsident der Max-Planck-Gesell-schaft, Hubert Markl. Doktorandenstellen können oft nichtbesetzt werden. Dies alles ist ein Skandal. Ich muss darumbitten, dass wir dieses Problem endlich einmal aktiv ange-hen. Wir müssen in Deutschland mehr junge Leute für dieNaturwissenschaften begeistern, es fehlt eine breit ange-legte Werbekampagne. Einzelprojekte wie „Saturday mor-ning physics“ sind gut, reichen aber nicht aus.Wir müssen viel früher ansetzen, nämlich in den Schu-len, und zwar bereits in den Grundschulen. Auch in diesemPunkt ist der Bericht eindeutig; er betont ausdrücklich denZusammenhang zwischen Bildung und Forschung. Esmuss jedoch beunruhigen, wenn wir 25 Prozent wenigerErstsemester im Studiengang für das Lehramt Physik ha-ben und nur noch jeder zehnte Gymnasiast Physik oderChemie als Leistungskurs belegt. Das sind Alarmzeichen,die wir als Politiker nicht mehr länger ignorieren dürfen.
Im internationalen Vergleich sind unsere Erstsemestermit durchschnittlich 22 Jahren zu alt und die Postdoc-Phase ist mit acht bis zehn Jahren nach wie vor zu lang.Die Deutsche Forschungsgemeinschaft weist in einemStrategiepapier zur Nachwuchsförderung darauf hin, dassWissenschaftler bei uns oft bis ins fünfte Lebensjahrzehntnicht selbstständig forschen. Auslandsaufenthalte behin-dern oft, weil der Forscher hinterher keine Stelle mehr fin-det, und Hausberufungsverbote behindern die Auswahlder Bestqualifizierten. Frau Bulmahn, die Förderung derWissenschaftler muss verbessert werden gerade vor demHintergrund, dass Sie das Emmy-Noether-Programmnicht aufgestockt haben; dieses Programm dümpelt wei-ter im Kleinen vor sich hin.
Eine gute Entwicklung der Forschung im Bereich derNaturwissenschaften können wir heute – darüber freueich mich – im Osten verzeichnen. Dort haben die Länderviel getan und dort hat auch die alte Regierung Erhebli-ches geleistet. Dort bilden sich Cluster- und Innovations-zentren mit Wirkung auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt.Bio-Regio der alten und Inno-Regio der neuen Regierung,Herr Tauss, haben hier viel Gutes bewirkt.
Es gibt aber ein Problem: Die immer noch geringereBezahlung nach BAT Ost sorgt für die Abwanderung vonSpitzenleuten in den Westen oder ins Ausland. Die pau-schale Stellenkürzung, Frau Bulmahn, von jährlich1,5 Prozent bei den Instituten der Leibniz-Gemeinschaft,die primär im Osten sitzen, macht es den Forschernschwer, ihre Aufträge zu erfüllen.
Zweites Problem: Auslandsmarketing. Im Bundesbe-richt Forschung 2000 kommt das Thema nicht vor. Ichfreue mich, dass Sie eben angeregt haben, dies in Zukunftzu ändern. Es wäre auch sehr schön, wenn Sie dieses füruns sehr wichtige Thema bei einer Kabinettssitzung ein-mal Ihrem Kollegen Fischer vermitteln könnten. Nach wievor leben wir damit, dass Goethe-Institute im Ausland ge-schlossen werden. Damit haben wir einen der Türöffner,den es für ausländische Studenten gibt, wieder blockiert.
Ihre Rückrufaktion für deutsche Wissenschaftler imAusland kann bei der F.D.P. nur ein müdes Lächeln her-vorrufen. Ich frage mich, wieso ein Wissenschaftler, dertagtäglich Reden wie beispielsweise die von Herrn Fellhört und eine Atmosphäre einer voreingenommenen Wis-senschaftsdiskussion erfährt, wieder zurückkommen soll.
Weitere Defizite kommen hinzu, zum Beispiel ein ver-krustetes Hochschuldienstrecht. Frau Bulmahn, es istschön, dass Sie das erkannt haben. Allerdings muss ich Ih-nen vorhalten: Bei der Debatte darüber heute Abend lie-gen zwei Anträge von F.D.P. und CDU/CSU auf demTisch – und keiner aus Ihrem Haus. Das ist die Lücke, diewir nach wie vor zu beklagen haben. Das Ganze führtdazu, dass wir nach wie vor nicht dazu in der Lage sind,international zu agieren. Unsere Professoren haben zu ge-ringe Gehälter. Ich darf erneut Herrn Markl von der MPG
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Ulrike Flach14261
zitieren, der sagt: „Es reicht nicht mehr, mit dem Ruhm zuwedeln.“ Auch Naturwissenschaftler lesen die Zeitungund wissen, was in der Industrie verdient wird. Vor die-sem Hintergrund wundert es mich nicht, dass sie nicht andie Universitäten gehen.Die USAsteigerten ihren Forschungsetat – nur, um daseinmal in Erinnerung zu rufen – im Jahre 2000 um 14 Pro-zent, die Briten um 7 Prozent.
Das sind die Richtgrößen, die für uns Maßstab sein soll-ten, wenn wir Ihnen begeistert zujubeln sollen, wenn Sieuns erzählen, welche großen Fortschritte diese For-schungslandschaft unter Ihrer Ägide gemacht hat. Dakönnen wir noch etwas zulegen, Frau Bulmahn.
Frau Ministerin, wir stimmen, wie Sie wissen, mitIhren Zielen oft überein. Das macht der vorliegende Be-richt auch deutlich. Leider fehlt Ihnen nach wie vor dieDurchschlagskraft, die wir uns für Sie und für dieses Landsehr wünschen. Sie regieren nicht, Sie reagieren sehr oft.Jetzt, wo die Hälfte Ihrer Kabinettskollegen entweder neuoder angeschlagen ist, sollten Sie die Gelegenheit nutzen,um einmal so richtig loszulegen.
Erweitern Sie Ihren Spielraum! Kommen Sie mit Refor-men, nicht mit Reförmchen! Wenn Sie wirklich einenAufbruch in der deutschen Bildungs- und Forschungs-landschaft wollen, dann kommen Sie mit uns, FrauBulmahn. Sie werden uns dort finden, wo die F.D.P. im-mer ist: nämlich an der Spitze des Fortschritts.
Ich erteile der Kolle-
gin Maritta Böttcher, PDS-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsi-dent! Meine Damen und Herren! Ich überlege noch, ob ichmit zur Spitze komme, Frau Flach.
Der Forschungsbericht unterliegt – das ist hier schondeutlich geworden; ich will das unterstreichen – seit Jahr-zehnten einer Schieflage. Der Beitrag, den die Forschungfür die gesellschaftliche Entwicklung insgesamt erbringenkönnte, ist systematisch vernachlässigt worden. Die aktu-elle BSE-Debatte macht exemplarisch deutlich, wovon ichspreche: Beim Streben nach einem Höher, Schneller undWeiter in der agrarindustriellen Produktion, die einem ver-schärften Konkurrenzdruck ausgesetzt ist, kamen Fragennach den Folgen für die Umwelt und die Gesundheit derVerbraucherinnen und Verbraucher unter die Räder. DasBMBF hat gestern zwar eine Liste mit BSE-relevantenProjekten an Hochschulen und Forschungseinrichtungenzusammengestellt, im vorliegenden Forschungsberichtkommt aber nicht einmal der Begriff BSE vor.Dieses aktuelle Beispiel unterstreicht die Notwen-digkeit einer sozialökologischen Umorientierung derForschungspolitik des Bundes. Eine nach wie vor unter-geordnete Rolle spielen unter anderem das Welternäh-rungsproblem, die globale Klimakatastrophe, die drohendeDeindustrialisierung und Entvölkerung ganzer Landstri-che im Osten Deutschlands und Europas. Es geht mit an-deren Worten um die Mobilisierung wissenschaftlicherKompetenz für die Lösung der KonfliktdimensionenMensch-Natur, Mann-Frau, Nord-Süd, West-Ost oderArm-Reich.Damit sind wesentliche Herausforderungen für dieForschungspolitik des 21. Jahrhunderts benannt, von derwir einen entscheidenden Beitrag zum sozialökologi-schen Umbau unserer Gesellschaft erwarten. Das verlangtaber zunächst, dass wir die Eigenständigkeit der For-schungs- und Technologiepolitik gegenüber der Wirt-schafts- und Industriepolitik akzeptieren. Die Abspaltungdes Technologieressorts aus dem ehemaligen Bundesmi-nisterium für Bildung, Wissenschaft, Forschung undTechnologie macht die Einlösung dieses Anspruchs aufjeden Fall nicht leichter.Ich nehme durchaus zur Kenntnis, dass der vorliegendeBericht neue Akzente erkennen lässt, was die eingangsvon mir betonte gesellschaftspolitische Funktion von For-schungs- und Technologieförderung betrifft. Frau Minis-terin, Sie haben es sich zumindest zum Ziel gesetzt, daseinseitig dem ökonomischen Standortwettbewerb unter-geordnete forschungspolitische Verständnis der Vorgän-gerregierung nicht ungebrochen fortzusetzen, und habensich vorgenommen, die gesellschaftlichen Aufgaben deswissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts ernst zu nehmen.Die Erhöhung der Haushaltsmittel für die For-schungsförderung ist unbestreitbar und grundsätzlichauch anzuerkennen. Wir kritisieren aber die einseitigeSchwerpunktsetzung: Die größten Steigerungsraten gibtes in den Bereichen molekulare Medizin, Genomfor-schung und Biotechnologie. Mit der Gentechnologie wirdeiner Risikotechnologie Priorität – es geht um Priorität! –eingeräumt, die aufgrund ihrer Gefahren, ihrer ethischenGrenzüberschreitungen und ihres fragwürdigen Nutzensgesamtgesellschaftlich äußerst umstritten ist.
Es ist bemerkenswert, dass unter der Verantwortung einerrot-grünen Regierung ein Sechstel der Mittel des Zukunfts-investitionsprogramms in die Genomforschung fließen unddies von den Grünen leidenschaftlich begrüßt wird.Die Forschungsförderung des Bundes weist insge-samt ein Ungleichgewicht auf; ihre Struktur wird der Not-wendigkeit einer sozialökologischen Umorientierung derForschungs- und Technologiepolitik nicht gerecht. AufFörderbereiche wie Weltraumforschung und Weltraum-technik, nukleare Energieforschung und Kernfusionsfor-schung, Informationstechnik und Fertigungstechnik, Ma-terialforschung, Innovationsförderung sowie die bereitserwähnte Biotechnologie und die gendeterminierte Ge-sundheitsforschung entfallen nach wie vor die Löwenan-teile der Forschungsausgaben des Bundes.Die technologieorientierte Forschung dominiert abso-lut, während die Förderbereiche Geistes-, Wirtschafts-
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Ulrike Flach14262
und Sozialwissenschaften oder Bildungsforschung aufäußerst niedrigem, geradezu marginalem Niveau stagnie-ren: Weniger als 5 Prozent der Forschungsausgaben desBundes fließen in diesen Bereich.Ungebrochen ist hingegen auch unter Rot-Grün die Be-deutung der Militärforschung. Jede achte Forschungs-mark wird erklärtermaßen für Militärforschung ausgege-ben. Darin ist noch nicht die Förderung von Technologiemit Dual-Use-Charakter enthalten, die eine indirekteForm der Rüstungsforschung darstellt.Die unter dem Förderbereich „umweltgerechte nach-haltige Entwicklung“ subsumierten Programme wurdenzwar erfreulicherweise verstärkt, haben aber insgesamtnach wie vor eine untergeordnete Bedeutung; ihr Anteilmacht gerade ein Zwölftel der Gesamtausgaben aus.Zweieinhalb Jahre nach dem Regierungswechsel führensozialökologische Wissenschaftsansätze immer noch einSchattendasein in der deutschen Wissenschaftslandschaft.Die Umwandlung der Hochschulen in marktgesteu-erte Dienstleistungsunternehmen gefährdet kritische,nicht marktangepasste Wissenschaftsansätze.
Zur Stunde führen die Studierenden des Otto-Suhr-Insti-tuts der Freien Universität Berlin einen Aktionstag gegengeistigen Kahlschlag durch.
Ich möchte den beteiligten Studierenden und Lehrendenauch von dieser Stelle aus meine Solidarität aussprechen.
Die Bundesregierung fordere ich auf, in ihrer For-schungspolitik kritischen, alternativen und nicht ökono-misch verwertbaren Wissenschaftsansätzen einen gesi-cherten Status zu geben.
Zugleich trete ich dafür ein, dass die Hochschulen alsSchnittstellen von Forschung, Lehre und Studium wiederzur tragenden Säule des bundesdeutschen Wissenschafts-systems werden und die sukzessive Auswanderung derForschung in außeruniversitäre Forschungseinrichtungenund in die Wirtschaft gestoppt wird.
Das gilt auch für die Fachhochschulen, die in der For-schungspolitik des Bundes systematisch benachteiligtwerden. Der Anteil der von Fachhochschulen beantragtenForschungsvorhaben an allen von der Deutschen For-schungsgemeinschaft geförderten Projekten beträgt ge-rade einmal 0,2 Prozent.
– Der Anteil beträgt 0,2 Prozent, trotz Aufstockung! Dasmuss hier gesagt werden können und das muss zur Kennt-nis genommen werden.
Die Bundesregierung stellt in ihrer Forschungspolitikdie bisherige strikte Unterscheidung von Grundlagenfor-schung und anwendungsorientierter Forschung infrage.Wenn dies zutrifft, so erlangt aber auch die Arbeitsteilungzwischen Universitäten und Fachhochschulen in der For-schung eine neue Bedeutung. Die Fachhochschulen, diebisher auf die anwendungsorientierte Forschung verwie-sen worden sind, während die Grundlagenforschung denso genannten wissenschaftlichen Hochschulen, den Uni-versitäten, vorbehalten blieb, müssen gleichberechtigtePartner in der Forschungspolitik des Bundes und der Län-der werden. Ich fordere daher eine strukturelle Öffnungder DFG für die Fachhochschulen. Die Wissenschaftspo-litik der Bundesregierung darf die Fachhochschulen nichtlänger bremsen, sondern muss ihre Entwicklung aktiv un-terstützen.Über die Personalstruktur und das Dienstrecht an Hoch-schulen und Forschungseinrichtungen reden wir ja heutenoch. Deshalb an dieser Stelle nur so viel: Was den gleich-berechtigten Zugang von Frauen zu Wissenschaft undForschung angeht, hat sich die Situation nicht grundle-gend verbessert. Die Lage an den außerhochschulischenForschungseinrichtungen ist diesbezüglich noch düstererals an den Hochschulen. Bei den Führungspositionen anForschungseinrichtungen in den alten Bundesländern liegtder Frauenanteil bei verschwindenden 2 Prozent. Auch ausdiesem Grunde ist eine Strukturreform der Personalverfas-sung an den Hochschulen und Forschungseinrichtungengeboten. Leider warten wir bis heute auf den versproche-nen Gesetzentwurf der Bundesregierung.Lassen Sie mich abschließend etwas zur viel diskutier-ten Internationalisierung von Wissenschaft und For-schung sagen. Mit dem Stichwort „Internationalität deut-scher Forschung“ zeigt der Bundesbericht am deutlichsten,dass sich die neue Bundesregierung keineswegs vollständigvon der Standortpolitik der alten Regierung Kohl emanzi-piert hat. Internationalisierung von Wissenschaft und For-schung wird in erster Linie als Europäisierung verstandenund dort wiederum stark auf die Mitgliedstaaten der Euro-päischen Union bezogen. Im globalen Maßstab wird Inter-nationalisierung vor allem unter das Verdikt der „Tria-denkonkurrenz“ Europas mit Japan und den USAgestellt.Wir brauchen aber eine gleichberechtigte und partner-schaftliche Kooperation mit allen Völkern dieses Erd-balls.Frau Ministerin, ich kann Ihnen den guten Willen nichtabsprechen und will es auch nicht tun. Aber ich muss sa-gen, dass die bisherigen Ergebnisse Ihrer Arbeit noch zuwenige Belege für den Vollzug der angekündigten sozial-ökologischen Neuorientierung der Forschungspolitik ent-halten. Der Regierungswechsel ist bereits Geschichte; derqualitative Politikwechsel steht allerdings noch aus. Des-halb möchte ich mit Ihnen – wenn es sein muss, auch mitFrau Flach – an die Spitze vordringen.Danke.
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Maritta Böttcher14263
Ich erteile nun das
Wort dem Kollegen Jörg Tauss, SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident!Meine lieben Kolleginnen! Meine lieben Kollegen! Ichwill mich dem Dank der Opposition für den Bundesbe-richt Forschung selbstverständlich anschließen.
Mit diesem Bericht legt die Bundesregierung demDeutschen Bundestag alle vier Jahre
eine sehr umfassende Darstellung zur Forschungspolitikin Deutschland vor. Dieser Bericht gibt – Herr KollegeFriedrich, Sie müssen natürlich pflichtgemäß protestie-ren – in aller Klarheit Auskunft über folgenschwere for-schungspolitische Versäumnisse in den 90er-Jahren. Ergibt gleichzeitig die richtigen Hinweise auf die Neuaus-richtungen und auf die Schwerpunktsetzungen in derForschungspolitik für die nächsten Jahre.In den 90er-Jahren wurde zu wenig – darauf wurdeschon ausführlich von dem Kollegen Fell hingewiesen – inDeutschlands Zukunft investiert. Lieber Kollege Friedrich,die Erklärung, daran sei Herr Honecker schuld, ist einfachzu dünn. Sie sollten sich nicht hinter Herrn Honecker ver-stecken, sondern sich klar zu den eigenen Versäumnissenbekennen. Auch das gehört zur Wahrheit und zum politi-schen Anstand.
In den 90er-Jahren haben Sie die Ausgaben für Bil-dung und Forschung stark gekürzt, während es in denVereinigten Staaten und Japan immense Steigerungengab. Jetzt sprechen Sie davon, dass es heute im For-schungsbereich nur eine kleine Erhöhung in der Größen-ordnung der Inflationsrate gebe. Die Inflationsrate liegtbei deutlich unter 2 Prozent, während in diesem Jahr dieAusgaben für Bildung und Forschung in unserem Haus-halt um über 9 Prozent steigen. Ihre Interpretation derZahlen stimmt einfach nicht.
Ebenso wenig, wie Sie der Forschung in Deutschlandin der Vergangenheit die notwendige Mittelaufstockunggewährt haben, die dringend notwendig gewesen wäre,um den Anschluss an andere Industrienationen nicht zuverlieren, haben Sie die längst überfälligen Reformen derstrukturellen und rechtlichen Rahmenbedingungen füreine zukunftsfähige Forschung in Deutschland eingelei-tet. Auch an diesem Versäumnis ist Herr Honecker nichtschuld, Herr Friedrich.Aus den Versäumnissen, die Sie zu verantworten ha-ben, haben sich strukturelle Probleme für den For-schungsstandort Deutschland ergeben. Die jetzt not-wendigen strukturellen Reformen sind von uns in Angriffgenommen worden – die Ministerin hat sie schon er-wähnt –: die Modernisierung der Forschungslandschaftund die Reform des Dienstrechtes an den Hochschulen.Gegen viele dieser Prozesse – heute haben sich IhreEinwände vergleichsweise moderat angehört – erhebenSie vor Ort, zum Beispiel in Bayern, lebhaften Protest.Der Kollege Rachel glaubt, die Beschäftigten an den For-schungseinrichtungen mit negativen Meldungen über dieReformprozesse beglücken zu müssen. Sie erheben Pro-test, ohne selbst Alternativen vorzulegen. Sie verkürzendie Sachverhalte polemisch und in unzulässiger Weise.
Die von Ihnen vorgetragenen Einwände sind in bewun-dernswerter Form untereinander völlig inkompatibel.Herr Kollege Rachel, angesichts dieser InkompatibilitätIhrer eigenen Vorstellungen brauche ich nicht nervös zusein.
In dem Bericht wird völlig zu Recht festgestellt, dass„der selbstverständliche Zusammenhang von Forschungund Bildung lange Jahre übersehen wurde“. Auch diesesist Ihr Versäumnis.Frau Kollegin Flach, die heute vorzufindenden Pro-bleme, die wir alle sehen können, reichen vom Nach-wuchsmangel in der Wissenschaft – auch das ist eineFolge von unflexiblen und verkrusteten Strukturen – bishin zur fehlenden Motivation und Bereitschaft jungerMenschen, eine akademische naturwissenschaftlicheLaufbahn zu wählen. Diese Mängel jedoch sind alle nichterst gestern aufgetreten. Sie haben sich vielmehr im Laufeder Jahre entwickelt. Aus diesem Grunde wäre es auchgut, Frau Kollegin Flach, wenn Sie diesen Zustand nichtnur beschreiben, sondern wenn Sie sich auch zu den vonIhnen eingeleiteten Fehlentwicklungen klar bekennenwürden.Auch das würde zur politischen Ehrlichkeit gehören.
Ich stimme Ihnen völlig zu: Es ist ein absolutes Un-ding, dass bei der Zahl der Studienanfänger in Physik einRückgang um 80 Prozent zu verzeichnen ist. Von den In-genieurberufen will ich an dieser Stelle gar nicht spre-chen. Aber wenn wir über den Mangel an Fachkräften re-den und über wichtige Initiativen diskutieren, wiebeispielsweise in einem Bereich die Green-Card-Aktion,dann kommen von Ihrer Seite, wie im NRW-Wahlkampf,verantwortungslose polemische Sprüche statt inhaltlicherArgumente, obwohl diese Maßnahmen ein wichtiger Bei-trag sind, hier ein Stück weit gegenzusteuern und diegröbsten Probleme zu beseitigen.Das ist nur ein Baustein im Maßnahmenbündel. Da-rüber hinaus brauchen wir ein Sofortprogramm zur Wei-terentwicklung der Informatikstudiengänge. Dieses istangepackt worden. Wir brauchen die Steigerung der Zahlder Ausbildungsplätze in den IT-Berufen. Das ist mit der
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Wirtschaft vereinbart worden. Wir brauchen die intensiveFörderung von Bildungssoftware. Dieses Projekt ist mitsehr viel Geld auf den Weg gebracht worden.Das alles sind Belege dafür, dass die Probleme, die wirgeerbt haben, von dieser Bundesregierung nicht nur er-kannt worden sind, sondern auch ernst genommen und an-gepackt werden. Wir bitten um Ihre freundliche Unter-stützung.
Die SPD-Fraktion begrüßt daher, Frau Ministerin, aus-drücklich die mit dem Regierungswechsel begonneneNeuausrichtung der Forschungspolitik. Viele der inAngriff genommenen Reformvorhaben und viele neueAkzentuierungen in der Forschungs- und Förderpolitiksind richtig. Die Internationalisierung von Lehre und For-schung, das Durchbrechen von Überreglementierung undkomplizierten Entscheidungsprozessen, die Verbesserungdes Wissenstransfers an der Schnittstelle von Wirtschaftund Wissenschaft – Stichwort Info-Mining; da können wiralle miteinander noch einiges tun –, die Entwicklung vonLeitprojekten und die klare Prioritätensetzung bei derLeistungsförderung – all dies sind notwendige und richtigeEntscheidungen, die Sie, lieber Kollege Friedrich, eigent-lich mit starkem Beifall begrüßen müssten. Sagen Sie des-halb an dieser Stelle ein klares Ja zur Programmsteuerungund hören Sie auf, Verunsicherung zu säen. Geben Sie zu,dass das, was die Bundesregierung hier angepackt hat, derrichtige Weg ist, statt mit Ihrer Lokalzeitung darüber zudiskutieren.
Die Bundesregierung hat ihre Forschungs- und Förder-politik an programmatischen Schwerpunkten ausgerich-tet, auf die ich nicht im Detail eingehen möchte. Ichmöchte jedoch einige Schlüsselbereiche nennen, zunächstdie Informations- und Kommunikationstechnik. Ihrkommt eine wesentliche Bedeutung zu. Wir müssen indiesem Zukunftsbereich wieder Anschluss an die Spitzegewinnen. Sie haben immer von der Wissens- und Infor-mationsgesellschaft geredet. Wenn man von den Multi-mediagesetzen absieht – über die man auch diskutierenkann, weil sie eine durchaus unterschiedliche Qualität ha-ben –, haben Sie es versäumt, Ihre Sonntagsreden zur In-formations- und Wissensgesellschaft politisch und for-schungspolitisch zu begleiten.
Zu nennen ist an dieser Stelle die Förderung der Bio-technologie, mit der, gerade bei der Bekämpfung vonKrankheiten, wichtige Innovationsprozesse gefördertwerden. Wir hoffen, Frau Gesundheitsministerin, Ihnenauf diesem Gebiet viele Ergebnisse vorweisen zu können,damit Sie Ihren Etat schonen können und vor allem einBeitrag dazu geleistet wird, dass die Menschen wenigerhäufig krank werden. Deshalb wollen wir die Lebenswis-senschaften, die Gesundheitsförderung insgesamt mit Ih-nen gemeinsam ausweiten. Bei allen politischen Diskus-sionen auf diesem Feld geht es um die Frage, wie wir mitden Ergebnissen dieser Forschung für die Menschen eineleistungsfähige und dabei wirtschaftliche Versorgung si-cherstellen können. Auch das ist ein wichtiger Punkt.Auf alle Punkte kann man nicht eingehen. Aber mankann sagen: Der vorliegende umfängliche Bericht gibtAntworten zu Forschungsprojekten von der Gesundheitauf der Erde bis hin zur Raumfahrt. In all diesen Berei-chen werden wichtige Initiativen ergriffen.Die Ministerin verdoppelt die Mittel zur Förderungder interdisziplinären Innovations- und Technikana-lyse. Das ist ein Punkt, der von Ihnen immer kritisch ge-sehen worden ist; gelegentlich wurde sogar polemisiert,wurden die Risiken in den Mittelpunkt gestellt und dieChancen nicht gesehen. Wir müssen beides tun: Wir müs-sen Chancen und Risiken bewerten.
Als Stichwort sei hier der gesamte Bereich „Wissenschaftim Dialog“ genannt. Wie notwendig dieser Dialog ist,zeigte sich in den vergangenen Wochen beinahe täglichbeim Blick in die Zeitungen.Der Bundesbericht Forschung listet umfassend die for-schungspolitischen Aktivitäten und Ziele der Bundesre-gierung auf. Wir können feststellen, dass wir in einigenForschungsfeldern – trotz, nicht wegen Ihrer Politik – ander Spitze stehen. Dazu gehören die Nanotechnologie, diekombinatorische Chemie und die Entwicklungsbiologie,um nur einige Felder zu nennen.In den neuen Bundesländern, wo wir sicherlich nochSorgen haben – der Kollege Kasparick wird darauf nochim Detail eingehen –, ist der Aufbau der wissenschaftlich-technischen Infrastruktur immerhin weit vorangekom-men.Wenn wir im Übrigen gemeinsam beklagen, FrauFlach, dass ein Nachwuchsmangel herrscht, dann müssenwir uns wohl auch darüber unterhalten, dass 50 Prozentder Menschheit, die Frauen, gerade in der naturwissen-schaftlichen Forschung nicht anzutreffen sind und dassuns dies von anderen Nationen unterscheidet. Mit ge-zielter Nachwuchsförderung gerade für junge Frauenhaben wir wichtige Schritte in diesem Bereich getan. Ichweiß nicht, woher Sie Ihre Zahlen nehmen; denn nachdem Bericht – Sie sollten ihn lesen und ihn nicht nur nachStichworten durchforsten – werden in die Nachwuchsför-derung 1,2 Milliarden DM investiert. Das Noether-Pro-gramm stagniert nicht – auch diese Aussage ist unrich-tig –, sondern es wird gemeinsam mit den BundesländernStück für Stück aufgestockt.
Im Mittelpunkt steht vor allem die Förderung jungerWissenschaftlerinnen. Darauf sind wir, wie ich sagenmöchte, ein Stück weit stolz.Die letzten Tage und Wochen haben aber auch gezeigt,meine Damen und Herren, dass Forschungspolitik nichteine Politik im abgeschotteten Elfenbeinturm ist. Ichdenke an das Thema BSE und an mögliche Folgen fürden Menschen. Übrigens sei Ihnen, Frau Böttcher, die
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Jörg Tauss14265
Seite 161 des Berichts zur Lektüre empfohlen. Natürlichwird BSE in dem Bericht erwähnt; Sie sollten nicht nurquer lesen.
Aber die Wissenschaft kann natürlich auch einen Bei-trag dazu leisten – sie sollte dies jedoch nicht tun –, sol-che Probleme zu ignorieren. Wir sollten den Weizen vonder Spreu trennen, die gesellschaftlichen Probleme auf-greifen und zu wirksamen Lösungen jenseits von Lobby-interessen kommen. Wir sollten die wissenschaftlichenErkenntnisse und die Notwendigkeit politischen Han-delns miteinander verbinden. Das gilt für den internatio-nalen Bereich, zu dem in einem Bericht festgestellt wor-den ist, dass die Ignoranzquote von Politik gegenübererkannten Problemen noch immer viel zu hoch sei; siehabe sich aber wenigstens nicht verschlechtert.Lieber Herr Merz, da ich Sie gerade sehe: Wenn ich anden Begriff „Ignoranzquote“ denke, fallen Sie mir ein; ichweiß nicht, warum. Was sollen denn Ihre wunderschönen Aktionen an Tankstellen, die die Zusammenhänge zwi-schen Energieerzeugung, Energiepreisen und Umweltbe-lastung leugnen? Genau das ist es, was Sie bei der Öko-steuer tun: Sie zeigen eine Ignoranz gegenüber wissen-schaftlichen Erkenntnissen.
Aus diesem Grunde setzen Sie sich mit Ihrem Aktio-nismus bei den Bürgerinnen und Bürgern nicht durch undmüssen Ihre Plakate zurücknehmen. Sie richten Schadenan, ohne die Folgen zu bedenken.Bleiben wir bei BSE: Es wäre sehr schön, wenn nachFrau Stamm in Bayern auch Frau Staiblin endlich ginge.Eine Landwirtschaftsministerin der CDU, die wissen-schaftliche Erkenntnisse und daraus resultierende Gesetzegering schätzt, ist in diesem Lande – auch in Baden-Würt-temberg – untragbar. Auch dort könnte ein Beitrag geleis-tet werden.
Im Übrigen ist Baden-Württemberg ein Land, das dieAusgaben für Forschung ebenfalls gekürzt hat, und zwarentgegen allen Auskünften, die Sie sonst geben. Das istnicht Geschwätz, sondern Sie sollten sich einfach einmalmit den Zahlen – unter anderem des Technologierates derLandesregierung Baden-Württemberg – beschäftigen. Indem dortigen Bericht wird die Landesregierung wegender Kürzung der Forschungsausgaben kritisiert. Sie neh-men die Wirklichkeit nicht zur Kenntnis; das ist Ihr Pro-blem, das Sie immer wieder haben und dessentwegen Siegelegentlich Plakate zurückziehen müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben alsPolitik auch die Aufgabe, ethische Grundlagen des Han-delns klar zu formulieren. Ich denke, es darf keine Situa-tion geben – um an eine Frage, die vorhin gestellt wurde,anzuknüpfen –, in der sich die Wissenschaft unbeobach-tet über die Gesellschaft verbindende Grundsätze erhebtoder in der allein wirtschaftliches Tun die Ausrichtungvon Forschung bestimmt oder gar Ethik als Wert ersetzt.Ich glaube, dies könnte eine Gemeinsamkeit sein, auf diewir uns auch in diesem Hause verständigen könnten. Wirt-schaftliches Handeln und ethische Grundsätze könnennicht einfach gleichgestellt werden. Selbstverständlichsind die Grenzen fließend; dies ist klar. Ethische Grund-lagen werden durch die Politik gesetzt, wie tages-aktuelle Beispiele zeigen. Denken wir an die Abtrei-bungsdebatte in den USA oder an das Klonen in Großbri-tannien.Aber ich rede darüber – wenn ich auch auf diese Fra-gen jetzt nicht im Detail eingehe –, dass wir in diesenPunkten einen zumindest mehrheitlichen Konsens zwi-schen Politik, Wissenschaft und Wirtschaft und einenmöglichst breiten Konsens innerhalb der gesamten Ge-sellschaft brauchen und ihn schnell erzielen müssen. Dasgilt natürlich auch für dieses Parlament.Dabei dürfen übrigens Wissenschaft und Forschungnicht in Unklarheit bleiben; ganz im Gegenteil, sie müs-sen in Klarheit darüber leben können, in welchem Kon-text sie arbeiten. Ich wiederhole und spitze es zu: Diesermehrheitliche Kontext wird sich beispielsweise in derBiotechnologie weder an dogmatischen Verkürzungen dereinen Seite noch an kritiklosem wirtschaftlichen Handelnder anderen Seite orientieren dürfen. Weder sollten wirdogmatische Verkürzungen zum Gegenstand unserespraktischen Handelns in der Politik machen, noch solltenwir Handeln kritiklos an wirtschaftlichen Vorgängen ori-entieren.
Herr Kollege Tauss,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert?
Bitte schön, lieber Kollege Seifert.
Lieber Kollege, Sie haben bei
Ihren Bemerkungen hinsichtlich der dogmatischen Ver-
kürzungen ein bisschen in meine Richtung geschaut. Ich
glaube, das war reiner Zufall.
Eine Frage gestatten Sie mir bitte: Ist es nicht so, dass,
selbst wenn die Mehrheit, wie Sie sagen, ethische
Grundsätze sehr achtet und nur ganz wenige das nicht tun,
diese wenigen irreversible Schäden anrichten können, so-
dass die gesamte Menschheit mit den Folgen leben muss,
wenn zum Beispiel in der Biotechnologie oder in der
medizinischen Genforschung Dinge in die Welt gesetzt
werden, die wir nie wieder loswerden können? Das
Problem dabei ist doch, dass wir mögliche For-
schungsergebnisse nicht zurücknehmen können.
Kollege Seifert, das ist genau dasProblem, über das ich sprach. Im Übrigen, wenn Sie sichden Schuh des Dogmatikers anziehen wollen, dann willich Sie daran nicht hindern. Ich meinte damit aber durch-aus auch andere: zum Beispiel bestimmte Zirkel von Dog-
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matikern wie etwa Opus Dei, Fundamentalisten einerganz anderen Seite. Möglicherweise gibt es solche Fun-damentalisten auch in Vorstandsetagen einiger Unter-nehmen.Unsere Rahmenbedingungen – das war meine Aus-sage – benötigen im Interesse der Wirtschaft und der For-schung eine möglichst breite gesellschaftliche Akzeptanz,die nur im Diskurs und im Abwägen des Für und Widergewonnen werden kann. Wir haben eine Debatte über dieNotwendigkeit und die Chancen der Biotechnologie undüber deren mögliche Grenzen eingefordert. Dabei ist dieTatsache zu beachten, dass diese gesellschaftspolitischwichtige Debatte über tradierte Ressortabgrenzungen hi-naus geführt wird. Für diese Debatte und die Art undWeise, wie sie geführt wird, tragen gerade wir als For-schungspolitikerinnen und Forschungspolitiker in diesemHause eine große Verantwortung. Wir sollten diese Ver-antwortung wahrnehmen.
Das war meine Antwort auf Ihre Frage. Ich würde michfreuen, wenn Sie mit eigenen Antworten dazu beitragenwürden, diese Probleme zu lösen.Ich stelle zusammenfassend fest: Die Politik hat zu-vörderst mit der Wissenschaft – dies betrifft auch die Wis-senschaft selbst – die Aufgabe, die ethischen Grundlagenihres Tuns zu definieren. Sie hat die Aufgabe – auch dasist ganz klar –, die Forschung in den Dienst der Menschenzu stellen und nicht allein in ihren Dienst. Nur so bildetsie eine Grundlage für ein nachhaltiges wirtschaftlichesWachstum, für eine gesamtgesellschaftliche Entwicklungund letztlich auch für kulturelle Vielfalt.Ich sehe gerade Herrn Staatsminister Nida-Rümelin.Ich gratuliere ihm recht herzlich zu seinem neuen Amt.
Wir haben in diesen Fragen schon einen sehr interessan-ten Dialog begonnen.
– Sie sollten sie einmal nachlesen. Dann wüssten Sie, wasgesagt worden ist.Für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung trägtletztlich auch die Kultur Mitverantwortung. Wir müsseneine kulturelle Vielfalt schaffen. Kultur und Wissen-schaft sind keine getrennten und einander unzugäng-lichen Welten. Wissenschaft ohne Kultur wäre im Übrigenfolgenlos. Deshalb meine Bitte: Sie sollten die Politik, diewir betreiben und die im Forschungsbericht 2000 klarzum Ausdruck kommt, unterstützen.Herr Kollege Friedrich, Sie sollten aufhören, sich mitfremden Federn zu schmücken. Sie sprachen von Schub-laden. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Beispielsweise beidem Programm Inno-Regio, das Sie angesprochen haben,war die Schublade so leer, dass nicht einmal Staub darinwar, den wir hätten aufwirbeln können.Hier muss Folgendes klargestellt werden: Sie habenVersäumnisse zu verantworten. Nicht alles, was Sie getanhaben, war schlecht. Aber, wie wir es schon im Wahl-kampf gesagt haben, wir bemühen uns, das, was Sieschlecht gemacht haben, besser zu machen. Dass dies ge-schieht, zeigt die Entwicklung im ganzen Land. Dies giltbis hin zu den Auslandsinvestitionen, die sich aufgrundunserer Steuerreform, die Sie noch immer mit Argumen-ten bekämpfen, die nicht nachvollziehbar sind, in kür-zester Zeit vervierfacht haben. Genauso werden wir dasauch im Bereich der Wissenschafts- und der Forschungs-politik tun. Sie versuchen, Staub aufzuwirbeln, und zwarauch dort, wo Sie in den Schubladen nichts hinterlassenhaben.Aus diesem Grunde kann ich nur sagen, Sie werdenähnlich wie bei der Ökosteuer und bei sonstigen Mätz-chen, die Sie machen – mit Plakaten, egal welcher Art –,weder bei der Bevölkerung noch bei der Wissenschaftnoch in der Forschungslandschaft Zuspruch finden. Siewerden die Menschen im Lande nicht überzeugen, Siewerden mit diesem destruktiven Oppositionskurs nichtsbewirken. Wir werden so, wie der Weg eingeschlagenworden ist, Frau Ministerin, fortschreiten und es wird wieauch in den anderen Bereichen ein erfolgreicher Weg sein.Ich bedanke mich.
Ich erteile dem Kolle-
gen Joachim Schmidt, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutierenheute nicht nur über den Bericht, sondern auch über die Si-tuation der Forschung 2000 in Deutschland. Dabei mussdie Erhöhung der Effektivität eine wichtige Rolle spielen.Dieses unstrittige Ziel versucht die Bundesregierung un-ter anderem durch Strukturveränderungen in der For-schungslandschaft, zum Beispiel Fusionen – davon warheute schon die Rede –, zu erreichen. Mit gleichem In-strumentarium hat seinerzeit auch die DDR versucht, denWirkungsgrad ihrer Forschung zu erhöhen. Das Ergebniswar, dass das Ziel klar verfehlt wurde.
Im Lichte meiner eigenen langjährigen beruflichen Tätig-keit in der DDR-Forschung habe ich hier nur eher leid-volle Erfahrungen in Erinnerung.
Wenn man die Effizienz der Forschung wirklich stei-gern will, dann müssen zum einen Denkweise und Denk-muster derer, die aktiv Forschung betreiben, und zum an-deren deren Interessen Gegenstand der Überlegungensein.
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Jörg Tauss14267
Dabei ist davon auszugehen, dass die verantwortungsbe-wusst und kompetent arbeitenden Wissenschaftler – dasist die übergroße Mehrheit in unserem Land – sich aufihren Gebieten am besten auskennen und auch Risikenund Chancen am klarsten beurteilen können. Aus derWissenschaft müssen nachvollziehbare Informationenund Botschaften an die Politik gerichtet werden, um da-raus sinnvolle politische Entscheidungen abzuleiten.Strukturelle Überlegungen sind dabei absolut nebensäch-lich.
Im Hinblick auf die Interessenlage sind vor allem An-reize und Wettbewerb notwendig. Leistung und Erfolgmüssen sich lohnen. Das war in der DDR leider nicht derFall. Deshalb muss das Dienstrecht – da sind wir uns alleeinig – unbedingt auf den Prüfstand. Aber dazu müssennun auch bald einmal Vorschläge gemacht werden.Hinsichtlich des Stellenwertes der Strukturveränderun-gen möchte ich nur vor einem warnen: Man sollte nichtFehler wiederholen, die andere gemacht haben, und mansollte diesbezügliche Erfahrungen ernst nehmen. Des-halb: Stellen Sie die Überlegungen zu Strukturverände-rungen zurück! Sie werden nicht viel bringen. Sie erzeu-gen damit nur Unruhe, keine schöpferische, sondern eineaufgeregte, und die ist für die Forschung vom Grundsatzher eher kontraproduktiv.
Verstärken Sie dafür die Kommunikation mit den For-schern. Ich meine jetzt nicht so sehr die Forschungsmanager,die die Kommandohöhen in den Forschungsgesellschaftenund -verbänden besetzen, sondern die, die aktiv an der Frontder Erkenntnis arbeiten. Von ihnen hängen die Fortschrittein unserer Forschung in entscheidender Weise ab. IhreProbleme und Lösungsansätze müssen bevorzugt in diepraktische Politik einfließen. Lassen Sie sich das von je-mandem sagen, der selbst viele Jahre Forschung betriebenhat. Man kann inhaltliche Probleme nicht mit formalen In-strumenten lösen. Ich wäre froh, wenn Sie das berück-sichtigten.
Meine Damen und Herren, ich wechsele das Thema.Wenn wir heute über die Forschung 2000 diskutieren,dann ist es im Rahmen dieses Themas nicht nur sinnvoll,sondern unbedingt notwendig, auch eine kritisch-kon-struktive Bilanz der Forschung in den neuen Bundeslän-dern zu ziehen. Ich will dies im Folgenden versuchen.Wir sind in der Forschung wie auch auf anderen Ge-bieten im Osten gut vorangekommen, sicherlich weiter alsauf halbem Wege, aber noch lange nicht am Ziel. Die ost-deutsche Forschungslandschaft ist kein Steinbruch,auch kein Kahlschlag, sie steht auch nicht auf der Kippe.Aber es gibt nach wie vor ernsthafte Probleme, die gelöstwerden müssen. Die ostdeutschen Forschungsein-richtungen haben sich in der nationalen und internationa-len Forschungslandschaft einen festen und respektablenPlatz erarbeitet. Dabei ist festzustellen, dass sich seit zehnJahren Bund und Länder sehr engagiert um diese For-schungseinrichtungen bemüht haben. Seit 1991 wurdenim Einzelplan des BMBF jährlich circa 3 Milliarden DMfür die ostdeutsche Forschung und Entwicklung bereitge-stellt. Viele spezielle Förderprogramme, die im Großenund Ganzen zielführend waren und auch dankbar ange-nommen wurden, haben entscheidend zum Aufschwungvon Forschung und Entwicklung im Osten beigetragen.Die positive Bilanz betrifft vor allem die außeruni-versitäre und die Hochschulforschung. Beide könnenim Wesentlichen als konsolidiert angesehen werden. Dieshat sich nicht zuletzt darin gezeigt, dass bei der Eva-luierung der Institute der WissenschaftsgemeinschaftLeibniz die ostdeutschen Institute ganz besonders gut ab-geschnitten haben. Das ist um so erfreulicher, als die ehe-maligen Blaue-Liste-Institute eine herausragende Rolle inder ostdeutschen Forschungslandschaft spielen. Dieaußeruniversitäre und die Hochschulforschung der neuenBundesländer haben nationale und internationale Repu-tation gewonnen. Bemerkenswert ist in diesem Zusam-menhang, dass sie sich durch überdurchschnittlich hoheDrittmittelaktivitäten auszeichnen.Weitaus kritischer ist die Situation in der wirtschafts-nahen Forschung, das heißt in der Industrieforschung,einzuschätzen. Dies gilt nicht – das will ich ausdrücklichbetonen – für das intellektuelle und fachliche Niveau,wohl aber für Kapazität und wirtschaftliche Lage. 1990umfasste die Industrieforschung circa 85 000 Beschäf-tigte, 1993 waren in ihr noch 15 000 Mitarbeiter beschäf-tigt, deren Zahl bis 1998 auf 21 000 anstieg. Seitdemstagniert die Entwicklung. Die Industrieforschungskapa-zitäten in den neuen Bundesländern entsprechen zurzeitetwa 6 Prozent der in den alten Ländern. Um proportio-nale Verhältnisse zu erhalten, müssten diese Kapazitätenalso um das Dreifache erhöht werden.Die Industrieforschung war in besonderem Maße – dasmuss man wissen – vom totalen Umbruch des Wirt-schaftssystems betroffen. Im Ergebnis dieser Umwand-lung ist im Osten eine Wirtschaftslandschaft entstanden,die vor allem durch kleine und mittelständische Betriebegeprägt ist, die eigene Forschungskapazitäten meist nichtbetreiben können. Auch darin liegt eine Ursache dafür,dass die Kapazitäten der Industrieforschung bei uns so ge-ring sind. Die Feststellung, dass die Industrieforschungsich auf niedrigem Niveau stabilisiert hat, trifft zwar zu,aber seit zwei Jahren sind kapazitätsmäßige Fortschrittenicht mehr zu beobachten.Umso unverständlicher und inakzeptabler ist es, dassdie derzeitige Bundesregierung in den letzten zwei Jahrendie für die ostdeutsche Industrieforschung eingesetztenMittel drastisch gekürzt hat.
Waren 1998 dafür im Einzelplan 09 des Wirtschafts-ministeriums noch 300 Millionen DM eingestellt, sind esim Haushaltsjahr 2001 nur noch 240 Millionen DM, fürdie zusätzlich noch eine globale Minderausgabe von5 Prozent gilt,
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Dr.-Ing. Joachim Schmidt
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sodass de facto nur 228 Millionen DM zur Verfügung ste-hen.Nach Informationen des Verbandes innovativer Unter-nehmen werden bei einer derartigen Entwicklung in die-sem Jahr 2 000 Arbeitsstellen in der ostdeutschen Indus-trieforschung direkt gefährdet sein. Ein solches Vorgehenist deshalb nicht zu verantworten.
Schließlich gelten nach wie vor die Zahlen – sie sindnicht korrigiert – der mittelfristigen Finanzplanung desBundesfinanzministeriums für die ostdeutsche Industrie-forschung. Danach soll die Förderung bis zum Jahr 2003auf 50 Millionen DM reduziert werden. Dies würde be-deuten, dass die gesamte externe Industrieforschung in ih-rer Existenz gefährdet würde. Das darf nicht geschehen.
Die Absichtserklärung der Bundesregierung, die ost-deutsche Industrieforschung zukünftig – ich zitiere –„weiterhin auf hohem Niveau zu fördern“, ist angesichtsdieser Tatsache wenig glaubwürdig. Wunsch und Tat klaf-fen weit auseinander.
Es sei hinzugefügt, dass die ständigen Haushaltssperren inden Jahren 1999 und 2000 für die Ostprogramme desBMWi dazu geführt haben, dass diese Programme teil-weise außer Tritt geraten sind und Anträge für neue Pro-jekte nicht mehr gestellt werden konnten.Auf diese Weise erzielt man jedenfalls eines nicht: un-bedingte Planungssicherheit für die Forschung, und unterder Rubrik „aktiver Einsatz für den Osten“ kann man dieswohl auch nicht verbuchen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt imBlick nach vorn auf einige Probleme der ostdeutschenForschung eingehen, die aktuell zur Debatte stehen unddie zum Teil echte Sorgen auslösen.Erstens. Wir sollten alles unternehmen, damit in unse-rem Land generell, in Ostdeutschland im Besonderen, einKlima der Technikfreundlichkeit erhalten bleibt.Dies schließt ein, dass im öffentlichen Bewusstsein dieChancen eine mindestens so große Rolle spielen müssenwie die Risiken, die von Wissenschaft und Technik ausge-hen. Wissenschaft und Technik sollten im Grundsatz eherpositive Emotionen auslösen und weniger Ängste.
Schulen und Medien können hierbei eine sehr hilfrei-che Rolle spielen. Ihnen kommt in dieser Hinsicht eine be-sondere Verantwortung zu,
den Schulen vor allen Dingen auch deshalb, weil aus ih-nen der Nachwuchs für unsere Forschungslandschaftkommen muss. Denn unser derzeit größtes Defizit in denneuen Bundesländern besteht vor allem darin, dass dieForschungslandschaft überaltert ist. Nachwuchs zu ge-winnen und im Land zu halten, dies ist eine der gegen-wärtigen Kernaufgaben.Es besteht kein Zweifel darüber, dass hierbei vor allemauch materielle Randbedingungen eine entscheidendeRolle spielen, wobei im Hinblick auf die reale Finanzkraftder neuen Bundesländer leider eindeutige Grenzen gezo-gen sind. Aber der Anreiz für junge begabte Wissen-schaftler, für die Forschung zu arbeiten, umfasst nicht nurdas dabei zu verdienende Geld – das steht außer Frage –,sondern in nicht zu unterschätzender Weise auch die spe-ziellen Arbeitsbedingungen, das heißt die intellektuellenund fachlichen Freiräume in den jeweiligen Forschungs-einrichtungen. In dieser Hinsicht bieten sich überall großeund immaterielle Möglichkeiten, weil die Ausrüstungenin unseren Forschungsinstituten mittlerweile durchgängiggut sind. Ich bin nicht sicher, ob überall davon Gebrauchgemacht wird und ob dies vor allen Dingen auch überallnachvollziehbar propagiert wird. Wer Interesse, ja werPassion für die Forschung hat, wird derartige Konditionenfür seine Arbeitsplatzwahl jedenfalls nicht gering schät-zen.Zweitens. Wichtigstes wirtschafts- und forschungspo-litisches Gebot ist die erhebliche Verstärkung der Koope-ration zwischen den kleinen und mittelständischen Be-trieben, die sich keine eigenen Forschungskapazitätenleisten können, und der aus außeruniversitärer, Hoch-schul- und externer Industrieforschung bestehenden For-schungslandschaft. Diese Forschungslandschaft musszukünftig weit mehr zur Wertschöpfung in den neuenBundesländern beitragen als bisher.
Zu diesem Zwecke ist es auch erforderlich, dass in denkleinen und mittelständischen Betrieben mehr Personalangesiedelt wird, das für die Kooperation mit diesenForschungseinrichtungen verfügbar und entsprechendkompetent ist. Dies gilt sowohl für die Erarbeitung vonAufgabenstellungen als auch für die Umsetzung der er-reichten Forschungsergebnisse in den eigenen Unterneh-men.Ich schlage vor, zukünftig bei der Evaluierung ostdeut-scher Forschungseinrichtungen auch in besonderemMaße die Anstrengungen zu bewerten, die diese For-schungseinrichtungen unternehmen, um zur Wertschöp-fung im Osten einen größeren Beitrag zu leisten.
– Man muss sich im Osten auskennen, Herr Tauss. – Diesgilt insbesondere für Forschungseinrichtungen, die sichvor allem mit angewandter Forschung befassen, und diesgilt selbstverständlich für alle Hochschulen. Nach meinerfesten Überzeugung liegen in der Verstärkung und Quali-fizierung dieser Kooperation auf jeden Fall außerordent-lich hohe Reserven für den Aufschwung im Osten.
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Drittens. Die verstärkte Gründung technologieorien-tierter Unternehmen, hier insbesondere auch in Formvon Ausgründungen aus Forschungsinstituten und Hoch-schulen, bleibt auf Sicht eine herausragende förderwür-dige Aufgabe.Schließlich viertens. Für die überschaubare Zukunftbedarf die Forschung, insbesondere die wirtschaftsnaheForschung, im Osten weiter einer angemessenen und wir-kungsvollen finanziellen Unterstützung. Ich wiederholedeshalb, dass die beabsichtigten Kürzungen der BMWi-Programme für die neuen Bundesländer in keiner Weiseakzeptabel sind.
Es gibt keinen einzigen vernünftigen, auch keinen ord-nungspolitischen Grund für eine wie geplant rabiate De-gression der Forschungsförderung. Ich halte es deshalbfür absolut erforderlich, im Einzelplan 09 für die nächstenfünf Jahre mindestens 300 Millionen DM, wie im Haus-halt 1998, für das FuE-Sonderprogramm für die neuenBundesländer vorzusehen. Für die Zukunft sollte sicher-gestellt werden, dass die der ostdeutschen Forschung ge-widmeten Programme nicht durch Haushaltssperren – ichhabe gerade darüber gesprochen – in ihrer Wirkung emp-findlich gestört werden.Insgesamt ist zu konstatieren, dass die temporär ange-legte Förderung der ostdeutschen Forschung, der Indus-trieforschung in besonderer Weise, nach derzeitiger Er-kenntnis über das Jahr 2005 hinausgehen muss, um dasgestellte wirtschaftspolitische Ziel einer weitgehendenAngleichung des Niveaus von Produktivität, Exportkraftund Beschäftigung an das des früheren Bundesgebietes zuerreichen.Im Abstand von circa vier Jahren sollte deshalb eineweitere Evaluierung der Wirkung des FuE-Sonderpro-gramms vorgenommen werden.Für 2004 auslaufende Programmteile, wie zum Bei-spiel das Programm „Personalförderung Ost“, mit demdie Verstärkung der Personalbasis für Forschung und Ent-wicklung in den ostdeutschen kleinen und mittelstän-dischen Unternehmen bisher wirkungsvoll gefördertwird, sollte ein sinnvolles, praktikables Forschungsfort-setzungsprogramm entwickelt werden. Die AiF hat dafürkürzlich einen sehr interessanten Vorschlag gemacht, dererfreulicherweise auch steuerliche Anreize vorsieht – inder Forschung wäre das einmal etwas Neues –, wobeidieses Programm nach 2004 bundesweit eingeführt wer-den sollte.Meine Damen und Herren, ich fasse alles Gesagte in ei-nem Satz zusammen,
den ich in diesem Hause – wie ein Ceterum censeo – nichtzum ersten Male ausspreche: Das Wohl und Wehe der ost-deutschen Forschungslandschaft bleibt auf Sicht eine zen-trale Aufgabe deutscher Forschungspolitik, zu der sich dieCDU/CSU-Fraktion ohne Wenn und Aber bekennt, heuteund auch morgen.
Ich erteile dem Kolle-
gen Ulrich Kasparick, SPD-Fraktion, das Wort.
Verehrter Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn dieser kur-zen Rede einen herzlichen Dank an die Bundesfor-schungsministerin! Sie war jetzt gerade in den Vereinig-ten Staaten und hat sehr engagiert dafür gekämpft,Spitzenforscher nach Deutschland zurückzuholen.
Das nur als Antwort auf Ihre Randbemerkung, Frau Flach,die Regierung tue nichts. Sie tut aktiv etwas dafür, dassSpitzenforscher zurückkommen.Meine zweite Bemerkung geht an Herrn Friedrich. Siebetrifft die Schubfächer, die Sie vorhin angesprochen ha-ben. Sie haben das Gerücht verbreitet, das Inno-Regio-Konzept habe im Schubfach von Herrn Rüttgers gelegen.
Als historisch-kritischer Exeget darf ich Ihnen mitteilen:Dies ist ein Gerücht. Die Idee zu Inno-Regio entstammtdem Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung – so vielEhre muss ich meinen früheren Kollegen doch erweisen –und nicht aus dem Schubfach von Herrn Rüttgers. Ichfinde es gut, dass diese Regierung diese Idee sofort auf-gegriffen und schnell und konsequent umgesetzt hat, ins-besondere zum Vorteil von Ostdeutschland. Ich sage dazugleich noch mehr.
Drittens. Herr Friedrich, Sie haben gefragt, wie sich dieForschungspolitik in die gesamten politischen Entschei-dungen dieser Regierung einordne. Ich mache Sie nur aufeine Zahl aufmerksam, die man heute der „Berliner Zei-tung“ entnehmen kann: Die Auslandsinvestitionen sindvom Jahr 1999 auf das Jahr 2000 um das Vierfache ge-stiegen.
– Das ist das Ergebnis der Steuerreform; da haben Sie sehrRecht.
Unverdächtige Zeugen wie Hilmar Kopper, den Sie vonbestimmten Bemerkungen her kennen, sagen: Endlichkommt wieder Auslandskapital nach Deutschland. Ich binmir sicher, dass dieses Geld sich auch in der Forschungs-landschaft bemerkbar machen wird.
Jetzt zu den einzelnen Punkten.Ich will etwas zu Inno-Regio sagen. Eben ist von demKollegen aus Sachsen gesagt worden, die Industriefor-schungsmittel seien degressiv. Ich sage Ihnen eines: Ich
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war bei der Tagung der AiF dabei. Ich finde es im Übri-gen gut, dass die AiF jetzt berechtigt werden soll, europä-ische Fördermittel zu beantragen. Das ist eine ganz wich-tige Innovation.
Ich finde den Mut dieser Regierung richtig und wichtig,die sagt: Wir wollen nicht nur in bisherigen Strukturenweiter fördern, sondern wir wollen strukturelle Innova-tion.
Mit Inno-Regio belohnt diese Regierung Kooperationen.Genau das, was der Kollege Schmidt eben eingeforderthat, tun wir. Sie haben das nicht hinbekommen.
Ich selber komme aus einem Wahlkreis, der neben ei-nem sächsischen Projekt den Hauptpreis in der Endphasevon Inno-Regio bekommen hat. 40 Millionen DM kom-men zu uns in die Region.
Wenn Sie mit Vertretern der Institute in Gatersleben undder angrenzenden Institute, die da jetzt mitmachen, spre-chen, dann stellen Sie fest, dass es eine große Bereitschaftzu dieser Kooperation gibt. Die Regierung hilft dabei,dass wir mit diesen Kooperationen vorankommen. Dashaben Sie leider Gottes nicht erreicht. Wir tun es.
Ich bin dieser Regierung ausgesprochen dankbar dafür,dass wir bei der BAföG-Reform jetzt eine Gleichstellungvon Ost und West erreicht haben. Das ist ein ganz wichti-ger Punkt, weil jetzt ein Klima des Selbstbewusstseinsentsteht. Die Studenten können sagen: Wir als junge, anWissenschaft interessierte Menschen studieren mit glei-chem Förderungssystem.Wichtig ist: Wenn man sich die ostdeutsche Landschaftanguckt und mit den Menschen spricht – ich bin in denletzten zwei Jahren in 145 Instituten gewesen, von Greifs-wald bis Ilmenau, und habe mit über 500 Wissenschaft-lern gesprochen –, dann merkt man, dass in den Institutensehr wohl verstanden wird, dass diese Bundesregierungfür Forschung mehr als in der Vergangenheit tun wird. DieInstitute haben sehr fein registriert, dass die Haushalte imBudget um 10 Prozent wachsen. 10 Prozent geben wirmehr in die Forschung als Sie.
Das ist ein Klima, von dem Sie, wenn Sie mit den In-stitutsleuten reden – ich habe mit über 500 von ihnen ge-sprochen –, zu hören bekommen. Es ist eine Aufbruch-stimmung da, die wir fördern wollen; denn sie ist fürOstdeutschland besonders wichtig. Dabei muss berück-sichtigt werden: Wir haben noch keine Chancengleich-heit. Das betrifft die Bezahlung, BAT-Vergütung, die wirangesprochen haben. Die Richtung, dass wir sagen, derSchwerpunkt der Wirtschaftsförderung muss über dieFörderung der Wissenschaft gehen, ist insbesondere fürOstdeutschland richtig.Für Ostdeutschland – das ist eine Bilanz, die ich nachzwei Jahren intensiver Besuchsarbeit an den Institutenziehe –, für den Aufbau Ost muss die nächste wichtigePhase heißen: Wer die Wirtschaft fördern will, der mussdie Forschung fördern. Genau dafür sind Konzepte wieInno-Regio und auch die Nachfolgeprojekte die geeigne-ten Instrumente. McKinsey hat im europaweiten Ver-gleich der interessanten Forschungscluster gezeigt, dassBerlin-Adlershof und Dresden auf Platz 13 und Platz 15mit zu diesen Clustern gehören. Die Richtung, Wirtschaftüber Forschungsförderung zu entwickeln, ist richtig.
Ich sage Ihnen zum Schluss aber noch eines: Das istkeine Frage des Parteibuches. Sie haben heute am AnfangIhrer Rede darzustellen versucht, dass die CDU-regiertenLänder das günstiger machten. Ich komme aus einemBundesland, in dem eine CDU-Regierung – die erste Re-gierung, die dieses Land hatte – den Leuten im Lande ge-sagt hat: Statt Institute zu gründen und auf Wissenschaftzu setzen, solltet ihr große kommunale Kläranlagenbauen. Das Ergebnis ist, dass wir das heute immer nochhinter uns herziehen müssen. Wir müssen jetzt sehen, dassdie Gründerjahre für neue Institute weitgehend vorübersind. Da ist sehr viel verschlafen worden. Deswegen sageich Ihnen: Es hängt an Personen und nicht an Par-teibüchern. Ich bin mir ganz sicher, dass diese Angele-genheit sowohl bei der Bundesbildungsministerin alsauch bei ihrem Staatssekretär Catenhusen, der sichwährend der Evaluierungsphase und der Umstrukturie-rungsphase um die ostdeutschen Institute sehr verdientgemacht hat, in sehr guten Händen ist.Herzlichen Dank.
Ich schließe da-mit die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 14/4229 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Einverstanden? – Dasist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass wir die Sitzunggegen 13 Uhr für circa eine halbe Stunde wegen einerFraktionssitzung der SPD unterbrechen.Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 g auf:a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-logie zu dem Antrag der Abgeord-neten Kurt-Dieter Grill, Gunnar Uldall, Dr. KlausW. Lippold , weiterer Abgeordneterund der Fraktion der CDU/CSU
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Energiepolitik für Deutschland – Konsequen-zen aus dem Energiedialog 2000– Drucksachen 14/3507, 14/4338 –BerichterstattungAbgeordneter Kurt-Dieter Grillb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz undReaktorsicherheit zu dem Antragder Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Klaus W.Lippold , Dr. Paul Laufs und der Frak-tion der CDU/CSUEnergieeinsparung durch Minderung des Strom-verbrauchs von Elektrogeräten im Leerlaufmo-dus
– Drucksachen 14/2348, 14/3328 –Berichterstattung:Abgeordnete Marion Caspers-MerkDr. Christian RuckMichaele HustedtBirgit HomburgerEva Bulling-Schröterc) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-logie zu der Unterrichtung durchdas Europäische ParlamentEntschließung des Europäischen Parlaments zuElektrizität aus erneuerbaren Energieträgernund zum Elektrizitätsbinnenmarkt
– Drucksachen 14/3428 Nr. 1.9, 14/4339 –Berichterstattung:Abgeordneter Kurt-Dieter Grilld) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-logie zu dem Antrag der Abgeord-neten Walter Hirche, Rainer Brüderle, ErnstBurgbacher, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der F.D.P.Zukunftsfähige Energiepolitik für den StandortDeutschland– Drucksachen 14/2364, 14/2946 –Berichterstattung:Abgeordneter Volker Jung
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz undReaktorsicherheit zu dem Antragder Abgeordneten Kurt-Dieter Grill, Gunnar Uldall,Dr. Klaus W. Lippold , DietrichAustermann und der Fraktion der CDU/CSUEnergiepolitik für das 21. Jahrhundert – Ein-stieg in ein nachhaltiges, klimaverträglichesEnergiekonzept statt Ausstieg aus der Kern-energie– Drucksachen 14/543, 14/3229 –Berichterstattung:Abgeordnete Horst KubatschkaKurt-Dieter GrillMichaele HustedtBirgit HomburgerEva Bulling-Schröterf) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-logie zu dem Entschließungsan-trag der Abgeordneten Walter Hirche, UlrikeFlach, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der F.D.P. zu dem Entwurf einesGesetzes zur Förderung der Stromerzeugung aus
ralölsteuergesetzes– Drucksachen 14/2341, 14/2778, 14/3343Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Hermann Scheerg) Beratung des Antrags der Abgeordneten UlrikeFlach, Birgit Homburger, Rainer Brüderle, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.Solarbericht– Drucksache 14/1234 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für dieAussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Kein Wi-derspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst derAbgeordnete Michael Müller.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Für die energiepolitische De-batte, die wir heute führen, gibt es drei zentrale Aus-gangspunkte. Diese drei Punkte stehen in einem engenZusammenhang. Der erste, der vielleicht wichtigste,– diese Woche noch einmal in unser Bewusstsein ge-rückte –, ist die Frage der Klimabelastung durch unserEnergiesystem. Wir haben die unmissverständlichen Si-gnale von Schanghai auf der dritten Konferenz des IPCCgehört: Die Erde wird sehr viel schneller erwärmt, als manbisher angenommen hat. Dies ist ein Alarmsignal, dasnicht folgenlos bleiben darf. Es macht umso deutlicher,wie groß unser Handlungsdruck ist.Das IPCC kommt zu dem Ergebnis, dass die Erwär-mung bis zum Ende dieses Jahrhunderts aller Wahr-scheinlichkeit nach bei mindestens 2,5 Grad Celsius liegt,aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie um bis zu5,8 Grad Celsius ansteigt. Dies ist eine fast unvorstellbaredramatische Entwicklung. Man muss sich nur vor Augenhalten, dass die Klimawissenschaft die Erwärmungsober-
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Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer14272
grenze bei 1,5 Grad pro Jahrhundert – also das Äußerste,was vertretbar ist – ansetzt. Das ist eine alarmierende Ent-wicklung, die uns in den Industriestaaten zutiefst heraus-fordert, da überwiegend wir für den hohen Energiever-brauch verantwortlich sind.Schauen wir uns die Fakten an: Der Kohlendioxidge-halt in der Atmosphäre ist der entscheidende Indikator fürunser Klimasystem. Er ist seit dem Beginn des industriel-len Zeitalters um ungefähr ein Drittel angestiegen. Dasheißt, er liegt heute bei ungefähr 370 Teilen auf 1 MillionTeile. Dies ist ein eindeutiges Zeichen, dass sich die che-mische Zusammensetzung und damit das ganze dynami-sche System unserer Atmosphäre verändert. Damit bauenwir eine ungeheure Hypothek für künftige Generationenauf, die wir nicht verantworten können.
Um es anders zu sagen: Wir würden, wenn dieser Trendanhält, bis zum Ende dieses Jahrhunderts, also in einemZeitraum von weniger als 300 Jahren, das Klima in einemUmfang verändern, für den natürliche Prozesse mehr als10 000 Jahre gebraucht haben. Das kann das Ökosystemnicht verkraften. Wir müssen dies vor allem vor dem Hin-tergrund des großen Nachholbedarfs bei der Industriali-sierung und des Bevölkerungswachstums in anderen Re-gionen der Erde sehen. Mit anderen Worten: Wir habenheute schon die Grenze der Belastbarkeit der Erde er-reicht.Hält der heutige Trend aber an, wird sich der Energie-und Ressourcenumsatz in etwa 50 Jahren verdreißigfachthaben. Dies ist nicht machbar. Es ist unsere Pflicht, heutezu handeln, denn in der Zukunft werden wir dafür immerweniger Handlungsspielraum haben. Deshalb haben wirdie energiepolitische Wende eingeleitet.
Diese Wende ist keine Willkür, sondern ein Gebot vonVernunft und Aufklärung.Der erste wichtige Punkt für uns ist also, wegzukom-men von einer Energiepolitik, die ihr zentrales Ziel in derSicherung hoher Kapazitäten und billiger Preise sieht. DieSicherung von Kapazitäten und von günstigen Preisensind weiter wichtige Gesichtspunkte, aber das zentraleZiel muss lauten, mit so wenig Energie wie möglich über-haupt auszukommen – darin besteht die Kehrtwende –und gleichzeitig die Brücke ins solare Zeitalter zu bauen.Es handelt sich also um eine Doppelstrategie: Effizienz-revolution und Solarwirtschaft.
Es geht uns nicht, um es klar zu sagen, um einen Aus-tausch von Energieträgern. Es geht nicht darum, einenEnergieträger jetzt durch einen anderen zu ersetzen. Esgeht um eine Veränderung der gesamten Struktur derEnergieversorgung, nämlich um eine ständige Verringe-rung des Energiebedarfs. Die energiepolitische Losungder Zukunft muss lauten, mit so wenig Energie wie mög-lich auszukommen. Das Einsparkraftwerk ist das Kraft-werk der Zukunft.
Die Bundesregierung – die alte wie die neue, HerrLippold – hat sich das ehrgeizige Ziel von minus 25 Pro-zent beim Kohlendioxidausstoß gesetzt. Sie wissen nochaus der damaligen Enquete-Kommission, dass wir uns so-gar noch weiter gehende Ziele haben vorstellen können.Wir wissen aber auch, dass schon das 25-Prozent-Ziel einsehr ehrgeiziges Ziel ist. Die Situation nach dem letztenJahr stellt sich wie folgt dar: Bei einem Wirtschafts-wachstum von 3 Prozent haben wir im Jahr 2000 „nur“eine Verringerung des Energiewachstums um 0,2 Prozenterreicht. Das heißt, im letzten Jahr hat der Verbrauch nachden neuen Zahlen der Arbeitsgemeinschaft der Energie-bilanzen mehr oder weniger stagniert. Hier muss deutlichnachgelegt werden, sonst werden die Verringerungennicht erreicht.Gegenüber 1990 wurde eine Verringerung um etwa150 Millionen Tonnen Kohlendioxid erreicht; es fehlenalso noch etwa 100Millionen Tonnen bis zum Jahre 2005.Diese können nicht bei Beibehaltung des Status quoeingespart werden. Sie werden nur eingespart werden,wenn wir eine aktive Energiepolitik betreiben. Dazugehört der Ausbau der Solarenergie genauso wie eine Effi-zienzrevolution. Dazu gehört auch – an diesem Ziel wirdkein Weg vorbeigehen – der Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung. Ohne diese Maßnahmen wird diese ehrgei-zige Reduktion nicht zu erreichen sein.
Deshalb begrüßen wir das Klimaschutzprogramm derBundesregierung vom 18. Oktober, in dem konkrete Zah-len festgelegt sind. Wir können über Wege reden, eine In-fragestellung dieses Zieles steht aber nicht zur Debatte.Wir können uns nach all den seriösen wissenschaftlichenGutachten, die heute vorliegen, nicht vorstellen, dass dasauf einem anderen Weg zu erreichen ist als über den Aus-bau der Kraft-Wärme-Kopplung. Dies ist, nach all dem,was wir wissen, anders nicht möglich. Bei diesen Alter-nativen müsste man zu einer gigantischen Subventionie-rung übergehen, womit die ganze Argumentation derKWK-Gegner, man sei aus wettbewerbsrechtlichen Grün-den gegen die KWK, in sich zusammenbräche. Wir wol-len dieses System, weil es richtig ist.
Der zweite wesentliche Punkt ist der Ausstieg aus derAtomkraft. Wir begrüßen die Vereinbarung vom14. Juni 2000. Wir hoffen, dass die Atomnovelle schnellvorgelegt wird, damit wir Klarheit schaffen und zu einerEntscheidung kommen. Wir brauchen in diesen Frageneine berechenbare Politik. Dies ist auch notwendig, weilAusstieg und Einstieg eine Einheit bilden. Auch bei die-sem Strukturwandel steht nicht der Austausch der Ener-gieträger, sondern der Strukturwandel selbst im Vorder-grund. Wir werden dieses Ziel nicht erreichen, wenn wirglauben, die Ersetzung durch andere Energieträger nach
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Michael Müller
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Ausschalten der Atomkraftwerke sei die Lösung des Pro-blems. Energieträger müssen sich daran messen lassen,wie effizient sie eingesetzt werden können.Das ist der entscheidende Punkt, der in einem engenZusammenhang mit den drei grünen Säulen der Ener-giepolitik steht: erstens eine massive Steigerung derEnergieproduktitivität, zweitens Ausbau der Solarener-gie – wir sind froh, dass wir im letzten Jahr beim Anteilder Solarenergie einen deutlichen Sprung nach vorne ge-macht haben, das war überfällig –,
drittens der Ausbau der gekoppelten, intelligenten Sys-teme in der Erzeugung von Strom und Wärme.Eine dritte große Herausforderung ist Europa, mit derBildung einer europäischen Verbundwirtschaft. Wirhalten es nicht für ein zukunftsfähiges Energiesystem,wenn jetzt die Gebietsmonopole durch Unternehmensmo-nopole ersetzt werden. Was wir wollen, ist ein wirklicherWettbewerb, und zwar nicht nur zwischen einzelnen Un-ternehmen, sondern auch zwischen unterschiedlichenDiestleistungsformen. Deshalb wollen wir auch nicht,dass die Bundesrepublik in der Zukunft zu einem reinenStromhandelsland wird. Wir wollen in der Bundesrepu-blik Erzeugung, Beschäftigung und Umweltschutz si-chern. Auch deshalb führt kein Weg an einem Struktur-wandel vorbei.Aus diesen Gründen – Klimaschutz, Ausstieg aus derAtomenergie und europäische Herausforderung – ist dasPrimat der Politik gefordert, die Rahmensetzung für mehrWettbewerb, für eine intelligente, zukunftsorientierteEnergiepolitik und für die Sicherung von Umweltschutzund Beschäftigung zu schaffen. Das ist Zukunftsfähigkeit.Ich will hinzufügen: Vor dem Hintergrund der amerikani-schen Entwicklung, wo nach dem Amtsantritt des neuenPräsidenten als Erstes der Umweltschutz zurückgedrängtwurde, ist die Herausforderung für Europa und für unserLand noch größer geworden, diesen Strukturwandel an-zugehen.
Ich erinnere mich noch sehr gut an eine Debatte in derEnquete-Kommission. Wir hatten damals Vertreter allerEnergieunternehmen eingeladen, um mit ihnen über Kli-maschutz zu diskutieren. In dieser Debatte wurde uns vonden Vertretern der Energiewirtschaft eine Stunde lang er-zählt, was alles nicht möglich ist. Daraufhin haben derKollege Schmidbauer von der CDU und ich gemeinsamgesagt: Entweder diskutieren wir jetzt über das, was mög-lich ist, um das CO2-Ziel zu erreichen, oder wir beendendie Veranstaltung. Da war einmal kreative Fantasie mög-lich. Diese Kreativität und Verantwortung erwarten wirvon allen Beteiligten. Das ist die Grundlage für ein ko-operatives Klima.
Hören wir mit kurzfristiger Interessenpolitik auf!
Es steht sehr viel auf dem Spiel. Lassen Sie uns bitte denWeg in die neue Energiepolitik mit möglichst viel Kon-sens, aber auch mit möglichst viel Vernunft gehen.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Klaus Lippold.
FrauPräsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Energiepolitik ist Zukunftspolitik für die Menschen unddie Umwelt, aber auch Zukunftspolitik für die Wirtschaft.In diesem Sinne hat die CDU/CSU-Fraktion ein Energie-konzept erarbeitet, das auf eine umweltfreundliche undnachhaltige Energieversorgung, aber gleichzeitig auchauf eine preiswerte und für die Zukunft sichere Energie-versorgung abstellt.Wir haben Energiepolitik – wie das neudeutsch heißt –mit anderen Politikfeldern vernetzt: der Verkehrspolitik,der Baupolitik, aber insbesondere auch der Umwelt- undKlimaschutzpolitik, damit wir den Ansprüchen an einemoderne und zukunftsorientierte Energiepolitik gerechtwerden. Das ist ein in sich schlüssiges Konzept und dasvermisse ich bei der Regierung.Herr Minister Müller, Sie haben verschiedentlich ge-sagt, dass Sie in sich schlüssige, abgewogene Konzeptevorlegen werden, aber Sie sind uns den Nachweis, dassSie das auch wirklich tun, bis heute schuldig geblieben.
Wir brauchen nicht Ankündigungen, sondern wir brau-chen auch von Ihnen klare Vorstellungen darüber, wohinder Weg geht, damit wir uns daran orientieren können.Diese müssen langfristig ausgerichtet sein, weil Energie-politik nicht kurzfristig betrieben werden kann.
Wenn wir diesen Weg gehen, ersparen wir uns aucheine ganze Reihe von – ich sage es einmal so – zumindestirritierenden Vorstellungen. Wenn ich das unter demAspekt betrachte, Energiepolitik soll einen Beitrag zurKlimaschutzpolitik leisten, dann ist der Ausstieg aus derKernenergie falsch, weil wir ohne Kernenergiepolitikmittel- und langfristig keine Klimaschutzpolitik leistenkönnen, die vor dem Hintergrund der IPCC-Warnung jetztbesonders wichtig ist.
