Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001
Wolfgang Gehrcke
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Adam, Ulrich CDU/CSU 25.01.2001*
Dr. Bartsch, Dietmar PDS 25.01.2001*
Behrendt, Wolfgang SPD 25.01.2001*
Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 25.01.2001
Bindig, Rudolf SPD 25.01.2001*
Dr. Blank, CDU/CSU 25.01.2001*
Joseph-Theodor
Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 25.01.2001
Breuer, Paul CDU/CSU 25.01.2001
Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 25.01.2001*
Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ 25.01.2001
DIE GRÜNEN
Eich, Ludwig SPD 25.01.2001
Fischer (Berlin), Andrea BÜNDNIS 90/ 25.01.2001
DIE GRÜNEN
Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 25.01.2001
Friedhoff, Paul K. F.D.P. 25.01.2001
Friedrich (Altenburg), SPD 25.01.2001
Peter
Dr. Fuchs , Ruth PDS 25.01.2001
Gröhe, Hermann CDU/CSU 25.01.2001
Haschke (Großhenners- CDU/CSU 25.01.2001
dorf ), Gottfried
Dr. Hendricks, Barbara SPD 25.01.2001
Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 25.01.2001
DIE GRÜNEN
Hoffmann (Chemnitz), SPD 25.01.2001*
Jelena
Homburger, Birgit F.D.P. 25.01.2001
Dr. Hornhues, CDU/CSU 25.01.2001*
Karl-Heinz
Hornung, Siegfried CDU/CSU 25.01.2001*
Imhof, Barbara SPD 25.01.2001
Klappert, Marianne SPD 25.01.2001
Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 25.01.2001
Lamers, Karl CDU/CSU 25.01.2001
Laumann, Karl-Josef CDU/CSU 25.01.2001
Lintner, Eduard CDU/CSU 25.01.2001*
Dr. Lippelt, Helmut BÜNDNIS 90/ 25.01.2001*
DIE GRÜNEN
Lörcher, Christa SPD 25.01.2001*
Lötzer, Ursula PDS 25.01.2001
Dr. Lucyga, Christine SPD 25.01.2001*
Dr. Luft, Christa PDS 25.01.2001
Dr. Luther, Michael CDU/CSU 25.01.2001
Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 25.01.2001*
Erich
Mehl, Ulrike SPD 25.01.2001
Mogg, Ursula SPD 25.01.2001
Müller (Berlin), PDS 25.01.2001*
Manfred
Oesinghaus, Günter SPD 25.01.2001
Ostrowski, Christine PDS 25.01.2001
Pau, Petra PDS 25.01.2001
Dr. Pfaff, Martin SPD 25.01.2001
Pflug, Johannes SPD 25.01.2001
Poß, Joachim SPD 25.01.2001
Rübenkönig, Gerhard SPD 25.01.2001
Rupprecht, Marlene SPD 25.01.2001*
Schloten, Dieter SPD 25.01.2001*
Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 25.01.2001*
Hans Peter
von Schmude, Michael CDU/CSU 25.01.2001*
Schröder, Gerhard SPD 25.01.2001
Siebert, Bernd CDU/CSU 25.01.2001*
Steiger, Wolfgang CDU/CSU 25.01.2001
Stübgen, Michael CDU/CSU 25.01.2001
Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 25.01.2001*
Vogt (Pforzheim), Ute SPD 25.01.2001
Wiesehügel, Klaus SPD 25.01.2001
Wohlleben, Verena SPD 25.01.2001
Zierer, Benno CDU/CSU 25.01.2001*
* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung
des Europarates
entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlagen zum Stenographischen Bericht
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (PDS) zur Ab-
stimmung über die Sammelübersicht 194 zu Pe-
titionen – Schadensersatzleistungen aufgrund
eines in der früheren DDR erlittenen Arbeitsun-
falls oder einer Berufskrankheit (Drucksache
14/4561)
Dr. Ilja Seifert (PDS): Der vom Petitionsausschuss
vorgelegten Beschlussempfehlung zur Sammelübersicht
194 zu Petitionen, die Schadensersatzleistungen aufgrund
eines in der DDR erlittenen Arbeitsunfalls oder einer Be-
rufskrankheit begehren, kann ich aus folgenden Gründen
nicht zustimmen:
Erstens. Die Betroffenen fordern mit ihrer Petition die
Weiterführung bereits früher – das heißt, bis etwa Mitte
der Neunzigerjahre – geleisteter Schadensersatzleistun-
gen für einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit, die
sie in der DDR erlitten haben.
Mit der Übernahme der staatlichen Versicherung der
DDR, später der Allianz-Versicherung als Rechtsnachfol-
ger, wurde öffentlich erklärt, dass die Ansprüche auf Leis-
tungen, die vertraglich vereinbart waren, nicht entfallen.
Es handelt sich um Verträge aus der Haftpflichtversiche-
rung von Betrieben nach einem schweren Betriebsunfall.
Die Schadensersatzleistungen waren auf Lebenszeit zu-
gesichert. Die Zusicherung wurde von der Allianz be-
stätigt.
In der Reichsversicherungsordnung ist eine Streichung
von Leistungen im Zusammenhang mit Renten gesetzlich
nicht vorgesehen. Im Einigungsvertrag ist festgehalten,
dass Verwaltungsakte der DDR gültig bleiben, sodass
auch in diesem Falle ein Rechtsanspruch besteht.
Das Bundesarbeitsgericht hat mit dem Urteil vom
4. Dezember 1995 die Ansprüche aus dem Arbeitsgesetz-
buch der DDR aufgehoben und ihre Streichung angeord-
net. Diese Urteil wurde von der Allianz aufgegriffen und
als Rechtsgrundlage benutzt, um den Betroffenen die ih-
nen zustehenden Rechte abzuerkennen. Damit wurde eine
große Anzahl von Widersprüchen ausgelöst. Andererseits
hat das Bundessozialgericht den Rechtsanspruch mit dem
Urteil – Aktenzeichen 2 RU 24/94 – bestätigt.
Diese doppeldeutige Rechtssituation darf nicht zulas-
ten der Betroffenen gehen. Daraus ergibt sich dringender
Bedarf, eine gesetzliche Regelung herbeizuführen, die
den Rechtsansprüchen der Betroffenen gerecht wird. Eine
solche Regelung muss dazu beitragen, dass die Betroffe-
nenen auch in finanzieller Hinsicht für die Einbußen, die
ihnen aufgrund der jahrelangen Aberkennung ihrer be-
rechtigten Ansprüche unverschuldet entstanden sind, ent-
schädigt werden können.
Zweitens. In einer mit der Situation der Petenten ver-
gleichbaren Weise waren nach Angaben aus dem Jahr
1996 zwischen 3 000 bis 6 000 ehemalige DDR-Bürger
betroffen. Wie die Petenten sind die Betroffenen in den
meisten Fällen durch den unerwarteten Ausfall der Scha-
densersatzleistungen in eine schwierige soziale Lage und
oft in ausgesprochene Notsituationen geraten.
Die in Stellungnahmen des Bundesministeriums für
Arbeit und Sozialordnung mehrfach und unter parteipoli-
tisch unterschiedlicher Führung nahezu wortgleich er-
folgte Begründung, dass aufgrund der angespannten
Haushaltslage keine Regelung im Interesse der Betroffe-
nen erfolgen könne, ist für mich weder nachvollziehbar
noch in irgendeiner Weise akzeptabel.
Deshalb werde ich Bemühungen, entgegen der bisheri-
gen Position der Bundesregierung doch noch eine Rege-
lung im Sinne der Betroffenen zu erreichen und Gerech-
tigkeit herzustellen, weiterhin unterstützen.
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetztes zur
Anpassung der Formvorschriften des Pri-
vatrechts und anderer Vorschriften an den mo-
dernen Rechtsgeschäftsverkehr (Tagesord-
nungspunkt 7)
Christine Lambrecht (SPD):Willkommen im 21. Jahr-
hundert! Hinter dem etwas gestelzten Titel „Gesetz zur
Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und an-
derer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsver-
kehr“ verbirgt sich ein entscheidender Durchbruch in der
Anpassung unseres Rechtssystems an die Entwicklung
moderner Kommunikationstechnik.
Die Entwicklung der elektronischen Datenverarbei-
tung, die Möglichkeiten, via Internet in Sekundenschnelle
über den ganzen Erdball zu kommunizieren, hat unsere
Lebens- und Arbeitswelt in großem Umfang verändert.
Längst ist das Bestellen von Waren über das Internet ge-
nauso selbstverständlich geworden wie das Bestellen im
Versandhauskatalog. Längst ist es üblich, auch einen
großen Teil des Schriftverkehrs über das Netz abzu-
wickeln – und dies im privaten Bereich, in der Arbeitswelt
und auch – soweit bisher zulässig – im Rechtsverkehr.
Nur die Rechtssicherheit in diesem Bereich bestand
bislang nicht in ausreichendem Maße. Ja, selbst der Ein-
satz von Faxgeräten hat bisher in einer rechtlichen Grau-
zone stattgefunden, was die Funktion eines Faxes als Ur-
kunde und gültige Willenserklärung angeht. Es ist höchste
Zeit, dass die mittlerweile zum Alltagsleben gehörenden
elektronischen Kommunikationsmittel im Rechtsverkehr
auf eine solide rechtliche Basis gestellt werden.
In diesem Zusammenhang drängt sich die Frage auf,
warum das eigentlich nicht schon längst geschehen ist. Nun
wissen wir um die Begeisterung für moderne Kommunika-
tionstechnik bei der vorhergehenden Bundesregierung.
Wenn man in einem Kanzleramt residiert, in dem das fort-
schrittlichste Kommunikationsmittel die Rohrpost ist, hält
man „E-Mail“ wahrscheinlich für eine genetisch veränderte
Backzutat. – So ist also auch dies ein Gesetzesvorhaben, bei
dem man sagen kann: Es ist seit langem überfällig und es
ist gut, dass es nun endlich umgesetzt wird.
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Es verwundert nicht, dass dieses Gesetz und auch das
Signaturgesetz so schnell angegangen werden. Wer die
Justizministerin kennt und sie auf Sitzung beobachtet, der
weiß, dass wir eine Justizministerin haben, die nicht nur
über den Einsatz von neuen Medien und modernen Kom-
munikationsmethoden redet und bei der das allzeit prä-
sente Notebook kein schickes Accessoire, sondern ein
ständig im Einsatz befindliches Arbeitsmaterial ist.
Im Kern geht es bei diesem Gesetz darum, Regelungen,
die das Bürgerliche Gesetzbuch, das bekanntlich im Jahr
1896 geschaffen wurde, so zu verändern, dass sie den Ent-
wicklungen des modernen Rechtsverkehrs entsprechen.
Dazu gehört eben auch die Möglichkeit der elektroni-
schen Datenübermittlung. Dies ist eine Entwicklung, die
täglich zunimmt.
Seit 100 Jahren gilt im BGB der Grundsatz der Form-
freiheit. Dieser Grundsatz wird durchbrochen von einzel-
nen Formvorschriften. Diese sind die Schriftform, die
notarielle Beurkundung und die öffentliche Beglaubi-
gung. Und immer dann, wenn der Gesetzgeber eine sol-
che Form vorsieht, ist dies zwingend.
Diese Formvorschriften entsprechen zum Teil nicht
mehr der Entwicklung des modernen Rechtsverkehrs. Die
Schriftform verhindert im modernen Geschäftsverkehr
zum Teil ein zügiges Handeln und den rationellen Einsatz
von modernen Techniken. So können geschäftliche Er-
klärungen, die dem Erfordernis der eigenhändigen Unter-
schrift unterliegen, zwar auf dem Computer erstellt, aber
nicht direkt auf telekommunikativem Wege übermittelt
werden. Jeder formbedürftige Vertrag muss ausgedruckt
werden.
Der vorliegende Gesetzentwurf sieht jetzt vor, zu dieser
in § 126 BGB normierten Schriftform eine Möglichkeit zu
einer elektronischen Form hinzuzufügen. Um diese für den
Rechtsverkehr sicher zu machen, wird eine qualifizierte
elektronische Signatur geschaffen. Grundlage dafür ist das
bereits in der parlamentarischen Beratung befindliche Si-
gnaturgesetz. Hierbei wurde erkannt, dass die Möglichkeit
von Veränderungen oder Verfälschungen von Erklärungen
ausgeschlossen sein muss. Mit dieser Signatur wird ein
Zertifikat geschaffen, das von einer zuverlässigen Zertifi-
zierungsstelle vergeben wird. So ist die Identität und die
Authentizität einer in elektronischer Form übermittelten
Erklärung für den Empfänger erkennbar. Der Absender
wiederum hat die Sicherheit, dass niemand in seinem Na-
men eine solche Erklärung abgeben bzw. eine abgegebene
Erklärung verändern kann. Die elektronische Form soll
eine gleichwertige Alternative an den Stellen werden, an
denen das Gesetz eine schriftliche Form – mit eigenhändi-
ger Unterschrift – verlangt.
Wir sind aus diesem Grund auch der Überzeugung,
dass es darüber hinaus keiner besonderen Neuregelung
der Anfechtbarkeit von elektronisch übermittelten Wil-
lenserklärungen bedarf. Die bereits bestehenden gesetzli-
chen Regelungen und die von der Rechtsprechung ent-
wickelten Auslegungskriterien reichen hierfür unserer
Auffassung nach aus.
Mit dem neu eingefügten § 126 b BGB, nämlich der
Textform, soll eine weitere Erleichterung des Rechtsver-
kehrs erreicht werden. Eine Erklärung soll in lesbaren
Schriftzeichen erfasst werden, das heißt eine eigenhän-
dige Unterschrift ist entbehrlich und die Erklärung muss
nicht mehr zwingend auf Papier erfolgen, ist also auch per
E-Mail möglich.
Die Textform ist für solche Erklärungen vorgesehen,
bei denen eine ausreichende Rechtssicherheit auch gege-
ben ist, wenn beispielsweise lediglich die Kopie einer Er-
klärung – zum Beispiel per Telefax –, eine nicht unter-
schriebene schriftliche Erklärung oder die Erklärung
überhaupt nur mittels telekommunikativer Einrichtungen
übermittelt wird. Dies gilt vor allem dann, wenn keiner
der Beteiligten ein ernsthaftes Interesse an einer Fäl-
schung der Erklärung haben kann. Die jahrelangen Er-
fahrungen mit schon bestehenden unterschriftslosen
Einzelformbestimmungen zum Beispiel im Miet- und Ge-
sellschaftsrecht bestätigen, dass aus der Formerleichte-
rung keine schwerwiegenden Probleme entstanden sind.
Wird auf die eigenhändige Unterschrift verzichtet, er-
scheint auch ein Ausdruck eines Dokuments auf Papier
nicht zwingend erforderlich. Erklärungen werden heute
vielfach am Computer erstellt, aber auch von Computer zu
Computer übermittelt und elektronisch gespeichert. Im
Wirtschaftsverkehr, der in steigendem Maße elektronisch
abgewickelt wird, ist der Ausdruck einer selbst erstellten
oder empfangenen Datei auf Papier und eine Papierablage
häufig entbehrlich. Auch das Fax wird in zunehmendem
Maße als Computerfax ohne Verwendung von Papier über-
mittelt. Dem hat der BGH dadurch Rechnung getragen, in-
dem er die Zulässigkeit der Übermittlung bestimmter
Schriftsätze per Telefax auf das Computerfax ausgedehnt
hat. Der rationelle Einsatz, sprich der Verzicht auf einen
Ausdruck, erspart Kosten, nämlich Arbeitszeit und Papier,
und wird von der Praxis ausdrücklich begrüßt. Darüber hi-
naus werden durch diesen Gesetzentwurf auch endlich die
elektronischen Pforten zu den Gerichten eröffnet.
Ich weiß nicht, ob Sie alle die zurzeit noch gängige Pra-
xis des anwaltlichen Alltags kennen. Wenn ich als Anwäl-
tin bei Gericht einen Schriftsatz einreichen will, sieht der
Vorgang nach derzeit geltendem Recht folgendermaßen
aus: Die Klageschrift muss in dreifacher schriftlicher
– das heißt auf Papier – Ausführung eingereicht werden:
einmal als Original mit eigenhändiger Unterschrift, ein-
mal als beglaubigte Kopie – hier ist ein Stempel „beglau-
bigte Abschrift“ und eine Unterschrift erforderlich – und
einmal als normale Kopie, hier ist nur ein Stempel „Ab-
schrift“ erforderlich. Das wird in Zukunft nicht mehr
nötig sein. In Zukunft, wenn die Länder die entsprechen-
den Voraussetzungen geschaffen haben, kann ich die Kla-
geschrift als Dokument mit der entsprechenden Signatur
mit per E-Mail verschicken. Das ist nicht nur eine Er-
leichterung für Anwälte, sondern auch für Zeugen und
Sachverständige.
Der europäische Rahmen für das neue Gesetz besteht
bereits. Der Gesetzentwurf steht im Einklang mit der
EG-Richtlinie über gemeinschaftliche Rahmenbedingun-
gen für elektronische Signaturen und nimmt bereits die
Umsetzung der EG-Richtlinie über den elektronischen
Geschäftsverkehr vorweg. Er ist kompatibel mit interna-
tionalen Regelungswerken für den elektronischen Daten-
verkehr. Wir stehen mit diesem Gesetzentwurf also mit an
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001 14379
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der Spitze für verbindliche, sichere Regeln zur Anwen-
dung elektronischer Kommunikation im Rechtsverkehr,
aber auch in der Wirtschaft. Dies bietet Unternehmen,
großen wie mittelständischen, die am E-Commerce teil-
nehmen, bessere und gesicherte Möglichkeiten, diesen
Markt zu nutzen. Vor allem aber bietet es dem Verbrau-
cher einen ausreichenden Schutz und Rechtssicherheit
beim Internetshopping und im Umgang mit Behörden.
Ich bitte Sie, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen und
seine Umsetzung zu befördern. Sicher wird es noch Ex-
pertenanhörungen geben. Der Kurs aber steht. Und denen
unter Ihnen, die diesem Vorhaben skeptisch gegenüber-
stehen, weil sie den neuen Kommunikationsformen nicht
trauen, sei gesagt: Sehen Sie in dieser Technik nicht in ers-
ter Linie die Risiken, sondern die Chancen, die darin
stecken. Skeptiker und Bedenkenträger können die Aus-
breitung dieser Kommunikationsform vielleicht zum
Schaden von uns allen verzögern; verhindern können sie
sie nicht. Deshalb wollen wir diesen Bereich politisch ge-
stalten, was wir mit diesem Gesetzentwurf tun.
Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): Wir sind uns alle
bewusst, dass es für die Menschen in unserem Land zwei-
fellos spannendere Themen gibt als das, worüber wir
heute debattieren. Für den Juristen freilich ist klar, dass
Formvorschriften von erheblicher Bedeutung sind.
Es steht außer Zweifel, dass sich durch die rasante Ent-
wicklung im Bereich der Informations- und Kommunika-
tionstechnologie große Veränderungen im Geschäftsver-
kehr ergeben haben und weiter ergeben werden, die
bedeutsame juristische Fragen aufwerfen. Der vorlie-
gende Gesetzentwurf der Bundesregierung hat zum Ziel,
das deutsche Privatrecht den Entwicklungen des moder-
nen Rechtsverkehrs anzupassen, und schlägt eine Reihe
von Neuerungen bei den Formvorschriften des Pri-
vatrechts und anderen Vorschriften vor, um diesen Anfor-
derungen Rechnung zu tragen.
Eine wesentliche Neuerung soll die Einführung einer
„elektronischen Form“ als Option zur Schriftform sein,
die als Substitut für die eigenhändige Unterschrift die
elektronische Signierung des Dokuments erfordert.
Außerdem soll eine „Textform“ als neuer Formtypus des
Privatrechts eingeführt werden, die in einer Reihe von
Fällen als Erleichterung gegenüber der Schriftform die
Unterschrift entbehrlich machen soll. Darüber hinaus ist
eine Neukonzeption prozessrechtlicher Vorschriften vor-
gesehen, die den Parteien und auch am Verfahren betei-
ligten Dritten ermöglichen sollen, ihre Schriftsätze und
Erklärungen als elektronisches Dokument einreichen zu
können.
Da es sich heute um die erste Lesung des Gesetzent-
wurfes handelt, möchte ich nicht auf alle einzelnen Punkte
detailliert eingehen. Dies wird im Rechtsausschuss ge-
schehen und hoffentlich auch in Berichterstatterge-
sprächen.
Die in dem neuen § 126 a BGB vorgesehene Ein-
führung einer elektronischen Form ist grundsätzlich zu
begrüßen. Sie entspricht der Zielrichtung des Beschlusses
der Konferenz der Justizministerinnen und -minister in
der Sitzung am 7./9. Juni 1999, wonach es notwendig ist,
im Zuge einer weiteren Rationalisierung des Geschäftsab-
laufs bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften den Ge-
schäftsverkehr, einschließlich der Abgabe verfahrens-
rechtlich relevanter Erklärungen, auch im Wege der
elektronischen Entwicklung zu ermöglichen. Die Ein-
führung einer mit qualifizierter elektronischer Signatur
nach dem Signaturgesetz versehenen Willenserklärung in
elektronischer Form trägt der Bedeutung und raschen
Ausdehnung der elektronischen Kommunikation in der
Öffentlichkeit, vor allem in der Wirtschaft, Rechnung.
Die Aufnahme einer entsprechenden Regelung in den All-
gemeinen Teil des BGB ist ein wichtiger Schritt in die
richtige Richtung. Um zweifelsfrei klarzustellen, dass die
elektronische Form einem Teilnehmer am Rechtsverkehr
nicht gegen seinen Willen aufgezwungen werden kann,
sollte allerdings die jetzige Formulierung in § 126 a BGB
entsprechend ergänzt werden („aufgrund Vereinbarung“).
Auch über die Anregung des Bundesrates, eventuell
den Empfänger zu verpflichten, den Empfang der Er-
klärung unverzüglich auf demselben Weg zu bestätigen,
sollte in der weiteren Beratung ebenso nachgedacht wer-
den wie über die Frage, ob es notwendig ist, den Zugang
bei der elektronischen Form gesetzlich zu regeln. Letzte-
res ließe sich vielleicht durch die Bestätigungspflicht mit
lösen.