Sie selbst, Herr Müller, haben seinerzeit gesagt, dass Siesich einen späteren Einstieg wieder vorstellen können. Ichhalte das für richtig, aber Sie müssen auch durchsetzen,dass darüber schon jetzt diskutiert wird und es nicht Ma-kulatur bleibt.
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Michael Müller
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Es gibt einen anderen Ansatzpunkt, bei dem Sie Um-weltschutz- und Energiepolitik miteinander verknüpfen,ohne dass es zu einer klaren Aussage kommt. Ich meinedie Kraft-Wärme-Kopplung. Bei der Kraft-Wärme-Kopplung, Herr Minister, gehen die Koalitionsparteiendavon aus, dass sie innerhalb kurzer Frist verdoppelt undihr Anteil von 10 Prozent auf 20 Prozent festgeschriebenwerden muss. Wir halten das für einen falschen Weg. Dasist nicht ökologisch; denn wenn Sie ohne Rücksicht aufVerluste eine Quote festschreiben, wird auch die traditio-nelle Produktion gefördert, die nicht ökologisch und um-weltfreundlich ist. Das kann es wirklich nicht sein.
In diesem Sinne begrüße ich, was Sie im „Focus“ ge-sagt haben:Ich halte von einer relativ kurzfristigen Verdopplungder Kraft-Wärme-Kopplung nichts. Man sollte nichtsbeschließen, was einen politisch schon bald wiedereinholt ... KWK macht ökologisch nur da Sinn, woWärme und Strom in der Industrie wirklich das ganzeJahr über parallel gebraucht werden, zum Beispielbei Produktionsprozessen. Es reicht nicht, neben ei-nem Kraftwerk als Alibi einen Fischteich anzulegen,der dann mitbeheizt wird.
Und da es in Deutschland keine unbeheizte Wohnungmehr gibt, müssen bestehende Heizungen durchFernwärme teuer ersetzt werden.Sie beziffern die Zusatzkosten in diesem Bereich auf eineGrößenordnung von 6 bis 8Milliarden DM. Das heißt, dieVorstellungen, die von dem Kollegen Michael Müller undvielen anderen in der SPD-Fraktion entwickelt wordensind, sind nicht nur unter dem Aspekt der Preiswürdigkeit,sondern auch unter dem Aspekt der ökologischen Steue-rung falsch.
Deshalb, Herr Minister, hoffe ich, dass die Selbstver-pflichtung jetzt nicht nur eine Ankündigung ist, sonderndass sie auch umgesetzt wird, damit nicht wieder Erwar-tungen geweckt werden, die in absehbarer Zeit bitter ent-täuscht werden, wie wir es früher schon bei anderen Posi-tionen erleben mussten.Ich sage ganz deutlich, Herr Minister: Setzen Sie sichdoch einmal mit Ihren Vorstellungen im Kabinett durch!Das wäre in diesem Fall erfreulich, natürlich immer un-terstellt, dass das, wenn wir den Entwurf einmal vorliegenhaben und ihn prüfen können, zu einem positiven undguten Ergebnis führen wird. Diese Prüfung behalten wiruns vor; ich glaube, das ist ganz selbstverständlich. Set-zen Sie Ihre Ziele einmal durch, Herr Minister, damit dieideologischen Vorstellungen, die von den Koalitionspar-teien entwickelt worden sind, so nicht zum Tragen kom-men und der Weg nicht in die falsche Richtung führt. Daskönnen wir uns nicht leisten.
In der Frage der Ankündigung will ich gleich noch ei-nen anderen Punkt nennen. Das ist die Frage der Ener-gieeinsparverordnung. Sie sollte vor einem Jahr verab-schiedet werden, sie sollte vor einem halben Jahr ver-abschiedet werden. Dann hieß es, sie sollte jetzt verab-schiedet werden, und schon wieder ist sie verschobenworden und wir kennen nicht das Datum, wann Sie sievorlegen werden.Ich sage ganz deutlich: Das ist ein Kernpunkt bei derAbwägung zwischen Energiepolitik auf der einen undUmweltschutzpolitik auf der anderen Seite. Auch in die-sem Punkt schlabbern Sie, handeln nicht zügig und ver-säumen Zeit, die wir dringend brauchen, um die Redukti-onszeitkorridore einhalten zu können. So geht es nicht.Nicht nur ankündigen, sondern handeln! Das ist angesagt.Ich glaube, an diesem Punkt ließe sich noch einiges hin-zufügen, was noch ungelöst ist.Herr Minister, die alte Bundesregierung und die sietragenden Fraktionen haben mit der Novellierung des En-ergiewirtschaftsrechts durchgesetzt, dass zugunsten derVerbraucher und der Wirtschaft eine – ich sage es einmalso – Preissenkung von circa 15 Milliarden DM möglichgemacht wurde. Das war ein guter und richtiger Schritt.Mit der Politik, die Sie jetzt betreiben – Ökosteuer, Sub-ventionsspirale bei den erneuerbaren Energien, bislanggeplante Kraft-Wärme-Kopplung –, zehren Sie diese Vor-teile Schritt für Schritt wieder auf und verkehren sie insGegenteil. Ich halte das für einen völlig falschen Weg.Wenn ich die Belastungen, die aus Ihren verschiedenenAnkündigungen resultieren würden, in Extremform ein-mal summiere, komme ich bis zum Jahre 2010 auf Belas-tungen von circa 30 Milliarden DM. Herr Minister, das istnicht tragbar und hat nichts mit Umsteuern in der Ener-giepolitik zu tun. Ein Umsteuern würde voraussetzen,dass dahinter ein Gesamtkonzept steht, das ökologischorientiert ist. Das ist nicht der Fall. Deshalb: VerzichtenSie auf die Belastungsspirale, die für die Verbraucher undfür die Wirtschaft schädlich ist!
Herr Minister, in diesem Zusammenhang kann ich Ih-nen nicht ersparen, auf die Ökosteuer einzugehen. Alle indiesem Hause wissen, dass Gutachten vorliegen, wonachdie Ökosteuer keine Lenkungswirkung hat.
Das heißt, ebenso wie bei der Kraft-Wärme-Kopplung istes auch bei der Ökosteuer: Ihr fehlt die Lenkungswirkung.Darüber hinaus haben Ihnen der Sachverständigenrat undandere Sachverständige bescheinigt, dass die Ökosteuerkeine umweltschützende Leistung erbringt.
Sie stellt aber eine zusätzliche Belastung dar, und des-halb die Forderung: Sie sollten – Ministerkollegen ausIhrem Kabinett haben ja schon gesagt, dass in der Zukunftauf sie verzichtet werden kann – sie nicht nur für die Zu-kunft verzichtbar machen, sondern darüber hinaus deut-lich machen, dass Sie auf diesen falschen Weg verzichten
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und von einer Straf- und Abkassieraktion, die ökologischkeinen Sinn macht, Abstand nehmen. Es gibt einen we-sentlich besseren Einsatz für diese Gelder und ich bitte Siezu überlegen, wie man mit einem vernünftigen Konzepteine preiswerte und sichere Energieversorgung mit mehrÖkologie kombinieren kann.
Herr Abgeord-
neter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Dr. Berg?
Ja.
Herr Dr. Lippold, ich hoffe, ich
habe Sie richtig verstanden. In der Analyse sind wir uns ja
mehr oder weniger einig: Das Klima ist bedroht. Ihre The-
rapieempfehlung ist: Wir brauchen mehr Atomkraft und
wir brauchen ein Konzept. Wenn wir durch Atomkraft das
Klima retten wollten – bei der Energieerzeugung durch
Atomkraft wird ja kaum Kohlendioxid ausgestoßen –,
müssten wir weltweit round about jede Woche ein neues
Atomkraftwerk ans Netz gehen lassen und würden uns da-
durch jede Menge andere Risiken aufladen. Wie stehen
Sie dazu?
Was stellen Sie sich unter einem Konzept vor? Ein
Konzept ist immer etwas Schönes. Meinen Sie aber nicht,
dass wir bereits genug wissen und endlich handeln soll-
ten, dass wir das Klima nicht dadurch retten können, dass
wir weitere zehn Jahre über das beste Konzept diskutie-
ren?
HerrKollege, der erste Punkt ist: Meine Aufforderung war jagerade, in sich schlüssige Konzepte sofort vorzulegen undLösungen nicht, wie Sie es tun, immer weiter hinauszu-zögern und zu verschieben. Das ist doch der Fehler, denSie begehen.Der zweite Punkt ist: Ich werde mich nicht der Über-treibung anschließen – mit der man einen vernünftigenGedanken, auf welche Weise auch immer, kaputtmachenkann –, die Rettung des Klimaschutzes in einer einzigenMaßnahme zu sehen. Wir brauchen ein breites Bündelwohlabgestimmter Maßnahmen, um einen Beitrag zurKlimaschutzpolitik zu leisten. Wir brauchen dieses breiteBündel nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland,sondern europaweit.Ich füge hinzu: Dank der alten Bundesregierung habenwir doch die Vorleistungen erbracht, mit denen die jetzigeBundesregierung auf den Klimakonferenzen glänzt undmit denen wir das europäische Bubble-Konzept, die euro-päische Energieeinsparlösung, nach draußen tragen konn-ten; denn ohne unsere Reduktionserfolge hätte es dortkeine gegeben.Ich füge hinzu: Wir brauchen, wenn wir zu Lösungenkommen wollen, natürlich ein globales Konzept, getragenvon den großen Industriestaaten, von den USA, aber auchvon den Schwellenländern China, Indien, Mexiko und an-deren. Wir haben in der Enquetekommission gemeinsamdaran gearbeitet, Herr Berg. Es gibt viele vernünftige Vor-stellungen, die aber auch ausdiskutiert und ausdifferen-ziert werden müssen.Hinsichtlich der Vorstellung dieser Regierung, wie diezukünftigen Mechanismen genutzt werden sollen – ichnenne nur Clean Development Mechanism, Joint Imple-mentation, Sinks und dergleichen –, hätten wir von Ihnenmehr erwartet, als Sie in die Konferenzen eingebracht ha-ben. Dazu zählt auch eine konstruktivere Gestaltung. Dasalles ist nicht erfolgt.Auch jetzt wären von Ihnen viel intensivere Anstren-gungen vonnöten, um auf der internationalen Bühne zumErsten wissenschaftlich und zum Zweiten politisch ent-sprechende Umsetzungen voranzutreiben, damit der Kio-to-Prozess nicht mit der Konferenz in Den Haag insStocken gerät, sondern wieder Fahrt aufnimmt. SolcheAnstrengungen sehe ich aber nicht; ich sehe nur gele-gentlich eine Ankündigung. Was ich bei Ihnen vermisse,das ist der massive politische Druck, wie wir ihn frühervon der Spitze, vom Kanzler und von den verschiedenenMinistern – also nicht nur vom Umweltminister –, ge-kannt haben. Einige werden sagen, ich hätte das schoneinmal gesagt. Das ist völlig richtig. Aber solange Siediese Politik nicht ändern, werden wir Ihnen das nochhäufiger sagen müssen.
Noch einmal zur Frage der Kernenergie im Speziellen,Herr Berg. Wir müssen – das sage ich Ihnen ganz deut-lich – bei der Risikoabwägung natürlich an den Äußerun-gen des Club of Rome, eines exzellenten Gremiums fähi-ger Wissenschaftler, festhalten. Er schätzt das Risiko derKlimakatastrophe wesentlich höher ein als die Risikenaus Kernenergie und hält Kernenergie deshalb für vertret-bar. Im IPCC-Bericht wird das bestätigt. Sie wollen dochimmer das Votum der Wissenschaft. Nehmen Sie diesesVotum der Wissenschaft zur Kenntnis und halten Sie sichdaran! Bauen Sie Kernenergie in Ihr Energiekonzept ein –nicht alleine, aber auch.Ich komme nun zu einem weiteren Punkt, um deutlichzu machen, dass es nicht nur um diese Frage geht. Wir ha-ben seinerzeit die Förderung von Energieeinsparmaß-nahmen im Baubereich eingeführt. Das halte ich fürrichtig. Sie haben diesen Ansatz jetzt weiter ausgebaut.Herr Kollege Berg, ich habe nie einen Hehl daraus ge-macht, dass ich, wenn Schritte in die richtige Richtung ge-hen, nichts anderes tue, als das zu akzeptieren. Ich kriti-siere doch nicht um der Kritik willen.Ich habe Ihnen, Herr Müller, aber auch gesagt, dassman dieses Konzept auch um eine steuerliche Förderungergänzen könnte, nicht nur um die Herabsetzung von Zin-sen. Diesen Gedanken der steuerlichen Förderung, mitdem wir die Energieeinsparungen im Altbaubestand we-sentlich schneller, wesentlich intensiver und wesentlichmarktkonformer vorantreiben könnten, greifen Sie nichtauf. Wir haben Ihnen das mehrfach angeboten. Wenn Siedas umsetzen würden, dann könnten Sie sagen: Wir habendas gemacht. Darum wären wir nicht verlegen und wür-den sagen: Diese Koalition hat endlich einmal etwas
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Richtiges gemacht. Wenn Sie das schnell machen, dannwürden wir das begrüßen. Sie aber denken gar nicht indiese Richtung; dieser breitere Ansatz fehlt bei Ihnen. Siebegrenzen das Ganze ideologisch auf bestimmte Positio-nen. Das ist der Punkt, den ich für falsch halte.
Deshalb sollten Sie hier noch einmal nachdenken. Ichmeine, dass wir in diesem Bereich noch viel aufzuarbei-ten haben.Folgendes möchte ich Ihnen noch sagen: In der Frage,wie sie jetzt ansteht, brauchen wir nicht nur die Zinsver-billigungsprogramme, sondern auch eine breite Auf-klärungskampagne, wie und wo etwas gemacht werdenkann. Die Information der Öffentlichkeit ist sehr wichtig.In diesem Punkt sehe ich bei Ihnen keine hinreichendenAktivitäten. Auch diesen Ansatz würden wir unterstützen,weil wir konstruktiv sind. Wir würden ihn mittragen, weilwir positive Ideen mittragen und nicht konterkarieren.Aber Sie müssen, da Sie jetzt die Regierung stellen, auchdie Ansatzpunkte dafür liefern. Ich habe gehört, dass Siedas machen wollen, sehe aber nicht, dass Sie es tun.Ich bitte deshalb noch einmal darum: Legen Sie, ent-sprechend unserem Energiekonzept, ein in sich geschlos-senes Konzept vor, das die verschiedenen Aspekte vonEnergie – sichere Energie und preiswerte Energie – mitdem Umweltschutz nachhaltig verknüpft, das eine Leit-orientierung bietet, damit Sie nicht wie jetzt bei KWK voneinem Tag zum anderen mal so und mal so argumentierenmüssen und keiner mehr weiß, was Sache ist. Auch bei Ih-nen muss eine klare Leitlinie erkennbar sein, die Konti-nuität für wirtschaftliche Investitionen und Entwicklun-gen möglich macht und die gleichzeitig sicherstellt, dassim Gegensatz zu Ihrer bisherigen Politik die Verbraucher,unsere Bürger im Land, nicht durch Ökosteuer und anderesinnlose Maßnahmen geschröpft und abkassiert werden,ohne dass dies für die Ökologie etwas bringt. Denken Siedarüber nach, setzen Sie das um, aber bitte nicht in fernerZukunft!Herzlichen Dank.
Eine Kurzinter-
vention des Kollegen Müller.
Professor Latif
vom Max-Planck-Institut in Hamburg gilt als einer der
führenden Klimaforscher in der Bundesrepublik; Sie kön-
nen das bestätigen. Ihm wurde vorgestern die Frage
gestellt:
Ist das ein Argument für die weitgehend klimaneu-
trale Atomkraft?
Antwort Latif:
Überhaupt nicht. Da würden wir den nachfolgenden
Generationen andere Probleme aufhalsen. Wir wür-
den den Teufel mit dem Beelzebub austreiben.
Das ist also der falsche Weg. Das war die erste Be-
merkung.
Zweite Bemerkung. Sie kennen ja die Szenarien der
Weltenergiekonferenzen. Bei keinem einzigen Szenarium
kommt es zur notwendigen Reduktion von Kohlendioxid,
auch nicht bei einem massiven Ausbau der Atomenergie,
beispielsweise einer Verzwölffachung, und zwar aus
einem ganz einfachen Grund: weil die verschwende-
rischen Energiestrukturen festgeschrieben werden. Das
entscheidende Problem ist der Strukturwandel hin zu
einer effizienteren Nutzung von Energie. Diese kann man
nur mit bestimmten Strukturen erreichen.
Lassen Sie mich eine dritte Bemerkung machen: So
schlecht kann die Ökosteuer nicht sein, wenn wir jetzt in
allen Jahresabschlüssen feststellen, dass beispielsweise
der Mineralölverbrauch deutlich zurückgegangen ist,
nämlich um rund 4 Prozent,
und gleichzeitig – wie wir von den wissenschaftlichen In-
stituten hören – große Arbeitsplatzeffekte erzielt werden.
Also, Sie sollten ein bisschen vorsichtiger mit Ihren Aus-
sagen sein.
HerrKollege Müller, ich mache noch einmal deutlich: Inkeiner unserer Aussagen stellen wir ausdrücklich auf dieKernenergie ab. Im Gegenteil: Wir bieten eine breitePalette an Maßnahmen, mit denen wir CO2-Einsparungengarantieren wollen. Aus Zeitgründen habe ich hier nur aufWeniges eingehen können. Aber diese Gedanken greifenSie nicht auf.
Ein Zweites, Herr Müller. Der Gedanke der Energieef-fizienz ist von der vorherigen Bundesregierung und densie tragenden Koalitionsparteien ständig vorangetriebenworden. Die Energieeffizienz in unserem Land ist stetigund ständig verbessert worden.
Bei uns gibt es – das ist nachweisbar – eine Abkopplungdes Energieverbrauchs vom Wirtschaftswachstum. Dasmüssen Sie doch zur Kenntnis nehmen. Wir sind hierweiter als viele andere Länder, wir gehören hier mit weni-gen anderen weltweit zur Spitzengruppe. Die Japaner mö-gen in diesem Bereich ein klein wenig vor uns liegen, aberin anderen Bereichen schlagen wir auch die Japaner. Ichhoffe, dass das auch zukünftig so sein wird.
– Hinsichtlich der Castor-Transporte, Herr Kollege, fasstIhr Parteirat auf der einen Seite Beschlüsse, denen auf deranderen Seite Ihre Kollegen aus dem betroffenen Bun-desland sofort widersprechen. Klären Sie das einmal in
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den eigenen Reihen, dann brauchen wir solche Zurufenicht.Zurück zum anstehenden Problem. Man sollte keineBuhmänner aufbauen, Herr Müller. Sie können die breitePalette dessen, was wir vorhaben gerne einmal mit unsdiskutieren und Sie werden sehen, dass Ihr Vorwurf un-gerechtfertigt ist. Sie wiederholen ihn ja auch nur aus tak-tischen Gründen, nach dem Motto: Wenn einer nichtBescheid weiß, dann kann er bei ihm vielleicht hängenbleiben. Aus diesem Grund musste ich Ihnen wider-sprechen.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Michaele Hustedt.
Verehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrLippold, wie schön sind doch die Oppositionszeiten! Dakann man sich im Schreiben von Grundsatzprogrammenund Grundsatzpapieren ergehen.
Die CDU hat es in der Tat nötig. Sie sagen zwar, Sie habeneine breite Palette an Vorhaben, aber ehrlich gesagt: Dazu,wie wir hier in Deutschland Klimaschutz betreibenwollen, habe ich eben in Ihrer Rede keinen einzigenkonstruktiven Vorschlag gehört, sondern nur Ablehnungunserer Vorschläge und unserer Vorangehensweise.
Wir haben sehr viele Aufgaben zu erfüllen, die es gilt,ganz pragmatisch anzugehen. Dann wächst Stein für Steindas Haus einer neuen Klimaschutzpolitik, einer neuenEnergiepolitik, die Umweltschutz und Wettbewerbmiteinander verknüpft.Eine der ganz großen Herausforderungen, die anste-hen, ist die Gasmarktliberalisierung. Die Gaspreise sindin der letzten Zeit – aber nicht wegen der Ökosteuer – um40 Prozent gestiegen. In diesem Bereich muss uns dieLiberalisierung einen großen Schritt voranbringen. EinGesetzentwurf liegt im Bundesrat und wird im März imBundestag verabschiedet werden. Gestern ist dasGespräch der Verbände über eine entsprechende Verein-barung leider ohne Ergebnis zu Ende gegangen. Wir soll-ten deshalb auch darüber diskutieren, wie wir eine höhereWettbewerbsintensität durch einen verbindlich geregeltenNetzzugang schaffen können.Das gilt ausdrücklich auch für den Strombereich; denndrei Jahre nach der Liberalisierung der Strommärktehaben die Bürger – anders, als es das Gesetz verspricht –noch keine freie Wahl des Stromanbieters. Hier wirddurch Schikane und durch hohe Preise ein Wechsel tat-sächlich verhindert. Es ist deswegen wichtig, dass wir unsin der anstehenden Debatte über die Novellierung desEnergiewirtschaftsgesetzes auch fragen, ob die beste-hende Regulierungsdichte ausreicht, um jedem Anbieter– ob klein oder groß – den Zugang zum Netz zu er-möglichen.Ich glaube auch, dass diejenigen Kolleginnen und Kol-legen von der CDU/CSU und der F.D.P. auf dem falschenWeg sind, die Wettbewerb und Regulierung gegeneinan-der ausspielen wollen. Das Gegenteil ist der Fall: Einehohe Wettbewerbsintensität erreicht man dann, wenn mandie Netze, die ein natürliches Monopol darstellen, so or-ganisiert, dass jeder einen fairen Zugang dazu bekommt.
Die Organisation der Netze wird ein Teil der anstehendenDebatte sein. Sie bedeutet Schutz für die kleinen Anbieterund damit Schutz für die Kunden.Ein zweiter wichtiger Punkt wurde schon ange-sprochen: die Kraft-Wärme-Kopplung. Wie Sie allewissen, gibt es in der Gesellschaft eine intensive Diskus-sion darüber. Es gibt Gruppen, die dafür sind, und es gibtGruppen, die dagegen sind.
Ich fange einmal mit den Gruppen an, die dafür sind.Der Verband kommunaler Unternehmen und derDeutsche Städtetag sind dafür. Sie sehen nämlich in derKraft-Wärme-Kopplung eine Chance, damit auch kleineAkteure auf dem Markt weiter Strom produzieren könnenund dass wir in Zukunft nicht ein Oligopol haben, weil nurnoch große Unternehmen Strom produzieren und dadurchder Wettbewerb äußerst eingeschränkt wird.Der VDMA, der größte UnternehmensverbandDeutschlands, ist dafür, weil er der Meinung ist, dass esdurch die hohen Überkapazitäten eine enorme Zurückhal-tung bei den Investitionen gibt. Es besteht die großeGefahr eines Fadenrisses im Anlagenbau. Deswegen ist esgut, durch eine Förderung der Kraft-Wärme-Kopplungdie Investitionsbereitschaft anzuregen, sodass Investiti-onen vorgezogen werden können.
Die ÖTV, die IG BAU, die DAG und die IG Metall, diegrößte Einzelgewerkschaft Deutschlands, haben die Bun-desregierung aufgefordert, umgehend einen Entwurf fürein Gesetz zum Erhalt und Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung bei der Energieerzeugung vorzulegen. Dassichere den Energiestandort Deutschland und mehrere10 000 Arbeitsplätze in der Metallindustrie, sowie in derBau- und Energiewirtschaft. Zudem seien bessere Ex-portchancen für die Anlagenhersteller zu erwarten. DieUmweltverbände BUND, NABU und Greenpeace sindaus bekannten Gründen ebenfalls für den Ausbau derKraft-Wärme-Kopplung; denn auch nach ihrer Meinunghandelt es sich um einen substanziellen Beitrag zum Kli-maschutz.Die Stromkonzerne sind aus verständlichen Gründendagegen, weil sie in Zeiten von Überkapazitäten ihreKraftwerke so lange wie möglich betreiben und das Ende
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sozusagen abfedern wollen. Ein Nebeneffekt ist für sie,dass der Markt von kleinen Anbietern bereinigt würde.Wir haben den Stromkonzernen angeboten, Alterna-tivvorschläge auf den Tisch zu legen. Am Freitag findetein entsprechendes Gespräch statt. Ich sage aber ganzdeutlich: Die Alternativvorschläge müssen beim Kohlen-dioxidausstoß eine Einsparung von 23 Millionen Tonnendurch den Ausbau von Kraft-Wärme-Kopplung er-möglichen. Es darf keine Doppelzählung geben. Dasheißt, entsprechende Maßnahmen des Klimaschutzpro-gramms dürfen nicht auf die Kraft-Wärme-Kopplung an-gerechnet werden.Es darf sich auch nicht um Vorschläge handeln, diebeinhalten, dass die Förderung der Kraft-Wärme-Kop-plung aus dem Haushalt zu finanzieren ist. Wenn dasgefordert würde, müsste man soliderweise sagen, dass dieÖkosteuer erhöht werden muss.
Solche Vorschläge können nicht akzeptiert werden. Esdarf keine Schummelei und Augenwischerei geben.Michael Müller hat schon darauf hingewiesen, dass wiruns in einer außerordentlich schwierigen Situationbefinden. Die UNO schlägt Alarm, weil sich die Erdewesentlich schneller erwärmt als zunächst geglaubt. DieUN-Wissenschaftler warnen, dass eine katastrophaleVeränderung des Klimas bevorsteht. Töpfer – er ist Ihnenja durchaus bekannt und noch immer Mitglied der CDU –sagt sehr deutlich, der Bericht solle in jeder Hauptstadtund in jeder Gemeinde die Alarmglocken klingeln lassen.
Jetzt ist Handeln notwendig. Von diesem Handeln kannman sich nicht verabschieden. Man muss Vorschläge aufden Tisch bringen, wie man den Klimaschutz voranbrin-gen will.
Es gibt auch von der Seite der Kohlelobby die Be-fürchtung, dass sie der Verlierer einer Förderung derKraft-Wärme-Kopplung sein könnten. Ich halte dieseHaltung für außerordentlich defensiv, denn die Kohlewird am Zertifikathandel teilhaben. Der Gaspreis ist, wiegesagt, im letzten Jahr um 40 Prozent gestiegen. Damit istdie wettbewerbliche Ausgangssituation für die Kohleheute eine völlig andere als noch vor einem Jahr. Außer-dem sind Effizienzkriterien ein Bestandteil des Zertifikat-handels und Kohleanlagen, in denen modernste Tech-nologie eingesetzt ist, werden diese Effizienzkriterienerfüllen können.Wir brauchen auch im Anlagenbau moderneKohletechnologien; das sage ich ganz deutlich. Weltweitwerden 50 Kohlekraftwerke gebaut und 25 modernisiert.Es wird – leider, sage ich als Ökologin – noch lange Zeitso sein, dass die Kohle zur Energieerzeugung beiträgt,zum Beispiel in China und in Indien. Deshalb brauchenwir in diesem Bereich modernste Kohletechnologien, dieden Einsatz von Kohle, wenn er denn schon erfolgt,wesentlich effizienter machen.In Amerika gibt es eine Offensive, um die Wirkungs-grade von Kohle um 10 oder 20 Prozent zu steigern undsogar in Richtung CO2-freies Kohlekraftwerk zu forschen,in dem CO2 abgefangen und in Salz eingelagert wird.Das sind ungeheuer interessante Technologien. LassenSie uns lieber darüber diskutieren, wie wir diese Tech-nologien als Pilotprojekte, als Teil des KWK-Zerti-fikathandels nach Deutschland holen. Das wäre eine kon-struktive Debatte, die wir hier gemeinsam führen sollten.
Abschließend möchte ich die Opposition sehr deutlichauffordern, sich von ihrer destruktiven Haltung zu verab-schieden. Ich erwarte von Ihnen konstruktive Vorschläge.Sie sollten sich nicht immer nur hier hinstellen und sagen,was Sie alles falsch finden.
– Sie dürfen sagen, was Sie falsch finden. Aber dann er-warte ich – es kommen ja noch einige Redner von IhrerSeite, zum Beispiel Herr Uldall und Herr Hirche – an-gesichts dessen, dass die UNO uns mahnt, von Ihnen – vordieser Verantwortung können auch Sie sich nichtdrücken –, dass Sie nicht nur sagen, andere, zum Beispielin Osteuropa, sollen sich um den Klimaschutz bemühen,sondern dass Sie Vorschläge machen, wie wir in Deutsch-land zum Erreichen des Klimaschutzzieles beitragen kön-nen.
Wenn Sie meinen, das soll durch Atomkraft geschehen,dann erwarte ich von Ihnen, dass Sie ganz konkret dar-legen, wie viel CO2 eingespart werden soll, indem so undso viele AKWs in Deutschland gebaut werden, und lassenSie uns darüber diskutieren. Aber wenn Sie einfach nur aufden Tisch hauen und sagen, dass Ihnen unsere Vorschlägenicht gefallen, und sich aus der Verantwortung stehlen,dann werden Sie niemals wieder Regierungspartei wer-den.Danke.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Walter Hirche.
Frau Präsidentin! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Am Anfang eine Feststel-lung der Gemeinsamkeit: Ich glaube, in diesem Hausegibt es niemanden, der den letzten IPCC-Bericht infragestellt. Das ist unser Ausgangspunkt. Deswegen muss das
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Michaele Hustedt14279
oberste Ziel im Zusammenhang mit Klima- und Energie-politik sein, den CO2-Ausstoß bzw. den Ausstoß von CO2-Äquivalenten zu verringern. Dabei muss man fürjede Maßnahme offen sein. Ich glaube, die Formel, dieErde in der Balance zu halten, ist eine wesentliche Aus-gangslinie. Herr Müller hat zu Beginn bereits die Zahlendargelegt, die der IPCC-Bericht zur Erderwärmungsge-fahr nennt. Ich will sie nicht wiederholen. Selbst der Mit-telwert und der untere Wert sind schon problematisch.Angesichts dieser Situation würde ich mir allerdingsdoch wünschen – das muss ich zu den beiden Rednern derRegierungsfraktionen sagen –, dass die Bundesregierungein Konzept vorlegt, nach dem sie dann auch handelt.Der Wirtschaftsminister Müller hat ja – wie ich meine,verdienstvollerweise – im letzten Jahr einen Energiedia-log durchgeführt. Es gab auch ein Ergebnis dieses Di-alogs. In einem Punkt bestand allerdings Streit, nämlichdarüber, wieweit die Kernenergie insgesamt eine positiveRolle spielen sollte. Im Übrigen gab es breite Überein-stimmung. Ich sehe jedoch nicht, dass diese Übereinstim-mung jetzt die Regierung insgesamt erreicht. Insofernsteht der Wirtschaftsminister wie bei so vielen seinerMaßnahmen, die man öffentlich gut diskutieren könnte,auf einsamem Posten. Deswegen sagt er, er wolle bis zumJahre 2010 einen Energiebericht vorlegen; ein konsis-tentes Energieprogramm könne man erst für die Zeit nach2020 vorlegen.Das spricht vielleicht für seine ehrliche Darlegung desUmgangs in dieser Bundesregierung, also dessen, wieman miteinander zurechtkommt, aber ich finde es be-merkenswert, dass die Mehrheit im Wirtschaftsausschusseinen Antrag auf Vorlage eines Konzepts mit der Begrün-dung abgelehnt hat, man brauche keine Konzepte, manmüsse handeln.Auch ich sage: Natürlich muss man handeln; aber manmuss doch auf der Grundlage eines zusammenhängendenKonzepts handeln. Das trifft aber für die Maßnahmen, dieSie ergriffen haben, nicht zu. Frau Hustedt, das alles magja pragmatisch sein; aber wenn es falsch ist, dann nütztauch das Pragmatische nicht.
Sie haben eine Ökosteuer eingeführt, die keineLenkungswirkung hat. Ich darf hinzufügen: In keinem eu-ropäischen Land, in dem die Ökosteuer eingeführt wordenist, ist anschließend der CO2-Ausstoß zurückgegangen.
Das ist der Beweis dafür, dass es diese Lenkungswirkung,wie Sie sie vermuten, nicht gibt. Ich bin durchaus bereit,wie es der Sachverständigenrat zur Beurteilung dergesamtwirtschaftlichen Entwicklung vorgeschlagen hat,über ein anderes Modell zu diskutieren.
Aber dieses Modell hat keine Lenkungswirkung; es ist ins-gesamt eine Abzocke.
Sie können im Übrigen auch nicht sagen, der auch indiesem Jahr wieder gesunkene Ölverbrauch hänge mit derÖkosteuer zusammen. Womit hing das denn in den Vor-jahren zusammen? Es hängt mit der Einsicht der Men-schen zusammen, sich hinsichtlich des Energieverbrauchsumstellen zu müssen. Das ist der wichtigste Punkt.
Zur KWK-Regelung: Die KWK-Regelung, die Sie indiesem Hause beschlossen haben, lenkt die Fördergelderzu einem großen Teil fehl. Einem Bericht des Wirt-schaftsministers ist zu entnehmen, dass die KWK-Kapa-zität der öffentlichen Versorgung im kommunalen Bereich28 Terawattstunden beträgt, es sind aber Fördergelder, für48 Terawattstungen beantragt worden, für die auch einBonus verlangt wird. Was ist denn da passiert? Da sindplötzlich alte „Schleudern“, die überhaupt keine positiveCO2-Wirkung haben, sondern eine negative, wieder inGang gesetzt worden und wir erleben eine völlig kon-traproduktive Entwicklung zu dem Oberziel, den CO2-Ausstoß zu senken. Das müssen Sie doch zur Kenntnisnehmen.
Auch die jetzt konstruierte Regelung wird dem nichtentgegenwirken. Ich begrüße deswegen ausdrücklich,dass die Wirtschaft noch einmal die Chance hat, etwas imWege der Selbstverpflichtung zu tun. Ich hoffe, dass diesdann auch so vernünftig sein wird, dass es von der Politikinsgesamt akzeptiert wird. Denn – und dies ist meineAntwort, Frau Hustedt – wir haben in Deutschland durchdie Selbstverpflichtung der Wirtschaft, ohne spezielleMarkteingriffe, sehr viel mehr erreicht als jedes andereLand der Erde.
Wir haben auf Marktwirtschaft gesetzt, wir haben aufEigenverantwortung gesetzt, wir haben auf Kostenopti-mierung in diesem Zusammenhang gesetzt. Damit habenwir eine CO2-Verminderung erreicht. Es ist also nicht nurdurchaus möglich, sondern sogar geboten, sich dieser In-strumente zu bedienen, weil die Ziele auf diese Weisebesser erreicht werden können als durch Vorgaben.
Das gilt auch für das umstrittene Thema der Kern-energie. Ich habe ja gesagt: Wenn der Markt es wirklichso will, wie Sie es immer gesagt haben, Herr MinisterMüller, dann werden eben keine neuen Kernkraftwerkegebaut. Dann kann ich das auch nicht ändern. Dannbrauche ich aber keinen Beschluss zu fassen; dannbrauche ich nicht einzugreifen. Dieser Beschluss verrätdoch, dass Sie an dieser These zweifeln.Vizepräsidentin Vollmer – sie führt gerade den Vor-sitz – hat anlässlich eines Besuches in China, an dem ichteilgenommen habe, versucht, dem Vorsitzenden des chi-nesischen Umweltausschusses klarzumachen, dass Chinaauf Kernkraftwerke verzichten müsse. Darauf wurdegeantwortet, dass man nicht daran denke und sich dies of-fen halten wolle, dass China auch diese Energieform
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Walter Hirche14280
brauche. Wenn es aber so ist, dass andere Länder in derWelt auf diese Energieform zurückgreifen, dann solltenwir den in Deutschland bestehenden Technologievor-sprung erhalten.
Insofern geht es hier um etwas anderes: nicht um einenzusätzlichen Ausbau, sondern erst einmal darum, denzurzeit existierenden Anteil der Kernkraft an der Ener-gieversorgung zu erhalten. Wenn Sie diesen Anteil weg-fallen lassen, kommt es zu einer Steigerung der CO2-Emissionen um einen Wert, der den Emissionen desgesamten Straßenverkehrs in Deutschland entspricht.Dies ist eine Größenordnung, die alle vorhandenenBerechnungen durcheinander wirbelt.Wenn das Thema der Minderung der CO2-Emissionenvon Ihnen ernst genommen wird, dann sollten Sie auf be-stimmte Maßnahmen verzichten bzw. sie anders anlegen– ich will nicht sagen, dass deswegen bestimmte Maß-nahmen ausscheiden – und dann sollten wir uns in diesemZusammenhang über die Justierung vernünftig unterhalten.Das gilt auch für das, was Sie im Bereich der erneuer-baren Energien tun. Der von Ihnen vorgenommene Ein-satz der Gelder ist nicht optimal. Auch ist zu fragen, ob beibestimmten Maßnahmen der Stand der Anwendung schonso weit ist, dass sich der Einsatz von Fördergeldern für dieAnwendung rechtfertigt, oder ob es nicht besser wäre, er-heblich mehr im Bereich Forschung zu tun.Das 100 000-Dächer-Programm – das ist in der Öf-fentlichkeit nicht sehr bekannt –, das Sie als einen überauswichtigen Baustein loben, trägt zur Energieversorgung imStrombereich 0,1 Prozent bei, wobei umfangreiche Förder-mittel notwendig sind. Ich behaupte, durch Unterstützungder Forschung und Verschiebung der Anwendung um zwei,drei Jahre würden Sie einen weit höheren Effekt erzielen,als das jetzt der Fall ist.
Ich begrüße, dass parallel zu unserer Debatte einePressekonferenz meiner Kollegin Flach, der Vorsitzendendes Forschungsausschusses, zum Thema Brennstoffzellestattfindet. Denn ich glaube, das ist ein Stichwort, überdas wir uns im Gegensatz zur Kernenergie verständigenkönnten, indem wir uns gemeinsam dafür einsetzen, An-wendungsformen zu untersuchen und Antworten daraufzu finden, wie wir mit der Brennstoffzellentechniksowohl im Verkehrsbereich
als auch im Bereich der Privathaushalte weiterkommenkönnen.In diesem Zusammenhang hat der Wirtschaftsministerdarauf aufmerksam gemacht, dass man mit einer falschenKWK-Förderung unter Umständen den Anwendungs-bereich für eine entwickelte Brennstoffzelle, die sehr vielgünstigere Ergebnisse im Hinblick auf die CO2-Emissio-nen aufweist, verbaut, weil man den Markt mit einer Tech-nologie zustopft, die nicht das verspricht, was heute aufdem Markt eigentlich schon möglich wäre.
Insofern stimme ich Ihnen natürlich zu, wenn Sie sagen,man müsse über Alternativen sprechen. Aber ich schließenicht aus, dass der für die Brennstoffzellentechnologie not-wendige Wasserstoff – auch darüber müssen wir uns ja un-terhalten – mithilfe der Kerntechnik erzeugt wird. BauenSie doch nicht die Ausschlussszenarien auf!
Lassen Sie uns vielmehr im Sinne eines Energiemixesan der Offenheit festhalten, die wir jetzt haben. WelchenEnergiemix wir in Zukunft haben werden, das wird sichmaßgeblich auf dem Markt und an der Rahmenbedin-gung, welche CO2-Emissionen entstehen, entscheiden.Das ist ein wichtiger Punkt. Verengen Sie sich nicht aufein oder zwei Energietechnologien, sondern lassen Sieeine gewisse Breite zu! Wir können uns doch nicht an-maßen, heute zu wissen, zu welchen Entwicklungen eskommt.Insofern glaube ich, dass diese Offenheit auch auf denEnergiemärkten zu einem positiven Ergebnis führt. DieDeregulierung und die Liberalisierung haben eine äußerstpositive Bewegung in diese Märkte gebracht. Nur dort,wo die Liberalisierung und die Deregulierung nicht kon-sequent durchgeführt worden sind, haben wir negative Er-gebnisse.
Herr Minister, ich frage mich sogar, ob auf einem wirk-lichen Wettbewerbsmarkt Preisgenehmigungsbehördenüberhaupt noch gefragt sind. Ich glaube, auf die könnenwir dann verzichten. Wenn die Praxis sogar so ist, wie ichgestern in dem Bundesland, aus dem ich komme, gehörthabe, dass die Preisgenehmigungsbehörden den Stadtwer-ken Preiserhöhungen verweigern, die aus der Ökosteuer,dem Erneuerbare-Energien-Gesetz und dem KWK-Vor-schaltgesetz resultieren – weil sie nicht zugeben wollen,dass das preissteigernd ist –, dann ist das ein Beweis dafür,dass wir diese Behörden nicht brauchen.Lassen Sie mich am Ende sagen: Neben der Offenheitbeim Energienmix und bei den verschiedenen Tech-nologien ist das Wichtigste, in dieser Debatte, nicht im-mer nur über Deutschland allein zu reden. Wir agieren ineinem europäischen Markt, wir leben unter globalisiertenBedingungen und die Welt wird sich nicht danach richten,was sich Rot oder Grün ausdenkt. Es war für die Men-schen und das Wohlergehen der Menschen immer nochdas Beste, wenn man die Verbraucher hat entscheiden las-sen. Das ist nämlich das Marktprinzip, das demokratischePrinzip in der Wirtschaft. Das wird auch in der Energie-politik das erfolgreichste Prinzip sein.Vielen Dank.
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Walter Hirche14281
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Eva Bulling-Schröter.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie von der CDU/CSU,liebe Kolleginnen und Kollegen, beklagen in einem An-trag, dass aus dem Energiedialog 2000 keine Konse-quenzen gezogen wurden. Ich muss Sie aber daran erin-nern, dass es sich beim Energiedialog 2000 um eineaußerparlamentarische Veranstaltung der Friedrich-Ebert- und der Konrad-Adenauer-Stiftung unter leitenderMitwirkung der Atom- und Energiewirtschaft gehandelthat. Wir sehen deshalb wenig Veranlassung, uns hier imHaus mit gescheiterten Veranstaltungen von parteinahenStiftungen zu befassen.Gleiches gilt für die Treffen der Energiewirtschaft mitVertretern der Bundesregierung, die zu einem Atomkon-sens zwischen den Beteiligten geführt haben sollen. Außerder Koalition setzt heute wohl niemand mehr auf einenAtomkonsens. Die Energiekonzerne halten sich einezukünftige Fortsetzung der Atomkraftnutzung offen. Wiedie vorliegenden Anträge zeigen, werden sie darin vonChristdemokraten, der F.D.P. und von unionsregiertenLändern unterstützt. Damit, so meine ich, dürfte die rot-grüne Konsensstrategie gescheitert sein.Zu den anderen Anträgen möchte ich mich kurz halten.Gegen die Vermeidung von Stand-by-Verlusten bei Elek-trogeräten ist vom Grundsatz her nichts einzuwenden. Esgab in der letzten Legislaturperiode wesentlich Besseres.Leider wurde das von Ihrer Seite damals abgelehnt. Jetzthaben Sie etwas eingebracht. Nur, was die Frage derEnergieeinsparung betrifft, möchte ich einmal kurz vonder gestrigen Anhörung zur IVU/UVP-Richtlinie berich-ten. BDI und VCI, Verband der Chemischen Industrie, ha-ben sich besonders damit hervorgetan, dass sie einen be-stimmten Artikel zur Energieeinsparung in diesemArtikelgesetz nicht haben wollen. Wenn das gleich mitPlanwirtschaft und ähnlichen Dingen verglichen wird,frage ich mich natürlich schon, wo die Industrie wirklichEnergie einspart und warum sie das nicht will.Hinsichtlich der EU-Richtlinie zu regenerativen Ener-gien haben wir beruhigt zur Kenntnis genommen, dass Ver-gütungen nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz nichtals Beihilfen im Sinne des EG-Vertrages verstanden wer-den.Die F.D.P. fordert mit ihrem Antrag die Bundesregie-rung zur Abgabe eines jährlichen Solarberichtes auf. Un-verständlich ist, warum dieser Bericht jährlich gegebenwerden soll. Das alte Stromeinspeisungsgesetz sah auchkeine jährliche Berichterstattung vor. Unklar ist, warumzum Stand des Ausbaus anderer regenerativer Energienkein Bericht gefordert wird.Jetzt zum Trauerspiel KWK. Der seit Jahren seitensdes Wirtschaftsministeriums bestehende Widerstand ge-gen den Ausbau der Kraft-Wärme-Koppelung tritt seitden vergangenen Wochen offen zutage. Zur Kritik an derQuote aus Teilnehmerkreisen einer „Handelsblatt“-Ver-anstaltung sagte Bundeswirtschaftsminister Müller kürz-lich:Das, was Sie sagen, ist richtig, aber es befriedigt imInland keine Ideologien.Offenbar war der Ideologe Müller nicht auf der Kabi-nettssitzung zum nationalen Klimaschutzprogramm am18. Oktober 2000, in der beschlossen wurde – ich zitierewiederum –:Bis Ende 2000 wird die Bundesregierung Eckpunkteeiner Quotenregelung zum Ausbau der KWK vorle-gen. Ziel ist die zusätzliche Minderung der CO2-Emissionen in einer Größenordnung von 10 Milli-onen Tonnen bis 2005 bzw. 23 Millionen Tonnen bis2010. Das Gesetzgebungsverfahren soll spätestensMitte 2001 abgeschlossen sein.Also ich halte fest: Das Gesetzgebungsverfahren soll spä-testens Mitte 2001 abgeschlossen sein. Jetzt haben wirEnde Januar – und von Eckpunkten keine Spur. Morgentrifft sich diesbezüglich Kanzler Schröder mit den Minis-tern Trittin und Müller zum Krisengipfel, wo wohl der mitGewalt-Debatten weichgekochte Umweltminister zumKotau gezwungen werden soll. Das wäre natürlich ein Tri-umph des Ex-VEBA-Managers im Ministeramt und derStromkonzerne auf der ganzen Linie. Nicht nur dass ihnendie Verwertung ihrer Atomkraftwerke schon politisch ga-rantiert wurde, es würde ihnen mit dem Fall der KWK-Quote auch noch jede potenzielle Konkurrenz vom Leibegehalten, die mit einem größeren KWK-Anteil entstünde.Natürlich wissen auch wir, dass das KWK-Vorschalt-gesetz schnellstens ersetzt werden muss, weil es ökolo-gisch in Teilen eher kontraproduktiv ist. Wenn im vergan-genen Jahr statt der prognostizierten 20 Terawattstundentatsächlich 55 Terawattstunden als KWK-Strom vergütetwurden, so spricht vieles dafür, dass hier massiv reinerKondensationsstrom überbezahlt wurde.
Aber auch diese Kritik muss sich zuerst an die Übertra-gungsnetzbetreiber richten, also wieder die großenStromkonzerne. Ihnen ist offensichtlich jedes Mittelrecht, um die KWK zu diskreditieren.
Denn selbstverständlich gibt es vernünftige Alternati-ven: Statt der ursprünglich diskutierten abstrakten Ver-dopplung der KWK-Stromerzeugung sollte auf die im be-reits erwähnten nationalen Klimaschutzprogramm für denKWK-Ausbau festgelegte konkrete Emissionsreduktionabgehoben werden. Der Beitrag der einzelnen Anlagendazu, also die konkrete Zahl der für deren Betreiber gege-benenfalls handelbaren Zertifikate, könnte definiert werdendurch das Produkt aus der Menge des bei der Nutzwärme-produktion erzeugten Stromes und der Differenz zwischenBrennstoffausnutzungsgrad dieser KWK-Anlage und demDurchschnitt des Ausnutzungsgrades der reinen Stromer-zeugungsanlagen mit dem gleichen Brennstoff.So ließen sich relativ einfach nicht nur vermiedeneKohlendioxidmengen exakt ermitteln, auch hätten mo-derne Braun- und Steinkohle-KWK-Anlagen wieder eineZukunftsperspektive, und ich denke, das ist auch notwen-dig. Vielleicht würde das ja auch die nordrhein-westfäli-
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sche SPD aus ihrer unheiligen Allianz mit den Strombos-sen wieder etwas lösen.Dieses Modell wäre tatsächlich voll klimaschutzorien-tiert, da es sich direkt an der gesellschafts- und nicht an ei-ner industriepolitischen Zielgröße ausrichtet, und es wäreder zumindest EU-weit erstmals unternommene praktischeVersuch der Umsetzung eines flexiblen Instruments desKioto-Prozesses, der damit auch über seinen eigentlichenZweck weit hinausreichende Standards setzen könnte.
Das müsste eigentlich auch die F.D.P. begeistern.Aber all das scheint weder bei der Mehrheit der Regie-rung noch in der Wirtschaft Gehör zu finden. Denn offen-sichtlich haben maßgebliche Wirtschaftsverbände dieKWK-Förderung zu einer Entscheidungsschlacht über diegesellschaftspolitisch fundamentale Frage auserkoren, obund wie schrankenlose Deregulierung weiterhin ein Pri-mat von Regierungspolitik bleibt bzw. wieder wird. Ichdenke, wir haben da eine Verantwortung, und hier solltewirklich etwas getan werden. Herr Minister Müller, Siesind gefragt. Sie sollten nicht nur eine Lobby-Gruppe ver-treten, sondern eben endlich auch im Sinne des Klima-schutzes – alle Parteien haben es ausgeführt – handeln.Danke.
Wie es sich sofügt, hat Herr Bundesminister Dr. Werner Müller jetztauch das Wort.Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaftund Technologie: Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Ich werde im Protokoll der bisherigen Sitzungeinmal nachlesen, was die Opposition eigentlich so ge-fordert hat. Hätten Sie – nehmen wir das einmal an – ins-gesamt eine nachhaltige Energiepolitik von dieser Bun-desregierung gefordert, dann hätte ich jetzt sagen können:„Wir stimmen mit Ihnen überein“, hätte dann allerdingshinzugefügt: Das Problem bei Ihnen, wenn Sie eine nach-haltige Energiepolitik fordern, ist – das merkt man deut-lich – die Glaubwürdigkeit, weil man ja fragen muss: Washaben Sie in all den Jahren dazu beigetragen? Das frageich Sie eingedenk der Tatsache, dass Energiepolitik im-mer eine sehr langfristige Sache ist.Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen: Siehaben sehr ehrgeizige Klimaschutzziele entwickelt undsie international verbindlich gemacht. Sie haben aber– das ist ein Problem für diese Bundesregierung – jahre-lang nichts Konkretes eingeleitet, damit diese Ziele auchverwirklicht werden können.
Ich will Ihnen ein anderes Beispiel nennen: Sie habendie Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte vorbe-reitet – ganz ohne Zweifel –, aber Sie haben die Thema-tik, nach welchen Regeln Wettbewerb ablaufen soll, nichtkonsequent bearbeitet. Was mich besonders gestört hat:Sie haben nicht dafür gesorgt, dass das irgendwie im eu-ropäischen Gleichschritt geschieht.
Deswegen bin ich ganz zufrieden mit dem, was wir nachlangen Verhandlungen mit der Europäischen Kommissionerreicht haben. Wir werden unter schwedischer Präsident-schaft einen neuen Anlauf nehmen, die Liberalisierungder Strom- und Gasmärkte bis 2005 in Europa verwirk-licht zu haben. Das ist, wenn es gelingt, ein wirklicherDurchbruch. – Dies ist die erste Anmerkung dazu, dassEnergiepolitik natürlich, wie Sie gesagt haben, auch eu-ropäische Dimensionen hat, aber man muss sie dann auchkonsequent befolgen.Nehmen Sie Ihre Auseinandersetzung mit der Kern-energie als weiteres Beispiel. Sie zementieren da alteGrabenkämpfe. Das ist wirklich mein Eindruck.
Ich darf Ihnen sagen: Uns ist es gelungen, im Konsens mitder Wirtschaft diesen Konflikt zu befrieden.
So haben wir bei Regierungsantritt rundherum, auch aufdem Gebiet der Energiepolitik, viel Aufräumarbeit leistenmüssen, was nicht immer ein Zuckerschlecken ist. Aberdafür sind wir ja gewählt worden, und wir werden dieWege, die wir eingeschlagen haben, auch konsequent wei-tergehen.Nach etwa einjähriger Diskussion mit den meisten ge-sellschaftspolitischen Gruppen und Verbänden haben wireinen Grundkonsens über die Leitlinien einer langfris-tigen Energiepolitik erzielt. Dabei sind wir mit den al-lermeisten gesellschaftspolitischen Gruppen, außer derUnion, einig, dass die drei energiepolitischen Ziele Ver-sorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umwelt-verträglichkeit gleichrangig nebeneinander zu verwirk-lichen sind.
Wir sind uns auch mit allen, außer der Union, einig,dass die Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte weiterfortgesetzt werden muss. Der Markt soll also Vorrang ha-ben. Wir sind uns allerdings in den Gesprächen über ener-giepolitische Leitlinien mit allen, eben außer der Union,auch einig geworden, dass der Markt alleine nicht alles re-geln kann. Gerade in diesen Tagen erleben wir doch, dassLiberalisierung im Strommarkt nicht heißen darf, nur aufden Energiepreis zu schauen. Wenn Sie eine rein auf nied-rige Preise orientierte Politik machen, erleben Sie, dassdie Strommärkte irgendwelche Versicherungsprämien in
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Eva Bulling-Schröter14283
Richtung einer langfristigen Zukunft nicht hergeben.Wenn Sie Ihre Strommarktpolitik zehn Jahre fortgesetzthätten, hätten wir im Jahr 2010 Verhältnisse, wie wir sieheute in Kalifornien haben, das heißt bankrotte EVU undflächendeckende Stromausfälle.
– Ich rede ja nicht von Ihnen. Ich rede doch von der CDU.
– Natürlich. Sie wären eine Art kalifornische Dunkel-Union geworden.
Sie müssen einfach einmal zur Kenntnis nehmen, was sichin Kalifornien tut, und daraus Rückschlüsse ziehen. Dennso etwas entwickelt sich über ein Jahrzehnt, ist aber dannin Jahren nicht mehr reparabel. Es ist unsere Aufgabe, dieRahmendaten so zu setzen, dass diese Situation gar nichterst eintreten kann.
Ich will Ihnen sagen, was wir weiterhin mit Brüssel ver-einbart haben, weil Sie die Europäisierung richtigerweisefür wichtig erachten. Wir haben inzwischen grundsätzlicheÜbereinstimmung mit den Mitgliedstaaten und Brüssel er-zielt, um bei den erneuerbaren Energien unsere natio-nalen Fördersysteme abzusichern, die teilweise Sie nocheingeführt haben, auch wenn Sie sie heute beklagen, zumBeispiel das Energieeinspeisegesetz. Wir haben in Brüsselauch umfangreiche andere Projekte wie Marktanreizpro-gramme und vor allem Forschungsförderung abgesichert.Auch mit dem Grünbuch zum Thema Versorgungs-sicherheit hat die Europäische Kommission jetzt Vor-schläge vorgelegt, mit denen unsere Energiepolitik derletzten zwei Jahre in weiten Teilen nunmehr europäisiertwerden soll. Die Kommission setzt auf verstärkte Ener-gieeffizienzmaßnahmen insbesondere im Verkehrs- undGebäudebereich. Sie will die Zusammenarbeit mit denLieferländern voranbringen. Sie setzt auf die Entwicklungneuer, umweltfreundlicher Technologien und Antriebs-stoffe. Sie schlägt vor, Importrisiken durch einen ausge-wogenen Energiemix abzumildern. Die Nutzung einhei-mischer Energieträger hat dabei in diesem Grünbucheinen hohen Stellenwert. Um es kurz zu fassen: Die Kom-mission greift mutig die Frage auf, ob nur das Thema „Li-beralisierung der Energiemärkte“ die Energiepolitik be-stimmt oder ob Energiepolitik nicht wesentlich weiterverstanden werden muss. Auch hinsichtlich der Antwor-ten darauf stimmen wir mit der EU-Kommission in vie-lem überein.Ganz sicher ist es eine Frage der Zukunftsvorsorge, wiedie Mitgliedstaaten der EU langfristig ihre Versorgungs-sicherheit garantieren können und wie die Wirtschaftlich-keit und die Umweltverträglichkeit der Energieversor-gung darin eingebettet werden.Ich teile vollkommen die Schwerpunkte, die die Kom-mission setzt. In puncto Energieeffizienz und Energie-einsparung werden alle Mitgliedstaaten, auch Deutsch-land, alle Register ziehen müssen, wenn wir die ehrgeizigenZiele erreichen wollen. Das heißt, wir müssen die Energie-effizienz im Umwandlungssektor, bei der Kraft-Wärme-Kopplung, durch die Steigerung der Wirkungsgrade vonKraftwerken und durch die Verringerung der Leerlaufver-luste von Elektrogeräten erhöhen, vor allem aber denEnergiebedarf und die Nachfrage nach Raumwärme undnach Mobilität senken. Diese Strategie vorrangig auszu-bauen und langfristig und stetig zu betreiben, das wirdnicht nur die Umweltverträglichkeit der Energieversor-gung erhöhen; auch die Preisrisiken der Importabhängig-keit werden zunehmend abgefedert.Nur am Rande, Herr Lippold: Es wird Ihnen wahr-scheinlich entgangen sein, dass die von Ihnen angemahnteEnergieeinsparverordnung vom Kollegen Bodewig undmir vor zwei Monaten im Entwurf der Öffentlichkeit vor-gestellt wurde. Wenn Sie so freundlich sind, ihn lesen zuwollen, sende ich Ihnen den Entwurf gerne zu.Deutschland ist in der Entkopplung von Energiever-brauch und Wirtschaftswachstum gerade in den letztenJahren ein großes Stück weitergekommen. Der Primärenergieverbrauch je Einheit Bruttoinlandsprodukt ist inden letzten Jahren kontinuierlich um fast 16 Prozent ge-sunken. Ich sage ganz deutlich: Wenn wir das Konzept derEnergiebesteuerung, der Ökosteuer fortführen, wird derspezifische Energieverbrauch je Einheit Bruttoinlands-produkt bis 2020 halbiert.
Das sind die Prognosen, die wir im Energiebericht aus-werten.Nun ist gefragt worden: Wo bleibt der Energiebe-richt? Da haben Sie einmal etwas Richtiges festgestellt:Ich habe ihn noch nicht vorgelegt. Aber ich darf Ihnen sa-gen: Er wird vorgelegt werden, und zwar genau dann,wenn er fertig ist.
– Ich weiß nicht, was es da zu lachen gibt. Etwas Halb-fertiges haben Sie immer vorgelegt. Wir legen nichtsHalbfertiges vor.
Wenn ich an Ihre Energieprogramme denke, darf ichein Zweites sagen: Ich will den Energiebericht, den ichvorlege, noch in zehn und in 20 Jahren lesen können, ohnerot zu werden. Das tun Sie mit Ihren Programmen nicht;denn sonst würden Sie rot.
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Bundesminister Dr. Werner Müller14284
Meine Damen und Herren von der Opposition, mir istnicht unbekannt – das ist heute auch wieder deutlich ge-worden –, dass Sie zur Kernenergie als Baustein im Rah-men einer Nachhaltigkeitsstrategie eine andere Meinunghaben als diese Bundesregierung. Aber es ist doch auchklar, dass diese nur noch von Ihnen – warum auch immer –gepflegte Kontroverse wenig dazu beiträgt, mit einer ver-nünftigen, nachhaltigen Energiepolitik weiterzukommen.Ich habe in diesem Hause schon öfters gesagt: 85 Pro-zent unseres Primärenergieverbrauches kommen aus fos-silen Energieträgern.
Verkehr und Raumwärme mit einem Anteil von zwei Drit-teln am Endenergieverbrauch sind mehr oder wenigervollständig von den Importenergieträgern Öl und Gas ab-hängig.
Jeder Kundige – das betone ich – weiß, dass die steigendeNachfrage nach Verkehrsleistungen Einsparerfolge beimEnergieverbrauch überkompensiert und dass sich hier diegroßen Probleme der Energiepolitik der Zukunft auftun.Jeder Kundige weiß, dass beim Energieeinsatz im Wär-memarkt enorme Einsparpotenziale ausgenutzt werdenkönnten. Jedenfalls wir wissen das und haben deshalb,wie gesagt, die Energieeinsparverordnung auf den Weggebracht.Alle Analysen, die wir im Rahmen des Energieberich-tes bisher angestellt haben, zeigen uns, dass wir auf demrichtigen Weg sind. Wir wissen, dass wir das Vorwärts-kommen auf diesem richtigen Weg noch beschleunigenmüssen, damit wir die von Ihnen genannten Klimaschutz-ziele erreichen. Wir müssen des Weiteren dafür sorgen,dass wir hier in Europa gemeinsam vorwärts kommen.Ein Wort über den Strommarkt, weil Sie ihn immerwieder ansprechen: Bis 2005 hat die Vereinbarung mit derStromwirtschaft zum Thema Kernenergie keine nennens-werten praktischen Auswirkungen. Nach 2010 stellen sichdann die Fragen des Klimaschutzes und der Kernenergieganz anders, weil die Masse der Kernenergiestromerzeu-gung nach 2010 peu à peu vom Netz gehen wird. Aberdiese Fragen stellen sich nicht nur bei uns, sondern überallauf den integrierten europäischen Strommärkten, die wirbis zum Jahre 2010 haben werden.Eines will ich Ihnen zu bedenken geben: dass Investo-ren in liberalisierten Märkten irgendwo in Europa ange-sichts der hohen Investitionskosten und langfristiger Ka-pitalbindung auf neue Kernenergiekapazitäten setzen, dasmuss doch auch Ihnen aus heutiger Sicht völlig unwahr-scheinlich vorkommen. Das bedeutet für Europa – kei-neswegs nur für die Bundesrepublik –, dass das Problemdes Klimaschutzes nicht mit dem Thema Kernenergiegelöst werden kann,
es sei denn, Sie denken an staatliche Investitionslenkung.
Aber wenn Sie das als Ziel propagieren, dann sind Sie,ähnlich wie Frau Hustedt es gesagt hat, ganz konkret auf-gefordert, konsequenterweise ein Kernkraftwerks-Neu-bau-Gesetz hier in diesem Bundestag vorzulegen.
– Ich habe gesagt, es werde niemand mehr bauen, und Siehaben auch keine Bauherren, und dann müssen Sie eseben per Gesetz herbeizwingen. So einfach ist das.Auch die Stromerzeugung in Kraftwerken mit niedri-gen Umweltstandards in europäischen Mitgliedstaatenkann keine Lösung sein, auf die wir langfristig setzen kön-nen. Ich habe deswegen mit Frau de Palacio lange darübergesprochen, dass wir insbesondere mit den Beitrittslän-dern auch über eine ökologische Reziprozität verhandelnmüssen.
Ich habe im Übrigen mit Frau de Palacio besprochen,dass wir zum Schutz einheimischer Energieträger, seiensie fossil, seien sie regenerativ, in Europa einen nationa-len Primärenergiesockel einführen wollen, der vom Wett-bewerbsregime der EU freigestellt ist.Alles in allem, meine Damen und Herren, darf ich Ih-nen sagen: Diese Bundesregierung macht eine vernünf-tige Energiepolitik.
Die Punkte, die Sie manchmal kritisch anmerken, werdenwir so erledigen, dass sich alle Seiten in den Beschlüssenwiederfinden.Über die Frage, wie der Neubau von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen erreicht wird, finden, wie Sie wissen,Gespräche statt. Ich bin ganz zuversichtlich, dass wir Er-gebnisse erreichen,
die uns dem Klimaschutz näher bringen – das kann dieKraft-Wärme-Kopplung nämlich –,
die die Wirtschaftlichkeitsziele nicht außer Acht lassenund die auch beim Strommarkt nicht zu hohen Prozent-sätzen neuer Reglementierungen führen.
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Bundesminister Dr. Werner Müller14285
Wenn Sie in der Stromwirtschaft auf Selbstverpflich-tungen setzen – ich würde das gern tun –, dann müssendiese erst einmal vorliegen,
und man sollte möglichst nicht nach neuen Subventionenrufen. Ich habe mit dem Thema der Selbstverpflichtung someine Erfahrungen.
Denn wie Sie wissen, ist die Gaswirtschaft aufgefordert– oder sollte es als Chance begreifen –, sich selbst einenRahmen zu geben, wie der Wettbewerb im Gasmarkt ab-laufen soll. Aber die Gaswirtschaft sagt mir mehr oder we-niger deutlich: Mach lieber du das, das ist uns viel zukompliziert.Ich weise abschließend auf Folgendes hin: Wenn dieGaswirtschaft eine staatliche Netzzugangsverordnungwill, dann kann sie sie haben. Wir fangen parallel mit derArbeit an.
Dann wird es eine Regulierungsbehörde Gas geben, undwenn es eine Regulierungsbehörde Gas gibt, dann werdenwir auch, weil die Wirtschaft es so will, zu einer Regulie-rungsbehörde Strom kommen.
– Bitte, keinen Beifall! Ich bin ja eigentlich nicht dafür,ich sage das nur so.
Dann werden wir auch das Problem gelöst bekommen,dass wir das einzige Land in Europa sind, das gar keinenstaatlichen Regulator hat. Denn wir kommen in ein Pro-blem – wie Frau de Palacio mir gesagt hat –: Wenn alle eu-ropäischen Staaten im Jahre 2005 einen liberalisiertenStrom- und Gasmarkt haben, dann haben alle Länder ei-nen staatlichen Regulator – Regulierungsbehörde, Netz-zugangsverordnung etc. –, nur Deutschland nicht. Wenndie Energiewirtschaft wirklich ernsthaft sagt, eine Regu-lierungsbehörde sei besser, dann werde ich mich diesemDiktat beugen. Ich erlebe dann ein weiteres Mal, dass inden häufigen Klagen der Wirtschaft über staatliche Regu-lierung nichts anderes zum Ausdruck kommt als die man-gelnde Bereitschaft, Verantwortung in Form von Selbst-regulierung zu übernehmen, sei es aus Bequemlichkeitoder Angst. Das werde ich mir dann merken.Vielen Dank.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Gunnar Uldall.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Der Vorfall, dass der Herr Minister ander falschen Stelle Beifall von der Regierungskoalitionbekommt,
ist zum einen vielleicht eine kleine lustige Begebenheit;er spricht aber auf der anderen Seite Bände, was das Ver-hältnis zwischen Ihnen und der Regierungskoalition an-geht.
Darauf, Herr Minister, werde ich gleich noch einmal zusprechen kommen.Vor drei Jahren haben wir, CDU/CSU und F.D.P., dieStrommonopole in Deutschland geknackt und die Märktedem Wettbewerb ausgesetzt. Das haben wir alle positivgespürt. Für eine kurze Zeit konnten wir eine erfreulicheTatsache registrieren: Wir bekamen nämlich Briefe vonunseren Stromversorgern, in denen keine Erhöhung derStrompreise mitgeteilt wurde, sondern mitgeteilt wurde,dass die Höhe der Stromabbuchungen pro Monat herab-gesetzt wurde. Das waren gute energiepolitische Zeitenunter CDU/CSU und F.D.P.
Jetzt sieht das alles schon ganz anders aus: Still undheimlich hat die rot-grüne Koalition es verstanden, dieseEntlastungen, die wir für die Bürger und für die Betriebe,die im internationalen Wettbewerb stehen und deshalbdringend auf eine Senkung ihrer Kosten angewiesen wa-ren, erreicht hatten, wieder zurückzufahren. Was ich da-bei „bewundere“, ist, dass das gelungen ist, ohne dass esvon dem Einzelnen so richtig registriert wurde. DieseMaßnahmen wurden nämlich immer in homöopathischenDosen verabreicht.Ich will einmal die Dinge zusammenfassen, damit wiralle das verstehen: Es hatte damit begonnen, dass im Zugeder Ökosteuer auch eine neue Stromsteuer eingeführtwurde. Inzwischen sind das 3 Pfennig. Man wird sagen:Na ja, 3 Pfennig sind nicht so viel. Dazu muss man sagen:Die Menge macht es; pro Kilowattstunde 3 Pfennig mehr,das macht im Monat schon eine ganze Menge aus. Dannkam das Erneuerbare-Energien-Gesetz; das brachte einezusätzliche Belastung von 0,3 Pfennig. Wer redet schonüber 0,3 Pfennig pro Kilowattstunde? So eine kleineGrößenordnung, so könnte man leichtsinnigerweise den-ken, können wir vergessen. Dann wurde ein Viertel-pfennig für die Kraft-Wärme-Kopplung draufgeschlagen.Auch hier sagte man: Das ist unbedeutend, das könnenwir eigentlich übergehen.
Wenn ich das alles zusammenzähle, stelle ich fest, dassbereits die Belastungen durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz und das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz zusam-mengenommen so hoch für die einzelnen Haushalte sind,als wenn die Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt an-gehoben worden wäre. Wenn man das gemacht hätte,
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Bundesminister Dr. Werner Müller14286
dann hätte es in Deutschland ein richtiges Aufbrausen ge-geben, weil man sich diese Belastung nicht hätte gefallenlassen. Durch eine geschickte Terminierung und eine Ver-abreichung in homöopathischen Dosen aber ist es der Re-gierung gelungen, diese Belastungen den Bürgern stillund heimlich aufzudrücken. Wir sind dafür da, das einmalrichtig darzulegen.
Es geht aber noch weiter; es hört ja nicht beim Strom auf:Auf Heizöl sind 4 Pfennig mehr Steuern als 1998 zu zah-len. Es darf nicht vergessen werden, dass auch der öffentli-che Nahverkehr, Stadtreinigung und Müllabfuhr infolgeder Energieverteuerung ihre Preise erhöhen müssen.
Schließlich kommen die drastischen Erhöhungen durchdie Ökosteuer hinzu, die ja bekannt sind.Nun habe ich mir einmal die Mühe gemacht und allesdas in einer Übersicht zusammengestellt, was bei einemVierpersonenhaushalt, also Vater, Mutter und zwei Kin-der, zusammenkommt.
Ich stelle fest: Gegenüber dem Jahre 1998, dem letztenRegierungsjahr der CDU/CSU-F.D.P.-Koalition, mussdieser Haushalt heute in einer 100 Quadratmeter großenWohnung 174 DM pro Jahr mehr für Strom bezahlen.Durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz und die Kraft-Wärme-Kopplung kommen 31,90 DM dazu. Beim Heizölsind es zusätzlich 116 DM. Bei den sonstigen Mehrkos-ten, wie ÖPNV und Straßenreinigung, sind es 72 DM. DieMehrbelastung auf die Kraftstoffe durch die Ökosteuerbeträgt 203 DM.Wenn ich alles zusammenzähle, so macht das 630 DM,
die pro Jahr je Haushalt durch steuererhöhende Maßnah-men zusätzlich verlangt werden, die Sie so durchgeführthaben, dass das von der Bevölkerung gar nicht richtig re-gistriert wurde. Deswegen war es notwendig, diese Rech-nung an dieser Stelle einmal aufzumachen.
Wenn ich das mit dem vergleiche, was an Entlastungdurch die Steuerreform kommt, dann kann ich nur sagen:All das, was Sie immer wieder vorrechnen und unter dasVolk bringen, ist durch Ihren Griff in die Taschen der Bür-ger längst wieder futsch, Herr Minister.Zur Kraft-Wärme-Kopplung: Es ist richtig, dass dieKraft-Wärme-Kopplung energiesparend ist. Aber dieseAnlagen haben einen großen Nachteil: Sie produzierenStrom und Wärme immer gleichzeitig. Nun ist die Wirk-lichkeit im Leben leider nicht so, dass immer gleichzeitigWärme- und Strombedarf besteht. Im Winter haben wirdie Notwendigkeit, Strom zu verbrauchen, um zu kochen,weil wir etwas Schönes essen wollen, und gleichzeitigheizen wir. Hier passt es zusammen. Im Sommer sieht esschon anders aus. Im Sommer brauchen wir ebenfallsStrom zum Kochen, aber keine Fernwärme, um die Woh-nung zu heizen. Um das Energiesparkonzept der Regie-rung in dieser Form aufgehen zu lassen, müsste man dieFenster öffnen und die Wärme wieder herauslassen. Jedersieht, dass ein solches Konzept ökologisch unsinnig istund so nicht aufgehen kann.Deswegen kann man sagen: Wir erkennen, dass dieKraft-Wärme-Kopplung immer nur mit einem gewissenAnteil für die Stromversorgung sinnvoll einsetzbar ist.Die Grünen und die Sozialdemokraten wollen jedochdurch eine Quotenregelung eine Verdoppelung des An-teils des KWK-Stroms in Deutschland erreichen.
Dann würde so viel Wärme produziert werden, dass siegar nicht unterzubringen ist.
Das zeigt, dass das KWK-Subventionsgesetz nicht nur einwirtschaftlicher Unsinn ist, da Überkapazitäten staatlichgefördert würden, sondern dass es in dieser Form auchökologisch nicht vertretbar ist.
Das, Herr Minister, darf in dieser Form in Deutschlandnicht stattfinden. Sie gehörten immer zu denen, die davorgewarnt haben, dies beliebig auszubauen. Damit standenSie in einer Reihe mit unserem früheren Kollegen von derSPD, Herrn Schwanhold. Er ist inzwischen Wirtschafts-minister in Nordrhein-Westfalen. Schließlich hat auch derVorsitzende der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energiedasselbe wie Herr Schwanhold gesagt und das Konzeptder Regierung für falsch erklärt.Deswegen kann ich nur sagen: Setzen Sie sich gegendie Ökoideologen in der Koalition durch! Ich habe gesternin der „Süddeutschen Zeitung“ einen Artikel gelesen, des-sen Überschrift lautete: Grüne setzen WirtschaftsministerMüller unter Druck.
– Das war in der „Frankfurter Rundschau“. Herr MinisterMüller, Sie dürfen in dieser Frage nicht nachgeben. Las-sen Sie den Ideologen nicht zu viel Spielraum! Wir wer-den Sie in dieser Frage unterstützen, Herr Minister.
Leider gibt es schon eine ganze Reihe von Fällen, indenen Sie sich bei wirtschaftspolitischen Themen zwarimmer kernig geäußert, aber nicht durchgesetzt haben.Ich will ein paar Beispiele anführen. Sie haben voreiner Belastung der mittelständischen Betriebe durch
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Gunnar Uldall14287
das Gesetz zum Recht auf Teilzeitarbeit gewarnt – ohneErfolg, Herr Minister. Sie fordern eine steuerlich sinn-volle Behandlung von Aktienoptionen – ohne Erfolg, HerrMinister. Sie wenden sich gegen eine Ausweitung derMitbestimmung im Betriebsverfassungsgesetz – ohne Er-folg, Herr Minister.
Sie verlangen mit vollem Recht die Verantwortung fürwirtschaftspolitische Grundsatzfragen – ohne Erfolg,Herr Minister.
Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Minister: Lassen Siesich das in dieser Form nicht gefallen! Verhindern Sie dasSubventionsgesetz für die Kraft-Wärme-Kopplung! Ver-hindern Sie damit eine gigantische Fehlentwicklung inder deutschen Energiepolitik! Diesmal, Herr Minister,müssen Sie Rückgrat zeigen. Notfalls müssen Sie Minis-ter acht sein, denn Sie haben bereits gute Angebote vonzukünftigen Arbeitgebern.
Das Wort hatjetzt der Herr Bundesminister Jürgen Trittin.Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Herr Uldall, Sie haben mich geradean etwas erinnert. Als Sie sagten, das Ganze hätte einenzusätzlichen Punkt Mehrwertsteuer bedeutet, habe ichmich an den März 1998 erinnert. Im März 1998 hat IhreMehrheit – übrigens gegen den Rat Ihres damaligen Frak-tionsvorsitzenden, der etwas anderes wollte – die Mehr-wertsteuer um einen Punkt erhöht, um die von Ihnen ver-ursachte Rentenkrise zu finanzieren.
Ich will eines hinzufügen: Das haben Sie in einer Si-tuation getan,
in der Sie innerhalb weniger Jahre die Sozialversiche-rungsbeiträge von 35 Prozent des Bruttolohns auf fast44 Prozent gesteigert haben. Anschließend haben Sienoch die Mehrwertsteuer draufgehauen.
Wenn Sie als Steuerpolitiker meinen, sich in der ener-giepolitischen Debatte profilieren zu müssen, möchte ichIhnen in aller Ruhe sagen: Wir haben mit der Ökosteuerden Irrweg der Anhebung der Bruttolohnkosten verlassenund den Anschlag
auf Beschäftigung in Deutschland gestoppt. Stattdessenbesteuern wir das, was sinnvoll ist, nämlich den Ver-brauch natürlicher Ressourcen.
Ich kann noch ein Beispiel bringen: Sie haben dieserRegierung und ihrem Wirtschaftsminister vorgeworfen,sie könnten ihre Vorstellungen nicht durchsetzen. Das istfalsch. Wer hat denn im Bundesrat versucht, die Steuer-freistellung von Veräußerungsgewinnen zu blockieren?Das waren die CDU/CSU-geführten Bundesländer. Eswar gut, dass wir es geschafft haben,
diese Blockade zu Beginn der Sommerpause zu durch-brechen. Spielen Sie sich hier nicht als Scheinheiliger, alsVerteidiger des Wirtschaftsministers auf!
In Wirklichkeit versuchen Sie, die vernünftige Wirt-schaftspolitik dieser Bundesregierung kaputtzumachenund zu blockieren.
Ich möchte eine zweite Bemerkung machen. Es istschön, dass Herr Lippold angeblich ein Energiekonzepthat.
Aber, entschuldigen Sie, ein Energiekonzept ist noch keineEnergiepolitik. Die Frage danach muss doch erlaubt sein.Wir alle finden den IPCC-Bericht zum Klimaschutzund zur Notwendigkeit einer Klimapolitik richtig; HerrHirche sprach das bereits an. Wenn das unsere gemein-same Priorität ist, dann möchte ich Sie fragen: Was habenSie gemacht, als diese Bundesregierung und die sie tra-gende Koalition gesagt haben, der jetzige Ausbau der er-neuerbaren Energien sei nicht hinreichend, hier müsse eseinen Push geben? Sie, die von Ihnen geführten Bundes-länder, haben versucht, das Erneuerbare-Energien-Ge-setz zu blockieren. Dieses Gesetz ist aber eine wirklicheErfolgsgeschichte. In den letzten zwei Jahren dieser Re-gierung ist allein der Anteil des Stroms in diesem Land,der aus Windenergie gewonnen wird, verdoppelt worden.Wir sind heute mit 6 000 Megawatt absoluter Spitzenrei-ter in der Welt; zweiter sind die USAmit 2 500 Megawatt.Das ist die Wirklichkeit. Diese Energiepolitik hat unsereRegierung gegen Ihren Widerstand durchgesetzt.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
– Verehrter Herr Kollege, ich habe bewusst auf die Zah-len von 1998 bis heute Bezug genommen.
Wir haben die Verunsicherung, die Sie erzeugt haben,durchbrochen. Wir haben Stabilität und Investitions-sicherheit in diesen Bereich gebracht.
Wir haben nicht nur die Stromgewinnung aus Windenergiegefördert, sondern gerade auch dem ländlichen Raum mitder Biomasse eine Alternative gegeben. Ich glaube, vonPhotovoltaik brauche ich an dieser Stelle nicht zu reden.Nächste Bemerkung: Wenn es richtig ist, dass die Ener-gieeffizienz eine Schlüsselfrage ist, warum legen Sie – in-zwischen lachen die Leute ja schon darüber – jedes halbeJahr eine Kampagne gegen die Ökosteuer auf?
Das verstehe ich nicht.Ich habe gestern mit Vertretern der OECD zu-sammengesessen. Sie haben Deutschland zum zweitenMal begutachtet und uns ziemlich gute Noten gegeben.Die OECD hat ausdrücklich festgehalten: Die Ökologisie-rung des Steuersystems in der Bundesrepublik Deutsch-land durch die Ökosteuer hat einen Lenkungseffekt. Siehaben kritisch hinzugefügt, dieser Lenkungseffekt ließesich verstärken, und vorgeschlagen, den Steuernachlassfür die gewerbliche Wirtschaft von 20 Prozent zu erhöhen.Ich möchte einmal erleben, wie sich die rechte Seite diesesHauses verhalten würde, wenn wir diesem Ratschlag derOECD noch in diesem Jahr folgten. Aber darüber werdenwir bei der Fortentwicklung der Ökosteuer nach dem Jahre2003 diskutieren müssen.Sie stellen sich jedoch hierhin und sagen, die Ökosteuerhabe keine Lenkungswirkung. Herr Lippold, im Interesseeiner wirklich konsistenten Energiepolitik müssen Sie nunspringen und zu den Konsequenzen stehen. Springen istaber auch eine Frage der Kondition und der Fitness.
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu den Berei-chen Klimaschutz, Atomenergie und Effizienz machen.Wenn wir Energiepolitik betreiben, haben wir einegrundsätzliche Entscheidung zu treffen: Setzen wir auf ef-fiziente und energiesparende Technologien oder halten wiran einer kapitalintensiven und vor allen Dingen ineffizien-ten Struktur fest? Wir sagen ganz bewusst: Anlagen wiezum Beispiel Atomkraftwerke, die eine Effizienz von we-niger als 40 Prozent haben, sind nicht nachhaltig zu-kunftsfähig. Deswegen brauchen wir, wenn wir das Kli-maschutzziel erreichen wollen, einen Umbau in derStruktur. Nicht trotz des Atomausstiegs, sondern weil wirschrittweise aussteigen, schaffen wir die Voraussetzungfür eine effiziente und sparsame, in vielen Fällen dezen-tralen Energiestruktur.
In einer solchen Struktur spielt neben den erneuerbarenEnergien auch die Kraft-Wärme-Kopplung eine Rolle.Man kann sich nicht hierhin stellen und auf der einen Seitesagen, man sei für Effizienz, auf der anderen Seite aber ein-gestehen, keine Vorschläge zu haben. Ich hätte es verstan-den, wenn Sie gesagt hätten: Lassen Sie uns darüber strei-ten, ob die Quote das richtige Instrument ist! Man kanndafür oder dagegen sein. Wir – Wirtschaftsministerium undUmweltministerium – haben Gutachten vorliegen, die allezum gleichen Ergebnis kommen. Das DIW und das Wup-pertal-Institut sagen: Wir bekommen die Einsparung von23 Millionen Tonnen CO2, die zusätzlich zur Selbstver-pflichtung der deutschen Wirtschaft zu erbringen ist, nichtmit dem Instrument der Quote hin. Wir sind bereit, über Al-ternativen dazu zu diskutieren.Aber eines muss ich an dieser Stelle mit allem Nach-druck sagen: Es geht nicht an, dass man Verpflichtungen,die man auf einem anderen Gebiet eingegangen ist – zumBeispiel mit der Selbstverpflichtung –, ein zweites Malanrechnet. Es geht nicht an, dass man glaubt, man könnezusätzlich 7 Milliarden DM an Steuermitteln aus der Ta-sche holen. Das ist nicht die Alternative.
Wir sind dafür offen, diese effiziente Struktur auch mit an-deren Instrumenten als der Quote hinzubekommen. Ichsage Ihnen aber mit allem Nachdruck: Dies geht nichtdurch eine weitere Finanzierung aus dem Steuersäckelund durch Anrechnung von Reduktionen in anderen Be-reichen. In diesem Sinne wird diese Regierung in allerFreundschaft und Solidarität mit der Wirtschaft zu redenhaben.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Christian Ruck.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Die Wissenschaft hat uns ineindringlicher Weise deutlich gemacht, wie sehr Energie-politik auch Umweltpolitik ist. In der Tat ist der jüngsteBericht des Gremiums für Klimaveränderung erneut be-sorgniserregend. Es gibt keine Entwarnung, im Gegenteil.Die energiepolitischen Weichen, die wir in diesen Tagenund Jahren stellen, entscheiden auch über die Zukunft desregionalen und globalen Klimas sowie über das Wohl undWehe von Regionen, ganzen Erdteilen und zukünftigenGenerationen.Deswegen gebe auch ich meinen Vorrednern Recht:Ziel jeder nationalen und internationalen Energiepolitikmuss neben der Sicherung einer Energieversorgung zu
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Bundesminister Jürgen Trittin14289
wettbewerbsfähigen Preisen das Zurückfahren der Treib-hausgase sein. Das ist die Verpflichtung der heutigen Po-litiker für unsere Kinder, Enkel und Urenkel. Ich glaube,da sind wir uns alle weitgehend einig.
Nicht einig sind wir uns natürlich über den richtigenenergiepolitischen Weg, dieser Verpflichtung nachzu-kommen. Die Vorstellungen von Rot-Grün sind von denunsrigen meilenweit entfernt. Trotzdem ist es bemerkens-wert, dass wir uns zumindest auf ein Instrument schoneinmal verständigt haben, wie unser Stand-by-Antragzeigt. Der so genannte Stand-by-Verbrauch, also derStromverbrauch von Geräten im Leerlauf, der immerhineine Größenordnung von 4,5 bis 5 Prozent des Gesamt-stromverbrauchs ausmacht, ließe sich leicht auf einenBruchteil des heutigen Wertes reduzieren. Die Technikdazu ist zu niedrigen Kosten vorhanden. Deswegen ist esrichtig, dass wir gemeinsam über alle Parteien hinweg derBundesregierung Dampf machen, ihre Aktivitäten zu ver-stärken und zumindest diesem Einsparungspotenzial na-tional und EU-weit zum Durchbruch zu verhelfen.Ebenso richtig ist es, dass wir zuerst eine Verhandlungmit den Herstellern mit dem Ziel einer freiwilligen Selbst-verpflichtung anstreben, aber das Einsparungspotenzialnach einer angemessenen Frist unter Umständen auch mitentsprechenden ordnungsrechtlichen Maßnahmen aufEU-Ebene durchsetzen.Das damit ausgeschöpfte CO2-Minderungspotenzialist natürlich bescheiden. Aber es zeigt doch, dass manauch in der Energiepolitik in Deutschland zu gemeinsa-men Lösungen finden könnte, wenn man sich im Ziel ei-nig ist, auf die Wissenschaft hört und an der Sache orien-tiert diskutiert. Das ist aber leider bei Rot-Grün in weitenTeilen ihrer Energiepolitik eben nicht der Fall – mit fata-len Wirkungen für Ökonomie und Ökologie.Ich nenne Ihnen dazu einige Punkte. Die Ökosteuer istschon mehrfach angesprochen worden. Sie ist gerade un-ter ökologischen Gesichtspunkten irrational; denn dieenergieintensiven Betriebe sind weitgehend ausgenom-men, die Kohle wird geschont, die CO2-freie Kernenergiedagegen nicht, dafür werden Eisenbahn und öffentlicherPersonennahverkehr belastet. Vor allem aber verschwin-det das finanzielle Aufkommen in Haushaltslöchern oderim Rentensystem, nicht aber im Umweltsektor oder beimKlimaschutz.
Damit ist die Ökosteuer nicht nur wirtschaftspolitisch ver-fehlt und sozial unausgewogen, sondern auch ein um-weltpolitischer Etikettenschwindel erster Ordnung.Das Gleiche gilt für die Politik der Kraft-Wärme-Kopplung. Natürlich kann KWK einen Beitrag zum Kli-maschutz leisten. Aber Ihr KWK-Vorschaltgesetz dienteinzig und allein – das hat Herr Hirche schon ausgeführt –der ökonomischen Rettung vor allem kommunaler Altan-lagen mit meist geringem Energieausnutzungsgrad, die inder Folge – auch hier wieder auf dem Rücken der Bürgerund Verbraucher – prompt ihre unökologische Produk-tionsweise massiv hochgefahren haben.Die endlich vorgelegte Energieeinsparverordnungwurde vor einigen Tagen in einer Anhörung ebenfalls alsRückschlag für den Umweltschutz kritisiert.
Ihre neuen Programme zur Sanierung des Gebäudebe-stands sind im Gegensatz zu unserem Gegenvorschlag einTropfen auf dem heißen Stein. Auch das EEG hat schwereMängel. Sie knöpfen dem normalen Verbraucher für das100 000-Dächer-Programm in Deutschland pro Jahr ins-gesamt 1,2 Milliarden DM ab; hinzu kommen noch5,4 Milliarden DM aus dem EEG. Beides hat allerdingsden gigantischen Erfolg, dass sich der Anteil der Photo-voltaik an der deutschen Stromproduktion auf sage undschreibe 0,3 bis 0,6 Promille steigert.
Jetzt zum Stromeinspeisungsgesetz, Herr Trittin. Ichglaube, jeder hier, der sich mit Energiepolitik beschäftigt,weiß, dass die vorige Bundesregierung und die damaligeKoalition den Vorläufer der jetzigen Gesetzeslage und da-mit auch die Grundlage für den Erfolg zum Beispiel beider Windkraft geschaffen haben. Wir können uns diesenErfolg also mit an den Hut heften.
Sie fahren – es wurden China und Indien genannt – dieEntwicklungshilfe zurück, was natürlich die Handlungs-spielräume für Energie- und Klimapolitik im Ausland ein-schränkt, und schrauben die Ausgaben für die Energiefor-schung zurück, und zwar vor allem auf dem Gebiet derKraftwerkstechnik, die Sie für besonders wichtig halten.Ich gebe Ihnen Recht: Genau hier liegen die großen CO2-Minderungsspielräume für die Zukunft. Wenn Sie sichaber die mittelfristige Finanzplanung anschauen, dannwird deutlich, dass Sie dieses Programm bis 2004 erheb-lich zurückfahren.Besonders gravierend ist für mich die Frage des Kern-energieausstiegs, und zwar nicht nur ökonomisch undaußen- und sicherheitspolitisch, sondern auch umweltpo-litisch. Niemand von Rot-Grün hat bisher schlüssig darle-gen können, wie wir die 160 Millionen Tonnen CO2, diewir zusätzlich produzieren, kompensieren können. Auchdie EU-Kommissarin de Palacio hat vor kurzem erklärt,dass die Klimaschutzziele mit einem Atomausstieg nichtin Einklang zu bringen sind.
Niemand konnte mir bisher erklären, welchen Gewinn dieWelt davon hat, wenn wir aus der sichersten Kerntechno-logie aussteigen und andere Länder im Osten oder Ent-wicklungsländer – übrigens nicht nur in China, sondernauch in Indien – in eine viel weniger sichere Kerntechno-logie einsteigen.
Wir exportieren damit nicht länger Sicherheit und Tech-nologie, sondern wir importieren Atomstrom aus Kern-
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Dr. Christian Ruck14290
kraftwerken, auf die wir keinen Einfluss mehr haben. Dasist wirklich kein Gewinn, auch nicht für die Umwelt.All diese Irrationalitäten Ihrer Energiepolitik sind einumweltpolitischer Rückschlag. Sie machen Deutschlandzu einem unsicheren Kantonisten, der international anEinfluss verliert. Sie machen Umweltschutz teuer. Sieverärgern die Leute und machen es der Politik damitschwer, für Umwelt- und Klimaschutz zu werben.Wir wissen alle, dass wir vor gigantischen Herausfor-derungen stehen. Die Erfüllung der Verpflichtung, dieCO2-Emissionen in Deutschland bis zum Jahre 2005 um25 Prozent zu reduzieren, ist schwer genug. Aber jedervon uns weiß, dass dies erst der Anfang ist, wenn wir un-ser Klima einigermaßen in der Balance halten wollen.Jeder von uns kennt das schwierige internationale Um-feld. Wir werden unserer energiepolitischen Verantwortungnur dann gerecht werden, wenn wir uns erstens internatio-nal nicht isolieren, wenn wir zweitens die Klimaschutzzielemit dem geringsten volkswirtschaftlichen Aufwand verfol-gen und wenn wir drittens die Bürger in unserem Land da-von überzeugen, dass wir ihnen für den Klimaschutz nurdie Opfer abverlangen, die wirklich nötig sind; denn dannsind sie auch zu diesen Opfern bereit.
Unsere Energiepolitik setzt nicht nur auf den Erhalt derKernenergie, sondern auch auf die technologische Fort-entwicklung der Kernenergie hin zu noch mehr Effizienzund Sicherheit, zum Beispiel auf den EPR. Auch wir set-zen bei der Verdoppelung der regenerativen Energien an,aber nicht mit Instrumenten, die schließlich zum Selbst-zweck werden. Wir fordern eine Komplettsanierung desGebäudebestandes.Frau Hustedt, es kränkt mich etwas, dass Sie die Anträge,die wir dazu vorgelegt haben – sie sind auch von mir –, nichtgelesen haben. Ich schicke sie Ihnen gerne noch einmal zu,auch unseren Antrag zur KWK-Politik.Wir wollen eine Stärkung der Energieforschung, aberohne ideologische Scheuklappen. Dabei denken wir anForschungen zur Effizienzsteigerung, an die Wasserstoff-technologie, die Brennstoffzelle, aber auch an die Kern-fusion. Wir setzen auf die Förderung von KWK, abernicht durch eine antiquierte Quotenregelung, sondernzum Beispiel durch ein 100 000-Keller-Programm zurMarkteinführung innovativer, dezentraler Anlagen.
Wir wollen auch die Stärkung der Entwicklungspolitikzugunsten eines massiven Technologietransfers in dieEntwicklungs- und Schwellenländer;
denn hier – darauf wurde von Ihnen schon hingewiesen –liegen die eigentlichen klimapolitischen Sprengsätze derZukunft.Wir sind durchaus bereit und in der Lage, über Steuer-politik zu reden, aber über Steuern, die die Gefahren-quelle treffen, die wettbewerbsneutral sind und derenAufkommen wiederum für sinnvollen Klimaschutz ver-wendet wird.
Eine solche Klimapolitik ist dann auch gleichzeitigUmweltpolitik. Aber Ihre rot-grüne Energiepolitik stehtfür Widersprüchlichkeit, für umweltpolitische Ineffi-zienz, für Verschwendung knapper Ressourcen und leider– dank Trittin und Co. – für ideologische Borniertheit bishin zur Sabotage des Rechtsstaats. Eine solche Energie-politik ist nicht vernünftig, Herr Müller. Sie ist vielmehreine schlechte Politik. Wir haben dazu eine klare und guteAlternative.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Volker Jung.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! In dieser Debatte ist schonsehr viel über Wettbewerb und Liberalisierung gespro-chen worden. Das ist auch richtig so; denn in diesem Be-reich gibt es sehr viele ungelöste Probleme. Ich möchtemeine knappe Redezeit nutzen, an diesen Punkt anzu-knüpfen.Wohin eine falsch angelegte Deregulierung in derStromversorgung führen kann – das ist schon verschie-dentlich erwähnt worden –, können wir in diesen Tagen inKalifornien beobachten. Dadurch kann die Versorgungs-sicherheitmassiv gefährdet werden und zu ruinösen Fol-gen für die gesamte Wirtschaft führen. Die InternationaleEnergie-Agentur sagt, dass uns dies in Europa nicht pas-sieren könne. Sie schränkt diese Aussage aber ein, indemsie hinzufügt, dass es nur dann nicht passieren könne,wenn die Überkapazitäten bei der Stromversorgung nichtwegfallen würden. Aber genau das ist die Entwicklung,die vor uns liegt.Auch bei uns ist zu beobachten, dass die Liberalisie-rung der europäischen Strom- und Gasmärkte einen dra-matischen Umbruch in unserer Energieversorgung einge-leitet hat, der bis zum heutigen Tag nicht abgeschlossenist. Wir haben die überstürzte Liberalisierungspolitik derdamaligen Bundesregierung heftig kritisiert, nicht etwadeswegen, weil wir den Wettbewerb auch in der leitungs-gebundenen Energieversorgung ablehnen. Wir haben sievielmehr kritisiert, weil das neue Energiewirtschaftsge-setz fast ausschließlich auf die Verschärfung des Preis-wettbewerbes abstellt, und zwar ohne Rücksicht auf dieUmweltstandards und die Umweltziele, ohne Rücksichtauf die Versorgungsstrukturen, die in unserem Land sehrviel differenzierter angelegt sind, und ohne Rücksicht aufdie nationalen Energiestandorte und Arbeitsplätze.Die alte Bundesregierung hat praktisch keinen der vor-handenen Gestaltungsspielräume der europäischen Strom-richtlinie genutzt und ausgeschöpft, wie zum Beispiel die
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stufenweise Marktöffnung, die Verankerung gemeinwirt-schaftlicher Verpflichtungen, die Versorgungssicherheit,den Umweltschutz und den Schutz heimischer Energieträ-ger. Die Folge ist, dass ein reiner Preiswettbewerb ent-standen ist, der mit Dumpingangeboten, mit Fusionen, mitUnternehmensaufkäufen, mit Kraftwerksstilllegungenund mit Billigstromimporten ausgetragen wird. Umwelt-freundliche Arten der Energieerzeugung, heimische Kraft-werksstandorte und verbrauchernahe Versorgungsstruktu-ren sind dabei infrage gestellt.Dies ist kein akzeptables Ergebnis der Deregulierung –weder in Deutschland noch in Europa. Deshalb muss nachunserer Auffassung im europäischen Binnenmarkt ausge-schlossen werden, dass sich zulasten der Umwelt undkünftiger Generationen die billigsten Anbieter und dieschlechtesten Anlagen durchsetzen,
dass die Stromversorgung in das Belieben der Anbietergestellt wird und dass das Netzmonopol missbrauchtwird. Es ist und bleibt Aufgabe der Politik, das auszu-schließen. Wir tun dies Schritt für Schritt.
Unsere Energiepolitik steht vor der Herausforderung,das – wie ich es nennen möchte – Zielvieleck, bestehendaus Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit und Um-weltverträglichkeit – Bundeswirtschaftsminister Müllerhat diese Punkte schon erwähnt – und, wie ich hinzufügenwill, Standort- und Beschäftigungssicherheit, unter denveränderten Bedingungen des europäischen Wettbewerbsund gestiegener Klimaschutzanforderungen wieder insGleichgewicht zu bringen.
Das gilt zunächst für die unterschiedlichen Marktöff-nungen in Europa. Die alte Regierungsmehrheit hatte ent-schieden, dass der deutsche Markt ohne Übergang, voneinem Tag auf den anderen, vollständig geöffnet wurde.Unser Nachbar Frankreich zum Beispiel hat die Umset-zung der europäischen Stromrichtlinie über ein Jahr ver-schleppt und musste von der Europäischen Kommissionerst mit einem Vertragsverletzungsverfahren bedroht wer-den, um ein nationales Gesetz zur Umsetzung der Strom-richtlinie zu erlassen, das dann aber auch nur die minimalvorgeschriebene Öffnung des französischen Marktes vor-sah.Dieses Problem lässt sich nach unserer Auffassung nurauf zwei Wegen sauber lösen. Ein Weg ist, die Marktöff-nung in Europa zu beschleunigen. Das halten wir für denwettbewerbskonformen Weg. Deswegen unterstützen wirdie Initiative des Bundeswirtschaftsministers in Brüssel.Die Kommission hat inzwischen vorgeschlagen, für Strombis zum Jahr 2005 eine vollständige Marktöffnung herbei-zuführen. Eine parallele Initiative für Gas ist in Vorbe-reitung.Aber wer sich mit der Willensbildung in der Euro-päischen Union etwas auskennt, wird eine gewisse Skep-sis gegenüber den Erfolgsaussichten nicht verhehlen kön-nen. Deswegen ist es unverzichtbar, auch über den alter-nativen Weg nachzudenken, nämlich die Reziprozi-tätsklausel im Energiewirtschaftsgesetz zu verschärfen.Dieser Vorschlag liegt auf dem Tisch und muss gründlichdiskutiert werden.Dies gilt aber auch für den Umwelt- und Klima-schutz. Der drastische Preiswettbewerb hatte unmittelbarzur Folge, dass die umweltschonende Stromerzeugungaus erneuerbaren Energien und der Kraft-Wärme-Kopp-lung, deren Ausbau seit Jahrzehnten mit dreistelligen Mil-liardenbeträgen gefördert wurde, akut gefährdet war. Des-halb sahen wir uns gezwungen, schnell zu handeln. Mitdem Erneuerbare-Energien-Gesetz und dem KWK-So-forthilfegesetz, die wir im vergangenen Jahr verabschie-det haben, glauben wir, diese Fehlentwicklung gestopptzu haben und umkehren zu können.
Der Wettbewerbsmarkt Energie braucht ökologischeFlankierungen zugunsten erneuerbarer Energien und derKraft-Wärme-Kopplung sowie Anreize für einen sparsa-men und effizienten Umgang mit Energie. Das gilt nichtnur für unser Land, sondern für ganz Europa. Denn beideEbenen sind Signatare der Kioto-Verpflichtung und tra-gen dafür auch die politische Verantwortung.
Mit den bisher beschlossenen Maßnahmen – ökologi-sche Steuerreform, Erneuerbare-Energien-Gesetz, KWK-Soforthilfegesetz, Förderprogramme für erneuerbare Ener-gien – haben wir in Deutschland wichtige Schritteunternommen. Weitere Maßnahmen, die in unserem Kli-maschutzprogramm verankert sind, vor allem der Ausbauder Kraft-Wärme-Kopplung,müssen folgen.
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hirche?
Bitte sehr, Herr
Hirche.
Herr Kollege Jung, ich erbitte
zu Folgendem Ihre Stellungnahme: Im KWK-Bereich öf-
fentliche Versorgung haben wir 28 Terawatt, für 48 Tera-
watt sind laut Bericht des Bundeswirtschaftsministers
Subventionsanträge gestellt worden. Wie soll bei dieser
Diskrepanz Qualität gesichert werden?
Diese Verwirrungbringen Sie in die Diskussion, weil Sie schlicht den För-deransatz des Soforthilfegesetzes und den Ansatz, den wirfür das Ausbaugesetz finden müssen, verwechseln. ImSoforthilfegesetz ging es immer um „stranded invest-ments“. Dass dabei ein Teil des Kondensationsstroms mit-
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gefördert worden ist, liegt an der Anlage, daran, dass dieAnlagen insgesamt gefährdet sind. Deswegen war daseine bewusste Entscheidung. Im Ausbaugesetz werdendie Effizienzkriterien sehr viel enger angelegt werden.Wesentliche Mitnahmeeffekte sollen verhindert werden.Es wird vor allen Dingen ein Marktdruck ausgeübt wer-den, damit es im Anlagenbestand zu einer technologi-schen Entwicklung kommt.Das ist der Unterschied. Wenn Sie den nicht zur Kennt-nis nehmen, dann können Sie die ganze Diskussion nichtverstehen.
Ich empfehle Ihnen, abzuwarten, welche Vorschläge aufden Tisch kommen. Die Arbeiten sind relativ weit voran-geschritten.Uns ist durchaus bewusst, dass all die Maßnahmen, dieich hier erwähnt habe, die Wettbewerbsposition der deut-schen Wirtschaft berühren. Darum müssen wir dieseSchritte auch mit Augenmaß unternehmen. Aber nach allerErfahrung geht kein Weg daran vorbei, das immer einigeLänder in Europa vorangehen müssen, um europäischeEntscheidungen voranzubringen.
Unser Ziel ist und bleibt es aber, diese Maßnahmen aufeuropäischer Ebene zu ergänzen und auch zu harmonisie-ren. Dies gilt nicht zuletzt für die Standort- und Be-schäftigungssicherung. Unter den Rahmenbedingungeneines zugespitzten Preiswettbewerbs, erheblicher Über-kapazitäten in der Stromerzeugung, einer ungleichge-wichtigen Marktöffnung und zunehmender Importab-hängigkeit in der Energiewirtschaft sind Standort- undBeschäftigungssicherung sehr viel schwieriger geworden,aber gleichwohl unentbehrlich. Dort werden wir unsereganze Kraft einsetzen.Ich glaube, meine Damen und Herren, dass die eigent-liche Ideologie, die in dieser Debatte zum Ausdruck ge-kommen ist, darin liegt, dass die Opposition meint, Wett-bewerb als Selbstzweck hochstilisieren zu können.Wettbewerb ist aber immer nur Mittel zum Zweck, dasheißt, die Politik muss die Rahmenbedingungen setzen,unter denen sich Wettbewerb entfalten kann, undRahmenbedingungen müssen – wie es schon gesagt wor-den ist – die Wirtschaftlichkeit, die Versorgungssicher-heit, die Umweltverträglichkeit, aber auch die Standort-und Beschäftigungssicherung berücksichtigen. Das sinddie Leitlinien unseres Handelns.Schönen Dank.
Ich schließe da-mit die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen:Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft undTechnologie zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSUmit dem Titel „Energiepolitik für Deutschland – Konse-quenzen aus dem Energiedialog 2000“. Der Ausschussempfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3507 abzu-lehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung desAusschusses? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – DieBeschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-onsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen vonCDU/CSU und F.D.P. angenommen.Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt,Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag derFraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Energieein-sparung durch Minderung des Stromverbrauchs von Elek-trogeräten im Leerlaufmodus“. Der Ausschuss empfiehltdie Annahme des Antrags auf Drucksache 14/2348 in derAusschussfassung. Wer stimmt für die Beschlussempfeh-lung des Ausschusses? – Gibt es Gegenstimmen? – Ent-haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmigangenommen worden.Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaftund Technologie zu der Unterrichtung durch das Europä-ische Parlament mit dem Titel „Entschließung des Euro-päischen Parlaments zu Elektrizität aus erneuerbarenEnergieträgern und zum Elektrizitätsbinnenmarkt“. DerAusschuss empfiehlt, in Kenntnis dieser Resolution eineEntschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-tionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen vonCDU/CSU und F.D.P. angenommen.Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaftund Technologie zu dem Antrag der Fraktion der F.D.P.mit dem Titel „Zukunftsfähige Energiepolitik für denStandort Deutschland“. Der Ausschuss empfiehlt, den An-trag auf Drucksache 14/2364 abzulehnen. Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthal-tungen? – Diese Beschlussempfehlung ist mit dem ebenfestgestellten Stimmenverhältnis angenommen.Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt,Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag derFraktion der CDU/CSU zu dem Thema „Energiepolitikfür das 21. Jahrhundert – Einstieg in ein nachhaltiges,klimaverträgliches Energiekonzept statt Ausstieg aus derKernenergie“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag aufDrucksache 14/543 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung des Ausschusses? – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit denStimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen dieStimmen der CDU/CSU angenommen; die F.D.P. hat sichenthalten.Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaftund Technologie zu dem Entschließungsantrag der Frak-tion der F.D.P. zu dem Gesetzentwurf zur Förderung derStromerzeugung aus erneuerbaren Energien sowie zurÄnderung des Mineralölsteuergesetzes. Der Ausschussempfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksa-che 14/2778 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-tionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen vonCDU/CSU und F.D.P. angenommen.
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Volker Jung
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Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 14/1234 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Einverstanden? –Dann ist die Überweisung so beschlossen.Die Fraktion der SPD hat gebeten, die Sitzung für etwaeine halbe Stunde zu unterbrechen. Das tun wir auch. DerWiederbeginn der Sitzung wird rechtzeitig durch Klingel-signal angekündigt.Die Sitzung ist damit unterbrochen.
Die un-terbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17 e auf:Überweisungen im vereinfachten Verfahrena) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jörg vanEssen, Gerhard Schüßler, Dr. Max Stadler, weiterenAbgeordneten und der Fraktion der F.D.P. einge-brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzungdes Deutschen Richtergesetzes
– Drucksache 14/4909 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Innenausschussb) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-kommen vom 13. Dezember 1999 zwischen derBundesrepublik Deutschland und der RepublikPanama über den Luftverkehr– Drucksache 14/4988 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Finanzausschussc) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-kommen vom 2. Mai 1997 zwischen der Regie-rung der Bundesrepublik Deutschland und derRegierung der Republik Estland über denLuftverkehr– Drucksache 14/4989 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Finanzausschussd) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhe-bung des Magnetschwebebahnbedarfsgesetzes– Drucksache 14/5067 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Tourismuse) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umstel-lung von Vorschriften im land- und forstwirt-
– Drucksache 14/4555 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
FinanzausschussAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionInterfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen andie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuüberweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derFall. Dann sind die Überweisungen beschlossen.Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkte 18 a bis18 m. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorla-gen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.Tagesordnungspunkt 18 a:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Ge-setzes zur Änderung des Gesetzes über die Ver-arbeitung und Nutzung der zur Durchführungder Verordnung Nr. 820/97 des Rateserhobenen Daten– Drucksache 14/4721 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
– Drucksache 14/5142 –Berichterstattung:Abgeordneter Franz ObermeierIch bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmenwollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-ratung einstimmig angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist indritter Beratung einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 18 b:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung von Vorschriften auf dem Gebietder Anerkennung und Vollstreckung ausländi-scher Entscheidungen in Zivil- und Han-delssachen– Drucksache 14/4591 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses
– Drucksache 14/5143 –
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer14294
Berichterstattung:Abgeordnete Margot von RenesseDr. Wolfgang Freiherr von StettenRainer FunkeIch bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmenwollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-ratung einstimmig angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf isteinstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 18 c:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zuden Änderungsurkunden vom 6. November1998 zur Konstitution und zur Konvention derInternationalen Fernmeldeunion vom 22. De-zember 1992– Drucksache 14/3952 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Wirtschaft und Technologie
– Drucksache 14/5104 –Berichterstattung:Abgeordnete Gudrun KoppDer Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-fiehlt auf Drucksache 14/5104, den Gesetzentwurf anzu-nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-stimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit inzweiter Beratung einstimmig angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf isteinstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 18 d:Zweite Beratung und Schlussabstimmung des vonder Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-nes Gesetzes zu dem Abkommen vom 28. Juli1995 zwischen der Regierung der Bundesrepu-blik Deutschland und der Regierung derAserbaidschanischen Republik über den Luft-verkehr und zu dem Protokoll vom 29. Juni1998 zur Berichtigung und Ergänzung des Ab-kommens vom 28. Juli 1995 zwischen derRegierung der Bundesrepublik Deutschlandund der Regierung der AserbaidschanischenRepublik über den Luftverkehr– Drucksache 14/3476 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
– Drucksache 14/4971 –Berichterstattung:Abgeordneter Norbert KönigshofenDer Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesenempfiehlt auf Drucksache 14/4971, den Gesetzentwurfanzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurfzustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange-nommen.Tagesordnungspunkt 18 e:Zweite Beratung und Schlussabstimmung des vonder Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-nes Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. Mai1999 zwischen der Regierung der Bundesrepu-blik Deutschland und der Regierung der Repu-blik Moldau über den Luftverkehr– Drucksache 14/3475 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
– Drucksache 14/4972 –Berichterstattung:Abgeordneter Norbert KönigshofenDer Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesenempfiehlt auf Drucksache 14/4972, den Gesetzentwurfanzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurfzustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange-nommen.Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Peti-tionsausschusses.Tagesordnungspunkt 18 f:Beratung der Beschlussempfehlung desPetitionsausschusses
Sammelübersicht 174 zu Petitionen– Drucksache 14/3537 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Sammelübersicht 174 ist mit den Stimmen derKoalitionsfraktionen gegen die Stimmen aller anderenFraktionen angenommen.Tagesordnungspunkt 18 g:Beratung der Beschlussempfehlung desPetitionsausschusses
Sammelübersicht 194 zu Petitionen
– Drucksache 14/4561 –
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer14295
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDSauf Drucksache 14/4927 vor. Wer stimmt für diesen Än-derungsantrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – DerÄnderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS mit denStimmen aller anderen Fraktionen abgelehnt.1)Wer stimmt für die Sammelübersicht 194? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Sammelübersicht194 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, derCDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der PDS an-genommen.Tagesordnungspunkt 18 h:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 234 zu Petitionen– Drucksache 14/5098 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Sammelübersicht 234 ist mit den Stimmen derKoalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der F.D.P. beiEnthaltung der PDS angenommen.Tagesordnungspunkt 18 i:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 235 zu Petitionen– Drucksache 14/5099 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Sammelübersicht 235 ist bei Enthaltung derPDS mit den Stimmen aller anderen Fraktionen ange-nommen.Tagesordnungspunkt 18 j:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 236 zu Petitionen– Drucksache 14/5100 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Sammelübersicht 236 ist damit einstimmigangenommen.Tagesordnungspunkt 18 k:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 237 zu Petitionen– Drucksache 14/5101 –Wer stimmt dafür? – Wer enthält sich? – Wer stimmtdagegen? – Sammelübersicht 237 ist damit einstimmigangenommen.Tagesordnungspunkt 18 l:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 238 zu Petitionen– Drucksache 14/5102 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Sammelübersicht 238 ist damit einstimmigangenommen.Tagesordnungspunkt 18 m:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 239 zu Petitionen– Drucksache 14/5103 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Sammelübersicht 239 ist bei Gegenstimmender PDS mit den Stimmen aller anderen Fraktionen ange-nommen.Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion der CDU/CSUKeine Ausgrenzung unserer Bauern – dieBundesregierung muss dem ländlichen Raumin der gegenwärtigen Krise helfenIch eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat derKollege Michael Glos von der CDU/CSU-Fraktion dasWort.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Die GewerkschaftNahrung – Genuss – Gaststätten sagt: 40 000 Arbeits-plätze sind durch BSE gefährdet. In der Fleischwarenin-dustrie herrscht Kurzarbeit. Erste Konkurse sind zu ver-zeichnen. Die Lage unserer Vieh haltenden Bauern istverzweifelt. In Bayern werden 30 Prozent des deutschenRindfleisches erzeugt. 80 000 schlachtreife, aber nichtvermarktbare Rinder stehen derzeit allein in Bayern inden Ställen. Jede Woche kommen 10 000 weitere hinzu,
die eigentlich geschlachtet werden müssten, aber gegen-wärtig auf dem Markt nicht unterzubringen sind.
Die deutschen Bauern haben sich stets bemüht, dieRahmenbedingungen, die ihnen vorgeschrieben wurden,einzuhalten und zu erfüllen.
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Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer14296
1) Anlage 2, Erklärung nach § 31 GO des Abg. Dr. Ilja Seifert
Die Wirtschaftsbereiche, die mit der Landwirtschaft ver-bunden sind, wie der Landhandel, der Landmaschinen-handel, aber auch die Banken, insbesondere die Genos-senschaftsbanken, die den Landwirten Kredite gegebenhaben, befinden sich alle in einer sehr schwierigen Situa-tion.Deswegen fordern wir heute von der Bundesregierungein klares, rasches und überzeugendes Hilfskonzept.
Man kann einen Wirtschaftszweig in dieser dramati-schen Situation nicht allein lassen. Gerade die CDU/CSUund die Bayern sind verlacht worden
wegen des so genannten bayerischen Weges,
bei dem wir uns bemüht haben, möglichst viele Land-wirtschaftsbetriebe am Leben zu halten
und keine Politik des „Wachsens oder Weichens“ zu be-treiben. Wenn heute gegenüber der Agrarindustrie derVorwurf unterschwellig – erhoben wird, alle größerenHaltungsformen seien des Teufels, dann muss man sagen:Gerade in Bayern ist dieses sehr viel weniger ausgeprägtals anderswo.
Wir wissen allerdings, dass das nicht automatisch davorschützt, dass es auch dort zu Krankheiten und Infektionenkommen kann.Anderswo, auch und gerade in Niedersachsen – –
– Ich habe einmal gelernt: Wer schreit, der hat Unrecht.
– Jetzt warten Sie doch erst einmal ab.Gerade in Niedersachsen, während der Regierungszeitdes Ministerpräsidenten Gerhard Schröder, setzte manstark auf größere Einheiten in der Viehhaltung. Vor allenDingen hat man eine stärkere Orientierung an den euro-päischen Märkten und auch an den Weltmärkten gefor-dert. Dies alles ist in enger Fühlungnahme und in Ab-stimmung – wie es sich gehört – mit dem Bauernverbandund auch mit dem damals hoch gelobten und jetzt raschentlassenen Agrarminister Funke geschehen.Nach dem Regierungswechsel im Bund haben sich dieVerantwortlichen der Bauernverbände – das sind keineBerufsfunktionäre, wie der Herr Bundeskanzler abwer-tend sagte – mit der neuen Regierung zusammengesetzt,um das Beste für ihren Berufsstand zu erreichen und da-mit für eine sichere Ernährung in Deutschland zu sorgen.Die Bauernverbände sind sogar so weit gegangen – wasich nicht billigen kann; das geschah natürlich in Anpas-sung an die neuen Herrschaftsverhältnisse in Deutsch-land –, einen Bauernverderber wie den Herrn Gysi aufdem Deutschen Bauerntag reden zu lassen.
Man kann den Bauernverbänden keine Einseitigkeitvorwerfen, so wie es jetzt im Nachhinein konstruiert wer-den soll.
Ich wehre mich dagegen, dass SPD und Grüne unsereBauern wegen der BSE-Krise zu Prügelknaben der Nationmachen wollen.
Wenn der Herr Bundeskanzler, nachdem diese Kriseauch uns erreicht hat, sofort markig davon spricht, dass ersich vom Geschrei der Funktionäre des Deutschen Bau-ernverbandes, mit denen er sonst ein sehr spezielles Ver-hältnis hatte, nicht mehr beeindrucken lässt, dann ist dasmindestens so unverschämt wie Ihr ständiges Geschreihier.
Am 29. November 2000 hat der Bundeskanzler vondieser Stelle aus verkündet: „Weg von den Agrarfabri-ken.“ Er hat angekündigt, „eine Perspektive für eine an-dere, verbraucherfreundlichere Landwirtschaft zu ent-wickeln.“Derselbe Bundeskanzler, Gerhard Schröder, hat nocham 2. Juli 1999 auf dem Bauerntag in Cottbus erklärt – ichzitiere –:Die teilweise Absenkung der Agrarpreise in derAgenda 2000 ist ein Erfolg, weil jeder sich im Kla-ren sein musste, dass wir näher an die Preise desWeltmarktes heran müssen.“Herr Funke hat die Bauern stets insbesondere vor derPolitik in Bayern gewarnt
und hat die auf die Umwelt bezogenen Ausgleichsbeträge,die es nur in Bayern gegeben hat, als einen Fehler be-zeichnet.Der Agrarsprecher der SPD – Weisheit soll er heißen;hier ist der Name anscheinend nicht Omen, sondern of-fensichtlich Zufall – hat gesagt
– Moment, jetzt hören Sie sich doch erst einmal an, waser gesagt hat; ich zitiere –:In den letzten Jahren hat zu wenig Strukturwandel inTeilen dieser Republik stattgefunden.
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Michael Glos14297
Er hat nicht den Strukturwandel hin zu mehr ökologischerLandwirtschaft, sondern hin zu Großproduktion gemeint.Eine Aktuelle Stunde erlaubt nicht, die Dinge zu Endezu führen. Deswegen sage ich, da das alles so war und daSie bei uns im Lande Verantwortung tragen: Handeln Sieendlich zugunsten unserer Bauern!
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Waltraud
Wolff von der SPD-Fraktion.
Sehr geehrterHerr Präsident! Meine Damen und Herren! „Rot-grünesChaos in der Krisenbewältigung“, „Die Bauern werdenallein gelassen“, „Es zählen nur noch Verbraucherinteres-sen…“ – das sind Aussagen einer Opposition aus den ver-gangenen Wochen und Tagen, die es heute wagt, zu die-sem Thema eine Aktuelle Stunde zu inszenieren.
Zum größten Teil besteht sie aus denselben Politikern, diein den Jahren eigener Regierungsverantwortung dieWorte Sicherheit und Verbraucherschutz aus ihrem Wort-schatz gestrichen hatten. Da frage ich natürlich ernsthaft:Wer hat hier die Bauern im Regen stehen lassen? Warumstehen denn, Herr Glos, wie Sie eben gesagt haben, dievielen Arbeitsplätze im landwirtschaftlichen Bereich undin den Sekundärbereichen auf der Kippe? Weil Sie nichtgehandelt haben, weil Sie zu feige waren, die richtigenMaßnahmen zu ergreifen. Gestern in der Ausschusssit-zung glaubte ich allerdings, dass die Abgeordneten derCDU in ihren Wortbeiträgen meine Kolleginnen von denGrünen noch links überholen würden. So ändern sich dieZeiten.
Nach dem ersten BSE-Fall in Deutschland hat dieBundesregierung sofort gehandelt. Das Verbot der Verfüt-terung von Tiermehl und der Verwendung von Milchaus-tauschern kam augenblicklich. Rasche Hilfe ist notwen-dig. Das ist völlig unstrittig. Komischerweise sind wir unsdarüber fraktionsübergreifend – allerdings: unpopulär,hinter verschlossenen Ausschusstüren – einig.Meine Damen und Herren, schnelle Hilfe tut Not – da-rüber gibt es keine gegensätzlichen Auffassungen –: Ers-tens. Wir sind für eine gesunde Ernährung von mehr als80 Millionen deutscher Bürgerinnen und Bürger verant-wortlich. Wir müssen dem Verbraucherschutz oberste Pri-orität einräumen.
Zweitens. Wir haben für eine gläserne Produktion zu sor-gen, und zwar nicht nur, weil wir den Verbrauchern ver-pflichtet sind, sondern auch, weil wir nur auf diese Weisedem Berufsstand der Bauern helfen können.Zweifelsohne kommen – das räume ich hier ein – dieAuswirkungen des Sofortprogramms zu langsam bei denBauern an. Aber was seit sechs oder sieben Jahren ver-schlampt und verschlafen wurde, kann man nicht in einemMonat wieder beheben. Meine Damen und Herren derOpposition, Sie sollten lieber Ihre Kraft effektiv bei derKrisenbewältigung einsetzen, statt hier populistisch Ak-tuelle Stunden zu beantragen.
In der nächsten Woche werden Entscheidungen der Mi-nisterin, Frau Künast, zum Marktentlastungsprogrammbekannt gegeben werden. Mit circa 1,9 Milliarden DMwill die EU den Aufkauf von rund 2 Millionen Rindernüber 30 Monate finanzieren und sich an den Kosten derBSE-Tests beteiligen; in Deutschland könnten im Zugedieses Pakets allein 400 000 Rinder herausgekauft wer-den. Ich weiß, bezüglich der Frage: „Was wird mit dengetöteten BSE-freien Tieren?“ gibt es ethische und auchtierschutzrechtliche Bedenken. Meine Damen und Her-ren, mir sind Tierschutz und Hunger in der Welt bei wei-tem nicht egal. Aber mit aller Deutlichkeit will ich hier sa-gen, dass wir angesichts unseres jetzigen Wissensstandesweder um die Keulung ganzer Herden bei Auftreten vonBSE noch um das Marktentlastungsprogramm herum-kommen. Die Bauern warten darauf. Auf ihnen lastet derDruck. Sie wissen nicht mehr, wohin mit ihren Tieren. Siealle kennen das auch aus Ihren Wahlkreisen. Wer, bitteschön, möchte sich das Horrorszenario ausmalen, dasWirklichkeit wird, wenn wir jetzt nicht schnell handeln?Gestern gab es eine Aktuelle Stunde zum Thema Arz-neimittel in der Schweinehaltung. Es geht weiter, meineDamen und Herren, die Skandale nehmen kein Ende.Schuld daran sind meiner Meinung nach zum Teil auchdie Wünsche der Verbraucher, die ständig auf billigeLebensmittel gedrungen haben, vorrangig aber kriminelleTierärzte und betrügerische, unverantwortliche Bauern,die meinten, sie seien selber Arzt, und so dem gesamtenBerufsstand geschadet haben.
– Richtig, die Bayerische Staatsregierung schaut weg. –Um gegenüber der Landwirtschaft wieder Vertrauen zuschaffen, den Bauern wieder zu dem Vertrauen zu verhel-fen, das sie verdient haben, hat der Bundeskanzler das ein-zig Richtige getan, nämlich den Verbraucherschutz imLandwirtschaftsministerium verankert. Lebensmittelsi-cherheit durch Prüfungen ist unabdingbar. Harte Sanktio-nen bei Verstößen reichen mir persönlich nicht aus. Ichwill, dass solche groben und wissentlichen Zuwiderhand-lungen strafrechtlich geahndet werden.
Ich begrüße es, dass Frau Künast einen Wissenschaftli-chen Beirat im Ministerium berufen will. Es wird eineBehörde für Lebensmittelsicherheit geschaffen. Wir wer-den ein staatliches Prüfsiegel erlassen, das strengen Kri-terien unterliegt, und zwar sowohl für den konventionel-len als auch für den ökologischen Anbau.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Michael Glos14298
Wir haben in den nächsten Wochen Entscheidungenauf EU-Ebene und auf nationaler Ebene zu treffen. Siesind im gesamtdeutschen Interesse, aber vor allem auchim Interesse des Berufsstandes der Bauern; denn es ist ihrAnsinnen, Qualität zu sichern und Vertrauen in ihre Pro-dukte wiederherzustellen. Nicht die Bauern sind ursäch-lich schuld. Deshalb lassen die SPD und die Grünen, dieRegierungsfraktionen, die Bauern nicht allein. Wir küm-mern uns weiterhin um die Entwicklung des ländlichenRaumes.Schönen Dank.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Marita Sehn von der
F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kollegin-nen! Liebe Kollegen! In Ihrem Bericht vom 6. Dezem-ber 2000 zur Politik der ländlichen Räume schreiben Sie,dass nach dem Regierungswechsel von 1998 eine Neu-ausrichtung der Agrarpolitik stattgefunden hat. Jetzt, imAngesicht der BSE-Krise, wird der Kanzler nicht müde,zu betonen, dass die Agrarpolitik wieder neu ausgerichtetwerden muss. Erneut ist die Rede von einer Wende.Meine Damen und Herren, den Landwirten muss jaschon ganz schwindlig werden, so schnell, wie sich dieRegierung in der Agrarpolitik wendet.
Aber es liegt nun einmal im Wesen von Wenden, dass der-jenige, der sich zweimal wendet, wieder dort steht, wo eram Anfang war. Eine Politik für den ländlichen Raum, diediesen Namen verdient, darf sich nicht ausschließlich umdie Interessen der Landwirte kümmern. Sie muss die In-teressen aller Bewohner und wirtschaftlichen Akteure desländlichen Raumes vertreten: des Handwerkes ebensowie des Mittelstandes und natürlich auch der Landwirte.Die Neugestaltung des Agrarressorts hätte eine echteChance sein können, das Ziel einer integrierten Politik fürden ländlichen Raum auch institutionell zu verankern unddas Landwirtschaftsministerium mit zusätzlichen, für dieländlichen Gebiete relevanten Kompetenzen auszustatten.
Auf diese Weise hätte ein kraftvolles, homogenes Minis-terium für den ländlichen Raum geschaffen werden kön-nen. Stattdessen hatte man den Eindruck, dass es bei derRessortaufteilung zuging wie auf einem parteipolitischenBasar. Der Anspruch, effiziente Strukturen zu schaffen,spielte in dieser Diskussion keine Rolle.Die Politik der Bundesregierung wird nicht von der La-dentheke her gedacht, sondern aus der Stadt heraus, unddann den ländlichen Gebieten übergestülpt.
Die Bewohner des ländlichen Raumes – Herr Weisheit,das ist leider wahr – fühlen sich von dieser Regierungschon lange nicht mehr vertreten.
Aber was kümmern den Genossen der Bosse die Bauern?Was kümmern ihn die Sorgen und Nöte des Handwerkesund des Mittelstandes?Ich freue mich immer wieder, wenn ich sehe, wie vielsich in Berlin in den letzten Jahren verändert hat. Es freutmich, zu sehen, was mit den eingesetzten Mitteln erreichtwerden konnte. Im krassen Widerspruch dazu stehen al-lerdings die Schwierigkeiten, Mittel auf kommunalerEbene, selbst für dringend notwendige Maßnahmen, zubekommen. Die Verärgerung und Frustration, die in vie-len ländlichen Gebieten zutage tritt, kann ich sehr gutnachvollziehen. So warten, um Ihnen ein Beispiel zu nen-nen – Herr Diller kennt es –, die Bürger von Kastellaunund Gödenroth im Hunsrück schon seit langem vergeblichauf die dringend benötigten Umgehungsstraßen, ohnedass sich etwas tut.
– Es ist eine Bundesstraße, liebe Frau Höfken.
Eine Politik für den ländlichen Raum würde ein kon-zertiertes Vorgehen der relevanten Ressorts aus Verkehrs-,Umwelt-, Wirtschafts- und Landwirtschaftsministeriumerfordern.
Hier wäre echte Teamarbeit gefragt und nicht das isolierteHerumagieren der einzelnen Ressorts. Wie das Teamplayinnerhalb der Bundesregierung funktioniert, hat das DuoFunke/Fischer in eindrucksvoller Weise demonstriert. Beieiner Politik für den ländlichen Raum sind aber Konzeptegefragt und keine grün-rote Flickschusterei.Die Erfolgsbilanz der Agrarpolitik dieser Bundesregie-rung ist bislang alles andere als beeindruckend.
Da wird ein Landwirtschaftsminister ernannt, und kaumdass die Landwirte ein ernsthaftes Problem haben, machtsich Herr Funke aus dem Staub und lässt die Bauern imRegen stehen. Um dem Ganzen noch die Krone aufzuset-zen, verkündet der Bundeskanzler, dass er sowieso nurmit den „redlichen Landwirten“ reden möchte. Aber wersind denn nun die „unredlichen“ Landwirte, HerrSchröder? Sind es die 97 Prozent konventionell wirt-schaftenden Betriebe oder sind es die nicht SPD-wählen-den Landwirte?
– Das ist wohl wahr.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Waltraud Wolff
14299
Es ist interessant, wenn man sieht, wie fleißig FrauKünast bemüht ist, sich von den vollmundigen Verlautba-rungen ihres Kanzlers zu distanzieren. Da heißt es auf ein-mal:Ich werde mich nicht daran beteiligen, konventio-nelle und ökologische, große und kleine Betriebe ge-geneinander auszuspielen!
Das müssen Sie auch nicht, Frau Künast, da Ihr Chef dasbereits für Sie erledigt hat.Und man höre und staune: Aus der groß angekündigtenWende in der Agrarpolitik ist ein „Wendechen“ geworden.Die einzigen Wenden, die diese Regierung hinbekommt,sind die Wenden der grünen Politiker: Joschka Fischerwendet sich vom Straßenkämpfer zum staatstragendenAußenminister,
Jürgen Trittin vom Terrorismusbefürworter zum Armani-träger und Frau Künast, liebe Frau Lemke, befindet sichgerade in Vorbereitung ihrer agrarpolitischen Wende.Aus dem im Bundestagswahlprogramm von 1998pompös angekündigten sozialökologischen Agrarpro-gramm ist mittlerweile ein bescheidenes Ausschöpfen derbestehenden Möglichkeiten für eine differenzierte Förder-politik geworden, was auch immer die Ministerin darunterversteht. Sie ist also aus ihrem grünen Wolkenkuckucks-heim auf den Boden der Realpolitik heruntergekommen.
Sehr geehrte Damen und Herren, der ländliche Raumund mit ihm die Landwirte sind für die kulturelle Identitätunseres Landes von extremer Bedeutung. Wir Liberalenbekennen uns zu einer starken und selbstbewussten deut-schen Landwirtschaft als integralem Bestandteil des länd-lichen Raumes und fordern schnelle und unbürokratischeHilfe.Danke.
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Steffi Lemke,
Bündnis 90/Die Grünen.
Geehr-ter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!Deutschland steckt in der BSE-Krise, und zwar nicht nurdie deutschen Landwirte, sondern die gesamte Gesell-schaft. Wir diskutieren über eine Neuausrichtung derAgrarpolitik und über das aktuelle BSE-Krisenmanage-ment. Die CDU/CSU leistet zu dieser Debatte so wert-volle Beiträge wie die heutige Aktuelle Stunde.Ich hatte erwartet, dass Sie inzwischen vielleicht Vor-schläge und Konzepte zur BSE-Bekämpfung und zurNeuorientierung der Agrarpolitik haben, die Sie dem Par-lament vorlegen. Fehlanzeige! Sie sind damit beschäftigt,Ihre Fehler der Vergangenheit aufzuarbeiten, und könnenes nicht verknusen, dass die Bauern, die Sie bisher als Ihrpolitisches Eigentum betrachtet haben, jetzt mit uns in ei-nen Dialog eintreten – Herr Sonnleitner und die Präsiden-ten anderer Bauernverbände haben uns die Bereitschaftzum Dialog deutlich signalisiert – und über die Neuaus-richtung der Agrarpolitik diskutieren.
Sie versuchen seit Wochen, Grabenkämpfe mit unsauszutragen. Sie versuchen, uns zu unterstellen, wir wür-den eine Ausgrenzungspolitik gegen die Landwirte be-treiben. Sie versuchen, Gräben zwischen Ost und West,zwischen Groß und Klein und zwischen Öko und Kon-ventionell aufzuschütten. Ich sage Ihnen: Wir lassen unsnicht in eine solche Debatte hineintreiben, und zwar we-der von Ihnen noch von einzelnen Bauernverbandfunk-tionären.Es wird mit Rot-Grün keine einseitig ausgerichteteAgrarpolitik geben. Wir werden auch weiterhin, wie wires in der Vergangenheit getan haben, für große und fürkleine Betriebe, für Betriebe im Osten und im Westen undfür ökologische und konventionelle Betriebe Landwirt-schaftspolitik betreiben, weil im Moment alle Arten vonLandwirtschaft und alle Bauern eine Diskussion über ihrePerspektiven und keinen billigen politischen Schlagab-tausch, wie Sie ihn heute wieder zu liefern versuchen,brauchen.
Herr Glos, ich möchte Sie gern persönlich ansprechen,weil Sie versuchen, die Bundesregierung und die Koaliti-onsfraktionen mit Vorwürfen und Fehlern aus der Vergan-genheit zu konfrontieren: Angesichts dessen, was in Bay-ern passiert ist, möchte ich Ihnen raten, mit dem KollegenStoiber zu sprechen, damit er sich Herrn Miller für einVier-Augen-Gespräch vornimmt. Nachdem offensicht-lich geworden ist, wie die hochgelobte Landwirtschaftpo-litik in Bayern von offizieller Seite gegen die Wand ge-fahren worden ist, sollten Sie hier im Parlament mitVorwürfen gegenüber anderen sehr zurückhaltend sein.
1997 hat der Bayerische Landtag den Beschluss gefasst– wenn ich richtig informiert bin, sind dafür die Stimmender CSU notwendig –, antibiotisch wirkende Leistungs-förderer aus dem Qualitätsfleischprogramm in Bayernherauszunehmen. Das ist im Landtag von allen Fraktio-nen, also auch mit den Stimmen der CSU, beschlossenworden. Und: Was ist passiert? Vor gerade einmal sechsTagen – man höre und staune – geht man daran, das um-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Marita Sehn14300
zusetzen, nachdem drei Jahre lang nichts passiert ist. Siehätten den Schweinemastskandal verhindern können,wenn Sie mit wirksameren Kontrollen und mehr Durch-setzungsvermögen an das Problem herangegangen wären.
Wenn ich höre, dass Frau Stamm noch im Sommer ge-fordert hat, das Risikomaterial für BSE nicht aus der Nah-rungskette zu nehmen, wohl wissend, welche Folgen BSEin den vergangenen Jahren für die Bauern in anderen Staa-ten hatte, muss ich sagen: Sie haben mit Ihrem Sicher-heitsverständnis in den vergangenen Jahren eine fahrläs-sige Politik gegen die Bauern betrieben.
Ich glaube, gegenseitige Schuldzuweisungen sind dasAllerletzte, was die Landwirtschaft im Moment gebrau-chen kann. Auch wir hätten eine Aktuelle Stunde beantra-gen können
– Entschuldigung, das ist heute Ihre Debatte! –, um dieFehler der ehemaligen Bundesregierung, allen voran vonHorst Seehofer, in den letzten zehn Jahren im Zusam-menhang mit BSE aufzuarbeiten. Ich glaube, es ist jetztnicht die Stunde, dies zu tun.
Es ist vielmehr an der Zeit, den Bauern zu helfen, das Ver-trauen der Verbraucher in die Nahrungsmittel wiederher-zustellen und einen Dialog über die Neuausrichtung in derAgrarpolitik zu führen, damit wir in Zukunft wieder einenfunktionierenden Rindfleischmarkt in Deutschland ha-ben. Dazu haben Sie auch heute keinen Beitrag geleistet.Vielleicht werden Sie das in den nächsten Wochen nochtun.
– Herr Merz, danke für diesen Zuruf: „Wer regiert dennhier?“ Ihr Kollege Ronsöhr, der agrarpolitische Sprecherder CDU/CSU-Fraktion sagt, es sei nicht Aufgabe der Op-position, Konzepte zu entwickeln, sie müsse vielmehr dieRegierung kritisieren. Fahren Sie damit fort, dann werdenSie dort bleiben, wo Sie im Moment sitzen.
Danke.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Kersten Naumann von
der PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Das Thema der Aktuellen Stunde istzwar hochaktuell. Ich weiß aber nicht, ob sich an den Ver-hältnissen etwas ändert, wenn wir immer nur über diesesThema reden. Ich denke, wir sollten endlich handeln.
Noch nie in der Geschichte hatte ein Lebensmittelskandalsolche Auswüchse. Noch nie war das Vertrauen der Ver-braucher in die Agrarproduktion und deren Erzeugnissederart beschädigt. Das Ansehen der Landwirtschaft unddamit eines ganzen Berufsstandes ist ramponiert. Was imMittelalter die Pest war, scheint heute BSE zu sein.Die Bauern werden an den Pranger gestellt. Dasscheint logisch, denn in ihren Ställen werden die BSE-er-krankten Tiere entdeckt. Dabei haben die Bauern mit Si-cherheit die geringste Schuld an der Krise der Landwirt-schaft.
Eine Frechheit hierbei ist, dass ausgerechnet der Bundes-kanzler vor laufenden Kameras wiederholt von den „red-lichen Bauern“ gesprochen hat. Mit dieser Wortwahl hater den Fernsehkonsumenten im Umkehrschluss die „un-redlichen Bauern“ als Sündenböcke präsentiert. Ich sageoffen: Diese und manch andere Wortwahl ist mir bitteraufgestoßen. Es roch mir sehr nach einer Retourkutschedes Kanzlers für die Schmach von Cottbus.
Auf jeden Fall ist ein solch selektives Demokratiever-ständnis nicht akzeptabel.Für mich und meine Fraktion stellt sich die Frage,warum die eigentlich Schuldigen – zum Beispiel die Be-triebe der Futtermittelindustrie, deren Rindermischfuttertrotz Verbots nachweisbar Tiermehlbestandteile enthielt –nicht mit Name, Straße und Hausnummer öffentlichgeächtet werden.
Wer an die wirklichen Ursachen heranwill, muss klarstel-len, dass Profitmacherei mit kriminellen Mitteln auchnicht durch das Wettbewerbsprinzip der Marktwirtschaftgedeckt ist, muss für staatliche Aufsicht und Kontrollesorgen. Sonst braucht sich der Bundeskanzler nicht zuwundern, wenn er erneut mit dem Vorwurf konfrontiertwird, er sei der Kanzler der Bosse.Meine Fraktion jedenfalls wird darauf drängen, dassdas gesetzgeberisch Notwendige sehr rasch auf den Weggebracht wird, damit Verstöße gegen das Futtermittel- undLebensmittelrecht als Straftatbestände eingestuft und ent-sprechend geahndet werden können. Denn auch Ab-schreckung gehört zum vorbeugenden Verbraucherschutz.Im Namen meiner Fraktion möchte ich sehr deutlichunser Unverständnis darüber äußern, dass Frau MinisterinKünast in ihrer Eröffnungsrede zur Grünen Woche keineinziges Wort zu BSE-Finanzhilfen für betroffene Land-wirte verloren hat. Dabei hat wohl keiner erwartet, dasssie sich bereits über die Höhe und Modalitäten einer Un-terstützung äußert. Es war aber einfach zu wenig und hat
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Steffi Lemke14301
die anwesenden Landwirte enttäuscht, lediglich festzu-stellen, viele landwirtschaftliche Betriebe seien in Schwie-rigkeiten und teilweise in Existenznot geraten. Auch inder gestrigen Ausschusssitzung hat sie sich sehr bedecktgehalten.Klar wurde allerdings, dass der Unterstützung derLandwirtschaft wegen der Einkommensausfälle durchden Nachfragerückgang bei Rindfleisch und den Preis-sturz kein allzu großer Stellenwert in der Prioritätenlisteder BSE-Folgekosten beigemessen wird. Ich halte dieseEinschätzung für fatal, zumal allen Beteiligten klar ist,dass es nur um Nothilfe und nicht um einen Ausgleich vonEinkommensausfällen gehen kann.Für einen groben politischen Fehler halte ich es des-halb, dass unser Antrag vom 1. Dezember des vergange-nen Jahres betreffend ein Soforthilfeprogramm zur finan-ziellen Entlastung der von der BSE-Krise betroffenenKommunen und Landwirte gestern im Ausschuss abge-lehnt wurde. Welcher Landwirt soll das verstehen?
Ein unmissverständlicher Auftrag des Parlaments wäreein wichtiges Signal der Solidarität des Bundestages mitden betroffenen Bauern gewesen.Ich kann hier nicht auf alle anderen Forderungen ein-gehen, die von meiner Fraktion und von anderen Fraktio-nen zur Bewältigung der BSE-Krise erhoben wurden. Al-lerdings erwarte ich, dass im Ergebnis der verschobenenKonferenz der Agrar- und Umweltminister endlich Ant-worten kommen, auch zum bereits im November ange-mahnten Konzept zur Entwicklung der heimischen Ei-weißpflanzenproduktion.Das Allerwichtigste ist jetzt zweifellos, das Vertrauender Verbraucher zurückzugewinnen. Die Chance dafür istgegeben, denn die Verbraucher sind wie nie zuvor für einenachhaltige, umweltschonende und tierartgerechte Land-wirtschaft sensibilisiert, die vor allem gesundheitlich un-bedenkliche Lebensmittel erzeugt. Deshalb wird meineFraktion auch alles unterstützen, was die Bundesregie-rung in dieser Richtung initiiert.Ich möchte aber auch zu bedenken geben, dass diedoch recht nebulösen Ankündigungen zur neuen Agrar-politik zu einer zusätzlichen Verunsicherung bei denLandwirten geführt haben. Deshalb müssen schnellstensdie Umrisse eines Agrarkonzepts auf den Tisch und in diebreite Diskussion. Die hierbei schwierigste Frage dürftesein, wie die Ökologisierung der Landwirtschaft bei be-sonderer Förderung des Ökolandbaus unter den Bedin-gungen des EU-Binnenmarktes und der EU-Agrarreformumgesetzt werden kann.Meine Damen und Herren, bei allen scheinbar unüber-windbaren Problemen und den damit verbundenen drin-gend erforderlichen Lösungen muss klar sein, dass eskeine Ausgrenzung der Bauern geben darf und die Bun-desregierung dem ländlichen Raum in der gegenwärtigenKrise schnell und zukunftsorientiert helfen muss. Die Zu-sammenarbeit mit den Bauern und den Verbrauchern istfür mich dabei unerlässlich.Danke.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Iris Hoffmann von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich eines gleichvorwegnehmen und bekräftigen: Wir lassen die Landwirtenicht alleine und stehen an der Seite der Bauern.
Uns ist durchaus bewusst, dass nicht die deutschen Bau-ern die Ursachen für BSE gesetzt haben. Nein, hier stehenHersteller der Futtermittel in der Kritik.Meine Damen und Herren, die Situation der Landwirt-schaft ist auch deshalb so dramatisch, weil derzeit keiner-lei wissenschaftliche Erkenntnisse sowohl über den Erre-ger als auch über die Übertragung der Krankheitvorliegen. Fakt ist bislang nur, dass Tiermehl ein sehr we-sentlicher Überträger zu sein scheint; auch Milchaustau-scher sind nach wie vor nicht auszuschließen. Deshalbwar es nach dem Auftreten von BSE ein dringendes Ge-bot, die Verwendung von Tiermehlen und Tierfetten zuFutterzwecken zu verbieten. Wir sind dafür und bleibendabei – auch im Interesse der Landwirte –, das Verfütte-rungsverbot in Deutschland unbefristet gelten zu lassen.Dieses Verbot muss auch EU-weit Bestand haben.BSE hat bei uns aber auch den Stellenwert des vorsor-genden Verbraucherschutzes in ein anderes Licht gerückt.Wir als Politiker haben jetzt die Aufgabe, im Konsenszwischen Bauern und Verbrauchern die Agrar- und Ver-braucherpolitik zu definieren. Dies ist auch im Sinne undInteresse der deutschen Landwirte. Ich freue mich, dassauch der Bauernverband zu diesem Konsens zwischenBauern und Verbrauchern steht. Nur wenn die Produktequalitativ den Ansprüchen der Verbraucher gerecht wer-den, werden sie dauerhaft absetzbar sein. Die Verbrauchermüssen natürlich wissen, dass qualitativ hochwertigelandwirtschaftliche Erzeugnisse ihren Preis haben. Auchdem Handel als einem Kettenglied zwischen Erzeugerund Verbraucher kommt hierbei eine große und besondereVerantwortung zu.Wenn wir in diesem Zusammenhang über finanzielleMittel reden, muss aber auch klar sein, dass jeder hier dasSeine zu schultern hat. Mit Blick auf die Länder macheich deshalb deutlich auf deren Verantwortung aufmerk-sam. Ganz sicher ist auch der Bund in der Pflicht. Natio-nal werden wir 900 Millionen DM zusätzlich bereitstel-len. 500 Millionen DM gehen an die EU, um den AnteilDeutschlands an der Aufstockung des EU-Haushaltes zurFinanzierung der EU-weiten BSE-Maßnahmen abzu-decken. Des Weiteren werden wir bis zu 400 Millio-nen DM zur Verfügung stellen, wenn die EU-Regelungangewendet werden muss, bis zu 400 000 Rinder inDeutschland zu keulen und zu vernichten. Aber: Was überdie Größenordnung von 900 Millionen DM hinausgeht,muss und wird in den nächsten Wochen letztlich mit denMinisterpräsidenten zu verhandeln sein.Dabei wird sich zuallererst die Frage stellen, ob dieMaßnahmen der Länder wenigstens annähernd ein Volu-
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Kersten Naumann14302
men erreichen, das dem der Bundesbeteiligung entspricht.Bis jetzt ist eigentlich von den Ländern nur lautes Rufennach dem Bund zu vernehmen. Deutlich sage ich aberauch, dass der Bund nur in der Lage ist, innerhalb des be-stehenden Haushaltvolumens weitere Mittel aufzubringen.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch etwassagen: Wenn ich Anträge der Opposition wie etwa mitdem Titel „Ländlichen Raum gemeinsam mit der Land-wirtschaft stärken“ sehe und darin die Forderung finde,wieder den Titelansatz der Gemeinschaftsaufgabe anzu-heben, ist das, meine Damen und Herren von derCDU/CSU, zynisch und auch unehrlich gegenüber dendeutschen Bauern. Das habe ich Ihnen vor acht Wochen inder Debatte zum Agrarhaushalt gesagt und ich tue es heutegerne noch einmal: Erst nach dem Regierungswechsel ha-ben Sie Ihre Affenliebe zur Gemeinschaftsaufgabe ent-deckt. Sie waren doch diejenigen, die die Mittelausstat-tung der Gemeinschaftsaufgabe in 16 Jahren dramatisch– um Milliardenbeträge – zurückgeführt haben.Hinzu kommt, dass Sie genau wissen, dass der größteTeil der Finanzminister der Länder bereits in argen Nötenist, den jeweiligen Länderanteil an der Gemeinschaftsauf-gabe aufzubringen. Deshalb sage ich noch einmal: IhreMätzchen machen wir nicht mit. Wir werden solcheSchaufensteranträge auch in Zukunft ablehnen, wenn sieauf der Tagesordnung stehen.Vielen Dank.
Als
nächster Redner hat Kollege Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Prä-sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! DieBSE-Krise trifft viele Vieh haltende Betriebe in der Bun-desrepublik Deutschland. Die Ställe sind randvoll. Beimir hat sich neulich jemand mit den Worten beklagt, erkönne inzwischen ein Altersheim für Kühe einrichten. DieZahl der Schlachtungen ist drastisch zurückgeführt wor-den.Nun heißt es – diesen Vorwurf möchte ich zurückwei-sen –, die Landwirte hätten am Markt vorbei produziert.
– Ich habe doch dem Bundeskanzler zugehört, FrauLemke. – Noch vor kurzem hat man hier davon gespro-chen, dass sich selbst für die konventionellen Rindfleisch-erzeuger auf dem Rindfleischmarkt besondere Marktchan-cen ergeben, dass sich die Rindfleischmärkte stabilisierthaben. Heute können die Landwirte ihre Tiere teilweise,zum Beispiel wenn sie Kälber, wenn sie Fresser gekaufthaben, um diese zu mästen, nicht einmal mehr zum Ein-kaufspreis verkaufen. Ich finde, dass man durchaus ein-mal an die Einschätzungen der Marktentwicklung erin-nern muss. Man darf jetzt nicht so tun, als handele es sichhier um ein Fehlverhalten in der Landwirtschaft.
Der Bundeskanzler – ich rede ganz bewusst über ihn –hat den Landwirten und den Bauernfunktionären vorge-worfen, sie würden teilweise keine gesunden Lebensmit-tel produzieren. Dabei hat die Bundesregierung imErnährungsbericht 2000 selbst festgestellt – und im Par-lament entsprechende Aussagen getroffen –, dass das Zu-sammenwirken aller Maßnahmen dazu geführt hat undweiterhin sicherstellen wird, dass der vorbeugende Ge-sundheitsschutz des Verbrauchers bei der Ernährung um-fassend gewährleistet ist. Hat man den Verbraucher hiervielleicht beschwindelt? Es muss doch einmal jemand er-klären, warum man heute ganz andere Aussagen hört undden Bauern Vorhaltungen macht.
Es geht weiter: Damit nicht gesagt wird, dass es sichum zwei oder drei Ministerien handelt, will ich einmal ausdem Entschließungsantrag zum Agrarbericht 2000 zitie-ren. In diesem Entschließungsantrag hat Rot-Grün festge-stellt, dass die Landwirtschaft die Versorgung mit gesun-den Lebensmitteln sichere. Bitte machen Sie den Bauernjetzt also keine Vorwürfe!
Sie sind ungerechtfertigt. Damit wollen Sie nur von einemVersagen der Politik ablenken.Ich frage mich nach wie vor, was die Bauern in ihrenBetrieben eigentlich falsch gemacht haben.
– Sprechen Sie das doch offen an! Herr Schröder wirft denBauern ständig Versäumnisse vor, über die vorher abernoch nie hier diskutiert wurde.
Wir dürfen die Bauern jetzt nicht im Stich lassen. Siebefinden sich in einer existenziellen Krise. Ich war mitFrau Merkel auf der Grünen Woche, um unsere Solidaritätmit den Bauern zu zeigen.
– Aber der Bundeskanzler darf Herrn Sonnleitner belei-digen und die Bauern anklagen! Das finde ich genauso un-gehörig. Wenden Sie sich bitte auch einmal dagegen, dassder Bundeskanzler die Bauern beleidigt.
– Ja, das ist ein schönes Thema. Sie greifen nämlich jetztMenschen ungerechtfertigterweise an.Wir haben allen Grund, jetzt endlich einen Soli-daritätsfonds für den ländlichen Raum einzurichten.
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Iris Hoffmann
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Meine Fraktion hat gestern einen entsprechenden Antrageingebracht, der aber abgelehnt wurde. Wir waren uns beiden Maßnahmen zur BSE-Bekämpfung weitestgehend ei-nig. Jetzt fordern wir einen Aktionsplan für die Schlach-tereien, für die vor- und nachgelagerten Bereiche in derLandwirtschaft und für die Landwirtschaft selbst.
Wir dürfen nicht erst die Strukturen wegbrechen las-sen, um sie dann wieder aufbauen zu müssen. Wir müssenvielmehr jetzt die Strukturen im ländlichen Raum sichern.Es geht hierbei vor allen Dingen um die Menschen in die-sem Raum, deren Erwerbsmöglichkeit auch weiterhin ge-sichert werden muss. Ich möchte deshalb an Sie appellie-ren, jetzt endlich Flagge für den ländlichen Raum und fürdie Landwirtschaft zu zeigen.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Ulrike Höfken vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehrgeehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen undKollegen! Man kann der Rede von Herrn Ronsöhr an-merken, dass er die neue Rolle des Verbraucherschützersnoch nicht ganz angenommen hat. Ich will betonen, dasswir die Lage der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer in der Ernährungsindustrie, im Handwerk undin der Landwirtschaft sowie die Lage der Verbrauchernicht missachten dürfen.
Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler müssen jetzt fürdie mangelhaften Schutzmaßnahmen der alten Bundesre-gierung aufkommen. Wir sind uns ja darin einig, dass dieInfektion vor fünf Jahren oder noch früher erfolgte. Es gabmangelhafte Kontrollen – Stichwort „Bayern“ – und eineunglaubliche Ignoranz von Ihrer Seite.
Sagen Sie jetzt bloß nicht, Sie hätten all das nicht ge-wusst! Denn wir haben in der Opposition entsprechendeWarnungen ununterbrochen ausgesprochen.
Sie können dem früheren LandwirtschaftsministerFunke vorwerfen, dass er bei der Krisenbewältigung ei-nige Fehler gemacht habe. Aber er hat – im Gegensatz zuIhnen – die Verantwortung übernommen.
Die Verantwortlichen für die Ursachen sind Sie.
Die Verantwortung liegt auch bei den Funktionären desBerufsstandes und vor allen Dingen bei der Futtermittel-industrie,
für die Sie nun eine Entschädigung fordern. Nach IhrerAuffassung sollen also die Verursacher der Krise entschä-digt werden. Ich bin sehr dafür, dass die Unternehmen, beidenen es Panschereien gab – ich nenne in diesem Zu-sammenhang Deuka und Raiffeisen – , zur Verantwortunggezogen werden und sich an der Finanzierung beteiligenmüssen.