Die Einführung der Textform als einer gegenüber der
Schriftform erleichterten Form, die die eigenhändige Un-
terschrift entbehrlich machen soll, ist jedoch aus unserer
Sicht problematisch und jedenfalls in der bislang vorge-
sehenen Form deshalb abzulehnen. Auch der Bundesrat
spricht sich gegen die Einführung der Textform aus und
hält es für erforderlich, den Gesetzentwurf im weiteren
Gesetzgebungsverfahren entsprechend zu überarbeiten.
Dem Bundesrat ist zuzustimmen, wenn er feststellt, der
Gesetzentwurf, soweit er die Textform einführen wolle,
verkenne die Bedeutung der Formvorschriften. Das Pri-
vatrecht wird beherrscht vom Grundsatz der Formfreiheit.
Einschränkungen sind nur gerechtfertigt zum Schutz des
Erklärenden oder zur Klarstellung, mit welchem Inhalt
ein Geschäft zustande gekommen ist. In diese Systematik
passt die Textform gerade nicht, vielmehr handelt es sich
um eine „qualifizierte Formlosigkeit“, wie es in der Be-
gründung der Ablehnung treffend heißt.
Die vorgeschlagene Textform bietet vielfältige Mani-
pulationsmöglichkeiten: Zwar muss die Person des Er-
klärenden erkennbar sein, aber es werden keine Anforde-
rungen gestellt, dass sich der Empfänger auf die Identität
des Erklärenden verlassen kann. Ohne Sicherheitsmecha-
nismen wie zum Beispiel die digitale Signatur wird es
wohl nicht gehen. Große Probleme ergeben sich außer-
dem, wenn der Absender den Zugang seines Dokumentes
beweisen muss. Zahlreiche weitere Probleme, die auch
Fragen der Beweislast und der Beweisbarkeit betreffen,
können bei der Übertragung auf elektronischem Wege un-
ter Einhaltung der Textform auftreten. Wer soll zum Bei-
spiel das Übermittlungsrisiko tragen, wenn aufgrund
technischer Störungen, deren genaue Ursache nicht nach-
zuvollziehen ist, Veränderungen am übermittelten Text
auftreten? Wer trägt das Risiko des Datenverlustes?
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 200114380
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Anlässlich der parlamentarischen Behandlung dieses
Gesetzentwurfs wäre es viel sinnvoller, zu überprüfen, wo
auf Schriftformerfordernisse verzichtet werden kann.
Die Auslegungsregeln des neuen § 127 erscheinen
ebenfalls problematisch: Demnach sollen künftig die An-
forderungen an die gewillkürte Schriftform identisch sein
mit jenen der „Textform“. Ob diese Auslegungsregel
(„Wer Schriftform sagt, meint eigentlich Textform“) den
Erwartungen des Rechtsverkehrs entspricht, ist zu be-
zweifeln.
Noch eine Bemerkung zu dem geplanten § 130 a: Ich
halte es auch aus Gründen des Rechtssicherheit für sinn-
voll, dass jedenfalls die Klageschrift und andere bestim-
mende Schriftsätze mit einer qualifizierten elektronischen
Signatur versehen werden müssen, wenn sie als elektro-
nisches Dokument übermittelt werden, und zwar nicht nur
im Zivilrecht.
An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass die mit
dem Gesetz unter anderem verfolgte Rationalisierung und
Beschleunigung der Verfahrensabläufe im Gerichtsbe-
reich nicht allein durch die Kommunikation in eine Rich-
tung zu erreichen sein wird. Notwendig ist deshalb auch,
die Rechtsgrundlagen dafür zu schaffen, um auch ausge-
hende Schriftstücke elektronisch übermitteln zu können.
Lassen Sie mich abschließend feststellen: Als Begrün-
dung für die Einführung der „Textform“ wird angeführt,
dass durch die Entbehrlichmachung der Unterschrift eine
Erleichterung gegenüber der Schriftform erreicht werde.
Ich glaube nicht, dass dieses Ziel mit dem vorliegenden
Entwurf erreicht wird. Vielmehr entstehen zahlreiche
neue Probleme, insbesondere aufgrund der Zweifel an der
Authentizität und Endgültigkeit der Erklärungen. Ich be-
fürchte, dass das Recht künftig nicht vereinfacht, sondern
eher kompliziert wird und die Gerichte viele neue Pro-
bleme klären werden müssen. Auf die Einführung der
„Textform“ sollte deshalb besser verzichtet werden.
Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Die Anpassung der Formvorschriften im deut-
schen Privatrecht an den modernen Rechtsverkehr ist
dringend geboten. Zwar gilt seit über 100 Jahren im BGB
der Grundsatz der Formfreiheit. Wo dieser Grundsatz aber
durch das Gesetz durchbrochen wurde – durch Schriftform-
erfordernis, notarielle Beurkundung oder öffentliche Be-
glaubigung –, kann das heutige Privatrecht den Entwick-
lungen des modernen Rechtsverkehrs nicht mehr
Rechnung tragen.
Es ist bekanntlich seit längerer Zeit schon Realität,
dass sich das allgemeine Geschäftsgebaren im privaten
Rechtsverkehr durch die rasanten Technologieentwick-
lungen der vergangenen Jahre deutlich verändert hat.
Eine Vielzahl von Rechtsgeschäften wird heutzutage am
Computer und zum Teil über große Entfernungen abge-
wickelt. Dass sich die Vertragsparteien gegenüber sitzen
und feierlich Schriftstücke unterschreiben, wird in ganz
kurzer Zeit endgültig die Ausnahme sein – leider. Das
Szenario, welches uns durch Digitalisierung der Kommu-
nikationstechnik ins Haus steht, hat uns Herr Professor
Dr. Holznagel in seiner Rede anlässlich des gestrigen
Treffens der Rechtsausschussmitglieder bei der Justizmi-
nisterin eindrucksvoll und ungeschönt dargestellt. Durch
Zusammenfassung von Rundfunk, Telekommunikation
und Online-Diensten zu einem Kommunikationsmedium
wird sich der private Rechtsverkehr weiter drastisch ver-
ändern. Das persönliche Gegenübertreten der Vertrags-
parteien wird spätestens dann der „guten alten Zeit“ an-
gehören. Ich werde schon jetzt ganz sentimental.
Dass aber für bestimmte Rechtsgeschäfte, die für die
Vertragspartner besondere Risiken mit sich bringen, auch
in der modernen Zukunft nicht auf die Warn- und Be-
weisfunktion der Formvorschriften verzichtet werden
darf, ist wohl allen klar. Allein aber die Schriftform, als
die verbreitetste und „verkehrsfähigste“ der existierenden
Formvorschriften, behindert ein zügiges Handeln und den
rationellen Einsatz moderner Kommunikationstechnik.
Gesetzgeberisches Handeln im Sinne einer Moderni-
sierung der Formvorschriften im Privatrecht ist darum
dringend geboten. Zwar steht im formfreien Privatrechts-
verkehr der Anwendung elektronischer Signaturen nichts
im Wege. Auch beweisrechtlich gibt es für formfreie
Rechtsgeschäfte keine Probleme, wird doch der Grund-
satz der Formfreiheit im BGB durch den Grundsatz der
freien Beweiswürdigung auf prozessualer Ebene ergänzt.
Im formgebundenen Bereich ist jedoch ein elektronisches
Dokument – und damit auch die Verwendung elektroni-
scher Signaturen – bisher ausgeschlossen.
Der vorliegende Gesetzentwurf führt deshalb als Op-
tion zur Schriftform die elektronische Form in das BGB
ein. Als Substitut für die eigenhändige Unterschrift ist die
elektronische Signatur vorgesehen. Das Verfahren der
Signierung richtet sich dabei nach dem Signaturgesetz,
welches die technischen Rahmenbedingungen für elek-
tronische Signaturen anwendungsneutral regelt. Mit der
Einführung der Textforen als einer gegenüber der Schrift-
form erleichterten verkehrsfähigen Formerfordernis, soll
eine weitere Erleichterung des Rechtsverkehrs bewerk-
stelligt werden. Für Fälle, in denen der Beweis- und Warn-
funktion der Schriftform ohnehin kaum Bedeutung zu-
kommt, ist es ausreichend, zukünftig lediglich die
Abfassung in lesbaren Schriftzeichen zu verlangen und
auf eine Unterzeichnung zu verzichten.
Ich verspreche mir von dem Gesetz, dass es für den
formfreien Bereich im modernen Rechtsverkehr zusätz-
lich eine Signalfunktion entfaltet und auch dort Bewusst-
sein für eine unter Umständen später notwendige Beweis-
funktion schafft. Ich jedenfalls werde auch zukünftig
nicht auf Papier und Tinte verzichten.
Rainer Funke (F.D.P.): Die F.D.P: Fraktion begrüßt,
dass die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Anpas-
sung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer
Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr vor-
legt. Die technische Entwicklung und der zunehmende Ge-
brauch der elektronischen Medien im modernen Rechtsge-
schäftsverkehr macht eine solche zusätzliche gesetzliche
Ausgestaltung zur Anpassung der Formvorschriften des
Privatrechts notwendig – insbesondere, um der nun seit län-
geren möglichen elektronischen Signatur den Weg in den
täglichen Rechtsgeschäftsverkehr zu erleichtern:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001 14381
(C)
(D)
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Dieser Entwurf wird aber dennoch intensiv zu beraten
sein. Im Vorfeld dieses Gesetzentwurfes ist im wissen-
schaftlichen Bereich und später auch im Bundesrat viel-
fältige Kritik geäußert werden. Das ändert nichts an dem
Umstand, dass aufgrund der Entwicklungen im Bereich
der Informations- und Kommunikationstechnologien
neue Bestimmungen über den elektronischen Rechtsver-
kehr notwendig sind. Es besteht sicherlich Einigkeit, dass
die elektronische Form der Schriftform gleichgesetzt
werden soll. Ob dazu die Neueinfügung der „Textform“
notwendig ist, muss im Rechtsausschuss intensiv disku-
tiert werden. Ob darüber hinaus auch die vorgelegten Än-
derungen in Art. 3 bis 34 tatsächlich notwendig sind, und
ob es nicht zweckmäßiger ist, die in den Art. 3 bis 34 vor-
gesehenen Änderungen gesetzestechnisch sozusagen vor
die Klammer zu ziehen, muss sicherlich auch diskutiert
werden. Sicherlich tragen die Änderungen zum Bundes-
kleingartengesetz und zur Änderung des Gesetzes über
die Entschädigung der ehrenamtlichen Richter, um nur
zwei Beispiele zu nennen, nicht zur Transparenz und Ak-
zeptanz des Gesetzes in der Öffentlichkeit bei.
Juristen tun sich oft, so wird behauptet, mit der Ein-
bindung neuer Technik in ihr tägliches Geschäft schwer.
Beispielhaft könnten hier die Diskussionen zu der Ver-
wendung von Telefaxen vor Gericht oder auch im tägli-
chen Rechtsgeschäftsverkehr genannt werden. Mit die-
sem Gesetz bietet sich die Möglichkeit, möglichst schnell
das, was schon tausendfach im Internet geschieht, auch
auf eine rechtssichere Grundlage zu stellen. Es ist für den
Standort Bundesrepublik Deutschland von hoher Wich-
tigkeit, dass nicht nur die technischen Möglichkeiten im-
mer weiter voranschreiten, sondern auch die gesetzlichen
Regeln fortentwickelt werden. Dabei ist auch zu überle-
gen, ob pseudonymes Handeln auch im elektronischen
Rechtsverkehr ermöglicht werden soll und damit der Da-
tenschutz gefördert wird. Die Gesellschaft für Informatik
hat uns hierfür bereits Vorschläge unterbreitet. Diese Vor-
schläge der Verbände und der Wissenschaft sollten von
uns ernsthaft geprüft werden und möglichst bei der No-
vellierung einbezogen werden.
Sabine Jünger (PDS):Recht, Rechtsverkehr und Jus-
tiz müssen nicht nur inhaltlich mit der Zeit gehen, sondern
sie sollten auch die technischen Entwicklungen ihrer Zeit
berücksichtigen und sich ihrer bedienen. Das ist bisher
nicht unbedingt gegeben.
Österreich zum Beispiel ist uns in dieser Hinsicht
schon mindestens einen Schritt voraus. Dort wurde bereits
1999 die elektronische Klageerhebung eingeführt. Seither
gehen immerhin zwei Drittel der jährlich erhobenen Kla-
gen elektronisch bei Gericht ein. Damit ist im Übrigen
auch angedeutet, was in etwa auf die deutschen Gerichte
zukommen wird.
Eine zeitgemäße Anpassung der Formvorschriften des
Privatrechts ist grundsätzlich richtig und vielleicht sogar
schon überfällig. Mit Sicherheit wächst das Bedürfnis
nach modernen Verfahren der Fixierung, Übermittlung
und Authentisierung von Willenserklärungen und der Zu-
erkennung ihrer rechtlichen Relevanz im Rechtsverkehr
rapide weiter. Die Vorteile der elektronischen Übermitt-
lung von Daten, ihrer Speicherung und der Möglichkei-
ten, sie lesbar zu machen, liegen auf der Hand: Rechtsge-
schäfte lassen sich schneller, kostengünstiger, weniger
aufwendig und damit bequemer erledigen. Doch wie fast
immer gibt es bei jedem Fortschritt auch Gefahren. Und
diese bestehen hier im Bereich der Rechtssicherheit und
Gerechtigkeit.
An dieser Stelle muss ich allerdings bekennen, dass ich
die rein technischen Fragestellungen nicht wirklich beur-
teilen kann. Ich denke, damit bin ich in dieser Runde si-
cher nicht allein. Ich kann insofern nur darauf vertrauen,
dass zum Beispiel die elektronische Signatur sicher ist.
Auch Datenschutz und Datensicherheit müssen beim
elektronischen Rechtsverkehr selbstverständlich gesi-
chert sein.
Probleme können sich insbesondere bei der Beurtei-
lung des Zugangs einer elektronisch übermittelten Wil-
lenserklärung ergeben. Wohl nicht grundlos halten die
Verbraucherschützer die Einführung der so genannten
Textform neben der elektronischen Form für entbehrlich
und sogar schädlich. Denn anders als bei der elektroni-
schen Form soll für die Textform schon der Versand einer
E-Mail ausreichen. E-Mails sind aber spurenfrei manipu-
lierbar, sodass ihnen nach Meinung der Verbraucher-
schützer keinerlei Sicherheitswert zukommt.
Die Möglichkeiten des elektronischen Rechtsverkehrs
sollte man deshalb nutzen, ohne alles gleich verbindlich
darauf zu konzentrieren. Der Schutz des Erklärungsemp-
fängers zum Beispiel darf nicht geschwächt werden. Er
muss auch im elektronischen Rechtsverkehr im gleichen
Umfang wie bisher die Gewissheit haben, dass er es wirk-
lich mit einer Erklärung des dazu Berechtigten zu tun hat.
Nicht zu unterschätzen ist außerdem die Signalfunk-
tion, die ein herkömmliches Schreiben hat. Darauf weist
die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände hin. So
ist zum Beispiel nicht unbedingt davon auszugehen, dass
eine E-Mail, mit der ein Vermieter eine Mieterhöhung
durchsetzen will, rechtzeitig vom Mieter wahrgenommen
und in ihrer Bedeutung erkannt wird. Das ist bei einem
Brief anders, zumal wenn er, wie meist in solchen Fällen,
per Einschreiben zugestellt wird. Wenn der per E-Mail
verständigte Mieter dann nicht fristgerecht reagiert, kann
er sich gegen die Mieterhöhung nicht mehr wirksam weh-
ren.
Sowohl der Schutz des Erklärenden als auch der des
Erklärungsempfängers müssen – vor allem im Konsum-
bereich – gegeben sein: Und hier, so glaube ich, bedarf es
der Nachbesserungen.
Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der Jus-
tiz: Die neuen Informations- und Telekommunikations-
technologien, IT, verändern das gesellschaftliche Umfeld
ebenso wie den privaten Alltag. Der Gesetzgeber muss
eingreifen, um zu gestalten, zugleich aber auch um Risi-
ken zu begrenzen, kurz: um unser Recht zeitgemäß zu ge-
stalten. Der heute zur Beratung vorgelegte Gesetzentwurf
der Bundesregierung zur Anpassung der Formvorschrif-
ten schafft insofern eine wichtige Grundlage für das ge-
samte Privatrecht.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 200114382
(C)
(D)
(A)
(B)
Dem Bundestag liegen schon der Gesetzentwurf eines
Zustellungsgesetzes vor – das eine andere Seite des Ge-
samtproblems regelt – und auch der Entwurf eines Geset-
zes über Rahmenbedingungen für elektronische Signatu-
ren, der die technischen Anforderungen an elektronische
Signaturen fortsetzt. Ein Hauptanwendungsbereich elek-
tronischer Signaturen ist der Rechtsgeschäftsverkehr, um
Erklärungen auf elektronischem Wege mithilfe eines si-
cheren technischen Instrumentariums austauschen zu
können. Deshalb erfolgt jetzt die Anpassung der Form-
vorschriften für den Rechtsverkehr, die grundsätzlich
noch auf dem Stand der vor 100 Jahren entstandenen
BGB-Vorschriften und auf das Papier als Trägermedium
fixiert sind.
Bei uns gilt zwar das privatrechtliche Prinzip der
Formfreiheit. 450 zwingende Sachverhalte allerdings er-
fordern, so schreiben die Gesetze das vor, die eigenhän-
dige Unterschrift. Folge: In diesen Fällen kann man heute
weder Fax noch E-Mail einsetzen, bleibt also auf das Me-
dium Papier angewiesen.
Die Bundesregierung schafft mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf Abhilfe: Wir legen mit der neuen Vor-
schrift in § 126 a BGB eine neue elektronische Form als
Option zur eigenhändigen Unterschrift vor. Diese ver-
langt eine elektronische Signierung des Dokuments und
knüpft dabei an die Vorgaben des von mir eingangs er-
wähnten Signaturgesetzes an.
Lassen Sie mich auf eines hinweisen, weil es in der
Diskussion immer wieder aufgekommen ist: Der Gesetz-
entwurf gibt keinen Anlass zur Befürchtung, dass durch
diese neue elektronische Form jemand gegen seinen Wil-
len zum elektronischen Geschäftsverkehr gezwungen
werden kann. Die elektronische Form, zu deren Verwen-
dung ja eine technische Ausstattung unverzichtbar ist,
wird nicht gesetzlich angeordnet. Sie wird den Ge-
schäftspartnern als Option angeboten.
Wichtig ist zudem, dass diese elektronische Form auch
unabhängig von einem gesetzlichen Formerfordernis von
Geschäftspartnern verabredet werden kann und so eine
praktikable Handlungsalternative im nicht formge-
bundenen Bereich ist, die das Vertrauen in den elektro-
nischen Geschäftsverkehr stärken soll.
Im Zuge der Gespräche mit vielen Praktikern hat die-
Bundesregierung geprüft, ob in geeigneten Fällen auf die
gesetzliche Anordnung der eigenhändigen Unterschrift
ganz verzichtet werden kann. Wir sind zu dem Ergebnis
gekommen, dass in einer ganzen Reihe von Sachverhal-
ten die eigenhändige Unterschrift keinen „Mehrwert“
hat, sondern, insbesondere bei „Massenvorgängen“, ein
unnötiges Erschwernis ist. In diesen Fällen kann jedoch
nicht insgesamt auf ein Schriftstück verzichtet werden, da
wenigstens etwas schriftlich Festgehaltenes, etwas Les-
bares, vorliegen muss, also die Erklärung nicht „über den
Gartenzaun“ zugerufen werden kann. Beispiele dafür sind
etwa Betriebskostenabrechnungen oder Modernisie-
rungs- und Erhöhungsanzeigen im Mietrecht, Hinweis-
pflichten bei gefährlichem Frachtgut oder bestimmte Er-
klärungen und Informationspflichten im Gesellschafts-
und Wertpapierrecht.
Für diese Fälle sehen wir eine unterschriftslose Schrift-
form vor, wie wir sie aus Einzelfallregelungen teilweise
schon über 20 Jahre kennen: Sie taucht unter dem Namen
„Textform“ in § 126 b BGB auf, ist also begrifflich, nicht
aber inhaltlich eine neue Form. Nochmals: Erforderlich
ist nicht die eigenhändige Unterschrift, sondern lediglich
eine in Schriftzeichen fixierte Erklärung. Die kann dann
auch durch Fax oder E-Mail abgegeben werden.
Wie immer, wenn etwas in neuer Form daherkommt,
gibt es natürlich Bedenken, auch bei Juristen. Allerdings
werden solche Befürchtungen, diese unterschriftslosen
schriftlichen Erklärungen, also die ,,Textform“, führten zu
Rechtsunsicherheit, durch die langjährige, reibungslose
Praxis unterschriftsloser schriftlicher Mitteilungen wider-
legt. Nicht die „Textform“ als solche, sondern allenfalls
ihre gesetzliche Anordnung in ungeeigneten Sachverhal-
ten könnte zu Problemen führen. Darauf haben wir bei un-
seren Vorschlägen geachtet. Wir sehen sie deshalb nur für
Erklärungen vor, bei denen Beweisfunktion und Warn-
funktion eindeutig zu vernachlässigen sind und die Infor-
mations- und Dokumentationsfunktion im Vordergrund
stehen.
Ein weiterer Gesichtspunkt: Es wäre sicherlich falsch
– Fachleute sprechen von „Medienbruch“ –, wenn wir Er-
klärungen in elektronischer Form zwar grundsätzlich zu-
ließen, für den Fall einer gerichtlichen Inanspruchnahme
aber vorschreiben würden, diese als Papierdokument vor-
zulegen. Deshalb sieht der Gesetzentwurf zugleich den
elektronischen Zugang zum Gericht vor: In den Fällen, in
denen die Zivilprozessordnung die prozessuale Schrift-
form vorsieht, eröffnet unser Entwurf die Möglichkeit für
Parteien, aber auch für am Verfahren beteiligte Dritte, zum
Beispiel Zeugen oder Sachverständige, ihre Schriftsätze
und Erklärungen als elektronisches Dokument einzurei-
chen. Als Substitut für die eigenhändige Unterschrift sieht
der Entwurf das Erfordernis einer qualifizierten elektroni-
schen Signatur nach dem Signaturgesetz vor.