Ich bin auch dafür, dass alle vorhandenen Futtermittel un-tersucht werden.Ich bedaure am meisten die betroffenen Betriebe. Ichsehe es auch so, dass die Bauern in ihrer großen Mehrzahlweit mehr Opfer als Täter waren.Aber man kann beobachten, dass die fatale Ignoranz ingroßen Teilen der Opposition weiter fortlebt.
Ich erinnere nur an die Debatte gestern im Ausschuss, ge-rade vonseiten der F.D.P. Bei der Diskussion über dieKohortenschlachtung oder die Herdenschlachtung wer-den Gebilde aufgebaut, die jeder Realität entbehren.Wenn man die Hilfe für die Betriebe in den Vordergrundstellen will, muss man doch auch die rechtlichen Voraus-setzungen dafür schaffen. Stattdessen wird davon abgera-ten, nach dem entsprechenden Seuchengesetz zu handeln,und dazu geraten, alle möglichen Ausnahmeregelungenzu schaffen. Man beruft sich von Ihrer Seite auf dieSchweiz.Aber um das einmal klarzustellen: Die Schweiz hat,sehr verantwortungsvoll, vor zehn Jahren mit der BSE-Bekämpfung angefangen. Sie hat konsequent gehandeltund jahrelang ganze Herden geschlachtet. Erst dann hatsie überlegt, anders vorzugehen, und das macht sie jetzt.Wenn Sie zehn Jahre so wie die Schweiz handeln, bin icheinverstanden. Stattdessen betreiben Sie eine Verunsiche-rung der Betriebe und verhindern, dass die entsprechen-den Hilfen, Unterstützungsmaßnahmen und Neuaufbau-maßnahmen dort ankommen können.Das Zweite ist das Marktentlastungsprogramm. Ich bingestern fast vom Stuhl gefallen: Die F.D.P. spricht sich da-gegen aus, dass ein solches Programm überhaupt aufge-nommen wird.
Mir tut es um jedes Tier Leid, das geschlachtet wird, undich teile weiß Gott ethische Bedenken, was eine Nicht-verwendung von Fleisch als Lebensmittel angeht. Aberman muss doch tatsächlich fragen: Was ist denn eigentlichdie Alternative? Möchten Sie Altersheime für Kühe fi-nanzieren? Dann müssen Sie sich die Frage gefallen las-
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Heinrich-Wilhelm Ronsöhr14304
sen, ob die Mittel dafür nicht besser den Menschen zugutekommen sollten. Oder möchten Sie vielleicht eineZwangsverfütterung von Rindfleisch oder sollen sichFreiwillige melden, die jede Woche 1 Kilo altes Rind-fleisch essen? Das ist wirklich eine attraktive Angelegen-heit, die dann sicher mit dem Bundesverdienstkreuz be-lohnt wird. Oder soll das Rindfleisch in die Dritte Weltgeschickt werden? Oder soll es eine Intervention geben?Sie wissen ganz genau, dass das Fleisch nach zwei Jahrennicht mehr verkehrsfähig ist und dann verbrannt werdenmuss. Dann hat man für die Lagerung auch noch die Ener-gieverschwendung.Wenn man sich wirklich entschließen will, die betrof-fenen Betriebe zu unterstützen, dann muss man sich an ei-nem Tisch zusammensetzen und dann muss man einMarktprogramm entwickeln, das anschließend konse-quent umgesetzt werden muss. Ich glaube, dazu gibt eskeine Alternativen.
In einem ersten Schritt werden – auch Frau Hoffmannhat darauf verwiesen – die alten Futtermittel abgeholt undauf Bundeskosten entsorgt. Zweitens – da sind die Län-der gefordert – müssen entsprechende Gebühren erhobenwerden, was die Nichtverwendung des Tiermehls anbe-langt. Drittens müssen Bauern und Arbeitnehmer, die vonder jetzigen Absatzkrise betroffen sind, eine neue Per-spektive erhalten, und zwar mit einer Agrarpolitik, dieauf Qualität setzt und das Vertrauen der Verbraucherwiedergewinnt. Auch da – ganz wichtig – würden wir unsfreuen, wenn Sie dazu beitragen würden, im Rahmen derAgrarreform beispielsweise die Verordnung für den länd-lichen Raum zu stärken, statt immer nur auf Flächenprä-mien und Tierprämien zu beharren – das gilt gerade fürdie F.D.P. – ,
und mit dieser Verordnung eine Umlenkung in Richtungumweltgerechte Landwirtschaft und ländliche Räume zuunterstützen.Ich finde, im Rahmen eines Solidaritätsfonds – Sieverstehen darunter: „Staat, gib uns Mittel“; so verstehe ichdas nicht – sollte darüber nachgedacht werden, ob esnicht eine Umlage, wie es in Frankreich der Fall ist, ge-ben sollte, die zweckgebunden für den Aufbau einerneuen Qualitätsproduktion und die Sicherheit der Le-bensmittel eingesetzt wird, und ob wir nicht auf diese Artund Weise verhindern können, dass sich ein solches Ge-schehen wiederholt.
Frau Kol-
legin!
Ich
denke, unser Motto muss lauten: Nie wieder!
Danke.
Als
nächster Redner hat der Kollege Peter Bleser von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Ein Freund des ländlichen Raumes istunser Bundeskanzler ja nun wahrlich nicht.
Das erfährt er jetzt jeden Tag auf seiner Wahlkampftourdurch Rheinland-Pfalz. Überall, wo er hinkommt, wartendie Bauern auf ihn
und zeigen ihm ihren Unmut. Sie sind äußerst verärgertüber die abfälligen Äußerungen des Bundeskanzlers überdie Bauern und deren gewählte ehrenamtliche Berufs-standsvertreter.
Meine Damen und Herren, da wird vom Bundeskanz-ler immer wieder die populäre Forderung erhoben, mehrfür gute Nahrungsmittel zu zahlen. Das ist richtig; Qua-lität muss ihren Preis haben. Aber wer weiß noch, dassderselbe Bundeskanzler im Jahre 1999 bei der Beschluss-fassung über die Agenda 2000 massiv für eine Senkungder Preise für Getreide um 15 Prozent und für Rindfleischum 20 Prozent eingetreten ist? Derselbe Bundeskanzlervor anderthalb Jahren!
– Vielleicht mäßigen Sie sich in den Äußerungen; dannverstehen wir uns alle.Am 24. November 2000 wurde in Deutschland daserste Rind BSE-positiv getestet. Das war gestern vor zweiMonaten. Heute haben wir es mit dem 19. Fall zu tun undweitere positiv getestete Tiere stehen zur Überprüfung an.Zwei lange Monate sind vergangen, ohne dass über dasVerfütterungs- und Verbringungsverbot von Tiermehl undTierfetten hinaus eine Strategie zur Bekämpfung dieserSeuche vorgelegt worden ist. Zwei lange Monate sind alsovergangen.Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das
Die Verbraucher sind nach wie vor unsicher. Sie ver-trauen nach wie vor nicht – das beweist das Kaufverhal-ten – der versprochenen Fleischqualität und noch viel we-niger vertrauen sie der Krisenlösungskompetenz dieser
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Ulrike Höfken14305
Bundesregierung. Die Verbraucher sorgen sich um ihreGesundheit, die Bauern kämpfen um ihre Existenz. Dasist das Ergebnis von zwei Monaten Wurschteln dieserBundesregierung.
Gestern hat bei einer Veranstaltung der Grünen Wo-che – Sie waren dabei, Frau Wolff – eine junge rind-viehhaltende Landwirtin sehr emotional die dramatischeLage ihres Familienbetriebs geschildert. Die Frau war denTränen nahe.
Sie hat gesagt, dass die Fleischpreise im Keller sind, dassdie Tiere kaum noch absetzbar sind, dass die Ställe immervoller werden und dass die Kosten Tag für Tag weiterlau-fen. Bei ihr waren es dann auch noch die Kredite und dieZinsen, die zusätzlich zu zahlen sind.
Die Menschen haben Angst vor dem wirtschaftlichenRuin. Dies registrieren Sie hier nicht einmal.
Wenn der Staatssekretär Dr. Wille weisungsgemäßsagt: „Wir brauchen noch Zeit, um eine Herauskaufaktionvon 400 000 Rindern über 30 Monate in Gang zu setzen,wir brauchen noch Zeit, um die Finanzierung der BSE-Tests zu regeln, wir brauchen noch Zeit, um die Vernich-tung von Tiermehlresten und von mit Tiermehl vermisch-tem Futter zu organisieren, wir brauchen noch Zeit, umdie Kostenübernahme zur Beseitigung der Tierkadaverfestzusetzen“ – und das nach über zwei Monaten – , dannkönnen wir das nicht auf sich beruhen lassen.
Wenn darüber hinaus über Hilfen für die schwer ge-schädigten Bauern und die Betroffenen im Fleischge-werbe – Arbeitnehmer, Handwerker – noch nicht einmalgesprochen wird, dann zeigt dies, wie zynisch der Bun-deskanzler mit einer ganzen Branche umgeht.Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir brauchenmehr Sicherheit für die Verbraucher. Frau MinisterinKünast – vielleicht übermitteln Sie, meine Damen undHerren, ihr das, was ich jetzt sage – , ich vermute, es wirdkein Weg daran vorbeiführen, dass wir alle BSE-testfähi-gen Tiere aus dem Markt nehmen, sobald sie zur Schlach-tung anstehen, damit den Verbraucherschutz erhöhen,Frau Ministerin; denn wenn nach zwei Jahren kein Tiermehr auf dem Markt sein kann, das mit Tiermehl gefüttertworden sein könnte, wäre mit Sicherheit davon auszuge-hen, dass eine Infektion über das Futter nicht stattgefun-den hat.Ich sage Ihnen: Sie werden mit Ihren 400 000 Tierennicht zurechtkommen,
solange es nicht möglich ist, einen Test am lebenden Tierdurchzuführen und damit zweifelsfrei zu garantieren, dassder Verbraucher keine Gefahr zu fürchten hat.
Es wird mit Sicherheit noch weitere Nachahmer einigerBetriebe im Norden Deutschlands geben, die es ablehnen,Tiere über 30 Monate überhaupt zu schlachten, weil siefürchten, in ihrem Betrieb könnte ein BSE-Fall auftretenund damit auch ihre Existenz gefährdet werden. Der„Spiegel“ spricht sogar davon, dass man weit über 1 Mil-lion Tiere aus dem Markt nehmen muss.Ich fordere die Bundesregierung auf: Finden Sie einenKompromiss mit Wissenschaftlern, Verbrauchern undBauern, aber auch mit dem Lebensmittelhandel über diezukünftige Form der Lebensmittelproduktion. Dabeimüssen der vorsorgende Verbraucherschutz, der Tier-schutz, eine nachhaltige Landbewirtschaftung sowie einetransparente Produktion von Futter bis zum Fleisch, dasan der Ladentheke verkauft wird, im Vordergrund stehen.
Kommen
Sie bitte zum Schluss.
Ich komme sofort zum
Schluss. – Wir bitten die Bundesregierung, unsere Unter-
stützung anzunehmen – wir jedenfalls bieten sie an – , um
dieses Land aus der derzeitigen schweren Krise herauszu-
führen. Dazu gehört, dass Sie endlich Ihrer Verantwortung
gerecht werden.
Für die
Bundesregierung erteile ich jetzt dem Parlamentarischen
Staatssekretär Gerald Thalheim das Wort.
Dr
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehrgeehrten Damen und Herren! Wenn man der Diktion deszu diesem Thema vorliegenden Antrags folgt, dann hatman fast den Eindruck, als ob man die BSE-Krise wieähnliche Ereignisse in der Vergangenheit behandeln will:Es kommt zu einer Krise, der Bund soll Geld geben unddas Problem ist aus der Welt geschafft.
So wird es natürlich nicht gehen.
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Peter Bleser14306
Dies ist schon gar nicht dadurch zu schaffen, dass ge-genüber dem Bundeskanzler Vorwürfe erhoben werdenund suggeriert wird, die Bundesregierung grenze die Bau-ern aus. Davon kann überhaupt keine Rede sein. FrauBundesministerin Künast hat hier im Plenum erst vorkurzem erklärt, dass es bei der Bewältigung dieser Krisenur ein Miteinander von Verbrauchern und Landwirtengeben kann. Das ist der einzig richtige Weg.
Natürlich trägt jeder seinen Teil der Verantwortung. Auchdie Funktionäre des Deutschen Bauernverbandes könnenhiervon nicht ausgenommen werden.In diesem Zusammenhang möchte ich auf das Stich-wort „Redlichkeit“ zu sprechen kommen. Unredlich ha-ben vor allen Dingen diejenigen gehandelt, die die Sorgenum die Agenda 2000 politisch instrumentalisiert haben.Unredlich haben auch die Kollegen gehandelt, die inCottbus auf dem Bauerntag fast Wortführer des Protesteswaren.Unredlich handeln vor allem Sie, Herr Glos. Wenn manseit 1990 die Ehre hat, diesem Hohen Hause anzugehören,dann hat man ja an einigen Entscheidungen teilgenom-men. Ich kann mich noch gut an die eigentliche Reformvon 1992 erinnern: Die hatte Ignaz Kiechle zu verant-worten. Er hatte im Grunde genommen keinen Ausweg;aber er führte die Orientierung Richtung Weltmarkt ein.Dann kam die Uruguay-Runde von 1994 mit der Kon-sequenz, auch die Agrarmärkte zu öffnen und die Zölleabzubauen, und vor allen Dingen mit der Folge, nichtmehr wie in der Vergangenheit mit Exporterstattungen ar-beiten zu können. Wohlgemerkt, Herr Glos, das war 1994.Da gab es gar keine andere Wahl, als auf diesem Weg wei-terzugehen.Hier wurde angesprochen, es sei immer von Welt-marktorientierung die Rede gewesen. Wie deformiert wiralle sind – ich schließe mich sehr wohl ein – , zeigt sichdaran, dass wir, wenn in der Landwirtschaft von Markt dieRede ist, nur an den Preis denken. Dass aber auf demMarkt auch Qualität und vieles andere mehr eine Rollespielen, ist fast vergessen.
Was heißt das in der Konsequenz? Aus der BSE-Krisesind keine parteipolitischen Funken zu schlagen. Hier hatdie Bundesregierung – da schließe ich meine Person nichtaus – Fehler gemacht. Stichworte hierbei sind „Tiermehl-verfütterungsverbot“ und „Herausnahme von Risikoma-terialien“. Bei letzterem Stichwort habe ich noch gut dieKritik von vielen Kollegen dahin gehend im Ohr, dassdies gemacht wurde. Insofern sollten wir uns an dieserStelle gegenseitig nichts vorwerfen.Das Problem ist, dass viele für das Entstehen der Kriseverantwortlich sind, auch der Handel. Ausgehend vondem enormen Preisdruck, der im Lebensmitteleinzelhan-del besteht, der mit Schleuderangeboten um Kunden ge-worben hat, waren alle Beteiligten – beginnend bei derFuttermittelindustrie, sich fortsetzend bei den Bauern undendend beim Handel im nachgelagerten Bereich – ge-zwungen, Kosten einzusparen.Meine Damen und Herren, so richtig das in einerMarktwirtschaft ist: Gefährlich wird es dann, wenn es umdie Lebensmittelsicherheit geht. In diesem Zusammen-hang sind die Stichworte „Unvernunft“, „Verantwor-tungslosigkeit“ und „Kriminalität“ zu nennen. Im Hin-blick auf die Unvernunft ist zum Beispiel die Verwendungvon Separatorenfleisch zu nennen. Obwohl wir im Über-fluss leben, musste noch das letzte von den Knochen ab-gekratzte Fleisch mit in der Wurst verarbeitet werden.Verantwortungslosigkeit betrifft die Frage, dass Tier-mehl an Wiederkäuer verfüttert wurde, und es ist Verant-wortungslosigkeit nicht nur bei der Futtermittelindustrievorhanden, sondern letztendlich auch bei denen, die zukontrollieren hätten.
Kriminalität war gestern das Thema beim Arzneimittel-skandal.Meine Damen und Herren, eines ist, denke ich, an die-ser Stelle grundsätzlich festzuhalten: Es ist mittlerweileauch im Bewusstsein vieler Bauern, dass BSE nicht nurdie Folge von Verfütterungsfehlern ist, BSE stellt einenKollaps des Systems dar.
– Die Konsequenz aus dieser Erkenntnis ist allerdings beidir persönlich wie auch bei der Bayerischen Staatsregie-rung ausgeblieben.
Es ist also mehr erforderlich, als nur Geld in die Handzu nehmen. Die Bundesministerin Frau Künast wird am8. Februar die Grundsätze ihrer neuen Agrarpolitik in ei-ner Regierungserklärung bekannt geben. Natürlich kön-nen wir nicht bis zum 8. Februar warten; da ist vorher ei-niges zu tun. Es sind Fragen zu stellen, wie es am Endemit den Ernährungsgewohnheiten weitergehen soll, wiedie Art und Weise der Lebensmittelherstellung, die Orga-nisation und Effizienz der Verwaltungsstrukturen sowiedie Kontrollen zwischen Bund und Ländern zu gestaltensind, ebenso die Frage, wie wir noch mehr für den ländli-chen Raum tun können.An dieser Stelle möchte ich im Übrigen den Hinweisgeben, dass mit der Agenda 2000 eine neue Säule, wie wirdas nennen, geschaffen worden ist, um mehr Geld in die-sen Bereich zu geben.
Also, der Vorwurf, dass hier nichts getan worden sei, istvöllig fehl am Platz.Das Erste, was die Bundesministerin getan hat– ich denke, das ist in dieser Situation das Wichtigste – ,war, einige Entscheidungen zu treffen, um das Vertrauen derVerbraucher wiederzugewinnen. Mit Aufkaufaktionen und
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Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim14307
allem, was wir diskutieren, ist das Problem nicht zu lösen.Am Ende werden wir das Ziel nur erreichen, wenn dieVerbraucher wieder Vertrauen in Rindfleisch und inFleisch insgesamt gewinnen.Natürlich geht es auch um direkte Hilfeleistungen. DerBund wird sich hier nicht verweigern. Wir müssen dasaber parallel zu einigen Entscheidungen im Futtermittel-recht tun, im Grunde genommen auch dazu, wie künftiggeschlachtet wird, wie wir künftig bestimmte Regeln inder Ernährungsindustrie neu fassen. Es wird um Liqui-ditätshilfen für die Betriebe gehen.Aber da, Kollege Ronsöhr, möchte ich einen dezentenHinweis geben: Wir alle wissen, wie groß das Missmana-gement in der ganzen Schlachthofbranche war. Ihr dama-liger Landwirtschaftsminister Jochen Borchert ist ja mitdem Versuch gescheitert, ein Strukturkrisenkartell einzu-richten. Was an der Stelle nicht geht, ist, dass wir mitSteuergeldern das Missmanagement ausgleichen.
An dieser Stelle hat diese Branche ihre eigene Verantwor-
tung.
Wenn wir jemandem zu helfen haben, dann den Be-
schäftigten in diesem Bereich. Der Bund wird auch für die
Konsequenzen aus dem BSE-Programm auf europäischer
Ebene finanziell einstehen. Da sind Zahlen um etwa
500 Millionen DM in der Diskussion, die mögliche Mit-
finanzierung des Bundes bei der europäischen Heraus-
kaufaktion überhaupt noch nicht eingerechnet.
Das heißt auf keinen Fall, dass diese ganze Geschichte
letztlich am Bund vorbeigehen würde, ohne dass finanzi-
elle Konsequenzen daran gebunden wären. Aber im Um-
kehrschluss heißt es, dass für vieles andere die Beteiligten
Mitverantwortung tragen, auch finanziell, die das mit ver-
ursacht haben. Alle in der Kette, auch die Verbraucher,
sind für Tests, Untersuchungen usw. mit in der Pflicht.
Ich möchte gerade bei der Frage, wer in der Kette die
Kosten trägt, abschließend die Gelegenheit für einen Ap-
pell vor allem an den Lebensmitteleinzelhandel nutzen,
dass in Zukunft eben nicht mehr der Wettbewerb aus-
schließlich über den Preis geführt wird, sondern dass Qua-
lität, Herkunft und Ähnliches eine größere Rolle spielen.
Wir als Politik haben für eine Kennzeichnung zu sor-
gen, hinsichtlich deren dort, wo Qualität draufsteht, auch
Qualität enthalten ist. Nur dann wird er bereit sein, den
entsprechenden Preis zu zahlen.
Kurz und gut: Wir werden den Teil finanzielle Verant-
wortung übernehmen, der uns zusteht, aber alle Beteilig-
ten in der Kette, auch die Länder, werden ihren Teil mit
übernehmen müssen.
Vielen Dank.
Als
nächster Redner hat der Kollege Albert Deß von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort
Herr Präsident! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Ich glaube, Schuldzuweisungenwegen BSE sind unangebracht. Wenn hier dauernd Bay-ern an den Pranger gestellt wird, dann möchte ich fragen:Was hat ein Ministerpräsident Schröder in Niedersachsen,was hat eine Frau Simonis in Schleswig-Holstein getan,um dort die BSE-Fälle zu verhindern? In diesem Punktsind keine politischen Debatten möglich,
sondern wir müssen jetzt versuchen, etwas zu unterneh-men, damit diese Krise möglichst schnell bewältigt wer-den kann.
Seit dem Auftreten von BSE in Deutschland hat sichfür die Verbraucher, die Landwirtschaft und die vor- undnachgelagerten Bereiche vieles verändert. Oberstes Zielmuss es jetzt sein, das Vertrauen der Verbraucher in ge-sunde Nahrungsmittel wiederherzustellen. Es sind des-halb alle geeigneten Schutzmaßnahmen zu ergreifen, umden Verbrauchern ein größtmögliches Maß an Sicherheitzu geben. Zur Bewältigung der gegenwärtigen Situationist ein gemeinsames Vorgehen auf allen Ebenen und überalle Parteigrenzen hinweg erforderlich. EuropäischeUnion, der Bund, die Länder und die Kommunen sindebenso gefordert wie die Verbände und die Betroffenen inden vor- und nachgelagerten Bereichen.Über zwei Monate sind vergangen, seit der erste BSE-Fall in Deutschland aufgetreten ist. Die rot-grüne Bun-desregierung hat bis heute kein Programm vorgelegt, wiesie den vielen unverschuldet in existenzielle Schwierig-keiten geratenen Betrieben helfen
und auch die unmittelbar davon betroffenen Wirtschafts-zweige unterstützen will.
Im Gegenteil: Die Bundesregierung hat es bis heute nichtgeschafft, die strengen deutschen Maßnahmen, die im Zu-sammenhang mit BSE beschlossen wurden, europaweitumzusetzen. Wie sollen die deutschen Landwirte im eu-ropäischen Wettbewerb bestehen können, wenn in an-grenzenden EU-Ländern völlig andere Standards erlaubtsind?
Wie will die rot-grüne Bundesregierung den Verbraucher-schutz sicherstellen, wenn zum Beispiel in Holland zumBeispiel bei der Kälbermast nach wie vor tierische Fetteeinsetzt werden können?Es nützt nichts, meine sehr verehrten Damen und Her-ren, hier in Deutschland große Sprüche zu klopfen, wenn
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Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim14308
man andererseits nicht fähig ist, europaweit einen ein-heitlichen Verbraucherschutz durchzusetzen. Wenn dieBundesregierung dazu nicht in der Lage ist, muss sieschnellstens ein Importverbot für Nahrungsmittel ausLändern durchsetzen, die nicht nach unseren Standardsproduzieren.
Wir haben hier die gleiche Situation wie beim Ab-schluss der Agenda 2000 –: Außer großen Sprüchen istvon den Ankündigungen des Bundeskanzlers nicht vielübrig geblieben. Die einmalige Chance, eine Kehrtwendein der europäischen Agrarpolitik vorzunehmen, wurde zunutzen versäumt.Heute fordert der Bundeskanzler eine Kehrtwende dervon ihm mit beschlossenen Reformen. Die Halbwertzei-ten der Aussagen des „Basta“-Kanzlers werden immerkürzer. Es war eine Beleidigung vieler deutscher Bäue-rinnen und Bauern, als der Bundeskanzler im Zusammen-hang mit BSE von „Agrarfabriken“ und „Massentierhal-tung“ gesprochen hat.
Gerade die Rinderhaltung befindet sich in Deutschlandweitgehend in bäuerlichen Strukturen. Von allen land-wirtschaftlichen Produktionsbereichen findet die Rinder-haltung in den kleinsten Strukturen statt.Wenn die rot-grüne Bundesregierung zusammen mitder Europäischen Union und den Ländern nicht schnells-tens Hilfsmaßnahmen beschließt, werden am Ende dieserEntwicklung Agrarfabriken stehen. Gerade die BSE-Krise wird viele verbraucherfreundlich produzierendebäuerliche Betriebe zur Hofaufgabe zwingen.Und wann spricht der Bundeskanzler ein Machtwortgegen die Preisdruckpolitik aus Brüssel, die unsere Bau-ern zwingt, wertvolle Nahrungsmittel zu Ramschpreisenzu verkaufen? Im Gegenteil: Er hat den Agrarpreisverfallbegrüßt.Wie will die rot-grüne Bundesregierung eine nationaleAgrarpolitik gegen den Wettbewerb innerhalb der Euro-päischen Union absichern? Wird bei der Osterweiterungder Europäischen Union eine andere Agrarpolitik einge-fordert und wird bei der nächsten Welthandelsrunde eineKehrtwende der Agrarpolitik weg von Weltmarkt-Agrar-preisen massiv vertreten? – Eine Reihe von Fragen, die bisheute von dieser Bundesregierung nicht beantwortet sind.Zurzeit ist es für unsere Milchviehbetriebe eine uner-trägliche Belastung, mit der Angst zu leben, dass ihr Be-trieb der nächste ist, dessen Rinder beim Auftreten einesBSE-Falles gekeult werden. Die Bundesregierung mussschnellstens prüfen, ob statt der Keulung ganzer Beständedas Schweizer Modell der Kohortenkeulung, ergänzt umzusätzliche Maßnahmen im Interesse des Verbraucher-schutzes, umgesetzt werden kann.Wir müssen uns die Erfahrungen der Schweiz zunutzemachen, um die Krise schneller meistern zu können.
Dazu brauchen wir die aktive Mitarbeit der Rinder hal-tenden Betriebe. Dies wird am besten erreicht, wenn wirden Bauern die Angst nehmen, dass beim Auftreten einesBSE-Falles jahrzehntelange Zuchtarbeit zerstört wird.
Herr Kol-
lege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Einen Satz noch.
Der Bundeskanzler hat sich medienwirksam in Szene
gesetzt, als er das Leben einer Weihnachtsgans gerettet
hat. Er sollte sich auch einmal für die Tiere unserer Bau-
ern interessieren und sich dort ähnlich medienwirksam in
Szene setzen.
Die CDU/CSU-Fraktion wird die Interessen der bäuer-
lichen Landwirtschaft auch im Deutschen Bundestag
massiv vorbringen.
Danke schön.
Als
nächster Redner hat der Kollege Holger Ortel von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Werte Kollegin-nen und Kollegen! Ich weiß nicht: Ist die CDU die bessereBauernpartei?
Nach dem, was ich bisher hier gehört habe, habe ichmeine Zweifel. Die Menschen in diesem Lande verstehendieses Hickhack gar nicht mehr. Sie haben nämlich dieNase voll davon. Die Menschen in diesem Lande wollen,dass wir und vor allen Dingen Sie auf den Oppositions-bänken mit diesem Aktionismus endlich aufhören.
Die Leute wollen, dass wir endlich vernünftig an die-sem Thema arbeiten, und zwar alle zusammen.
Darum geht es.
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Albert Deß14309
Wir müssen gemeinsam an der Zukunft des ländlichenRaumes arbeiten. Wenn sich die Opposition hier verwei-gert, kann man das dann auch unverantwortlich nennen.Wir müssen auch gemeinsam den Druck von unserenBauern nehmen,
den sie selber nicht erzeugt haben. Nicht alle Bauern sindschwarze Schafe. Wenn Kollege Ronsöhr von „den Bau-ern“ spricht, dann meint er 500 000 im Lande.
Bauer ist heute für mich immer noch ein hochanständigerBeruf.
Man kann nicht 500 000 Bauern an den Pranger stellenund alle meinen.
– Auch der Kanzler weiß, dass das ein hochanständigerBeruf ist.
– Doch.An dieser Stelle nutze ich die Gelegenheit, eine herzli-che Bitte an die Medien zu richten: Bei der Aufgabe desAufklärens und Kommentierens von Missständen habenauch unsere Medien eine Verantwortung. Ich bitte Sie vonden Medien herzlich, diese Verantwortung wirklich wahr-zunehmen.
Unsere Bauern sind, wie eine Zeitung jetzt getitelt hat,nicht die „Mülleimer der Nation“.Ich darf – sicherlich gemeinsam mit Ihnen, HerrRonsöhr – feststellen: Verbraucher und Erzeuger sitzen ineinem Boot.
Der Preisdruck, der vom Handel auf die Erzeuger aus-geübt wurde und immer noch ausgeübt wird, spricht ge-gen alle Vernunft. Lebensmittel als Lockmittel für denVerbraucher zu nehmen halte ich für unanständig. Le-bensmittel als Ramschware zu verhökern ist pervers.
Ein halbes Pfund Butter für 0,99 DM, ein Kilo Roula-den für 5,55 DM oder fünf Hähnchen für 10 DM, das sindPreise, die man mit dem gesunden Menschenverstandüberhaupt nicht nachvollziehen kann. Wir Verbraucher– auch ich bin einer – müssen auch einmal darüber nach-denken, wie es wohl kommt, dass wir für die Freizeit mehrausgeben als für unsere Lebensmittel.Es gibt auch bei Schlachtern und Metzgern schwarzeSchafe; das wissen wir. Wer meint, alles „verwursteln“ zukönnen, der muss dann eben auf die Wurst einen Aufkle-ber anbringen, wie wir ihn von Zigarettenschachteln ken-nen: „Die Gesundheitsminister …“ Ein solcher Aufklebergehört dann auf die Wurst.Wir sind uns sicherlich auch einig, Kollege Ronsöhr,dass Futtermittelpanschern die rote Karte gezeigt werdenmuss. Wir sind uns auch einig, dass Schweinedoping undRinder zu Kannibalen zu machen eine unvorstellbareGrausamkeit ist.
Ich denke, auch in diesem Bereich können wir gemeinsametwas machen.Chemiecocktails und chemische Keulen haben in derLebensmittelproduktion nichts zu suchen. Auch da gibt esEinigkeit. Warum nutzen wir nicht unsere Einigkeit invielen Bereichen und setzen sie wirklich in Politik um?
Ich denke, wir sind uns einig, dass wir gemeinsam denMarkt für unsere Bauern und unsere Produkte wieder inGang bringen müssen. Wir wollen und wir müssen denländlichen Raum weiterentwickeln. Auch da gibt es einenKonsens. Wir streiten uns nachher über Beträge. Aber da-rüber, dass wir das tun müssen, sind wir uns einig. Dasgeht nur im Kontext mit allen Regionen in diesem verein-ten Europa.In der Landwirtschaft und im ländlichen Raum brau-chen wir keine Revolution, sondern Evolution. Die beste-hende Krise muss wirklich für uns alle eine nationale He-rausforderung sein. Wir haben die Probleme abzuarbeitenund nicht täglich von dieser Stelle aus zu beschwören. Ichfinde es beachtlich und positiv, dass jetzt endlich auch dieVertreter des Berufsstandes laut über Veränderungennachdenken.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bei der Bundesre-gierung ist diese Landwirtschaft wirklich in guten Hän-den.
Das muss man sagen, auch wenn hier und da einmal eineüberzogene Anmerkung kommt; das will ich gerne zu-geben.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Holger Ortel14310
Ich denke, ein wohldurchdachter Schwenk in derAgrarpolitik ist längst überfällig. Wir werden in diesenSchwenk die Betroffenen im ländlichen Raum einbinden.Herzlichen Dank.
Ich erteile
das Wort dem Kollegen Manfred Grund für die Fraktion
der CDU/CSU.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich alsvorletzten Redner die Gelegenheit nutzen, auf die Folgender aktuellen BSE-Krise für den ländlichen Raum in denneuen Bundesländern hinzuweisen. Dies erscheint mirdeshalb geboten, weil es hier durchaus einige grundle-gende Unterschiede gegenüber der Agrarstruktur in denalten Bundesländern gibt, was die Größe der Betriebe unddamit auch die Folgen auftretender BSE-Fälle für Men-schen und Tiere betrifft.
Die mehr oder weniger offen ausgesprochene Vorver-urteilung landwirtschaftlicher Großbetriebe bereitet denin den neuen Ländern in der Landwirtschaft arbeitendenMenschen große Sorgen.
– Ich sage es auch dem Bundeskanzler; das können Sievielleicht weitersagen. – Im Raum stehen Begriffe wie„industrielle Landwirtschaft“, „Massentierhaltung“ und„Agrarfabriken“.
Die Ursache von BSE und mancherlei anderen Verirrun-gen in der Landwirtschaft schien schnell ausgemacht zusein, nämlich in der industriellen landwirtschaftlichenProduktion.
Rasch und lautstark haben der Bundeskanzler und dieneue Ministerin eine grundlegende Kehrtwende angekün-digt. Doch eine Kehrtwende wohin und eine Abwendungwovon?Inzwischen zeigt sich immer deutlicher, dass BSE je-denfalls kein ausschließliches Problem industriellerLandwirtschaft ist, wenn man sie nur von der Betriebs-größe her definiert. Der Erreger fragt nicht nach der Stall-größe. Der aktuelle BSE-Atlas weist gerade Regionen mittraditioneller bäuerlicher Landwirtschaft als Schwer-punkte der Krise aus. BSE macht auch keinen Bogen umHöfe mit gesicherter ökologischer Erzeugung.Die Folgen eines nachgewiesenen BSE-Falls in einemder vielen typischen Großbetriebe in den neuen Län-dern – seit gestern gibt es ja den ersten nachgewiesenenFall in Sachsen-Anhalt – sind allerdings für die betroffe-nen Menschen und auch für die Tiere enorm. So wird dergestern nachgewiesene BSE-Fall wahrscheinlich dazuführen, dass die gesamte Herde von nahezu 1 000 Tierenauf einen Schlag getötet werden muss. Dies ist umso dra-matischer, als die Voraussetzungen für eine artgerechteTierhaltung in den neuen Bundesländern durchaus gege-ben sind. So liegt beispielsweise in Thüringen der durch-schnittliche Tierbesatz mit 0,55 Kühen pro Hektar weitunter dem Bundesdurchschnitt, wobei der Spitzenwert bei1,24 Tieren je Hektar liegt.Am Einsatz von Landesmitteln für die ökologischeBewirtschaftung, für die Landschaftspflege, für den Ver-tragsnaturschutz wird der Wille zur ökologischen Bewirt-schaftung deutlich. Viele Betriebe in den neuen Bundes-ländern, ob Wiedereinrichter oder Anlagen mit größerenTierbeständen, haben die Kehrtwende, die in der Agrar-politik aktuell eingefordert wird, längst vollzogen:
Anlagen mit artgerechter Haltung, frei laufende Kälberund Kühe, Haltung nach Leistungsgruppen, geräumigeund luftige Ställe. Eine Überdüngung der Felder ist weit-gehend ausgeschlossen, weil der Höchstbesatz pro Hektarweit unterschritten wird.In diesem Zusammenhang ist auch wichtig, dass zumBeispiel in Thüringen 87 Prozent des Grünlandes exten-siv bewirtschaftet werden.
Vieles, was jetzt als Kehrtwende in der Agrarwirtschaftgefordert wird, gibt es in den neuen Bundesländern längst.
BSE ist aber nicht nur ein Problem für die Landwirt-schaft und die unmittelbar in ihr arbeitenden Menschen,sondern hat auch weit reichende Folgen für andere Bran-chen wie die Verarbeitung, die Gastronomie und den Tou-rismus. Das ist deshalb ein Problem, weil vieles, was hier-mit zusammenhängt, ungeklärt und ungeregelt ist.In dieser ungeregelten Situation ist nun der erste BSE-Fall in einer Anlage mit nahezu 1 000 Tieren aufgetreten.Wer die Bilder vor Augen hat, wie einem Landwirt zu-mute ist, wenn 30 Tiere aus dem Stall getrieben werden,der kann sich vorstellen, was es bedeutet, wenn 30 mal 30Tiere aus dem Stall getrieben werden und damit 30 bäu-erliche Familien in ihrer Existenz betroffen sind.
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Holger Ortel14311
Auch in Thüringen – bisher ohne einen BSE-Fall – gibtes jetzt bereits Kündigungen. So werden im SchlachthofAltenburg von bisher 200 Beschäftigten 60 entlassen.Fleisch- und Wurstverarbeitungsbetriebe werden vonmehreren Seiten unter Druck gesetzt. Lebensmittelkettenverlangen die Umstellung der Produktion – was auch rich-tig ist –, aber wie die Kostensteigerungen aufgefangenwerden können, ist ungeklärt.Bisher klopften alle, also Landwirte, Schlachthöfe,Fleischverarbeiter, an die Türen der Staatskanzleien. DieLandesregierungen helfen, vielfach unbürokratischschnell und über ihre eigene Zuständigkeit hinaus. Vonder Bundesregierung hingegen – das ist hier schon mehr-fach angesprochen worden – fehlen bisher konkrete Hil-fen.
– Es sind Hilfen angekündigt worden, sie sind aber bishernicht da.
Alles das, was an Verunsicherung, an existenziellen Fra-gen mit BSE zusammenhängt, bleibt ungeklärt.Ich will darauf verzichten – es ist schon von meinenVorrednern gesagt worden –, darzustellen, was zu tun ist.Hier ist, Frau Höfken, die Frage nach einem konkretenBeispiel gestellt worden. Ich nenne Ihnen ein Beispiel.Auf einem Schlachthof, auf dem ein BSE-infiziertes Rindgetötet und verarbeitet worden ist, müssen anschließendein oder zwei Quarantänetage eingelegt werden. Es mussdesinfiziert werden und die gesamte Charge, die ge-schlachtet worden ist, ist verdorben. Wenn wir in Zukunftdahin kommen, mehrere 100 000 Tiere, die über 30 Mo-nate alt sind, vom Markt zu nehmen – also zu schlachtenund auf BSE zu testen –, so wird sich ein riesiges Problemfür die Schlachthöfe ergeben, wenn wir nicht festlegen– das wäre ein konkreter Vorschlag –, bundesweit zweioder drei zentrale Schlachthöfe zu benennen, in denen dieTiere geschlachtet werden, damit die Verarbeitung in denanderen Betrieben nicht gestört wird. Das wäre ein kon-kretes Beispiel.Ansonsten: Handeln Sie schnell! Wenn Sie als Bun-desregierung nicht bald helfen, kommt Ihre Hilfe nichtmehr dort an, wohin sie kommen müsste.
Als letzter
Redner in dieser Aktuellen Stunde spricht nun der Kollege
Reinhard Schultz für die SPD-Fraktion.
Herr Präsi-dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte nochkurz auf einen Punkt zurückkommen, der mit der Sachedieser Debatte eigentlich wenig zu tun hat, aber von HerrnRonsöhr hier – möglicherweise leichtfertig – eingeführtworden ist. Sie haben sich dazu verstiegen – warum auchimmer, aus Panik oder aus Leichtsinn –,
den Versuch der Kriminalisierung unseres Bundeskanz-lers durch das berühmte Plakat, das sie gestern zurückge-zogen haben, mit der politischen Auseinandersetzungzwischen dem Bundeskanzler und dem Präsidenten desDeutschen Bauernverbandes sozusagen gleichzustellen.Das halte ich für einen groben Fehlgriff. Ich weise dieseGleichstellung zurück.
Sie sollten in sich gehen und gucken, wie Sie mit IhrerFehlleistung umgehen. Ihre Parteivorsitzende war we-sentlich schlauer als Sie, die Sie heute noch einmal nach-getreten haben.
– Ich gucke mir das gleich an; denn trotz Brille ist meineWeitsichtigkeit nicht so groß, dass ich das von hier aus ge-nau sehen könnte.
– Um Sie zu erkennen, reicht sie allemal noch, aber weitdarüber hinaus geht es zugegebenermaßen nicht.Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Diskussionum die Folgen von BSE geht es nicht nur darum – daswird natürlich geschehen, auch auf der Grundlage der Re-gierungserklärung der Ministerin in der nächsten Sit-zungswoche –, konkrete Strukturhilfen und Liquiditäts-hilfen zu leisten, die Entsorgung zum Beispiel vonTiermehl und von Futtermitteln, in denen Tiermehl ent-halten ist, vernünftig zu organisieren und sich darauf zuverständigen, wie man eine Marktbereinigung dadurchherbeiführt, dass man Bestände nach bestimmten Qua-litätsmerkmalen ersatzlos aus dem Markt herausnimmt.Das wird alles geschehen, und zwar schneller, als Sieheute glauben.
Es geht auch darum, uns darüber klar zu werden, wiedas System der Nahrungsmittelerzeugung und Nahrungs-mittelverteilung in Deutschland und in Europa heute ei-gentlich funktioniert und wie es funktionieren sollte. Siehaben ja alle Recht, die Sie sagen: Die Bauern und dieVerbraucher sind die Opfer einer solchen Entwicklung.Aber welcher Entwicklung denn eigentlich? Wir haben inDeutschland einen Lebensmittelhandel, in dem zehn Un-ternehmen 80 Prozent des Marktes beherrschen. Das isteine marktbeherrschende Stellung, wenn auch nicht imSinne des Rechts, weil 33 Prozent am relevanten Marktnicht überschritten werden. In diesem sensiblen Bereichwird eine solche Nachfragemacht erzeugt, dass Preisediktiert werden können.
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Manfred Grund14312
Überall dort, wo sich die Anbieter organisiert haben,wie zum Beispiel im Milchbereich, um durch große Ein-heiten ein Gegengewicht herzustellen, erzielen die Erzeu-ger mittlerweile auch wieder auskömmlichere Preise. ImFleischbereich ist die Lage derartig zersplittert, dass dieErzeuger dem Preisdiktat hilflos ausgeliefert sind, undzwar nicht nur dann, wenn der Anbieter Fleisch so wiefrüher Socken zu Schnäppchenpreisen anbieten will, son-dern generell. Aufgrund des Wettbewerbs dieser Zehn inDeutschland sind die Margen beim Endverbraucherpreisso gering geworden, dass Geschäfte nur noch über dieMasse, also über massenhaften Verkauf von Lebensmit-teln wie Fleisch, gemacht werden können; dieser Preis-druck wird direkt an den Erzeuger weitergegeben. Der Er-zeuger wird, wenn er sich diesem Tempo und dieserMarktordnung nicht stellt, brutal ausgelistet und darfüberhaupt nicht mehr an diese Zehn liefern. Er steht dannim Regen.Im Alltag wird der Produzent erpresst, zu Bedingungenzu produzieren, die seiner eigenen Überzeugung wider-sprechen, nämlich ohne Berücksichtigung ökologischerKriterien und Qualitätskriterien. Er wird gezwungen, sol-che Futtermittel einzusetzen, von denen er selber weiß,dass ein Pflanzenfresser sie eigentlich nicht fressen sollte.
Er wird, wie wir es beim Kälberskandal in Nordrhein-Westfalen erlebt haben und Sie es jetzt in Bayern in Formdes Einsatzes von Pharmaka und Hormonen als Aufzucht-mittel bei Schweinen erleben, immer wieder gezwungenoder gedrängt, die Grenze von normaler Produktion zurKriminalität zu überschreiten. Ich bin überzeugt davon,wir bekommen dieses System nicht durch Soforthilfenoder durch eine Wende in der Landwirtschaftspolitik, wieangekündigt, in den Griff, sondern nur im Rahmen einesbreiten Konsenses bezüglich der Qualität, die diese Ge-sellschaft bei Lebensmitteln erwartet.
– Ja, ich meine auch die Einkäufer von Aldi.Wir haben im Rahmen einer breiten gesellschaftlichenDiskussion zum Beispiel die Produktionsmerkmale, nachdenen Kraftfahrzeuge in Deutschland hergestellt werden,völlig verändert. In unserem Land werden aufgrund poli-tischer und gesellschaftlicher Diskussionen, durch einentsprechendes Ordnungsrecht, durch Anreize und auf-grund von freiwilligen Selbstverpflichtungen die ver-brauchsärmsten Automobilflotten der Welt hergestellt.Wenn wir im Bereich der Lebensmittelproduktion einennur annähernd vergleichbaren Konsens zwischen Politik,Herstellern, Verbrauchern und dem Handel erreichten,wären wir einen großen Schritt weiter.
In der Energiepolitik besteht weitgehend Konsens da-rüber – er hat immer mehr zugenommen –, dass wir Ener-gie nicht nur durch den Einsatz von Kernkraft oder fossi-len Brennstoffen erzeugen dürfen, sondern auch durchden Einsatz erneuerbarer Energien oder durch Energie-sparen zu einem verantwortlichen Umgang mit unserennatürlichen Ressourcen beitragen müssen. Durch eineVerbindung von politischem Konsens, Ordnungsrechtund Anreizen wird das bewerkstelligt; der Markt ent-wickelt sich zunehmend dynamisch in diese Richtung.Wenn wir einen ähnlichen Konsens zwischen Politik,Handel und Produzenten im Nahrungsmittelsektor hätten,wären wir einen ganzen Kilometer weiter.
Deswegen hoffe ich, dass wir fraktionsübergreifend –es handelt sich ja um ein Riesenthema, bei dem es um dieMacht und sehr große Gewinne von Unternehmen geht,die aufgrund der hohen Konzentration in diesem Sektordie Alternative haben, Aktivitäten ins Ausland zu verla-gern oder sie hier zu belassen – große Qualitätskonferen-zen durchführen, die zum Ziel haben, unter dem Dach desMarktes einen Konsens über Spielregeln, die zwischenHandel, Industrie und Produzenten in der Landwirtschaftim Interesse der Verbraucher gelten sollten, zu erreichen.Solche Qualitätskonferenzen könnten das Bewusstseinsehr schärfen. Ich gehe davon aus, auch der Bauernver-band würde daran teilnehmen.
Herr Kol-
lege Schultz, Sie haben schon ein paar Mal zum Schluss-
satz angesetzt. In einer Aktuellen Stunde haben Sie fünf
Minuten und nicht, wie jetzt schon, sieben Minuten Re-
dezeit. Kommen Sie bitte zum Schluss.
Okay, ich
komme zum Schluss.
Wenn ich mir anschaue, wie in der Region, die ich
überschaue, nämlich im Westfälischen, heute Landwirte
auf diese Krise reagieren, dann stelle ich fest, dass sie
längst nicht so laut sind und das Kriegsgeschrei anstim-
men, das Herr Ronsöhr und andere hier an den Tag gelegt
haben,
sondern sich freiwillig selbst bescheiden und auf die ei-
gene Verantwortung besinnen.
Vielen Dank.
Die AktuelleStunde ist damit beendet.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c auf:a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung des Straßenverkehrsgesetzesund anderer straßenverkehrsrechtlicher Vor-schriften
– Drucksache 14/4304 –
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Reinhard Schultz
14313
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
– Drucksache 14/5132 –Berichterstattung:Abgeordnete Rita Streb-HesseEduard LintnerAlbert Schmidt
Horst Friedrich
Dr. Winfried Wolfb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-nungswesen
– zu dem Antrag der Abgeordneten Rita Streb-Hesse, Dr. Margrit Wetzel, Ingrid Becker-Inglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPD sowie der Abgeordneten AlbertSchmidt , Kerstin Müller (Köln),Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENRegelung des Anwohnerparkens durchStädte und Gemeinden– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. MargritWetzel, Hans-Günter Bruckmann, Dr. PeterWilhelm Danckert, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der SPD sowie der AbgeordnetenAlbert Schmidt , Kerstin Müller
, Rezzo Schlauch und der Fraktion
BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNENVerbot des Mitführens von Radar- undLaserwarngeräten in Kraftfahrzeugen– Drucksachen 14/1258, 14/1351, 14/5132 –Berichterstattung:Abgeordnete Rita Streb-HesseEduard LintnerAlbert Schmidt
Horst Friedrich
Dr. Winfried Wolfc) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- undWohnungswesen zu dem Antragder Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, ChristineOstrowski, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion derPDSGeschwindigkeitsbegrenzung auf 130 km/h aufAutobahnen– Drucksachen 14/1082, 14/5076 –Berichterstattung:Abgeordneter Albert Schmidt
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderungdes Straßenverkehrsgesetzes liegen ein Änderungsantragder Fraktion der CDU/CSU und ein Entschließungsantragder Fraktion der F.D.P. vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Das Haus ist damiteinverstanden.Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst der Kol-legin Rita Streb-Hesse für die SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Da-men! Meine Herren! Heute werden wir – leider mit zwei-monatiger Verzögerung – wichtige Neuerungen imStraßenverkehrsrecht auf den Weg bringen. Unstreitigsind Ergänzungen, zum Beispiel zum Fahrerlaubnis- undFahrlehrerrecht, sowie Anpassungen der 1999 vorgenom-menen Änderungen. Auch zu den drei Schwerpunkten derNovellierung, zu denen die CDU/CSU quasi über Nachtdoch noch eine Anhörung für nötig erachtete, findet sichbei den Experten aus der Wissenschaft, bei den Verbändenund auch in den Landesregierungen überwiegendUnterstützung.Das Verbot des Mitführens von Radar- und Laserwarn-geräten – von der SPD-Fraktion 1999 beantragt – wirdvoll mitgetragen. Solche Art von Technik ist für die Ver-kehrssicherheit kontraproduktiv und wird weder im nocham Auto – diesen bayerischen Ergänzungsvorschlag neh-men wir auf – erlaubt.Für Bewohnerparkzonen, besser bekannt als Anwoh-nerparkplätze, bringen jetzt klare Vorgaben die notwen-dige Rechtssicherheit.
Seit Mai 1998 waren nach höchstrichterlichem Spruch nurnoch kleinräumige Zonen zulässig, beschränkt auf zweibis drei Straßen im Wohnumfeld. Viele Städte mussten be-währte Parkraumkonzepte abschaffen bzw. aussetzen. An-dere behalfen sich mit Notlösungen wie Kurzparkzonenund Ähnlichem. Die von der Bundesregierung vorgeschla-gene Ermächtigung erlaubt nun Bewohnerparkzonen biszu einer maximalen Ausdehnung von 1 Kilometer. Sie ge-währleistet den von den Kommunalpolitikern aller Par-teien als notwendig erachteten Ermessensspielraum, umangesichts von Parkraummangel, Pendlerverkehr undnachhaltiger Stadtentwicklung praxistaugliche Parkkon-zepte umsetzen zu können.
Wir vertrauen auf die Kompetenz vor Ort. Streitpunktist nicht das Ob. Wir sind uns darüber einig, dass wir eineneue, rechtssichere Regelung brauchen. Das wollen dieAnwohner und die Kommunen. Es gibt Gewerbetrei-bende in großer Zahl, die gute Erfahrungen gemacht ha-ben.
Streitpunkt bleibt das Wie. Der Schauplatz für eine rea-litätsnahe und vernünftige Regelung wird der Verhand-lungstisch mit den Ländern sein. Eine knappe Mehrheitder Länder – den Anträgen Bayerns und Hessens fol-gend – will maximal 50 Prozent der Parkplätze für An-wohner und zusätzlich eine Beschränkung der Größe derZonen, gestaffelt nach der Einwohnerzahl der Städte.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters14314
Dies, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, un-terstützen Sie. Eigentlich haben Sie jetzt Erklärungsbe-darf. Sie müssten doch wissen, dass dann unser gemein-sam festgestelltes Anliegen, auch Kommunen ohne denfeststehenden Stadtstatus die Einrichtung von Bewohner-parkzonen zu ermöglichen, außen vor bleibt.Lassen Sie uns realistisch sein und die Fakten betrach-ten. In der Praxis gab und gibt es nirgendwo hundertpro-zentige Anwohnerparkzonen, in denen nicht auch Kun-den, Handwerksbetriebe und Besucher parken dürfen.Jede Kommune sorgt im eigenen Interesse für einen fai-ren Ausgleich. Jede Kommune berücksichtigt bei der Ent-scheidung über die Größe die Nutzungsstruktur. In derAnhörung wurde erneut und überzeugend dargelegt, dassrestriktive Vorgaben weder praxistauglich sind noch denkommunalen Anliegen gerecht werden.Ich freue mich deshalb über die breite Zustimmung ei-ner kommunalfreundlichen Regelung in diesem Haus,auch vonseiten der F.D.P., die sich hier allerdings vonihren Länderministern unterscheidet.
Ich werte dies auch als Unterstützung des Bundesminis-teriums, bei den anstehenden Verhandlungen über dieStraßenverkehrsordnung und die notwendigen Verwal-tungsvorschriften die kommunale Selbstverwaltung zuachten.Als streitiger Punkt bleibt – dies überrascht nicht – dieFestlegung von 0,5 Promille als einheitlichem Grenzwert,ab dem Alkohol am Steuer künftig härter, also auch mitFahrverbot geahndet werden soll. Meine Damen und Her-ren von der CDU/CSU und jetzt auch von der F.D.P., ichkann nicht nachvollziehen, warum wir uns bei der Pro-milleregelung nicht auf die einheitliche Absenkung eini-gen können.Das Grundargument, die Erhöhung der Verkehrssi-cherheit, teilen wir. Das war Ihr Hauptargument, als Sie1998 die 0,5-Promille-Grenze eingeführt haben. Nun be-haupten Sie, eine Festschreibung dieser Grenze sei nichtnötig bzw. sie komme zu früh. Sie pochen dabei auf statis-tische Angaben, zum Beispiel darauf, dass über 70 Pro-zent aller Unfälle unter Alkoholeinfluss von Fahrern mitmehr als 1,1 Promille Alkohol verursacht wurden.
Damit argumentieren Sie und hoffen, eine stichhaltige Be-gründung für eine gestaffelte Promilleregelung zu haben.Sie wollen auch glaubhaft machen, dass die 0,5-Pro-mille-Grenze für eine unmaßgebliche und ungefährlicheGruppe von schwach alkoholisierten Genusstrinkern ge-dacht ist. Die Frage bleibt: Warum haben Sie 1998 über-haupt die 0,5-Promille-Grenze als Gefahrengrenzwerteingeführt? Sie und wir wissen, dass Sie ein eindeutigesSignal setzen wollten. Deswegen haben wir damals IhremGesetz zugestimmt und werden es heute konsequent ver-bessern.
Meine Damen und Herren von der Opposition, IhreZahlen und die der Statistik, die von 70 Prozent spricht,beziehen sich – das wissen Sie – auf die Zahl der regis-trierten Unfälle.
Wie hoch aber ist die Dunkelziffer all der Fahrer, die0,5 Promille oder 0,8 Promille hatten
und das Glück hatten, nicht erwischt zu werden, weil sieGott sei Dank keinen Unfall gebaut, aber in vielen Fälleneine erhebliche Gefährdung für alle Verkehrsteilnehmerdargestellt haben?
Die von Ihnen so viel zitierte Statistik sagt auch, dassnur jede 600. Fahrt unter Alkoholeinfluss überhaupt ent-deckt wird. Sie sagt auch, dass rund 100 Menschen getö-tet und über 1 000 bei Verkehrsunfällen schwer verletztwurden, bei denen die Verursacher einen Blutalkohol-gehalt von 0,5 bis 0,8 Promille hatten.Sie ignorieren diese Zahlen ebenso wie – das ist mirviel wichtiger – übereinstimmende Aussagen von Sach-verständigen, dass sich ab 0,3 Promille, spätestens bei0,4 Promille Ausfallerscheinungen und Einschränkungender Leistungsfähigkeit zeigen, dass die Einführung des0,5-Promille-Wertes bereits jetzt einen Rückgang derZahl von Verkehrsunfällen unter Alkohol bewirkt hatund – das ist für eine Regierungspartei und für die Regie-rung wichtig – dass der allergrößte Teil der Bevölkerungheute – 83 Prozent im Osten und 52 Prozent im Westen –Verständnis für eine Senkung zeigt. Dies gilt für Fahran-fänger und Fahrerfahrene. Für beide wird die 0,5-Pro-mille-Grenze eine nachvollziehbare und akzeptierteRegelung im Interesse der eigenen Sicherheit sein. Für ju-gendliche Fahranfänger haben wir bereits die Probezeitauf vier Jahre verlängert;
weitere Konzepte zur Vorbeugung sind angebracht.Meine Damen und Herren, die Festlegung einer ein-deutigen und einheitlichen Promillegrenze ist ein glaub-würdiger, richtungsweisender Kompromiss zwischen denVorstellungen mancher Bundesländer, ein Fahrverbotschon bei 0,3 Promille bzw. 0,0 Promille festzulegen oderdie 0,8-Promille-Regelung beizubehalten.
Diese Grenze unterstützt unser Bemühen, die Verkehrssi-cherheit zu erhöhen und die Zahl von Unfallverletzungenund Todesfällen zu senken. Sie ist weiterhin ein wichtiger
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Rita Streb-Hesse14315
Beitrag in der europaweiten Verabredung, eine Durchset-zung der 0,5-Promille-Regelung oder weniger zu errei-chen, wobei die Sanktionen in anderen Ländern bekann-termaßen drastischer sind.
Umso mehr bedauere ich die Ablehnung von CDU/CSUund F.D.P. Es wird Sie nicht erstaunen, dass wir Ihre heutevorgelegten Anträge – bei der CDU/CSU in bekannterForm, bei der F.D.P. dürftig kaschiert mit der Forderungnach einer Konzeption – ablehnen.
Ein wichtiges Gesetzesvorhaben für den Straßenver-kehr und die Verkehrssicherheit findet heute aus unsererSicht einen guten Abschluss. Dafür möchte ich mich beiallen, die dazu beigetragen haben, bedanken.
Für die
CDU/CSU-Fraktion erteile ich das Wort dem Kollegen
Wolfgang Börnsen.
HerrPräsident! Meine Damen und Herren! Frau KolleginStreb-Hesse, ich finde, dass es ausgesprochen fair ist,wenn Sie deutlich machen, dass große Teile des jetzt zuverabschiedenden Gesetzes auf eine gemeinsame Initia-tive zurückgehen, dass einige der Vorschläge fast dreiJahre alt sind und von der alten Regierung stammen unddass große Teile von CDU/CSU und F.D.P. mitgetragenwerden. Das halte ich für einen prima Stil und daran soll-ten wir auch festhalten.Ich will auf das eingehen, was uns trennt, und nicht aufdas, worüber wir uns einig sind, weil ich finde, dass esrichtig ist, sich mit einem Thema, das Millionen von Men-schen interessiert, sachlich auseinanderzusetzen.
Wer kennt nicht diese Wochenendschlagzeilen, die wiralle im Ohr haben: „Trunkenheitsfahrt endet tödlich“,„Junge Frau nach Verkehrsunfall querschnittsgelähmt“,„Vier junge Leute schwer verletzt – Promillegrenze nichteingehalten“. Neben nicht angepasster Geschwindigkeitund Vorfahrtsfehlern stehen Alkoholfahrten an der Spitzeder vermeidbaren Unfallursachen. Die Unfälle sind fol-genreicher als andere, sie ereignen sich oft nachts, viel-fach im Anschluss an Discobesuche, und an ihnen sindmehr junge Leute als an den aus anderen Gründen verur-sachten Unfällen beteiligt. Nach Angaben der Verkehrs-verbände gibt es bei uns fast 29 000 Trunkenheitstäterjährlich. Sie verletzen über 30 000 Menschen, und fast1 200 Mitbürger jährlich werden getötet, weil durch Al-kohol am Steuer ein Unfall verursacht wurde. Jeder siebtetödliche Unfall geht auf eine Alkoholfahrt zurück. Die EUbeziffert ein Viertel der jährlich 40 000 Verkehrstoten– also 10 000 Tote – als Opfer von Trunkenheitsfahrten;davon sterben 3 500 Menschen unschuldig.Die EU-Kommission sieht vor allem bei den jugendli-chen männlichen Fahrern aktuellen Handlungsbedarf, die– so heißt es wörtlich – den harten Kern bei Unfällen mitAlkohol ausmachen. Das Statistische Bundesamt in Wies-baden bestätigt diese Aussage. Fast ein Viertel aller alko-holisierten Unfallverursacher hat das 25. Lebensjahr nochnicht erreicht. Der Anteil dieser Gruppe an der Gesamt-bevölkerung beträgt gut acht Prozent, aber jeder fünfteUnfall in Deutschland wird durch sie verursacht; auch je-der fünfte tödliche Unfall.Die Reaktion der Bundesregierung ist angesichtsdieser Sachlage erschütternd. BundesverkehrsministerBodewig äußert sich fast gar nicht und will sich den Vor-schlag erst einmal ansehen, obwohl die EU-Empfehlungnach Rücksprache mit Berlin ausgesprochen wurde, dieKoalitionsvereinbarung klare Regelungen enthält undSPD und Bündnisgrüne in ihrer Oppositionszeit klar aufeine Null-Promillegrenze festgelegt waren. Leider fehltder Minister heute bei dieser Debatte; ich bedauere dasaußerordentlich. Alkohol am Steuer ist auch für einenBundesverkehrsminister, der neu im Amt ist, ein wichti-ges Thema.
Aufgrund der Zahlen müsste die eindeutige Konse-quenz für Berlin und Brüssel sein: Null Promille fürFahranfänger! Aber die Regierung ist dagegen, jedoch dieMehrheit im Parlament offensichtlich dafür.
Die jetzt neu anvisierte Grenze von 0,2 Promille isteine Halbentscheidung, die dadurch an Seriosität verliert,weil Brüssel eine Empfehlung gegeben und nicht wiesonst üblich eine Richtlinie vorgelegt hat. Man darf – willman Risikogruppen verringern – nicht unverbindlich sein;man muss konsequent und eindeutig handeln. NachAuffassung des Parlamentes muss für Fahranfänger in denersten Jahren eine Null-Promillegrenze gelten. Nach fastvier Jahren Führerschein auf Probe die Promillegrenzeauf 0,5 anzuheben, ist eine Möglichkeit, aber nicht diebeste. Der ADAC bezeichnet dieses Vorgehen ohne Sub-stanz als blanken Aktionismus.
Hier muss man konsequent handeln. Die bisher gestaf-felte Regelung, Fahrten mit einem Alkoholgehalt zwi-schen 0,5 und 0,8 Promille im Regelfall mit 200 DM Bußeund zwei Punkten in Flensburg zu ahnden, wird durch einstarres Fahrverbot ab 0,5 Promille ersetzt. Der Führer-scheinentzug erfolgt in Zukunft bereits bei 0,5 Promilleund diese Maßnahme wird durch kein Aufklärungs- oderVerkehrssicherheitskonzept begleitet.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Rita Streb-Hesse14316
Hier wäre es angemessen gewesen, die von uns initi-ierte erfolgreiche Schutzengelkampagne aus den Jahren1997 und 1998 aufzugreifen, fortzusetzen und auch aus-zuweiten. In den drei Modellregionen Schleswig-Flens-burg, Oberlausitzkreis und dem Stadtverband Saar-brücken hat sie große Erfolge gezeigt: bis zu 30 Prozentweniger Verkehrsunfälle von jugendlichen Autofahrern.Dies hätten wir vorantreiben müssen.Neben der aktiven Mitwirkung junger Frauen an die-sem Programm bewirkte die Einbindung aller Fachkennervom deutschen Verkehrsrat über die Verkehrswacht, denADAC und die Polizei bis hin zu den Kommunen ein ein-drucksvolles Resultat. So etwas ist nur möglich, wenn allean einem Strang ziehen. Dies sollte auch in Zukunft unserBestreben sein. Diese Erfolgsstory hat man aber dem ehe-maligen Verkehrsminister Wissmann leider nicht gegönnt.
Aber es wäre gut gewesen, sie wieder aufzugreifen undgemeinsam weiterzuführen.Im Interesse der Verkehrssicherheit bin ich wie vieleunserer Kollegen gegen Alkohol am Steuer. Das ist keinKavaliersdelikt, egal, mit welchem Fahrzeug man unter-wegs ist.
Unbestritten ist – das hat Frau Kollegin Streb-Hesse auchschon deutlich gemacht –, dass es ab 0,3 Promille Ausfall-erscheinungen gibt. In den Ausführungen der Expertenauf unserem gemeinsamen Hearing ist deutlich geworden,dass spätestens gegen Fahrer mit einem Alkoholgehalt ab0,8 Promille, eigentlich aber schon ab 0,5 Promille vonden Verantwortlichen eindeutiger gehandelt werdenmuss.Die von uns eingeführte Regelung, bereits ab 0,5 Pro-mille Maßnahmen vorzusehen, war ein Erfolg. Die An-zahl der Menschen, die durch Alkoholfahrten getötetwurden, hat sich zwischen 1997 und 1999 um fast 4 500verringert, weil wir eine abgestufte Ahndung eingeführthaben und weil sich unsere Bürger immer verkehrsge-rechter verhalten. Unsere Bürger haben eine Anerken-nung dafür verdient, dass sie verantwortungsbewussterfahren.
Wichtig für den Erfolg eines Gesetzes ist die Kon-trolle. Die Kontrollen sind durch die Einführung derAtemalkoholanalyse deutlich verbessert worden. Abernoch ist das Entdeckungsrisiko zu gering. Immer nochgehen Experten von einem Verhältnis von 1:300 aus. Dasheißt, auf einen, der erfasst wird, kommen 300, die nichterfasst werden. Hier sind eindeutig mehr Kontrollen er-forderlich.Die starre Sanktionierung ab 0,5 Promille, die in derNeuregelung vorgesehen ist, halten wir für nicht vertret-bar. Sie ist weder pädagogisch noch psychologisch ver-tretbar. Alle Verkehrsverbände sind sich darüber eigent-lich einig.Die Zahl alkoholbedingter Unfälle ist bereits seit Ein-führung der 0,8-Promille-Grenze stetig gesunken: von10,8 Prozent im Jahre 1993 auf 8,6 Prozent 1997. Die Ein-führung der 0,5-Promille-Vorschaltregelung hat eine wei-tere Reduzierung auf jetzt 7 Prozent bewirkt.
Alle Experten gehen mit Blick auf andere Länder davonaus, dass es keinen nennenswerten weiteren Rückgangmehr geben wird. Der harte Kern der Trunkenheitsfahrermuss anders erfasst werden. Rund 75 Prozent der beiKontrollen gefassten Alkoholfahrer haben einen Blut-alkoholwert von mehr als 1,1 Promille. Da müssen wir an-setzen: mit Prävention, mit Aufklärung und mit einem ab-gestuften Ahndungskatalog.Die Auswirkungen einer neuen Regelung müssen ersteinmal über mehrere Jahre beobachtet werden. Frühestensnach vier bis fünf Jahren kann man sie beurteilen. Daherist es nicht sinnvoll, schon nach zwei Jahren mit einerNeuregelung zu kommen. Die im April 1998 eingeführtePromilleregelung bietet die Chance, auf dieser Grundlagezu einer weiteren Verbesserung der Verkehrssicherheit inDeutschland zu kommen. Die von der EU eingebrachteneue Grenze von 0,2 Promille für junge Fahrer und fürweitere Risikogruppen ist weder Fisch noch Fleisch. Sieführt nicht dazu, dass man sich in jungen Jahren daran ge-wöhnt, auch ohne Alkohol fahren zu können. Man wirdein wenig daran gewöhnt; aber eine solche Halbgrenze istnicht vertretbar.
In dieser Frage muss von Anfang an Klarheit herrschen.
In der Regel fährt der überwiegende Teil der jungenLeute korrekt und verantwortungsbewusst. Nur der harteKern hält sich nicht an Recht und Gesetz; wir dürfen jungeLeute nicht pauschal verurteilen.Es gibt einen zweiten Grund, warum die Regierunghandeln muss, und zwar nehmen immer mehr, sowohljunge als auch ältere Leute zum oder vor dem AlkoholMedikamente ein. Die Kombination beider Einnahmenbewirkt, dass es immer mehr Autofahrerinnen und Auto-fahrer gibt, die ein Risiko im Verkehr darstellen.
Hier muss man ganz klar handeln und dafür sorgen, dassso etwas in Zukunft reduziert bis abgebaut wird.Wer wie die rot-grüne Regierung die Mittel für die Ver-kehrssicherheit auf jetzt 22 Millionen DM niedergesparthat – das ist so wenig wie seit zehn Jahren nicht mehr –,
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der verliert an Glaubwürdigkeit, wenn er für mehr Ver-kehrssicherheit, für mehr Aufklärung und für mehr Prä-vention in der Verkehrssicherheit plädiert.
Ich finde: Wir alle haben für mehr Mittel und dafür zu sor-gen, dass die Verbände und alle, die für mehr Verkehrs-sicherheit arbeiten, entsprechend ausgestattet sind, umzielorientiert und eindeutig dazu beitragen zu können,dass es zu weniger Verkehrsunfällen in Deutschlandkommt.Danke schön.
Für dieFraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der KollegeAlbert Schmidt.Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! So ganz habe ich die Logik Ihrer Argumentationnicht verstanden, Herr Kollege Börnsen.
Auf der einen Seite haben Sie für eine Verschärfung derjetzigen Regelung plädiert, nämlich für Fahranfänger die0,0-Promille-Grenze einzuführen. – Herr Kollege Börnsen,ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir für einen Mo-ment Ihr Ohr leihen würden. Ich versuche gerade, Sie an-zusprechen. Sie haben noch viel Gelegenheit, mit HerrnFischer zu sprechen.Noch einmal: Ich habe Ihre Logik nicht ganz verstan-den: Auf der einen Seite plädieren Sie für die 0,0-Pro-mille-Grenze für Fahranfänger, also für eine strengereRegelung. Auf der anderen Seite soll für die, die nachzwei oder vier Jahren keine Fahranfänger mehr sind – ichweiß nicht, nach wie viel Jahren Sie das für gegeben an-sehen –, die alte 0,5/0,8-Promille-Regelung gelten. Hiersoll also keine Verschärfung in Form der 0,5-Promille-Grenze für alle in Kraft treten. Für mich ist das in der Ar-gumentation nicht konsequent. Deshalb versuche ich, Ih-nen unsere Standpunkte noch einmal ein bisschen näherzu bringen.Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Straßen-verkehr, über den wir heute abschließend debattieren,sorgt in der Summe nicht nur für eine, sondern für meh-rere Verbesserungen im Straßenverkehrsrecht. Diese Ver-besserungen – das wissen viele der Experten und Exper-tinnen, die hier sitzen – sind im Grunde seit Jahrenüberfällig. Der Gesetzentwurf setzt übrigens auch weiterePunkte aus der Koalitionsvereinbarung zwischen SPDund Bündnisgrünen um. Diese Umsetzung sind wir nicht,wie Sie behauptet haben, schuldig geblieben. Es handeltsich vielmehr exakt um die Einlösung dessen, was wirvereinbart haben.
Bei der Promillegrenze ist ganz klar, dass der zweistu-fige Sanktionsmechanismus, den wir bisher hatten, aufnur noch eine Stufe reduziert wird. Das heißt, die Sank-tionen, die bisher erst ab 0,8 Promille verbindlich gegrif-fen haben, greifen jetzt schon ab 0,5 Promille. Das be-deutet also: Geldbuße plus Führerscheinentzug. Das istein ganz deutliches Signal, das auch jeder versteht, da eseben nicht mehrstufig ist: Alkohol und Autofahren passennicht zusammen! Das ist der Kern dessen, worum es unsgeht.
Darüber hinaus ist es auch von der Sache her gerecht-fertigt. Zahlreiche Untersuchungen und leider auchzahlreiche Unfallanalysen haben gezeigt, dass geradezwischen 0,5 und 0,8 Promille beträchtliche Einschrän-kungen der Fahrsicherheit zu verzeichnen sind, währendbei 0,3 Promille weniger beträchtliche Einschränkungenzu konstatieren sind. Die Konsequenz daraus kann aus un-serer Sicht nur lauten: Dieses „Herantrinken“ an eine be-stimme Promillegrenze, wie an die 0,8er-Grenze – da gehtschon noch ein Halbes, wie man auf bayrisch sagt –, wozuder Stufenmechanismus vielleicht nicht eingeladen, aberzumindest angeregt hat, wird dadurch eher erschwert undsomit von den Autofahrerinnen und Autofahrern hoffent-lich unterlassen, weil man sich sagt: 0,5 Promille hat mangleich beisammen.Vor diesem Hintergrund habe ich auch wenig Ver-ständnis für die Anträge von CDU/CSU und F.D.P. zu die-sem Thema. Ich erinnere daran – ich hab es auch schon imAusschuss getan –, dass der frühere Vorsitzende des Ver-kehrsausschusses, der von uns allen sehr verehrte KollegeDr. Dionys Jobst, der jetzt im Ruhestand ist und den ichvon dieser Stelle sehr herzlich grüßen möchte – jetzt kön-nen Sie ruhig klatschen –,
immer ein Verfechter einer klaren 0,5-Promille-Regelungwar. Er hat nur nicht die Unterstützung seiner Fraktion ge-funden.
Wir haben Verständnis dafür, dass man nicht immer eineMehrheit für seine Meinung findet. Ich muss aber sagen,dass der Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden, vielnäher an seiner Position als an der heutigen Position derCDU/CSU-Fraktion ist.Ich möchte auch darauf hinweisen, dass die neue Rege-lung im Interesse aller Verkehrsteilnehmerinnen und Ver-kehrsteilnehmer einen Beitrag zur Harmonisierung aufeuropäischer Ebene darstellt. Das ist auch für dengrenzüberschreitenden Autoverkehr sehr bedeutsam;denn die Urlauberin und der Urlauber müssen nicht jedesMal bei einem Grenzübertritt nachdenken, welche Grenzein dem jeweiligen Land gilt. Der Grenzwert ist zwar nichtüberall gleich. Aber das Spektrum der Regelungen wirdjetzt enger.
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Wolfgang Börnsen
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Die Autofahrerinnen und Autofahrer, aber vor allenDingen auch die nicht motorisierten Verkehrsteilnehme-rinnen und Verkehrsteilnehmer – Kinder, Radfahrerinnenund Radfahrer usw. –, die ja bei Autounfällen unter Alko-holeinfluss meist die Opfer sind, gewinnen aufgrund die-ser Regelungen mehr Verkehrssicherheit. Dieser Mei-nung ist auch die Verkehrspolizei. Deshalb bitte ich Sieganz herzlich, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.Ich möchte auch kurz auf den EU-Vorschlag eingehen,der auch bei Ihnen, lieber Herr Kollege Börnsen, eine ge-wisse Rolle gespielt hat, wonach eine 0,2-Promille-Grenze für Fahranfänger eingeführt werden soll. Nachden statistischen Zahlen, die ich recherchiert habe – viel-leicht können wir unsere Zahlen gelegentlich in einemFachgespräch abgleichen –, gibt es keine besondere Auf-fälligkeit von alkoholbedingten Unfällen in der Alters-gruppe der Fahranfänger.
Ich will Ihnen einmal die Zahlen nennen, die ichrecherchieren konnte: Die größte Häufung von Unfällenunter Alkoholeinfluss findet sich in der Altersgruppe der35- bis 44-Jährigen.
Man sollte also nicht mit dem Finger auf die Jungen zei-gen und sagen, das seien diejenigen, die saufen und dannfahren. Das stimmt überhaupt nicht.
– Völlig richtig, Herr Kollege. Ich unterstelle aber, dassdie Wenigsten in dieser Altersgruppe Fahranfänger sind.Konkret zu den Zahlen: 5,1 Prozent der Unfälle in derAltersgruppe der 35- bis 44-Jährigen passieren aufgrundvon Alkoholeinfluss. Die Gruppe der 21- bis 24-jährigensowie die Gruppe der 25- bis 34-jährigen Autofahrerinnenund Autofahrer folgen dann erst mit einem Anteil von je-weils 4,8 Prozent. Das heißt, die Differenzierung nach Al-tersgruppen liefert für eine Sonderregelung der Promille-grenze für junge Autofahrer kein Argument.Es wird noch interessanter, bitte hören Sie einen Au-genblick zu. Ich konnte folgende Zahlen für die Hauptur-sachen von Unfällen von Fahranfängern finden: an ersterStelle nicht angepasste Geschwindigkeit mit 25 Prozent,an zweiter Stelle Missachtung der Vorfahrt mit 21 Pro-zent, an dritter Stelle ungenügender Sicherheitsabstandmit 9 Prozent, an vierter Stelle falsches Abbiegen undWenden mit 5,3 Prozent und dann erst an fünfter Stelle Al-koholeinfluss mit 4,5 Prozent.Jetzt kommt der eigentlich spannende Punkt in der Sta-tistik: Das Fahren unter Alkoholeinfluss in den ersten Jah-ren der Fahrpraxis ist ein Problem der Männer. 92 Prozentaller alkoholbedingten Unfälle junger Fahranfänger wer-den von Fahrern und nicht von Fahrerinnen verursacht.Die Frauen haben nur einen Anteil von 8 Prozent an die-sen Unfällen.