Mit dem Signaturgesetz, dem Formvorschriftengesetz
und dem Zustellungsgesetz schaffen wir sichere gesetzli-
che Grundlagen für den elektronischen Rechtsverkehr
und zugleich für die so genannte E-Justiz.
Nun wird jeder die angemessene Nutzung der IT-Mög-
lichkeiten in diesem Bereich befürworten, ich tue es nach-
drücklich.
Heute allerdings müssen wir feststellen, dass die Mo-
dernisierung der Justiz noch viel zu wünschen übrig lässt.
Die Verabschiedung der drei von mir genannten Gesetze
wird den schmerzhaften Graben zwischen den IT-Mög-
lichkeiten und der Wirklichkeit in unseren Gerichten, auf
die uns ja der EDV-Gerichtstag immer wieder aufmerk-
sam macht, noch deutlicher sichtbar machen. Nun über-
brückt unser Gesetz diesen breiten Graben durch die Be-
stimmung, dass jedes Bundesland den Zeitpunkt selbst
bestimmen kann, von dem an elektronische Dokumente
bei den Gerichten ihres Zuständigkeitsbereichs einge-
reicht werden können.
Die Bundesregierung hält es für richtig, die E-Justiz in
allen Gerichtszweigen zu ermöglichen. Auch der Bun-
desrat sieht das so; das ist gut.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001 14383
(C)
(D)
(A)
(B)
Ich darf Sie herzlich bitten, die Bundesregierung dabei
zu unterstützen, das Gesetz zur Anpassung der Formvor-
schriften des Privatrechts so bald als möglich in Kraft tre-
ten zu lassen. Ich freue mich, sagen zu können, dass wir
damit auch im internationalen Vergleich auf diesem
Rechtsgebiet eine innovative Rolle einnehmen.
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Eckpunkte für eine Reform des Hochschuldienst-
rechts
– Dienstrechtsreform an den Hochschulen konse-
quent für eine umfassende Hochschulreform nut-
zen
(Tagesordnungspunkt 10 a und b)
Dr. Peter Eckardt (SPD): Die deutschen Hochschu-
len sind nach wie vor erfolgreiche wissenschaftliche Ein-
richtungen unserer Gesellschaft. Forschung und Lehre
genügen im Wesentlichen der internationalen Konkurrenz
und haben zur Kultur und zum Wohlstand unserer Landes
viel beigetragen. Die Fachhochschulen sind seit 30 Jahren
als jüngster Hochschultyp ein besonderes deutsches Er-
folgsmodell. Sie sind gerade in den neuen Ländern wis-
senschaftlich sehr erfolgreich. Auch im Ausland werden
Fachhochschulen zum Teil nach deutschem Vorbild ge-
gründet. Als anerkannte wissenschaftsgestützte und pra-
xisorientierte Ausbildungsstätten für technologische und
sozial-kulturelle Managementberufe bedürfen die Fach-
hochschule unserer besonderen wissenschaftspolitischen
Beachtung und finanziellen Förderung.
Nicht erst seit 1998 ist es politisch an der Zeit, die
deutschen Hochschulen weiter zu reformieren. Bisher ist
allerdings schon viel geschehen: Die Einrichtung interna-
tionaler Studiengänge, die Steigerung der drittmittelfi-
nanzierten Forschung, die Straffung der Curricula, Vorle-
sungen in Fremdsprachen, Kontaktstudien im Ausland,
studienintegrierte Praktika und Projektarbeiten und Wei-
terbildungsstudiengänge haben Forschung und Lehre
schon erheblich verbessert.
Nun werden wir uns politisch daran machen und daran
machen müssen, auch das Dienstrecht an den Hochschu-
len zu modernisieren. Das Dienstrecht ist ein wesentlicher
Faktor der inneren Struktur der Hochschulen, aber nicht
die einzige Bedingung für Leistung und Erfolg.
Eine auch in Zukunft leistungsgerechte Besoldung, die
von Kritikern einer Dienstrechtsreform gefordert wird, ist
natürlich gewährleistet. Die Besoldungsreform als Teil
der Dienstrechtsreform ist wichtig, aber nicht das einzige
Kriterium der Reform. Weitere Strukturen der deutschen
Hochschulen müssen geändert werden, eine Reform ist
überfällig, die Kritik aus der Wissenschaft an sich selbst
ist dabei ebenfalls nicht zu überhören. Auch bei den Be-
troffenen gibt es Ängste – sie sind meist verständlich, aber
nach intensiver Diskussion geglättet. Es gibt viel Ver-
ständnis und Zuspruch für unser Vorhaben einer Dienst-
rechtsreform.
Was wir politisch wollen und wovon wir uns auch nicht
abbringen lassen sollten, ist Folgendes: Internationaler
und nationaler Wettbewerb und ein Teilrückzug des Staa-
tes aus den Detailregelungen ermöglichen den Hochschu-
len in der Wissenschaft höhere Leistungen und ein ver-
bessertes gesellschaftliches Ansehen, den Angehörigen
der Hochschulen mehr Motivation, den Studierenden
mehr Qualifikation und Erfolg. Der Einführung von Stu-
diengebühren bedarf es zu dieser Motivationssteigerung
nicht.
Der Antrag der F.D.P. möchte möglichst schnell mög-
lichst alles neu regeln – sie nennt das eine umfassende Re-
form. Von den verfassungsrechtlichen Vorgaben, die die
Hochschulen mit Recht der Länderhoheit unterstellen und
nicht zulassen, umfassend in ihre Struktur einzugreifen,
will ich nicht sprechen. Ich will mich auf die Inhalte des
F.D.P.-Antrages konzentrieren. Ich kann nur warnen, in
das komplexe soziale Gebilde der Hochschulen so rigoros
und ohne zumindest die Teilzustimmung der Angehörigen
dieser Institution einzugreifen, wie dies der F.D.P.-Antrag
vorsieht. Sie werden mit diesen Ideen genau das Gegen-
teil von dem erreichen, was Sie vermutlich vorhaben.
Der Antrag der CDU/CSU ist realistischer, er akzep-
tiert die Eckpunkte der Bundesregierung zu Recht. Bei ei-
nem Festhalten an der Habilitation müssen Sie aber wis-
sen, dass Sie sich gegen alle stellen, die im In- und
Ausland dazu etwas gesagt haben. Der akademische Ritus
Habilitation gilt als Hindernis für vieles, was wir refor-
mieren wollen. International ist dieses Verfahren kein
wissenschaftlicher Standard mehr. Richtig ist aber, dass
man dann aber über die Qualität der Promotionen nach-
denken muss, wenn es zukünftig keine Habilitation mehr
geben wird.
Zur Besoldung, liebe Kolleginnen und Kollegen der
CDU/CSU, kann ich nur sagen: Dies wird in Zukunft der
Markt richten und nicht ein Festhalten an Art. 33 Abs. 5
des Grundgesetzes, der historisch von einer amtsange-
messenen Besoldung spricht. Die Höhe der Besoldung an
deutschen Hochschulen wird sich in der internationalen
Konkurrenz der akademischen Arbeitsmärkte an diesen
Bedingungen orientieren.
Der reklamierten Gleichwertigkeit der unterschiedli-
chen Hochschullehrer wird in der neuen Dienstrechtsre-
form Rechnung getragen. Auf die Gremien an den Hoch-
schulen wird nach der Dienstrechtsreform viel Arbeit
zukommen. Sie werden die wissenschaftsadäquate Leis-
tungsbewertung und ein Qualitätsmanagement auch bei
der Evaluation bewältigen müssen.
Dieser Prozess wird wie in der Politik nicht ohne Kon-
flikte sein. Aber die Reform ist zu schaffen und wir wer-
den es schaffen.
Thomas Rachel (CDU/CSU):Auch die Dienstrechts-
reform ist wieder mal ein Beispiel dafür, dass sich in der
Bildungspolitik der rot-grünen Bundesregierung nichts
bewegt. Frau Ministerin Bulmahn, Sie hätten heute die
Chance gehabt, dem Plenum des Deutschen Bundestages
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 200114384
(C)
(D)
(A)
(B)
Ihren Gesetzentwurf für eine Dienstrechtsreforrn an den
deutschen Hochschulen vorzulegen. Doch leider wieder
einmal Fehlanzeige: Bald sind zwei Drittel dieser Legis-
laturperiode verstrichen, ohne dass Sie die von Ihnen ver-
sprochenen Reformmaßnahmen in der Bildungspolitik
realisiert haben.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat heute – im Ge-
gensatz zur Bundesregierung – einen Antrag mit einem
klaren Konzept für eine Dienstrechtsreforrn vorgelegt.
Lassen Sie mich die wichtigsten Elemente ansprechen:
Heute haben nur die C4-Professoren/Professorinnen
die Möglichkeit, ihr Gehalt durch Zulagen anlässlich von
Berufungen und Bleibeverhandlungen zu erhöhen. Das
reicht aber nicht aus. Alle Professoren an Universitäten
und Fachhochschulen sollen spüren, dass Leistungen in
Forschung und Lehre wahrgenommen und auch finanziell
honoriert werden. Nicht mehr allein das Älterwerden soll
in Zukunft das Gehalt der Hochschullehrer bestimmen,
sondern ihr persönlicher Einsatz in Forschung und Lehre.
Das durch den Wegfall der bisherigen Dienstaltersstufen
gewonnene Geld soll für neu zu schaffende Zulagen ge-
nutzt werden.
Nach unserer Auffassung sollen Zulagen in drei Fällen
gewährt werden: erstens im Falle einer Berufung und der
Abwendung einer Berufung, zweitens als Funktionszulage
für nicht hauptamtlich wahrgenommene Funktionen in der
Hochschulverwaltung und zum Beispiel für die Leitung
eine Sonderforschungsbereiches und drittens als Leis-
tungszulage für die persönliche Leistung in Forschung und
Lehre. Eine Leistungszulage sollte auch der Professor er-
halten, der bereit ist, ein erhöhtes Lehrdeputat an der
Hochschule zu übernehmen. Denn es muss darum gehen,
gerade die Lehre an unseren Hochschulen zu stärken.
Die wissenschaftlich fundierte, praxisorientierte Aus-
bildung an unseren Fachhochschulen hat sich bewährt.
Deshalb ist es sinnvoll, ihre Kapazitäten weiter auszu-
bauen und das Fächerspektrum zu erweitern. Um auch in
Zukunft hoch qualifizierte Praktiker für das Professoren-
amt zu gewinnen, ist es zusätzlich erforderlich, das Be-
soldungsniveau anzuheben. Deshalb sollte die bisherige
C2-Besoldung für Fachhochschulprofessoren entfallen
und durch eine einheitliche W2-Besoldung an Fachhoch-
schulen und Universitäten ersetzt werden.
Die Universitäten und gleichgestellte Hochschulen
sollten zusätzlich auf jeden Fall ein höherwertiges Pro-
fessorenamt W3 anbieten können. Denn die Professoren
an den Universitäten haben im Unterschied zu den Fach-
hochschulen zusätzlich die Aufgaben, den wissenschaftli-
chen Nachwuchs – Promotionen – auszubilden und in der
Grundlagenforschung Exzellentes zu leisten. Ein gestuf-
tes Besoldungssystem an Universitäten ist auch sinnvoll,
um der unterschiedlichen Bedeutung von Lehrstühlen und
Instituten, aber auch der besonderen Verantwortung von
Klinikleitern Rechnung zu tragen.
Nicht zustimmen können wir den von Bundesbil-
dungsministerin Bulmahn für Professoren vorgeschla-
genen Besoldungsstufen W2 in Höhe von 7 000 DM
und W3 in Höhe von 8 500 DM. Diese Mindestbeträge
sind definitiv zu niedrig. Sie entsprechen dem Gehalt
von Oberregierungsräten und Regierungsdirektoren und
schrecken den qualifizierten Nachwuchs ab, eine Hoch-
schullaufbahn anzustreben. Wir können es uns nicht län-
ger leisten, dass die besten Köpfe ins Ausland abwandern,
weil sie dort bessere Bedingungen vorfinden!
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion will das beste
Know-how, die besten Wissenschaftler für unsere Hoch-
schulen gewinnen. Das kann man nicht mit den von Bil-
dungsministerin Bulmahn vorgesehenen Grundgehältern.
Die von Rot-Grün vorgesehene Mindestbesoldung ent-
spricht nicht der in Artikel 33, Absatz 5 des Grundgesetzes
garantierten amtsangemessenen Besoldung. Die Grund-
gehälter müssen erhöht werden. Die Leistungszulagen sol-
len nicht automatisch jedem gegeben werden, sondern nur
dem, der die Leistungen auch nachgewiesen hat. Andern-
falls kann man sich das ganze neue System sparen.
Die Vorschläge von Bildungsministerin Bulmahn lau-
fen auf eine Gehaltskürzung für einen bedeutenden Teil
der Professoren in Deutschland hinaus. Das lehnen wir ab.
Eine solche Reform darf eben nicht kostenneutral sein.
Denn wir müssen uns endlich dazu bekennen, dass wir in
Deutschland Eliten brauchen, und Eliten sind nicht zum
Nulltarif zu bekommen.
Die Qualifikation des wissenschaftlichen Nachwuch-
ses an den Hochschulen bis hin zum Professorenamt dau-
ert zu lange. Dies ist ein Problem. Habilitierte sind im
Durchschnitt über 40 Jahre alt. Wer danach nicht direkt
eine Berufung als Hochschullehrer bekommt, gerät in
eine „Altersfalle“. Eine berufliche Neuorientierung ist zu
Beginn des fünften Lebensjahrzehnts nur noch mit
äußersten Schwierigkeiten möglich.
Die Einführung eines so genannten Juniorprofessors ist
deshalb sinnvoll. Er muss selbstständig forschen und leh-
ren können und über eine drittmittelfähige Grundausstat-
tung verfügen.
Es ist allerdings ein Fehler, wenn Rot-Grün nun gene-
rell die Habilitation abschaffen will. Ich stimme Ihnen in-
soweit zu, als der Nachweis einer zusätzlichen wissen-
schaftlichen Leistung in Form der Habilitation in
manchen Fächern wie zum Beispiel den Ingenieurwissen-
schaften heute de facto kaum noch eine Rolle spielt. Hier
ist die so genannte Juniorprofessur der richtige Qualifika-
tionsweg. In anderen Fächern kann man seine wissen-
schaftliche Kompetenz aber nur mit einer Habilitation be-
weisen. Der Philosoph zum Beispiel muss eine Schrift
einreichen. Bei den Naturwissenschaftlern und den Inge-
nieuren ist das hingegen nicht so. Anstatt mit dem Vor-
schlaghammer die bewährte Habilitation kaputtzuschla-
gen, sollte man den unterschiedlichen „Fächerkulturen“
Rechnung tragen. Neben der „Juniorprofessur“ sollte es
deshalb auch weiterhin die Habilitation geben.
Es ist kein Wunder, dass von den Professoren deutliche
Kritik an dem rot-grünen Konzept geübt wird. SPD und
Grüne wollen wieder einmal Veränderungen über die
Köpfe der Betroffenen hinweg durchsetzen. Diesen Stil
der Politik lehnen wir ab. Es ist schade, dass Rot-Grün auf
diese Weise ein gemeinsames Vorgehen mit der Professo-
renschaft gefährdet. Denn Sie versuchen nicht, die Be-
troffenen für vernünftige Veränderungen zu gewinnen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001 14385
(C)
(D)
(A)
(B)
Die Union wird sich dafür einsetzen, eine Reform mit
den Professorinnen und Professoren durchzuführen und
nicht gegen sie. Das ist unser Verständnis von Reformpo-
litik, die langfristig tragfähig ist.
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU): Die
Sicherung eines qualitativ hochwertigen Bildungssystems
in Deutschland, gerade an den deutschen Hochschulen
und Fachhochschulen, gehört zu den zentralen Herausfor-
derungen unseres Landes. Nur erstklassig ausgebildete
Arbeitskräfte ermöglichen uns eine Spitzenposition im in-
ternationalen Wettbewerb um Innovation und technologi-
sche Spitzenleistungen.
Um diesen hohen Stellenwert deutscher Hochschulen
im internationalen Vergleich zu behaupten bzw. auszu-
bauen, muss die Verbesserung der Leistungen in For-
schung und Lehre durch mehr Wettbewerb erreicht wer-
den. Ziel der von uns geforderten Reform des deutschen
Hochschulsystems ist es deshalb, durch Deregulierung,
durch Leistungsorientierung und durch die Schaffung von
Leistungsanreizen Wettbewerb und Differenzierung zu
ermöglichen sowie die internationale Wettbewerbsfähig-
keit der deutschen Hochschulen für das 21. Jahrhundert zu
sichern. Unsere jungen Menschen werden nur dann die
erstklassige Ausbildung erhalten können, die sie verdient
haben und die wir dringend brauchen, wenn die Politik auf
wohlfeile Worte endlich die notwendigen Aktionen folgen
lässt und ernsthaft beginnt, die allseits bekannten Un-
zulänglichkeiten eines überregulierten Hochschulsystems
in Deutschland abzustellen.
Mit einer umfassenden und radikalen Verringerung der
staatlichen Regelungsdichte an Hochschulen muss im
Sinne der Subsidiarität den Hochschulen ein größerer Ge-
staltungsspielraum für Strukturen, personelle Zusammen-
setzung und die Verwendung zugewiesener Mittel gege-
ben werden. Damit können die Hochschulen in die Lage
versetzt werden, ein eigenständiges Profil mit Schwer-
punktbereichen auszubilden. Damit können die Voraus-
setzungen für einen Wettbewerb um die fähigsten Studen-
ten, die fähigsten Forscher und die fähigsten Dozenten
geschaffen werden.
Mehr Flexibilität, Eigenverantwortung und Motivation
für die Hochschulen und ihr Lehrpersonal ist daher das
Ziel des vorliegenden Antrages der CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion. Wir wollen keine uniforme Hochschulpoli-
tik, die einfarbig alles vorschreibt und bis ins letzte Detail
regelt. Wir wollen eine bunte Hochschullandschaft in
Deutschland mit Hochschulen, die im Wettbewerb um die
besten Konzepte untereinander um ihre Stellung kämp-
fen. Wettbewerb fördert die Entwicklung insgesamt und
sorgt damit für bessere Ausbildung und Forschung an un-
seren Universitäten und Fachhochschulen. Gerade des-
halb sieht das in der letzten Legislaturperiode beschlos-
sene Hochschulrahmengesetz vor, dass bei der Verteilung
von staatlichen Mitteln auf die Hochschulen und inner-
halb der Hochschulen Leistungskriterien stärker zu
berücksichtigen sind. Derzeit stehen fast ausschließlich
die Leistungen in der Forschung im Vordergrund. Gerade
solche Veröffentlichungen bieten Chancen, Forschungs-
mittel aus der Industrie oder aus staatlichen Forschungs-
programmen zu erhalten. Ein besonderes Engagement in
der Lehre wird gerade an Universitäten unzureichend ho-
noriert. Stattdessen wird landauf, landab der natürliche
Alterungsprozess besonders prämiert.
Wir wollen dies ändern und den Hochschulen
Freiräume schaffen. Um im Wettbewerb um die besten
Dozenten und Forscher bestehen zu können, sollen Ober-
grenzen für die individuelle Besoldung von Professoren
entfallen. Die Hochschulen sollen selbst entscheiden, wen
sie als Professor, also als Forscher und Lehrer einstellen
wollen und was sie bereit sind, ihm dafür zu bezahlen.
Wenn eine Universität oder Fachhochschule im Informa-
tikbereich Bill Gates als Lehrkraft verpflichten will, dann
soll sie dies tun können. Deshalb soll es möglich sein, Zu-
lagen zu gewähren. Das an dieser Stelle ausgegebene
Geld muss die Hochschule dann eben an anderer Stelle
einsparen. Gleichzeitig muss das Besoldungsniveau an
Universitäten und Fachhochschulen so angehoben wer-
den, dass die Hochschullaufbahn für qualifizierten Nach-
wuchs attraktiv ist. Die im Konzept des Bundesminis-
teriums für Bildung und Forschung vorgesehenen Min-
destbeträge für die Vergütungen in Höhe des Gehaltes von
Oberregierungsräten bzw. Regierungsdirektoren sind vor
diesem Hintergrund nicht ausreichend und schrecken den
qualifizierten Nachwuchs eher ab.
Die zügige Verwirklichung einer echten Reform des
deutschen Hochschulwesens ist eine notwendige Voraus-
setzung für eine erfolgreiche weitere Entwicklung des
Wissens- und Wissenschaftsstandortes Deutschland. Als
wichtigste Stützen für Wissen und hoch qualifizierte Aus-
bildung müssen unsere Hochschulen in die Lage versetzt
werden, diesem hohen Anspruch auch in Zukunft gerecht
zu werden. Exzellenz und Effizienz können die Hoch-
schulen dauerhaft nur dann miteinander verbinden, wenn
sie ein eigenes Profil und entsprechende Handlungsfrei-
heiten erlangen.
Antje Hermenau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Heute werden zwei Oppositionsanträge im Zusammen-
hang diskutiert, die sich auf eine Reform des Hochschul-
dienstrechts beziehen. Es liegt nun ein Reformvorschlag
des BMBF auf dem Tisch und die Opposition macht ihre
Anträge dazu. Weit auseinander liegen CDU/CSU und
F.D.P. dabei nicht und wir werden beide Anträge ableh-
nen. Zu Recht haben wir alle gemeinsam festgestellt, dass
die Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses
einfach zu lange dauert.
Der Reformvorschlag der rot-grünen Regierung macht
dazu nicht etwa irgendwelche kleinen, vielleicht brauch-
baren Änderungsvorschläge, sondern ruft auf zu einer
kleinen Revolution an den Hochschulen. Der einzige
Schritt zur großen Revolution, den wir nicht gemacht ha-
ben, weil er nicht durchsetzbar war, ist die Aufhebung der
Verbeamtung von Professoren. Das ist eigentlich das Ein-
zige, was Sie uns vorwerfen könnten. Die F.D.P. tut das.
Die CDU/CSU hält sich da vornehm in ihrem Antrag
zurück und will die Verbeamtung aufrechterhalten: Sie
wird ihre Gründe haben...
Aber damit wiederholt sie einen Fehler des HRG aus
dem Jahre 1976. Der damals geschaffene Hochschulassis-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 200114386
(C)
(D)
(A)
(B)
tent, zu selbstständiger Lehre und Forschung berechtigt,
wurde in der Praxis durch vorrangige Berufungen über
den Habilitationsweg als Karreriesstufe unterlaufen. Ähn-
lich muffig mutet an, dass die CDU/CSU an einer unter-
schiedlichen Besoldung von Professoren an Hochschulen
und Fachhochschulen festhalten will. Das mutet nun
ziemlich altertümlich an. Gerade der Wettbewerb zwi-
schen den akademischen Bildungsträgern ist ganz offen-
sichtlich ein Merkmal der heutigen Zeit und auch für die
Wissenschaftslandschaft mehr als wünschenswert.
In Ihren Anträgen versuchen Sie, mutige Reform-
schritte aufzuhalten. Das Konzept der Juniorprofessur
wird von Ihnen beiden begrüßt, allerdings soll ihrer Mei-
nung nach die Habilitation parallel dazu erhalten bleiben:
Das ist Nonsens. Dann werden sich die alteingesessenen
Profs darauf verständigen, auf der Habilitation zu beste-
hen, weil das ja immer schon so gewesen ist. Das ist ab-
solut ständisches Denken, das Sie hier legitimieren und
stabilisieren wollen. Mir ist unverständlich, wie Sie auf
diesem veralteten Standpunkt beharren können.
Aber das ist ja alles nur mildes Debattenvorgeplänkel.
Die eigentliche Revolution ist, eine leistungsbezogene
Besoldung bei den Professoren vorzunehmen. Dem stim-
men Sie im Prinzip zu. Betrachtet man die Entwicklung
der Leistungszulagen an deutschen Hochschulen, kann
man auch nicht anders denken: Wir kehren zurück zu ei-
nem Prinzip, das über viele Jahre offensichtlich besser
funktioniert hat als das heutige. 1965 wurde die so ge-
nannte Kolleggeldgarantie in eine Kolleggeldpauschale
umgewandelt, die dann seit 1978 dem Grundgehalt ein-
fach zugeschlagen wurde. War das Kolleggeld noch eine
echte Leistungszulage, die sich nach Anzahl der Hörer
und Höhe der an den Vorlesungsstunden verdienten Ge-
bühren richtete, war der Kollegpauschale keinerlei Leis-
tungsnachweis in der Lehre mehr zu entnehmen, was zur
allgemein bekannten Misere in der Lehre führte. Von den
Sondergehältern und Zuschüssen rede ich gar nicht mehr.
Nun soll es klare Kriterien geben: Neben dem Grund-
gehalt ist eine variable Zulage durch entsprechende Leis-
tung zu erwerben. Die variable Zulage kann zwischen ei-
nem Viertel und einem Drittel des möglichen Endgehalts
ausmachen und stellt damit sicherlich einen entscheiden-
den Anreiz dar. Sie sprechen sich nicht dagegen aus. Sie
überreizen nur wieder bei den Anreizen. Da Sie für eine
solide Finanzierung nicht mehr zuständig sind, kommen
Sie mit ins Unendliche reichenden Gehaltsvorstellungen
für Professoren – kein Oberlimit heißt es bei der F.D.P.
Es ist unsere Chance, dass in den nächsten Jahren eine
Vielzahl von Professoren aus dem Hochschuldienst aus-
scheiden wird. Wir haben die Möglichkeit, den immer
noch lausig niedrigen Frauenanteil an der Professoren-
schaft zu erhöhen. Wir haben die Chance, jüngere Leute
in Forschung und Lehre zu bekommen. Es wird also nicht
nur einen Generationenwechsel geben, sondern auch eine
Entwicklung, die ungleiche Verteilung zugunsten des
männlichen Geschlechts nach und nach abzumildern. Das
macht auch Sinn! Es studieren mehr Frauen als Männer.
Mädchen machen im Durchschnitt dass bessere Abitur.
Diese Generation soll daher verstärkt in die Lehre und die
Forschung vordringen. Das sie es vermag, hat sie längst
unter Beweis gestellt. Man muss ihr nur die entsprechen-
den Chancen einräumen. Genau das tun wir!
Cornelia Pieper (F.D.P.): Wir Liberalen wollen mit
unserem Antrag zur Hochschuldienstrechtsreform deut-
lich machen, dass es der Regierungskoalition an politi-
schem Gestaltungswillen fehlt, eine wirkliche Hoch-
schulstruktur- und Studienreform in Angriff zu nehmen.
Was wir zu Beginn des neuen Jahrtausends brauchen, ist
eine Reform der Hochschulen am Hochschulstandort
Deutschland, eine Reform an Kopf und Gliedern.
Hierzu bedarf es einer Vision, die auch mutig die Kon-
turen der Hochschule des 21. Jahrhunderts zeichnet.
Diese Vision muss den schöpferischen Raum für eine
wirklich autonome Hochschule in freier Selbstbestim-
mung und Selbstverwaltung bei uneingeschränkter Perso-
nalhoheit schaffen. Nicht der Staat darf das Profil der ein-
zelnen Hochschule bestimmen, darf über Studiengänger,
die Zahl der zu immatrikulierenden Studenten entschei-
den, nein, das sollte künftig nur noch die jeweilige Hoch-
schule selbst.
Der Staat muss seine Hochschulen in die Freiheit ent-
lassen. Sie entscheiden über ihren Status künftig selbst, so
wie es das novellierte Hochschulrahmengesetz schon
1998 vorsah. Der Staat stößt immer mehr an seine Gren-
zen. Er muss agieren und sich auf seine eigentlichen Auf-
gaben konzentrieren.
Immer mehr Studenten drängen heute an die Hoch-
schulen. Im vergangenen Jahr waren es schon wieder fast
1,8 Millionen: Doch die Hochschulen sind dieser Flut
nicht gewachsen. Sie sind ausgerichtet auf circa 700 000
Studierende. Die Folge sind überfüllte Hörsäle, fehlende
Seminar- und Praktikumsplätze, zu lange Studienzeiten
und nicht zuletzt auch fehlende Hochschullehrer.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Wir brauchen in
der Zukunft mehr denn je hoch qualifizierte junge Leute.
Die Nachfrage nach akademisch Gebildeten wird auf dem
Arbeitsmarkt weiter ansteigen. Ihr Anteil wird in den
nächsten Jahren auf 35 Prozent anwachsen.
Was wir brauchen, sind gleichwertig nebeneinander
wirkende Hochschulen und Universitäten bei weiter
steigendem Anteil der Ausbildung von akademischen
Berufen an den Fachhochschulen. Doch soll gerade die
Dienstrechtsreform einen ersten Schritt hin zu einer um-
fassenden Reform der Hochschulen darstellen, muss sie
Optionen für zukünftige Entwicklungen des Hochschul-
systems offen halten.
So betrachtet scheinen die bisherigen Vorschläge von
Bildungsministerin Bulmahn etwas wirklichkeitsfremd.
Und überhaupt: Wo ist denn der Gesetzentwurf der Bun-
desregierung?
Den Hochschulen soll, mit dem Verweis auf zu lange
dauernde Qualifizierungsphasen, eine neue Korsettstange
bei der Ausbildung des Hochschullehrernachwuchses ein-
gezogen werden. Sie nennt sich „Juniorprofessur“. Ich
streite nicht ab, dass sie ein – ich betone: ein – Weg zur
Qualifizierung von Nachwuchswissenschaftlern sein
kann.
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Die Habilitation sollte der andere Weg bleiben. Beide
sollten im Wettbewerb zueinander ihre Stärken und auch
Schwächen zeigen. Vielfalt statt Einfalt! Wettbewerb statt
Gängelei! Kommen die so oft beschworenen Vorteile der
Juniorprofessur in allen Wissenschaftsbereichen zum Tra-
gen, dann wird sie sich auch durchsetzen und die Habili-
tation wird aussterben. Hierzu bedarf es keines Gesetzes.
Ich bin mir aber sicher, dass die Abschaffung der Ha-
bilitation nichts bewirken wird. Sie wird „ein neues Va-
kuum mit neuen Konfusionen“ schaffen, wie es Frau Pro-
fessor Dorothea Frede am vergangenen Montag in der
„FAZ“ formulierte.
Bei der letzten Novellierung des Hochschulrahmenge-
setzes haben wir schon die Tür geöffnet, indem wir der
Habilitation als Regelvoraussetzung für die Professoren-
laufbahn andere gleichwertige Qualifikationen gegen-
übergestellt haben. Quereinsteigern aus der Wirtschaft,
die über eine hohe Praxiserfahrung verfügen, wurde der
Einstieg in die Hochschullehrerlaufbahn – auch an Uni-
versitäten – ermöglicht.
Gestatten Sie mir an dieser Stelle ein Wort zu den über-
mäßig langen Ausbildungszeiten in Deutschland. Eine er-
folgreiche Habilitation steht doch nun wirklich am Ende
einer langen Kette von Problemen. Die Ausbildungszeiten
können um bis zu fünf Jahre verkürzt werden, wenn wir
den Mut dazu aufbringen: das Einschulungsalter um ein
Jahr zu senken, das Abitur bundeseinheitlich auf zwölf
Schuljahre festzuschreiben, bei stärkerer Vorbereitung auf
die nachfolgende Hochschulausbildung, die Wehrpflicht
abzuschaffen, die Regelstudienzeit durch ein gut organi-
siertes Studium zu senken, den Umfang von Magister-
und Diplomarbeiten auf ein notwendiges Maß zu be-
schränken und in die normale Studienzeit einzubeziehen.
Nehmen wir unseren Auftrag für eine umfassende De-
regulierung und Umstrukturierung des Dienstrechts für
die Hochschulen ernst und fühlen wir uns dem Ziel ver-
pflichtet, ein hohes Niveau der Lehre zu sichern, Spitzen-
forschung zu fördern und Kompetenzzentren an den
Hochschulen zu schaffen, dann brauchen wir Spitzen-
kräfte in Forschung und Lehre. Das bedeutet eine konse-
quente Abwendung von bestehenden Beamtenstrukturen
bis hin zu international wettbewerbsfähigen Gehältern.
Über eines müssen wir uns im Klaren sein: Das geht
nicht mit einer von vornherein verordneten Kostenneutra-
lität. Diese schadet der Stellung deutscher Hochschulen
im internationalen Wettbewerb um die besten Wissen-
schaftler und Hochschullehrer. Das schadet auch Ihnen,
Frau Bulmahn, da Sie ja auch mit einer groß angelegten
Kampagne international agierende deutsche Spitzenfor-
scher zu einem stärkeren Engagement in Deutschland be-
wegen wollen.
Das schadet der weiteren Entwicklung der Fachhoch-
schulen und das schadet den Hochschulen in Ostdeutsch-
land. Sie werden, vor dem Hintergrund des BAT Ost und
einer drohenden Personalabwanderung, so als erste den
internationalen Anschluss verlieren.
Maritta Böttcher (PDS): Die PDS hat bereits vor ei-
nem halben Jahr als erste Bundestagsfraktion einen eige-
nen Antrag zur Personalstruktur- und Dienstrechtsreform
an Hochschulen und Forschungseinrichtungen vorgelegt.
Mittlerweile sind auch die beiden anderen Qppositions-
fraktionen mit eigenen Initiativen nachgezogen. Was je-
doch nach wie vor aussteht, ist ein Gesetzentwurf der
Bundesregierung. Wie lange wollen Sie sich eigentlich
noch Zeit lassen?
Die Bundesregierung ist dabei, einen besonders güns-
tigen Zeitpunkt für eine Personalstrukturreform zu ver-
passen. Die Hochschulen und Forschungseinrichtungen
werden derzeit von einer historisch nahezu einmaligen
Pensionierungswelle erfasst. Wenn Sie jetzt nicht endlich
handeln, werden die verknöcherten Strukturen unseres
Wissenschaftssystems bis in die Dreißigerjahre des
21. Jahrhunderts verstetigt. Mit den vollmundigen Refor-
mankündigungen, die die Ministerin heute Morgen aus
Anlass der Debatte zum Bundesbericht Forschung ge-
macht hat, hätte eine solche Versteinerung der Verhält-
nisse nichts, aber auch gar nichts zu tun.
Bei der Personalstruktur- und Dienstrechtsreform steht
eine Menge auf dem Spiel. Es geht um sehr viel mehr als
um die Frage der Besoldung von Professorinnen und Pro-
fessoren. Der vorliegende Antrag der CDU/CSU ist leider
allzu stark auf dieses Detailproblem verengt und daher
eine untaugliche Antwort auf den über Jahrzehnte ange-
stauten Reformbedarf. Auch die PDS sieht in diesem
Punkt Handlungsbedarf: Wir brauchen eine Reform der
Vergütungsstrukturen von Wissenschaftlerinnen und Wis-
senschaftlern, der mehr an den tatsächlich erbrachten
Leistungen und Belastungen ansetzt und weniger an ein-
mal erworbenen Titeln. Aber wir dürfen nicht bei dieser
Frage stehen bleiben. Wir brauchen über eine Novellie-
rung des Besoldungs- und Dienstrechts hinaus eine um-
fassende Reform der Personalstruktur, und zwar nicht nur
im Interesse der betroffenen Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler, sondern auch im Interesse der Studentin-
nen und Studenten sowie der gesamten Gesellschaft, für
die eine hohe Qualität der von den Hochschulen und For-
schungseinrichtungen erbrachten Leistungen von Bedeu-
tung ist.
Die antiquierte Personalstruktur ist für manche Ineffi-
zienzen, Fehlleistungen und Qualitätsdefizite verantwort-
lich, die sich die Hochschulen vorwerfen lassen müssen.
Denken Sie nur an das altertümliche System der Ausbil-
dung des Hochschullehrernachwuchses. Nach wie vor
müssen sich Anwärterinnen und Anwärter auf eine Uni-
versitätsprofessur dem viel kritisierten Habilitationsver-
fahren unterziehen. Die Habilitation ist nicht nur äußerst
langwierig und zementiert Abhängigkeiten. Sie ist vor al-
lem auch einseitig auf – zudem isoliert zu erbringende –
Forschungsleistungen ausgerichtet. Die anderen Anforde-
rungen an den modernen Hochschullehrerberuf fallen un-
ter den Tisch: insbesondere die Qualifikation in der Lehre.
Dieser Mechanismus setzt sich auch nach der Berufung
auf eine Professur ungebrochen fort: Reputation und Auf-
stieg von Professorinnen und Professoren bestimmen sich
ausschließlich nach besonderen Leistungen in der For-
schung und nach Zahl und Gewicht von Publikationen.
Wie erfolgreich ihre Lehrveranstaltungen sind und wie
gut sie ihre Studierenden betreuen, hat in der Regel kei-
nen Einfluss auf ihre Karrierechancen. Die gegenwärtige
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Personalverfassung lässt die Studierenden mit ihrem Inte-
resse an einer guten Hochschulausbildung im Regen ste-
hen. Wenn wir dies ändern wollen, müssen wir die Lauf-
bahn des Hochschullehrernachwuchses reformieren und
die Habilitation abschaffen. Die Vorschläge der PDS dazu
liegen längst auf dem Tisch.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein weiteres
Problem ansprechen: das der fortschreitenden Deregulie-
rung, Flexibilisierung und Prekarisierung der Arbeitsver-
hältnisse an Hochschulen und Forschungseinrichtungen:
Für fast alle nicht professoralen Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler sind befristete Arbeitsverträge zum Regel-
fall geworden. Zunehmend werden wissenschaftliche Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter auf Basis von Zwangsteil-
zeitverträgen auf halben, Drittel- oder gar Viertelstellen
beschäftigt. Diese Situation gefährdet die Kontinuität und
die Qualität wissenschaftlicher Arbeit, unter der wiederum
nicht nur die Betroffenen, sondern alle, die die Forschungs-
und Lehrleistungen der Hochschulen in Anspruch nehmen,
zu leiden haben.
So richtig es ist, eine angemessene Vergütung von Pro-
fessorinnen und Professoren an Universitäten, Fach- und
Kunsthochschulen und Forschungseinrichtungen zu for-
dern, so wichtig ist es, jene Gruppe nicht zu vergessen, die
die Hauptlast der wissenschaftlichen Arbeit trägt. Zwei
Drittel der Lehr- und drei Viertel der Forschungsaufgaben
werden nach Berechnungen des Wissenschaftlichen
Zentrums für Berufs- und Hochschulforschung der Uni-
versität Gesamthochschule Kassel von Angehörigen des
akademischen Mittelbaus bzw. wissenschaftlichen Nach-
wuchses erbracht. Die von der Bundesregierung angekün-
digte Reform des Hochschuldienstrechts will diese
Gruppe im Abseits stehen lassen. Das Gleiche gilt für die
von CDU/CSU und F.D.P. vorgelegten Anträge. Was wir
brauchen, ist eine tarifliche Regelung und soziale Absi-
cherung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen des
gesamten in Hochschule und Forschung beschäftigten Per-
sonals. Dies gilt auch für Doktorandinnen und Doktoran-
den, für wissenschaftliche und studentische Hilfskräfte.
An den Hochschulen und Forschungseinrichtungen
wahrzunehmende Daueraufgaben müssen von Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeitern in unbefristeten Beschäftigungs-
verhältnissen – auf Funktionsstellen – wahrgenommen
werden. Die PDS fordert die Aufhebung des Hochschul-
fristvertragsgesetzes von 1985, damit wie in anderen Bran-
chen üblich auch im Wissenschaftsbereich Arbeitgeber
und Gewerkschaften die Modalitäten der Befristung von
Arbeitsverhältnissen aushandeln und diese nicht länger
einseitig von Arbeitgeberseite diktiert werden.
Was die Neuordnung der Laufbahn des Hochschulleh-
rernachwuchses angeht, so unterstützt die PDS die Forde-
rung nach einer früheren Selbstständigkeit junger Wis-
senschaftlerinnen und Wissenschaftler. Es kann nicht
sein, dass wissenschaftliche Assistenten und Oberassis-
tentinnen bis weit ins fünfte Lebensjahrzehnt hinein in
Abhängigkeit gehalten werden. Die PDS unterstützt daher
grundsätzlich das Modell Juniorprofessur. Ich begrüße
ausdrücklich, dass die Ministerin unseren anlässlich der
Beratung des Bundeshaushalts 2001 gestellten Antrag, ein
Sonderprogramm zur Erstausstattung der Hochschulen
mit Juniorprofessuren aufzulegen, nunmehr aufgreifen
möchte. In einem zentralen Punkt bestehen wir aber auf
einer Nachbesserung: Ich fordere Sie dringend auf, auf
jedwede Altersgrenzen zu verzichten. Es ist nachgewie-
sen, dass sich Altersgrenzen in der Hochschullaufbahn
strukturell zulasten der Chancen von Frauen auswirken.
Ich darf Sie in diesem Zusammenhang auf eine Resolu-
tion von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf-
merksam machen, die der Frau Bundesministerin sowie
den zuständigen Ministerinnen und Ministern in den Län-
dern, dem Wissenschaftsrat und der Hochschulrektoren-
konferenz übergeben worden ist.
Ohne eine durchgreifende Personalstruktur und Dienst-
rechtsreform ist die Erneuerung unserer Hochschulen und
Forschungseinrichtungen zum Scheitern verurteilt. Die
Vorschläge unserer Fraktion liegen Ihnen längst vor. Ich
hoffe jetzt auf einen zügigen Fortgang der Beratungen.
Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekretär bei
der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Mit der
Reform des Hochschuldienstrechts nimmt die Bundesre-
gierung ihre Verantwortung wahr, die Leistungs- und In-
novationsfähigkeit unseres Wissenschafts- und For-
schungssystems zu stärken und die Kooperations- wie
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Hochschul- und For-
schungslandschaft auch im internationalen Vergleich zu
sichern. Wir wollen und werden flexiblere und stärker
leistungsorientierte Beschäftigungs- und Vergütungs-
strukturen sowohl für den Hochschulbereich als auch für
den außeruniversitären Forschungsbereich schaffen.
Hierdurch sollen Anreize für mehr Leistung und bessere
Qualität geschaffen, Entwicklungspotenziale für Kreati-
vität im gesamten Innovationszyklus eröffnet und der
Know-how-Transfer zwischen Wissenschaft und Wirt-
schaft beflügelt werden. Der Qualifikationsweg für den
wissenschaftlichen Nachwuchs soll kürzer und übersicht-
licher werden. Wir wollen insbesondere mehr weibliche
Spitzenkräfte für die Wissenschaft gewinnen.
Zur Vorbereitung von Reformvorschlägen der Bundes-
regierung hat die Bundesministerin für Bildung und For-
schung im Juni 1999 die Expertenkommission „Reform
des Hochschuldienstrechts“ berufen. Die Kommission hat
in ihren Empfehlungen vom 10. April 2000 grundlegende
Änderungen des Qualifikationsweges zur Professur sowie
eine Neugestaltung der Besoldung von Hochschullehrern
und Mitgliedern von Leitungsorganen der Hochschulen
vorgeschlagen.
Das im September letzten Jahres von Bundesministerin
Bulmahn gemeinsam mit Staatssekretärin Zypries aus dem
BMI vorgestellte Konzept des BMBF für ein neues Hoch-
schuldienstrecht knüpft weitgehend an die Empfehlungen
der Expertenkommission an, setzt aber, besonders bei der
Reform der Professorenbesoldung, eigene Akzente.