Wenn Sie, Herr Kollege, schon für eine Sonderrege-lung plädieren, dann müssten Sie eigentlich als Risiko-gruppe die Gruppe der jungen Männer definieren. Für dieGruppe der älteren Männer habe ich keine statistischeAussage gefunden. Entsprechende Zahlen wären sicher-lich interessant.
Wir wären gut beraten, wenn wir jetzt nicht mit einemSchnellschuss Sonderregelungen in puncto Promille-grenze für Fahranfänger treffen würden, die sachlichmöglicherweise nicht zu begründen sind.
Lassen Sie mich zu einem zweiten Thema kurz Stel-lung nehmen, nämlich zu den Radarwarngeräten, dieebenfalls in dem Paket enthalten sind und über die manimmer wieder einmal etwas hört. Es gibt diese Radar-warngeräte, die nicht wirklich funktionieren, jedenfallsnicht zuverlässig – das muss man einmal klar sagen –, dieaber suggerieren, man könne, wenn man Geschwindig-keitsbegrenzungen übertritt, sicher sein, dass im Fahrzeugrechtzeitig eine Warnung erfolgt, wenn eine Kontrolledroht.Manche mögen es als Sport oder als interessantes Ex-periment begreifen, zu schauen, ob man unter den Kon-trollen durchtauchen kann. Ich möchte ganz klar sagen:Wer sich gezielt darauf vorbereitet, Geschwindig-keitsbegrenzungen zu übertreten in der Hoffnung, dabeinicht erwischt zu werden, der hat den Schutz des Gesetz-gebers nicht verdient. Hier muss eine klare Kante gezogenwerden. Deshalb muss das künftig strafbar sein. Ich hoffe,wir sind uns in diesem Punkt einig.
Beide Regelungen, die Promilleregelung und das Ver-bot von Radarwarngeräten, sind keine Schikane und be-ruhen nicht auf einem übertriebenen staatlichen Kontroll-bedürfnis, sondern es sind Maßnahmen, die in letzterKonsequenz auf der Straße jeden Tag Leben retten. Das istdas eigentliche und, wie ich glaube, unser gemeinsamesZiel.Lassen Sie mich einen kurzen Gedanken zum Anwoh-nerparken anfügen. Auch wir sind sehr froh, dass es nungelungen ist, eine Regelung zu finden, die sicherlich weit-gehend einvernehmlich ist, nach der die Sonderpark-berechtigungszone auf bis zu 1 000 Meter Entfernungausgedehnt wird. Dies ist lebensnah und nicht bürokra-tisch. Es kommt auch den Gestaltungswünschen derKommunen entgegen. Ich bin froh, dass die kommunalenSpitzenverbände ihr Anliegen hier im Wesentlichen er-füllt sehen.Zum Schluss möchte ich den eigentlichen Grundge-danken der Verkehrssicherheit aufgreifen, den auch Kol-lege Börnsen sehr stark ins Zentrum gestellt hat. Es istrichtig, wenn Sie sagen, Ende der 90er-Jahre seien – Gottsei Dank – auf den Straßen weniger Menschen tödlich
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verletzt worden als noch zu Beginn der 90er-Jahre, ob-wohl die Fahrleistung in diesen zehn Jahren erheblich ge-stiegen ist. Dies spricht auch für den Erfolg verbesserterSicherheitstechnik und verbesserter Sicherheitserzie-hung. Dieser Erfolg hat sicherlich viele Väter und Mütter.Dennoch gibt es für uns alle keinen Grund zur Selbst-zufriedenheit an dieser Stelle, weil wir auch zur Kenntnisnehmen müssen, dass erstens 7 800 tödlich verletzte Men-schen immer noch viel zu viel sind und dass zweitens dieZahl der Unfälle mit Personenschäden inklusive 1999 im-mer noch zugenommen hat. Erst 2000 – wir haben jetztdie ersten veröffentlichten Zahlen – war erstmals einRückgang zu verzeichnen.In jedem Fall – ich glaube, da sind wir uns einig – istjeder Verkehrstote und jeder Verletzte ein Opfer zu viel.Es lohnt jede Anstrengung – ich bin gerne bereit, das inder Verkehrssicherheitsdebatte, die wir demnächst mitei-nander führen werden, und bei den Anhörungen zu ver-tiefen – für mehr Sicherheit im Straßenverkehr und imVerkehr generell. Wir sollten das Thema auch weiterhinkonsensual und mit gemeinsamen Anstrengungen behan-deln.Ich danke Ihnen.
Der Kollege
Horst Friedrich spricht nun für die F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das heute zu debattie-rende Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzeshat einige Bestandteile, die wir durchaus bereit sindmitzutragen.Für die Veränderungen beim Anwohnerparken, FrauKollegin Streb-Hesse, haben die Kommunen eine Rechts-grundlage benötigt. Wir sind nach wie vor der Meinung,dass Berlin das nicht im Detail regeln sollte. Die Anwoh-ner müssen dort parken dürfen, wo sie wohnen. Die Städtemüssen allerdings auch noch besucht werden können.Voraussetzung dafür, dass das Ganze funktioniert, sindFlexibilität und ein Gesamtkonzept, das vor Ort eingefor-dert wird, das den ÖPNV, die veränderten Ladenöff-nungszeiten und all die Bedingungen, die vor Ort sehr vielbesser zu lösen sind, beinhaltet. Deswegen setzen wir da-rauf, dass das Problem vor Ort im Sinne der Betroffenengelöst wird.
Zu den Radarwarngeräten ist eigentlich schon fast al-les gesagt worden. Ich kann mich da nahtlos dem Kolle-gen Schmidt anschließen, auch wenn ihn das überrascht.Auch ich bin der Meinung, dass es nicht sein kann, dassbestehende Verkehrsvorschriften durch technische Ge-räte, ob nun im Auto, am Auto oder wo auch immer, un-terlaufen werden. Wer sich entgegen den bestehendenVerkehrsregeln in der Hoffnung benimmt, sich mit diesenGeräten bestimmten Strafen zu entziehen, ist eigentlichnicht der Verkehrsteilnehmer, den man bei der heutigenVerkehrsdichte und der Problematik des Verkehrs im Hin-blick auf die Verkehrssicherheit braucht.Ich füge allerdings auch kritisch hinzu: Es wäre für dieAkzeptanz von Kontrollmessungen der Polizei mit Ra-dargeräten besser, diese Geräte tatsächlich dort einzu-setzen, wo Gefahrenpunkte, wirkliche Unfallschwer-punkte liegen,
nicht aber dort, wo seit vielen Jahren kein Unfall mehrpassiert ist, aber erkennbar eine Geldeinnahme winkt. Ge-nau dies führt ja zu den Diskussionen auch der Verkehrs-teilnehmer. Insofern wäre die Polizei aufgefordert, darü-ber nachzudenken, ob sie den Blitzer unbedingt an dieseroder jener Stelle aufstellen muss.Ich habe mir einmal den Spaß gemacht, mir die Stellenin meiner Heimatstadt anzuschauen – man kennt ja dieEcken, wo die Blitzer stehen –, und überlegt, wann dortder letzte Unfall geschehen ist. Dass diese Stellen Unfall-schwerpunkte sind, kann man wirklich nicht sagen.Nun zur Promillegrenze: Es wird ja immer behauptet,wir ignorierten die Probleme. Wenn Sie uns das nichtglauben, darf ich Ihnen vielleicht einmal vorlesen, wasGeneralbundesanwalt Nehm heute erklärt hat. Er hat ge-sagt, das Problem des Alkohols im Verkehr sei auch nachder Senkung des Promillegrenzwerts nach wie vor un-gelöst. Er bezieht sich auf dieselbe Situation, die auch un-serem Entschließungsantrag zugrunde liegt, nämlich da-rauf, dass die Zahl der Kontrollen zu gering sei. Genaudies ist seine Aussage und auch unser Ansatzpunkt, FrauKollegin Streb-Hesse. Die Experten haben in der An-hörung noch erklärt – zumindest Herr Professor Krügeraus Würzburg –: Diejenigen, die durch die Senkung derjetzigen Promillegrenze zu belehren sind, sind bereits be-lehrt. Deswegen wird nicht erwartet, dass eine weitereÄnderung in diesem Bereich zwischen 0,5 Promille und0,8 Promille signifikant zu weiteren Absenkungen führt.Das gilt auch für die Sondergruppe der Fahranfänger.Diese Fahranfänger haben Probleme. Sie verursachenauch relativ viele Unfälle im Verhältnis zu ihrem Anteil ander Gesamtbevölkerung. Das liegt aber in aller Regelnicht am Alkohol, sondern an ganz anderen Dingen. DerKollege Schmidt hat sie exemplarisch aufgezählt. Dem istnichts hinzuzufügen.Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, in Deutschlandliegt das eigentliche Problem bei der Spezialgruppe derfahrenden Trinker, derjenigen, deren Blutalkoholgehaltjenseits von 1,1 Promille – mit deutlicher Zunahme –liegt. Die Promillewerte sind ja eigentlich erschreckendhoch: 2,5 Promille, 3,4 Promille, in der Spitze bis zu4,53 Promille; das ist jemand, den ich mit einer Diskus-sion über 0,5 oder 0,8 Promille – bei immerhin unauffäl-ligem Verhalten, das den Führerschein kostet – nicht be-einflussen und schon gar nicht beeindrucken kann.Denjenigen, der gegen diese Grenzwerte verstößt, derdiese Werte produziert – da kann man auch nicht mehr von„Herantrinken“ reden, denn um mehr als 2 Promille zu ha-
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ben, muss man schon ganz ordentliche Mengen trinkenund sie auch noch vertragen –, den kann ich nur dann be-eindrucken, wenn er sicher sein kann, dass er sehr vielhäufiger als jetzt kontrolliert und erwischt wird und dassdiese Kontrollen dann auch Konsequenzen haben.Wie sieht es aber in der Realität aus? Das kritisiert imÜbrigen auch der Generalbundesanwalt. Die Atemwegs-alkoholanalyse ist – obwohl sie als beweissicher vor Ge-richt gilt – mittlerweile von mehreren Gerichten nichtanerkannt worden. Das führt dazu, dass die Polizei – wennsie denn schon kontrolliert und jemanden erwischt – nachwie vor zur alten Blutprobe schreitet, was dann wiederumbedeutet, dass die ganze Truppe, die kontrolliert, insKrankenhaus marschiert, um die Blutprobe entnehmen zulassen, um vor Gericht Bestandskraft zu erlangen. Dasheißt im Endeffekt auch: Es wird einer erwischt, besten-falls sind es zwei – und das war es dann. Die Wahr-scheinlichkeit, dass sich durch alle diese Regelungen et-was ändert, ist sehr gering.Deswegen ist unser Ansatz: Lassen Sie uns ernsthaftüber die andere Seite diskutieren, darüber, wie auch mitden Ländern – die Länder haben dies ja auszuführen – ge-regelt werden kann, ob – und wenn ja, wie – die Atem-wegsalkoholanalyse verbessert werden kann, ob – undwenn ja, wie – die Sicherheit, dass Alkoholfahrer erwischtwerden, erhöht werden kann. Nur dann entsteht nach mei-ner Meinung tatsächlich das Gefühl, dass Auto und Alko-hol nicht zusammengehören und dass es sinnvoll ist, sichohne Alkohol ans Steuer zu setzen.Deswegen noch einige Sätze zur EU:Was von der EUjetzt vorgelegt worden ist, ist ja das entschiedene „Jein“.Der Vorschlag von 0,2 Promille signalisiert doch: Eigent-lich wollten wir ja mehr; eigentlich wollten wir ja eine0,0-Promille-Grenze für jugendliche Fahranfänger vor-schlagen.Das hat man sich aber nicht getraut. Also führt man eine0,2-Promille-Grenze ein. Beim Alkohol wäre das nur dieNachweisgrenze. Das ist unehrlich. Man sollte es dannlieber lassen und gleich konsequent 0 Promille verlangen.Im Übrigen bin ich nach wie vor der Meinung, dass imRahmen des Subsidiaritätsprinzips die Einführung einersolchen Regelung nicht unbedingt Aufgabe der europä-ischen Ebene ist.Noch ein paar Worte zu anderen Ländern und zu Er-fahrungen mit der 0,0-Promille-Regelung: Die DDRwurde dafür immer als Beispiel genannt. Im Verhältniszur Einwohnerzahl und zur Verkehrsdichte hatte die DDRtrotz einer 0,0-Promille-Regelung deutlich mehr Ver-kehrsunfälle und Verkehrstote als die Bundesrepublik mitihrer damaligen Regelung. Auch in unseren Nachbarlän-dern sind trotz anderer Regelungen deutlich mehr Alko-holunfälle zu verzeichnen als bei uns.In diesem Sinne ziehe ich mir den Schuh der Ignoranznicht an. Ich fordere Sie im Gegenteil auf, über das hi-naus, was Sie bisher vorgelegt haben, zu handeln. Daherwerden wir den von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurfablehnen.
Ich gebe der
Kollegin Christine Ostrowski für die Fraktion der PDS
das Wort.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Sie von der Koalition haben selbst-verständlich unsere Stimmen für die von Ihnen vorgese-hene Änderung des Straßenverkehrsgesetzes. Es ist keineFrage: Wir sind für eine Verbesserung des Anwohnerpar-kens
und für eine Promillegrenze in Höhe von 0,5, obwohl ichnatürlich eingestehen muss, dass ich manche Diskussiondarüber nicht verstehe. Denn eigentlich passen Autofah-ren und Alkohol wirklich nicht zusammen.
Eigentlich kann man nur eine 0-Promille Regelung zulas-sen. Der Kanzler würde sagen: Basta! Dann wären nichtsolche Verrenkungen nötig, wie sie Herr Börnsen undviele andere auch hier gemacht haben.In der Politik geht es aber nicht immer so zu wie im Ge-schäft, also nach dem Motto: Gibst du mir, geb ich dir!Auch heute ist das nicht der Fall: Sie bekommen zwar un-sere Stimmen, geben uns aber Ihre Stimmen nicht für un-seren Antrag, der heute auch zur Debatte steht: Ein-führung eines Tempolimits von 130 km/h aufAutobahnen. Das wundert mich schon ein bisschen.Denn die gesamte Debatte drehte sich bisher um die Ver-kehrssicherheit. Letzte Woche ging es um die Verbesse-rung des Verkehrsklimas, den Abbau von Stress usw. Dafrage ich schlicht und ergreifend: Hängt das nicht auchmit einem Tempolimit zusammen?
– Nicht wahr, Herr Schmidt,Sie müssten mir eigentlich Recht geben.Halten wir noch einmal in aller Ruhe folgende Punktefest:Erstens. Ein Tempolimit auf Autobahnen – und wir se-hen nur ein Tempolimit von 130 km/h vor – brächte nach-weislich einen Rückgang der Zahl der Verkehrstoten.Nach Berechnungen – die kennen Sie alle als Verkehrs-politiker – würde es bei einem Tempolimit von 100 zu ei-nem Abbau der Zahl der Verkehrstoten um 1 000 kom-men. Vielleicht sind es bei einem Tempolimit von 130 nur300 Tote weniger. Aber 300 Tote sind die dreifache Zahlderjenigen, die beim Unfall von Eschede gestorben sind.Alle Welt spricht ja jetzt sehr fleischfixiert über denVerbraucherschutz. Ein Tempolimit von 130 ist für alleVerkehrsteilnehmer der beste Verbraucherschutz.
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Horst Friedrich
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Zweitens. Ein Tempolimit senkt die Schadstoffemis-sionen – auch das ist völlig unbestritten –, insbesonderedie CO2-Emissionen.Drittens. Eine Geschwindigkeitsbeschränkung senkt denLärmpegel. Auch das ist unumstritten. Sie wissen, dass al-lein eine Reduktion der Durchschnittsgeschwindigkeit um10 km/h die Lärmemissionen um die Hälfte senken würde.Viertens. Ein Tempolimit reduziert den Flächenver-brauch. Die jetzigen sehr breiten Autobahnen wären dannnicht mehr nötig. Man könnte reduzieren und erheblicheKosten sparen. Für solche Anträge müssten Sie uns ei-gentlich umarmen und ihnen zustimmen.
Fünftens. Schließlich erhöht ein Tempolimit auch dieDurchlassfähigkeit des Autobahnnetzes. Wenn dasauch mancher Mensch nicht glauben mag: Wissenschaft-lich ist das erwiesen. Das, was Sie im Rahmen von Tele-matik und mit einem ungeheuren Milliardenaufwand er-reichen wollen, könnten Sie durch eine einfacheMaßnahme wie die Einführung eines Tempolimits vielbilliger haben. Sie müssten also eigentlich mit beidenHänden zugreifen.
Ganz zum Schluss ist zu sagen: Unser Antrag zieltexakt auf das, was Sie vergangene Woche im Rahmen desVerkehrsberichtes als allgemeines Ziel ausgegeben ha-ben: die Verbesserung des Verkehrsklimas, den Abbauvon Stress und den Abbau von Aggressivität. Da wundertmich schon die interessante Formulierung meines hochgeschätzten Kollegen Albert Schmidt im Aus-schussbericht, der da schreibt:Die Koalitionsfraktionen haben im Ausschuss für diesenAntrag eine gewisse Sympathie erkennen lassen, sehenaber derzeit keine Möglichkeit, die generelle Geschwin-digkeitsbegrenzung gesellschaftlich durchzusetzen.
Ja, welche Überraschung! Tatsachen sind: In der letz-ten Legislaturperiode brachte die SPD einen Antrag aufein allgemeines Tempolimit ein.
Eine entsprechende Forderung, Herr Schmidt, Tempo 100,ist traditioneller Bestandteil Ihrer Programmatik.Im Jahre 1999, also unter der jetzigen Bundesregie-rung, legte das Umweltbundesamt eine Studie vor, in derdie von mir eben genannten Vorteile einer allgemeinenGeschwindigkeitsbeschränkung festgehalten werden.Was die gesellschaftlichen Mehrheiten betrifft, die manhier angeblich nicht hat, so dokumentieren alle seriösenUmfragen, dass es diese Mehrheiten gibt. Die Studie desUmweltbundesamtes nennt 72 Prozent der Befragten, diemit einem Tempolimit von 120 km/h einverstanden seinwürden.
Im Übrigen nehmen Sie bei anderen Vorhaben auf gesell-schaftliche Mehrheiten auch keine Rücksicht! Ich nennenur die Rentenreform.
Lassen Sie mich diese Rede mit einem wunderschönenZitat beenden:Das Tempolimit ist ein Gebot der Vernunft. Nun wirdes hoffentlich auch der Betonriege in der Bundesre-gierung klar sein: Die Zeit der unbegrenzten Rasereiauf Deutschlands Autobahnen ist vorbei. Wir brau-chen eine Rückkehr zum menschlichen Maß.Dem ist nichts hinzuzufügen, außer der Quelle: Das warGerhard Schröder, und zwar nicht der Juso-VorsitzendeSchröder, sondern der niedersächsische Ministerpräsidentim Jahre 1992.Ich bedanke mich.
– Unfug war Ihre Regelung, die Sie seinerzeit getroffenhaben, denn sie hat zur rechtlichen Klarheit nicht beige-tragen und war im Übrigen der Sache nicht angemessen.Wenn Sie sich die Statistik ansehen, dann ist sie in derTat einigermaßen besorgniserregend. Es ist keineswegsso, dass wir sagen könnten, die Situation ist entschärft undwir brauchen an dieser Stelle nichts mehr zu tun. Im Ge-genteil, wenn wir nichts tun würden, würden wir relativ
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Christine Ostrowski14322
schnell wieder die großen Debatten à la Herrn KollegenBörnsen zu führen haben, dass wir nämlich allesamt da-rüber jammern müssen, welche erschreckende Unfallbi-lanz gegenwärtig vorliegt. Das ist unser wichtigsterPunkt.Es geht eben an dieser Stelle auch um entsprechendeAbschreckung. Diese Abschreckung ist sinnvoll, weil sievernünftig ist, und es ist vernünftig, die Bürger zu schüt-zen. Im Mittelpunkt der Verkehrssicherheit steht derSchutz der Verkehrsteilnehmer. Das ist eine enorm so-ziale Aufgabe.
Jeder im Straßenverkehr Getötete – ich meine, mankann diesen Satz nicht häufig genug sagen –, ist einer zu-viel. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Ursache Al-kohol ist. Jeder kennt doch die Fälle des absurden, abso-lut sinnlosen Sterbens auf den Straßen, wo junge Leutemit 18, 19 Jahren mitten aus dem Leben gerissen werden.Keiner kann sich das jemals erklären. Im Übrigen leidendiejenigen, die einen solchen Unfall verursacht haben, da-ran zum Teil zehn bis 20 Jahre. Das ist schlimm, das istabsolut unmenschlich, das ist kein guter Ausweis einermenschlichen Gesellschaft, wie wir sie sein wollen. Des-halb müssen wir auch den Gegnern dieser ausschließlichim Interesse der Verkehrssicherheit erlassenen Regelungganz klar sagen: Rund 950 bei Alkoholunfällen inDeutschland im Jahre 2000 Getötete sind zu viel, rund10 800 Schwerverletzte und rund 22 500 Leichtverletztesind einfach völlig unakzeptabel. Etwa jeder achte Ver-kehrstote geht auf das Konto von Alkohol und mehr als je-der zehnte Schwerverletzte ebenfalls.
– Wissen Sie, Herr Friedrich, Sie hatten ja schon die Ge-legenheit zum Reden, aber es gibt da eine bestimmte Me-chanik, die ich Ihnen zu erläutern versuche.Vorher lassen Sie mich aber noch eines feststellen: Al-kohol ist nach wie vor die gefährlichste und bedeutendsteDroge, die wir in Deutschland haben.
Es ist einfach alarmierend, dass in Deutschland dieZahl der Alkoholabhängigen auf zweieinhalb Millionengeschätzt wird. Über hunderttausend Menschen sind 1998beim Fahren mit Alkohol am Steuer erwischt worden. Dasmuss ich auch einmal ganz klar in Richtung von HerrnFriedrich sagen, der sich gerade mit etwas anderem be-schäftigt, aber das ist eine unmittelbare Antwort auf Sie,Herr Friedrich. Die Atemalkoholanalyse ist der richtigeWeg. Wenn sie gegenwärtig noch Akzeptanzproblemehat, bedeutet das nicht, dass es der falsche Weg ist. Dannmüssen wir an der Akzeptanz gemeinsam arbeiten.
Es ist aber sehr richtig und sehr wichtig, die Methoden zurBekämpfung des Alkohols zu verbessern, und eine Alter-native zur Atemalkoholanalyse haben wir nicht. Deshalbist das ein wichtiger Bestandteil der Gesamtstrategie.
Neben der Absenkung der Promillegrenze gehört aller-dings auch die Aufklärung dazu. Denn das Problembe-wusstsein in Bezug auf Alkohol muss in den Köpfen ent-stehen. Die Hemmschwelle muss erhöht werden. DieVersuchung, vor der Fahrt noch schnell ein Glas Bier zutrinken, muss gesenkt werden und muss dem BewusstseinPlatz machen, dass jedes Glas Bier, jedes Glas Wein vorder Fahrt eines zu viel ist. Wenn das gelingt, haben wir,glaube ich, schon eine ganze Menge erreicht.
Deshalb haben wir ja auch unsere Aktion „Darauf fahreich ab“ gemeinsam mit dem Deutschen Verkehrssicher-heitsrat erfolgreich entwickelt. Und, Herr Börnsen – damuss ich Sie korrigieren –: Diese Aktion wird nicht etwaeingestellt. Sie wird fortgesetzt und sogar verbreitert. Siehat in der Tat die von Ihnen vorgetragenen positiven Ef-fekte. Die Zahl der Unfälle konnte in den Aktionsregionenum fast ein Drittel gesenkt werden. Wir halten also an die-ser Strategie fest.Was die Haushaltsmittel anbetrifft, so muss man ein-fach sagen: Die Effektivität ist entscheidend. Wir werdenuns an der Bilanz der Alkoholunfälle messen lassen. Eskommt nicht darauf an, dass man Massen an Geld ansetzt,sondern darauf, dass es so gut wie möglich eingesetztwird.
Die positive Entwicklung der Zahl der Alkoholunfällemit Personenschaden, die sich allein in dem Zeitraum von1991 bis 1999 – und dafür waren, das kann man hierdurchaus einmal positiv hervorheben, auch Sie verant-wortlich – um rund ein Drittel verringert hat, wird – da-von bin ich fest überzeugt – hier einen weiteren Schub er-halten. Die Tatsache, dass in diesem Zeitraum derdeutlichste Rückgang von Alkoholunfällen mit 12,6 Pro-zent im Jahr 1998, dem Jahr, als die 0,5-Promille-Grenzeeingeführt wurde, zu verzeichnen war, spricht ja nicht ge-gen, sondern für das Einführen dieser Promillegrenze.Denn Sie haben neben der Strafbewehrung selbstver-ständlich den Effekt der öffentlichen Debatte darüber. DieDebatte, die wir heute hier führen, wirkt sich schon posi-tiv auf die Aufklärung aus. Denn es dringt stärker in dasBewusstsein dieser Gesellschaft ein, dass das ein Themaist, um das man sich weiter zu kümmern hat. Es lässt sichnachweisen, dass jedes Mal dann, wenn eine Debatte überdie Promillegrenze geführt wurde, ein rücksichtsvolleresund vorsichtigeres Fahren und eine stärkere Alkoholab-stinenz zu verzeichnen waren. Deshalb wird das auch einPunkt bleiben, an dem man von der Strategie her dran-bleiben muss.Deshalb ist es übrigens auch falsch, was die Europä-ische Kommission hier mit der 0,2-Promille-Grenze füreinzelne Fahrergruppen empfohlen hat, beispielsweise für
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Parl. Staatssekretär Stephan Hilsberg14323
Fahranfänger. Dieser Vorschlag verkennt, was die ei-gentliche Unfallursache bei den Fahranfängern ist. Sie ha-ben vielleicht Probleme mit der mangelnden Fahrpraxis,sie haben aber nicht Probleme mit dem Alkohol, der beidieser Gruppe erst an fünfter Stelle der Unfallursachenliegt. Ich denke, hier muss man sich einmal vor dieseGruppe stellen; so unfair darf man also mit ihr nicht um-gehen.
Im Übrigen: Dass wir die jungen Fahranfänger weiterim Auge behalten, zeigt ja auch der Umstand, dass dieBundesanstalt für Straßenwesen nach wie vor beauftragtist, die Auswirkungen der neuen Regelung zur Fahr-erlaubnis auf Probe zu analysieren, und uns weitere Mög-lichkeiten zur Optimierung anbieten soll. Außerdem über-legen wir zurzeit, ob es so etwas wie einen Bonus gebensoll, einen Bonus in Form einer Probezeitverkürzung beifreiwilliger Teilnahme an einem Modellversuch einerzweiphasigen Fahrausbildung.Meine Damen und Herren – Rita Streb-Hesse hat ja be-reits darauf hingewiesen –, wir haben auch einen Auftragder Koalitionsfraktionen erledigt, was die Frage des An-wohnerparkens betrifft, und ich freue mich sehr, dass derAntrag, den die Koalitionsfraktionen in diesem Zusam-menhang gestellt haben, erledigt werden kann, weil das,was wir jetzt haben, die Ermächtigungsgrundlage, der Siehier heute mit großer Mehrheit zustimmen werden, denKommunen die Möglichkeit gibt, Regelungen in ihremSinne zu treffen, und zwar nicht so, wie die PDS das will– die PDS hat eh Schwierigkeiten mit der Freiheit –,
sondern wir machen eine solche Regelung so, dass diekommunale Selbstverwaltung an dieser Stelle im Mittel-punkt steht. In den Kommunen soll entschieden werden,ob und in welcher Art und Weise diese Regelung genutztwird, und das ist auch völlig richtig so.Hinzu kommt das Verbot von Radar- und Laserwarn-geräten in Kraftfahrzeugen. Das ist ja auch eine alte De-batte, die wir hier haben.
Herr Staats-
sekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Ostrowski?
S
Ja, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie
sind ja neu im Amt.
– Ja, ich weiß. Ich freue mich auch, dass Sie mir in Ihrer
Jungfernrede diese Zwischenfrage gestatten.
Ich habe in Nummer 49/2000 der „Wirtschaftswoche“
Folgendes gelesen: Der neu gebackene Minister Bodewig
b
Rede von: Unbekanntinfo_outline
„Ich? Wieso denn ich? Ich habe doch vom
Verkehr keine Ahnung.“ Da antwortete Minister
Bodewig: „Das macht nichts. Ich auch nicht.“
Ich wollte Sie also fragen: Sind Sie immer noch auf
dem Stand von vor wenigen Wochen, oder wie schätzen
Sie das ein?
S
Für wendieses Zitat spricht oder nicht spricht und für wen esspricht, dass Sie es hier in dieser Art und Weise zitieren,will ich einmal dahingestellt sein lassen.
Ich will an dieser Stelle ganz klar sagen: In der Tat istdies ein neuer politischer Bereich für mich. Aber ich ma-che die interessante Erfahrung, dass man auch als aktiverTeilnehmer an der Öffentlichkeit mit seinem gesundenMenschenverstand zu Erkenntnissen kommen kann, dieich jetzt die Gelegenheit habe durch viele Gutachten undGespräche bestätigt zu sehen, und dass man gleichzeitigdie Möglichkeit hat, über bestimmte Bereiche hinaus zusehen.
Das ist auch etwas, was mir die ehemalige DDR nie ge-stattet hat. Da war man ausgegrenzt. Da hat man nicht ein-mal an einer öffentlichen Debatte über solche Dinge teil-nehmen können. Deshalb sollten Sie sich mit solcherleiHinweisen zurückhalten.
Ich meine, die Frage der Radarwarngeräte sollte manein Stück weit mit Ironie kommentieren. Es gibt aber inder Tat einige schlitzohrige Mitbürger, die glauben, mitCleverness und dem entsprechenden Geldbeutel wichtigeund sinnvolle Regelungen schlicht und einfach umgehenzu können.Wenn es aber sinnvoll und richtig ist – unabhängig vonder Frage, wo die Messgeräte stehen –, die Geschwindig-keit zu kontrollieren, und zwar in Verantwortung für dieVerkehrsteilnehmer und für deren Schutz, dann muss esauch verboten sein, diese Regelung zu umgehen. Dannmüssen die Radarwarngeräte auch verboten werden. Es isterfreulich, dass alle Autoclubs in Deutschland diese Rege-lung unterstützen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Parl. Staatssekretär Stephan Hilsberg14324
Ein Tempolimit auf Autobahnen kann man so oder sosehen. Das ist natürlich ein populistisches Thema; das willich gar nicht verschweigen. Für wen man da jeweils Par-tei ergreift, ist auch ein interessanter Punkt. Deshalb ist esganz wichtig, zu den Fakten zurückzukommen. Dazumöchte ich drei Dinge in Erinnerung rufen.Erstens. Wir haben bereits Tempolimits auf deutschenAutobahnen.
– Ich verstehe Sie ja.Auf mehr als einem Drittel der deutschen Autobahn-strecken gibt es aus guten Gründen bereits Geschwindig-keitsbegrenzungen. Die Zahl der mit einem Tempolimitbelegten Autobahnstrecken nimmt zu.Zweitens werden die Kohlendioxidemissionen ange-führt. Natürlich gibt es bei Geschwindigkeitsbeschrän-kungen eine Senkung von Kohlendioxidemissionen, aberin einem sehr geringen Maße. Ob es gerechtfertigt ist, des-halb ein allgemeines Tempolimit einzurichten, ist sehr dieFrage. Selbst das Umweltbundesamt geht davon aus, dass,wenn sich 80 Prozent der Verkehrsteilnehmer an ein Tem-polimit von 120 km/h halten, die CO2-Gesamtbelastunginsgesamt nur um 0,3 Prozent sinken würde. Ob sich80 Prozent an ein solches Tempolimit halten, will ich ein-mal dahingestellt sein lassen.
Drittens. Auch die Unfallbilanz auf unseren Autobah-nen ist kein Argument für ein generelles Tempolimit. Esmag andere Argumente geben, aber die Unfallbilanz istkeines.Ich komme ja auch aus der ehemaligen DDR und waraktiver und bekennender Trabifahrer. Aber in die Situa-tion, als Trabifahrer die Geschwindigkeitsgrenze von100 km/h zu überschreiten, ist man nur selten gekommen.Es gibt allerdings noch einen anderen Aspekt. Spätestensnach dem Abkommen über die Transitautobahnen war dieBegrenzung auf 100 km/h eine Devisen bringende Maß-nahme. Schalck-Golodkowski wird wissen, wie vielD-Mark er auf diese Art und Weise eingenommen hat.Dies hat sicherlich zur Verlängerung der SED-Herrschaftin der DDR beigetragen. Das mag ein Grund dafür sein,dass Sie daran heute noch festhalten. Ein guter Ratschlagist das auf keinen Fall.Tempo-30-Zonen in Innenstädten sind allerdings einesinnvolle Angelegenheit. Wir schaffen hiermit die Grund-lage, dass in den Kommunen nach deren eigenen Kon-zepten solche Zonen geschaffen werden können. Auchdies ist in unseren Augen eine Frage der kommunalenSelbstverwaltung. Es liegt in der Hand der Kommunen,ob und wie sie dieses Instrument nutzen wollen. Generellvon dieser Stelle aus allen Kommunen zu verordnen,Tempo 30 einzuführen, ist in der Tat der falsche Weg.Auch das spricht wieder nicht unbedingt für die QualitätIhrer Anträge.Noch ein Wort zu weiteren wichtigen Verbesserungenin diesem Gesetz: Beispielsweise erleichtern wir dieArbeit der Fahrerlaubnisbehörden und der Fahrleh-rer, indem wir die Fahrschulerlaubnisklassen der Syste-matik der Fahrlehrererlaubnisse anpassen. Wir stellenklar, dass die Fahrschulen nur die Lehrfahrzeuge vorhal-ten müssen, die für die Ausbildung einer Fahrerlaubnis-klasse unbedingt erforderlich sind.Wir verbessern nebenbei noch die Übergangsregelungzum Fahrlehrergesetz im Hinblick auf die Fahrlehrerer-laubnis zur Fahrgastbeförderung für Kraftomnibusse. DieFahrlehrerschaft wartet dringend auf diese wichtige Rege-lung. Es genügt künftig, dass der Fahrlehrer am Stichtag31. Dezember 1998 berechtigt war, Bewerber um die Fah-rerlaubnis zur Fahrgastbeförderung für Kraftomnibusseauszubilden.Meine Damen und Herren, die Verkehrssicherheit,die im Mittelpunkt dieser Debatte stand, ist ein wichtigerTeil der Mobilität. Die Mobilität ist in der Tat eine derzentralen Kategorien unserer modernen Gesellschaft.Aber sie hat auch kritische Aspekte, deren negative Fol-gen von uns hinterfragt werden müssen und um die mansich zu kümmern hat. Soweit man das kann, müssen dienegativen Folgen von Mobilität gelindert und bekämpftwerden.Es ist das Ziel unserer Verkehrssicherheitsarbeit, dassdie Verkehrsteilnehmer sich in Zukunft sicher, fair, kom-petent und rücksichtsvoll zueinander verhalten. Das istdie Voraussetzung dafür, dass wir alle auch in Zukunft denEntwicklungen, die uns in der Verkehrspolitik beschäfti-gen werden, gelassen entgegensehen können.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Als letztem
Redner in dieser Debatte gebe ich das Wort dem Kollegen
Georg Brunnhuber für die Fraktion von CDU und CSU.
Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich heuteausschließlich zum Thema der Promillegrenze äußern.Mir fällt bei dieser Debatte wie so oft in den letzten Wo-chen, wenn es um Verkehrspolitik ging, auf, dass Sie sug-gerieren, eine Lösung für ein Problem zu haben, obwohlSie nur eine Scheinlösung haben.Zum Beispiel haben Sie eine Ökosteuer eingeführt, umdie Umwelt zu schützen. Aber keine Mark fließt in dieUmwelt. Alles wird in die Rentenkasse gegeben.Sie wollen mehr Güter auf die Schiene verlagern. Dasklingt gut und alle wollen das. Aber dann lassen Sie zu,dass die DB Cargo gleichzeitig 1 000 private Schienenan-schlüsse in Deutschland kündigt und den Leuten auchnoch schreibt, sie sollten ihre Güter in Zukunft auf derStraße transportieren. Das ist die Politik von Rot-Grün!
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Parl. Staatssekretär Stephan Hilsberg14325
Heute tun Sie so, als würden Sie eine ganz neue Ideegebären, indem Sie die Grenze von 0,5 Promille in denVordergrund stellen. Wir haben die 0,5-Promille-Rege-lung. Darauf möchte ich einmal hinweisen. Was Sie wol-len, ist eine Verschärfung des Strafmaßes.
Sie suggerieren, damit gäbe es mehr Sicherheit auf derStraße. Sie selber wissen, dass das eben nicht zutrifft.
Ich verweise auf den Kollegen Friedrich. Sie könnenschauen, wohin Sie wollen: Wo 0,0 Promille eingeführtsind – zum Beispiel in Tschechien, in Ungarn und inRumänien –, ist die Häufigkeit von Unfällen mit Alko-hol in der Regel höher als bei uns. Auch in der DDR wardie Häufigkeit von Unfällen unter Alkoholeinfluss trotz0,0 Promille und erheblichem Strafmaß genau so hochwie in der Bundesrepublik.
Das zeigt, dass es Ihnen mehr um Ideologie als um Ver-kehrssicherheit geht.Wenn Sie wirklich Verkehrssicherheit schaffen woll-ten, dann hätten Sie sagen müssen: Wir müssen die Kon-trolldichte erhöhen.
Denn ohne Kontrollen nützen alle diese Verschärfungenund die entsprechende Zahlenakrobatik nichts. Sie wer-den dadurch keinen einzigen Unfall verhindern.
Sie könnten mehr für die Aufklärung tun. Denn auchAufklärung ist notwendig. Dazu sagen Sie gar nichts. Sieändern drei Zahlen und glauben, dass sich dadurch etwasändert. Das wird nicht eintreffen.Warum hat man die Regelung, die am 1. Mai 1998 ein-geführt wurde, nicht noch ein oder zwei Jahre beobachtet?
Wir können Sie nur nochmals darum bitten und hoffen,dass das im Bundesrat noch einmal aufgegriffen wird.Wenn zusätzlicher Handlungsbedarf erkennbar gewor-den wäre, dann wären doch alle bereit gewesen, sich nocheinmal darüber zu unterhalten. Offensichtlich genügt Ih-nen aber selbst die jetzt anstehende Änderung nicht.Seit dem 1. Mai 1998 geht die Zahl der Unfälle unterAlkohol eindeutig zurück.
Wir hätten doch testen können, ob das auf die Einführungder 0,5-Promille-Grenze zurückzuführen ist oder eine all-gemeine Tendenz ist.Auf jeden Fall ist die Tendenz eindeutig: Die alkohol-bedingten Unfälle gehen zurück.
Deshalb ist das hier mehr oder weniger einfach eineGschaftlhuberei; man macht etwas, damit man den Leu-ten erklären kann: Wir sind für mehr Sicherheit, wohl wis-send, dass die Sicherheit dadurch nicht gewährleistet ist.Deswegen hoffen wir, dass der Bundesrat dieses Gesetznicht durchwinkt.
Es ist zustimmungspflichtig. Immerhin gibt es auch SPD-Verantwortliche, die das so beurteilen. Der Hamburger In-nensenator zum Beispiel sagt, das seit dem 1. Mai 1998gültige Gesetz sei ausgezeichnet, es habe in Hamburgdazu geführt, dass über 13 Prozent weniger Unfälle mitAlkoholeinwirkung zu verzeichnen seien. Da kann mannur hoffen, dass noch mehr Leute so denken, damit es sobleibt.Wir lehnen es auf jeden Fall ab, weil die Verkehrssi-cherheit durch diese Verschärfung nicht gewährleistet ist;vielmehr treffen Sie hauptsächlich wieder denjenigen,den Sie ideologisch einfach nicht mögen: den Autofahrer.
Ich schließedie Aussprache.Wir kommen zu den Abstimmungen, zunächst zum Ta-gesordnungspunkt 5 a: Abstimmung über den von derBundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-rung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer straßen-verkehrsrechtlicher Vorschriften auf den Drucksa-chen 14/4304 und 14/5132. Der Ausschuss für Verkehr,Bau- und Wohnungswesen empfiehlt unter Buchstabe a)seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/5132 dieAnnahme des Gesetzentwurfes in der Ausschussfassung.Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion derCDU/CSU auf Drucksache 14/5152 vor. Über ihn werdenwir zunächst abstimmen. Wer stimmt für diesen Ände-rungsantrag der CDU/CSU-Fraktion? – Wer stimmt dage-gen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit denStimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS ge-gen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt.Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in derAusschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Georg Brunnhuber14326
chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge-setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit dem glei-chen Stimmverhalten der Fraktionen angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Werstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünenund PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P.angenommenWir stimmen nun über den Entschließungsantrag derFraktion der F.D.P. auf der Drucksache 14/5154 ab. Werstimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag istmit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen derF.D.P. abgelehnt.Tagesordnungspunkt 5 b: Der Ausschuss für Verkehr,Bau- und Wohnungswesen empfiehlt unter Buchstabe b)seiner Beschlussempfehlung in der Drucksache 14/5132,die Anträge der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/DieGrünen zur Regelung des Anwohnerparkens durch Städteund Gemeinden auf Drucksache 14/1258 und zum Verbotdes Mitführens von Radar- und Laserwarngeräten inKraftfahrzeugen auf Drucksache 14/1351 für erledigt zuerklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –Gegenprobe! – Enthaltungen? – Bei voller Einmütigkeitdes Hauses ist diese Beschlussempfehlung angenommen.Tagesordnungspunkt 5 c: Beschlussempfehlung desAusschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zudem Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel „Ge-schwindigkeitsbegrenzung auf 130 km/h auf Autobah-nen“, Drucksache 14/5076. Der Ausschuss empfiehlt, denAntrag auf Drucksache 14/1082 abzulehnen. Wer stimmtfür diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmendes Hauses gegen die Stimmen der PDS und die Stimmedes Abgeordneten Albert Schmidt , Bünd-nis 90/Die Grünen, angenommen.Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 6 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. NorbertLammert, Bernd Neumann , RenateBlank, weiterer Abgeordneter und der Fraktion derCDU/CSUJüdisches Museum, „Topographie des Ter-rors“, Mahnmal für die ermordeten Juden Eu-ropas– Drucksache 14/4249 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und gebe für den Antrag-steller das Wort zunächst dem Kollegen Dr. NorbertLammert, CDU/CSU.
Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegendenAntrag will die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dazu bei-tragen, dass endlich ein zwischen der Bundesregierungund dem Land Berlin abgestimmtes Konzept über die na-tionalen Gedenkstätten in der Hauptstadt entwickelt unddie unwürdige Hängepartie, die es nun seit vielen Mona-ten um den Weiterbau und die Fertigstellung der „Topo-graphie des Terrors“ gibt, überwunden wird. Diese ist derBedeutung dieses Platzes und seiner Geschichte völligunangemessen.
Die Stiftung „Topographie des Terrors“ verfolgt einesder wichtigsten Bauprojekte im Rahmen der Gedenkstät-ten der Bundeshauptstadt. Für die CDU/CSU-Fraktionsteht dieses Vorhaben in einem nicht auflösbaren Zusam-menhang mit dem Mahnmal der ermordeten Juden Euro-pas und dem im Aufbau befindlichen Jüdischen Museum.
Mit dem Denkmal soll der jüdischen Opfer gedacht wer-den, das Museum rekonstruiert gewissermaßen die zer-störte jüdische Geschichte in Deutschland. Die „Topogra-phie des Terrors“ fragt nach den Voraussetzungen dernationalsozialistischen Verbrechen, nach der Gesellschaft,in der diese Verbrechen möglich wurden, und nach denPersonen, die sie planten und durchführten.Meine Damen und Herren, für alle drei Projekte sinddurch die Beauftragung international renommierter Archi-tekten baulich herausragende Lösungen gefunden worden.Dass sie nicht nur auffällig, sondern umstritten sind,spricht nicht gegen die Qualität dieser Entwürfe, die imÜbrigen in der Fachwelt fast ungeteilte Zustimmung ge-funden haben; das ist mehr als ungewöhnlich. Sie setzenallesamt auch in meiner Beurteilung ein überzeugendesäußeres Zeichen für das Anliegen, das an diesen Stättenzum Ausdruck kommen soll.Wir wollen mit diesem Antrag das ausdrückliche Inte-resse des Bundestages an der Fertigstellung aller drei Pro-jekte und an einem überzeugenden Konzept ihrer jeweili-gen aufeinander bezogenen Arbeit zum Ausdruck bringen.
Nun ist allen Beteiligten klar, dass die Realisierungdieser Projekte mit vielfältigen, übrigens nicht nur finan-ziellen Aufwendungen verbunden ist. Ich möchte deswe-gen für meine Fraktion auch ausdrücklich klarstellen, dassdie getroffenen Grundsatzentscheidungen der Regierun-gen und Parlamente von Bund und Land Berlin in keinemder drei Fälle beliebige Kostenentwicklungen rechtferti-gen. Niemand darf sich ernsthaft auch nur andeutungs-weise darauf verlassen, dass es, weil die Entscheidungnun einmal getroffen sei, nun auf Kosten nicht mehr an-komme.
Vielmehr muss bei allen drei Projekten sichergestelltwerden, dass die beabsichtigten Lösungen unter Berück-sichtigung der finanziellen Belastung der öffentlichen
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters14327
Haushalte und ihrer anderen Verpflichtungen so kosten-günstig wie möglich umgesetzt werden.
Dies gilt sowohl für die erforderlichen Investitionen wiefür die späteren Betriebskosten. Genauso deutlich sageich aber: Das gilt bitte schön für alle drei Projekte.Wir können uns nicht mit einer heimlichen Hierarchiedieser Projekte abfinden, nach der Kosten an einer Stellekeine Rolle spielen, deswegen aber an anderer Stelleumso sorgfältiger gespart werden müsse.
– Ich bin zwar sicher, Herr Kollege Barthel, dass Sie dasauch ohne Erläuterung verstanden haben, ich erläutere esIhnen aber gerne: Mit der Entscheidung des Bundestages,die Kosten und die Verantwortung für das Mahnmal fürdie ermordeten Juden zu übernehmen, mit der Entschei-dung der Bundesregierung, die komplette Verantwortungfür das Jüdische Museum zu übernehmen, einschließlichder damit verbundenen Kosten, ergibt sich ein – ich un-terstelle einmal – von niemandem beabsichtigter, abertatsächlicher Druck auf das dritte verbleibende Objekt,das sich in einer für uns alle peinlichen Situation befindet,wie wir nun seit Monaten mit wachsendem Erschrecken,wie ich einmal zu unser aller Gunsten unterstellen will,beobachten. Deswegen bleiben Bund und Land nach derEntscheidung des Bundestages in der Verantwortung, fürdie beiden Einrichtungen, also für das Jüdische Museumund für die „Topographie des Terrors“, Lösungen zu fin-den, die ihre Fertigstellung und künftige Arbeit dauerhaftsichern. Es gibt keinen überzeugenden Grund, dass derBund dies für das Jüdische Museum sicherstellt und fürdie „Topographie des Terrors“ offen lässt.
Ich will im Übrigen eines ausdrücklich hinzufügen:Möglicherweise wird gleich – hoffentlich aber nicht – vonder Koalition vorgetragen, es gebe ein Gedenkstätten-konzept des Bundes und natürlich sei der Bund bereit, fürdiese Gedenkstätte – in gleicher Weise wie für Dutzendeanderer Gedenkstätten an anderer Stelle in Deutschland –Mitverantwortung zu übernehmen. Ich sage gleich vorab,weil ich nur einmal reden darf: Die „Topographie des Ter-rors“ kann nicht mit Sachsenhausen, Bergen-Belsen oderBuchenwald verglichen werden. Wir haben in Berlin imGrunde genommen nur noch eine authentische Stätte,die an die entsetzliche Naziterrorherrschaft erinnert. Diebeiden Zentren der NS-Herrschaft waren die Reichskanz-lei und das Prinz-Albrecht-Gelände. Von der Reichskanz-lei ist im Stadtbild Gott sei Dank – in diesem Zusammen-hang müsste man wohl eher „leider“ sagen – überhauptnichts mehr zu sehen. Auch das Prinz-Albrecht-Geländewäre in der Verdrängungsneigung der Nachkriegsjahrebeinahe ebenso unkenntlich verschwunden. Wir habennun seit der Wiederentdeckung dieses Geländes und sei-ner überragenden historischen Bedeutung im Kontext desBerliner Stadtjubiläums eine Entwicklung, in der dasLand wie der Bund zu Recht eine besondere Verantwor-tung entdeckt und auch wahrgenommen haben, aus dersich nun die Entwicklung dieses Konzepts ergeben hat.Wenn es denn – auch das will ich sagen – so etwas wieeine Gewichtung dieser drei Projekte geben müsste, fürdie ich ausdrücklich nicht werbe, dann könnte ich allemaleher den Vorrang der „Topographie des Terrors“ gegen-über den anderen beiden Projekten begründen als umge-kehrt. Sie ist die unverzichtbare Verbindung zwischen derDarstellung einer jahrhundertelangen, dann durch organi-sierten staatlichen Terror unterbrochenen jüdischen Ge-schichte im Jüdischen Museum und dem Mahnmal zur Er-innerung an die Opfer dieser Vernichtungsorgie. Dies istnach meiner Überzeugung eine der wichtigsten politi-schen Gedenkstätten zumindest in Deutschland, wennnicht sogar weit darüber hinaus. Deswegen haben wir hiereine besondere Verantwortung.Es passt recht gut in diesen Zusammenhang, dass wirmorgen den jährlichen Tag des Erinnerns an die Opfer desNaziregimes begehen, der den Bundestag nicht nur zu fol-genlosen Gedenkstunden, sondern auch zu nachprüfbarenBekundungen seines Interesses an der Aufrechterhaltungdieser historischen Verantwortung zusammenführen sollte.Ich habe schon darauf hingewiesen, dass dieser Platz– früher mit dem Prinz-Albrecht-Palais – nicht nur eineder ganz wenigen verbleibenden authentischen Stättendes Naziregimes in Deutschland ist. Er ist gleichzeitigeine Stätte, die an Verdrängungsübungen in der Nach-kriegsgeschichte erinnert. Ich habe keinen Zweifel daran,dass wir in dem grundsätzlichen Anliegen keine Mei-nungsverschiedenheiten zwischen den Fraktionen habenund uns nicht darüber streiten müssen, dass es sich hierum eine ganz originäre und besondere Verpflichtung desBundes handelt. Was sich auf diesem Gelände abgespielthat, das 1933 von der Gestapo und 1939 vom Reichssicher-heitshauptamt bezogen wurde, ist nicht Berliner Stadtge-schichte, sondern Nationalgeschichte. Leider ist es dasdunkelste Kapitel, das es in unserer Nationalgeschichtegibt.Es gibt im Übrigen auch einen ganz praktischen Zu-sammenhang, aufgrund dessen wir das Gesamtkonzeptfür unverzichtbar halten. Diese drei Einrichtungen befin-den sich glücklicherweise nur wenige hundert Metervoneinander entfernt, sie sind wie auf einer Perlenschnuraufgereiht. Es gibt keinen vernünftigen Grund dafür, indiesen drei Einrichtungen jeweils gleiche Vortragsräume,Ausstellungen, Dokumentationen und Lesesäle vorzu-halten. Man kann durch einen inhaltlich konzeptionellenZusammenhang einen in jeder Beziehung nicht nur be-gründbaren, sondern auch vernünftigen Beitrag zurKosteneinsparung leisten. Auch deswegen müssen wir da-rauf bestehen, dass endlich dieser Gesamtzusammenhanghergestellt wird.Lassen Sie mich zum Schluss eine eher persönliche Be-merkung machen. Ich habe in den vergangenen Tagen,zum Teil mit ausdrücklichem Hinweis auf unsere heutigeDebatte, einige – ich sage es einmal höflich – sehr enga-gierte Bürgerbriefe bekommen. Unter ihnen waren einigeausgesprochen unfreundliche, um nicht zu sagen übleSchreiben – ich möchte sie nicht zitieren –, die sich auf dieErrichtung von Gedenkstätten im Allgemeinen und auf dasErinnern an jüdische Opfer im Besonderen beziehen undin denen das Engagement der Union und mein persönli-cher Einsatz beklagt bzw. beschimpft werden.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Dr. Norbert Lammert14328
Ich trage das nur aus einem einzigen Grund vor: Dasses solche Briefe immer noch gibt, hat mich in meiner per-sönlichen Überzeugung sehr bestärkt, dass das wieder-vereinigte Deutschland in seiner Hauptstadt demonstra-tive Zeichen setzen muss, Zeichen des Erinnerns, desGedenkens und insbesondere unserer festen Entschlos-senheit, die nach dem völligen politischen und morali-schen Zusammenbruch dieses Landes mühsam wieder er-richtete deutsche Demokratie und das Leben und dieFreiheit aller Menschen, die in diesem Lande leben, wel-cher Nationalität und religiösen Überzeugung auch im-mer, mit allen Kräften zu verteidigen.
Ich erteile
das Wort dem Kollegen Eckhardt Barthel für die Fraktion
der SPD.
Meine Damen und
Herren! Herr Lammert, wer könnte dem widersprechen,
was Sie zum Schluss gesagt haben? Wer könnte Ihrem
Wunsch widersprechen, dass alle drei Institutionen auch
wirklich realisiert werden? Ich gehe davon aus, dass da-
rüber Konsens in diesem Haus besteht.
Das Ziel, das Sie hier nennen, teile ich – ich glaube,
auch meine Fraktion – voll und ganz. Ich habe jetzt aber
die Aufgabe, über Ihren Antrag zu reden, der im Aus-
schuss sicher intensiv behandelt werden wird. In diesem
Antrag fordern Sie den Bundestag auf, in sich abge-
stimmte, gut durchdachte und auch von der gesamten Op-
position bisher mitgetragene und nicht infrage gestellte
Konzeptionen neu zu ordnen. Man könnte diesen Antrag
so zusammenfassen, dass ebenso wie das Mahnmal für die
ermordeten Juden Europas und das Jüdische Museum
auch die „Topographie des Terrors“ in die volle Träger-
schaft des Bundes überführt werden soll.
– Sehen Sie, Sie sagen Ja und Herr Nooke schüttelt den
Kopf und sagt Nein. Es ist schon ein wenig bezeichnend,
wie das Meinungsbild in Ihrer Fraktion ist. Das aber ist
nicht mein Problem.
Es ist allerdings interessant, dass sich diese Unter-
schiedlichkeit auch im Text wiederfindet. Er drückt näm-
lich nicht klar und deutlich aus, dass es um die Träger-
schaft geht. Das muss man erst aus dem Antrag
herauslesen. Schauen Sie sich doch Ihren vierten Punkt
an! Dort steht:
Es gibt keinen überzeugenden Grund, dass der Bund
dies
– die Übernahme –
für das Jüdische Museum sicherstellt und für die
„Topographie des Terrors“ offen lässt.
Wenn man lesen kann und der deutschen Sprache mäch-
tig ist, heißt das, dass es im Kern um die Übernahme der
„Topographie des Terrors“ durch den Bund geht.
Ich gestehe, Sie haben das sehr gut dargestellt. Auf den
ersten Blick liegt diesen Überlegungen eine gewisse Lo-
gik zugrunde: das Jüdische Museum als Ort der Darstel-
lung des jüdischen Lebens und des Zusammenlebens mit
ihnen über Jahrhunderte hinweg, die „Topographie des
Terrors“ als Ort der Täter und das Mahnmal für die er-
mordeten Juden Europas als Ort der Erinnerung. Man
könnte fast sagen, das ist ein Drei-Säulen-Modell. Das be-
zieht sich auch auf den räumlichen Zusammenhang.
Dies hat nur einen Haken und der wird erst auf den
zweiten Blick sichtbar: Es handelt sich hier nur um eine
sehr begrenzte Sicht und eine begrenzte Logik; denn
natürlich fallen demjenigen, der darüber nachdenkt, auch
andere Orte ein. Ich denke zum Beispiel an die Villa am
Wannsee.
Dort wurde der Mord an den europäischen Juden organi-
siert.
Damit das nicht schief klingt: Ich glaube Ihnen hun-
dertprozentig, dass Sie die drei Institutionen nicht unter-
schiedlich werten wollen. Ich freue mich, dass Ihre Frak-
tion mit diesem Antrag die Bedeutung dieser drei
Institutionen so hoch hebt. Ich bin auch weit davon ent-
fernt, zu glauben, dass das bedeutet, dass Ihrer Meinung
nach andere Institutionen weniger Anerkennung verdie-
nen. Aber sie verengen den Blick zu stark auf diese drei
Institutionen.
Noch etwas ist für die Formulierung Ihres Antrags be-
zeichnend: Begriffe wie Gedenkstättenkonzeption oder
Hauptstadtkulturvertrag tauchen in diesem Antrag er-
staunlicherweise gar nicht auf. Wenn Sie aber tatsächlich
eine Gleichbehandlung von Jüdischem Museum und „To-
pographie des Terrors“ wollen, muss sich der Blick sofort
auf den Hauptstadtkulturvertrag richten. Sie verschwei-
gen diese Tatsache; man kann dies aber nicht beiseite
schieben. Der Grund für diese Betrachtungsweise ist: In-
dem Sie den Blick auf ein wichtiges Einzelelement legen,
verlieren Sie den Überblick über die Dimension bundes-
staatlicher Kulturpolitik.
Herr Kol-
lege Barthel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Lammert?
Aber natürlich.
Ich bedanke michsehr. – Herr Barthel, Sie haben völlig zu Recht auf den Zu-sammenhang mit dem Hauptstadtkulturvertrag hingewie-sen. Wie Sie wissen, lag ein gesonderter Antrag zu diesemThema vor, zu dem wir inzwischen eine gemeinsame Ver-einbarung getroffen haben. Der entscheidende Punkt– deswegen greife ich Ihren Hinweis gerne auf – ist: Wirhaben die Sorge, dass mit dem Unterschreiben des vorlie-genden Hauptstadtkulturvertrages die Schieflage festge-zurrt wird, die wir mit Blick auf die Gedenkstätten in die-sem Antrag reklamieren.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Dr. Norbert Lammert14329
Deswegen ist meine Frage: Könnten Sie sich nichtauch vorstellen – nachdem Sie Ihre prinzipielle Sympa-thie und Übereinstimmung mit den vorgetragenen Über-legungen bekundet haben –, dass man im Rahmen desHauptstadtkulturvertrages, der noch nicht unterzeichnetist, eine Vereinbarung zwischen Bund und Land Berlintrifft, die die Gleichrangigkeit dieser Institutionen durcheine entsprechend gleichartige Verantwortung des Bundesund des Landes in belastbarer Weise zum Ausdruckbringt?
Es ist schon sehr
erstaunlich, dass Sie dies in Form einer Zwischenfrage
vorbringen und dies nicht Teil Ihres Antrages ist.
Ich gehe gleich im Rahmen meiner Ausführungen auf Ihre
Frage in Bezug auf den Hauptstadtkulturvertrag ein. In-
sofern brauchen Sie nicht stehen zu bleiben. Sie dürfen
sich setzen.
Sie hätten
die Chance gehabt, Ihre Redezeit um die Zeit zu verlän-
gern, die der Abgeordnete Lammert steht. Aber Sie sind
sehr großzügig.
Sehen Sie, ich binso gutmütig, dass ich die Kollegen nicht überstrapazierenmöchte.Herr Lammert, soviel ich weiß, wird der Hauptstadt-kulturvertrag in Kürze unterschrieben. Es soll Gesprächezwischen dem Staatsminister und dem Kultursenator ge-geben haben. Der Grund, warum ich dagegen bin, die ent-sprechenden Elemente in den Hauptstadtkulturvertragaufzunehmen, ist: Wir sind uns wohl alle darüber einig,dass die Erinnerungskultur bei der Förderung der Kulturin der Hauptstadt einen hohen Stellenwert haben muss.Ich möchte nicht, dass sich diese Förderung auf die Erin-nerungskultur reduziert bzw. begrenzt.
Wenn man Ihren Antrag zu Ende denkt – im Wissen umdie Begrenztheit der Mittel des Bundes für Berlin –,kommt man zu der Feststellung, dass es darauf hinaus-liefe. Wir wollen im Bewusstsein der Vergangenheit mitMitteln des Bundes für die Hauptstadt auch Gegenwärti-ges für die Zukunft schaffen.
Das ist ein anderer Ansatz. Mit uns wird es deswegensicherlich nicht dazu kommen, dass dieser Vertrag neuverhandelt wird, mit allen Konsequenzen.Herr Lammert, ich habe neulich in der „Welt“ einen Ar-tikel von Ihnen gelesen. Danach stimmen Sie zu, dass viervon fünf Institutionen per Hauptstadtkulturvertrag durchden Bund übernommen werden sollen. Sie begrüßen dieEinbeziehung der Werkstatt der Kulturen der Welt in denHauptstadtkulturvertrag, ebenso die des Gropiusbaus unddie des Jüdischen Museums sowieso. Auch sprechen Siesich – dafür bin ich sehr dankbar – für den Hauptstadt-Kulturfonds aus. Das einzige, wozu Sie eine andere Mei-nung haben, sind die Festspiele. Aber kann sich eine Re-gierungskoalition mehr wünschen, als dass von derOpposition vier von fünf Punkten zugestimmt wird? Dasist doch eine schöne Sache.
– Dies ist nicht dabei. Aber wir haben, glaube ich, mit die-sem Hauptstadtkulturvertrag eine gute Basis gefunden,für die wir breite Zustimmung finden. Deshalb hoffe ichauch, dass er bald unterschriftsreif sein wird. Eigentlichist er ja schon überfällig, wenn wir ehrlich sind; denn seitdem 1. Januar sind bereits die Weichen gestellt.Erlauben Sie mir noch ein Wort zur „Topographie desTerrors“: Wie hat das Prinz-Albrecht-Gelände denn früherausgesehen? Hier gibt es durchaus ein Stück Verdrängung.Auf diesem Gelände konnten Leute ohne Führerschein mitdem Auto herumfahren. Das war eine schlimme Sache unddeswegen bin ich froh, dass der Berliner Senat dieses Pro-jekt aufgegriffen hat.Dass die Kosten inzwischen so in die Höhe gestiegensind – da geht es nicht um Mehrkosten in Höhe von10 Prozent; Sie wissen genau, um welche Dimensionen essich hier handelt –, ist allerdings nicht nur der Berliner Po-litik zuzuschreiben; das muss man ehrlich sagen. Es gibteine Menge Probleme mit dem, was der Architekt vorhat.Auf der anderen Seite würde ich mich riesig freuen, wennanalog zu der gelungenen Gestaltung des Mahnmals undder wunderbaren Architektur des Jüdischen Museums einsehr attraktives Gebäude als „Topographie des Terrors“gebaut würde. Dies ist abzuwägen. Aber ich gebe IhnenRecht, dass die Kosten nicht beliebig nach oben gehenkönnen.In einem Punkt Ihres Antrags haben Sie Recht: Es darfkein unabgestimmtes Verhalten und erst recht kein Ge-geneinander zwischen den drei Institutionen geben.
Ich erinnere Sie an die Diskussion über das Mahnmal, wodies eine große Rolle spielte. Ich bin eigentlich ganz froh,dass wir im Hinblick auf das, was Sie hier fordern, schonauf dem richtigen Weg sind. Sehen Sie sich einmal an, werim Kuratorium der Stiftung „Denkmal für die ermorde-ten Juden Europas“ sitzt! In ihm ist die „Topographie desTerrors“ mit Herrn Professor Rürup vertreten, der darüberhinaus auch in der Arbeitsgruppe für die inhaltliche Kon-zeption des „Ortes der Information“ tätig ist.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Dr. Norbert Lammert14330
Mit Herrn Professor Blumenthal ist das Jüdische Museumvertreten. Auch andere Institutionen, über die Sie nichtgesprochen haben, sind dort vertreten; beispielsweise ver-tritt Dr. Morsch die Gedenkstätte und das Museum Sach-senhausen. Das Ziel, das Sie zu Recht in Ihren Antrag hi-neingeschrieben haben, wird hier bereits umgesetzt.Insofern kann ich sagen, dass wir schon dort sind, wohinSie mit Ihrem Antrag erst noch wollen.Ich bin sicher, dass der Bund nicht die volle Träger-schaft der „Topographie des Terrors“ übernehmen wird.Aber er wird seiner Verpflichtung, dieses Projekt finanzi-ell zu unterstützen, nachkommen, wenn klare, überprüf-bare Zahlen für den Bau der „Topographie des Terrors“vorliegen werden. Das ist jedenfalls die Meinung meinerFraktion und auch – dessen bin ich genauso sicher – dieMeinung des Staatsministers für Kultur.Ich bedanke mich.
Ich erteile
der Kollegin Ina Albowitz das Wort. Sie spricht für die
F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr ver-ehrten Damen und Herren! Meine Fraktion hält die Er-richtung der „Topographie des Terrors“ für richtig, im Zu-sammenhang mit der Gestaltung der beiden anderenzentralen Orte der Auseinandersetzung Deutschlands mitseiner NS-Vergangenheit, dem Holocaust-Mahnmal unddem Jüdischen Museum, sogar für zwingend notwendig.Herr Kollege Lammert, trotzdem lehnen wir den vor-liegenden Antrag ab. Ich will dies auch begründen. Auchwenn Deutschland, meine Damen und Herren, inzwi-schen von Berlin aus regiert wird, ist der Bund nicht dazuda, ständig Fehler der Berliner Landesverwaltung auszu-bügeln.
Die „Topographie des Terrors“ ist im Übrigen kein Ein-zelfall, wenn es um Beispiele für Missmanagement derBerliner Bauverwaltung geht. Dort regiert – alle Insiderwissen das – seit vielen Jahren der Schlendrian. Die Bau-geschichte der „Topographie des Terrors“ könnte man sar-kastisch als Krönung der Geschichte institutioneller Un-fähigkeit bezeichnen.
Sie hätte längst errichtet sein können; wir befassen unsseit Jahren mit diesem Thema.Ich hätte mir im Übrigen gewünscht, dass die Grund-steinlegung für das Holocaust-Mahnmal – der Grundsteinhätte eigentlich Samstag vor zwei Jahren gelegt werdensollen – inzwischen erfolgt wäre. Aber wir warten nochimmer darauf. Wie man den Ticker-Meldungen vom heu-tigen Tage entnehmen kann, wird sie, wenn wir Glück ha-ben, noch in diesem Jahr erfolgen.Zu Recht erinnern wir uns – auch die Länder Berlinund Brandenburg – in diesem Jahr an 300 Jahre preußi-sche Geschichte. Von den berühmten preußischen Tugen-den allerdings, Herr Kollege Barthel, von Sparsamkeitund Disziplin, ist in der Berliner Bauverwaltung so gutwie nichts mehr übrig geblieben.
Ich frage deswegen die CDU/CSU-Fraktion: Weshalblassen Sie sich, Herr Kollege Lammert, vor den Karrendieser Verwaltung spannen, einer Verwaltung, die zuerstMillionen Steuergelder in den sprichwörtlich märkischenSand setzt und dann, wenn sie nicht mehr weiter weiß,nach dem Bund ruft? Aber das tun aus Sicht der Berlinernicht nur Sie, sondern auch andere.Dem alten Westberliner Prinzip „Der Bund wird esschon richten“ muss endlich ein Riegel vorgeschoben wer-den, auch deshalb, weil es die anderen Bundesländer leidsind, dass die Rolle des Zahlmeisters in Berlin peu à peuvom Bund übernommen und die Hauptstadt damit einsei-tig gegenüber dem Rest der Republik bevorzugt wird.Meine Fraktion wird nicht einer Politik die Hand rei-chen, die über die bisherigen 100 Millionen DM für dieBerliner Kulturförderung hinaus weitere finanzielle Leis-tungen des Bundes einfordert. Die Stiftung „Topographiedes Terrors“ findet im Rahmen des Gedenkstättenkon-zeptes des Bundes ausreichend Berücksichtigung. Dortgilt auch der Grundsatz der hälftigen Finanzierung durchden Bund und das Sitzland.Herr Kollege Lammert, lassen Sie mich in diesem Zu-sammenhang eine persönliche Bemerkung machen. Wirhaben in den letzten Legislaturperioden ein Gedenkstät-tenkonzept verabschiedet – ich durfte das damals in Ver-antwortung einer Regierungskoalition für meine Fraktionmachen und die Kollegin Steinbach für ihre Fraktion –,das von beiden Fraktionen getragen wurde, die Zu-stimmung des Finanzministers erhielt und mit den Län-dern vereinbart wurde. Deswegen kann ich mich eigent-lich nur wundern, dass Sie heute von dem Grundsatz derhälftigen Teilung der Kosten bestimmter GedenkstättenAbstand nehmen wollen; die „Topographie des Terrors“gehörte schon damals dazu. Ich würde mir wünschen,dass man sich, auch wenn man nicht mehr so in der Ver-antwortung steht, trotzdem noch an seine vorherige Ver-antwortung erinnert. Ich fordere deshalb die Berliner Ver-antwortung ein. Zunächst muss das Gesamtkonzeptvorliegen und Berlin seine Hausaufgaben machen.Gabriele Kamphausen, die engagierte Direktorin derStiftung „Topographie des Terrors“, hat, wie man der„FAZ“ entnehmen kann, aufgezeigt, wie viel Zeit, Kraft,Energie und Geld in den vergangenen fünf Jahren durchVerzögerung, Aussitzen, Desorganisation, Schlampereiund Desinteresse der Berliner Bauverwaltung verschwen-det worden seien. Das heißt für uns, dass der Senat ersteinmal die Karten auf den Tisch legen muss. Dann redenwir weiter.Ich bedanke mich.
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Eckhardt Barthel
14331
Wenn Sie
möchten, dürfen Sie noch eine Frage stellen, Herr
Lammert.
Entschuldigung, Herr
Lammert, ich habe Sie nicht gesehen, da ich so fasziniert
den Kollegen Barthel als Berliner angeschaut habe.
Ich habe fast al-
les verstanden, was Sie vorgetragen haben, nur einen
Punkt nicht, für dessen Erläuterung ich dankbar wäre.
Worin besteht nach Auffassung Ihrer Fraktion der Unter-
schied zwischen dem Jüdischen Museum und der „Topo-
graphie des Terrors“ bei der Behandlung der Förderung
durch den Bund?
Ich gebe Ihnen Recht: Es gibt
nicht sehr viele Unterschiede.
– Entschuldigung, wir reden von der Finanzierung.
Damit ist die
Frage beantwortet.
Ich gebe nunmehr der Kollegin Dr. Antje Vollmer für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieTatsache, dass die CDU/CSU so fleißig ist, im Bereich derKulturpolitik Anträge zu stellen, gibt uns wieder einmaldie schöne Gelegenheit, auf das zurückzublicken, was wirschon alles geschafft haben: zum Beispiel die Gedenk-stättenkonzeption des Bundes. Sie forderten uns auf, einKonzept zu erstellen, was wir getan haben. Die Kon-zeption des Bundes mit der hälftigen Finanzierung ist einsehr großer Fortschritt, der uns in diesen Bereichen unge-heuer gedankt wird.
Die Kulturpolitik des Bundes hat Freunde unter denen,die für die Gedenkstätten verantwortlich sind. Im Übrigenbefinden sich darunter vielfach Verantwortliche in den al-ten Bundesländern; denn wir hatten die ungewöhnlicheSituation, dass die Lage der Gedenkstätten in den altenBundesländern noch kritischer war als die Lage in denneuen Bundesländern. Wir brauchen aber nicht ständigneue Konzepte angesichts der Tatsache, dass wir geradeein gutes Konzept, das allseits Zustimmung gefunden hat,erstellt haben.Wir haben nach langen Auseinandersetzungen dieEntscheidung im Deutschen Bundestag gemeinsam ge-fällt, das Mahnmal für die ermordeten Juden Europaszu errichten. Diese schwierige Debatte hat am Ende alsodoch zu einem Konsens geführt. Die Verantwortung, diesich daraus ergibt, wird von allen in diesem Haus getra-gen. Der Einzige, der es ein wenig an Anerkennung fürdiese Entscheidung fehlen lässt, ist der Regierende Bür-germeister von Berlin, Herr Diepgen, der nicht einmal beider Grundsteinlegung anwesend war.
Die Verantwortung für das Jüdische Museum wirdnach dem Hauptstadtkulturvertrag voll vom Bund über-nommen. Wir alle warten auf das Konzept für diesesHaus. Wir wissen, dass das Konzept von den Museums-fachleuten unter der Leitung von Michael Blumenthal er-stellt wird. Es ist nicht Sache des Gesetzgebers, ein sol-ches Konzept zu erstellen. Warum sollten wir auch einKonzept erstellen, wenn es die Museumsfachleute vielbesser tun können?Die Frage, warum das Jüdische Museum ein Teil desHauptstadtkulturvertrages ist – Herr Lammert, dieseFrage stellen Sie ständig –, ist damit zu beantworten, dassdas Land Berlin genau diese Regelung wollte. Das LandBerlin wollte nämlich, dass der Bund die Verantwortungfür das Jüdische Museum übernimmt. Es waren damalsmehrere Möglichkeiten in der Diskussion. Es handelt sichum eine Konsenslösung, auf die sich das Land Berlin mitdem Staatsminister geeinigt hat. Gemäß dieser Einigungübernehmen wir die gesamte Verantwortung für diesesProjekt. Die Antwort auf Ihre Frage, warum es dieses undnicht ein anderes Haus ist, lautet, dass damals dieses Pro-jekt und nicht ein anderes ausgewählt wurde.Ich komme zu der „Topographie des Terrors“. Ichfreue mich, dass Ina Albowitz schon sehr Kluges und auchsehr Treffendes dazu gesagt hat, was die wirkliche Miseredieses Hauses ist. Sie sollten eines zugeben, HerrLammert: Der Grund, warum Sie die „Topographie desTerrors“ jetzt in diesem Zusammenhang erwähnen, liegtnicht in der inhaltlichen Konzeption, sondern in der Tat-sache begründet, dass sich dieses Haus in ganz besonde-ren Schwierigkeiten befindet. Wie die Kollegin Albowitzschon bemerkt hat, liegt die Verantwortung für diese Fehl-planung bei der Berliner Bauverwaltung.
– Aber es hat eine Entscheidung gegeben.
Wenn wir, lieber Herr Lammert, die Kosten zusammen-rechnen würden, die Sie im Falle von Schwierigkeitendem Bund zuschustern wollen, dann könnten wir die ge-samte Berliner Kulturpolitik übernehmen. Sie wissen sehrwohl, dass uns das eine Menge Schwierigkeiten mit IhrenKollegen in den Ländern, beispielsweise mit den CDU-Kulturpolitikern in Baden-Württemberg, bereiten würde.Deswegen ist es völlig klar und entspricht auch den Re-geln einer geordneten Haushaltsführung, dass man nur fürbestimmte Institutionen die Verantwortung übernehmenkann und sie dann auch trägt. Genau dazu fordern wir dasLand Berlin auf.
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Was die „Topographie des Terrors“ betrifft, sind wir jabereit, im Rahmen der Gedenkstättenkonzeption einengroßen Anteil zu übernehmen. Selbstverständlich gehörtdazu die hälftige Finanzierung. Wir haben signalisiert,dass wir bereit sind, höhere Belastungen in einem bere-chenbaren Umfang zu übernehmen, weil wir sehr wohlwussten, welche planerische Katastrophe sich da an-gebahnt hat. Das Land Berlin muss uns nun aber endlichklare Zahlen nennen; sie liegen bis heute nicht vor.
In einer solchen Situation zu sagen: „Wir wollen unsdes Bundes sozusagen als Goldesel bedienen, wenn etwasin den Ländern schief gelaufen ist“ widerspricht ganz undgar den Richtlinien einer korrekten Haushaltsführung,von der Sie wissen, dass wir uns darum ebenso bemühenwie um eine in sich schlüssige und miteinander abge-stimmte Kulturpolitik.Deswegen sehe ich trotz aller positiven Punkte, die Sieuns genannt haben, für uns keine Möglichkeit, Ihrem An-trag zuzustimmen. Wir werden darüber aber noch reden.Danke.
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich der Kollegin Monika Griefahn das
Wort.