Kernpunkte des Konzepts sind: die Einführung einer
Juniorprofessur mit dem Recht zu selbstständiger For-
schung und Lehre, die Abschaffung der Habilitation, die
Eröffnung des Karrierewegs an der eigenen Hochschule
durch Begrenzung des Hausberufungsverbots und Er-
möglichung von Besoldungsverbesserungen ohne Hoch-
schulwechsel, die besoldungssystematische Gleichstel-
lung von Universitäten und Fachhochschulen und die
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Ersetzung der leistungsunabhängigen Altersstufen der
Besoldung durch variable Gehaltsbestandteile.
Entwürfe für die zur Umsetzung der Hochschuldienst-
rechtsreform erforderlichen Änderungen des Hochschul-
rahmengesetzes und des Bundesbesoldungsgesetzes – für
Letzteres ist das Bundesministerium des Innern feder-
führend – werden zurzeit erarbeitet. Die geplanten Ände-
rungen des Hochschulrahmengesetzes werden in einer
Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf Ministerebene vorberei-
tet. Dies nimmt einige Monate Zeit in Anspruch, aber wir
wollen einen möglichst breiten Konsens mit den Ländern
zur Dienstrechtsreform.
Angestrebt ist, dass das Kabinett vor Ostern die Ge-
setzentwürfe beschließt. Im Anschluss daran sollen die
parlamentarischen Beratungen aufgenommen werden.
Die Hochschuldienstrechtsreform soll zum 1. Januar 2002
in Kraft treten. Ich begrüße es sehr, dass nun endlich auch
CDU/CSU und F.D.P., die in Zeiten ihrer Regierungs-
tätigkeit durch Untätigkeit glänzten, Position beziehen.
In den Anträgen der CDU/CSU „Eckpunkte für eine
Reform des Hochschuldienstrechts“ und der F.D.P.
„Dienstrechtsreform an den Hochschulen konsequent für
eine umfassende Hochschulreform nutzen“ sind einige
Aspekte des Konzepts für ein Hochschuldienstrecht des
21. Jahrhunderts aufgegriffen worden, zu denen ich Stel-
lung nehmen möchte.
Zur Juniorprofessur und zur Habilitation: Durch die
Einführung einer befristeten Juniorprofessur in möglichst
zeitnahem Anschluss an die Promotion soll erreicht wer-
den, dass junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-
ler künftig Anfang/Mitte 30 selbstständig und unabhängig
lehren und forschen können. Die Juniorprofessur soll die
Regelvoraussetzung für eine Berufung auf eine Universi-
tätsprofessur sein. Alternative Wege für eine Berufung auf
eine Universitätsprofessur sind die Qualifizierung auf-
grund beruflicher Tätigkeit, die Qualifizierung im Aus-
land und die Qualifizierung durch wissenschaftliche
Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer
Hochschule bzw. außeruniversitären Forschungseinrich-
tung. Diese strukturellen Änderungen werden auch einen
Beitrag dazu leisten, die von der HRG gebotene Förde-
rung von Frauen in den Hochschulen im Sinne des „Gen-
der mainstreaming“ zu sichern und bessere Rahmenbe-
dingungen auch für die Vereinbarkeit von Beruf und
Familie in der Wissenschaft zu schaffen.
Wesentliches Element der künftigen Wege zu einer
Dauerprofessur ist, dass nicht die „abgebenden“, sondern
ausschließlich die „aufnehmenden“ Institutionen darüber
entscheiden, ob Bewerber über die für die Berufung auf
eine Lebenszeitprofessur erforderliche Eignung und Be-
fähigung verfügen. Dies entspricht internationaler Üb-
lichkeit und ist deshalb eine wichtige Voraussetzung für
die Herstellung der internationalen Anschlussfähigkeit
des deutschen Hochschulsystems. Es ist zugleich die
„conditio sine qua non“ dafür, dass unser Hochschulsys-
tem für deutsche und ausländische Nachwuchswissen-
schaftler attraktiver wird.
Die Bundesregierung teilt die jüngst getroffene Fest-
stellung des Wissenschaftsrates, dass das Habilitations-
verfahren nicht zur Realisierung der mit der Dienstrechts-
reform verfolgten Ziele beiträgt. Die Habilitation als Prü-
fungs- und Lizenzierungsverfahren steht vor allem der
gewollten größeren Selbstständigkeit und Eigenverant-
wortlichkeit des wissenschaftlichen Nachwuchses entge-
gen. Wir werden deshalb geeignete Maßnahmen vor-
schlagen, die ein Unterlaufen dieses Reformansatzes
ausschließen. In welchem strukturellen Dilemma wir
stecken, zeigt sich beispielsweise bei den im Emmy-
Noether-Programm der DFG geförderten hoch qualifi-
zierten Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchs-
wissenschaftlern, die in signifikanter Zahl – entgegen den
Intentionen des Programms – doch eine Habilitation an-
streben, um bei Berufungen nicht chancenlos zu sein.
Die Anforderungen an die über die Promotion hinaus-
gehenden wissenschaftlichen Leistungen für die Beru-
fung auf eine Professur werden auch in Zukunft je nach
Fach und Fachkultur unterschiedlich ausgestaltet sein. So
werden in den Naturwissenschaften typischerweise Ver-
öffentlichungen in international führenden Zeitschriften
nachzuweisen sein, während zum Beispiel in den Geis-
teswissenschaften wohl auch künftig ein „2. Buch“ vor-
zulegen sein wird.
Die Bundesregierung wird die Länder bei der Einrich-
tung von Juniorprofessuren unterstützen. Sie beabsichtigt
hierzu, ab 2002 zur Unterstützung der Einführung der Ju-
niorprofessur ein Ausstattungsprogramm für Juniorpro-
fessoren zu starten. Es ist darüber hinaus zu erwägen, die
Vielzahl an Personalkategorien, die bislang mit wei-
sungsgebundenen Aufgaben in Forschung, Lehre, Selbst-
verwaltung und in der Krankenversorgung verknüpft sind
– einschließlich der wissenschaftlichen Assistenten –,
durch einen von den Hochschulen flexibel gestaltbaren
Bereich wissenschaftlicher Mitarbeiter zu ersetzen, der
auch den Erwerb von Qualifikationen für eine weiter-
führende wissenschaftliche Karriere ermöglicht.
Zur Besoldung von Hochschullehrern und Hochschul-
leitern: Zweites zentrales Thema der Hochschuldienst-
rechtsreform ist die Reform der Professorenbesoldung.
Statt der bisherigen Professorenbesoldung, bei der die
Dienstaltersstufen ein wichtiges Bestimmungskriterium
der Besoldungshöhe sind, soll ein neues, flexibles und
stärker leistungsorientiertes Besoldungssystem geschaf-
fen werden. Mit ihm soll im Wettbewerb mit ausländi-
schen Hochschulen und der Industrie in Zukunft auch
Marktgegebenheiten bei der Gewinnung von Nachwuchs-
wissenschaftlern und Professoren besser Rechnung getra-
gen werden können. Gleichzeitig soll der Karriereweg an
der eigenen Hochschule eröffnet werden: Leistungsge-
rechte Gehaltssteigerungen sollen künftig unabhängig
von Berufungsverhandlungen und ohne Weggang an eine
andere Hochschule möglich sein.
Hierzu soll eine neue Besoldungsordnung W – W steht
für Wissenschaft – eingeführt werden. Neben der Junior-
professur – neue Besoldungsgruppe W 1 –, die an den
Universitäten eingeführt werden soll, wird es künftig für
Professoren zwei Besoldungsgruppen, W 2 und W 3, ge-
ben, die sowohl an Fachhochschulen als auch an Univer-
sitäten vorgesehen werden können. Über die Frage, wel-
che Professorenstellen in welchem Umfang an welcher
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Hochschulart eingerichtet werden, wird künftig nicht der
Bund, sondern werden die Länder entscheiden: Die Län-
der erhalten damit die Möglichkeit, die entsprechend den
jeweiligen hochschulspezifischen Gegebenheiten und
Zielsetzungen jeweils von ihnen für richtig gehaltene
Stellenstruktur einzuführen. Das bedeutet, dass die Fach-
hochschulen mit den Universitäten künftig besoldungs-
systematisch grundsätzlich gleichgestellt sind. Damit
werden im Bereich der Besoldung zukunftsfähige Rah-
menbedingungen für die Fortentwicklung des Hochschul-
systems geschaffen.
Dem neuen Besoldungssystem liegt die ordnungspoli-
tische Vorstellung zugrunde, bundesrechtlich Handlungs-
möglichkeiten zu schaffen, Entscheidungen über deren
Nutzung aber den Ländern zu überlassen. Dieses Ord-
nungsprinzip wird auch bei anderen Elementen des neuen
Besoldungssystems verfolgt.
Juniorprofessoren – die neue Besoldungsgruppe W 1 –
erhalten künftig in den ersten drei Jahren 6 000 DM, nach
positiver Zwischenevaluation 6 500 DM. In den Professo-
renämtern W 2 und W 3 setzt sich die konkret-individu-
elle Besoldung aus einem Mindestbetrag und zusätzlichen
variablen Gehaltsbestandteilen zusammen. Neu und si-
cherlich gewöhnungsbedürftig ist, dass es hierbei nur für
die Mindestbezüge einen fixen Betrag geben wird – W 2:
7 000 DM, W 3: 8 500 DM –, während sich die weiteren
Besoldungskomponenten nur als Bandbreite bzw. Durch-
schnittswert ausdrücken lassen.
Die Mindestbeträge orientieren sich dabei an der heu-
tigen Besoldung 31- bis 34-jähriger Professoren in den
Besoldungsgruppen C 3 und C 4, während für die insge-
samt für die Professorenbesoldung zur Verfügung stehen-
den Mittel bundesrechtlich ein Vergaberahmen festgelegt
wird. Dieser Vergaberahmen wird sicherstellen, dass die
Reform der Professorenbesoldung nicht zu einer Besol-
dungskürzung führt. Mit anderen Worten: Die durch-
schnittliche Besoldung der Professoren wird künftig nicht
niedriger sein als heute. Eine Erhöhung der Mindestbe-
träge, wie in den Anträgen gefordert, würde zum einen in
größerem Umfang zu automatischen Gehaltssteigerungen
allein durch die Umstellung des Besoldungssystems und
zum anderen dazu führen, dass sich der Spielraum für
weitere Besoldungskomponenten massiv verringert.
Demgegenüber eröffnen die vorgesehenen Mindestbe-
träge die Option, dass auch schon bei der Erstberufung
höhere Bezüge vereinbart werden können.
Die variablen Gehaltsbestandteile werden individuell
– in der Regel auch schon bei der Erstberufung – im Rah-
men des Personalbudgets der Hochschule verhandelt und
vereinbart werden. Sie können vergeben werden aus An-
lass von Berufungs- oder Bleibeverhandlungen, für die
Übernahme von Funktionen und besonderen Aufgaben
sowie für besondere individuelle Leistungen in den Be-
reichen Forschung, Lehre, Weiterbildung und Förderung
des wissenschaftlichen Nachwuchses.
Die Details der Besoldungsreform werden derzeit in-
nerhalb der Bundesregierung abgestimmt. Wir sind im
Zeitplan, sodass das Reformvorhaben wie geplant Anfang
2002 in Kraft treten wird.
Ergänzend und parallel zur Besoldungsreform wird es
im Frühjahr erste Gespräche der Tarifvertragsparteien
über die Frage einer wissenschaftsadäquateren Ausgestal-
tung des Tarifwerkes des öffentlichen Dienstes geben, die
die Bundesregierung im Rahmen der gebotenen Tarifau-
tonomie begleiten wird.
Sie sehen: Die Bundesregierung hält Wort. Wir sind
– auch in Gesprächen mit den Ländern – über Ankündi-
gungen weit hinaus, wir handeln!
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrages: Ratifizierung des
Haager Adoptionsabkommens (Tagesordnungs-
punkt 12)
Margot von Renesse (SPD): Es bedarf keiner langen
Rede zu diesem Antrag der CDU/CSU. Eigentlich kann
man zu der Forderung nach einem Gesetzentwurf zur Um-
setzung eines völkerrechtlichen Abkommens nur das Ad-
ventslied singen, das uns aus dem Jahr 2000 noch in Er-
innerung ist und in dem es heißt: „Es ist schon auf dem
Weg.“ Das ist eigentlich seltsam für die frühere Regie-
rungspartei, die das fragliche Abkommen unterzeichnet
und fünf Jahre unratifiziert gelassen hat, der neuen Re-
gierung schon nach zwei Jahren eine Mahnung ins Haus
zu schicken. Sei es drum: Die Türen waren so selten of-
fen, die unsere Opposition mit Schwung eintreten will.
Wie sagt der Zivilrichter in solchen Fällen? „Die Angele-
genheit ist in der Hauptsache erledigt.“
Renate Diemers (CDU/CSU): Deutschland ist für
Gründlichkeit und Reglungsbedarf bekannt. Alles muss
seine Ordnung haben. Also müssen Paare, die ein Kind
adoptieren wollen, enorme behördliche Auflagen in unse-
rem Land erfüllen, die so hoch sind, dass sie auf die Be-
troffenen manchmal widersinnig wirken. Aber im Inte-
resse des Kindes sollten und müssen wir weiterhin an der
Prüfung der Eignung festhalten.
Viele Paare empfinden eine besondere Verantwortung
angesichts der unterschiedlichen globalen Lebensver-
hältnisse und wollen ein ausländisches verwaistes Kind
adoptieren. Die sozialen Umstände in vielen Ländern
sind insbesondere für Kleinkinder schlichtweg un-
menschlich. Es handelt sich dabei um Kinder in Län-
dern, die vom Bürgerkrieg zerrüttet sind oder die unter
Hungersnot leiden.
Viele der Kinder leben in Staaten, die einfach kein Geld
haben, um ein staatliches Fürsorgesystem einzurichten,
oder wo mafiöse Strukturen das Geld abzweigen. Und wir
müssen auch feststellen, dass es Staaten gibt, die für allein
lebende Kinder – ich denke in diesem Zusammenhang
auch an die so genannten Straßenkinder – kein Geld aus-
geben wollen.
Und direkt vor unserer Haustür, den so genannten
westlichen Ländern, mussten wir in der Vergangenheit
und insbesondere in den letzten Tagen mit Wut im Bauch
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erleben, dass um Kinder im Internet gefeilscht wird:
meistbietend – mit Umtauschgarantie und Rückrufaktion.
Ihnen ist bekannt, dass die Haager Konferenz eine in-
ternationale Organisation für Privatrecht ist, in der inzwi-
schen über 60 Staaten mitarbeiten. Die Haager Konferenz
erkannte rasch, dass ein internationales Abkommen not-
wendig ist, um Kinderhandel, Kindesentführungen und
Kinderauktionen zu bekämpfen. Auch stand fest, dass es
nur dann Erfolg versprechende Lösungen geben kann,
wenn die Herkunftsländer der Adoptivkinder – also auch
Problemländer – mitarbeiten können. So war es selbst-
verständlich, auch Nichtmitgliedsländer als Ad-hoc-Mit-
glieder an der Ausarbeitung des Adoptionsabkommens zu
beteiligen. Damit wird deutlich, dass diesem Abkommen
eine enorme internationale Bedeutung zukommt.
Bereits die UN-Kinderrechtskonvention hat zur Adop-
tion einige Grundsätze genannt. Dort ist festgelegt, dass
eine Adoption ein staatlicher Akt ist und privater Befug-
nis entzogen ist. Kommerzielle Kindervermittlung soll
auf jeden Fall verhindert werden. Grundsätzlich soll eine
internationale Adoption erst dann möglich sein, wenn das
Kind in seinem Heimatland nicht geeignet betreut werden
kann und dort keine Adoption möglich ist.
Die Unterzeichner haben sich verpflichtet, die inner-
staatlichen Voraussetzungen für die Umsetzung dieser
UN-Konvention zu schaffen. Außerdem ist ein multilate-
rales Abkommen notwendig und dieses liegt in Form des
Haager Abkommens vor.
Die Ziele dieses Abkommens waren auf der Grundlage
der UN-Forderungen schnell herausgearbeitet:
Erstens: Es sollten Schutzmaßnahmen entwickelt wer-
den, die sicherstellen, dass grenzüberschreitende Adop-
tionen zum Wohle des Kindes unter der Wahrung der
Grundrechte stattfinden.
Zweitens war sicherzustellen, dass die Vertragsstaaten
durch eine Zusammenarbeit diese Schutzmaßnahmen ein-
halten und somit sicherstellen, dass Kindesentführung
etc. vermieden werden.
Und drittens werden somit die durchgeführten Adop-
tionen rechtlich anerkannt.
Ein besonderer Verhandlungspunkt der Haager Konfe-
renz war es auch, die staatliche Aufsicht über die Adop-
tionen zu gewährleisten. Auf Druck der USAwurden auch
private Vermittler zugelassen, wenn diese staatlich ge-
prüft sind. Aber die neuen Entwicklungen und die aktuel-
len Skandale aus den USA zeigen auch hier noch
Schlupflöcher und den rechtsfreien und anonymen Raum
des Internets auf.
Die bisherige ungeklärte Rechtslage hat in Deutsch-
land in der Zwischenzeit zu einer paradoxen Situation ge-
führt. Wir haben auf der einen Seite quasi staatlich ge-
prüfte Eltern, worauf ich eingangs hinwies, die sich seit
fast sieben Jahren um eine Auslandsadoption bemühen,
und wir haben im Ausland hilfsbedürftige Kinder.
Aber es können kaum noch Adoptionen nach Deutsch-
land vermittelt werden. Die ausländischen Staaten, die das
Haager Adoptionsabkommen bereits ratifiziert haben,
sind dazu übergegangen bzw. sind durch die Ratifizierung
verpflichtet, Kinder nur noch in die Staaten zu vermitteln,
die bereits Vertragspartner sind. Und auch für ein reiches
und durchaus immer noch preußisches Deutschland wird
keine Ausnahme gemacht.
Es ist möglich, dass die Adoption erst nach dem Wech-
sel des Aufenthaltsortes des Kindes stattfindet. In einigen
deutschen Familien leben also bereits ausländische
– nicht adoptierte – Kinder. Aber rechtlich und emotional
gesehen ist dies für alle Beteiligten ein äußerst ungewis-
ser und unzumutbarer Zustand.
Auch besteht die Gefahr, dass illegale Adoptionen in
Kauf genommen werden. Die adoptivwilligen Eltern sind
inzwischen so zermürbt, dass sie sich bereits an den Peti-
tionsausschuss unseres Hauses gewandt haben. Und etli-
che Eltern haben sich direkt an Abgeordnete und somit
auch an mich gewandt.
Ich zitiere aus einem der Elternbriefe; da heißt es:
„Kinder, die in Heimen seelisch, geistig und körperlich
zerstört werden, weil sie keine Eltern finden“. Diese emo-
tionalen Schilderungen haben mich persönlich veranlasst,
diesen Sachverhalt noch einmal verstärkt in den Blick zu
rücken.
Das Haager Abkommen existiert bereits seit 1993 und
wurde von der damaligen Bundesregierung mit erarbeitet.
Es gilt seit 1995 und wurde später auch von Deutschland
unterzeichnet. Ich bedaure, dass während unserer Regie-
rungsverantwortung die anschließend notwendige Ratifi-
zierung nicht mehr auf den Weg gebracht werden konnte;
aber auch die neue Bundesregierung hat inzwischen
eingestanden, dass es sich in der Tat um ein überaus kom-
plexes Thema handelt, das viel Vorbereitungszeit und
langwierige Abstimmungen mit den Bundesländern erfor-
dert. Erfreulicherweise hat das Bundeskabinett am
20. Dezember des vergangenen Jahres entsprechende Ge-
setzentwürfe an den Bundesrat gebilligt.
Unser Hauptaugenmerk gilt den Kindern und dies gibt
mir die Hoffnung, dass für den Antrag meiner Fraktion zur
Ratifizierung des Haager Adoptionsabkommens eine
breite Zustimmung in diesem Hause möglich ist.
Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): „Ein Kind um jeden Preis“ wünschen sich
zahlreiche Paare auch in Deutschland. Rund 7 000 bis
8 000 Kinder werden jährlich adoptiert. Über ein Viertel,
also fast 2 000 der Kinder, kommen aus dem Ausland. Die
Dunkelziffer weiterer Adoptionen ist hoch. Denn nur ein
kleiner Teil der Kinder wird laut Angaben der Kinder-
rechtsorganisation „terre des hommes“ über seriöse, staat-
lich anerkannte Vermittlungsstellen adoptiert.
In Deutschland gibt es einen Kinderhandelsmarkt, wo-
bei die Nachfrage deutlich höher liegt als das Angebot –
Tendenz steigend. Waren es Anfang der 80er-Jahre noch
zehn Bewerber, die sich um ein Kind bemühten, so stieg
die Zahl in den 90er-Jahren auf 20 bis 30 an. Der Schritt
vom Kindeswohl zum Kindesmarkt scheint dabei schnell
getan zu sein. Auch vor dem Shopping per Internet wird
nicht zurückgeschreckt. So genannte Online-Adoptionen
sind keine Seltenheit. Ein Drama über eine derartige
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 200114392
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Adoption wurde kürzlich durch die Presse bekannt. Eine
US-amerikanische Vermittlungsagentur ließ eine Mutter
von Zwillingen ihre Kinder zweimal verkaufen. Das Ziel
war höherer Profit. Die Säuglinge wurden durch die USA
geschickt und landeten schließlich in England. Auch
Großbritannien will nun die Gesetze über Adoptionen
verschärfen.
Liebe Kollegen und Kolleginnen der CDU/CSU, ich
bin froh, dass auch Sie jetzt endlich einen Sinneswandel
vollzogen haben. Das zeigt der vorliegende Antrag. Noch
zu Ihrer Regierungszeit mussten wir über Jahre auf eine
Ratifizierung des Haager Adoptionsabkommens warten.
In den Jahren 1994 und 1995 hat uns Ihre F.D.P.-Justiz-
ministerin Frau Leutheusser-Schnarrenberger die rasche
Umsetzung der Konvention versprochen. Dem damaligen
Finanzministerium gingen aber wohl die Kosten zu weit.