Frau Albowitz, Sie haben ei-
nige richtige Bemerkungen – Frau Vollmer hat dies schon
erwähnt – bezüglich der hälftigen Finanzierung des Ge-
denkstättenkonzeptes gemacht. Ich denke, das ist eine der
großen Errungenschaften.
Aber Sie haben auf die Nachfrage des Kollegen
Lammert, was der Unterschied zwischen Jüdischem Mu-
seum, Holocaust-Mahnmal und „Topographie des Ter-
rors“ sei, gesagt: Da ist kein Unterschied, da gebe ich Ih-
nen Recht. – Ich muss Ihnen entschieden widersprechen,
denn die Gedenkstättenkonzeption beinhaltet die authen-
tischen Gedenkstätten, während das Jüdische Museum
und das Holocaust-Mahnmal „Extraeinheiten“ sind. Das
Jüdische Museum war ursprünglich als Anhang zu einem
städtischen Museum geplant und das Holocaust-Mahnmal
sollte nach dem Beschluss des Deutschen Bundestages in
einer eigenen Stiftung und als eigenes Denkmal, nicht an
einem authentischen Ort, errichtet werden.
Insofern hat die Forderung, für die „Topographie des
Terrors“ im Gedenkstättenkonzept die anteilige Finanzie-
rung von 50 Prozent beizubehalten, durchaus seine Logik.
Es geht dabei nicht um 50 Prozent von irgendetwas, son-
dern um 50 Prozent von einem konkret vorgelegten Kon-
zept, das nicht irgendwann ausufern darf, nur weil das
Land Berlin keine Verträge machen kann, die auch einge-
halten werden. Dafür muss ein Vertrag geschlossen wer-
den, der, wie es auch beim Holocaust-Mahnmal gesche-
hen ist, Regelungen beinhaltet, nach denen das Risiko von
Mehrkosten beim Architekten und nicht beim Auf-
traggeber liegt.
Frau Kollegin, Sie
wollen antworten? – Bitte sehr.
– Ein Mitglied des Bundesrates darf immer reden, Herr
Kollege.
Bitte sehr, Frau Kollegin Albowitz.
Einige Kollegen dürfen zwölf
Minuten reden, ich aber nur drei Minuten. Es ist schwie-
rig, mich in so kurzer Zeit konkret auszudrücken. Das
können Sie sicher nachvollziehen.
Meine Einlassungen zur Frage des Kollegen Lammert
bezogen sich – das haben Sie vielleicht nicht verstanden –
auf die Situation der Zeit vor 1998, auf die Gedenkstät-
tenkonzeption und die hälftige Finanzierung. Die Frage,
ob es da einen Unterschied gebe, habe ich knapp mit Ja
beantwortet.
Wenn ich noch sieben Minuten hätte reden dürfen,
hätte ich mit Sicherheit gerne mehr dazu gesagt. Ich bin
dankbar, dass ich jetzt wenigstens kurz Stellung dazu neh-
men kann. Ich hätte gerne noch etwas zu den Plänen der
Berliner Landesverwaltung und zu den Konzepten, die
Sie vorlegen, gesagt. Kosten sie 80 Millionen DM oder
noch mehr? Ich glaube, der Finanzminister wird sich herz-
lich bedanken, wenn die Schraube immer weiter nach
oben gedreht wird.
Wir können gerne noch darüber sprechen. Denken Sie
bitte daran, dass das in dreieinhalb Minuten nicht möglich
war.
Nun hat das Wort der
Kollege Professor Dr. Heinrich Fink für die PDS-Frak-
tion.
Ich werde mich hüten. –Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Die im Antrag der CDU/CSU enthaltenen For-derungen nach einer Gesamtkonzeption für die drei Ber-liner Mahn- und Gedenkstätten erscheinen mir sehr plau-sibel und aus historischen Gründen sehr zu unterstützen.Insofern begrüßen wir den Antrag der CDU/CSU undwerden ihm auch zustimmen, gerade weil der RegierendeBürgermeister von der CDU nicht gerade Sympathisantder drei Gedenkstätten ist; seine Meinung hat er wohl bisheute nicht geändert.
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Dr. Antje Vollmer14333
Es wäre also zu wünschen, dass die Antragsteller beiihren Parteifreunden im Berliner Senat mindestens so vielZustimmung fänden, wie sie es in diesem Hause erwarten.Denn die werden sie brauchen, wenn es eine zwischenBund und Berlin abgestimmte Gesamtkonzeption gebensoll.Besonders beschämend steht es derzeit um die „Topo-graphie des Terrors“. Der Berliner Senat lässt kaum er-kennen, dass er das Projekt, das auf einen eigenen Be-schluss von vor nun fast fünf Jahren zurückgeht,überhaupt noch will. Deshalb wäre es nicht hilfreich,wenn sich der Bund bei den zugesagten 50 Prozent Fi-nanzierung bereits jetzt, vor Vorliegen des endgültigenGutachtens, auf eine Kostenobergrenze versteife. Eswürde keinen Sinn machen, Berliner Dilettantismus so zubestrafen, dass am Ende eine politisch gewollte Gedenk-stätte von nationaler Bedeutung und von architektoni-schem Gewinn auf der Strecke bleibt.
Bei dem Entwurf des Architekten Peter Zumthor fürdie „Topographie des Terrors“ handelt es sich um ein Vor-haben mit hohem künstlerischen Anspruch. Man sollte ihnnicht ohne Not aufgeben, nur weil die Ausführung einpaar Millionen DM mehr verlangt als ursprünglichangenommen. Hier sollte sich neben dem Berliner Senatauch der Bund seiner nationalen Verantwortung bewusstbleiben und einer einzigartigen Architektur zur Ent-stehung verhelfen. Letztlich ist die „Topographie des Ter-rors“ die notwendige dritte Komponente im Ensemble mitdem Holocaust-Mahnmal und dem Jüdischen Museum.Sie ist unverzichtbar.Hier entscheidet sich – ähnlich wie beim Holocaust-Mahnmal –, ob erklärter politischer Wille tatsächlich mate-rialisiert wird, wenn es an die finanzielle und bautechnischeUmsetzung geht. Das steht übrigens nicht im Widerspruchzu der in dem vorliegenden Antrag enthaltenen Mahnung,alles so kostengünstig wie möglich umzusetzen.Es handelt sich um ein Objekt, an dem auch internatio-nal der Umgang der Deutschen mit ihrer Geschichte be-urteilt werden kann und werden wird. Wer auch immer fürdie gestiegenen Kosten für die „Topographie“ die Verant-wortung tragen mag – dass das Projekt wegen des kräme-rischen Festhaltens an einer einst unter anderen Voraus-setzungen zugesagten Summe scheitert, kann nicht sein.Freuen werden sich dann allenfalls die Neonazis und ihreSympathisanten.Der Antrag – im Oktober gestellt – sprach die Erwar-tung aus, dass bereits jetzt eine Gesamtkonzeption vorlie-gen könnte. Das war angesichts der geschilderten Pro-bleme wohl auch wenig realistisch. Vielleicht ist das Endedes ersten Halbjahrs 2001 ein wirklichkeitsnäherer Ter-min. Darauf sollte der Bund den Berliner Senat schondrängen. Die Stadt bedarf dieser Erinnerungskultur – sowie das ganze Land. Dafür, diese Trias als ein Zeichendessen sichtbar zu machen, was in Berlin geschehen ist,sollten wir uns einsetzen. Das ist auch ein Zeichen desUmgangs mit deutscher Geschichte.Vielen Dank.
Ich schließe dieAussprache. Interfraktionell wird die Überweisung derVorlage auf Drucksache 14/4249 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damitsind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so be-schlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpas-sung der Formvorschriften des Privatrechtsund anderer Vorschriften an den modernenRechtsgeschäftsverkehr– Drucksache 14/4987 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
InnenausschussIch eröffne die Aussprache. Alle Reden sind zu Proto-koll gegeben worden.1) Damit schließe ich die Ausspra-che.Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 14/4987 an die in der Tagesordnungaufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Auch damitsind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so be-schlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 sowie die Zusatz-punkte 3 und 4 auf:8. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Finanzausschusses zudem Antrag der Abgeordneten Carl-LudwigThiele, Gisela Frick, Dr. Hermann Otto Solms, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.Abschreibungstabellen nicht ändern– Drucksachen 14/1887, 14/5149 –Berichterstattung:Abgeordneter Hans MichelbachCarl-Ludwig ThieleJörg-Otto SpillerZP 3 Erste Beratung des von der Fraktion derCDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Verbesserung der Abschreibungsbedin-gungen– Drucksache 14/5135 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieHaushaltsausschussgemäß § 96 GOZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten GerdaHasselfeldt, Heinz Seiffert, Norbert Barthle, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion derCDU/CSU
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Dr. Heinrich Fink14334
1) Anlage 3Den Wirtschaftsstandort stärken statt Ab-schreibungsbedingungen verschlechtern– Drucksache 14/5134 –Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag derFraktion der F.D.P. mit dem Titel „Abschreibungstabellennicht ändern“ werden wir später namentlich abstimmen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei dieF.D.P. eine Redezeit von sieben Minuten erhaltensoll – Auch das ist so beschlossen.Dann eröffne ich die Aussprache und erteile dem Kol-legen Jörg-Otto Spiller für die SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meinesehr verehrten Damen und Herren! „Deutschland zählt alsWirtschaftsstandort wieder zu den ersten Adressen. Seineinternationale Wettbewerbsfähigkeit hat sich deutlichverbessert.“ Mit dieser Bewertung wird heute der Auf-sichtsratsvorsitzende der Deutschen Bank in diversenZeitungen zitiert. Positive Auswirkungen – so stellt erfest – habe unter anderem die Steuerreform, die im Aus-land hoch angerechnet werde.Ich darf an das erinnern, was wir im vorigen Jahr be-schlossen haben. Mit der Steuerreform, die am 1. Januardieses Jahres in Kraft getreten ist, werden die Unterneh-mungen in Deutschland jährlich um rund 30 Milliar-den DM entlastet.
Der Löwenanteil davon kommt den kleinen und mitt-leren Unternehmen zugute, nämlich etwa 23 Milliar-den DM im Jahr; auf die großen Unternehmen entfällteine Steuerersparnis in der Größenordnung von 7 Milliar-den DM im Jahr. Das sind echte Entlastungen. Es gehtnicht nur um vorübergehende Liquiditätshilfen.Daran muss man erinnern, wenn bei dem Thema derheutigen Debatte über die AfA-Tabellen gesprochenwird. Wir haben vor kurzem eigentlich noch eine weitge-hende Übereinstimmung in diesem Hause darin gehabt,dass Senkung der Tarife und Verbreiterung der Bemes-sungsgrundlage die Grundkonzeption für Steuerpolitik inDeutschland sein sollten.
In diesem Zusammenhang möchte ich die Kolleginnenund Kollegen der CDU/CSU an einen Text erinnern, densie vor ziemlich genau einem Jahr vorgelegt haben. DieÜberschrift lautete „Die bessere Alternative“. Es handeltesich um die Steuerreformvorstellungen der Union, wobeiSie vorsichtshalber darauf hingewiesen haben, dass diesdie gemeinsamen Vorstellungen von CDU und CSU seienund nicht nur die der CDU bzw. die der CSU. Da habenSie geschrieben, dass zur Verbreiterung der Bemessungs-grundlage eine Verlängerung der Abschreibungsfristenhinzukommen müsse. Deswegen seien die AfA-Tabellenzu überarbeiten. Ich möchte Ihnen dazu einen Passus vor-lesen:Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist es ...notwendig, dass auch bei einer Heranziehung derAbschreibungstabellen die zugrunde gelegte Nut-zungsdauer sich am tatsächlichen technischen Ver-schleiß des betreffenden Wirtschaftsgutes orientiert.Überprüfungen haben ergeben, dass die bisherigenAbschreibungstabellen diese Vorgabe nur unzurei-chend erfüllen.Das sagte die CDU/CSU.
Sie wollten auf diese Weise Mehreinnahmen in Höhe von3,5 Milliarden DM erzielen.
Wir haben diese Rechtsgläubigkeit übrigens nie geteilt.Wir waren immer der Meinung, dass es bei Abschrei-bungsfristen auch auf betriebswirtschaftliche Vernunftankommen muss und nicht ausschließlich auf eine ortho-doxe Rechtsauslegung. Ich weiß nicht, ob Sie dazu in-zwischen eine andere Meinung haben; fast liest es sich so.Das Fazit ist jedenfalls folgendes: Noch unter der Ver-antwortung des damaligen Bundesfinanzministers Waigel
– ja, der hieß Waigel – ist eine Kommission eingesetztworden, in der sich Steuerexperten der Bundesverwaltungund der Länderverwaltungen über Abschreibungsfristenaustauschten. Herausgekommen ist der Entwurf einer Ta-belle, der bei den Verbänden und auch beim Finanzaus-schuss zunächst einmal ein erhebliches Stirnrunzeln aus-gelöst hat. Denn zumindest uns erschienen die im Entwurfvorgesehenen Fristen übertrieben.Deswegen haben wir damals im Ausschuss und im Ple-num wiederholt Folgendes bekräftigt: Bei den zusätzli-chen Steuereinnahmen aus veränderten Abschreibungsbe-dingungen liegt für uns die wirtschaftlich vernünftigeObergrenze, die man der deutlichen Steuerentlastung ineiner Größenordnung von 30 Milliarden DM gegenüber-stellen muss, bei 3,5 Milliarden DM. Daran halten wirfest; das haben wir im Ausschuss in aller Deutlichkeit dar-gelegt.Trotz anfänglicher Schwierigkeiten, die darin bestan-den, dass die Experten der Verwaltungen ein Stück weitder Orientierung entbehrten
– ich meine damit die bei Bund und Ländern bestehenden17 Ministerien und Verwaltungen –, werden wir an derGrößenordnung von 3,5 Milliarden DM festhalten; dieLeitung des Hauses hat das gestern sehr deutlich gemacht.Auch bei den Tabellen, die jetzt noch zu erarbeiten sind,bei den so genannten branchenspezifischen Tabellen, wirddarauf geachtet werden, dass diese Summe insgesamtnicht überschritten wird. Wir werden ebenso darauf ach-ten, dass eine faire Gleichbehandlung der unterschiedli-chen Wirtschaftszweige gewährleistet wird. Wir sind dasehr zuversichtlich.
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Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer14335
Zum Abschluss möchte ich noch feststellen: Unser Zielist, dass die Modernisierung der deutschen Wirtschaftdurch diese Abschreibungsbedingungen nicht erschwert,sondern erleichtert wird.
Wir werden allerdings an einem festhalten. Das istnicht sehr neu, das ist eher alt. Aber es gibt auch Bewähr-tes, auf das man zurückgreifen darf. Ich meine die Mit-wirkung, das Engagement der Leitung des Hauses, aberauch das Engagement der Koalitionsfraktionen im Finanz-ausschuss.Schon die Alten haben gesagt: Am besten wird derFruchtbarkeit des Ackers gedient durch das Auge desHerrn.
Jetzt erteile ich das
Wort dem Kollegen Hans Michelbach für die CDU/CSU-
Fraktion.
Meine sehr geehrtePräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Bundesfi-nanzminister Eichel ist auch in der Steuerpolitik ganz be-sonders moralisch. Er hat eine doppelte Moral. Tricksen,tarnen und täuschen war bisher die Linie, die Herr Eichelbei der Verschärfung der Abschreibungstabellen verfolgthat.
Durch die vorzeitige Inkraftsetzung der AfA-Tabellenauf dem Verwaltungsweg sollten vollendete Tatsachen ge-schaffen werden. Die Entlastung durch die Steuerreformsollte heimlich kompensiert und die erkaufte Zustimmungder Bundesländer zusätzlich ausgezahlt werden.Zu all dem muss die Wirtschaft mit heimlichen Steuer-erhöhungen beitragen. Sie wird von Ihnen gleichzeitig um-worben und abgezockt. Die rot-grüne Koalition hat sichdabei zum willfährigen Handlanger machen lassen. Nurkurzzeitig haben Sie sich im Finanzausschuss mit einer of-fiziellen Rüge über das willkürliche Vorgehen und die Mis-sachtung des Parlaments empört. Mit neuen Verschleie-rungsversuchen sind Sie aber schnell wieder eingeknickt.Nur Marginalien wurden bisher von Ihnen im Finanzaus-schuss geändert. In Ihrer Beweisnot sollten die Branchen-tabellen jetzt geradezu als Beruhigungspille herhalten.Damit, meine Damen und Herren, haben Sie sich völ-lig auf den Holzweg begeben,
denn die Branchentabellen haben natürlich Auswirkun-gen auf die in Kraft gesetzte allgemeine Tabelle. Eine un-gleiche Lastenverteilung – hier Branchentabelle und dortallgemeine Tabelle – ist für die Wirtschaft auch gar nichtakzeptabel.
Bei der gestrigen Finanzausschusssitzung wurde ja be-hauptet, dass sich das Bundesfinanzministerium den Wirt-schaftsverbänden geradezu angenähert habe; Konsensgebe es, wurde gesagt.
Dem haben heute die Wirtschaftsverbände vehementwidersprochen. Die Differenz zwischen den jeweiligenAnnahmen beträgt 50 Milliarden DM. Das ist die„Annäherung“, wie sie das Bundesfinanzministeriumdeutlich macht.
Meine Damen und Herren, Sie haben jeden Kredit undjedes Vertrauen in dieser Frage inzwischen zerstört. Dasist die Situation.
Die Wahrhaftigkeit und das Bundesfinanzministeriumwohnen selten unter einem Dach. Das müssen wir deut-lich feststellen.
Tatsache ist: Die Wirtschaft steht vor dem Irrwitz: Wer in-vestiert, wird bei uns bestraft.
Die Belastungsfähigkeit der Wirtschaft wird wiedereinmal getestet, die Innovations- und die Wettbewerbs-fähigkeit der Wirtschaft werden aufs Spiel gesetzt und dieGefährdung von Arbeitsplätzen wird in Kauf genommen.Dem Mittelstand wird eine weitere Sonderlast aufgebür-det und die Entlastungswirkungen der Steuerreform wer-den geradezu konterkariert. Konjunktur, Wachstum undBeschäftigung werden damit beschädigt. Der Planungs-und Rechtssicherheit bei Investitionen in unserem Landwird hoher Schaden zugefügt.Dabei gibt es für all diese Beschwerungen des Wirt-schaftsstandortes überhaupt keine rechtliche Notwendig-keit. Der Bundesfinanzhof hat zu keiner Zeit dazu aufge-fordert, die Nutzungsdauer in den AfA-Tabellen massivzu erhöhen. Die BFH-Präsidentin sagt: Dazu gibt es kei-nen Anhalt.
Es geht also nur darum, Kasse zu machen. Die AfA-Ta-bellen werden zur reinen Geldbeschaffungsmaßnahmevon Herrn Eichel zulasten der deutschen Wirtschaft. DieÖkosteuer lässt grüßen.
Nachrechnung und Überprüfung der BMF-Zahlen zei-gen, dass eine zehnprozentige Erhöhung der Nutzungs-dauern eine Mehrbelastung von 3,5 Milliarden DM dar-stellt und die tatsächliche Erhöhung um 28 Prozentnatürlich nach Adam Riese eine dementsprechend höhereBelastung ergibt. Auch Sie können Adam Riese nicht wi-derlegen. Ein Vertreter des BMF sagte hierzu im Finanz-ausschuss: Ja, das ist eine politische Deckelung. –Deutlicher und entwaffnender konnte das wahrheitswid-rige Vorgehen sicher nicht entblößt werden.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Jörg-Otto Spiller14336
Meine sehr geehrten Damen und Herren, sind Sie sichüberhaupt über die Folgen Ihres Handelns im Klaren?
Es gibt ernst zu nehmende Belastungswirkungen mit fol-genden Konsequenzen für die Unternehmen: schwieri-gere Eigenkapitalbildung, erschwerte Bedingungen beider Innenfinanzierung und natürlich ein erheblicherDruck auf die Liquidität der Unternehmen. Die massivverschlechterten Abschreibungsbedingungen sind für dieganze Wirtschaft schädlich und werden natürlich nichtohne negative Auswirkungen auf Wachstum und Be-schäftigung bleiben.Insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmenwerden darunter jedoch besonders zu leiden haben. Diemittelständischen Unternehmen haben es allein schondurch diverse Benachteiligungen bei der Unternehmen-steuerreform, die Sie zu verantworten haben, sehr schwer,sich im Wettbewerb zu behaupten.Wir haben durch die Steuerreform heute schon zwi-schen den Kapitalgesellschaften und den Personen-gesellschaften eine hohe Wettbewerbsverzerrung. Zunennen sind hier vor allem ein wesentlich höherer Steuer-satz als bei den Kapitalgesellschaften und volle Besteue-rung der Anteilsveräußerungsgewinne bei sofortiger undgleicher Gegenfinanzierung wie bei den Kapitalgesell-schaften. Sie sehen also unterschiedliche Steuersätze vorund ziehen diese Firmen zur gleichen Gegenfinanzierungüber heimliche Steuererhöhungen verstärkt heran. Dageht denen irgendwann die Luft aus und das haben Sie zuverantworten, meine Damen und Herren.
Damit schaden Sie dem Mittelstand in höchstem Maße.Das ist eine mittelstandsfeindliche Politik und das wirdnatürlich Arbeitsplätze in unserem Land gefährden.Ich komme nun zur Belastung der Liquidität. Die Li-quidität der mittelständischen Unternehmen ist, wie wirwissen, häufig sehr angespannt. Die verschlechterten Ab-schreibungsbedingungen führen dabei zu einem immergrößeren Druck auf die laufende Zahlungsfähigkeit. DerZusammenhang zwischen den verschlechterten Abschrei-bungsbedingungen und der Liquidität gestaltet sich fol-gendermaßen – Sie müssen sich das vor Augen führen –:Investitionen führen zunächst einmal zu Ausgaben, denenin der ersten Zeit in der Regel keine Einnahmen gegen-überstehen. Investitionen rentieren sich in der Regel erstlangfristig und sind mit hohen Risiken behaftet. Die Un-ternehmen sind in dieser Anfangszeit der Investitionendarauf angewiesen, dass sie hohe Abschreibungsaufwen-dungen geltend machen können. Diese mindern den Ge-winn und damit die Steuerlast, was wiederum eine posi-tive Auswirkung auf die Liquidität hat.Für Unternehmen aber, deren Liquidität angespanntist, ist es im Gegensatz zu den Äußerungen des BMFnicht egal, zu welchem Zeitpunkt sie den Abschrei-bungsaufwand geltend machen können. Diese Unterneh-men benötigen die steuerliche Entlastung sofort, nach-dem sie die Investition getätigt haben. Dies gilt umsomehr, als die Personengesellschaften ihren Gewinn ebensowieso schon mit einem viel höheren Steuersatz als dieKapitalgesellschaften versteuern müssen. Den mittel-ständischen Unternehmen nützt es nichts, dass sich beieiner theoretischen Betrachtung über die Totalperiode le-diglich ein negativer Zinseffekt ergibt, wie Sie das so ba-gatellisieren.Ein Beispiel für diesen angeblich geringen Zinsef-fekt: Eine Personengesellschaft investiert jedes Jahr5 Millionen DM. Die Nutzungsdauer für die Abschrei-bung der Wirtschaftsgüter wird nun von 10 Jahren um2 Jahre auf 12 Jahre erhöht. Sie haben ja teilweise 50-und 60-prozentige Erhöhungen. Selbst unter Berück-sichtigung der niedrigeren Einkommensteuersätze durchdie Unternehmensteuerreform führt die verschlechterteAbschreibung zu einem langsam ansteigenden Liqui-ditätsabfluss von immerhin 4,3 Millionen DM. Das istfür die meisten Unternehmen keine Bagatelle, es ist einzinsloser Kredit an den Staat zulasten von Zukunfts-fähigkeit, Investitionen und Arbeitsplätzen in der deut-schen Wirtschaft. Sie erschweren diese Rahmenbedin-gungen noch! Das ist für uns unverständlich.
Es besteht somit die Gefahr, dass Unternehmen mit an-gespannter Liquidität und wenig Eigenkapital kaum nochInvestitionen vornehmen. Das führt zu einer sinkendenRentabilität und verminderter Wettbewerbsfähigkeit undlangfristig zu weniger Beschäftigung. Das ist ein Teufels-kreis, wie wir wissen.Die Gefahr zusätzlicher Insolvenzen ist damit sehrhoch. Es hat den Anschein, als würde sich die rot-grüneBundesregierung nur für die Insolvenzen von großenKonzernen interessieren,
nach der Devise: Zu Holzmann kommt der Bundeskanz-ler, zum Mittelstand kommt der Gerichtsvollzieher.
Bedenken Sie, meine Damen und Herren, zu welchenKonsequenzen eine solche mittelstandsfeindliche Politikin unserem Land führt. Bedenken Sie die Konsequenzen,wenn die Nutzungsdauern in den Tabellen willkürlichfestgelegt werden, insbesondere angesichts der ohnehinfeststellbaren Überlastung der Gerichte aufgrund einerzunehmenden Zahl von Einzelfallprüfungen.Zur Stärkung von Wachstum und Beschäftigung for-dert die CDU/CSU-Fraktion: Die neuen AfA-Tabellenmüssen umgehend zurückgezogen werden. Es müssenneue Beratungen anberaumt werden, bei denen die Argu-mente der Wirtschaft stärkere Berücksichtigung finden.Sämtliche Berechnungen vom BMF müssen stärker trans-parent gemacht werden. Wir fordern eine klare und ein-deutige gesetzliche Regelung in § 7 des Einkommensteu-ergesetzes, wie dies unser Antrag vorsieht.
Die Nutzungsdauern der Wirtschaftsgüter müssen so-wohl nach technischen als auch nach betriebswirtschaft-lichen Gesichtspunkten bemessen werden. Investitionen
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Hans Michelbach14337
dürfen durch steuerliche Vorgaben nicht behindert odererschwert werden. Sie müssen eher gefördert werden. Ab-schreibungsdauern haben im Ausland die gleiche Signal-wirkung wie die Steuersätze. Wir brauchen in Deutsch-land Abschreibungsbedingungen, die uns internationalkonkurrenzfähig machen. Der Wirtschaftsstandort mussjetzt gestärkt werden, anstatt die Abschreibungsbedin-gungen willkürlich zu verschlechtern.Meine Damen und Herren von der Koalition, kehren Sievon Ihrem Irrweg um. Entscheiden Sie sich für mehr Wachs-tum und Beschäftigung und damit für den Antrag derCDU/CSU-Fraktion „Den Wirtschaftsstandort stärken stattAbschreibungsbedingungen verschlechtern“. Das ist für dieZukunft das Maß aller Dinge. Damit werden neue Arbeits-plätze geschaffen und das ist für unser Land wichtig.Vielen Dank.
Nun erteile ich der
Kollegin Christine Scheel für Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Herr
Michelbach, Sie sind wirklich ein Künstler gnadenloser
Übertreibung. Das möchte ich vorab feststellen.
Sie tun immer so, als würden wir mit unserer Politik die
Wirtschaft geradezu in den Ruin treiben.
Wir haben zurzeit hervorragende Wirtschaftsdaten, die
durch die Gutachten der Wirtschaftsweisen belegt sind.
Wir haben eine Steuerreform auf den Weg gebracht, die
auch im Ausland als zukunftsweisend angesehen worden
ist und die einen Anreiz für ausländische Investoren bietet.
Herr Michelbach, es war immer klar, dass wir im Zuge
einer Steuerreform die Tarife senken und die Bemes-
sungsgrundlage verbreitern. Dass im Zusammenhang mit
der Veränderung bei den Abschreibungstabellen ein Volu-
men von 3,5 Milliarden DM veranschlagt war, hat jeder
gewusst. Darüber haben wir uns auch immer verständigt,
als es um die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage
ging.
– Herr Thiele, auch die CDU/CSU-Fraktion hat – mit Ih-
rer Unterstützung – beim Petersberger Programm der Öf-
fentlichkeit nicht vorenthalten, dass eine solche Maß-
nahme Kosten verursacht,
sondern immer gesagt – was ja auch richtig ist –: 3,5 Mil-
liarden DM brauchen wir dafür.
– Sie wollten eine andere Steuerreform. Sie wollten einen
noch niedrigeren Tarif.
Aber für die Änderung der Abschreibungsfristen hätte das
in der Konsequenz bedeutet, dass Sie diese noch stärker
hätten verlängern müssen, weil sonst der niedrige Tarif
mit 3,5 Milliarden DM nicht zusammengepasst hätte. Das
ist die logische Konsequenz der Systematik. Da hätten wir
noch über ganz andere Daten geredet.
Herr Spiller hat gut dargestellt, dass ursprünglich
CDU/CSU und F.D.P. in ihrer Regierungsverantwortung
einen Auftrag gegeben hatten, die Abschreibungstabellen
im Hinblick auf die technische Nutzungsdauer zu über-
arbeiten.
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen?
Von wem?
Kollege Fromme.
Von Herrn Fromme? – Ja, bitte.
Bitte sehr.
Frau Kolle-
gin Scheel, können Sie uns einmal erklären, warum Sie
nach der eindrucksvollen Anhörung, in der alle Experten
Ihr Vorhaben einmütig abgelehnt haben,
erklärt haben, es bestehe Änderungsbedarf, und warum
Sie jetzt den Tabellen zustimmen wollen?
Herr Fromme, wir hatten eine Vereinbarung getroffen.Diese Vereinbarung ist getroffen worden zwischen Politikund Wirtschaft
und auch denjenigen, die in der Projektgruppe an derAusgestaltung der Unternehmensteuerreform mitgear-beitet haben. Das waren Leute aus der Wirtschaft und ausder Finanzverwaltung, also auch aus den Ländern,
aber auch aus den Verbänden. Sie erinnern sich bestimmt.Die Leitung hatte der Steuerexperte des Deutschen Indus-trie- und Handelstages.Schon da war klar, dass die Abschreibungsvorausset-zungen geändert werden sollen und dass die 3,5 Milli-
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arden DM eingehalten werden müssen. Der Bundesfinanz-minister hat dies zugesagt, der Bundeskanzler hat dies zu-gesagt und auch vonseiten der Koalitionsfraktionenwurde immer wieder darauf geachtet, dass dies so umge-setzt wird. Wir stehen hier im Wort; jetzt geht es um denUmsetzungsprozess.Herr Fromme, ich habe gestern im Ausschuss klipp undklar, mit sehr deutlichen Worten gesagt, dass ich die Artund Weise, wie dieser Prozess vonseiten der Finanzver-waltung vonstatten gegangen ist, kritisiere
und dass ich aufgrund der Zusagen, die gegenüber demParlament gemacht worden sind, den Zeitpunkt, zu demdie allgemeine Tabelle in das Bundessteuerblatt gesetztwurde, nicht richtig finde.Dennoch sind wir der Auffassung, dass wir eine ver-nünftige Regelung brauchen, die sowohl die Belange derWirtschaft berücksichtigt als auch die 3,5 Milliarden DMim Auge hat. Genau dieser Prozess läuft im Moment. Esgibt noch Absprachen mit der Wirtschaft. Es wird Ände-rungen bei den Branchentabellen geben.
So werden Wirtschaftsgüter, die jetzt in der allgemeinenTabelle sind, in der neuen Branchentabelle erscheinen.Es liegt eine Eingabe des VDMA, des Verbandes Deut-scher Maschinen- und Anlagenbau, vor. Ich kann auch sa-gen, dass heute ein Brief von Herrn Philipp gekommen ist,der auch an das BMF gegangen ist. Ich hoffe, dass manhier gemeinsam mit dem Handwerk zu einer vernünftigenLösung kommt.
Punkt! Damit ist,
glaube ich, die Frage beantwortet.
Ich finde das sehr schön. Das verlängert meine Redezeit.
Das ist Klasse.
Ja, das ist richtig.
Herr Fromme, vielen Dank!
Ich habe darauf hingewiesen, dass wir hier vor Ent-
scheidungen stehen, die noch nicht abgeschlossen sind.
Es wird im BMF weitere Gespräche mit der Wirtschaft ge-
ben. Wir als Abgeordnete werden mit Argusaugen darüber
wachen, dass es zu vernünftigen Ergebnissen kommt.
Das ist unser Auftrag und das haben wir zugesagt. Mehr
können wir nicht beitragen. Alles andere liegt – das wis-
sen Sie – in der Hand der Verwaltung. Es ist leider so, dass
die Ausgestaltung der Tabellen im Detail ein Verwal-
tungsakt ist, über den letztendlich nicht wir Parlamenta-
rier entscheiden.
Frau Kollegin, es gibt
noch eine Bitte um eine Zwischenfrage.
Gerne.
Bitte sehr, Herr Kol-
lege.
Frau Kollegin
Scheel, halten nicht auch Sie es aus Ihrer Verantwortung
als Vorsitzende des Finanzausschusses heraus für erfor-
derlich, dass die zum 1. Januar 2001 in Kraft gesetzten
AV-AfA-Tabellen zunächst ausgesetzt werden, wenn das,
was Sie erklärt haben, richtig ist?
Herr Dautzenberg, ich bin Ihnen für diese Frage ganz
dankbar. Man muss sich einmal die Entwicklung an-
schauen. Bei der Finanzministerkonferenz hatten wir, als
es um die Grundentscheidung ging, das auf den Weg zu
bringen, was die 3,5 Milliarden DM betrifft – das BMF
hat 1,9 Milliarden DM für die allgemeine Tabelle veran-
schlagt –, ein Abstimmungsergebnis von 16:0. Das heißt,
alle Bundesländer – auch Baden-Württemberg, auch Bayern,
auch Hessen – hatten damals zugestimmt. Dann hat diese
Bund-Länder-Gruppe ein Ergebnis vorgelegt. Dieses Er-
gebnis war verheerend, hat aber das beinhaltet, was Sie
damals beschlossen hatten, und zwar die Anpassung an
die rein technische Nutzungsdauer. Herausgekommen
ist eine durchschnittliche Verlängerung der Abschrei-
bungsfristen um 60 Prozent. Das ist Wahnsinn! Es wäre
für die Wirtschaft äußerst kontraproduktiv gewesen, wenn
man das umgesetzt hätte, was Sie damals in Ihrer Regie-
rungsverantwortung auf den Weg gebracht haben. Das
muss man einmal klar sagen.
Jetzt ist eine Tabelle vorgelegt worden, die im Bundes-
rat mit 8:8 abgestimmt worden ist. Im Bundesrat gibt es
bekanntermaßen andere Mehrheitsverhältnisse als im
Bundestag. Wenn Ihre eigenen Ländervertreter im Bun-
desrat unserem Vorschlag für eine Tabelle zugestimmt ha-
ben, muss man auch einmal fragen dürfen, warum
CDU/CSU und F.D.P. hier im Bundestag große Forderun-
gen erheben und solch wunderbar voluminöse Reden hal-
ten.
Gestatten Sie eineweitere Zwischenfrage des Kollegen Dautzenberg?
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Christine Scheel14339
Ja.
Bitte sehr.
Ich stelle nochmals
die einfache Zwischenfrage, Frau Kollegin: Halten Sie es
aus Gründen der Rechtssicherheit und der Gleichbehand-
lung für erforderlich, dass die Tabelle zunächst ausgesetzt
wird? Das ist eine einfache Frage – ja oder nein?
Nein; denn, Herr Dautzenberg, die neue allgemeine Ab-
schreibungstabelle steht im Bundessteuerblatt und es gibt
zurzeit – ich habe vorhin darauf hingewiesen – Gespräche
über die Branchentabelle, also darüber, wie die Tabellen
für die verschiedenen wirtschaftspolitischen Zweige und
die verschiedenen Branchen in Deutschland insgesamt
austariert werden können. Nachdem das BMF uns gestern
zugesagt hat, dass diese Austarierung stattfinden wird, ge-
hen wir davon aus, dass man eine faire Behandlung aller
Wirtschaftszweige und Branchen in diesem Land vorneh-
men wird. Wir haben das BMF gestern gemeinsam aufge-
fordert – ich habe das in meiner Funktion als Ausschuss-
vorsitzende vorgetragen –, uns die Branchentabellen
rechtzeitig, bevor sie in das Gesetzblatt kommen, vorzu-
legen und uns auch permanent über die Gespräche in die-
sem Prozess zu informieren – nicht bis ins letzte Detail,
aber darüber, wie diese Gespräche insgesamt laufen.
Ich setze darauf, dass man vonseiten der Verwaltung
einen vernünftigen Umgang mit der Wirtschaft pflegt und
dass das, was vor Weihnachten passiert ist, hoffentlich in
Vergessenheit gerät; denn das Verhalten, das dort an den
Tag gelegt worden ist, war teilweise nicht sehr sinnvoll.
Nun zu Ihrem Vorschlag zur Änderung des Einkom-
mensteuergesetzes, den Sie eingebracht haben: Unsere
Fraktion ist der Meinung, dass wir das Gesetz ändern
müssen. Wir brauchen in § 7 Einkommensteuer Klarheit
darüber, wie die Bewertung bei Abschreibungen in Zu-
kunft vorgenommen wird. Wir meinen, dass dies nach be-
triebswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu geschehen hat.
Im Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Ab-
schreibungsbedingungen, den Sie vorgelegt haben, heißt
es aber: Die „Nutzungsdauer bestimmt sich nach den tech-
nischen und betriebswirtschaftlichen Gegebenheiten“.
Das macht keinen Sinn; denn dann haben Sie wieder ge-
nau das Problem, dass Sie nicht wissen, mit welcher Ge-
wichtung bewertet werden soll. Wir brauchen eine ganz
klare Regelung nach rein betriebswirtschaftlichen Ge-
sichtspunkten. Es ist klar, dass auch die technische Nut-
zungsdauer darin einfließt. Diese Formulierung kann aber
so nicht ins Gesetz; sie hilft uns keinen Schritt weiter.
Wir werden von unserer Seite aus einen Auftrag an das
BMF geben, ein Gutachten zu erstellen, wie dies denn zu
werten ist, damit wir eine vernünftige Grundlage für die
Ausgestaltung der anstehenden – und auch notwendigen –
Gesetzesänderung haben. Ich kann also ankündigen, dass
wir diesen Schritt, der dem Rechtsfrieden zwischen Un-
ternehmen und Finanzverwaltung dienen wird, gehen
werden.
Lassen Sie mich noch etwas zu Ihrer Forderung sagen,
die Abschreibungsgrenze für geringwertige Wirt-
schaftsgüter auf 800 Euro zu erhöhen und somit nahezu
zu verdoppeln. Ich finde, das ist grundsätzlich keine
schlechte Idee.
Aber man muss das prüfen. Daran hängt beispielsweise
auch die Vergabe der Investitionszulage. Wir werden uns
damit im Finanzausschuss eingehend beschäftigen.
Zudem bin ich etwas überrascht, Herr Thiele: Das Ge-
setz gilt seit 1964. Sie waren meines Wissens 29 Jahre mit
an der Regierung.
Warum erheben Sie immer, wenn Sie in der Opposition
sind, Forderungen, die einen Haufen Geld kosten? Da-
mals haben Sie das wahrscheinlich nicht eingebracht, weil
Sie befürchtet haben, dass die Kommunen, die Länder
und der Bund die vermuteten Steuerausfälle von 3 bis
5 Milliarden DM nicht verkraften können. Darüber wer-
den wir reden. Sie bringen immer wieder Forderungen
ein; wie die Umsetzung finanziert werden soll, sagen Sie
nie dazu. Das ist das Manko der F.D.P.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich weiß, dass etwas Unruhe ist, weil gleich
eine namentliche Abstimmung stattfindet. Ich weiß auch,
dass es hoffnungslos sein wird, Sie zu ermuntern, lieber
zuzuhören als sich zu unterhalten. Ich habe aber die Bitte,
dass Sie sich zumindest hinsetzen, wenn Sie sich im Ple-
num aufhalten. Größere Gruppengespräche führen Sie
bitte außerhalb des Plenums.
In diesem Sinne hat jetzt der Kollege Carl-Ludwig
Thiele für die F.D.P.-Fraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Prä-sidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kolle-gen! Frau Kollegin Scheel, zu Ihren Ausführungenmöchte ich Folgendes sagen: Seit 1999 beschäftigt unsdas Thema, jetzt erkennen Sie, dass es Handlungsbedarfgibt. Dabei handeln Sie nach dem Motto: Und wenn dunicht mehr weiterweißt, dann gründe einen Arbeitskreis.
Das kennen wir alles, aber das löst leider die Probleme,vor denen wir stehen, überhaupt nicht.Sie, Frau Kollegin Scheel, sagen immer, was Sie än-dern wollen. Wenn es aber im Finanzausschuss um kon-krete Änderungen geht, die umgesetzt werden können,dann kneifen Sie und ändern nichts.
Insofern ist auch die Aussage des Vertreters des BMF inder gestrigen Sitzung des Finanzausschusses erstaunlich,
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dass es nicht zutreffe, dass es über das Zahlentableau eineAbstimmung zwischen dem BMF und der Wirtschaft ge-geben habe. Das war aber die Basis für Ihre Aufforderung,jetzt erst noch einmal zu diskutieren und den Antrag derF.D.P. abzulehnen. Wenn Sie tatsächlich etwas verändernwollen, dann müssen Sie heute dem Antrag der F.D.P. zu-stimmen, die neuen Abschreibungstabellen auszusetzen,bis die anstehenden Fragen geklärt sind.
Außerdem haben Sie gesagt, das gehe überhaupt nicht,weil auch der Bundesrat einbezogen werden muss. Ichfrage mich da, wie Sie dann im Nachhinein die Regelun-gen für Schichtzuschläge verändern können, obwohldiese genauso im Bundessteuerblatt veröffentlicht wur-den wie die Änderung der AfA-Tabellen.
Wenn Sie das eine ändern können, dann können Sie auchdas andere ändern.In unserem Antrag sagen wir nicht: Das Parlament be-stimmt die Regierungspolitik. In unserem Antrag sagenwir: Das Parlament fordert die Regierung auf, ent-sprechend zu handeln. Ob die Regierung dann handeltoder nicht, liegt immer im Ermessen der Regierung. Ichgehe aber davon aus, dass sich die Regierung, wenn dieMehrheit des Parlaments sie auffordert, entsprechendtätig zu werden, dem dann nicht entziehen kann. Es gibtdamit die Möglichkeit, den Unfug, der jetzt beginnt undnoch nicht zu Ende ist, endlich zu stoppen.
Im Finanzausschuss hat das Finanzministerium gesterneingeräumt, dass die Zahlen nicht stimmen. Das Ministe-rium hat eingeräumt, dass die Belastungen durch die Än-derung der AV-Abschreibungstabellen höher sind, als vonder Regierung und von den Koalitionsfraktionen immervorgetragen. Wenn Sie sagen, das werde durch eine Än-derung bei den Branchentabellen ausgeglichen, dannmüssen Sie wissen, dass davon Einzelhändler, Handwer-ker und Mittelständler nicht profitieren, aber durch ihreÄnderungen der AV-Abschreibungstabellen belastet wer-den. Dass die einen belastet werden, die anderen abernicht entsprechend, verstößt gegen den Grundsatz derGleichmäßigkeit der Besteuerung. So lösen Sie das Pro-blem überhaupt nicht.
Herr Kollege Thiele,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fromme?
Gerne, Herr Kollege.
Bitte sehr, Herr Kol-
lege Fromme.
Herr Kol-
lege Thiele, Sie sprachen eben von der Geschäftsgrund-
lage für die Veränderung. Können Sie uns noch einmal er-
klären, was die Parlamentarische Staatssekretärin hier im
November als Grund dafür genannt hat, dass man über-
haupt an die Tabellen heranmüsse?
Das ist eine sehr span-
nende Frage, Herr Kollege Fromme. Ich habe zufällig das
Protokoll mit; es handelt sich ja immerhin um die zweite
und dritte Lesung.
Ic
Der Antrag der F.D.P.-Fraktion zielt ja darauf, die
Überarbeitung der AfA-Tabellen einzustellen und es
bei den bisherigen AfA-Tabellen zu belassen... Ich
will aber eines klar sagen: Dieser Forderung kann die
Finanzverwaltung im Hinblick auf das auch Ihnen
bekannte Urteil des Bundesfinanzhofs vom 19. No-
vember 1997 zur Ermittlung der betriebsgewöhn-
lichen Nutzungsdauer eines Wirtschaftsgutes einfach
nicht nachkommen.
In der Sachverständigenanhörung, die wir am 15. Ja-
nuar dieses Jahres hatten, habe ich die Präsidentin des
Bundesfinanzhofes gefragt:
Ist das Urteil einschlägig oder verbirgt sich hinter der
Berufung auf das Urteil lediglich der Wunsch des
Fiskus, mehr Geld zu kassieren und die Steuerpflich-
tigen zu belasten? Ist das Urteil nicht lediglich ein
willkommener Rahmen, dies endlich umzusetzen?
Darauf die Antwort der Präsidentin:
Ich möchte dazu sagen, ich kann dem Urteil meines
Hauses nichts entnehmen, worauf sich das Bundes-
finanzministerium stützen könnte. Es handelt sich
um einen absoluten Einzelfall.
Nun hat der Kollege
Spiller den Wunsch nach einer Zwischenfrage.
Gleich, Frau Präsiden-
tin. – Das zeigt, dass es dem Finanzministerium und dem
Bundesfinanzminister nicht um die Umsetzung von
Recht, sondern einzig und allein darum geht, die Steuer-
kassen durch Belastung der Betriebe und der Arbeits-
plätze zu füllen. Das lehnen wir ab.
Jetzt lasse ich alsletzte Frage in diesem Rahmen die Frage des KollegenSpiller zu. Danach wollen wir in der Debatte fortfahren.Herr Kollege, bitte sehr.
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Carl-Ludwig Thiele14341
Herr Kollege Thiele, hat Ih-
nen Herr Fromme auch erzählt, dass das Bundesfinanz-
ministerium damit dieselbe Rechtsauffassung wie die
CDU/CSU in dem vorhin von mir zitierten Papier vertre-
ten hat?
Herr Kollege Spiller, es
ist im Finanzausschuss schon mehrfach diskutiert wor-
den, dass es auf der Arbeitsebene im Finanzministerium
Bestrebungen gab, die Tabellen zu ändern. Wenn aber
zum einen der politische Wille nicht vorhanden ist und
wenn zum anderen die Rechtslage so ist, dass das BFH-
Urteil überhaupt nicht einschlägig ist, dann ist kein Ge-
setzgeber gezwungen, diese Änderung vorzunehmen. Sie
können nicht auf die alte Koalition verweisen. Das liegt
einzig und allein in Ihrer Verantwortung. Wenn Sie mei-
nen, sich in Ihrer Verantwortung so verhalten zu müssen,
dann tun Sie das. Deshalb haben wir die namentliche Ab-
stimmung gefordert. Nach dieser Abstimmung kann jeder
Handwerker in Deutschland erkennen, welcher Abgeord-
nete die Investitionsbedingungen verschlechtern will und
wer dies ablehnt.
Um das noch einmal in Erinnerung zu rufen: Es war
nicht die Steuerreform, sondern das Finanztableau, die
mittelfristige Finanzplanung 1999, aufgrund deren eine
Änderung der AfA-Tabellen gefordert wurde. Aus dieser
Zeit datiert auch unser Antrag. Die Frau Staatssekretärin
Hendricks hat im Finanzausschuss – aus meiner Sicht –
die Frechheit besessen, den Parlamentariern zu sagen:
Diese Änderung geht euch überhaupt nichts an. Das ist
einzig und allein Sache der Verwaltung. – Hier sind wir an-
derer Auffassung. Belastungen in dieser Größenordnung
gehören ins Parlament und müssen im Parlament disku-
tiert werden. Das Parlament muss die Verantwortung
dafür tragen, ob diese Belastungen geltendes Recht wer-
den sollen oder nicht.
Deshalb haben wir diesen Antrag eingebracht und uns
vom Finanzministerium darüber berichten lassen, wie der
Sachstand ist. Dass das Ganze von Ihnen als der Exeku-
tive unter der Decke gehalten wurde und auch die Wirt-
schaft nicht einbezogen worden ist, ist doch ein Treppen-
witz. Seit 1999 wird das Thema diskutiert. In der letzten
Woche fing das Finanzministerium an, sich mit der Wirt-
schaft zusammenzusetzen, um die Zahlen zu überprüfen.
Letzte Woche fand das erste konkrete Gespräch über Zah-
len dazu statt. Das ist unglaublich.
Die Anhörung, die das Finanzministerium im Dezem-
ber letzten Jahres durchführte, wurde von allen Sitzungs-
teilnehmern als reine Farce bezeichnet. Die Teilnehmer
wurden überhaupt nicht ernst genommen. Sie waren in der
Öffentlichkeit das Feigenblatt für den Willen der Verwal-
tung, die Steuerlast für Betriebe und Arbeitsplätze in
Deutschland klammheimlich zu erhöhen.
Wir haben verlangt, dies im Ausschuss zu diskutieren.
Am 6. Dezember des letzten Jahres haben wir den Antrag
auf eine Anhörung am 15. Januar gestellt und gefordert,
diesen Vorgang schnellstmöglich ins Parlament zu brin-
gen. Das Finanzministerium hat uns zugesagt, vorher
nichts zu veröffentlichen. Trotz der Zusage des Finanz-
ministeriums gegenüber dem Ausschuss gab es die Ver-
öffentlichung. Eine solche Art der Gewaltenteilung, die
vielmehr eine Gewaltenvermischung zwischen der rot-
grünen Regierung und der rot-grünen Koalition ist, habe
ich hier bisher noch nicht erlebt. Das ist eine Missachtung
des Parlamentes,
die insbesondere der Finanzminister zu verantworten hat.
In der letzten Sitzungswoche haben wir im Finanzaus-
schuss festgestellt, dass dieser Vorgang eine überragende
Bedeutung habe und dass der Finanzminister hierzu per-
sönlich erscheinen und Rede und Antwort stehen müsse.
Wir haben ihm zunächst die Möglichkeit gegeben, den
Termin in seinem Terminplan abzuklären. Nach zwei
Stunden bekamen wir die Antwort: „Stellen Sie den An-
trag! Wir werden ihn ablehnen.“ Wir haben den Antrag
gestellt. Herr Finanzminister Eichel hat sich weder im Fi-
nanzausschuss noch heute hier im Parlament der Diskus-
sion gestellt. Dabei hätte ich erwartet, dass nach der gan-
zen Diskussion über diesen Vorgang der Finanzminister
selbst das Wort ergreift. Er ist eben nicht Manns genug
und in der Lage, sich hier zu bekennen und sich vor sein
Ministerium zu stellen. So stelle ich mir einen Minister
nicht vor.
Wenn wir die Glaubwürdigkeit der Politik wieder er-
langen wollen – auch seitens des Finanzministeriums;
denn die Behandlung der AfA-Tabellen durch die Finanz-
verwaltung ist ein einziger Skandal –, dann hat der Fi-
nanzminister hier zu erscheinen, dann hat er Rede und
Antwort zu stehen, dann haben die Abgeordneten von
Rot-Grün den Finanzminister nicht zu decken, sondern
haben dafür Sorge zu tragen, dass die Interessen des Par-
lamentes gegenüber der Exekutive geachtet werden.
Willy Brandt forderte seinerzeit: „Mehr Demokratie
wagen!“ Wenn wir heute feststellen, dass die rot-grünen
Abgeordneten im Parlament lediglich der verlängerte
Arm der Exekutive sind, dann müssen wir tatsächlich stär-
ker darauf dringen, dass die Gewaltenteilung wieder ein-
gehalten wird. Derzeit wird das von Rot-Grün nicht prak-
tiziert.
Ich erteile jetzt der
Kollegin Dr. Barbara Höll, PDS-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine lie-ben Kolleginnen und Kollegen! Herr Michelbach, Herr
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Thiele, Ihre Anträge und das, was Sie hier gesagt haben,sind, schlicht gesagt, einfach heuchlerisch. Es ist nichtsheimlich gelaufen. Es war von Anfang an bekannt, dassdie Veränderung der AfA-Tabellen zur Gegenfinanzie-rung, – sogar nur zur teilweisen Gegenfinanzierung – die-nen soll. Um das einmal klar zu stellen: Diese 3,5 Milli-arden DM beziffern nicht einmal die endgültigeMehrbelastung für die Wirtschaft, sondern bedeuten nurein Vorziehen. Im Endeffekt muss sie nicht einmal mehrzahlen. Sie tun so, als ob die deutsche Wirtschaft durchdiese 3,5 Milliarden DM zusammenbricht – und das, ob-wohl eine Steuerreform verabschiedet wurde, die derWirtschaft bis zum Jahre 2005 eine jährliche Nettoentlas-tung in Höhe von 14 Milliarden DM, also wesentlichmehr als die in Rede stehenden 3,5Milliarden DM, bringt.In Richtung der Regierungskoalition muss ich aller-dings sagen: Die ganze unerquickliche Diskussion hättenwir uns ersparen können, wenn Sie nicht so dilettantischPolitik machen würden. Denn eine Steuerreform zu ver-abschieden, mit der Sie Entlastungen für die Wirtschaft inerheblicher Größenordnung festzurren, und gleichzeitignicht wenigstens über die teilweise GegenfinanzierungKlarheit zu schaffen, öffnet für die Einflussnahme derLobbyistenverbände natürlich Tür und Tor. Dass sich jetztdie CDU/CSU und die F.D.P. zu ihren Fürsprechern ma-chen, das darf nun niemanden überraschen.Ich bin persönlich auch darüber enttäuscht, dass Sie beiden Anhörungen im Finanzausschuss zu den AfA-Ta-bellen kaum Präsenz gezeigt haben.
Gestern sind Sie bei der Ausschusssitzung mit Ihrer Posi-tion sehr ins Wanken gekommen und haben sich gefragt,ob Sie an der Veränderung der Tabellen überhaupt fest-halten wollen. Man muss natürlich zugeben, dass es Ihnendas Finanzministerium auch schwer gemacht hat. Dort wur-de schlampig gearbeitet – Stichwort Schichtzuschläge –und der Wille des Parlaments und des Finanzausschussesschlicht missachtet. Das geht nicht.Es ist nun eine große Diskussion über den ersten Schritt,die Veränderung bei den allgemeinen Tabellen, entstandenund es wird im nächsten Jahr weitere Diskussionen geben,wenn es um die Veränderung der Branchentabelle geht.Ich muss sagen: Ich bin sehr froh darüber, dass dieLandesfinanzminister in diesem Punkt fest zusammen-stehen. Sie bekommen einen Teil des Geldes, das infolgeder Veränderung der AfA-Tabellen eingenommen wird.Das brauchen sie auch, weil mit der Einkommen- und Un-ternehmensteuerreform, die Sie verabschiedet haben, diesozialen Ungerechtigkeiten in dieser Gesellschaft nichtbeseitigt werden.
Aus diesem Grunde werden wir die Anträge derCDU/CSU und der F.D.P. ablehnen. Wir meinen, dass esnotwendig ist, in Richtung auf eine teilweise Gegenfinan-zierung in Zukunft sauber zu arbeiten, nicht dem Poker-spiel der Wirtschaftsverbände Tür und Tor zu öffnen unddas, was politisch notwendig ist, nämlich wenigstens eineteilweise Gegenfinanzierung zu erreichen, politischdurchzusetzen.Ich bedanke mich.
Jetzt erteile ich dem
Parlamentarischen Staatssekretär Karl Diller das Wort.
K
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Da-
men und Herren! Der Antrag der F.D.P. wendet sich gegen
eine Verwaltungsvorschrift, die zwischen den obersten Fi-
nanzbehörden des Bundes und der Länder abgestimmt
worden ist.
Das Verfahren ist mit der Entscheidung der Finanzmi-
nisterkonferenz vom 7. Dezember 2000, keine Einwände
zu erheben, abgeschlossen. Den Informationswünschen
des Parlamentes wurde im Finanzausschuss vielfältig
Rechnung getragen. Zuletzt war gestern mein Kollege
Professor Zitzelsberger dort und hat berichtet.
Die Überarbeitung der AfA-Tabellen geht – hören
Sie gut zu – auf einen einstimmigen Beschluss der obers-
ten Finanzbehörden des Bundes und der Länder vom
April 1998 zurück. Zu einer Zeit, in der Theo Waigel
Finanzminister war, ist dies einstimmig zwischen dem
Bund und allen Ländern beschlossen worden.
Der politische Vorwurf der F.D.P. hätte also vor Jahren
beispielsweise an die Adresse des damaligen Bundesfi-
nanzministers Theo Waigel und die sich damals im Amt
befindlichen Länderfinanzminister und Finanzsenatoren
gerichtet werden müssen. Ich frage mich, ob der damalige
Vorsitzende des Finanzausschusses, eben der Kollege
Thiele, bereits in der damaligen Koalition Bedenken
vorgetragen hat. Ich vermute: nein.
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Thiele, Herr Staatssekretär?
K
Nein.Ich möchte bei dieser Gelegenheit, da Herr Thiele da-rauf hingewiesen hat, dass Frau Hendricks heute nichthier ist, ihr von diesem Pult aus ganz herzliche Gene-sungswünsche übermitteln. Sie ist seit mehreren Tagenkrank und auf dem Wege der Besserung. Herzliche Gene-sungswünsche, liebe Kollegin!
Ab April 1998 folgte ein Verwaltungsverfahren, dessenZiel die Finanzministerkonferenz der Länder zweimalinhaltlich bestätigte. Im Juni 1999 wurde das Projekt ineinem BMF-Rundschreiben veröffentlicht, ohne dass dies
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Dr. Barbara Höll14343
irgendeine Reaktion bei den Verbänden oder beim Bun-desfinanzhof ausgelöst hätte. Erst nachdem im August1999 ein Arbeitsentwurf zu den allgemein verwendbarenWirtschaftsgütern den Verbänden zugeleitet wurde, löstedies ein Medienecho aus.
Herr Staatssekretär,
ich muss Sie noch einmal fragen, ob Sie eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Thiele zulassen.
K
Alle Kollegen warten auf die Abstimmung.
Deswegen wollen wir diese schnell herbeiführen.
Ich gebe zu, dass der Arbeitsentwurf auf eine drasti-
sche Erhöhung der Nutzungsdauern schließen ließ; er war
fiskalisch und damit hinsichtlich der Belastung der Wirt-
schaft nicht bewertet, sondern lediglich mit der Bitte ver-
sehen, sich schriftlich zu äußern. Diese handwerklichen
Fehler haben auch auf der Leitungsebene des Bundesmi-
nisteriums der Finanzen keine Freude ausgelöst. Die
Bundesregierung hat schnell reagiert, indem sie das Fi-
nanztableau zum Steuersenkungsgesetz so formulierte,
dass die dort vorgesehene grobe Schätzung von 3,5 Milli-
arden DM Mehraufkommen als politische Obergrenze
anerkannt wurde.
Aus dem einst gemeinsam beschlossenen Projekt stie-
gen übrigens nach und nach mehrere Landesregierungen
aus. Aus der 16:0-Entscheidung wurde schließlich ein
Stimmenverhältnis, das ein In-Kraft-Treten der überar-
beiteten AfA-Tabellen gerade noch ermöglichte.
Dem Kollegen Michelbach sei gesagt, dass Bayern in
seinem steuerpolitischen Programm dieselben Milliar-
denbeträge als Mehrertrag aus den AfA-Tabellen einge-
setzt hat,
was dem CSU-Mitglied Michelbach heute offenbar sehr
peinlich ist.
Zu der Frage, ob die Tabellen die politisch verabredete
Obergrenze überschreiten, ist mittlerweile ein intensives
Abstimmungsgespräch zwischen dem Bundesfinanz-
ministerium und den größten Wirtschaftsverbänden im
Gange. Das Gespräch verläuft in sachlicher Atmosphäre.
Herr Staatssekretär,
es gibt wiederum den Wunsch nach einer Zwischenfrage,
dieses Mal des Kollegen Michelbach.
K
Ich bleibe bei dem, was ich eben schon
sagte.
Zu den strittigen Einschätzungen versucht das Statisti-
sche Bundesamt die Datenbasis zu erweitern. Als Zwi-
schenergebnis kann ich Ihnen mitteilen, dass erstens von
der von Ihnen öffentlich behaupteten Mehrbelastung in
Höhe von 7 bis 10Milliarden DM nicht mehr die Rede ist,
dass zweitens das Rechenmodell des BMF von den Wirt-
schaftsverbänden anerkannt wird und dass sich drittens
abzeichnet, dass wir zu einem Ergebnis kommen, das in
eine Einigung mündet.
Im Übrigen wiederhole ich, was der Kollege
Zitzelsberger gestern im Finanzausschuss zu Protokoll
gegeben hat:
Erstens. Die 3,5MilliardenDM sind als Mehrertrag ga-
rantiert.
Zweitens. Die Abstimmung mit der Wirtschaft läuft
mit dem Ziel einer kurzfristigen Verständigung. Es sind
bereits deutliche Annäherungen erreicht.
Drittens. Die Feineinstellung wird über die Branchen-
tabellen in einem fairen Belastungsausgleich erreicht.
Dies gilt insbesondere dort, wo ein zusätzlicher Bedarf an
einer Branchentabelle belegt wurde, zum Beispiel im Ma-
schinenbau.
Viertens. Die Branchentabellen sind über die gesamte
Wirtschaft verteilt, erfassen also auch Handwerksbetriebe
und Betriebe des Mittelstandes.
Fünftens. Die verkürzte Fassung der Regelung zu den
Schichtzuschlägen, die leider zu einigen Missverständ-
nissen führte, wird in der Weise korrigiert, dass das BMF
die alte Fassung wiederherstellen wird.
Meine Damen und Herren, ich bin sicher, dass in we-
nigen Wochen nur noch eitel Freude über eine gewaltige
Steuersenkung zugunsten der Wirtschaft herrschen wird.
Jetzt hat Herr Kollege
Thiele das Wort zu einer Kurzintervention. – Bitte sehr.
Sehr geehrte Frau Prä-sidentin! Nachdem Herr Staatssekretär Diller mich per-sönlich angesprochen hat, habe ich um das Wort gebeten.Erstens. Mir war nicht bekannt, dass Frau Dr.Hendrickserkrankt ist. Auch ich wünsche ihr persönlich gute Besse-rung und alles Gute.
Zweitens. Ich habe den Worten von StaatssekretärDiller aber nicht entnehmen können, warum Finanzminis-ter Eichel an dieser Debatte nicht teilgenommen hat. Ichhabe erwartet, dass Herr Eichel zu diesem Thema Stellungnimmt. Das vermisse ich nach wie vor.
Drittens. Herr Staatssekretär Diller hat den Finanzaus-schuss der letzten Periode angesprochen. Mir ist bekannt,
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Parl. Staatssekretär Karl Diller14344
dass gerade Parlamentarische Staatssekretäre mitunterSchwierigkeiten haben, die Gewaltenteilung exakt zu de-finieren. Aber wenn der Finanzausschuss mit dem Themaüberhaupt nicht befasst worden ist – das wurde er in derletzten Wahlperiode nicht, Herr Staatssekretär –,
dann hat der Finanzausschuss zu diesem Thema auchkeine Stellungnahme abgeben können. So einfach ist das:Wir sind im Finanzausschuss damit nicht befasst worden.
Viertens. Wenn Sie hier eine Belastung in Höhe von3,5 Milliarden DM garantieren, dann erinnert mich dassehr an den Finanzminister und den Bundeskanzler, diebeide erklärt haben: Verlängerung um nicht mehr als10 Prozent! Belastung nicht mehr als 3,5 Milliarden DM!Basta, unser Wort gilt!Ich glaube nicht daran und die Wirtschaft glaubt auchnicht daran. Der Abstimmungsprozess verläuft anders, alses gestern im Finanzausschuss berichtet wurde und als Siees heute dem Deutschen Bundestag berichtet haben. Wasdie Belastungen angeht, gibt es riesige Differenzen zwi-schen der Sicht des Finanzministeriums und der Sicht derWirtschaft. Die Differenzen hätten vorher geklärt werdenmüssen. Sie können das jetzt nicht nach dem Motto ma-chen: Rette sich, wer kann; eine Branche, die noch nichtin der Branchentabelle enthalten ist, muss jetzt dafürkämpfen, in eine Branchentabelle zu kommen. So werdenSie das Problem nicht lösen.
Herr Staatssekretär,
möchten Sie das Wort? – Nein.
Dann kommen wir zur Abstimmung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um Auf-
merksamkeit; denn es kann sein, dass Sie nicht genau wis-
sen, worüber wir abstimmen. Wir stimmen nicht über den
Antrag der F.D.P. ab, sondern über die Beschlussempfeh-
lung des Ausschusses. Darauf wollte ich Sie hinweisen, da
ich merke, dass der eine die rote Karte zieht, die eigent-
lich blau sein sollte und umgekehrt. Wie der Ausschuss
entschieden hat, sage ich Ihnen jetzt nicht, das wissen Sie.
Die F.D.P. verlangt namentliche Abstimmung über die
Beschlussempfehlung des Ausschusses. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen besetzt? –Alle Ur-
nen sind besetzt. Ich eröffne die Abstimmung. –
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das
Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt ge-
geben.1)
Wir setzten die Abstimmungen fort.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-
fes der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/5135
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor-
geschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Zusatzpunkt 4: Abstimmung über den Antrag der Frak-
tion der CDU/CSU mit dem Titel „Den Wirtschaftsstandort
stärken statt Abschreibungsbedingungen verschlechtern“.
Wer stimmt für diesen Antrag auf Drucksache 14/5134?
– Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist
abgelehnt.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 9 sowie den Zu-
satzpunkt 5 auf:
9. Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Arzneimitteltherapie bei Kindern und Jugend-
lichen sicherer machen
– Drucksache 14/5083 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
tion der CDU/CSU
Medizinische Versorgung von Kindern sichern
– Drucksache 14/5136 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich bitte alle Anwesenden, Platz zu nehmen, damit wir
mit der Debatte über dieses interessante Thema beginnen
können.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Horst Schmidbauer das Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsi-dentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Ein Ereignis hat mich im Zusammenhangmit dem Thema „Kinderarzneimittel“ ganz besonders ge-prägt: Eine Familie bringt ihr fünf Monate altes Baby miteiner sehr hohen Herzfrequenz ins Krankenhaus. Es stelltsich heraus, dass eine lebensbedrohliche Herzrhythmus-störung vorliegt. Der behandelnde Arzt gibt zunächstMedikamente gegen die Herzrhythmusstörung; aber dasBaby spricht darauf nicht an. Weil es für Kinder in diesemFall keine geeigneten Arzneimittel gibt, weicht man aufeinen Betablocker aus, der für Erwachsene bestimmt ist.Der Arzt – Gott sei Dank ein erfahrener Arzt – weiß, dasser die doppelte Dosis wie für einen Erwachsenen geben
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Carl-Ludwig Thiele14345
1) Ergebnis Seite 14351 Bmuss. Die Folge ist, dass das Herzrasen bei dem fünf Mo-nate alten Baby nachlässt.Man hat in der Klinik bei der Beobachtung der Wir-kung dieses Medikaments mittels einer Spiegelung fest-gestellt, dass man mit einer höheren Dosierung arbeitenmuss. Daraufhin hat man dem Baby eine vierfache Er-wachsenendosis gegeben. Die Folge war, dass das Babygeheilt wurde. Es konnte ohne Schädigungen aufgrundvon Nebenwirkungen die Klinik mit seinen Eltern verlas-sen.Warum nenne ich dieses Beispiel? Es zeigt, dass die Si-tuation, die wir heute in Kinderkliniken vorfinden, leidernicht die Ausnahme, sondern die Regel ist. 80 Prozent dereingesetzten Arzneimittel sind nämlich „Erwachsenenmedi-kamente“, die nicht bezüglich einer Anwendung bei Kin-dern geprüft und zugelassen wurden, sodass keine gesicher-ten Dosierungsanweisungen vorliegen. Diese Situationkönnen wir den 11 000 Kinderärztinnen und Kinderärztensowie den Kindern, Jugendlichen und deren Eltern inDeutschland nicht weiter zumuten und müssen sie daherverbessern.Für einen solchen Fall, den ich gerade geschildert habe,gibt es weder in den Roten Listen noch in den Fachpubli-kationen entsprechende Dosierungsanweisungen. Es istalso eine Art Gratwanderung: Auf der einen Seite habendie Ärztinnen und die Ärzte die berufsethische Verpflich-tung, dem Kind oder dem Jugendlichen zu helfen. Auf deranderen Seite wissen sie sehr wohl, dass die Regelungenüber Arzneimittelhaftung für den Arzt nicht greifen – erist außerhalb der Haftungssicherheit nach dem Arznei-mittelgesetz –, wenn ein Medikament angewendet wird,welches nicht für Kinder oder Jugendliche zugelassen ist.Ich kann mir vorstellen – ich glaube, wir alle können unsdies vorstellen –, dass das eine nicht haltbare Situation fürdie Ärztinnen und Ärzte in Deutschland ist.Dieses Problem ist nicht auf Kinderarztpraxen be-schränkt. Da trifft es nur 40 Prozent der Arzneimittel. DasProblem tritt vor allem dort auf, wo eine intensive Be-handlung von Kindern angezeigt ist, zum Beispiel auf ei-ner Intensivstation, wo keines von acht, neun oder zehninfrage kommenden Medikamenten für die Anwendungbei Kindern und Jugendlichen geprüft und zugelassen ist.Auch im Bereich der chronisch kranken Kinder haben wireine ähnliche Situation.Das Problem ist, dass Nierenversagen und Atemläh-mungen mit tödlichem Ausgang die Folge sein können.Außerdem wird der ausbleibende Heilungserfolg, auchaufgrund zu geringen Wissens, oft der Krankheit undnicht einer mangelnden Arzneimitteltherapie zugescho-ben.Aber wir haben noch einen Dritten im Bunde, mit demwir uns bei dieser Frage beschäftigen müssen, und zwardie Arzneimittelindustrie.Auch hier ist Bewegung fest-zustellen, und zwar deswegen, weil es unmöglich ist, dassder Pharmastandort Deutschland im internationalen Wett-bewerb nicht gut aussieht, wenn wir bei den Arzneimittelnfür Kinder und Jugendliche eine offene Flanke bieten.Seit 1997 geben die Amerikaner in diesem Bereich dasTempo an; denn sie haben mit einem Modernisierungsge-setz genau diese Problematik aufgegriffen und kommennun zu Lösungen. Deswegen ist verständlich, dass wirjetzt auch aus dem Bereich der Arzneimittelindustrie Zu-spruch erfahren. Sie sagt: Es ist richtig und gut, dass dieKoalition dieses Thema jetzt anpackt und einer Lösungzuführt. Denn wir müssen darauf achten, dass wir bei un-seren Arzneimitteln Standards auch für Kinder und Ju-gendliche haben, mit denen wir auf dem Weltmarkt mitamerikanischen Herstellern konkurrieren können.Ich freue mich insofern, als auch die CDU/CSU dieseAltlast – das ist ja nichts Neues; denn die Betablocker, vondenen ich gesprochen habe, sind seit 25 Jahren auf demMarkt und haben seit 25 Jahren keine auf Kinder und Ju-gendliche bezogene Zulassung – jetzt angehen will. Aberes hilft natürlich nichts, wenn man in einem Antrag achtZeilen dazu formuliert und lediglich eine Analyse vor-nimmt. Wir brauchen in dieser Situation Lösungsansätze;denn wir können in Deutschland bei Kindern und Ju-gendlichen nicht mehr mit dieser „Küchenrezeptart“ wei-termachen. Hier sind wir einen Schritt weiter gegangenund suchen nach Lösungen.In unserem Antrag steht konkret unsere Zielrichtung,weil wir wissen, dass es auch wirtschaftliche Gründe sind,die vor allen Dingen die Industrie bisher gehindert haben,in dieser Frage aktiver zu werden. Deswegen sagen wir,wir brauchen beides: Wir müssen auf der einen Seite An-reizsysteme für die Industrie schaffen, um in die aufwen-digen Prüfverfahren für Kinder und Jugendliche einzu-steigen, und wir müssen auf der anderen Seite daraufachten, dort, wo öffentliches Interesse besteht, dafür zusorgen, dass diesem zum Durchbruch verholfen wird.
Wir müssen vor allem die Kompetenz der Kinderärz-tinnen und Kinderärzte in Deutschland einbringen. Un-sere Vorstellung ist, dass wir dafür ein Kompetenzzen-trum schaffen, in dem das Erfahrungswissen, das sichüber viele Jahre und Jahrzehnte angesammelt hat, gebün-delt und wissenschaftlich bewertet wird, damit es uns beider Anwendung hilft. Wir haben hier auch bestimmte Fi-nanzierungsvorstellungen. Wir glauben, dass es gut wäre,dafür zum Beispiel eine Stiftung einzurichten, an der sichIndustrie und Politik in gleichem Maße beteiligen. Das istnichts Neues. Wir haben in Deutschland auch im Bereichder Arzneimittelhaftung eine große Stiftung. Es wäre gut,wenn wir eine solche Entwicklung einleiten würden.Es ist vor allem wichtig, dass wir von unkontrolliertenHeilversuchen wegkommen. Die Ärztinnen und Ärzte imBereich von Kindern und Jugendlichen sagen, es sei ihnennicht zuzumuten, dass sie unkontrollierte Heilversucheunternehmen müssen, um ihrem beruflich-ethischen Auf-trag gerecht zu werden, auf der anderen Seite aber in derGefahr stehen, etwas zu machen, was nicht durch das Arz-neimittelgesetz abgedeckt ist.Deswegen müssen wir uns klar darüber sein, dass wirmehr klinische Studien brauchen. Hier möchte ich, damitkein Missverständnis aufkommt, ganz deutlich machen:Diese klinischen Studien können nur unter hohen ethi-schen Ansprüchen durchgeführt werden.
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Horst Schmidbauer
14346
Wir müssen klar machen, dass diese Studien mit krankenKindern nur gemacht werden, wenn darüber, weil siekeine einwilligungsfähigen Personen sind, mit ihren El-tern und den Ethikkommissionen Einverständnis erzieltworden ist.
Wir freuen uns, dass auf der europäischen Ebene inder letzten Woche eine positive Entwicklung eingetretenist. Sowohl im Europäischen Parlament als auch in derKommission sagt man: Wir wollen gemeinsame Richtli-nien entwickeln, um diese Aufgabenstellung wahrzuneh-men. Wir denken, dass wir damit auf dem richtigen Wegsind und dass wir diese Aufgabe mithilfe der Richtlinienund der eigenen Ansprüche an Ethikkommissionen lösenkönnen. Ich bin ganz sicher, dass wir mit unserer neuenMinisterin, Ulla Schmidt, in dieser Frage sehr schnell ausdem Abseits kommen.
Wir sind es den Kindern, den Jugendlichen sowie denKinderärztinnen und Kinderärzten schuldig, dass wirdiese Aufgabe rasch lösen. Wir sind auf dem richtigenWeg.Der Chef des Zentrums für Kinderheilkunde an derUniversität Marburg, der für den Bereich der Heilmittelzuständig ist, hat in einem Brief geschrieben:Lassen Sie mich auf diesem Weg noch einmal ganzherzlich danken, vor allen Dingen auch im Namenunserer Fachgesellschaft, der Deutschen Gesell-schaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, fürIhr Engagement, den Arzneimittelstandard für Kin-der zu verbessern. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg fürdie nächste Woche. Nochmals ganz herzlichen Dank.Das ist es, was wir spüren: einen ganz starken Rücken-wind und von keiner Seite Gegenwind. Ich glaube, aufdieser Basis schaffen wir es, die Zukunft zu meistern. Dassind wir allen Betroffenen schuldig.Vielen Dank.
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht nun die Kollegin Eva-Maria Kors.
Verehrte Frau Präsi-dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Siemir ein Bild: Kinder sind der wichtigste Baustein für un-sere Zukunft.
Aber als schwächste Mitglieder unserer Gesellschaft be-dürfen sie des besonderen Schutzes jedes Einzelnen vonuns, der Familie und des Staates. Sie bedürfen einer be-sonderen medizinischen Fürsorge und Versorgung. Ange-sichts der aktuellen Entwicklung besteht die Gefahr, dassin Deutschland eine umfassende und qualifizierte medizi-nische Versorgung von Kindern in Zukunft nicht mehr ge-währleistet sein wird. Dies betrifft beispielsweise die Ver-sorgung von Kindern mit Arzneimitteln.Wie internationale Studien belegen, erhalten Kinderhäufig Arzneimittel, die eigentlich nicht für sie zugelas-sen sind. In Deutschland gibt es zu wenige speziell fürKinder zugelassene Arzneimittel. Rund 80 Prozent derMedikamente, die auf Intensivstationen verwendet wer-den, sind für Kinder nicht adäquat untersucht.
Da der Stoffwechsel bei Kindern anders ist, können dieWirkungen selbst reduzierter Dosierungen von Erwach-senenmedikamenten nicht automatisch auf Kinder über-tragen werden. Arzneimittel für Kinder bedürfen dahereiner eigenen grundlegenden wissenschaftlichen Betrach-tung. Herr Kollege Schmidbauer, Sie sehen, in diesemPunkt sind wir uns völlig einig.