Spätestens im Jahr 1997 sollte es soweit sein. Das Warten
war jedoch vergeblich. Ich frage Sie: Warum ist es ei-
gentlich nicht dazu gekommen? Die rot-grüne Bundesre-
gierung hat bereits im vergangenen Jahr die notwendigen
Ratifizierungs- und Ausführungsgesetze verabschiedet,
womit Ihr Antrag völlig überflüssig wird. Wir können da-
von ausgehen, dass Anfang 2002 die Haager Konvention
in Deutschland in Kraft treten wird.
Bereits die Kinderrechtskonvention der Vereinten Na-
tionen aus dem Jahr 1989 gesteht jedem Kind umfassende
Rechte zu. Erstmalig wurden hier Kinderrechte als Men-
schenrechte formuliert. Danach sollte ein Kind nach Mög-
lichkeit in der Fürsorge seiner Eltern aufwachsen. Die Er-
klärung der Vereinten Nationen war Ausgangspunkt für
das Haager Abkommen. Erfreulich dabei ist, dass sich im-
mer mehr Herkunftsländer, wie Polen, Rumänien und
mehrere lateinamerikanische Staaten, dem Abkommen an-
geschlossen haben. Schließlich stimmten 66 Staaten der
Übereinkunft zu. In 41 Staaten ist sie inzwischen in Kraft.
Die Regelungen der Konvention sehen erhebliche Ver-
besserungen vor. Es ist ein wichtiger Schritt zum Schutz
von Kindern bei internationalen Adoptionen. Eine Adop-
tion wird danach eindeutig als Sache von Kinderrechten
angesehen. Ein wichtiges Ziel des Abkommens ist der
verbesserte Rechtsstatus ausländischer Adoptivkinder.
Durch die Konvention entsteht ein ausgefeiltes System
der internationalen Zusammenarbeit, mit dem sicherge-
stellt werden soll, dass keine Kinder mehr entführt, ver-
kauft und gehandelt werden, um schließlich als Adoptiv-
kinder getarnt auf dem Weltmarkt verhökert zu werden.
Außerdem werden die Verfahrenswege einer Adoption
vereinfacht und damit transparenter, vor allem auch für
die zukünftigen Adoptiveltern. Das Verfahren sieht vor,
dass das Herkunftsland in jedem einzelnen Fall die best-
mögliche Lösung für das Kind suchen muss. Für uns
Bündnisgrüne ist immer die Fürsorge für das Kind im In-
land vorzuziehen, bevor es schließlich zu einer Auslands-
adoption kommt. Heimat- und Aufnahmestaat entschei-
den schließlich gemeinsam darüber, ob die Annahme
eines bestimmten Kindes durch bestimmte Adoptionsbe-
werber dem Wohl des Kindes dient. Diese Ziele sollen un-
ter anderem dadurch erreicht werden, dass in jedem Staat
eine zentrale Behörde geschaffen wird, die für alle inter-
staatlichen Adoptionen zuständig ist. Das bedeutet nicht
etwa das Ende von Privatadoptionen. Staatlich zugelas-
sene private Organisationen sollen ihre Aufgaben weiter-
führen, immer in Abstimmung mit der zentralen Behörde.
In Deutschland wird diese Behörde beim Generalbundes-
anwalt angesiedelt sein.
Mit der Haager Konvention wird die Untrennbarkeit
von Adoptionspraxis und Achtung der Kinderrechte fest-
geschrieben. Mit der Umsetzung dieses Abkommens
sorgt die rot-grüne Koalition für eine gerechte Adoptions-
politik. Die Kinderrechte stehen dabei im Vordergrund,
damit bei jeder Adoption die Würde des Kindes garantiert
werden kann.
Rainer Funke (F.D.P.): Der Antrag der CDU zur Ra-
tifizierung des Haager Adoptionsabkommens ist nicht nur
richtig, er rennt offene Türen ein. Es ist zwar richtig, dass
die Bundesregierung mit der Ankündigung von Gesetzen
häufig schneller ist als mit deren Umsetzung, und es dann
gut ist, dass durch Anträge der Bundesregierung Beine ge-
macht werden. In diesem konkreten Fall muss man jedoch
einräumen, dass die Bundesregierung durchaus rechtzei-
tig den Gesetzentwurf vorgelegt hat. Das gilt auch dann,
wenn man bedenkt, dass das Haager Abkommen vom
29. Mai 1993 stammt, denn schließlich mussten für die
Umsetzung dieses Haager Abkommens schwierige inner-
staatliche Regelungen gefunden werden. Nach unserem
föderalen System mussten die zentralen Behörden von Ju-
gendämtern und zugelassenen Adoptionsvermittlungs-
stellen befragt und deren Zuständigkeiten geregelt wer-
den. Dies ist nicht nur eine Frage der behördlichen
Strukturen, sondern auch die Frage, inwieweit potenzielle
Adoptiveltern sich auf den Rat dieser Stellen verlassen
können.
Die F.D.P.-Fraktion begrüßt daher, dass die Bundesre-
gierung beim Bundesrat den Entwurf eines Gesetzes zu
dem Haager Übereinkommen vom 29. Mai 1993 über den
Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Ge-
biet der internationalen Adoption eingebracht hat. Hiermit
wird sich der Bundestag sicherlich bald zu beschäftigen ha-
ben. Nach der Übereinkunft nehmen Heimatstaat und Auf-
nahmestaat bei der Vermittlung einer grenzüberschreiten-
den Adoption unterschiedliche Aufga-benschwerpunkte
wahr. Die Behörden im Heimatstaat klären, ob eine inter-
nationale Adoption dem Kind in seiner persönlichen Situa-
tion eine geeignete Lebensperspektive bieten könnte, und
holen erforderliche Zustimmungen, namentlich der leibli-
chen Eltern, ein. Die zuständigen Stellen im Aufnahmestaat
prüfen die Eignung der Adoptionsbewerber und stellen si-
cher, dass das Kind in den Aufnahmestaat einreisen und
sich dort aufhalten kann. Heimat- und Aufnahmestaat ent-
scheiden gemeinsam, ob die Annahme eines bestimmten
Kindes durch bestimmte Adoptionsbewerber dem Wohl des
Kindes dient. Eine gemäß den Bestimmungen des Über-
einkommens vollzogene Adoption wird in allen Vertrags-
staaten anerkannt.
Dieses Haager Übereinkommen ist nach langen Ver-
handlungen und einem angemessenen Interessensaus-
gleich zwischen Heimat- und Aufnahmestaaten zustande
gekommen. Die damalige Bundesregierung war eine der
treibenden Kräfte für dieses Haager Übereinkommen. Die
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F.D.P.-Fraktion wird daher dieser Vereinbarung und deren
Umsetzung in nationales Recht zustimmen.
Christina Schenk (PDS): Jedes Jahr werden mehr als
1 000 ausländische Kinder von deutschen Paaren adop-
tiert; Tendenz steigend. Von diesen Kindern kommen nur
wenige über anerkannte Vermittlungsstellen zu den Adop-
tivfamilien. Wie viele Kinder insgesamt an Vermittlungs-
stellen und den bestehenden Gesetzen vorbei nach
Deutschland gebracht werden, ist nicht bekannt. Terre des
hommes hat 1996 mit der Studie „Kein Kind um jeden
Preis“ nachweisen können, dass es auch in der BRD einen
fest etablierten Adoptionskinderhandelsmarkt gibt. Deut-
sche Paare besorgen sich ihre Kinder privat oder über
unseriöse Agenturen in Staaten der Dritten Welt oder
Osteuropas. Für eine entsprechende Summe bekommen
Bewerber das Kind ihrer Wahl: hellhäutig, gesund, mög-
lichst jung. Die Beschaffungspraktiken reichen von Be-
trug und Urkundenfälschung bis zur Kindesentführung.
Oft wird die soziale Notlage lediger Mütter skrupellos
ausgenutzt. Die Kinder sind Ware auf einem Markt, der
durch Angebot und Nachfrage geregelt wird.
Um diesen illegalen und halblegalen Kinderhandel ein-
zudämmen, bedarf es der schnellstmöglichen Ratifizie-
rung der Haager Konvention. Denn die bisherige Nichtra-
tifizierung der Konvention hat genau den Effekt, dass die
Möglichkeiten legaler Auslandsadoptionen eingeschränkt
wurden und adoptionswillige Paare sich auf halblegale
oder illegale Wege einlassen.
Die Bundesregierung hat das „Übereinkommen über
die Zusammenarbeit und den Schutz von Kindern auf dem
Gebiet der grenzüberschreitenden Adoption“ 1997 – vier
Jahre nach seinem Zustandekommen – gezeichnet. Ein
Gesetzentwurf der Bundesregierung zu seiner Umsetzung
wurde vor kurzem dem Bundesrat zugeleitet. Die PDS
wird auf eine zügige Behandlung im Bundestag drängen.
Die Haager Konvention schreibt fest, dass bei einer
Adoption das Wohl des Kindes an erster Stelle steht. Eine
Auslandsadoption kann nur dann stattfinden, wenn die
Grundrechte des betreffenden Kindes gewahrt sind. Sie
soll nur dann möglich sein, wenn im Herkunftsland keine
andere Möglichkeit besteht: Erst wenn weder die eigene
Familie noch andere Familien im Land ein Kind anneh-
men, kann über eine Adoption im Ausland nachgedacht
werden. Alle Beteiligten sind verpflichtet, diese Alterna-
tiven konkret zu prüfen. Vermittelt werden dürfen Adop-
tionen nur von anerkannten Stellen. Auf keinen Fall darf
eine der beteiligten Seiten einen finanziellen Vorteil durch
die Vermittlung erlangen. So soll gesichert werden, dass
keine Kinder entführt, verkauft und gehandelt werden, um
dann als Adoptivkinder „verpackt“ auf dem Weltmarkt
verhökert zu werden.
Ob dies alles gelingt, hängt maßgeblich davon ab, wie
die Konvention umgesetzt wird. Dabei geht es nicht nur
um gesetzliche Regelungen. Es geht auch um eine auf-
klärende und bewusstseinsbildende Arbeit, die klarstellt,
dass auch bei Auslandsadoptionen die Rechte der Kinder
uneingeschränkt an erster Stelle zu stehen haben. Zu-
gleich geht es auch darum, den adoptierten Kindern und
ihren Eltern die notwendige Infrastruktur zu ihrer Unter-
stützung bereit zu stellen.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrages: Soforthilfe für kon-
kursbedrohte Wohnungsgenossenschaften aus
TLG-Beständen organisieren (Tagesordnungs-
punkt 13)
Dr. Peter Danckert (SPD): Die PDS beantragt So-
forthilfe für konkursbedrohte Wohnungsgenossenschaf-
ten aus TLG-Beständen und tut dies auf die ihr typische
Art und Weise, nämlich pauschal und undifferenziert. Um
aber zu einer sachgerechten Lösung für die betroffenen
TLG-Genossenschaften kommen zu können – und dieser
Bundesregierung kommt es auf sachgerechte wohnungs-
politische Lösungen an, wie das zweite Altschuldenhil-
feänderungsgesetz, die Wohngeldreform und auch die
Novellierung des Eigenheimzulagegesetzes beweisen –,
ist eine objektive Betrachtungsweise notwendig.
Dies beginnt mit einer seriösen Bestandsaufnahme,
Frau Ostrowski; sonst könnten schnell falsche Eindrücke
erweckt werden. Ihr wohnungspolitischer Einsatz in allen
Ehren, aber wenn Sie zum Beispiel in der „Leipziger
Volkszeitung“ vom 10. Januar 2001 auf Seite 17 wie folgt
zitiert werden: „Die in Not geratene WG Lößnig und die
anderen TLG-Genossenschaften tragen keine Schuld an
der entstandenen Lage“, dann gehen Sie mit diesen Pau-
schalisierungen wirklich zu weit.
Lassen Sie mich Folgendes zur Sache ausführen.
Worum ging es in den Jahren 1993, 1994 und 1995? Die
Bewohner in den Regionen der ehemaligen Kohle-, Mon-
tan- und Chemieindustrie der neuen Bundesländer sollten
gesicherte Wohnperspektiven erhalten. Die Treuhandlie-
genschaftsgesellschaft mbH wird beauftragt, bundesei-
gene Wohnungen und Werkswohnungen vor allem an den
ehemaligen Industrie- und Armeestandorten in Ost-
deutschland zu verwerten. Da sich eine direkte Mieterpri-
vatisierung nicht erreichen ließ, sollten nach dem Konzept
der TLG die Mieterinnen und Mieter dieser Wohnungen
für die Bildung von Wohnungsgenossenschaften gewon-
nen werden. Im Vertrauen auf eine gesicherte Wohnper-
spektive haben sich überwiegend ältere Bewohner unter
Verwendung ihrer Ersparnisse mit Geschäftsanteilen zwi-
schen circa 6 000 DM und 12 000 DM beteiligt. In den
Jahren 1993 bis 1996 sind so zehn Wohnungsgenossen-
schaften gegründet worden, die insgesamt 12 848 Woh-
nungen erworben haben und in denen mehr als 30 000
Menschen wohnen. Dies geschah freiwillig. Die Miete-
rinnen und Mieter haben sich zusammengetan. Es gab
Standortuntersuchungen. Die Verkehrswerte wurden er-
mittelt und dann Genossenschaften – mit Vorständen und
Aufsichtsräten – gegründet. Alle Beteiligten sind mit
großem Optimismus an diese Form der Mieterprivatisie-
rung herangegangen.
Doch welche Faktoren müssen bei einer Genossen-
schaftsgründung beachtet werden? Der Wohnungsbestand
selbst, also seine Lage und bauliche Beschaffenheit muss
geeignet sein. Ein tragfähiges Wirtschaftskonzept muss
die wirtschaftliche Lebensfähigkeit der Wohnungsgenos-
senschaft sichern. Die Sozial- und Altersstruktur der Mie-
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ter sollte ausgewogen sein. Das gesellschaftliche und po-
litische Umfeld sollte die Genossenschaftsgründung un-
terstützen. Eine lebendige Mieterinitiative, die das Ge-
nossenschaftsprojekt auch nach der Gründungsphase
unterstützt, ist erforderlich und ein geschlossenes Kom-
munikationskonzept, damit wichtige Informationen die
Mieter schnell erreichen.
Heute stellen wir fest, dass die Erwartungen – ich
könnte auch sagen, die Hoffnungen – der TLG-Woh-
nungsgenossenschaften und ihren Mieter aus ganz unter-
schiedlichen Gründen enttäuscht worden sind. Was sind
die Ursachen für diese Situation? Aus heutiger Sicht er-
scheinen die damals einvernehmlich ermittelten Kaufpreise
mit durchschnittlich 400 DM pro Quadratmeter zu hoch.
Die Sanierungskosten von durchschnittlich 1000 DM pro
Quadratmeter haben erhebliche Zins- und Tilgungslasten
verursacht. Struktureller Leerstand verschlechtert die Si-
tuation erheblich und letztlich – und das sollte man nicht
vergessen – gab und gibt es bei einigen Genossenschaften
ein erhebliches Missmanagement. Diese sich schnell ab-
zeichnenden Defizite waren der Grund, weshalb bereits
im September 1998 die TLG-Genossenschaften einen
Arbeitskreis gründeten.
Nach einer einberufenen Gesprächsrunde im Bundes-
kanzleramt hat die TLG den zehn Genossenschaften ange-
boten, durch die Firma Bonkconsult eine einzelfallbezo-
gene und kostenlose betriebswirtschaftliche Beratung
durchführen zu lassen. Dieses Angebot haben – ich weiß
nicht warum – nur fünf TLG-Genossenschaften angenom-
men, denen allen gutes Management bescheinigt wurde.
Der Antrag der PDS mit den angedeuteten Soforthilfen
schießt weit über das Ziel hinaus. Bevor die von der
Lehmann-Grube-Kommission skizzierten Instrumenta-
rien wie Abrissförderung umgesetzt werden und mögli-
cherweise auch auf TLG-Genossenschaften Anwendung
finden, müssen Gespräche stattfinden. Diese Gespräche
müssen nicht zwingend unter der Leitung des Beauftrag-
ten der Bundesregierung für die Angelegenheiten der
neuen Länder, Staatsminister Rolf Schwanitz, stattfinden,
wie es die PDS in ihrem Antrag fordert. An diesen Ge-
sprächen müssen die Kommunen, die Genossen und vor
allem die Bundesländer teilnehmen. So ist das Land
Brandenburg an dem Erfolg der Brandenburger Woh-
nungsgenossenschaft „Stahl“ e. G., einer der zehn TLG-
Genossenschaften, maßgeblich beteiligt. Die Genossen-
schaftsgründung ist in Brandenburg an der Havel auf
große Resonanz seitens der Mieter gestoßen: 75 Prozent
der Mieter haben sich mit Anteilen von durchschnittlich
9 000 DM pro Wohnungseinheit finanziell beteiligt.
Auch die Leerstandsproblematik spielt bei der Woh-
nungsgenossenschaft „Stahl“ e. G. nur eine untergeordnete
Rolle: Von den bereits sanierten 1 400 Wohneinheiten
stehen lediglich 3 bis 5 Prozent, von den restlichen cir-
ca 200 unsanierten Wohneinheiten stehen allerdings schon
50 Prozent leer. Das zeigt, wo ein wichtiges Teilproblem
liegt.
Hinzu kam die richtige Entscheidung des Vorstandes,
schnell zu investieren und mit umfassenden Modernisie-
rungsmaßnahmen gefragten Wohnraum zu schaffen. Da-
bei sind zusätzlich Sanierungskosten von circa 1 600 DM
pro Quadratmeter Wohnfläche angefallen; die Wohnungs-
genossenschaft „Stahl“ liegt damit sogar im oberen Fi-
nanzierungsbereich. Hier hat sich dank dem Engagements
des Landes Brandenburg die Schuldenspirale nicht weiter
gedreht. Der Brandenburger TLG-Genossenschaft wurde
vom Land Brandenburg über die Landesbank ein günsti-
ges Darlehen gewährt. In erster Linie ist es deshalb Auf-
gabe der Länder, ihre Finanzierungsmöglichkeiten zu
überprüfen und mit den betroffenen TLG-Genossenschaf-
ten in Nachverhandlungen zu gehen.
Dem „Leipziger Volksblatt“ vom 16. Januar 2001 habe
ich entnommen, dass sich diese Lösung auch bei dem In-
solvenzfall Lößnig e. G. in Leipzig abzeichnet. Hauptur-
sache für die Liquiditätsprobleme der Lößnig e. G. war die
hohe Leerstandsquote von über 33 Prozent. Die Sächsi-
sche Aufbaubank, die der Genossenschaft schon im ver-
gangenen Jahr mit einer Bürgschaft geholfen hat, hatte
letztlich aber aufgrund von Fehlern im Management einen
Stundungsantrag verweigert. Inzwischen hat der Ge-
schäftsführer der Lößnig e. G. gewechselt und der Vor-
stand der Sächsischen Aufbaubank zeigt wieder Interesse
an einer konstruktiven Lösung. Der Insolvenzfall Lößnig
e. G. zeigt deutlich, dass pauschale Lösungen im kon-
kreten Einzelfall nicht helfen, sondern Gespräche zwi-
schen den Beteiligten geführt werden müssen.
Hinsichtlich der TLG-Genossenschaften stehen dem
Bund zudem nicht die Finanzierungskompetenzen über
das Altschuldenhilfegesetz zu. Bei den TLG-Genossen-
schaften handelt es sich nicht um so genannte Bestands-
unternehmen, sondern um neu gegründete Unternehmen,
die Kaufpreise auf Grundlage abgestimmter Bewertungen
akzeptiert haben. Eine Analogie zu den Bestandsunter-
nehmen im Sinne des Altschuldenhilfegesetzes verbietet
sich also; Entlastungen nach dem Altschuldenhilfegesetz
scheiden aus. Vielmehr bietet der Bericht der Lehmann-
Grube-Kommission „Wohnungswirtschaftlicher Struk-
turwandel in den neuen Bundesländern“ auch für die
TLG-Genossenschaften übertragbare Lösungsansätze an,
über die wir hier im Bundestag sachgerecht diskutieren
sollten.
Zum einen empfiehlt die Kommission den TLG-Ge-
nossenschaften einzelfallbezogene Vertragsnachverhand-
lungen mit der TLG, um so eine Verbesserung der wirt-
schaftlichen Situation zu erreichen, Nach meinen
Kenntnissen ist die TLG bereit, wie bisher über offene
Forderungen Stundungsvereinbarungen zu treffen oder
über Zinszahlungen Nachverhandlungen zu führen.
Der zweite Vorschlag der Kommission lautet, die Maß-
nahmen zur Abrissförderung auch für TLG-Genossen-
schaften zu öffnen. Nach dem Bericht soll die Ab-
rissförderung von maximal 140 DM pro Quadratmeter an
bestimmte Kriterien gekoppelt sein.
So muss die Leerstandsquote mindestens 6 Prozent be-
tragen, muss dem Abriss ein städtebauliches Konzept zu-
grunde liegen und der Abriss darf nicht rentabel sein und
dem Eigeninteresse des Eigentümers entsprechen.
Neben den emotionalen Bedenken – jahrelanger knap-
per Wohnraum wird jetzt abgerissen – kommt ein weite-
rer, TLG-genossenschaftsspezifischer Einwand hinzu:
Die Kommission schränkt ihre Abrissförderung bei den
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Standorten ein, die abseits und ohne räumlichen Bezug
zur Stadt liegen. Gerade die TLG-Genossenschaften be-
finden sich vorzugsweise an solchen ehemaligen Indus-
trie- und Armeestandorten.
Die Kommissionsvorschläge können nicht von heute
auf morgen umgesetzt werden, auch nicht von dieser woh-
nungspolitisch engagierten Bundesregierung. Dagegen
kann der Ministerpräsident Biedenkopf hier beweisen,
dass er die Sorgen der TLG-Genossenschaften, in seinem
Bundesland Sachsen ernst nimmt. Frau Ostrowski wird si-
cher gerne an einem solchen runden Tisch Platz nehmen,
wenn er denn gedeckt wird.
Norbert Otto (Erfurt)(CDU/CSU): Zum wiederholten
Mal beschäftigen wir uns heute mit der Wohnungssitua-
tion in den neuen Bundesländern. Ich denke, das ist auch
ein Zeichen der Fürsorgepflicht, die wir als Abgeordnete
gegenüber den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern
wahrnehmen.