– Frau Schmidt-Zadel, das ist ein ernstes Thema, das mannicht ins Lächerliche ziehen sollte.Aber auch der Fortbestand unseres qualifizierten me-dizinischen Betreuungssystems für Kinder und Jugend-liche durch speziell ausgebildete Ärzte sowie Kinder-krankenpflegerinnen und -pfleger ist zukünftig gefährdet.Der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte beklagteinen dramatischen Nachwuchsmangel im Bereich derKindermedizin. Ab 2003 müsse damit gerechnet werden,dass die medizinische Versorgung von Kindern in ganzenRegionen, insbesondere in Flächenländern und dort natür-lich im ländlichen Raum, nicht mehr gewährleistet sei.Auch die Kinderkrankenpflegerinnen und -pfleger spie-len bei der medizinischen Betreuung von Kindern eineganz bedeutende Rolle. Im Rahmen der Novellierung desKrankenpflegegesetzes gingen – ich verwende fairer-weise die Vergangenheitsform – Überlegungen der Bun-desregierung in Richtung einer generalistischen Pflege-ausbildung. Dies käme, wenn es so erfolgen würde, derAbschaffung der Kinderkrankenpflege gleich. Die Pflegevon Kindern erfordert aber eine besondere fachlicheKompetenz sowohl im stationären als auch im häuslichenbzw. im ambulanten Bereich.Gerade im häuslichen Bereich sind die betroffenen El-tern in ganz besonderem Maße auf die Unterstützungdurch ausgebildete Pflegekräfte angewiesen. Bisher istdie häusliche Kinderkrankenpflege im Gegensatz zur psy-chiatrischen und gerontopsychiatrischen Pflege im Gesetznicht erwähnt. Dies führt zwangsläufig zu Problemen, dadie Krankenkassen diese speziellen Leistungen nur ganzselten anerkennen.Die neuen Richtlinien des Bundesausschusses Ärzteund Krankenkassen zur Verordnung häuslicherKranken-pflege führen zu einer zusätzlichen Verschlechterung derPflegesituation von Kindern zu Hause. Gerade im Bereichder häuslichen Krankenpflege ist zunehmend eine Unter-versorgung von kranken Kindern zu beobachten. Dies gilt
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Horst Schmidbauer
14347
insbesondere für chronisch kranke Kinder mit zum Bei-spiel schweren Ernährungsstörungen oder Atemwegser-krankungen. Dies gilt aber auch für die Pflege schwerst-kranker Früh- und Neugeborener.Mit häuslicher Krankenpflege lassen sich aber nichtnur die ärztliche Behandlung und Therapie der Kinder si-chern und verbessern. Es lassen sich auch stationäre Auf-enthalte und Spätfolgekosten vermeiden. Aber wenn inZukunft ein stationärer Aufenthalt erforderlich wird, musssichergestellt bleiben, dass eine kind- und jugendgerechteVersorgung in unseren stationären Einrichtungen im me-dizinischen, psychosozialen und auch im pädagogischenBereich möglich bleibt. Ich erinnere an schwer krebs-kranke Kinder, die auch in der Klinik Schulunterricht be-kommen müssen. Hierfür brauchen wir, wie von uns inunserem Antrag gefordert, gut und speziell ausgebildetePflege- und Betreuungskräfte.
Vor diesem dargestellten Hintergrund behandelt dervon uns heute vorgelegte Antrag die derzeitigen Problemeim Bereich der medizinischen Versorgung von Kindernsehr umfassend, sehr differenziert und zukunftsorientiert.
Wir von der Union wollen die medizinische Versorgungvon Kindern, Herr Kollege Schmidbauer, insgesamt ver-bessern. Wir beschränken uns im Gegensatz zu Ihnennicht nur auf Verbesserungen im Bereich der Arzneimit-telsicherheit. Dabei stelle ich überhaupt nicht in Abrede,dass der Aspekt der Arzneimittelsicherheit auch in unse-rem Antrag vorkommt, also auch uns sehr wichtig ist.
Wir fordern die Bundesregierung angesichts der bei derFort- und Weiterbildung von Kinder- und Jugendärztenbestehenden Probleme konkret auf, bei der Bundesärzte-kammer auf eine Reform der Weiterbildung zum Kinder-und Jugendarzt zu drängen. Die Bundesregierung mussaußerdem die gesetzlichen Grundlagen dafür schaffen,dass die pädiatrische wie die allgemeinmedizinische Wei-terbildung gefördert wird. Nur so kann zukünftig die Ver-sorgung mit Kindermedizin sichergestellt werden. Eineeinseitige Bevorzugung der Förderung der Aus- und Wei-terbildung zum Hausarzt, wie Sie es betreiben, ist für unsin diesem Zusammenhang der absolut falsche Weg.
Wir fordern die Bundesregierung weiter auf, endlichdie Budgetierung der ärztlichen Honorare und die Fort-schreibung des Arznei- und Heilmittelbudgets aufzuge-ben.
Wir werden das immer wieder tun; verlassen Sie sich da-rauf. Denn dadurch wird auch die medizinische Versor-gung von Kindern mehr als eingeengt.Wir wollen ferner, dass die Bundesregierung die Sorgeder Kinderärzte ernst nimmt und die Rahmenbedingungenfür eine Versorgung von Kindern mit qualitativ hochwerti-gen Hilfsmitteln verbessert. Die CDU/CSU-Bundestags-fraktion erwartet von der Bundesregierung endlich einedeutliche Aufforderung an den Bundesausschuss Ärzteund Krankenkassen, die Richtlinien zur häuslichen Kran-kenpflege grundlegend zu überarbeiten. Dabei muss derBundesausschuss die besonderen Aspekte auch der häusli-chen Kinderkrankenpflege berücksichtigen.Aktuellen Pressemitteilungen zufolge scheint die Bun-desregierung wenigstens bei der anstehenden Novellie-rung des Krankenpflegegesetzes im Rahmen der geplan-ten integrierten Ausbildung die spezielle Ausbildung fürdie Kinderkrankenpflege erhalten zu wollen. Ich kann dasnur begrüßen. Ich hoffe, dass den Ankündigungen in derPresse nun auch bald die Taten folgen.Und nun noch kurz zu Ihrem Antrag. Keiner der hierAnwesenden – das betone ich nochmals – bestreitet ernst-haft, dass es im Bereich der Arzneimittelsicherheit beiKindern Handlungsbedarf gibt.
– Nicht „aha“, das ist so. – Aber es ist schon erstaunlich,welchen Weg Sie nunmehr gehen wollen. Sie fordern inIhrem Antrag die Beteiligung – was nichts anderes heißtals die finanzielle Unterstützung – der Pharmaindustriezur Gründung einer Stiftung. Noch im Februar 2000 ha-ben Sie bzw. die Bundesregierung die Pharmaindustrie alsden eigentlichen Schuldigen für die Defizite bei derArzneimitteltherapie von Kindern angeprangert.
Ich kann für die Kinder in unserem Land nur hoffen, dassdie Pharmaindustrie vergessen hat, wie sie von Ihnen jah-relang bei jeder Gelegenheit, wo Sie es nur konnten, alsPrügelknabe benutzt worden ist.Ebenfalls in der Fragestunde versicherte die Bundesre-gierung, das BMG prüfe derzeit, ob es künftig, wie in denUSA, einen verlängerten Patentschutz auf Arzneimitteleinführen kann. Bis heute sind Ergebnisse nicht vorgelegtworden. In der Zwischenzeit – Herr Schmidbauer, Sie ha-ben es angeführt – haben sich die Gesundheitsminister derEuropäischen Union auf Richtlinien geeinigt. Auch vondiesen Bemühungen sehen wir – zumindest bisher – in derArbeit der Bundesregierung nur sehr wenig.
– Nein, Sie sind ja seit einem Jahr an dem Thema.
– Das nimmt Ihnen doch keiner mehr ab, Frau Schmidt-Zadel, nach zwei Jahren.
Zusammenfassend halte ich hier fest, dass Ihr Antragnicht nur inhaltliche Schwächen beinhaltet, sondern ergreift vor allem viel zu kurz. Unser Antrag hingegen istumfassend, denn er fordert die Beseitigung der gravieren-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Eva-Maria Kors14348
den Mängel in der gesamten Kinderheilkunde und sorgtso für eine bedarfsgerechte und zukunftsfähige medizini-sche Versorgung der Kinder in unserem Land. Und das,meine Damen und Herren, haben unsere Kinder wahrlichverdient.
Jetzt hat das Wort die
Kollegin Göring-Eckardt für Bündnis 90/Die Grünen.
Kors, ich finde es schon bedauerlich, dass Sie zu einem
Rundumschlag ausholen und die Koalition an einer Stelle
kritisieren, wo Sie nicht nur in den letzten 16 Jahren nichts
unternommen haben, sondern auch in den letzten zwei
Jahren keine entsprechenden Anträge eingebracht haben.
Ich bin dem Kollegen Schmidbauer sehr dankbar, dass
er sich eines Teilproblems angenommen hat, was die
Frage der Arzneimittelversorgung und der Arzneimittel-
sicherheit für Kinder und Jugendliche angeht, weil ich
denke, ein solcher erster Schritt ist dringend notwendig.
Weitere werden und sollten natürlich auch folgen.
Es ist darauf hingewiesen worden, dass die meisten
Arzneimittel nicht für Kinder geeignet sind und in Bezug
auf Dosierung, Wirksamkeit und Nebenwirkungen nicht
entsprechend untersucht worden sind. Besonders drama-
tisch ist natürlich, dass Kinderärzte oft gezwungen werden,
Erwachsenenmedikamente einzusetzen. Oftmals bewegen
sie sich dabei auch außerhalb des haftungsrechtlichen
Schutzes des Arzneimittelgesetzes. Es mangelt an systema-
tisch erhobenen Daten und wissenschaftlich differenzierten
Therapieempfehlungen. In all diesen Fragen ist es notwen-
dig, den Qualitätsstandard der Arzneimittelversorgung von
Kindern weit voranzutreiben und dem der Erwachsenen
gleichzustellen.
Andere Länder – auch darauf ist hingewiesen worden –
zum Beispiel die USA, sind hier schon weiter. Hier ist ein
Gesetzespaket geschnürt worden, das die Arzneimittel-
hersteller verpflichtet, auch für Medikation an Kindern
entsprechende Eignungsnachweise zu erbringen. Ich denke,
mit diesem Antrag sind wir in dieser Richtung auf dem
richtigen Weg.
Was muss getan werden? Physiologische Besonderhei-
ten von Kindern müssen bei der Arzneimitteltherapie
berücksichtigt werden, um Über- und Unterdosierungen
sowie höhere Nebenwirkungen auszuschließen. Von der
richtigen Dosis des Arzneimittels für Erwachsene kann
ja – das Beispiel des Kollegen Schmidbauer war da sehr
eindrücklich – nicht auf die richtige Dosis für Kinder ge-
schlossen werden. Wir sind allerdings der Meinung, dass
Erprobungen von Medikamenten nur an kranken Kindern
durchgeführt werden sollten. Da sind wir allerdings ande-
rer Meinung als Sie; zumindest haben Sie sich in Ihrem
Antrag darauf ja nicht ausdrücklich bezogen.
Für eine kindgerechte Medikation fehlt es sowohl an
der notwendigen wissenschaftlichen Infrastruktur als
auch an staatlicher Forschungsförderung. Hierfür fühlen
wir uns als Koalition und Bundesregierung in der Verant-
wortung. Das gilt auch für das BfArM. Hier sind Kin-
derärzte unzureichend vertreten. Das BfArM muss besser
mit Ärztinnen und Ärzten ausgestattet werden, die pädia-
trische Kenntnisse haben.
Zu dem, was Sie, Frau Kollegin Kors, zum Thema Um-
gang mit der Pharmaindustrie gesagt haben: Natürlich
ist die Tatsache, dass die Pharmaindustrie bisher nicht aus
sich heraus entsprechende Dinge in die Wege geleitet hat,
bedauerlich. Ich finde es deswegen richtig, vorzuschla-
gen, dass man hier gemeinsam handelt: die Politik auf der
einen Seite und die Industrie auf der anderen Seite. Eine
Stiftung wird hier ein sinnvoller Weg sein, das gemeinsam
zu tun, gemeinsame Verantwortung zu übernehmen. Ich
kann daran nichts Eigentümliches finden, sondern das ist
angesichts der Versäumnisse, die wir vorfinden, genau
richtig.
Lassen Sie mich zum Schluss auf etwas verweisen, was
ich für einen der nächsten Schritte halte, die notwendig
sind, um beim Thema Kinder und Gesundheit weiterzu-
kommen und hier auch grundsätzlich zu anderen Verfah-
rensweisen zu gelangen. Ich habe der Kultusministerin
von Baden-Württemberg, Annette Schavan, die ja Ihrer
Partei angehört und zurzeit Vorsitzende der Kultusminis-
terkonferenz ist, in dieser Woche einen Brief geschrieben,
in dem ich sie bitte, darauf hinzuwirken, dass ein Fach Ge-
sundheitserziehung an unseren Schulen eingeführt wird.
Ich glaube, es ist notwendig, dass sich die Bundesregie-
rung, aber natürlich auch die Länderregierungen der
Frage des Umgangs mit Kindern und Gesundheit, natür-
lich auch mit Kindern und Krankheit sehr viel stärker wid-
men. Ich bin der Überzeugung, dass ein solches Fach, in
dem es dann um Präventionen, um die Suchtproblematik,
um gesunde Ernährung geht, ein wirklicher Schritt des
vorbeugenden Verbraucherschutzes wäre, der dringend
notwendig ist.
Der Antrag der Koalition ist ein solcher Schritt. In die-
ser Frage beschreiten wir neue Wege und ich bin darüber
sehr froh.
Vielen Dank.
Für die F.D.P. spricht
jetzt der Kollege Detlef Parr.
Frau Präsidentin! Meine Damenund Herren! Frau Göring-Eckardt, Verbraucherschutz, inder Tat, ist heute in aller Munde. Verbraucherschutz giltvor allem für eine Gruppe unserer Gesellschaft, die in denbeiden vorliegenden Anträgen angesprochen ist: für un-sere Kinder und Jugendlichen.Die Arzneimittelsicherheit muss generell im Zentrumunserer Bemühungen zum Schutz der Verbraucher– der Patienten – stehen. Diese Tatsache beweist: Die
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Eva-Maria Kors14349
Ansiedlung des Verbraucherschutzes im Landwirt-schaftsministerium war eine vorschnelle Entscheidung.
Der Antrag der Regierungsfraktionen verweist zu Rechtauf die Food and Drug Administration in den VereinigtenStaaten. Eine ähnliche Konstruktion
einer unabhängigen Einrichtung hätte ich mir neben derKonzentration des Verbraucherschutzes im Gesundheits-ministerium sehr gut vorstellen können.
– Das ist nur die Einleitung, Frau Kollegin. – Wir werdensehr genau beobachten, ob sich der organisatorischeSchnellschuss bewährt. Wir haben nach wie vor ganz er-hebliche Zweifel.
Jetzt zu den Inhalten, um auch Ihnen gerecht zu wer-den. Inhaltlich sprechen beide Anträge Defizite an, die wirdringend beseitigen müssen. Systematisch erhobene wis-senschaftliche Daten zum Einsatz von Medikamenten beiKindern und Jugendlichen sind ebenso wichtig wie wirt-schaftliche Anreize für die Pharmaindustrie. Wir unter-stützen die Bemühungen, die Akzeptanz der klinischenForschung auch an kranken Kindern zu erhöhen.
Die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse werden dieRisiken unerwünschter Nebenwirkungen erheblich redu-zieren können. Es ist auch richtig, Ethikkommissioneneinzuschalten, um Missbrauch zu verhindern.Auch der Vorschlag der Verlängerung des Patent-schutzes bzw. des Alleinvertriebsrechts, wenn das Medi-kament auch für den Einsatz in der Kinderheilkunde zu-gelassen wird, ist ein Schritt in die richtige Richtung.Ich finde es ganz putzig, Frau Schmidt-Zadel, wienachdrücklich SPD und Grüne sich in ihrem Antrag fürden Pharmastandort Deutschland einsetzen und weitereStandortnachteile verhindern wollen.
Das könnte fast aus der liberalen Feder stammen. Herz-lichen Glückwunsch! Genauso ordnen wir die Forderungnach Einrichtung einer Stiftung zur Unterstützung klini-scher Studien in der Kinderheilkunde ein. Auch dies isteine gute Sache – mehr privat, weniger Staat.Weniger gut sind Ihre Staatsgläubigkeit und Ihr Ver-trauen in den Erfolg staatlicher Förderungsprogrammezur Errichtung kostenintensiver Kompetenzzentren. Ichbin gespannt, wo Sie das Geld hierfür hernehmen wollen.Ich stimme Kollegin Kors ausdrücklich zu: Ihr Antragist wesentlich umfassender als der, den SPD und Grünevorgelegt haben.
Wir sollten in den Ausschussberatungen den Versuch ma-chen – vielleicht können wir das schaffen –, einen ge-meinsamen Antrag zu formulieren, der die von der Unionzusätzlich geforderten Lösungswege im Bereich der Imp-fungen, der Aus- und Weiterbildung und der Pflege auf-nimmt.Wir sollten auch, Frau Schmidt-Zadel, die europä-ischen Dimensionen etwas intensiver bedenken. Natio-nale Alleingänge helfen auch in diesem Bereich nicht. Wirmüssen uns in der Europäischen Gemeinschaft vielmehrauf gemeinsame Initiativen verständigen. Ein gutes Bei-spiel ist die europaweit einheitliche Regelung der bereitsangesprochenen klinischen Arzneimittelprüfungen anKindern.Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, das Thema derArzneimittelsicherheit und besseren medizinischen Ver-sorgung von Kindern und Jugendlichen ist meines Erach-tens ein Konsensthema. Wir sollten mit dieser Zielrich-tung in die Ausschussberatung gehen.
Ich erteile jetzt der
Kollegin Neuhäuser für die PDS das Wort.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag derKoalitionsfraktionen lenkt die Aufmerksamkeit auf Un-zulänglichkeiten in der Arzneimitteltherapie von Kindernund Jugendlichen. Dies ist heute schon mehrfach ange-führt worden. Ein Hauptproblem besteht darin, dass einhoher Anteil der Medikamente, die in der Kinderheil-kunde angewendet werden, dafür nicht speziell geprüftsind. Kinderärzte sehen sich immer wieder in der Situa-tion, Medikamente, deren Dosierung, Wirksamkeit bzw.Nebenwirkungen nur an Erwachsenen ausreichend unter-sucht wurden, auch bei Kindern einsetzen zu müssen. Dasist in der Tat unhaltbar, denn es kann nicht sein, dass dieQualität und Sicherheit der Arzneimitteltherapie bei Kin-dern geringer ist als die bei Erwachsenen.Es findet deshalb unsere Unterstützung, wenn der vor-liegende Antrag der Koalition auf eine Verbesserung die-ser Situation zielt. Um die Sicherheit von Kinderarznei-mitteln zu erhöhen und auch die dafür erforderlichenklinischen Studien durchzuführen, bedarf es intensiverstaatlicher Forschungsförderung an Universitäten und ananderen einschlägigen Wissenschaftseinrichtungen sowieverstärkter Aktivitäten des Bundesinstituts für Arzneimit-tel und Medizinprodukte.Dabei ist aus unserer Sicht ausdrücklich hervorzuhe-ben, dass für klinische Prüfungen an erkrankten Kindernbesonders sorgfältige Ethik- und Sicherheitsstandardsgelten müssen und dass ihre Einhaltung strengsterÜberwachung bedarf. Zu fragen bleibt allerdings, warumdie Regierung angesichts solch notwendiger und plausi-bler Maßnahmen nicht selbst handelt, sondern von ihren
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Detlef Parr14350
eigenen Koalitionsfraktionen dazu speziell aufgefordertwerden muss.Der kurzfristig ebenfalls zur Debatte gestellte Antragder CDU/CSU-Fraktion benennt weitere Schwachstel-len in der medizinischen Versorgung der Kinder. Mit denMissständen beim Impfen und generell in der Prävention,mit Versorgungs- und Ausbildungsproblemen in der Kin-dermedizin und der Kinderkrankenpflege werden zuRecht gravierende Mängel angesprochen und Verbesse-rungen gefordert.Allerdings, verehrte Kolleginnen und Kollegen von derCDU/CSU-Fraktion, müssen Sie sich auch sagen lassen,dass es dabei kaum um Probleme geht, die in der Zeit Ih-rer Regierung nicht schon lange bestanden hätten odernicht längst absehbar gewesen wären.
Aber für Schritte in die richtige Richtung ist es natürlich niezu spät und insofern steht die heutige Regierung uneinge-schränkt in der Verantwortung. Angesichts der Bedeutung,die der Gesundheit der nachwachsenden Generation zu-kommt, meinen wir allerdings, dass auf diesem Gebiet in-zwischen eine möglichst umfassende, bundesweite Strate-gie zur Erhaltung und Förderung der Gesundheit der Kindernotwendig ist. Die Palette der Maßnahmen muss dabei vomvorbeugenden Gesundheitsschutz über eine qualifiziertemedizinische Versorgung im Erkrankungsfall bis hin zurZurückdrängung umweltbedingter Gesundheitsschädenreichen.Meine Damen und Herren, Kinderarmut wird immerstärker zur Ursache gesundheitlicher Fehlentwicklungen.Deshalb ist die Gesundheit der Kinder letztlich auch nichtohne eine wesentlich stärkere Politik für Kinder zu ver-bessern. Dazu gehören – das sage ich, um zwei Vorschlägeunsererseits im Parlament zu diskutieren – zum einen dieErweiterung der Einflussmöglichkeiten der Kinderkom-mission – sie würde durch dieses Parlament gestärkt – undzum anderen eine Debatte über den Vorschlag der Akade-mie für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, bei derBundesregierung oder im Parlament einen Kinderbeauf-tragten einzusetzen.Vielen Dank.
Ich schließe die Aus-sprache.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen aufden Drucksachen 14/5083 und 14/5136 an die in der Ta-gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Wider-spruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich gebe jetzt das von den Schriftführerinnen undSchriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Ab-stimmung über die Beschlussempfehlung des Finanzaus-schusses zu dem Antrag der Fraktion der F.D.P. mit demTitel „Abschreibungstabellen nicht ändern“, Drucksachen14/1887und 14/5149, bekannt. Abgegebene Stimmen 535.Mit Ja haben gestimmt 311, mit Nein haben gestimmt 224,keine Enthaltungen. Die Beschlussempfehlung ist damitangenommen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Rosel Neuhäuser14351
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 534;davonja: 311nein: 223JaSPDBrigitte AdlerGerd AndresIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHermann BachmaierErnst BahrDoris BarnettDr. Hans Peter BartelsEckhardt Barthel
Klaus Barthel
Ingrid Becker-InglauDr. Axel BergHans-Werner BertlPetra BierwirthLothar Binding
Kurt BodewigKlaus BrandnerAnni Brandt-ElsweierWilli BraseDr. Eberhard BrechtRainer Brinkmann
Bernhard Brinkmann
Hans-Günter BruckmannEdelgard BulmahnUrsula BurchardtDr. Michael BürschHans Martin BuryHans Büttner
Marion Caspers-MerkWolf-Michael CatenhusenDr. Peter DanckertDr. Herta Däubler-GmelinChristel DeichmannKarl DillerPeter DreßenDetlef DzembritzkiDieter DzewasDr. Peter EckardtSebastian EdathyMarga ElserPeter EndersGernot ErlerPetra ErnstbergerAnnette FaßeLothar Fischer
Iris FollakNorbert FormanskiRainer FornahlHans ForsterDagmar FreitagLilo Friedrich
Anke Fuchs
Arne FuhrmannMonika GanseforthKonrad GilgesIris GleickeGünter GloserUwe GöllnerRenate GradistanacGünter Graf
Angelika Graf
Dieter GrasedieckMonika GriefahnKerstin GrieseAchim GroßmannWolfgang Grotthaus
Hans-Joachim HackerKlaus HagemannManfred HampelChristel HanewinckelAlfred HartenbachKlaus HasenfratzNina HauerHubertus HeilReinhold HemkerFrank HempelRolf HempelmannGustav HerzogMonika HeubaumReinhold Hiller
Stephan HilsbergWalter Hoffmann
Iris Hoffmann
Ingrid HolzhüterEike HovermannChristel HummeLothar IbrüggerBrunhilde IrberGabriele IwersenRenate JägerJann-Peter JanssenIlse JanzVolker Jung
Johannes KahrsUlrich KasparickSabine KaspereitSusanne KastnerUlrich KelberHans-Peter KemperKlaus KirschnerSiegrun KlemmerWalter KolbowFritz Rudolf KörperKarin KortmannAnette KrammeNicolette KresslVolker KröningAngelika Krüger-LeißnerHorst Kubatschka
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 200114352
Ernst KüchlerHelga Kühn-MengelUte KumpfKonrad KunickDr. Uwe KüsterWerner LabschBrigitte LangeChristian Lange
Detlev von LarcherChristine LehderWaltraud LehnRobert LeidingerKlaus LennartzDr. Elke LeonhardEckhart LeweringGötz-Peter Lohmann
Erika LotzDieter Maaß
Winfried ManteTobias MarholdLothar MarkChristoph MatschieHeide MattischeckMarkus MeckelUlrike MertenAngelika MertensDr. Jürgen Meyer
Christoph MoosbauerSiegmar MosdorfMichael Müller
Jutta Müller
Christian Müller
Franz MünteferingAndrea NahlesGerhard Neumann
Dr. Edith NiehuisDr. Rolf NieseDietmar NietanEckhard OhlLeyla OnurManfred OpelHolger OrtelAdolf OstertagKurt PalisAlbrecht PapenrothDr. Martin PfaffGeorg PfannensteinDr. Eckhart PickKarin Rehbock-ZureichDr. Carola ReimannMargot von RenesseRenate RennebachBernd ReuterDr. Edelbert RichterReinhold RobbeGudrun RoosRené RöspelBirgit Roth
Michael Roth
Thomas SauerDr. Hansjörg SchäferGudrun Schaich-WalchBernd ScheelenSiegfried SchefflerHorst SchildOtto SchilyDieter Schloten
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Regina Schmidt-ZadelHeinz Schmitt
Carsten SchneiderDr. Emil SchnellWalter SchölerKarsten SchönfeldFritz SchösserGisela SchröterDr. Mathias SchubertBrigitte Schulte
Reinhard Schultz
Volkmar Schultz
Ewald SchurerDr. R. Werner SchusterDietmar Schütz
Dr. Angelica Schwall-DürenBodo SeidenthalErika SimmDr. Sigrid Skarpelis-SperkDr. Cornelie Sonntag-WolgastWieland SorgeWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerDr. Ditmar StaffeltAntje-Marie SteenLudwig StieglerRolf StöckelRita Streb-HesseReinhold Strobl
Dr. Peter StruckJoachim TappeJörg TaussJella TeuchnerDr. Gerald ThalheimWolfgang ThierseFranz ThönnesUta Titze-StecherAdelheid TröscherHans-Eberhard UrbaniakRüdiger VeitSimone ViolkaHans Georg WagnerHedi WegenerDr. Konstanze WegnerWolfgang WeiermannReinhard Weis
Matthias WeisheitGunter WeißgerberGert Weisskirchen
Dr. Ernst Ulrich vonWeizsäckerJochen WeltHildegard WesterLydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Margrit WetzelDr. Norbert WieczorekJürgen Wieczorek
Helmut Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-ZeulHeino Wiese
Brigitte Wimmer
Engelbert WistubaHanna Wolf
Waltraud Wolff
Heidemarie WrightUta ZapfDr. Christoph ZöpelPeter ZumkleyBÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NENGila Altmann
Marieluise Beck
Volker Beck
Angelika BeerMatthias BerningerGrietje BettinAnnelie BuntenbachDr. Thea DückertFranziska Eichstädt-BohligDr. Uschi EidHans-Josef FellJoseph Fischer
Katrin Göring-EckardtRita GrießhaberAntje HermenauMichaele HustedtMonika KnocheDr. Angelika Köster-LoßackSteffi LemkeDr. Reinhard LoskeOswald MetzgerKerstin Müller
Winfried NachtweiCem ÖzdemirSimone ProbstChristine ScheelIrmingard Schewe-GerigkAlbert Schmidt
Werner Schulz
Christian SimmertChristian SterzingDr. Antje VollmerDr. Ludger VolmerSylvia VoßHelmut Wilhelm
Margareta Wolf
PDSMonika BaltPetra BlässMaritta BöttcherEva Bulling-SchröterRoland ClausHeidemarie EhlertDr. Heinrich FinkWolfgang GehrckeDr. Gregor GysiUwe HikschDr. Barbara HöllSabine JüngerGerhard JüttemannDr. Heidi Knake-WernerRolf KutzmutzHeidi LippmannPia MaierAngela MarquardtKersten NaumannRosel NeuhäuserChristine OstrowskiDr. Uwe-Jens RösselChristina SchenkDr. Ilja SeifertNeinCDU/CSUIlse AignerDietrich AustermannNorbert BarthleDr. Wolf BauerGünter BaumannBrigitte BaumeisterMeinrad BelleDr. Sabine Bergmann-PohlOtto BernhardtRenate BlankDr. Heribert BlensPeter BleserDr. Norbert BlümDr. Maria BöhmerSylvia BonitzJochen BorchertWolfgang Börnsen
Klaus BrähmigDr. Ralf BrauksiepeMonika BrudlewskyGeorg BrunnhuberHartmut Büttner
Dankward BuwittCajus CaesarPeter H. Carstensen
Leo DautzenbergWolfgang DehnelHubert DeittertAlbert DeßRenate DiemersThomas DörflingerHansjürgen DossMarie-Luise DöttMaria EichhornRainer EppelmannIlse FalkDr. Hans Georg FaustAlbrecht FeibelIngrid FischbachDirk Fischer
Axel E. Fischer
Dr. Gerhard Friedrich
Erich G. FritzJochen-Konrad FrommeHans-Joachim FuchtelNorbert GeisGeorg GirischIch rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten GudrunKopp, Dr. Werner Hoyer, Rainer Brüderle, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.Stiftung Warentest in die Unabhängigkeit ent-lassen– Drucksache 14/4284 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Auchdas ist so beschlossen.Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wortder Kollegin Gudrun Kopp für die F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr ge-ehrte Herren und Damen! Derzeit reden alle von der BSE-Krise. Doch der Verbraucherschutz ist eine umfassendeAufgabe. So wird die Forderung, dass unabhängige undwirklich hochwertige Verbraucherinformationen sicher-gestellt werden müssen, sehr leicht in den Hintergrund ge-drängt. Deshalb nehmen wir uns des Themas Stützung derStiftung Warentest und ihrer hervorragenden Arbeit anund erinnern daran, dass wir dafür zu sorgen haben, dasssie eine gute finanzielle Basis für die Zukunft bekommt.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Vizepräsidentin Anke Fuchs14353
Michael GlosDr. Reinhard GöhnerPeter GötzDr. Wolfgang GötzerKurt-Dieter GrillManfred GrundHorst Günther
Carl-Detlev Freiherr vonHammersteinGerda HasselfeldtHansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen HedrichHelmut HeiderichUrsula HeinenManfred HeiseSiegfried HeliasHans Jochen HenkeErnst HinskenPeter HintzeKlaus HofbauerMartin HohmannKlaus HoletschekJosef HollerithJoachim HörsterHubert HüppeSusanne JaffkeGeorg JanovskyDr.-Ing. Rainer JorkDr. Harald KahlSteffen KampeterDr.-Ing. Dietmar KansyIrmgard KarwatzkiVolker KauderEckart von KlaedenUlrich KlinkertEva-Maria KorsHartmut KoschykRudolf KrausDr. Paul KrügerDr. Hermann KuesDr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert LammertHelmut LampDr. Paul LaufsVera LengsfeldWerner LensingPeter LetzgusUrsula LietzWalter Link
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred LischewskiWolfgang Lohmann
Julius LouvenErwin Marschewski
Dr. Martin Mayer
Wolfgang MeckelburgDr. Michael MeisterFriedrich MerzHans MichelbachMeinolf MichelsDr. Gerd MüllerBernward Müller
Elmar Müller
Bernd Neumann
Claudia NolteGünter NookeFranz ObermeierFriedhelm OstEduard OswaldNorbert Otto
Dr. Peter PaziorekAnton PfeiferBeatrix PhilippRonald PofallaRuprecht PolenzMarlies PretzlaffDr. Bernd ProtznerThomas RachelHans RaidelDr. Peter RamsauerHelmut RauberPeter RauenChrista Reichard
Katherina ReicheErika ReinhardtHans-Peter RepnikKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberFranz RomerHannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm RonsöhrDr. Klaus RoseKurt J. RossmanithAdolf Roth
Norbert RöttgenDr. Christian RuckVolker RüheAnita SchäferDr. Wolfgang SchäubleHartmut SchauerteGerhard ScheuNorbert SchindlerBernd SchmidbauerChristian Schmidt
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Birgit Schnieber-JastramDr. Rupert ScholzReinhard Freiherrvon SchorlemerWolfgang SchulhoffGerhard SchulzDiethard Schütze
Clemens SchwalbeDr. Christian Schwarz-SchillingWilhelm-Josef SebastianHorst SeehoferHeinz SeiffertDr. h. c. Rudolf SeitersWerner SiemannJohannes SinghammerBärbel SothmannMargarete SpäteErika SteinbachMax StraubingerMatthäus StreblThomas Strobl
Dr. Susanne TiemannGunnar UldallArnold VaatzAngelika VolquartzPeter Weiß
Gerald Weiß
Annette Widmann-MauzHeinz Wiese
Hans-Otto Wilhelm
Klaus-Peter WillschBernd WilzWilly Wimmer
Matthias WissmannWerner WittlichDagmar WöhrlElke WülfingWolfgang ZeitlmannF.D.P.Ina AlbowitzHildebrecht Braun
Ernst BurgbacherJörg van EssenUlrike FlachGisela FrickHorst Friedrich
Rainer FunkeDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannDr. Karlheinz GuttmacherKlaus HauptUlrich HeinrichWalter HircheDr. Werner HoyerUlrich IrmerDr. Klaus KinkelDr. Heinrich L. KolbGudrun KoppJürgen KoppelinIna LenkeSabine Leutheusser-SchnarrenbergerDirk NiebelGünther Friedrich NoltingDetlef ParrCornelia PieperDr. Günter RexrodtDr. Edzard Schmidt-JortzigGerhard SchüßlerMarita SehnDr. Hermann Otto SolmsCarl-Ludwig ThieleDr. Dieter ThomaeJürgen TürkDr. Guido WesterwelleSie wissen: Die Stiftung Warentest darf nach Sat-zungslage keine Einnahmen aus Werbeanzeigen erwirt-schaften und hat zum Ausgleich dafür schon seit vielenJahren Zuschüsse erhalten. In den letzten zehn Jahren wa-ren dies 13 Millionen DM pro Jahr. Im Jahr 2000 wurdeerstmals drastisch gekürzt. Nach dem Entwurf des Haus-halts sollte es eine Kürzung um 40 Prozent auf rund 8 Mil-lionen DM geben. Wir haben daraufhin sofort einen An-trag auf Erhöhung der Mittel gestellt, nämlich auf11 Millionen DM. Dieser Antrag ist von Ihnen allen indiesem Haus unterstützt worden.Was Sie vielleicht nicht wissen, ist, dass die StiftungWarentest zum Jahresende 2000 aus dem damals noch zu-ständigen Wirtschaftsministerium die Nachricht erhaltenhat, dass für den Haushalt 2002 erneut nur 8 MillionenDM vorgesehen sind. Wie wichtig das neue Ministeriumfür Verbraucherschutz und Landwirtschaft das ThemaVerbraucherschutz insgesamt nimmt, sieht man daran,dass die Regierungsbank völlig leer ist.
Keine Aufregung,
meine Damen und Herren, er kommt.
Frau Kollegin, ich möchte Sie fragen, ob Sie eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Hinsken zulassen.
Ja, bitte.
Dann hat der Kollege
Berninger noch ein bisschen Zeit zu kommen, wenn sich
das hier verlängert.
Bitte sehr, Herr Hinsken.
Frau Kollegin Kopp,
pflichten Sie mir bei, wenn ich feststelle, dass die Bun-
desregierung dem Verbraucherschutz, obwohl sie ihn in
letzter Zeit in den Vordergrund stellt, nicht die notwendige
Bedeutung beimisst? Denn es befindet sich kein einziges
Regierungsmitglied auf der Regierungsbank.
Herr Kollege Hinsken, ich
stimme Ihnen vollkommen zu. Ich betone, was der Kol-
lege Parr eben gesagt hat: Auch der Zuschnitt dieses Mi-
nisteriums ist äußerst zweifelhaft. Den umfassenden und
wichtigen Verbraucherschutz ausschließlich beim Land-
wirtschaftsministerium anzusiedeln wird sich als Fehler
erweisen. Das sehen wir heute Abend. Das ist ein schlech-
tes Omen für den Verbraucherschutz.
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie mir eine kurze Zwischenbemerkung. Ich glaube,
es steht uns zu, festzustellen, dass wir sehr bedauern, dass
keiner auf der Regierungsbank sitzt. – Das gilt unabhän-
gig von der Frage, ob der Herr Staatssekretär schon da ist
oder nicht. Es gibt mehrere Ressorts und mehrere Staats-
sekretäre. Wir ermahnen die Bundesregierung, bei Bun-
destagsdebatten ordentlich vertreten zu sein.
Frau Kollegin, bitte fahren Sie fort.
Ich erinnere daran, dass dieStiftung Warentest im Jahr in etwa 2 200 Produkte undüber 130 Waren und Dienstleistungen testet. Das ist eineenorme Leistung. Die F.D.P.-Fraktion ist der Meinung,dass das Gezerre um jährliche Zuschüsse beendet werdenmuss. Wie wollen wir das machen? Wir haben Ihnen ganzkonkret vorgeschlagen, Vater Staat möge sich aus der Stif-tung Warentest zurückziehen und sie in die Unabhängig-keit entlassen – aber natürlich nicht zum Nulltarif.
Die Stiftung braucht dringend Stiftungskapital, das siein entsprechender Höhe aufbauen muss. Ein erster kleinerSchritt ist Ende des Jahres 2000 gemacht worden. Dasreicht aber bei weitem nicht aus. Wir beantragen deshalb,dass ein Betrag von 100 Millionen DM eingebracht wird,der auf mehrere Zahlungen über einige Jahre aufgeteiltwerden kann. In dieser Phase soll die Stiftung in die Lageversetzt werden, weitere Einnahmequellen zu erschließen.Der Stiftung soll auch ermöglicht werden, selber Stif-tungskapital einzuwerben – nicht bei einzelnen Firmen,aber beispielsweise bei Institutionen und Verbänden, diesich dem Verbraucherschutz besonders verpflichtet füh-len. Ich denke, das wäre ein sehr guter Ansatz.Natürlich muss die Stiftung bis dahin weiterhin finan-ziell unterstützt werden, und zwar nicht mit kleinen Häpp-chen wie den 8 Millionen DM, von denen die Rede ist. Esmuss wenigstens bei den jetzt vereinbarten 11 Millio-nen DM bleiben.
Auf Dauer ist diese Lösung für den Bundeshaushaltviel kostengünstiger, unabhängig davon, ob Sie drei Jahrezahlen, um das Stiftungskapital aufzubauen, oder ob Siefünf Jahre zahlen, wie von uns vorgeschlagen. Ich denke,das führt zu mehr Eigenverantwortung und unabhängigerArbeit dieser Stiftung. Mit dieser Lösung unterstützen wirdie Stiftung nicht nur verbal, sondern auch mit Taten,sprich: indem wir ihr die Freiheit geben, am Markt zuagieren. Das sollte sie uns wert sein. Das ist für die Ver-braucher wichtig; denn unabhängige und qualitativ hoch-wertige Verbraucherinformationen sind die Vorausset-zung dafür, dass sich Konsumenten überhaupt einenÜberblick am Markt verschaffen können. Die Stiftung sollalso ein Wegweiser für Produkte und Kontrollen sein.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Gudrun Kopp14354
Ich hoffe – lassen Sie mich das am Ende noch sagen –,dass der Verbraucherschutz, jetzt angesiedelt im Land-wirtschaftsministerium, in Zukunft mehr Beachtung fin-det. Ich befürchte aber, dass es nicht so sein wird; dennschon im Wirtschaftsministerium hatten es der Verbrau-cherschutz und damit die Stiftung Warentest sehr schwer.Ich denke, wir sollten nicht nur mit Blick auf BSE, son-dern auch insgesamt den Verbraucherschutz ernst nehmenund hier zu einer Lösung kommen, die für alle Beteiligtendie beste ist. Ich bitte Sie also, diesen Antrag im Rahmender Beratungen und bei der Abstimmung wohlwollend zubescheiden.Danke schön.
Jetzt erteile ich das
Wort der Kollegin Jella Teuchner, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen – besonders von der F.D.P.! Ich
darf zunächst die Ministerin entschuldigen. Wenn Sie sich
sachkundig gemacht hätten, würden Sie wissen, dass der
Verbraucherausschuss, der ursprünglich beim Ministe-
rium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten angesie-
delt war, heute einen Empfang auf der Grünen Woche
gibt. Von daher kann die Ministerin leider nicht hier sein.
Ich möchte zuerst auf den Antrag der F.D.P. zu spre-
chen kommen. Es ist verständlich, dass Sie von Ihrem
Aufsetzungsrecht Gebrauch machen; das sei Ihnen auch
zugestanden.
Dafür, dass Sie es nicht abwarten können, wie die neuen
Strukturen des Verbraucherschutzministeriums und auch
des Verbraucherausschusses hier im Bundestag aussehen
werden, habe ich allerdings kein Verständnis.
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Göring-Eckardt?
Nein, ich möchte im Zusam-menhang vortragen. – Deshalb beantrage ich, bevor ichmeine Gedanken weiter ausführe, diesen Antrag feder-führend dem Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernäh-rung und Landwirtschaft zu überweisen. Das ergibt sichaus dem neuen Zuschnitt des Ressorts wie auch aus denentsprechend erweiterten Aufgaben, mit denen sich derbisherige Landwirtschaftsausschuss zu befassen hat.Soziale Marktwirtschaft ist undenkbar ohne vorsorgen-den Verbraucherschutz. Eine starke Nachfrageseite istwichtige Voraussetzung für die Sicherung eines funktio-nierenden Wettbewerbs. Dafür müssen Verbraucherinnenund Verbraucher in die Lage versetzt werden, ihr Gewichtam Markt auch wirklich einzubringen. Ihre Eigenver-antwortung muss gestärkt werden. Die Kräfte des Marktesallein sind nicht ausreichend zur Schaffung eines Aus-gleichs zwischen den unterschiedlichen Zielen von Anbie-tern und Nachfragern. Nur gut informierte Verbraucherin-nen und Verbraucher können ihre Interessen gegenüber derAnbieterseite durch die Entscheidung für oder gegen einProdukt selbst vertreten.Verbraucherinnen und Verbraucher haben ein Rechtauf Information, auf Schutz vor Gefahren für Gesundheitund Sicherheit, auf eine gesunde Umwelt, auf die Wah-rung ihrer wirtschaftlichen Interessen. In diesem Gesamt-kontext leistet die Stiftung Warentest seit ihrer Gründungmit ihrer Aufklärungsarbeit unschätzbare Dienste. DieStiftung Warentest hat laut Satzung den klar umrissenenAuftrag, die „Öffentlichkeit über objektivierbare Merk-male des Nutz- und Gebrauchswertes sowie der Umwelt-verträglichkeit“ von Waren und Dienstleistungen zu un-terrichten.Ganz aktuell passt da auch die Nachricht über den Ver-zicht der Agrar- und Nahrungsmittelindustrie auf den Aus-bau des Einsatzes der „grünen Gentechnik“. Die StiftungWarentest hatte im vergangenen Jahr bei einer Testreiheherausgefunden, in wie vielen Lebensmitteln gentechnischveränderte Bestandteile ohne jede Kennzeichnung enthal-ten sind, und das, obwohl die große Mehrheit der Konsu-menten gerade bei Nahrungsmitteln besonders miss-trauisch ist.
Noch immer steht der Beweis der Unschädlichkeit dieserneuen Produkte für Mensch und Natur aus.Auch am aktuellen Verbraucherverhalten nach Be-kanntwerden der BSE-Fälle hier bei uns in Deutschlandzeigt sich erneut ganz deutlich: Verbraucher sagen jetzt,wo es langgeht. Sie verweigern sich als Konsumenten:Zum Beispiel musste Wurst aus dem Handel zurückgeholtwerden; der deutsche Rindfleischmarkt ist zusammenge-brochen; Beschäftigte in der Fleischverarbeitung müssenkurzarbeiten. Wieder wird der Staat mit sehr hohen Kos-ten für die Folgen einer über Jahrzehnte fehlgesteuertenPolitik einstehen müssen. Unsere These gilt weiter: Vor-beugen ist nicht nur besser, sondern auch billiger als Hei-len. Das zeigt auch diese sehr weit reichende Krise. DieSchäden müssen jetzt mit Geldern in enormer Höhe ausdem Staatshaushalt repariert werden.In diese Situation passt die von Ihnen geforderte De-batte zur ersten Lesung Ihres Antrages „Stiftung Warentestin die Unabhängigkeit entlassen“. Aber ich sage auch hierganz ungeschminkt: Dieser Antrag ist jetzt und in dieserForm unseriös. Sie wissen, dass wir im Bundeshalt für daslaufende Haushaltsjahr 11 Millionen DM für die StiftungWarentest bewilligt haben. Wir mussten kämpfen – dasgebe ich gerne zu –, aber zumindest dies haben wir er-reicht.
– Jawohl, Frau Kopp. – Sie wissen von Ihren Berichter-stattern aus dem Haushaltsausschuss so gut wie ich, dass
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Gudrun Kopp14355
derzeit ein Prüfauftrag im Wirtschaftsministerium in Ar-beit ist.
Zum damaligen Zeitpunkt war noch der Wirtschaftsaus-schuss zuständig. Mit diesem soll festgestellt werden, wiehoch das nötige Stiftungsvermögen sein müsste, damitdie Stiftung Warentest die jährlichen Bundeszuweisungendurch Zinseinnahmen kompensieren könnte.Sie jonglieren in Ihrem Antrag mit Zahlen, die einerÜberprüfung nicht standhalten. Beim Aufbau eines Stif-tungsvermögens mit den von Ihnen beantragten 20-Milli-onen-Mark-Raten über fünf Jahre würde bei einer 5-pro-zentigen Verzinsung mit Zinseszins eine Summe von circa115 Millionen DM anwachsen. Was soll Ihres Erachtens inden Jahren bis zur Erreichung der endgültigen Höhe desStiftungsvermögens passieren? Die Stiftung Warentest hatin verschiedenen Gesprächen mit mir und auch Vertre-terinnen meiner Fraktion dargelegt, dass künftig jährlichZuwendungen in Höhe von 10 Millionen DM erforderlichsein werden, um die gute Arbeit fortzuführen. Sollen jetztdiese erforderlichen 10Millionen DM zusätzlich bereitge-stellt werden?
Auch bei einem Stiftungsvermögen von 115 Millio-nen DM sind diese erforderlichen Mittel nur mit einem wei-teren Bundeszuschuss sicherzustellen; denn nach AdamRiese ergeben 5 Prozent Zinsen von 115 Millionen DM nuretwa 5,5 Millionen DM.
Damit müssten weiterhin 4,5 Millionen DM – Ihr Antragspricht ja nur von Zinseinnahmen – aus dem Bundes-haushalt zur Verfügung gestellt werden.
– Jawohl, als Buchhalterin bin ich des Rechnens mächtig. –Diese ganzen Aspekte werden wir natürlich im Ausschusssehr gründlich zu beraten haben.Noch einmal zum Wortlaut Ihres Antrages. Kein Ver-ständnis habe ich für die Forderung nach Unabhängig-keit. Seit der Gründung durch die Bundesregierung 1964hat sich die Stiftung als unabhängige Institution einen Na-men gemacht. Diese Souveränität und Neutralität habenin der Öffentlichkeit zu einem hohen Ansehen der Stiftunggeführt: sowohl bei Herstellern und Anbietern von Pro-dukten und Dienstleistungen wie auch bei den durch dieöffentlichen Testergebnisse gut informierten Verbrauche-rinnen und Verbrauchern. Meines Wissens war nie vonAbhängigkeit, Unfreiheit oder Unterordnung die Rede.Seit ihrer Gründung erhält die Stiftung die Bundesmit-tel – bislang aus dem Haushalt des Bundesministeriumsfür Wirtschaft – als Ausgleich dafür, dass sie kein Stif-tungskapital erhalten hat und keine Einnahmen durchWerbeanzeigen erzielen darf. Dennoch wurde mit demdurch den Verkauf der Publikationen erzielten Erlös mitt-lerweile eine gute finanzielle Rücklage erwirtschaftet.Diese Rücklage dient nach meinen Informationen ausdem Vorstand der Stiftung unter anderem auch dazu, ge-gebenenfalls nötige Finanzmittel bei – hoffentlich nienötigen – Schadensersatzforderungen aufbringen zu kön-nen. Dank der Sorgfalt der angewandten Prüfprogrammemusste sich die Stiftung meines Wissens bislang keinensolchen Forderungen stellen, aber ein entsprechenderNotfonds ist natürlich notwendig.
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kopp?
Nein, das möchte ich nicht.
Meine Redezeit ist gleich zu Ende.
Die Uhr wird ange-
halten, wenn Sie die Frage zulassen.
Ich weiß, aber ich möchte es
trotzdem nicht.
– Möchten Sie mich begleiten, Herr Hinsken?
Die Breite der getesteten Produktpalette unter Einbe-
ziehung der mittelständischen Hersteller ist eines der po-
sitiven Markenzeichen der Stiftung. Wir sollten also bei
den jetzt anstehenden Beratungen mit diesem Thema sehr
sorgfältig umgehen und noch einmal über die Vorgehens-
weise und den Antrag diskutieren. Ich denke, oberflächli-
che Rechnungen und Zahlen wie in Ihrem Antrag werden
der Stiftung Warentest nicht gerecht.
Jetzt erteile ich der
Kollegin Vera Lengsfeld für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
Frau Präsidentin!
Meine Kolleginnen und Kollegen! Die einzige Konstante
der Regierung Schröder ist, dass man sich auf nichts ver-
lassen kann. Wie wir es gerade erlebt haben, kann man
sich noch nicht einmal darauf verlassen, dass sich der
frisch gebackene Staatssekretär bemüht, rechtzeitig zur
Debatte zu erscheinen, weil er damit beschäftigt ist, im
Parlamentsrestaurant „Kollegen-Bashing“ zu betreiben.
Aber dafür haben wir natürlich größtes Verständnis.
Frau Kollegin, der
Herr Staatssekretär hat mir erzählt, es gehe ihm nicht gut.
Er komme direkt von der Ärztin des Bundestages zu uns
ins Plenum.
Da hat der Herr Staats-sekretär leider nicht die Wahrheit gesagt, weil ich ihn im
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Jella Teuchner14356
Parlamentsrestaurant gesehen habe. Er wird es sicherlichnicht wagen, dies zu bestreiten.
– Entschuldigen Sie bitte. Das war so.Um wieder zum Thema zu kommen: Wir haben einVerbraucherministerium bekommen, das mit einer neuenMinisterin bestückt ist, aber die entscheidende Frage, wiees mit der Verbraucherpolitik weitergeht, ist damit nichtbeantwortet. Um wenigstens die Stiftung Warentest vorder Willkür der schröderschen Kabinettstückchen zu be-wahren, unterstützen wir den Antrag der F.D.P.Die Stiftung Warentest sollte – von der Bundesregie-rung mit dem nötigen Stiftungskapital von 100 Milli-onen DM ausgestattet – in die Selbstständigkeit entlassenwerden. Sie soll von der Bundesregierung in die Lage ver-setzt werden, das nötige Stiftungskapital aufzubauen unddamit eigenverantwortlich umzugehen.Die Stiftung Warentest wurde 1964 vom DeutschenBundestag gegründet. Ihre Aufgabe ist es, dem Verbrau-cher bei der Auswahl von Waren und Dienstleistungeneine Orientierungshilfe an die Hand zu geben. Sie arbei-tet seitdem in hohem Maße verlässlich und in guter Qua-lität.Jährlich testet die Stiftung über 2 000 Produkte ausdem Konsumgüterbereich und führt 80 Dienstleistungs-tests hauptsächlich in den Bereichen Privatfinanzen, Ver-sicherungen, öffentliche Dienstleistungen, Gesundheit,Freizeit und Reisen durch. In den 35 Jahren ihres Beste-hens hat die Stiftung Warentest zu einer Steigerung derProduktqualität beigetragen.Ihre Arbeit finanziert die Stiftung überwiegend durchdie Einnahmen aus Publikationen, insbesondere der Zeit-schriften „Test“ und „Finanz-Test“. 1999 verfügte dieStiftung über Gesamteinnahmen in Höhe von 102,6 Mil-lionen DM, von denen 84,5 Millionen DM, also derLöwenanteil, aus den Verkaufserlösen der Zeitschriftenund anderer Publikationen stammten.In der Satzung der Stiftung ist ein Anzeigenverbot fürPublikationen verankert. Das ist vor allen Dingen deshalbgeschehen, um die finanzielle Einflussnahme von Anbie-tern von vornherein auszuschließen und der Stiftung ihreUnabhängigkeit zu bewahren. Zum Ausgleich dafür erhältsie Zuwendungen des Bundesfinanzministeriums. DieStiftung untersteht außerdem der Kontrolle durch denVerwaltungsrat, der von der Bundesregierung berufenwird. Dieser steht ihr auch beratend zur Seite.Die Stiftung Warentest ist also auf Zuwendungen derBundesregierung angewiesen. Mitte Juli 2000 hatte dasBundeswirtschaftsministerium allerdings bekannt gege-ben, dass der Zuschuss des Bundes für die Stiftung von13 Millionen DM im Jahre 2000 auf 8 Millionen DM imJahre 2001 gekürzt werden soll. Das wollte eine Bundes-regierung machen, die den Verbraucherschutz als eines ih-rer zentralen Themen bezeichnet. Das möchte ich hier be-tonen. Ich stelle fest, dass zwischen dieser Entscheidungund der vollmundigen Behauptung ein gewisser Wider-spruch besteht;
denn die geplante Kürzung um 5 Millionen DM hätte dieStiftung in ihrer Existenz bedroht. Die Ankündigung imJuli 2000 war viel zu kurzfristig, die meisten Prüfberichtefür das nächste Jahr waren schon in Auftrag gegeben. DieTests sind zudem teurer als bei der Konkurrenz, weil mehrKriterien geprüft werden, wie etwa die Umweltverträg-lichkeit der Produkte. Schon 1999 musste bei der Durch-führung von Tests drastisch gespart werden, um ein aus-geglicheneres Ergebnis zu erzielen. Weitere Kürzungenwären an die Substanz gegangen.Die CDU hat deshalb von Anfang an vehement dieSparpläne der Bundesregierung bekämpft.
– Doch. Wir haben auch Erfolg gehabt, denn die Ent-scheidung ist revidiert worden.
– Die Entscheidung ist erst jetzt für dieses Jahr revidiertworden. Statt der angekündigten 8 Millionen DM hat dieStiftung 10 Millionen DM bekommen.
Das wissen Sie doch. Das hat überhaupt nichts mit meinerParteizugehörigkeit zu tun, sondern war eher das Ergeb-nis der berechtigten Entrüstung über diese Entscheidung.
Es ist gleichzeitig aber angekündigt worden, dass dieZuwendungen für das nächste Jahr – also für dasJahr 2002 – wieder auf 8 Millionen DM reduziert werden.Das wird die Stiftung in Schwierigkeiten bringen. Des-halb sind wir ganz entschieden der Meinung, dass dieseUnsicherheit ein Ende haben muss. Die Stiftung benötigteine solide Basis und die Unabhängigkeit von den Stim-mungen in der Regierung.
Deshalb unterstützen wir nachdrücklich die Forderungder F.D.P., die Stiftung unabhängig zu machen. Der Weg,wie das geschehen kann, ist hier schon beschrieben wor-den; ich kann mir Ausführungen darüber sparen.Zum Abschluss möchte ich noch einen Punkt anspre-chen. Statt zu handeln und mit Taten zu beweisen, dass ihrder Verbraucherschutz wirklich am Herzen liegt, fährt dieRegierung die bekannte Doppelstrategie:
Sie gibt vollmundige Versprechen in hochemotionalisiertenDebatten, denen hektischer Aktionismus folgt. Bund undLänder planen und berufen zurzeit eine Fülle neuer Beauf-tragter und Verantwortlicher für den Verbraucherschutz,um dem öffentlichen Erwartungsdruck zu genügen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Vera Lengsfeld14357
Von einem Bundesamt fürVerbraucherschutz ist be-reits die Rede. Es drohen ein Wirrwarr an Kompetenzenund ein Mangel an Koordination. Was wir brauchen, sindkeine neuen Schnellschüsse vom Bund, sondern eine rich-tige und genaue Analyse, wo genau die Schwachstellenliegen und wie man eine bessere Kompetenzabgrenzungvon EU, Bund und Ländern hinbekommt.
Wir brauchen keine neuen Behörden, sondern Transpa-renz und Kontrolle.Ministerin Künast verspricht nun einen vorsorgendenVerbraucherschutz. Das hört sich in der Debatte über BSEmit den verängstigten Gemütern gut an, aber was ist denneigentlich damit gemeint? Das Wort suggeriert, es gebedie Möglichkeit, alle Risiken des Lebens auszuschalten.Das ist falsch. Wer nur auf staatlich verordnete Sicherheitsetzt, entmündigt sich selbst. Der anonyme Verbraucherwird so zum Gegenstück des mündigen Bürgers.
Wenn Verbraucherschutz eine Flut von neuen Regle-mentierungen bedeutet, wird er sich wie Mehltau über dasLand legen. Ob neue Reglementierungen am Ende wirk-lich mehr Schutz bieten, ist sowieso fraglich. Schon jetztsind die vielfachen Regelungen kaum noch zu übersehen.Die Umsetzung des Europäischen Weißbuches für Le-bensmittelsicherheit zum Beispiel ist kaum praktikabel.Was nützen immer neue Gesetze, wenn der Gesetzes-dschungel so unübersichtlich wird, dass sich jeder darinverirrt oder wenn über die vielen neuen Verordnungen dieeinfachsten Grundregeln vergessen werden?Mindestens seit 1923 ist bekannt, dass man Wieder-käuern kein Tiermehl füttern darf, da sie sonst – wie es da-mals auf einem Kongress hieß – irre werden.
Seit Jahren ist bekannt, dass die Verfütterung von Anti-biotika an Schlachttiere schädliche Folgen beim Men-schen hat. Wenn wider besseres Wissen trotzdem Tier-mehl an Wiederkäuer und Antibiotika an Schlachtviehverfüttert werden, kann das durch keine Vorsorge, son-dern nur durch wirksame Kontrollen verhindert werden.Wir brauchen auf Bundesebene gemeinsame Stan-dards, die auch in den Ländern durchgesetzt werden, umdie unterschiedliche Kontrollpraxis zu beenden. Nachge-ordnete Behörden eines Ministeriums sind nie gegen po-litische Einflussnahme gefeit und deshalb brauchen wireine wirklich unabhängige Lobby der Verbraucher. DieStiftung Warentest ist eine gute Hilfe für die Bürger, wennes darum geht, eine Kaufentscheidung zu treffen. Wirbrauchen dieses Institut und ähnliche unabhängige Insti-tute als Orientierungshilfe in der unübersichtlichen Kon-sumwelt.Vielen Dank.
Ich erteile der Kolle-
gin Ulrike Höfken vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehrgeehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen undKollegen! Es ist notwendig, den Verbraucherschutzdurch jede Fraktion, jede Partei und jede Institution zu un-terstützen. Das gilt für die F.D.P. genauso wie für dieCDU. Es wäre aber schön, Frau Lengsfeld, wenn man Siebeim Kämpfen auch mal sehen würde.
Ich will zu dem neuen Schwerpunkt Verbraucherpoli-tik einführend etwas sagen: Es ist ein entscheidenderSchritt, dass sich die Bundesregierung dazu entschlossenhat, der Verbraucherpolitik und dem Verbraucherschutzdie höchste Priorität einzuräumen. Das gilt natürlich querdurch alle Bereiche. Wichtig sind: Vorsorge statt Repara-tur, Verbraucherinteressen mit betriebswirtschaftlichenInteressen gleichsetzen, Verursacherprinzip verankern,Transparenz schaffen – das bedeutet nicht nur Preisver-gleich wie früher, sondern auch Einbeziehung von Qua-lität, Eigenschaften und innerer Werte bei Waren undDienstleistungen – und Technikfolgenabschätzungen.Ich denke, diese strukturellen Ansprüche verwirkli-chen sich nun erstmals in der Politik und der Geschichteder Bundesrepublik, nämlich in einem Ministerium fürVerbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft.
Ebenso wird es zu einer Neuorganisation der nachgeord-neten Behörden kommen. Das bedeutet keine Schaffungneuer Behörden, sondern Effizienzsteigerung, Zusam-menfassung und Verbesserung der Koordination, auch mitden Ländern.Es gibt auch eine Reihe von anderen Vorschlägen, diedie Verbraucherorganisationen seit vielen Jahren vor-bringen. Unter anderem wird gefordert, Einfluss des Ver-braucherschutzes und Kontrollrechte in allen Bereichenwirksam zu verankern, wie beispielsweise in der Wirt-schaftspolitik oder in der Finanzpolitik. Es wird ein Veto-recht für die Vertreterinnen und Vertreter des Verbraucher-schutzes und die zuständige Ministerin sowie eineBerücksichtigung der Verbraucherinteressen bei Geset-zesberatungen gefordert. Wir werden über all dies zu spre-chen haben.Beispiele sind natürlich in mancherlei Hinsicht vor-handen. Ein Ministerium für Verbraucherschutz kann sichnicht allein den Dingen zuwenden, die mit Lebensmittelnund Ernährung zu tun haben, sondern muss sich genausoden Fragen zu Gewinnspielen, Finanzdienstleistungenoder Pestiziden und Holzschutzmitteln widmen. Dieswird es auch tun.Wir brauchen auch ökonomische Instrumente. Ein Bei-spiel ist, die Produzentenhaftung zu verstärken. Es gehtaber auch um eine Auseinandersetzung mit der Forderungnach Abschöpfung der Unrechtsgewinne oder mit derUmsteuerung der Agrarsubventionen, wie wir sie derzeitdiskutieren.
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Vera Lengsfeld14358
Natürlich gehört dazu auch die Finanzierung. Diesgehört mit in diese Debatte, obwohl ich ansonsten dieÜberschrift des Antrages nicht verstehe. Wir, die verbrau-cherschutzpolitischen Sprecherinnen der SPD und derGrünen, haben uns bemüht, gemeinsam mit den Spreche-rinnen und Sprechern der anderen Fraktionen zu einerVerbesserung der Finanzierung des Verbraucherschutzeszu kommen. Ich möchte aber noch einmal leise daraufhinweisen, dass doch weiß Gott unter der alten Bundesre-gierung alle verbraucherschutzrelevanten Haushaltstitelreduziert worden sind. Es wurde ein Einschnitt gemacht.
Es gab keine institutionelle Förderung mehr, sondern nurnoch eine Projektförderung. Damit ist beispielsweise dieArbeit der Verbraucherzentralen ganz erheblich einge-schränkt worden. Wir haben bis heute nur eine Projektför-derung und müssen uns bemühen, hier andere Möglich-keiten der Finanzierung zu schaffen und gegen den Trendanzugehen, der schon vor einigen Jahren begonnen hat.
Sie haben Recht, die Stiftung Warentest war in der Dis-kussion. Ich freue mich über die breite Unterstützung desHauses und der Bundesregierung in diesem Fall. 11 Mil-lionen DM sind sicherlich eine Basis, auf der die StiftungWarentest ganz gut arbeiten kann.Was ich aber erstens nicht verstehe, ist das Wort „Un-abhängigkeit“ in Ihrem Antrag. Ich sehe auch nicht, wiesie gewährleistet sein soll, weil Sie die Stiftung mit dervon Ihnen vorgeschlagenen Finanzausstattung noch stär-ker auf Sparflamme setzen und sie wiederum von derBundesregierung abhängig machen. Das kann ich nichtnachvollziehen. Frau Teuchner hat bereits die Berechnun-gen erwähnt: Man bräuchte mindestens 170 Millio-nen DM und keineswegs nur 100 Millionen DM, um einesolche einmalige bzw. über fünf Jahre verteilte Finanzie-rung hinzubekommen.Zweitens frage ich mich, was Sie eigentlich damit mei-nen, die Stiftung solle am Markt agieren. Die StiftungWarentest hat am Markt agiert. Sie hat alle sich ihr bie-tenden Möglichkeiten wahrgenommen, zum Beispiel vorkurzem mit der recht moderaten Erhöhung des Bezugs-preises ihres Heftes. Ein ganz wichtiger Bestandteil ihrerUnabhängigkeit sollte bleiben, dass die Stiftung Waren-test Anzeigen gewerblicher Unternehmen oder Vereini-gungen weder entgeltlich noch unentgeltlich veröffentli-chen darf. Ansonsten kann sie sehr gut am Markt agieren.Da die Idee der Finanzausstattung der Stiftung grund-sätzlich nicht schlecht ist, sollte man sich interfraktionellzusammensetzen und weiter über eine solche Möglichkeitsprechen, sobald die Prüfung abgeschlossen ist.Danke schön.
Jetzt hat der Kollege
Rolf Kutzmutz, PDS-Fraktion, das Wort.
Verehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte etwas vor-
weg sagen, weil Frau Lengsfeld die Tiermehlverfütterung
angesprochen hat. Ich habe Sie so verstanden, dass Sie
sagten, das Jahr 2000 sei unmittelbar auf das Jahr 1923
gefolgt. Das halte ich zumindest rechnerisch für sehr ge-
fährlich.
Dazwischen lagen ja einige Jahre, in denen Tiermehl un-
ter ganz anderen Regierungen in Deutschland verfüttert
worden ist.
Es stimmt: Verbraucherschutz ist in aller Munde.
Jetzt wird entschieden, ob Verbraucher nachhaltig ge-
schützt oder verschaukelt werden. Die erste Frage im Hin-
blick auf den Antrag ist also, ob der Inhalt hält, was die
Verpackung verspricht. Ich käme nie auf die Idee, Frau
Kollegin Kopp – Sie kennen mich lange genug –, Ihnen
und der F.D.P. zu unterstellen, dass Sie den Verbraucher-
schutz aushöhlen wollten. Dazu haben wir viel zu ernst-
haft gemeinsam gestritten.
Als Sie Mitte Oktober letzten Jahres, also mitten in den
Haushaltsberatungen, in denen massive Kürzungsdrohun-
gen im Raum standen, Ihren Antrag beschlossen haben,
hielt ich ihn für sinnvoll, um Druck auszuüben. Die Über-
schrift „Stiftung Warentest in die Unabhängigkeit entlas-
sen“ entsprach aber damals wie heute nicht dem Inhalt des
Antrages und auch nicht dem, was mit ihm erreicht wer-
den könnte.
Dass Sie diesen Antrag ausgerechnet jetzt, da über
BSE, Schweine-Antibiotika und viele andere Dinge dis-
kutiert wird, auf die Tagesordnung setzen und ihn nicht
still und leise beerdigen, was ich mir gewünscht hätte
– ja, dazu sage ich gleich etwas –, wirft eine ernste Frage
auf: Steht Liberalisierung wirklich über dem möglichen
und notwendigen Schutz von 80 Millionen Verbrauche-
rinnen und Verbrauchern?
Dabei – das will ich auch sagen – ist die Idee, die Stif-
tung durch einen Kapitalstock vom Wohlwollen des je-
weiligen Bundesfinanzministers unabhängig zu machen,
grundsätzlich ehrenwert. Wir haben beispielsweise mit
der Wirtschaftsförderung über das ERP-Sondervermögen
keine schlechten Erfahrungen gemacht.
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kopp?
Ja.
Bitte sehr.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Ulrike Höfken14359
Herr Kollege Kutzmutz, ge-
stehen Sie uns Liberalen zu, dass das Anliegen im Okto-
ber und heute noch viel mehr äußerst ernst war bzw. ist?
Wir kümmern uns im Augenblick fast ausschließlich um
die BSE-Krise und deren Bewältigung, was richtig ist,
aber Verbraucherschutz ist eben sehr umfassend. Deshalb
die Frage an Sie: Dieses Anliegen, die Stiftung Warentest
in die Unabhängigkeit zu entlassen, ist in Zusammenhang
damit zu sehen, dass wir möchten, dass die Stiftung ihre
qualitativ hochwertige Arbeit uneingeschränkt weiterfüh-
ren kann, ohne Jahr für Jahr von weiteren Finanzkürzun-
gen bedroht zu werden. Vielmehr soll sie in die Lage ver-
setzt werden, einen Kapitalstock aufzubauen. Sie soll in
der Zwischenzeit weiterhin die Zuschüsse in Höhe von
11 Millionen DM erhalten, sodass sie ihre Arbeit danach
aus eigenen Kräften auf der Basis, die sie derzeit nicht hat,
und unabhängig von jeder Regierung, von jedem Finanz-
minister oder von jedem, der gerade zuständig ist, aus-
führen kann. Sind Sie bereit, das so anzuerkennen?
Liebe Kollegin, ich erkenne
vieles von dem an, was Sie sagen. Ich erkenne auch Ihren
liberalen Anspruch an und – das habe ich in meiner Ein-
leitung gleich betont – ich würde Ihnen nie unterstellen,
dass Sie den Verbraucherschutz sozusagen der Liberali-
sierung opfern wollen. Aber – das sage ich noch einmal
ausdrücklich – die Gefahr besteht. Ich denke, die Stiftung
Warentest wird die Unabhängigkeit, von der Sie sugge-
rieren, dass sie erreicht werden könne, mithilfe der Mittel,
die Sie aufbringen wollen, niemals erreichen.
Ich sage auch noch etwas zu den Zahlen, Frau Kopp,
weil ich mich dafür interessiert habe, wie die Verhältnisse
im gesamten Wirtschaftsbereich aussehen. Ich werde Sie
nicht überzeugen, das weiß ich. Sie haben Ihren Antrag ja
mit gutem Herzen und mit viel Überzeugung geschrieben.
Ich will aber zumindest auf einige Punkte aufmerksam
machen, die wir gemeinsam in den Ausschussberatungen
beachten sollten. Ich komme noch darauf zurück.
Wir haben also gute Erfahrungen in Zusammenhang
mit dem ERP-Sondervermögen gemacht; da gibt es einen
Kapitalstock.Aber ich sage auch: Kein Mensch käme da-
rauf, diesen Kapitalstock jedes Jahr durch Substanzver-
zehr aufzubrauchen. Jeder, auch wir, achtet darauf, dass
dieser Kapitalstock erhalten bleibt.
100 Millionen DM für die Stiftung sind, gelinde ge-
sagt, ein schlechter Witz. Selbst wenn man die eigenen
Rücklagen berücksichtigt, könnten bei einem solchen Ka-
pitalstock und ohne Gefahr zu laufen, die Substanz anzu-
greifen, jährlich maximal 6,5 bis 7 Millionen DM aufge-
bracht werden; immerhin waren im Vorjahreshaushalt der
Bundesregierung trotz der von uns gemeinsam erfolg-
reich bekämpften Kürzungspläne der Bundesregierung
noch 8 Millionen DM eingestellt. Jetzt sind im Haushalt
11 Millionen DM eingestellt.
Sie begründen Ihren Antrag damit, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der F.D.P., dass es seit 13 Jahren Zu-
schüsse in unveränderter Höhe gegeben hat. Das hätte man
gutwillig durchaus als Selbstkritik durchgehen lassen kön-
nen. Schließlich hat Ihre Partei in elf dieser 13 Jahre den
Bundeswirtschaftsminister gestellt. Nicht einmal der In-
flationsausgleich ist beim Verbraucherschutz jedes Jahr
beachtet worden. Die erneuten Kürzungspläne jetzt zum
Anlass zu nehmen, den Bundeszuschuss faktisch zu hal-
bieren, halte ich für ein starkes Stück.
Dem Ganzen setzt jedoch Ihre Forderung die Krone auf
– jetzt komme ich zu Ihrem Punkt –, der Bund solle sich
komplett aus der Stiftung zurückziehen. Sie nennen das:
Entlassung in die Unabhängigkeit. Glauben Sie wirklich
ernsthaft, dass in der Marktwirtschaft mit den Erkennt-
nissen, die auch Sie haben, dem Rückzug des Bundes
nicht der Einzug ganz anderer Firmen und Leute folgen
würde?
Meinen Sie wirklich, Verbraucherschützer ohne öffent-
liche Hand im Rücken blieben unabhängig, wenn sie mit
ihrem 100-Millionen-DM-Etat einen Bereich kontrollie-
ren und bewerten, in dem jährlich 60 Milliarden DM für
Werbung eingesetzt werden?
Bei 60 Milliarden DM wollen Sie mit 6 Millionen, 8 Mil-
lionen oder 10 Millionen DM etwas kontrollieren?
140 Millionen DM stehen beispielsweise der Centralen
Marketinggesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft zur
Verfügung – jene CMA, die derzeitig auf allen Plakat-
wänden Spitzenköche zur Fahndung ausschreibt. Ich
glaube nicht, dass der Antrag geeignet ist, die Sache des
Verbraucherschutzes wirklich voranzubringen.
Ich bitte Sie herzlich, dass wir in den Ausschüssen
– dorthin wird der Antrag überwiesen – ganz ernsthaft dis-
kutieren. Vielleicht kann der Antrag ergänzt werden. In
der jetzt vorliegenden Form können wir ihm aber nicht zu-
stimmen.
Ich möchte mit meiner letzten Bemerkung dem Herrn
Staatssekretär sagen: Wenn Sie es mit dem Verbraucher-
schutz ernst meinen, dann können Sie mit unserer Unter-
stützung rechnen. Wir müssen noch darüber streiten, wel-
ches die wirksamste Form ist. Transparenz wird nicht
alleine dadurch gesichert, dass sich der Staat zurückzieht.
Es gibt auch in der freien Wirtschaft genügend schwarze
Schafe.
Danke schön.
Ich erteile der Kolle-
gin Dr. Margrit Wetzel, SPD-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Frau Kopp, ich will Ihnen
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 200114360
durchaus zugestehen, dass Ihr Antrag mit Sicherheit gutgemeint ist. Aber Sie konnten schon den Ausführungenmeiner Vorredner entnehmen, dass er in der Sache völligdaneben gerutscht ist.Der erste Ausrutscher – darauf haben schon mehrereRedner hingewiesen – ist der Begriff „in die Unabhängig-keit entlassen“. Dieser Begriff suggeriert schlicht und ein-fach, dass es jetzt eine Abhängigkeit gibt.
Aber genau die absolute Unabhängigkeit der StiftungWarentest ist es, die ihre Anerkennung bei den Verbrau-cherinnen und Verbrauchern, aber auch bei den Produ-zenten ausmacht, die sich den kritischen Untersuchungenstellen. Die absolute Neutralität macht die Einzigar-tigkeit der Stiftung Warentest aus.
Genau diese Neutralität schafft Akzeptanz. Es ist über-haupt keine Frage, dass wir diese erhalten wollen.Der wichtigste Punkt für die äußerlich sichtbare Unab-hängigkeit ist die Tatsache, dass die Stiftung Warentestkeine Anzeigenwerbung annimmt.
Genau das wollen wir nach wie vor unterstützen.
Dass der Bund deshalb Ausgleichszahlungen leistet, ist inder Vergangenheit völlig selbstverständlich gewesen.Man wird sich darüber unterhalten müssen, ob dieseRegelung so bleiben kann oder ob sie geändert werdenmuss. Wichtig aber ist, dieses äußere Zeichen der Unab-hängigkeit zu erhalten.Ich habe mir von der Stiftung bestätigen lassen, dass esunter keiner Regierung und zu keiner Zeit, seit es die Stif-tung gibt, in irgendeiner Form irgendeinen Versuch derEinmischung in die Sacharbeit gegeben hat. Das heißt, dieUnabhängigkeit der Stiftung Warentest war und ist ge-währleistet. Wenn wir nun aufgrund der Staatsverschul-dung Einsparungen vornehmen müssen, dann liegt für je-den, der Zuschüsse erhält, darin die Chance, die eigeneWirtschaftlichkeit zu überprüfen und gegebenenfallsKonsequenzen zu ziehen.
Genau das hat die Stiftung gemacht: Sie hat Kosten ge-senkt, Einnahmen erhöht und hat ihrerseits alles getan,trotz der notwendigen Kürzung der Mittel die gleicheLeistung und Qualität zu liefern. Ich denke, an dieserStelle gebührt der Stiftung Warentest ein ganz großesDankeschön, dass das erreicht worden ist.
Frau Kollegin, die
Kollegin Kopp möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.
Ich lasse die Zwi-schenfrage nicht zu. Mir würde es zwar Spaß machen, da-rauf zu antworten. Aber da sich Herr Koppelin eben beiFrau Teuchner bedankt hat, dass sie mit Rücksicht auf dieKollegen, die nachher noch reden, keine Zwischenfragezugelassen hat, möchte auch ich keine Zwischenfrage zu-lassen. Diesen Dank möchte ich mir ebenfalls verdienen.
Der nächste Punkt ist die angebliche Existenzbedro-hung durch die Kürzung. Natürlich finden auch wir dieKürzung nicht gut. Wir wollen versuchen, sie zu verhin-dern. Aber daraus nun gleich eine Existenzbedrohung fürdie Stiftung konstruieren zu wollen ist einfach absurd.
Auch die Einnahmen aus Anzeigen können zurückgehen.Es gibt immer Schwankungen, wenn man sich am Marktbehaupten will. Die Stiftung hat aber gezeigt, dass sie inder Lage ist, auf Schwankungen sofort zu reagieren.Wir sind in großer Sorge, dass die Stiftung die Prüfun-gen einschränken muss, wenn ihr weniger Finanzmittelzur Verfügung stehen. Die Einschränkungen könnten so-wohl hinsichtlich der Tiefe – die Prüfungen würden alsonicht mehr so genau sein – als auch hinsichtlich derBreite – es würden weniger Projekte in Angriff genom-men werden – erfolgen. All das würde die Qualität beein-trächtigen. Deswegen wollen wir keine Reduzierung derFinanzmittel – im Gegenteil. Das ist eine ganz klare Aus-sage.Sie weisen in Ihrem Antrag kritisch darauf hin, dassnun auch noch Verbraucherinformationen im Internetangeboten werden sollen. Gott sei Dank gibt es diese Auf-gabenausweitung.
Gott sei Dank wird ein Markt erschlossen, der der Stiftungeine weitere Verbreiterung ihres Angebots bringt und fürmehr Akzeptanz sorgen wird.
Diese sinnvollen Angebote spielen auch Erlöse ein. Wirwarten mit Spannung darauf, wie sich dieses Gebiet ent-wickelt.Hinzu kommt, dass jede Aufgabeneinschränkung kon-traproduktiv wäre. Sie beklagen – das ist völlig absurd;ich komme gleich darauf zurück – beispielsweise die Bil-dungstests. Die Stiftung muss so viele Aufgaben überneh-men, wie es nur möglich ist. Ich möchte an dieser Stelledie Untersuchungen in Zusammenarbeit mit der EU-Kommission über Verkehrsflughäfen oder – heute gab eseine entsprechende Ticker-Meldung – die Untersuchun-gen über Brandschutz und Sicherheit in europäischenBahnhöfe erwähnen. Das alles sind Dinge, mit denen sichdie Stiftung Warentest einen Namen macht. Es gilt, diesesbreite Aufgabenspektrum zu erhalten und die Stiftungdarin zu unterstützen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Dr. Margrit Wetzel14361
Deswegen halte ich es für einen großen Ausrutscher,wenn Sie, wenn im Bildungsministerium überlegt wird,mit der Stiftung zusammen Bildungstests zu entwickeln,sagen, neue Aufgaben seien völlig unangebracht, undwenn Sie das öffentlich ausschreiben lassen wollen.
Ich halte das für völlig daneben. Wir haben eine öf-fentliche Diskussion über die Qualität von Bildungsange-boten, speziell von Bildungsangeboten im Internet; das istein völlig neuer Markt. Wenn man da auf dem Know-how,dem Wissen der Fachleute und der Infrastruktur der Stif-tung Warentest aufbauen kann, ist das eine ganz hervorra-gende Sache. Wir sollten alles tun, um zu unterstützen,dass die Stiftung in diesen Aufgabenbereich hineinkom-men kann. Dass dabei Vereinbarungen mit dem Ministe-rium getroffen werden und auch die finanzielle Seite ab-gesichert werden wird, ist doch völlig klar. Bisher hat dieStiftung nie ehrenamtlich gearbeitet und das soll sie auchin Zukunft nicht. Also wird das natürlich geklärt.Ganz nebenbei gesagt, arbeitet die Stiftung schon beidrei Projekten mit der Finanzierungshilfe des Bildungs-ministeriums, gerade im Bereich Internet.Ein letztes Wort zum Stiftungskapital; darauf sindschon einige meiner Kolleginnen und Kollegen eingegan-gen. Sie haben an dieser Stelle nichts anderes gemacht, alsauf einen fahrenden Zug aufzuspringen. Sie wissen ganzgenau, dass wir darüber diskutieren, die Stiftung mit demnotwendigen Kapital auszustatten. Warum Sie uns nun al-lerdings eine Ratenzahlung empfehlen, kann ich nichtverstehen. Wir sind doch nicht im Versandhandel. Mankann das also auch anders regeln.
– Es ist absolut absurd, auf der einen Seite mit Ratenzah-lungen – –
– Können Sie ein bisschen leiser dazwischenreden? Ichhabe noch anderthalb Minuten, die ich gerne nutzenwürde. Es ist sehr anstrengend, hier zu reden, wenn manständig Ihre Zwischenrufe im Ohr hat.
– Das ist nicht unsachlich, sondern es ist, wenn wir überStiftungskapital nachdenken, wichtig, dass wir von vorn-herein die notwendige Höhe zur Verfügung stellen undkeine Ratenzahlungen vorsehen,
sodass wir in den folgenden Jahren nicht ständig über wei-tere Mittel, die jährlich dem Haushalt abgerungen werdenmüssen, nachdenken müssen.Wenn, machen wir eine vernünftige Sache. DenPrüfauftrag gibt es. Die Haushälter, die Arbeitsgruppender Koalitionsfraktionen und auch das BMWi, das bisherdafür zuständig war, prüfen das ausgesprochen wohlwol-lend. Man kann das solide rechnen, indem man berück-sichtigt, welche Rendite zu erzielen ist und welche Zu-schüsse wir gezahlt haben. Wenn man davon ausgeht, dassüber Zinsen 10 Millionen DM zusammenkommen sollen,können wir uns ausrechnen, dass das Stiftungskapital imMoment irgendwo zwischen 140 und 170 Millionen DMliegen müsste.Wir werden intensiv darüber beraten müssen, ob wirdieses Geld zur Verfügung stellen können, und wir wer-den das in den Ausschüssen auch tun. Wir wissen alle,dass wir uns in dieser Sache vollkommen einig sind: Wirwollen absolute Sicherheit für die Stiftung.An der Stelle noch ein Hinweis: Ihre Anregung, dassdie Rücklagen der Stiftung in Stiftungskapital umgewan-delt werden sollen, ist eine reine Milchmädchenrechnung.Sie können sich an fünf Fingern abzählen, dass die Ein-nahmen, die von der Stiftung aus diesen Rücklagen er-wirtschaftet werden, in die tägliche Arbeit einfließen unddie Zinsen insofern gar nicht als etwas, von dem man zeh-ren kann, zur Verfügung stehen.
Deshalb bitte ich Sie, die Beratungen abzuwarten. IhrAntrag ist ja im Grundsatz nicht verkehrt, aber, wie ge-sagt, an etlichen Stellen völlig daneben. Vor allem bitteich Sie, der neuen Ministerin Zeit zu lassen, damit sie sichmit diesen Fragen in Ruhe auseinandersetzen kann. Dennauch einer neuen Ministerin müssen wir eine Chance fürganz seriöse Arbeit geben.Ich bedanke mich.
Ich erteile das Wortdem Kollegen Max Straubinger, CDU/CSU-Fraktion.
Max Straubinger (von der CDU/CSU mitBeifall begrüßt): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen undKollegen! Verbraucherschutz, Verbraucherinformationund Verbraucherpolitik sind häufig Schlagworte in der Öf-fentlichkeit und sind aufgrund des erstmaligen Auftretensvon BSE jetzt noch weit stärker in die Öffentlichkeit gera-ten. Das hat auch bei der Bundesregierung zu ersten Hand-lungen geführt. Sie konzentriert die Verbraucherpolitik imLandwirtschaftsministerium. Das tut zwar auch die Bayeri-sche Staatsregierung, aber ich glaube, diese hat das Pro-blem besser gelöst. Sie richtet ein eigenes Ministerium fürVerbraucherschutz und für Gesundheit ein.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Dr. Margrit Wetzel14362
– Nein, das hat mit Rücktritten überhaupt nichts zu tun.Meines Erachtens ist vielmehr die Bewältigung der Krisefür die Menschen in unserem Land das Entscheidende.
– Wenn ich die aktuelle Situation und die Krisen – vonSchleswig-Holstein über Niedersachsen und andere Bun-desländer – betrachte, stelle ich fest: Das ist im ganzenLand nötig.Verehrte Damen und Herren, ich glaube, dass esgrundsätzlich zu begrüßen ist, Verbraucherschutzfragenzu bündeln, wobei dies natürlich schwierig ist, weil Ver-braucherschutz eine Querschnittsaufgabe über viele Be-reiche darstellt. Wir sollten durchaus auch danach fragen:Was überhaupt ist Verbraucherschutz?Zuerst möchte ich hier ausführen: Verbraucherschutzdarf nicht zur Bevormundung der Verbraucher führen.Das, glaube ich, ist einer der wichtigsten Punkte. Viel-mehr muss dem Verbraucher die höchstmögliche Sicher-heit geboten werden, und zwar in folgenden Punkten.Erstens. Gesetzliche Verpflichtungen in den Produkti-onsverfahren müssen eingehalten werden; Einschränkun-gen und erhöhte Verpflichtungen zum Schutz der Ver-braucher müssen in den beteiligten Wirtschaftskreisenihre Berücksichtigung finden.Zweitens. Der Verbraucher muss ausreichende In-formationen erhalten und der Hersteller muss seinen Un-terrichtungspflichten nachkommen, um Vor- und Nach-teile abwägen zu können.Drittens. Der Verbraucher muss durch ein Widerrufs-recht vor Überrumpelungen geschützt werden.Verehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, obwohl es in der Vergangenheit kein sehr po-puläres Thema war, hat die alte Bundesregierung im Ver-braucherschutz wesentliche Verbesserungen erreicht. Icherinnere gerade an gesetzliche Vorschriften und Änderun-gen, vor allem an die Vorschriften des BGB zu Pauschal-reisen, an das Verbraucherkreditgesetz, das Gesetz überden Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Ge-schäften, an das Produkthaftungsgesetz und das Umwelt-haftungsgesetz. Ich glaube, dies sind Gesetze, die auchmit Blick auf den vorsorgenden Verbraucherschutz zuverstehen sind.Aufgrund des heutigen Antrages der F.D.P.-Fraktion,die Stiftung Warentest in die Unabhängigkeit zu entlassen,ist es durchaus angebracht, auch das bisherige Handeln derrot-grünen Bundesregierung in den Fragen des Verbrau-cherschutzes und den Stellenwert des Verbraucherschutzesin ihrer Politik zu hinterfragen. Bisher gab es beimBundeswirtschaftsministerium zwei entsprechende Ein-richtungen: einen interministeriellen Ausschuss fürVerbraucherfragen und einen Verbraucherbeirat. BeideEinrichtungen haben seit dem Amtsantritt der rot-grünenBundesregierung nicht getagt bzw. sie wurden nicht beru-fen. Ich glaube, dies wirft durchaus ein bezeichnendesLicht auf den Stellenwert des Verbraucherschutzes in derVergangenheit. Ich hoffe, dass dies besser wird.
Der Verbraucherausschuss beim Bundeslandwirt-schaftsministerium hat – man höre und staune – mittler-weile sein 50-jähriges Bestehen gefeiert und ist schon fasteine ehrwürdige Einrichtung. Aber auch er hat bisher lei-der Gottes nur einmal getagt, nämlich am Rande der Grü-nen Woche. Das bedeutet, dass gerade bei der rot-grünenBundesregierung in diesem Bereich durchaus Ver-besserungen angesagt sind, und zeigt sehr deutlich, dassmit dem Verbraucherschutz stiefmütterlich umgegangenwurde.Dieser Umstand setzt sich auch in der Haushaltspoli-tik fort. Viele Vorrednerinnen und Vorredner sind bereitsdarauf eingegangen, dass die Stiftung Warentest in derVergangenheit immer mit 13 Millionen DM aus demBundeshaushalt unterstützt wurde, damit sie ihre selbstgestellten Aufgaben, zum Beispiel die Produkttests unddie Darstellung der Ergebnisse, unabhängig und unpar-teiisch durchführen konnte. Aufgrund des Vorschlagesdes Bundeswirtschaftsministeriums bei den Haushaltsbe-ratungen 2001 wurden nur noch 8 Millionen DM für dieStiftung Warentest gewährt. Durch versammelten undgestärkten Einsatz quer durch alle Fraktionen des HohenHauses, des Parlaments, konnte zumindest eine Er-höhung auf 11 Millionen DM erreicht werden.
Aber es ist schon bezeichnend, wenn mit dem Zuwen-dungsbescheid an die Stiftung Warentest – Frau Kopp hatbereits darauf hingewiesen – gleichzeitig bedeutetwurde, dass die Stiftung Warentest im Jahre 2002 mit nurnoch 8Millionen DM Unterstützung rechnen kann. DieseKürzungen schränken natürlich die Arbeit der StiftungWarentest drastisch ein.Eine moderne Verbraucherpolitik bedeutet für michdie Respektierung des Grundsatzes „Privatautonomie desEinzelnen in einem wirtschaftlichen System mit hoherTransparenz“. Der Verbraucherschutz soll keine Bevor-mundung des Verbrauchers sein, sondern dem mündigenVerbraucher gewährleisten, dass er über Kriterien, die fürseine Entscheidung maßgeblich sind, zutreffend undvollständig informiert wird.
Dies ist neben dem Schutz vor dem Überrumpeln desVerbrauchers durch geschickte Verkaufstaktiken und ne-ben der Kontrolle der Produktionstechniken die tragendeSäule des Verbraucherschutzes.Die Stiftung Warentest liefert seit vielen Jahren Infor-mationen und Testergebnisse, die viele Produkte umfas-sen, und zwar nicht nur Verkaufsrenner, sondern auch Ni-schenprodukte. Das ist besonders wichtig; denn geradeTests in diesem Bereich sind im Hinblick auf den Ver-braucherschutz nützlich.
Angesichts der Kürzungsvorstellungen der Bundes-regierung ist diese Arbeit gefährdet. Deshalb ist daraufhinzuwirken, dass die Stiftung Warentest zukünftig vonpolitischer Unbill und vor allen Dingen von weiterenfinanziellen Kürzungseinschnitten verschont wird.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Max Straubinger14363
Deshalb werden wir in den Ausschussberatungen denAntrag der F.D.P. einer positiven Prüfung unterziehen.Besten Dank für die Aufmerksamkeit.
Herr Kollege, das war
im Hinblick auf die Ihnen zustehende Redezeit eine
Punktlandung.
Nun freuen wir uns auf den Vertreter der Bundesregie-
rung, auf den Parlamentarischen Staatssekretär Matthias
Berninger.
Ma
Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Meine Freude ist nicht ganz so groß: Ich war so-eben beim Arzt. Ich habe eine leichte Magen-Darm-Grippe. Wenn ich hier also gleich weglaufe, dann liegt dasnicht am Thema.Das neue Ministerium, in dem ich ParlamentarischerStaatssekretär geworden bin, trägt den Namen „Bundes-ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-wirtschaft“. Verbraucherschutz steht deshalb an ersterStelle, weil die Bundesregierung dem vorsorgendenVerbraucherschutz in den nächsten zwei Jahren ihrerArbeit ein besonderes Augenmerk widmen wird. Vor die-sem Hintergrund ist auch die Stiftung Warentest für unsein sehr wichtiges Thema.Frau Kollegin Kopp, ich bin Ihnen deshalb dankbar,dass wir heute über einen Antrag bezüglich der StiftungWarentest diskutieren. Ich finde, wir sollten über dieFrage, wie eine solche Stiftung besser zu finanzierenist, keinen politischen Streit führen. Das ist für mich nureine Frage der Kalkulation. Wenn Sie Herrn Finanzminis-ter Eichel überzeugen würden, uns beispielsweise166,66 Millionen DM zur Verfügung zu stellen, dannwürden wir uns überlegen, ob wir die Stiftung Warentestin Ihrem Sinne vollständig unabhängig machen. Wenn derHerr Finanzminister diese Mittel nicht zur Verfügung stel-len wird, werden wir um jährliche Zuwendungen für dieseStiftung kämpfen.Eines ist aber in jedem Fall klar: Wir wollen, dass dieStiftung Warentest unabhängig ist, weil wir glauben, dassder Verbraucherschutz ein Thema ist, das sich nicht zumparteipolitischen Streit eignet, sondern alle Bürgerinnenund Bürger gleichermaßen betrifft und daher überpartei-lich sowie unabhängig zu betrachten ist.
Lassen Sie uns hier also nicht streiten und wenden Sie sichan den Finanzminister!Ich wäre auch für eine zweite Variante gerne zu haben:Wenn er nicht bereit ist, in einem Jahr das nötige Stif-tungskapital anzuhäufen, kann er dies gerne auch in fünfSchritten tun. Dann bräuchten wir allerdings 189 Milli-onen DM. Als ehemaliges Mitglied des Haushaltsaus-schusses kann ich Ihnen dazu nur sagen: Ich wünsche Ih-nen dabei viel Vergnügen. Ich vermute, das wird nichtklappen.Dennoch wird die Stiftung Warentest für uns eine ganzwichtige Institution sein.
Es ist kein Zufall, dass die Stiftung Warentest von allendeutschen Institutionen die höchsten Sympathiewerte hat.Diese Werte liegen höher als die des Parlamentes, die derBundesregierung und sogar die der katholischen Kirche.Es ist kein Zufall, dass sie eine Art Leuchtturm unter dendeutschen Verbraucherorganisationen ist. Das wollen wirfür den vorsorgenden Verbraucherschutz nutzen. Denn ichglaube, die Verbraucherinnen und Verbraucher brauchendie Unterstützung der Stiftung Warentest.Das Thema Nahrungsmittel beschäftigt zurzeit unsalle. Die Bürgerinnen und Bürger sind besorgt, und dasvöllig zu Recht. Vorhin wurde über den Tiermehlskandalund über die in der Schweinemast verwendeten Antibio-tika diskutiert. Lassen Sie mich gleich einmal klarstellen:Je kleiner die Tiere sind, desto mehr Antibiotika bzw. Me-dikamente erhalten sie. Der Zustand, den wir heute in derMassentierhaltung haben, ist nur aufrechterhaltbar, wennman massenhaft Medikamente einsetzt.Das alles sind Themen, denen sich die Stiftung Waren-test weiterhin widmen kann. Das sind Themen, über diedie Verbraucherinnen und Verbraucher aufgeklärt werdenmüssen. Ich mache mir allerdings nichts vor: Solche The-men haben Konjunktur. Zurzeit reden alle über BSE. BSEund die Diskussion darüber werden aber dieses Land unddie Landwirtschaft nur dann verändern, wenn die Ver-braucherinnen und Verbraucher auf Dauer sensibilisiertbleiben. Ich freue mich, dass sie es heute sind. Ich wün-sche mir aber – und das wäre eine Unterstützung für dieBundesregierung –, dass sie es auf Dauer bleiben, und umdaran erinnert zu werden, ist die Stiftung Warentest si-cherlich eine wichtige Einrichtung.Zwei erfolgreiche Publikationen gibt es: „Warentest“und „Finanz-Test“. Am Beispiel der Zeitung „Finanz-Test“ erkennen Sie, dass sich die Stiftung Warentest sehrfrühzeitig auf neue Felder konzentriert hat, wo die Ver-braucher Dinge nachgefragt haben, übrigens weit vor derPolitik. In der Rentenpolitik ist über so etwas wie privateAltersvorsorge über Jahre nicht geredet worden. DieStiftung Warentest hatte ein besseres Gespür als die Poli-tik sowohl der alten als auch der neuen Regierung dafür,dass die Verbraucher hier ein Interesse haben.Ich sehe es als eine Aufgabe des neuen Ministeriums,die Rentenreform positiv zu begleiten und die Unsicher-heit der Verbraucherinnen und Verbraucher hinsichtlichder privaten Altersvorsorge möglichst gering werden zulassen, für Aufklärung zu sorgen und den Menschen, dieihr Geld anlegen und im Alter dieses Geld auch habenwollen, die nötige Sicherheit zu geben. Das ist ein ganzwichtiges Thema für uns in den nächsten zwei Jahren.
Das Thema Bildungstest ist angesprochen worden. Esgibt immer mehr Bildungsangebote, übrigens auch pri-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Max Straubinger14364
vate Bildungsangebote, und die Qualität dieser Bildungs-angebote ist für jemanden, der sie nachfragen will, nichtauf den ersten Blick erkennbar. Auch hier wollen wir ei-nen Akzent setzen. Es wird nur eines von vielen Themensein, wo wir Akzente setzen wollen; denn wir glauben,dass in einer Gesellschaft, die lebenslang lernt, die Wei-terbildung ein wichtiges Thema ist, dass die Eigenverant-wortung zählt und wir die Menschen unterstützen sollten.
Ich glaube, es gibt auch hier im Haus einen Konsensdarüber, dass Marktwirtschaft nur funktioniert, wenndie Verbraucher faire Chancen haben. Es gibt viele Berei-che – Ernährung ist ein Bereich, Kinderspielzeug ist mei-ner Meinung nach ein ganz wichtiger Bereich –, wo vorallem die Verbraucherinnen und Verbraucher, die nichtviel Geld im Portemonnaie haben, keine fairen Chancenhaben. Es ist die Aufgabe der rot-grünen Koalition, dafürzu sorgen, dass diese Chancen verbessert werden; denndann funktioniert auch die Marktwirtschaft besser.Vielen Dank.
Ich glaube, ich spre-
che in Ihrer aller Namen, wenn ich dem Herrn Kollegen
Berninger gute Besserung wünsche, damit er bald wieder
auf die Beine kommt.
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstim-
mung. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/4284 auf die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Abweichend von der
Tagesordnung soll die Vorlage zunächst und federführend
an den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten überwiesen werden. – Heißt der Ausschuss noch
so? – Also, der heißt jetzt auch anders, also Überweisung
an den zuständigen Ausschuss. Damit sind Sie einver-
standen? – Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Brunhilde Irber, Iris Gleicke, Hermann Bachmaier,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD
sowie den Abgeordneten Sylvia Voß, Ekin
Deligöz, Christa Nickels, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnde-
rung des Gaststättengesetzes
– Drucksache 14/4937 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Damit sind
Sie einverstanden; dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe der Kollegin
Renate Gradistanac das Wort.
Frau Präsidentin! WerteKolleginnen und Kollegen! Wir wollten nicht alles andersmachen, sondern vieles besser. Heute Abend ist wiedereinmal Gelegenheit, das zu beweisen.
– Danke für die Zustimmung.In der letzten Legislaturperiode wurde das Gaststätten-gesetz dahingehend geändert, dass alle Gastwirte mindes-tens ein alkoholfreies Getränk anbieten müssen, dasnicht teurer sein darf als das preiswerteste alkoholhaltigeGetränk. Leider mussten wir feststellen, dass diese für denJugendschutz und auch für die Verkehrssicherheit wich-tige Regelung in der Praxis – um es einmal vorsichtig aus-zudrücken – zu Unklarheiten geführt hat und zum Teil leerläuft.
Nach wie vor ist der Konsum alkoholischer Getränkegünstiger als der alkoholfreier.
Ich denke, wir können das alle hin und wieder in unserenWahlkreisen beobachten.
– Herr Hinsken, Sie werden doch da nicht auf einem Augeblind sein.
Das haben die Überprüfungen von Gaststätten durch ver-schiedene Verbraucherzentralen gezeigt.
Dabei sind die Gaststätten vornehmlich dazu überge-gangen – Herr Hinsken, es ist schon spannend, wie sie dasunterlaufen haben –, die Vorschrift formal nach Maßgabeder Einzelverkaufspreise der Getränke zu erfüllen, hin-sichtlich der Mengenpreise aber zu unterlaufen. Hinzukommt, dass dieses Vorgehen auch durch die Rechtspre-chung bestätigt wurde.Wir stellen nun klar, dass die vorgeschriebene Preisre-lation auf der Grundlage des hochgerechneten Preises füreinen Liter der betreffenden Getränke zu gewährleistenist, sodass zumindest ein alkoholfreies Getränk sowohlvom spezifischen als auch vom absoluten Preis her nichtteurer sein darf als das billigste alkoholische Getränk.Dies ist, so meinen wir, ein kleiner aber wichtiger Schritt,um es gerade Jugendlichen, die mit ihrem Geld oft knappkalkulieren müssen, zu ermöglichen, ein alkoholfreies Er-frischungsgetränk statt Bier zu wählen, das in Gaststättenzumeist als billigstes Getränk angeboten wird. Soweit derInhalt der Gesetzesänderung – leicht zu verstehen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Parl. Staatssekretär Matthias Berninger14365
Lassen Sie mich als Mitglied im Ausschuss für Fami-lie, Senioren, Frauen und Jugend und im Tourismusaus-schuss zwei Punkte aufgreifen: die Eindämmung des Al-koholkonsums, insbesondere bei Jugendlichen, und dieErhöhung der Verkehrssicherheit. Wie allgemein be-kannt – heute Nachmittag konnten wir es ja auch noch ein-mal hören – gehört Deutschland leider zur europäischenSpitzengruppe beim Alkoholkonsum. Das heutige Gesetzkommt unserem, meinem Anspruch auf Suchtpräventionein Stück näher.Seit Anfang der 90er-Jahre ist der Anteil alkoholbe-dingter Unfälle deutlich zurückgegangen. Erfreulicher-weise gab es ein Umdenken bei den Verkehrsteilnehme-rinnen und Verkehrsteilnehmern. Dennoch ist die Zahl derVerkehrsopfer immer noch zu hoch. 14 Prozent aller Ver-kehrstoten starben an den Folgen eines Alkoholunfalls; sodie Zahlen des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr1999. Dabei fällt auf, dass sich die meisten Autounfälle anden Wochenenden ereigneten. Noch deutlichere Unter-schiede zeigten sich in der tageszeitlichen Verteilung:Zwischen 18 Uhr abends und 4 Uhr morgens stieg der An-teil der Unfälle mit Personenschaden, die auf Alkoholzurückzuführen sind, auf 64 Prozent an. Nach Mitternacht– hier liegt ein deutlicher Schwerpunkt – steigt er nochstärker. Die Absenkung der Promillegrenze, heute im Ple-num diskutiert, auf 0,5 Promille und die Änderung desGaststättengesetzes werden – so meine Erwartung – be-stimmt zur Erhöhung der Verkehrssicherheit beitragen.
Immer wieder höre ich aus uninformierten Kreisen– dazu gehören die Mitglieder des Parlaments natürlichnicht –, diese Gesetzesänderung verursache Kosten beiden Gastwirten. Das stimmt nicht. Das Gesetz tritt mit derEinführung des Euro am 1. Januar 2002 in Kraft. Die Ge-tränkekarten müssen dann sowieso auf die neue Währungumgestellt werden.Meine Damen und Herren, nicht nur in der Politik, aberda ganz besonders sollte gelten: Wenn wir Erkenntnissehaben, dann besteht auch die Notwendigkeit zu handeln.Denn wenn man den Kopf in den Sand steckt – so ein afri-kanisches Sprichwort –, bleibt doch der Hintern – wir imSchwarzwald sagen: das Ärschle – zu sehen.Vielen Dank.
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Klaus Brähmig, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! In derheutigen Sitzung beraten wir in erster Lesung über denGesetzentwurf der Regierungskoalition zur Änderung desGaststättengesetzes. Als tourismuspolitischer Sprecherder CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte ich die Frakti-onsmitglieder von Bündnis 90/Die Grünen und der SPDdazu beglückwünschen, dass sie bereits zwei Jahre nachder Regierungsübernahme die erste eigenständige touris-muspolitische Initiative hier in den Bundestag einbringen.
Anscheinend ist nicht nur der Aufbau Ost zur Chefsacheverkümmert.Meine Damen, meine Herren, mit welcher wirklichwichtigen Initiative beglücken Sie den Tourismusstandortund das Gastgewerbe in Deutschland? Mit einer Gesetzes-änderung im Gaststättengesetz, die vor allem für mehr Ju-gendschutz und Verkehrssicherheit sorgen soll,
ein hehres Ziel, dem sich sicherlich alle verantwortlichenPolitiker zunächst einmal verpflichtet fühlen.Wer ist nichtfür den Schutz der Jugend und für die Erhöhung derVerkehrssicherheit? Dennoch gehört es meines Erachtenszur Pflicht eines Politikers, erst einmal zu prüfen, ob dasihm vorgelegte Gesetz eine wirkliche Verbesserung ge-genüber der jetzigen Situation darstellt und das vorgege-bene Ziel auch wirklich damit erreicht werden kann.
Diese Frage habe ich mir auch in diesem Fall gestelltund komme nach meinen Überlegungen zu folgendemSchluss: In der letzten Legislaturperiode wurde ein-vernehmlich zwischen allen Fraktionen das Gaststätten-gesetz dahin gehend geändert, dass alle Gastwirte einalkoholfreies Getränk nicht teurer anbieten dürfen als dasbilligste alkoholische Getränk in gleicher Menge. NachEinschätzung der Regierungskoalition ist nun aber nacheinem Beschluss des Amtsgerichts Überlingen vomJuni 1997 eine Situation entstanden, die die Umgehungdieser Regelung fördert. Denn das Amtsgericht erkanntelediglich den absoluten Preis als Berechnungsgrundlagean.
Die Regierungskoalition fordert in dem heute vor-liegenden Gesetzentwurf, dass der Preisvergleich in Zu-kunft auf der Grundlage des hochgerechneten Preises füreinen Liter der betreffenden Getränke erfolgen soll. DieForderung der Regierungskoalition ins Hochdeutscheübersetzt lautet also: Nach geltendem Recht ist beispiels-weise folgende Preisgestaltung zulässig: In einer Gast-stätte kosten 0,3 Liter Mineralwasser und 0,3 Liter Pilsjeweils 3 DM und 0,5 Liter Hefeweizen kosten 4,90 DM.
Ich wage zu bezweifeln, dass ein Jugendlicher geradedeshalb zum Weizenbier greift, weil es hochgerechneteinen geringfügig günstigeren Literpreis hat. Bei der Ge-tränkewahl sind wohl eher individuelle Vorlieben und Ge-schmacksfragen ausschlaggebende Faktoren.Die gerade genannte Preisgestaltung wäre nach dergeplanten Änderung, liebe Frau Kollegin Gradistanac,
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Renate Gradistanac14366
nicht mehr zulässig. Entweder müsste der Gastwirt denPreis für das Mineralwasser senken oder den Preis für dasWeizenbier anheben. Dies ist ein erneuter Eingriff in dieunternehmerische Freiheit,
kompliziert die Preisgestaltung und missachtet die be-triebswirtschaftliche Kalkulationsgrundlage des Mengen-rabatts für Getränke in größeren Darreichungsformen.Weiterhin wird im Gesetzentwurf nicht spezifiziertdargelegt, aus welchen Gründen gesetzgeberischer Hand-lungsbedarf besteht. Ich frage Sie: Gibt es verlässlicheUntersuchungen darüber, in welchem Umfang Gaststät-tenbetriebe tatsächlich unter Ausnutzung der Entschei-dung des Amtsgerichts Überlingen alkoholische Getränkein größeren Einheiten so günstig anbieten, dass Jugend-liche allein aufgrund der Preisgestaltung Alkohol kon-sumieren?Liebe Kollegin, Sie sprachen vorhin von Verunfallten.Es gibt überhaupt keinen Beweis, dass die Verunfallungtatsächlich nach einem Besuch einer Gaststätte erfolgt ist.Sie sind nur darauf eingegangen, dass der Unfall aufgrundvon Alkoholkonsum stattgefunden hat.
Oder liegen Ihnen Erkenntnisse vor, in welchem Um-fang Gastronomen auf besonders selten nachgefragteGetränke ausgewichen sind?Der Gesetzentwurf wirft weitere Fragen auf: Welchealkoholfreien Getränke sind jetzt beim Preisvergleich he-ranzuziehen? Was ist denn ein attraktives, dem üblichenNachfrageverhalten angepasstes Getränk?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihr Gesetzentwurfberücksichtigt in keiner Weise regionale und betriebs-typische Gesichtspunkte. In Diskotheken zum Beispielerfreuen sich alkoholfreie Getränke mit aufputschenderWirkung, wie beispielsweise „Red Bull“, einer hohenNachfrage.
Schließlich und endlich stellt sich die Frage: Was führtjunge Menschen zu der Entscheidung, Alkohol zu kon-sumieren? Warum setzen alkoholisierte Jugendliche sichund andere der Gefahr eines Verkehrsunfalls aus, wenn sienoch aktiv am Straßenverkehr teilnehmen? Hier ist vorwenigen Stunden über dieses Thema diskutiert worden.Herr Schmidt, Ihren Beitrag habe ich mir sehr interessiertangehört.
Ist es wirklich der von Ihnen angenommene ökonomi-sche Druck durch das relative Preisniveau oder sind esnicht vielmehr andere Faktoren, wie das Gruppenverhal-ten von Jugendlichen oder deren Imponiergehabe?Jugendliche haben heute zu jeder Tages- und Nachtzeitüber den Einzelhandel, Kioske und Tankstellen unkon-trollierten Zugang zu Alkohol, und das zu ungleich güns-tigeren Preisen als in Gaststätten und Diskotheken. DieseProblematik würde auch Ihr Gesetzentwurf nicht lösen.Wieder einmal zeigt sich in diesem Gesetzentwurf deruneingeschränkte Glaube, der Staat müsse alle Lebens-bereiche des Menschen bis ins Detail regeln.
Warum machen Sie die Gastwirte verantwortlich für man-gelnde Erziehung in den Familien, die Vermittlungfalscher Vorbilder und eine anscheinend nicht jugend-gemäße Präventionspolitik?
Warum wollen Sie Menschen aller Altersklassen nochweiter aus ihrer Eigenverantwortung entlassen und denGastwirten eine Kontrollfunktion des Staates übertragen,die sie nicht erfüllen können?Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Jahre 2001, demJahr des Tourismus, sieht die Union diesen Antrag als einnicht besonders geeignetes Signal; denn mit ihrem An-liegen will die Regierungskoalition noch mehr Büro-kratisierung und Regulierung.
Der Tourismusstandort Deutschland und der StandortDeutschland insgesamt braucht das Gegenteil. „Dere-gulierung und Entbürokratisierung“ ist die Devise der Zeit.Bei der augenblicklich überhitzten Diskussion überBSE warte ich nur noch darauf, dass der Staat als Nächs-tes gesetzlich festlegt, dass jedes Restaurant in Deutsch-land gesetzlich verpflichtet wird, ein vegetarisches Ge-richt anzubieten, und dies womöglich noch preiswerter alsdas preiswerteste Gericht mit Fleisch.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Brähmig,
denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ich bin gleich fertig. –
Dennoch werden wir als Fraktion uns eingehend mit
dieser Initiative beschäftigen. Die von Ihnen genannte Ar-
gumentationskette ist meines Erachtens kein eindeutiger
Beleg für die Notwendigkeit einer solchen Gesetzesän-
derung. Auf die Präzisierung Ihrer Argumentation in den
Ausschussberatungen sind wir sehr gespannt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat jetztdie Kollegin Sylvia Voß für die Fraktion Bündnis 90/DieGrünen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Klaus Brähmig14367
Sehr
geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im
Jahre 1930 trat eine Bestimmung in Kraft, die Gastwirte
dazu verpflichtete, auch alkoholfreie Getränke anzubie-
ten. Erst 72 Jahre später, ab dem 1. Januar 2002, wird
Alkohol in Gaststätten tatsächlich nicht länger die finan-
ziell attraktivere Variante sein.
Wenn Jugendliche beispielsweise nach einem zünfti-
gen Schlittschuhlaufen noch irgendwo zusammensitzen,
etwas trinken und ein bisschen miteinander reden wollen,
so bietet sich der Besuch einer Gaststätte an. Frei nach
Wilhelm Busch: Da aber naht schon das Malheur:
Wasser? Cola? Bier? Likör?
Bei der Wahl der Getränke spielen immer mehrere
Überlegungen eine Rolle. Da alle einigermaßen stark
durchgefroren sind, erinnert sich mancher an die Sprüche
der Alten, dass Alkohol von innen wärme. Vom kräf-
tezehrenden Wettrennen sind die Jugendlichen natürlich
auch ungeheuer durstig. Aus der Werbung ist ihnen
bekannt, dass ein Glas kaltes Bier den Durst löscht. Da
Jugendliche in ihren Entscheidungen nicht unwesentlich
durch Gruppenzwang beeinflusst werden, kann auch der
Wunsch, cool, trendy und erwachsen zu wirken, die
Entscheidung für den Alkohol beeinflussen.
Auf diese Erwägungen haben wir mit einer Änderung
des Gaststättengesetzes natürlich keinen Einfluss. Hier
müssen wir auf das Verantwortungsbewusstsein von El-
tern und Medien vertrauen. Wir können und werden aber
einen anderen Faktor beseitigen und ausschließen.
Es ist einfach inakzeptabel und unverantwortlich, dass
sich Jugendliche angesichts ihrer meist doch knappen
Kassen quasi für ein alkoholisches Getränk entscheiden
müssen, weil es das preisgünstigste Angebot auf der
Getränkekarte ist. Eine Befragung von 7 604 Jugend-
lichen schon Anfang der 80er-Jahre ergab immerhin, dass
bei preiswerteren nicht alkoholischen Getränken je nach
Alter bis zu 24 Prozent der Jugendlichen auf den Konsum
von Alkohol in Gaststätten verzichten würden. Daran
knüpfen wir mit unserem Änderungsgesetz an.
Wir mussten feststellen, dass mit Appellen an das Gast-
gewerbe in dieser Frage wenig zu gewinnen war, auch
weil die einsichtigen Gastwirte – derer gab es eine ganze
Menge – Wettbewerbsnachteile in Kauf nehmen mussten.
Mit der gesetzlichen Regelung von 1994 sollten diese
Wettbewerbsnachteile eigentlich beseitigt werden. Die
neue Regelung, dass mindestens ein alkoholfreies
Getränk nicht teurer zu verabreichen ist als das billigste
alkoholische Getränk in gleicher Menge, sollte verhin-
dern, dass insbesondere jugendliche Gaststättenbesucher
ein alkoholisches Getränk bestellen, weil es billiger als
die angebotenen nichtalkoholischen Getränke ist, obwohl
sie eigentlich lieber ein alkoholfreies Getränk zu sich
nehmen würden.
Bei der gerichtlichen Auslegung des Gesetzes kam es
jedoch zu sinnwidrigen Interpretationen, indem nur reale
Ausschankmengen verglichen wurden, also 0,3 Liter Bier
mit 0,3 Liter Cola. Abgelehnt wurde beispielsweise ein
Vergleich mit dem nur in 0,5-Liter-Gläsern ausgeschenk-
ten Weizenbier. Somit brauchte der Wirt nur in Gläsern
der Größe, in denen er sein billigstes alkoholfreies
Getränk serviert, sein teuerstes Bier auszuschenken und
konnte dann sein billigeres Bier zu jedem beliebigen Preis
anbieten, sofern er nur nicht so unvorsichtig war, dafür
Gläser derselben Größe zu verwenden. Es kann aber nicht
sein, dass die Apfelschorle zwar günstiger ist als das Bier,
dass aber, wenn bei der Schorle nach 0,2 Litern der Boden
des Glases erreicht ist, das Bierglas immer noch halbvoll
oder – wie die Opposition jetzt sicher sagen würde – halb-
leer ist.
Es besteht Handlungsbedarf. Mit dem vorliegenden
Änderungsgesetz wird gehandelt. Mit Art. 1 des Gesetz-
entwurfs zur Änderung des Gaststättengesetzes erreichen
wir, dass ab dem 1. Januar 2002 das alkoholfreie Getränk
auch dann günstiger bleibt, wenn der Preis auf einen Liter
hochgerechnet wird. Die größte Selbstverständlichkeit für
junge Menschen, sich in einer Gaststätte Saft oder Cola zu
bestellen, ohne sich damit gegenüber den Konsumenten
alkoholhaltiger Getränke finanziell schlechter zu stellen,
wird somit gesichert. Immerhin sollten wir dabei auch be-
denken, dass in Deutschland 5 Prozent der Jugendlichen
als alkoholgefährdet gelten. 1Million Kinder wachsen bei
tabletten- und alkoholabhängigen Eltern auf. Im Jahre
1998 haben 10 Prozent der Frauen und 16 Prozent der
Männer ihre Gesundheit durch übermäßigen Alkohol-
genuss gefährdet.
Auf die heutige Debatte zum Verkehrssicherheitspro-
blem ist schon hingewiesen worden; ich möchte es mir
sparen, noch einmal darauf einzugehen. Ich möchte aber
daran erinnern, dass Sie die 0,0-Promille-Grenze für
Fahranfänger offensichtlich etwas scheinheilig gefordert
haben.
Von übermäßigem und frühzeitigem Alkoholkonsum,
der ihnen im Alltag begegnet, gehen für Kinder und Ju-
gendliche unübersehbare Gefahren aus. Es ist für die Bun-
desregierung aus diesen Gründen selbstverständlich, un-
klare Bestimmungen im Gaststättengesetz zu präzisieren,
wenn diese auch nur ansatzweise dazu führen können,
dass Kinder und Jugendliche nicht ausreichend vor den
Gefahren des Alkohols geschützt werden.
Wünschenswert – das will ich noch anmerken – wäre,
dass Konsumenten alkoholfreier Getränke gegenüber den
Alkoholtrinkern finanziell deutlich besser gestellt wür-
den, wie wir dies in einigen nordischen Staaten durchaus
vorfinden. Vielleicht sollten wir das in einem nächsten
Schritt angehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner istder Kollege Ernst Burgbacher für die F.D.P.-Fraktion.Ernst Burgbacher (von Abgeordneten derF.D.P. und der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Frau Präsi-dentin! Meine Damen und Herren! Nach Ihrer Rede, liebeFrau Voß, wird einem klar, wie kompliziert das Ganze ist.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 200114368
Das, was Sie in Ihren letzten Sätzen vorgeschlagen haben,in die Praxis übertragen zu wollen ist schon abenteuerlich.
Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Statt eine Debatte über diesenGesetzentwurf zu führen, hätten wir lieber alle miteinan-der draußen Apfelschorle trinken sollen.
Dann wäre es uns wohler und wir hätten für Umsatzgesorgt. Am Problem würde sich nichts ändern.Jetzt ganz ernsthaft. Dass der Kampf gegen Alko-holmissbrauch, insbesondere bei Jugendlichen, eineernste Sache ist, ist hier doch völlig unbestritten. Dass wiralle aufgerufen sind, alles uns Mögliche dagegen zu tun,ist auch völlig unbestritten. Mit dieser Keule, die Siewieder bringen – der Staat soll neue Regelungen machen,der Staat soll Gesetze ändern –,
werden wir in diesem Fall überhaupt nichts erreichen.
Wir haben eine Regelung. Diese Regelung hat sichvielleicht in manchen Teilen nicht bewährt. Ihr jetzigesVorgehen ist aber typisch: Wenn irgendwo Missständesind, kommt die staatliche Keule und es müssen Gesetzeher. Sie fragen nicht danach, was man in der Realität an-ders machen könnte.Worauf läuft das, was Sie hier machen, hinaus?
Lieber Herr Mosdorf, Sie haben zwischen meiner undIhrer Rede noch eine Rede lang Zeit. Sie können mir janachher sagen, ob es genehmigt ist, wenn mir ein Mine-ralwasser und ein Pils mit jeweils 0,3 Litern für 3,20 DMund außerdem ein Bier mit 0,5 Litern für 5,40 DM ange-boten werden. Ich freue mich eigentlich auf Ihre neuenRegelungen; sie ermöglichen nämlich neue Berufs-sparten, zum Beispiel den „Preisnachrechner“ in der Gas-tronomie.
Es ist wirklich Irrsinn, auf so etwas überhaupt zu kom-men.
– An dem dauernden Dazwischenplärren merkt mannatürlich, dass Sie nicht zuhören wollen und dass Siekeine Argumente haben. Das ist dann immer das Beste.
Natürlich müssen wir das Problem ernsthaft angehen,aber doch nicht so, wie Sie es vorhaben. Es kann dochnicht sein, dass wir so in die Kalkulationsfreiheit derWirte eingreifen, die zum Glück noch selbstständige Un-ternehmer und keine Verwalter irgendwelcher staatlicherStellen sind. Es ist doch völlig normal, dass ein Wirtgrößere Mengen anders bepreist als kleinere Mengen. Dasist doch in der Kalkulation enthalten. Jetzt kommen Sieund sagen, alles müsse nun auf den Literpreis hochgerech-net werden. Ich frage mich wirklich, wo da der Funken be-triebswirtschaftlicher Verstand ist. Der sollte doch wenigs-tens noch erkennbar sein.
Überlegen Sie sich doch, wie die jungen Leute in derPraxis verfahren! Es ist doch schlichtweg weltfremd,anzunehmen, dass die den Taschenrechner nehmen undausrechnen, welches Getränk billiger ist. Aber genaudiese Rechnungen müssten sie doch machen; denn es gibtPreise für 0,3 Liter, 0,5 Liter oder für andere Einheiten.Davon ausgehend sollen sie jetzt ausrechnen, welchesGetränk das billigste ist? Weltfremder geht es doch wirk-lich nicht mehr!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, denProblemen, die wir in diesem Bereich, aber auch imTourismusbereich haben – Kollege Brähmig hat es ange-sprochen –, mit ernsthaften Initiativen zu begegnen undnicht Scheingefechte auszutragen, die zu nichts führen,das Ganze eher unglaubwürdig machen und die Branchemit unsinnigen bürokratischen Regeln noch weiter belas-ten. Das sollten wir doch wirklich bleiben lassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht die Kol-
legin Rosel Neuhäuser für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Es ist schwierig, in drei Minuten aufdie Dinge einzugehen, die hier schon gesagt worden sind.Natürlich hat der Staat eine Fürsorgepflicht, HerrBrähmig, auch für die gesundheitliche Entwicklung vonKindern und Jugendlichen. Nach der UN-Kinderrechts-konvention haben die Kinder ein Recht auf gesund-heitliche Fürsorge des Staates.
Auch in diesem Zusammenhang sollte man dieses Gesetzsehen.
– Es geht aber um Kinder und Jugendliche. Unter das Ju-gendschutzgesetz fallen sie bis zur Vollendung des18. Lebensjahres. Auch wenn sie jünger als 18 Jahre sind,dürfen sie Alkohol in Gaststätten trinken.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Ernst Burgbacher14369
Mit dem vorliegenden Gesetz wird nicht nur eineLücke im Gaststättengesetz geschlossen, sondern hiermitwird auch ein weiterer Schritt zur Verbesserung des gülti-gen Jugendschutzgesetzes getan. Ich denke, dass an-gesichts der unübersehbaren Gefahren für Kinder und Ju-gendliche, die vom Alkohol ausgehen, frühzeitiger undübermäßiger Alkoholkonsum eingedämmt werden muss.Durch die Neuregelung des Jugendschutzgesetzes werdenbestehende Regelungen beibehalten bzw. auch ausgebaut,zum Beispiel zur Bekämpfung des Alkoholmissbrauchsdurch Minderjährige.Die Beschränkung des Aufenthaltes von Kindern undJugendlichen in Gaststätten gehört aus meiner Sicht wei-terhin zu den gesetzlichen Schwerpunkten der Präventionvon Alkoholmissbrauch. Was nützt aber eine gesetzlichverordnete Beschränkung, wenn, wie durch die Regelun-gen dieses Gesetzes nicht ausgeschlossen, nach wie vorder Anreiz besteht, alkoholische Getränke zu kaufen, weilalkoholfreie Getränke viel teurer sind? So werden Kinderund Jugendliche durch entsprechende Angebote in nichtunerheblichem Maße zum Alkoholkonsum animiert. Eswäre ein wichtiger Schritt, dieses Problem zu beseitigen.Gesetze und Regelungen werden aber nicht schon wirk-sam, wenn sie beschlossen sind, sondern sie werden erstdann wirksam, wenn sie umgesetzt werden und in denentsprechenden Bereichen auch beachtet werden.Bei der Frage des Alkoholgenusses spielen nicht nurdie Gaststätten eine Rolle, sondern hier stellt sich ausmeiner Sicht eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Ich brauche sicher nicht darüber zu sprechen, wie sichAlkoholmissbrauch auf die Gesundheit, auf dieVerkehrssicherheit – das wurde schon von Frau Voß undanderen Rednern angesprochen – oder auch auf dengesamten sozialen Bereich auswirkt. Meine Überzeugungund auch die meiner Fraktion ist, dass kein Jugendlicheraufgrund von Mengen- und Preisangaben Hochrechnun-gen anstellt und dann das billigste Getränk wählt. Hiersind neben den Veranstaltern wir alle gefordert, um imBereich der Prävention tätig zu werden. Das hat HerrBurgbacher hier eben noch einmal deutlich gemacht.
Ich möchte auch ein Augenmerk darauf richten, dassjunge Leute sehr reisefreudig sind. Jeder, der einmal mitjungen Menschen unterwegs war, weiß, dass gerade aufGruppenfahrten das Probieren von solchen Sachen einewichtige Rolle einnimmt. Auch in diesem Bereich des Ju-gendschutzes muss auf das Problem hingewiesen werden,damit die Betreuer von Kindern und Jugendlichen ihrenEinfluss geltend machen können. Kinder und Jugendlichesollen nicht dazu verleitet werden, in der Kaufhalle alko-holische Getränke zu kaufen, weil die alkoholfreienGetränke in der Gaststätte zu teuer sind.
Hier sind wir alle gefragt. Die Unterstützung diesesGesetzes ist ein Schritt, um den Jugendschutz entspre-chend zu würdigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Par-
lamentarische Staatssekretär Siegmar Mosdorf.
S
Frau Präsi-dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind unsdarüber einig, dass wir alles tun wollen, um Alko-holmissbrauch zu verhindern und zu vermeiden, dass Ju-gendliche Alkohol trinken und hinterher womöglich Autofahren. Dies wollen wir alle gemeinsam erreichen.
Ich darf übrigens darauf hinweisen, dass hier eine Kol-legin anwesend ist, die diese Sorge als Gesundheitsminis-terin schon 1980 geäußert hat: Anke Fuchs.
Anke Fuchs hat das Problem auf den Punkt gebracht. Wirhaben damals leider zu wenig Zeit zum Regieren gehabt.Hätten wir mehr Zeit gehabt, Anke, dann hätten wir dasschon entschieden.
Nun ist es so, Herr Brähmig – das haben Sie damalsnoch nicht mitbekommen –,
dass Ihre Kollegen 1994 den § 6 des Gaststättengesetzesgeändert haben. Dort steht nun:Ist der Ausschank alkoholischer Getränke gestattet,so sind auf Verlangen auch alkoholfreie Getränkezum Verzehr an Ort und Stelle zu verabreichen.Davon ist mindestens ein alkoholfreies Getränk nichtteurer zu verabreichen als das billigste alkoholischeGetränk in gleicher Menge.Das ist der Beschluss Ihrer Regierung gewesen.
–War er 1994 schon dabei? Gut, ich wollte nur sagen, dassdies ein Beschluss Ihrer Regierung war.Das Problem ist nur: Dieser Beschluss hat wie vieleIhrer Beschlüsse keine Wirkung entfaltet.
– Herr Koppelin ist damit nicht befasst gewesen.
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Rosel Neuhäuser14370
Im Übrigen musste ich mich gerade sehr auf den Ver-lauf der Debatte konzentrieren; denn Herr Koppelin hatmir einige Witze erzählt, die ich hier aber nichtwiedergeben will. Einer war: Was macht ein frustrierterMann? Er geht in die Gaststätte; die zweite Hälfte will ichnicht erzählen. – Im selben Moment präsentierte HerrBurgbacher sein Rechenbeispiel. Damit muss man rech-nen, wenn man weiß, dass Herr Burgbacher Mathematik-lehrer ist. Aber Sie haben sich getäuscht, Herr Burgbacher.Ich habe in der Schule im Kopfrechnen eine Eins bekom-men. Deswegen konnte ich alles sofort umrechnen undbin zu folgendem Ergebnis gekommen: Sie fragten, ob esin Ordnung ist, wenn das 0,3-Liter-Getränk 3,20 DMkostet und das 0,5-Liter-Getränk 5,40 DM. MeineAntwort ist: Wenn der Gastwirt für das 0,5-Liter-Getränk5,30 DM verlangt hätte, wäre es nicht in Ordnung gewe-sen. Bei 5,40 DM stimmt das Verhältnis.
– Sie bestätigen das Ergebnis. Wir haben beide ein Talentfür das Rechnen.Es ist wirklich ein ernstes Thema; das sehen wir sicher-lich alle so. Wir alle wissen, dass junge Leute, die abendsin die Diskothek gehen und wenig Geld haben, mehr alseinen Apfelsaft von 0,2 Litern trinken wollen, weil siedort tanzen und schwitzen
und leben.
–Wir wollen jetzt nicht über die Diskotheken in der Säch-sischen Schweiz reden, Herr Brähmig.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brähmig?
S
Ich kann nie
eine Zwischenfrage von ihm ablehnen.
Herr Staatssekretär, wir
sind uns sicherlich darüber einig, dass hier etwas getan
werden muss. Ich habe versucht, das darzustellen. Aber
ich bitte Sie, deutlich zu machen, wieso der Gastwirt als
der Verhinderer des Alkoholkonsums für Jugendliche gel-
ten soll. Wenn ich im Einzelhandel oder an Automaten
alkoholfreie Getränke billig kaufen kann, besteht doch
kein Zusammenhang zum Kauf in einer Gaststätte. Diese
Frage hätte ich gern beantwortet.
S
Herr
Brähmig, ich möchte Ihre Frage beantworten. Das Pro-
blem ist – aber vielleicht können wir ja gemeinsame
Anstrengungen in dieser Richtung unternehmen –: Sie
überlegen immer, warum es nicht geht. Wir überlegen,
was geht. Das ist der Unterschied.
Nun einmal im Ernst: Herr Burgbacher, Sie müssen doch
nicht alles nachsingen, was die CDU sagt. F.D.P. bedeutet
liberal, unabhängig.
Ich will doch nur sagen: Wir sind uns einig in dem
Begehren,
dass die jungen Leute, wenn sie abends in die Disco
gehen, etwas trinken sollen, aber möglichst keinen Alko-
hol, zumal wenn sie mit dem Auto der Eltern oder mit der
Vespa dort sind. Es muss für sie ein entsprechendes Ange-
bot da sein; darüber sind wir uns einig.
Über eines sind wir uns doch im Klaren: Die Eltern tra-
gen eine hohe Verantwortung dafür, dass die Kinder
vernünftig mit solchen Dingen umgehen. Dies darf man
nicht dem Staat zuschieben. Die Eltern, wir alle tragen
eine hohe Verantwortung.
Aber der Staat hat auch eine Ordnungsfunktion. Er
schreibt nicht vor, was getrunken werden soll, sondern
sagt: Wir schaffen Rahmenbedingungen. Ich kenne
einige Gastwirte, die das jetzt schon praktizieren. Im
Schwarzwald gibt es viele Gastwirte, die wollen, dass die
Jugendlichen auch zu ihnen in die bürgerliche Gaststätte
kommen und etwas Anständiges trinken, und die für sie
gezielt entsprechende Angebote bereithalten.
Deshalb schaffen wir nun ein Rahmengesetz, das auch
gerichtsfest ist. Ihres war es nicht; Sie wissen es. Wir
wollen nicht, dass sich die Justizministerin diesbezüglich
ständig mit den Gerichten herumschlagen muss. Deshalb
erarbeiten wir ein ordnungspolitisch sauberes Gesetz.
Aber im Begehren sind wir einig. Ich hoffe, dass wir
damit einen Fortschritt erzielen und unsere Jugendlichen
dann Apfelsaft oder Wasser trinken, sich vergnügen kön-
nen und ihnen beim Nachhausefahren nichts geschieht.
Das ist, glaube ich, unser wichtigstes Anliegen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Ernst Hinsken für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ein weiter Bogenwurde heute von meinen Vorrednerinnen Frau Gradistanacund Frau Voß gespannt. Es wurde über Alkoholunfälleund über Alkoholkonsum gesprochen.
Dies wurde damit in Zusammenhang gebracht, dass dasAngebot an alkoholfreien Getränken in den Gastwirt-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf14371
schaften scheinbar nicht so ist, wie es sich der Gesetz-geber gewünscht hat.Ich habe mich im Jahre 1994 in die Erarbeitung desGesetzes eingebracht, habe dafür gekämpft, dass gesetz-lich festgelegt wird, dass wenigstens ein alkoholfreiesGetränk genauso billig sein muss wie das billigste alko-holhaltige Getränk bei gleicher Menge. Wenn man früherselbst in Jugendorganisationen engagiert war, lässt mansich gern etwas sagen. Ich habe damals vom Vorsitzendendes Kreisjugendrings meines Heimatlandkreises, JosefZellmeier, die Bitte vorgetragen bekommen, dass ich indieser Angelegenheit tätig werden soll.Das Gesetz wurde beschlossen. Nach sechs Jahren wis-sen wir: Es war eine richtige Entscheidung. Schließlichentscheidet unsere Jugend doch häufig ausschließlichnach dem Preis.Ich habe mich gerade in den letzten Tagen noch einmalsachkundig gemacht und festgestellt, dass die Hotel- undGaststättenverbände ausdrücklich erklärt haben, dasssich ihre Mitglieder auch an den Gesetzestext und -inhalthalten. Frau Kollegin Gradistanac und Frau Kollegin Voß,ich empfinde es als ganz üble Unterstellung, wenn Sie hierans Rednerpult treten und sagen, dass sich viele Gastwirtenicht daran halten. Den Beweis dafür müssten Sie erstnoch erbringen. Dies kann im Protokoll nachgelesen wer-den und die Betroffenen werden sich das nicht ohne weit-eres gefallen lassen.
Mir leuchtet nicht ein, dass dieses Gesetz, das wir vorgut sechs Jahren beschlossen haben, nun geändert werdensoll. Nach dem Gesetzentwurf der Regierungskoalitionsoll das preisrechtliche Gebot künftig nicht nur für diekleinste Menge gelten, sondern auch dann, wenn größereMengen konsumiert werden. Für wie blöd werden denndie Jugendlichen gehalten? Meinen Sie, dass diese nichtin der Lage sind, 3 DM mit der Zahl fünf zu multiplizierenund zu erkennen, dass der Preis unter Umständen in glei-chem Umfang wie die Menge gestiegen ist? Ich setze indiesem Fall auf die Vernunft und das rechnerische Kön-nen der Jugend, die, Herr Staatssekretär Mosdorf, nichtnur im Kopfrechnen stark ist, sondern insgesamt guteNoten aufweist.Bevor eine solche Gesetzesänderung vorgenommenwird, sollten eine Befragung von Jugendämtern undentsprechende Kontrollen durchgeführt werden.
Gerade in einer Zeit, in der von allen Seiten nachDeregulierung gerufen wird, sollte man die Hotellerieund Gastronomie nicht mit weiterer Bürokratie belasten.Herr Kollege Mosdorf, ich habe Sie im Ausschuss desÖfteren als einen Freund der Deregulierung erlebt undkennen gelernt. Wenn Sie hierher kommen und sagen:„Wir überlegen, was geht,“ auf uns deuten, und sagen:„Die überlegen, was nicht geht“, dann bezeichnen Siedamit genau das Gegenteil von dem, was Sie jetztmachen, nämlich eine gute Regelung zu beseitigen undder Bürokratie das Wort zu reden. So darf das doch nichtsein!
Eine solche Regelung bedeutet einen weiteren Eingriffin das Geschäftsgebaren von Wirten. Deshalb ist meineForderung: Erst wenn Ergebnisse einer solchen Befra-gung vorliegen, sollte über eine Gesetzesänderung ent-schieden werden.
Die Bundesregierung hat bisher nicht ausreichenddargelegt, warum Regelungsbedarf besteht. Es fehlenAngaben darüber, ob es tatsächlich in größerem Umfangeinen Missbrauch bzw. eine Umgehung der bisherigenRegelung durch Gastwirte gegeben hat. Ich glaube dasnicht. Ich glaube, was mir gesagt wurde. SchwarzeSchafe, die sich nicht an bestehende Vorschriften halten,gibt es immer wieder. Man kann für diese Fälle Kon-trollen durchführen, damit sich die Betroffenen an dashalten, was der Gesetzgeber vorschreibt. Deshalb: ErstFakten auf den Tisch und dann handeln und nichtumgekehrt! Das ist unsere Marschrichtung und unsereDevise, Herr Staatssekretär.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe dieAussprache. Interfraktionell wird die Überweisung desGesetzentwurfs auf Drucksache 14/4937 an die in derTagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann istdie Überweisung so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten NorbertGeis, Maria Eichhorn, Renate Diemers, weitererAbgeordneter und der Fraktion der CDU/CSURatifizierung des Haager Adoptionsabkom-mens–Drucksache 14/4932 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
InnenausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendDie Kolleginnen und Kollegen Margot von Renesse,Renate Diemers, Irmingard Schewe-Gerigk, RainerFunke sowie Christina Schenk haben Ihre Reden zu Pro-tokoll gegeben.1) – Ich höre keinen Widerspruch. Inter-fraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Druck-sache 14/4932 an die in der Tagesordnung aufgeführtenAusschüsse vorgeschlagen. – Auch hierbei sehe ich Ein-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Ernst Hinsken14372
1) Anlage 5verständnis im Saale. Dann ist die Überweisung sobeschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten ChristineOstrowski, Gerhard Jüttemann, Rolf Kutzmutz,Roland Claus und der Fraktion der PDSSoforthilfe für konkursbedrohte Wohnungs-genossenschaften aus TLG-Beständen organi-sieren– Drucksache 14/4939 –Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Peter Danckert,Norbert Otto, Franziska Eichstädt-Bohlig sowie Dr.Karlheinz Guttmacher haben ihre Reden zu Protokollgegeben.1)Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die PDS-Fraktion hat die Kollegin Christine Ostrowski.Christine Ostrowski (von der PDS mit Beifallbegrüßt): Frau Präsidentin! Meine dagebliebenen Damenund Herren! In der heutigen Presse sagt Ihr KollegeEdelbert Richter über Staatsminister Schwanitz, er sei„ein netter Kerl, aber wir brauchen jemand, der mit derFaust auf den Tisch haut“. Ich denke, Herr Richter hatRecht. Ende 1998 hat Staatsminister Schwanitz von denzehn TLG-Genossenschaften einen Brief bekommen. Indiesem Brief baten sie ihn – er ist schließlich der Ost-Beauftragte – um ein Gespräch, weil „die Genossen-schaften in ihrer Existenz enorm gefährdet sind“. HerrSchwanitz ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, er tat auchnichts, er schwieg einfach. Ein halbes Jahr späterschrieben die Genossenschaften erneut an ihn, dann nocheinmal im Oktober 1999. Dann gaben sie es auf.Vor wenigen Tagen, im Januar 2001, ist die erste derTLG-Genossenschaften in Leipzig mit 1 200 Wohnun-gen – und doppelt so vielen Bewohnern – in Konkursgegangen. Zu retten ist sie nicht mehr. Es ist sogarfraglich, ob die Konkursmasse reicht und ob die Ge-nossenschaftsmitglieder, die vorwiegend ältere Menschensind und wahrhaftig nicht zu den Einkommensstärkstengehören, nicht nur ihre Genossenschaftsanteile verlieren,die überdurchschnittlich wertvoll sind – ihr Wert liegtnämlich zwischen 6 000 und 9 000 DM –, sondern sogarnoch zuzahlen müssen. Außerdem ist ungewiss, wer dieKonkursmasse übernimmt. Die Leipziger Genossenschaftist die erste und die anderen neun Genossenschaften wer-den mit Sicherheit folgen, wenn Sie nichts tun.Die TLG-Genossenschaften entstanden folgender-maßen: In den Jahren 1992 bis 1996 war die Treuhand-liegenschaftsgesellschaft mit der Verwertung von bundes-eigenen Wohnungen beschäftigt. Sie wollte eigentlich andie Mieter direkt privatisieren; das ging aus den bekann-ten Gründen nicht. Also kam sie auf die Überlegung– das ist eigentlich ja nichts Schlechtes –, Mieter-genossenschaften zu gründen. Sie umwarb insbesonderedie Mieter an ehemaligen Industrie- und NVA-Standortender DDR, also in den schwächsten Regionen Ostdeutsch-lands, eine Genossenschaften zu gründen. Sie warb mitdem Slogan: Gemeinsam wohnen – Mieter gründen eineGenossenschaft. – Es haben sich Mieter gefunden und siehaben eine Menge Geld eingezahlt: bis zu 12 000 DMGenossenschaftsanteile, weit über den Bundesdurch-schnitt hinaus.Es wurden zehn Genossenschaften gegründet, dieeine Sonderrolle gegenüber den bestehenden Genossen-schaften spielen. Sie haben keine große Lobby. Aber inder krisengeschüttelten ostdeutschen Wohnungswirt-schaft geht es ihnen im Vergleich zu allen anderen eben-falls in sehr schwieriger Situation stehenden Wohnungs-unternehmen am schlechtesten, weil erstens dieTreuhandliegenschaftsgesellschaft ihnen in der Regelunsanierten Wohnungsbestand zu überhöhten Kauf-preisen „übergeholfen“ hat.
Sie haben für unsanierten Wohnungsbestand bis zu600DM pro Quadratmeter bezahlt. Das ist eine ungeheureGröße; das weiß jeder, der sich ein bisschen auskennt.
Sie sind zweitens deshalb über den Tisch gezogen wor-den, weil die Treuhandliegengesellschaft sie damals mitVerkehrswertgutachten umworben hat, die den Sanie-rungsaufwand für die unsanierten Häuser als viel geringerschätzten, als er in Wirklichkeit war; die Differenz betrugzwischen 300 und 500 DM pro Quadratmeter. Sie sinddrittens auch deshalb über den Tisch gezogen worden,weil ihnen die Treuhandliegenschaftsgesellschaft Wirt-schaftlichkeitsberechnungen vorgestellt hat, in denen sieihnen eine langfristige wirtschaftliche Perspektive garan-tiert hat.Selbstverständlich haben die Mieter, die nun Genos-senschafter geworden waren, im Vertrauen auf dieseGutachten gesagt: Wir haben eine Perspektive; wir wollenin eine Genossenschaft; also machen wir das. – Aufgrunddieser Gutachten gaben die Banken ihnen Kredite. Heutewissen wir, dass sie ungedeckt gewesen sind. Sie beka-men Kredite über den Gegenwert hinaus und heute sinddie Genossenschaften – eigentlich nicht erst heute, schon1998 – in einem Maße verschuldet, dass sie überhaupt garkeinen Ausweg mehr finden.Sie haben auch gegenüber bestehenden Genossen-schaften keine gesetzlichen Vorteile: Die Kappung vonAltschulden auf 150 DM pro Quadratmeter hatten sienicht, sie mussten mehr für den Kauf von Grund und Bo-den bezahlen, sie sind nicht von der Grunderwerbsteuerbefreit worden usw.Nicht zuletzt war die TLG selbst die allerschärfsteKonkurrentin, denn sie behielt in der Regel den saniertenWohnungsbestand und konnte dadurch viel preiswertervermieten als die ausgegründeten Genossenschaften. Ichsage Ihnen, meine Damen und Herren: Der Bund unddie Banken haben hier die Hauptverantwortung. Hauptur-sache ist nicht das Missmanagement des einen oder
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Vizepräsidentin Petra Bläss14373
1) Anlage 6anderen Geschäftsführers, auch wenn es das durchausgegeben hat. Dazu kamen die Bevölkerungsabwanderungund der natürliche Bevölkerungsschwund. Der Woh-nungsleerstand ist in diesen Wohnungsgenossenschaftenexorbitant hoch.Unser Antrag mit vielen Detailmaßnahmen schlum-mert schon seit Wochen in der Schublade. Was wir heutewollen, ist nichts anderes als einen runden Tisch unterLeitung von Schwanitz, bei dem alle Beteiligten endlichbeginnen, um eine gemeinsame Lösung zu ringen.
Dieser runde Tisch ist nicht mehr, aber auch nichtweniger als das Zeichen, dass man überhaupt gewillt ist,mit allen Beteiligten nach einer Lösung zu suchen. DieseBereitschaft ist der Anfang von Lösungen; das ist immerso, ohne sie kommt das Ende der restlichen neunGenossenschaften.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der PDS mit dem Titel: „Soforthilfe für konkurs-
bedrohte Wohnungsgenossenschaften aus TLG-Bestän-
den organisieren“. Wer stimmt für diesen Antrag auf
Drucksache 14/4939? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Antrag ist gegen die Stimmen der PDS-
Fraktion abgelehnt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und b auf:
10a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Gerhard Friedrich , Thomas Rachel,
Ilse Aigner, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
Eckpunkte für eine Reform des Hochschul-
dienstrechts
– Drucksache 14/4382 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung
Innenausschuss
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Flach, Cornelia Pieper, Birgit Homburger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Dienstrechtsreform an den Hochschulen konse-
quent für eine umfassende Hochschulreform
nutzen
– Drucksache 14/4415 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Peter Eckardt,
Thomas Rachel, Axel E. Fischer, Antje Hermenau,
Cornelia Pieper, Maritta Böttcher sowie der Parla-
mentarische Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen
haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) – Auch hier sehe
ich keinen Widerspruch im Hause. Deshalb kommen wir
sogleich zu den Überweisungen.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 14/4382 und 14/4415 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich
sehe keinen Widerspruch im Hause. Dann sind die Über-
weisungen so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:
15. Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
Gehrcke, Heidi Lippmann, Carsten Hübner, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak
– Drucksache 14/4709 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Die Kollegen Christoph Moosbauer, Joachim Hörster,
Ulrich Irmer sowie der Staatsminister im Auswärtigen
Amt, Dr. Ludger Volmer, haben ihre Reden bereits zu Pro-
tokoll gegeben.2)
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die PDS-
Fraktion hat der Kollege Wolfgang Gehrcke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Ich habe mir erzählen lassen,dass die besten Filme im Spätprogramm laufen. Ich hätteschon immer gerne einmal das letzte Wort in einer Bun-destagsdebatte gehabt.
– Ich weiß, das letzte Wort liegt bei Ihnen, Frau Präsi-dentin, ich finde aber, dass es bei dem Thema der Aufhe-bung der Sanktionen gegen den Irak nicht angehen kann,seinen Vorschlag nicht zu begründen.Aus meiner Sicht sprechen gegen eine Zustimmung zuunserem Antrag zur Aufhebung aller nicht militärischenSanktionen gegen den Irak eigentlich nur zwei Gründe:erstens die Tatsache, dass wir den Antrag eingebrachthaben, und zweitens die Furcht, sich öffentlich mit denUSA und vor allen Dingen mit der neuen Administration,bei der die Golfkrieger dominieren, anzulegen.Ich bin aber der Überzeugung: Weder Parteitaktik nochUnterwürfigkeit sollten schwerer wiegen als politische
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Christine Ostrowski14374
1) Anlage 42) Anlage 7Vernunft und Humanität. Mit unserem Antrag, liebe Kol-leginnen und Kollegen – vielleicht erzählen Sie das IhrenKolleginnen und Kollegen weiter –, bieten wir Ihnen dieChance zu einem Akt der Selbstbefreiung aus den Dog-men, die ich genannt habe. Ich meine, Sie sollten dieChance nutzen.Wenn wir Parteitaktik und Unterwürfigkeit als Gründefür das Festhalten am Embargo ausschließen, bleibenzwei wesentliche Fragen. Die erste lautet: Haben dieSanktionen gegen den Irak Wirkung gezeigt? Ja, dashaben sie, schlimme Wirkungen sogar; nicht auf den Dik-tator, sondern auf die Zivilbevölkerung. Seit Beginn undinfolge des Embargos sind eine halbe Million Kindergestorben. Das sagt die UNICEF, das sagt die Weltge-sundheitsorganisation.Ein Drittel der Kinder im Irak leidet an Unter-ernährung. Das einst vorbildliche Gesundheitssystemsteht vor dem Kollaps. Transportwesen, Energie- undWasserversorgung sind durch das Embargo nachhaltiggestört. Gelbsucht, Cholera und Typhus grassieren. Auchdaran sterben zuerst die Schwächsten, die Kinder.Kriegsfolgen zeitigen die 315 Tonnen der berüchtigtenDU-Munition, die im Golfkrieg verschossen wurden.Schon damals haben Ärzte und Wissenschaftler vor denFolgen der uranhaltigen Munition gewarnt. Sie stießenauf taube Ohren in Washington und bei der NATO, auftaube Ohren allerdings auch im deutschen Verteidi-gungsministerium.Die Folge aber ist: Im Südirak stieg die Rate derLeukämie-Erkrankungen um 67 Prozent. Das alles istbekannt und öffentlich, nicht zuletzt durch die Berichtedes ehemaligen Koordinators für das humanitäre UN-Hilfsprogramm im Irak, Hans von Sponek, und der Lei-terin des UNO-Ernährungsprogramms, Jutta Burghardt.Beide haben aus Protest gegen das Embargo ihren Dienstquittiert. Ich danke ihnen ausdrücklich für diese Zivil-courage.
Bleibt die zweite Frage: Hat das Embargo dazu beige-tragen, die Macht von Saddam Hussein zu schwächen,sie einzuschränken oder ihn zu stürzen? Das war doch daserklärte Ziel des Embargos. Es ist verfehlt worden; dasEmbargo hat das Gegenteil bewirkt. Mit anderen Worten:Sollten die Embargo-Befürworter die Rechnung aufge-macht haben „Wir nehmen die Leiden der Zivil-bevölkerung und die Kinderopfer in Kauf, um SaddamHussein zu stürzen“, dann ist spätestens zehn Jahre nachdem Golfkrieg klar: Sie haben sich verrechnet.Ich halte eine solche Abwägung für inhuman. Auchwenn man zu einer anderen Schlussfolgerung kommt,muss man sagen, dass diese Politik gescheitert ist.Saddam Hussein regiert immer noch mit absoluter Machtund blutiger Unterdrückung. Er sitzt eher fester im Sattelals vor dem Krieg. Das Embargo hat politische Wider-sprüche im Irak eingeebnet; es hat einen falschen Schul-terschluss befördert. Zum Feind, zum neuen Hitler undzum Schurkenstaat erklärt zu sein, müssen Diktatorennicht fürchten. Ihre Angst ist soziale Wohlfahrt,demokratische Öffnung und Hilfe für die Menschen.
An uns liegt es jetzt, ohne Parteitaktik, ohne Unter-würfigkeit zu entscheiden: Soll die Bevölkerung weiterleiden? Können wir es mit unserem Gewissen verein-baren, dass Kinder hungern, keine Bildung erhalten, dassKinder an Krankheiten sterben, die heilbar wären? Wernüchtern bilanziert, kann nur zu dem Schluss kommen:Das Embargo und die Sanktionen gegen den Irak müssensofort aufgehoben werden.
In einem Bereich bin ich allerdings für das Embargo:kein Waffenexport und keine Lieferungen von Material,das waffentauglich ist – nicht in den Irak und nicht anders-wo hin. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, könnengegen das Embargo aufstehen oder Sie können es duldenund wegsehen.Zum Golfkrieg sagte Joseph Fischer vor zehn Jahren,damals war er Oppositionsführer einer kleinen, aberstarken Oppositionspartei:Jetzt muss man aufstehen. Jetzt geht es wirklich umdas massenhafte Nein ...Mir ist der alte Fischer ohnehin sympathischer als derneue; der Oppositionsführer ist mir sympathischer als derMinister. Gemäß der Aussage des alten Fischer sage ichheute: Jetzt muss man aufstehen; jetzt geht es wirklich umdas massenhafte Nein – gegen das Embargo.Ich bitte Sie, im weiteren Verlauf der Beratung unseresAntrags die Abwägung, die ich vorgenommen habe,nachzuvollziehen und sich für eine Aufhebung des Em-bargos auszusprechen.Schönen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/4709 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe das Einver-
ständnis im Hause. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit be-
reits am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 26. Januar 2001, 8 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.