In dem heute zu behandelnden Antrag geht es um eine
sehr komplizierte Problematik, nämlich um die Existenz
von Wohnungsgenossenschaften, die sich neu gegründet
und ihren Wohnungsbestand von der Treuhandliegen-
schaftsgesellschaft erworben haben. Man kann heute
zwar darüber polemisieren, ob die damaligen Gründer der
Genossenschaften verantwortlich gehandelt haben, ob sie
sich über den Tisch ziehen ließen, ob die vereinbarten Ver-
kaufspreise realistisch waren oder ob die Wirtschaftlich-
keitsberechnungen korrekt verlaufen sind. Tatsache ist,
dass sich diese TLG-Genossenschaften in einer extrem
schwierigen Situation befinden und dass man ihnen hel-
fen muss.
Im Abschlussbericht der Kommission zum wohnungs-
wirtschaftlichen Strukturwandel in den neuen Bundeslän-
dern wird auf Seite 29 auch auf diese Problematik hinge-
wiesen. Die Kommission stellt dabei fest, dass sich die
TLG-Genossenschaften aufgrund des hohen Kapitaldiens-
tes und des relativ hohen Kaufpreises in einer schwierigen
Lage befinden, schwieriger jedenfalls als die anderer Ge-
nossenschaften oder Gesellschaften an gleichen Stand-or-
ten. Der Lösungsansatz der PDS, wie er im Antrag for-
muliert ist, erscheint mir allerdings nicht geeignet. Runde
Tische, wie beantragt, haben meist den Charakter endlo-
ser Diskussionsrunden. Es muss aber den Wohnungsge-
nossenschaften schnelle und konkrete Hilfe erwachsen.
Es ist zwar bedauerlich, dass unsere weiter gehenden
Vorschläge für die Verordnung zum Altschuldenhilfe-Ge-
setz keine Berücksichtigung mehr fanden – übrigens auch
ergänzende Vorschläge einiger SPD-Kollegen wurden
nicht mehr aufgenommen –, die eingesetzte Bund-Län-
der-Kommission ist allerdings prädestiniert, um sich mit
der Thematik der TLG-Genossenschaften zu beschäftigen
und wirkungsvolle Lösungsvorschläge zu erarbeiten.
Zum Beispiel könnte überprüft werden, ob die Kaufver-
träge den Tatbestand der Sittenwidrigkeit aufgrund unrea-
listischer Kaufpreisbedingungen erfüllen. Dies ist umso
bedenkenswerter, als aufgrund der hohen Leerstände der
Ertragswert einer Wohnung extrem niedrig ist. Norbert
Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank und Mitglied
der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission,
äußerte deshalb auch folgerichtig, dass es besser wäre,
leere Wohnungen zu verschenken, als diese mit hohem
Kosteneinsatz leer stehen oder abreißen zu lassen. Oder es
wäre auch zu klären, ob die Aufwendungen für die Woh-
nungsmodernisierung zu hoch waren. Meines Erachtens
sind Aufwendungen bis zu 1 100 DM pro Quadratmeter
sehr hoch gegriffen.
Der Bundesregierung ist die Thematik seit mehreren
Monaten hinreichend bekannt. Es wird – allerdings von
den Wohnungsunternehmen kritisiert, dass von dort noch
keine Reaktion auf entsprechende Briefe erfolgte. Wie
dringlich die Angelegenheit ist, zeigt das eingeleitete In-
solvenzverfahren einer sächsischen Wohnungsgenossen-
schaft. Jeder einzelne Fall der Wohnungsgenossenschaf-
ten muss separat geprüft werden.
Nichts kann man davon halten, eine nochmalige spezi-
elle Verordnung oder gar Gesetzesnovellierung herbeizu-
führen. Dies würde mit Sicherheit Begehrlichkeiten, bei
manch anderem Zwischenerwerber von größeren Woh-
nungsbeständen wecken. Auch bei einigen dieser Käufer
haben sich so manche erwarteten Geschäftserfolge be-
kanntlich nicht eingestellt.
Die Bundesregierung sollte durch die Bund-Länder-
Kommission prüfen lassen, inwieweit man eine nachträg-
liche Kaufpreisreduzierung in Verhandlungen mit der
TLG erreichen kann. Allerdings wird dies sicher nicht auf
Gegenliebe bei der TLG stoßen, da sich dieses Unterneh-
men bekanntlich auch im defizitären Bereich befindet. Es
wären aber auch andere Möglichkeiten machbar: zum
Beispiel die Stundung der Kreditverbindlichkeiten oder
der Abschluss von Landesbürgschaften. Entsprechende
Bemühungen der Genossenschaften blieben allerdings
bisher erfolglos.
Ein weiterer Aspekt könnte den betroffenen Woh-
nungsgenossenschaften auch helfen: Aufgrund der hohen
Leerstände werden sich einige entscheiden müssen, den
Abriss von Wohnbebauung vorzunehmen. Natürlich setzt
das den vorherigen Freizug der Gebäude voraus. In der
jetzt anstehenden Diskussion zum Mietrecht müssen wir
den Wohnungsunternehmen insofern helfen, als Kündi-
gung und Umzug betroffener Mieter nicht zusätzlich er-
schwert werden. Die Kündigung einer Wohnung aus
diesem Grund, also zum Zwecke des Freizuges eines Ab-
risshauses, muss – natürlich vorausgesetzt, dass entspre-
chender Ersatzwohnraum zur Verfügung gestellt wird –
unkompliziert möglich sein. Lange Kündigungsprozesse
würden hier für alle Seiten kontraproduktiv wirken.
Abschließend ist festzustellen, dass den TLG-Woh-
nungsgenossenschaften umgehend geholfen werden
muss. Die gemeinsame Kommission von Bund und Län-
dern sollte schnellstmöglich entsprechende Vorschläge
erarbeiten, um somit weitere Insolvenzverfahren abzu-
wenden. Allerdings ist der Antrag der PDS dazu nicht das
geeignete Mittel. Aus diesem Grund werden wir diesen
Antrag nicht mittragen, wenngleich er in die richtige
Richtung zielt.
Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): An dieser Stelle geht es um den Antrag
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 200114396
(C)
(D)
(A)
(B)
der PDS-Fraktion auf Soforthilfen für konkursbedrohte
TLG-Genossenschaften. Die PDS fordert, einen runden
Tisch unter Leitung von Staatsminister Schwanitz einzu-
richten, der Strategien zum Erhalt und zur Sanierung die-
ser Genossenschaften entwickeln soll.
Es handelt sich um zehn zwischen 1993 und 1996 ge-
gründeten TLG-Genossenschaften, deren wirtschaftliche
Situation ohne Zweifel sehr schwierig ist. Sie wurden zur
Privatisierung von Werkswohnungsbeständen ehemals
volkseigener Betriebe überwiegend in den Regionen ge-
gründet, die heute am stärksten mit Bevölkerungsrück-
gang und Leerständen zu kämpfen haben. Sie sind infolge
relativ hoher Kaufpreise und der Refinanzierung notwen-
diger Sanierungsmaßnahmen stark belastet und kon-
kurrieren auf diesen ohnehin schwierigen Wohnungs-
märkten der Regionen mit stärkeren Konkurrenten. Inso-
fern nehme ich dieses Problem ernst.
Der Vorschlag der PDS zur Einrichtung eines runden
Tisches im Kanzleramt leuchtet mir allerdings überhaupt
nicht ein. Sie wissen, dass die Bauministerkonferenz eine
Arbeitsgruppe eingesetzt hat, die auf der Basis des Be-
richts der Expertenkommission Hilfsstrategien für alle
leerstandsbetroffenen Wohnungsunternehmen, auch für
die TLG-Genossenschaften, erarbeiten soll. Sie wissen
auch, dass sich die Sächsische Aufbaubank intensiv um
die Rettung der Wohnungsgenossenschaft Lößnig küm-
mert, die einen Insolvenzantrag gestellt hat, und dass die
Sächsische Aufbaubank auch Hilfen für die anderen vier
sächsischen TLG-Genossenschaften bereitgestellt hat. Ich
muss schon fragen: Was soll eine weitere Arbeitsgruppe –
sei es im Kanzleramt oder anderswo anders und besser
machen als die zwei, die es schon gibt.
Konkrete Sanierungskonzepte für die Unternehmen
und die betroffenen Stadtteile können sowieso nur vor Ort
und für jedes Unternehmen einzeln erarbeitet werden: mit
der TLG, den betroffenen Ländern, den Gläubigerbanken
und den anderen Wohnungsunternehmen der Region. Ich
finde auch, hier hat zunächst die TLG, die diese Genos-
senschaftsgründungen betreut hat, eine Verpflichtung
gegenüber den Genossenschaften. Sie hat den Genossen-
schaften bereits kostenlose betriebswirtschaftliche Bera-
tung angeboten. Fünf Genossenschaften haben dieses An-
gebot angenommen. Die TLG stundet außerdem offene
Forderungen und verzichtet teilweise auf Nutzungs- oder
Verzugszinsen. Die Expertenkommission hat den Genos-
senschaften darüber hinaus Nachverhandlungen mit der
TLG empfohlen. Dies kann ich nur unterstützen.
Dr. Karlheinz Guttmacher (F.D.P.): In der Debatte
fällt der Bundesregierung heute zu Recht auf die Füße,
dass sie ihre Wohnungspolitik in Bezug auf die neuen
Bundesländer ganz einseitig auf ein Teilsegment ausge-
richtet hat. Es sind die kommunalen Bestände, die Be-
stände der Unternehmen in kommunaler Hand und die der
Genossenschaften, die von den geplanten zusätzlichen
Entlastungen nach der Altschuldenhilfeverordnung profi-
tieren.
Die PDS weist mit dem heutigen Antrag nicht ohne Be-
rechtigung darauf hin, dass durch diese Politik der Unaus-
gewogenheit neue Marktverzerrungen entstehen. Die
TLG-Bestände bilden eine besondere Spezies am Woh-
nungsmarkt in den neuen Bundesländern. Sie sind nicht un-
ter das Altschuldenhilfegesetz gefallen, sie sind nicht teil-
entlastet worden, mit entsprechenden Auswirkungen auf
den Marktpreis. Die TLG hatte ein eigenes Privatisierungs-
modell, das eine weitgehend unsanierte, dafür aber billige
Abgabe der Bestände an interessierte Mieter vorsah.
Allerdings leiden die TLG-Bestände genauso unver-
schuldet unter der Leerstandsproblematik wie alle ande-
ren Marktteilnehmer. Diesen wird jedoch zumindest an-
satzweise im Rahmen der Altschuldenhilfeverordnung
geholfen. Auf der Strecke bleiben die TLG-Bestände, die
anderen erhalten mit staatlicher Hilfe einen Marktvorteil.
Die F.D.P.-Bundestagsfraktion fordert die Bundesre-
gierung auf, aus der einseitigen Ausrichtung ihrer Woh-
nungspolitik Konsequenzen zu ziehen und endlich ein
wohnungspolitisches Konzept für den Wohnungsmarkt in
den neuen Bundesländern vorzulegen, das alle am Woh-
nungsmarkt Beteiligten gleichermaßen berücksichtigt.
Wir brauchen mehr privates Wohneigentum, um die
Nachbarschaften sozial zu stabilisieren. Wir brauchen
mehr private Anbieter, um das Angebot zu flexibilisieren
und zu differenzieren. Wir brauchen eine gerechte Struk-
turhilfe für die unverschuldeten Probleme der Wohnungs-
wirtschaft Ost, um die zu erwartenden Marktanpassungen
abzufedern. Mit dem KfW-Wohnungsmodernisierungs-
programm wurde und sollte auch weiterhin den Unter-
nehmern ermöglicht werden, ihre Wohnungsbestände den
gestiegenen Anforderungen anzupassen und somit besser
zu vermarkten. Soweit die Wohnungen der TLG-Bestände
im Städtebausanierungsbereich liegen, muss geprüft wer-
den, ob zur Sanierung dieser Wohnungen auch Städte-
baufördermittel eingesetzt werden.
Bei den TLG-Beständen, bei denen Leerstände und
nicht Sanierungen ursächlich für die Existenzbedrohung
anstehen, ergeben sich bei Prüfung der Werthaltigkeit der
Wohnungsbestände zum Teil Unterdeckungen. In diesen
Fällen sollten die Bundesländer und der Bund je zur
Hälfte Fördermittel für den Abriss ständig leerstehender
Wohnungen zur Verfügung stellen, um die Bewirtschaf-
tungssituation zu verbessern. Hierdurch könnte auch die
Bereitschaft der Banken, sich für eine dauerhafte und sta-
bile Bewirtschaftung zu engagieren, gestärkt werden.
Es ist nicht damit getan, einzelne und kleinteilige An-
träge plakativ in die Öffentlichkeit zu stellen. Wir brau-
chen endlich eine Gesamtschau und ein ausgewogenes
Konzept.
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrages: Aufhebung der
Sanktionen gegen den Irak (Tagesordnungs-
punkt 15)
Christoph Moosbauer (SPD): Ich möchte vorweg
klarstellen: Ich habe große Sympathie für das Grundan-
liegen des Antrages, den die PDS uns hier heute vorlegt.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001 14397
(C)
(D)
(A)
(B)
In der Tat müssen wir nach nunmehr zehn Jahren Sankti-
onsregime gegen den Irak feststellen, dass die humanitäre
Situation der Bevölkerung des Irak mehr als alarmierend
ist und das Regime Saddam Husseins mitnichten ge-
schwächt ist. Im Gegenteil, der Diktator sitzt fester im
Sattel als je zuvor und die Sanktionen haben sich bei sei-
nem brutalen Vorgehen zur Sicherung seiner Herrschaft
auch noch als dienlich erwiesen.
Am Rande erwähnt: Ich muss mich dabei nicht unbe-
dingt auf den UNICEF-Bericht berufen. Er wurde von der
irakischen Sektion, von irakischen Ortskräften, erstellt.
Wer den Bericht gelesen hat, weiß das. Dass da auch Po-
litik und Propaganda gemacht wird mit so einem Bericht,
sollte hier nicht unter den Tisch gekehrt werden. Aber das
tut eigentlich nichts zur Sache, da die hoffnungslose
Situation der Bevölkerung unbestritten ist. Nur die Dra-
matisierung, die von Hunderttausenden toten Kindern
spricht, taugt nicht unbedingt als Grundlage für eine kon-
struktive Kritik am Sanktionsregime. Auch an anderer
Stelle vermisse ich leider die Sachkenntnis, etwa wenn die
PDS fordert, die eingefrorenen irakischen Auslandskon-
ten für soziale Projekte aufzutauen. Diese Konten sind
von Gläubigern bereits mehrfach überpfändet. Da stehen
Forderungen, die zuerst bedient werden müssen, bevor
der Irak das Geld für etwas anderes verwenden kann. Das
mag man nicht schön finden, aber so ist es eben.
Die Sanktionen kann und muss man hinterfragen.
Doch genau das passiert in Ihrem Antrag nur bemerkens-
wert einseitig, – „wie immer“, ist man versucht zu ergän-
zen. Kein Wort davon, dass die Sanktionen ja nicht etwa
aus einer Laune des Sicherheitsrates heraus entstanden
sind, sondern aufgrund des Überfalls Iraks auf Kuwait
und der beharrlichen Weigerung Saddam Husseins, bei
der Rüstungskontrolle mit der Weltgemeinschaft zu ko-
operieren! Kein Wort in Ihrem Antrag von den Raketen
auf Israel! Kein Wort davon, dass Saddam Hussein be-
wusst die Situation der irakischen Bevölkerung ver-
schlechtert, indem er Einnahmen aus dem Oil-for-Food-
Programm eben nicht für die Versorgung seines Volkes
verwendet! Es müsste keine humanitäre Katastrophe im
Irak geben, denn Lebensmittel und Medikamente sind
ja ausdrücklich vom Embargo ausgenommen. Saddam
Hussein verweigert sie seinem Volk aber. Kein Wort da-
von in Ihrem Antrag!
Sie prangern in Ihrem Antrag die Zerstörung der Infra-
struktur des Landes einseitig als Ergebnis des Luftkrieges
der Golfkriegsallianz an. Sie erwähnen nicht einmal an-
satzweise, wie es zum Luftkrieg kam; auch kein Hinweis
darauf, dass Saddam Hussein die gesamte Infrastruktur
Kuwaits zerstört sowie beim Rückzug aus dem besetzten
Land planmäßig Ölfelder in Brand gesteckt und mehr als
750 Ölquellen gesprengt hat und damit eine Umweltkata-
strophe größten Ausmaßes zu verantworten hat.
Bei aller guten Intention, die ich den Kolleginnen und
Kollegen der PDS und ihrem Antrag nicht absprechen
will, vor allem diese Einseitigkeit macht es uns unmög-
lich, dem Antrag zuzustimmen. Aber die PDS erweist sich
nicht nur als einseitig, sondern auch als Meister des
schlechten Timings: Vor zwei Wochen erklärte Udai, der
Sohn Saddam Husseins, dass die Karte des irakischen Par-
laments unvollständig sei, da sie Kuwait nicht als un-
trennbaren Teil des Iraks verzeichnet. Er forderte das Par-
lament auf, dies zu ändern. Nun mag man das als Rheto-
rik abtun, aber anlässlich des zehnten Jahrestags des
Beginns des zweiten Golfkriegs muss man hier schon
mehr vermuten als die Einzelmeinung eines einfachen
Parlamentariers, zumal da es sich um den Sohn von Sad-
dam Hussein handelt. Ich finde das schon Besorgnis erre-
gend, wenn der Irak wieder mit dem Säbel rasselt, der
nach allem, was wir wissen und was wir vermuten kön-
nen, gar nicht so rostig ist, wie wir uns das wünschen.
Und natürlich hat das auch mit dem Wechsel der Ad-
ministration in den Vereinigten Staaten zu tun. Es ist nicht
unwahrscheinlich, dass das irakische Regime in der einen
oder anderen Weise testen wird, inwiefern der neue ame-
rikanische Präsident und seine Regierung bereit sind, sich
in dem Maße zu engagieren, wie es ihre Vorgänger getan
haben. In dieser Situation hier im Bundestag einen Antrag
zu beschließen, der dazu auch noch ermutigt, halte ich für
unverantwortlich.
Und ich gebe auch zu bedenken, dass in Israel in zwei
Wochen ein neuer Ministerpräsident gewählt wird. Darü-
ber möchte ich hier im Detail nicht sprechen; aber wir
wissen doch alle, dass eine solche Entscheidung, wie sie
uns heute von der PDS vorgeschlagen wird, in Israel sehr
sensibel zur Kenntnis genommen werden würde, und dass
so etwas in der momentanen Stimmung dort natürlich
auch ein Signal wäre. Das fehlt nämlich auch in Ihrem An-
trag: dass der Irak nach wie vor eine Bedrohung für die
Region und ganz besonders für Israel ist.
Grundsätzlich stimmen wir mit der Intention überein,
die wirtschaftlichen von den militärischen Sanktionen zu
trennen. Die militärischen Sanktionen müssen bleiben,
aber dann auch konsequent überwacht werden. Das findet
im Übrigen derzeit nicht statt. Wir wissen, dass das Em-
bargo löchrig ist – und das nicht erst, seit wieder Flug-
zeuge in Bagdad landen, sondern schon länger. Die Last-
wagen an der türkischen und jordanischen Grenze werden
nur unzureichend kontrolliert. Daher funktioniert das Em-
bargo schon heute nicht mehr so, wie es eigentlich ge-
dacht war. Hier brauchen wir ohne Frage mehr Effizienz.
Doch der Ort, wo so etwas beschlossen wird, ist nicht
hier, sondern im Sicherheitsrat in New York. Natürlich
wollen wir uns bei unseren westlichen Partnern hier für
eine praktikable und sinnvolle Lösung einsetzen, die das
Sicherheitsinteresse der Staatengemeinschaft, aber auch
die humanitäre Situation der irakischen Bevölkerung
berücksichtigt. Und wir werden das auch tun, sorgfältig
und in Absprache mit unseren europäischen Partnern, al-
len voran Frankreich, das hier ja eine ganz ähnliche Auf-
fassung hat.
Klar muss aber sein, dass wir dabei immer auch be-
nennen, wer letztendlich die humanitäre Katastrophe im
Irak zu verantworten hat, wer die Region mit Krieg über-
zogen hat und wer keinen Zweifel daran lässt, dass er
nichts dazu gelernt hat. Und das ist Saddam Hussein. Ein
Antrag, der sich mit der Aufhebung der Sanktionen gegen
den Irak beschäftigt, muss dies entsprechend würdigen.
Außerdem muss man sich im Klaren darüber sein, welche
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 200114398
(C)
(D)
(A)
(B)
Zeichen er zu welcher Zeit setzt. Der uns vorliegende
Antrag erfüllt diese beiden Kriterien nicht.
Joachim Hörster (CDU/CSU): Aus der Grundstruk-
tur des Antrages der PDS ist erkennbar, dass diese die Ur-
sachen für die von den Vereinten Nationen gegen den Irak
verhängten Sanktionen weniger in dem das irakische Volk
beherrschende Unrechtsregime sieht als vielmehr bei den
Alliierten des Golfkrieges: Mit keinem Wort erwähnt der
Antrag, dass das irakische Regime mit brutaler Gewalt,
mit fortdauernden gravierenden Menschenrechtsverlet-
zungen und ohne Rücksichtnahme auf das irakische Volk
seine Macht aufrechterhält.
Es ist unbestritten, dass das irakische Volk unter dem
auch durch das Embargo verursachten Mangel an Le-
bensmitteln, Medikamenten und erheblichen Schäden an
der Sozialinfrastruktur leidet. Andererseits ist aber festzu-
stellen, dass die irakische Regierung nur 60 Prozent der
aus den Ölexporten erwirtschafteten Mittel für die Ver-
sorgung der eigenen Bevölkerung zur Verfügung stellt
und damit ganz im Gegensatz zur öffentlichen Propa-
ganda nicht das ihr Mögliche tut, um der eigenen Bevöl-
kerung zu helfen.
Richtig ist: Der Irak ist heruntergewirtschaftet, die
Wirtschaft liegt am Boden, die Bevölkerung leidet. Rich-
tig ist sicherlich auch die Aussage, dass das Regime
Saddam Hussein aus dem wirtschaftlichen und sozialen
Niedergang des Landes politisches Kapital zu schlagen
versucht nach dem Motto: Die westliche Zivilisation un-
ter Anführung des „Großen Teufels“ USAist schuld an der
Misere, an Eurem Hunger, Eurem Leiden, am Sterben
Eurer Kinder. Es gibt ernstzunehmende Hinweise, dass
sogar das Oil-For-Food-Programm, mit dem dringend
benötigte Lebensmittel und Medikamente ins Land kom-
men sollen, vom Regime missbräuchlich eingesetzt wird,
dass Lieferungen auf irgendwelchen Schwarzmärkten
verschoben werden, nur um die Sündenbock-Theorien
aufrechterhalten zu können.
Tatsache jedenfalls ist, dass im Irak die gesamte Ver-
sorgung am Boden liegt und nicht funktioniert. Gute
Ärzte und Schwestern sind wegen dieser Lage außer Lan-
des gegangen. Signifikant für die Lage ist neben den der
flächendeckenden Verarmung das vollständige Ver-
schwinden des Mittelstandes. Die Jugend des Landes ist
mangels Bildung antiwestlich eingestellt und begreift sich
als Sanktionsopfer Nummer ein. Es bestehen schon jetzt
schwere materielle und psychologische Folgen.
Die Antwort auf all diese offensichtlichen Missstände
kann aber doch nicht ein außenpolitischer Alleingang
Deutschlands sein. Gerade in dieser Frage, in dieser sen-
siblen Region, in der der kleinste Funke zu einer Explo-
sion führen kann, brauchen wir mehr als anderswo eine
wohlabgestimmte europäische Politik, bei der alle Partner
an einem Strang ziehen.
Wenn es um die Aufhebung der Sanktionen geht, so ist
festzuhalten, dass der Irak – konkreter: die Regierung des
Irak – eine Bringschuld hat. Da ist zunächst einmal die
Frage der Rüstungskontrolle. Gerade wir Deutschen kön-
nen aus eigener geschichtlicher Erfahrung bestätigen, wie
wichtig und notwendig es ist, in Folge eines Angriffskrie-
ges die Rüstungsproduktion internationaler Kontrolle zu
unterwerfen, dabei verlässlich und vertrauenswürdig zu
agieren und so verlorenes Vertrauen in der Nachbarschaft
wiederherzustellen. Daran hapert es nach wie vor im Irak.
Als Vorsitzender der Parlamentariergruppe für die Be-
ziehungen zu den Arabisch sprechenden Ländern des Na-
hen Ostens kann ich aus zahlreichen Gesprächen und
Kontakten berichten, dass es dem Irak noch nicht gelun-
gen ist, Vertrauen bei seinen Nachbarn wiederzugewin-
nen. Es sind nicht nur die Zweifel hinsichtlich ausrei-
chender Kooperation im Zusammenhang mit Fragen der
Rüstungskontrolle und der Vernichtung von Waffen- und
Massenvernichtungsarsenalen. Es geht auch um die Ver-
meidung des verbalen Radikalismus und des Aufbaus von
Bedrohungsszenarien.
Nicht zuletzt geht es auch um die Frage, ob der Irak
sich glaubhaft darum bemüht, das Schicksal und den Ver-
bleib von vermissten kuwaitischen Soldaten und Staats-
bürgern – es ist die Rede von bis zu zweitausend Men-
schen – aufzuklären. Wenn wir darangehen, etwas für die
Abschaffung der Sanktionen zu tun, so kann dies nur
funktionieren in Übereinstimmung mit dem arabischen
Umfeld. Das Regime in Bagdad wäre zuallererst gut be-
raten, vertrauensbildende Maßnahmen im Hinblick auf
seine direkten Nachbarn zu unternehmen.
Ich will nicht verkennen, dass die von den Vereinten
Nationen verhängten Sanktionen Wirkungen entfalten,
die so nicht beabsichtigt waren. Allerdings ist es äußerst
schwierig, mit einem Regime, das zu keinerlei vertrau-
ensbildender Kooperation bereit ist, Regelungen zu fin-
den, die die irakische Bevölkerung in ihren alltäglichen
Grundbedürfnissen nicht tangieren. Keiner von uns will
das irakische Volk leiden sehen, zumal es kaum eine
Chance hat, sich dem Würgegriff seiner diktatorischen
und menschenverachtenden Regierung zu entziehen. So-
lange diese Regierung aber selbst ihre aus den Petro-
dollars erwirtschaftete Finanzkraft nicht ausschließlich
für die Bevölkerung einsetzt, ist es sehr schwierig, ein an-
deres Sanktionssystem, das die Angriffsfähigkeit des Irak
gegen andere Staaten in der Region verhindert, zu finden.
Deswegen bedarf es diplomatischer Bemühungen vieler
Seiten, um dem im Irak herrschenden Regime klarzuma-
chen, dass ihre Propagandapolitik mit den Leiden des ira-
kischen Volkes nicht der Weg ist, um das Sanktionsregime
zu beenden.
Es muss dieser Regierung klargemacht werden, dass
der einzige Weg darin besteht, die Aggressionsbereit-
schaft gegenüber anderen Staaten in der Region aufzuge-
ben, militärisch abzurüsten, sich dabei internationaler
Kontrolle zu unterwerfen und auch dem eigenen Volk
wieder die Mindeststandards an Menschenrechten ein-
zuräumen.
Der PDS-Antrag ist in diesem Sinne nicht hilfreich, zu-
mal er bei dem herrschenden Regime in Bagdad eher den
Eindruck erwecken könnte, als sei man mit der verach-
tenden Politik auch gegenüber dem eigenen Volk letztlich
international erfolgreich.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001 14399
(C)
(D)
(A)
(B)
Ulrich Irmer (F.D.P.): Über Sinn und Unsinn von
Sanktionen als Instrument der Außenpolitik kann trefflich
gestritten werden. Zum Erfolg führen sie selten, oft sind
sie kontraproduktiv. Trotz – oder vielleicht gerade wegen
der Sanktionen – konnte sich seinerzeit das postkoloniale
Regime in Rhodesien über viele Jahre halten und auch das
nunmehr fast vierzigjährige amerikanische Handelsem-
bargo gegen Kuba hat es nicht vermocht, den Maximo Li-
der Fidel Castro zu stürzen. Andererseits haben Sanktio-
nen den libyschen Revolutionsführer Gaddafi sicherlich
geneigt gestimmt, die Attentäter von Lockerbie der inter-
nationalen Justiz zu überstellen. Selbst die Taliban haben
sich angesichts der Sanktionen in letzter Zeit menschen-
rechtsfreundlicher geäußert. Nicht zuletzt haben Sanktio-
nen und auch freiwillige Verhaltenskodizes gegen Süd-
afrika zur Überwindung der Apartheid beigetragen.
Ebenso wichtig wie die Frage nach dem Sinn der Ver-
hängung von Sanktionen ist indes die Frage, welche Wir-
kung deren Wiederaufhebung hat. Ein besonders an-
schauliches Beispiel für diese Problematik ist die für die
Europäische Union schon eher peinliche Posse um die Ös-
terreich-Sanktionen.
Mit der Verhängung von Sanktionen soll – wie auch im
Falle des Irak – in der Regel zweierlei erreicht werden:
Zum einen soll das betroffene Regime oder Land durch
wirtschaftlichen und politischen Druck zu einer Handlung
oder Unterlassung veranlasst werden, zum anderen sind
Sanktionen per se aber auch ein besonders deutliches
Symbol der Missbilligung von politischem Fehlverhalten.
Mit der Aufhebung von Sanktionen wird mithin auch an-
erkannt, dass die Gründe für ihre Verhängung nicht mehr
vorliegen. Uns ist noch allen der Eiertanz in Erinnerung,
den die Europäische Union auch nach der Vorlage des
Gutachtens der drei Weisen bis zur Aussetzung der Sank-
tionen gegen Österreich aufgeführt hat.
Doch wie sieht die Situation im Irak aus? Zehn Jahre
nach Beginn der Operation Wüstensturm sitzt Saddam
Hussein fester im Sattel als je zuvor: Und sein Regime
meldet sich auf internationalem Parkett zurück. Auf dem
Saddam International Aerport landen wieder Linienflug-
zeuge, Botschaften werden in Bagdad wieder eröffnet
und der Irak ist wieder zum zweitgrößten Erdölexporteur
der Welt avanciert. Statt Medikamente und Nahrungs-
mittel für sein darbendes Volk zu besorgen, lässt er lieber
11 Milliarden Öldollar ungenutzt auf Depotkonten lie-
gen. Nach UNO-Beobachtungen werden die dank gestie-
gener Weltmarktpreise enormen Einnahmen aus Öl-
schmuggel für den Wiederaufbau seiner konventionellen
Streitkräfte eingesetzt. Der ehemalige UNSCOM-Chef
Richard Butler schätzt, dass Bagdad nunmehr imstande
ist, innerhalb eines Jahres eine Atombombe zu ent-
wickeln. Gleichzeitig weigert sich Saddam Hussein wei-
terhin, die UNO-Waffeninspektoren ins Land zu lassen.
Besonders aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang
die Meldung der „Bild“-Zeitung, Saddam habe 4 000 Ex-
emplare der Sony-Playstation II bestellt. Fünfzehn mitei-
nander vernetzte Playstationen reichen aus, um eine Ra-
kete fernzulenken.
In jüngster Zeit nutzt Saddam die Krise im Nahost-
Friedensprozess, um sich wieder als panarabischer Führer
zu präsentieren. Während sein Volk hungert und Kran-
kenhäuser geschlossen werden müssen, ließ Saddam
Hussein jetzt über fünfzig Lastwagen mit 1 600 Tonnen
Medikamenten und Lebensmitteln auf dem Landweg über
Jordanien nach Palästina schaffen. Zehntausende Iraker
warten angeblich darauf, in einem israelisch-palästinensi-
schen Krieg an der Seite ihrer arabischen Brüder kämpfen
zu dürfen. Überdies kündigte er jüngst, am Montag ver-
gangener Woche, die Bildung einer Kommission an, mit
der 100 Millionen Euro an arbeitslose amerikanische
Staatsangehörige verteilt werden sollen. Gleichzeitig
führt er sein Regime nach innen mit einer derart unerbitt-
lichen Härte, dass sich die UNO-Vollversammlung am
6. Dezember 2000 bei nur drei Gegenstimmen zur Verab-
schiedung einer Resolution veranlasst sah, die der Regie-
rung von Saddam Hussein „systematische weitverbreitete
und besonders schwere Verstöße gegen die Menschen-
rechte und internationales humanitäres Recht“ vorwirft.
Wenn es je Anlässe zur Verhängung von Sanktionen
gegeben hat, dann sind sie durch dieses Verhalten des Dik-
tators von Bagdad eher noch verstärkt worden.
Es ist unbestritten, dass – wie die PDS in ihrem Antrag
darstellt – die Versorgungslage im Lande ausgesprochen
prekär ist und die Mehrheit der Bevölkerung vom Lande
katastrophale Lebensverhältnisse erdulden muss. Umge-
kehrt gilt aber auch, dass das „Öl für Nahrungsmittel“-
Abkommen in den letzten Jahren zu einer deutlich spür-
baren Verbesserung der Situation beigetragen hat.
Es fragt sich also, was mit der Aufhebung der Sanktio-
nen erreicht werden könnte. Eine erste Maßnahme wäre
doch sicherlich, das Programm „Öl für Nahrungsmittel“
abzustellen mit der Folge, dass Saddam nunmehr freie
Hand hätte, seinem Volk noch zusätzliche weitere Leiden
aufzubürden. Er könnte dabei überdies noch auf eine Art
Quasilegitimierung durch die Aufhebung der Sanktionen
verweisen. Dass es bereits heute – Sanktionen hin, Sank-
tionen her – nur eines Fingerzeiges des Diktators bedürfte,
um die Lebenssituation der Iraker nachhaltig zu entspan-
nen, ist ebenso klar.
Bei aller wohlgemeinter Intention des vorliegenden
PDS-Antrages führt eine nüchterne Analyse der Lage im
Irak daher zu dem Ergebnis, dass mit der Aufhebung der
Sanktionen die Position des Diktators weiter gestärkt, sei-
nem Volk aber nicht geholfen würde. Deshalb lehnen wir
ihn ab.
Dr. Ludger Volmer, Staatsminister im Auswärtigen
Amt: Lassen Sie mich zum vorliegenden Antrag der Frak-
tion der PDS zur Aufhebung der Sanktionen gegen den
Irak folgende Anmerkungen machen:
Die Sicherheitsrats-Resolution 1284 vom Dezember
1999, die in dem vorliegenden Antrag im Übrigen nicht er-
wähnt wird, bietet dem Irak die Möglichkeit, durch Zu-
sammenarbeit mit dem neuen Rüstungsüberwachungsme-
chanismus UNMOVIC eine Suspendierung der Sanktionen
zu erreichen. Bislang verweigert der Irak jedoch jedwede
Kooperation mit UNMOVIC, mit den entsprechenden
Konsequenzen für die Diskussionen im Sicherheitsrat, un-
ter dessen Mitgliedern angesichts dieser Situation keine
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 200114400
(C)
(D)
(A)
(B)
Mehrheit für eine Aufhebung oder Suspendierung der
Sanktionen besteht. Angesichts der Tatsache, dass der Irak
weiter auf Kooperationsverweigerung setzt und damit die
ihm von der internationalen Gemeinschaft gebotenen Wege
und Möglichkeiten zur Beendigung der Sanktionen nicht
nutzt, sind Zweifel berechtigt, ob er denn bei einer Aufhe-
bung der Sanktionen, wie der Antrag sie vorsieht, bereit
wäre, mit UNMOVIC zu kooperieren. Bisher können wir
noch keine Signale aus Bagdad erkennen, die eine solche
Annahme rechtfertigen. Die Situation der Menschenrechte
im Irak bleibt besorgniserregend. Weiterhin gibt es immer
noch Kräfte; die einer Zugehörigkeit Kuwaits zum Irak das
Wort reden, wie dies kürzlich durch Saddam Husseins.
Sohn Udai in seiner Eigenschaft als Parlamentsabgeordne-
ter geschehen ist. Dies trägt nicht dazu bei, die Situation in
der Region zu entschärfen und die Sicherheitsbesorgnisse
der Nachbarstaaten gegenüber dem Irak abzubauen. Der
Generalsekretär der Vereinten Nationen plant allerdings ein
weiteres Treffen mit dem irakischen Außenminister für
Ende Februar, von dem wir erwarten, dass der Irak dabei
seine Vorstellungen und Ideen zu einer wirklichen Zusam-
menarbeit mit den Vereinten Nationen darlegen wird.
Eine Änderung des Sanktionsregimes setzt als Zeichen
des guten Willens ein gewisses Maß an Kooperation in der
Frage der Abrüstung von Massenvernichtungswaffen sei-
tens der irakischen Führung voraus. Lassen Sie mich fest-
stellen, dass die SR-Resolution 1284 darauf abstellt, auf
Grundlage kalkulatorisch hinreichender Verifikation Irak
effektiv daran zu hindern, unbemerkt Entwicklungen zu
Massenvernichtungswaffen voranzutreiben. Dies ist ange-
sichts der noch insbesondere im B-Waffenbereich weitge-
hend ungeklärten irakischen Potenziale wohl der kleinste
gemeinsame Nenner. Unsere Forderung an den Sicher-
heitsrat und an die irakische Regierung, konstruktive Lö-
sungen zu suchen, bleibt bestehen. Die Bundesregierung
wird sich auch weiterhin dafür einsetzen, dass alle Betei-
ligten ihrer Verantwortung nachkommen. Allerdings er-
fordert jeder Schritt zur Weiterentwicklung des Sankti-
onsregimes entsprechende Mehrheiten im Sicherheitsrat.
Ich muss hier aber auch mit Realismus deutlich machen,
dass angesichts der bestehenden Situation und der Nicht-
Mitgliedschaft Deutschlands im Sicherheitsrat unser Hand-
lungsspielraum begrenzt ist. Zur Klarstellung sei auch an-
gefügt, dass das Sanktionsregime keine Straf-, sondern
eine Erzwingungsmaßnahme darstellt. Aber auch diese
fällt unter das Kapitel VII der VN-Charta.
Auch die Bundesregierung sieht die humanitäre Lage
im Irak mit Besorgnis. Der Verbesserung der humanitären
Lage wurde durch Verabschiedung der Resolution 1284
und weiterer Resolutionen zur Erweiterung des „Öl für
Lebensmittelprogramms“ wiederholt Rechnung getragen,
insbesondere durch die Aufhebung der Obergrenzen für
den Ölverkauf. Damit kann der Irak nun unbegrenzte
Mengen von Öl zu Weltmarktpreisen verkaufen und diese
Erlöse zur Sicherung der humanitären Bedürfnisse seiner
Bevölkerung einsetzen. Das nunmehr stark ausgeweitete
Programm bietet eine gute Grundlage zur Verbesserung
der humanitären Lage im Irak. Die kürzlichen Berichte
des Leiters des Irak-Programms der Vereinten Nationen
stellen fest, dass eine ausreichende Versorgung der iraki-
schen Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln gewährleis-
tet ist. Neben diesen konkret auf die Verbesserung der hu-
manitären Lage der Bevölkerung im Irak zielenden Maß-
nahmen setzt sich die Bundesregierung auch aufgrund der
Erfahrungen und unbestrittenen Schwierigkeiten, die das
Irak-Sanktionssystem aufwirft, grundsätzlich für eine
Weiterentwicklung der der internationalen Gemeinschaft
zur Verfügung stehenden Mechanismen ein. Wir beteili-
gen uns aktiv an Konzepten, die unter dem Stichwort
„smart sanctions“ in den Vereinten Nationen diskutiert
werden. Hierzu haben wir eine Reihe von Diskussions-
und Expertenveranstaltungen durchgeführt, deren Ergeb-
nisse in unsere Initiative eingeflossen sind und in die De-
batte der Vereinten Nationen eingeführt wurden. „Wir
werden diese lnitiative fortsetzen, um das Sanktionsre-
gime zielgerichteter und wirkungsvoller zu machen. Aber
wir müssen dabei auch sehen, dass die jeweiligen Macht-
haber dieser Welt alle Möglichkeiten ausschöpfen, um
derartige Sanktionsregimes zu unterlaufen.
Der Irak hat allein in den letzten sechs Monaten des
Jahres 2000 rund 11 Milliarden US-Dollar als Einnahmen
aus Ölverkäufen erzielt. Mit diesen Mitteln können nicht
nur humanitäre Güter im engeren Sinne, sondern auch zi-
vile Investitionsgüter eingeführt werden. Auf diese
kommt es im Hinblick auf die Zukunft des Landes beson-
ders an. Wie Sie wissen, werden die Mittel des Treuhand-
fonds der Vereinten Nationen nach einem bestimmten
Schlüssel aufgeteilt, unter anderem für die humanitäre
Versorgung der Nordprovinzen, die direkt durch die VN
erfolgt. Nach Abzug aller dieser Mittel verblieben der ira-
kischen Regierung für diesen Zeitraum rund 7,7 Milliar-
den US-Dollar zur Beschaffung humanitärer Güter für die
von ihr verwalteten restlichen Provinzen. Von diesem Be-
trag hat die irakische Regierung, die es selbst in der Hand
hat, über Bestellung und Verteilung auf die einzelnen
Sektoren zu entscheiden, jedoch nur etwa 4,2 Milliarden
genutzt, der Restbetrag liegt weiterhin auf dem für Irak
eingerichteten VN-Treuhandkonto. Gerade in dem so
wichtigen Gesundheitssektor hat der Irak lediglich An-
träge für 83 Millionen US-Dollar eingereicht, obwohl ihm
624 Millionen US-Dollar zur Verfügung standen.
Lassen Sie mich in einer Nebenbemerkung darauf hin-
weisen, dass der Irak aber einen Antrag an den Sanktions-
ausschuss gestellt hat, aus dem „Ö1 gegen Nahrungsmit-
telprogramm“ 100 Millionen Euro zur Unterstützung
sozial Schwacher und Obdachloser in den USA, zur Ver-
fügung zu stellen. Ich will das hier nicht näher bewerten,
denke aber, es spricht für sich.
Die Vereinten Nationen haben in einem Brief an die
irakisch Seite am 15. Januar 2001 zu Recht ihre Besorg-
nis über die geringe Antragsrate durch den Irak zum Aus-
druck gebracht. Hier trägt die irakische Führung Verant-
wortung, die zur Verfügung stehenden Mittel auch
einzusetzen und die Einfuhr der notwendigen Güter zu be-
antragen. Den Irak hier einfach aus seiner Verantwortung
zu entlassen, ist nicht der richtige Weg. Der den Vereinten
Nationen zur Verfügung stehende Betrag für die Versor-
gung der Nordprovinzen wurde hingegen fast völlständig
ausgegeben. Die humanitäre Lage der dortigen Bevölke-
rung ist nach allen uns vorliegenden Berichten im Übri-
gen sichtbar besser als die in den südlichen Provinzen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 2001 14401
(C)
(D)
(A)
(B)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Januar 200114402
(C)(A) Was die Finanzierung von Importen durch Nutzung
eingefrorener irakischer Auslandsguthaben betrifft, so
würde dies angesichts des erwähnten beträchtlichen Gut-
habens des Irak im VN-Treuhandfonds keinen nennens-
werten zusätzlichen Beitrag leisten können. Die gefor-
derte Aufstockung des EU-Programms würde in die
Zuständigkeit der Kommission fallen. Nach Erkenntnis-
sen der Bundesregierung wird die Wirksamkeit des Pro-
gramms durch mangelhafte Mitwirkung der irakischen
Behörden beeinträchtigt. Eine Aufstockung der Mittel
würde den Nutzen somit nicht vergrößern.
Der im Antrag auch angesprochene Bericht über die
asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Irak wird regel-
mäßig unter Nutzung aller Quellen aktualisiert
Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin