Protokoll:
14143

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 143

  • date_rangeDatum: 18. Januar 2001

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:34 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Gedenkworte für die Opfer der Naturkata- strophe in den mittel- und südamerikani- schen Staaten El Salvador, Guatemala, Hon- duras, Nicaragua und Südmexiko . . . . . . . 13929 B Nachträgliche Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Monika Ganseforth und Irmgard Karwatzki sowie den Abgeordneten Dr. Norbert Wieczorek und Klaus Bühler (Bruchsal) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13929 C Bestimmung der Abgeordneten Jelena Hoffmann (Chemnitz) als Mitglied im Gre- mium nach § 41 Abs. 5 des Außenwirtschaftsge- setzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13929 D Erweiterung und Umstellung der Tagesordnung 13929 D Absetzung des Tagesordnungspunktes 6 a . . . 13930 C Geänderte Ausschussüberweisung . . . . . . . . . 13930 C Tagesordnungspunkt 3: Eidesleistung der Bundesministerinnen Vizepräsidentin Anke Fuchs . . . . . . . . . . . . . . 13930 D Renate Künast, Bundesministerin BMVEL . . 13930 D Vizepräsidentin Anke Fuchs . . . . . . . . . . . . . . 13931 A Ulla Schmidt, Bundesministerin BMG . . . . . 13931 A Tagesordnungspunkt 4: a) Abgabe einer Regierungserklärung: Ver- kehrsbericht 2000 – Integrierte Ver- kehrspolitik: Unser Konzept für eine mobile Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . 13931 B b) Große Anfrage der Abgeordneten Renate Blank, Norbert Königshofen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Finanzierung derVerkehrs- infrastruktur (Drucksachen 14/1877, 14/3193) . . . . 13931 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen – zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Straßenbaubericht 1998 – zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Angelika Mertens, Hans-Günter Bruckmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Straßen- baubericht 1998 (Drucksachen 14/245, 14/2576, 14/3844) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13931 C d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-nungswesen zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Mertens, Hans- Günter Bruckmann, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzho- fen), Franziska Eichstädt-Bohlig, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Antistau- Programm (Drucksachen 14/3179, 14/4009) . . . . 13931 C Plenarprotokoll 14/143 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 143. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2001 I n h a l t : e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Christine Ostrowski, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Flächenhaf- ter Ausbau der Schienenwege im Bereich Nordbayern, Hessen, Thü- ringen und Sachsen . . . . . . . . . . . 13931 D – zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert Otto (Erfurt), Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Weiter- bau des Verkehrsprojektes Deut- sche Einheit (VDE) Nr. 8 – Schienen- neubaustrecke Nürnberg–Erfurt– Halle/Leipzig–Berlin . . . . . . . . . . 13931 D – zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Mertens, Hans-Günter Bruckmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion SPD sowie der Ab- geordneten Albert Schmidt (Hitzho- fen), Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verbesserung der Verkehrsinfra- struktur Thüringen/Nordbayern im Rahmen des Verkehrsprojek- tes Deutsche Einheit (VDE) Nr. 8 Schienenneubaustrecke Nürnberg– Erfurt–Halle/Leipzig–Berlin . . . 13932 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Hans- Michael Goldmann, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion F.D.P.: Ja zur Schienenneubaustrecke Nürn- berg–Erfurt–Halle/Leipzig–Berlin 13932 A – zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Bericht zum Ausbau der Schienenwege 1999 (Drucksachen 14/2525, 14/2692, 14/2906, 14/2914, 14/2176, 14/4340) 13932 A f) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Verkehrsbericht 2000 Integrierte Verkehrspolitik: Unser Konzept für eine mobile Zukunft (Drucksache 14/4688 [neu]) . . . . . . . . 13932 B g) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Bericht zum Ausbau der Schie- nenwege 2000 (Drucksache 14/4048) . . . . . . . . . . . . . 13932 B h) Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling-Schröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Interregio für die Regionen erhalten (Drucksache 14/4543) . . . . . . . . . . . . . 13932 B Kurt Bodewig, Bundesminister BMVBW . . . 13932 C Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 13936 C Reinhard Weis (Stendal) SPD . . . . . . . . . . . . 13939 B Horst Friedrich (Bayreuth) F.D.P. . . . . . . . . . 13942 C Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13945 C Renate Blank CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 13948 C Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13949 C Horst Friedrich (Bayreuth) F.D.P. . . . . . . . 13950 C Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 13951 A Karin Rehbock-Zureich SPD . . . . . . . . . . . . . 13953 A Eduard Oswald CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 13954 D Annette Faße SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13957 B Dirk Fischer (Hamburg) CDU/CSU . . . . . . . . 13959 A Reinhard Weis (Stendal) SPD . . . . . . . . . . . . 13962 A Dirk Fischer (Hamburg) CDU/CSU . . . . . . . . 13962 B Iris Gleicke SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13962 D Tagesordnungspunkt 6: b) Antrag der Abgeordneten Matthias Weisheit, Brigitte Adler, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken, Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: BSE-Bekämpfung konsequent aus- bauen (Drucksache 14/5085) . . . . . . . . . . . . . 13965 B c) Antrag der Abgeordneten Kersten Naumann, Dr. Ruth Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Soforthilfsprogramm für durch die BSE-Krise betroffenen Kommunen und Landwirte einrichten (Drucksache 14/4924) . . . . . . . . . . . . . 13965 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Fraktion CDU/CSU: Klares Konzept zur Bekämpfung von BSE not- wendig (Drucksache 14/5079) . . . . . . . . . . . . . . . 13965 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter und Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2001II der Fraktion F.D.P.: Verbraucher vor BSE schützen – Landwirten helfen (Drucksache 14/5097) . . . . . . . . . . . . . . . 13965 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Fraktion CDU/CSU: Ländli- chen Raum gemeinsam mit der Land- wirtschaft stärken (Drucksache 14/5080) . . . . . . . . . . . . . . . 13965 D Renate Künast, Bundesministerin BMVEL . . 13966 A Annette Widmann-Mauz CDU/CSU . . . . . . . 13968 A Matthias Weisheit SPD . . . . . . . . . . . . . . . 13968 D Dr. Norbert Wieczorek SPD . . . . . . . . . . . . . . 13970 B Ulrich Heinrich F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13972 D Dr. Peter Ramsauer CDU/CSU (zur GO) . . . . 13974 A Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD (zur GO) 13974 A Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN (zur GO) . . . . . . . . . . . . . . . . 13974 C Ulrich Heinrich F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13975 A Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 13976 A Matthias Weisheit SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13977 B Norbert Schindler CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 13978 D Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13981 A Wolfgang Zöller CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 13982 B Dr. Wolfgang Wodarg SPD . . . . . . . . . . . . . . 13983 D Peter H. Carstensen (Nordstrand) CDU/CSU 13984 A Peter H. Carstensen (Nordstrand) CDU/CSU 13984 C Renate Künast, Bundesministerin BMVEL 13985 D Tagesordnungspunkt 5: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – zu dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Umwelt und Gesundheit . . . . . . . 13986 A – zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Sondergutachten des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen: Umwelt und Ge- sundheit – Risiken richtig ein- schätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13986 A – zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach), Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid), weiterer Abgeord- neter und der Fraktion CDU/CSU zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Sondergutachten des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen: Umwelt und Gesundheit – Risiken richtig ein- schätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13986 A – zu dem Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technik- folgenabschätzung gemäß § 56 a der Geschäftsordnung: Technikfol- genabschätzung; hier: „Umwelt und Gesundheit“ (Drucksachen 14/2767, 14/2300, 14/2771 [neu], 14/2848, 14/3712) 13986 B b) Antrag der Abgeordneten Eva Bulling- Schröter, Dr. Winfried Wolf, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Verhinderung erneuter Gewässer- verunreinigungen durch das Total- herbizid Diuron (Drucksache 14/4710) . . . . . . . . . . . . . 13986 B Gila Altmann, Parl. Staatssekretärin BMU . . 13986 C Vera Lengsfeld CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 13987 C Jutta Müller (Völklingen) SPD . . . . . . . . . . . 13989 C Marita Sehn F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13991 B Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . . 13993 A Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13993 D Bernward Müller (Jena) CDU/CSU . . . . . . . . 13995 B Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . . . . . . . 13996 C Marita Sehn F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13997 A Tagesordnungspunkt 24: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorge- vermögens (Altersvermögensgesetz – AVmG) (Drucksache 14/5068) . . . . . . . . . . . . . 13999 A b) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- bruar 2000 zwischen der Bundes- republik Deutschland und der Tsche- chischen Republik über die Ergän- zung des Europäischen Übereinkom- mens über die Rechtshilfe in Strafsa- chen vom 20. April 1959 und die Er- leichterung seiner Anwendung (Drucksache 14/5011) . . . . . . . . . . . . . 13999B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2001 III c) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- bruar 2000 zwischen der Bundes- republik Deutschland und der Tschechi- schen Republik über die Ergän- zung des Europäischen Auslieferungsübe- reinkommens vom 13. Dezember 1957 und die Erleichterung seiner Anwen- dung (Drucksache 14/5012) . . . . . . . . . . . . . 13999 B Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundes- regierung zur Verwendung uranhaltiger Munition im Rahmen von NATO-Kampf- einsätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13999 C Roland Claus PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13999 C Peter Zumkley SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14001 A Anita Schäfer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 14002 A Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14003 A Günther Friedrich Nolting F.D.P. . . . . . . . . . . 14004 A Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg 14005 C Allgemeine Aussprache Paul Breuer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 14008 C Rudolf Scharping SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14010 A Paul Breuer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 14010 C Dr. Hans Peter Bartels SPD . . . . . . . . . . . . . . 14010 D Günther Friedrich Nolting F.D.P. . . . . . . . . . . 14012 A Rudolf Scharping SPD . . . . . . . . . . . . . . . 14013 A Rudolf Scharping SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14013 C Günther Friedrich Nolting F.D.P . . . . . . . . . . 14014 A Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . . 14014 B Rudolf Scharping SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14014 D Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14015 B Heidi Lippmann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14016 B Georg Pfannenstein SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 14017 B Ursula Lietz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 14018 B Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Erwin Marschewski (Reckling- hausen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Familienzusammen- führung sachgerecht regeln – EU-Richt- linienvorschlag ablehnen (Drucksache 14/4529 [neu]) . . . . . . . . . . . 14019 C Erwin Marschewski (Recklinghausen) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14019 D Rüdiger Veit SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14021 C Ina Lenke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14023 B Erwin Marschewski (Recklinghausen) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14024 C Ina Lenke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14025 A Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14025 C Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14026 D Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staats- sekretärin BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14027 C Anke Eymer (Lübeck) CDU/CSU . . . . . . . . . 14028 C Tagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. R. Werner Schuster, Joachim Tappe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Hans- Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Afrikas Entwicklung unterstützen (Drucksachen 14/3701, 14/4850) . . . . . . . 14029 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion F.D.P.: Für eine europäische Ausrichtung der deutschen Afrikapolitik (Drucksache 14/5090) . . . . . . . . . . . . . . . 14029 D Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 14029 D Dr. Karl-Heinz Hornhues CDU/CSU . . . . . . . 14031 D Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14034 A Ulrich Irmer F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14035 C Klaus-Jürgen Hedrich CDU/CSU . . . . . . . 14036 D Carsten Hübner PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14037 B Dr. R. Werner Schuster SPD . . . . . . . . . . . . . 14038 C Rudolf Kraus CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 14039 D Dr. Uschi Eid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14041 C Joachim Tappe SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14042 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2001IV Tagesordnungspunkt 9: a) Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Hildebrecht Braun (Augs- burg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Schattenwirtschaft mit marktwirtschaftlichen Mitteln eindämmen (Drucksache 14/3024) . . . . . . . . . . . . . 14043 D b) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Eindämmung illegaler Betäti- gung im Baugewerbe (Drucksache 14/4658) . . . . . . . . . . . . . 14044 A c) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Neunter Bericht der Bundesre- gierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüber- lassungsgesetzes – AÜG – sowie über die Auswirkungen des Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäfti- gung – BillBG (Drucksache 14/4220) . . . . . . . . . . . . . 14044 A Tagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu der Unterrichtung durch die Bundes- regierung: Berufsbildungsbericht 2000 – zu dem Entschließungsantrag der Ab- geordneten Willi Brase, Klaus Barthel (Starnberg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordne- ten Ekin Deligöz, Matthias Berninger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Berufsbildungsbericht 2000 (Drucksachen 14/3244, 14/3331, 14/4305) 14044 B Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekretär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14044 C Heinz Wiese (Ehingen) CDU/CSU . . . . . . . . 14046 D Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14048 C Cornelia Pieper F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14050 A Maritta Böttcher PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14051 D Willi Brase SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14052 D Maritta Böttcher PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 14053 D Dr.-Ing. Rainer Jork CDU/CSU . . . . . . . . . . . 14055 C Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Günter Nooke, Dr. Norbert Lammert, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion CDU/CSU: Ge- samtkonzeption für Berliner Gedenk- stätten für die Opfer der SED-Diktatur notwendig (Drucksache 14/4641) . . . . . . . . . . . . . . . 14057 D Günter Nooke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 14058 A Angelika Krüger-Leißner SPD . . . . . . . . . . . . 14060 A Jürgen Türk F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14062 A Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14062 D Tagesordnungspunkt 12: Unterrichtung durch die Bundesregierung: 4. Bericht der Bundesregierung zurAus- wärtigen Kulturpolitik 1999 (Drucksache 14/4312) . . . . . . . . . . . . . . . 14063 B Tagesordnungspunkt 7: Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Norbert Lammert, Bernd Neumann (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Soziokultur (Drucksachen 14/1575, 14/4020) . . . . . . . 14063 C Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . . . . . . . 14063 C Hanna Wolf (München) SPD . . . . . . . . . . . . . 14066 C Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P. . . . . . . . . . . . . 14068 C Christian Simmert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14069 C Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14070 D Dr. Julian Nida-Rümelin, Staatsminister BK 14071 C Tagesordnungspunkt 20: a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Künstlersozialversicherungsgesetzes und anderer Gesetze (Drucksache 14/5066) . . . . . . . . . . . . . 14073 C b) Antrag der Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer, Hans-Joachim Otto (Frank- furt am Main), Ernst Burgbacher, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Reform derKünstlersozialver- sicherung gerecht gestalten (Drucksache 14/4929) . . . . . . . . . . . . . 14073 C in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich Fink, Dr. Heidi Knake-Werner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Für eine grundlegende Reform der Künst- lersozialversicherung (Drucksache 14/5086) . . . . . . . . . . . . . . . 14073 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2001 V Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des von den Abgeordneten Christina Schenk, Dr. Evelyn Kenzler, weite- ren Abgeordneten und der Fraktion PDS ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur be- ruflichen Gleichstellung von Prostituier- ten und anderer sexuell Dienstleistender (Drucksache 14/4456) . . . . . . . . . . . . . . . 14073 D Christina Schenk PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14074 A Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer Brüderle, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Senkung des Entgelts für die Beförde- rung von Briefsendungen im Geltungs- bereich der Exklusivlizenz nach § 51 Postgesetz (Drucksache 14/4417) . . . . . . . . . . . . . . . 14075 A Tagesordnungspunkt 22: Erste Beratung des von den Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Erwin Marschewski (Recklinghausen), Wolfgang Zeitlmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Personen- standsgesetzes (Drucksache 14/4425 [neu]) . . . . . . . . . . . 14075 B Zusatztagesordnungspunkt 8: Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Krankenhausfinan- zierungsgesetzes und der Bundespflege- satzverordnung (DRG-Systemzuschlags- Gesetz) (Drucksache 14/5082) . . . . . . . . . . . . . . . 14075 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14075 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 14077 A Anlage 2 Erklärung der Abgeordneten Dr. Heidi Knake- Werner (PDS) zur Abstimmung über den An- trag der Fraktion der CDU/CSU zur Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Weiter- bau des Verkehrsprojektes Deutsche Einheit (VDE) – Schienenneubaustrecke Nürnberg– Erfurt–Halle/Leipzig–Berlin (Drucksache 14/2692) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14077 D Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Wolfgang Dehnel (CDU/CSU) zur Abstim- mung über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Weiterbau des Verkehrspro- jektes Deutsche Einheit (VDE) – Schienenneu- baustrecke Nürnberg – Erfurt – Halle/Leipzig – Berlin (Drucksache 14/2692) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14077 D Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – Antrag: Schattenwirtschaft mit marktwirtschaftlichen Mitteln eindämmen – Gesetzentwurf: Eindämmung illegaler Betätigung im Baugewerbe – Unterrichtung: Neunter Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitneh- merüberlassungsgesestzes – AÜG – sowie über die Auswirkungen des Gesetzes zur Bekämpfung der ille- galen Beschäftigung – BillBG (Tagesordnungspunkt 9 a bis c) . . . . . . . . . . . 14078 A Ludwig Eich SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14078 A Leyla Onur SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14078 D Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) CDU/CSU 14079 C Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14080 C Dr. Heinrich L. Kolb F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . 14081 A Dr. Klaus Grehn PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14082 B Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrages: Gesamtkonzeption für Berliner Ge- denkstätten für die Opfer der SED-Diktatur notwendig (Tagesordnungspunkt 11) Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14082 D Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Unterrichtung: 4. Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kulturpolitik 1999 (Tages- ordnungspunkt 12) Monika Griefahn SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14083 B Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14085 A Ulrich Irmer F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14085 D Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14086 D Christoph Zöpel, Staatsminister AA . . . . . . . . 14087 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2001VI Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – Entwurf: Zweites Gesetz zur Änderung des Künstler- sozialversicherungsgesetzes und anderer Gesetze – Antrag: Reform der Künstlersozialversicherung gerecht gestalten – Antrag: Für eine grundlegende Reform der Künstler- sozialversicherung (Tagesordnungspunkt 20 a und b; Zusatztagesordnungs- punkt 7) Angelika Krüger-Leißner SPD . . . . . . . . . . . . 14088 D Andreas Storm CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 14090 A Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14091 B Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P. . . . . . . . . . . . . 14091 D Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14092 B Ulrike Mascher, Parl. Staatssekretärin BMA 14093 A Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur beruflichen Gleich- stellung von Prostituierten und anderer sexuell Dienstleistender (Tagesordnungspunkt 13) Anni Brandt-Elsweier SPD . . . . . . . . . . . . . . 14094 B Margot von Renesse SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 14095 B Ilse Falk CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14096 A Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14097 B Ina Lenke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14098 A Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Senkung des Entgelts für die Be- förderung von Briefsendungen im Geltungsbe- reich der Exklusivlizenz nach § 51 Postgesetz (Tagesordnungspunkt 14) Klaus Barthel (Starnberg) SPD . . . . . . . . . . . 14098 D Elmar Müller (Kirchheim) CDU/CSU . . . . . . 14099 C Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14100 D Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14101 B Gerhard Jüttemann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 14101 D Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 14102 B Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Per- sonenstandsgesetzes (Tagesordnungspunkt 22) Harald Friese SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14102 D Renate Diemers CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 14103 D Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14104 D Ina Lenke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14105 C Heidemarie Lüth PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14106 A Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes und der Bundespflegesatzverordnung (DRG-System- zuschlags-Gesetz) (Zusatztagesordnungs- punkt 8) Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD . . . . . . . 14106 C Dr. Hans Georg Faust CDU/CSU . . . . . . . . . 14107 B Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14108 B Dr. Dieter Thomae F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 14109 A Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14109 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2001 VII Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2001
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2001 Christina Schenk 14075 (C) (D) (A) (B) 1) Anlage 9 2) Anlage 10 3) Anlage 11 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2001 14077 (C) (D) (A) (B) Barthle, Norbert CDU/CSU 18.01.2001 Dr. Bartsch, Dietmar PDS 18.01.2001 Dr. Bauer, Wolf CDU/CSU 18.01.2001 Behrendt, Wolfgang SPD 18.01.2001* Dr. Blank, CDU/CSU 18.01.2001 Joseph-Theodor Brunnhuber, Georg CDU/CSU 18.01.2001 Bulmahn, Edelgard SPD 18.01.2001 Ehlert, Heidemarie PDS 18.01.2001 Fischer (Berlin), BÜNDNIS 90/ 18.01.2001 Andrea DIE GRÜNEN Friedrich (Altenburg), SPD 18.01.2001 Peter Dr. Fuchs, Ruth SPD 18.01.2001 Gehrcke, Wolfgang PDS 18.01.2001 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 18.01.2001 Günther (Duisburg), CDU/CSU 18.01.2001 Horst Dr. Gysi, Gregor PDS 18.01.2001 Hanewinckel, Christel SPD 18.01.2001 Haschke (Großhenners- CDU/CSU 18.01.2001 dorf ), Gottfried Hauser (Rednitzhem- CDU/CSU 18.01.2001 bach), Hansgeorg Dr. Hendricks, Barbara SPD 18.01.2001 Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 18.01.2001 DIE GRÜNEN Dr. Hoyer, Werner F.D.P. 18.01.2001 Irber, Brunhilde SPD 18.01.2001 Klappert, Marianne SPD 18.01.2001 Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 18.01.2001 Kressl, Nicolette SPD 18.01.2001 Kühn-Mengel, Helga SPD 18.01.2001 Dr. Luft, Christa PDS 18.01.2001 Nahles, Andrea SPD 18.01.2001 Nickels, Christa BÜNDNIS 90/ 18.01.2001 DIE GRÜNEN Opel, Manfred SPD 18.01.2001 Otto (Frankfurt), F.D.P. 18.01.2001 Hans-Joachim Dr. Pfaff, Martin SPD 18.01.2001 Pflug, Johannes SPD 18.01.2001 Rübenkönig, Gerhard SPD 18.01.2001 Spiller, Jörg-Otto SPD 18.01.2001 Steiger, Wolfgang CDU/CSU 18.01.2001 Vogt (Pforzheim), Ute SPD 18.01.2001 Dr. Volmer, Ludger BÜNDNIS 90/ 18.01.2001 DIE GRÜNEN Wohlleben, Verena SPD 18.01.2001 Zapf, Uta SPD 18.01.2001 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Erklärung derAbgeordneten Dr. Heidi Knake-Werner (PDS) zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Weiterbau des Verkehrspro- jektes Deutsche Einheit (VDE) – Schienen- neubaustrecke Nürnberg–Erfurt–Halle/Leipzig- Berlin (Drucksache 14/2692) Das Votum meiner Fraktion lautet Nein. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Wolfgang Dehnel (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Weiterbau des Verkehrspro- jektes Deutsche Einheit (VDE) – Schienen- neubaustrecke Nürnberg–Erfurt–Halle/Leipzig– Berlin (Drucksache 14/2692) Die im Bundesverkehrswegeplan vorgesehene Neu- baustrecke VDE-Nr. 8 ist teuerer (circa 5 Milliarden DM) entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht und erreicht deutlich weniger Bevölkerung in Ost- deutschland als eine Verbindung über Sachsen (1,1 bis 1,4 Milli-onen gegenüber 3,3 bis 4 Millionen Menschen im Raum Plauen–Zwickau–Chemnitz). Zudem wird eine Verbin-dung über diese sächsische Region den bislang vom Hoch-geschwindigkeitsbahnverkehr ausgeschlosse- nen Raum Vogtland–Zwickau–Chemnitz als wichtigsten ostdeutschen Industrieraum einbeziehen. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – Antrag: Schattenwirtschaft mit marktwirtschaftli- chen Mittel eindämmen – Gesetzentwurf: Eindämmung illegaler Betätigung im Baugewerbe – Unterrichtung: Neunter Bericht der Bundesregie- rung über Erfahrungen bei derAnwendung des Ar- beitnehmerüberlassungsgesetzes – AÜG – sowie über die Auswirkungen des Gesetzes zur Bekämp- fung der illegalen Beschäftigung – BillBG – (Tages- ordnungspunkt 9 a bis c) Ludwig Eich (SPD): Illegale Beschäftigung ist in Zeiten der Globalisierung zu einem großen Problem geworden; insbesondere zu einem Problem in unserem Baugewerbe! Wie das Finanzministerium festgestellt hat, geht es um eine halbe Million Arbeitsplätze, die verlo- ren gehen; und es geht um dreistellige Milliardenbeträge, die dem Staat in Form von Steuern und unseren Sozial- kassen in Form von Beiträgen jedes Jahr verloren gehen. Es geht nicht um Schwarzarbeit in einer vernachlässig- baren Größe, sondern es geht um ein Krebsgeschwür, das enormen volkswirtschaftlichen Schaden anrichtet; und es geht auch um die würdelosen Umstände, die die Beschäf- tigten selbst erdulden. Das vorliegende Problem der ille- galen Beschäftigung ist groß und rechtfertigt diesen er- neuten gesetzgeberischen Versuch seiner Bekämpfung. Der Gesetzentwurf hat natürlich Instrumente, die zu ei- nem bürokratischen Aufwand führen. Er verlangt von den Unternehmen im Baugewerbe eine erweiterte Anzeige- pflicht. Damit soll vor allem die steuerliche Erfassung von Werksvertragsunternehmen verbessert werden. Aber der Kern des Gesetzes zielt darauf ab, dass jeder Bauunter- nehmer, der Bauleistungen an andere Bauunternehmer weitervergibt, vom Entgelt für diese Bauleistung einen Steuerabzug von 15 Prozent einbehält. Damit soll sicher- gestellt werden, dass die Steuern, die dem deutschen Fis- kus zustehen, auch in jedem Fall gezahlt werden. Dabei ist für die Wirkung dieses Instrumentes nicht unwichtig, dass der Unternehmer, der Bauleistungen an Subunter- nehmen weitervergibt, für diesen Steuerabzug in die Pflicht, sozusagen in Regress genommen wird. Nun sind diese Instrumente nicht neu: Bereits mit dem Steuerentlastungsgesetz 1999 wurde der Versuch unter- nommen, mit einem Steuerabzug an der Quelle unsere Steuereinnahmen bei der Vergabe an Subunternehmer zu sichern. Gescheitert ist der damalige Versuch aber nicht nur an europarechtlichen Problemen, sondern auch am bürokratischen Aufwand, der damit verbunden war. Wie nun die ersten Reaktionen auf den hier zur Debatte stehenden Gesetzentwurf zeigen, gibt es erneute Kritik und Bedenken an der Europatauglichkeit. Ich bin mir ganz sicher, dass sich auch bei unseren deutschen Bauunter- nehmern aufgrund des bürokratischen Aufwandes, den wir von ihnen verlangen, der Jubel über dieses Gesetz in Grenzen halten wird. Dennoch ist eine solche Reglung notwendig. Sie ist auch aus Wettbewerbsgründen unbedingt erforderlich. Wir müssen alle gesetzgeberischen Chancen nutzen, diese illegalen Praktiken einzudämmen; gerade in einer Zeit, in der es dem Baugewerbe nicht so gut geht. Allerdings, und wir sind ja in der ersten Beratung des Gesetzentwurfes, müssen wir die in 1999 gemachten Er- fahrungen berücksichtigen, Erfahrungen mit dem zeitli- chen Verwaltungsaufwand und Erfahrungen mit der Re- aktion aus dem europäischen Ausland. Was ein wenig irritiert, ist die nicht gerade ermutigende Erfolgsbilanz über die Wirkung der Abzugsteuer aus dem Jahre 1999. Aber die Wirkung dieses Instrumentes soll ja eine präventive, eine vorbeugende sein. Insofern lässt sich nicht unbedingt der Erfolg einer Abzugsteuer an den Zah- len aus dieser noch relativ kurzen Zeit bemessen. In jedem Fall ist die Bundesregierung bei ihren Be- mühungen zu unterstützen, den Gesetzesvollzug zu verbes- sern. Die Personalverstärkung der Hauptzollämter, die vor- genommen wird, ist beachtlich. Mit einer Verstärkung im Ermittlungsbereich von 1 400 Beamten wird der Personal- einsatz an dieser strategisch wichtigen Stelle mehr als ver- doppelt. Diese Anstrengungen können sich sehen lassen. Zusammen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf kann daraus ein erfolgreiches Konzept für die Eindämmung von illegaler Beschäftigung werden. Ich glaube, die büro- kratische Belastung und der Verwaltungsaufwand müssen hingenommen werden, damit diese schwerwiegenden Zu- stände aufhören. Bei der Steuermoral ist es wie mit vielen Dingen im Le- ben: Manches muss mit entsprechender Anleitung einge- übt werden. Leyla Onur (SPD): Wir debattieren heute über ein schwerwiegendes Problem. Es geht um illegale Beschäf- tigung und Schwarzarbeit. Menschen, die schwarz arbei- ten oder arbeiten lassen, betrügen unseren Staat, unsere Gesellschaft um Steuern und Sozialabgaben. Sie vernich- ten ordentliche Arbeitsplätze und treiben kleine Unter- nehmen und Handwerksbetriebe in den Ruin. Deshalb ist die Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit eine der wichtigsten Aufgaben dieser Bun- desregierung und der Koalitionsfraktionen. Um nur drei Beispiele zu nennen: Wir haben die Lohn- nebenkosten gesenkt, damit Arbeit wieder billiger wird. Wir haben mit dem Entsendegesetz, der Regelung zur Scheinselbstständigkeit und den 630-Mark-Jobs die Ord- nung auf dem Arbeitsmarkt wieder hergestellt und wir ha- ben die größte Steuerreform in der Geschichte der Bun- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 200114078 (C) (D) (A) (B) desrepublik verabschiedet. Wir sind auf dem richtigen Weg, aber noch längst nicht am Ziel. Im vorliegenden Neunten Bericht der Bundesregierung können wir schwarz auf weiß nachlesen, dass die Be- kämpfung der illegalen Beschäftigung und der Schwarz- arbeit erhebliche Fortschritte gemacht hat. 1999 ist die Zahl der Verfahren und der verhängten Bußgelder in wich- tigen Bereichen auf einen neuen Höchststand gestiegen. Die Bundesregierung wird Kontrolle und Gesetzes- vollzug weiter verbessern: Die Bundesanstalt für Arbeit organisiert ihre Dienststellen effektiver: In jedem Arbeits- amt wird eine eigene Einheit gebildet und die Zusam- menarbeit mit dem Zoll intensiviert. Die Prüfungskompe- tenzen und Ermittlungsbefugnisse der Hauptzollämter werden erheblich erweitert. Im Bundesgebiet wurden be- reits im letzten Jahr 700 zusätzliche Stellen bei den Zollämtern geschaffen und wir werden dieses Jahr weitere 700 Stellen einrichten. Das kann ich ganz konkret in meinem Wahlkreis Braunschweig beobachten. Im dortigen Hauptzollamt wurde die Arbeitsgruppe „Bekämpfung illegaler Beschäf- tigung“ letztes Jahr von 10 auf 21 Mitarbeiter mehr als verdoppelt. Dieses Jahr steht eine Aufstockung in ähnli- cher Größenordnung an. Ernsthafter kann man gegen ille- gale Beschäftigung nicht vorgehen. Darüber hinaus haben die Koalitionsfraktionen „Eck- punkte zur Verbesserung der Bekämpfung illegaler Be- schäftigung und Schwarzarbeit“ formuliert, die in Kürze vorgelegt werden. Die konstruktiven Vorschläge des Bundesrates für ein „Gesetz zur Eindämmung illegaler Betätigung im Bauge- werbe“ werden von uns ebenfalls ausdrücklich begrüßt. Hierzu wird mein Fraktionskollege Ludwig noch einge- hend Stellung nehmen. Der vorliegende Antrag der FDP hilft nicht weiter: Nach anderthalb Seiten dünner Annahmen, Mutmaßun- gen und unseriöser Schlussfolgerungen stellt die FDP sie- ben knallharte Forderungen auf: vier Berichte, ein Son- dergutachten, eine neue Statistik und – ganz wichtig – die Verknüpfung von Rentenversicherung und Ökosteuern „im Lichte der Effizienzvorteile des Äquivalenzprinzips erneut zu überprüfen“. Die Leute aus der Praxis schütteln über diese Vorschläge nur mitleidig der Kopf. Ich habe einen Zollbeamten, der Leiter einer Prüf- gruppe für illegale Beschäftigung ist, gefragt, wie er den Nutzen neuer Statistiken einschätze. Die Antwort war kurz und bündig: Jeder zusätzliche Papierkram kostet uns Zeit und diese Zeit fehlt uns für Kontrollen draußen auf den Baustellen. Recht hat der Mann! Auch ohne Statisti- ken wissen wir: Razzien auf Baustellen sind das effizien- teste Mittel: nicht nur wegen der Bußgelder, sondern auch wegen ihrer abschreckenden Wirkung. Auch die unseriöse Behauptung der F.D.P., die Neure- gelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse habe dazu geführt, dass ein guter Teil der Arbeitskräfte in die Schattenwirtschaft abgewandert sei, ist und bleibt falsch. Die Fakten beweisen das Gegenteil: Wir haben im Jahr 2000 rund 4 Millionen ausschließlich geringfügig Beschäftigte registriert. Diese Zahl liegt weit über den Er- wartungen. Zu dem Hinweis, zu hohe Steuern und Sozialabgaben trieben die Menschen in die Schwarzarbeit, sei nur ange- merkt, dass während ihrer Regierungszeit Steuern und Abgaben den absoluten Höchststand erreicht hatten. Das heißt: Sie haben die Menschen in die Schwarzarbeit ge- trieben. Wir dagegen haben seit Regierungsantritt Lohn- nebenkosten und Steuern gesenkt. Damit ist Deutschland auf dem richtigen Weg. Das hat mir gestern der in Ihrem Antrag zitierte Experte zum Thema Schattenwirtschaft, Professor Schneider, ausdrücklich versichert. Von der Steuerreform erwartet er eine erhebliche Senkung des Umfangs der Schwarzarbeit in Deutschland. Ich stelle abschließend fest: Alle bisherigen Maßnah- men tragen zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit bei. Weitere werden folgen. Was wir aller- dings nicht brauchen, sind F.D.P.-Vorschläge für weitere Statistiken. Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Die Schätzzahlen über die Entwicklung der Schattenwirt- schaft sind besorgniserregend: Derzeit beträgt das Volu- men rund 640 Milliarden DM, das entspricht 16 Prozent des Bruttoinlandprodukts oder umgerechnet 500 000 Ar- beitsplätzen. Für die Bekämpfung der Schattenwirtschaft ist eine nüchterne Analyse erforderlich. Insgesamt gilt es, drei Kategorien zu unterscheiden: Es geht erstens um Menschen, die über ihre berufliche Pflicht hinaus in ihrer Freizeit arbeiten, also die klassische Schwarzarbeit, die überwiegend im handwerklichen Be- reich und bei den Dienstleistungen auftritt. Die zweite Gruppe umfasst diejenigen, die Sozialleistungen kassie- ren und daneben schwarz arbeiten. Schließlich stellt die il- legale Arbeit von Menschen, insbesondere aus osteu- ropäischen Ländern, ein Problem dar. Die Antworten der Marktwirtschaft auf diese drei Ka- tegorien müssen entsprechend differenziert sein: Erstens. Hauptgruppe in der Schattenwirtschaft sind zum Teil qualifizierte Arbeitnehmer, die am Abend und Wochenende schwarz arbeiten, um sich bestimmte Wün- sche zu erfüllen. Der positive Aspekt in diesem Zusam- menhang ist die feststellbare Leistungsbereitschaft, die den Irrglauben widerlegt, dass alle Menschen weniger als 35 Stunden oder weniger als fünf Tage in der Woche ar- beiten wollen. Der negative Aspekt besteht allerdings darin, dass diese Arbeit außerhalb des Sozial- und Steuer- systems stattfindet. Schätzungen zufolge gehen der Sozi- alversicherung rund 110 Milliarden DM durch Schwarz- arbeit verloren, wobei 10 000 Arbeitsplätze ungefähr einem Gegenwert von 225 Millionen DM an Sozialabga- ben entspricht. Wichtigstes Ziel ist, nicht Arbeitsleistung zu verhin- dern, sondern sie in den normalen, regulären Arbeitsmarkt zu überführen. Das Ziel heißt: aus Schwarzarbeit reguläre Arbeit machen! Zu diesem Zweck müssen Steuer- und Abgabenbelastungen mittelständischer Unternehmen und Handwerksbetriebe gesenkt werden. Notwendig wäre eine mutige Steuerreform gewesen. Die Absenkung der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2001 14079 (C) (D) (A) (B) Grenzsteuerbelastung und des gesamten Tarifverlaufes war ein wichtiges Anliegen, zu dem die rot-grüne Bun- desregierung leider keine Kraft hatte. Ein höchst fataler Fehler war die Änderung der 630-DM- Regelung. Auffällig ist, dass der Schwerpunkt der Schwarzarbeit im Handwerk, im Hotel- und Gaststätten- gewerbe, im Gartenbau und bei den privaten und persön- lichen Dienstleistungen liegt. Das sind genau die Berei- che, in denen in hohem Maße 630-DM-Arbeitsplätze vorhanden waren. Durch die Änderung der 630-DM-Rege- lung sind reguläre Arbeitsplätze systematisch in die Schwarzarbeit getrieben worden. Es wurde das Gegenteil von dem getan, was notwendig gewesen wäre. Die Ideo- logie hat die Vernunft besiegt. Die zweite Gruppe, nämlich Sozialleistungsempfän- ger, die nebenher schwarzarbeiten, stellen insbesondere eine Bedrohung der Arbeitsmoral in unserem Land dar. Bisher gibt es dagegen kein wirksames Rezept. Weder die Drohung mit Kürzung von Sozialhilfe noch ihre tatsäch- liche Umsetzung waren bisher ausreichend. Die einzige marktwirtschaftliche Lösung lautet deswegen: Jeder, der Sozialleistungen kassiert, muss dafür arbeiten, das heißt muss beschäftigt werden, damit er erst gar keine Zeit mehr für Schwarzarbeit hat. Arbeitspflicht für diejenigen, die arbeitsfähig sind, aber nicht arbeiten wollen, halte ich für den richtigen Weg. Besonders akut ist die illegale Beschäftigung von Men- schen aus anderen Ländern seit Öffnung der Grenzen nach Osteuropa. Der Kaufkraftunterschied zwischen Tsche- chien und Polen einerseits und Deutschland andererseits ist eklatant. Dieser Aspekt muss bei der EU-Osterweite- rung Beachtung finden, um Kahlschlag in den Grenzre- gionen zu vermeiden. Bereits heute zeigt sich eine andere Problematik bei ausländischen Subunternehmen, die erheblich billiger sind – und dies häufig dadurch, dass sie sich ihren Ver- pflichtungen entziehen. Ein Grundgebot der Marktwirt- schaft besteht auch darin, den fairen Wettbewerb auf- rechtzuerhalten. Es kann nicht hingenommen werden, dass sich Billiganbieter ihren Steuerverpflichtungen ent- ziehen, indem sie beispielsweise durch ständige Umfir- mierung ihre Identität verschleiern. Die Bundesratsinitiative von Bayern, Baden-Württem- berg und Hessen ist deswegen zu begrüßen, mit der in der Problembranche Bau der Steueranspruch des Staates durchgesetzt werden soll. Der erste Lösungsansatz vom März 1999 mit einem 25-prozentigen Abzug von der Auftragssumme ist an ei- ner EU-Intervention gescheitert. Das Gesetz musste nach sechs Monaten wieder außer Kraft gesetzt werden. Al- leine in diesen sechs Monaten hat man in Bayern 700 aus- ländische Werkvertragsunternehmer erstmalig erfasst. Erforderlich ist ein handhabbares Gesetz, das mit Vor- schlag von Bayern, Hessen, Baden-Württemberg nun- mehr vorliegt: Die Meldepflicht über die Tätigkeit aus- ländischer Subunternehmer wird erweitert und dem Auftraggeber ein 15-prozentiger pauschaler Abschlag von der Auftragssumme zur Abführung an das Finanzamt auf- erlegt, wenn nicht eine Freistellungsbescheinigung vorge- legt wird. Es handelt sich dabei um einen relativ einfachen und praktikablen Lösungsweg. Fazit: Schattenwirtschaft ist eine außerordentlich dif- ferenzierte Problematik. Marktwirtschaftliche Lösungen und Anreizsysteme für Leistungsbereite sind besser als staatliche Kontrollsysteme und Bevormundung. Der un- mittelbare Zusammenhang zwischen der Steuer- und Ab- gabenlast und der Schwarzarbeit muss jedem präsent sein, der neue Kosten und Belastungen – egal in welchem Be- reich – für die Unternehmen beschließt. Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Schwarzarbeit ist volkswirtschaftlich und sozialpolitisch eine Fehlentwicklung, gegen die wir handeln müssen. Dies tun wir auch. Der vorliegende Antrag der F.D.P. zur Schattenwirt- schaft ist aber wieder ein Sammelsurium verschiedenster Forderungen, die keine Abhilfe schaffen werden. Was Sie eigentlich wollen, ist allerdings sehr deutlich. Es geht zum wiederholten Male darum, das Thema 630-DM-Jobs oder auch Ökosteuer in den Blick der Öffentlichkeit zu zerren. Lösungen, um Licht in den Schatten zu bringen, schlagen Sie kaum vor. Sie stellen in Ihrem Antrag fest, dass exakte Zahlen über den Bereich Schattenwirtschaft kaum ver- fügbar sind, und Sie wissen auch, dass es in der Natur der Sache liegt, dass sich die Schattenwirtschaft – das heißt eben insbesondere auch die Schwarzarbeit – ungerne un- tersuchen lässt. Das Bild, das die F.D.P. hier suggerieren will, ist, dass die Schattenwirtschaft auch zulasten der regulären Arbeitsplätze immer weiter ausgedehnt wurde. Doch das ist ein typisches F.D.P.-Zerrbild. Folgendes ist jedoch deutlich. Wie auch immer sich die „Zahlen“ der Schattenwirtschaft zurzeit aktuell entwickeln, selbst wenn sie steigen würden: Die Arbeitsmarktdaten spre- chen eine deutliche Sprache. Es gibt einen in den letzten zwei Jahren zunehmenden Anstieg der Zahl der Erwerbs- tätigen. Diese positive Arbeitsmarktentwicklung ist eine Folge der positiven konjunkturellen Entwicklung und da- mit das Resultat einer Finanz- und Wirtschaftspolitik, die über Abgaben- und Steuersenkungen Erhebliches für eine verbesserte konjunkturelle Entwicklung getan hat. Aber nicht nur die Zahl der Erwerbstätigen steigt im Jahre 2000 um etwa 600 000. Auch die Zahl der sozial- versicherungspflichtigen Beschäftigten ohne die gering- fügig Beschäftigten hat wieder um 350 000 zugenommen. Außerdem gilt: Die Zahl der geringfügig Beschäftigen ist nicht gesunken, woraus Sie die Zunahme der Schatten- wirtschaft und Schwarzarbeit ableiten, sondern sie ist ge- stiegen. Die von mir genannten Arbeitsmarktdaten sind keine Daten über Schwarzarbeit; das ist richtig. Aber sie zeigen deutlich, dass das Bild einer auf Kosten des regulären Ar- beitsmarktes steigenden Schwarzarbeit eben ein überzo- genes, ein falsches Bild ist. Richtig ist, dass das Angebot an Arbeitskräften steigt, und zwar trotz einer demographischen Entwicklung, bei der mehr Arbeitskräfte wegen Alter ausscheiden, als Junge nachkommen. Das Angebot an Arbeitskräften Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 200114080 (C) (D) (A) (B) steigt, weil viele aus der stillen Reserve, Hausfrauen, Studenten und andere Personengruppen, die nicht in den Arbeitslosenstatistiken zu finden waren, auf den Arbeits- markt drängen. Dieses ist ein deutliches Signal dafür, dass die stille Reserve abnimmt. Das heißt aber auch, dass sich das Potenzial für Schwarzarbeit reduziert hat. Sie wiederum wollen nun mit Ihrer verqueren Ar- gumentation noch einmal Front gegen die 630-DM-Rege- lung machen. Was wir wollten, ist mit dieser Regelung erreicht worden. Der Trend zu immer weiter zerstückelten sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen wurde gestoppt, die sozialversicherungspflichtige Beschäfti- gung hat zugenommen. Wir haben die Gleichbehandlung von Einkünften, die erzielt werden können – mit Über- stunden beispielsweise – erreicht. Was Sie weiterhin wollen, ist Front machen gegen die Ökosteuer. Aber gerade hier wird Ihr Vorhaben besonders durchsichtig. Die Ökosteuer dient dazu, die Lohnneben- kosten zu senken. Wir haben die Lohnnebenkosten – ganz im Gegensatz zur alten Koalition – bereits gesenkt und werden dies weiter vorantreiben. Die hohen Lohnneben- kosten sind, wie Sie zu Recht bemerken, ein Faktor, der Schwarzarbeit fördert und gerade die kleinen Einkommen belastet. Dies ist ein Grund mehr, auf die Ökosteuer auch in Zukunft nicht zu verzichten. Dr. Heinrich L. Kolb (F.D.P.): Ich begrüße die Gele- genheit, anhand des 9. Berichtes zum AÜG über die Lage am Arbeitsmarkt diskutieren zu können, und zwar umso mehr, als der Bericht eine Reihe von Passagen enthält, die deutlich machen, dass die Bundesregierung durchaus – zumindest in Ansätzen – die Ursache für die wahren Probleme auf dem Arbeitsmarkt kennt. Es stellt sich die Frage, warum Sie solche Erkenntnisse dann nicht auch zur Grundlage ihres Regierungshandelns machen. Der Bericht zeigt deutlich, dass der Arbeitsmarkt über- reguliert ist – man könnte auch sagen: „verriestert“ und verrammelt. Dies wird deutlich an zwei Indikatoren: dem Anstieg von Überstunden – im vergangenen Jahr waren 1,9 Milli- arden Überstunden zu verzeichnen – und der Zunahme der Leiharbeit. Dazu stellt der vorliegende Bericht fest: „Die Bedeutung der legalen Arbeitnehmerüberlassung für die deutsche Wirtschaft ist (im Berichtszeitraum) ge- wachsen. Die Zahl der Leiharbeitnehmer und Verleih- unternehmen ist weiter angestiegen.“ Diese Entwicklung ist ohne jeden Zweifel darauf zurückzuführen, dass die Wirtschaft im Allgemeinen – und der Mittelstand im Besonderen – gezwungen ist, wegen der verfehlten Arbeitsrechtspolitik der rot-grünen Bundesregierung in Leiharbeit oder Überstunden zu flüchten, um über die Runden zu kommen. Der Bericht stellt weiter fest: „Ein weiterer Grund (für die Zunahme der Leiharbeit) ist die Unsicherheit der Un- ternehmen über den weiteren Konjunkturverlauf. Die Ver- leiher profitieren hier von dem restriktiven Einstellungs- verhalten der Unternehmen, die eher bereit sind, Personalbedarf mit Leiharbeitnehmern zu decken, als sich langfristig an einen Arbeitnehmer mit unbefristetem Arbeitsvertrag zu binden.“ Da kann ich nur sagen: Schön, dass auch die Bundesregierung diese Tatsache erkannt hat. Aber es genügt nicht, dies zu wissen; man muss es auch tun. Wir warten auf Maßnahmen, zum Beispiel beim Kündigungsschutz! Denjenigen aus der Regierungskoalition, die die Arbeitsbedingungen für Leiharbeitnehmer beklagen, sei gesagt: Die Leiharbeit wird auch zukünftig weiter zuneh- men, weil sie systematisch alle anderen flexiblen Instru- mente, wie etwa die befristeten Arbeitsverträge, den Unternehmen „weggeriestert“ haben. Natürlich hätten Ar- beitnehmer wesentlich mehr davon, würden sie – und sei es auch befristet – direkt bei einem Entleiher mit Bezah- lung nach Branchentarif arbeiten, anstatt bei einem Ver- leihunternehmen auf der Lohnliste zu stehen. Aber wer das will, der darf dann auch nicht die Bedingungen für be- fristete Beschäftigung verschlechtern, wie Sie das getan haben. Schlimmer als das: Sie haben den Druck sogar noch weiter erhöht, indem Sie die Bedeutung der Schwellen- werte im Arbeitsrecht noch erhöhen. Sehen Sie denn nicht, dass zukünftig mittelständische Unternehmen, die bis zu 15 Beschäftigte haben, bei einem Mehrbedarf an Personal verstärkt auf Leiharbeitnehmer zurückgreifen werden, um nicht in den Geltungsbereich des Teilzeitar- beitsgesetzes zu kommen und damit einem Rechtsan- spruch auf Teilzeitarbeit ausgesetzt zu sein? Ich sage Ihnen: Leiharbeit ist eine Chance – eine Chance für arbeitslose Menschen, nicht dauerhaft auf Ar- beitslosengeld oder Sozialhilfe angewiesen zu sein und auch in Übung zu bleiben. Training-on-the-job ist we- sentlich besser als jede Weiterbildungsmaßnahme der Bundesanstalt für Arbeit! Daher müssen die Restriktionen im AÜG – Stichworte: Höchstverleihdauer, Synchronisa- tionverbot und Wiederbeschäftigung – im Sinne einer Verbesserung der Chancen Arbeitsloser den Gegebenhei- ten und Erfordernissen der Praxis geändert werden. Der Bericht hält hierzu fest: „Unternehmen sind unter Um- ständen eher bereit, einen ehemals Arbeitslosen nach ei- ner Testphase als Leiharbeitnehmer fest einzustellen.“ Ein weiteres Signal dafür, dass mit der Verfassung des Arbeitsmarktes etwas nicht stimmt, ist die Zunahme der so genannten Schwarzarbeit. Deren Zunahme ist ein Be- weis dafür, dass die Belastung der regulären Arbeitsein- kommen mit Steuern und Sozialversicherung offenbar zu hoch ist und es sich daher für eine bestimmte Gruppe in der Bevölkerung lohnt, schwarz zu arbeiten. lm Bericht heißt es dazu: „So mussten 1999 rund 94,10 DM für eine legale Maurerstunde kalkuliert wer- den. Ein Maurer erhält, wenn er verheiratet ist und zwei Kinder hat, ungefähr 17,79 DM netto. Erhält der Schwarz- arbeiter für eine illegale Stunde 30,00 DM, so verdient er fast doppelt so viel und der Bauherr spart zwei Drittel.“ Und schließlich lesen wir im Bericht: „Eine typische Begehungsform der Schwarzarbeit ist die Erbringung von Dienst- oder Werkleistungen im erheblichen Umfang bei gleichzeitigem Bezug von Arbeitslosengeld, Arbeitslo- senhilfe oder Sozialhilfe, ohne die Beschäftigung dem Leistungsträger mitzuteilen.“ Das ist, wie gesagt, alles Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2001 14081 (C) (D) (A) (B) sehr lesenswert, aber auch ein deutlicher Handlungs- auftrag! Ich frage Sie: Was wollen Sie tun, um diesen Missbrauch zukünftig zu verhindern? Was der Bericht nicht sagt: Ist der Schwarzarbeiter ebenfalls verheiratet und Vater von zwei Kindern, dann hat er bei Sozialhilfebezug selbst als Facharbeiter in den meisten Branchen in etwa das Einkommen eines legal ar- beitenden Kollegen. Eigentlich logisch, dass legale Arbeit nicht mehr lohnt, zumal man nebenbei – man hat ja den ganzen Tag Zeit – und schwarz noch ein paar Mauern hochziehen kann. Das Anreizsystem ist falsch. Das Problem Ihrer bishe- rigen Politik ist, dass Sie die Menschen – über alles gese- hen – netto nicht wirklich entlasten. Warum nutzen Sie nicht den zweifellos vorhandenen Spielraum zur Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung? Das wäre ein erster Schritt, um die Schere zwischen Lohneinkom- men und Transfereinkommen wieder etwas zu öffnen. Da- rüber hinaus müssen Anreize zur Aufnahme einer sozi- alversicherungspflichtigen Arbeit geschaffen werden. Und das heißt auch – im Sinne einer aktivierenden Sozialpoli- tik –, den Druck etwas zu erhöhen. Die wirklich Bedürfti- gen müssen von den faulen Findigen getrennt werden. Nehmen Sie den Bericht als Ansporn, das Arbeitsrecht wieder zu „entriestern“, damit mehr Menschen eine Chance auf einen dauerhaften Arbeitsplatz im ersten Arbeitsmarkt bekommen! Wer Zeitarbeit reduzieren oder eingrenzen will, kommt nicht umhin, das Arbeitsrecht zuentschlacken. Sorgen Sie – wir sind bereit, dabei mitzuwirken – dafür, dass wir ein vernünftiges Anreizsystem für Menschen in der Sozialhilfe bekommen und dass sich ehrliche Arbeit, auch in unteren Lohngruppen, wieder lohnt. Dr. Klaus Grehn (PDS): Der vorgelegte Neunte Be- richt der Bundesregierung über Erfahrungen bei der An- wendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, des AÜG, sowie über die Auswirkungen des Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung, des BillBG, enthält wiederum detaillierte Aufstellungen zur Bekämp- fung illegaler Beschäftigung und der Schwarzarbeit. Tat- sache ist, dass genaue Angaben zum Ausmaß der illegalen Beschäftigung und Schwarzarbeit nicht vorliegen und vielfach Vermutungen die Grundlage der öffentlichen Diskussion bilden. Dies spiegelt der F.D.P.-Antrag zur Schattenwirtschaft richtig wider. Für die PDS sind die Zurückdrängung und die Verhin- derung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit wichtige Maßnahmen zur Herstellung von mehr sozialer Gerechtigkeit. Der Bericht lässt wegen der Darstellung eine Gesamtbewertung der Bemühungen kaum zu; die Er- gebnisse beruhen auf jeweils unterschiedlichen Katego- rien unterschiedlicher Behörden. Hinzu kommt, dass die Ergebnisse trotz erheblichem Ressourceneinsatz nach wie vor eher mager sind. Die kritischen Hinweise von Staats- anwalten und Gewerkschaften, das sei positiv vermerkt, weisen auf Möglichkeiten der Anreicherung hin. Wie auch bei den Berichten der Vorgängerregierung werden Schattenwirtschaft und illegale Beschäftigung hier wie Marktauswüchse behandelt, die man mittels Razzien eliminieren kann. Aber gerade das funktioniert nicht, wie die Berichterstattungen verdeutlichen: Die Er- mittlungsbehörden eilen seit Jahren von einem Pyrrhus- sieg zum anderen. Die Anzahl der Kontrollen, der eingeleiteten Ermitt- lungsverfahren und der verhängten Bußgelder sind im Be- richtszeitraum erheblich gestiegen. Dies wird als Erfolg ge- wertet, obwohl diese Zahlen keine Erfolgsindikatoren sein können, denn erstens wurde das Kontrollpersonal erheblich aufgestockt, zweitens wurden neue Deliktfelder, unter an- derem Mindestlohnvergehen, eingeführt und drittens wurde der Bußgeldrahmen deutlich angehoben. Trotzdem boomt die Schattenwirtschaft nach Auffassung von Experten. Dass diese Entwicklung nun aber Ergebnis der 630-DM-Regelungen oder aber der Ökosteuer sein soll, wie es die F.D.P. in ihrem Antrag begründet oder vermu- tet, erinnert eher an Kaffeesatzleserei. Gleiches trifft für die F.D.P.-Aussage, dass Arbeitszeitverkürzungen zur Schattenwirtschaft beitragen, zu. Wir meinen, dass die Schattenwirtschaft weiter boomt, weil sich egoistisches Gewinnstreben auf einem ungere- gelten Markt unter anderem auch durch die Arbeitneh- merüberlassung und die Schattenwirtschaft sehr profita- bel durchsetzen lässt. Insofern ist es auch notwendig, die dem Bericht zu entnehmende Praxis, dass die Bestrafung illegaler und gegen die Gesetze verstoßender Arbeitgeber nur in seltenen Fällen dem tatsächlichen Ausmaß der Ver- gehen entspricht, zu ändern. Wir bezweifeln die Sinnhaftigkeit der weiteren Ver- schärfung von Gesetzen, die bereits jetzt nicht voll ausge- schöpft werden. Wir bezweifeln auch die Sinnhaftigkeit der Aufstockung des Kontrollpersonals und der grund- rechtlich bedenklichen Ausweitung von Kontrollkompe- tenzen. Statt dessen wäre es sinnvoll, die überlasteten Staatsanwaltschaften zu stärken und effektive Maßnah- men zum Schutz prekär beschäftigter Arbeitnehmer zu er- greifen. – Letzteres unter anderem deshalb, weil diese Ar- beitnehmer doppelt zu leiden haben: Sie werden in der Beschäftigung diskriminiert und oft auch noch um den Lohn für die tatsächlich geleistet Arbeit betrogen. Es muss darum gehen, die Rechtssicherheit und die Konflikfähigkeit zu stärken, um den Anreiz des „Be- trugsbonus“ bei illegaler Beschäftigung zu beseitigen. Die Bekämpfung von Schattenwirtschaft und illegaler Beschäftigung durch effektiven Schutz allgemeiner Ar- beitnehmerrechte wäre ein Ansatz, der einer rot-grünen Politik angemessener wäre, als die Fortführung eines überkommenen Fehlaktionismus. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrages: Gesamtkonzeption für Berliner Gedenkstätten für die Opfer der SED-Diktatur notwendig (Tagesordnungspunkt 11) Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist schon bemerkenswert, dass nun auch die Union zu der Er- kenntnis gelangt ist, dass wir eine Gesamtkonzeption für die Gedenkstätten für die Opfer der SED-Diktatur brau- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 200114082 (C) (D) (A) (B) chen. Im Gegensatz zur früheren Regierung Kohl hat die neue rot-grüne Regierung eine Konzeption der künftigen Gedenkstättenförderung vorgelegt. Von daher kommt der heutige Antrag reichlich spät. Dies finde ich bedauerlich, weil die Ziele, die in dieser Vorlage verfolgt werden, im Großen und Ganzen mit unseren Vorstellungen überein- stimmen. Schade also, dass der Kollege Nooke nicht rechtzeitig – das heißt im Zusammenhang mit dem Ge- denkstättenkonzept des Bundes – diese Vorschläge einge- bracht hat. Die Gedenkstätten für Opfer der SED-Dikatatur, die Mauergedenkstätte, das Dokumentationszentrum Ber- nauer Straße, das ehemalige Stasi-Gefängnis in Hohen- schönhausen und die Stasi-Zentrale in der Normannen- straße sind wichtige Erinnerungsstätten für alle Deutschen. Insofern waren wir schon immer der Auffas- sung, dass die Finanzierung dieser Gedenkstätten auch eine Angelegenheit des Bundes ist. Das vereinte Deutschland bekennt sich zu seiner Ge- schichte; die vielen Gedenkstätten des Bundes zeigen das deutlich. Wir wollen auch weiterhin im Rahmen des Mög- lichen die Erinnerungsarbeit an die Geschichte der Deut- schen fördern. Die rot-grüne Bundesregierung hat es geschafft, eine Gedenkstättenkonzeption in dieser Wahl- periode zu verabschieden. Wir haben damit Versäumnisse der alten Regierung beiseite geräumt und vernünftige För- dergrundsätze vorgelegt. Was wir allerdings nicht akzeptieren wollen und kön- nen sind Versuche, alles und jedes auf den Bund abzu- wälzen. Gerade weil es um die Geschichte aller Deut- schen geht, müssen auch alle relevanten Ebenen ihren Beitrag leisten. Wir gehen davon aus, dass auch künftig der Bund maximal die Hälfte der Kosten übernimmt; die fehlenden Mittel müssen die Länder beisteuern. Wobei im Übrigen auch die Frage zu stellen ist, ob und inwieweit sich auch private Sponsoren oder Stiftungen an der För- derung beteiligen können. Wir werden in den Ausschüssen in aller Ruhe und Sachlichkeit die vorgelegten Vorschläge erörtern. Ich halte es daher für überzogen, wenn in Ihrem Antrag der Bundesregierung eine Frist bis zum 31. Mai 2001 gesetzt wird. Die Regierung Kohl hat das in acht Jahren nicht hin- bekommen; man sollte der neuen Regierung ausreichend Zeit geben. Eine Zeit, die wir gemeinsam brauchen wer- den, um eine tragfähige Konzeption und eine dauerhafte Finanzierung sicherzustellen. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Unterrichtung: 4. Bericht der Bundesregie- rung zur Auswärtigen Kulturpolitik 1999 (Ta- gesordnungspunkt 12) Monika Griefahn (SPD): 2001 ist der von der UNO als das Jahr des Dialogs, der Zivilisation und der Kulturen ausgerufen worden. Insofern ist es gut, dass die Auswär- tige Kulturpolitik im letzten Jahrzehnt einen Bedeutungs- zuwachs bekomme hat, den vorher niemand angenommen hätte. Die Bundesregierung und das Auswärtige Amt ha- ben auf die Veränderungen der internationalen Umwelt reagiert. Die Auswärtige Kulturpolitik wird in der Außen- politik der Bundesrepublik eine wichtigere Rolle spielen, als dass bisher der Fall war. Auch global wird die Rolle der Kultur in den internationalen Beziehungen zuneh- mend beachtet. Damit finden Akzentverschiebungen in der Außenpolitik statt, die den Veränderungen in einer globalisierten Welt gerecht werden. Wir haben es momentan in der Welt fast ausschließlich mit ethnisch oder religiös motivierten Konflikten zu tun, also mit kulturellen Konfliktfaktoren. Die klassischen Konflikte um Land oder Ressourcen werden in der Be- deutung zurückgedrängt. Konflikte um Wasser werden in der Zukunft dramatisch werden. Aber die kulturellen Aus- einandersetzungen nehmen in ihrer Schärfe zu. Die Bun- desregierung hat diese veränderten Vorzeichen erkannt und mit der „Konzeption 2000“ für die Auswärtige Kul- turpolitik des Auswärtigen Amtes reagiert. Dort werden viele Gedanken aufgenommen, die den kulturellen inter- nationalen Beziehungen einen sicherheitspolitisch rele- vanten, weil präventiven Charakter zuweisen. Damit wird aufgezeigt, worum es in Zukunft gehen muss: Das Verstehen des anderen, der Respekt vor anderen kulturellen Eigenarten, Gebräuchen und Sitten, das ge- genseitige Geben und Nehmen, also die vom Auswärtigen Amt so genannte „Zweibahnstrasse“, sind der Weg, der in der internationalen Zusammenarbeit in Zukunft verstärkt gegangen werden muss. Damit rede ich nicht einem kulturellen Relativismus das Wort. Natürlich wollen wir auch unsere Werte vermitteln. Das gilt sowohl für demokratische Strukturen als auch für die Beachtung der Menschenrechte. Man sollte nicht argu- mentieren, dass ein anderes Menschenbild eben etwas sei, kulturell geprägt und deshalb per se nicht angreifbar sei. Dies wurde jahrelang mit den Wirtschaftswunderländern in Südost- und Nordostasien gemacht. Das waren zum größ- ten Teil Scheinargumente, die nur dazu dienen sollten, das wirtschaftliche Wachstum nicht zu gefährden. Ich will ausdrücken, dass wir verstehen müssen, mit wem wir es zu tun haben, dass wir in einen echten Dialog eintreten müssen und zwar innen und außen. Wir müssen bereit sein, den anderen mit all seinen Motivationen zu verstehen und wir dürfen erwarten, dass uns die gleiche Aufmerksamkeit entgegengebracht wird. Nur so kann es gelingen, Konflikte schon frühzeitig zu erkennen und sie zu verhindern, und zwar lange bevor Polizeieinsätze nötig sind oder Soldaten eingesetzt werden müssen. Die „Kon- zeption 2000“ des Auswärtigen Amtes hat diesen Gedan- ken aufgegriffen und ihn für die Teilbereiche der Auswär- tigen Kulturpolitik weiterentwickelt. Der hier debattierte Bericht der Bundesregierung zeigt, dass in dieser Hinsicht einiges auf den Weg gebracht wurde. Schon seit Antritt der Regierung von Gerhard Schröder und Joschka Fischer stand die konzeptionelle, strukturelle und inhaltliche Neuausrichtung auf der Tagesordnung. Sie wis- sen alle, dass auch die Auswärtige Kulturpolitik von den notwendigen Sparmaßnahmen nicht verschont wurde. Das konnte sie gar nicht. Dennoch ist es gelungen – dies zeigt der hier debattierte Bericht der Bundesregierung – die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2001 14083 (C) (D) (A) (B) Auswärtige Kulturpolitik neu zu positionieren und als wichtigen Pfeiler in die Außenpolitik zu integrieren. Das war nicht nur wegen der veränderten politischen Rahmen- bedingungen nötig, sondern es ist auch eine Reaktion auf die Entwicklungen in Kommunikation und Medien. Trotz aller Sparmaßnahmen ist es gelungen, beispiels- weise die Arbeit der Goethe-Institute sogar zu verbessern, indem „Goethe“ und Inter Nationes fusionierten. Dies ist ein Beispiel dafür, wie es trotz oder vielleicht gerade we- gen der Einsparungen zu einer Effizienzsteigerung in der internationalen Kulturarbeit gekommen ist. Dabei sind die Verbesserungen in der strukturellen Arbeit erst am Anfang. Die Einsparungen haben auch nicht verhindert, dass einer der Schwerpunkte der Auswärtigen Kulturpolitik, die Förderung der deutschen Sprache, vorangetrieben wurde. Hier wurden neue regionale Schwerpunkte ge- setzt und die Förderung auf Multiplikatoren verstärkt. Auch das diente der Effizienzsteigerung. Die vorsichtig erfolgte „Regionalisierung“ der Sprachförderung steht dabei in Einklang mit den Zielen der allgemeinen Außen- politik. Aber in den westeuropäischen Staaten, besonders in Frankreich, sinkt die Zahl der Deutsch-Schüler. Die Ori- entierung der jungen Leute in den osteuropäischen Län- dern an den angelsächsischen Sprachen bedeutet, dass be- sondere Bemühungen notwendig sind, damit Deutsch wenigstens als zweite Sprache präsent ist. Auswärtige Kulturpolitik wird heute ganz anders wahrgenommen als noch vor zehn Jahren. Sie dient darü- ber hinaus anderen Zwecken als vorher. Wir haben es mit völlig veränderten Wünschen zu tun, was die Adressaten unserer Kulturpolitik angeht. Das gilt vor allem für den Bereich der neuen Medien. Sie haben eine zunehmende Bedeutung auch in den internationalen Kulturbeziehun- gen. Deshalb haben wir inzwischen Kulturportale im In- ternet. Die Entwicklung in diesem Bereich bedeutet auch, dass wir über das Deutschlandbild, das wir transportieren wollen, neu nachdenken müssen. Für die Deutsche Welle haben wir damit begonnen. Dies kann aber nur ein erster Schritt sein. Die neuen Technologien haben die Welt der Kommunikation rasant verändert, wobei es nicht nur um die Schnelligkeit dieser Veränderungen geht, sondern auch und vor allem um die Qualität. Für die Auswärtige Kulturpolitik bedeutet dies, dass sie sich über die Zielgruppen dieser Politik Gedanken ma- chen muss. Sicher kann es nicht darum gehen, altbewährte Programme völlig preiszugeben; da bin ich konservativ. Vielmehr muss es sinnvolle Ergänzungen geben, die den Zielgruppen und deren „Nutzerverhalten“ gerecht werden können. Einem der grundlegenden Anliegen der AKP, der Förderung der deutschen Sprache, kann hier meines Er- achtens besonders gedient werden. Es ergeben sich neue Vertriebswege für Hörfunkprogramme und Sprachkurse, die vorher nicht da waren. Das Goethe-Institut hat in Zu- sammenarbeit mit Inter Nationes, der Deutschen Welle und dem Auswärtigen Amt einen neuen Multi- media-Sprachkurs entwickelt, der ab diesem Jahr über Fernsehen, Internet und Hörfunk angeboten wird. Das ist ein viel versprechender Weg, die Menschen über neue Wege und neue Zielgruppen zu erreichen. Noch ein Wort zum Haushalt: Die Mittlerorganisatio- nen der Auswärtigen Kulturpolitik haben in den letzten Haushaltsrunden Einschränkungen hinnehmen müssen. Dieser Beitrag ist von allen gefordert. Wir haben aber er- lebt, dass dadurch Effizienzsteigerungen erreicht werden konnten. Die Fusionierung von Goethe-Institut und Inter Nationes habe ich bereits erwähnt. Außerdem sind wir durch die Sparpolitik gefordert, intelligente und innova- tive Lösungen zu finden, die die Ziele der Auswärtigen Kulturpolitik fördern. Ich plädiere entschieden dafür, die Goethe-Institute zu budgetieren, damit die Prioritäten be- züglich Personal und Sachmittel jeweils vor Ort gesetzt werden können. Dazu brauchen wir die Zusammenarbeit von allen Beteiligten, auch hier im Bundestag. Die Auswärtige Kulturpolitik ist eigentlich nie ein Feld großer parteipolitischer Auseinandersetzungen gewesen. Diesen breiten Konsens wünsche ich mir auch für die Zu- kunft. Es kann der Sache nur dienlich sein, vor allem dem Deutschlandbild im Ausland. Gerade hier in Deutschland haben wir im Moment viel zu leisten. Die Auswärtige Kulturpolitik ist das geeignete Feld dazu. Nirgendwo sonst kommen so viele Menschen mit Deutschland in Berührung. Denken wir an den Austausch von Wissen- schaftlern und Studenten, an Konzertreisen, an die Aus- landsschulen, um nur einige Beispiele zu nennen. Das al- les sind unsere Bühnen. Dazu müssen wir aber auch verstärkt die kulturell arbei- tenden Gruppen in der Gesellschaft unterstützen. Theater, Musikgruppen, Filmemacher, Autoren und alle anderen, die sich um den Austausch der Kulturen kümmern, brau- chen einen sicheren Rahmen für ihre Arbeit. Deshalb fängt Auswärtige Kulturpolitik im Inland an. Beispielsweise müssen wir die Besteuerung ausländischer Künstler redu- zieren, damit sie für die deutschen Veranstalter finanzierbar bleiben. Ich rede hier nicht von Michael Jackson oder Luciano Pavarotti. Die kleinen Veranstalter haben inzwi- schen Probleme, Künstler aus dem Ausland zu engagieren, weil bis zu 40 Prozent der Gage ans Finanzamt gehen. Das ist einem lebendigen Kultur-austausch nicht förderlich. Wir können auch in Deutschland nicht das „Jahr des Dialogs der Kulturen“ begehen, ohne uns über notwen- dige und wirksame Strukturen und Rahmenbedingungen eines solchen kulturellen Dialoges Gedanken zu machen. Wenn dazu Dinge reformiert und neu gedacht werden müssen, so müssen wir das tun. Der Dialog ist die Zukunft der internationalen Bezie- hungen. Ich meine damit nicht den Dialog an den Konfe- renztischen. Das funktioniert – meistens. Ich rede von ei- nem Dialog über Werte, Vorstellungen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Das ist ein Dialog über Kultur, durch den wir lernen, was der Andere denkt, fühlt und will. Es geht um Bedeutungen. Hier besteht ein großes friedens- förderndes Potenzial für die internationale Politik. Es darf nicht unterschätzt werden. Der Bericht der Bundesregierung über die Auswärtige Kulturpolitik gibt viele Anhaltspunkte dafür, dass es in diese Richtung geht. Der insgesamt höhere Stellenwert, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 200114084 (C) (D) (A) (B) den Kultur und Kulturpolitik seit 1998 in der Bundespo- litik genießen, wird auch in der AKIP deutlich. Dieser Weg ist richtig; er wird der höheren Bedeutung der Kul- tur in der Außenpolitik gerecht. Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „In- ternational kann in Medizin und Biologie in der Spitzen- forschung nur mitspielen, wer mindestens Lesefähigkeit im Deutschen besitzt.“ Ist das Wunschdenken? Im ersten Drittel des letzten Jahrhunderts entsprach dieser Satz der Wirklichkeit. Heute ist Deutsch nur noch relikthaft inter- nationale Wissenschaftssprache. Der Anteil der na- turwissenschaftlichen Publikationen lag 1996 bei 1,2 Pro- zent, der Anteil der englischen bei 90,7 Prozent. Warum soll man im Ausland heute noch Deutsch lernen? Wer in der ganzen Welt zu Hause ist, braucht kein Deutsch, we- der als Global Player, noch als Tourist. Die Bedeutung der Sprache ist nur ein Beispiel für die vielen Veränderungen, mit denen wir in der kulturpoliti- schen Landschaft konfrontiert werden. Die rasanten Ent- wicklungen, die die modernen Gesellschaften durchlau- fen, können verwirren, verunsichern, verängstigen. Globalisierung schafft Nähe, wo vorher keine war, ermög- licht uns die Auseinandersetzung mit dem, was uns eben noch fremd war. Wir sind auf allen Ebenen gefordert: nicht nur wirtschaftlich-technisch, sondern auch in der persönli- chen Begegnung, in der Kommunikation, im Dialog. Dialog, das ist das Stichwort für die neue konzeptio- nelle Ausrichtung der Auswärtigen Kulturpolitik. Unsere Gesellschaft, mit der wir die Herausforderungen von tech- nischer Entwicklung und Globalisierung erfolgreich be- stehen wollen, setzt auf Freiheit und auf mündige Bürge- rinnen und Bürger. Der kulturelle Dialog hat auch die Stärkung der Zivilgesellschaft zum Ziel. Begegnung, Ge- spräch und Reibung haben Sich-Kennen- und Verstehen- Lernen, Vertrauensbildung und Sympathieerwerb zur Folge. Deshalb bin ich besonders froh, dass das Goethe-Institut schon bald in Teheran, Algier und Ha- vanna anzutreffen sein wird. Das sind Orte, die dringend der Öffnung und Stärkung der Zivilgesellschaft bedürfen. Die Freiheit von Kunst und Kultur in Europa und in un- serem Land überall in der Welt bekannt zu machen, das heißt auch, für ihre demokratische Grundlage zu werben. Die Mittlerorganisationen deutscher Kultur arbeiten auf- grund unserer Geschichte unabhängig und ihre staatsferne Organisation kommt den schwierigen Arbeitsbedingun- gen in vielen Ländern entgegen. Allerdings haben wir den Mittlerorganisationen Vorga- ben im Rahmen notwendiger Strukturreformen gemacht. Wozu den Vorgängerregierungen immer der Mut fehlte, wurde endlich angepackt: Goethe-Institut und Internatio- nes zu fusionieren, war seit langem notwendig und zeigt, dass wir knappe Ressourcen besser zu nutzen suchen. Für mich ist aber auch klar: Wer mit weniger Mitteln effekti- ver arbeiten muss, braucht eine größere Flexibilität in der Mittelverwaltung. Lassen Sie mich kurz auf die Auslandsschulen eingehen. Erstens, der Bau neuer deutscher Schulen kann vor Ort nicht nur besser und schneller, sondern auch kostengünsti- ger geplant und realisiert werden. Zweitens, wir setzen auch im Schulbereich auf europäische Zusammenarbeit, zum Beispiel auf das Modell der so genannten Euro-Cam- pus-Schulen. Kooperationen zwischen Frankreich und Deutschland gelingen unter anderem in Manila und Schanghai; mit England arbeiten wir in Taiwan zusammen. Neben den Mittlerorganisationen und den deutschen Schulen im Ausland haben Austauschprogramme die weit reichendsten Erfolge, wenn es darum geht, deutsche Spra- che und Kultur ins Ausland zu vermitteln. Der Studieren- den- und Wissenschaftleraustausch ist uns deshalb ein wichtiges Anliegen. Wir haben im Haushalt 2001 das Sti- pendienprogramm nicht nur erhalten, wir haben es sogar noch mit einer soliden, längerfristigen Planung ausgebaut. Noch ist Deutsch die dritthäufigst gelernte Fremdspra- che der Welt. Die Tendenz ist rückläufig. Nur solange die deutschsprachigen Länder technologisch und wirtschaft- lich vorne mitspielen, bleibt Deutsch eine wichtige Fremdsprache. Aber: Es geht um mehr als die Hitliste im Sprachenranking: Kreative Menschen, Multiplikatoren und künftige Entscheidungsträger im Ausland zu fördern und sie an Deutschland und seiner Entwicklung zu inte- ressieren, muss unser Ziel sein. Und ich frage mich, wie wir dieses Ziel erreichen, wenn in Reiseführern über Deutschland davor gewarnt wird, als Mensch mit nicht weißer Hautfarbe bestimmte Regionen Deutschlands zu meiden. Selbst im Internet hätte ein fiktives Deutschlandbild keinen Bestand! Auswärtige Kulturpolitik kann nur das vermitteln, was hier lebendig ist. Und da war die Debatte um die so genannte Leitkultur alles andere als hilfreich. Lassen Sie uns hier alles tun, damit wir auch nach außen zu Recht das Bild einer offenen und toleranten Ge- sellschaft vermitteln können, die den Anforderungen der Moderne gewachsen ist. Ulrich Irmer (F.D.P.): Es ist selbstverständlich, dass die neuen außenpolitischen Herausforderungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts auch ein Umdenken in der auswärti- gen Kulturpolitik erforderlich machen. Niemand wird da- her Zweifel daran haben, dass die vor 25 Jahren von der Enquete-Kommission des Bundestages festgeschriebenen Leitlinien neu definiert werden müssen. Den zweifellos großen Herausforderungen für eine Auswärtige Kulturpolitik im 21. Jahrhundert stehen je- doch knappe Mittel gegenüber. Der Kulturhaushalt des Auswärtigen Amtes wird bis 2003 um weitere 10 Prozent, das heißt um circa 130 Millionen DM schrumpfen. Mit der so genannten Konzeption 2000 für die Auswärtige Kulturpolitik versucht nun das Auswärtige Amt, aus der Not eine Tugend zu machen. Sicherlich ist es richtig, dass Sparzwänge auch Chancen für Reformen und Neubeginn bieten. Aber sie setzen Mut zur Innovation voraus. Aus meiner Sicht könnten erhebliche Synergie- und gleichzeitig auch Einspareffekte durch die Bündelung der zurzeit auf sechs Bundesressorts verteilten Zuständig- keiten für unterschiedliche Aspekte der Auswärtigen Kul- turpolitik erreicht werden. So ist es zum Beispiel über- haupt nicht einzusehen, weshalb Sprachkurse für deutsche Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2001 14085 (C) (D) (A) (B) Minderheiten in Mittel- und Osteuropa über das BMI fi- nanziert werden, Sprachkurse des Goethe-Institutes indes- sen im Haushalt des Auswärtigen Amtes ressortieren. Ferner sollten folgende Maßnahmen bei einer Reform der auswärtigen Kulturpolitik im Vordergrund stehen: eine Reduzierung des Anteils der Personal- und Verwaltungs- kosten, nicht nur bei den Auslandsschulen, sondern auch wie zuletzt vom Bundesrechnungshof gefordert beim Goethe-Institut; eine verstärkte Übertragung von Einzel- bereichen bei Mittleraktivitäten, zum Beispiel des Sprach- unterrichtes in private Trägerschaft; eine Modernisierung und Straffung des weltweiten Netzes des GoetheInstitutes. In der Personalpolitik sollten die Kulturmittler, insbe- sondere Goethe-Institute und Auslandsschulen, zukünftig verstärkt auf die erheblich kostengünstigeren Ortskräfte zurückgreifen. Schließlich sollten die Möglichkeiten des Einsatzes von Sponsormitteln der Wirtschaft und privater Stiftun- gen besser genutzt werden. Die Konzeption 2000 bietet zwar Ansätze hierfür; sie sind jedoch noch zu halbherzig. Warum sollte es beispielsweise nicht möglich sein, im Rahmen unserer Sprachförderung berechtigte Anliegen unserer Exportwirtschaft zu berücksichtigen? Was wäre dagegen einzuwenden, wenn Industrie und Wirtschaft mehr Patenschaften für deutsche Auslandsbibliotheken übernähmen und im Zusammenhang mit den Mittlern bei Kulturveranstaltungen verstärkt als Sponsoren aufträten? Könnte nicht unsere Stipendienpolitik zumindest in Teil- bereichen durch kofinanzierte Programme mit den Inte- ressen der Wirtschaft in Einklang gebracht werden? Wäre es nicht sinnvoll, dass unsere exportorientierten Unter- nehmen sich verstärkt an der Finanzierung und Unterhal- tung von Auslandsschulen beteiligen? Ist es wirklich un- denkbar, dass zum Beispiel der Börsenverein des deutschen Buchhandels Gelegenheit erhielte, in ausge- wählten Goethe-Instituten deutsche Literatur – von der Belletristik bis zum Fachbuch – auszustellen oder viel- leicht sogar zu verkaufen? Was spricht eigentlich dage- gen, im Ausland verstärkt deutsche Häuser zu fördern, un- ter deren Dach Auslandshandelskammern, deutsche Firmen, Wirtschaftsverbände und Kultureinrichtungen untergebracht sind? Durch derartige Gemeinschaftsstruk- turen würden nicht nur Kosten gespart, sondern erhebli- che Synergieeffekte erzielt. Eine derartige Arbeitsteilung darf jedoch nicht ledig- lich finanztechnisch motiviert sein. Die gemeinsame Übernahme von Verantwortung öffentlicher und privater Träger wäre auch geeignet, einen kulturellen Wert an sich zu vermitteln, der das Wesen unserer Demokratie aus- macht, das Zusammenspiel von Staat und Bürgergesell- schaft. Wichtig ist hierfür, dass Kultur und Kommerz ihre Berührungsängste abbauen, die gemeinsamen Interessen erkennen und die verbindenden Elemente verstärken. Deutschland wird auch künftig weltweit nur dann Erfolg haben, wenn es Wirtschafts- und Kulturnation bleibt. Dies sind zwei Seiten derselben Medaille. Ausgesprochen fragwürdig ist indessen die Definition der Konzeption 2000 einer Auswärtigen Kulturpolitik als integralem Bestandteil einer auf Konfliktprävention und Friedenssicherung ausgerichteten deutschen Außenpoli- tik, deren Ziel die Stärkung von Zivilgesellschaften und der Herrschaft des Rechts als Schlüssel zu einer mensch- lichen und friedlichen Globalisierung sein soll. Einem derartig hehren Ziel kann man zwar nicht grundsätzlich widersprechen. Problematisch wäre es jedoch, wenn man die auswärtigen Kulturbeziehungen politisieren und den interkulturellen Dialog von politischem Wohlverhalten abhängig machen wollte. Die „FAZ“ bemerkt zu diesem Ansatz: „Autoritärer ist seit der Gründung der Bundesre- publik bisher keine auswärtige Kulturpolitik aufgetreten.“ Demokratieförderung, Menschenrechte, Nachhaltig- keit des Wachstums, Armutsbekämpfung und Schutz der natürlichen Ressourcen sind klassische Ziele der Ent- wicklungs- und Menschenrechtspolitik, die zwar auch die Kulturbeziehungen insofern berühren, als sie unser gesellschaftliches Wertesystem zum Ausdruck bringen, deren Umsetzung jedoch nicht prioritäre Aufgabe der aus- wärtigen Kulturpolitik sein kann. Auswärtige Kulturpoli- tik kann Friedens- und Sicherheitspolitik nicht ersetzen. Es wäre ein ziemlich dreistes Beispiel deutschen Missio- narsdrangs, deutsche Kulturmittler als Friedensbringer in die Welt zu entsenden. Zu begrüßen ist hingegen, dass sich die Konzeption 2000 zukünftig prioritär auch dem wechselseitigen Know-how-Transfer widmen will. Der Förderung der Wissenschaft und des Hochschulwesens sollten in der auswärtigen Kulturpolitik in der Tat mehr Bedeutung zu- kommen. Im zusammenwachsenden globalen Dorf wird der mul- tilateral koordinierten Auswärtigen Kulturpolitik eine im- mer wichtigere Rolle zufallen. Bedauerlicherweise ist die Koordinierung zwischen bilateraler und multilateraler Auswärtiger Kulturpolitik sowohl auf der Ebene staat- licher Stellen als auch der Mittlerorganisationen, ähnlich übrigens wie im Bereich der Entwicklungszusammenar- beit, nur sehr schwach ausgeprägt. Gerade im Zuge der bevorstehenden institutionellen Reformen der EU sollten wir auf eine stärkere Rolle einer gemeinsamen europä- ischen Auswärtigen Kulturpolitik drängen. Eine verge- meinschaftete Außen- und Sicherheitspolitik wäre ohne eine kulturelle Dimension unvollständig. Dies wird aber auch Wirkung in den außereuropäi- schen Raum haben. Jean Monet wird das kluge Wort zu- geschrieben, die europäische Einigung müsse mit der Kultur beginnen. Gerade die deutsche Auswärtige Kultur- politik sollte integraler Bestandteil eines derartigen Pro- zesses sein. Es wäre zu hoffen, dass dies zu einer Ent- wicklung führt, in der die Interaktion der Kulturen zunehmend zu einer bestimmenden Kraft wird, sowohl beim Zusammenwachsen Europas als auch bei der Aus- strahlung Europas auf die Welt. Dr. Heinrich Fink (PDS): Die Bundesregierung hat mit ihrem Amtsantritt 1998 für die auswärtige Kulturpo- litik neue Richtlinien vorgegeben, die den Bedingungen einer sich verändernden Welt stärker Rechnung tragen sollen. Als Prämissen auch der Auswärtigen Kulturpolitik benennt sie im vorliegenden Bericht: Sicherung des Frie- dens, Konfliktverhütung, Verwirklichung der Menschen- rechte, partnerschaftliche Zusammenarbeit. Dem stimmt die PDS ohne Vorbehalt zu. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 200114086 (C) (D) (A) (B) Bleiben wir bei der partnerschaftlichen Zusammenar- beit. Diese setzt Gleichberechtigung voraus, soll es einen wirklichen Dialog der verschiedenen Kulturen geben. Sie sollen Verständnis füreinander wecken. Sie sind damit das Gegenteil von Versuchen, Wertvorstellungen zu exportie- ren. Dies wäre nicht im Sinne der genannten Prämissen. Doch leider werden sie gelegentlich verlassen. Wenn zum Beispiel ein Ziel der deutschen Schulen in Osteuropa die Annäherung dieser Länder an so genannte euro-atlanti- sche Strukturen sein soll, halte ich dies nicht einem Dia- log von Kulturen für nicht angemessen. Dies gilt ebenso dafür, dass Hauptzielgruppen für unsere Kulturpro- gramme die aktuellen und künftigen Führungsgruppen in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft der anderen Länder sein sollen. Diese Ausprägung des Dialogs halte ich für ausgesprochen paternalistisch. Als sehr wohltuend allerdings empfinde ich den plura- listischen Ansatz in Bezug auf die Präsentation, der die deutschen Beiträge im Ausland betrifft; da besonders die Feststellung: „In Deutschland herrscht Kulturfreiheit. Es gibt keine Staatskultur.“ Und ich folgere: Demzufolge gibt es auch keine Leitkultur. Namens der PDS begrüße ich diese Vorgaben aus- drücklich. Gleichzeitig kann ich aber nicht verschweigen, dass der Bericht über deren inhaltliche Aussagen wenig mitzuteilen hat. Dies vermisse ich besonders bei den aka- demischen Austauschprogrammen, bei Medien wie der Deutschen Welle, auch der Präsentation deutscher Kunst im Ausland und umgekehrt ausländischer Künstler hier. Gerade über Letzteres müsste die Öffentlichkeit mehr er- fahren, als dass Auftritte von Gästen besonders aus Ent- wicklungs- und osteuropäischen Ländern wegen deren enger finanzieller Möglichkeiten stark begrenzt sind. Das gleiche betrifft die Goethe-Institute, deren Mit- glied ich bin und auch deshalb dem Bericht gern mehr über ihre Zukunft entnommen hätte. Eine Bemerkung, von der Sie vielleicht meinen, sie wäre hier nicht angebracht, möchte ich noch machen: Bei der gegenwärtigen Diskussion über Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit hierzulande wird Nichtwissen über andere Kulturen als eine wesentliche Ursache ge- nannt. Hier könnte doch gerade die auswärtige Kulturpo- litik Mittlerdienste leisten. Der Bericht vermerkt zu dieser Aufgabenstellung jedoch nichts. Zwar wird der Anspruch formuliert, es dürfe „keinen einseitigen Kulturexport“, sondern müsse „einen Austausch in beide Richtungen“ geben. Der Kontext allerdings vermittelt den Eindruck, dass der deutschen Darstellung im Ausland doch erheb- lich mehr Engagement und Mittel eingeräumt werden als der Präsentation anderer Kulturen hier. Anhaltspunkte, ob und – wenn ja – wie dies anders werden soll, fehlen. Ich wünschte, mehr – oder besser: Genaueres – über die deutschen Schulen im Ausland zu erfahren als nackte Zah- len über Etats und Lehrer. Wie haben sich die Lehrinhalte verändert bzw. sollen sie es? Der Bericht vermerkt mit Be- friedigung, dass die deutsche Exportindustrie weiter auf sie zählen könne. Das halte ich nicht für eine erst-rangige Aufgabe der Kulturpolitik. Da hatte ich nach der Juli-Rede des Bundesaußenministers zur auswärtigen Kulturpolitik anderes erhofft: „Die deutschen Schulen“, so Fischer sein- erzeit, „sind weit mehr als die Basislager der deutschen Exportwirtschaft. Wir müssen sie in die Lage versetzen, noch mehr als bisher als Ort der Begegnung zweier Kultu- ren in die Gastländer auszustrahlen.“ Seine bemerkens- werte Schlussfolgerung daraus: „Deshalb brauchen wir auch hier mehr Geld.“ Im Bericht heißt es jetzt allerdings: Die Auslandsschulen bleiben von den Sparmaßnahmen der Bundesregierung nicht ausgenommen. Die Kürzungen ziehen sich im Übrigen durch nahezu alle anderen Einzelposten in Sachen Auslandskultur – eine Folge des vorgegebenen Gesamteinsparvolumens von 130 Millionen DM. Nun stehe ich zwar auch auf dem Standpunkt, dass nicht allein viel Geld den vorgegebenen Zielen zur Verwirklichung hilft. Gerade deshalb habe ich nach den Inhalten gefragt. Doch wenn im konkreten Fall eine Kulturveranstaltung eines afrikanischen Landes in Deutschland nicht stattfindet, weil sie nicht gefördert wer- den kann, bleibt der hehre Anspruch des Dialogs doch wohl aus Geldgründen auf der Strecke. Ich erinnere da al- lerdings noch einmal an die erwähnte Rede des vorgestern hier so gescholtenen Außenministers: „Weder für die in- nere Entwicklung Deutschlands noch für die elementaren Ziele der deutschen Außenpolitik ist die auswärtige Kul- turpolitik eine Art Sahnehaube, auf die man in Zeiten des Sparens ohne Not verzichten kann. Wer solche Illusionen pflegt, der verkennt die Realitäten der Welt von heute und legt zugleich die Hand an den Ast, auf dem wir alle sit- zen.“ Wo er Recht hat, hat er Recht. Dr. Christoph Zöpel (SPD): Der Bericht der Bundes- regierung zur Auswärtigen Kulturpolitik für das Jahr 1999 ist dem Hause im vergangenen Dezember zugeleitet wor- den. Ich möchte an dieser Stelle den Schwerpunkt auf zwei Themen legen, die seitdem und in der Zukunft be- sondere Herausforderungen an die Auswärtige Kulturpo- litik stellen. Dies sind der „Dialog der Kulturen“ sowie „Bildung und Hochschulen“. Zum Bezugsjahr 1999 nur so viel: Das Jahr stand im Zeichen der in der Koalitionsvereinbarung beschlossenen Neuausrichtung und Anpassung der Auswärtigen Kultur- politik und der Kürzungen im AKP-Haushalt durch das von der Bundesregierung beschlossene Sparprogramm. Die Neuausrichtung führte nach vielfältigen Beratungen mit den beteiligten Ressorts der Bundesregierung, den AKP-Mittlerorganisationen und den Ländern sowie Dis- kussionen im Ausschuss für Kultur und Medien dieses Hauses Mitte 2000 zur Vorstellung der „Konzeption 2000“. Das Sparprogramm fordert von uns ein Einspar- volumen von 130 Millionen DM zwischen 2000 und 2003. Dies bedeutet Einschnitte in gewachsene Struktu- ren, die möglichst sinnvoll erfolgen und aufgefangen werden müssen. Die in der vergangenen Woche auch ju- ristisch vollzogene Fusion von Goethe-Institut und Inter Nationes ist ein aktueller Schritt in die richtige Richtung. Nun zum Dialog der Kulturen. Die Rahmenbedingun- gen sind bekannt: Die Globalisierung lässt Menschen mit verschiedenen politischen, ethischen und religiösen Vor- stellungen einander immer näherrücken, über die elektro- nischen Medien werden Inhalte und Aussagen in Minu- tenschnelle um den Globus transportiert. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2001 14087 (C) (D) (A) (B) Kein Zweifel: Die Globalisierung enthält auch ein Po- tenzial an Konfliktstoffen. Daher muss sie politisch be- gleitet werden. Die Vereinten Nationen haben auf irani- sche Initiative und mit Unterstützung der EU das Jahr 2001 zum Jahr des Dialoges der Kulturen ausgerufen, und zwar des Dialoges zwischen und innerhalb von Kulturen. Die Internationale Parlamentarier Union (IPU) hat ihre letzte Konferenz in Amman unter anderem diesem Thema gewidmet. Bundespräsident Rau hat von seinem Amts- vorgänger die Schirmherrschaft über eine entsprechende Initiative zur „Zukunft der Beziehungen zwischen westli- chen und islamischen Gesellschaften“ übernommen. Die Auswärtige Kulturpolitik ist das Instrument schlechthin, um diesen Dialog zu fördern. Mit ihren viel- fältigen Austauschprogrammen für Schüler, Jugendliche, Studierende und Akademiker, mit Auslandsschulen wirkt sie langfristig und nachhaltig in andere Gesellschaften hinein und öffnet sich zugleich der interkulturellen Zusammenarbeit. Mit der Förderung der deutschen Spra- che vermittelt sie den wichtigsten Schlüssel zum Ver- ständnis unserer Kultur. Sie wirkt in zwei Richtungen, sorgt für Verbreitung eines zeitgemäßen Deutschlandbil- des, aber auch für größere Vertrautheit Deutscher mit an- deren Ländern, Kulturen und Gepflogenheiten. Auswärtige Kulturpolitik muss zu Hause beginnen – Dies gilt auch für den Dialog der Kulturen. Wenn es nicht gelingt, das Vorhandensein verschiedener kultureller Prä- gungen in Deutschland friedvoll auszuhalten und zu nut- zen, anderen ihre Andersartigkeit ohne Furcht, Neid oder Groll zuzugestehen, wie sollten wir dann am Dialog der Kulturen im weltweiten Maßstab erfolgreich teilnehmen? Für die Auswärtige Kulturpolitik ist dies ein wesentlicher Punkt: Die besten Austauschprogramme und ausgeklügelte Werbung für den Hochschulstandort Deutschland werden in ihrer Wirkung durch fremdenfeindliche Ausschreitungen empfindlich getroffen. Wir müssen alles unternehmen, um im Ausland wieder als ein offenes und gastfreundliches Land wahrgenommen zu werden und als ein Land, das die Würde des Menschen bewusst zu einem Eckstein seiner Verfassung erkoren hat. Was wir im Guten und im Schlechten den Aus- ländern in Deutschland antun, tun wir uns selbst an. Damit komme ich zu meinem zweiten Punkt: Bildung und Hochschulen. Die Gesellschaften von morgen wer- den in immer stärkerer Weise Informations- und Wissens- gesellschaften sein. Globalisierung bedeutet für die In- dustrieländer mehr Konkurrenz, gerade auch auf den Ge- bieten von Wissen und Bildung. Wirtschaftlicher Erfolg hat die langfristige Sicherung von Know-how zu seiner Bedingung und Voraussetzung. Deutschland als stark ex- portorientiertes Land ist darauf angewiesen, in diesem Wettbewerb zu bestehen. Die Einführung der Green- Card-Regelung war nur eine erste Reaktion auf den Be- darf an qualifizierten Fachkräften. Die Berechnungen der Demographen zeigen, dass dieser Bedarf mittel- und lang- fristig noch steigen wird. Es ist daher unsere Aufgabe, im Inland für Rahmenbedingungen zu sorgen, die Deutsch- land aus der Perspektive des Auslands attraktiv machen, die besten Köpfe hier halten und unabhängig von ihrer Herkunft hierher bringen. Auch abgesehen von dem eher wirtschaftlichen Aspekt steht es uns nicht schlecht an, die kulturelle Vielfalt in Deutschland zu fördern. Warum hal- ten sich von weltweit circa 1,6 Millionen Auslandsstu- denten nur 7 Prozent in Deutschland, aber 30 Prozent in den USA auf? Neben Schwierigkeiten bei dem Erlernen der deutschen Sprache sind es mangelndes Interesse an einem rein deut- schen Abschluss und nicht zuletzt die Sorgen wegen mög- licher Bedrohung durch gewaltbereite Extremisten, die weltweit Resonanz finden und negativ wirken. Bei der In- ternationalisierung von Studiengängen, der Einführung von Bachelor- und Masterabschlüssen wurde bereits vieles er- reicht, auch in der Frage der Aufenthaltsberechti-gung der- jenigen Ausländer und Ausländerinnen, die an einer deut- schen Hochschule einen Abschluss erlangt haben. Diese Anfänge müssen zu einer in sich und im Verhältnis zu un- seren Interessen konsequenten Strategie ausgebaut werden. In den genannten Punkten sind auch die Länder gefor- dert. Bund und Länder müssen ihre Anstrengungen weiter gemeinsam unternehmen und eng abstimmen. Die vom Auswärtigen Amt koordinierte Auswärtige Kulturpolitik ergreift ihrerseits die notwendigen Maßnahmen, um im Ausland für den Hochschulstandort Deutschland zu wer- ben und mit dem Instrumentarium der Mittlerorganisatio- nen weitere Verbesserungen zu bewirken. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – Entwurf: Zweites Gesetz zur Änderung des Künst- lersozialversicherungsgesetzes und anderer Ge- setze – Antrag: Reform der Künstlersozialversicherung gerecht gestalten – Antrag: Für eine grundlegende Reform der Künst- lersozialversicherung (Tagesordnungspunkt 20 a und b; Zusatztagesord- nungspunkt 7) Angelika Krüger-Leißner (SPD): Für selbstständige Künstler und Publizisten ist die Künstlersozialversiche- rung seit ihrer Einführung ein unverzichtbarer Bestand- teil ihrer wirtschaftlichen und sozialen Existenz gewor- den. Auch von den abgabepflichtigen Verwertern wird die Künstlersozialversicherung akzeptiert. Diese Errun- genschaft, die auf eine SPD-geführte Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Schmidt zurückgeht, soll erhalten und den neuen Rahmenbedingungen angepasst werden. Die vorgesehenen Neuregelungen bringen notwendige Weiterentwicklungen, ohne die Künstlersozialversiche- rung in ihrer Substanz zu ändern: Der Zugang älterer Künstler und Publizisten zur günstigen Krankenversiche- rung der Rentner und Rentnerinnen wird erleichtert. Die Voraussetzungen für den Versicherungsschutz werden den bei selbstständigen Künstlern und Publizisten häufi- gen Einkommensschwankungen flexibler als bisher ange- passt. Das Verwaltungsverfahren wird im Interesse aller Beteiligten vereinfacht. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 200114088 (C) (D) (A) (B) Der Zugang zur Künstlersozialversicherung wird teil- weise modifiziert, um einem eventuellen Missbrauch zu begegnen. Dies liegt im Interesse aller. So verkürzen wir die „Schonfrist“ für Berufsanfänger, wobei die Versicherungspflicht auch beim Unterschreiten der Geringfügigkeitsgrenze bestehen bleibt, von fünf auf drei Jahre, verlängern aber die Frist um die Zeiträume, wie Mutterschafts- und Erziehungsurlaub, Wehr- und Zi- vildienst oder Arbeitnehmertätigkeiten. Dagegen werden wir für Studenten, die nebenher eine künstlerische oder publizistische Tätigkeit ausüben, die Mitgliedschaft in der günstigen Krankenversicherung nach dem KSVG nicht ermöglichen. Das Gleiche gilt auch für über 65-Jährige, die sich erstmalig über eine künstlerische oder publizisti- sche Tätigkeit den Zugang zum Krankenversicherungs- schutz verschaffen wollen. Diese Veränderungen werden auch von den beteiligten Verbänden begrüßt, da sie den Versicherungsschutz für Künstler und Publizisten wesentlich verbessern. Selbstständige Künstler und Publizisten befinden sich in einer Situation, die der von Arbeitnehmern vergleichbar ist. Sie sind auf die Mitwirkung von Vermarktern oder Ver- wertern angewiesen, die ihre Werke dem Endverbraucher zugänglich machen. Der Gesetzgeber hat sie deshalb in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung pflichtversi- chert. Nach dem KSVG versicherte selbstständige Künst- ler und Publizisten haben wie Arbeitnehmer nur den hal- ben Beitrag zu zahlen. Der Quasi-Arbeitgeberbeitrag wird von den Verwertern aufgebracht und durch den Bundeszu- schuss ergänzt, soweit das Einkommen auf Selbstver- marktung beruht, also ohne Einschaltung von Verwertern. Bei der Novellierung des Künstlersozialversicherungsge- setzes geht es deshalb nicht um tiefgreifende strukturelle Änderungen, sondern vor allem um Anpassungen an ver- änderte Verhältnisse, Klärung von Zweifelsfragen sowie Verbesserungen des Verwaltungsverfahrens. Seit der letzten Novellierung im Jahr 1988 hat sich die Zahl der Versicherten mit rund 107 000 mehr als verdrei- facht. Die Aufwendungen des Bundes sind von 38,7 Mil- liarden DM in 1988 auf 166,5 Milliarden DM gemäß dem Entwurf für den Bundeshaushalt 2001 gestiegen. Dies ist ein Beweis, dass sich der Bund seiner Verantwortung für die Künstlersozialkasse bewusst ist. Der Erfassung der abgabepflichtigen Unternehmer, sprich der Verwerter, kommt eine besondere Bedeutung zu, da sie mit der Künstlersozialabgabe den Teil der Aus- gaben der KSK aufbringen, der nicht durch die Beitrags- anteile der Versicherten und den Bundeszuschuss gedeckt ist. Seit 1989 hat sich die Zahl der durch die KSK erfass- ten Verwerter mehr als verdoppelt. Sie liegt heute bei 35 373. Allein in den letzten fünf Jahren sind 10 000 Ver- werter neu hinzugekommen. Auch wenn die meisten und wichtigsten der in § 24 Abs. 1 Satz 1 KSVG aufgeführten typischen Verwerter von der KSK erfasst sind, so bereitet die Auffindung der Unterneh- men, die Eigenwerbung betreiben oder die unter die Gene- ralklausel des § 24 Abs. 2 KSVG fallen, noch einige Schwierigkeiten; denn weder an ihrem Namen noch an ihrem Geschäftsgegenstand ist zu erkennen, dass eine Ab- gabepflicht besteht. Die lückenlose Erfassung der abgabe- pflichtigen Unternehmen ist weiterhin Ziel der KSK. Dies gilt ebenso für die ausländischen Verwerter. Sofern diese im Inland als Verwerter tätig werden, sind sie ebenso abgabe- pflichtig wie entsprechende inländische Unternehmen. Durch die Bildung von Ausgleichsvereinigungen kann die Abgabepflicht einer Vielzahl gleichartiger Unterneh- men verwaltungsökonomisch geregelt und eine Belastung lediglich einzelner Unternehmer durch die Künstlersozi- alabgabe vermieden werden. Die Absenkung des Bundes- zuschusses durch das Haushaltssanierungsgesetz vom 22. Dezember 1999 von 25 auf 20 Prozent der Ausgaben der Künstlersozialkasse (KSK) und die Einführung eines einheitlichen Abgabesatzes für die Künstlersozialabgabe war eine sachliche Entscheidung aufgrund des vermin- derten Selbstvermarktungsanteils und keine reine Spar- maßnahme im Rahmen der Haushaltssanierung. Der Bundeszuschuss ist insofern flexibel, als er nicht aus einem festen Betrag besteht, sondern mit den Bei- tragsausgaben der KSK für die Versicherten steigt. Eine Rückkehr zur alten Zuschusshöhe, wie sie meh- rere Verbände fordern, ist auch aus Haushaltsgründen ab- zulehnen. Ebenso ist mit dem Vorschlag der F.D.P. zu verfahren, einen festen Abgabesatz von 3,3 Prozent einzuführen. Die- ser wiederum würde einen Bundeszuschuss von circa 25 Prozent bedingen und ihn mittelfristig auf knapp 30 Prozent ansteigen lassen. Eine solche Defizithaftung kann wegen der Haushaltssituation des Bundes nicht ein- geführt werden. Auch die so genannte Korridorlösung mit einer Obergrenze von 25 Prozent und einer Untergrenze von 17 Prozent, die auf einen Vorschlag des Deutschen Kulturrates basiert, ist für den Bund nicht umsetzbar. Weiterhin schlägt die F.D.P. vor – ich zitiere –: Der Bundeszuschuss darf nicht unter die Höhe sin- ken, die den vom Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 8. April 1987 dargestellten An- forderungen entspricht. In einem solchen Fall wird der Künstlersozialabgabesatz gesenkt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entschei- dung aber keine Untergrenze für den Bundeszuschuss festgelegt. Es hat lediglich darauf aufmerksam gemacht, dass der Gesetzgeber bei der Festlegung des Bundeszu- schusses den Selbstvermarktungsanteil berücksichtigen muss. Eine erneute Überprüfung des Selbstvermarktungs- anteils wird aufgrund eines Beschlusses des Rechnungs- prüfungsausschusses des Deutschen Bundestages voraus- sichtlich im Laufe dieses Jahres abgeschlossen sein. Dennoch möchte ich möglichen Befürchtungen nach wei- terer Senkung des Bundeszuschusses gleich entgegentreten. Der Bundeszuschuss in Höhe von 20 Prozent der Ausgaben der Künstlersozialkasse sollte als verträgliche Größe gehal- ten werden. Dafür werde ich mich einsetzen. Schon nach ei- nem Jahr hat sich gezeigt, dass die Aufhebung der Sparten- trennung nach den Bereichen Wort, Musik, bildende und darstellende Kunst viele Vorteile bringt, auch wenn ich aner- kennen muss, dass der Musikbereich besonders belastet wird. Dennoch ist es ein notwendiger Schritt gewesen, da Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2001 14089 (C) (D) (A) (B) sich die heutige Kultur- und Medienlandschaft nicht mehr deutlich voneinander abgrenzen lässt. Auch verfassungs- rechtliche Bedenken wurden geprüft und verworfen. Letztendlich hat sich die Höhe des einheitlichen Abga- besatzes von 4 Prozent im Jahre 2000 auf 3,9 Prozent im Jahre für die Verwerter positiv verändert. Wir werden in den nächsten Wochen noch genügend Zeit haben, über Details der Novellierungen auch mit den Betroffenenverbänden zu diskutieren. Für mich zeigt sich schon heute, dass wir mit dieser Novellierung das KSVG auf die veränderten Bedingungen ausgerichtet haben, die zu Verbesserungen der sozialen Absicherung der Künstler und Publizisten führen wird und das ist zu begrüßen. Andreas Storm (CDU/CSU): Die Künstlersozialver- sicherung wird in diesem Jahr 20 Jahre alt. Sie ist eine wichtige sozialpolitische Errungenschaft, die in den ver- gangenen beiden Jahrzehnten einen großen Beitrag zur Verbesserung der sozialen Absicherung unserer Künstle- rinnen und Künstler geleistet hat. Doch auch an der Künstlersozialversicherung geht die Zeit nicht spurlos vorüber, Reformen sind nötig geworden. Meine Damen und Herren aus der Regierungskoali- tion, in Ihrer Koalitionsvereinbarung vom Herbst 1998 steht zu lesen: „Die neue Bundesregierung wird zur Ab- sicherung der Künstlerinnen und Künstler die Künstler- sozialversicherung verbessern.“ Über zwei Jahre sind seitdem vergangen, von Verbesserungen keine Spur. Im Gegenteil, die erste Maßnahme, die Sie nach dem Regie- rungswechsel im Bereich der Künstlersozialversicherung ergriffen haben, war eine Sparmaßnahme. Mit dem Haus- haltssanierungsgesetz vom Dezember 1999 haben Sie den Bundeszuschuss, der bislang 25 Prozent der Ausgaben der Künstlersozialkasse abgedeckt hat, auf 20 Prozent gesenkt. Damit haben Sie die Künstlersozialversicherung in eine prekäre finanzielle Situation gebracht, und Sie ha- ben bisher keinerlei Anstalten gemacht, diese Sparmaß- nahme im Zuge der Novellierung des Künstlersozial- versicherungsgesetzes wieder rückgängig zu machen. Der Bund zieht sich also teilweise aus seiner sozialpo- litischen Verantwortung für die Künstler zurück und spart damit etwa 40 Millionen Mark im Jahr. Die müssen dafür von den Verwertern aufgebracht werden, und das heißt: Es wird teurer, Künstler zu engagieren, und wo Veranstaltun- gen nicht ausfallen, werden die Honorare gekürzt werden müssen. Was das für die soziale Sicherung der Künstlerin- nen und Künstler bedeutet, will ich Ihnen kurz erläutern. Während das durchschnittliche Einkommen der Arbei- ter und Angestellten im Jahre 2000 53 513 DM betrug, mel- deten die in der Künstlersozialversicherung Versicherten einen Durchschnittsverdienst von gerade mal 21 852 DM, also von nur rund 40 Prozent dessen, was Arbeiter und An- gestellte verdienen. Entsprechend niedrig sind aber auch die Rentenansprüche der Künstlerinnen und Künstler. 40 Prozent des Durchschnittsverdienstes – das macht deutlich, dass hier ein ganz besonderer Ausgleichsbedarf besteht und dass der Bund eine ganz besondere sozialpolitische Verant- wortung für die Künstler hat. Nicht zuletzt durch die anste- hende Rentenreform besteht eine starke Verpflichtung des Bundes, die soziale Sicherung der Künstler finanziell zu unterstützen, um Altersarmut zu vermeiden. Die Absichten der rot-grünen Koalition zur Förderung der Künstlersozial- versicherung sind jedoch weder ein kulturpolitischer Fort- schritt noch eine sozialpolitische Tat. Wenn wir für die Künstler aufgrund ihres extrem nied- rigen Einkommens eine besondere sozialpolitische Schutzwürdigkeit feststellen, dann muss sich diese auch in der Höhe des Bundeszuschusses widerspiegeln. Wenn der Bund schon bei Arbeitern und Angestellten 20 Prozent der sozialen Sicherung durch Steuermittel finanziert, dann müsste es bei den Künstlern doch wohl eher mehr als weniger sein. Wir begrüßen ausdrücklich die Leistungsverbesserun- gen, die der Regierungsentwurf für die Versicherten vor- sieht. Sie sind ein Schritt in die richtige Richtung, weil sie dazu beitragen können, dass die soziale Absicherung be- stimmter Problemgruppen unter den Künstlern verbessert wird. Aber Leistungsausweitungen müssen auch finan- ziert werden. Und da haben Sie genau das Gegenteil von dem vor, was sozialpolitisch geboten wäre. Mit nicht nachvollziehbaren Einsparungen beim Bundeszuschuss riskieren Sie, dass die Künstlersozialversicherung vor die Wand gefahren wird. Durch Ihre Sparsamkeit am falschen Platze werden die Leistungsverbesserungen für die Versi- cherten wieder zunichte gemacht. Als Begründung für die Einsparungen zulasten der Künstlersozialversicherung führt die Bundesregierung an, dass der Selbstvermarktungsanteil mittlerweile we- niger als 50 Prozent betrage und der Bundeszuschuss da- her auch weniger als 50 Prozent des Arbeitgeberanteils decken solle. Verlässliche Zahlen darüber gibt es aller- dings nicht, wie Sie selbst zugegeben haben. Denn das Ifo-Gutachten von 1995 bezeichnen Sie selbst als über- holt, obwohl Sie die Absenkung des Bundeszuschusses auch mit ebendiesem Gutachten begründen. Die Ergeb- nisse einer Überprüfung des Selbstvermarktungsanteils werden nach Angaben der Bundesregierung erst im Laufe des Jahres 2001 vorliegen. Mit anderen Worten: Sie sto- chern derzeit im Nebel und begründen die Einsparungen mit Daten, die gar nicht existieren. Eine sachliche Begründung für die Absenkung des Bundeszuschusses haben Sie also nicht, es wird vielmehr gespart um des Sparens willen. Damit sind Sie im Begriff, die in zwei Jahrzehnten bewährte Künstlersozialversi- cherung zu ruinieren! Auch die Zusicherung der Kollegin Ulla Schmidt, dass der Bundeszuschuss in den nächsten fünf Jahren nicht unter die 20-Prozent-Marke sinken wird, ist keinesfalls ausreichend. Der Bundeszuschuss muss vielmehr ein angemessener Ausdruck der kultur- und sozialpolitischen Verantwortung sein, die der Bund für die Künstlerinnen und Künstler hat. Wir fordern Sie daher auf, den Bundeszuschuss künftig unabhängig vom Selbstvermarktungsanteil festzusetzen. Der Streit um die aktuelle Höhe des Selbstvermarktungs- anteils zeigt doch, dass er als Maßstab für die Festsetzung des Bundeszuschusses untauglich ist, weil er tagespoliti- schen Entscheidungen unterworfen ist und damit Unsi- cherheit bei Künstlern und Verwertern verursacht. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 200114090 (C) (D) (A) (B) Wir sprechen uns hingegen für ein Modell aus, das der Deutsche Kulturrat vor einigen Monaten vorgeschlagen hat. Sein Kern ist ein fester einheitlicher Abgabesatz von 3,3 Prozent für die Verwerter und ein Korridor für den Bundeszuschuss, der zwischen 17 und 25 Prozent liegt. Der Bundeszuschuss soll wie bisher die Einnahmen aus der Künstlersozialabgabe auf 50 Prozent der Ausgaben der Künstlersozialkasse auffüllen. Änderungen im Fi- nanzbedarf der Künstlersozialkasse würden nach diesem Modell grundsätzlich zunächst eine Anpassung des Bun- deszuschusses nach sich ziehen. Damit könnten die teil- weise extremen Schwankungen in der Höhe der Künstler- sozialabgabe, die in der Vergangenheit immer wieder zu Planungsunsicherheiten bei den Verwertern geführt ha- ben, vermieden werden. Erst wenn der flexible Bundeszuschuss die Grenzen des Korridors erreicht, wird auch der Abgabesatz der Ver- werter durch Anhebung oder Absenkung angepasst. Da- mit könnte eine gleichmäßige und ausgewogene Belas- tung der Verwerter einerseits und des Bundes andererseits erreicht werden, die sich objektiv am Fi- nanzbedarf der Künstlersozialversicherung orientiert und das streitanfällige Kriterium des Selbstvermarktungsan- teils entbehrlich macht. Zugleich würde der Bund durch dieses Korridormodell dazu angehalten werden, sich intensiver als bisher um die lückenlose Erfassung der abgabepflichtigen Verwerter zu kümmern und die Trittbrettfahrer in die Pflicht zu neh- men. Gelingt ihm dies, kann der Bundeszuschuss unmit- telbar verringert werden, weil das Aufkommen aus der Künstlersozialabgabe bei gleichbleibendem Abgabesatz ansteigt. Wir halten diesen Vorschlag für einen fairen Ausgleich der Interessen, ohne den die Reform der Künstlersozial- versicherung mit Sicherheit fehlschlagen wird. Denn wenn es nicht gelingt, die Finanzierung der Künstlersozi- alversicherung wieder auf eine solide Grundlage zu stel- len, wird das System insgesamt existenziell gefährdet. Deshalb muss noch in diesem Jahr eine befriedigende Lö- sung des Einnahmenproblems gefunden werden. Wir sind dazu bereit. Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seit 1983 können sich Künstler aller Berufsgattungen in der Künstlersozialversicherung gesetzlich versichern las- sen. Diese Kasse ist bis heute eine hervorragende Ein- richtung und in Europa einzigartig. Die Künstlersozialversicherung hat bei den Künstlern einen guten Ruf, denn sie bietet Ihnen eine gute Absiche- rung. Sie sind gesetzlich kranken- und rentenversichert und müssen die Sozialabgaben arbeitnehmergleich nur zu 50 Prozent zahlen. Weil sich diese Regelung bewährt hat, ist es uns nach den schwierigen Vorgaben durch das Haushaltssanie- rungsgesetz bei der notwendigen Reform um eine mög- lichst große Beibehaltung des Status quo gegangen. Denn gerade für uns Kulturpolitiker sind die Künstler in ihrer Arbeit und ihren Werken so wichtig, dass wir trotz aller Einsparnotwendigkeiten, die ein echter Sparhaushalt er- forderlich macht, bei Ihnen nichts kürzen wollten. Die Re- form der Künstlersozialversicherung ist aber notwendig geworden, weil der Selbstvermarktungsanteil der Künst- ler gesunken ist und damit der Bundeszuschuss nicht auf dem bisherigen Niveau zu halten war. Wir haben aber die Leistungen der KSK optimiert und sie verwaltungstechnisch an den Bund angegliedert. Ins- gesamt ist die Stellung der Versicherten sogar gestärkt worden. Wir mussten allerdings die Verwerter stärker in die Pflicht nehmen. Es waren nicht immer leichte Ver- handlungen mit den Haushalts- und Finanzpolitikern, aber es ist uns gelungen, den Beitragssatz auf 20 Prozent festzuschreiben und so eine noch stärkere Absenkung des Bundesanteils zu verhindern. Unser politisches Ziel ist die Beitragsstabilisierung mindestens bis zum Jahr 2005, da- mit die Künstlersozialversicherung und die in ihr Versi- cherten Planungssicherheit haben. Die Vereinheitlichung des Verwerteranteils auf 4 Prozent ist angesichts der pro- blematischen Situation des Verwerteranteils angemessen und entspricht dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Deutlich sind die Verbesserungen für die Versicherten in folgenden Bereichen: Wir haben durchgesetzt, dass äl- tere Künstler und Publizisten jetzt einen erleichterten Zu- gang zur Krankenversicherung der Rentner erhalten, auch wenn sie schon vor Entstehung der Künstlersozialversi- cherung tätig waren. Mit In-Kraft-Treten des Gesetzes ist es Künstlern und Publizisten möglich, innerhalb von sechs Jahren zweimal die Geringfügigkeitsgrenze zu un- terschreiten, ohne dabei den Versicherungsschutz zu ver- lieren. Das ist eine echte Erleichterung und vor allem ein Zugeständnis an die langjährigen Mitglieder der KSK. Es wird damit flexibel auf die Situation der Künstler reagiert; die mit schwankenden Einkommensverhältnissen rech- nen müssen. Obendrein wird verhindert, dass es zu Mehr- fachprüfungen kommen muss. Es freut mich besonders, dass der Deutsche Kulturrat in seiner Stellungnahme um Kabinettsbeschluss am 14. November 2000 unsere Reform ausdrücklich begrüßt hat. Ihr Geschäftsführer Olaf Zimmermann schreibt: Den Deutschen Kulturrat freut, dass mit dem Kabi- nettsbeschluss zur Reform des Künstlersozialversi- cherungsgesetzes die bereits angekündigten Verbes- serungen für die Versicherten „in trockenen Tüchern“ sind. Einziger Kritikpunkt war die Erhöhung des Verwerteran- teils. Außerdem werden wir uns außerhalb des Gesetzes dafür einsetzen, dass auch wirklich alle Verwerter erfasst werden. Ich weiß, dass diese Aufgabe für die Künstlersozi- alkasse nicht einfach ist, aber ich habe Vertrauen, dass sie das leisten wird. Die Überführung der Künstlersozialkasse in die Bundesverwaltung halte ich angesichts der anstehen- den Aufgaben ebenso für angemessen. Ich denke, wir haben einen für alle Beteiligtenannehm- baren Reformweg gefunden. Die Künstlersozialkasse sollte auch angesichts knapper Kassen leistungsfähig bleiben und in einigen Bereichen verbessert werden. Das war unser pragmatisches Reformziel und das haben wir erreicht. Dr. Irmgard Schwaetzer (F.D.P.): Der vorliegende Entwurf der Bundesregierung für die Novellierung des Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2001 14091 (C) (D) (A) (B) Künstlersozialversicherungsgesetzes wird zu einer Ato- misierung der Künstlersozialversicherung führen. Denn die auffällige Erhöhung des Einnahmesatzes für 2001 im Vergleich zu den beiden Vorjahren lässt vermuten, dass die Regierung aufgrund der beabsichtigten Novellierung von einer enormen Zunahme der Beiträge der Verwerter ausgeht. Sollten die Verwerter dagegen Klage vor dem eu- ropäischen Gerichtshof erheben und sollte das Gericht ei- ner solchen Klage stattgeben, wird dies letztlich zulasten der Künstler gehen. Denn bei einem Durchschnittsein- kommen von circa 21 000,– DM werden die Künstler keine Erhöhung ihrer Eigenbeträge verkraften können. Zur Sicherung und Fortentwicklung kulturellen Le- bens ist die soziale Absicherung der Künstler und Publi- zisten unabdingbar. Aber auch die Kulturwirtschaft benötigt verlässliche Kalkulationsgrundlagen und muss vor nicht mehr akzeptablen Belastungen durch die Künst- lersozialabgaben geschützt werden. Gerade die vergange- nen zehn Jahre haben zu einem überproportionalen An- wachsen des Versichertenkreises geführt. Daher ist es bei einer Reform von entscheidender Bedeutung, dass beide, Versicherte und Verwerter, von Verbesserungen des Künstlersozialversicherungsgesetzes gleichermaßen an- gemessen partizipieren. Obwohl beide betroffenen Grup- pen, die Künstler und die Verwerter, sich durch Vermitt- lung des Kulturrats auf gemeinsame Reformvorschläge geeinigt hatten, wurden diese von der Bundesregierung nicht aufgegriffen. Die F.D.P. wird sich dafür einsetzen, den Bestand der Künstlersozialkasse dauerhaft zu sichern. Wir legen hierzu Vorschläge für eine strukturelle Reform der Künst- lersozialversicherung vor: Erstens muss es nach Auffassung der F.D.P. darum gehen, den versicherten Personenkreis zu überprüfen und gegebe- nenfalls einzuschränken, damit die wirklich Anspruchsbe- rechtigten, nämlich alle freiberuflichen Künstler und Publi- zisten, dauerhaft sozial abgesichert werden können. Zweitens sind bisher nicht zum Kreis der abgabepflich- tigen Verwerter gehörende Unternehmen zu erfassen und die Abgabepflicht auf ausländische Verwerter, die mit in- ländischen Verwertern zusammenarbeiten, auszuweiten. Mithilfe der Verbände der Kultur- und Medienwirtschaft müssen Maßnahmen ergriffen werden, um den Kreis der Abgabepflichtigen lückenlos zu erfassen. Das bedeutet al- lerdings auch, dass diejenigen Organisationen, die wegen ihrer gemeinnützigen Struktur keinen wirtschaftlichen Un- ternehmenszweck verfolgen, wie zum Beispiel Laienorga- nisationen, keine Abgaben zu entrichten haben. Drittens ist schließlich die Höhe des „Bundeszuschus- ses“ flexibel zu gestalten. Mittels eines gesetzlichen Au- tomatismus muss der Bundeszuschuss bedarfsorientiert gewährt werden. Heinrich Fink (PDS): Eine dreiminütige Rede erlaubt keine großen Präliminarien. Eines möchte ich aber doch prinzipiell voranstellen: Die Künstlersozialversicherung ist eine soziale Errungenschaft, die nicht – auch nicht par- tiell – infrage gestellt oder abgebaut werden darf, sondern sie muss stabilisiert und ausgebaut werden. Dem ent- spricht unser Antrag. Er ist im Ergebnis einer umfassen- den Anhörung in unserer Fraktion zu diesem Thema entstanden, an der Künstlerinnen und Künstler und Publi- zistinnen und Publizisten aller Sparten besonders aus Ost- deutschland, Vertreter ihrer einschlägigen Berufsver- bände, der IG-Medien und des Deutschen Kulturrates sowie unabhängige Wissenschaftler und Wissenschaftle- rinnen teilgenommen haben. In der Anhörung wurde eines ganz deutlich: So wie die Kultur-Enquete der 70er-Jahre die Notwendigkeit einer Künstlersozialversicherung augenfällig gemacht hat, so ist eine aktuelle Untersuchung gleichen Ausmaßes die Vo- raussetzung für einen durchgreifenden und möglichst zielgenauen Ausbau des Gesetzes. Die Daten der Künst- lersozialkasse können – auch wenn sie in einen „Bericht der Bundesregierung über die soziale Lage der Künstle- rinnen und Künstler“ umgegossen werden – eine solche umfassende Kultur-Enquete nicht ersetzen. Das Gleiche gilt für die beabsichtigte Untersuchung zum Selbstver- marktungsanteil. Ich schlage vor, diese Studie fallen zu lassen und sie in die umfassende Enquete einzubeziehen, die die Bundesregierung nun unverzüglich in Auftrag ge- ben sollte. Diese fehlende Datenbasis mag der Bundesregierung ja durchaus gelegen kommen. Sie kann damit sogar die Begrenztheit ihrer „Reform“ rechtfertigen. Etwa nach dem Motto: Wenn keine nachhaltigen Veränderungen in der sozialen Lage der Künstlerinnen und Künstler und Pu- blizistinnen und Publizisten bekannt sind, bedarf es auch keiner grundlegenden Reform der Künstlersozialversi- cherung. Allerdings konnten auch wir als eine Partei des Realismus an dieser fehlenden Datenbasis zur tatsächli- chen sozialen Lage der Künstlerinnen und Künstler und Publizistinnen und Publizisten nicht vorbeisehen. Wir ha- ben unseren Forderungskatalog deshalb unterteilt. In einem ersten Teil stellen wir Forderungen auf, die wir noch im Rahmen des eingeleiteten Gesetzgebungs- verfahrens für realisierbar halten. In einem zweiten Teil verweisen wir die Bundesregierung auf einige Hauptrich- tungen, in die die Künstlersozialversicherung zukünftig ausgebaut werden müsste, deren konkrete Ausgestaltung ohne die eingeforderte Enquete jedoch nicht seriös be- stimmt werden kann. Das betrifft vor allem den Versiche- rungsschutz für Zeiten ohne Einkommen, die Einführung einer Arbeitslosenversicherung und die Gewährleistung einer angemessenen Rente. Was den angelaufenen Novellierungsprozess betrifft, so fordern wir, ihn so zu gestalten, dass alle hauptberuf- lich künstlerisch und publizistisch Tätigen, die nicht im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses sozial abgesi- chert sind, in den Versicherungsschutz nach dem Künst- lersozialversicherungsgesetz einbezogen werden. Damit unterscheidet sich unserer Antrag grundlegend von dem der F.D.P., dessen einzige Botschaft an die Versicherten lautet: Wir wollen alles so lassen wie es ist und obendrein den Kreis der Versicherten möglichst einengen. Bei der Verfolgung unseres Anliegens beziehen wir durchaus die Verbesserungen ein, die der Gesetzentwurf der Bundesregierung vorsieht. Zugleich verlangen wir je- doch, dass alle beabsichtigten Verschlechterungen zurück- genommen werden. Darüber hinaus fordern wir als Er- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 200114092 (C) (D) (A) (B) gebnis unserer Anhörung einen Komplex von gesetzlich fixierten Regelungen, mit denen Versicherungslücken, die in der Praxis der Versicherung sichtbar geworden sind, ge- schlossen und eine bessere Versorgung im Krankheitsfall gewährleistet würden. Ich hoffe sehr, dass im Zuge der Debatten in den Aus- schüssen einiges davon noch aufgegriffen wird. Ulrike Mascher (SPD): Die Künstlersozialversiche- rung ist eine bedeutende sozial- und kulturpolitische Er- rungenschaft in Deutschland. Als sie unter Kanzler Helmut Schmidt auf den Weg gebracht wurde, war dies ein mutiger Schritt ins Neuland. Jetzt will die Bundesre- gierung den sozialen Schutz selbstständiger Künstler und Publizisten verbessern und die Künstlersozialversiche- rung den aktuellen Anforderungen anpassen. Selbstständige Künstler und Publizisten sind oft in ei- ner wirtschaftlichen Situation, die der von Arbeitnehmern vergleichbar ist. Sie sind auf die Mitwirkung von Verla- gen, Galerien oder Konzertagenturen angewiesen, damit ihre Werke oder Leistungen vermarktet werden können. Deshalb hat der Gesetzgeber sie in die gesetzliche Ren- ten-, Kranken- und später in die Pflegeversicherung ein- bezogen. Dabei müssen sie – wie Arbeitnehmer – nur den halben Beitrag entrichten. Die zweite Beitragshälfte wird von den Verwertern über eine Künstlersozialabgabe und über einen Bundeszuschuss aufgebracht. Mittlerweile sind rund 110 000 Künstler und Publizisten über die Künstlersozialkasse versichert und ihre Zahl nimmt wei- ter zu. Besonders erfreulich ist der hohe Anteil an Frauen mit etwa 43 Prozent. Bei den Berufsanfängern liegt der Frauenanteil sogar über 50 Prozent. Die Künstlersozialversicherung hat sich bewährt. Bei der Vorbereitung dieser Gesetzesänderung haben die Ver- bände der Künstler und Publizisten betont, wie unent- behrlich der Versicherungsschutz für die selbstständigen Künstler und Publizisten geworden ist. Auch die Verwer- tungsunternehmen haben weitgehend ihre Pflicht zur Zahlung der Künstlersozialabgabe akzeptiert. Mittler- weile müssen rund 35 000 Verwertungsunternehmen diese Abgabe zahlen. Damit hat sich ihre Zahl seit 1989 mehr als verdoppelt. Das zeigt, wie gut die Künstlersozi- alversicherung funktioniert. Für eine grundlegende Reform der Künstlersozialver- sicherung besteht kein Bedürfnis. Notwendig sind aber einzelne Verbesserungen des Versicherungsschutzes, Ein- grenzungen der Versicherungspflicht, Vereinfachungen der Verwaltung sowie eine Organisationsänderung bei der Künstlersozialkasse. Besonders wichtig ist für selbstständige Künstler und Publizisten, dass sie gegen das Krankheitsrisiko im Rah- men der gesetzlichen Krankenversicherung abgesichert sind. Vielen älteren Künstlern und Publizisten ist aber nach geltendem Recht die Krankenversicherung der Rent- ner verschlossen. Sie können die Voraussetzung einer fast lückenlosen Pflichtversicherung in der zweiten Hälfte des Erwerbslebens nicht erfüllen. Ich bin deshalb froh, dass mit der vorliegenden Novelle für ältere Künstler und Pu- blizisten der Zugang zur Krankenversicherung der Rent- ner erleichtert wird. Für diesen Krankenversicherungsschutz ist erforder- lich, dass die selbstständige künstlerische oder publizisti- sche Tätigkeit vor 1983 aufgenommen wurde und für neun Zehntel der Zeit zwischen 1985 und dem Rentenan- trag eine Pflichtversicherung nach dem Künstlersozial- versicherungsgesetz bestanden hat. Für die neuen Bun- desländer wird dabei auf das Jahr 1992 abgestellt, dem frühesten Zeitpunkt, in dem Beiträge an die Künstlersozi- alkasse entrichtet werden konnten. Damit wird eine noch bestehende Lücke in der sozialen Absicherung der Künst- ler und Publizisten geschlossen und einem wichtigen An- liegen der Künstlerverbände Rechnung getragen. Ferner werden die Voraussetzungen für den Versiche- rungsschutz flexibler gestaltet. Künftig kann die Gering- fügigkeitsgrenze innerhalb von sechs Jahren bis zu zwei- mal im Jahr unterschritten werden, ohne dass der Versicherungsschutz entfällt. Das ist im Hinblick auf die häufigen Einkommensschwankungen eine deutliche Ver- besserung. Zuweilen wird der Vorwurf eines Missbrauchs der Künstlersozialversicherung laut. Es gibt jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Künstlersozialversicherung in nennenswertem Ausmaß von Personen in Anspruch genommen wird, die zu Unrecht in die Künstlersozialver- sicherung aufgenommen wurden. Gleichwohl soll dem Missbrauch durch verschiedene Maßnahmen entgegenge- wirkt werden: Zum einen wird die „Schonfrist“ für Berufsanfänger, in der sie auch bei Unterschreiten der Geringfügigkeits- grenze pflichtversichert sind, von 5 auf 3 Jahre verkürzt. Dadurch wird es der Künstlersozialkasse ermöglicht, früher als bisher die versicherungsrechtlichen Vorausset- zungen zu überprüfen. Zugleich wird diese Frist um Zeiträume verlängert, in denen eine Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz nicht be- standen hat. Dies kommt insbesondere Müttern im Mut- terschafts- und Erziehungsurlaub zugute. Auch Studenten, deren Haupttätigkeit das Studium ist, können nicht mehr in die günstigere Krankenversiche- rung der Künstlersozialversicherung ausweichen. Schließlich entfällt für über 65-Jährige die Möglich- keit, sich über die erstmalige Aufnahme einer künstle- rischen oder publizistischen Tätigkeit den günstigen Krankenversicherungsschutz nach dem Künstlersozial- versicherungsgesetz zu verschaffen. Eine solche Belas- tung der Solidargemeinschaft ist nicht gerechtfertigt. Im Bereich der abgabepflichtigen Verwerter sind nur wenige Änderungen vorgesehen. Die Abgabepflicht wird für einige Zweifelsfälle klargestellt. Verschiedene Ver- waltungsvereinfachungen sollen die Erhebung der Künst- lersozialabgabe erleichtern. So wird die Bildung von Ausgleichsvereinigungen attraktiver gemacht, um die Abgabepflicht vieler Unternehmen kostengünstig zu ver- walten. Das Anliegen der Verbände, den Bundeszuschuss zur Künstlersozialversicherung wieder zu erhöhen, konnte allerdings nicht erfüllt werden. Der Gesetzgeber hat Ende 1999 mit dem Haushaltssanierungsgesetz den Bundeszuschuss von 25 auf 20 Prozent der Ausgaben der Künstlersozialkasse abgesenkt. Dies war keine reine Sparmaßnahme, sondern entsprechend der gesetzlichen Zweckbestimmung eine Folgerung aus dem verminderten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2001 14093 (C) (D) (A) (B) Selbstvermarktungsanteil. Die Bund beteiligt sich weiter- hin mit einem festen Prozentsatz an der Finanzierung der Künstlersozialversicherung. Dass die abgabepflichtigen Verwerter nicht unzumutbar belastet werden, zeigt die Höhe des Abgabesatzes, der von 4 Prozent im Jahre 2000 auf 3,9 Prozent im Jahr 2001 gesenkt werden konnte. Da- mit sind die Finanzierungsgrundlagen der Künstlersozial- versicherung weiterhin gesichert. Schließlich soll die Künstlersozialkasse wieder in die Bundesverwaltung eingegliedert werden. Damit verdeut- licht der Bund seine politische Verantwortung für die Sozialversicherung der Künstler und Publizisten. Vorge- sehen ist eine Angliederung an die Bundesausführungs- behörde für Unfallversicherung in Wilhelmshaven. Der Standort und die Arbeitsplätze in der Region bleiben er- halten. Das Land Niedersachsen hat zugestimmt. Nach- teile für die Mitarbeiter der Künstlersozialkasse entstehen nicht. Mit dieser Novelle wird der soziale Schutz der Künst- ler und Publizisten ausgebaut und das Recht der Künst- lersozialversicherung den modernen Anforderungen an- gepasst. Wir sorgen dafür, dass die Lasten und Pflichten aller an der Künstlersozialversicherung Beteiligten austa- riert bleiben. Ich hoffe, dass der wichtige Grundkonsens zwischen den Versicherten, den Verwertungsunternehmen und dem Bund erhalten bleibt – im Interesse der sozialen Sicherung von Künstlern und Publizisten. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur beruflichen Gleichstellung von Prostituierten und anderer sexuell Dienstleistender (Tagesord- nungspunkt 13) Anni Brandt-Elsweier (SPD): Seit mehr als 2000 Jah- ren wird Prostitution nicht nur gesellschaftlich, sondern auch juristisch diskriminiert. Zuerst von den Römern und besonders hart in den Ehegesetzen des Kaisers Augustus. Liberaler war das Mittelalter. Ein Viertel der Teilnehmer an den Kreuzzügen waren Frauen, die dafür bezahlt wur- den, dass sie die christlichen Helden durch das Unterstüt- zen, was heute wieder als Verstoß angesehen wird – und zwar als Verstoß gegen das Anstandsgefühl aller „billig und gerecht Denkenden“. Seit Martin Luther steigerte sich der juristische Druck, erreichte römisches Niveau im 19. Jahrhundert und wurde totalitär unter Adolf Hitler, der die Prostituierten in Konzentrationslager verbrachte, zum Teil als einfache Gefangene, zum Teil zur sexuellen Un- terstützung seiner SS-Schergen. Die Bundesrepublik begann wieder mit der normalen Diskriminierung des 19. Jahrhunderts, die in der Straf- rechtsreform der 70er-Jahre leicht zurückgenommen wurde. Seitdem ist Prostitution in der Bundesrepublik zwar gesetzlich nicht mehr verboten, aber es gibt wohl keinen anderen Bereich, in dem das Geschäft mit der Dop- pelmoral derart blüht. Nach seriösen Schätzungen gibt es in Deutschland etwa 400 000 Personen, die der Prostitution nachgehen; überwiegend sind dies Frauen. Ihre Dienste werden täg- lich von über einer Million Männern in Anspruch genom- men. Prostitution ist ein äußerst lukrativer Wirtschafts- zweig, in dem geschätzte jährliche Umsätze von bis zu zwölf Milliarden Mark erzielt werden. Dies ist natürlich auch dem Staat bekannt. Das bedeutet, Prostituierte sind einkommens- und umsatzsteuerpflichtig. Aber der Staat nimmt nur. Den Prostituierten ist der un- mittelbare Zugang zu den gesetzlichen Sozialversiche- rungen verwehrt; denn Prostitution ist zwar nicht mehr verboten, aber nach wie vor sittenwidrig. Dies bedeutet in der Konsequenz, dass Prostituierte aufgrund der Sitten- widrigkeit ihres Handelns keinen rechtlich durchsetzba- ren Anspruch auf Bezahlung ihrer Tätigkeit haben und es bedeutet, dass sie keinen Anspruch auf Pflichtversiche- rung in der Krankenversicherung, Arbeitslosenversiche- rung sowie in der Rentenversicherung haben. Dies ist nicht mehr länger hinnehmbar und zu Beginn des neuen Jahrtausends auch nicht mehr zeitgemäß. Mit zeitgemäß meine ich nicht irgendeine kurzlebige Mode- erscheinung, einen Trend, der heute „in“ und morgen wie- der „out“ ist, sondern ich meine den festzustellenden Wandel im Moral- und Rechtsempfinden unserer Gesell- schaft, dem endlich Rechnung getragen werden muss. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits in seinem ers- ten so genannten „Peep-Show-Urteil“ vom 15. Dezember 1981 festgestellt, dass der Begriff der guten Sitten „auf die dem gesellschaftlichen Wandel unterworfenen sozialethi- schen Wertvorstellungen verweise, die in der Rechtsge- meinschaft als maßgebliche Ordnungsvoraussetzungen anerkannt sind“. Gerade im Bereich der Sexualität hat in den letzten Jahrzehnten eine besonders schnelle Veränderung der Wertvorstellung stattgefunden. Wer kann sich heute noch vorstellen, dass eine Mutter sich der „Kuppelei“ schuldig macht, wenn sie ihre Tochter und deren Verlobten bei sich übernachten lässt, dass Ehebruch strafbar war und Beamte wegen dieses Deliktes entlassen werden konnten. Eines der bekanntesten neueren Gerichtsurteile in die- sem Zusammenhang ist das des Verwaltungsgerichtes Berlin im Prozess um die Schließung des stadtbekannten Edelbordells „Café Pssst!“ der Berliner Prostituierten Felicitas Weigmann. Das Bezirksamt Wilmersdorf wollte Frau Weigmann die Gaststättenerlaubnis entziehen, weil sie im Hinterhaus Zimmer an Prostituierte vermietete und somit der „Unsittlichkeit“ Vorschub leistete. Das Verwal- tungsgericht hob mit Urteil vom 1. Dezember 2000 den Widerruf der Gaststättenerlaubnis auf, da „Prostitution, die ohne kriminelle Begleiterscheinungen und insbeson- dere freiwillig unter Bedingungen ausgeübt werde, mit denen Frauen einverstanden seien, heute grundsätzlich nicht mehr als sittenwidrig einzustufen sei“. Das Gericht hatte vor der Urteilsfindung gesellschaftlich relevante Or- ganisationen zur sozialethischen Bewertung von Prosti- tution befragt. In den Antworten zeigte sich ein deutlicher Trend dahingehend, den Bereich der freiwilligen Prosti- tution nicht mehr als sittenwidrig anzusehen. Es wird also Zeit, dass von staatlicher Seite etwas un- ternommen wird, um zumindest die rechtliche Situation Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 200114094 (C) (D) (A) (B) der Prostituierten zu verbessern. Dass wir dies tun wer- den, haben wir bereits im Koalitionsvertrag vereinbart. Wir werden dazu – so hoffe ich – in Kürze einen eigenen Gesetzentwurf vorlegen. Sie sehen also, Kolleginnen und Kollegen von der PDS, dem Grundanliegen des von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurfes will ich gar nicht wider- sprechen. Ich halte jedoch die Art und Weise, wie Sie zu der gewünschten Verbesserung kommen wollen, für voll- kommen ungeeignet. Denn ein solches Gesetz muss natürlich gut durchdacht und in jeder Hinsicht auch recht- lich haltbar sein. Der vorliegende Gesetzentwurf wird dem aber nicht gerecht. Die von Ihnen vorgeschlagene Verankerung sexueller Dienstleistungen im Dienstvertragsrecht ist abzulehnen. Auf diese Weise erlangt ein solcher Vertrag den Rechts- charakter eines normalen Arbeitsverhältnisses, was je- doch aufgrund der Besonderheiten des Berufsbildes in vielerlei Hinsicht – ich verweise hier nur auf etwaige Ge- währleistungspflichten – nicht tragbar ist. Sie haben dies erkannt und versuchen, diese Besonderheiten durch zahl- reiche Ausnahmeregelungen zu verdeutlichen. Aber ab- gesehen von der Kompliziertheit dieser Regelungen ist es auch höchst fraglich, ob mit diesen Vorschriften tatsäch- lich alle Eventualitäten Berücksichtigung finden. Zudem ist ein absolutes Leistungsverweigerungsrecht ohne Sank- tionsmöglichkeiten kaum mit der Annahme eines Arbeits- verhältnisses zu vereinbaren, das Grundlage der sozialen Absicherung sein soll. Auch dürfen Sie die Abwägung zwischen den einer- seits berechtigten Forderungen der Prostituierten nach rechtlicher Besserstellung und den andererseits nach wie vor notwendigen Schutz- und Sanktionsmechanismen des Staates nicht vergessen. Machen wir uns nichts vor: Es ist ja bei weitem nicht so, dass es nur den Bereich der lega- len, freiwilligen Prostitution gibt. Soweit es um Zwangs- ausübung und Ausbeutung zum Nachteil der Frauen geht, muss der Staat weiterhin die Möglichkeit haben, konse- quent dagegen vorzugehen – Ihre vorgeschlagenen Ände- rungen im Strafgesetzbuch gehen hier viel zu weit. Auch eine vollständige Abschaffung des Werbeverbo- tes im Ordnungswidrigkeitsgesetz, um hier nur noch ein weiteres Beispiel zu nennen, ist nicht zu befürworten, da weiterhin das Interesse am Schutz der Jugend Vorrang hat. Da die rechtliche Ausgestaltung einer Besserstellung der Prostituierten, wie sie die PDS-Fraktion vorschlägt, für uns nicht akzeptabel ist, lehnen wir den Gesetzentwurf ab. Margot von Renesse (SPD): Das lateinische Wort für „Hure“ ist nicht weiblichen noch männlichen Ge- schlechts, sondern – zur Freude aller Lateinschüler – ein Neutrum. In der Sprache wie im Recht sind Prostituierte dementsprechend weniger Personen als Dinge oder Sachen ohne eigene Rechte, mit denen nach Belieben ver- fahren werden kann. Mit ihrer Rechtlosigkeit korres- pondiert ein Freier-, Zuhälter- und Bordellbetreiber- schutzrecht, das sich ihre Rechtlosigkeit zunutze machen kann. SPD und Grüne sind sich darin einig, dass wir die Per- sonenwürde dieser Menschen dringend wieder herstellen müssen und sie darum mit Rechten ausstatten sollten, durch die sie sowohl im Zivil- als auch im Sozialrecht endlich als Menschen wahrnimmt. Wie man das macht, ist nun weitestgehend eine tech- nische Frage. Zwei Lösungen bieten sich an: einmal die Gleichstellung des Vertrages über sexuelle Dienstleistun- gen mit anderen Verträgen über marktfähige Güter und Dienstleistungen, zum anderen die Öffnung der wichtigen Sozialversicherungen für Alter, Krankheit und Pflegebe- dürftigkeit sowie die Zuerkennung eines einklagbaren Anspruchs für geleistete Dienste bei Verzicht auf die Er- möglichung eines gegenseitig verpflichtenden Vertrages oder Arbeitsvertrages. Nun sind sich alle, sogar die PDS, darüber im Klaren, dass die sexuelle Dienstleistung anders ist als der Dienst eines Bäckerlehrlings oder einer Friseurin. Irgendwie muss vermieden werden, dass durch vertragliche Verpflichtung ein Druck entsteht, der diejenigen, die nicht, noch nicht oder nicht mehr der Prostitution nachge- hen wollen, dazu verpflichtet. Da dies bei gegenseitigen Verträgen aber immer der Fall ist, bei Arbeitsverträgen sogar noch das Direktionsrecht des Arbeitgebers hinzutritt, muss der erste Lösungsweg, derjenige der zivil- rechtlichen Gleichstellung, mit lauter Ausnahmen und Besonderheiten gegenüber dem geltenden Recht gespickt werden. Dies unterstreicht den nicht zu leugnenden Sonder- charakter des Prostitutionsvertrages in extrem augenfäl- liger Weise, muss aber sein, denn niemand kann wollen, dass eine Frau, die Arbeitslosengeld empfängt, eine Sperrfrist bekommt, wenn sie sich weigert, bei einem Bordell als Prostituierte zu arbeiten; der Familienrichter im Prozess über nachehelichen Unterhalt, eine Frau, die keine Arbeit findet, fragen kann, ob sie es schon einmal auf dem Strich versucht hat; sich eine unterhaltsberech- tigte geschiedene Frau, die mit einem Freund zusammen- lebt, sich auf ihren Unterhaltsanspruch nicht nur den Gegenwert für häusliche Dienstleistungen, sondern auch für sexuelle Hingabe anrechnen lassen muss; dass im Zivilprozess ein Freier wegen Schlechtleistung, Verzug oder Nichterfüllung seine Gegenleistung mindern oder Schadensersatz verlangen kann; eine Prostituierte, die aus ihrem Beruf in einem Bordell aussteigen will, eine Kündi- gungsfrist einzuhalten hat. Die vielfältigen Ausnahmen, die mir auf den ersten Blick als notwendig einfallen, dürften kaum ausreichen, um unerwünschte wie skurrile Folgen zu vermeiden. Die Gefahr der Lückenhaftigkeit der Ausnahmeregelungen liegt auf der Hand. Darum erscheint es mir sinnvoller, den zweiten Weg zu gehen. Diese Lösung geht von der nach wie vor zutref- fenden Vorstellung aus, dass Prostitution etwas prinzipiell anderes ist als beliebige bezahlte Dienstleistungen an- derer Art. Trotz gewandelter Auffassungen über Werte und Sitten scheint dieser Ausgangspunkt immer noch re- alistisch zu sein. Es gibt eben einiges, was einigen zwar inzwischen käuflich zu sein scheint, was wir aber nicht gerade als einen Beitrag zur Dienstleistungsgesellschaft empfinden: So ist die Leih- oder Mietmutterschaft bei uns sogar noch strafwürdig. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2001 14095 (C) (D) (A) (B) Soweit mit dem Antrag der PDS mit der Beseitigung des Odiums der „Sittenwidrigkeit“ der Prostitution insge- heim die Absicht verbunden ist, eine spießige Gesellschaft so richtig zu ärgern und zu entlarven, so ist das ein Ziel, für die ich mich als alte Frau in einer alten Partei nicht mehr engagiere. Der Reiz des Leute-Ärgerns ist nicht mehr meine Sache, so wie ich auch nicht mehr „Klingelmännchen“ spiele. Wir Sozialdemokraten sind ernsthaft daran interessiert, die Lage von Prostituierten zu verbessern, soweit wir das können. Wir sind uns aller- dings der Tatsache bewusst, dass die von uns angestrebte rechtliche Verbesserung nichts oder gar nichts für die Frauen und Männer bringt, die man wie eine Schmuggel- ware importiert, kauft, verkauft, drangsaliert, erpresst und schindet. Die eigentliche Not des Milieus erreicht weder unser Weg noch ein anderer Weg zivilrechtlicher Rechts- änderung. Hier kann neben der Anwendung von Strafrecht nur helfen, dass diejenigen, die diese armen Menschen ge- und verbrauchen, von gesellschaftlicher Ächtung getroffen werden. Ilse Falk (CDU/CSU): In der letzte Legislaturperiode haben wir uns bereits intensiv mit dem Thema „mehr Rechte für Prostituierte“ befasst. Bereits damals herrschte breite Übereinstimmung darüber, dass es Zeit ist, endlich die Doppelmoral zu beenden. Es ist unehrlich zu akzep- tieren, dass täglich Hunderttausende Männer die Dienste von Prostituierten in Anspruch nehmen, der Staat von die- sen Frauen auch Steuern verlangt, ihnen aber gleichzeitig – mit dem Hinweis auf die Sittenwidrigkeit – annehmbare rechtliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen verweigert. Seit der Debatte im Jahr 1997 sind wir der Lösung die- ses Problems nicht näher gekommen. Die Abwägung, welche Regelungen notwendig und wünschenswert sind, ist schwierig. Neuregelungen dürfen die Würde der be- troffenen Frauen, insbesondere hinsichtlich ihrer sexuel- len Selbstbestimmung, nicht verletzen, müssen von der Gesellschaft mitgetragen werden können und sollen gleichzeitig den Frauen mehr Rechte geben. Die Antwort auf diese Erfordernisse gleicht in mancher Hinsicht einem Spagat und wohl auch aus diesen Gründen hat die rot- grüne Bundesregierung bisher den von ihr angekündigten Gesetzentwurf noch nicht vorgelegt. Ist der Gesetzgeber aus den genannten Gründen also bisher noch nicht tätig geworden, so hat sich in der Ge- sellschaft ein Wandel in der Einstellung zur Prostitution vollzogen. Frauen, die sich offen dazu bekennen, als Pros- tituierte zu arbeiten, werden heute gesellschaftlich nicht mehr geächtet. Viele Prostituierte treten selbstbewusst auf und fordern ihre Rechte ein. Dabei werden sie von einem Großteil der Gesellschaft unterstützt. Frauen wie Felicitas Weigmann, die in ihrem „Café Pssst“ versucht, ange- nehme Arbeitsbedingungen für Prostituierte zu schaffen, gelten als Vorbild, ihr Tun nicht mehr als verwerflich. Als Gesetzgeber müssen wir nun die Frage beantwor- ten, ob und gegebenenfalls wie dieser Wandel in der Be- wertung von Prostitution durch die Gesellschaft auch ge- setzgeberisch begleitet werden muss. Dazu müssen wir zunächst einmal klären, wo Regelungsbedarf besteht. Da- bei will ich mich an dieser Stelle nicht mit den morali- schen Aspekten der Prostitution befassen oder die Tätig- keit der Prostituierten einer Wertung zu unterziehen, son- dern mich mit den Bereichen befassen, in denen gesetzliche Regelungen nachgefragt werden. Einige Punkte wären: Die Straffreiheit bei Förderung der Prosti- tution durch angemessene Arbeitsbedingungen, das Ver- tragsrecht, der Bereich der Sozialversicherung. Durch seine Aufsehen erregende Entscheidung, die Förderung der Prostitution durch angemessene Arbeitsbe- dingungen nicht mehr als sittenwidrig einzustufen, hat das Berliner Verwaltungsgericht seine Rechtsprechung an die geänderte gesellschaftliche Realität angepasst. Im Dezem- ber 2000 stellte das Gericht in seinem Urteil zum „Café Pssst!“ fest, dass Prostitution zumindest als Teil unseres Zusammenlebens akzeptiert werde und daher nicht mehr gegen die guten Sitten verstoße. Der Klage gegen Ab- erkennung der Lizenz für das Café, das selbstständig ar- beitenden Prostituierten zu einem bezahlbaren Preis ange- messene Räume zur Verfügung stellt, wurde stattgegeben. Wenn die Rechtsprechung also künftig Prostitution nicht mehr als sittenwidrig einstuft, so sind auch die zwi- schen Prostituierten und ihren Freiern geschlossenen mündlichen Verträge nicht länger sittenwidrig, sondern rechtsgültig und Ansprüche gegenüber dem Freier ein- klagbar. Sittenwidrigkeit kann dann in Zukunft auch nicht länger als Totschlagargument in der rechtlichen Beurtei- lung von Prostitution verwendet werden. Vielmehr ist die Justiz einmal mehr aufgefordert, sehr genau hinzusehen, wo denn tatsächlich wider die guten Sitten verstoßen und damit ein Straftatbestand erfüllt wird. Zum Vertragsrecht: Die Einordnung von Prostitution unter das Dienstvertragsrecht und damit die Möglichkeit, Arbeitsverträge zwischen Prostituierten und ihren „Ar- beitgebern“ zu schließen, erschien mit zunächst wün- schenswert unter dem Aspekt, damit humanere Arbeitsbe- dingungen und eine bessere sozialrechtliche Absicherung für Prostituierte schaffen zu können. Intensivere Überle- gungen zu einer solcher Vertragsgestaltung mit all ihren Konsequenzen lassen mich allerdings diese Möglichkeit inzwischen wieder kritische sehen. Wer ist Arbeitgeber? Wer definiert die sexueller Dienstleistung? Welche Mög- lichkeit hat die Frau, eine Leistung zu versagen, wenn sie gegen die sexuelle Selbstbestimmung und die Menschen- würde verstößt? Mehr Fragen, als brauchbare Antworten! Mit der Möglichkeit von Arbeitsverträgen zwischen Prostituierten und ihren Arbeitgebern würden wir auch zugleich die Zuhälterei legalisieren, was keiner wollen kann; denn § 180 a StGB hat eben auch einen Schutz- zweck. Eine Abschaffung dieses Paragraphen würde die Prostituierten nach unserer Auffassung in eine nicht ge- wollte Abhängigkeit zu den Bordellbesitzern bringen. Bleibt also weiterhin die selbstständig arbeitende Pro- stituierte im Mittelpunkt der Überlegungen. Wie kann sie sich gegen Risiken absichern? Krankenversicherung: Mit dem Argument der Sitten- widrigkeit haben in der Vergangenheit fast alle Kranken- kassen die Aufnahme von Prostituierten verweigert. Auch auf diesem Sektor hat sich etwas verändert. Eine große Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 200114096 (C) (D) (A) (B) deutsche Krankenkasse ist seit November 2000 bereit, Frauen zu versichern, die als Beruf Prostituierte angeben und das ohne Extravereinbarungen oder höhere Beiträge. Rentenversicherung: Für selbstständig arbeitende Pros- tituierte besteht die Möglichkeit, sich privat zu versi- chern. Das Argument, die Versicherungsbeiträge seien zu hoch, weil die Versicherten die Arbeitgeber- und Arbeit- nehmer allein tragen müssen, zieht hier nicht, da es auf alle selbstständig Tätigen zutrifft. Arbeitslosenversicherung: Das Argument, dass aus- stiegswillige Prostituierte ihr Vorhaben oft nicht aus- führen, weil sie keine Möglichkeit haben, an Umschu- lungs- und Arbeitsförderungsmaßnahmen teilzuhaben, ist so nicht schlüssig. Auch heute schon stellen Arbeitsämter Mittel für Ausstiegs- und Umschulungsprogramme für Prostituierte zur Verfügung, auch wenn diese keine Leis- tungen in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben. Fazit: Die Anerkennung von Prostitution als Beruf kommt für unsere Fraktion nicht in Frage. Intimbereiche, die mit dem Kern der Persönlichkeit eng verbunden sind, zur marktgängigen Ware zu machen, verstößt nach unse- rer Auffassung gegen die Würde des Menschen. Wir wer- den uns daher jedem Versuch widersetzen, die Prostitu- tion als Beruf gesellschaftsfähig zu machen. Eine Anerkennung dieser Tätigkeit käme unserer Meinung nach einer Zementierung der mangelnden Gleichberech- tigung von Frauen gleich. Vor dem Hintergrund, dass nur etwa 25 Prozent der Frauen als Prostituierte arbeiten, weil sie das wirklich wollen, und der Großteil der anderen Frauen in diese Tätigkeit irgendwie hineingeraten ist – nach einer Tren- nung/Scheidung, durch Alkohol- oder Drogenabhängig- keit, durch finanzielle Schwierigkeiten –, sollten wir unsere Hauptaufgabe darin sehen, zwar die Arbeitsbedin- gungen so gut es geht zu verbessern, aber eben auch Aus- stiegswillige über schon bestehende Hilfsprogramme zu informieren und bei Bedarf neue zu schaffen. Darüber hinaus dürfen wir nicht vergessen, dass wir uns im Zusammenhang mit gesetzgeberischen Überle- gungen in erster Linie mit der Gruppe der Prostituierten befassen, die organisiert, selbstbewusst und in der Lage sind, ihre persönliche Situation zu gestalten. Die große Zahl derer, die als Prostituierte ausgebeutet, unterdrückt und zum Teil unter unvorstellbaren Zwängen illegal hier arbeiten müssen, muss aber ebenso in den Blickpunkt gerückt werden. Alleine ihretwegen müssen wir sehr ge- nau prüfen, welche Regelungen Schutzwirkungen haben und erhalten bleiben müssen und wo Veränderungen tatsächlich sinnvoll sind. Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seit mehr als zehn Jahren setzen sich die Grü- nen für die Abschaffung der sozialen und rechtlichen Dis- kriminierung von Prostituierten ein. 1990 legten wir den ersten Gesetzentwurf vor, 1996 brachten wir das Thema zum zweiten Mal ins Parlament. In der damaligen Debatte haben alle Fraktionen erklärt, dass hier dringend Gesetzes- änderungen notwendig sind, um die eklatante Benachtei- ligung der Prostituierten zu beenden. Leider kam es we- gen der zeitlichen Nähe zur Bundestagswahl damals nicht mehr zu einer interfraktionellen Einigung. Nun wird es al- lerdings höchste Zeit. Im Koalitionsvertrag sind wir ja eine entsprechende Verpflichtung eingegangen. Eine rot-grüne Arbeits- gruppe, die sich im Ziel einig ist, aber noch Details regeln muss, steht kurz vor dem Abschluss der Diskussion. Da- rum finde ich es auch bedauerlich, dass die PDS ihren Entwurf bereits heute aufgesetzt hat. In vier Wochen hät- ten wir über die Gesetzentwürfe gemeinsam diskutieren können; denn einige Vorschläge der PDS gehen in die richtige Richtung. Ich finde, es ist eines liberalen Rechtsstaats nicht wür- dig, dass er einer Personengruppe zwar Pflichten aufer- legt, ihnen aber alle sozialen Rechte vorenthält. Da nach ständiger Rechtssprechung Prostitution gegen die guten Sitten verstößt, haben Prostituierte keine Möglichkeit, nach geleisteter Arbeit ihren Lohn einzuklagen. Ihnen steht die gesetzliche Krankenversicherung ebenso wenig zu wie die gesetzliche Rentenversicherung. Prostituierte werden von den Behörden in bestimmte Straßen einer Stadt verbannt. Gehen sie außerhalb dieser Gebiete ihrem Gewerbe nach, machen sie sich strafbar. Personen, die Prostituierten gute und sichere Arbeitsbedingungen an- bieten, können wegen „Förderung der Prostitution“ bis zu drei Jahren Haftstrafe verurteilt werden. Schon ein geho- beneres Ambiente, wie zum Beispiel ein Bad mit golde- nen Wasserhähnen oder das Auslegen von Kondomen, er- füllt den Straftatbestand der Förderung der Prostitution. Ein Arbeitgeber jedoch, der ein finsteres Loch zu einer Wuchermiete anbietet, tut dies unter dem Schutz des Ge- setzes. Und der Staat ist nicht zimperlich, wenn es darum geht, Steuern „aus gewerbsmäßiger Unzucht“ zu erheben; trotz der Sittenwidrigkeit. Diese Doppelmoral muss nun endlich beendet werden. Dazu fordert uns im Übrigen auch der Ausschuss gegen Dis- kriminierung jeglicher Art der Vereinten Nationen auf. In ei- ner Gesetzesänderung muss es primär darum gehen, die Sit- tenwidrigkeit der freiwilligen Prostitution zu beseitigen. Der Reichsgerichtshof hatte im Jahre 1901 das An- standsgefühl aller billig und gerecht Denkenden zum Maßstab für die guten Sitten gesetzt. Die Gerichte sind diesem Urteil 100 Jahre lang gefolgt. Dabei sagen heute über 70 Prozent der Bevölkerung, dass sie das anders sehen. Diesem gesellschaftlichen Wandel muss auch die Politik folgen. Bei diesem Vorhaben werden wir von einem kürzlich erfolgten Gerichtsurteil des Verwaltungsgerichts Berlin unterstützt, das zum ersten Mal Prostitution als per se nicht sittenwidrig ansah. Dieses Urteil wurde auf eine Umfrage bei 50 gesellschaftlich wichtigen Gruppen ge- stützt. Von der Bischöfin bis zur Industrie- und Handels- kammer waren sich alle einig: Prostituierte dürfen nicht länger diskriminiert werden. Dies war jedoch nur ein Ur- teil. Ein anderes Gericht könnte auch eine andere Ent- scheidung treffen. Deshalb muss eine Klarstellung im Ge- setz eindeutig dafür sorgen, dass Vereinbarungen über sexuelle Dienstleistungen gegen ein Entgelt rechtmäßig sind. Damit wäre eine wichtige Voraussetzung für einen sozialen und arbeitsrechtlichen Schutz gegeben. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2001 14097 (C) (D) (A) (B) Nach unserer Auffassung müssten Prostituierte aber auch Arbeitsverträge schließen können. Dies hätte nicht nur eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zur Folge, sondern würde auch einen eventuellen Ausstieg er- leichtern, weil Umschulungsmaßnahmen des Arbeitsam- tes in Anspruch genommen werden könnten. Auch die Aufnahme der Prostituierten in eine gesetzliche Kranken- versicherung hat hohe Priorität. Denn bis heute ist ihr Ge- sundheitsschutz nicht gesichert. Krankenkassen weigern sich, Prostituierte aufzunehmen. Verschweigen sie ihre Tätigkeit oder weichen sie auf eine Notlüge aus, machen sie sich strafbar und müssen Leistungen zurückzahlen. Auch das werden wir ändern. Die rot-grüne Regierungskoalition wird dafür sorgen, dass Prostituierte nicht länger Bürgerinnen zweiter Klasse sind. Lassen Sie uns im Ausschuss intensiv darüber dis- kutieren, welche Regelungen dazu notwendig sind. Ina Lenke (F.D.P.): Prostituierte werden in Deutsch- land diskriminiert. Das ist eine Tatsache ebenso wie die Doppelmoral, mit der die Gesellschaft und der Staat mit Prostituierten umgeht. Allerdings hat sich gerade in der letzten Zeit in der Bevölkerung und auch bei Gerichten und unter Politikern die Einsicht durchgesetzt, dass hier Handlungsbedarf besteht und besonders das Verdikt der Sittenwidrigkeit abgeschafft werden muss. Insoweit ist die Zielrichtung des Gesetzentwurfs der PDS positiv zu bewerten. Die Diskriminierung von Prostituierten und die Sittenwidrigkeit müssen abgeschafft werden, der Staat darf nicht einerseits bei den Einkünften der Prostituierten abkassieren und ihnen auf der anderen Seite den staat- lichen Schutz versagen, wenn es um die Geltendmachung ihres Lohns geht. Doch wie weit soll und will man gehen? Ich denke, es ist eine Sache, zu akzeptieren, dass es Prostitution gibt und heute etwa 1 Million Männer am Tag dieses Gewerbe in Anspruch nehmen. Es ist jedoch etwas anderes, dieses gesellschaftlich und moralisch zuwerten. Mit Letzterem bin ich nicht einverstanden. Man muss sich auch genau überlegen, welche Folgen es hat, wenn man – wie die PDS hier – quasi ein Dirnendienstvertragsrecht im BGB ein- führt. Dies führt zu praktischen Schwierigkeiten: Wie werden die Gerichtsverfahren aussehen, in denen eine Schlechtleistung der Prostituierten überprüft werden soll? Gibt es demnächst Sachverständige dafür? Das alles mu- tet doch recht seltsam an. Aber davon abgesehen: Tun wir den Frauen wirklich einen Gefallen damit? Der Gesetzentwurf der PDS ist ge- prägt vom Bild der eigenverantwortlichen, selbstbe- stimmten Prostituierten, die aus freien Stücken dieser Tätigkeit nachgeht, nicht von einem Zuhälter unterdrückt wird und für ihre Rechte einstehen und kämpfen kann. Diese Frauen gibt es selbstverständlich auch, sie dürften auch nicht unbedingt in der Minderheit sein. Jedoch ist das Bild der Prostitution in Wirklichkeit wesentlich viel- schichtiger. Es gibt eben auch in nicht unerheblicher Zahl die Fälle der Zwangsprostitution, die nach Deutschland il- legal eingeschleppten Ausländerinnen, die von Zuhältern gezwungen werden, auf den Strich zu gehen, den Straßen- strich und das Drogenmilieu. Auch für diese würden die neuen Regelungen gelten. Der Zuhälter wäre Arbeitgeber und würde also ganz legal, staatlich legitimiert, Druck auf seine Arbeitnehmerinnen ausüben dürfen. So stellt sich die Frage, ob man tatsächlich ausstiegswillige Prostitu- ierte an Kündigungsfristen binden will oder ob zukünftig ein Zuhälter über das Arbeitsamt Prostituierte vermittelt bekommen kann? Im Übrigen wird es durch die Abschaffung des Straftat- bestandes der Zuhälterei den Strafverfolgungsbehörden unglaublich schwer gemacht, gegen sie vorzugehen bzw. sie überhaupt strafrechtlich zur Verantwortung ziehen zu können. Die allgemeinen Straftatbestände der Nötigung und der Erpressung können hier nicht in allen Fällen he- rangezogen werden. Ich stimme mit der PDS überein, dass demgegenüber die Förderung der Prostitution als Straftatbestand abge- schafft werden muss, damit sich die Bordellbesitzer oder Bordellbesitzerinnen, die für eine ordentliche Arbeitsum- gebung in den Bordellen sorgen, nicht strafbar machen. Kritisch sehe ich aber die vorgesehenen Änderungen im Ausländergesetz. Eine „Green-Card“ für Frauen, die in der Bundesrepublik der Prostitution nachkommen wollen, kann nicht das Ziel sein. Insgesamt ist der vorliegende Ge- setzentwurf nicht komplett durchdacht, besonders was die Folgen des vorliegenden Gesetzes betrifft. Es bleiben noch viele Fragen offen. Ich bin sehr dafür, die Diskriminierung von Prostitu- ierten endlich abzuschaffen und bin gerne bereit hier kon- struktiv mitzuarbeiten. Dies alles muss jedoch innerhalb eines durchdachten Konzepts und wirklich zum Schutz der Prostituierten sein. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Senkung des Entgelts für die Beförderung von Briefsendungen im Gel- tungsbereich der Exklusivlizenz nach § 51 Post- gesetz (Tagesordnungspunkt 14) Klaus Barthel (Starnberg) (SPD): Wir verstehen sehr gut, wie nötig es die F.D.P. hat, ihr Image als Partei der Besserverdienenden abzuschütteln. Dazu ist ihr offen- sichtlich kein Fehlversuch zu peinlich und kein Irrweg zu abseitig. – Zur Rechtslage wird Staatssekretär Mosdorf noch sprechen. Die F.D.P. macht hier gleich einen Doppelfehler, ers- tens, weil die Regulierungsbehörde auch nach den Worten ihres früheren Präsidenten Scheurle derzeit in der Por- tofrage aufgrund der allgemeinen Weisung des Bundes- wirtschaftsministers nicht handeln kann und zweitens, weil sie – auch wenn es diese Weisung nicht gäbe – ent- sprechend der Gesetzeslage wohl kaum irgendwelchen Aufforderungen aus F.D.P.-Anträgen im Deutschen Bun- destag folgen würde. Dazu zwei Bemerkungen: Zum einen: Wir erinnern uns alle gut an den energischen Kampf von F.D.P. und Union gegen die Weisung des Ministers. Da gab es die Andro- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 200114098 (C) (D) (A) (B) hung von gerichtlicher Überprüfung bis zu Bundesratsbe- schlüssen, die uns noch eines Besseren belehren würden. Auf deren Erfolg warten wir noch heute. Also stellen wir fest: Die Weisung war kein Eingriff in die Selbstständig- keit der Behörde und rechtlich einwandfrei. – Zum ande- ren erinnern wir uns gut an das Gerede der F.D.P. vom ord- nungspolitischen Sündenfall, der in jeder politischen Einflussnahme auf die Regulierungsbehörde bestehe. In dem von Union und F.D.P. verfassten Beiratsbeschluss re- klamierten Sie die „alleinige Zuständigkeit – der RegTP – für die Genehmigung von Entgelten. Auch in der derzeit stattfindenden absolut notwendi- gen Debatte über die mittelfristigen Erfordernisse moder- ner Regulierung geriert sich die F.D.P. als Gralshüterin der Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde, die wir überhaupt nicht infrage stellen. Und dann so ein Antrag: „Der Deutsche Bundestag fordert die Regulierungs- behörde für Telekommunikation und Post auf ...“. Hätten Sie lieber die „allgemeine Zuständigkeit“ ak- zeptiert, dann hätten Sie sich auch die peinliche Begrün- dung des Antrages erspart. Da wird wild über Kosten und Preise spekuliert, mit Zahlen nicht genannter Herkunft hantiert, die EU-Kom- mission für Positionen in Anspruch genommen, die sie nicht teilt. Die F.D.P. versucht nichts anderes, als den Deut- schen Bundestag an die Stelle einer Beschlusskammer der RegTP zu setzen – und das mit kaum zu überbietendem Di- lettantismus. Sie weiß noch nicht einmal, dass Rabatte beim Porto im reservierten Bereich der Preisaufsicht der RegTP unterliegen und eben nicht der „Marktmacht“ großer, klei- ner oder mittlerer Geschäftspartner der DPAG. Auch das auf diesen Fehler aufgebaute Argument, die Kleinkunden und Mittelständler bezahlten den Börsen- gang, den Bundeshaushalt und die Marktmacht der Post AG, geht an der Realität vorbei. Bekanntlich wird das große Geschäft im Postmarkt mit den Großkunden ge- macht und bei den Kleinverbrauchern und in der Fläche eher draufgezahlt. Aus diesem Grund stürzen sich ja die Wettbewerber der Post AG auch nicht auf Handwerker und Liebespaare – aus diesem Grund versuchen auch viele, sich der Bedienung in der Fläche zu entziehen. Nein, alle stürzen sich auf die Geschäftskunden in Ballungsräumen. Also: Der derzeitige Einheitstarif und die genehmigten Entgelte sind eine Mischkalkulation, die auch die Kosten des Infrastrukturauftrages und der sozialen Verpflichtun- gen einfließen. Mag sein, dass diese Entgelte mittelfristig gesenkt werden können. Das werden wir genau dann be- trachten, wenn es aktuell wird, nämlich nach Ablauf der Frist für die derzeit genehmigten Entgelte. Derzeit haben wir entschieden und gut begründet: Wir brauchen Stabi- lität in Zeiten des Börsengangs und wir brauchen keinen weiteren Druck zum Abbau des flächendeckenden Ange- bots, der Kundenfreundlichkeit und der Arbeitsplätze. Und dann kommt der internationale Vergleich. Angeb- lich sind wir die teuersten. Aber Vorsicht: Brief ist nicht Brief, so wie Müller nicht Müller ist und PDS in Deutsch- land nicht PDS in Italien – auch wenn sie alle gleich heißen. Der billige Brief in Spanien erreicht den Adres- saten bzw. die Adressatin nur zu 55 Prozent schon am nächsten Tag, in Deutschland zu rund 90 Prozent. Selbst im angeblich vorbildlich liberalisierten Schweden, aber auch in Frankreich, Portugal und vier weiteren Ländern muss ein Arbeiter länger fürs Porto arbeiten als bei uns. In den meisten Ländern Europas wird nur fünfmal pro Wo- che zugestellt. Aufgrund all dessen, einschließlich der Kaufkraftparitäten in Rechnung gestellt, belegen wir ei- nen Mittelplatz bei den Briefgebühren. Allzu Neugierige warne ich auch vor dem Glauben, wenn alles liberalisiert ist, werde auf dem Postmarkt alles billiger. Das schwedische Beispiel weist leider in eine an- dere Richtung. Wir werden uns daher im Postbereich nicht von unserem Kurs der berechenbaren, kundenfreundlich und sozialverträglich flankierten Liberalisierungsschritte im europäischen Konzert abbringen lassen. Dies haben wir auch schon im Einzelnen anlässlich der Aktuellen Stunde am 5. April 2000 ausgeführt. Für Irrlichterei, billige Showeffekte und Verunsiche- rungen gegenüber Wettbewerbern, Kunden und Beschäf- tigten der gesamten Branche ist dabei kein Platz. Wenn die F.D.P. in der Wirtschaftspolitik einmal wieder ernst genommen werden will, muss sie auf solche Anträge wie den heute vorliegenden verzichten. Solange das nicht ge- schieht, werden wir sie ablehnen müssen. Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU): Wegen des rechtswidrigen Eingriffs des Bundesministers für Wirt- schaft und Technologie, Dr. Werner Müller, im März 2000 in die Regulierung ermittelt die EU-Kommission in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland. Die Bundesregierung hat vor zehn Monaten durch die Weisung an die Reg-TP verhindert, dass die Regulie- rungsbehörde mit Wirkung ab 1. September 2000, also vor 4 Monaten, niedrigere Preise im Monopolbereich der Post festsetzt. Zu Recht hat ein Sachverständiger bei der Anhörung zur Postpolitik im letzten Jahr formuliert: „Die Regierung nimmt die Postkunden in Geiselhaft.“ Da die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktio- nen von SPD und Grünen aber auch rechtzeitig durch die gegen unsere Stimmen im November 1999 verabschiedete Post-Universaldienstleistungsverordnung – PUDLV – Vorsorge getroffen haben, dass die betroffenen Postkun- den nicht mit Rechtsmitteln gegen überhöhte Preise vor- gehen können, liegt das Ganze also nun in Brüssel. Man muss das nochmals betonen: Diese Bundesregie- rung verhindert, dass der Postkunde Rechtsmittel gegen solche Entscheidungen einleiten kann. Als Verbraucher hat er nur die Möglichkeit, sich schriftlich bei der Regu- lierungsbehörde zu beschweren. Wer nun gehofft hatte, dass die demnächst anstehende Postdienstleistungsverordnung – PdLV – im Bereich der Leistungsentgelte etwas präziser sei, sieht sich erneut ent- täuscht: Dort findet sich nicht einmal ein Hinweis darauf – was das Mindeste wäre –, dass die Kunden ein Anspruch darauf haben, dass die Entgelte den Bestimmungen des § 20 PostG entsprechen müssen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2001 14099 (C) (D) (A) (B) Die derzeitige Regelung soll festlegen, dass das Porto in der so genannten Exklusivlizenz, also dem Postmono- pol, bis Ende des Jahres 2002 gelten soll. Eine Änderung im Portobereich muss also sowieso noch in dieser Legis- laturperiode festgelegt werden. Ich darf dabei einmal voraussagen, dass bei der anste- henden Portorunde die Post sicherlich keinen Einzelan- trag stellen wird. Sie erwartet vermutlich das, was sie mit- hilfe der Deutschen Postgewerkschaft durch Intervention im Januar 2000 beim Bundeskanzler verhindert hat: näm- lich die Berechnung nach dem so genannten Preiscap- Verfahren. Dabei habe ich zunehmend den Eindruck, dass bei vie- len die Mechanismen des anwendbaren Preiscap-Verfah- rens nicht begriffen worden sind. Denn nach diesem Verfahren geht es nicht um die Anordnung eines Einze- lentgeltes, also zum Beispiel für den Brief bis 20 Gramm, sondern um einen Preiskorb aus Rationalisierungsfort- schritten sowie Lohn- und Inflationsentwicklung, was dann zu Preisveränderungen in einer vorgegebenen Pro- zentzahl über die ganze Breite der Produkte führt. Natürlich gilt auch dann für das Einzelprodukt die ef- fiziente Preisleistung. Natürlich wäre dabei im letzten Jahr eine Senkung des Standardbriefes unausweichlich gewesen. Und ich behaupte einmal, die Post hätte ihrem Image einen fast unbezahlbaren Dienst erwiesen, wenn sie das Porto angepasst hätte. Mit ihrer Weigerung einer Portosenkung haben Bundesregierung und Post AG aber selbst dazu beigetragen, dass sich inzwischen der Ein- druck gefestigt hat: Ohne Beibehaltung des Monopols, ohne weiteren staatlichen Schutz ist das Unternehmen Post AG nicht in der Lage im Wettbewerb zu bestehen. Der Bundesfinanzminister verstärkt diesen Eindruck durch seine diversen Briefe an die Fachaufsicht. Er glaubt, nur durch staatliche Eingriffe kann er den Aktien- wert erhalten, was nichts anderes heißt, als dass der Bund durch künstliche Spitzenpreise auf Kosten der Verbrau- cher Kasse macht. Denn es war schon bezeichnend, dass der Bundeswirt- schaftsminister in einem Interview als Grund für seinen Griff in die Portokasse der Bürger angegebenen hatte, vor einem Börsengang müsse man dafür sorgen, dass das Un- ternehmen ausreichenden Gewinn ausweise. Es ging also nicht um den günstigeren Portotarif für den Verbraucher, sondern um die Zusage an die Aktionäre auf einen satten Gewinn. Nach dem EWG-Vertrag sind die Mitgliedstaaten un- ter anderem verpflichtet, die missbräuchliche Ausnutzung der marktbeherrschenden Stellung von Unternehmen zu verhindern und sie nicht noch zu fördern. Vor allem aber sind Bundesregierung und Post sowohl nach dem Postge- setz als auch nach EU-Recht verpflichtet, die Preise der Post im Monopolbereich an den Kosten für effiziente Leis- tungsbereitstellung zu orientieren; und nach Ansicht aller wichtigen Marktbeobachter ist das Porto für Standard- briefe zu hoch. In diesem Zusammenhang darf ich nochmals auf einen unannehmbaren Sachverhalt hinweisen: Dass die Post zum Jahresanfang eine neue teure Spitzenkraft eingestellt hat, nämlich die ehemalige EU-Kommissarin Wulf-Mathies, deutet darauf hin, dass sie die Vorwürfe vielfacher Rechts- verstöße viel ernster nimmt, als sie öffentlich zugibt. Als einen regelrechten Skandal empfinde ich es aber nach wie vor, dass Frau Wulf-Mathies nicht nur mit ihrem Insider-Wissen als ehemalige EU-Kommissarin der Post zu Diensten ist, sondern gleichzeitig auch noch der Bun- desregierung als Beraterin zur Verfügung steht, und dies, wo doch gleichzeitig die Brüsseler Verfahren nicht nur ge- gen die Post, sondern auch gegen die Bundesregierung ge- richtet sind. Ich empfinde dies bis heute als eine uner- trägliche Interessenverquickung, die eigentlich schwerer wiegt als das, was man Herrn Bangemann vorgeworfen hatte. Die Regierung sollte zweierlei tun: Sie sollte erstens der Regulierungsbehörde unmittelbar die Möglichkeit ge- ben, das unterbrochene Preisverfahren zu Ende zu führen, was zu verbraucherfreundlicherem Porto führen würde und sie sollte sich zweitens nicht hinter den Staaten ver- stecken, die das Postmonopol möglichst noch lange bei- behalten möchten. Der Ablauf des Postmonopols Ende 2002, wie es im Postgesetz der alten Regierung steht, kann nicht durch EU-Recht verhindert werden. Wie sagte doch vor wenigen Tagen der neue Vorsit- zende der Monopolkommission in einem Interview im Handelsblatt – ich zitiere –: „Ohne Wettbewerb bleibt das Briefporto noch lange hoch.“ Der Vorstandsvorsitzende der Post AG, Dr. Zumwinkel, hat Recht, wenn er öffentlich erklärt, dass die Postlibera- lisierung nur vorankommt, wenn Deutschland weiterhin, wie unter der alten Regierung, Vorreiter der verbraucher- freundlichen Liberalisierung bleibt. Inzwischen sind wir in Europa längst nicht mehr Vorreiter, sondern allenfalls im Mittelfeld der Reformstaaten zu finden. Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Liberalisierung des Postmarktes in Europa ist ins Stocken gekommen. Die EU-Staaten konnten sich bisher nicht auf einen gemeinsamen Zeitplan zur weiteren Öff- nung des Postmarktes einigen. Das bedeutet, dass das Un- gleichgewicht der Marktöffnung in Europa weiter besteht. Deutschland hat im Unterschied zu anderen Ländern der EU in der Öffnung des Postmarktes schon gute Er- gebnisse erzielt. Dass diese Marktöffnung noch nicht weit genug geht, darin sind wir uns sicherlich einig. Bei einem gegenwärtigen Marktanteil der privaten Unternehmen von unter 2 Prozent im lizenzierten Bereich müssen wir noch große Schritte gehen. Wir sind zu diesen Schritten bereit besonders, wenn man sich Bereiche ansieht, in de- nen der Wettbewerb für die Kunden erhebliche Fort- schritte gebracht hat. Ein gutes Beispiel für die positiven Folgen des Wett- bewerbs im Postwesen ist der Kurierbereich. In nur weni- gen Jahren haben flexible Wettbewerber eine Vielzahl von innovativen Dienstleistungen hervorgebracht. Das hat auch das Unternehmen Post beflügelt und hat geholfen, Verkrustungen aufzubrechen. Wer von Ihnen vor einigen Jahren versucht hat, eine Sendung innerhalb eines Tages an einen beliebigen Ort Deutschlands zu befördern, weiß Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 200114100 (C) (D) (A) (B) um den Fortschritt. Diese breite Auswahl an Dienstleis- tungen und Wettbewerbern brauchen wir auch in anderen Bereichen des Postmarktes. Wir stoßen aber dort auf Probleme, wo wir den ande- ren Mitgliedstaaten der Europäischen Union weit voraus sind. Frankreich, Großbritannien, Spanien, Italien, alle diese Länder wollen den Postmarkt nicht in dem Maße li- beralisieren, wie wir das vorhaben. Dort wird versucht, an der alten Staatspost festzuhalten und Wettbewerber mög- lichst vom Markt fernzuhalten. Wir sind aber darauf angewiesen, in gleichen Schritten wie unsere europä- ischen Nachbarn vorzugehen. Ein Ungleichgewicht in der Marktköffnung der Staaten birgt die Gefahr eines Un- gleichgewichtes auf dem deutschen Markt. Unternehmen aus Ländern, die ihren Markt noch nichtliberalisiert ha- ben, können mit ihren üppigen Monopolgewinnen auf den Märkten konkurrieren, auf denen bereits ein funktionie- render Markt entsteht. Wir sehen dieses Beispiel heute auf dem Energiemarkt, auf dem die französische EDF ihre Monopolgewinne dazu nutzt, sich auf dem liberalisierten deutschen Energiemarkt zu positionieren. Deutsche Un- ternehmen haben diese Gewinne nicht und können in Frankreich auch nicht in den Wettbewerb um den End- kunden eingreifen. Es ist daher wichtig, die Öffnung des Postmarktes im Einklang mit der europäischen Entwick- lung fortzuführen. Wir müssen aber der Motor der weiteren Liberalisie- rung der Postmärkte in Europa sein. Daher ist es unsere Aufgabe, auf einen europaweit verbindlichen Termin zum Auslaufen des Postmonopols hinzuarbeiten. Dadurch werden auch die Länder in Zugzwang gebracht, die sich auf ihren bisherigen Liberalisierungsschritten ausruhen wollen. Der Termin für die europaweite Marktöffnung im Postbereich darf nicht erst 2009 sein. Dadurch würde wertvolle Zeit verschenkt, während weiter Monopol- preise gezahlt werden müssen und aufkommende Wettbe- werber vom Markt ferngehalten werden. Alle Mitglieds- länder müssen schon früher dazu gebracht werden, echte Schritte zur Marktöffnung zu unternehmen. Dazu gehört auch die europaweite Öffnung des Marktes für Briefpost unterhalb 350 Gramm. Es macht sich natürlich sehr gut, wenn die sehr geehr- ten Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P. die Senkung des Briefportos verlangen. Aber das allein reicht nicht. Ich hätte wirklich gedacht, dass gerade Sie als Mitglieder ei- ner wirtschaftsliberalen Partei den gesamten Hintergrund berücksichtigen könnten und sich nicht in einfachen po- pulären Forderungen ergingen. Rainer Funke (F.D.P.): Ich gratuliere zunächst der Post AG zu dem erfolgreichen Börsengang. Die Post AG hat nicht nur den beabsichtigten Betrag emittieren kön- nen, sondern hat offensichtlich auch einen richtigen Aus- gabekurs gefunden. Die Post AG ist eines der ganz selte- nen Unternehmen in der Welt, die privatisiert sind und ihren Aktionären aufgrund einer Monopolrente einen Gewinn bescheren kann, der niemals zustande gekommen wäre, wenn die Dienstleistungen der Post im Wettbewerb stehen würden. Das ist für unser marktwirtschaftliches System schon eine Ausnahmeerscheinung – um nicht zu sagen: ein Skandal! Realistischerweise betrüge bei Wettbewerbsverhältnis- sen der Preis für die Beförderung eines Normalbriefes bis 20 Gramm 90 Pfennig. Mit diesem überhöhten Porto von 1,10 DM finanziert die Post AG den Umbau zu einem weltweiten Logistikunternehmen. Ich will nicht missver- standen werden: Der Zug, Mehrwertdienstleistungen auf dem Gebiet der Logistik zu erwirtschaften, ist richtig. Die Finanzierung aber, über den überhöhten Portopreis auf- grund der Monopolstellung, ist falsch, weil auf diese Weise privaten Wettbewerbern, die nicht über solche Monopolstellungen verfügen, im Wettbewerb Vorteile zugeschanzt werden, die in einem fairen Wettbewerb nicht möglich wären. Dasselbe gilt natürlich auch für den Bereich des Paketdienstes. Durch entsprechende Quer- subventionierung werden private Wettbewerber am Markt weggebissen. Die F.D.P.-Fraktion wird sich vehement gegen die Ver- längerung des Postmonopols wehren. Dieses Monopol verfälscht den Wettbewerb auch auf Drittmärkten. Das Argument, man müsse im europäischen Geleitzug das Monopol nach und nach, möglichst erst in acht bis zehn Jahren, aufheben, ist verlogen. Wir müssen nicht die Fehler zum Beispiel unserer französischen Nachbarn übernehmen. Uns hat der Wettbewerb für unsere Volks- wirtschaft nur genutzt. Das gilt nicht nur für die Telekom- munikation, wo wir Vorreiter in Europa für die Öffnung der Märkte gewesen sind, übrigens sehr zum Nutzen un- serer Verbraucher und unserer Wirtschaft. Dies sollte auch für die Post AG gelten; denn nur ein wettbewerbsfähiges Unternehmen ist fit und nicht fett. Gerhard Jüttemann (PDS): Die PDS-Fraktion hatte beantragt, in die heutige Debatte um den vorliegenden An- trag der F.D.P. auch einen Gesetzentwurf der PDS-Frak- tion zur Änderung des Postgesetzes einzubeziehen. Die F.D.P. hat das abgelehnt mit der Begründung, die beiden parlamentarischen Initiativen hätten angeblich nichts mit- einander zu tun. Ich will den Zusammenhang erklären. Die Begründung unserer Ablehnung des F.D.P.-Antrages ergibt sich daraus. Diejenigen, die uns erklären, Postleistungen könnten billiger als heute erbracht werden und deshalb Portosen- kungen verlangen, spekulieren auf zweierlei: Erstens da- rauf, dass die Post weiter ihr Personal reduziert und damit die Arbeitslosenzahlen nach oben treibt, und zweitens, dass für die verbliebenen Mitarbeiter die sozialen Stan- dards, vor allem die Einkommen, weiter reduziert werden. Diese Entwicklung hat besonders zu Beginn dieses Jahre geradezu beängstigende Formen angenommen. Mehr als 19 000 Beschäftigte der Deutschen Post AG müssen in diesem Jahr Gehaltseinbußen zwischen 7 und 30 Prozent hinnehmen. Betroffen von diesem Lohnraub sind alle Beschäftigten mit befristeten Verträgen und sol- che, die ab 1. Januar oder später neu eingestellt werden. Hintergrund dessen, dass sich die Gewerkschaft darauf eingelassen hat, sind die Erpressungsversuche der Deut- schen Post AG, die mit Ausgliederung verschiedener Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2001 14101 (C) (D) (A) (B) Bereiche und Fremdvergabe an Billiganbieter gedroht hatte. Allerdings gehören diese Billiganbieter meist zum eigenen Konzern. Denn die Deutsche Post AG hat sich nach der Privatisierung zu einem unübersehbaren Ge- flecht von Logistikunternehmen gewandelt, die zu einem erheblichen Teil mit Scheinselbstständigen und Men- schen in prekären Arbeitsverhältnissen agieren. Die so genannten Wettbewerber der Deutschen Post AG, die auf nichts sehnlicher als die totale Marktöffnung warten, arbeiten fast ausschließlich ebenfalls mit Schein- selbstständigen und Menschen in prekären Beschäfti- gungsverhältnissen. Und eines ist völlig klar: Wenn der Markt eines Tages zu 100 Prozent geöffnet sein wird, dann sind auch die Tarife der Stammbelegschaft der Deutschen Post AG nicht mehr zu halten. Dieser katastrophale Abbau sozialer Standards im Postbereich ist das Ergebnis von Privatisierung, Liberali- sierung und Förderung des Wettbewerbs. Der Antrag der F.D.P. zur Portosenkung dient nichts anderem als der Be- schleunigung dieses Prozesses und damit des Sozialraubs. Gleichzeitig wird er die Arbeitslosigkeit im Postbereich verstärken, nachdem die Post schon heute ihre Beschäf- tigtenzahl infolge der Privatisierung um 150 000 reduziert hat. Ziel des Gesetzentwurfs der PDS hingegen, über den die F.D.P. nicht reden will, über den hier aber trotzdem noch geredet werden wird, ist die Ausdehnung der ge- fährdeten, aber noch vorhandenen sozialen Privilegien der Stammbelegschaft der Deutschen Post AG auf die an- deren Beschäftigten der Branche. Siegmar Mosdorf (SPD): Bereits im April vergange- nen Jahres ist auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion,eine Aktuelle Stunde mit dem Ziel einer Briefportosenkung veranstaltet worden. Der F.D.P.-Antrag will diese alte Diskussion neu aufnehmen. Aber nur durch ihre bloße Wiederholung werden Forderungen nicht besser. Statt- dessen müssten neue Argumente vorgetragen werden; die sind jedoch nicht zu erkennen. Damals wie heute vertritt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Weisung zur Fortführung des Brief- portos bis zum 31. Dezember 2002 wirtschaftspolitisch geboten und rechtlich zulässig war. Denn: Es besteht ein innerer Zusammenhang zwischen der Laufzeit der Exklu- sivlizenz der Deutschen Post AG und der Geltungsdauer bestehender Genehmigungen, auf die im Postgesetz Be- zug genommen wird. Mittlerweile bezweifelt auch kein Mensch mehr, dass der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie ge- genüber der Regulierungsbehörde ein gesetzlich verbrief- tes Weisungsrecht hat. Damit ist auch keinesfalls die immer wieder zu Recht betonte und vom Wirtschafts- minister gewahrte Unabhängigkeit der Regulierungsbe- hörde für Telekommunikation und Post tangiert worden. Diese besteht selbstverständlich, bezieht sich jedoch auf förmliche Verfahren bei den einzelnen Beschlusskam- mern. Ein solches förmliches Verfahren zur Neufest- setzung des Briefportos war letztes Jahr jedoch nicht ein- geleitet worden. Nun, nachdem seit dem 1. September 2000 die Geneh- migungen für die Briefentgelte fortbestehen, fordert der vorliegende Antrag die Regulierungsbehörde auf, das Porto zu senken. Da Sie fair die Begründung dieses An- trags das Postgesetz heranziehen, frage ich Sie, auf wel- cher postgesetzlichen Grundlage das Porto denn jetzt ge- senkt werden soll? Es gibt dafür nämlich keine! Und deshalb ist Ihr Antrag auch unseriös: Sie fordern etwas, was sich zwar wunderbar fordern lässt, wofür es aber keine Mittel zur Durchsetzung gibt. Der von Ihnen angeführte § 20 des Postgesetzes ist zwar richtig zitiert. In Verbindung mit § 24 des Postgeset- zes ist er jedoch nicht einschlägig. Die Regulierungs- behörde kann Briefentgelte nur dann nachträglich über- prüfen, wenn entweder Preisunterbietungen zu vermuten sind oder eine Diskriminierung einzelner Kunden vor- liegt. Beides ist nicht der Fall. Deshalb läuft Ihr Antrag und seine Begründung ins Leere. Die Deutsche Post AG stellt sich bereits seit mehreren Jahren auf die zukünftigen wirtschaftlichen Herausforde- rungen der Brief-, Transport- und Logistikmärkte ein. Mit teilweise großen Aufwendungen verbessert sie ihre inne- ren Betriebsstrukturen und steigert damit auf längere Sicht ihre Effizienz. Dass dieser Weg erfolgreich ist, zeigt der im letzten Herbst bei insgesamt schwierigem Börsen- umfeld gelungene Börsenstart der Deutschen Post AG. Sowohl Privatanleger als auch institutionelle Investoren setzen in die Leistungsfähigkeit der Deutschen Post AG großes Vertrauen. Eine weiterhin solide wirtschaftliche Entwicklung der Deutschen Post AG wird dann die Voraussetzung dafür bilden, dass eine Senkung des Briefportos nach dem Aus- laufen der bestehenden Genehmigungen Ende 2002 mög- lich ist. Der Bundeswirtschaftsminister hat auf diesen Zu- sammenhang bereits vor einigen Wochen hingewiesen. Über Art und Höhe der dann vorzunehmenden Tarifver- änderung im Briefbereich wird dann selbstverständlich die Regulierungsbehörde in einem förmlichen Verfahren zu entscheiden haben. Ich bitte Sie deshalb, den gestellten Antrag abzulehnen. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Personenstandsgesetzes (Tagesordnungspunkt 22) Harald Friese (SPD): Als sich die junge Mutter ver- zweifelt beim Frauennotruf im bayerischen Amberg mel- dete, war sie auf der Suche nach einer Bleibe für ihr un- gewolltes Baby, das sie in wenigen Stunden zur Welt bringen würde. Niemand durfte es wissen, niemand ihren Namen kennen, aber das Kind sollte es gut haben. „Wir treffen uns“, sagte die Beraterin am Notruftelefon rasch, „Sie können uns ihr Baby übergeben, der Name spielt keine Rolle, es wird gut versorgt.“ Doch damit war der Anruferin noch nicht geholfen. Sie hatte keinen Ort, an den sie gehen konnte, wenn die We- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 200114102 (C) (D) (A) (B) hen einsetzten. Zu Hause würde die Geburt bemerkt, im Krankenhaus registriert. „Wo soll ich denn hin?, fragte sie weinend. Die Sozialarbeiterin schwieg lange. „Ich kann Ihnen nicht helfen“, sagte sie. „Gehen Sie irgendwohin, wo Sie Wasser haben, am besten zum Klo.“... Diese geheimen Geburten in öffentlichen Toiletten, Hinterzimmern und Kellerverschlägen machten ihr Angst – vor allem das Wissen darum, was Mutter und Kind dabei passieren kann: dass etwa manchem Neugeborenen, wenn es plötzlich schreit, in Panik doch noch ein Kissen aufs Gesicht gedrückt wird.“ So der „Spiegel“ vom 16. Oktober 2000. Nur eine Geschichte, die zu Herzen geht? Ein Einzel- fall? Leider nein! Etwa zwei Dutzend getötete Neugeborene findet man jährlich in Deutschland – mehr oder weniger zufällig. Die Dunkelziffer getöteter Neugeborener soll mindestens vierzigmal so groß sein, also tausend Babys im Jahr, die nach der Geburt umgebracht werden. Und dies sind alles Kinder von Müttern, die nicht in ei- nem Krankenhaus, nicht zu Hause mit einer Hebamme, sondern im Verborgenen und in der Regel allein entbin- den: in einer öffentlichen Toilette, in einem Kellerraum, jedenfalls anonym und unerkannt. Die Frauen befinden sich in ausweglosen Situationen und verheimlichen des- halb Schwangerschaft und Geburt. Ich will heute nicht der Frage nachgehen, warum es in unserem Sozialstaat zu solchen Lebenssituationen kommt. Wir würden von viel menschlichem Leid erfahren: Ent- scheidender ist, was der Gesetzgeber tun kann, um schwan- geren Frauen, die um jeden Preis anonym bleiben wollen, eine humane Geburt zu ermöglichen. Nur dadurch sichern wir den geborenen Kindern eine Chance zum Leben. Unser geltendes Personenstandsrecht steht aber so ge- nannten anonymen Geburten entgegen. Die §§ 16 ff. des Personenstandsgesetzes bestimmen, dass eine Geburt bin- nen einer Woche anzuzeigen ist, und zwar von denen, die bei der Geburt anwesend waren. Bürgerschaftliche Initia- tiven, wie der Verein Sterni Park e.V. in Hamburg, sichern mit so genannten Babyklappen zwar das Überleben eines Neugeborenen, aber nicht dessen Geburt unter humanen und medizinisch einwandfreien Bedingungen. Der Sozi- aldienst katholischer Frauen in Amberg ermöglicht im dortigen Krankenhaus anonyme Geburten. Die Beteilig- ten begehen dann aber eine Ordnungswidrigkeit und kön- nen mit der Festsetzung eines Zwangsgeldes angehalten werden, den Namen der Mutter preiszugeben. Es bleibt also festzuhalten: Anonyme Geburten sind in Deutschland rechtswidrig. Wenn man sie will, muss das Personenstandsgesetz geändert werden. Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion versucht, mit einer Verlängerung der Anzeigefrist das enge zeitliche Korsett des Personenstandsgesetz zu sprengen. Bestehen bleibt aber weiterhin die Verpflichtung, danach den Namen der Mutter offen zu legen. Das löst aber das Problem nicht. Die SPD-Fraktion hält auch aus anderen Gründen den Ge- setzentwurf der CDU/CSU-Fraktion für problematisch. Er ist so nicht zustimmungsfähig. Wir sind uns aber im Ziel einig, Müttern in ausweglosen Situation zu helfen und damit den Kindern zu helfen. Denn man kann ein Kind nur mit der Mutter, nicht aber gegen die Mutter schützen. Ich will nicht verhehlen: Eine Änderung des Perso- nenstandsgesetzes begegnet einer Fülle rechtlicher Be- denken. Zunächst verfassungsrechtliche: Nach einer Ent- scheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 31. Ja- nuar 1989 ist das Recht auf Kenntnis auf eigene Abstam- mung Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes nach Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Ist dieses mit der Legalisierung anonymer Geburten vereinbar? Es gibt völkerrechtliche Bedenken: Art. 7 der UN-Kinder- konvention bestimmt, dass jedes Kind das Recht hat, seine Herkunft zu kennen. Eine Änderung des Personen- standsgesetzes könnte zudem gegen Art. 8 Abs.1 der Eu- ropäischen Menschenrechtskonvention verstoßen, wo- nach von Geburt an die Integration des Kindes in seine Familie ermöglicht werden muss. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ver- weist dabei auf den Grundsatz „mater semper certa est“. Dieser Satz atmet denselben Geist wie das Personen- standsgesetz, das sich auch heute kaum von seiner Ur- sprungsfassung aus dem Jahre 1875 unterscheidet, näm- lich die Verdrängung sozialer Realität aus dem rechtlichen Bewusstsein. Wir werden über vieles diskutieren müssen, auch darü- ber, ob die Möglichkeit anonymer Geburten von, Müttern missbraucht werden kann. Ich glaube es nicht, aber wir müssen die Erfahrungen im Ausland, insbesondere in Frankreich, sorgfältig prüfen und auswerten. In der Güterabwägung zwischen dem Recht auf Kennt- nis der eigenen Abstammung und dem Recht auf Leben unter Verzicht auf Kenntnis der eigenen Abstammung fällt mir aber die Entscheidung leicht: Sie muss zugunsten des Lebens falten. Zum weiteren Verfahren möchte ich einen Vorschlag machen: Es wäre dem Thema angemessen, im Rahmen ei- ner interfraktionellen Arbeitsgruppe gemeinsam nach Lö- sungen zu suchen. Dazu lade ich Sie herzlich ein. Renate Diemers (CDU/CSU): Politisch fühle ich mich immer dann in besonderer Weise gefordert, wenn sich hinter einem nüchtern und trocken klingenden Ge- setzentwurf lebensentscheidende Rahmenbedingungen für Menschen in unserem Land verbergen. Ich bin sicher, dass viele Menschen mit dem Begriff Personenstandsge- setz erst einmal gar nichts verbinden. Aber es handelt sich in der Tat um ein lebenswichtiges, ein sehr emotio- nales Thema und ich freue mich, dass die zuständigen Kollegen aus dem innenpolitischen Bereich mir als Fa- milienpolitikerin die Gelegenheit geben, dazu Stellung zu nehmen. Der vorliegende Gesetzentwurf zum Personenstands- gesetz beinhaltet, die Anzeigefrist der Schwangerenbera- tungsstellen für Geburten von einer Woche auf 10 Wochen zu verlängern. Mütter in Konfliktsituationen sollen sich an eine geeignete Schwangerenberatungsstelle wenden können und sollen zunächst – das heißt bis 10 Wochen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2001 14103 (C) (D) (A) (B) nach der Geburt – anonym bleiben können. Die Bera- tungsstellen hätten durch eine verlängerte Anzeigefrist mehr Zeit, den betroffenen Frauen einen Weg aus ihrer Notlage aufzuzeigen. Die Zahl der Kindesaussetzungen und andere Panikreaktionen würden mit Sicherheit ver- ringert. Außerdem wird damit dem ordnungsrechtlichen Auftrag, den das Personenstandsgesetz regelt, auch Genüge getan. Denn es dient ja auch dem Zweck, die Her- kunft eines Menschen zu dokumentieren. Somit wird zunächst einmal sichergestellt, dass Kinder in der Regel ihre Wurzeln kennen und ihre Interessen zum Beispiel in Bezug auf Erbansprüche gewahrt werden. Eine Verlänge- rung der Anzeigefrist ist somit auch im Interesse der Kin- der, wenn sich eine Mutter erst nach etlichen Wochen ent- schließt, zu ihrem Kind zu stehen. Voraussetzung allerdings ist, dass umfassend über die Bedeutung der An- zeigefrist informiert wird. In letzter Zeit wurde in der Öffentlichkeit sehr viel über Babyklappen diskutiert, die in vielen Städten inzwischen eingerichtet wurden. Dadurch wird zumindest sicherge- stellt, dass die ausgesetzten Kinder umgehend medizi- nisch versorgt werden und sich die Mütter nicht strafbar machen. Hier muss möglichst rasch der gesetzliche Rah- men geschaffen werden, um allen Beteiligten die notwen- dige Rechtssicherheit zu geben. Aber die Babyklappen – wie auch die Beratungsstellen – werden nicht von allen verzweifelten Frauen genutzt werden. Findelkinder und Kindesaussetzung bis hin zu Kindes- tötungen aus totaler Verzweiflung hat es leider schon immer gegeben. In Deutschland hat sich die Zahl der Aus- setzungen in den vergangenen Jahrzehnten erfreulicher- weise verringert – sicherlich auch eine Folge der verbes- serten Verhütungsmöglichkeiten und der Hilfsangebote – und sich bei etwa 40 bis 50 Kinder pro Jahr eingependelt. Aber auch die gering erscheinende Zahl macht schmerz- haft deutlich, dass wir eine gewisse Anzahl von Frauen in Notlagen trotz aller Beratungsmöglichkeiten und Hilfsan- gebote, trotz Anzeigefrist und Babyklappen einfach nicht erreichen können. Eine Frau, die nicht zu ihrer Schwangerschaft und ihrem Kind steht bzw. stehen kann, ist in einer enormen Stresssituation. Frauen reagieren auf verschiedenste Weise darauf, mit Schwangerschaftsabbruch, Aussetzung oder gar Tötung von Neugeborenen. Und genau hier müs- sen wir ansetzen und hinterfragen. Gibt es nicht noch an- dere Hilfsangebote für Frauen, über die wir sprechen soll- ten? Daher rege ich über die heutige Debatte hinaus an, gemeinsam über eine gesetzliche Regelung für anonyme Geburten zu sprechen. Diese Möglichkeit würde für diese kleine Gruppe der Frauen bestehen, jene 40 bis 50 pro Jahr, die so verzweifelt sind, dass sie eine Schwangerschaft verheimlichen, sich kei- nem Arzt anvertrauen und auf keinen Fall den Weg in die Beratungsstellen finden. Wie verzweifelt muss man sein, wenn man monatelang derartige körperliche und seelische Belastungen aushält! Zu wissen, auf die unwürdigste Weise, zum Beispiel auf einer öffentlichen Toilette, auf die die mei- sten Menschen noch nicht einmal zum Händewaschen ge- hen würden, ein Kind zur Welt zu bringen und anschließend auf ebenso unwürdige Art wegzugeben! Von anderen Pani- kreaktionen wie Kindestötungen ganz zu schweigen. Aber auch den Aspekt der gesundheitlichen Schädi- gungen des Kindes und auch der Frau aufgrund der feh- lenden medizinischen Versorgung dürfen wir nicht außer Acht lassen. Spricht es für eine kinderfreundliche Gesellschaft, wenn wir diesen Frauen und ihren Kindern ärztlichen Bei- stand während der Schwangerschaft und der Geburt quasi verweigern? Wäre es wirklich ein finanzielles Problem, wenn 40 bis 50 Frauen pro Jahr in Deutschland anonym entbinden würden? Wäre es nicht vielmehr eine kinder- freundliche und solidarische Gesellschaft, wenn Frauen sich gegen einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden und stattdessen ein Kind anonym zur Welt bringen könn- ten, das heißt mit ärztlicher Hilfe? Und das wäre der Un- terschied zur bereits praktizierten Babyklappen-Lösung. Ich persönlich plädiere und werbe daher für die Mög- lichkeit, dass Frauen in einem Krankenhaus oder mithilfe einer Hebamme zu Hause anonym und mit entsprechender medizinischer Nachsorge entbinden können, um das Kind anschließend zur Adoption freizugeben. Die Belastungen für diese Frauen wären auch diesen neuen Bedingungen nach wie vor enorm; das sollten wir nicht vergessen. Ich würde mich freuen, wenn wir dieses Thema in nächster Zeit sehr ernsthaft diskutieren würden, und ich wünsche mir im Interesse der Frauen und Kinder, dass ein fraktionsübergreifender Konsens möglich sein wird. Mir ist allerdings auch bewusst, dass bis zu einer entsprechen- den gesetzlichen Regelung noch großer Beratungsbedarf besteht und viele Fragen abzuklären sind. Aus diesem Grunde bitte ich Sie, unserem Gesetzentwurf zur Ände- rung des Personenstandsgesetzes zuzustimmen, weil auch die Verlängerung der Anzeigefrist ein weiterer wichtiger Schritt zum Wohle der Kinder und der Frauen sein wird. Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der Schule gezeugt, in Panik verschwiegen, in Lügen verstrickt, im Keller geboren, im Müll entsorgt. So beschreibt sehr eindeutig eine Initiative des Sterni Parks die Situation der ausgesetzten, häufig tot aufgefun- denen Neugeborenen. In Deutschland werden jährlich 40 ausgesetzte Säuglinge gefunden. Die Hälfte von ihnen ist tot. Die genaue Zahl der ausgesetzten und getöteten Säuglinge, die niemals gefunden werden, ist mit Sicher- heit deutlich höher. In einer Notsituation verheimlichen die meist sehr jungen Frauen Schwangerschaft und Ge- burt. In ihrer Verzweiflung kann es zu Kurzschlussreak- tionen kommen. Sie setzen die Säuglinge aus. In Extrem- fällen kommt es sogar zur Tötung. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/ CSU, legen uns einen Gesetzentwurf vor, der auf diese Problematik eingeht. Aber Ihr Vorschlag ändert an der Problematik, dass die jungen Frauen während der Geburt bisher nicht auf Hilfe hoffen können – eine Ausnahme bil- det die Klinik in Sulzbach –, nichts. Kein Kind, das bis- her gefunden wurde, wurde in einer Klinik geboren. Für uns bleiben einige entscheidende Fragen offen. Sie wol- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 200114104 (C) (D) (A) (B) len die Frist für die Anzeigepflicht für eine Geburt auf zehn Wochen verlängern. In dieser Zeit soll die Schwangerenberatungsstelle auf die Mutter einwirken, um eine heimliche Geburt doch noch zu verhindern; denn wie sollte es sonst verstanden werden, dass in der Begründung Ihres Gesetzentwurfs steht, dass die Frau zunächst ihre Anonymität wahren kann. Ich glaube, dass der Druck, der ja eigentlich von den Frauen genommen werden soll, damit wieder erhöht wird. Erhöht werden würde mit dem vorliegenden Entwurf auch die Verantwortung der Beratungsstellen. Sie sollen nach dem Gesetzentwurf für die Anzeigepflicht verant- wortlich sein. Ich glaube, das ist problematisch. Ich glaube, wir sind uns in dem Ziel einig, dass wir die Gesundheit der verzweifelten Frauen und das Leben der Neugeborenen schützen wollen. Aber wir müssen uns doch fragen, wie die Hilfe aussehen muss, damit diese Frauen sie auch annehmen können; denn ansonsten schaf- fen wir eine Lösung, die an den Problemen vorbeigeht. Ist es nicht besser, Frauen, die sich in einem existenzgefähr- denden Konflikt befinden, tatsächlich in Ausnahmefällen die anonyme Geburt in einem Krankenhaus anzubieten? In diesem Fall wäre das Krankenhaus in Zusammenarbeit mit einer entsprechenden Stelle für die Anmeldung des Kindes verantwortlich. Ich sehe keinen sachlichen Grund, die Anzeigepflicht bei einer anonymen Geburt allein auf die Beratungsstellen zu verlagern. Derzeit gibt es bereits einige mutige Projekte, die die anonyme Geburt ermöglichen. Dazu gehören eine Klinik in Bayern, in der Mütter ihre neugeborenen Kinder zurücklassen können wie auch das Hamburger Findel- kind-Projekt. Ein Blick über die Grenzen kann uns viel- leicht bei der Lösung helfen. In Frankreich sind anonyme Geburten bereits seit 1941 möglich. Diese Möglichkeit wurde damals geschaffen, um Frauen, die während des Krieges beispielsweise von ausländischen Soldaten uner- wünscht schwanger wurden, die Chance zu geben, ano- nym zu entbinden. Diese Regelung dient noch heute dem Schutz des Kin- des bei einer anonymen Geburt. Circa 500 bis 700 Kinder werden dort als „anonym“ registriert. Allerdings wurden dort bis jetzt auf sämtliche Abstammungsnachweise ver- nichtet. Inzwischen hat das Kabinett aber beschlossen, dass Kinder auf Antrag Kontakt zu ihren leiblichen Eltern herstellen können. Wir müssen auch bedenken, wie dem Recht des Kin- des, die eigene Abstammung zu erfahren, Rechnung ge- tragen werden kann. Lassen Sie uns möglichst gemeinsam nach einer Lö- sung suchen, die die Frauen, die sich in einer akuten Not- lage befinden, in ihrem Konflikt mit niedrig schwelligen Beratungs- und Hilfsangeboten unterstützt, die das Leben der Kinder schützt und Möglichkeiten schafft, freiwillig die eigene Abstammung zu erfahren, und Kinderhandel ausschließt. Zur Lösung dieser Konflikte ist der vorge- legte Gesetzentwurf nicht ausreichend. Darum schlage ich vor, dass wir all diese Fragen mit Vertretern von den entsprechenden Initiativen und Fachleuten aus Wissen- schaft in einer Anhörung erörtern. Vielleicht gelingt es uns sogar, einen gemeinsamen neuen Antrag zu verab- schieden. Ina Lenke (F.D.P.):Der Antrag der CDU/CSU zur Än- derung des Personenstandsgesetzes ist erst auf den zwei- ten Blick ein Thema, mit dem sich der Bundestag drin- gend beschäftigen muss. Ich selbst war in Vorbereitung dazu. Ich würde mir wünschen, dass wir während der Bera- tungen in den Ausschüssen zu einem gemeinsamen An- trag und gemeinsamer Beschlussfassung kommen, um schwangeren Frauen, die in ihrem persönlichen Umfeld und in ihren Familien nicht gut aufgehoben sind, eine Möglichkeit zu eröffnen, ihr Kind auch anonym zur Welt zu bringen. Die Zielrichtung dieses Antrages ist positiv: Schwan- geren Frauen in einer Notsituation soll geholfen werden, ihr Kind unter ärztlicher Betreuung anonym zur Welt zu bringen. Rechtlich ist das derzeit nicht möglich. Ärzte, Hebammen und Klinikleitungen befinden sich nicht auf legalem Boden, wenn sie Leben und Gesundheit schützen wollen. Mit gesetzlichen Änderungen können wir verhin- dern, dass jedes Jahr circa 40 bis 50 Frauen unter unwür- digen Zuständen und in gefahrvollen Situationen für Mut- ter und Kind ein Kind zur Welt bringen. Was soll getan werden, um zu verhindern, dass Säug- linge ausgesetzt werden und zu Tode kommen? Die so ge- nannten „Babyklappen“ sind eine Art der Hilfestellung, eine andere ist der vorliegende Antrag. Den Ansatz, Schwangerenberatungsstellen einzuschalten, sehe ich posi- tiv. Schon jetzt kann die Beratung anonym erfolgen. Das soll nun über den Zeitpunkt der Geburt ausgedehnt werden. Der Vorschlag des CDU/CSU-Antrages, die Frist zur Anzeige einer Geburt nach § 16 Personenstandsgesetz von eine auf zehn Wochen auszudehnen, gibt der Mutter Gelegenheit, sich für das gemeinsame Leben mit ihrem Kind zu entscheiden. Ein Problem der Regelung ist, dass das Recht des Kindes, seine Herkunft zu erfahren, mit der anonymen Geburt stark eingeschränkt wird: Dazu hat ein Verband aus Hamburg den Abgeordneten Vorschläge gemacht, die mit in die parlamentarischen Beratungen einbezogen werden sollten, mit dem Ziel, verfassungs- rechtliche Bedenken auszuräumen und somit das Recht des Kindes, seine Herkunft zu erfahren, beizubehalten. Neben gesetzlichen Änderungen muss ein Ausbau von Hilfsangeboten erfolgen. Die Babyklappe als letzte Ret- tung von Findelkindern oder Einrichtungen wie das Kin- derhaus im brandenburgischen Schwinau, das ausgesetzte Kinder aufnimmt, sind niedrig schwellige Angebote, die helfen, Leben zu retten. Wenn sich der Bundestag zu ei- ner Novellierung des Personenstandsgesetzes entschließt, sollten auch Regelungen gefunden werden, die die ano- nyme Geburt im Krankenhaus – wie sie in Süddeutsch- land von einem Krankenhaus bereits durchgeführt wird – gesetzlich absichern und gleichzeitig Klarheit über ver- fassungsrechtliche Fragen und andere, wie beispielsweise die Kostenträgerschaft, schaffen. Ich würde mich freuen, wenn wir zu einem gemeinsa- men Antrag aller Fraktionen im Deutschen Bundestag kä- men und werde mich dafür einsetzen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2001 14105 (C) (D) (A) (B) Heidemarie Lüth (PDS): Welcher formale Akt, wel- che persönliche Tragik, welches Leid, welche Demüti- gung, aber auch welche Chance verbergen sich hinter die- sem Gesetzentwurf? Seit Jahrhunderten bemühen sich Frauen, ja kämpfen Frauen, um die Selbstbestimmung. Dies schließt die Beantwortung der Frage ein, ob sie ein Kind austragen oder wann sie ein Kind gebären und ob sie mit ihm leben können. Nicht alle betroffenen Frauen lösen diesen schwierigen Konflikt aus den unterschiedlichsten Gründen selbstbe- stimmt und selbstbewusst. Aus Scham, allein gelassen, un- ter dem Druck der eigenen Familie, den Gesetzen ausge- setzt, die nicht immer bekannt sind, entscheiden sich Frauen zum Äußersten. Wir alle wissen das. Muss die Frau illegal gebären, sind oft Gefahren für Mutter und Kind der Preis. Noch schwerer wiegen psychische Belastung und Angst! Ein Findelkind – die Weltliteratur hält Zeugnisse be- reit – kann ebenso ein Problem der Frau von nebenan sein. Eine Möglichkeit, den in dieser Not geborenen Kindern eine Chance zu geben, sind die „Babyklappen“. Dies ist eine nicht geringe Chance für diese Kinder, die Chance auf Leben! Nach den heute geltenden gesetzlichen Regelun- gen verlieren sie jedoch das Recht, je ihre Herkunft zu er- fahren. Die abgebenden Mütter haben keine Aussicht, je zu erfahren, was aus dem Leben, zu dem sie trotz alledem ver- holfen haben, geworden ist. Adoptiveltern, die den Kin- dern Vater und Mutter werden, leben mit diesem Konflikt. Wer erlaubt uns, die wir nicht betroffen sind, diese sen- sible Frage zu entscheiden, zu entscheiden, ob ein Adoptiv- kind wissen darf, wer die leiblichen Eltern sind, ob die leibliche Mutter nach Jahren erfahren darf, wo und wie das Kind lebt? Wer erlaubt uns nicht zuletzt zu entscheiden, wie die Adoptiveltern das Problem bewältigen? Eine sechsfache unterschiedliche Sicht! Was darf, was muss rechtlich für alle Seiten wirklich geregelt sein? Welche vor allem auch zeitlichen Spielräume sollen gegeben werden? Kann überhaupt zwischen den Schutzgütern der am Kon- flikt beteiligten Parteien abgewogen werden? Was soll primär sein? Dies sind Fragen, die einen nicht loslassen! Sollen diese Kinder eine Chance haben und die abge- benden Mütter freier entscheiden können, dann bedarf es nicht noch mehr Regelungen! Dann bedarf es eines ganzen Bündels von Hilfsangeboten, die entkriminalisie- ren, vor Babyhändlern schützen, Frauen in der Schwan- gerschaft und bei der Geburt die notwendige gesundheit- liche Betreuung ermöglichen, den Kindern eine Chance geben, ihre Herkunft zu erfahren, so sie denn wollen, und die den Adoptiveltern, die nun Eltern der Kinder sind, hel- fen, gemeinsam mit ihren Kindern die komplizierte Si- tuation zu meistern. Nicht zu vergessen die erheblich schwerwiegendere Position der Frauen, für die das Ausländergesetz ent- scheidet. Der vorliegende Entwurf ist ein scheinbarer Aufschub, bietet letztlich keine wirkliche Lösung. Der anonymen Beratung und der anonymen Geburt folgt letzt- lich doch die staatliche Sanktion: die Meldepflicht, und zwar nicht von den Frauen direkt; vielmehr werden die Schwangerenberatungsstellen meldepflichtig. So bleibt den Frauen auch dieser psychische Druck nicht erspart. Eventuell wird momentan eine Panikreaktion verhindert; die Lösung ist es in keiner Weise. Wir sollten gemeinsam mit den Vereinen, Verbänden und den Selbsthilfegruppen überlegen, welche Wege geboten und gangbar sind. Nicht alles, was rechtlich geregelt ist, ist hilfreich, schon gar nicht in einem Bereich, in dem es um das Schicksal und Entscheidungen geht, die einen in der Tat ein Leben lang begleiten! Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes und der Bundespflegesatzverordnung (DRG-Systemzu- schlags-Gesetz) (Zusatztagesordnungspunkt 8) Horst Schmidbauer (Nürnberg) (SPD): Es ist gut, dass wir das zentrale Reformvorhaben, eine neue Vergü- tungsstruktur nach Leistung für die Krankenhäuser einzu- führen, heute ein tüchtiges Stück voranbringen: Es ist tatsächlich ein riesiger Reformsprung, wenn in Zukunft die Leistung im Krankenhaus nicht mehr nach dem belegten Bett, sondern nach der tatsächlichen Leistung, nach dem tatsächlichen Aufwand in D-Mark bezahlt wird. Es ist tatsächlich ein riesiger Reformsprung, wenn wir der Rosinenpickerei mit der Selektion der günstigsten Krank- heitsfälle durch die Einführung der DRGs ein Ende berei- ten. Es ist tatsächlich ein riesiger Reformsprung, wenn wir durch Abschläge oder Zuschläge die Mehr- oder Minder- kosten von Krankenhäusern für ihre strukturbedingten Auf- gaben gerecht bewerten. Dies ist ein wichtiger Wertewan- del unter dem Motto: Das Geld muss der Leistung folgen. Erfreulich ist, dass die Deutsche Krankenhausgesell- schaft und die Krankenhausgesellschaften der Länder die- sen Reformschritt nun aufgeschlossen und konstruktiv gefördert haben. Das Ziel der ersten Etappe ist also zeit- gerecht erreicht. Die Vereinbarung in der Selbstverwaltung wird von al- len Beteiligten positiv bewertet, denn die AR-DRGs sind das medizinisch zeitgerechteste DRG-System. Drei wichtige Aufgaben sind jetzt zu leisten: Erstens. Die AR-DRGs müssen an die deutschen Behandlungsver- hältnisse angepasst werden. Zweitens. Das Klassifikati- onssystem muss jährlich an medizinische Veränderungen angepasst werden. Drittens. Die Bewertungsrelationen müssen auf der Grundlage tatsächlicher Kosten deutscher Krankenhäuser kalkuliert werden. Diese Aufgabenstellung ist nach unserer Auffassung weder vom Staat, sprich: vom BMG, noch von privaten Einrichtungen zu erfüllen. Wir setzen nicht auf staatliche, wir setzen nicht auf private, wir setzen auf die Selbstver- waltung. Wir reden nicht über Selbstverwaltung, sondern wir bauen und vertrauen auf die Selbstverwaltung. Die Selbstverwaltung braucht aber zur Umsetzung der ge- nannten drei Punkte einen neuen, wichtigen Baustein; denn nur so können diese zentralen Aufgaben erfüllt wer- den. Dieser neue Baustein heißt: DRG-Institut. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 200114106 (C) (D) (A) (B) Die Selbstverwaltung hat sich darauf verständigt, die- ses Institut einzurichten. Das DRG-Institut wird die er- forderlichen Aufgaben übernehmen. Ohne eine solche, hochqualifiziert arbeitende Einrichtung geht es nicht. Das belegen die Erfahrungen vieler Länder. Dass die Erfüllung nicht zum Nulltarif geht, wissen wir von den Ländern, die mit DRGs arbeiten. Wenn sie Leis- tungen sehr korrekt abbilden sollen, dann müssen Fach- leute dicke Bretter bohren. Vergessen wir nicht: Es geht nicht um ein Rechnungsvolumen von 100 Millionen DM, sondern um ein Volumen von 100 Milliarden DM, für das wir eine neue leistungsbezogene Vergütung einführen wollen. Die geschätzten 5 Millionen DM für Institut und wis- senschaftliche Aufträge – 3,5 Millionen DM für das Insti- tut und 1,5 Millionen DM für die Aufträge –, sind sicher nicht überzogen hoch. Trotzdem können diese 5 Milli- onen DM nicht von der Selbstverwaltung, vor allem aber nicht von den Krankenhausgesellschaften, aus der Porto- kasse bezahlt werden. Dies kann die Selbstverwaltung aus eigener Kraft nicht schaffen. Wir schaffen mit dem DRG-Systemzuschlags-Gesetz die rechtliche Grundlage für die Finanzierung. Dazu wollen wir einen einfachen, schnell begehbaren Weg herstellen. Dieser Weg heißt Systemzuschlag. Die Kosten für das DRG-Insti- tut sollen über einen Systemzuschlag finanziert werden. Dieser Zuschlag ist von den Krankenhäusern zu entrichten. Der Systemzuschlag beträgt 30 Pfennig pro Krankheitsfall. Damit sind die 5 Millionen DM finanzierbar. Dabei wollen wir das einzelne Krankenhaus nicht über- fordern. Die 30 Pfennige pro Krankheitsfall werden die Budgets der Krankenhäuser nicht belasten. Diese Kosten werden nicht zulasten des Krankenhauses gehen. Das heißt, die Krankenhaus-Kollekte findet außerbudgetär statt. Aber wir verkennen nicht: Durch diese „Aus- deckelung“ haben wir auch den Rahmen für die Zustim- mung erweitert und das Gesetzgebungsverfahren be- schleunigt. Dies hat dazu geführt, dass im Bundestag die Mehrheit klar ist; auch aus dem Bundesrat – gleich, aus welcher Richtung – wird Zustimmung signalisiert. Die Selbstverwaltung hat sich auf diese Lösung ver- ständigt. Damit können wir nicht nur der Selbstverwal- tung zeitgerecht zu einem großartigen Baustein verhelfen. Wir bleiben auch noch im Zeitplan, um zeitgerecht die D-DRGs, in Deutschland einzuführen. Das D steht für die deutschen DRGs. Eines möchte ich noch unbedingt klarstellen: Die Rege- lung des DRG-Systemzuschlags-Gesetzes ist nicht als Prä- zedenzfall zu verstehen. Sie wird hier ausnahmsweise ge- troffen und ist gerechtfertigt wegen des außerordentlichen Umfangs und der Dauerhaftigkeit des Vorhabens. Dr. Hans Georg Faust (CDU/CSU): Wir beschäfti- gen uns heute mit dem Entwurf der Regierungsfraktionen für ein DRG-Systemzuschlags-Gesetz. Dieses Gesetz ist zweifelsohne wichtig, es ist aber bei den notwendigen Veränderungen für die Einführung eines neuen Entgelt- systems im stationären Sektor nur der kleinste Baustein. Krankenhäuser, Selbstverwaltung und Fachgesell- schaften haben sich angestrengt, die ihnen vom Gesetz- geber übertragenen Aufgaben in einem zeitlich eng gesteckten Rahmen zu bewältigen. Die rot-grüne Bundes- regierung lässt indes nicht erkennen, dass auch sie ihre Hausaufgaben macht. Die rot-grüne Regierungskoalition hat mit der GKV- Gesundheitsreform 2000 zwar die Weichen für die Ein- führung eines neuen pauschalierten Entgeltsystems im stationären Sektor gestellt. Aber Rot-Grün verkennt, dass in Deutschland die erforderlichen Daten für eine zuver- lässige, flächendeckende Kalkulation der in deutschen Kliniken behandelten Fälle und ihrer Aufwendungen erst erstellt werden müssen. Zwar hat Rot-Grün der DRG-Einführung eine Vorbe- reitungsphase vorangestellt, jedoch ist diese zeitlich viel zu knapp bemessen. Noch im Jahr 2000 sollten die Leis- tungs- und Diagnosekataloge erarbeitet, Krankenhäuser repräsentativ ausgewählt und die Kalkulationsregeln er- stellt werden. Die Daten des Jahres 2001 sollen pro- spektiv erfasst und zur Berechnung der Relativgewichte herangezogen werden, um dann im Jahr 2002 Basisfall- preise zu ermöglichen. Dieser Zeitplan ist nicht zu halten. Auch deshalb ist die rot-grüne Bundesregierung aufgefordert, die Anpassungs- phase für die Krankenhäuser zu verlängern und nicht be- reits zum 1. Januar 2003 die stationären Leistungen scharf nach dem DRG-System abzurechnen. Geschieht dies nicht, droht die Einführung des neuen Finanzierungssys- tems ein Flop zu werden – jedoch nicht, weil die Selbst- verwaltung ihre Hausaufgaben nicht erledigt hätte, son- dern weil die Regierung nicht angemessen auf die Situation reagiert hat. Neben der Verlängerung der Anpassungsphase bis zum Jahr 2006 ist es dringend erforderlich, sowohl das Kran- kenhausfinanzierungsgesetz als auch die neue Entgeltver- ordnung noch in diesem Jahr zu novellieren. Die ord- nungspolitischen und finanziellen Rahmenbedingungen für die Systemumstellung und die Konvergenzphase müs- sen schnell geschaffen werden. Anpassungsbedarf besteht auch bei der Verschlüsse- lung der Daten. Erst zum 1. Januar 2000 ist der ICD-10 eingeführt worden. Dieser kann aber nicht 1:1 auf den australischen Schlüssel, der für das DRG-System gilt, umgesetzt werden. Der derzeit geltende Prozeduren- schlüssel enthält nur wenige diagnostische Maßnahmen und ist damit als Grundlage des neu aufzubauenden deut- schen Kataloges ungeeignet. Noch kritischer als die jahrelang versäumte Kataloger- stellung wirkt sich indes die inhaltliche Abstimmung aus. Der Widerspruch wird hier besonders dadurch deutlich, dass es noch gar keine definierten Grundlagen für die DRGs gibt, jedoch heute schon prophylaktisch der diffe- renzierte Inhalt reduziert wird. Mit dem reduzierten Kata- loginhalt sollen dann aber bereits in diesem Jahr die Leis- tungen dokumentiert und die Relativgewichte kalkuliert werden. Ziel ist es, in 2002 für das Jahr 2003 eine kosten- homogene Fallgruppe zu bilden und die zutreffende Höhe des Basisfallpreises zu ermitteln. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2001 14107 (C) (D) (A) (B) Wenn die rot-grüne Bundesregierung glaubt, mit die- sem vorgegebenen Verfahren Gewinne zu erzielen – etwa in Form einer baldigen Kostenreduktion im Kranken- haussektor –, dann irrt sich diese Bundesregierung. Die Einführung von DRG – das zeigen internationale Erfah- rungen – ist bislang nicht mit einer Kostenreduktion ver- bunden gewesen. So hat beispielsweise in Frankreich die Einführung der „Groupes homogenes de malades“ circa 3 Milliarden Francs gekostet. In Österreich und in Italien sind die Kosten je Fall bei Einführung der DRG um 5 bzw. 3,9 Prozent gestiegen. Deshalb ist nicht zu erwarten, dass mit der Einführung der DRG unmittelbar eine Kostenre- duktion im stationären Sektor einhergehen wird. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Einführung des neuen pau- schalierten Entgeltsystems zwischen 3 und 5 Prozent der Krankenhausbudgets verbrauchen wird. Unredlich ist die Aussage von Rot-Grün in dem Gesetz- entwurf, dass durch dieses Gesetz eine Erhöhung der Ein- zelpreise, des allgemeinen Preisniveaus und insbesondere des Verbraucherpreises nicht zu erwarten ist. Denn die er- hoffte Verbesserung der Wirtschaftlichkeit im Krankenhaus wird nicht unmittelbar einsetzen, sondern erst eine Folge von Jahren, wenn nicht gar von Jahrzehnten sein. Vielleicht hofft die rot-grüne Bundesregierung darauf, dass die Mehrausgaben der Krankenkassen in den oh- nehin angekündigten Beitragssatzsteigerungen unterge- hen. Völlig ungeklärt ist die Situation bei den Privatversi- cherten. Denn sie sollen laut Gesetzentwurf mit 0,30 DM pro Krankenhaustag an den Kosten der Entwicklung, Ein- führung und laufenden Pflege des DRG-Fallpauschalen- systems beteiligt werden. Im Interesse der Privatversi- cherten hat die rot-grüne Bundesregierung zu klären, ob die Privatversicherer – ebenso wie die gesetzlichen Kran- kenkassen – bereit sind, sich an diesen Kosten zu beteili- gen. Die rot-grüne Bundesregierung ist aufgerufen, die Rahmenbedingungen im Krankenhaussektor so auszuge- stalten, dass die Einführung des neuen pauschalierten Ent- geltsystems möglichst reibungslos funktionieren kann. Dazu ist der vorgelegte Gesetzentwurf ein erster Schritt, allerdings der kleinstmögliche. Und es bleiben viele Fra- gen offen. Katrin Göring-Eckart (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN):Wir stehen vor einer grundlegenden Reform in der Krankenhausfinanzierung und einer entscheidenen Um- setzung und Fortführung des Gesundheitsreformgesetzes. Mit dem Gesundheitsreformgesetz 2000 hatte die Bun- desregierung die Spitzenverbände der Krankenkassen und die Deutsche Krankenhausgesellschaft beauftragt, bis zum 1. Januar 2003 ein DRG-Fallpauschalensystem für die Vergütung von voll- und teilstationärer Krankenhaus- leistung einzuführen. Bereits jetzt bestehen die Vergütun- gen im Krankenhausbereich zu 25 Prozent aus Fallpau- schalen und Sonderentgelten. Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht und wollen es deshalb fortführen. Die Einführung des Fallpauschalensystems bedeutet für mich vor allem zweierlei: Transparenz und Patienten- orientierung. Dafür stehen wir Grünen. Das Fallpauscha- len-Vergütungssystem im Krankenhausbereich bedeutet, dass wir die gleiche Leistung, unabhängig von der jewei- ligen Region, gleich vergüten werden. Eine einheitliche Vergütung bedeutet mehr Gleichheit und mehr Transpa- renz. Eine solche Vergütung nach Fallpauschalen wird of- fenlegen, wer wo und welche Kosten verursacht und ob die Erträge die Kosten decken. Das wird den Kranken- häusern eine notwendige Basis bieten, strategische Ent- scheidungen zu treffen. So werden wir auch Qualitätsde- fizite und Wirtschaftlichkeitsreserven genauer benennen können. Wir werden damit Schluss machen, dass wirt- schaftliche Verhaltensweisen noch belohnt werden, die nicht zum Wohle des Patienten geschehen. Wir geben ein Drittel der beitragsfinanzierten Ausgaben im Gesund- heitswesen für den Krankenhausbereich aus. Es ist not- wendig und möglich, in diesem Bereich zu sparen. Wir Grüne haben uns zum Ziel gesetzt, die Beiträge stabil zu halten. Das gilt für die gesetzliche Rentenversi- cherung, die Arbeitslosenversicherung, die Pflegeversi- cherung, aber auch gerade für die gesetzliche Kranken- versicherung. Wir sind an der Grenze der zumutbaren Belastung von Sozialabgaben für die junge Generation angelangt. Das DRG-Fallpauschalensystem trägt dazu bei, die Beitragssatzstabilität zu gewährleisten. Neben der Beitragssatzstabilität kämpfen wir für Qua- lität im Gesundheitswesen und Patientenrechte. In Zu- kunft kann es nicht nur darum gehen, Krankheiten zu be- handeln, sondern der Mensch muss mit seiner gesamten sozialen Umwelt und seinen Problemen im Mittelpunkt der medizinischen Versorgung stehen. In Zukunft kann es also nicht darum gehen, den Menschen in einem hoch spe- zialisierten Fachbetrieb eines Krankenhauses zu behan- deln. Das Krankenhaus muss durchlässig werden und eine Versorgungsstruktur geschaffen werden, in dem sta- tionäre und ambulante Fachdienste eng vernetzt sind und auch Dienste der allgemeinen Lebenshilfe und Selbsthil- fegruppen mit einschließt. Gesundheitszentren sollten den örtlichen Mittelpunkt bilden und die vor- und nach- gelagerten Leistungsbereiche koordinieren. Der Mensch darf in Zukunft nicht nur von einer medizinischen Instanz zur nächsten weitergereicht werden, sondern muss in ei- ner gut abgestimmten Einzelfallbetreuung über die ein- zelnen Instanzen hinweg begleitet werden. Die notwendige Anpassung an die australische AR-DRG Klassifikation wird mit der einhergehenden An- passung an die Besonderheiten der Vergütungssysteme der Bundesrepublik, der Kalkulation der allpauschalen und deren Einführung sowie ständige Anpassung an den medizinisch technischen Fortschritt, die Einstellung von Personal und Schaffung neuer institutioneller Strukturen Kosten verursachen. Das Gesetz sieht vor, den DRG- Systemzuschlag pro Krankenhausfall zusätzlich abzu- rechnen. Die Krankenhäuser werden die Beträge an die Selbstverwaltungspartner weiterleiten. Bund, Ländern und Gemeinden werden keine zusätzlichen Ausgaben ent- stehen. Mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf des DRG- Systemzuschlags regeln wir klar die Zuständigkeiten für die entstehenden Kosten der Umstellung. Wir schaffen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 200114108 (C) (D) (A) (B) damit eine weitere wichtige Grundlage, das DRG-System zu realisieren. Bitte stimmen Sie dem vorliegenden Ge- setzentwurf zu und tragen Sie mit dazu bei, unser Ge- sundheitswesens zu modernisieren. Dr. Dieter Thomae (F.D.P.): Mit der GKV-Gesund- heitsreform 2000 hat die Koalition die Einführung eines diagnosebezogenen Fallpauschalsystems beschlossen. Die für die Einführung zugrunde gelegten Fristen sind da- bei viel zu kurz bemessen. Ich hätte erwartet, dass in ei- nem Gesetz zur Änderung des Krankenhausfinanzie- rungsgesetzes und der Bundespflegesatzverordnung diese Fristen zumindest um drei Jahre nach hinten geschoben werden, weil bereits jetzt absehbar ist, dass in der Kürze der Zeit ein seriöses Implementieren des neuen Systems nicht möglich ist. Die Gefahren, die für die Kranken- hausversorgung der Bevölkerung damit verbunden sind, wenn zu schnell gehandelt wird, sind viel zu groß. Ganz abgesehen davon steht die Rahmensetzung für das neue System nach wie vor aus. Auch dies hätte im Zuge einer Gesetzesänderung geklärt werden müssen. Die Kranken- häuser müssen wissen, unter welchen Bedingungen sie zukünftig arbeiten werden. Die alte Bundesgesundheits- ministerin Frau Fischer hat anlässlich des Deutschen Krankenhaustages verkündet, dass sie ein „echtes Preis- system“ wolle. Völlig ungeklärt ist zur Zeit, ob das die SPD auch so sieht. Zudem wäre es auch höchst interessant gewesen, in Gesetzesform gegossen vorzufinden, was diese Koalition unter einem „echten Preissystem“ ver- steht. Ein Budget macht in einem solchen System keinen Sinn, genauso wenig wie starre, prospektiv festgelegte Leistungsmengen. Die duale Finanzierung heutiger Prä- gung, die detaillierte staatliche Krankenhausplanung sind ebenfalls mit einem Preissystem nicht kompatibel. Der vorgelegte Gesetzentwurf greift deshalb entschieden zu kurz. Ohne Zweifel müssen die Kosten, die durch den Aufbau und die Pflege eines Fallpauschalsystems entste- hen. getragen werden. Aber ob das nun unbedingt über ei- nen Krankenhauspfennig erfolgen muss, oder ob es nicht andere, effizientere Lösungen gibt, wird in den weiteren Beratungen zu klären sein. Zudem fallen Kosten nicht nur den neu zu schaffenden Gremien an, sondern auch in den Krankenhäusern, die nun mit der Umstellung beginnen müssen. Auch hierfür müssen Lösungen gefunden wer- den. Dr. Ruth Fuchs (PDS): Zu den Veränderungen für den Krankenhausbereich, die mit der Gesundheitsreform 2000 beschlossen wurden, gehört der vollständige Über- gang zu einer Vergütung von Krankenhausleistungen durch Fallpauschalen. Inzwischen haben sich die beauf- tragten Selbstverwaltungsgremien darauf festgelegt, dem zu erstellenden Katalog solcher Fallpauschalen eine in Australien bereits angewendete Diagnosen-Klassifikation zugrunde zu legen. Das verlangt ihre Anpassung an die deutschen Verhältnisse sowie weitere umfangreiche Vor- bereitungsarbeiten. Zu diesen gehören die Entwicklung entsprechender Kodierregeln, die Kalkulation der Pau- schalen bzw. die Ermittlung von Bewertungsrelationen, die Schaffung eines Systems von Zu- und Abschlägen und anderes mehr. In der Folgezeit wird dazu auch die stän- dige Berücksichtigung der künftigen Entwicklungen in Diagnostik und Therapie sowie der laufenden Verände- rungen der ökonomischen Rahmenbedingungen der Krankenhäuser zählen. Aus diesem Grunde sollen jetzt neue institutionelle Strukturen entstehen, die bisher nicht erforderliche finanzielle Aufwendungen verursachen. Der vorliegende Gesetzentwurf zielt darauf, durch die Neueinführung eines so genannten DRG-Systemzu- schlags je Krankenhausfall die rechtlichen Grundlagen für die Bereitstellung der zusätzlich benötigten Mittel zu schaffen. Da die anfallenden Kosten noch nicht genauer zu beziffern sind, werden zunächst einmal jährlich 5 Mil- lionen DM veranschlagt. Nach allen Erfahrungen dürfte sich diese Summe künftig weiter erhöhen. Auch wenn es sich dabei – gemessen an den Gesamtkosten der Kran- kenhäuser – nicht um systemsprengende Größenordnun- gen handelt, bleibt dennoch bemerkenswert, dass die Re- gierungskoalition ohne weiteres bereit ist, Geld der Versicherten zusätzlich und sogar außerhalb der Budget- grenzen für neue bürokratische Institutionen auszugeben. Für die eigentlichen medizinischen Versorgungsaufgaben hält sie dagegen an einer Budgetierungspolitik fest, die in ihrer Rigorosität und Undifferenziertheit nach wie vor nur als hochgradig verfehlt bezeichnet werden kann. Schwerwiegender sind nach unserer Auffassung aller- dings die Gefahren, die mit der Einführung des DRG-Sys- tems generell für eine humane und an den Interessen der Patienten sowie der Beschäftigten orientierte Arbeit in den Krankenhäusern einhergehen. Zu befürchten ist, dass die neue Vergütungsform die schon heute einseitige Öko- nomisierung der Arbeit in den Krankenhäusern weiter be- schleunigt. Zugleich wächst die Gefahr, dass es zwischen den Krankenhäusern noch stärker zu ungesundem Kon- kurrenzverhalten kommt und dass sich der Trend zu un- vertretbarem Bettenabbau und Privatisierung sowie der Druck auf die Flächentarifverträge verstärken. Gerade deshalb treten wir auch weiterhin entschieden für den Er- halt des staatlichen Sicherstellungsauftrages ein, der be- kanntlich auf eine flächendeckende, stationäre Versor- gung auch in strukturschwachen Gebieten gerichtet ist. Nach unserer Auffassung lässt sich nur so soziale Verant- wortung mit ökonomischer Vernunft verbinden. Erfah- rungsgemäß können DRGs darüber hinaus bewirken, dass stationäre Leistungen reduziert werden und die Qualität der Behandlung für den einzelnen Patienten leidet. Mehr noch: Besonders chronisch kranke Menschen können zu so genannten schlechten Risiken werden, was ihre Ver- sorgung insgesamt infrage stellt. Unseres Erachtens hat die Regierung hier die Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass es weder zu Qualitätsdumping noch zu Risikoselektion kommt. Zugleich steht sie in der Verantwortung, Qua- litätssicherungssysteme zur Anwendung zu bringen, die in ihrer Wirksamkeit deutlich über das bisher Konzipierte hinausgehen. In diesem Zusammenhang wird es immer wichtiger, dass auch die Personalbemessungen vor allem von den notwendigen Qualitätsstandards abgeleitet wer- den. Nach unserer Auffassung ist ein weiterer Perso- nalabbau in den Krankenhäusern völlig unzumutbar. Im Gegenteil: Wie auch internationale Vergleiche zeigen, be- steht in der Bundesrepublik auf diesem Gebiet noch im- mer Nachholbedarf. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2001 14109 (C) (D) (A) (B) Im Übrigen ist die flächendeckende Installierung ei- ner Krankenhausvergütung nach Fallpauschalen im Maßstab eines ganzen Landes ein völliges Novum. Das hat die Regierung allerdings nicht daran gehindert, Zeit- spannen für ihre Bewältigung vorzugeben, die – trotz erster Verlängerungen – noch immer zu knapp sind. Schwerwiegende Fehlentwicklungen auf Kosten der Patienten und des Krankenhauspersonals sind so gera- dezu vorprogrammiert. Damit wird die DRG-Ein- führung zu einem Feldexperiment ohne Beispiel. Auch der vorliegende Gesetzentwurf steht für uns in diesem Kontext. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 143. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 200114110 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414300000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Es ist noch früh genug im Jahr, um Ihnen allen alles
Gute zum neuen Jahr zu wünschen und uns allen ein gutes
Miteinander für unser Land.


(Beifall)

Bevor wir mit unserer Arbeit beginnen, darf ich Sie bit-

ten, sich von Ihren Plätzen zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich)


Der Deutsche Bundestag und die Bürgerinnen und
Bürger der Bundesrepublik Deutschland trauern um die
Hunderte von Menschen, die am vergangenen Wo-
chenende durch das heftige Erdbeben in Mittel- und
Südamerika ums Leben gekommen sind. Am stärksten
von der Katastrophe betroffen ist El Salvador; doch auch
in Guatemala, Honduras, Nicaragua und im Süden Mexi-
kos richtete das Erdbeben Schäden an und auch hier wur-
den Menschen Opfer von Naturgewalten. Allein in El Sal-
vador werden bislang mehr als 700 Tote beklagt, mehr als
2 500 Menschen wurden verletzt, es werden noch viele
Menschen vermisst. Niemand weiß zurzeit, wie viele Tote
diese schreckliche Katastrophe tatsächlich gefordert hat.

Die Menschen brauchen jetzt auch unsere Unterstüt-
zung. Staatspräsident Flores hat den Notstand ausgerufen
und das Ausland um Hilfe gebeten. Aus Deutschland sind
seit dem Wochenende Hilfstransporte unterwegs, um den
Menschen in den entlegenen Regionen Schutz und Unter-
stützung zu geben.

Den betroffenen Menschen in Mittelamerika spreche
ich unser tiefes Mitgefühl aus.

Den zahlreichen medizinischen Helfern, dem Roten
Kreuz, dem Technischen Hilfswerk und den vielen Unge-
nannten gilt unser Respekt und unsere Anerkennung für
ihren selbstlosen Einsatz.

Sie haben sich zu Ehren der Opfer von Ihren Plätzen er-
hoben; ich danke Ihnen.

In den zurückliegenden Tagen feierten einige Kolle-
ginnen und Kollegen ihren 60. Geburtstag. – Das tut nicht
weh. Das sage ich allen, die das noch vor sich haben. – Ich

gratuliere im Namen des Hauses den Kolleginnen
Monika Ganseforth und Irmgard Karwatzki sowie den
Kollegen Dr. Norbert Wieczorek und Klaus Bühler

(Bruchsal) nachträglich sehr herzlich und wünsche ihnen

alles Gute.


(Beifall)

Der Bundeskanzler fragt, warum Herr Struck Blumen

bekommt, wenn andere Geburtstag haben.

(Heiterkeit)


Herr Bundeskanzler, das liegt an den wichtigen personel-
len Änderungen im Kabinett. Ich freue mich, dass Sie ge-
nau registrieren, was im deutschen Parlament geschieht.

Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, dass der Kollege
Christian Lange aus dem Gremium nach § 41 Abs. 5 des
Außenwirtschaftsgesetzes ausgeschieden ist. Als Nach-
folgerin wird die Kollegin Jelena Hoffmann (Chemnitz)

vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist die Kollegin Hoffmann als
Mitglied im Gremium nach § 41 Abs. 5 des Außenwirt-
schaftsgesetzes bestimmt.

Interfraktionell ist vereinbart, die Tagesordnung zu
erweitern bzw. wie folgt umzustellen: Die Tagesord-
nungspunkte 5 und 6 – sie betreffen Umwelt und Gesund-
heit bzw. die BSE-Krise – werden getauscht. Nach der
Aktuellen Stunde soll Tagesordnungspunkt 19 – Famili-
enzusammenführung – aufgerufen werden. Es folgen die
Tagesordnungspunkte 8 bis 12 wie vorgesehen. Danach
wird die Beratung in folgender Reihenfolge fortgesetzt:
Tagesordnungspunkt 7 – Große Anfrage: Soziokultur –,
Tagesordnungspunkt 20 – Künstlersozialversicherungs-
gesetz –, Tagesordnungspunkt 13 – berufliche Gleichstel-
lung von Prostituierten –, Tagesordnungspunkt 14 –
Senkung des Portos für Briefsendungen –, Tagesord-
nungspunkt 22 – Personenstandsgesetz – und Zusatz-
punkt 8 – DRG-Systemzuschlags-Gesetz.

Die Zusatzpunkte entnehmen Sie bitte der Ihnen vor-
liegenden Zusatzpunktliste:

1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU zu
den Antworten der Bundesregierung auf die Dringlich-
keitsfragen 1 und 2 auf Drucksache 14/5077 und auf die

13929


(C)



(D)



(A)



(B)


143. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2001

Beginn: 9.00 Uhr


(siehe 142. Sitzung)


2. Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU: Klares
Konzept zur Bekämpfung von BSE notwendig – Drucksache
14/5079 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (f)

Ausschuss für Gesundheit

3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich Heinrich,
Gudrun Kopp, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der F.D.P.: Verbraucher vor BSE schützen – Land-
wirten helfen – Drucksache 14/5097 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (f)

Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung

4. Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU: Ländlichen
Raum gemeinsam mit der Landwirtschaft stärken – Druck-
sache 14/5080 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus

5. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der PDS: Haltung
der Bundesregierung zur Verwendung uranhaltiger Muni-
tion im Rahmen von NATO-Kampfeinsätzen

6. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Helmut
Haussmann, Ulrich Irmer, Joachim Günther, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der F.D.P.: Für eine europäische Aus-
richtung der deutschen Afrikapolitik – Drucksache 14/5090 –

7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Heinrich Fink,
Dr. Heidi Knake-Werner, Pia Maier, Maritta Böttcher und der
Fraktion der PDS: Für eine grundlegende Reform derKünst-
lersozialversicherung – Drucksache 14/5086 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

8. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Änderung des Krankenhausfinanzie-

(DRGSystemzuschlags-Gesetz)

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit

9. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-
schusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union

(22. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch das Europäische

Parlament: Entschließung des Europäischen Parlaments mit

(14094/ 1999 – C5-0341/1999 – 1999/0825 14/3723 Nr. 1.1, 14/4980 – Berichterstattung: Abgeordnete Michael Roth Peter Altmaier Christian Sterzing Dr. Helmut Haussmann Manfred Müller 10. Beratung des Antrags der Abgeordneten Günther Friedrich Nolting, Dirk Niebel, Birgit Homburger, weiterer Abgeordne ter und der Fraktion der F.D.P.: Wehrpflicht aussetzen – Drucksache 14/5078 – Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll – soweit erforderlich – abgewichen werden. Ergänzend mache ich darauf aufmerksam, dass Tagesordnungspunkt 6 a – es handelt sich um den Koalitionsantrag „Nachhaltige Entwicklung ländlicher Räume“ – abgesetzt werden soll. Außerdem mache ich auf eine geänderte Überweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Die in der 141. Sitzung des Deutschen Bundestages erfolgte Überweisung des nachfolgenden Antrags an den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten soll gestrichen werden. Antrag der Abgeordneten Johannes Singhammer, Karl-Josef Laumann, Maria Eichhorn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Die Auswirkungen der demographischen Entwicklung auf die sozialen Sicherungssysteme öffentlich machen – Drucksache 14/4645 – überwiesen: Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Haushaltsausschuss Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? – Dann ist es so beschlossen. Nun rufe ich den Tagesordnungspunkt 3 auf: Eidesleistung der Bundesministerinnen Der Herr Bundespräsident hat mir mit Schreiben vom 12. Januar 2001 Folgendes mitgeteilt: Gemäß Art. 64 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland habe ich heute auf Vorschlag des Herrn Bundeskanzlers die Bundesministerin für Gesundheit, Frau Andrea Fischer, und den Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Herrn Karl-Heinz Funke, auf ihre Anträge aus ihren Ämtern als Bundesminister entlassen sowie Frau Ulla Schmidt zur Bundesministerin für Gesundheit und Frau Renate Künast zur Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ernannt. Nach Art. 64 Abs. 2 des Grundgesetzes leistet ein Bundesminister bei der Amtsübernahme den in Art. 56 des Grundgesetzes vorgesehenen Eid. Frau Bundesministerin Künast, ich darf Sie bitten, zu mir zu kommen und den Eid zu leisten. Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes wid Vizepräsidentin Anke Fuchs 13930 men, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. Frau Bundesministerin, Sie haben den Eid geleistet. Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich und wünsche Ihnen Glück und Erfolg zum Wohle der Menschen in unserem Land. Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Ich danke Ihnen, Frau Präsidentin. Ich darf nun Frau Bundesministerin Ulla Schmidt bitten, zur Eidesleistung zu mir zu kommen. Ich bitte Sie, den Eid zu leisten. Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe. Frau Bundesministerin, Sie haben den im Grundgesetz vorgesehenen Eid geleistet. Ich darf auch Ihnen Glück und Erfolg zum Wohle der Menschen in unserem Lande wünschen. Alles Gute! (Beifall im ganzen Hause – Michael Glos [CDU/CSU]: Every week the same procedure!)


(Die Anwesenden erheben sich)





(C)


(D)


(A)


(B)

Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414300100

(Beifall im ganzen Hause)

Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414300200

(Die Anwesenden erheben sich)

Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1414300300
Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414300400


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1414300500

Danke.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414300600
Jetzt hat der Herr
Bundeskanzler auch gemerkt, für wen die Blumen waren.


(Heiterkeit)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können nun mit

der Arbeit beginnen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 h auf:
a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung

Verkehrsbericht 2000 – Integrierte Verkehrs-
politik: Unser Konzept für eine mobile Zukunft

b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Renate Blank, Norbert Königshofen, Dirk Fischer

(Hamburg), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion der CDU/CSU

Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur
– Drucksachen 14/1877, 14/3193 –

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (15. Ausschuss)

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Straßenbaubericht 1998

– zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne-
ten Angelika Mertens, Hans-Günter Bruckmann,
Dr. Peter Danckert, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD sowie der Abgeordne-
ten Albert Schmidt (Hitzhofen), Franziska
Eichstädt-Bohlig, Winfried Hermann, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung
durch die Bundesregierung
Straßenbaubericht 1998
– Drucksachen 14/245, 14/2576, 14/3844 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Angelika Mertens
Renate Blank

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (15. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Angelika Mertens, Hans-Günter
Bruckmann, Dr. Peter Wilhelm Danckert, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der
Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen),
Franziska Eichstädt-Bohlig, Winfried Hermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Anti-Stau-Programm
– Drucksachen 14/3179, 14/4009 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Renate Blank

e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (15. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried
Wolf, Christine Ostrowski, Eva Bulling-
Schröter, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der PDS
Flächenhafter Ausbau der Schienenwege im
Bereich Nordbayern, Hessen, Thüringen und
Sachsen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert
Otto (Erfurt), Dirk Fischer (Hamburg),
Dr.-Ing. Dietmar Kansy, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Weiterbau des Verkehrsprojektes Deutsche
Einheit (VDE) Nr. 8 – Schienenneubaustrecke
Nürnberg–Erfurt–Halle/Leipzig–Berlin




Bundesministerin Renate Künast

13931


(C)



(D)



(A)



(B)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika
Mertens, Hans-Günter Bruckmann, Dr. Peter
Danckert, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD sowie der Abgeordneten Albert
Schmidt (Hitzhofen) Franziska Eichstädt-
Bohlig, Winfried Hermann, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur Thü-
ringen/Nordbayern im Rahmen des Ver-
kehrsprojektes Deutsche Einheit (VDE) Nr. 8
Schienenneubaustrecke Nürnberg–Erfurt–Hal-
le/Leipzig–Berlin

– zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich

(Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Dr.

Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der F.D.P.
Ja zur Schienenneubaustrecke Nürnberg–Er-
furt–Halle/Leipzig–Berlin

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht zum Ausbau der Schienenwege 1999
– Drucksachen 14/2525, 14/2692, 14/2906,
14/2914, 14/2176, 14/4340 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Helmut Wilhelm (Amberg)


f) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Verkehrsbericht 2000
Integrierte Verkehrspolitik: Unser Konzept für
eine mobile Zukunft
– Drucksache 14/4688 (neu)
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Tourismus

g) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Bericht zum Ausbau der Schienenwege 2000
– Drucksache 14/4048 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus

h) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling-Schröter, Heidi
Lippmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der PDS
Interregio für die Regionen erhalten

– Drucksache 14/4543 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

Zum Verkehrsbericht 2000 liegt ein Entschließungs-
antrag der Fraktion der CDU/CSU vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung
zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist so beschlossen.

Zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bun-
desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Kurt
Bodewig, das Wort.

Kurt Bodewig, Bundesminister für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kol-
leginnen und Kollegen! Liebe neue Ministerkolleginnen!
Ich darf Sie gleich bei dieser ersten Gelegenheit ganz
herzlich beglückwünschen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Probleme in der Verkehrspolitik haben heute eine
besondere Qualität.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Aber auch die Lösungen, die wir anzubieten haben, haben
eine besondere Qualität. Sie werden ja sehr gespannt
darauf sein. Im Titel des Verkehrsberichts haben wir das
mit den Schlagworten „Integrierte Verkehrspolitik: Unser
Konzept für eine mobile Zukunft“ festgehalten.

Der Verkehrsbericht stellt eine umfassende Bestands-
analyse der Entwicklung des Verkehrs und der Mobilität
in Deutschland dar. Vor allem aber beschreibt er unser in-
tegriertes Verkehrskonzept. Das ist das Neue. Hierin
unterscheiden wir uns deutlich von Ihrer Politik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dieser Bericht ist notwendig; unser verkehrspoliti-
sches Erbe ist ja bekannt:

Erstens nenne ich den völlig unterfinanzierten Bundes-
verkehrswegeplan von 1992.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Habt ihr es immer noch nicht gelernt, dass das nur ein Beschlussplan ist?)


Zweitens. Die Bahnreform wurde nicht mit den erfor-
derlichen Investitionen unterfüttert.

Drittens. Sie haben es zugelassen und befördert, dass
Großprojekte der Bahn schöngerechnet und Milliarden-
löcher verschwiegen oder beschönigt wurden. Ich glaube,
dass es ein ganz fataler Fehler war, dass Sie wichtige War-
nungen in den Wind geschlagen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Vizepräsidentin Anke Fuchs
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(D)



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(B)


Viertens. Es gab kein schlüssiges Konzept für den
Flughafenstandort Deutschland.

Fünftens. Die alte Bundesregierung hat Mitte der 90er-
Jahre zu viele Spatenstiche gemacht und zu wenig für den
Erhalt der Verkehrsinfrastruktur getan. Ich selbst kenne
einige Baustellen, die, obwohl die Spatenstiche schon vor
einigen Jahren erfolgten, immer noch darauf warten, dass
Bagger kommen. Diesem Missstand werden wir jetzt ab-
helfen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Bagger werden kommen, weil die Straßen gebaut
werden müssen, damit die Bürger entlastet werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, dass eine
Politik, die für eine leistungsfähige Infrastruktur sorgt,
eine gute Wirtschaftspolitik und damit auch eine voraus-
schauende Sozialpolitik ist; denn wir sichern Wohlstand
und Beschäftigung. Infrastrukturinvestitionen sind
hierfür der entscheidende Schritt. Dies galt und gilt vor al-
lem für die neuen Länder. Natürlich werden wir auch in
der Verkehrspolitik den Aufbau Ost fortsetzen. Dafür ha-
ben Sie in Ihrer Regierungszeit einen wichtigen Grund-
stein gelegt. Wir werden die Infrastrukturentwicklung in
den neuen Ländern vorantreiben und wir werden alles
daransetzen, um die Gleichheit der Lebensbedingungen
herzustellen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb haben wir unser Konzept für eine integrierte
Verkehrspolitik entwickelt. Die moderne Gesellschaft ist
eine mobile Gesellschaft. Die einfachste und wichtigste
Frage für den Bürger lautet: Wie komme ich von Anach B?


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist wahr! Von Augsburg nach Berlin!)


– Das ist eine schlichte Frage, Herr Kollege Oswald; die
Antwort ist aber zum Teil komplex und mitunter schwie-
rig.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist ein gutes Beispiel! Das gefällt mir!)


– Ich würde mich freuen, wenn Sie zuhörten. Vielleicht
können Sie auch etwas lernen.


(Beifall bei der SPD)

Die Antwort wird nur mit intelligenten Lösungen ge-

geben werden können. Die enge Verbindung von Mobi-
lität und Wohnen, von Stadtentwicklung und Verkehr
macht die Dimension dieses Problems deutlich. So ist der
öffentliche Personennahverkehr für die Zukunft der
Städte und Ballungszentren von großer Bedeutung. Wer
wüsste das besser als wir? Mir ist auch wichtig festzu-
stellen: Das Fahrrad wird bei der Vermeidung motori-
sierten Individualverkehrs in den Städten ebenfalls eine
eigenständige Rolle spielen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Monika Griefahn [SPD])


Es muss klar sein: Nur wenn wir alle Verkehrsträger in
die künftige Verkehrspolitik einbeziehen, wird die Ent-
wicklung, die auf uns zukommt, zu bewältigen sein. Auf
den Punkt gebracht: Mobilität beginnt im Kopf.

Deshalb ist der Verkehrsbericht ein Angebot an alle, an
Konzepten mitzuarbeiten und Kreativität und intelligente
Lösungen in diesem Haus gemeinsam zu entwickeln. Ich
denke, diese Innovationsbereitschaft sollte bei allen
Voraussetzung sein. Wir werden dies gemeinsam umset-
zen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Verkehr wird
weiter wachsen. Wirtschaftliche Entwicklung, E-Com-
merce, Internethandel, europäische Integration und Ost-
erweiterung der EU lassen für die nächsten Jahre ein er-
hebliches Verkehrswachstum erwarten. Wir gehen bis
zum Jahre 2015 von folgenden Zahlen aus: Der Perso-
nenverkehr nimmt um rund 20 Prozent zu, der Güterver-
kehr um rund 64 Prozent. Dies ist eine deutliche Steige-
rung und dies bedeutet, dass wir alle daran arbeiten
müssen, diese Entwicklung gemeinsam zu bewältigen.
Bis zum Jahre 2015 werden wir im Güterverkehr Ver-
kehrsleistungen haben, die voraussichtlich 600Milliarden
Tonnenkilometer betragen werden. Dies ist eine unge-
heure Steigerung.

Damit ist klar: Wir brauchen eine verkehrs- und inves-
titionspolitische Steuerung. Klar ist aber auch: Es gibt
keine Alternative zu Sicherung und Ausbau der Infra-
struktur. Wir wissen, dass der Ausbau des Autobahnnetzes
nicht unbegrenzt möglich ist. Das gilt vor allem für die
Ballungsräume. Hier ist der Verkehr aber am größten und
die Kapazitätsgrenzen sind am deutlichsten. Deshalb
müssen wir jede Stärke des einzelnen Verkehrsträgers
besser nutzen und besser ausgestalten. Ich möchte, dass
wir alle Innovationspotenziale, die modernen Technolo-
gien, die Steuerung und die Lenkung zusammenführen
und nutzen. Schließlich müssen wir alle sinnvollen Kon-
zepte umsetzen, um da, wo es möglich und effizient ist,
Verkehr zu vermeiden.

Das bedeutet: Verkehrspolitik ist immer auch Bestand-
teil einer modernen Politik für Stadtentwicklung und
Raumordnung. Dies sage ich nicht nur als Ver-
kehrsminister und als Bauminister, sondern auch als In-
frastrukturminister. Es wird die entscheidende Frage der
Zukunft sein, ob uns diese Integration gelingt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nach der Analyse stehen wir vor den Fragen: Wie wol-
len wir die Mobilität dauerhaft sichern? Wie wollen wir
ihre Effizienz und Umweltverträglichkeit gewährleisten?
Mit dem Verkehrsbericht geben wir die Antworten.

Ich beginne mit dem schwierigsten Thema. Zur effi-
zienten Nutzung aller Verkehrsträger gehört ein zukunfts-
taugliches Konzept zur Weiterentwicklung der Bahn-
reform. Angesichts der Kapazitätsprobleme muss die
Schiene deutlich mehr Verkehr aufnehmen. Dazu ist sie
heute nicht fähig. Das System Schiene muss besser und
schneller werden. Dies wird die Zukunftsaufgabe sein.




Bundesminister Kurt Bodewig

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(B)


Das Netz ist an vielen Stellen dringend sanierungsbe-
dürftig. Da in der Vergangenheit die erforderlichen Mittel
nicht zur Verfügung gestellt wurden, musste es zwingend
zu Hunderten von Langsamfahrstellen kommen. Diese
werden wir jetzt beseitigen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass hier umgesteu-
ert werden muss, war uns klar. Der Bund hat seine Ver-
antwortung wahrgenommen. Er hat umgesteuert. Wir
werden die Investitionen in die Schiene auf rund 9 Milli-
arden DM pro Jahr erhöhen. Damit haben wir die Investi-
tionen in Schiene und Straße auf gleiche Höhe gebracht.
Wir erfüllen damit ein wichtiges Ziel unserer Koalitions-
vereinbarung. Ich denke, dies ist ein Grund, positiv in die
Zukunft zu schauen.

Deshalb hat mir auch die Haushaltsrede im vergange-
nen Jahr sehr viel Spaß gemacht; denn es ist heute nicht
einfach, einen Rekordhaushalt vorlegen zu können. Das
bereitet immer wieder Vergnügen. Dieses Vergnügen habe
ich gerne. Ich hoffe, es wird mir auch in den kommenden
Jahren zuteil.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Neben den Investitionen brauchen wir auch ord-
nungspolitische Maßnahmen. Unser Ziel ist es, mehr
Verkehr auf die Schiene zu bringen. Ich rede hier bewusst
von der Schiene und nicht von der Bahn, weil ich glaube,
dass das System Schiene gestärkt werden muss, wenn wir
wollen, dass der Güterverkehr auf der Schiene in den
nächsten 15 Jahren verdoppelt wird. Dies wird nur gelin-
gen, wenn wir mehr Wettbewerb auf der Schiene realisie-
ren. Monopole sind nicht mehr zeitgemäß. Wir brauchen
in Europa nicht den Kampf der Giganten, sondern die Er-
gänzung durch den Aufbau mittelständischer Strukturen
auf der Schiene.

Es gibt hier eine Reihe von positiven Beispielen. Ich
nenne nur sektoral aus dem Chemiebereich die BASF. Sie
hat mit rail4chem ein eigenes System entwickelt, das
funktioniert und auch ökonomisch tragfähig ist.

Es gibt aber auch im Personenverkehr in den neuen wie
in den alten Bundesländern sehr viele Beispiele. Denken
Sie hier nur an die Nord-West-Bahn Niedersachsen. Sie
hat seit November 2000 mit 300 Kilometern das größte
private Regionalnetz im Personenverkehr. Sie hat nur ein
Problem: Sie kann die Nachfrage kaum bewältigen. Ich
würde mich freuen, wenn ich solche Probleme öfter auf
dem Tisch hätte.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die entscheidende Frage lautet: Wie garantieren wir
den Wettbewerb und wie garantieren wir, dass Wettbe-
werb tatsächlich stattfindet? Nun gibt es einige, die glau-
ben, die Patentlösung zu haben: die Trennung von Netz
und Betrieb als Heilsbotschaft. Ich fordere da lieber Sorg-
falt statt Aktionismus.

Wir brauchen zunächst einmal eine effektive Wett-
bewerbsaufsicht. Dazu novellieren wir das Eisenbahn-
gesetz. Wir werden dem Eisenbahn-Bundesamt die Kom-
petenz für die Wettbewerbsaufsicht geben. Über weitere
Schritte werden wir gegebenenfalls beraten und entschei-
den.

Ich sage ganz klar: Eine Trennung von Fahrweg und
Betrieb schließe ich nicht aus. Wie wir in Zukunft mit
Netz und Betrieb umgehen, ist für mich keine ideologi-
sche Frage. Entscheidend ist, wie wir mehr Verkehr auf
die Schiene bringen. Daran werden wir all unsere politi-
schen Entscheidungen messen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Zukunft der Schiene und der Erfolg der Bahn-
reform erfordern allerdings auch den Beitrag der Bahn
selbst. Ich glaube, dass dies dem Vorstand, aber auch den
Beschäftigten sehr wohl bewusst ist. Die Bahn weiß, dass
Modernisierung und Sanierung Hand in Hand gehen müs-
sen. Für mich sind deswegen Bürgerbahn und Börsenbahn
Scheinalternativen. Meine Vision ist die Kundenbahn.
Letztendlich wird der Kunde über die Zukunft der Bahn
entscheiden und die Bahn wird diese Entscheidung posi-
tiv gestalten können, wenn sie pünktlich, preiswert und at-
traktiv ist. Der Kunde wird über die Annahme dieses
wichtigen Verkehrsmittels entscheiden. Wir haben die
Aufgabe, die Infrastruktur sicherzustellen. Dieser Ver-
pflichtung kommen wir nach.

Die Bahn wird sich verändern. Nur wenn sie sich än-
dert, hat sie Zukunft. Wer aber jetzt Beschwerde führt,
weil der Bahnchef neue, effiziente Modelle entwickelt,
wird genauso wenig die Zukunft der Bahn sichern wie
diejenigen, die nur mehr Geld vom Staat fordern. Das sind
nicht die richtigen Wege.

Richtig ist, wenn wir Konzepte stützen. Aber diese
Konzepte müssen dem Kunden nahe gebracht werden.
Das habe ich Herrn Mehdorn in aller Klarheit gesagt.
Neue Konzepte müssen mit dem Kunden besprochen wer-
den; denn – das spielt auch beim Interregio eine Rolle –
auch die Länder sind Kunden. Dies sollte der Bahn be-
wusst sein.

Es ist richtig, Neues zu wagen. Richtig ist der neue
Weg eines marktorientierten Cargo-Konzeptes der Bahn.
Wo die Bahn nicht fährt, erhalten mittelständische Struk-
turen neue Wettbewerbschancen. Wir werden sie darin
unterstützen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Schiene – ich sage bewusst „Schiene“ und nicht
„Bahn“ – muss mehr Verkehr aufnehmen. Ich habe es
eben schon deutlich herausgestellt. Sie muss mit Spedi-
teuren, mit privaten Regional- und Verkehrsbahnen und
mit der Binnenschifffahrt zusammenarbeiten. Der kom-
binierte Verkehr, die Verbindung von Straße und
Schiene, aber auch Wasserstraße, muss mobilisiert wer-
den. Was wir in Zukunft bewältigen müssen, erfordert die
optimale Ausgestaltung aller Verkehrsträger. Wir werden
sie in Angriff nehmen. Dass es für kombinierte Verkehre




Bundesminister Kurt Bodewig
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einen Markt gibt, zeigen Initiativen privater Firmen, zum
Beispiel firmeneigene KV-Terminals. Wenn diejenigen,
die ein ökonomisches Interesse haben, kombinierten Ver-
kehr betreiben, ist dies das beste Beispiel dafür, dass sich
dieser rechnet. Auch dies muss herausgestellt werden.

Neben der Modernisierung muss die Bahn ihren Sa-
nierungsprozess konsequent fortsetzen. Wir werden den
Konsolidierungsprozess der Bahn begleiten. Ich habe
dazu eine Arbeitsgruppe mit den Staatssekretären des Fi-
nanz- und des Wirtschaftsministeriums sowie meines
Hauses eingesetzt. Wir werden diesen Konsolidierungs-
prozess auch als Eigentümer der Bahn sehr genau be-
trachten.

Aber eines will ich herausstellen: Wir haben nicht die
unternehmerische Verantwortung; sie liegt beim Vorstand
der Bahn. Wir haben aber die Verantwortung für die öf-
fentlichen Gelder, die hier eingesetzt werden. Diese Ver-
antwortung werden wir wahrnehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mit den von uns eingeleiteten Maßnahmen werden wir
die Schiene in den nächsten Jahren deutlich stärken. Dies
ist dringend erforderlich, weil auch die Straße an die
Grenzen ihrer Kapazität gekommen ist. Es ist deutlich
– ob man das hören will oder nicht –: Die Straße ist der
Verkehrsträger Nummer eins. Wir haben hier eine Infra-
strukturverantwortung, die wir wahrnehmen werden. Das
Auto ist für viele Menschen ein Stück mobile Freiheit.
Auch dies ist richtig. Nichtsdestotrotz: Intelligente Ver-
kehrssysteme werden dazu führen, dass eine optimale
Struktur geschaffen wird und sich die Menschen dafür
entscheiden, den für den jeweiligen Anlass richtigen Ver-
kehrsträger zu nutzen. Deswegen gehe ich auch mit die-
sem Verkehrsmittel ideologiefrei um. Wir haben das Auto,
wir haben die Straßen. Wir haben hier eine Infrastruktur-
verantwortung, die wir wahrnehmen werden.

Ich sage gleichzeitig: Wir haben auch eine Verantwor-
tung für die Sicherheit im Straßenverkehr. Der hohe Wert
der Mobilität wird sich nur halten lassen, wenn wir einer-
seits den Verkehrsfluss dauerhaft ermöglichen und ande-
rerseits ein hohes Maß an Sicherheit gewährleisten. Mit
einem Verkehrssicherheitsprogramm, das wir in den
nächsten Wochen vorstellen werden – ich freue mich auf
Ihre Anregungen hierzu –, werden wir dieses wichtige
Ziel gemeinsam erreichen. Angesichts der großen Zahl
von Verkehrstoten, die wir leider noch immer haben, ist
diese Verantwortung von uns allen gemeinsam zu tragen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aufgrund Ihrer Sicht durch die ideologisch gefärbte
Brille sagen Sie, Rot-Grün werde die Investitionen in die
Straße vernachlässigen. Ich kann Ihnen – auch wenn ich
verstehe, dass es Sie ärgert, wenn Ihre Erwartungen nicht
eintreffen – nur sagen: Wir haben einen Bundesfern-
straßenhaushalt mit 10,8 Milliarden DM und den brau-
chen wir. Dies will ich im Einzelnen begründen.

Ich glaube, dass diese Rekordhöhe vor allem deswegen
notwendig ist, weil es in Ihrer Regierungszeit zu einem

völligen Verfall der Straßen gekommen ist. Diesem Ver-
schleiß der Straßen müssen wir begegnen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der CDU/CSU)


– So ist es! Bittere Wahrheiten sind schwer zu ertragen.
Das verstehe ich. Aber manchmal muss es sein.

Wir haben eine besondere Belastung, auch innerstäd-
tisch. Betrachten Sie allein die Belastung durch den
LKW-Verkehr. Im Nah- und Regionalverkehr flossen
1999 25 Prozent der Güterverkehrsleistung durch Städte
und Gemeinden. Täglich quält sich massenhaft LKW-
Verkehr durch kleine Ortschaften. Die Menschen empfin-
den dies als puren Horror. Deswegen denke ich, dass wir
richtig gehandelt haben, als wir im Zukunftsinvestitions-
programm 125 Ortsumgehungen ermöglicht haben, die
die Menschen von extremer Belastung durch Staus und
Lärm befreien, aber auch die Sicherheit in den Städten
und Gemeinden verbessern. Ein solches Programm hat es
vorher noch nie gegeben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist ein Grund, stolz zu sein. Ich danke auch den Re-
gierungsfraktionen, dass sie hierzu beigetragen haben.

Mit dem Anti-Stau-Programm haben wir ebenfalls
einen qualitativen Ansatz gewählt. Auch hier geht es aus-
schließlich um die Vergabe der Mittel nach klar defi-
nierten Engpassfaktoren. Nicht die Quote ist entschei-
dend, sondern die Probleme, die wir lösen müssen. Dies
gilt für alle drei Verkehrsträger. 7,4 Milliarden DM wer-
den wir in Schiene, Straße und Wasserstraße investieren.
Das ist eine schöne Zahl. Ich freue mich darüber und auch
viele andere hier im Raum.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden dieses Programm ab 2003 mit einer
streckenbezogenen LKW-Gebühr finanzieren. Ich glaube,
dass dies auch ein Gebot der Fairness im Wettbewerb zwi-
schen Straße und Schiene und gleichzeitig eine wichtige
Hilfe für das deutsche Güterkraftverkehrsgewerbe ist.
Denn ausländische Billiganbieter werden endlich zur Be-
teiligung an den Wegekosten unserer Autobahnen heran-
gezogen. Auch dies ist ein richtiger Schritt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Hinzu kommt: Jeder 40-Tonner nutzt die Straße
60 000-mal stärker ab als ein PKW. Das ist unsere Zahl.
Die Universität Cambridge kommt sogar auf einen Wert
von 160 000-facher Druckbelastung. Wer es nicht glauben
will, soll sich einmal den Zustand der Straßen anschauen.
Neu gebaute Autobahnen sind innerhalb von sieben Jah-
ren verschlissen. Ich denke, dies macht sehr deutlich, dass
wir hier umsteuern müssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Für das Güterkraftverkehrsgewerbe ist es dringend er-
forderlich, dass wir in Europa faire Wettbewerbsbedin-




Bundesminister Kurt Bodewig

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gungen haben. Die Verhandlungen beim EU-Ministerrat
in Brüssel waren nicht einfach. Die deutsche Delegation
hat hier einen sehr konstruktiven Beitrag geleistet. Wir
haben jetzt gemeinsam den Weg zur europäischen Fahrer-
lizenz eingeschlagen. Das ist der richtige Schritt.

Wenn wir illegale Beschäftigung und Sozialdumping
im LKW-Gewerbe vermeiden und bekämpfen wollen,
dann sollten wir aber nicht auf Europa warten, sondern
vorangehen. Ich habe dem Kabinett am Montag unseren
Gesetzentwurf zur Bekämpfung der illegalen Beschäfti-
gung im Güterkraftverkehr zugeleitet. Mit dieser Novelle
können wir schnell deutliche Verbesserungen für das Ge-
werbe erreichen.

Das sind die entscheidenden Fragen für das Gewerbe.
Wir lösen sie jetzt und das ist wichtig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Integrierte Verkehrspolitik umfasst mehr als Straße und
Schiene. Unser Flughafenkonzept ist ein weiterer wich-
tiger Schritt. Die Anbindung der Flughäfen an den ICE
vermeidet innerdeutsche Flüge. Die Slots sind notwendig.
Wir stellen uns hier einer sehr schwierigen Aufgabe, die
nicht in der Bundeskompetenz liegt. Bund und Länder
kommen hier zu gemeinsamen Vorstellungen. Diese
schwierige Frage, die Sie nie angepackt haben, versuchen
wir jetzt zu lösen. Ich bin sicher, dass wir dies zum einen
im Interesse der Ökonomie, der Schaffung neuer Arbeits-
plätze, auf einen guten Weg bringen. Zum anderen
werden wir aber, auch für die Lärmbelastung, die die
Menschen ertragen müssen, Lösungen anbieten. Der Aus-
gleich dieser beiden Faktoren ist Teil dieses Konzeptes
und dies ist sehr wichtig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich abschließend kurz noch einige Punkte
nennen.

Wir brauchen die Binnenschifffahrt und entwickeln
sie weiter. Die Wasserstraßen haben für uns eine ganz
wichtige Funktion, die wir stärken müssen.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Aber dann müssen sie auch ausgebaut werden!)


In der Seeschifffahrt setzen wir auf die Sicherung des
maritimen Standorts Deutschland. Eine wichtige Funk-
tion hat der Sea-to-Sea-Verkehr; denn auch Nahstrecken
auf See müssen wir zur Bewältigung von Gütertranspor-
ten nutzen. Dies ist ebenfalls ein ganz wichtiger Schritt.

Das Zusammenspiel von Straße und Schiene erfordert
die Einbeziehung neuer Konzepte. Steuerung, Naviga-
tion, Telematik – das werden Mittel sein, um 30 Prozent
Leerfahrten zu vermeiden. Diese ökonomisch unsinnige
Situation müssen wir dringend auflösen.

Wir brauchen moderne Motoren; ich denke an Brenn-
stoffzellen. Wir brauchen neue Kraftstoffe wie Methanol
und Gas. Ich denke an das Einliterauto, das schon an-
gekündigt worden ist.

Alle diese Maßnahmen müssen wir zu intelligenten
und ökologischen Konzepten verknüpfen. Das ist das

neue Denken, das wir anstreben. Dieser Verkehrsbericht
bietet dafür gute Voraussetzungen.

Mobilität in Deutschland zu sichern bedeutet, sich ef-
fizient und umweltgerecht zu verhalten. In einem ge-
meinsamen, kreativen, innovativen Prozess müssen wir
neue Lösungen finden. Sie sind dazu eingeladen. Ich bin
mir sicher, dass wir all das machen werden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414300700
Ich eröffne die Aus-
sprache und erteile das Wort dem Kollegen Klaus
Lippold, CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1414300800
Frau
Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr
Minister Bodewig, Sie sind der dritte Verkehrsminister in-
nerhalb von zwei Jahren rot-grüner Bundesregierung, der
Verbesserungen bei der Mobilität, der Verbesserungen bei
der Infrastruktur in Aussicht stellt. Ich gehe davon aus,
dass Sie das in zehn Jahren genauso tun würden. Aller-
dings ist in Ihrem Hause die Halbwertszeit der Minister so
kurz, dass man von einer solchen Erwartung nicht spre-
chen kann.

Sie gehen voll über die Realitäten hinweg, was die
Mobilität angeht: Staus sind an der Tagesordnung. Die
Züge haben in einer bislang nie gekannten Form Verspä-
tung.


(Widerspruch bei der SPD)

Im Luftbereich besteht eine ähnliche Situation. Schlag-
löcher bringen Gefährdungen für die Menschen auf der
Straße mit sich und instandsetzungsbedürftige Brücken
werden zu tickenden Zeitbomben.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die sind alle im letzten Jahr entstanden!)


– Herr Schmidt, Sie mögen das alles nicht ernst nehmen.
Aber das ist die Realität.


(Beifall bei der CDU/CSU – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich lasse mich doch von Ihnen nicht veräppeln!)


Herr Schmidt, veraltete Schleusen, fehlende Staustufen
sowie marode und undichte Kanäle schränken die Bin-
nenschifffahrt ein. Experten sagen, dass die Binnenschiff-
fahrt in den Kanälen bald auf dem Trockenen sitzt und wir
bald keine funktionsfähigen Kanäle mehr haben werden,
wenn die Infrastruktursanierung dort nicht weitergeführt
wird.

Dazu ist ganz deutlich zu sagen: Das sind nicht die
üblichen Kritiken der Opposition. – Herr Schmidt, hören
Sie genau zu! – Es grenzt an Dreistigkeit, zu behaupten, der
Bund sei im Bahnbereich seinem Gewährleistungsauftrag
nachgekommen. Interregio-Verbindungen und Strecken
würden sterben. Es gebe mehr und mehr Langsamfahrstel-
len, ausgefahrene Weichen, bröckelnde Tunnel, Ausfall von




Bundesminister Kurt Bodewig
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Zügen und Zugverspätungen. Der Güterverkehr sei am Ab-
grund.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Woher kommt denn das?)


Das sagen der Bund für Umwelt und Naturschutz
Deutschland, der Naturschutzbund und sieben weitere In-
stitutionen, die die Verbraucher im Verkehrsbereich ver-
treten. An deren Interessen argumentieren Sie vorbei,
wenn Sie sagen: Es wird sich alles irgendwie ändern.

Auch heute wieder hat der Minister in bekannter Ma-
nier angekündigt, für Infrastrukturfragen eine Arbeits-
gruppe einzurichten. Irgendwann wird also etwas gesche-
hen. Das aber ist der falsche Weg!


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Sie haben es laufen lassen!)


Herr Minister, Sie haben aus dem, was Sie selbst in Ihrem
Verkehrsbericht richtig analysiert haben, nämlich dass es
auf der Straße und auf der Schiene eine Zunahme des Ver-
kehrs gibt, noch immer nicht die richtige Konsequenz
gezogen: Sie sprechen immer noch von der Verlagerung
des Verkehrs auf die Schiene.

Dieser Ansatz ist falsch, Herr Minister. Denn er trägt
nicht. Schon in der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass
die einzige Verkehrsprognose, die regelmäßig revidiert
werden musste, die der Verlagerung des Verkehrs von
der Straße auf die Schiene war.


(Beifall des Abg. Dr. Winfried Wolf [PDS])

In allen anderen Bereichen trafen die Prognosen zu, aber
in diesem Falle nicht. Das ist der Grund dafür, weshalb
Sie, Herr Minister, vielleicht doch einmal Konsequenzen
ziehen, Akzente anders setzen und die Verbesserung des
Verkehrs auf der Straße im Rahmen der geplanten Infra-
strukturoffensive nicht nur fordern, sondern dafür auch
wirklich etwas tun sollten.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Da gibt es doch genügend Beispiele!)


Herr Minister, Ihre zahlreichen Vorgänger haben
zunächst die entsprechenden Ansätze heruntergefahren.
Dann wurden sie unzureichend wieder aufgestockt und
jetzt sagen Sie, das sei eine Perspektive. Eine Perspektive
ist das nur, wenn Sie das über zwei, drei Jahre hinaus ma-
chen würden, wenn man deutlich sehen könnte, dass im
Hinblick auf diese Investitionen Kontinuität besteht. Das
gilt für die Bahn genauso wie für die Straße.

Das ist aber nicht der Fall. Herr Eichel hat noch gestern
gesagt, dass er in Bezug auf die Finanzierung nur für etwa
drei Jahre Aussagen machen könne. Die Zeit danach aber
versieht er mit Fragezeichen. Das sind doch keine Grund-
lagen für eine vernünftige Infrastrukturpolitik, die sich an
Kontinuität orientiert. Das ist doch wieder das alte Vorge-
hen: Heute wird etwas versprochen, wovon gehofft wird,
dass wir es morgen wieder vergessen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Eichel hat in diesem Zusammenhang auf die

UMTS-Milliarden hingewiesen. Dazu muss man feststel-

len: Herr Bodewig, Sie haben von Versäumnissen der al-
ten Bundesregierung gesprochen.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Richtig, das lassen wir uns nicht gefallen!)


Wenn Ihnen jetzt im Rahmen der UMTS-Milliarden Mit-
tel zur Verfügung gestellt werden, dann ist dies nur des-
halb der Fall, weil wir im Telekommunikationsbereich die
dazu notwendige Reform durchgesetzt haben.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Gegen Schröder! Schröder hat sie abgelehnt!)


Sonst würden Sie über diese Mittel heute überhaupt nicht
verfügen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Damals haben wir diese Reform und die Bahnreform

gegen Ihren Willen durchgeführt.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist eine historische Verfälschung! – Zurufe von der SPD)


Auch heute noch stellen wir fest, dass Sie die Bahnreform
nicht konsequent fortsetzen. Es ist völlig richtig, dass
durch die Trennung von Netz und Betrieb nicht alle Pro-
bleme der Bahn gelöst werden können, Herr Bodewig.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Der hat keine Ahnung!)


Aber wenn wir die Trennung von Netz und Betrieb nicht
vorantreiben, dann wird Ihr Schlagwort von der Verlage-
rung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene noch ob-
soleter, als es ohnehin schon ist. Das heißt, Ihre Ansätze,
Herr Minister, sind falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Aus der Sicht derWirtschaft hört sich das so an:
Die Auffassung vieler Verkehrspolitiker, mit teure-
rem LKW-Verkehr mehr Güter auf die Schiene ver-
lagern zu können, ist falsch.

Die Aussage, dass mehr Verkehr auf die Schiene verlagert
werden kann, ist falsch. Die Industrie spricht von „unrea-
listischen Verlagerungsszenarien“. Damit meint sie Sie.

Sie sind ja vom Bundesverband der Deutschen Indus-
trie mit zahlreichen Vorschusslorbeeren versehen worden.
Aber auch diese welken. Heutzutage ist man dort schlicht
und ergreifend der Auffassung, dass Sie die Weichen für
die Zukunft nicht richtig stellen. Das müssen Sie sich sa-
gen lassen, und zwar nicht nur von der Opposition.

Schauen Sie sich das an, was der ADAC, eine Ver-
braucherorganisation für Autofahrer, Ihnen ins Stamm-
buch schreibt:

Anstelle einer grundsätzlichen Revision der falschen
Weichenstellungen der Vergangenheit, die dazu ge-
führt haben, dass der ohnehin im Bereich der Straße
bedarfsfremde Bundesverkehrswegeplan auch noch
chronisch unterfinanziert war, tritt die Verwaltung
des Mangels und die weitere Kürzung der Mittel.

Das sind nicht wir, die das sagen; das sind neutrale Beob-
achter, Herr Bodewig. Dagegen kommen Sie nicht an,




Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)


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indem Sie mit einfachen Ansätzen darüber hinwegreden.
Ich sage das so deutlich, weil es ungeheuer wichtig ist,
dass wir die richtigen Konsequenzen ziehen aus dem
Sachverhalt, dass wir als Land in der Mitte Europas uns
zunehmend mehr Verkehr gegenübersehen werden – nicht
nur Verkehr, der endogen induziert ist, sondern auch Ver-
kehr, der von außen auf uns zukommt.

Sie wollen also die Verlagerung des Verkehrs. Aber
was bedeutet das denn für den Bereich Bahn? Die Deut-
sche Bahn streicht ihr Streckennetz zusammen. Die Leis-
tungen im Schienengüterverkehr nehmen ab. Der kombi-
nierte Verkehr schreibt rote Zahlen. Die DBAG plant, von
80 regionalen Rangierbahnhöfen in Zukunft nur noch 40
zu betreiben. Überregionale Güterbahnhöfe und viele der
80 Containerterminals sollen geschlossen werden. Die
bisher 2 100 lokalen Verladestellen für Unternehmen mit
eigenem Gleisanschluss sollen auf 900 reduziert werden.

Dabei muss man wissen: Die Schließung einer einzi-
gen Verladestelle in Ostwürttemberg hat zur Folge, dass
allein in dieser Region pro Jahr 16 000 LKWmehr fahren
müssen. Jetzt ziehen Sie einmal die Konsequenz in Bezug
auf das, was ich gerade gesagt habe, und überlegen Sie,
was das für die Frage der Verlagerung von Verkehr von
der Straße auf die Schiene bedeutet. Dann merken Sie
doch, dass alles, was Sie hier sagen, illusionär ist. Wenn
Sie illusionäre Vorstellungen haben, können Sie natürlich
keine richtigen Konsequenzen ziehen.

Wir brauchen die konsequente Fortführung der Bahn-
reform. Wir brauchen die Trennung von Netz und Betrieb
als Voraussetzung für mehr Wettbewerb.


(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann [F.D.P.])


Ohne die Trennung von Netz und Betrieb, Herr Bodewig,
werden Sie nicht mehr Wettbewerb schaffen. Sie sagen,
Sie wollen „andere Kräfte“ aktivieren. Das ist zwar rich-
tig, aber die Aktivierung dieser anderen Kräfte gelingt
nur, wenn diese auch auf dem Netz der Bahn zum Zuge
kommen können. Anders geht das nicht. Sonst ist das eine
falsche Politik, ist das ein falscher Ansatz.

Die Experten der Pällmann-Kommission, die der Bun-
desverkehrsminister selbst eingesetzt hat, haben Ihnen das
ja sehr deutlich vorgetragen:

Die Vorstellung einer nachhaltigen Entlastung der
Bundesfernstraßen durch Verkehrsverlagerungen auf
Schiene oder Binnenwasserwege ist mittelfristig un-
realistisch.

Wenn diese aus Experten bestehende Kommission sagt,
das sei mittelfristig unrealistisch, dann meint sie: inner-
halb der nächsten drei bis fünf Jahre. De facto wird es
auch im Anschluss daran nicht zu erreichen sein.

Die Pällmann-Kommission führt weiter aus:
Eine Verringerung nachteiliger ökologischer Wir-
kungen des Automobilverkehrs ist wesentlich wir-
kungsvoller am System Straße selbst zu erreichen als
durch ordnungspolitische Eingriffe mit dem Ziel von
Verkehrsverlagerungen.

Deshalb ist das, was Sie für die Straße tun, unzureichend.

(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Sie widerspre chen sich ja mit Ihren eigenen Worten!)

Auch wenn nicht alle Problemlösungen über die Straße
zu erreichen sein werden, so werden wir doch – langfris-
tig und mit Vision betrachtet – nicht umhinkommen, das
deutsche Autobahnnetz komplett dreispurig auszubauen.
Wir werden ein Crashprogramm brauchen, das sofort
greift.

So, wie Sie das angehen wollen, geht es nicht: Sie wol-
len erst 2003 damit beginnen – der Start ist eigentlich
noch überhaupt nicht festgelegt – und der Bundesfinanz-
minister hat schon jetzt die Hand auf einen Teil der Mittel
gelegt. Die Mittelfinanzierung ist de facto nicht sicherge-
stellt, weil die Mittel, die Sie im Wege der Erhebung zu-
sätzlicher Gebühren hereinbekommen wollen, durch den
allgemeinen Haushalt von Herrn Eichel geschluckt wer-
den. Ich meine, dass als Konsequenz eine Zweckbindung
solcher Gebühren ausschließlich für diesen Verkehrsbe-
reich erfolgen muss. Da Sie die Ökosteuer, das Unsinnigs-
te, was es gibt, nicht abschaffen, muss auch eine teilweise
Bindung der Ökosteuereinnahmen für diesen Verkehrsbe-
reich erfolgen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dienstleistungen für Autofahrer werden vom Autofah-

rer vorfinanziert, nur setzen Sie die Mittel falsch ein. Jetzt
sagen Sie nicht, Sie würden sie zur Rentenfinanzierung
nutzen. Gut 15 Milliarden DM aus diesem Aufkommen
fließen an der Rente vorbei; das ist die Realität. Deshalb
ist es wichtig, dass hier die Schwerpunkte anders gesetzt
werden. Anders kommen wir der Problematik nicht bei.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir werden zusätzliche Mittel für die Bahn brauchen,

nur um die notwendige Realisierung eines sicheren Ver-
kehrs, eines pünktlichen Verkehrs zu erreichen. Ich spre-
che hierbei noch gar nicht mal von Verlagerung. Wenn
Herr Eichel bereits jetzt mehr Mittel für die Bahn katego-
risch ausschließt, ist das der falsche Ansatz, Herr
Bodewig. Das zeigt, dass Sie sich auch in Zukunft nicht
werden durchsetzen können. In diesem Kabinett werden
die Weichen anders gestellt, und zwar nicht für, sondern
gegen die Infrastruktur.

Wir brauchen einen klaren Planungshorizont. Wir
brauchen jetzt die Überarbeitung des Bundesverkehrswe-
geplans. Wir brauchen die Integration des Flugverkehrs in
den Bundesverkehrswegeplan. Das alles machen Sie
nicht. Sie verschieben dies vielmehr auf die nächste Le-
gislaturperiode, weil sonst das Scheitern Ihrer Politik of-
fensichtlich werden würde. Dies wollen Sie vor der Wahl
nicht eingestehen. So einfach ist das.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wir brauchen mehr Mittel für die Straße, insbesondere
für die Bundesfernstraßen. Wir brauchen ein Crashpro-
gramm. Wir brauchen darüber hinaus aber auch die be-
schleunigte Einführung von Telematik. Dies sehe ich bei
Ihnen immer noch nicht gesichert.




Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)

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(C)



(D)



(A)



(B)



(Iris Gleicke [SPD]: Wir versuchen es mit Verkehrssicherheit! Herr Lippold versucht es mit Crash!)


Herr Minister, bei der Einführung von Telematik geht es
nicht um zusätzliches Abkassieren, sondern darum, wie
man in Zukunft die Sicherheit erhöhen kann. Die Frage
ist, wie man dieses System für Sicherheitsinformationen
nutzen kann. All dies unterschlagen Sie.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir gehen auch davon aus, Herr Minister, dass es not-

wendig ist, den Flugverkehr einzubeziehen, und dass Sie
deutliche Signale dafür setzen, dass auch der Bund Ver-
antwortung für die Entwicklung in diesem Wirtschaftsbe-
reich mitträgt, und dass das Ziel, im Luftverkehr in Eu-
ropa und weltweit mithalten zu können, realistisch ist und
auch durchgesetzt wird. Auch dazu hören wir von Ihnen
nichts. Wir hören nur, dass Sie etwas schönreden, aber
dann, wenn Sie sich einmal konkret dazu äußern müssen,
wo Sie etwas tun können, hören wir von Ihnen nichts.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Im Rahmen der Diskussion über das Aufbringen neuer

Finanzmittel, Herr Minister, sollten wir über die Schaf-
fung einer neuen Institution, einer Fernstraßenfinanzie-
rungsgesellschaft, sprechen, damit die Diskussion darü-
ber aus den Haushaltsdiskussionen herausgenommen
wird. Es muss eine Institution mit einer klaren Budgetie-
rung geben, die dann das machen kann, was Sie in dieser
Regierung bedauerlicherweise nicht durchsetzen können,
nämlich eine klare Zuordnung der Mittel für notwendige
Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen.

Deshalb ist die Infrastrukturoffensive, die meine Frak-
tion plant und in einem überschaubaren Zeitraum vorle-
gen wird, die konkrete Antwort auf die Defizite Ihrer Re-
gierungspolitik, die von allen gesellschaftlichen Gruppen,


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: So ist es! – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Das ist auch bloß eine Ankündigung!)


seien es umweltorientierte Gruppen, seien es Wirtschafts-
gruppen, in vollem Umfang mitgetragen wird. Sie sollten
sich das zu Herzen nehmen und daraus Konsequenzen
ziehen.

Lassen Sie Ihre Experten wie die der Pällmann-Kom-
mission nicht nur einen Bericht schreiben, sondern setzen
Sie das, was diese Experten sagen, auch um!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414300900
Ich erteile dem Kolle-
gen Reinhard Weis, SPD-Fraktion, das Wort.


Reinhard Weis (SPD):
Rede ID: ID1414301000
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der politischen Dis-
kussion liegt die Wahrheit der Argumente oft in der Mitte.
Aber ich glaube, die Position, die Herr Lippold hier ein-
genommen hat, ist so extrem und in der Verkehrspolitik so

resignativ, dass ihr eigentlich von den Fachkollegen aus
der CDU/CSU-Fraktion widersprochen werden müsste.


(Beifall bei der SPD)

Offensichtlich hat er sich als zuständiger stellvertretender
Fraktionsvorsitzender für den Fachbereich von Verkehrs-
politik verabschiedet. Das finde ich bedauerlich.

Aber ich möchte auf den Verkehrsbericht des Ministers
zu sprechen kommen. Der Bundesminister für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen hat einen hervorragenden Be-
richt über den aktuellen Stand der Verkehrspolitik unserer
Regierungskoalition vorgelegt. Der Bericht zeigt uns, wie
wir mit dem Nebeneinander der verschiedenen Verkehrs-
träger Schluss machen. Der Bericht zeigt uns auch anhand
der Risiken eines ungesteuerten weiteren Verkehrswachs-
tums, wie notwendig es ist, dieses Wachstum sozial und
umweltverträglich zu gestalten.

Unser Ziel ist das integrierte Verkehrssystem, das
Mobilität für Menschen und Güter flächendeckend und
umweltverträglich gewährleistet. Erstmalig wird in einem
Bundesprogramm die Klammer um alle vier Verkehrsträ-
ger, um Schiene, Straße, Wasserstraße und Luftverkehr,
gelegt. Dabei liegen – das zeigt der Verkehrsbericht 2000
auf – die wichtigsten und schwierigsten Probleme des
Verkehrsbereiches im Güterverkehr. Der Güterverkehr
ist aber für den Wirtschaftsstandort Deutschland von he-
rausragender Bedeutung: für die Erhaltung der Produkti-
vität ebenso wie für die Erhaltung und Schaffung von Ar-
beitsplätzen.


(Beifall bei der SPD)

Seit vielen Jahren wächst der Güterverkehr in Deutsch-

land mit überproportionalen Raten. Alle Prognosen bis
zum Jahr 2015 gehen davon aus, dass der Güterverkehr
auch weiterhin mit beängstigend hohen Raten zunehmen
wird: in den nächsten 15 Jahren um über 60 Prozent. Das
wachsende Pro-Kopf-Einkommen in Mittel- und Osteu-
ropa und die zunehmende wirtschaftliche Verflechtung
mit den Beitrittskandidaten werden diesen Prozess noch
begünstigen. Auch die neue Technologie des Internets,
von der bis vor kurzem noch viele geglaubt haben, dass
damit Verkehr überflüssig gemacht werden könnte, be-
schleunigt mit dem Wachstumsmarkt des E-Commerce
den Warenaustausch. Hinzu kommen die guten Konjunk-
turaussichten in Deutschland und Europa in den nächsten
Jahren. Dies sind Prozesse, die wir begrüßen und auch
wollen. Aber die Kehrseite dieser positiven Entwicklung
darf niemand übersehen: Ohne Steuerung der Investitio-
nen in die Verkehrsinfrastruktur und ohne Einsatz ord-
nungspolitischer Instrumente besteht die Gefahr, dass sich
das Verkehrswachstum weiter überwiegend auf die Straße
konzentriert. Ich widerspreche Ihnen ganz ausdrücklich in
Ihren Positionen, Herr Lippold.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ziel ist es, einen größeren Anteil des Güterverkehrs-

wachstums als bisher auf die Schiene zu bringen. Bis zum
Jahr 2015 wollen wir den Güterfernverkehr auf der
Schiene mit rund 600 Milliarden Tonnenkilometer fast
verdoppeln. Das ist ein ehrgeiziges Ziel. Wir tragen der




Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)


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(C)



(D)



(A)



(B)


Realität in dem Sinne Rechnung, dass dies nicht der
gesamte Zuwachs im Verkehrsaufkommen sein wird.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Von diesem ehrgeizigen Ziel ist auf der Schiene nichts zu spüren, Herr Kollege!)


Wir haben auch hochrangige Befürworter dieses Ziels.

(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Welche denn?)

Erst am Montagabend hat uns in einem gemeinsamen
Gespräch mit den Obleuten des Ausschusses für Ver-
kehr, Bau- und Wohnungswesen die EU-Kommissarin de
Palacio gesagt, dass die Grenzen der Globalisierung durch
die begrenzten Möglichkeiten der Verkehrsinfrastruktur
gesetzt werden. Ich kann ihrer Ansicht nur zustimmen.
Ihre Aussage ist eine Bestätigung für unseren integrativen
Ansatz.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Für uns gibt es kein Gegeneinander von Investitionen
in die Straße und in die Schiene. Es gilt: Jeder Tonnenki-
lometer mehr auf der Schiene oder dem Wasser entlastet
die Straße. Anders gesagt: Die Erhaltung von Mobilität
insgesamt erfordert eine massive Steigerung der Investi-
tionen im Bereich der Schiene. Dieser Verantwortung für
die Zukunft der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland und
damit für die Mobilität kommen wir nach.

Natürlich sind wir nicht einseitig blind. Auch die
Straßeninfrastruktur benötigt weitere Investitionen.
Der Vorwurf, den Sie gemacht haben, ist völlig un-
berechtigt. Die alte Bundesregierung, die sich öffentlich
so gern als Vorkämpfer des Verkehrsinfrastrukturausbaus,
vor allem der Straße, verkauft hat, handelte in Wirklich-
keit ganz anders. Sie hat nämlich das Investitionsniveau
nicht gehalten, sondern kontinuierlich gesenkt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Jetzt gehen Sie aber zu weit!)


Die Zahl der vielen Spatenstiche und symbolischen Bau-
beginne hat der staunenden Öffentlichkeit ein falsches
Bild suggeriert.

Nach den Jahren rückläufiger Investitionstätigkeit ha-
ben nun ausgerechnet die rote und die grüne Koalitions-
fraktion und die jetzige Bundesregierung wieder Verläss-
lichkeit in den Bundesfernstraßenbau gebracht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das hat uns allerdings haushaltstechnisch in den vergan-
genen zwei Jahren gleich mehrere Kraftakte abverlangt.
Es ist aber auch das Ergebnis einer klugen Haushaltspoli-
tik, die durch eine außerplanmäßige Schuldentilgung mit
den Erlösen aus der Versteigerung von UMTS-Lizenzen
zusätzliche Finanzspielräume eröffnete.

Ich bedanke mich an dieser Stelle ganz ausdrücklich
bei meiner Fraktion dafür, dass sie diese zusätzlichen Fi-
nanzspielräume für die Stärkung der beiden Schwer-

punkte Verkehrsinfrastruktur sowie Forschung und Aus-
bildung genutzt hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im Wesentlichen finanzieren wir drei Komplexe: Wir
haben, basierend auf dem noch geltenden Bundesver-
kehrswegeplan, das Investitionsprogramm für 1999 bis
2002 aufgelegt. In diesem Programm haben wir in abso-
lut verlässlicher Weise Verkehrsinvestitionen von über
76 Milliarden DM gesichert; davon wird die Hälfte auf
Investitionen in das Bestandsnetz entfallen, da in diesem
Bereich in der Vergangenheit unter Ihrer Verantwortung
Ersatzinvestitionen sträflich vernachlässigt wurden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit dem Anti-Stau-Programm haben wir ein Novum
geschaffen, mit dem die dringlichsten Engpässe in den
Bereichen Straße, Schiene und Wasserstraße beseitigt
werden; ab dem Jahre 2003 werden hier 7,4 Milliar-
den DM gezielt zur Beseitigung von Engpässen einge-
setzt. Dabei werden Schiene und Straße gleichberechtigt
berücksichtigt, auch eine Förderung der Wasserstraßen ist
in dem Programm enthalten.

Effizienzsteigerung und Steigerung der Lebensqualität
steht auch im Vordergrund unseres Zukunftsinvesti-
tionsprogramms zum Bau von Ortsumgehungen. An
über 120 Orten werden die Bürger – beginnend in diesem
Jahr – in den nächsten drei Jahren mit 2,7 Milliarden DM
an Investitionsmitteln eine konkrete Entlastung erfahren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich freue mich für meine Fraktion, dass wir heute eine
positive Leistungsbilanz in Sachen Verkehrsinfrastruktur
vorlegen können. Ich glaube, wir haben in diesem Bereich
mehr geschafft, als wir selbst zu Beginn der Legis-
laturperiode zu hoffen wagten, nachdem wir einen Blick
in die Kassenbücher werfen konnten. Es sei auch ganz
deutlich gesagt, dass wir zur Abarbeitung des Infrastruk-
turdefizits in den ostdeutschen Ländern einen überpropor-
tionalen Anteil der Investitionsmittel für diese Bundes-
länder einsetzen. Minister Bodewig hat deutlich gemacht,
dass diese Aufgabe auch in Zukunft abgesichert wird.
Hier geht die Bundesregierung mit den Koalitionsfraktio-
nen Hand in Hand.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Das hat aber auch die alte schon gemacht!)


– Das hat Minister Bodewig ausdrücklich gewürdigt und
ich gebe Ihnen in diesem Punkt Recht. Ich habe das auch
nicht kritisiert.

Natürlich ist Verkehrspolitik mehr als Infrastrukturpo-
litik. Für uns stehen noch eine Reihe weiterer Vorhaben
auf der Tagesordnung, die wir in der zweiten Hälfte der
Legislaturperiode umsetzen wollen. Ich kann sie wegen
der Kürze der Zeit nicht alle aufzählen. Von besonderer
Bedeutung aber sind drei: die Bekämpfung der unglei-




Reinhard Weis (Stendal)

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(C)



(D)



(A)



(B)


chen Wettbewerbsbedingungen zwischen den Verkehrs-
trägern, die konsequente Weiterführung der Bahnreform
und eine Verkehrspolitik unter dem Motto „weg vom Öl“.

Ich beginne mit den Wettbewerbsproblemen. Es ist
festzustellen, dass die Wettbewerbsbedingungen derzeit
unfair sind. Weder zwischen den Verkehrsträgern noch in-
nerhalb der EU herrschen vergleichbare Wettbewerbsver-
hältnisse. Das Straßengüterverkehrsgewerbe ist in einer
schwierigen Situation. Wir wollen eine Harmonisierung
der Steuer- und Sozialvorschriften, wir wollen eine Har-
monisierung der Kontrollen und die Angleichung der
Ahndungen bei Verstößen gegen die Sozialvorschriften.
Einige EU-Partner scheinen auf diesem Gebiet noch an-
dere Schwerpunkte zu setzen. Dieser Zustand ist nicht
neu; auch die Vorgängerregierungen haben sich bei ihren
Bemühungen um faire Wettbewerbsbedingungen für das
deutsche Transportgewerbe bei den EU-Partnern die
Zähne ausgebissen. Wir stellen uns aber dieser wichtigen
Aufgabe.

So ist der europäische Transportmarkt durch Sozial-
dumping und Subventionswettlauf gekennzeichnet. Ge-
rade die Diskussionen im Jahre 2000 haben uns das ganz
deutlich aufgezeigt. Die Beschäftigung illegaler Fahrer
aus Drittstaaten gehört zu den unfairen Praktiken, mit de-
nen ausländische Anbieter den deutschen Konkurrenten
die Kunden abjagen. Aber auch deutsche Unternehmen
beschäftigen diese illegalen Billigarbeitnehmer und hei-
zen den ruinösen Wettbewerb in der Branche an.

Natürlich gibt es Probleme mit den Überkapazitäten
beim LKW-Laderaum. So kommt es, dass die deutschen
Transportunternehmer trotz des insgesamt wachsenden
Güterverkehrsmarktes keine wachsenden Erlöse aus die-
sem Boom erzielen, sondern begründete Existenznöte ha-
ben. Unsere Politik ist darauf gerichtet, den gesunden mit-
telständischen Unternehmen eine langfristige Perspektive
auf diesem Markt zurückzugeben und zu sichern.

Um es ganz klarzustellen: Das Problem des Trans-
portgewerbes ist nicht die Ökosteuer, Herr Lippold. Das
Problem heißt: verzerrter Wettbewerb, Sozialdumping
und Überkapazitäten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir fordern deshalb die Einführung einer EU-Fahrerli-
zenz für Fahrer aus Drittstaaten, mit denen das legale Be-
schäftigungsverhältnis überall problemlos kontrolliert
werden kann. Der jetzt vorgelegte Referentenentwurf aus
dem Hause des Bundesverkehrsministers ist dabei ein
wichtiger Baustein.

Natürlich spielen im EU-Wettbewerb auch die jewei-
lige Steuer- und Abgabenlast eine große Rolle. Auch wir
kennen die Forderung nach einem Ausgleich für die Wett-
bewerbsnachteile des heimischen Transportgewerbes.
Wir stehen darüber in intensiven und konstruktiven Ge-
sprächen mit dem Transportgewerbe. Eine solche Frage
kann jedoch wohl erst im Zusammenhang mit der Ein-
führung der entfernungsabhängigen LKW-Gebühr im
Jahr 2003 angegangen werden, wenn wir über zusätzli-
chen Finanzspielraum verfügen.

Vor dem Hintergrund der sowieso schon bestehenden
schwierigen Lage des Transportgewerbes stellt die EU-
Osterweiterung eine zusätzliche Herausforderung dar.
Der Güterverkehrsmarkt wird dadurch erheblich erwei-
tert. Der wachsende Handelsaustausch wird deswegen
auch eine große Chance für deutsche Verkehrsunterneh-
men bieten. Aber wegen des deutlichen Lohngefälles zwi-
schen den EU-Mitgliedstaaten und den mittel- und osteu-
ropäischen Staaten birgt ein ungehinderter Marktzugang
auch hohe Risiken. Dieses Lohngefälle kann nicht Ge-
genstand der Harmonisierung sein. Aber wir wissen, dass
es dennoch ein wichtiger Wettbewerbsfaktor ist. Wir hal-
ten es deshalb für notwendig, die Beitrittsbedingungen so
zu gestalten, dass das Wachstum der Verkehrsleistungen
nicht nur umwelt-, sondern auch sozialverträglich bewäl-
tigt werden kann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Bundeskanzler hat sich kürzlich für Übergangsrege-
lungen ausgesprochen. Wir unterstützen ihn beim
Bemühen, dies während der schwedischen Ratsprä-
sidentschaft durchzusetzen.

Mit der Einführung einer entfernungsabhängigen
LKW-Gebühr ab 2003 werden wir wahrscheinlich den
wichtigsten Beitrag zum Abbau der Wettbewerbsverzer-
rungen in Europa leisten. Die Mitfinanzierung unserer
Verkehrsinfrastruktur durch ausländische LKW ist ein
wichtiges Ziel; denn dadurch wird für mehr Chancen-
gleichheit gesorgt und die Lasten werden besser verteilt.
Die Höhe der Gebühr steht noch nicht fest. Aber die viel
genannten 25 bis 30 Pfennig pro Tonnenkilometer sind
plausibel, weil sie in der Größenordnung der Gebühren
unserer Nachbarländer liegen. Natürlich werden wir diese
Höhe prüfen, auch im Zusammenhang mit den europä-
ischen Bemühungen um Harmonisierung der Abgaben-
last, um für das heimische Gewerbe faire Wettbe-
werbsbedingungen bei der Steuer- und Abgabenlast
herstellen zu können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zum Vorhaben der Sicherung der Zukunft der Bahn
möchte ich zwar nicht viel sagen, da meine Kollegin
Karin Rehbock-Zureich speziell auf dieses Thema einge-
hen wird. Aber ich möchte auf die Situation hinweisen, in
der wir Bundespolitiker uns befinden. Wir können einer-
seits als Eigner des bundeseigenen Unternehmens
Bahn AG von diesem Unternehmen unter Beachtung des
Aktienrechts nur wirtschaftlich vernünftige Entscheidun-
gen verlangen. Andererseits müssen wir als Verkehrspoli-
tiker, die das Ziel haben, dem Schienenverkehr einen
größeren Marktanteil zu sichern, unter einem breiteren
Blickwinkel Schienenverkehrspolitik machen, um ergän-
zende Leistungen nicht bundeseigener Schienenverkehrs-
anbieter zu ermöglichen. Wir werden deshalb die Investi-
tionen in das Schienennetz steigern und den Netzzugang
neuer Schienenverkehrsanbieter diskriminierungsfrei si-
cherstellen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)





Reinhard Weis (Stendal)


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(C)



(D)



(A)



(B)


Der dritte Schwerpunkt, den ich ansprechen möchte, ist
die Politik „weg vom Öl“. Es handelt sich um eine Auf-
gabe, die nicht nur für die Verkehrspolitik ansteht. Wir
wollen jetzt die Weichen für eine Verkehrspolitik stellen,
die uns Mobilität künftig unabhängiger – ich gehe nicht so
weit und sage: unabhängig – vom Öl sichert. Wir müssen
in Bezug auf die Quelle, die die Energie für den Verkehr
liefert, unabhängiger und flexibler werden.

Die Besorgnis erregenden Preissteigerungen von
Kraftstoffen im Jahr 2000 haben uns deutlich gemacht,
wie verletzlich unsere Mobilität sein kann. Bei den alter-
nativen Kraftstoffen und Antriebstechniken für den In-
dividualverkehr stehen wir an der Schwelle zur Marktein-
führung. Es ist deshalb gut, dass im Bundesministerium
für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen bereits an einer
verkehrswirtschaftlichen Energiestrategie gearbeitet
wird. Wir haben die Hoffnung, in wenigen Jahren mit ei-
nem oder zwei alternativen Kraftstoffen aufwarten zu
können.

Die Frage der alternativen Kraftstoffe hat nicht nur
eine verkehrswirtschaftliche Komponente, sondern ist
auch von hoher umwelt- und wirtschaftspolitischer Be-
deutung. Umweltpolitisch stehen wir in der Verpflich-
tung, den CO2-Ausstoß in der gesamten Bundesrepublikum 25 Prozent zu senken. Der Verkehrsbereich hat dazu
noch keinen Beitrag geleistet. Alle Vorteile bei der Kraft-
stoffeinsparung aus den letzten Jahren sind durch Steige-
rungen der durchschnittlichen Leistungen der Fahrzeuge
und die Vergrößerung der Fahrzeugflotte im Prinzip kom-
pensiert worden. Erst die alternativen Kraftstoffe werden
einen echten und dauerhaften Beitrag zur CO2-Minderungermöglichen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wirtschaftspolitisch sehen wir dahinter natürlich auch ei-
nen bedeutenden Zukunftsmarkt, bei dem es um neue Pro-
dukte, neue Arbeitsplätze und die Schaffung von Ein-
kommen geht. Deshalb wird es bei der Strategie „weg
vom Öl“ eine enge Einbeziehung der Wirtschaft geben.

Allerdings stimmen die Preisrelationen zurzeit noch
nicht: Alternative Antriebskonzepte führen noch zu deut-
lich höheren Anschaffungspreisen für PKWund LKW, als
das bei herkömmlichen Kraftstoffen der Fall ist. Wir wis-
sen aus leidvoller Erfahrung, dass sich die Nachfrage am
Automobilmarkt nicht an unseren politischen Zielen von
CO2-Minderung und Umweltschonung ausrichtet, son-dern beinhart dem kurzfristigen Preisvorteil folgt. Ich
hoffe, dass wir wegen des Interesses der Wirtschaft an
diesem neuen Markt wirkungsvolle Wege zur Marktein-
führung neuer Antriebstechniken und Kraftstoffe finden.
Die steuerliche Begünstigung von Bussen mit Erdgasan-
trieb und die Förderung des Baus von Erdgastankstellen
sind ein Beispiel dafür.

Abschließend möchte ich folgendes Fazit ziehen: Un-
ser verkehrspolitisches Konzept ist auf die effiziente und
umweltverträgliche Absicherung der Mobilitätsbedürf-
nisse sowohl der Bürger als auch der Unternehmen in
Deutschland ausgerichtet. In der ersten Hälfte der Legis-
laturperiode haben wir dazu einen guten Grundstein ge-

legt und wir werden diese Linie zielstrebig weiter verfol-
gen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414301100
Ich erteile jetzt dem
Kollegen Horst Friedrich, F.D.P.-Fraktion, das Wort.


Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1414301200
Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Minister
Bodewig, ich gebe zu: Ich war auf Ihre heutige Regie-
rungserklärung richtig gespannt, nachdem das Ministe-
rium in der letzten Zeit überwiegend durch eine Rallye
von Ministern und Staatssekretären, die neue Sessel be-
setzt haben, aufgefallen ist. Ich möchte erfahren, wie Sie
sich Lösungen der Probleme im Verkehrsbereich vorstel-
len. Lösungen bestehen für mich nicht darin, dass es Steu-
ererhöhungen gibt. Dazu haben Sie Ihren Beitrag in den
letzten zwei Jahren schon geleistet. Immerhin ist der Steu-
eranteil beim Sprit um 21 Pfennig erhöht worden. Die
nächsten 3 Pfennig stehen gewissermaßen ante portas,
wenn Ende des Jahres der schwefelarme Treibstoff einge-
führt wird.

Darum ging es eigentlich nicht. Ich möchte gerne wis-
sen, wie Ihre Antworten auf die drängenden Fragen der
Bewältigung der Mobilität sind. Ihr Haus hat auf immer-
hin 76 Seiten im Verkehrsbericht versucht – man sollte
vielleicht besser sagen: sich gequält –, die Vorstellungen
von integrierter Verkehrspolitik als Konzept für eine mo-
bile Zukunft zu Papier zu bringen.

Allerdings, Herr Minister, steht nicht sehr viel Neues
drin.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Gar nichts!)


Es ist eine Aufzählung von Bekanntem, unter anderem
von dem Neuen, das wir schon auf den Weg gebracht ha-
ben, aber es ist nichts, was zukünftig zur Lösung der Ver-
kehrsprobleme beitragen könnte.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Der Grund dafür ist, dass Sie wie so oft die Antwort auf
die entscheidenden Fragen schuldig geblieben sind.


(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann [F.D.P.])


Stattdessen müssen wir so erstaunliche Erkenntnisse wie
die folgende lesen:

Ein großer Teil des Wachstums im Luftverkehr ist
ebenfalls auf die zunehmenden internationalen Ge-
schäftsbeziehungen zurückzuführen. Diese Entwick-
lung, die mit dem Begriff der Globalisierung schlag-
wortartig umschrieben werden kann, sollte in einem
exportorientierten Land wie der Bundesrepublik vor
allem als Chance begriffen werden.

(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Ist das etwa falsch?)





Reinhard Weis (Stendal)

13942


(C)



(D)



(A)



(B)


Das, Herr Minister Bodewig, ist die Qualität Ihres Be-
richts. Hier ist aus meiner Sicht mit dem Verkehrsbericht
2000 eine Chance vertan worden.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ein Land wie die Bundesrepublik, das mitten in Europa

die Hauptlast des europäischen Verkehrs trägt, in dem
die Verkehrsentwicklung seit 1960 um sage und schreibe
900 Prozent, die Infrastruktur aber gerade einmal um
50 Prozent zugenommen hat, in dem jährliche Staukosten
in Höhe von 200 Milliarden DM durch unzureichende In-
frastruktur entstehen – die Frage ist nicht, wer von A nach
B fährt, sondern die entscheidende Frage ist, wann er dort
ankommt –


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Wann und ob überhaupt!)


und das in Kürze auch noch die Hauptlast des aus der EU-
Osterweiterung entstehenden zusätzlichen Verkehrs mit
einer prognostizierten Zunahme um weitere 60 Prozent,
davon 80 Prozent auf der Straße, tragen muss – ein sol-
ches Land hat bessere Antworten, aber auch eine bessere
Regierung verdient.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Herr Minister Bodewig, der deutsche Autofahrer wird

am Ende Ihrer Regierungszeit rund 110 Milliarden DM in
die Kassen von Herrn Eichel einzahlen, aber über alle
Gliederungen – Kommunen, Länder und Bund – hinweg
nur knapp ein Drittel dieses Geldes in Form von Straßen-
baumitteln zurückerhalten. Die Ausgabenverteilung
des Bundes steht weiterhin im krassen Missverhältnis
zum Gewicht der einzelnen Verkehrsträger. Die Eisen-
bahnen erhalten insgesamt 36,4 Milliarden DM im Jahr,
die Fernstraßen 10,35 Milliarden DM, die Wasserstraßen
3,12 Milliarden DM. Die Verkehrsanteile verhalten sich
nahezu umgekehrt proportional zu diesen Zahlen. Das ist
leider die Realität.

Der Bundesverkehrswegeplan ist fürchterlich unter-
finanziert. Er liest sich seit Jahren wie ein Märchen-
buch. Wir müssen endlich einen ehrlichen Plan auf-
stellen.


(Lachen bei der SPD)

– Hören Sie doch zu; ich komme darauf noch zu sprechen.

Es ist fraglich, ob wir genug Geld haben, um die In-
frastruktur auszubauen und auf Dauer zu unterhal-
ten.
An diese Fragen wird der Verkehrsminister ganz
grundsätzlich drangehen. Das kann zu weit reichen-
den Konsequenzen führen, etwa zum Privatbetrieb
oder zur privaten Errichtung von Straßen, Schienen
oder Verkehrswegen. Denn eines kann sich die Bun-
desrepublik auf keinen Fall leisten: eine ungenü-
gende Infrastruktur!

Meine Damen und Herren von Rot-Grün, bevor Sie
nervös werden:


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie schläfern uns geradezu ein!)


Ich habe soeben den Bundesminister der Finanzen, Hans
Eichel, zitiert, der dies in einem „Stern“-Interview im Juni
1999 gesagt hat. Die Frage ist jetzt, ob sich Herr Bodewig
als Verkehrsminister an die wesentlichen Aussagen von
Herrn Eichel, nämlich die letzten beiden Sätze, in seinem
Bericht gehalten hat. Angesichts eines Streckennetzes von
fast 231 000 Kilometern Straße, 42 000 Kilometern
Schiene und 7 300 Kilometern Binnenwasserstraße für
den überörtlichen Verkehr in Deutschland sind die Ant-
worten im Haushalt und auch im Verkehrsbericht nicht
ausreichend.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In einem hat Hans Eichel ja Recht – wo er Recht hat,
hat er Recht –: Ohne ein genügend ausgebautes und vor
allen Dingen – das wird immer wichtiger – ausreichend
gewartetes und unterhaltenes Infrastrukturnetz kann ein
Land wie Deutschland im Wettbewerb der Standorte nicht
bestehen.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Genau auf dem Gebiet haben Sie doch versagt! – Gegenruf des Abg. Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Bei uns waren die Dinge in Ordnung!)


Unter Ihrer Regierung ist eine so genannte unabhän-
gige Kommission unter Vorsitz des früheren Bahn- und
Telekomvorstandes Dr. Wilhelm Pällmann eingerichtet
worden, die am 5. September 2000 weit reichende Aus-
führungen gemacht hat.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Empfehlungen!)


Von der Umstellung der Finanzierung mit Senkung oder
Aufhebung der bisherigen Steuerlast über die Gründung
von privaten Betreibergesellschaften für Straßen bis hin
zur Trennung von Netz und Betrieb bei der BahnAG sind
viele Handlungsvorschläge gemacht worden. Ihre Reak-
tion bis jetzt war: Wir werden prüfen. Immerhin habe ich
heute, so glaube ich, bei Ihnen, Herr Minister, eine ge-
wisse Tendenz erkannt, dass die Trennung von Netz und
Betrieb für Sie zumindest nicht mehr generell ausge-
schlossen ist. Schauen wir einmal, was herauskommt.

Es wird offensichtlich, dass Sie nur ein wissenschaft-
lich fundiertes Argument für die geplante Einführung der
LKW-Maut ab 1. Januar 2003 gebraucht haben. Sie haben
aber dort den Hinweis übersehen, dass bei dieser Umstel-
lung für das Gewerbe eine Kostenreduzierung an anderer
Stelle erfolgen müsste. Herr Kollege Weis, Mathematik
nach Ihrer Art kann sich nicht rechnen. Sie erzählen uns,
mit welchen Segnungen das Anti-Stau-Programm ab 2003
rechnen kann. Dafür ist die Maut eingeplant. Sie erklären
uns aber heute, über die Höhe der Maut wüssten Sie noch
nicht Bescheid. Das müssten Sie noch klären. Was stimmt
denn jetzt?


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Entweder wissen Sie, welches Geld Ihnen zur Verfügung
steht und was Sie ausgeben können – dann kennen Sie
auch die Höhe der Maut –, oder Sie kennen die Höhe der




Horst Friedrich (Bayreuth)


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(D)



(A)



(B)


Maut noch nicht; dann können Sie das Geld aber auch
noch nicht ausgeben.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Das ist logisch! – Zuruf von der SPD: Zu einfach gedacht!)


Die Rechnung geht nicht auf.
Die Pällmann-Kommission geht aber noch weiter. Ich

zitiere:
Die Vorstellung einer nachhaltigen Entlastung der
Bundesfernstraßen durch Verkehrsverlagerungen auf
Schiene oder Binnenwasserwege ist mittelfristig un-
realistisch.

Weiter heißt es:
Eine Verringerung nachteiliger ökologischer Wir-
kungen des Automobilverkehrs ist wesentlich wir-
kungsvoller am „System Straße“ selbst zu erreichen
als durch ordnungspolitische Eingriffe mit dem Ziel
von Verkehrsverlagerungen.

Weiter:
„Ideologisch“ motivierte Eingriffe des Staates in den
Wettbewerb der Verkehrsträger mit Mitteln der Ver-
kehrsinfrastrukturfinanzierung sind abzulehnen.

Nächste Aussage:
Stattdessen ist die Ausschöpfung der bisher nicht
oder nur unzureichend genutzten Potenziale der bei-
den Verkehrsträger in den Vordergrund zu stellen,
also die Verbesserung ihrer Wettbewerbslage aus ei-
gener Kraft.

Das, Herr Minister, ist so ziemlich das Gegenteil von
dem, was Sie im Verkehrsbericht 2000 niederlegen.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)


Sie leben noch immer in der Vorstellung, dass die Wett-
bewerbssituation der Bahn alleine dadurch verbessert
werden könne, dass der Verkehrsträger Straße verteuert
wird.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Richtig! Das ist falsch! – Gegenruf des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat doch Pällmann vorgeschlagen!)


Dabei hat die Bahn im Jahre 2000 wieder einmal be-
wiesen, dass sie nicht in der Lage ist, die ihr zur Verfü-
gung gestellten Investitionsmittel zu verwerten.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Herr Mehdorn hat uns gestern Abend noch etwas anderes gesagt! Da haben Sie am Tisch gesessen!)


Mehr als 1 Milliarde DM, Herr Schmidt, die für Investi-
tionen zur Verfügung stand, ist eben nicht in Investitionen
geflossen, sondern wäre an Herrn Eichel zurückgegeben
worden, wenn das Haus nicht einen Kunstgriff vor-
genommen hätte und mit diesen Beträgen vorfristig
Darlehen aus der Vorfinanzierung für die Strecke Mün-
chen–Nürnberg zurückgezahlt hätte.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist nicht wahr! Wer sagt das? Wodurch können Sie das belegen? Das ist falsch!)


– Das ist die Realität, Herr Schmidt. Wie können Sie das
leugnen? Beweisen Sie mir das Gegenteil. Das sind die
Fakten.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir hatten gestern ein Treffen bei der Bahn! Wenn Sie dabei gewesen wären, dann hätten Sie Herrn Mehdorn fragen können! Das ist nicht wahr! Das ist gelogen!)


– Zu den Aussagen von Herrn Mehdorn über die Situation
der Bahn: Vergleichen Sie einmal das, was Herr Mehdorn
uns im Ausschuss gesagt hat, mit dem, was im McKinsey-
Bericht – er ist in der „Wirtschaftswoche“ zu lesen – steht.
Den Unterschied, dieses Delta zwischen den Aussagen
von Herrn Mehdorn und denen der Wirtschaftsprüfungs-
gesellschaft, hätte ich gerne einmal erklärt bekommen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Minister, die F.D.P. hat mit mehreren Anträgen wie
„Straßenbau statt Autostau“, „Bahnreform fortsetzen –
Trennung von Netz und Betrieb“ oder zu einem Anti-Stau-
Programm für den Luftverkehr rechtzeitig auf die Pro-
bleme hingewiesen wie auch auf das notwendige Zusam-
menspiel aller Verkehrsträger nach ihrer jeweiligen
Stärke. Sie hat gleichzeitig aufgezeigt, dass wir in einem
ersten Schritt vor Ihrem Anti-Stau-Programm Wert darauf
legen, dass die schon jetzt vorhandenen Einnahmen aus
der LKW-Vignette dem Verkehr zweckgebunden zur Ver-
fügung gestellt werden, so wie Sie es im Anti-Stau-Pro-
gramm versuchen, es aber in der reinen Form nicht ge-
nehmigt bekommen haben.

Wir sind weiterhin für die Umsetzung des WIBERA-
II-Gutachtens, in dem definiert und dokumentiert ist, dass
der Bund eigentlich 500 Millionen DM für den Nahver-
kehr jährlich zu viel an die Länder zahlt. Man kann es
auch lassen, aber dann muss man es dem Autofahrer sa-
gen; denn er wird die Zeche bezahlen.

Wir sind weiterhin dafür, dass die Möglichkeiten des
Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes durch wei-
tere Modelle ausgeweitet, untersucht und dargestellt wer-
den,


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Das ist ein ganz wichtiger Punkt!)


und zwar durch Modelle, die sich wirklich realisieren las-
sen, und nicht durch Modelle, die von vornherein die sich
selbst bestätigende Aussage beinhalten, dass das nicht
geht. Das muss funktionieren.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die F.D.P. ist ebenfalls der Meinung – wir haben als
einzige Fraktion seit dem 22. Februar letzten Jahres einen
Antrag vorgelegt –, dass eine echte Verbesserung der




Horst Friedrich (Bayreuth)

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Wettbewerbssituation der Bahn nur durch die Trennung
von Netz und Betrieb möglich ist.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Alle Fraktionen, bis auf die SPD, alle Sachverständigen in
der Anhörung des Deutschen Bundestages sind der glei-
chen Meinung. Die SPD muss sich noch bewegen.

Wir sind auch der Meinung, dass der Verkehrsträger
Luftfahrt – mit einem jährlich prognostizierten Passa-
gierzuwachs von rund 6 Prozent – die Entwicklungsmög-
lichkeiten in der Luft, am Boden und bei der Flugsiche-
rung erhalten muss, die er benötigt, um diese zusätzliche
Nachfrage abzuwickeln.

Es ist notwendig, in Ihrem Flughafenkonzept – das
steht leider nicht im Bericht – deutlich zu machen, dass
wir in Deutschland wenigstens vier zusätzliche Start- und
Landebahnen benötigen. Das ist die eigentliche Aufgabe
einer Bundesregierung, auch wenn ich weiß, dass Sie sie
nicht selber bauen müssen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die dürfen wir gar nicht bauen! Das müssen die Länder machen!)


Aber man könnte es wenigstens sagen.

(Beifall bei der F.D.P.)


Ihre Aufgabe, Herr Minister, wäre es, endlich eine ein-
heitliche europäische Bahnpolitik umzusetzen, vor allen
Dingen die deutsche Bahn auf die Öffnung der Netze ab
2008 vorzubereiten und in diesem Zeithorizont auch die
EU-Osterweiterung, die ab 2003, 2004 oder 2005 kommt,
mit zu berücksichtigen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Machen wir!)


Es ist Ihre Aufgabe, das Flughafenkonzept um die ent-
scheidenden Aussagen zu ergänzen, die sich mit dem Bau
und dem Ausbau weiterer Start- und Landebahnen in
Deutschland befassen, und die Finanzierung der Ver-
kehrsinfrastruktur insbesondere wegen der EU-Osterwei-
terung um ein Programm und ein Projekt „Grenzüber-
schreitende Verkehrswege“ zu erweitern und so zu
gestalten, dass der Verkehrszuwachs, der kommen wird,
tatsächlich aufgefangen werden kann.

Sie müssen weiterhin dafür sorgen, dass dem Transra-
pid außer in China auch in Deutschland eine realistische
Verwirklichungschance und dem deutschen Verkehrsge-
werbe eine realistische Überlebenschance eingeräumt
wird. Ihre Vorschläge gehen ja in die richtige Richtung;
die Ergebnisse dieser Vorschläge werden sich wegen des
Ablaufs aber erst so spät einstellen, dass es für die große
Masse der Gewerbetreibenden zu spät ist. In einer Zeit, in
der elf Länder der EU wegen der hohen Treibstoffkosten
bereits subventionieren, sagen wir: Wir nehmen diese Lö-
sung. – Das hilft dem Gewerbe nicht weiter.

Eines kann ich Ihnen noch sagen: Lassen Sie die Fin-
ger von der Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes;
wenn Sie das tun, erhöht das nicht die Lohnnebenkosten,

sondern stärkt die Situation des deutschen Gewerbes un-
gemein.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Fazit: Der groß angekündigte Verkehrsbericht, Herr
Minister, gewissermaßen Ihre Regierungserklärung, ist
aus Sicht der Liberalen eine große Enttäuschung. Lauter
alte Ladenhüter, die beim Winterschlussverkauf leider
nicht an den Mann gebracht werden konnten; keine wirk-
liche neue Idee – so werden die Verkehrsprobleme in
Deutschland sicher nicht gelöst.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414301300
Das Wort hat nun der
Kollege Albert Schmidt, Bündnis 90/Die Grünen.

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich weiß nicht, Herr Kollege Friedrich, wel-
chen Verkehrsbericht Sie gelesen haben. Der, den ich ge-
lesen habe, ist eine, so finde ich, sehr gute und sehr ehrli-
che Bestandsaufnahme der Aufgabe, vor der wir stehen.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Die Grünen sind ja auch sehr genügsam geworden mit der Zeit!)


Er beschreibt sehr genau, welchen Handlungsbedarf wir
mit Regierungsübernahme übernommen haben, welche
Schritte bereits eingeleitet wurden, um die anstehenden
Probleme zu lösen, und definiert präzise den Umfang der
Aufgaben, die noch vor uns liegen.

Damit rückt die Bundesregierung die Verkehrspolitik
als Gestaltungsaufgabe, die von allen Seiten des Hauses
richtig beschrieben worden ist, in den Mittelpunkt und
schafft Grundlagen für wichtige anstehende Richtungs-
entscheidungen, die wir gemeinsam zu treffen haben. Es
ist eben keine Trivialität, sondern es gehört zu dieser ehr-
lichen Bestandsaufnahme, dass darin auch festgehalten
wird, dass es im Wesentlichen zwei Trends sind, die die
aktuelle und auch die künftige Verkehrsentwicklung prä-
gen.

Da ist zum einen der Trend hin zu weltweiter Arbeits-
teilung. Diese wird ja immer mit dem Schlagwort Globa-
lisierung etikettiert. Das heißt aber nichts anderes, als
dass es mehr Transport und dadurch mehr Verkehr von
Land zu Land, von Kontinent zu Kontinent geben wird. In
unserem Land, das im Herzen von Europa liegt, wird sich
natürlich auch durch die Erweiterung der Europäischen
Union nach Osten hin der Verkehr auf der Ost-West-Re-
lation verstärken. Das ist völlig klar. Das ist der Preis der
Integration und der Freiheit, über den wir sprechen müs-
sen.

Als zweiter Trend neben der Globalisierung ist eine zu-
nehmende Individualisierung der Lebensstile zu ver-
zeichnen. Diese bringt entfernungsintensivere Freizeit-
formen mit sich, an denen wir alle, die wir hier sitzen,
mehr oder weniger Anteil haben. Auch das ist eine




Horst Friedrich (Bayreuth)


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(A)



(B)


schlichte Bestandsaufnahme. Den sich hieraus ergeben-
den Konsequenzen müssen wir uns stellen.

Mit beiden Trends scheinen untrennbar mehr Verkehr
und Wachstum beim Gütertransport verbunden zu sein. Es
ist dabei festzuhalten – das ist das Merkwürdige und Wi-
dersprüchliche an dieser Entwicklung –, dass das Ver-
kehrswachstum, das hierdurch induziert wird, längst nicht
automatisch und immer einen gleichzeitigen Zuwachs an
Lebensqualität bringt – für die vom Verkehrslärm Be-
troffenen sowieso nicht, aber auch nicht für diejenigen,
die am Verkehr teilnehmen. Der alltägliche Stau auf Au-
tobahnen und den Einfallstraßen in die Städte ist ja nur
ein sinnfälliges Beispiel dafür, dass mehr Verkehr nicht
automatisch mehr Mobilität und schon gar nicht automa-
tisch mehr Lebensqualität bedeutet. Vor diesem Hinter-
grund ist es schon richtig und notwendig, so schlichte
Dinge zu diskutieren, ob es wirklich einen Gewinn mit
sich bringt, Butter aus Irland nach Bayern bzw. Butter aus
Süddeutschland in die Gegenrichtung zu transportieren.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Lass dir mal ein neues Beispiel einfallen! Das kennen wir doch schon!)


Eine gestaltende Verkehrspolitik, liebe Kolleginnen
und Kollegen, darf sich angesichts solcher Fragen nicht
schulterzuckend wegducken oder diese Logik kapitulie-
rend hinnehmen,


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Die Grünen haben schon eine Lösung aufgezeigt: Nur einmal in fünf Jahren nach Mallorca fahren!)


sondern muss neue Wege und neue Instrumente finden,
um unsinnige Transporte zu vermeiden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auch dafür finden sich in diesem Verkehrsbericht – ich
werde darauf zu sprechen kommen – eine ganze Reihe
von Ansatzpunkten.

Intelligente Mobilität im Sinne von zukunftsfähiger
Bewegungsfreiheit heißt künftig noch viel mehr als heute,
das jeweils richtige Verkehrsmittel mit seinen spezifi-
schen Systemstärken zu wählen und die verschiedenen
Verkehrssysteme noch besser miteinander zu vernetzen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Die Frage ist: Wer wählt das Verkehrsmittel aus? Der Staat oder der Kunde?)


Dazu gehören auch neue Konzepte und neue Mobilitäts-
dienstleistungen. Etliche Automobilhersteller planen
zum Beispiel, künftig nicht mehr nur ein Fahrzeug zu ver-
kaufen, sondern die Dienstleistung des Ortswechsels, also
die Mobilität. Solche neuen Ansätze kommen nach mei-
ner Auffassung im Verkehrsbericht leider noch zu wenig
zum Tragen. Hier müssen wir, wie ich finde, noch weiter
diskutieren.

Im Verkehrsbericht 2000 kann und muss aber nicht ein
vollständiges und ausreichendes Bild der Verkehrspolitik
im 21. Jahrhundert entworfen werden, sondern wir sehen

ihn als eine gute Bestandsaufnahme und damit als Aus-
gangsbasis für eine breite gesellschaftliche Diskussion an,
über die definiert werden muss, was wir uns künftig an
Mobilität überhaupt leisten wollen. Wir brauchen also ein
Leitbild. Aus unserer Sicht muss auf der Basis dieses Leit-
bildes eine zukunftsfähige Mobilität entwickelt werden,
die erstens ökologisch verträglich ist, zweitens wirt-
schaftlich bezahlbar ist und drittens auch verkehrs-
politisch Sinn macht. Ein solches Leitbild kann nicht ver-
ordnet werden, auch nicht von der Bundesregierung,
sondern muss im Dialog entstehen. Es muss dazu moti-
vieren, positive Visionen alltagstauglich und praktikabel
umzusetzen und auf konkrete Alltagsprobleme wirkliche
Antworten zu bieten. Nur eine solche Verkehrspolitik
wird dann auch von der Bevölkerung akzeptiert werden.

Ich begrüße es deswegen sehr, dass der Verkehrsbericht
2000 gerade diesen Zusammenhang zwischen Verkehr,
Raumordnung und Siedlungsplanung herstellt. Der
Raumordnung, Siedlungs- und Verkehrspolitik inte-
grierende Ansatz, der hier in Aussicht gestellt wird, ist
richtig.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Aber nicht neu!)


Wir werden bei der Umsetzung dieses Ansatzes sehr ge-
nau gemeinsam unser Augenmerk darauf zu richten ha-
ben, dass diese Vorgaben auch eingelöst werden, denn die
Raumordnungspolitik und die Siedlungsplanung von
heute bestimmen den Verkehr von morgen. Das muss uns
allen klar sein. Deshalb reicht es nicht, nur über Trans-
portketten und Optimierung zu reden, sondern wir müs-
sen auch die Bedingungen für Raumordnung, Städtebau
und Siedlungsplanung neu bestimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Das ist ein Geschäft zulasten Dritter, Kollege Schmidt!)


Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen
hat eine ganze Reihe von konzeptionellen Vorschlägen zu
den verschiedenen Verkehrsträgern eingebracht, die zum
Teil bereits ins Regierungshandeln eingeflossen sind. Ich
finde, dass die grüne Handschrift besonders dort heraus-
zulesen ist, wo es um die Situation und Zukunft der Bahn
geht. Das ist ein Schwerpunkt des Berichtes. Ich will das
hier gerne noch einmal deutlich hervorheben, um der Bil-
dung von falschen Gerüchten vorzubeugen. Zuvor
möchte ich aber dem Fraktionsvorsitzenden, Herrn Merz,
bei dieser Gelegenheit sagen, dass ich es ziemlich unan-
gemessen finde, wenn Herr Kollege Lippold solche Fra-
gen zum Anlass für Klamauk nimmt. Ich hätte mir ge-
wünscht, Sie hätten einen kompetenten Verkehrsexperten
zu Beginn in die Debatte geschickt und nicht einen
Clown.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/ CSU]: Wir bringen immer die besten Leute!)


Die Finanzkrise der Deutschen Bahn ist in allererster
Linie eine Krise des Netzes. Das Bestandsnetz der




Albert Schmidt (Hitzhofen)

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Strecken der Deutschen Bahn ist während der Regie-
rungszeit von Waigel, Wissmann und Kinkel, also
während der Regierungszeit von F.D.P. und Union, auf
Verschleiß betrieben worden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Statt der 9 Milliarden DM, die zu Beginn der Bahnre-
form als jährliches Investitionsvolumen versprochen wa-
ren, wurden von Waigel und Wissmann zuletzt nicht ein-
mal mehr 6 Milliarden DM für den Bahnbau überwiesen.
Das Ergebnis ist bekannt. Es ist der teilweise jammervolle
Zustand vieler Strecken. Ich finde es zynisch und unver-
schämt, wenn Sie diesen Zustand, den Sie selbst herbei-
geführt haben, auch noch beklagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Das ist falsch! Das ist die Unwahrheit! Sie wissen, dass das die Unwahrheit ist! Die Bahn hatte immer mehr Investitionsmittel, als sie verbauen konnte! Das wissen Sie ganz genau! Sie hat Geld an den Bund zurückgegeben!)


– Dies ist ein Teil der idiotischen Legende, die Sie aus-
streuen. Die rot-grüne Koalition, lieber Kollege Fischer,
hat sofort, im ersten Amtsjahr, die Signale umgestellt. Wir
haben aus dem Stand die real an die Bahn ausgezahlten In-
vestitionsmittel um 1,3 Milliarden DM pro Jahr gesteigert
und tun dies ab dem Haushaltsjahr 2001 für die nächsten
drei Jahre nochmals mit jährlich zusätzlichen 2 Milliar-
den DM. Das heißt, wir haben innerhalb von zwei Jahren
die Investitionen in die Bahn um 50 Prozent erhöht.

Das war rot-grüne Regierungspolitik. Das ist das Ge-
genteil von dem, was Sie gemacht haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Renate Blank [CDU/CSU]: Und die fließen wieder zurück an den Haushalt! – Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Das ist schlicht und ergreifend falsch!)


Diese Summen sind auch notwendig. Sie werden ge-
braucht, um das Netz schrittweise in Ordnung zu bringen
und zu modernisieren. Denn es ist auch eine Legende,
dass die Bahn das Geld gar nicht ausgegeben habe. Es ist
Schwachsinn, was Sie hier erzählen.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Das sind Tatsachen! – Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Herr Schmidt, den „Schwachsinn“ nehmen Sie entweder zurück oder Sie beweisen, dass es stimmt! Darauf lege ich Wert!)


– Sie können das ja in einer schriftlichen Frage an die
Bundesregierung abfragen. Dann bekommen Sie die Ant-
worten und dann haben Sie den Beweis.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Mir ist verlässlich bestätigt worden, dass das, was Sie sagen, falsch ist!)


–Wir haben gestern – als Sie sich wahrscheinlich auf Ihre
Rede vorbereiten mussten; deswegen hatten Sie wohl

keine Zeit teilzunehmen –, mit dem Chef des Unterneh-
mens gesprochen. Uns liegen andere Auskünfte vor.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Er hat viel erzählt und nichts hat gestimmt!)


Diese Summen sind notwendig, um das System
Schiene gegenüber der Straße konkurrenzfähiger zu ma-
chen, und zwar insbesondere im Güterverkehr. Das wich-
tigste Ziel, das im Verkehrsbericht enthalten ist, ist die
Verdoppelung des Schienengüterverkehrs innerhalb der
nächsten 15 Jahre. Das ist angesichts der Ausgangssitua-
tion ein durchaus ambitioniertes Ziel. Es wird nicht ein-
fach werden. Deswegen ist es gut, dass nach Jahren des
Rückgangs im Schienengüterverkehr im abgelaufenen
Jahr 2000 erstmals wieder ein Wachstum von 11 Prozent
zu verzeichnen war. Diesen Trend finden wir gut und wir
werden ihn weiter verstärken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Um die angepeilte Verdoppelung des Schienengüter-
verkehrs zu erreichen oder möglichst noch zu übertreffen,
werden nach meiner Einschätzung die im Verkehrsbericht
beschriebenen Maßnahmen allerdings kaum ausreichen.
Nach unserer Auffassung muss insbesondere die LKW-
Autobahnmaut, die wir ab 2003 erheben werden, bis zum
Jahre 2015 über die im Bericht genannten durchschnitt-
lich 40 Pfennig pro Kilometer hinaus erhöht werden und
sie muss nach Schweizer Vorbild auf das gesamte
Straßennetz ausgeweitet werden. Darüber wird zu gege-
bener Zeit zu sprechen sein. Ich glaube, dass eine Maut,
die nur auf der Autobahn gilt, auf Dauer nicht ausreichend
wirksam sein wird.

Aber auch die Angebotsseite der Bahn muss verbes-
sert werden. Das ist unbestritten. Ein besseres Angebot im
Personen- und im Güterverkehr ist möglich, ohne dass es
unbedingt mehr kosten muss, nämlich dann, wenn effizi-
enter gewirtschaftet wird. In diesem Punkt möchte ich den
Kollegen Lippold ausdrücklich unterstützen. Der schlich-
te Abbau von Gleisanschlüssen ist falsch. Wenn es mit
dem großen Koloss DB Cargo an dieser Stelle nicht geht,
muss aber die Infrastruktur erhalten bleiben, damit klei-
nere, mittelständische Privatbahnen diese Infrastruktur
übernehmen und nutzen können. Das ist unsere Aufgabe
und für diese Sicherung wollen wir gemeinsam sorgen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Aber nach dem Grundsatz „Investition und Innova-
tion“ – wir brauchen beides – möchte ich auch Dinge an-
sprechen, die nicht in erster Linie mit Geld zu tun haben.
Wir müssen zwei Rahmenbedingungen verbessern: Wir
brauchen mehr Chancengleichheit im Verkehrsmarkt und
offene Wettbewerbsstrukturen auf der Schiene.

Zur Chancengleichheit möchte ich Folgendes sagen:
Wir haben in den ersten zwei Jahren unserer Regierungs-
zeit erreicht, dass die Investitionen in die Straße und in die
Schiene angeglichen wurden. Das heißt, Straße und
Schiene haben die gleichen Chancen. Wir haben ferner er-
reicht, dass die steuerliche Entlastung der Pendlerinnen
und Pendler hinsichtlich der Benutzung von Auto, Bus




Albert Schmidt (Hitzhofen)


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(A)



(B)


und Bahn angeglichen wurde. Auch das ist ein Beitrag zur
Chancengleichheit.

Wir müssen in einem nächsten Schritt – das sage ich
ganz unpolemisch – auch die Harmonisierung bezüglich
der Steuern und Abgaben für die Bahn auf europäischer
Ebene anpacken. Das bedeutet, die Mehrwertsteuer im
Bereich des Güterverkehrs und des Personenfernverkehrs
auf das Niveau in anderen europäischen Ländern zu sen-
ken. Wenn wir nicht handeln und die Dinge wie bisher
treiben lassen, dann werden wir die Harmonisierung nicht
erreichen.

Wir haben in Deutschland die höchsten Trassenpreise
und die höchsten Steuern und Abgaben für die Güterfracht
auf der Schiene in ganz Europa. Das kann nicht funktio-
nieren; denn der Markt für den Gütertransport ist ein
europäischer Markt und der Frachtverkehr ist zunehmend
ein europäischer Verkehr. Wenn wir im Wettbewerb mit
anderen europäischen Eisenbahngesellschaften bestehen
wollen, müssen wir unsere Bahn genauso gut behandeln,
wie es zum Beispiel die Franzosen mit ihrer Bahn tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Bahnen! Im Plural, bitte!)


Ich rede nicht von Subventionen, sondern von einem fai-
ren Wettbewerb der Bahnen in Europa, beim Güterver-
kehr.

Es ist ebenfalls richtig, wenn von der Bahn damit ernst
gemacht wird – das wird auch von der Politik unter-
stützt –, im Bereich des Nahverkehrs mehr Verantwortung
nach unten abzugeben und an die Regionen zu übertragen
sowie mittelständische Unternehmensstrukturen aufzu-
bauen, um damit kundennähere und kostengünstigere An-
gebote zu schaffen. Die Mittelstandsinitiative will genau
das erreichen. Sie hat aber nicht den Rückzug aus der
Fläche zum Ziel, den wir ablehnen. Unter dem Regent-
Konzept verstehen wir den Aufbau von mittelständischen
Unternehmensstrukturen, um kundennähere und kosten-
günstigere Bahnangebote zu schaffen.

Eine weitere Bemerkung zum Thema Wettbewerb
– der Kollege Horst Friedrich hat diesen Punkt schon an-
gesprochen –: Die Einführung von mehr Wettbewerb auf
der Schiene erweist sich zunehmend als unerlässlich, um
für Qualitätsverbesserung und mehr Kosteneffizienz im
System Bahn zu sorgen. Die Übertragung des Netzmono-
pols an den Konzern Deutsche Bahn AG ist meines Er-
achtens eine der wichtigsten Ursachen dafür, dass es bis
heute zu schwache Wettbewerbsstrukturen im Bereich der
Schiene gibt. Nach meiner Auffassung schließen sich Mo-
nopol und Innovation grundsätzlich aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.])


Über kurz oder lang steht die Übertragung des Eigen-
tums und der Verantwortung für das Streckennetz auf die
öffentliche Hand auf der Tagesordnung, also die Übertra-
gung auf den Bund und im Falle regionaler Netze gege-
benenfalls auf die Länder. Um richtig verstanden zu wer-
den: Es ist keine Heilsbotschaft, die ich hier verkünde. Es

ist vielmehr eine ganz nüchterne wirtschaftspolitische
Überlegung. Das bedeutet nicht die Rückkehr zur Staats-
bahn, sondern eine politische Festlegung in Bezug auf die
Finanzierung des gewünschten Infrastrukturnetzes. Denn
die Bewirtschaftung der Strecken soll nicht durch die
Staatsbahn erfolgen, sondern durch die Eisenbahnunter-
nehmen, hier in erster Linie natürlich durch die DB Netz.
Diese Unternehmen sind dazu in der Lage.

Bezüglich des Nahverkehrsbereichs müssen wir auf
der politischen Ebene der Länder definieren, welches
Zugangebot gewünscht wird. Aber den Job machen dann
die DB Regio und andere Eisenbahnen. Es muss klar sein,
welches Verhältnis zwischen Besteller und Erbringer ei-
ner Leistung besteht. Ein vergleichbares Modell würde
sich auch für den Bereich der Infrastruktur anbieten und
würde dort für mehr Effizienz und kostengünstigere Lö-
sungen sorgen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414301400
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Blank?

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Ja, gerne.


Renate Blank (CSU):
Rede ID: ID1414301500
Herr Kollege Schmidt,
Ihre Ausführungen zum Thema Trennung von Netz und
Betrieb stoßen bei uns auf Zustimmung. Aber wenn ich
den Verkehrsminister heute Morgen richtig verstanden
habe, dann plant er eine Übertragung der Zuständigkeit
nur auf das Eisenbahn-Bundesamt. Wie wollen Sie also
mit Ihrem Koalitionspartner SPD eine Trennung von Netz
und Betrieb erreichen, die von allen Sachverständigen bei
der Anhörung zur Bahnreform gefordert wurde?

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Frau Kollegin Blank, Sie haben den Minister
falsch verstanden. Ich will jetzt seine Ausführungen nicht
erklären – das kann er selbst tun –, muss aber trotzdem sa-
gen, dass ich ihn anders verstanden habe. Ich habe ihn
nämlich so verstanden, dass diese Frage nicht mit einem
Schnellschuss aus der Hüfte beantwortet werden kann,
sondern dass sehr ernsthaft darüber nachgedacht und dis-
kutiert werden muss.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Er hat eine klare Absage gemacht!)


Ich will Ihnen meine persönliche Auffassung zu die-
sem Thema sagen. Frau Kollegin Blank, wie Sie wissen,
bin ich Realpolitiker. Deshalb trete ich nachdrücklich
dafür ein, sich über Zwischenschritte zu verständigen, um
dem Ziel näher zu kommen. Das heißt in diesem Falle:
Die Einführung einer unabhängigen Wettbewerbsaufsicht
über das Eisenbahn-Bundesamt, die bei der Vergabe von
Trassen und bei der Trassenpreisbildung quasi als Regu-
lator auftritt, ist ein richtiger, notwendiger und ziel-
führender Schritt, um dem gemeinsamen Ziel eines fairen
Wettbewerbs auf der Schiene näher zu kommen. Das ist in
der Pipeline; das werden wir tun und das wird uns dem-
nächst hier im Hause beschäftigen. Da sind wir völlig ei-




Albert Schmidt (Hitzhofen)

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(A)



(B)


ner Meinung; es gibt nicht den Dissens, den Sie mit Ihrer
Frage zum Ausdruck bringen wollen.

Es geht uns auch nicht, liebe Kollegin Blank, um eine
wilde Privatisierung à la Großbritannien, sondern es geht
im Gegenteil um die Wahrnehmung der öffentlichen
Verantwortung und Entscheidungskompetenz für das
Streckennetz unter Einbeziehung der freigesetzten Pro-
duktivitätspotenziale eines regulierten Wettbewerbs. Die-
ser Entwicklung sehe ich mit großem Optimismus ent-
gegen.

Ich möchte bei dieser Gelegenheit ein Wort zum
Thema Interregio sagen, weil dazu auch ein Antrag des
Kollegen Winfried Wolf von der PDS zur Diskussion
steht. Ich sage hier ausdrücklich, dass wir – dazu gibt es
sogar Parteitagsbeschlüsse – den Erhalt der umsteige-
freien Direktverbindungen im Sinne des Interregio oder
eines vergleichbaren Zugangebotes für dringend notwen-
dig halten. Das ist ein ganz hohes Qualitätsmerkmal, ge-
rade für touristische Reiseverkehre, aber auch für andere.
Wir sind jedoch ebenso der Meinung, dass man in Bezug
auf die Zuglinien, die defizitäre Betriebsergebnisse auf-
zuweisen, miteinander darüber sprechen muss, wer für
diese Defizite aufkommt.

Die Deutsche BahnAG ist – daran müssen wir uns alle
gewöhnen – keine mildtätige Veranstaltung, sondern ein
Unternehmen, das natürlich schwarze Zahlen erwirt-
schaften muss. Wenn Defizite vorhanden sind, muss man
mit den Ländern reden. Ich fordere hier nochmals die Re-
gierungen der Länder – gerade jener Länder, bei denen es
noch klemmt – auf, mit der Bahn in einen produktiven
Dialog zu treten, um Defizite ausgleichen zu helfen. Denn
diese Bundesregierung hat nicht nur die Investitionsmit-
tel für die Bahn erhöht, sondern auch die Regionalisie-
rungsmittel, die an die Länder gezahlt werden, damit sie
Nahverkehrszüge bestellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das ist allein in diesem Jahr eine halbe Milliarde DM
mehr als im letzten Jahr. Die Regionalisierungsmittel für
die Länder liegen inzwischen bei 13,5Milliarden DM. Ich
frage die Länderminister: Was macht ihr mit diesem Geld,
wenn ihr keine Züge bestellt?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen kann ich es nicht mehr hören, wenn die Lan-

desregierungen sagen, sie hätten keine Mark, um zum
Beispiel einen Defizitausgleich beim Interregio mit zu fi-
nanzieren.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414301600
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine weitere Zwischenfrage, und zwar des Kolle-
gen Seifert?

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Ja, bitte.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414301700
Bitte sehr, Herr Kol-
lege.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1414301800
Herr Kollege Schmidt, Sie spra-
chen gerade von dem Personentransport der Bahn. Der
Minister sagte vorhin, dass die Bundesregierung im Prin-
zip nur über die finanziellen Mittel Möglichkeiten des
Eingriffs habe. Sie haben gerade von Bereichen gespro-
chen, in die Bundesmittel fließen. Sehen Sie – gerade
wenn Sie Wettbewerb fordern – nicht auch die Möglich-
keit oder sogar die Pflicht der Bundesregierung, lenkend
einzugreifen, dass zum Beispiel eine Regelung geschaf-
fen wird, damit alle Personen die Bahn benutzen können,
auch Behinderte, Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfah-
rer, dass fahrzeuggebundene Einstiegshilfen zur Pflicht
werden, dass flexible Sitzangebote zur Pflicht werden, da-
mit nicht nur ein oder zwei Rollstuhlfahrer im ICE mit-
fahren können, sondern auch einmal sechs oder acht,
wenn sie gerne gemeinsam verreisen möchten? Sehen Sie
nicht Möglichkeiten des Gesetzgebers oder zumindest der
Regierung – durch Verordnung –, festzulegen, dass solche
Dinge für alle Anbieter – dann ist auch wieder
Wettbewerbsgleichheit gegeben – Pflicht werden?

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Kollege Seifert, ich bin sehr dankbar für
die Frage,


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Dann tun Sie auch was!)

denn sie gibt mir Anlass zu einer Grundsatzbemerkung.
Ich bin nicht der Auffassung, dass die in eine privatrecht-
liche Organisationsform überführte Bahn fortwährend
durch Staatskommissare dirigiert werden soll, übrigens
auch nicht durch grüne Staatskommissare, um das ganz
klar zu sagen. Aber in der Verantwortung des Eigentümers
dieses Unternehmens, ganz besonders aber in der Verant-
wortung der dafür vorhandenen Aufsichtsgremien gibt es
sehr wohl die Möglichkeit, auf solche Verbesserungen
hinzuwirken. Ich kann Ihnen versichern – ich kann Ihnen
das auch gerne als Dokumentation zur Verfügung stel-
len –: Ich habe gerade in den letzten Wochen und Mona-
ten die entsprechenden Unternehmensmanager schriftlich
und mündlich wiederholt darum gebeten, gerade in dieser
Hinsicht zu weiteren Verbesserungen zu kommen. Das
gilt übrigens nicht nur für den ICE, sondern auch für den
Interregio, weil dessen Treppeneinstieg so eng ist, dass
man mit dem Rollstuhl überhaupt nicht hineinkommt,
übrigens ebenso nicht mit dem Fahrrad. Das heißt, auch
der Interregio ist als Fahrzeug nicht die Ikone der Innova-
tion. Er ist ein altes Fahrzeug, das 1988 für 15 Jahre auf-
bereitet wurde und jetzt an die Grenze seiner Lebensdauer
kommt, während zum Beispiel ein VT 612 mit Niederflur-
einstieg für Sie, aber auch für Fahrradtouristen viel kom-
fortabler und bequemer zu benutzen ist. Wenn es da zu-
sätzliche Anregungen und Wünsche gibt, bin ich gerne
bereit, das an die richtigen Adressen weiterzutransportie-
ren.


(Beifall beim BÜNDNISS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch
ein Wort zum Thema Automobilität sagen. Das Auto er-
bringt heute real den größten Teil der Verkehrsleistung. Es
muss so umweltverträglich wie möglich weiterentwickelt




Albert Schmidt (Hitzhofen)


13949


(C)



(D)



(A)



(B)


werden. Die Effizienzentwicklung der Motoren sowie die
Förderung alternativer Antriebstechniken und Treibstoffe
brauchen ein größeres politisches Gewicht als bisher. Dies
ist eine Neuausrichtung, die natürlich auch für andere Ver-
kehrsträger gilt. Deshalb ist es sehr positiv, dass diese Di-
mension nicht nur im Verkehrsbericht angesprochen wird,
sondern dass im Rahmen des Zukunftsprogrammes wirk-
lich 300 Millionen DM eingesetzt worden sind. Das ha-
ben wir hier im Haus gegen Ihre Stimmen beschlossen,
um zum Beispiel die Wasserstoff- und die Brennstoffzel-
lentechnik im Fahrzeugantrieb nach vorne zu bringen.
Das ist notwendig, nicht weil die technische Optimierung
des Automobils die Generallösung für alle Folgeprobleme
der motorisierten Individualverkehre bringt, sondern weil
ohne diese technische Dimension die Aufgaben des Kli-
maschutzes und die Folgen endlicher Ölreserven über-
haupt nicht zu bewältigen sind.

Die Perspektive eines emissionsfreien Autos muss vo-
rangetrieben werden. Dazu ist diese Regierungskoalition
entschlossen. Wir haben dafür auch Geld bereitgestellt.
Das ist ein wichtiger Bestandteil des Gesamtkonzepts ei-
nes zukunftsfähigen Verkehrssystems. Ich erinnere daran,
dass der Katalysator auch das Ergebnis einer Diskussion
über das Waldsterben war. Dass das Dreiliterauto heute
endlich angeboten und vor allem auch nachgefragt wird,
liegt daran, dass Klimaschutz und Abhängigkeit vom Öl
einen niedrigeren Benzinverbrauch verlangen und dass
wir dies durch die Ökosteuer auch deutlich machen. Des-
halb werden wir an diesem Prinzip festhalten.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Der Verkehrsbericht spricht von 30 Prozent Leerfahr-
ten im Güterverkehr auf der Straße. Auch das zeigt, wel-
che technischen Innovationspotenziale hier liegen. Elek-
tronische und satellitengestützte Logistiksysteme und
Flottenmanagement sind Bereiche, die wir entwickeln
müssen.

Ein Wort zum Fahrrad, dem Verkehrsträger, der bei
verkehrspolitischen Diskussionen am häufigsten überse-
hen und unterschätzt wird. Ich glaube, es ist Zeit, das zu
ändern und das Fahrrad zu einem substanziellen Thema
der Verkehrspolitik zu machen. Stellen Sie sich nur ein-
mal vor, was los wäre, wenn alle, die heute in den Städten
mit dem Rad fahren, auf das Auto umsteigen würden!
Wenn wir es umgekehrt schaffen – das ist möglich –, Ver-
kehrsanteile bis zu 30 Prozent in Ballungsräumen durch
Fahrradverkehre zu erbringen, dann haben wir nicht nur
mehr Lebensqualität in den Städten, sondern auch weni-
ger Emissionen, weniger Flächenverbrauch. Das ist eine
Dimension, um die wir uns stärker kümmern müssen.

Ich bedauere sehr, dass der Verkehrsbericht 2000 dem
Fahrrad gerade einmal eine Spalte widmet. Hier sind die
Fraktionen gefordert nachzulegen. Wir werden nächste
Woche im Ausschuss gemeinsam eine Anhörung zum
Thema Fahrradpolitik haben. Ich hoffe sehr, dass wir hier
fraktionsübergreifend noch ein ganzes Stück weiterkom-
men, um mit einem Masterplan Fahrrad für die Zukunft
einen wachsenden, schicken und attraktiven Fahrradver-
kehr in Deutschland zu sichern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414301900
Nun ist Ihre Redezeit
abgelaufen.

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Ja. – Frau Präsidentin, meine Damen und Herren,
ich möchte zum Schluss sagen: Mobilität ist nicht eine
Frage der Verkehrssysteme. Ich denke, dass die Kollegin
Faße auch noch etwas über das Binnenschiff sagen wird.
Das muss ich jetzt unterlassen. Mobilität spielt sich auch
in den Köpfen ab. Bündnis 90/Die Grünen werden auch
künftig grundsätzlich Anwalt von Natur und Umwelt sein.
Aber Prinzipientreue ist nicht mit geistiger Immobilität zu
verwechseln. Deswegen werden wir an neuen Konzepten
mitwirken. Wir werden sie vorlegen. Neue Mobilität
braucht Bewegung auch in den Köpfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Jörg van Essen [F.D.P.]: Insbesondere bei den Grünen! Ja, richtig!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414302000
Zu einer Zwischenbe-
merkung erteile ich das Wort dem Kollegen Horst
Friedrich.


Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1414302100
Herr Kollege
Schmidt, Sie haben meine Ausführungen zur Verwendung
von 1,2 Milliarden DM Investitionsmitteln im Jahre 2000
durch die Deutsche Bahn AG als „Schwachsinn“ bezeich-
net. Ich habe absolut verlässliche Quellen, die genau den
von mir dargestellten Sachverhalt bestätigen. Ich füge
hinzu: Dabei handelt es sich nicht um einen Journalisten.

Sind Sie bereit, diesen Sachverhalt zur Kenntnis zu
nehmen? Wenn nicht, werden wir, eine schriftliche Frage
einreichen und darauf eine Antwort bekommen. Diese
wird die Regierung aufgrund der Frage des Kollegen
Fischer in der gestrigen Verkehrsausschusssitzung oh-
nehin zu liefern haben. Das, was ich ausgeführt habe, ist
der Sachverhalt und nicht das, was Ihnen Herr Mehdorn
– wahrscheinlich gestern Abend – gesagt hat.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414302200
Herr Kollege
Schmidt, wollen Sie antworten? – Bitte sehr.

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): In aller Kürze, Herr Kollege Friedrich: Das
Wort „Schwachsinn“ nehme ich mit dem Ausdruck des
Bedauerns zurück. Das war nicht kollegial. Wir verstehen
uns in der Sachdebatte viel zu gut, als dass ein solcher Ton
angemessen wäre.

Was den substanziellen Gehalt Ihrer Aussage betrifft,
mache ich einen Vorschlag zur Güte: Sie stellen eine
schriftliche Frage an die Bundesregierung, in der Sie ge-
nau diesen Sachverhalt abfragen. Dann erhalten wir
gemeinsam eine Antwort. Dann haben wir es schwarz auf




Albert Schmidt (Hitzhofen)

13950


(C)



(D)



(A)



(B)


weiß. Bis dahin habe ich nichts davon zurückzunehmen,
was ich hier in der Sache ausgeführt habe.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Der Beifall kommt zu früh! Denn ich habe Recht, auch in der schriftlichen Antwort!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414302300
Nun hat das Wort der
Kollege Winfried Wolf, PDS-Fraktion.


Dr. Winfried Wolf (PDS):
Rede ID: ID1414302400
Sehr geehrte Präsidentin!
Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten Ende 1998
auf eine Verkehrswende gehofft. Sie hat nicht stattgefun-
den. Wir hatten Ende 2000 auf neue Akzente durch einen
neuen Verkehrsminister gehofft. Diese sind nicht erkenn-
bar. Zwar erleben wir im Verkehrsministerium einen flotten
Dreier von Müntefering über Klimmt zu Bodewig. Aber
wir erleben vor allem Kontinuität in Negativem, und das
noch vorgetragen mit dem Charme einer Büroklammer.

Dazu drei Beispiele:
Zunächst zum Beispiel Eisenbahnerwohnungen: Vor

Weihnachten gab es für 300 000 Menschen eine schöne
Bescherung: Deren Wohnungen sollen privatisiert wer-
den. Das ist Kontinuität von Wissmann bis zu Bodewig.
Ein Unterschied besteht aber: Bei CDU/CSU und F.D.P.
war klar, dass sie dies tun würden; bei der SPD war das
ein glatter Wortbruch.


(Beifall bei der PDS)

Zum zweiten Beispiel, zum Mythos der Wirtschaft-

lichkeit: Immer noch wird gesagt – jetzt gerade auch vom
Kollegen Ali Schmidt, dass die Bahn als Gesamtsystem
wirtschaftlich, also im Grunde genommen so arbeiten
sollte, dass sie auch an die Börse gehen könnte. Man muss
sich doch fragen, warum zum Beispiel die Oberammer-
gauer Passionsspiele,


(Beifall bei der PDS)

der Rhein-Main-Donau-Kanal sowie der Rhein und die
Loreley nicht an die Börse gehen.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Weil die Loreley gesungen hat! Die Börse ist kein Theater!)


Das wären Junkbonds bzw. Schrottaktien an der Börse!
Übrigens, die Binnenschifffahrt hat einen Kosten-

deckungsgrad von 8 Prozent. Kein Mensch sagt, Binnen-
schifffahrtswege und Schiffe sollten an die Börse gehen.
Dann wären diese sofort tot.

Dies gilt im besonderen Maße für die Bahn. Immer
mehr Menschen gewinnen den Eindruck, dass die Wirt-
schaftlichkeit der Bahn nicht primär eine Frage der Sinn-
haftigkeit des Verkehrs ist, sondern eine Frage des
Immobiliengeschäftes.


(Beifall bei der PDS)

Eine Schlagzeile im „Focus“ lautete: „Das Megamilliar-
dending: Das 41 000 Kilometer lange Schienennetz ist als

Immobilie an der Börse pures Gold wert.“ Das findet mo-
mentan in dieser Republik statt.


(Beifall bei der PDS)

Zum dritten Beispiel, zur negativen Kontinuität bei der

Verkehrsplanmisswirtschaft: Wir erleben, dass die neue
Bundesregierung zunächst einmal keinen neuen Bundes-
verkehrswegeplan aufstellt, obwohl im Verkehrsbericht
ausgeführt wird, dass alle Daten überholt seien. Es wer-
den also vier Jahre lang Sandkastenspielereien gemacht,
um angeblich neue Prognosen zu erstellen.

Zudem erleben wir, dass schon jetzt falsche Grundla-
gen für einen neuen Bundesverkehrswegeplan, der ab
2002 gelten soll, aufgestellt werden: Herr Bodewig, Sie
sagen, dass, während die Bevölkerungszahl um 2 Prozent
wachse, der PKW-Verkehr achtmal schneller, nämlich um
16 Prozent, wachsen solle, dass sich der Luftverkehr ein
weiteres Mal verdoppeln solle und dass der LKW-Verkehr
um 71 Prozent wachsen solle.

Ist diese Art von Wachstum, das überproportional zum
Bevölkerungswachstum stattfinden soll, ein Naturgesetz?
Genauso hat die Atomlobby in den 70er-Jahren argumen-
tiert, nämlich dass ein Wirtschaftswachstum nur dann er-
zielt werden könne, wenn das Energiewachstum genauso
hoch sein würde. Das ist nicht eingetreten. Im Gegenteil:
Heute hat sich das Energiewachstum vom Wirtschafts-
wachstum abgekoppelt.

Dies gilt auch für den Verkehrsbereich einiger anderer
Länder. Sie wissen vielleicht nicht, dass in Schweden, in
Dänemark, in den Niederlanden und in der Schweiz die
Zahl der PKWs in den letzten zehn Jahren kaum gewach-
sen ist, dass die PKW-Leistungen stagnieren und diese
Länder trotzdem nicht ärmer wurden bzw. in diesen Län-
dern das gleiche Wirtschaftswachstum wie in den anderen
Ländern stattgefunden hat.


(Beifall bei der PDS)

In Wirklichkeit erleben wir eine ganz andere Planwirt-

schaft; die bestehenden Pläne werden an anderer Stelle
eingetütet. Ein Beispiel ist der A3XX, der jetzt A 380
heißt. Die Konzeption bei diesem Flugzeug wird nur auf-
gehen, wenn es wirklich eine Verdopplung des Flugver-
kehrs gibt. Es muss sich also Erfolg am Markt einstellen.
Habe ich „Markt“ gesagt? – Quatsch, wir zahlen Subven-
tionen in Höhe von 2 Milliarden DM, damit der Flieger
überhaupt starten kann!

Die Prognosen, die angestellt werden, müssen in mate-
rielle Voraussetzungen, zum Beispiel Straßenbau, umge-
setzt werden. Ein Herr in diesem Saal, der früher politisch
gewichtiger war, hat einmal gesagt: Es kommt darauf an,
was hinten herauskommt. Das heißt konkret: Wenn am
Ende eines Jahres – auch unter SPD/Grüne – heraus-
kommt, dass das Straßennetz um 800 Kilometer länger
wurde, dass das Schienennetz um 300 bis 500 Kilometer
kürzer wurde, dass fünf neue Regionalairports und drei
neue Landebahnen in Betrieb genommen wurden, dann
sind die Konsequenzen klar. Wenn dann noch hinzu-
kommt, dass Fliegen billiger wird, dass Autofahren rela-
tiv billig ist und dass die Bahn immer teurer wird, ist es
doch logisch, wohin dieses Wachstum führt.


(Beifall bei der PDS)





Albert Schmidt (Hitzhofen)


13951


(C)



(D)



(A)



(B)


Nun sagen Sie, Herr Bodewig, dass auch die Bahn
Wachstum verzeichnen werde. Kollege Schmidt sagt,
dass sich der Güterverkehr auf der Schiene verdoppeln
solle und dass der Personenverkehr auf der Schiene noch
einmal um 33 Prozent wachsen solle. Ich glaube, dass
diese Kollegen Tomaten auf den Augen haben. Ali
Schmidt, Sie sind im Aufsichtsrat der Bahn, Sie haben ge-
nauere Daten als ich und wissen es am besten: Die
DB Cargo steht vor dem Zusammenbruch. Die durch-
schnittliche Transportweite des Güterverkehrs liegt bei
lediglich 250 Kilometer. Trotzdem sollen massenhaft
Gleisanschlüsse und Terminals abgebaut werden. Die
DB Cargo sagt, man müsse sich auf eine Transportweite
von 400 Kilometer hin orientieren. Real aber findet fast
nichts in diesem Bereich statt. Die Zahl der Güterwaggons
wurde in den letzten zehn Jahren sogar mehr als halbiert.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die Zahl der Waggons ist doch nicht entscheidend! Die Verkehrsleistungen entscheiden!)


Herr Schmidt, Sie sagen, es gebe heute 1 000 Langsam-
fahrstellen. Zur Halbzeit der Legislaturperiode hieß es:
Oh, wir haben entdeckt, es gibt Langsamfahrstellen. – Da-
rüber gibt es seit Jahren Statistiken. Die Zahl der
Langsamfahrstellen hat von Jahr zu Jahr zugenommen.

Man muss sich auch Folgendes einmal konkret an-
schauen: Es ist detailliert geplant, dass die Zahl der Lok-
führer im Bereich des Fernverkehrs in vier Jahren um
44 Prozent abgebaut wird. Die Beschäftigtenzahl wurde
schon halbiert und trotzdem sollen noch einmal 70 000
Stellen abgebaut werden. Der „Spiegel“ dieser Woche do-
kumentiert zu Recht, dass die Sicherheit auf der Schiene
regelmäßig reduziert wird und dass es gerade in diesem
Bereich grandiose Fehlleistungen gibt.

Hinzu kommt – was von Herrn Mehdorn konkret ge-
sagt wird –, dass es qualitative Verschlechterungen geben
wird, dass zum Beispiel die Speisewagen abgeschafft
werden sollen und eine Bedienung mit Essen am Platz es
dann nur in der ersten Klasse geben soll, dass der Rabatt
der Bahn-Card halbiert werden soll, dass man bei gewis-
sen Verbindungen nur noch mit Vorbestellungen in die
Bahn hineinkommen soll, dass die Zahl der Bahnhöfe um
1 200 reduziert werden soll.

Ich habe hier einen Artikel aus einer Berliner Zeitung,
bei dem die Schlagzeile heißt: „Bund will die schönste
S-Bahn-Station Berlins verkaufen“. Dieser Verkauf wird
ja nicht von irgendwem betrieben, auch nicht von Berlin:
Der Bund, das Bundeseisenbahnvermögen, will den
Bahnhof am Mexikoplatz verkaufen und den S-Bahn-
Ausgang am Mexikoplatz schließen. Das ist die Realität
heute: Verkehr auf der Schiene wird regelmäßig abgebaut.


(Beifall bei der PDS)

Beispiel Interregio: Ich finde es bezeichnend, wie das

Beispiel Interregio hier diskutiert wird. Denn es steht für
einen zerstörerischen Kurs der Bahn. Der Interregio war
ein maßgebliches Bindeglied von Nah- und Fernverkehr.
Der Interregio war ein absoluter Renner. Bis Mitte der
90er-Jahre hatte er mehr Fahrgäste als IC/EC und mehr
Fahrgäste als der ICE. Ab dem Jahr 1996 wurde er – auf

Beschluss des Bahnvorstandes – systematisch kaputtge-
macht: Systematisch wurden Anschlüsse abgebaut; syste-
matisch wurden Bistro-Waggons herausgenommen; sys-
tematisch wurde schlechtes Waggonmaterial eingesetzt.
Sie werden jetzt erleben, dass ganze Regionen – Ostfries-
land, Oberschwaben, Rügen usw. – vom Fernverkehr ab-
gehängt werden und davon auch der Nahverkehr Nach-
teile haben wird. Denn wenn die Länder Gelder für den
Interregio einsetzen werden, um die Verbindungen zu er-
halten, dann fallen die Regionalbahnen hinten herunter.


(Beifall bei der PDS)

Ich glaube, dass erkennbar ist, dass diese Regierung

auch unter Verkehrsminister Bodewig die alte Politik fort-
setzt: pro Auto, pro Flugverkehr und pro LKW. Ich
glaube, dass Impulse von außen kommen müssen, von un-
ten, von einem breiten gesellschaftlichen Bündnis. Ich bin
Herrn Bodewig dankbar, dass er den Begriff „Bürgerbahn
statt Börsenbahn“ aufgegriffen hat – eine Initiative, die
sich Ende letzten Jahres gegründet hat und deren erstes
Ziel eine Kampagne zum Erhalt des Interregios ist. Heute
plakatieren ganze Regionen mit der Schlagzeile: „Die
Schiene wurde nicht erfunden, um das Rad zurückzudre-
hen. Interregio muss bleiben, damit es weitergeht!“


(Beifall bei der PDS)

Ich glaube, dass die Verkehrspolitik seit Krause über

Wissmann bis Bodewig das Rad der Geschichte zurück-
drehen will. Die Situation bei der Bahn ist heute schon so
schlimm, dass die Bahn ernsthaft – so eine Schlagzeile –
auf Dampfloks zurückgreift. Als Beispiel nenne ich die
DB Netz in Ravensburg, Oberschwaben. Im Bahnhof von
Ravensburg mussten vor Weihnachten Dampfloks von
Nostalgievereinen für Rangierarbeiten eingesetzt werden,
weil keine Loks mehr vorhanden waren. Wir erleben ein
Zurück zu Tonnenideologien. Hier wird gesagt, Mobilität
finde in den Köpfen statt. Wenn hier propagiert wird, dass
mit Wirtschaftswachstum gleichzeitig ein Wachstum
beim Verkehr verbunden ist, sage ich: Alzheimer.


(Beifall bei der PDS)

Es gibt ein Zurück zu einer Bahn als einer Börsenbahn,

die für Geschäftsleute oder für uns Politiker sinnvoll sein
kann, aber mit der man um 18.06 Uhr nicht mehr von Ros-
tock nach Berlin kommt, bei der im Rahmen der weiteren
Entwicklung ganze Städte abgehängt werden.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)

Wir sagen, dass diese Entwicklung umweltschädlich

ist, dass sie unsozial ist, dass sie ausgrenzt und damit auch
Hoffnungen enttäuscht, auch unsere Hoffnungen auf eine
Verkehrswende, die anscheinend woanders herkommen
muss.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414302500
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Karin Rehbock-Zureich für die SPD-Frak-
tion.




Dr. Winfried Wolf
13952


(C)



(D)



(A)



(B)



Karin Rehbock-Zureich (SPD):
Rede ID: ID1414302600
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Mobilität für
Menschen und Güter sowie die Herausforderungen der
Globalisierung in einem zusammenwachsenden Europa
einerseits und die Verpflichtung, unseren Kindern und En-
kelkindern eine lebenswerte Umwelt zu hinterlassen, an-
dererseits werden die Verkehrspolitik der kommenden
Jahre bestimmen. Ich danke ganz ausdrücklich der Regie-
rung für die Grundlage dieser neuen Verkehrspolitik, für
den Verkehrsbericht 2000.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nachhaltige Mobilität wird gerade vor dem Hinter-
grund der Steigerung des Verkehrsaufkommens im Mit-
telpunkt einer politischen Strategie stehen. Herr Lippold,
ich wundere mich über Ihren Redebeitrag, nach dem Sie
die Zuwächse des Güterverkehrs, die 64 Prozent betragen,
ausschließlich auf der Straße abwickeln wollen. So haben
Sie es in Ihrer Rede dargestellt. Straßenraum wird nicht
beliebig vermehrbar sein, die Engpässe spüren wir schon
heute. Zur Erhaltung der Mobilität und eines funktionie-
renden Verkehrssystems wird es notwendig sein, dass die
einzelnen Verkehrsträger effizient zusammenwirken.
Dies wird Inhalt des neuen Bundesverkehrswegeplans
dieser Regierung sein.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Das stand schon im Bericht von 1992!)


Die Schiene als Bestandteil eines solchen Verkehrssys-
tems ist unverzichtbar.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Unsere Aufgabe wird es sein, Rahmenbedingungen zu
schaffen, um Teile des Zuwachses beim Güterverkehr auf
der Schiene abzuwickeln. Dies wird aber nicht im natio-
nalen Alleingang möglich sein. Wir müssen dies europa-
weit aufgreifen und endlich zu einem transeuropäischen
Schienennetz kommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Lippold, Sie haben von einem Crashprogramm
gesprochen. Deshalb möchte ich einmal das Crashpro-
gramm der Vorgängerregierung hinsichtlich der Bahn auf-
greifen: Es ist nicht richtig, wenn Sie hier behaupten, die
Bahnreform sei gegen die SPD gemacht worden. Viel-
mehr wurde die Bahnreform 1994 parteiübergreifend auf
den Weg gebracht. Diese Bahnreform sollte eine Trend-
wende hin zu mehr Gütern auf der Schiene schaffen. Im
Rahmen der Bahnreform wurden damals Finanzmittel für
Investitionen in einer Größenordnung von 9 bis 10 Mil-
liarden DM zugesagt. Hier beginnt dieser Crashkurs. Tat-
sache ist, dass die alte Bundesregierung die Investitions-
mittel auf 5,7 Milliarden DM zurückgefahren hat.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Das ist nachweislich falsch!)


– Das ist so richtig. – Im Jahr 1998 wurden die Mittel auf
diesen Betrag reduziert, sodass Investitionen in dem Um-

fang, in dem sie nötig gewesen wären, nicht mehr geleis-
tet werden konnten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Iris Gleicke [SPD]: Das ist leider wahr! – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Sie wissen, dass das falsch ist, und behaupten es trotzdem!)


Als Regierungsfraktion haben wir gemeinsam mit der
Regierung die Investitionsmittel für die Bahn sofort er-
höht; denn die Folgen dieses Crashkurses der alten Re-
gierung waren, dass die Gelder für das Bestandsnetz fehl-
ten und dadurch notwendige Investitionen ausblieben. Es
wurde auf Kosten der Zukunft gewirtschaftet. Es wurde
versäumt, eine Analyse des Zustandes der Bahn zu Beginn
der Bahnreform vorzunehmen. Eine solche Analyse hat
der jetzige Bahnchef Mehdorn veranlasst. Dabei ist leider
herausgekommen – das haben wir auch Ihnen zu verdan-
ken –, dass es mit dem veralteten Netz und dem veralteten
Fahrzeugbestand nicht möglich ist, die Ziele der begonne-
nen Bahnreform zu verwirklichen, mehr Verkehrsleistung
auf die Schiene zu bekommen.

Das Fazit, das hier gezogen werden muss, lautet, dass
das Ziel der Bahnreform nicht erreicht wurde, dass wir
aber diese Bahnreform weiterführen wollen. Die Voraus-
setzung für eine Weiterentwicklung sind natürlich die
Finanzen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben 1999 begonnen, die Investitionsmittel auf
7 Milliarden DM zu erhöhen. Wir werden der Bahn 2001
Investitionen in der Größenordnung von 8,8 Milliar-
den DM zur Verfügung stellen. Wir haben darüber hinaus
begonnen, die Darlehen in Baukostenzuschüsse umzu-
wandeln. Das heißt, dass die Bahn in den kommenden
zehn Jahren um rund 4 Milliarden DM zusätzlich entlas-
tet wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Das ist etwas Neues!)


Auch sorgen wir dafür – ich möchte mich dem Dank an
die gesamte Fraktion anschließen –, dass 2MilliardenDM
pro Jahr aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen nicht in
Großprojekte fließen, sondern dazu genutzt werden, das
Bestandsnetz auf Vordermann zu bringen. Das Bestands-
netz wird so zu einem funktionierenden Netz, das auf die
Wirtschaft insgesamt und auf die Pünktlichkeit im Beson-
deren positiv wirken wird. Diese dringenden Investitio-
nen in das Netz der Bahn werden es erstmals ermöglichen,
dass ein wirtschaftliches Ergebnis im Bereich des Schie-
nenverkehrs zustande kommt.

Weiterhin haben wir in einem Anti-Stau-Programm die
Schiene mit 560 Millionen DM pro Jahr unterstützt, um
Engpassbeseitigung zu betreiben.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Es ist noch keine Mark geflossen! Es ist noch gar nichts passiert!)







(C)



(D)



(A)



(B)


– Herr Fischer, wir betreiben vorausschauende Politik in
die Zukunft. Wir haben verabredet, dass wir Chancen-
gleichheit zwischen den Verkehrsträgern herstellen. Dies
geschieht unter anderem durch eine streckenbezogene
LKW-Gebühr. Aus diesen Geldern werden wir den Betrag
ab 2003 aufbringen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Es soll sich ja lohnen, uns wiederzuwählen, Herr Fischer!)


Eine weitere wichtige Voraussetzung, um Chancen-
gleichheit zwischen den Verkehrsträgern zu erreichen,
sind faire Wettbewerbsbedingungen. Ich meine Wettbe-
werb der Schiene – ich rede ganz bewusst nicht von der
DB AG, sondern von der Schiene –, aber auch zwischen
den Verkehrsträgern.

Wir werden die Kompetenzen des Eisenbahn-Bun-
desamtes erweitern. Ziel ist die Schaffung einer durch-
setzungsfähigen Aufsichtsbehörde, die den diskriminie-
rungsfreien Zugang zum Netz für alle Mitbewerber der
DB AG sichert. Es muss von unserer Seite kritisch ver-
folgt werden, ob der Einstieg, so wie wir ihn jetzt begin-
nen, ausreicht oder ob wir in der Zukunft die Kompeten-
zen des Eisenbahn-Bundesamtes weiterstärken müssen.
Es ist wichtig, eine Behörde zu schaffen, die die Aufga-
ben so wahrnimmt, wie sie ihr gestellt werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte zu dem viel diskutierten Bereich der Tren-
nung von Netz und Betrieb kommen: Ich halte es für fa-
tal, zu vermitteln, die Trennung von Netz und Betrieb
könne sämtliche Schwierigkeiten im Schienenverkehr be-
seitigen. Dies kann so nicht sein. Wo haben wir in Europa
ein positives Beispiel? Das englische Beispiel kann für
uns kein Vorbild sein, das französische Konzept steht nur
auf dem Papier. Dennoch sagen wir: Es muss die best-
mögliche Organisationsform gefunden werden, um Chan-
cengleichheit im Wettbewerb zu garantieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen die Chancen und Risiken unterschiedli-
cher Strukturen abklären. Wir wollen einen Prüfauftrag
geben, die Organisationsformen umfassend zu bewerten,
um langfristig eine tragfähige Entscheidung treffen zu
können: Wie sieht die Zukunft der Organisation von Netz
und Betrieb aus? Wir halten nichts davon, mit Schnell-
schüssen Situationen herbeizuführen, die uns mit England
vergleichbare Verhältnisse bescheren würden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414302700
Frau Kollegin, Sie
müssten nun bitte zum Schluss kommen.


Karin Rehbock-Zureich (SPD):
Rede ID: ID1414302800
Mit dem EU-Infra-
strukturpaket ist auf europäischer Ebene ein wichtiger
Durchbruch für einen gesamteuropäischen Güterver-

kehr auf der Schiene gelungen. Nur ein grenzenloser Ver-
kehr auf der Schiene ohne Barrieren bringt Wettbewerbs-
möglichkeiten und Chancengleichheit mit der Straße.
Flankierend unterstützen wir mit dem Einstieg in eine
Interoperabilität zwischen den Bahnen in Europa diese
Entwicklung. Vom Güterverkehrsgewerbe wurde dies als
Urknall im europäischen Verkehr betrachtet.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414302900
Frau Kollegin, kom-
men Sie bitte zum Schluss.


Karin Rehbock-Zureich (SPD):
Rede ID: ID1414303000
Frau Präsidentin, ich
komme zum Schluss.

Es wird in der Zukunft notwendig sein, auch regionale
Verkehre an die großen Zentren besser anzuknüpfen. Wir
haben dafür Regionalisierungsmittel in einer Größenord-
nung von 13,5 Milliarden DM zur Verfügung gestellt. Wir
werden in der Zukunft dafür sorgen, dass europäische Gü-
terbahnen, regionale Netze in der Fläche und die großen
Linien ein funktionsfähiges Gesamtsystem bilden wer-
den, um Mobilität zu gewährleisten, damit wir in dem Be-
reich Schiene eine wirtschaftliche und ökologische Vo-
raussetzung zum Wohle unserer Kinder schaffen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414303100
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht der Kollege Eduard Oswald.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1414303200
Frau Präsidentin! Ver-
ehrte Kolleginnen und Kollegen! Ziel der Verkehrspolitik
von CDU und CSU ist es, die Mobilität als Voraussetzung
für wirtschaftliches Geschehen und wirtschaftliche Ent-
wicklung in unserem Lande sicherzustellen. Deshalb wol-
len wir, dass es erstens mit der Verkehrspolitik insgesamt
wieder aufwärts geht, dass zweitens die Verkehrsinfra-
struktur nicht vernachlässigt wird, drittens das Verkehrs-
gewerbe den notwendigen Flankenschutz erhält und vier-
tens vor allem die gegenwärtigen Bahnprobleme gelöst
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Ich habe sehr genau beobachtet, dass die Koalitions-
fraktionen ganz ehrfürchtig waren und viel Beifall
gespendet haben, als Bundesminister Kurt Bodewig hier
gesprochen hat. Ich kann sehr gut verstehen, warum die
Koalitionsfraktionen Bundesminister Kurt Bodewig so
viel Beifall gespendet haben: Sie müssen ihm Mut ma-
chen, damit er länger als seine beiden Vorgänger durch-
hält.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Wir trauen ihm da viel mehr zu!)


Wir wollen ein Verkehrssystem, das eine schnelle, flexi-
ble, zuverlässige, umweltverträgliche und kostengünstige
Mobilität von Personen und Gütern ermöglicht. Dies ist




Karin Rehbock-Zureich
13954


(C)



(D)



(A)



(B)


möglich. Dazu brauchen wir – das ist der entscheidende
Punkt – alle Verkehrsträger und eine ideologiefreie Ver-
kehrspolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Überzeugen Sie einmal Herrn Lippold!)


Jeder von uns weiß, dass das Auto in unserem Land das
Verkehrsmittel Nummer eins ist. Tatsache ist, dass es für
viele Bürgerinnen und Bürger in unserem Land überhaupt
keine Alternativen zum Auto gibt. Im ländlichen Raum ist
das Auto auch Nahverkehrsmittel. Viele unserer Bürge-
rinnen und Bürger sind tagtäglich auf das Auto angewie-
sen. Verkehrspolitik darf sich daher nicht ständig gegen
den Straßenverkehr wenden; vielmehr müssen in der Ver-
kehrspolitik die Realitäten akzeptiert werden. Wer täglich
mit dem Auto im Stau steht und zugleich durch immer
mehr Steuererhöhungen abkassiert wird, der verliert zu
Recht das Verständnis in die Verkehrspolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir brauchen eine leistungsfähige Verkehrsinfra-

struktur.Wir brauchen nicht nur gut ausgebaute Straßen,
sondern auch gut ausgebaute Schienenwege, Wasser-
straßen und Flugplätze. Alles muss miteinander verzahnt
und vernetzt werden. Die Bundesregierung hat zwar zahl-
reiche Programme auf den Weg gebracht. Aber nur noch
die Experten haben den Durchblick. Mir wäre zügiges
Bauen lieber als immer neue Wortschöpfungen und
Ankündigungen. Verkehrspolitik muss in den Bauabtei-
lungen und nicht in der Abteilung „Wie komme ich unbe-
schadet über das Wahljahr 2002 hinweg?“ gemacht wer-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich begrüße es sehr, dass Kurt Bodewig gesagt hat, er

möchte ein Infrastrukturminister sein. Nur, dann müssen
Sie, lieber Herr Bundesminister, dafür sorgen, dass es an-
stelle einer Vielzahl von unübersichtlichen Programmen
eine solide Finanzausstattung für Investitionen in die
Bundesverkehrswege gibt. Tatsache ist doch, dass mit den
Investitionsprogrammen eine Fülle von Maßnahmen le-
diglich anfinanziert und der größere Teil in die Zeit nach
2002 verschoben wird. Ihr Anti-Stau-Programm ist im
Grunde genommen ein Verzögerungsprogramm; denn die
Mittel werden erst ab 2003 bereitgestellt.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Dann aber gibt es sie auch! Das sagen wir schon heute!)


Die in den Zukunftsinvestitionsprogrammen für Straße
und Schiene enthaltenen Ansätze, die durchaus richtig
sind, sind alles andere als ausfinanziert. Es geht nicht nur
darum, etwas anzufinanzieren. Man muss auch sagen, wie
es weitergehen soll.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Niemand kann sich des Eindruckes erwehren, dass Sie

alles tun, damit Sie möglichst ruhig und still und ohne
Proteste der Bürger über das Jahr 2002 hinwegkommen.
Das beste Beispiel ist die Vorgehensweise beim Bundes-
verkehrswegeplan. Ich finde es zwar in Ordnung, dass
auch die Komponenten Umwelt, Raumordnung und Städ-

tebau in die Bewertungskriterien einbezogen werden. Das
ist auch unsere Position. Aber kein Beobachter kann sich
des Eindrucks erwehren, dass die Untersuchungen zum
Bundesverkehrswegeplan auch das Ziel hatten, das Ganze
hinauszuzögern, damit Sie vor Ort nicht sagen müssen,
welche Straße Sie nicht bauen wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Der Bundesverkehrswegeplan ist auch deswegen nicht
auf den Weg gebracht worden, weil man sich in der Ko-
alition letzten Endes nicht über die Bedeutung der Straße
in unserem Verkehrssystem einig werden konnte. Herr
Bundesminister, Sie haben noch viel Arbeit in der Koali-
tion vor sich; denn die Richtigkeit des in der Öffentlich-
keit erweckten Eindrucks – es gab vertrauliche Gespräche
an der Regierungsbank –, die Grünen hätten ihre Position
zum Straßenverkehr und insbesondere zum Auto revi-
diert, muss in der Praxis erst noch bewiesen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir haben den Haushalt doch gemeinsam verabschiedet!)


Wir werden darauf achten, dass sich die Projekte an
den absehbaren, von den Bürgern geäußerten Mobilitäts-
bedürfnissen orientieren. Wir sagen ganz klar und deut-
lich: Umgehungsstraßen sind auch Menschenschutz; da-
rum muss ihr Bau zügig realisiert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn heute knapp 2 000 Kilometer des Autobahnnet-

zes stauanfällig sind und wenn ein zu hohes Verkehrsauf-
kommen bei einer nicht ausreichenden Kapazität in etwa
40 Prozent der Fälle Stauursache Nummer eins ist, dann
bedeutet das, dass wir eine Verbesserung des Verkehrs-
flusses, ein gezieltes Störfallmanagement und ein koordi-
niertes Baustellenmanagement brauchen. Unser Ziel sind
weniger Stau und mehr Mobilität. Aber ohne zusätzliche
Finanzmittel für den Bau wird es nicht gehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Bundesminister, Sie müssen sich zweier Pro-

blemfälle in besonderer Weise annehmen: Es geht zum ei-
nen um das Autobahnnetz in den alten Bundesländern –
wir brauchen ein Sonderprogramm zum sechsstreifigen
Ausbau der überlasteten Strecken – und zum anderen um
Maßnahmen, die im Zuge der EU-Erweiterung von Be-
deutung sind. Es geht nicht an, dass unsere Nachbarn
bauen, während es bei uns auf dem Feldweg weitergeht
oder sich der Verkehr über die Dörfer quält. Das kann
nicht akzeptiert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir wollen einen attraktiven und leistungsfähigen

Schienenverkehr. Ich bin sehr dankbar dafür, dass hierzu
heute sehr vieles schon gesagt worden ist. Dies gilt für den
Personenverkehr ebenso wie für den Güterverkehr. Ich
will, dass Hartmut Mehdorn für das Unternehmen Bahn
Erfolg hat. Er ist Chef des Unternehmens Deutsche Bahn;
aber er ist nicht Eisenbahnminister. Die Regierung vertritt
den Eigentümer, und das ist der Bund. Die Regierung muss
immer sagen, was sie beim Thema „System Schiene“ will




Eduard Oswald

13955


(C)



(D)



(A)



(B)


und welche Vorstellungen sie im Hinblick auf die Schiene
hat. Abtauchen ist in keiner einzigen Phase zulässig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es ist gut, dass Positionen heute klar bezogen worden

sind. Das wird von uns ausdrücklich begrüßt. Wir werden
daraufhin vieles miteinander zu diskutieren haben. Es gibt
Klärungsbedarf. Wir können doch nicht hinnehmen, dass
das Güterverkehrsaufkommen auf der Schiene zurück-
geht, dass der kombinierte Verkehr, was sein Aufkommen
angeht, rückläufig ist und dass sich die Bahn aus der
Fläche immer mehr zurückzieht. Ich nehme jetzt bewusst
nicht zu Fragen des Unternehmens Bahn Stellung. Dazu
ist Richtiges heute schon gesagt worden.

Unser Maßstab sind die Zufriedenheit und die Sicher-
heit der Kunden bei der Benutzung der Bahn. Das sind
unverzichtbare Voraussetzungen für den Erfolg des Un-
ternehmens und seiner Mitarbeiter. Wir werden alle Vor-
schläge im Hinblick darauf prüfen, ob durch sie wieder
mehr Verkehr auf die Schiene gebracht wird. Das ist für
uns immer der Schlüssel. Wir sind den Bürgerinnen und
Bürgern schuldig, dass am Ziel eines flächendeckenden
Bahnangebots festgehalten wird. Ziel der Verkehrspolitik
muss es sein, Qualität und Leistungsfähigkeit der Schiene
mit dem Ziel einer umweltgerechten Mobilität für alle
Bürger zu steigern.

Wir haben eine Anhörung zur Bahnreform durchge-
führt. Ich möchte die Expertenanhörung in drei Punkten
zusammenfassen:

Erstens. Die Zementierung der Monopolstellung des
nationalen staatlichen Bahnunternehmens behindert ge-
genwärtig den Wettbewerb auf der Schiene.

Zweitens. Die Schaffung der Voraussetzungen für den
Wettbewerb konkurrierender Unternehmen ist ohne Zwei-
fel die Schicksalsfrage der Bahnreform.

Drittens. Der diskriminierungsfreie Zugang zum
Schienennetz muss gewährleistet sein. Das bedeutet, dass
bei der Fortführung der Bahnreform zwei Bereiche ge-
trennt voneinander behandelt werden müssen, und zwar
das System Schiene und das Unternehmen DBAG. In die-
sem Punkt müssen wir weiter miteinander ringen; Sie ha-
ben Ihre Position heute dargestellt.

Es besteht überhaupt kein Zweifel: Wir brauchen
neuen Schwung für die Bahn. Schwung heißt auch für
mich, dass importierte Güter an unseren Grenzen nicht
von der Bahn auf LKW umgeladen werden, sondern dass
importierte Güter an unseren Grenzen schnell und flexi-
bel befördert werden. Ich will keine Schrumpfbahn, die
nur wenige Fernlinien bedient, sondern eine leistungs-
fähige, flächendeckende und grenzüberschreitende Bahn.

Herr Bundesminister, wir müssen auch Fragen der In-
vestitionen klären. Was sagen Sie zum Vorfinanzierungs-
angebot beispielsweise Baden-Württembergs und Bay-
erns hinsichtlich der Strecke Stuttgart–Ulm–Augsburg?
Was sagen Sie zur ICE-Trasse Nürnberg–Erfurt? Wie geht
es dort weiter? Diese Fragen müssen konkret beantwortet
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Nicht nur die Bahn, sondern das Verkehrsgewerbe ins-
gesamt braucht politischen Flankenschutz. Der Straßen-
güter- wie auch der Straßenpersonenverkehr, die Binnen-
schifffahrt und der Luftverkehr brauchen die politische
Unterstützung.

Sorge bereitet uns dabei vor allem das mittelständisch
geprägte deutsche Straßengüterverkehrsgewerbe, das
zunehmend in Existenznöte gerät. Die deutschen Spedi-
teure können im Wettbewerb auf dem europäischen Trans-
portmarkt längst nicht mehr mithalten. Es reicht nicht aus,
wenn der Bundesverkehrsminister bei der Europäischen
Union darum bittet, die sehr unterschiedlichen Unterstüt-
zungsmechanismen unserer Nachbarländer zu überprü-
fen. Wir fordern den Bundesverkehrsminister auf, dass er
sich dieser Probleme intensiv annimmt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist nicht zu akzeptieren, dass die gestiegenen Kraft-
stoffkosten in Frankreich, Belgien, Italien und den
Niederlanden ausgeglichen werden und die rot-grüne
Bundesregierung auch weiterhin zu keiner spürbaren
Kompensation für das Verkehrsgewerbe bereit ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wir brauchen ein Sofortprogramm für das deutsche
Transportgewerbe. Natürlich muss die Ökosteuer weg.
Daneben aber brauchen wir eine wettbewerbsverträgliche
Gestaltung der streckenbezogenen LKW-Gebühr, eine
schnelle Lösung der Ökopunkte-Problematik im Alpen-
transit und die wirkungsvolle Bekämpfung von Dum-
pinglöhnen und illegaler Kabotage. Wir wollen Taten se-
hen; das ist der entscheidende Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Auch der Straßenpersonenverkehr braucht Unterstüt-

zung. Der Omnibus ist nicht nur das Rückgrat des öf-
fentlichen Nahverkehrs, er ist auch bedeutender Wirt-
schaftsfaktor. Im ländlichen Raum ist der Bus für viele
Bürgerinnen und Bürger oftmals das einzige Mobilitäts-
angebot. Darüber hinaus ist die Bahn im öffentlichen
Nahverkehr auf den Bus als Zubringer angewiesen; denn
ohne den Bus ist eine Flächenbedienung nicht denkbar.
Der Bus darf nicht das Stiefkind der Verkehrspolitik sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Nur der Erhalt einer mittelständischen Struktur im

Omnibusgewerbe sichert eine wirtschaftliche und funkti-
onsfähige Mobilität und einen bezahlbaren öffentlichen
Personennahverkehr in Deutschland. Wir fordern daher
den Bundesverkehrsminister auf, dass er sich bei der Eu-
ropäischen Union für Lösungen einsetzt, die dem deut-
schen Omnibusgewerbe einen fairen Wettbewerb ermög-
lichen.

So wie der Omnibus von der regierungsamtlichen Ver-
kehrspolitik leicht übersehen wird, ergeht es auch der
Binnenschifffahrt. Damit sie aber im Güterverkehr eine
wirtschaftliche und ausbaufähige Alternative zu den Ver-
kehrsträgern Schiene und Straße sein kann, müssen die
Rahmenbedingungen weiter verbessert werden.




Eduard Oswald
13956


(C)



(D)



(A)



(B)


Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, wir als CDU und CSU setzen auf alle Verkehrsträ-
ger. Dazu gehört auch der Luftverkehr. Wir sehen drin-
genden Handlungsbedarf vor allem in der Verbesserung
der Anbindung der Flughäfen, im Ausbau ihrer Infra-
struktur und in der Optimierung der europäischen Flugsi-
cherung. Der Luftverkehrsstandort Deutschland steht im
Wettbewerb mit den uns umgebenden Auslandsflughäfen.
Deshalb kann es uns nicht gleichgültig sein, wie sich der
Luftverkehr in unserem Lande entwickelt. Es geht um die
Arbeitsplätze in unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Bundesminister, ich bin sehr froh, dass auch die

Frage der Verkehrssicherheit angesprochen worden ist;
denn ganz sicher sind wir gemeinsam der Meinung, dass
ein Mehr an Mobilität nicht ein Weniger an Sicherheit be-
deuten darf. Die Fragen der Verkehrssicherheit müssen
stärker im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankert wer-
den. Verkehrssicherheit ist eine Aufgabe aller, eine Auf-
gabe, an der jeder mitwirken muss: von den Talksendun-
gen im Fernsehen bis hin zu den Discobetreibern.
Niemand, weder in diesem Hause noch bei der Regierung
noch draußen, darf in seinen Bemühungen zur Verbesse-
rung der Verkehrssicherheit nachlassen.

Herr Bundesminister, wir werden Ihre Arbeit kritisch,
aber konstruktiv begleiten, weil wir wissen, dass nur ein
insgesamt leistungsfähiges Verkehrssystem den Wirt-
schaftsstandort sichert. Wir brauchen vor allem eine gut
ausgebaute Infrastruktur, die eine schnelle, flexible, zu-
verlässige und kostengünstige Mobilität von Gütern und
Personen ermöglicht, damit Deutschland im internationa-
len Wettbewerb mithalten kann. Ziel der Verkehrspolitik
von CDU und CSU ist es, eine weitgehend sichere und zu-
gleich umweltgerechte Mobilität für alle Bürgerinnen und
Bürger zu erhalten und zu verbessern. In diesem Sinne
werden wir Ihre Arbeit begleiten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414303300
Die nächste Rednerin
in dieser Debatte ist die Kollegin Annette Faße für die
SPD-Fraktion.


Annette Faße (SPD):
Rede ID: ID1414303400
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Verkehrs-
politik der alten Bundesregierung ist erkennbar – ich
könnte auch sagen: erfahrbar – gescheitert. Darum, meine
Damen und Herren von der Opposition, ist es schon ein
starkes Stück, sich heute hier hinzustellen und das, was
Herr Lippold geschildert hat, so darzustellen, als sei man
daran unschuldig. Es ist schon ein starkes Stück, sich hier
so hinzustellen, wenn man weiß, dass die Investitions-
summen in den vergangenen Jahren für die Bereiche, die
Sie heute so stark betonen, zurückgefahren worden sind.
Es ist schon ein starkes Stück, sich heute hier hinzustellen
und nicht anzuerkennen, dass sich diese Regierung
bemüht, außerhalb des Haushalts zusätzliche Mittel zur
Verfügung zu stellen. Herr Oswald, es ist schon ein star-
kes Stück, dass Sie sich hier hinstellen und sagen, wir
bräuchten Ortsumgehungen. Sie wissen doch ganz genau,

dass die UMTS-Mittel auch für Ortsumgehungen ausge-
geben werden. Glaubwürdig ist das nicht gerade.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: So weit würde ich nicht gehen! Ich nehme kein Wort zurück! – Zuruf von der SPD: Das ist ein starkes Stück Deutschland!)


Wir sind sehr selbstbewusst, was das Wahljahr 2002
betrifft. Wir meinen, mit unserer Verkehrspolitik stehen
wir gut da – heute und auch im Jahr der Wahl.


(Beifall bei der SPD)

Spatenstichpolitik wird es mit uns nicht mehr geben.
Klare Aussagen sind angesagt. Sie haben sie gefordert.
Wir haben sie heute und damit auch im Verkehrsbericht
gegeben. Wir sind mit der Zusage angetreten, eine effizi-
ente und umweltverträgliche Verkehrspolitik zu ge-
stalten. Daran haben wir in den letzten zwei Jahren hart
gearbeitet und werden das auch weiter tun. Wir werden
unsere Zusage einhalten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir wollen ein integriertes Verkehrskonzept gestalten.

Wir müssen zum einen flächendeckend und umweltver-
träglich die Mobilität aller Menschen gewährleisten und
zum anderen den Wirtschaftsstandort Deutschland im
internationalen Wettbewerb behaupten. Dies ist auch ein-
deutig Auftrag des Verkehrsberichtes.

In einem integrierten Verkehrssystem haben – diese
Aussage erwarten Sie ja nun von mir – die Binnen-, die
Küsten- und die Seeschifffahrt erhebliche Kapazitätspoten-
ziale. Ich hätte wie bei der Aufstockung des Güterverkehrs
bei der Bahn gerne auch für diese Bereiche ein entspre-
chendes Ziel. Die Transportleistung der Binnenschifffahrt
braucht sich aber nicht zu verstecken.


(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Sie ist fast gleich hoch mit dem Güterverkehrsaufkom-
men bei der Bahn heute. Wenn wir beides steigern kön-
nen, dann wäre das, so denke ich, im Sinne einer Ver-
kehrspolitik, die auch der Umwelt gerecht wird.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Binnenschifffahrt ist trotz oftmals gegenteilig
geäußerter Ansichten ein attraktiver und innovativer Wirt-
schaftszweig. Sie ist ein leistungsstarker und flexibler
Handelspartner mit nahezu unbegrenzten Möglichkeiten
für die unterschiedlichsten Transportaufgaben. Ein einzi-
ger Schubverband kann 650 LKWs ersetzen. Die Binnen-
schifffahrt ist sicherlich nicht so effizient, was die Fahr-
zeit betrifft; aber Lieferung just in time kann sie genauso,
vielleicht noch besser als andere, gewährleisten.

Bei den Verkehrsinvestitionen in den kommenden Jah-
ren werden die Mittel aufgestockt. Aber natürlich kann
man immer sagen: Das reicht nicht aus. Die Zeichen sind
aber eindeutig: Von den einzelnen Programmen profitiert
auch die Binnenschifffahrt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)





Eduard Oswald

13957


(C)



(D)



(A)



(B)


Um das Potenzial voll ausschöpfen zu können, gilt es,
auch die Häfen als Schnittstellen in den Transportketten
zu optimieren. Sie ermöglichen erst die von uns ange-
strebte effiziente Verknüpfung der Verkehrsträger. Sie
sind bedeutende Umschlagplätze des kombinierten Ver-
kehrs und bieten attraktive Möglichkeiten zur stärkeren
Verlagerung des Güterverkehrs auf umweltfreundliche
Verkehrsträger.

Wir haben die Förderung des kombinierten Verkehrs
daher als ein bedeutendes Ziel der Verkehrspolitik defi-
niert. Wir holen ihn aus dem Zustand des Eingeschlafen-
seins bei der alten Regierung heraus und wecken ihn auf.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Drei Anhörungen haben dazu geführt, dass die SPD-Frak-
tion ein Eckpunktepapier zur Weiterentwicklung des
kombinierten Verkehrs vorgelegt hat. Sie haben ihn schon
abgeschrieben; wir werden ihn aufwerten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das können Sie auch am Haushalt sehen. Wir haben die

Mittel beim KV für Dritte auf 120 Millionen DM erhöht.
Dies kommt einer sinnvollen Verkehrspolitik zugute. Wir
stehen dazu, dass der kombinierte Verkehr bei dieser Re-
gierung eine neue Wertigkeit erhalten muss.


(Beifall bei der SPD – Zurufe des Abg. Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.] Die leer stehenden Terminals sind für jeden Verkehrspolitiker ein Ärgernis; das ist vollkommen klar. Die Verantwortung dafür dürfte diese Bundesregierung allerdings nicht haben, Herr Friedrich. Wir müssen allerdings bei der KV-Förderung die För derrichtlinien überarbeiten; wir sind dabei, und das nicht mal eben vom grünen Tisch, sondern unter Einbeziehung der Praktiker. Es gilt vor allen Dingen, den Bau und den Einsatz innovativer Umschlagtechnologien zu unterstützen. Die Umschlagsterminals gehören als Schnittstellen zwischen den Verkehrsträgern zu den systembedingten Hemmnissen im KV. Hier gilt es anzusetzen. Das werden wir tun. Die Forschung gibt uns gute Möglichkeiten, dafür effektiv Gelder einzusetzen. Der Seeverkehr ist für Deutschland als Exportland – nicht nur für die Küste, sondern für das ganze Land – ein sehr wichtiger Baustein unserer Verkehrspolitik. Der Bund hat mit den Küstenländern 1999 die gemeinsame Plattform zur deutschen Seehafenpolitik verabschiedet. Das ist ein sehr wichtiger Schritt; denn wir müssen gemeinsam versuchen, uns auch innerhalb der EU zu behaupten. Wenn wir von Wettbewerbsfähigkeit sprechen, müssen wir auch dafür Sorge tragen, dass unsere Häfen, unsere Werften, unsere Schifffahrt EU-, aber auch weltweit wettbewerbsfähig gemacht werden. Hier gibt es weiterhin große Probleme und große Schwierigkeiten. Die Konferenz „Maritime Wirtschaft“ hat ein Zeichen gesetzt und gesagt, wo es langgehen soll und muss. Für die Küste war dies ein sehr wichtiges Zeichen. Wir sind dabei, die Vorschläge kontinuierlich umzusetzen. Das heißt für uns, dass wir im Bereich der Lohnund Lohnnebenkosten weiteren Handlungsbedarf sehen. Ich schließe da neben der Seeschifffahrt auch die Küstenund die Binnenschifffahrt ein. Ich hätte sie gerne in die Überprüfung mit einbezogen. Wir wissen, dass unsere Schlepperreedereien in Deutschland im Moment große Probleme haben, und zwar nicht nur mit den Niederländern, sondern besonders auch mit den Dänen. Die Dänen subventionieren 100 Prozent der sozialen Lasten. Da verlieren unsere Schlepper eindeutig jede Ausschreibung. Das zu thematisieren, meine ich, ist auch Sache des Parlaments. Darum gehe ich das hier ganz klar und deutlich an. (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Dann müssen Sie in Brüssel dafür sorgen, dass die Subventionen nicht genehmigt werden! So ist die Welt!)


(Beifall bei der SPD)


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des Hafen-
standortes Deutschland schließt ein, dass wir einen Tief-
wasserhafen benötigen. Welche Entscheidung das Land
Niedersachsen gemeinsam mit Bremen und Hamburg hin-
sichtlich der Standortfrage auch treffen wird – der Bund
steht dazu, dann für die notwendigen Hinterlandanbin-
dungen zu sorgen und das Planfeststellungsverfahren zu
übernehmen. Das ist eine historische Chance für die
Küste. Ich bin zuversichtlich, dass der Bund die Ent-
scheidung konstruktiv begleiten wird.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ein weiteres klares Zeichen für den maritimen Bereich
ist die Einsetzung des maritimen Koordinators. Hier gibt
es zum ersten Mal eine Bündelung der maritimen Interes-
sen. Wir gehen davon aus, dass wir dadurch noch einmal
werden deutlich machen können, dass Seehafenpolitik
nicht alleine eine Politik der Küste ist, sondern genauso
für Bayern und Baden-Württemberg Vorteile bringt. Da
werden nämlich sehr viele Produkte hergestellt, die auf
den Schiffen dann eingebaut werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Zum Bereich der Sicherheit wurde, was die Straße be-
trifft, einiges gesagt. Lassen Sie mich an dieser Stelle
noch einmal deutlich sagen, dass sehr zielgerichtet gear-
beitet wird, um ein Sicherheits- und Notfallkonzept für
Nord- und Ostsee neu zu erstellen. Dabei steht die Ver-
meidung von Schiffsunfällen natürlich an erster Stelle.
Wir haben nicht abgewartet, bis die eingesetzte Experten-
kommission Vorschläge gemacht hat. Vielmehr hat die
Bundesregierung schon im Vorfeld gehandelt. Es ist rich-
tig, dass hier national, bilateral, aber auch international
Handlungsbedarf besteht. In allen drei Bereichen sind wir
tätig. Wir wissen, dass in diesem Jahr noch einige Ent-
scheidungen anstehen. Ich nenne die Frage der Schlepper-
kapazitäten und das Seeunfalluntersuchungsgesetz.




Annette Faße
13958


(C)



(D)



(A)



(B)


Meine Damen und Herren, auch in diesem Bereich ha-
ben wir einiges abgearbeitet, was Sie nicht geleistet ha-
ben. Das betrifft die Haftungsfragen und auch das Ber-
gungsübereinkommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414303500
Frau Kollegin Faße,
auch Sie müssen bitte zum Schluss kommen.


Annette Faße (SPD):
Rede ID: ID1414303600
Ich habe es gesehen, Frau Prä-
sidentin. – Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir
treten für eine Verkehrspolitik ein, die alle Verkehrsträger
verbindet. Dabei wird auch der Verkehr auf den Wasser-
straßen weiterhin einen Schwerpunkt bilden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414303700
Der nächste Redner ist
der Kollege Dirk Fischer für die CDU/CSU-Fraktion.


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1414303800
Frau Präsiden-
tin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit der Ankün-
digung des Verkehrsberichtes 2000 hatte der Verkehrsmi-
nister Erwartungen geweckt. Diese sind nun der Realität
gewichen und es ist Ernüchterung eingetreten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Bericht wird als Konzept für eine mobile Zukunft ver-
kauft. In dem Bericht ist jedoch das Gute nicht neu und
das Neue nicht gut.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn sich hier Kolleginnen und Kollegen aus der Regie-
rungskoalition wortreich bemühen, dies als einen verkehrs-
politischen Durchbruch zu verkaufen, ist dem entgegenzu-
halten, dass dieser Bericht wahrlich kein Durchbruch
innerhalb der deutschen Verkehrspolitik ist.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das Wort hat keiner benutzt! „Durchbruch“ ist aus der Medizin! Beim Blinddarm! Das hat mit der Verkehrspolitik überhaupt nichts zu tun! Höchstens im Tunnelbau!)


So wird völlig verkannt, dass leistungsfähige Verkehrs-
wege erforderlich sind, damit auch künftige Verkehrs-
zuwächse reibungslos, sicher und umweltschonend be-
wältigt werden können.

Ich stimme dem Kollegen Weis ausdrücklich darin zu,
dass es richtig ist, ganz vorrangig auf die Nutzung der
technologischen Potenziale zu setzen und sie auszu-
schöpfen. Darin liegt meines Erachtens eine realistischere
und größere Chance, zeitnah zu Lösungen zu kommen, als
in martialischem Dirigismus in Form von Anordnungen
des Staates, Verboten und anderen Dingen mehr, die sich
nach meiner Auffassung in einem europäischen Binnen-
markt überhaupt nicht durchsetzen lassen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Meine Damen und Herren, es ist ganz unstreitig, dass die
Qualität unseres Verkehrssystems auch im 21. Jahrhundert
ein maßgeblicher Faktor für Wohlstand und wirtschaftli-
ches Wachstum ist. Die Verkehrspolitik der CDU/CSU-
Bundestagsfraktion ist auf Produktivitätssteigerung und
Optimierung des Zusammenwirkens aller Verkehrsträ-
ger unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen spezifischen
Stärken ausgerichtet. Wir haben Konzepte erarbeitet; sie
liegen auf dem Tisch. Darin beziehen wir Position zur In-
frastruktur, zur Fortführung der Bahnreform, zum Güter-
kraftverkehr, zur Binnenschifffahrt, zum Omnibusverkehr
und sagen den Menschen klar, was wir wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der mutige und mit klaren Empfehlungen versehene

Schlussbericht der Pällmann-Kommission ist wahrlich
richtungsweisend: Umstellung der Finanzierung auf Nut-
zerfinanzierung, Anwendung des Verursacherprinzips,
Ausgliederung der Bundesverkehrswege aus der Bundes-
verwaltung und deren Organisationsprivatisierung sowie
Erweiterung der Möglichkeiten der Privatfinanzierung.
Die Bundesregierung muss da jetzt herangehen, schnellst-
möglich auf der Basis dieses Berichtes ein Konzept für die
Verkehrsinfrastrukturinvestitionen erarbeiten und dem
Parlament zur Beratung vorlegen. Wir warten darauf, dass
das von Ihnen zügig in Angriff genommen wird.

Der Kollege Horst Friedrich hat schon gesagt, dass
nicht zugelassen werden darf, dass diese Regierung die
Kommissionsergebnisse nur als Argumentationshilfe für
die Festsetzung der Höhe der elektronischen LKW-Maut-
gebühr missbraucht und sie im Übrigen vollständig igno-
riert. Diesen Missbrauch werden und dürfen wir nicht zu-
lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das gilt auch für einen weiteren Punkt, den der Kollege

Horst Friedrich herausgestellt hat und auf den ich noch in-
tensiver eingehe. Die Pällmann-Kommission hat zu Recht
gefordert, dass die Einführung von Benutzergebühren
durch Entlastungen bei den Verbrauchssteuern kompen-
siert werden muss. Dieser Punkt ist entscheidend und er ist
für uns so wichtig, dass wir darauf achten werden, dass das
auch geschieht. Nur so kann eine Harmonisierung der
Wettbewerbsbedingungen der Verkehrsträger unterein-
ander und vor allem gegenüber der europäischen Konkur-
renz – das ist besonders wichtig – gewährleistet werden.
Wir werden jedenfalls nicht länger zuschauen, wie Sie
darangehen, unser Gewerbe gerade gegenüber den euro-
päischen Wettbewerbern immer weiter zurückzuwerfen
und damit Arbeitsplätze und Unternehmensexistenzen in
unserem Lande zu vernichten. Dies ist auch im Zusam-
menhang mit der Diskussion über die Ökosteuer immer
wieder zu Recht angesprochen worden. Das ist ein weite-
rer Punkt, bei dem aufgepasst werden muss, dass nicht
deutsche Verkehrspolitik Arbeitsplätze und Unternehmen
in Holland, Frankreich und Italien erzeugt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, wir müssen heute in den

Unterhalt sowie die Erneuerung und den Neubau unserer
Verkehrsinfrastruktur investieren, damit Schwachstellen
und Engpässe auf unseren Verkehrswegen den steigenden




Annette Faße

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(C)



(D)



(A)



(B)


Mobilitätsansprüchen von Gesellschaft und Wirt-
schaft in Deutschland und auch – dies sage ich ausdrück-
lich – in Europa nicht entgegenstehen. Wir haben als die
große europäische Verkehrsdrehscheibe eine Verantwor-
tung für die Mobilität in ganz Europa. Diese Dienstleis-
tungsfunktion hat unser Land für Europa zu bewältigen.
Hier müssen wir uns einbringen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir brauchen weiterhin eine objektive volkswirt-

schaftliche Bedarfsermittlung und nicht durch Finanzvor-
gaben oder politisches Credo nach unten manipulierte
Bundesverkehrswegepläne. Sie haben selbst gesagt, dass
die Länder neue Projekte in erheblichem Umfang ange-
meldet haben.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Bayern 25 Milliarden DM! Ein Wunschzettel!)


Die Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplans
ist dringend nötig. Nach bald zehn Jahren ist eine Aktua-
lisierung volkswirtschaftlicher Daten und Verkehrszahlen
sowie insbesondere die Berücksichtigung der in der
Zwischenzeit eingetretenen Effekte der deutschen Einheit
und der europäischen Grenzöffnung zu berücksichtigen
und in den Plan einzubauen. Die Länder brauchen Klar-
heit für ihre Projekte im Bundesfernstraßenbau. Die Bahn
braucht eine sichere Planungsperspektive für einen länge-
ren Zeitraum, nicht nur, Herr Schmidt, für drei Jahre. In
Wahrheit braucht sie zehn bis 15 Jahre, um den jeweiligen
Planungsvorlauf herstellen zu können.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Warum habt ihr dann immer gekürzt? Eure Kürzungen haben doch zum Kapazitätsabbau geführt! Das war doch eure Schuld! – Zuruf von der SPD: Hätten wir „2008“ gesagt, dann hätten Sie gesagt: Übernächste Legislaturperiode!)


Denn es ist doch wirklich dramatisch, dass von Ihnen
mehr Geld für Schieneninvestitionen verlangt wird, und
die Bahn liefert im Jahre 2000 nicht verbrauchte 1,2 Mil-
liarden DM ab, die sie nicht in das Netz hat investieren
können, und dies, weil der Planungsvorlauf nicht aus-
reichte, um das Geld zu verbauen. Ich finde es traurig,
dass sich die Bundesregierung gestern im Verkehrsaus-
schuss entweder geweigert hat, darüber Auskunft zu ge-
ben, oder aber die Staatssekretärin über diesen Vorgang
nicht informiert war. Oder Sie wollen etwas vertuschen
und hinterher aus Investitionskapital Geld machen, mit
dem die Bilanz der Bahn kosmetisch überarbeitet werden
kann, damit ein in Wahrheit eingetretener betrieblicher
Verlust vertuscht werden kann.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja unglaublich!)


Das läuft im Moment ab! Der Haushaltsausschuss muss
sich dringend mit dieser Angelegenheit befassen, damit
die volle Wahrheit ans Licht kommt.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Es ist nur noch peinlich, was Sie sagen!)


Wie in den 90er-Jahren kann die Bahn wiederum Investi-
tionskapital nicht verbauen, das der Bund bereitgestellt
hat. Das ist die volle Wahrheit in diesem Lande.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Der Aspekt der Vernetzung der Verkehrsträger, der

schon im Bundesverkehrswegeplan 1992 enthalten war,
muss weiterentwickelt werden. Die Koalitionsverein-
barung verspricht eine Überarbeitung des Planes in dieser
Legislaturperiode. Ich teile die Zweifel, die der Kollege
Oswald und auch der Kollege Horst Friedrich angespro-
chen haben, und frage mich, ob dies überhaupt noch ge-
wollt ist. Denn der damalige Parlamentarische Staatsse-
kretär Bodewig hat mir auf meine Anfrage im Oktober
2000 gesagt, dass derzeit eine zuverlässige Festlegung auf
den Termin für den Abschluss der Überarbeitung des Pla-
nes erschwert sei. Selbst wenn es zu Verzögerungen ge-
genüber dem ursprünglich eingeplanten Zeitablauf von
drei Jahren kommen sollte, würde dies keine Aus-
wirkungen auf die unabdingbar notwendige Kontinuität
des Planungs- und Investitionsgeschehens haben. – Nach-
tigall, ich hör dir trapsen: Immer davon reden, nie daran
denken.

Ich sage Ihnen voraus: Bis Ende der Legislaturperiode
werden wir keinen neuen Plan durchberaten haben, wer-
den wir keine Ausbaugesetze im Deutschen Bundestag
beraten und beschlossen haben. Dann haben wir uns eine
Legislaturperiode mit schönen Ankündigungen aufgehal-
ten und in der Sache ist überhaupt nichts passiert.

Für ein marktwirtschaftlich orientiertes integriertes
Gesamtverkehrssystem ist eine Veränderung der Schie-
nenverkehrspolitik unumgänglich. Die Bahnreform ist
in einer besonders kritischen Phase. Die DBAG befürch-
tet mittelfristig hohe Milliardenverluste. Das Ziel der Ka-
pitalmarktfähigkeit ist bedroht.

Die Expertenanhörung hat deutlich gemacht, dass wir
dringend mehr Wettbewerb im System Schiene brauchen.
Die umgehende Trennung von Netz und Betrieb ist für ei-
nen diskriminierungsfreien Zugang unabdingbar. Die
Schienenverkehrspolitik muss konsequent trennen zwi-
schen dem System Schiene und den Schienenverkehrs-
unternehmen,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

also der DBAG und anderen nicht bundeseigenen Eisen-
bahnen sowie europäischen Eisenbahnunternehmen. Wir
fordern die Bundesregierung auf, umgehend ein schlüssi-
ges Gesamtkonzept für den Schienenverkehr in Deutsch-
land vorzulegen.

Herr Bundesminister Bodewig, wir müssen endlich ge-
meinsam mehr Schienenverkehrspolitik und weniger aus-
schließlich Unternehmenspolitik für die DB AG machen.
Ihre Ankündigung heute Morgen war für mich hoffnungs-
voll, dass wir uns in dieser Richtung gemeinsam engagie-
ren werden.

Vom Vorstand der DB AG hingegen erwarten wir ein
aktualisiertes Konzept zur Sanierung des Unternehmens.
Beim Schienengüterverkehr soll das Aufkommen bis
2010 verdoppelt werden. Mit der vorhandenen Infrastruk-




Dirk Fischer (Hamburg)

13960


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(D)



(A)



(B)


tur, mit den derzeitigen Finanzmitteln und unter den aktu-
ellen Rahmenbedingungen sowie mit nur dieser DB AG
wird das Vorhaben scheitern.

Es muss auch einen Wettbewerb im Kerngeschäft ge-
ben, den Mehdorn in Wahrheit verhindern will, indem der
Wettbewerb im Sinne der DBAG gesteuert werden soll.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Das ist der Punkt!)


Das bedeutet: Was Mehdorn ökonomisch gesehen sozu-
sagen in den Mülleimer wirft, das sollen sich andere Un-
ternehmen herausholen und zeigen, dass sie es besser kön-
nen als die DB AG. Im Regionalverkehr haben private
Unternehmen schon nachgewiesen, dass sie dazu in der
Lage sind. Diese Art von Wettbewerb à la Mehdorn bringt
uns im System Schiene unter gar keinen Umständen
voran.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Minister, da Sie sich heute gegen die Trennung

von Netz und Betrieb ausgesprochen haben – ich habe Sie
jedenfalls so verstanden –, muss ich Ihnen sagen, dass Ihr
Misserfolg vorhersehbar ist. Der Kollege Schmidt sagte
vorhin allerdings, dass Sie doch die Trennung wollen,


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das habe ich nicht gesagt!)


nur nicht so schnell. Stellen Sie also bitte klar, ob wir oder
der Kollege Schmidt Sie richtig verstanden haben. Dann
wissen wir nämlich, wie die parlamentarischen Fronten
verlaufen.

Die Pällmann-Kommission stellt ernüchternd fest, dass
die Schiene bereits dann an ihre Kapazitätsgrenze stoße,
wenn auch nur der mittlere Zuwachs des Straßengüterver-
kehrs eines Jahres auf sie verlagert werde. Personennah-
verkehr, Personenfernverkehr und Güterverkehr müssen
zur effektiveren Nutzung des vorhandenen Netzes ent-
mischt werden. Das heißt aber in Wahrheit, dass sie ihre
eigenen Netze erhalten. Dadurch wird ein Investitionsbe-
darf ausgelöst.

Rot-Grün muss endlich den Verkehrsträger Straße ideo-
logiefrei akzeptieren. Die Verkehrsträger Schiene und
Wasserstraße müssen dort gestärkt werden, wo sie den
größtmöglichen Nutzen für unser Gesamtverkehrssystem
stiften können. Die Pällmann-Kommission bringt deutlich
zum Ausdruck, dass „ideologische Eingriffe des Staates in
den Wettbewerb mit Mitteln der Verkehrsinfrastruktur-
finanzierung abzulehnen sind und stattdessen ... die
Verbesserung ihrer Wettbewerbslage aus eigener Kraft“
gefördert werden muss.

Zur Stärkung der Binnenschifffahrt brauchen wir in-
vestive Mittel, um vor allen Dingen den schlechten Un-
terhaltungszustand des deutschen Kanalsystems zu besei-
tigen.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Binnenhäfen sind wichtige Verkehrsknoten, die fortent-
wickelt werden müssen,


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sehr gut!)


damit die Binnenschifffahrt zu einem integralen Bestand-
teil moderner Transportketten werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Untersuchungen haben gezeigt – in diesem Punkt sind
wir uns einig; ich begrüße in diesem Zusammenhang das
persönliche Engagement der Kollegin Blank und glei-
chermaßen der Kollegin Faße –, dass in der Tat 30 Prozent
der in Deutschland beförderten Güter nicht eilig transpor-
tiert werden müssen und damit auf die Binnenschifffahrt
verlagerbar sind. Entsprechende Maßnahmen müssen ge-
fördert werden.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: So ist es !)

Der Markt der Verlader muss diese Tatsache aber auch ak-
zeptieren. Nicht der Staat, sondern der Kunde entscheidet
über die Verladung.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: So ist es !)

Wir müssen deshalb die Kunden ansprechen.

Ein Flughafenkonzept ist längst überfällig. Bisherige
Entwürfe waren eine große Enttäuschung und wurden von
den Ländern, den Flughäfen und den Luftfahrtgesellschaf-
ten massiv kritisiert. Trotz enormer Wachstumserwartun-
gen im Luftverkehr – Verdoppelung des globalen Luftver-
kehrs innerhalb der nächsten zehn Jahre und Steigerung
des weltweiten Passagieraufkommens auf über 3 Milliar-
den Passagiere ab 2010 – wollten Sie uns nur einen ideo-
logisch verblendeten und luftverkehrsfeindlichen umwelt-
politischen Maßnahmenkatalog liefern. Es gab keine
klaren Aussagen zur Verbesserung der Wettbewerbsfä-
higkeit deutscher Flughäfen; Ankündigung konkreter
Maßnahmen zum Kapazitätsausbau – Fehlanzeige; kein
Wort von der Einbeziehung des Luftverkehrs in den Bun-
desverkehrswegeplan. Präzise formuliert wurde nur zulas-
ten des Luftverkehrs: bei Kerosinbesteuerung und Emissi-
onsabgaben.

Wir brauchen aber eine Zukunftsperspektive für den be-
darfsgerechten Ausbau der Infrastruktur. Wir brauchen
Forderungen für einen sicheren und umweltverträglichen
Luftverkehr, die ausgewogen gestaltet sind. Wir brauchen
vereinheitlichte und gestraffte Genehmigungsverfahren,
um den Flughafenbetreibern Planungssicherheit zu geben.
Wir brauchen die weitere Privatisierung des deutschen
Flughafensystems. Das wird zur Effizienzsteigerung
beitragen. Der Wettbewerb wird neben der Kapazitäts-
erweiterung die sinnvolle Kooperation der Flughäfen un-
tereinander fördern,


(Beifall des Abg. Eduard Oswald [CDU/CSU])

die Vernetzung des Luftverkehrs mit anderen Verkehrs-
trägern vorantreiben und das Leistungsvermögen der
deutschen Flughäfen steigern.

Wir haben die Bundesregierung in unserem Entschlie-
ßungsantrag aufgefordert, in der deutschen Verkehrspoli-
tik Klarheit und Wahrheit herzustellen. Stimmen Sie un-
serem Antrag zu und schaffen Sie Klarheit in folgenden
Punkten: Wenn der Bundesverkehrswegeplan in dieser
Legislaturperiode noch fortgeschrieben werden soll, muss




Dirk Fischer (Hamburg)


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er bald kommen. Wir brauchen bei etwa 7 500 Projekten
hinreichend Beratungszeit.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414303900
Herr Kollege Fischer,
das klang schon wie der Schlusssatz. Ihre Redezeit ist zu
Ende.


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1414304000
Ich bin sofort
fertig, Frau Präsidentin. – Ergreifen Sie Gesetzesinitiati-
ven für die mittlerweile abgelaufenen Bedarfspläne bei
Straße und Schiene und schaffen Sie ein neues Gesetz für
die Bundeswasserstraßen. Schaffen Sie ein abgestimmtes
Planungskonzept für Unterhalt, Erneuerung und Neubau
der Verkehrsinfrastruktur und legen Sie es vor. Das sind
die drei Elemente unseres Antrages. Stimmen Sie zu.
Dann haben wir Klarheit und ziehen am gleichen Strang.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414304100
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich jetzt dem Kollegen Reinhard Weis das
Wort.


Reinhard Weis (SPD):
Rede ID: ID1414304200
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte eine Be-
merkung, die Herr Fischer in seiner Rede gemacht hat, ein
bisschen geraderücken. Er hat einen Vorgang geschildert,
den wir gestern im Ausschuss diskutiert haben. Dabei hat
er hier den Eindruck erweckt, als hätte die Staatssekretä-
rin Mertens eine Frage nicht beantworten wollen, um ei-
nen Vorgang zu vertuschen.

Herr Fischer fragte im Ausschuss, ob es zutreffend sei,
dass die BahnAG Investitionsmittel, die nicht ausgegeben
wurden, zur Schuldentilgung eingesetzt habe. Die Ant-
wort der Staatssekretärin darauf war, dass sie zu dieser
Frage, die, weil sie nicht unmittelbar mit dem Thema der
Ausschusssitzung zusammenhing, nicht vorhersehbar
war, die konkreten Zahlen nicht parat habe und die Frage
deshalb schriftlich beantworten werde. Ich glaube, dass
Herr Fischer vor diesem Hintergrund, dass die Frage
schriftlich und damit nachprüfbar beantwortet werden
soll, hier nicht den Eindruck erwecken kann, als würde die
Staatssekretärin ausweichen und vertuschen wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414304300
Zur Erwiderung Herr
Kollege Fischer, bitte.


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1414304400
Der Kollege
Weis hat den Sachverhalt zutreffend dargestellt. Ich ziehe
nur andere Schlussfolgerungen. Denn es ist so, dass die-
ser Sachverhalt in Deutschland allseits bekannt ist. Mich
würde sehr wundern, wenn er im Verkehrsministerium zu-
letzt bekannt würde. Das kann nur gespielte Ahnungslo-
sigkeit gegenüber dem Parlament sein, und so kann man
mit dem Parlament nicht umgehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn, Herr Kollege Weis, gesagt wird, dieses Geld
habe man zur vorfristigen Tilgung der Vorausfinanzierung
des Konzessionsmodells der Neubaustrecke Nürnberg–In-
golstadt–München verwandt, und auf meine Frage, ob
diese Rückforderungen fällig gewesen seien, geantwortet
wird, ein Teil sei fällig gewesen, ein anderer Teil sei vor-
fristig getilgt worden, dann bedeutet das doch nichts ande-
res, als dass Investitionskapital für die Schiene jetzt cash
an die DB AG gegeben wird. Das heißt, ein Bilanzverlust
in 2000, der in Wahrheit 1,2 Milliarden DM betragen
würde, ist nun plötzlich verschwunden, weil die DB AG
diese Cashzahlung einsetzen kann.

Wenn ich nach präzisen Zahlen frage und die Kollegin
Staatssekretärin Mertens mir sagt, sie kenne sie nicht und
würde sie schriftlich nachliefern, dann finde ich das ganz
reizend. Ich wage aber nicht, mir vorzustellen, dass der
neben ihr sitzende im Ministerium für das Eisenbahnwe-
sen zuständige Abteilungsleiter diesen Sachverhalt und
die Zahlen nicht kennt, die sein ganzes Haus kennt.

Das habe ich heute Morgen in meiner Rede kritisiert.
Wir wünschen als Parlament, so schnell und so umfassend
wie möglich über Sachverhalte informiert zu werden. Ich
finde es unerträglich, dass wir in der Regel über Verbände
und über die Presse informiert werden, während die Bür-
ger draußen denken, die Abgeordneten säßen an der Quelle
der Informationen und seien besonders gut informiert.
Deswegen bitte ich Sie, mit dafür zu sorgen – da haben Sie
eine ganz wichtige Schlüsselfunktion –, die Information
des Parlaments und des Fachausschusses so zu gestalten,
dass wir solche Kontroversen wie heute Morgen nicht
mehr nötig haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Ja! Ja!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414304500
Die letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Iris Gleicke für die SPD-
Fraktion.


Iris Gleicke (SPD):
Rede ID: ID1414304600
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Mit dem Verkehrsbericht 2000 hat die
SPD-geführte Bundesregierung die Zwischenbilanz einer
überaus erfolgreichen Politik gezogen. Wir sind nach dem
Regierungswechsel mit dem Anspruch aufgetreten, auch
in der Verkehrspolitik die überfällige Wende einzuleiten
und zu vollziehen. Unsere Verkehrspolitik setzt auf ver-
lässliche, gesicherte Infrastrukturinvestitionen in einem
ökonomisch und ökologisch vernünftigen Rahmen.


(Beifall bei der SPD)

Man kann gar nicht oft genug daran erinnern, welche

Ausgangssituation wir 1998 bei der Regierungsüber-
nahme vorgefunden haben: völlig zerrüttete Staatsfinan-
zen, einen riesigen Schuldenberg und einen hoffnungslos
unterfinanzierten Bundesverkehrswegeplan.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Verelendungstheorie!)


Auch in dieser Debatte muss man wieder den Eindruck
gewinnen, dass Sie Ihre wohlverdiente Niederlage bei der
letzten Bundestagswahl immer noch als eine Art Betriebs-




Dirk Fischer (Hamburg)

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(B)


unfall betrachten. Die Kolleginnen und Kollegen von der
rechten Seite des Hauses haben aus dieser Niederlage so
gut wie nichts gelernt. Sie tun immer noch so, als hätten
sie alles richtig gemacht und als hätten die Bürgerinnen
und Bürger draußen das bloß nicht verstanden.

Ganz in diesem Sinne hat Herr Fischer vor einiger Zeit
die Rückkehr zur „verlässlichen Verkehrspolitik“ der uni-
onsgeführten Vorgängerregierung gefordert. Das muss
man sich wirklich einmal auf der Zunge zergehen lassen.
Ich nenne Ihnen einmal ein Beispiel dafür, was Sie unter
verlässlicher Verkehrspolitik verstehen. 1994 haben wir
– Frau Rehbock-Zureich hat es schon gesagt – im Bun-
destag gemeinsam die Bahnreform beschlossen.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Gemeinsam!)

Damit sollte eine Trendwende zugunsten der Schiene ein-
geleitet werden. Darüber waren wir uns alle damals einig.
Wir wussten auch, dass das Geld kostet, viel Geld. Des-
halb wurden der Bahn im Zuge der Bahnreform Investiti-
onsmittel in Höhe von ungefähr 10 Milliarden DM jähr-
lich zugesagt. 1995 erhielt die Bahn vom Bund immerhin
noch Investitionsmittel in Höhe von 9,2 Milliarden DM.
1996 waren es noch 7,2 Milliarden DM, 1997 nur noch
6,7 Milliarden DM.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: 1994 haben Sie vergessen, Frau Kollegin!)


Im Wahljahr 1998 waren es noch lächerliche 5,7 Milliar-
den DM.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Fangen Sie doch einmal mit 1994 an!)


So sieht verlässliche Verkehrspolitik à la CDU/CSU aus.
Sie haben die Bahn vor die Wand gefahren!


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Fangen Sie doch einmal mit 1994 an! 2,4 Milliarden DM hat sie damals zurückgegeben, weil sie nicht konnte! – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Die Tendenz ist auch ohne 1994 richtig dargestellt!)


Ich will die Kolleginnen und Kollegen einmal daran er-
innern, dass Ihr damaliger Finanzminister der Bahn diese
notwendigen Investitionsmittel deshalb verweigert hat,
weil er gegenüber den europäischen Partnern den Nach-
weis geringerer Staatsverschuldung erbringen und die
Maastricht-Kriterien erfüllen musste. Sie haben damit die
Bahn verraten und verkauft. Ihre Debattenbeiträge heute
gehen fröhlich nach dem Motto: Haltet den Dieb, er hat
mein Messer im Rücken!


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie haben die Bahn als eine Art Sparschwein betrach-
tet und es systematisch geschlachtet. Genau deshalb
steckt die Bahn jetzt in der Krise. Genau deshalb ist das
Schienennetz zum Teil total marode.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Ich breche gleich in Tränen aus!)


Das führt dann zwangsläufig zu Verspätungen und dazu,
dass die Bahn längst nicht so attraktiv ist, wie sie es sein
könnte.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Mir kommen die Tränen!)


Wie soll denn der Kunde König sein bei einem Unterneh-
men, das von Ihnen systematisch an den Bettelstab ge-
bracht worden ist?


(Widerspruch des Abg. Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.])


Erst seit 1999, seit der rot-grünen Regierungsüber-
nahme, fließen wieder erhöhte Investitionsmittel. Schon
in diesem Jahr liegen die Investitionen wieder bei 8,7Mil-
liarden DM. Wir machen nämlich beides: Wir konsolidie-
ren den Staatshaushalt und nutzen konsequent alle Spiel-
räume, um dem Unternehmen Bahn zu helfen. Wir stehen
zur Bahnreform, und wir werden sie erfolgreich zu Ende
führen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Das sieht man!)


Dabei muss natürlich eines klar sein: Die Deutsche
Bahn AG kann sich nicht darauf beschränken, immer nur
mehr Geld zu fordern.


(Horst Friedrich [Bayreuth]) [F.D.P.]: Ja!)

Wir erwarten, dass sie sich an den Bedürfnissen ihrer
Kunden orientiert.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Aha!)

Wir brauchen nämlich eine kundenorientierte und leis-
tungsfähige Bahn


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Aha!)

und für andere Bewerber den diskriminierungsfreien Zu-
gang zum Netz.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Aha!)

– Da sind wir uns einig.


(Beifall bei der SPD – Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Aha! Siehe da!)


Wir brauchen Chancengleichheit und einen fairen
Wettbewerb auf der Schiene, wenn wir mehr Güter- und
Personenverkehr von der Straße auf die Schiene verlagern
wollen. Und genau das wollen wir.

Deshalb verfolgen wir ein integriertes Verkehrskon-
zept, in dem jeder Verkehrsträger seine Vorteile optimal
ausspielen kann. Alles andere führt nämlich zwangsläufig
dazu, dass die Mobilität auf der Straße irgendwann an sich
selbst erstickt. Das weiß jeder, der schon einmal im Stau
gestanden hat. Das vermiest jedem den Spaß am Autofah-
ren, belastet die Umwelt und ist wirtschaftlicher Irrsinn.
Die Lösung kann nicht darin bestehen, unbegrenzt und
immer mehr Straßen auszubauen und neu zu bauen. Das
ist schlicht nicht zu bezahlen und vielerorts auch räumlich
gar nicht möglich.

Bei den Bundesfernstraßen sieht die Hinterlassen-
schaft der alten Bundesregierung ja nicht besser aus als bei




Iris Gleicke

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der Bahn; auch das wollen wir ganz klar festhalten. Seit
1992 sind die Ausgaben für den Erhalt immer stärker hin-
ter dem zurückgeblieben, was eigentlich notwendig gewe-
sen wäre. 1992 waren es noch rund 50 Millionen DM zu
wenig. Über die Jahre hinweg hat sich dieser Rückstand
auf rund 1 Milliarde DM angehäuft. Auch das ist ein Er-
gebnis der ach so verlässlichen Verkehrspolitik der CDU/
CSU. Deshalb ist es völlig richtig, dass die Bundesregie-
rung im Rahmen ihrer Investitionen einen Schwerpunkt
auf den Bestand gesetzt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es geht darum, Engpässe dort zu beseitigen, wo dies

besonders notwendig ist. Deshalb das Anti-Stau-Pro-
gramm! Es geht darum, neue Straßen dort zu bauen, wo
sie den Bürgerinnen und Bürgern einen optimalen Nutzen
bringen. Deshalb das Ortsumgehungsprogramm! Nicht
alles, was sinnvoll und wünschenswert wäre, kann aller-
dings auch sofort umgesetzt werden. Ich bin davon über-
zeugt, dass die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes
dafür Verständnis haben, und zwar deshalb, weil sie mer-
ken, dass auf die Verkehrspolitik von Rot-Grün wirklich
Verlass ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Früher war es ja so, dass jemand mit dem Hubschrau-
ber angeflogen kam, irgendwo einen Spaten in die Erde
gesteckt hat und dann nichts mehr passiert ist. Das war
Politik nach Wunsch und Wolke.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Überall, wo der Spaten reingesteckt wurde, ist auch gebaut worden!)


In christliberalen Zeiten sind mehr Luftschlösser als
Straßen gebaut worden. Das ist doch nun einmal die
Wahrheit!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Das ist nicht wahr, Frau Gleicke!)


Das haben wir geändert. Wir sind zu einer verlässli-
chen und realistischen Verkehrspolitik zurückgekehrt.
Die Verkehrspolitik benötigt diesen Realismus. Sie
braucht aber auch Fantasie und Kreativität. Wir benötigen
neue Ideen statt alte Hüte. Wir würden uns freuen, wenn
Sie von der Opposition mit uns in diesem Sinne in einen
kreativen Wettbewerb der Ideen treten würden. Das
könnte ja sogar richtig Spaß machen. Aber davon ist lei-
der auch heute nicht viel zu merken gewesen.

Meine Damen und Herren, Verlässlichkeit ist für Ost-
deutschland ganz besonders wichtig. Wir bekennen uns
klar und eindeutig zum Vorrang des Ausbaus der Infra-
struktur im Osten. Denn dort ist der Nachholebedarf nach
wie vor gewaltig.


(Beifall bei der SPD – Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: 90 Milliarden haben wir da verbaut!)


Vieles ist bereits erreicht worden. Aber vieles bleibt noch
zu tun. Eines will ich hier deutlich sagen: Der Ausbau der

Infrastruktur im Osten ist kein gönnerhaft dargereichtes
Geschenk des Westens, für den sich Ostdeutschland artig
bedanken müsste. Er ist eine gesamtdeutsche Aufgabe. Er
ist die Voraussetzung für das Gelingen der deutschen Ein-
heit.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414304700
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zuerst
zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen auf Drucksache 14/3844. Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung, den Straßenbaubericht 1998 auf
Drucksache 14/245 zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
des ganzen Hauses angenommen.

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung die Annahme des Entschließungs-
antrages der Fraktion der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen auf Drucksache 14/2576 zu dem Straßenbaube-
richt 1998. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und
PDS-Fraktion angenommen.

Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem
Antrag der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen
mit dem Titel „Anti-Stau-Programm“; das ist die
Drucksache 14/4009. Der Ausschuss empfiehlt, den An-
trag auf Drucksache 14/3179 anzunehmen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Auch diese Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen von CDU/CSU-, F.D.P.- und PDS-Fraktion an-
genommen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf Drucksa-
che 14/4340. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner
Beschlussempfehlung, den Antrag der Fraktion der PDS
zum flächenhaften Ausbau der Schienenwege im Bereich
Nordbayern, Hessen, Thüringen und Sachsen auf Druck-
sache 14/2525 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Diese Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der
PDS-Fraktion angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/2692 zum Weiterbau des
Verkehrsprojektes Deutsche Einheit Nr. 8; das ist die
Schienenneubaustrecke Nürnberg–Erfurt–Halle/Leip-
zig–Berlin. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Ich muss noch
einmal fragen: Wie war das Abstimmungsverhalten bei
der PDS-Fraktion? – Nichtbeteiligung der PDS-




Iris Gleicke
13964


(C)



(D)



(A)



(B)


Fraktion!1) Diese Beschlussempfehlung ist also gegen die
Stimmen von CDU/CSU- und F.D.P.- bei Nichtbeteili-
gung der PDS-Fraktion angenommen.

Zu diesem Tagesordnungspunkt liegt eine schriftliche
Erklärung zur Abstimmung gemäß § 31 der Geschäfts-
ordnung des Kollegen Wolfgang Dehnel, CDU/CSU-
Fraktion, vor.2)

Unter Nr. 3 empfiehlt der Ausschuss die Annahme des
Antrages der Fraktionen der SPD und des Bündnis-
ses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/2906 zur Verbesse-
rung der Verkehrsinfrastruktur Thüringen/Nordbayern im
Rahmen des Verkehrsprojekts Deutsche Einheit Nr. 8.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Diese Beschlussempfehlung ist
gegen die Stimmen von CDU/CSU-, F.D.P.- und PDS-
Fraktion angenommen.

Unter Nr. 4 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/2914
mit dem Titel „Ja zur Schienenneubaustrecke Nürnberg–
Erfurt–Halle/Leipzig–Berlin“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von
CDU/CSU- und F.D.P.-Fraktion angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 5 seiner
Beschlussempfehlung, den Bericht der Bundesregierung
auf Drucksache 14/2176 zum Ausbau der Schienenwege
1999 zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/4688 (neu), 14/4048 und 14/4543 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offen-
sichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Entschließ-
ungsantrag auf Drucksache 14/5081 zum Verkehrsbe-
richt 2000 zu überweisen: zur federführenden Beratung
an den Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
und zur Mitberatung an den Ausschuss für Wirtschaft und
Technologie, den Ausschuss für Arbeit und Sozialord-
nung, den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reak-
torsicherheit, den Ausschuss für Angelegenheiten der
neuen Länder, den Ausschuss für Tourismus, den Aus-
schuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
sowie an den Haushaltsausschuss. Gibt es dazu anderwei-
tige Vorschläge? – Auch das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 b und 6 c sowie die
Zusatzpunkte 2 bis 4 auf:
6 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias

Weisheit, Brigitte Adler, Ernst Bahr, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der SPD sowie der

Abgeordneten Ulrike Höfken, Steffi Lemke,
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
BSE-Bekämpfung konsequent ausbauen
– Drucksache 14/5085 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (f)

Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kersten
Naumann, Dr. Ruth Fuchs, Rolf Kutzmutz, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Soforthilfsprogramm für durch die BSE-Krise
betroffenen Kommunen und Landwirte ein-
richten
– Drucksache 14/4924 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (f)

Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss

ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
Klares Konzept zur Bekämpfung von BSE not-
wendig
– Drucksache 14/5079 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (f)

Ausschuss für Gesundheit

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich
Heinrich, Gudrun Kopp, Rainer Brüderle, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Verbraucher vor BSE schützen – Landwirten
helfen
– Drucksache 14/5097 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (f)

Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung

ZP 4 Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
Ländlichen Raum gemeinsam mit der Land-
wirtschaft stärken
– Drucksache 14/5080 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eineinviertel Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundes-
ministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft, Renate Künast.




Vizepräsidentin Petra Bläss

13965


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 2
2) Anlage 3

Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-

(vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie von Abgeordneten der SPD mit Beifall begrüßt)

Herren! Diese BSE-Debatte hier im Hause ist sicherlich
eine der Debatten, die in diesen Wochen und Monaten am
aufmerksamsten verfolgt wird. Warum? Die Zahl der
BSE-Fälle in Deutschland steigt ständig; in anderen EU-
Mitgliedstaaten auch. Wir haben mittlerweile 16 durch
Tests bestätigte Fälle. Das werden nicht die letzten sein.
Interne Schätzungen gehen von 200 bis 500 Fällen in die-
sem Jahr aus. Es kann sein, dass dies noch zu niedrig ge-
schätzt ist.

Nicht nur deshalb wird aufmerksam auf uns geblickt.
Ich glaube, die betroffenen Landwirte und die Unterneh-
men, die in den vor- und nachgelagerten Bereichen der
Landwirtschaft tätig sind, sind in großen Schwierigkeiten.
Vor meinem Ministerium gibt es die erste Demonstration
von Menschen, die in Schlachthöfen arbeiten und sich um
ihre Arbeitsplätze Sorgen machen.

Für mich aber ist der zentrale Punkt die große Verunsi-
cherung von 80 Millionen Verbraucherinnen und Ver-
brauchern. Diese wird sicherlich der Grund für eine hohe
Einschaltquote bei dieser Debatte sein.

Die BSE-Krise zwingt uns, eine Menge grundsätzli-
cher Fragen zu diskutieren und Antworten darauf zu fin-
den. Ich will sie benennen. Die erste Frage betrifft die
Ernährungsgewohnheiten in Deutschland. Warum haben
wir eigentlich den Hang, bei der Ernährung immer nur auf
das Geld und das Wort „billig“ und nicht auf Qualität und
Qualitätsstandards zu schauen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wie steht es um die Industrialisierung der Produk-
tionsprozesse in der Lebensmittelherstellung und auch
dort mit den Qualitätsstandards? Auch müssen wir – das
sage ich mit Blick auf das Organisatorische – die Organi-
sation und die Effizienz der Verwaltungsstrukturen über-
denken. Wir haben die EU, wir haben den Bund und wir
haben die Länder. Wir alle hier wissen, dass in den letzten
Monaten dort nicht alles zum Besten und nicht wirklich
effizient gelaufen ist. Darauf werden wir Antworten fin-
den müssen.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Die Frage nach der Qualität stellt sich auch bei der Regierung!)


– Da es meine erste Rede hier ist, nehme ich dies als Vor-
schusslorbeeren, die Sie mir geben. Sehen Sie mir das
nach.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Einverstanden!)


Die andere Frage, die sich stellt, betrifft die Rolle der
Agrarpolitik, die seit Jahren in der Kritik steht. Ich
meine, sie steht zu Recht in der Kritik. Warum? Weil eine
jahrzehntelang verfehlte Agrarpolitik zu genau der BSE-
Krise geführt hat, die wir heute haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wenn die vorige Bundesregierung früher angefangen
hätte, hätten wir heute alle nicht dieses Problem.


(Lachen bei der F.D.P.)

Wenn wir früher gelernt hätten, dass bei Agrarpolitik die
Verbraucher, die die Produkte schließlich kaufen sollen
und wollen, eine stärkere Rolle spielen und


(Walter Hirche [F.D.P.]: Die Ursachen sind unbekannt, aber Sie verurteilen!)


auch hinsichtlich der Auswirkungen auf ihre Gesundheit
stärker aufgeklärt werden müssen, hätten wir heute dieses
Problem nicht.

Aber wir haben nicht nur grundsätzliche Fragen zu
klären. Als Erstes steht jetzt Krisenbewältigung an. Das
ist zumindest das, was mich in den ersten Amtstagen be-
schäftigt hat. Die erste logische Konsequenz dieser Bun-
desregierung in Sachen Krisenbewältigung ist: aus den
Erfahrungen der letzten Monate lernen und endlich die
Aufgaben Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-
schaft in einem Ministerium bündeln. Ich meine, dies
hätte längst unter ein Dach gehört.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es sollte klar sein: Dies richtet sich nicht gegen die
Landwirte. Ich habe kein Amt gegen irgendjemanden an-
getreten, sondern ein Amt für Verbraucherschutz, für
Ernährung und für die Landwirtschaft. Deshalb sage ich:
Die Zeit des Gegeneinander ist vorbei.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich werde deshalb versuchen, alle an einen Tisch zu be-
kommen und auch langfristig zu planen, wie es weiter-
geht.

Zur Krisenbewältigung sage ich Ihnen eines: Einem
Untersuchungsausschuss, über den hier einige diskutie-
ren, würde ich mit Freuden entgegensehen. Ich habe die
Akten in den sechs Amtstagen noch nicht alle lesen kön-
nen, aber wie mir gesagt wurde, gibt es in den Unterlagen
der Jahre 1993 bis 1998 höchst interessante Vermerke,


(Zurufe von der SPD: Hört! Hört!)

bis dann endlich auch die Bundesregierung gesagt hat:
Gut, wir geben dem Druck, der im Wesentlichen aus der
EU kam und auf eine andere Landwirtschaftspolitik hin-
sichtlich der BSE-Bekämpfung zielte, nach.

Wir müssen jetzt den Versuch unternehmen, Gemein-
samkeit bei der BSE-Bekämpfung herzustellen. Das sage
ich bewusst auch zu Ihnen. Ich will hier gar keine Kon-
frontation. Ich sehe genau, dass der Antrag der Koaliti-
onsfraktionen eine Vielzahl von konkreten Forderungen
enthält, die ich zum Beispiel auch im Antrag der
CDU/CSU gelesen habe, auch wenn hier die kurz- und
mittelfristigen Forderungen ein bisschen vermischt sind.
Ich glaube, dass dies eine Aufforderung an die Bundesre-






(C)



(D)



(A)



(B)


gierung ist, jetzt endlich einen Maßnahmenkatalog vor-
zulegen. Ich werde Ihnen diesen in Kürze vorschlagen.

Wir haben gestern im Bundeskabinett darüber geredet.
Ich habe über den aktuellen Entscheidungsbedarf berich-
tet. Wir haben uns verständigt, sehr schnell Entscheidun-
gen zu treffen und sie umzusetzen. Auch die Amtschefs
haben sich gestern getroffen und einen Katalog verab-
schiedet. Ich will Ihnen sagen, was zu den aktuellen Maß-
nahmen gehört, die zu ergreifen sind. Das sind die offene
Deklaration und eine Positivliste für erlaubte Futtermittel,
damit sich in Zukunft Infektionen, wenn dies der Über-
tragungsweg ist, nicht wiederholen.

Zudem brauchen wir eine verstärkte und konsequente
Futtermittelkontrolle, die, wie wir alle wissen, in den Län-
dern unterschiedlich ausgeprägt stattfindet oder eben auch
nicht. Wir brauchen verschärfte Sanktionsvorschriften.
Ich möchte ein zeitlich unbefristetes Verfütterungsverbot
von Tiermehl und Tierfetten erreichen, auch wenn ich
weiß, dass sich andere in der EU damit schwer tun. Wir
brauchen verbesserte BSE-Tests und wir brauchen sie für
jüngere Tiere. Dies gilt besonders mit Blick auf das
28 Monate alte Tier aus Freising in Bayern. Ich überlege,
das Alter für die Anwendung von BSE-Tests von 30 Mo-
naten auf 24 Monate zu reduzieren.

Wir brauchen die schrittweise Ausdehnung der Tests
auf alle Schlachtrinder. Ein Ziel sollte sein, dass Rind-
fleisch nur noch dann auf den Markt kommen darf, wenn
es auf BSE getestet ist; denn Verbraucherinteressen und
Gesundheit haben Priorität.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Auch brauchen wir bezüglich der Schafe ein nationa-
les Scrapie-Überwachungsprogramm. Wir brauchen ein
Verbot der Gewinnung und Verarbeitung von Separato-
renfleisch und – das gehört zu den aktuellen Entschei-
dungen – wir brauchen eine Entsorgung der Altbestände.
Es geht um vor Anfang Dezember gelagertes Tiermehl
und Tierfette, die noch in den Betrieben lagern und wo die
Gefahr besteht, dass diese Mittel noch genutzt werden.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Auf einmal!)


Eines sage ich klar: Wir wollen den Betroffenen helfen.
Ich will die Kooperation zwischen der EU, dem Bund und
den Ländern. Ich hoffe, dass die Entscheidungen, die ges-
tern zusammen mit den Amtschefs getroffen worden sind,
auf der politischen Ebene Mehrheiten finden.

Ich habe zwei Entscheidungen kurzfristig zu treffen,
die mir sicherlich nicht leicht fallen werden. Das eine ist
die Frage: Bleiben wir bei der Tötung der Gesamtbe-
stände, in denen BSE aufgetreten ist? Ich habe das
wissenschaftliche Steering-Komitee auf EU-Ebene gebe-
ten, dieser Frage noch einmal nachzugehen. Wir werden
auf dem Agrarrat am 29. und 30. Januar dieses Jahres die-
sen Punkt auf der Tagesordnung haben, weil ich finde,
dass es diese Frage verdient, noch einmal geprüft zu wer-
den.

Heute bleibt aber nichts anderes übrig, als zu sagen:
Wir bleiben bei der Bestandstötung. Wir verfahren damit
anders als Herr Stoiber, der zur Tötung von Einzeltieren
oder einer Kohorte übergehen möchte. Wir würden den
Bauern damit keinen Gefallen tun. Was hilft es uns, wenn
wir nur die Kohorten töten, aber der Bauer um Hilfe bit-
ten muss, die Tiere abzutransportieren, weil weder das
Fleisch noch die Milch abgenommen werden? Die Politik
muss eine verantwortliche Entscheidung treffen. Ich
werde mich davor nicht drücken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wir haben dann noch das Problem des Aufkaufens
von Tieren über 30Monate, für die es keine Käufer gibt.
Ich prüfe das. Was immer ich auch entscheiden und wel-
chen Vorschlag ich machen werde: Es wird mir nicht
leicht fallen. Eines ist aber klar: Es geht bei all diesen
Punkten nicht um die kurzfristigen Interessen der Land-
wirtschaft. Es geht eindeutig um Verbraucherschutz, Tier-
schutz und ethische Fragen. Wenn wir eine solche Maß-
nahme ergreifen, dann garantiert nicht ohne erste Schritte
zu einer Wende in der Agrarpolitik, zum Beispiel indem
wir die Möglichkeiten der Agenda 2000 endlich nutzen
und ausschöpfen; sonst wäre diese Maßnahme garantiert
nicht vertretbar.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich werde in der nächsten Zeit intensiv mit den Ver-
braucherschützern, den Tierschützern und den Verbänden
der Land- und Ernährungswirtschaft reden. Ich wende
mich nicht nur an die Bauern; denn wenn es eine Wende
geben soll, dann sind diejenigen, die als Erste aktiv wer-
den müssen, nicht die Bauern, sondern die Futtermittelin-
dustrie und der Einzelhandel. Auch diese müssen ihren
Beitrag leisten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mein Auftrag ist der Verbraucherschutz. Ich werde
dabei die Interessen der Landwirte nicht vergessen. Ich
weiß aber: Das größte Kapital und das größte Pfund, mit
dem die Bauern wuchern können, ist das Vertrauen der
Verbraucherinnen und Verbraucher. Deshalb muss die
oberste Maxime sein, fehlendes Vertrauen wieder herzu-
stellen. Wie macht man das? Das erreicht man dadurch,
dass man in Zukunft einen vorsorgenden Verbraucher-
schutz praktiziert und nicht erst dann eingreift, wenn die
Menschen und die Tiere krank sind und die Höfe in ihrer
Existenz gefährdet sind. Vorsorgender Verbraucherschutz
ist das Zauberwort. Das ist meines Erachtens in zweifa-
cher Hinsicht gut, und zwar sowohl für die Verbraucher
als auch für die deutsche Landwirtschaft.


(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414304800
Frau Ministerin
Künast, dies war Ihre erste Rede in diesem Hohen Hause.




Bundesministerin Renate Künast

13967


(C)



(D)



(A)



(B)


Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen möchte ich Sie
dazu beglückwünschen.


(Beifall)

Die nächste Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin

Annette Widmann-Mauz für die CDU/CSU-Fraktion.


Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1414304900
Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Minis-
terin Künast, meine Fraktion und ich heißen Sie im Deut-
schen Bundestag herzlich willkommen. Frau Künast, wir
freuen uns auf die politischen Auseinandersetzungen mit
Ihnen in diesem Haus.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Karsten Schönfeld [SPD]: Vielleicht auch auf die Zusammenarbeit?)


Ich finde, Sie haben in Ihrer Rede einige sehr sinnvolle
Vorschläge für das aktuelle Vorgehen im Rahmen der
BSE-Krise gemacht. Es ist schön, dass die Bundesregie-
rung endlich zu Regelungen und Maßnahmen findet,
nachdem die Union bereits im November und Dezember
viele Maßnahmen vorgeschlagen hat. Es ist Zeit, dass wir
an das Umsetzen gehen und uns nicht mit Worten und
Proklamationen begnügen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Karsten Schönfeld [SPD]: Auf Ihre Vorschläge haben wir lange gewartet!)


Was ist in Deutschland eigentlich passiert? Die Men-
schen wissen nicht mehr, was sie essen sollen, die Ver-
braucher sind total verunsichert, die bäuerlichen Betriebe
und damit auch der ländliche Raum sind existenziell be-
droht und die dafür verantwortlichen Minister sind nicht
mehr im Amt. Das ist mit das Ergebnis Ihrer Politik der
letzten Monate.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Seit diese rot-grüne Regierung im Amt ist, wurde der

Verbraucherschutz in Deutschland dramatisch vernach-
lässigt. Wir haben eine Vertrauenskrise bezüglich der Si-
cherheit von Lebensmitteln, bezüglich der Erzeuger und
leider auch bezüglich der Politik. Es herrscht ein Klima
eines pauschalen Verdachts. In der BSE-Krise wurde mo-
natelang verharmlost, abgewiegelt, versäumt, ignoriert
und – auch das ist mittlerweile gut dokumentiert – be-
wusst desinformiert.


(Karsten Schönfeld [SPD]: Reden Sie jetzt von der Bayerischen Staatsregierung? – Weiterer Zuruf von der SPD: Namen nennen!)


Diese Politik hat nicht die Menschen und deren Gesund-
heit in den Mittelpunkt gestellt, sondern ist bis heute von
Kommunikationsdefiziten, Unentschlossenheit und einer
nicht zu übersehenden politischen Hilflosigkeit gekenn-
zeichnet.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Eine Bündelung des Verbraucherschutzes ist notwen-

dig. Ist aber gerade die Ansiedlung im Landwirtschafts-
ministerium richtig? Parteipolitisch-taktisch mag das si-
cher so sein, aber ist es auch sachpolitisch richtig?
Zunächst besagt es doch nur eines: Schröder will, dass

sich die Gesundheitsministerin endlich mit aller Kraft um
die Probleme in unserem Gesundheitswesen kümmert,
damit der Patient nicht länger auf der Strecke bleibt.

Frau Künast, Sie sind neu im Amt. Deshalb will ich Ih-
nen auch nicht die Fehler Ihres Vorgängers vorhalten, son-
dern ganz konkret sagen, was wir von Ihnen erwarten.
Verbraucherschutz heißt zuallererst Transparenz. Die
Fakten müssen auf den Tisch. Die Menschen müssen wis-
sen, wo es für sie Risiken gibt und wie schwerwiegend
diese sind. Es darf nicht sein, dass die Bundesregierung
– wie geschehen – bereits im April weiß, dass Deutsch-
land ein BSE-Risikoland der zweithöchsten Kategorie ist
und nichts tut. Obwohl angesichts der besonderen Aus-
gangslage und der Kritik aus dem Ausland umfangreiche
epidemiologische Untersuchungen durchgeführt werden
sollten, um für einen möglichen ersten Fall von BSE in
Deutschland gerüstet zu sein, geschah nichts. Es gab
keine weiteren Stellungnahmen und keine Vorkehrungen
für den Fall der Fälle.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja scharf!)


Es gab keinerlei Planungen und keinerlei Maßnahmen,
nichts. Völlig planlos und unvorbereitet hat die BSE-
Krise deshalb auch diese Bundesregierung getroffen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414305000
Frau Kollegin
Widmann-Mauz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Abgeordneten Weisheit?


Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1414305100
Ja.


Matthias Weisheit (SPD):
Rede ID: ID1414305200
Frau Kollegin, sind Sie
sich bewusst, dass die Bundesländer die Durchsetzung der
entsprechenden Maßnahmen, deren Nichtdurchsetzung
Sie jetzt einseitig der Bundesregierung anlasten, immer
wieder einstimmig im Bundesrat verhindert haben? Alle
Briefwechsel sind veröffentlicht. Über diese haben wir
hier schon diskutiert. Hören Sie doch bitte schön damit
auf, die Versäumnisse nur der Bundesregierung in die
Schuhe zu schieben!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1414305300
Lieber Kol-
lege Weisheit, dass es entsprechende Empfehlungen wis-
senschaftlicher Experten für die Bundesrepublik in Ar-
beitskreisen, an denen die Bundesregierung mit mehreren
Ressorts beteiligt war, gegeben hat, ist dokumentiert.
Diese liegen zwar dem Ausschuss für Ernährung, Land-
wirtschaft und Forsten vor. Aber über diese Empfehlun-
gen wurde nicht diskutiert. Aufgrund unseres mehrmali-
gen und nachhaltigen Nachfragens, wie wir angesichts der
Nichtumsetzung der Kennzeichnungspflicht in Großbri-
tannien in der Frage des britischen Rindfleischs vorgehen
sollen, wurde uns gerade von Mitgliedern Ihrer Fraktion
im Ausschuss ständig Panikmache vorgeworfen.


(Matthias Weisheit [SPD]: Bitte? – Weiterer Zuruf von der SPD: Sie drehen doch die Tatsachen um! Merken Sie das gar nicht?)





Vizepräsidentin Petra Bläss
13968


(C)



(D)



(A)



(B)


Fragen Sie Ihre Kollegen, die Ihnen das bestätigen wer-
den, und schauen Sie sich die entsprechenden Protokolle
an! Hier lässt sich nichts wegdiskutieren. Die Versäum-
nisse werden zum Beispiel von Ihren Kollegen im Ge-
sundheitsausschuss gar nicht infrage gestellt. So sollte es
nicht weitergehen. Wir müssen doch aus den Erfahrungen,
die wir in den letzten zwei Jahren gemacht haben, lernen.
Es ist wichtig für eine zukunftsbezogene Analyse, auch ei-
nen kritischen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Nur
so können wir in Zukunft Fehler vermeiden. Darauf
kommt es doch für die Verbraucherinnen und Verbraucher
in unserem Land an.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414305400
Frau Kollegin
Widmann-Mauz, es gibt den Wunsch nach einer weiteren
Zwischenfrage. – Bitte, Herr Kollege Weisheit.


Matthias Weisheit (SPD):
Rede ID: ID1414305500
Ich habe überhaupt nichts
dagegen, dass wir unseren Blick in die Vergangenheit
richten. Aber man sollte dann bitte schön nicht schon
1998 einen Strich ziehen. Ich möchte Sie fragen, ob Sie
mit mir darin übereinstimmen, dass wir bis in das Jahr
1988 zurückblicken müssen, wenn wir aus der Vergan-
genheit lernen wollen.


Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1414305600
Herr
Weisheit, die BSE-Krise ist eine Krise, die sicherlich nicht
erst im Jahr 1998 begonnen hat; denn die dokumentierten
Versäumnisse, die in Großbritannien und auf europäischer
Ebene, aber auch in der Bundesrepublik schon vor diesem
Zeitpunkt begangen worden sind, waren viel zu groß.
Aber, Herr Weisheit, Ihre Fraktion stellt die Bundesre-
gierung und hat den Bundeslandwirtschaftsminister ge-
stellt. Wir debattieren in den letzten Wochen und Mona-
ten, seit wir wissen, dass Deutschland in eine höhere
Risikostufe eingruppiert worden ist, im Deutschen Bun-
destag über die Verantwortung der deutschen Bundes-
regierung. Es sind schon vor dem Auftreten der ersten
BSE-Fälle in der Bundesrepublik Deutschland konkrete
Maßnahmen gefordert worden, weil mit ihnen zu rechnen
war. Die Bundesregierung hat jedoch nichts getan. Die
entsprechenden Maßnahmen sind verschlafen worden.
Wenn alles so wunderbar geklappt hätte, dann müssten
heute noch zwei andere Minister auf der Regierungsbank
sitzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

In internen Protokollen zum Beispiel vom April letzten

Jahres wurde auch die Möglichkeit der BSE-Infektion
von Schafen thematisiert. Auch davon drang nichts nach
außen. Höchste Geheimhaltung! Selbst das Parlament und
die zuständigen Ausschüsse – das mache ich dem Minis-
terium schon zum Vorwurf – wurden von dem Verdacht
nicht in Kenntnis gesetzt. Bis heute gibt es keine Vorkeh-
rungen für das Scrapie-Problem. Frau Künast, das darf
sich in Zukunft nicht wiederholen.

Ein zweiter Fall: Das Bundesgesundheitsministerium
ist von Medizinern der Universität Göttingen über Pro-
gnosen zum Verlauf der Entstehung, Verbreitung und

Bekämpfung der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit in Kennt-
nis gesetzt worden. Seit November letzten Jahres geht das
Bundesgesundheitsministerium davon aus, dass auch in
Deutschland mit der neuen Variante von CJK gerechnet
werden muss. In einem internen Arbeitspapier des
Bundesgesundheitsministeriums wird gewarnt: Auch in
Deutschland könne die stets tödlich verlaufende neue Va-
riante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit auftreten. Weder
die Öffentlichkeit noch das Parlament sind allerdings da-
rüber je informiert worden.

Geschlossene Expertenrunden, interne Arbeitspapiere
und Ergebnisse, die zurückgehalten werden, haben mit
vorsorgendem Verbraucherschutz – genau dieses Wort ha-
ben Sie, Frau Künast, auch heute benutzt – nichts zu tun.
Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Stellen Sie
künftig sicher, dass Sie als Ministerin und die Öffentlich-
keit informiert werden und dass in den Fällen, in denen
dies zu früh erscheint, weil die Erkenntnisse noch zu ge-
ring sind, zumindest die zuständigen Ausschüsse des Par-
laments und die Landesregierungen zeitnah in Kenntnis
gesetzt werden.

Deshalb fordern wir in unserem Antrag, über den wir
heute beraten, einen unabhängigen wissenschaftlichen
Ausschuss zum Thema „Bekämpfung von BSE“. Wir for-
dern von Ihnen mehr Transparenz. Machen Sie mit der
Geheimniskrämerei Ihrer Vorgänger Schluss!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Frau Künast, Sie haben mit markigen Gesten angekün-
digt, Verbraucherschutz werde zur Chefsache. Sie per-
sönlich wollen sich um die Dinge kümmern. Genau das
fordern wir von Ihnen. Sie tragen Verantwortung für den
Verbraucherschutz in Deutschland. Dazu gehört die Ver-
antwortung für und zur Information. Dazu gehört aber
auch der verantwortliche Umgang mit dieser Information,
das heißt Sachlichkeit statt Verunsicherung.

Sie bewegen sich auf einem sehr schmalen Grat; denn
es bedarf großer Sensibilität für die Verbraucher, die – wie
zu dieser Uhrzeit – vor ihrem Mittagessen sitzen und ge-
sunde Nahrungsmittel essen wollen, sowie für Menschen,
die gesunde Nahrungsmittel produzieren und davon auch
leben müssen. So wie Sie in der Sendung „Was nun, ...?“
aufgetreten sind, Frau Künast, geht es wirklich nicht. Ich
glaube, das haben Sie selbst mittlerweile eingesehen. Wir
brauchen keine Schnellschüsse und keine Kraftmeierei.
Wir brauchen Sachlichkeit, Abgewogenheit und konkre-
tes Handeln.

Die Verantwortung zur Information und der verant-
wortliche Umgang mit der Information gehören nämlich
zusammen. Wir brauchen keine Hysterie; aber wir dürfen
die Menschen in unserem Land auch nicht in falscher Si-
cherheit wiegen. Die in Ihrem Haus hier und da kursie-
rende Idee – sie klang auch in Ihrer Rede heute ein biss-
chen an –, Rindfleischprodukte mit einem Testsiegel zu
versehen, wäre so ein Fall. Hiermit könnte dem Verbrau-
cher suggeriert werden, es gebe die hundertprozentige Si-
cherheit. Doch – das wissen Sie – diese Sicherheit gibt es
– zumindest derzeit – nicht. Deshalb können wir den Men-
schen nichts anderes sagen. Den Mut dazu müssen wir ha-
ben.




Annette Widmann-Mauz

13969


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir erwarten von Ihnen, dass Sie koordinierend tätig
werden. Verbraucherschutz bleibt auch nach dem Kabi-
nettsbeschluss eine Querschnittsaufgabe zwischen den
Ministerien sowie zwischen dem Bund und den Ländern.
Der Föderalismus in Deutschland ist eine gute Grundlage
für den Wettbewerb um den besten Verbraucherschutz und
übrigens auch um die beste Nahrungsmittelerzeugung.
Das, was Sie auch heute wieder so groß als „neue Agrar-
politik“ ankündigen, ist zum Beispiel in Baden-Württem-
berg schon vor Jahren auf den Weg gebracht worden.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Zum Beispiel ist die gläserne Produktion bei uns ent-
wickelt worden. Das MEKA-Programm und das
SchALVO-Programm fördern, und zwar flächenbezogen,
die Extensivierung der Landwirtschaft mit ökologischen
Standards, mit Bewirtschaftungs- und Düngebeschrän-
kungen. Hinzu kommt der finanzielle Ausgleich für die
Landschaftspflege. Es handelt sich also um ein ganzes
Bündel von Maßnahmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Frau Künast, ich lade Sie herzlich ein: Kommen Sie zu

mir auf die Schwäbische Alb und schauen Sie sich einmal
an, wie das funktionieren kann. Allerdings sollten Sie zu-
erst Ihre Ressortzuständigkeiten klären; denn wie wir
hören, ist der administrativ notwendige Organisationser-
lass noch gar nicht erfolgt. Dies ist nämlich die Voraus-
setzung dafür, dass Sie Ministerin für den Verbraucher-
schutz sind. Erst seit dieser Woche liegt ein erster Entwurf
für den Organisationserlass vor. Ich frage mich schon: Ist
das vom Kanzleramt verschlafen worden oder wollen Sie
erst noch den Wedel-Bericht abwarten? Wie steht es ei-
gentlich damit? Wird der Bericht von Frau Wedel in die
Überlegungen überhaupt noch einfließen oder gibt es
schon wieder Streit bei Ihnen? Wer wird denn eigentlich
bei der Gentechnik das Sagen haben? Wie lange soll das
Ganze eigentlich noch dauern? Allein mit markigen
Ankündigungen kann man keine Politik machen.

Wir brauchen von Ihnen – ich komme zum Schluss –
den Einsatz für den Vorrang des vorsorgenden Verbrau-
cherschutzes, vor allen Dingen auf europäischer Ebene.
Es besteht enormer Handlungsbedarf. Wir brauchen keine
Kraftsprüche in Talkshows, sondern Entscheidungen auf
der Ebene des Europäischen Rats. Wir werden Sie nicht
an den Einschaltquoten, sondern an den Ergebnissen, die
Sie erzielen, messen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414305700
Der nächste Redner ist
der Kollege Dr. Norbert Wieczorek, SPD-Fraktion.


Dr. Norbert Wieczorek (SPD):
Rede ID: ID1414305800
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, Sie haben
vorhin einen wichtigen Satz ausgesprochen: Es kommt
darauf an, dass wir uns dieser Krise gemeinsam anneh-
men, wobei natürlich die Interessengegensätze, die vor-
handen sind, zum Ausgleich gebracht werden müssen. Ich
hoffe – bei meiner Vorrednerin hatte ich eben nicht immer
den Eindruck –, dass das auch die Rolle der Opposition
sein wird. Das heißt nicht, dass sie keine anderen Mei-

nungen vertreten dürfte; aber wir müssen diese Krise, die
eine Krise der gesamten Ernährungswirtschaft darstellt,
gemeinsam bewältigen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir müssen nämlich die Bürger vor gesundheitlichen
Risiken schützen und dürfen nicht hinnehmen – ich sage
auch das bewusst –, dass unseren Bauern die Existenz-
grundlagen wegbrechen. Da lassen jedenfalls wir als Re-
gierungsfraktionen keinen Gegensatz zwischen den Bau-
ern einerseits und den Verbrauchern andererseits zu.

Allerdings gilt auch – dies schließt die Vertreter der or-
ganisierten Landwirtschaft ein – das Prinzip: Es kann kein
„weiter so wie bisher“ geben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das herrschende Leitbild der Wirtschaft, das zu machen,
was kurzfristig Profit verspricht, dient nicht dem langfris-
tigen Ertrag, sondern kann – an dieser Stelle gestatte ich
mir, einen altmodischen Begriff der Ökonomie zu nut-
zen – die nachhaltige Wohlfahrt zerstören.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das gilt auch und gerade für die Ernährung. Die Warn-
zeichen sind schon da: BSE seit 1988, Nahrungsmittelal-
lergien, Resistenz gegen Antibiotika, die Diskussion um
die Wachstumshormone. Es ist eben nicht nur BSE, auch
wenn dies besonders tragisch ist. Die gegenwärige Krise
hat hoffentlich endgültig das Bewusstsein für einen grund-
legenden Wandel unter dem Begriff der Nachhaltigkeit
geweckt. Wir wissen, dass wir dafür Zeit brauchen; aber
mit diesem Wandel muss endlich begonnen werden.

In der Ernährungspolitik gehört dazu, sich ein lebens-
nahes Bild von der Landwirtschaft zu machen. Sie stellt
heute weder einen rein an der Gewinnmaximierung ori-
entierten agroindustriellen Komplex dar – es gibt Teile da-
von; dies gilt aber nicht insgesamt –, noch stimmt das Bild
von der Ökoidylle auf dem bäuerlichen Familienbetrieb.
Vielmehr handelt es sich in der Regel um gut geführte Fa-
milienunternehmen oder – in den östlichen Bundeslän-
dern – um größere Unternehmen, die auf den Trümmern
der DDR-Agrarindustrie mit Rücksicht auf die sie umge-
bende Natur Nahrungsmittel erzeugen.

Zu diesem Bild gehört allerdings auch, dass der sich
verschärfende Wettbewerb in der Nahrungsmittelindus-
trie und im Handel einen Trend zur industriellen Erzeu-
gung fördert und stärkt. Wir müssen ferner feststellen,
dass das Interesse des Handels und nicht zuletzt des Ver-
brauchers, im Wettbewerb oft das billigste Angebot zu
wählen, zu diesem Trend beiträgt. Solche Marktergeb-
nisse sind im Interesse der wirtschaftlichen Sicherheit
unserer Landwirte und erst recht im Hinblick auf die ge-
sundheitlichen Interessen unserer Bürger nicht akzepta-
bel. Nun haben wir die Chance, das jetzt geweckte Be-
wusstsein der Öffentlichkeit zu nutzen, um Reformen im
Handeln und Denken bei allen Anbietern und Bürgern als
Konsumenten durchzusetzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Annette Widmann-Mauz
13970


(C)



(D)



(A)



(B)


Kern der BSE-Krise ist die widernatürliche Verfütte-
rung von tierischen Substanzen an Pflanzenfresser. Ruch-
los wird es, wo dies trotz Verbot aus rein ökonomischen
Gründen noch weiterhin stattgefunden hat. Ich verweise
nur darauf, dass es hier nicht allein um Vermischungen
geht. Heute konnte man in der „Financial Times“ lesen,
dass gestern in Frankreich Ministerien von einem Unter-
suchungsrichter durchsucht wurden, der der Behauptung
nachging, es sei bewusst Tiermehl aus England eingeführt
worden, nachdem dies längst verboten war. Sollte dies
stimmen, wäre es ein Skandal sondergleichen. Aber dass
es hier Unterschleif gegeben hat, wissen wir alle. Deswe-
gen muss man es auch ansprechen.

Die Verantwortlichen sind daher nicht nur zu benen-
nen, sondern auch zur Rechenschaft zu ziehen. Falsche
Rahmenbedingungen sind dort gesetzt werden, wo es
günstiger ist, Kälber mit so genannten Milchaustau-
schern anstelle von natürlichen Grundlagen aufzuziehen.

Für diese Entwicklung gibt es eine historische, gesell-
schaftliche und politische Verantwortung. Andrea Fischer
und Karl-Heinz Funke mag man – im Einzelnen vielleicht
zu Recht – Fehler für die Zeit vorwerfen, in der sie an der
Regierung waren. Aber eines muss man auch sagen: Wir
alle haben schnell auf das Auftreten des ersten BSE-Fal-
les in Deutschland reagiert.


(Beifall bei der SPD)

Bereits am 30. November letzten Jahres, also schon eine
Woche nach dem ersten Positivbefund, haben wir das
Tiermehlverbotsgesetz mit überwältigender Mehrheit
– es gab lediglich ein paar Gegenstimmen – gemeinsam
verabschiedet. Der Bundesrat hat einen Tag später zuge-
stimmt.

Für die heutige Situation trägt auch – dies meine ich
nicht polemisch – die derzeitige Opposition Verantwor-
tung. Es geht nicht an, einen Antrag vorzulegen, der eine
jahrelange politische Verantwortung für BSE ignoriert
und sich nicht zu einer jahrzehntealten Politik bekennt,
die in diese Krise geführt hat. Wir müssen alle gemeinsam
aus dieser Krise herauskommen; dies ist mein Plädoyer.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dies gilt aber nicht nur für uns im Hause, für die Poli-
tik. Es gilt auch für die Verbraucher und damit weitgehend
für alle; denn wir müssen uns fragen, wovon wir wirklich
unsere Entscheidung beim Fleischeinkauf abhängig ge-
macht haben.

Die Landwirte müssen sich damit auseinander setzen,
ob beispielsweise die Rindermast, die weit über die eigene
Grünfutterbasis hinausgeht, die geeignete Form für eine
gesunde Fleischerzeugung ist. Insbesondere die Landwirt-
schaftsverbände müssen für sich einmal klären, welcher
Vorstellung von Landwirtschaft ihre Lobbyarbeit gilt. Ich
füge hinzu: Das Papier der Landwirtschaftsverbände, das
gestern erschienen ist, lässt hoffen, dass tatsächlich ein
Umdenkungsprozess eingesetzt hat. Ich wäre sehr dafür,
dass er fortgesetzt wird und das entsprechend praktiziert
wird.

Unabhängig davon und nicht durch Schuldzuweisun-
gen zu ersetzen ist jedoch die staatliche Pflicht einer Ge-
sundheitsvorsorge. Ebenso muss es unser Ziel sein, dass
der Verbraucher wieder mit Appetit, aber ohne Kahlschlag
im Portemonnaie und erst recht ohne Gefährdung seiner
Gesundheit deutsches Rindfleisch essen mag.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Erreichen wir dies, geben wir auch unseren landwirt-
schaftlichen Erzeugungsbetrieben ihre wirtschaftliche
Grundlage auf Dauer zurück; sonst wird das nicht ge-
schehen. Dabei müssen wir angesichts der heutigen Si-
tuation zwischen aktuellen Gefahren abwendenden Maß-
nahmen und einer langfristigen Umsteuerung der Politik
und mithin Gestaltung der Landwirtschaft unterscheiden.

Ich halte es nach wie vor für unumgänglich, bei Fest-
stellung eines BSE-infizierten Rindes die gesamte Herde
zu schlachten. Sollte sich zeigen – Sie haben das ange-
sprochen, Frau Ministerin –, dass das Schweizer Modell
der Kohortenschlachtung die gleiche Sicherheit bietet,
sehe ich darin nach entsprechender Abstimmung auf EU-
Ebene eine Alternative. Ich halte nach wie vor ein totales
und zeitlich unbegrenztes Verbot der Verfütterung von
Tiermehl für erforderlich, und zwar nicht nur in der Bun-
desrepublik Deutschland, sondern auch in der EU und da-
rüber hinaus. Die tierischen Fette sind EU-weit in das Ver-
fütterungsverbot einzubeziehen.


(Beifall bei der SPD)

An dieser Stelle möchte ich betonen, dass gemeinsame

strenge EU-Regeln notwendig sind. Dringend muss das
Thema auch in den Agrarverhandlungen der WTO, insbe-
sondere mit den USA, angesprochen werden. Der
Handelsstreit um die Wachstumshormone beim Rind-
fleisch, den wir seit Jahren führen, könnte ein Ministreit
werden im Vergleich zu dem, was entstehen kann, wenn
wir hier nicht für eine Absicherung im internationalen
Handel sorgen.

Es ist nicht nur Sache der neuen Ministerin, es ist auch
Sache des Bundeswirtschaftsministers,


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wo sind die denn?)


sehr frühzeitig mit den Amerikanern – auch im Rahmen
der WTO – zu sprechen, damit wir unter WTO-Regeln
nicht so etwas erhalten, was wir bei dem – zuge-
gebenermaßen von der Menge her unbedeutenden, aber
von vehementen Diskussionen begleiteten – Hormon-
streit beim Rindfleisch haben. Die EU insgesamt muss
dazu gebracht werden, dass in diesen Handelsverhand-
lungen eine gemeinsame Linie vertreten wird. Ich bitte
darum, dass jeder auch diesen Ansatz sieht und ihn unter-
stützt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nach dieser Abschweifung in einen Bereich, der noch
nicht in der Diskussion war – deswegen habe ich ihn hier
eingebracht –, möchte ich noch etwas zu den transparen-
ten Erzeugungswegen sagen. Der Landwirt muss wissen,
was im Futtermittel für seine Tiere enthalten ist. Der




Dr. Norbert Wieczorek

13971


(C)



(D)



(A)



(B)


Verbraucher hat einen Anspruch darauf zu wissen, was
seine Nahrungsmittel enthalten. Eine umfangreiche und
offene Deklaration aller Futtermittelbestandteile ist somit
umgehend national und EU-weit durchzusetzen.

Um das zu sichern, gilt es, eine flächendeckende Kon-
trolle der Lebensmittelherstellung und -kennzeichnung
auch effektiv zu erreichen und nicht nur im Gesetz- und
Verordnungsblatt niederzuschreiben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Was wir bei den Kontrollen erlebt haben, sollte uns

nahe legen, darauf zu achten. Das heißt, wir müssen auch
Geld in die Hand nehmen, um die Prüfer und Prüfein-
richtungen zu finanzieren. Das möchte ich nur einmal
diskret an die Adresse der Länderfinanzminister oder der
– Agrarminister – wer immer zuständig sein mag – sagen.

Das Schlachten von ganzen Herden ist mit erheblichen
wirtschaftlichen Konsequenzen für den betroffenen Land-
wirt verbunden, wie überhaupt die Viehzüchter vom Ein-
bruch der Preise für Rindfleisch wirtschaftlich bedroht
sind. Diese Verfahrensweise bleibt aber aus übergeordne-
ten gesundheitlichen Gründen notwendig, solange wir
keine Möglichkeit zum Test am lebenden Tier haben, die
wir dringend brauchen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sie müssen lauter sprechen!)


– Entschuldigung, das kann ich nicht merken.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie reden zu leise!)


– Herr Kollege, ich habe ein Problem; ich sage Ihnen das
ganz offen.


(Zuruf von der CDU/CSU)

– Darf ich mal ausreden? – Ich kann meine eigene Stimme
nicht selber kontrollieren, weil ich durch einen früheren
Unfall einen Gehörschaden habe. Deswegen bitte ich, das
gleich zu sagen. Vielleicht kann die Regie das entspre-
chend regeln.

Angesichts der notwendigen Schlachtungen trete ich
allerdings dafür ein, auf EU-Ebene die Auszahlung von
Mitteln aus dem Marktentlastungsprogramm von BSE-
Tests zur Erfassung der epidemiologischen Situation ab-
hängig zu machen. Dies erlaubt den Rückgriff der For-
schung auf diese Ergebnisse und ermöglicht es uns,
abzuschätzen, welches Gefährdungspotenzial bei jünge-
ren Tieren, die noch nicht getestet sind, an vorhanden ist.
Gleiches gilt für die Förderung der Erforschung der
Creutzfeldt-Jakob-Krankheit.

Eines möchte ich hinzufügen – und als Ökonom darf
ich Keynes zitieren –: Auf lange Sicht sind wir alle tot. Es
hilft uns nicht, wenn dem bäuerlichen Familienbetrieb
zum Beispiel in Bayern oder den Nachfolgern aus der in-
dustriellen Landwirtschaft der DDR ihre Existenzgrund-
lage genommen wird. Unser Ziel kann nicht nach dem
Motto verfolgt werden: Operation gelungen, Patient tot.

Ich appelliere daher noch einmal an alle Verantwortli-
chen, keinen künstlichen Gegensatz zwischen Verbrau-
chern und Landwirten zu konstruieren. Ich rufe insbeson-
dere die Vertreter der Landwirtschaft auf, ihre

Konsequenzen aus der BSE-Krise zu ziehen und mit der
neuen Ministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft ergebnisorientiert zusammenzuarbeiten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Frau Ministerin, Ihnen möchte ich eine glückliche
Hand bei Ihrer wirklich nicht beneidenswerten Aufgabe
wünschen. Ich hoffe, dass die Schwachstellenanalyse, die
Frau von Wedel durchführt, Ihnen bei der Neuorganisa-
tion in diesem Bereich hilft. Ich als stellvertretender Frak-
tionsvorsitzender und für diesen Bereich Zuständiger
möchte Ihnen bei Ihren Bemühungen nicht nur meine,
sondern die Unterstützung der gesamten SPD-Fraktion
zusagen.

Aber ich möchte Sie auch bitten, die anderen Themen
des Verbraucherschutzes, die im Moment nicht in den
Schlagzeilen sind, ebenfalls sehr ernst zu nehmen. Hier
gibt es noch einiges zu tun.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die nächste Krise aus diesem Bereich wird kommen.
Unsere Unterstützung haben Sie und ich biete Ihnen ver-
trauensvolle Zusammenarbeit an, und zwar unabhängig
von den Pflichten in einer Koalition.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414305900
Es spricht jetzt Kol-
lege Ulrich Heinrich von der F.D.P.-Fraktion.


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1414306000
Frau Ministerin Künast, ich
darf Ihnen im Namen meiner Fraktion zu Ihrem Amt die
herzlichsten Glückwünsche aussprechen, verbunden mit
dem Wunsch, dass wir dem gemeinsamen Ziel, nämlich
dem vorbeugenden Verbraucherschutz – hier ziehen wir
an einem Strang –, näher kommen und dass die Verbrau-
cher das Vertrauen in die Nahrungsmittel zurückgewin-
nen, die in der Bundesrepublik Deutschland produziert
und angeboten werden.


(Beifall bei der F.D.P.)

Trotz aller guten Wünsche und trotz allem, was wir

heute als Neuanfang begreifen wollen, müssen wir natür-
lich noch einmal auf all die Entwicklungen der vergange-
nen Tage und Monate zurückblicken. Wir konnten fest-
stellen: Nicht nur jetzt im Rahmen der BSE-Krise,
sondern auch im Zusammenhang mit der Steuergesetzge-
bung, mit der Energieverteuerung und mit Kürzungen im
Haushalt hat es diese Regierung bei Gott nicht gut mit der
Landwirtschaft gemeint.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Die chaotischen Verhältnisse in der Vergangenheit, die
zum Rücktritt von zwei Ministern geführt haben, haben
gezeigt, dass diese das Krisenmanagement nicht be-
herrschten.




Dr. Norbert Wieczorek
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(C)



(D)



(A)



(B)


Ich muss den Vorwurf erweitern: Die Ministerin hat es
auch nicht gut gemeint mit den Verbraucherinnen und
Verbrauchern in diesem Land. Sie hat es nicht gut gemeint
mit der Lebensmittelindustrie und mit dem Lebensmittel-
handwerk, die jetzt redlich um ihre Existenz kämpfen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Das sind Entwicklungen, die so dramatisch sind, wie

ich es im Dezember vorausgesehen habe.

(Lachen bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das hätten Sie doch vor zwei Jahren machen können!)


– Da haben Sie mich als Scharfmacher bezichtigt. In der
Zwischenzeit sind zwei Minister zurückgetreten und es
steht in Ihrer Regierung alles auf dem Kopf. Ich möchte
Sie bitten, das einmal zur Kenntnis zu nehmen und nicht
allzu arrogant zu argumentieren.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das sind Sie doch mit dieser Behauptung!)


Verbraucher und Landwirte sind die Leidtragenden der
BSE-Krise. Sie sind bei ihrer Bewältigung das Opfer des
Versagens der Bundesregierung und der Länder.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo war die F.D.P.?)


Mit dem Rücktritt der beiden Minister sind die Gefahren
für die Verbraucher noch nicht beseitigt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das stimmt!)


Der Verbraucherschutz ist dadurch noch nicht verbessert
worden und die Aufarbeitung der BSE-Krise steht weiter-
hin aus.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das hat auch niemand bestritten!)


Hier müssen wir in der Zukunft erst noch die entspre-
chenden Fakten auf den Tisch gelegt bekommen. Deshalb
sind wir sehr interessiert daran, dass der Bericht der Prä-
sidentin des Bundesrechnungshofes sehr bald vorgelegt
wird, sodass wir uns mit ihm im Parlament dann noch ein-
mal befassen und die Dinge vertieft, eingehend und in die
Zukunft führend diskutieren können.


(Beifall bei der F.D.P.)

Auf der anderen Seite haben der Bundeskanzler, aber

auch andere wichtige Politiker in der Republik, zum Bei-
spiel der Ministerpräsident von Bayern, sowie die Grünen
die Forderung nach einem Ende der industrialisierten
Landwirtschaft erhoben. Diese Forderung ist falsch und
zeugt von großer Unkenntnis. – Herr Kollege Schlauch,
da können Sie den Kopf schütteln, wie Sie wollen. Das ist
so.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Pauschale Diskriminierungen so genannter Großbetriebe
sind fachlich nicht gerechtfertigt.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Auf der Regierungsbank sitzt niemand mehr! Das muss man sich einmal vorstellen! Das ist doch eine Zumutung! – Gegenruf des Abg. Wilhelm Schmidt Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben bereits vonseiten des Präsidiums angemahnt, dass die Präsenz auf der Regierungsbank erhöht wird. Ich bitte jetzt darum, dem Kollegen Ulrich Heinrich wieder die ihm gebührende Aufmerksamkeit zu widmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht findet wieder irgendwo eine neue Krisensitzung statt. Das weiß man nicht. (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Hahaha!)


(Salzgitter) [SPD]: Seid doch ruhig!)

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414306100

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1414306200

Offensichtlich muss derzeit sehr viel Wichtigeres hinter
den Kulissen passieren als hier im deutschen Parlament.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414306300
Herr Kollege
Heinrich, jetzt muss ich Sie unterbrechen und Ihnen, liebe
Kolleginnen und Kollegen, offiziell mitteilen – daran
habe auch ich nicht gedacht –, dass zeitgleich der
Neujahrsempfang des Bundespräsidenten stattfindet.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wir sind längst wieder hier! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Da waren wir auch! – Gegenruf des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber nicht für die Regierung! Da können Sie nicht dabei gewesen sein! – Weitere Zurufe von der SPD und der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie noch
einmal bitten, jetzt tatsächlich dem Kollegen Ulrich
Heinrich zuzuhören. Wir haben das Fehlen gemeldet. Ich
denke, das wird auch seine Konsequenzen haben.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Es müssen doch nicht alle Staatssekretäre dort sein!)



Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1414306400
Geben Sie mir doch die
Chance, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Rede
fortzusetzen. Wir können sonst auch die Sitzung unter-
brechen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wer sagt denn das? Bestimmen Sie das? – Zurufe von der CDU/CSU)


Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass unab-
hängig von der Betriebsgröße – –


(Zurufe von der CDU/CSU)

– Also, Frau Präsidentin, offensichtlich ist hier doch keine
Ruhe hereinzubekommen.




Ulrich Heinrich

13973


(C)



(D)



(A)



(B)



(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch bei euren Leuten, nicht bei uns!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414306500
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich bitte Sie ein letztes Mal, Ruhe zu be-
wahren. Das Problem ist erkannt. Ich denke, die Regie-
rung wird ihre Konsequenzen daraus ziehen.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU] meldet sich zu Wort)


Ich erteile jetzt das Wort zur Geschäftsordnung dem
Kollegen Dr. Peter Ramsauer.


Dr. Peter Ramsauer (CSU):
Rede ID: ID1414306600
Frau Präsidentin!
Wenn das Problem jetzt endlich erkannt ist – es ist in der
Tat eines –, dürfte es umso leichter fallen – da spreche ich
jetzt nicht nur für meine Fraktion –, bis zum Eintreffen
weiterer Regierungsmitglieder die Sitzung zu unterbre-
chen. Ich beantrage das im Namen meiner Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414306700
Ich erteile jetzt das
Wort zur Geschäftsordnung dem Kollegen Wilhelm
Schmidt.


Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1414306800
Zunächst halte
ich es für sehr ungewöhnlich, Frau Präsidentin, dass hier
mitten in einer laufenden Rede, nämlich in der des Kolle-
gen Heinrich, solche Geschäftsordnungsanträge gestellt
werden. Ich stelle den Antrag, diesen Antrag abzuweisen,
zumal, wie Sie sehen, gerade auch einige weitere Regie-
rungsmitglieder in den Saal kommen.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Der Hintergrund für das Fehlen ist der Neujahrsemp-

fang beim Bundespräsidenten – das ist allen bekannt –,
bei dem die Regierungsmitglieder erst nach den übrigen
Gästen an die Reihe kommen. Auch das ist Ihnen hin-
länglich bekannt. Insofern ist es klar, dass weitere Regie-
rungsmitglieder in den nächsten Minuten hierher kom-
men werden. Das kann ich Ihnen versichern


(Zuruf von der F.D.P.: Da gibt es vier Staatssekretäre!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414306900
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, die Sachlage ist tatsächlich ungewöhnlich.
Es steht aber der Antrag im Raum, die Sitzung zu unter-
brechen. Dementsprechend müssen wir jetzt erst einmal
über den Antrag abstimmen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ich beantrage Unterbrechung, bis wir das geklärt haben!)


Ich würde der Einfachheit halber vorschlagen, dass wir
nun erst einmal abstimmen. Nach einer möglichen Sit-
zungsunterbrechung können wir dann fortfahren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Dann bekomme ich noch einmal die volle Redezeit!)


Ich glaube, der Kollege Heinrich muss sich um seine
Redezeit im Moment keine Sorgen machen.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Dann bin ich für eine Sitzungsunterbrechung!)


Ich erteile das Wort zur Geschäftsordnung der Kollegin
Katrin Göring-Eckardt.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

men. Der Herr Kollege hat eine Sitzungsunterbrechung
beantragt, bis weitere Mitglieder der Regierung auf der
Regierungsbank Platz genommen haben. Die Präsenz auf
der Regierungsbank ist inzwischen hergestellt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Vier Staatssekretäre!)


Das heißt, die Sitzung könnte sofort weitergehen. Außer
der Ministerin, die für den Bereich zuständig ist, über den
wir gerade debattieren, ist eine Reihe von Mitgliedern der
Bundesregierung anwesend.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414307000
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich beende die Aussprache. Wir stimmen
jetzt ab,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Worüber denn? Das ist doch jetzt erfüllt, Frau Präsidentin!)


es sei denn, es wird eine Sondersitzung des Ältestenrates
beantragt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Es hat sich erledigt!)


– Das Problem als solches hat sich erledigt. Inzwischen
haben mehrere Mitglieder des Kabinetts auf der Regie-
rungsbank Platz genommen. Trotzdem lasse ich jetzt ab-
stimmen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das kann doch nicht sein!)


Es ist der Antrag gestellt worden, die Sitzung zu unter-
brechen.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu welchem Zweck? – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wie lange wollen Sie denn unterbrechen? Das ist doch völlig unsinnig!)


Ich frage die Kolleginnen und Kollegen des Hauses, wer
diesem Antrag, der vonseiten der CDU/CSU gestellt wor-
den ist, stattgeben möchte. – Gegenstimmen? – Die Mehr-
heit hat sich gegen eine Sitzungsunterbrechung
ausgesprochen.


(Beifall bei der SPD)

Damit setzen wir die Debatte fort.

Ich erteile jetzt erneut dem Kollegen Ulrich Heinrich
das Wort. Ihm verbleibt noch eine Redezeit von vier Mi-
nuten.




Ulrich Heinrich
13974


(C)



(D)



(A)



(B)



(Abgeordnete der SPD verlassen den Plenarsaal – Zurufe von der CDU/CSU: Die müssen dableiben!)


– Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die soeben in
den Saal gekommen sind, um an der Abstimmung teilzu-
nehmen, auch der Debatte zu folgen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Frau Präsidentin, das ist ungehörig! So geht das nicht! Das hat ein Nachspiel im Ältestenrat!)



Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1414307100
Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen, ich habe es eigentlich noch nie erlebt, dass
mitten in einer Rede Abstimmungen stattfinden, dass man
an den Platz geschickt wird und anschließend wieder an
die Reihe kommt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ist es! Das ist unglaublich! Völlig von der Rolle!)


Die BSE-Krise macht einige wohl sehr verwirrt.

(Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bitte, dass wir die Debatte jetzt so fortsetzen, dass die-
jenigen, die zuhören wollen, dableiben und dann aber
auch zuhören.

Ich möchte darauf hinweisen, dass die Qualität der
Produkte nicht von der Größe der Betriebe abhängt, son-
dern ausschließlich von den Produktionsmethoden, von
der Qualifikation des Landwirtes und von den eingesetz-
ten Betriebsmitteln. Wenn Sie sich einmal Betriebe über-
all im Land ansähen, dann würden Sie sehr schnell fest-
stellen, dass diese Aussage stimmt.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Die Ursachen der BSE-Krise liegen nicht in der kon-
ventionellen Landwirtschaft, sondern in Versäumnissen
des Staates und zum Teil in Schlampereien der Mischfut-
terindustrie.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt machen Sie es sich aber einfach!)


Lassen Sie uns jetzt nicht eine falsche Debatte pro oder
contra ökologischen Landbau führen. Das entscheidet der
Markt und nicht die Politik.


(Beifall bei der F.D.P.)

Die Politik kann allenfalls den Rahmen vorgeben, aber
der Markt wird entscheiden.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So, wie er das bisher auch getan hat! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie doch bei der Landwirtschaft nicht vom Markt! Wo ist da denn der Markt?)


Ich habe vorhin bei Herrn Wieczorek wieder durch-
gehört, die ökologische Landwirtschaft solle nicht so
weit gehen, dass der Geldbeutel der Verbraucher geplün-
dert wird. Er hat es jetzt schon wieder für notwendig ge-

halten, darauf hinzuweisen, dass die Produkte nicht zu
teuer werden dürfen. Meine Damen und Herren, das ent-
scheidet der Markt.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, hören Sie doch auf!)


– Der Markt entscheidet. Das Angebot richtet sich nach
der Nachfrage: Wenn die Nachfrage nach Ökoprodukten
entsprechend hoch ist, wird das Angebot zunehmen. Das
sind die normalen marktwirtschaftlichen Regeln. Aber
dass Sie davon keine Ahnung haben, weiß ich schon
lange, Herr Schlauch.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Schmarren ist das!)


Wenn Sie in dieser Frage Erfolg haben wollen, dann
muss auch der Bundeskanzler zu einem fairen Dialog mit
der gesamten Landwirtschaft zurückfinden.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Er soll nicht glauben, er könne diese Situation jetzt nut-
zen, um einen Keil zwischen die so genannten schlechten
Funktionäre und die so genannten guten und redlichen
Bauern zu treiben.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414307200
Herr Kollege
Heinrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Seifert?


(Widerspruch bei der F.D.P. – Walter Hirche [F.D.P.]: Die andere Präsidentin hat die Rede schon unterbrochen und abstimmen lassen!)



Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1414307300
Nein, jetzt nicht mehr.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414307400
Liebe Kollegin-
nen und Kollegen, wenn eine Zwischenfrage gewünscht
wird, dann muss ich den Redner fragen, ob er sie zulässt.
Ich verstehe daher überhaupt nicht, warum Sie sich aufre-
gen. Im Übrigen lasse ich diese Unruhe auch nicht zu.

Herr Kollege Heinrich, Sie haben das Wort.


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1414307500
Ich muss leider bemerken,
dass meine eigene Fraktion zurzeit am lautesten ist.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir sollten
zur Kenntnis nehmen, dass die Landwirte nicht die Täter,
sondern die Opfer sind und dass ein wesentlicher Teil
der Verantwortung beim staatlichen Handeln liegt, und
zwar auf allen Ebenen. Wir sollten ferner zur Kenntnis
nehmen, dass die Mischfutterindustrie eine große Mit-
verantwortung hat; denn den Verschleierungen – sie wer-
den auch Verschleppungen genannt – kann wirksam ent-
gegengetreten werden. Man braucht ihnen nicht machtlos
gegenüberzustehen. Wir erwarten in der Zukunft eine




Vizepräsidentin Petra Bläss

13975


(C)



(D)



(A)



(B)


konsequentere und sauberere Trennung bei den einzelnen
Chargen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Selbstverständlich haben wir einen ganzen Katalog

von Forderungen aufgestellt, die entsprechend umgesetzt
werden müssen. Ich verweise auf unseren Antrag und
möchte Sie zum Schluss bitten – die Präsidentin signali-
siert mir gerade, dass meine Redezeit abgelaufen ist –,
dass wir versuchen, das von uns gemeinsam gesteckte
Ziel zu erreichen, nämlich dass die Landwirte nicht im
Stich gelassen werden, dass Verbrauchersicherheit ge-
schaffen wird und dass die Stimmung zugunsten derjeni-
gen umschlägt, die wirtschaftlich tätig sind, die heute aber
am Pranger stehen und kaum noch wissen, wohin die
Reise geht.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das war wieder ein typisches F.D.P.-Sowohl-als-Auch!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414307600
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Kersten Naumann.


Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1414307700
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Nun ist anscheinend allen Politikern
klar geworden, dass es einen Neuanfang in der Agrarpoli-
tik geben muss. Dass es dazu aber erst der BSE-Krise be-
durfte, ist schon makaber, und zwar für alle Beteiligten.
Die spannende Frage ist nur, was in Zukunft anders ge-
macht werden soll.

Die Neuausrichtung der Agrarpolitik sollte darauf zie-
len, dass die Gesamtlandwirtschaft umwelt- und gesund-
heitsgerechter produzieren kann. Unbestritten ist doch,
dass die überwiegend konventionelle Landwirtschaft voll
im Griff der Handelsketten und der Lebensmittelgroß-
konzerne ist. Negative Folgen der durch Wettbewerbs-
druck beförderten Intensivierung und Rationalisierung
bezüglich der Umweltverträglichkeit der landwirt-
schaftlichen Produktion und der Lebensmittelsicherheit
stehen auf der Tagesordnung. Keiner wird bestreiten, dass
Pestizide, Hormone und Antibiotika nicht ohne Folgen für
Pflanzen, Wasser, Lebensmittel und Mensch sind. Hier
besteht zweifellos Handelsbedarf.


(Beifall bei der PDS)

Das künftige Primat der Verbraucherinteressen un-

terstützt die PDS ausdrücklich. Meine Fraktion wird viele
Positionen von Bärbel Höhn unterstützen, so zum Bei-
spiel die Einführung einer Positivliste in das Futtermittel-
recht, das Verbot gentechnisch veränderter Futtermittel
und die Änderung tierschutzrechtlicher Vorschriften.

Für politisch unredlich halte ich es jedoch, dass die
BSE-Krise in dem Papier und von führenden Vertretern
der Regierungskoalition – allen voran vom Bundeskanz-
ler – zu einer Krise der industrialisierten Agrarproduktion
abgestempelt wird.


(Beifall bei der PDS)


Dies suggeriert, dass ein direkter Zusammenhang zwi-
schen BSE und Tierbestands- bzw. Betriebsgröße besteht.
Da stimmen mich eher die BSE-Fälle in bäuerlichen Fa-
milienbetrieben nachdenklich.

Zumindest ist das Erklärungsmuster vorschnell. Es
gibt keinen Beleg dafür, dass das Auftreten von BSE eine
Folge der Industrialisierung ist. Immerhin erklärten
führende Wissenschaftler bei der Ausschusssitzung am
5. Januar dieses Jahres, dass ihnen bei BSE so gut wie al-
les unklar sei. Da stellt sich schon die Frage, woher die of-
fizielle Politik ihre Klarheit nimmt.

Die Einschätzung der Bündnisgrünen nach der Wörlitzer
Tagung, dass nicht die Größe der landwirtschaftlichen Be-
triebe entscheidend sei, sondern die Art und Weise der Be-
wirtschaftung und Tierhaltung, teile ich. Ich hoffe, liebe
Kollegin Höfken, dass damit der Vorschlag von Bärbel
Höhn, also die Neuauflage der Degressionsdiskussion,
vom Tisch ist.

Als PDS unterstützen wir, dass der ökologische Land-
bau schneller vorangebracht und stärker gefördert wer-
den soll. Allerdings bedarf es für teure Ökoprodukte einer
zahlenden Kundschaft. Schließlich haben wir einen libe-
ralisierten EU-Binnenmarkt und damit die Konkurrenz
der Billignahrungsmittel. Übrigens unterliegt auch der
ökologische Landbau selbst den Gesetzen der Marktwirt-
schaft.

Der Antrag zur nachhaltigen Entwicklung ländlicher
Räume enthält trotz vieler allgemeiner Schlagworte und
unverständlicher Worthülsen wichtige Aspekte für einen
politischen Neuanfang, über die im Ausschuss gespro-
chen werden muss. Das Prinzip der strategischen Partner-
schaft in Form von Netzwerken, wie es in dem Papier
heißt, wird das Problem allerdings nicht lösen.

Bereits im November hatte die PDS die Bundesregie-
rung aufgefordert, die wahrscheinlichen Auswirkungen
der BSE-Krise auf die Einkommenssituation der Land-
wirte einzuschätzen und zur Vermeidung der Existenzge-
fährdung von Betrieben für staatliche Hilfe durch direkte
Überbrückungszuschüsse zu sorgen. Hilfe suchend
wandten sich in den letzten Tagen besorgte Landwirte und
Kreisbauernverbände an uns und machten die dramati-
sche Situation deutlich. So berichtet zum Beispiel der
Kreisbauerverband Oberhavel davon, dass bereits
150 Arbeitskräfte entlassen werden mussten. Und wenn
zurzeit die Gewerkschaft Nahrung – Genuss – Gaststätten
vor der Außenstelle des BMVEL in der Wilhelmstraße ge-
gen den drohenden Arbeitsplatzabbau protestiert, kann
ich nur hoffen, dass die Sorgen dort nicht verhallen, son-
dern Niederschlag bei den Politikern und in den von ihnen
zu fassenden Beschlüssen finden. Woher aber dann das
Geld zur Unterstützung der Betroffenen kommen soll, ist
mir schleierhaft. Bundesminister Eichel hat gestern noch
erklärt, dass vom Bund dafür kein Geld zur Verfügung ge-
stellt wird.


(Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört!)

Übrigens trägt auch der mit einem Finanzierungsvor-

behalt beschlossene Rahmenplan der Gemeinschaftsauf-
gabe nicht unbedingt zur Vertrauensbildung in Bezug auf
die Agrarpolitik der Bundesregierung bei. In der Presse
wurde dieser Vorgang unter anderem so interpretiert:




Ulrich Heinrich
13976


(C)



(D)



(A)



(B)


Bundesfinanzminister Eichel lässt sich wegen der BSE-
Kosten eine Tür offen, die Landwirtschaft soll dafür sel-
ber aufkommen. – Wenn diese Interpretation stimmt, halte
ich das für mehr als fatal.


(Beifall bei der PDS)

Warum tut sich die Bundesregierung so schwer mit der

Entscheidung, das EU-Marktentlastungsprogramm zu
nutzen? Ohne Marktentlastung kann den Landwirten
nicht geholfen werden. Der Herauskauf von bis zu
400 000 Rindern ist unumgänglich und dient letztendlich
dem Landwirt für einen Neuanfang zur Wiedergewinnung
des Vertrauens der Verbraucher.

Natürlich wollen auch wir, dass nicht länger mit Sub-
ventionen Überschüsse produziert werden, deren Beseiti-
gung wiederum Subventionen erfordert. Aber damit aus-
gerechnet jetzt beginnen zu wollen, da BSE über die
Bauern wie eine Art höhere Gewalt hereingebrochen ist,
hieße, die Bauern im Regen stehen zu lassen. Und das
geht doch wohl nicht.

Im Übrigen plädieren wir dafür, dass alle herausge-
kauften Tiere geschlachtet und auf BSE getestet werden.
Das würde zur Aufdeckung des Ausmaßes der Verbrei-
tung von BSE beitragen. Eine Nichttestung aus Kosten-
gründen wäre Verschleierung.

Die beiden Anträge zur BSE-Bekämpfung von SPD
und Grünen sowie der CDU/CSU enthalten eine Vielzahl
von Maßnahmen, die unsere Zustimmung finden. Die
Ausschüsse sollten sich dazu durchringen, dem Plenum
einen aus beiden Anträgen gebildeten gemeinsamen Be-
schlussvorschlag vorzulegen.

Die PDS-Fraktion verlangt einen agrarpolitischen
Neuanfang mit Augenmaß, bei dem die Landwirte, die,
vertrauend auf die herrschenden Rahmenbedingungen, in
ihre Perspektive investiert haben, nicht vor den Kopf ge-
stoßen werden.


(Beifall bei der PDS)

Gesunde Ernährung und Umwelt liegen im Interesse des
Verbrauchers und der Landwirte und sollten Ziel der Po-
litik sein. Dabei ist die Stärkung regionaler Wirtschafts-
kreisläufe für die PDS eine Schlüsselfrage. Ob der ge-
plante Neuanfang tatsächlich einer wird, liegt maßgeblich
auch in Ihrer Hand, Frau Künast. Ich jedenfalls wünsche
Ihnen dazu viel Erfolg und werde Sie kritisch begleiten.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414307800
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Matthias Weisheit.


Matthias Weisheit (SPD):
Rede ID: ID1414307900
Frau Präsidentin! Ge-
schätzte Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich meine Aus-
führungen zum Thema beginne, erlaube ich mir, Ihnen,
Frau Künast, zu Ihrem neuen Amt als Ministerin für Ver-
braucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft herzlich
zu gratulieren und Ihnen zur Bewältigung der schwierigen
Aufgaben, die vor Ihnen liegen, alles Gute zu wünschen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Viel Mut, Beharrlichkeit und Stärke werden notwendig
sein, um über Jahrzehnte tief, manchmal zu tief eingefah-
rene Gleise in der Agrarpolitik zu verlassen. Aber um im
Bild zu bleiben: Es braucht auch Geduld und Fingerspit-
zengefühl, damit der Wagen beim Verlassen der tiefen
Gleise nicht zu Bruch geht.

Sie, Frau Ministerin, und wir als Regierungsfraktionen
nehmen die Herausforderung an, deutsche und europä-
ische Agrarpolitik so zu erneuern, dass die Interessen von
Verbrauchern und Erzeugern in gleichem Maße gewahrt
sind. Bäuerinnen und Bauern wollen produzieren, was die
Verbraucher zu Recht erwarten: gesunde und sichere Le-
bensmittel zu angemessenen Preisen. Dazu brauchen sie
die Unterstützung der Politik, nämlich die politische Ge-
staltung von Rahmenbedingungen, die sie nicht zu Opfern
gewissenloser Zulieferer von Futtermitteln einerseits und
gnadenloser Preisdrücker unter den Abnehmern anderer-
seits machen.

Wir werden noch häufig über notwendige Schritte in
der Agrarpolitik insgesamt diskutieren und entscheiden.
Ich sage Ihnen, Frau Ministerin, unsere Mitarbeit und So-
lidarität zu.

Heute geht es um Sofortmaßnahmen, um BSE nach-
haltig zu bekämpfen und in mehreren Jahren zu besiegen,
höchstmögliche Sicherheit für Verbraucherinnen und Ver-
braucher herzustellen, den betroffenen Bauern zu helfen,
damit sie ihre Produkte wieder verkaufen können, und
klarzustellen, dass nicht sie am Pranger stehen, sondern
diejenigen, die ihnen aus bloßer Profitgier mit Tiermehl
versetztes Rinderfutter angedreht haben, die eine Futter-
mitteldeklaration durchgesetzt und politisch geduldet ha-
ben, die keinerlei Sicherheit für die Bauern bot, die zu gut-
gläubig und zu lasch bei den Kontrollen waren und die zu
lange glaubten, Deutschland sei eine BSE-freie Insel der
Seligen.

Ich sage dies im vollen Bewusstsein dessen, dass das
auch mich persönlich trifft. Aber ich bitte gerade ange-
sichts der Rede von Frau Kollegin Widmann-Mauz da-
rum, uns endlich klarzumachen und in den Debatten zu
berücksichtigen, dass wir nicht alleine in diesem Boot sit-
zen, sondern sehr viele mit darin sitzen. Es geht bei dieser
Diskussion auch nicht darum, einen künstlichen Gegen-
satz zwischen gutem Ökolandbau und bösem konven-
tionellen Landbau aufzubauen, wie du, Uli Heinrich, es
vorhin probiert hast. Das wäre absoluter Blödsinn.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das hören wir doch von euch!)


– Nein. Das ist absolut falsch. Wenn wir den Anteil des
Ökolandbaus von derzeit in Baden-Württemberg knapp
5 Prozent – in anderen Bundesländern ist er sehr viel ge-
ringer; auch in Nordrhein-Westfalen – verdoppeln, haben
wir immer noch 90 Prozent konventionelle Landwirt-
schaft. Es kann überhaupt nicht darum gehen, einen Ge-
gensatz zwischen Gut und Böse aufzubauen; es muss al-
len geholfen werden.

Ich will noch einige Aspekte der letzten Tage beleuch-
ten. Über das Töten der ganzen Herde ist hier schon das
Notwendige gesagt worden. Ich möchte noch auf die He-
rauskaufaktion zur Marktentlastung eingehen. Auch in




Kersten Naumann

13977


(C)



(D)



(A)



(B)


diesem Hause wurden zum Teil recht abenteuerliche Mei-
nungen geäußert, wie man damit umgehen könne.

Wir sollten uns zunächst einmal klarmachen, dass der
Rindfleischmarkt zusammengebrochen ist. Tiere über
30 Monate sind kaum verkäuflich. Es fallen aber jedes
Jahr 1,5 Millionen Tiere über 30 Monate an, die ge-
schlachtet werden müssen. Dann wachsen neue nach,
Kälber kommen auf die Welt. Die Entscheidungen in den
Ställen sind längst gefallen. Wir werden diesen Berg von
Tieren nicht los. Er ist nicht verkäuflich. Deshalb führt
überhaupt kein Weg daran vorbei, diese Tiere zu töten, sie
selbstverständlich – das ist unsere Forderung an die EU;
in der Bundesrepublik kann es nicht anders gehen – auf
BSE zu testen


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


und das Fleisch dann zu vernichten, da man es nicht auf
den Markt bringen kann. Es gäbe die Alternative – das ist
aber Augenwischerei –, es einzufrieren. Ich möchte bloß
wissen, wo ich das eingefrorene Fleisch dann verkaufen
soll. Wenn das Fleisch zwei Jahre eingefroren ist, erhält es
den Stempel „für den menschlichen Verzehr ungeeignet“.
Dann ist also ein Verkauf nicht mehr möglich. Nach zwei
Jahren wird dieses Fleisch verbrannt. Dann haben wir eine
Menge Energie verbraucht, viel Geld ausgegeben und die
Menschen angelogen.

Es ist festzustellen: 400 000 Rinder sollten – dies ist
etwa ein Viertel der Tiere, die ohnehin jedes Jahr ge-
schlachtet werden – getötet, auf BSE untersucht und an-
schließend vernichtet werden.

Wenn man aus dem jetzigen ethischen Dilemma heraus
will, dann geht das nur, wenn man langfristig dafür sorgt,
dass es in der Fleischproduktion keine Überschüsse mehr
gibt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In dieser Situation sind wir heute aber nicht. Es bestehen
in der Bundesrepublik, europaweit und weltweit Über-
schüsse. Deswegen kann man nicht anders handeln.

Es wurde auch der Vorschlag gemacht, das überschüs-
sige Fleisch an die Entwicklungsländer zu verkaufen. An-
gesichts dessen kann man wirklich nur silberhell lachen.
Wie oft haben wir in diesem Hause in den letzten Jahren
darüber diskutiert, welch wahnsinniger Fehler es ist, die
mit Entwicklungshilfemitteln aufgebaute Eigenversor-
gung in den Entwicklungsländern dadurch wieder kaputt-
zumachen, dass wir Überschüsse aus den Staaten der EU
oder aus Amerika billig an diese Länder abgeben! Das
führt zu nichts anderem als dazu, dass die dortige Eigen-
produktion kaputtgeht. Das ist sicherlich der falsche Weg.
Ich glaube nicht, dass man so handeln sollte.

Ich wiederhole: Wir können mit diesen 400 000 Tieren
nur so umgehen, wie das die Kommission vorschlägt:
schlachten, untersuchen und anschließend verbrennen.

Einen weiteren Aspekt, den wir in unserem Antrag ver-
gessen haben, muss ich noch anführen – ich gebe zu, dass
ich erst gestern Nachmittag in einem Gespräch mit einem

Bauern darauf gekommen bin; derzeit ist es ja so, dass
man jeden Tag neue Aspekte hinzugewinnt –: Frau Mi-
nisterin, bei der Milchquotenregelung muss ganz schnell
eine Veränderung herbeigeführt werden. Denn es ist so,
dass die Tiere der von BSE betroffenen Betriebe ge-
schlachtet werden und diese Betriebe keine Milch mehr
abliefern können. Am 1. April dieses Jahres verlieren sie
dann ihre Milchquote, wenn sie diese nicht beliefert ha-
ben.

Das kann nicht richtig sein. Wir müssen also eine Aus-
nahmeregelung schaffen, sodass sie ihre Milchquote be-
halten können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Wir müssen es ihnen ermöglichen, mit dieser Milchquote
Geld zu verdienen. Das heißt, die betroffenen Betriebe
müssen ihre Milchquote kurzfristig verleasen können,
und zwar so lange, bis sie einen neuen Bestand aufgebaut
haben, oder so lange, bis sie, wenn sie aufhören wollen,
an der Börse ihre Quote verkaufen können. Diese Konse-
quenz ist zu ziehen – sie fehlt in dem vorliegenden An-
trag –, um den betroffenen Bauern zu helfen.

Wir werden noch eine Menge Gelegenheit haben, in
gemeinsamen Diskussionen andere Punkte anzusprechen.
Aber insgesamt ist unser Antrag sicherlich dazu geeignet,
die Ziele, die wir verfolgen wollen, zu erreichen, nämlich
bei den Verbrauchern verlorenes Vertrauen zurückzuge-
winnen und wieder ein Sicherheitsgefühl herzustellen
– das ist das Allerwichtigste – sowie den Bauern wieder
eine Existenzgrundlage zu schaffen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414308000
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Norbert Schindler.


Norbert Schindler (CDU):
Rede ID: ID1414308100
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Künast, ange-
sichts dieser Debatte ist es schlimm genug, dass man – un-
ter anderen Umständen ist das natürlich in Ordnung –
beim Neujahrsempfang des Bundespräsidenten Champa-
gner trinkt. Unsere Fraktionsführung war um 11.45 Uhr
wieder hier im Hause. Sie waren eine der Letzten in der
offiziellen Begrüßungsschlange beim Bundespräsidenten.
Das Kabinett hatte vor dem eigentlichen Empfang die Ge-
legenheit – dies war vom Protokoll so vorgesehen –, mit
dem Bundespräsidenten zu sprechen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Informieren Sie sich doch einmal! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch einmal etwas zur Sache!)


Hier sitzt nur eine Ministerin auf der Regierungsbank. Ich
finde es ungeheuerlich, dass die Regierungsbank bei die-
ser Debatte so schwach besetzt ist,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wo ist denn Frau Merkel? Geben Sie einmal eine Antwort!)





Matthias Weisheit
13978


(C)



(D)



(A)



(B)


bei einem Thema, das seit sechs Wochen den Nerv der Re-
publik trifft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Karsten Schönfeld [SPD]: Das ist ja unerhört, Kollege Schindler!)


Als es gestern darum ging, Gewalt zu verniedlichen,
war sogar der Kanzler da, ist der Kanzler in der Not her-
beigeeilt. Heute geht es darum, den in der Existenz be-
drohten Landwirten beizustehen – es geht gar nicht da-
rum, ihnen die Sorgen zu nehmen – und in der Sache
Flagge zu zeigen. Aber man muss sich fragen: Was hat
diese Regierung für die Landwirtschaft, für die Er-
nährungswirtschaft übrig?


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nichts!)

Die Besetzung der Regierungsbank ist ein Bild dafür:
Nichts hat sie dafür übrig.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Trotzdem, Frau Ministerin, unterbreite ich Ihnen das

Angebot einer offenen und fairen Zusammenarbeit – auch
wenn der Kanzler in den letzten Wochen sehr leichtfertig
von „Agrarlobbyisten“ geredet hat.


(Lothar Mark [SPD]: Die gibt es auch!)

In Sachen Agrarlobbyisten soll Gerhard Schröder bitte
unterscheiden: Alle Kreisvorsitzenden der Verbände zum
Beispiel sind ehrenamtlich tätig. Sie sind nicht mit einem
hohen Gehalt abgestellt und über das Betriebsverfas-
sungsgesetz abgesichert, um woanders – auch in den Par-
lamenten – Politik zu machen.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das von Schindler! Ist ja lächerlich!)


Diejenigen, denen man in der Landwirtschaft nur einen
Ehrensold bezahlt, sollte man nicht noch zusätzlich mit
billigen Schuldzuweisungen überziehen. Dieser Umgang
ist eines Kanzlers unseres Staates nicht würdig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

So wie ich persönlich in meinem Betrieb mit meinem
Vermögen hafte, so haften wir für die Konsequenzen,
wenn wir nicht dafür sorgen, dass der Markt ord-
nungsgemäß – auch im Sinne der Gesetzgebung – mit
Produkten beliefert wird. Wir sind nicht abgestellt, Lob-
bypolitik zu betreiben. Dies muss schon einmal deutlich
gesagt werden.

Bei der Arbeitnehmertagung der SPD letzte Woche
hat der Bundeskanzler der Sache die Krone aufgesetzt, in-
dem er gesagt hat, er sei nur bereit, mit „redlichen Bau-
ern“ zu reden, nicht aber mit denen, die auf CDU-Partei-
tagen das Wort ergreifen. Wir sind doch nicht bei der
Christenverbrennung im alten Rom oder bei der Hexen-
verbrennung im Mittelalter! Wo kommen wir denn da
hin?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es ist eine Unverschämtheit des Demokraten Schröder,
mit bestimmten Leuten, die in der Vergangenheit berech-
tigte Interessen sachbezogen übergebracht haben, so um-
zugehen. Tut mir Leid, das muss so gesagt werden.


(Karsten Schönfeld [SPD]: Halt mal einen Moment inne und denk mal an gestern! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wie verträgt sich das mit Ihrem Angebot auf Zusammenarbeit?)


Meint der Bundeskanzler mit „Agrarlobbyisten“ Vor-
stände von Lebensmittelkonzernen, meint er Einkäufer
der großen Lebensmittelketten – es gibt nur noch sechs
oder sieben, die den Markt diktatorisch beherrschen –,
meint er jene, die Fleisch zu Dumpingpreisen in den Su-
permärkten angeboten haben – das war ein Lockmittel
und diente nur dazu, dass die Kundschaft kommt; da
wurde sogar noch draufgezahlt –, meint er die Futtermit-
tellieferanten? Da möge er doch bitte differenzieren! Wo
war denn die Kontrollinstanz Staat, als es um die Kon-
trolle von Futtermittelerzeugnissen ging?


(Karsten Schönfeld [SPD]: Das haben wir uns in Bayern auch gefragt!)


Und noch ein mahnendes Wort: Wo war denn in all den
Jahren - ob unter schwarzer oder unter roter Regierung –
die Wissenschaft? Die Verbraucher in Sicherheit zu
wiegen – auch von hier aus, durch Herrn Funke und Frau
Fischer – war der verkehrte Weg.


(Zurufe von der SPD)

– Es scheint ja einige trefflich zu berühren, wenn man ver-
sucht, sich zu wehren.

Ich fordere Herrn Bundeskanzler Schröder, der nächste
Woche nach Rheinland-Pfalz kommt, auf – dies ist nicht
mehr nur eine Bitte, sondern eine dringende Aufforde-
rung, ob es ihm passt oder nicht –: Kommen Sie auf einen
Hof, sehen Sie sich die Not, die Angst der Betroffenen an!
Natürlich können Sie die eine oder andere Weinprobe be-
streiten, aber schauen Sie auch einmal nach Tierbeständen
und danach, was das Kabinett in oberster Verantwortung
umzusetzen hat, damit Sie wissen, was man gegenüber
der EU-Kommission vertreten muss: Wie ist ein neuer
Weg in der Agrarwirtschaft zu definieren? Handelt es sich
wirklich um Agrarfabriken oder sind das bäuerliche Fa-
milienbetriebe?

Was ist denn auf dem Bauerntag in Cottbus gesagt
worden?

Die teilweise Absenkung der Agrarpreise in der
Agenda 2000 ist ein Erfolg, weil jeder sich im Kla-
ren sein musste, dass wir näher an die Preise des
Weltmarktes heranmüssen.

Zitat des Kanzlers!
Bei der Regierungserklärung im März 1999 sagte er:
... in der Agrardebatte sind wir nach langem Ringen
zu einer auskömmlichen Lösung gelangt ... Kern-
stück sind die Preissenkungen bei Getreide und
Rindfleisch ...

Ich könnte dies fortführen. Wir wurden doch politisch ge-
zwungen, trotz hoher Qualitätsstandards Niedrigst-
preise hinzunehmen.


(Lothar Mark [SPD]: Aber nicht gegen die Gesetze verstoßen! Das hat niemand gesagt!)





Norbert Schindler

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(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn dieser korsetthafte Zwang in diesen Tagen wirk-
lich den gesellschaftlichen Bruch bringt, müssen wir uns
fragen: Wie sind wir in der Vergangenheit mit unseren
Bauern umgegangen? Was passiert mit der WTO? Es sol-
len neue Richtlinien kommen. Es soll auch für Lebens-
mittel aus Deutschland Weltmarktpreise geben. Ich
frage: Welchen Preis denn, etwa den, der jetzt gezahlt
wird? Wie war denn die Agrardebatte im vergangenen
September? Lesen Sie einmal Ihre Reden nach. Es ist
schon ein starkes Stück, wie man bei uns mit dieser Frage
umgeht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Die Ministerin dreht uns den Rücken zu! Die ganze Zeit quatscht sie rum! – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Frau Präsidentin! Schreiten Sie mal ein! – Albert Deß [CDU/CSU]: Die Ministerin interessiert sich nicht!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414308200
Frau Ministerin!

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie hört es nicht einmal!)

Ich muss Sie doch bitten, wenn hier gesprochen wird, dem
Plenum nicht den Rücken zuzuwenden.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)



Norbert Schindler (CDU):
Rede ID: ID1414308300
Dies müsste man bei
meiner Redezeit auch berücksichtigen. – Wo bleiben die
Antworten auf die Fragen der Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer in den betroffenen Schlachthöfen, in den Wer-
ken dieser Republik? Angesichts der derzeit laufenden
hitzigen Diskussion ist auch die Agrargewerkschaft mit
großer Sorge erfüllt. Wir brauchen natürlich auch die
Hilfe dieser Regierung in Form von vertrauensbildenden
Maßnahmen. Diese kann aber nicht so aussehen, dass man
versucht, Personen vorzuführen und parteipolitische
Schuldzuweisungen zu machen. Frau Ministerin, man soll
auch zuhören. Es tut mir Leid, aber daran müssen Sie sich
gewöhnen, wenn Sie im Parlament sind.


(Renate Künast, Bundesministerin: Wenn mir doch ein Mitarbeiter etwas bringt, weil der nächste Termin verschoben werden muss! – Walter Hirche [F.D.P.]: Dann gehen Sie doch raus! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie haben wohl in der Sache nicht viel zu sagen! Kommen Sie doch mal zur Sache! – Weitere Zurufe von der F.D.P.)


– Herr Schmidt, wenn Sie etwas wollen, können Sie eine
Zwischenfrage stellen.

Ich will in der Sache festhalten: Die Wende durch
Düngemittelauflagen, mit Wasser- und Bodenschutzge-
setzen, erfolgte beispielhaft in dieser Republik vor etwa
zehn, fünfzehn Jahren. Bei der nächsten WTO-Konferenz
und der Agrarrunde in Europa besteht die Gefahr, dass wir
uns wegen der neuen protektionistischen Zielsetzung die-
ses Staates auf einer einsamen Insel mit Ketten-Läden, die
das Billigste aus dem Weltmarkt anbieten, befinden. Was
ist dort kontrolliert worden? Wie sieht heute in der Bun-

desrepublik Deutschland hinsichtlich dieser importierten
Produkte der zwingende Verbraucherschutz, wie sehen
die Kontrollen aus? Uns auf Deutschlands Höfen und in
der gesamten deutschen Ernährungswirtschaft strangu-
liert man und wir gehen dabei vor die Hunde.


(Beifall bei der CDU/CSU)

So leichtsinnig kann man mit uns nicht umgehen. Es

stehen im wahrsten Sinne des Wortes Existenzen auf dem
Spiel. Deswegen wäre es schon angebracht gewesen, dass
auch der Bundeskanzler in dieser wichtigen Debatte
Flagge gezeigt hätte.

Ich werbe in doppelter Eigenschaft für einen gläsernen,
offenen Weg. Ich komme aus Rheinland-Pfalz und weiß,
was auf dem Etikett einer Weinflasche steht. Auf dem Eti-
kett steht zum Beispiel eine fünf für Rheinland-Pfalz, die
102 beispielsweise für den Ort oder eine Betriebsnummer.
An der Nummer, die an siebter oder achter Stelle steht,
könnte man etwa erkennen, ob es konventionell oder bio-
logisch-dynamisch erzeugt ist. Damit habe ich überhaupt
keine Probleme.

Zum gläsernen Weg gehören aber auch die Einbezie-
hung und die Haftung des Lebensmitteleinzelhandels.
Welche Kontrollen in der Vergangenheit im nachgelager-
ten und auch im vorgelagerten Bereich der Futtermittel-
lieferanten stattgefunden haben, wurde schon gesagt.

Frau Ministerin, Sie haben heute Morgen einige Ihrer
Vorstellungen dazu verkündet. Gehen Sie bitte ohne ideo-
logischen Ballast an diese Fragen. Dann sind wir offen für
alle Lösungsansätze. Verfallen Sie nicht wie unser Kanz-
ler in eine Leichtsinnigkeit und versuchen Sie nicht, eine
Kabinetts- und Regierungskrise abzuwenden, indem Sie
Einzelne öffentlich verdreschen.

Den internationalen Weg haben wir als Landwirte in
Deutschland in der Vergangenheit nie gewollt. Ich kenne
auch die Zitate von Herrn Schröder, als er noch Minister-
präsident war. Mir fehlt aber die Zeit, sie zu zitieren.
Wenn ich alles, was gesagt wurde, Revue passieren lasse,
erinnere ich mich daran, dass noch im vergangenen Sep-
tember von Rückständigkeit die Rede war. Der Bauern-
verband sei altmodisch und an neuen Strukturen nicht in-
teressiert. Wenn dies der neue Weg ist, sind wir gerne
bereit, alles über Bord zu werfen, was uns gesellschafts-
politisch vorgeworfen und bei dem von den großen Wirt-
schaftsführern gesagt wurde, es sei altmodisch. Ich bin für
eine gut funktionierende bäuerliche Landwirtschaft. Aber
dann muss die Regierung auch zu ihr stehen und nicht ihre
Meinung ständig verbiegen. Man kommt sich wie ein
Ventilator vor, so schnell ändern sich die Ansichten. Das
kann keine vernünftige Politik sein.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414308400
Herr Kollege
Schindler, kommen Sie bitte zum Schluss.


Norbert Schindler (CDU):
Rede ID: ID1414308500
Vielen Dank. – Jetzt
noch ein Schlusssatz:


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Norbert Schindler
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(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414308600
Ich glaube, das
war ein sehr schöner Schluss.


Norbert Schindler (CDU):
Rede ID: ID1414308700
Wenn wir alle ver-
nünftig miteinander umgehen, dann werden wir diese
Krise schnell bewältigen. Dies darf aber nicht im Tonfall
des Kanzlers geschehen: basta!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414308800
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ulrike Höfken.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414308900
Sehr
geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Auch ich möchte Renate Künast ganz herzlich als
Landwirtschafts- und Verbraucherministerin willkommen
heißen und ihr unsere Unterstützung zusagen.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Das ist eine Drohung!)


Eben gab es eine Situation, von der die CDU nur ge-
träumt hat: Es saßen hier zwei Landwirtschaftsminister.
Denn auch der italienische Landwirtschaftsminister Herr
Alfonso Pecoraro Scanio war im Bundestag anwesend.
Das ist doch ein Zeichen für eine Wende.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Auch die haben dieses Jahr noch Wahlen!)


Ich möchte im Übrigen von dieser Stelle – ich denke:
im Namen aller Kollegen – meiner Kollegin Marianne
Klappert gute Besserung wünschen, die zurzeit im Kran-
kenhaus liegt und hoffentlich bald wieder bei uns ist.


(Beifall im ganzen Hause)

Herr Schindler, Sie haben viel von sich gesprochen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das war eine gute Rede!)


Was die Äußerungen des Kanzlers angeht, möchte ich sa-
gen: Es geht sehr wohl um persönliche Verantwortung.
Die ehemalige Ministerin Fischer und auch der Minister
Funke haben Verantwortung wahrgenommen. Was wir bei
Herrn Schindler erlebt haben, ist, dass er diese Verant-
wortung wieder von sich gewiesen hat. In Rheinland-
Pfalz – wir haben dort gerade Wahlkampf – muss man
einmal die Überkapazitäten im Weinbau sehen. Wer hat
sie zu verantworten?

Ich nenne hier auch die Berufsgenossenschaften. Es
gab skandalöse Fehlentscheidungen des rheinland-pfäl-
zischen Bauernverbandes mit einigen hundert Millio-
nen DM Kosten für die Landwirtschaft. Rheinland-Pfalz
ist außerdem beim Ökolandbau das Schlusslicht. Auch in
diesen Bereichen müssen führende Vertreter der so ge-
nannten Agrarlobby eine persönliche Verantwortung
wahrnehmen. Dieser muss man sich stellen.

Auch über die Industrialisierung muss man diskutie-
ren. Die Ursachen von BSE gehen an die Wurzeln der bis-

herigen Agrarpolitik. Das ist kein Unfall und auch kein
Einzelereignis. Es ist auch nicht gottgegeben, sondern zu
BSE ist es gekommen, weil das Zusammenwirken von
ökonomischen, verbraucherbezogenen und tierhaltungs-
bezogenen Anforderungen an die Produktion bewusst
missachtet wurde. Kadaversuppe hat man den Schweinen
in den Trog gegeben und die Nahrungskette ist so zum
Entsorgungsweg geworden. Dagegen ist das Suchen nach
Nahrungsmitteln im Müll in manchen Entwicklungslän-
dern oder auch bei uns eine ästhetische Angelegenheit.

Das Ergebnis ist ein Desaster im ökologischen Sinne,
im Hinblick auf die Milliardenschäden, aber auch im Hin-
blick auf die Ernährungswirtschaft und im Hinblick auf
die Beschäftigten – Frau Naumann hat schon auf die De-
monstration der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststät-
ten, die gerade stattfindet, hingewiesen. Besonders be-
troffen sind die landwirtschaftlichen Betriebe. Daraus
sind Konsequenzen zu ziehen. Deswegen ist eine Neuori-
entierung notwendig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Das ist keine Einzelfallentscheidung der grünen Frak-
tion, sondern es gibt eine große Einigkeit in der Regierung
und eine große Unterstützung in der Gesellschaft für eine
solche Neuorientierung, die überall und in allen Presse-
kommentaren deutlich wird. Im Übrigen: Auch die Län-
der haben gestern in dieser Richtung über viele Schritte
nachgedacht und wollen sie umsetzen.

Neuorientierung heißt, die Ziele der Wiederherstel-
lung der Lebensmittelsicherheit, des Aufzeigens neuer
Perspektiven für Landwirtschaft und Ernährungsgewerbe
und der Beendigung der Verschwendung von Steuergel-
dern tatsächlich zu vollziehen sowie diese Ziele in einer
neuen Agrarpolitik konkret umzusetzen. Wir hätten eine
solche Neuorientierung mit der alten Bundesregierung
– CDU/CSU und F.D.P. – nicht geschafft. Ich muss auch
sagen: Das von der CDU vorgelegte Laurenz-Meyer-Pa-
pier zur BSE-Krise war ein Papier für ein „Weiter so!“, für
Montag, Dienstag usw., wie der liebe Laurentius eben so
sagt. Wir haben darin keinen einzigen Ansatz einer wirk-
lichen Neuorientierung gefunden. Es geht um eine Ver-
besserung der Forschung und um ein bisschen Symptom-
bekämpfung, aber nicht um einen ernsthaften Wandel.

Man kann auf die unsäglichen Debatten im Hinblick
auf die Risikomaterialien oder den von Herrn Ronsöhr in
der letzten Ausschusssitzung gestellten Antrag hinweisen,
die tierischen Fette nicht aus den Milchaustauschern – die
heute als Einfallstor für BSE bekannt sind – herauszu-
nehmen, obwohl klar war, was mit BSE los ist. Ich nenne
Herrn Stoiber, der mit seiner Art und Weise, eine Behin-
derung der Krisenbekämpfung zu erreichen, nur puren
Populismus betreibt.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das Wort „Behinderung“ nehmen Sie zurück! Ihr Mundwerk geht mit Ihnen spazieren, und zwar wider besseres Wissen!)


Das bedeutet nämlich, die Verantwortung nicht wahrneh-
men und aus reinem Populismus gegenüber der Klientel
nicht das ausbaden zu wollen, was man angerichtet hat.






(C)



(D)



(A)



(B)


Wir debattieren heute über einen Antrag der Koaliti-
onsfraktionen. In diesem Antrag haben wir uns ganz klar
dafür ausgesprochen, bei Feststellung eines BSE-infizier-
ten Rindes aus Gründen der gesundheitlichen und epide-
miologischen Vorsorge weiterhin die gesamte Herde zu
töten. Das ist aus Gründen des Verbraucherschutzes die
einzige Konsequenz. Wir kennen den Übertragungsweg
Kuh-Kalb und wir stehen vor der Tatsache, dass alle be-
troffenen Tiere das gleiche Futter gefressen haben, egal,
ob sie in diesem oder jenem Bestand gewesen sind. Es
gibt viele ungeklärte Fragen bei den Tests. Deswegen sind
wir zu diesen Maßnahmen verpflichtet und müssen dazu
auch stehen.

In der Schweizwaren die getroffenen Maßnahmen hin-
sichtlich der Kohortenschlachtung lange nicht so erfolg-
reich, wie sie hätten sein sollen. Großbritannien hat durch
seine Halbherzigkeit ermöglicht, dass sich diese Seuche
weltweit verbreitet. Wir haben dafür einzustehen, dass es
eine Seuchenbekämpfung gibt. Auch wenn es uns in vie-
lerlei Hinsicht nicht gefallen mag, müssen wir konsequent
sein.

Wir wollen heute im Bundestag auch beschließen, das
Testalter auf 24 Monate zu senken – das hat im Übrigen
auch den Vorteil, dass die Auseinandersetzungen auf den
Schlachthöfen zum Teil beendet werden –, die Forschung,
die schon sehr intensiviert worden ist, noch weiter auszu-
dehnen, für die Verbraucher mit einer offenen Deklaration
endlich Transparenz zu schaffen und eine weitere Verbes-
serung auf EU-Ebene voranzutreiben. Wir haben gestern
mit Freude gehört, dass auch der Kommissar Fischler die
BSE-Tests im Zusammenhang mit dem Marktentlas-
tungsprogramm unterstützt. Das heißt, man hat hier
Rückendeckung für eine weitere Verbesserung. Ich sehe,
dass diese neue Politik von der EU-Kommission unter-
stützt wird. Insofern glaube ich, dass das gut für die Land-
wirtschaft ist. Wir bemühen uns, sie aus ihrer Isolation
und der jetzigen Situation herauszuholen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414309000
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Wolfgang Zöller.


Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1414309100
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als gesundheitspoliti-
scher Sprecher der CDU/CSU hätte ich gerne der neuen
Gesundheitsministerin gratuliert. Leider Fehlanzeige. Sie
ist nicht da. Dass bei diesem wichtigen Thema auch die
Staatssekretärin nicht da ist, finde ich nicht in Ordnung.
Dafür gibt es auch keine Entschuldigung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Frau Ministerin Künast, auch wenn es Ihre erste Rede
war, lasse ich Ihnen eines nicht durchgehen: Sie haben hier
den Eindruck erweckt, als seien besonders bei der alten
Regierung Versäumnisse zu suchen gewesen. Gleichzeitig

haben Sie in Ihrer Rede auf Feldern, wo Sie hätten konkret
werden sollen, gesagt: Wir müssen noch prüfen. – Es ist
eben unredlich, wenn man mit wissenschaftlichen Er-
kenntnissen von heute eine Beurteilung der Lage von vor
einigen Jahren vornimmt. Ich sage nur: Das ist unredlich! –
Da schließe ich niemanden aus.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wenn wir über BSE diskutieren, sollten wir versuchen,
etwas mehr Sachlichkeit in die Debatte hineinzubringen.
Ich möchte mit Genehmigung der Präsidentin zwei Zitate
vortragen. Die „Sächsische Zeitung“ schreibt am 16. Ja-
nuar 2001:

Wer blickt im BSE-Chaos eigentlich noch durch?
Die einen wollen bei einem einzelnen BSE-Fall die
ganze Herde abschlachten, die anderen nur die Tiere
einer Altersgruppe. 400 000 Vierbeiner sollen getö-
tet werden, um den Markt für Rindfleisch vor dem
völligen Zusammenbruch zu retten. Zu allem Über-
fluss verdirbt die frisch gebackene Landwirtschafts-
ministerin den Deutschen auch noch den Appetit auf
Milch und Käse. Es ist wie im Tollhaus. Eine Hor-
rormeldung jagt die andere. Und fast jeder neue Vor-
schlag, der zur Bekämpfung der BSE-Krise gemacht
wird, trägt noch mehr zur Verwirrung bei.

Der „Tagesspiegel“ schreibt am gleichen Tag:
Das ist also die erste Lehre in der ersten Woche nach
Funke und Fischer: Eine Äußerung, die nicht zum
Rücktritt einer Ministerin führt, führt stattdessen zur
Verunsicherung der Verbraucher.

Wenn wir nicht alle gemeinsam dieses Thema endlich
sachlich angehen, laufen wir Gefahr, dass die Bevölke-
rung zu Recht sagt: BSE ist keine Rinderseuche, sondern
eine Politikerseuche.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deshalb möchte ich versuchen, konkrete Vorschläge zu
machen.

Wir dürfen bei aller Ernsthaftigkeit dieses Problems
nicht durch unüberlegte Schnellschüsse dafür sorgen,
dass die Sachlichkeit auf der Strecke bleibt. Ein Grund-
problem der BSE-Krise besteht doch darin, dass die Wis-
senschaftler bis zum heutigen Tag über die genauen Ur-
sachen und die Übertragungswege von BSE noch völlig
im Ungewissen sind. Eines scheint jedoch ziemlich sicher
zu sein, nämlich dass bei den circa 180 000 BSE-Fällen in
Großbritannien Tiermehl die Hauptinfektionsquelle war.
Solange wir keine gewichtigeren Argumente haben, müs-
sen wir im Zweifelsfall den Verbraucherschutz in den Vor-
dergrund stellen. Aber das darf nicht dazu führen, dass
man die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse völ-
lig außer Acht lässt und täglich neue Möglichkeiten un-
geprüft in die Diskussion wirft.

Wenn man heute einen Wissenschaftler fragt: „Ist es
hundertprozentig ausgeschlossen, dass der BSE-Erreger
unter bestimmten Voraussetzungen auch über die Luft
übertragen werden kann?“, dann wird er mit Nein ant-
worten müssen. Die Presse wird dann die Überschrift




Ulrike Höfken
13982


(C)



(D)



(A)



(B)


bringen: BSE-Übertragung auch über die Luft möglich! –
Was sollen die Verbraucher mit solchen Äußerungen und
Meldungen anfangen? Gestatten Sie mir folgenden Hin-
weis: Angst destabilisiert beim Menschen das Immunsys-
tem. Die Schlussfolgerung überlasse ich jedem selbst.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch jenseits von Gut und Böse!)


Wenn es aber sehr wahrscheinlich ist, dass eine Ursa-
che der Übertragung von BSE in der Tiermehlverfütte-
rung und den Milchaustauschern zu vermuten ist, dann
müssen wir zunächst alles, aber auch alles tun, um diese
Ursache zu bekämpfen. Wenn trotz Tiermehlverfütte-
rungsverbot bei Kontrollen Tiermehl gefunden wird, dann
müssen wir zum einen die Kontrollen wesentlich verstär-
ken und zum anderen dafür Sorge tragen, dass dieses
Tiermehl gefahrlos und restlos beseitigt wird. In diesem
Zusammenhang halte ich den bayerischen Weg, den Land-
wirten eine kostenlose Untersuchung ihrer Futtermittel zu
ermöglichen, für nachahmenswert. Um ein generelles
Verbot der Verfütterung von Tiermehl sicherzustellen,
muss verhindert werden, dass es durch Verunreinigungen,
Verwechslungen oder Vermischungen doch noch in den
Nahrungsmittelkreislauf kommt. Deshalb halte ich eine
thermische Verwertung für unbedingt notwendig.

Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, über
den in den letzten Tagen verstärkt diskutiert wurde, und
zwar die Verschärfung des Bußgeldrahmens. Ich bin hier
für ein viel radikaleres Vorgehen. Wer wissentlich die Ge-
sundheit von Menschen und Tieren aufs Spiel setzt, darf
nicht mit einer Geldbuße davonkommen. Gewinnmaxi-
mierung auf Kosten der Gesundheit darf sich nicht rech-
nen!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Namen von Tiermehl- und Futtermittelherstellern, die
sich nicht an die Vorschriften halten – Gleiches gilt für
Wursthersteller, die Erzeugnisse wissentlich falsch als
rindfleischfrei deklarieren –, müssen veröffentlicht wer-
den. Das halte ich für eine richtige und wirksame Maß-
nahme des Verbraucherschutzes.

Vielleicht wäre es wirksamer, wenn die Fernsehteams
einmal bei solchen Herstellern vor Ort wären und nicht
immer nur bei denjenigen Bauern, die nichts dafür kön-
nen, dass sie in ihrem Stall ein BSE-Rind haben. Dies
hätte auch den großen Vorteil, dass diejenigen Hersteller,
die aus ethischer Überzeugung schon über Jahre wesent-
lich kostenintensiver produzieren, nicht mit Herstellern,
die sich nicht an die Vorschriften halten, in einen Topf ge-
worfen werden. Ehrlichkeit würde sich dann langfristig
wieder lohnen.

Aus Verbraucherschutzgründen fordern wir mindes-
tens folgende Maßnahmen:

Erstens. Den wahrscheinlichen Übertragungsweg
durch Tiermehl und Milchaustauscher gilt es auszu-
schließen. Um zu vermeiden, dass Tiermehl – auf welche
Art auch immer – in den Nahrungskreislauf gelangen
kann, ist die Einführung einer Verbrennungspflicht von

Tiermehl sinnvoll. Wesentlich intensivere Kontrollen auf
allen Ebenen sind durchzuführen.

Zweitens: Ausdehnung und Verschärfung der beste-
henden Aussonderungspflicht von Risikomaterial auf alle
Altersklassen von Rindern. Die Kontamination von
Fleisch mit BSE-Erregern im Schlachtprozess ist zu ver-
meiden.

Drittens: klare Kennzeichnungsvorschriften für Tier,
Futter und Erzeugnisse.

Viertens: die Forcierung der Forschung, um möglichst
bald zu einem aussagefähigen BSE-Test am lebenden
Rind zu kommen.

Fünftens: eine ehrliche Risikobewertung und eine
Überprüfung des Schweizer Modells.

Sechstens. Ziehen wir auch Lehren aus der BSE-Krise.
Wir müssen klären, welche Folgen Eingriffe in den Na-
turkreislauf haben. Hoffentlich diskutieren wir demnächst
genauso intensiv, wenn es um das Klonen von Menschen
geht.

Siebtens – ich komme zum Schluss –: Mit Schuldzu-
weisungen ist dem Verbraucher am Allerwenigsten ge-
dient. Wir brauchen ein klares Konzept, das durch ge-
meinsames Handeln aller Verantwortlichen von Bund,
Ländern und Europäischer Union, von Politik, von den
unmittelbar Beteiligten, von Wissenschaft und Forschung
parteiübergreifend erarbeitet wird. Wir bieten unsere Mit-
arbeit hierbei an.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414309200
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Wolfgang Wodarg.


Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Rede ID: ID1414309300
Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist schön, die sach-
lichen Argumente von Herrn Zöller zu hören. Ich stelle
fest, dass vieles davon in unseren Vorschlägen wiederzu-
finden ist. Die Voraussetzung dafür ist gut, dass wir in den
Ausschüssen vernünftige Dinge möglichst zügig auf den
Weg bringen.

Ich habe mich allerdings über den ersten Teil der De-
batte geärgert, in dem wenig Inhaltliches gesagt wurde
und auf die jetzige Bundesregierung geschimpft wurde.
Ich freue mich, dass die beiden damals zuständigen
Minister – ich sehe Herrn Seehofer hier und ich habe auch
Herrn Borchert gesehen – anwesend sind.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]:Wir haben mehr Minister auf der Bank als ihr!)


Ich möchte bei dieser Gelegenheit meiner Freude Aus-
druck verleihen, dass hier zur Sprache kommt, dass nicht
nur die Tiermehle, sondern auch die Tierfette – Herr
Zöller hat es gesagt – ein Risiko bedeuten. Wie man im
Protokoll nachlesen kann, hat der Vorsitzende des Land-
wirtschaftausschusses das noch im Dezember bestritten.

Ich habe 1996 in diesem Hause das erste Mal darauf
hingewiesen, dass Tierfette aus Tierkörperbeseitigungs-




Wolfgang Zöller

13983


(C)



(D)



(A)



(B)


anstalten weiterhin an Kälber verfüttert werden und dass
ich das für ein großes Risiko halte. Das ist in diesem
Hause dreimal wiederholt worden, ohne dass es umge-
setzt worden ist. Ich freue mich, dass wir gemeinsam ge-
handelt haben, auch wenn es sehr schwer gefallen ist und
wenn der Prozess des Nachdenkens ein wenig länger ge-
dauert hat.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414309400
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Carstensen?


Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Rede ID: ID1414309500
Aber gern.


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1414309600
Herr
Kollege Wodarg, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
dass in der Sondersitzung von Agrar- und Gesundheits-
ausschuss, an der Sie nicht teilgenommen haben, der von
Ihnen soeben erwähnte Vorsitzende des Agrarausschusses
gesagt hat: „Ich sehe im Moment, dass die Theorie von
Wodarg eine gewisse Logik hat“? Sind Sie bereit, mit mir
dafür zu sorgen, dass zum Beispiel den Bauern in Schles-
wig-Holstein in der Form geholfen wird, dass die Be-
stände an Milchaustauschfutter in den Betrieben von der
Regierung aufgekauft werden, damit der eine oder andere
nicht auf dumme Gedanken kommt?


Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Rede ID: ID1414309700
Lieber Herr
Carstensen, das machen wir gerne; ich nehme das zur
Kenntnis. Ich freue mich wirklich sehr, wenn hier ein Sin-
neswandel stattgefunden hat.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Er hat Sie wirklich gelobt! – Beifall der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Vielleicht wissen Sie es nicht, lieber Herr Carstensen,
aber 1996 hat aus Ihrem Wahlkreis eine Tierärztin an den
Kommissar Fischler geschrieben


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Frau Köster-Lösche!)


und damals schon genau diese Warnung ausgesprochen.
Dieser Brief ist seinerzeit und bis heute nicht von Herrn
Fischler beantwortet worden. Das heißt, die EU hat davon
Kenntnis gehabt und einfach nichts gemacht. Sie hat das
Problem totgeschwiegen, wie es auch die damalige Re-
gierung tat.

Nun gibt es sowohl innerhalb der EU-Kommission als
auch in den Mitgliedsländern der Europäischen Union
folgende Schwierigkeit: Das, was wir in Deutschland in-
zwischen gemeinsam vernünftig geregelt haben, wird dort
immer noch nicht gemacht. In anderen EU-Ländern wer-
den immer noch Tierfette Kälbern verfüttert; das ist dort
immer noch nicht verboten. Herr Fischler muss jetzt ein
solches Verbot unverzüglich umsetzen. Wenn er dies nicht
tut, soll er seinen Stuhl räumen, weil er aus den Fehlern,
die er gemacht hat, nichts gelernt hat. Es ist höchste Zeit –
das soll der Bundesregierung den nötigen Rückenwind für
ihren Einsatz bei der EU geben –, dass diese Milchaus-
tauscher überall verschwinden und nicht mehr verfüttert
werden dürfen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414309800
Gestatten Sie
eine zweite Zwischenfrage des Kollegen Carstensen?


Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Rede ID: ID1414309900
Ja, wenn es nicht auf
die Redezeit angerechnet wird.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Aber dann bitte auch eine kürzere Antwort!)



Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1414310000
Das
soll auch nur eine ganz kurze Frage sein. Herr Kollege,
Sie haben eben gesagt, dass ein Brief, der für Sie von
Wichtigkeit ist, von Herrn Fischler nicht beantwortet
wurde. Sind Sie bereit, bei der jetzigen Bundesregierung
nachzuprüfen, wie viele Briefe, auch wichtige Briefe, von
Bürgern, die sich Sorgen um die Bewältigung der BSE-
Krise gemacht haben, in letzter Zeit nicht beantwortet
worden sind?


Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Rede ID: ID1414310100
Warum soll ich das
machen, wenn die Opposition es schon gemacht hat? Aber
Sie können mir das gerne geben.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

– Das war eine kurze Antwort.

Ich möchte hinsichtlich der Vorschläge, die in unserem
Antrag stehen, noch auf einige besondere Punkte hinwei-
sen. Wir sehen in der Strategie der BSE-Bekämpfung ein
Umsteuern. Wenn es bisher hieß, jeder BSE-Fall, der in
Deutschland ruchbar werde, verunsichere die Verbraucher –
diesen Tenor hörte man lange Zeit aus Kreisen der Land-
wirte und auch der Lebensmittelproduzenten –, so heißt es
heute, dass jeder gefundene Fall die Sicherheit der Ver-
braucher erhöhe, weil er uns Erkenntnisse darüber liefere,
wo überall der Erreger sitzt und wo wir ihn bekämpfen
könnten. Wir haben damit eine völlig andere Strategie ein-
geleitet, die wir weiterverfolgen werden und die auch
konsequent weiterverfolgt werden muss.

Ich möchte deshalb in diesem Zusammenhang noch
auf einen Punkt eingehen, der in unserem Antrag nur an-
gedeutet, aber nicht näher ausgeführt worden ist. Es geht
um die Erweiterung des Verfütterungsverbotes auch auf
Wild, Haustiere und Zootiere. Man hat mir gesagt, dass
auch Zirkustiere dazu gehören. Das heißt, dass die Ver-
fütterung von Tiermehl an Tiere überhaupt verboten wer-
den soll.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Was ist mit dem Düngeverbot? Du kannst doch jetzt in jedem Laden das Zeug kaufen!)


– Auch das ist wichtig; ich komme gleich noch darauf.
Wir haben jetzt über viele Jahre hinweg einen riesigen

Feldversuch gehabt. Das, was nicht mehr an Lebensmittel
produzierende Tiere verfüttert werden durfte, hat in den
Regalen der Supermärkte und Tierfutterhandlungen ge-
standen und ist an Hunde, Katzen und sonstige Tiere ver-
füttert worden. Die Tatsache, dass in letzter Zeit von
Tierärzten häufig darauf aufmerksam gemacht wurde,




Dr. Wolfgang Wodarg
13984


(C)



(D)



(A)



(B)


dass auffällige Symptome zum vorzeitigen Tod von Haus-
tieren geführt haben – neurologische Symptomatiken, die
durchaus so gedeutet werden können, dass TSE-Fälle bei
Haustieren aufgetreten sind –, sollte uns dazu veranlas-
sen, diesen Fällen systematisch nachzugehen und dafür zu
sorgen, dass diese Tiere seziert werden, damit wir über
diesen Feldversuch, der in ganz Deutschland und auch in
anderen Ländern gelaufen ist, Erkenntnisse darüber be-
kommen, wo überall dieser Erreger schon vorkommt. Nur
dann können wir die Ausbreitungskette dieses Erregers
unterbrechen. Ich halte das für eine wichtige zusätzliche
Maßnahme, über die wir uns in den Ausschüssen noch un-
terhalten können.

Die Verfütterung an Lebensmittel liefernde Tiere ha-
ben wir verboten. Wir haben aber nicht daran gedacht,
dass auch an wild lebende Tiere Tiermehl verfüttert wird.
Tiere, die in freier Wildbahn leben und gejagt werden,
sind ja zum Teil nichts anderes als Lebensmittel liefernde
Tiere ohne Einzäunung, die gemästet werden und bei de-
ren Mast auch diese Tiermehle eingesetzt werden.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wo das denn?)


Das ist bisher nicht in die Gesetzgebung eingeflossen. Das
heißt, dass auch die Verfütterung an wild lebende Tiere da,
wo sie stattfindet, verboten werden muss.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wo denn?)


Da muss natürlich nachgeguckt werden. Die Kontroll-
möglichkeiten müssen überprüft werden. Derjenige, der
meint, er könne ein Risiko dadurch vermeiden, dass er im
Restaurant Wild bestellt, hat sich zum Teil geirrt. Da be-
steht trotzdem ein Risiko.

Ich denke, dass wir – um auf den Einwand noch einzu-
gehen, den Herr Carstensen brachte – auch auf die Dün-
gemittel achten müssen. Wenn wir überprüfen wollen, ob
das Aufbringen von Tiermehl oder von Produkten aus der
Tierkörperbeseitigung auf die Böden zur Fertilisierung,
also zur Fruchtbarmachung der Böden, Gefahren in sich
birgt, dann brauchen wir mit den dazugehörigen Versu-
chen dafür mindestens fünf bis zehn Jahre. Diese Zeit ha-
ben wir einfach nicht; so lange können wir nicht warten.

Angesichts der anfallenden großen Menge dieser
Stoffe, die man loswerden will – sie werden dann wahr-
scheinlich erst recht auf die Böden aufgebracht werden,
wenn man es nicht verbietet –, muss möglichst schnell
eine Verordnung her, die die Aufbringung als Düngemit-
tel auf die Böden verbietet.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414310200
Herr Kollege
Wodarg, „Diese Zeit haben wir einfach nicht“ ist mein
Stichwort.


Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Rede ID: ID1414310300
Okay, danke. – Ich
freue mich auf die Zusammenarbeit auch mit der Opposi-
tion, die lernfähig ist, die nicht mehr allein auf ein Im-
portverbot pocht, das sich angesichts der Tatsache, dass
wir auch so viele Fälle haben, als völlig unsinnig erwie-

sen hat. Von daher lassen Sie uns schnell vernünftige Re-
gelungen treffen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414310400
Zu einer Kurz-
intervention erteile ich dem Kollegen Carstensen das
Wort.


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1414310500
Frau
Präsidentin, sie soll auch ganz kurz sein. Ich mache sie
nicht, um die Debatte zu verlängern oder weil ich un-
wahrscheinlich viel Lust habe, weiter über BSE zu disku-
tieren. Ich brauche nur eine Minute, Frau Ministerin, um
Ihnen noch einen Punkt mit auf den Weg zu geben, der
noch nicht angesprochen worden ist.

Ich wäre Ihnen ausgesprochen dankbar, wenn Sie in
der Bundesregierung zur Sprache brächten, ob es nicht
dringend notwendig ist, den Beitrittskandidaten für die
Europäische Union – in Ihrem eigenen Interesse und im
Interesse der Europäischen Union – zu empfehlen, die
Maßnahmen, die in den derzeitigen Mitgliedsländern der
Europäischen Union zur BSE-Bekämpfung durchgeführt
werden, bereits jetzt oder möglichst bald einführen. Es
wäre fatal, wenn der Beitritt eines Landes aufgrund des
offenen Marktes dazu führen würde, dass wir bei der
Bekämpfung von BSE wieder einige Schritte zurückfal-
len.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414310600
Es ist eigentlich
nicht der Kollege Wodarg angesprochen worden, sondern
die Ministerin. Ich möchte ihr deswegen kurz das Wort
geben.

Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Ich sage Ihnen ei-
nes zu: Überall da, wo wir der Ansicht sind, dass es EU-
einheitliche Regeln geben muss, wie beim Tierfutter und
vielen anderen Fragen, gilt das auch für die Beitrittskan-
didaten. Sonst würde es mit Blick auf die Verbrauchersi-
cherheit keinen Sinn machen. Sie können sicher sein, ich
werde es auch bei den Erweiterungsverhandlungen an-
sprechen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414310700
Ich schließe da-
mit die Debatte.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den
Drucksachen 14/4924, 14/5079, 14/5097 und 14/5080 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Die Vorlage auf Drucksache 14/5085 soll zur
federführenden Beratung an den Ausschuss für Ernäh-
rung, Landwirtschaft und Forsten und zur Mitberatung
an den Ausschuss für Gesundheit, den Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und den




Dr. Wolfgang Wodarg

13985


(C)



(D)



(A)



(B)


Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung überwiesen werden. Sind Sie einverstan-
den? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Umwelt und Gesundheit

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Sondergutachten des Rates von Sachverstän-
digen für Umweltfragen
Umwelt und Gesundheit
Risiken richtig einschätzen

– zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne-
ten Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach), Wolfgang
Lohmann (Lüdenscheid), Dr. Wolf Bauer, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU zu der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Sondergutachten des Rates von Sachverstän-
digen für Umweltfragen
Umwelt und Gesundheit
Risiken richtig einschätzen

– zu dem Bericht des Ausschusses für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung

(19. Ausschuss) gemäß § 56 a der Geschäftsord-

nung
Technikfolgenabschätzung
hier: „Umwelt und Gesundheit“
– Drucksachen 14/2767, 14/2300, 14/2771 (neu),
14/2848, 14/3712 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Jutta Müller (Völklingen)

Vera Lengsfeld
Dr. Reinhard Loske
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva
Bulling-Schröter, Dr. Winfried Wolf, Kersten
Naumann, Dr. Ruth Fuchs und der Fraktion der
PDS
Verhinderung erneuter Gewässerverunreini-
gungen durch das Totalherbizid Diuron
– Drucksache 14/4710 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Kein Widerspruch.
Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die
Staatssekretärin Gila Altmann.

G
Gisela Altmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414310800

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister! Die heu-
tige Debatte hat gezeigt, dass Umwelt und Gesundheit im-
mer dann ein Topthema sind, wenn es zu so dramatischen
Ereignissen wie der BSE-Krise kommt. Sie sind aber in
der Regel Folge einer lang andauernden Fehlentwicklung,
bei der in Abwägung der unterschiedlichen Interessen der
Vorsorgeaspekt im Spannungsfeld mit anderen Interessen
oder mit dem wirtschaftlichen Druck das Nachsehen
hatte.

Abseits von solchen Ereignissen ist in den letzten ein-
einhalb Jahren das Thema „Umwelt und Gesundheit“ von
der Bundesregierung mehrfach in die öffentliche Diskus-
sion gebracht worden: durch das Sondergutachten des
Sachverständigenrates für Umweltfragen, durch den
Bericht „Umwelt und Gesundheit“ des Büros für Tech-
nikfolgenabschätzung und durch das gemeinsam vom Ge-
sundheits- und Umweltministerium vorgelegte Aktions-
programm „Umwelt und Gesundheit“.

Denn auch und gerade vor dem Hintergrund, dass im
direkt sichtbaren Bereich vieles besser geworden ist, muss
man feststellen, dass die Probleme insgesamt fortbeste-
hen, dass neue Probleme hinzugekommen sind, dass die
Wirkungszusammenhänge komplexer und damit auch
die Problemlösungen komplizierter geworden sind.

Ein Beispiel ist die Belastung in der Umgebung von
Bleihütten. Sie ist derart verändert worden, dass augen-
fällige Auswirkungen wie Bleiränder an den Zahnhälsen
von Kindern, die in dieser Umgebung gelebt haben, Gott
sei Dank der Vergangenheit angehören. Aber die Belas-
tung der Böden ist geblieben. Wenn man sich einmal an-
schaut, dass unser Sensibilisierungsgrad bei Lärm, bei
Luft und beim Wasser mittlerweile sehr hoch ist, so gilt
das für den Schutz des Bodens leider noch nicht.

Abgesehen davon, dass wir täglich 120 Hektar Fläche
versiegeln – das entspricht 120 Fußballfeldern –, wird der
Boden mit Gülle, Düngemitteln und Pestiziden sowie den
Immissionen und Emissionen der Industrie belastet. Ein
gesunder Boden verliert so nicht nur die Filterfunktion für
das Grundwasser; belastete Böden schädigen auch die Le-
bensmittel und belastete Lebensmittel sind mitverant-
wortlich für viele Krankheiten wie zum Beispiel Allergien
oder Neurodermitis.

Deshalb sind Altlastensanierung und Bodenschutz, die
Umsetzung der Biozidrichtlinie und eine neue Chemika-
lienpolitik im Rahmen der EU – man muss leider feststel-
len, dass die Bewertung von Altchemikalien viel zu
schleppend vor sich geht – ganz wichtige Punkte, die zeit-
nah abgearbeitet werden müssen.

Aber es geht auch um Zukunftspolitik. Es geht um
Kinder. Sie sind von Umweltbelastungen besonders be-
troffen. Dadurch, dass sie sich im Wachstum befinden,
werden sie durch schädigende Umwelteinflüsse in ihrer
physischen, psychischen und sozialen Entwicklung be-
sonders behindert. Wir wissen, dass die Stoffwechselum-




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
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(D)



(A)



(B)


sätze von Kindern gegenüber Erwachsenen deutlich er-
höht sind. Kinder nehmen, bezogen auf ihre Körpergröße,
deutlich mehr Nahrung und Flüssigkeit auf und atmen ein
deutlich höheres Luftvolumen ein als Erwachsene. Das
heißt: Was Hänschen an Belastungen aufnimmt, wird
Hans nicht mehr los.

Bei der Umsetzung des gemeinsamen Aktionspro-
gramms „Umwelt und Gesundheit“, bei dem es eine bei-
spielhafte Zusammenarbeit der beiden Ressorts Umwelt
und Gesundheit gibt, spielen Kinder deshalb eine zentrale
Rolle. Ich sage aber auch gleich dazu: Das kann nur ein
Anfang sein; denn dieses Thema muss zu einer Quer-
schnittsaufgabe aller Ressorts werden.

Ein Ergebnis der gemeinsamen Aktivitäten in diesem
Jahr ist deshalb, dass es neben zahlreichen Workshops
und Studien ein großes Forum „Kinder, Gesundheit und
Umwelt“ geben wird.

Ich möchte noch einen anderen Aspekt ansprechen: die
Forschung. Auch hier gibt es großen Nachholbedarf. In
der Vergangenheit hatte der Bereich Umwelt und Ge-
sundheit nicht den Stellenwert, der ihm eigentlich zukäme
und den er hätte haben müssen. Das zeigt sich nicht nur
bei BSE, sondern auch beim Einsatz neuer Technologien,
ganz besonders im Bereich der Kommunikationstechno-
logien. Das Wissen über Auswirkungen von Elektrosmog
im Bereich von Sendetürmen und bei der Benutzung von
Handys wird gerade erst erworben.

Es geht darum, die Instrumente und Strategien zur Be-
wertung von Umweltrisiken zu verbessern und klar defi-
nierte, objektivierbare Grundlagen zu schaffen. Verunsi-
cherung und Angst sind da schlechte Ratgeber. Diese
Instrumente und Strategien sind ein wesentlicher Aspekt
einer vorsorgenden Umwelt- und Gesundheitspolitik.
Aber dafür brauchen wir auch gesellschaftlichen Kon-
sens, denn Entscheidungen, die ausgehend von entspre-
chenden Ergebnissen getroffen werden, werden nicht
ohne Konflikte umzusetzen sein. Für all dieses hat die
Bundesregierung eine Risikokommission eingerichtet,
die die Information und Beteiligung der Öffentlichkeit so-
wie die Vernetzung von staatlichen Stellen entsprechend
fördern soll.

Als Letztes möchte ich noch ein Wort über die Kosten
verlieren. Sie spielen in der bisherigen Beschlusslage
keine zentrale Rolle, aber man muss klarstellen, dass vor-
sorgender Gesundheitsschutz nicht umsonst zu haben sein
wird. Klar ist auch: Vorsorge ist billiger als Nachsorge.
Das heißt, im Vergleich zu den gesamtgesellschaftlichen
Kosten einer Katastrophe müsste für eine vorausschau-
ende Vorsorgepolitik erfahrungsgemäß nur ein Bruchteil
dieser Kosten aufgewendet werden. Auch diese Lehre
sollte aus der derzeitigen BSE-Krise gezogen werden.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414310900
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Vera Lengsfeld.


Vera Wollenberger (CDU):
Rede ID: ID1414311000
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es bedeutet im-
mer wieder eine Belastung, der Frau Staatssekretärin
zuhören zu müssen, wenn sie ihre Berichte abliest.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind auf Ihre freie Rede gespannt! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Los! Zettel weg!)


Wenn wir heute aber über Umwelt und Gesundheit disku-
tieren, werden wir uns nicht der Erkenntnis verschließen,
dass sich im Augenblick der wohl ungesündeste Arbeits-
platz in Deutschland an der Spitze des Gesundheitsminis-
teriums befindet. Ich meine damit nicht nur den Fall der
glücklosen Frau Fischer, die ihr Ressort nie in den Griff
bekam,


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht ablesen! – Gegenruf von der CDU/ CSU: Sehr kollegial!)


sondern vor allem die Grünen selber, die sie schließlich
gefeuert haben, weil ihnen klar wurde, dass die Misere der
missglückten Gesundheitsreform ihre Wahlchancen ge-
fährdete.

Während sich die Grünen in den Verbraucherschutz zu
retten versuchen, worauf wir noch zurückkommen wer-
den, darf den Schleudersitz des ungeliebtesten Ministeri-
ums in Schröders Chaos-Kabinett wiederum eine Frau
einnehmen. Sie ist allerdings heute nicht da, ansonsten
hätte ich ihr gerne gratuliert, aber offensichtlich scheint
sich ihre Freude in Grenzen zu halten und sie es eher als
Strafe zu empfinden, dass sie diesen Posten einnehmen
muss. Ich möchte nur sagen, dass die blöden Pressespe-
kulationen über ihre aushilfsweise Tätigkeit als Barfrau,
die ihren Amtsantritt begleiteten, nicht einem gesunden
Informationsbedürfnis entsprechen, sondern eher einem
krankhaften Verlangen nach Auflagensteigerung um je-
den Preis entspringen. Genossen, jetzt könnt ihr einmal
klatschen, ich habe nämlich eure Ministerin in Schutz ge-
nommen!


(Ilse Janz [SPD]: Ziemlich mieses Niveau, Ihre Rede!)


Mich interessieren jedenfalls weniger Frau Schmidts
Fähigkeiten, alkoholische Mixturen zuzubereiten, als ihre
Qualifikation für ihr neues Amt.

Man muss leider feststellen, dass unser Staatschef wohl
den Überblick verloren und Frau Schmidt einen Rücktritt
zu früh befördert hat. Sie war ja wohl als Ersatz für Herrn
Riester vorgesehen. Aber da ist nun einiges durcheinander
gekommen.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Tratsch, Tratsch!)


Klare Entscheidungen kann man von Herrn Schröder
im Augenblick, wo er nur noch mit Notrettungsmanövern
für seine auseinander fallende Crew beschäftigt ist, offen-
sichtlich nicht erwarten. Uns wurde zwar auf diese Weise
ein Verbraucherministerium beschert, aber die grundle-
gende Frage, wer die Verbraucher eigentlich vor den




Parl. Staatssekretärin Gila Altmann

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(C)



(D)



(A)



(B)


Folgen der schröderschen Politik schützt, ist damit nicht
beantwortet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Um es an unserem Thema festzumachen: Noch nie wa-

ren die Menschen so gesund wie heute und noch nie ha-
ben sie so lange gelebt. Noch nie haben die Menschen
über eine so gesunde und sichere Nahrung wie heute ver-
fügt. Daran ändert auch die BSE-Krise nichts.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da freuen die sich riesig!)


Laut Auskunft des Wissenschaftlichen Dienstes des
Bundestages gab es im Jahr 2000 übrigens keinen einzi-
gen Fall des Creutzfeldt-Jakob-Syndroms in Deutsch-
land. In Großbritannien gab es innerhalb von zehn Jahren
89 Fälle. Bei keinem einzigen konnte eine direkte Verbin-
dung zu der Rinderkrankheit nachgewiesen werden. Aber
statt wie sein Vorbild Tony Blair demonstrativ Rindfleisch
essen zu gehen,


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht könne Sie das ja tun!)


verfällt unser Kanzler der BSE-Hysterie und kündigt den
Feldzug gegen die industrielle Landwirtschaft an. Damit
gefährdet er die Gesundheit seines Volkes mehr, als es ein
BSE-infiziertes Rind je könnte. Denn die Tatsache, dass
wir heute über ausreichend gesunde und sichere Lebens-
mittel verfügen, ist der industriellen Landwirtschaft zu
verdanken. Moderne Tierhaltung, die Großproduktion
von Pflanzen, Plastikversiegelung, Dosen und Tiefkühl-
truhen mögen uns zwar von den Lebensmitteln entfrem-
den, für unsere Gesundheit sind sie aber ein Segen.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Vormoderne Formen der Tierhaltung waren keineswegs
humaner. Naturbelassene, unbehandelte Nahrungsmittel
sind, wie manche Frischkornbreianhänger am eigenen
Leibe schmerzhaft erfahren mussten, keineswegs gesün-
der als moderne Lebensmittel.

Aber die moderne Lebensmittelproduktion ist nicht nur
gut für die Gesundheit, sie ist auch ein nicht zu unter-
schätzender Beitrag für die Umwelt. Intensive Anbaume-
thoden, mit denen auf immer weniger Fläche immer mehr
Menschen ernährt werden können, geben der Natur Gele-
genheit, verlorene Räume zurückzuerobern, und bedroh-
ten Arten die Chance, zu überleben.

Es ist auch nicht wahr, dass Großproduktion an sich
unökologisch sei. Im Gegenteil. Sie kann sehr viel um-
welt- und ressourcenschonender betrieben werden als
manche der idealisierten Kleinproduktionen.

Wir haben das in diesem Hause heute schon bespro-
chen: Wir wissen noch nichts über BSE. Aber sicher ist,
dass BSE nichts mit der Technologieentwicklung zu tun
hat, sondern mit missbräuchlichen Praktiken und
mangelnden Kontrollen. Anstatt jedoch das Problem ernst
zu nehmen, die Ursachen zu suchen und abzustellen, wird
eine vom Kanzler maßgeblich unterstützte hysterische
Diskussion geführt. Dieses Mal kommt die schon über-

wunden geglaubte Industriekritik im Mäntelchen des Ver-
braucherschutzes daher. Wir sind aber kein Land von
82 Millionen unschuldigen Verbrauchern, die das Opfer
von Wirtschaftsinteressen sind. Vielmehr hat die perma-
nente Nachfrage nach billigen Produkten ohne Wenn und
Aber zu einem erheblichen Preisdruck auf die Pro-
duzenten geführt. Zu den schwierigsten Aufgaben der
Verbraucherpolitik wird es gehören, klar zu machen, dass
die Verbraucher auch ihre Eigenverantwortung wahrneh-
men müssen. Wie keine andere Gesellschaft zuvor ist die
marktwirtschaftliche Gesellschaft Ausdruck des freien
Willens aller. Noch nie hat eine Gesellschaft so vielen
Menschen eine Chance eröffnet und ein Leben in Wohl-
stand ermöglicht wie die Marktwirtschaft. Trotzdem
werden immer wieder Misstrauen und Angst gegen sie ge-
schürt. Vorhin wurde ja von der ganz linken Seite be-
zeichnenderweise der Vorwurf erhoben, auch die Biobau-
ern würden sich den marktwirtschaftlichen Kriterien
unterwerfen. Das ist offensichtlich das Schlimmste, was
Ihnen zu Biobauern einfällt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist auch immer wieder behauptet worden, dass BSE

nur auftreten könne, weil die freien Kräfte des Marktes
ungebändigt wirken dürften. Aber BSE ist im planwirt-
schaftlich regulierten europäischen Landwirtschaftsge-
biet und nicht in den USAaufgetreten, wo sich die Markt-
kräfte viel freier entfalten können.

Um Missverständnissen gleich vorzubeugen: Damit
will ich nicht sagen, dass BSE in den USAnicht auftreten
könnte, sondern nur klar machen, dass, um ein bekanntes
Sprichwort abzuwandeln, die Industriegesellschaft nicht
mit BSE durchs Dorf getrieben werden soll.

Es ist auch verfehlt, immer wieder das Künstliche zu
beklagen und dem Natürlichen gegenüberzustellen. In der
Geschichte hat sich das Künstliche immer wieder als die
Rettung des Natürlichen erwiesen. Nur die Erfindung der
Dampfmaschine und die dadurch mögliche Förderung
von Kohle aus großen Tiefen haben die vollständige Ab-
holzung der Wälder in Mitteleuropa verhindert.


(Lachen des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Heute sind die Wälder in Europa und anderswo – trotz ge-
genteiliger Prognosen – wieder auf dem Vormarsch. Da-
rüber sollten sich die Grünen freuen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Vielleicht ist Ihr Lachen, Herr Trittin, ein Ausdruck der
Freude. Ich gönne Ihnen diese Freude von ganzem Her-
zen.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre ganze Rede ist ein Quell der Freude! – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


– Es tut mir Leid, ich habe Ihren Zwischenruf nicht ver-
standen. Deswegen kann ich nicht darauf eingehen.

Ich will ein weiteres Beispiel nennen: Nur Kunstfasern
können die pestizidintensive und damit umwelt- und ge-




Vera Lengsfeld
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(D)



(A)



(B)


sundheitsgefährdende Produktion der Naturfaser Baum-
wolle ersetzen.

In der Diskussion um die Gefahren der Chemie wird
immer wieder vergessen, dass es vor allen Dingen der
Chemie zu verdanken ist, dass die Natur gerettet und die
Gesundheit der Menschen erhalten werden kann. Ich will
Ihnen dazu ein weiteres Beispiel nennen: Naturmedizin
ist heute das mit Abstand größte Artenschutzproblem für
seltene Pflanzen und Tiere. Nur wenn es gelingt, die Na-
turmedizin gleichwertig zu ersetzen, werden viele Arten
gerettet werden können. Es ist deshalb eine der wich-
tigsten Aufgaben der weiteren Entwicklung, künstlichen
Ersatz für natürliche Rohstoffe zu finden, um die Natur
nicht weiter zu verbrauchen bzw. ihr die Gelegenheit zu
geben, sich zu regenerieren. Das nutzt unserer Gesundheit
und auch der Umwelt.

Eine Schlüsselrolle kommt dabei der Biotechnologie
zu. Die Biotechnologie bedient sich – beispielsweise bei
der Pflanzenzucht – viel intelligenter der Methoden der
Natur als herkömmliche Verfahren. Denn durch Biotech-
nologie wird das Künstliche natürlich. Um den Soziolo-
gen verständlich zu bleiben, könnte man auch sagen, dass
die Biotechnik einen Weg aus der viel beklagten Ent-
fremdung von Mensch und Natur bietet.

Ob Frau Künast diese Herausforderung produktiv auf-
nimmt und als Ministerin innovativ gestaltend wirken
wird, bleibt abzuwarten. Das große Verdienst der Grünen
ist es gewesen, dass sie auf Umweltprobleme aufmerksam
gemacht und sie in das öffentliche Bewusstsein gerückt
haben. Heute stehen sie der Lösung dieser Probleme al-
lerdings eher im Wege und üben sich in zweifelhaften
Mätzchen. Beispielsweise verspricht Herr Trittin in seiner
Ökosteuerkampagne der verdutzten Bevölkerung mehr
Sex.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können wir einmal etwas zum Thema erfahren?)


Man darf rätseln, ob er das tut, um in der nächsten Runde
von einer Vergnügungssteuer sprechen zu dürfen, oder ob
er das tut, weil ihm auf den endlosen Sitzungen der
K-Gruppen in seiner Jugend sämtliche Lust abhanden
gekommen ist.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da wären Sie gerne dabei gewesen!)


– Ist das ein Angebot, Herr Minister? Seien Sie vorsich-
tig! Vielleicht komme ich noch darauf zurück.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Weil wir gerade so heiter sind, möchte ich zum Schluss
erwähnen, dass die baden-württembergischen Grünen
noch eins draufsetzen. Sie versprechen nämlich auf ihrem
Wahlplakat: Grüne – wie soll ich es höflich umschreiben? –
machen‘s besser. Ich würde den Baden-Württembergern
trotz allem dringend davon abraten, das in einem Feld-
versuch auszuprobieren;


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


denn die Potenzprobleme der grünen Partei sind ja doch
evident.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414311100
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Jutta Müller.


Jutta Müller (SPD):
Rede ID: ID1414311200
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin einigermaßen
verwirrt und habe mich die ganze Zeit gefragt, ob ich oder
Sie zu einem falschen Tagesordnungspunkt reden.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nicht nur Sie!)

Ich möchte daher zunächst den Besuchern auf der Tribüne
sagen, was das Thema dieser Debatte ist.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Es geht beispielsweise um ein Sondergutachten des Rates
von Sachverständigen für Umweltfragen zur Verbesse-
rung der umweltbezogenen Gesundheitsbeobachtung und
um das Informationsmanagement in unterschiedlichen
Bereichen. Es geht ferner um einen Bericht zur Technik-
folgenabschätzung.


(Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Das wissen wir doch! Das haben wir alles nachgelesen!)


– Ich bezweifle, dass Sie das nachgelesen haben; denn
sonst hätten Sie nicht einen solchen Unsinn erzählen kön-
nen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Ich muss doch keine Inhaltsangabe machen! Ich führe eine politische Debatte!)


Diese Punkte haben wir schon im Ausschuss diskutiert.
Meine Fraktion hat mehrere Veranstaltungen zu diesem
Thema durchgeführt und mit Wissenschaftlern und mit
Betroffenen, aber auch – ich denke, das ist ganz wichtig –
mit Patienteninitiativen gesprochen. Wir haben festge-
stellt, dass es hier einen enorm hohen Informationsbedarf
gibt. Genau dieser breite gesellschaftliche Diskurs wird
von dem Ausschuss, der sich mit der Technikfolgen-
abschätzung befasst, angeregt.

Dieser Bericht, der sich weniger mit den Umweltbelas-
tungen und den daraus entstehenden Krankheiten beschäf-
tigt – das ist in einer Vorstudie gemacht worden –, geht
mehr auf die Bewertungskontroversen und Präventions-
ansätze bei Handlungsoptionen ein. In Bezug auf die Ge-
fährdungspotenziale bestimmter Stoffe und deren Wir-
kung auf den menschlichen Organismus sowie auf
verschiedene Krankheitstypen und deren Ursachen
herrscht in dem Sondergutachten des Sachverständigen-
rates Übereinstimmung. Ebenso wird auf eine große Dis-
krepanz zwischen der Expertenmeinung und dem
Laienverständnis hingewiesen, die das Handeln im Be-
reich Umwelt und Gesundheit für uns nicht immer leicht
macht. Ein Informationssystem mit klaren Zuständigkei-
ten, starker Vernetzung und hoher Transparenz ist ebenso
notwendig wie der von mir schon erwähnte Diskurs unter
Einbeziehung aller gesellschaftlich relevanten Gruppen.




Vera Lengsfeld

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(C)



(D)



(A)



(B)


Ich möchte ein kleines Beispiel nennen. Wir haben in
Deutschland mehrere umweltmedizinische Ambulanzen.
Bei diesen ist festgestellt worden, dass bei 40 bis 80 Pro-
zent der Patienten, die dort behandelt wurden, Umwelt-
ursachen nicht nachgewiesen, aber auch nicht ausge-
schlossen werden konnten. Man kann das auch darauf
zurückführen, dass unterschiedliche Erhebungs- und Anam-
neseschemata zur Entstehung unvergleichbarer Daten
führen.

Die Präventionsansätze bilden im TA-Bericht einen
besonderen Schwerpunkt. Die Gesundheitspolitik der
vergangenen Regierung war in erster Linie auf die Aus-
gestaltung und Finanzierung der medizinischen Versor-
gung gerichtet. Die Prävention soll zukünftig eine größere
Berücksichtigung finden.


(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Wodarg [SPD])


Dabei sollte man nicht nur in dem engen Rahmen der me-
dizinischen Prävention bleiben, die die Vermeidung von
Krankheiten oder von Krankheitsverschlechterungen zum
Ziel hat; auch die Gesundheitsförderung sollte meines Er-
achtens mehr Gewicht erhalten.

Ich meine, dass wir uns hier auch – die Frau Staatsse-
kretärin hat es schon angesprochen – über Finanzierungs-
methoden unterhalten müssen. Es sind Vorschläge ge-
macht worden, beispielsweise die Fondslösung oder die
Erweiterung der Möglichkeiten der Beteiligung von
Krankenkassen an der Gemeinschaftsaufgabe zur Schaf-
fung einer Gesundheitsförderung. Damit wird die Ge-
sundheitsförderung in Zukunft vielleicht sogar ein Stück
weit billiger werden.

Die intersektorale Zusammenarbeit auf Bundes-, Län-
der- und kommunaler Ebene soll festere Informations-
und Organisationsstrukturen erhalten, um sektorübergrei-
fende Politikansätze im Bereich Umwelt und Gesundheit
nachhaltig zu fördern.

Der TA-Bericht betont allerdings auch einen hohen
Forschungsbedarf nicht nur im Bereich der Umweltbelas-
tungen und der daraus resultierenden Krankheitsbilder,
sondern auch hinsichtlich der Wege der Kommunikation
und der Präventionsansätze, die zu einer Erhöhung der
Gesundheit in der Bevölkerung beitragen können.

Das Aktionsprogramm „Umwelt und Gesundheit“
der Bundesregierung hat viele in dem Sondergutachten
und dem TA-Bericht angesprochenen Punkte bereits inte-
griert: die systematische Erfassung umweltbedingter ge-
sundheitsschädigender Faktoren, die Bewertung auf der
Grundlage neuer Erkenntnisse und die Ableitung entspre-
chender zielorientierter Maßnahmen. Das Vorsorgeprin-
zip – das ist das Neue an rot-grüner Umwelt- und Gesund-
heitspolitik – wird dabei als Grundprinzip der Umwelt-
und Gesundheitspolitik herausgestellt. Damit wird zu-
gleich eine entscheidende Voraussetzung dafür geschaf-
fen, dass Gesundheit für alle möglich ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir hatten im vergangenen Jahr nach der Diskussion
im Ausschuss zwei unterschiedliche Entschließungs-

anträge. Ihr Antrag, Frau Lengsfeld, war gar nicht so
schlecht und wir waren uns im Grundsatz – das haben wir
im Ausschuss diskutiert – eigentlich einig; in weiten Tei-
len herrschte Übereinstimmung. Ich hatte damals nur ge-
sagt, mir greife der Antrag der CDU/CSU etwas zu kurz;
es fehlten einige Punkte. Wir haben zum Beispiel schon
damals bemängelt, dass Sie in Ihrem Antrag den ganzen
Bereich Lebensmittelsicherheit, Futtermittelsicherheit
und Produktsicherheit bei der Ernährung ausgeklammert
haben. Wie wir jetzt an der aktuellen Debatte, die sich si-
cherlich niemand von uns in diesem Ausmaß gewünscht
hat, sehen, war das ein Fehler. In unserem Antrag war die-
ser Bereich enthalten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Marita Sehn [F.D.P.]: Sie hätten etwas tun können!)


– Sie waren 16 Jahre an der Regierung und haben nichts
getan! Deshalb sollten Sie etwas vorsichtig mit solchen
Zwischenrufen sein. Die F.D.P. war sogar noch viel län-
ger an der Regierung.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Sie haben vor 16 Jahren schon BSE gekannt?)


Wir haben ein Sofortprogramm mit zwölf Punkten vor-
geschlagen, das Aufgaben benennt, die sofort und um-
fassend umgesetzt werden sollen. Ihren Antrag finde ich
grundsätzlich nicht schlecht. Aber in ihm fehlt eine ganze
Reihe von Punkten. Es wäre schön gewesen, wenn wir es
geschafft hätten, uns auf einen gemeinsamen Antrag zu ei-
nigen.

Ich war vor kurzem auf einer Konferenz hier in Berlin,
auf der es um die Innenraumluftqualität ging. Ich
denke, das ist ein Punkt, dem wir in Zukunft sehr viel
mehr Aufmerksamkeit widmen sollten. Ich habe mit dort
anwesenden Experten gesprochen. Bei mir verfestigt sich
die Erkenntnis, dass es nicht länger hinnehmbar ist, dass
Grenzwerte sich immer an erwachsenen, gesunden Män-
nern orientieren. Das sollten wir jetzt anpacken. Wenn
Grenzwerte festgelegt werden, haben wir besonders auf
gefährdete und schutzbedürftige Gruppen – alte Men-
schen oder auch Kinder – zu achten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dass Kinder stärker betroffen sind, ist ganz klar. Dazu
werde ich nichts mehr sagen. Das hat die Frau Staatsse-
kretärin hier ausführlich dargestellt.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Aber man könnte noch ergänzen!)


Wir werden mit unserem Forum „Kinder, Umwelt und
Gesundheit“ dies noch aufnehmen.

Bei der Umsetzung des Aktionsprogramms „Umwelt
und Gesundheit“ wird zurzeit auch ein Prüfverfahren zur
Ermittlung von Emissionen flüchtiger organischer Ver-
bindungen in die Innenraumluft entwickelt. Damit wird
erstmalig in Deutschland ein Verfahren zur Prüfung der
Emissionen von Produkten als Grundlage für die Vergabe
einer unabhängigen Kennzeichnung eingeführt.




Jutta Müller (Völklingen)

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(C)



(D)



(A)



(B)


Der Ausschuss zur gesundheitlichen Bewertung von
Bauprodukten wird zudem ein Konzept erarbeiten, wel-
ches die Kategorisierung von VOC-Emissionen aus Bau-
produkten im Zusammenhang mit ihrer Wirkung auf die
Gesundheit ermöglicht.

Neben einer Vielzahl von Maßnahmen, die bereits von
BMU und BMG umgesetzt werden – Frau Altmann ist da-
rauf eingegangen –, werden wir neue Organisationsstruk-
turen, was die Risikobewertung angeht, einführen. Mit
der berühmten Kommission aus 22 Experten werden wir
den Dialog von Wissenschaft, Behörden, Wirtschaft, Um-
welt- und Verbraucherverbänden organisieren können.
Das ist, denke ich, ein ganz elementarer Baustein einer
neuen Umwelt- und Gesundheitspolitik.

In unserem Antrag und im Aktionsprogramm der Bun-
desregierung haben wir ein anspruchsvolles und verant-
wortungsvolles Arbeitsprogramm zur Verbesserung des
Umwelt- und Gesundheitsschutzes vorgelegt, das wir im
Interesse der Menschen zügig umsetzen wollen.

Frau Lengsfeld, Sie haben eben gesagt, wir würden
Marktwirtschaft verteufeln. Das ist natürlich Blödsinn;
das macht kein Mensch. Wir haben aber manchmal durch-
aus schwierige Diskussionen mit der Industrie zu führen,
denen wir uns stellen müssen. Es ist ganz klar, dass es da-
bei oftmals unterschiedliche Interessen gibt. Die Industrie
sagt uns: Ihr dürft uns nicht behindern. Ihr dürft keine Ver-
bote setzen. – Wir werden im Ausschuss über Diuron re-
den; die PDS hat heute einen Antrag dazu vorgelegt. Auch
dazu sagt die Industrie: Wir stehen im Wettbewerb. Diuron
dürft ihr nicht verbieten.

Ich erinnere mich an eine Dokumentation über das In-
dien des 21. Jahrhunderts, die vor kurzem im Fernsehen
lief und über die ich entsetzt war. Sie begann mit der hei-
len Computerwelt und den tollen Arbeitsplätzen. Dann
fuhr der Berichterstatter weiter in den Norden Indiens, in
den so genannten goldenen Korridor. Dort hat man che-
mische Industrie angesiedelt. Diese chemische Industrie
arbeitet fast ausschließlich für europäische Industrieun-
ternehmen und stellt Vorprodukte her. Weil diese europä-
ischen Industrieunternehmen die Preise so stark drücken,
dass die indischen Betriebe gar keine Gewinne mehr er-
zielen könnten, wenn sie ihre Abwässer behandelten oder
Maßnahmen zur Luftreinhaltung ergriffen, wird all das
dort nicht mehr getan. Links und rechts neben den Fabri-
ken liegen Felder, deren Grundwasser verseucht wird.

Ich will mit diesem Beispiel sagen: Wenn unsere Indus-
trie auf den globalen Wettbewerb hinweist, dann müssen
wir auch über solche Dinge diskutieren. Globalisierung
hat nicht nur etwas mit Geld, sondern auch etwas mit ver-
antwortungsvollem Handeln zu tun.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414311300
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Marita Sehn.


Marita Sehn (FDP):
Rede ID: ID1414311400
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Auf den ersten Blick scheint es eine

triviale Selbstverständlichkeit zu sein. Denn eine Grund-
satzdebatte zum Thema Umwelt und Gesundheit müsste
eigentlich überflüssig sein. Jeder vernünftige Mensch
wird zustimmen. Natürlich geht es bei der Umweltpolitik
auch darum, alles zu tun, was der menschlichen Gesund-
heit förderlich ist, und alles zu unterlassen, was ihr scha-
det.

Das Ziel der Umweltpolitik, wie es auch von der
Weltgesundheitsorganisation beschrieben wurde, ist also
verbindlich: Der Zustand der natürlichen Umwelt und der
Umgang mit den Ressourcen müssen so gestaltet werden,
dass hierdurch zumindest keine Krankheiten entstehen. –
Über diesen Punkt sind wir uns wohl alle einig.


(Beifall bei der F.D.P.)

Tatsächlich hat die Umweltpolitik vergangener Legis-

laturperioden viel erreicht. Schutzvorschriften für den
Umgang mit gefährlichen Chemikalien sowie Maßnah-
men zum Gewässerschutz, zum Klimaschutz und zur Luft-
reinhaltung sind nur wenige Stichworte.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das war bei der alten Bundesregierung!)


– Ja, lieber Dieter Thomae, so ist es. – Alles war und ist
genau diesem Ziel, dem der menschlichen Gesundheit,
verpflichtet. Es fehlt also nicht an gutem Willen.

Auch aktuelle Krisen ändern nichts daran, dass ein
Blick auf vergangene Legislaturperioden gerade auch im
Hinblick auf die Umweltpolitik viele Erfolge erkennen
lässt. Zu Recht wird dies in den Anträgen, über die wir
heute diskutieren, überwiegend erwähnt.

Ohne Zweifel: Die wissenschaftliche Forschung muss
in diesem Bereich noch verstärkt werden.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es geht darum, gesundheitliche Gefahren im Umweltbe-
reich besser zu verstehen, sie früher zu erkennen und da-
rüber zu informieren.


(Beifall bei der F.D.P.)

Zur Vorbeugung gegen Krankheit oder gar Epidemien

müssen Risiken rechtzeitig erkannt und bewertet, geeig-
nete Schutzmaßnahmen ergriffen und eingetretener Scha-
den begrenzt werden. Dazu gehören auch der Aufbau von
Informations- und Kommunikationsnetzen sowie die
breite Veröffentlichung fundierter Ergebnisse der Wissen-
schaft.

Die F.D.P. hat sich stets eindeutig und mit Engagement
zu einer Ausweitung der Forschungsaktivitäten im Hin-
blick auf eine Risikoabschätzung und Risikobewertung
im Umweltbereich bekannt und dies nachdrücklich gefor-
dert.


(Beifall bei der F.D.P.)

Insoweit teilen wir die Einschätzungen, wie sie auch im
Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grü-
nen vorgetragen werden.

Wir teilen jedoch nicht die vorbehaltlose Heraus-
stellung des Vorsorgeprinzips als Grundprinzip für




Jutta Müller (Völklingen)


13991


(C)



(D)



(A)



(B)


Umwelt- und Gesundheitspolitik, wie Rot-Grün dies for-
dert. Gerade unter dem Eindruck aktueller Bedrohungen
ist Hysterie der denkbar schlechteste Ratgeber.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wenn Sie das Prinzip der Vorsicht überhöhen, dann

werden Sie das Prinzip individueller Verantwortlichkeit
aushöhlen.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Aber Vorsorge ist doch Verantwortung!)


Dies werden wir Liberale standhaft verweigern.
Die F.D.P. lehnt den Antrag der Fraktionen von SPD

und Bündnis 90/Die Grünen ab. Der Grund dafür ist der
leichtfertige und unter dem Eindruck aktueller Krisen ver-
führerische, dennoch populistische Umgang mit dem
Vorsorgeprinzip. Als alles überwölbende Richtlinie der
Politik, Herr Müller, ist das Vorsorgeprinzip nämlich zu
unbestimmt.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Wieso denn das?)


Grundvoraussetzung für eine sachgemäße Anwendung
des Vorsorgeprinzips ist immer ein fundiertes Wissen.
Erst ein solches ermöglicht überhaupt eine Vorsorge, die
diesen Namen verdient. Eine angebliche Vorsorge ohne
das notwendige Wissen ist bestenfalls blinder Aktionis-
mus


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

und schlimmstenfalls eine unnötige Verunsicherung der
Menschen. Ich möchte hier an die letzten Wochen erin-
nern.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Da hat sie Recht!)


Ein leichtfertig gebrauchtes Vorsichtsprinzip ist ein
breites Einfallstor für staatlichen Dirigismus und Paterna-
lismus. Das Vorsorgeprinzip wird den Staat in Versuchung
führen, den Bürgern Wissen vorzugaukeln, welches er
nicht hat.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dabei ist die Wirkung auf die Öffentlichkeit unkalku-
lierbar: Politisch festgelegte Vorsichtswerte enthalten im-
mer eine Sicherheitsreserve. Diese kann im Einzelfall er-
heblich überschritten werden, ohne dass tatsächlich eine
akute Gefahr besteht. Umgekehrt kann das Einhalten
staatlicher Vorsichtswerte Unbedenklichkeit dort vorspie-
geln, wo tatsächlich erhebliche Gefahren lauern. Das Vor-
sorgeprinzip kann auch schnell zu einem staatlichen Be-
vormundungsprinzip werden.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Die F.D.P. fordert, neben einer berechtigten Vorsorge


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Was ist denn eine unberechtigte Vorsorge?)


vor allem die Aufklärung der Bürger zu einem Schwer-
punkt der Politik zu machen. Nur ein Bürger, der umfas-
send um die Risiken weiß, kann selbstständig und ei-

genverantwortlich handeln. Das Vorgaukeln falscher Si-
cherheiten durch den Staat führt die Bürger in die geistige
Unmündigkeit. Dies wird eine liberale Partei niemals zu-
lassen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Vergessen werden darf auch nicht, dass die Bewertung
von Risiken durch die Bürger oft eine andere ist als die
Bewertung derselben Risiken durch Wissenschaft und Po-
litik. Risiken werden also umso geringer eingeschätzt, je
freiwilliger sie eingegangen werden – man denke an das
Rauchen oder an Unfallrisiken bei dem Ausüben gefähr-
licher Sportarten.

Diese Tendenz lässt sich auch bei so manchem Politi-
ker beobachten. So wird das Verprügeln von Polizisten
und das Werfen mit Steinen – das konnten wir gestern bei
Joschka Fischer erleben – auf der einen Seite zum Kampf
um die Freiheit hochstilisiert, während man auf der ande-
ren Seite natürlich jeden Einsatz von Gewalt scharf ver-
urteilt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Die Gesellschaft als Ganzes tendiert aber zum Null-

risiko. Jedes denkbare Lebensrisiko soll gänzlich und am
besten durch den Staat ausgeschlossen werden. Die Vor-
stellung im Antrag der Fraktionen von SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen, es möge eine politisch-gesellschaft-
liche Diskussion darüber geführt werden, welche Risiken
die Gesellschaft bereit ist zu tragen, ist deshalb bestenfalls
eine Illusion, schlimmstenfalls eine zynische Veralberung
der Bürger.


(Beifall bei der F.D.P.)

Die F.D.P. begrüßt, dass das Problemfeld von Umwelt

und Gesundheit in den vergangenen Jahren, unter ande-
rem durch die hier vorliegenden Gutachten, frühzeitig und
unabhängig von aktuellen politischen Problemen ins
Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt wurde. Trotz aktuel-
ler Krisen mahnen wir zu Besonnenheit. Information und
Transparenz sind das Gebot der Stunde für den Bereich
Umwelt und Gesundheit. Sie sind die Voraussetzung
dafür, dem Bürger eine eigenständige Entscheidung zu
ermöglichen – was besser ist als jede staatliche Bevor-
mundung,


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

nicht zuletzt auch mit Blick auf den Verbraucherschutz.
Einen Vormundschaftsstaat mit Rundumbetreuung der
Bürger wird es mit den Liberalen aber nicht geben,


(Beifall bei der F.D.P. sowie der Abg. Vera Lengsfeld [CDU/CSU])


auch dann nicht, wenn sich der Vormundschaftsstaat an-
maßend als Gesundheitsschützer kostümiert.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414311500
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Eva Bulling-Schröter.




Marita Sehn
13992


(C)



(D)



(A)



(B)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1414311600
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich die Rede von
Frau Lengsfeld von der CDU gehört habe, war ich baff:
Die Menschen werden immer älter, immer gesünder – al-
les toll! Vor allem genetisch veränderte Lebensmittel sind
echt super. In Ihrem Entschließungsantrag dagegen heißt
es:

Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Allergien
werden in ihrem Ausmaß in Öffentlichkeit und Poli-
tik in der Regel eher unterschätzt.

Ich würde vorschlagen, Sie einigen sich auf eine Position.
In der Öffentlichkeit schaut es nicht gut aus, wenn es der-
art verschiedene Stellungnahmen gibt. Ich jedenfalls war
sehr verwirrt.


(Beifall bei der PDS)

Aber jetzt zu unserem Antrag. In unserem Antrag geht

es um das Bestreben der Bahn AG, die Wiederzulassung
des Totalherbizids Diuron zu erreichen. Dies halten wir
für unverantwortlich. Denn Diuron zählt zu den Phenyl-
harnstoffverbindungen, die im menschlichen Organismus
zu Stoffen mit Krebs erregender Wirkung umgewandelt
werden können. Zudem sind sie toxisch für Kleinstlebe-
wesen im Wasser.

Die Bahn war bis zum Verbot des Mittels 1997 größter
Anwender von Diuron. Es wurde vor allem als Unkraut-
vernichtungsmittel in Gleisanlagen eingesetzt. Immer
häufiger wurde das giftige Totalherbizid in Brunnen un-
weit von Gleisanlagen und Bahnhöfen nachgewiesen.
Die Unkrautvernichtungspraxis der Bahn brachte damit
die unschädliche Versorgung der Bevölkerung mit un-
bedenklichem Wasser in Gefahr. Es wurden Diuronfunde
im oberflächennahen Grundwasser mit Überschreitungen
des Grenzwertes von 0,1 Mikrogramm pro Liter um das
40- bis 60fache festgestellt.

Diese Fakten haben, auch infolge massiver Proteste
seitens der Umweltbewegung, bereits 1996 zur Einstel-
lung der Anwendung von Diuron durch die DB AG ge-
führt. Die Herstellerfirma, Bayer AG, hat das Gift zeit-
weilig vom Markt genommen; die Anwendung wurde
schließlich verboten. Der Bundestag hatte sich seinerzeit
mehrfach mit dem Thema beschäftigt. Die SPD wird sich
dunkel daran erinnern; schließlich hat sie 1996, seinerzeit
in der Opposition, einen mit unserem heutigen Antrag
dem Sinn nach fast gleich lautenden Antrag gestellt, wel-
chem die Grünen damals zustimmten.

An der durch das Gift hervorgerufenen Gefährdungs-
lage hat sich seitdem wohl nichts geändert. Dieser Ansicht
sind auch Wasserversorger wie beispielsweise die Gelsen-
wasser AG. In einer Pressemitteilung vom 25. Oktober
letzten Jahres hat sie sich klar gegen die Wiederzulassung
und den Einsatz von Diuron ausgesprochen. Begründet
wurde dies mit der humantoxischen Eigenschaft und den
enormen Aufwendungen der Wasserwerke für die Ent-
fernung des Giftes aus dem Grundwasser. Die hohe Be-
denklichkeit von Diuron für Umwelt und Verbraucher
bestätigte im Übrigen auch der Sachverständigenrat für
Umweltfragen in seinem Sondergutachten „Flächen-
deckend wirksamer Grundwasserschutz“ von 1998.

Die Bahn weiß natürlich ganz genau, dass ihre Argu-
mentation, es gebe keine Alternativen zur chemischen
Keule, Unsinn ist. Sowohl in der Schweiz als auch in
Österreichwerden die Gleise nicht mit Diuron behandelt.
Mechanische Maßnahmen wie das Anpflanzen von Grä-
sern, die das Unkrautwachstum verhindern oder bremsen,
sowie die Behandlung mit Dampf sind Beispiele alterna-
tiver Unkrautvernichtung. Eine Behandlung mit weniger
toxischen Pestiziden, die nur auf die oberirdischen Teile
der Pflanzen einwirken und in geringen Mengen ausge-
bracht werden können, wäre zwar ebenfalls denkbar, halte
ich aber auch für eine schlechte Lösung.

Doch bei der DB AG steht gegenwärtig das Zeichen auf
Schrumpfbahn; sie will sparen. Wenn man diese Pestizide
einsetzt, kann man Personal einsparen. Dies geschieht
natürlich auf Kosten der Umwelt. Die Rosskur zulasten
von Umwelt und Gesundheit rechnet sich besser.

Wir fordern deshalb in unserem Antrag die Bundesre-
gierung auf, darauf hinzuwirken, dass die entsprechenden
Bundesanstalten und Institute sowie das Umweltbundes-
amt eine Wiederverwendung der Pflanzenschutzmittel
mit dem Wirkstoff Diuron untersagen. Darüber hinaus
sollen ähnliche Totalherbizide, die über Abschwemmun-
gen die Gewässer belasten, für Kleinanwender und die
Anwendung auf nicht landwirtschaftlich genutzten Frei-
flächen verboten werden.

Im Übrigen hat Umweltminister Schnappauf aus Bay-
ern, CSU, diese Forderung auch schon gestellt. Dazu gab
es vorige Woche eine Presseerklärung. Die Kollegen
nicken, das heißt, wir könnten hier im Bundestag ge-
meinsame Sache hinsichtlich des Verbots von Pestiziden
machen. Das wäre eine tolle Sache.


(Beifall bei der PDS – Vera Lengsfeld [CDU/ CSU]: Das möchte die PDS gerne!)


Darauf, der tatsächlichen Vorsorge im Verbraucher-
schutz mehr Beachtung zu schenken, sollten wir uns in
diesem Hause auch angesichts der BSE-Krise wohl eini-
gen können. Die Vorsorge gehört wirklich dazu. Sie
wurde von meiner Vorrednerin klein geredet; ich denke
aber, das ist eine ganz wichtige Sache.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Nein! – Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Nein, sie hat die individuelle Verantwortung betont!)


Ein Verbot dürfte wohl nicht übermäßig schwer fallen;
denn die jetzige Regierung bräuchte nur bei ihrer Position
aus der letzten Legislaturperiode zu Diuron und die da-
malige Regierung bei ihrem seinerzeit vollzogenen An-
wendungsverbot zu bleiben.

Danke.

(Beifall bei der PDS – Marita Sehn [F.D.P.]: Das war keine gute Rede!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414311700
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Uli Höfken.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414311800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und






(C)



(D)



(A)



(B)


Kollegen! Auch ich habe aus der Debatte einen sehr wi-
dersprüchlichen Eindruck gewonnen. Dies bezieht sich
sowohl auf den Redebeitrag von Frau Lengsfeld als auch
auf den von Frau Sehn. Bei Frau Lengsfeld hatte man den
Eindruck, als sei die Frage umweltbedingter Krankheiten
eine Erfindung einiger spinnerter Grüner.


(Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Das habe ich nicht gesagt, Frau Höfken!)


Aber blind Fortschrittsgläubige oder Technokraten wer-
den immer erst im Krisenfall nachdenklich. Auf Frau
Lengsfeld allerdings trifft offensichtlich nicht einmal dies
zu.

Der damals übrigens sehr umstrittenen Aussage von
Andrea Fischer in der letzten Bundestagsdebatte zu die-
sem Thema – das war im Frühjahr 2000 – würde heute
wahrscheinlich jeder in diesem Hause zustimmen. Da-
mals sagte sie:

Es besteht inzwischen auch weitgehend Konsens da-
rüber, dass die heutige Form der Lebensmittelpro-
duktion im Hinblick auf Umwelt und Gesundheit
Anlass zur Sorge bereitet. Eines unserer Ziele ist da-
her, ein integriertes Konzept zur Verbesserung der
Lebensmittelqualität und -sicherheit zu entwickeln,
das auch eine verstärkte Förderung des ökologischen
Landbaus zum Inhalt haben sollte.

Von Ihnen viel kritisiert.
Nicht nur BSE, sondern auch viele andere Beispiele

zeigen, dass Erkenntnisse über gesundheitsgefährdende
Umweltfaktoren oft erst dann ernst genommen werden,
wenn bereits Gesundheitsschäden entstanden sind. Des-
halb muss für die Politik der Vorsorgeaspekt in Zukunft
stärker in den Vordergrund gestellt werden.

Ich kann Ihre Ausführungen zu diesem Punkt, Frau
Sehn, nicht nachvollziehen. Sie sehen Vorsorge als staat-
liche Bevormundung. Ich meine, dies kann nur ein Plä-
doyer dafür sein, dass wieder einmal alles so bleibt, wie
es ist.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Nein! – Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Dann haben Sie nicht zugehört!)


Ich möchte noch einmal an die Asbestproblematik er-
innern. Es hat ewig und drei Tage gedauert, bis Asbest
vom Markt genommen wurde. Heute laborieren wir noch
immer an den wirtschaftlichen und gesundheitlichen
Schäden durch diese Nichtwahrnehmung von Vorsorge
herum.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich denke, das ist doch auch im Sinne der Wirtschaftlich-
keit eines ganzen Landes kontraproduktiv, sodass man
eine solche Argumentation nicht ernsthaft betreiben kann.

Gleiches betrifft das Holzschutzmittel Lindan und
DDT. In diesem Zusammenhang sind auch die antibioti-
schen Leistungsförderer zu nennen. Was haben wir im
Gesundheitssystem aufgrund von Zulassungen solcher
Produkte für Probleme! Es ist doch klar: Bei den komple-

xen Systemen, die wir im Bereich der Chemie und der Le-
bensmittelproduktion haben, werden wir niemals sagen
können: Die Wissenschaft hat sich hier eindeutig festge-
legt. – Es wird immer einen Abwägungsprozess geben. Es
ist unser Ansinnen, mit dem Antrag „Umwelt und Ge-
sundheit“ aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen
und andere Bewertungsweisen, die vorausschauend wir-
ken und damit kostensparender sind, künftig in Angriff zu
nehmen. Das ist unser Anliegen und der zentrale Punkt
dieser Initiative.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nachsorge ist letztlich immer teurer als Vorsorge. Wir
müssen deshalb von einer kurzfristigen und nachsorgen-
den Krisenbewältigungspolitik wegkommen. Was wir
brauchen, sind langfristig tragfähige und vorsorgende
Konzepte für eine gesunde Umwelt, die nicht krank
macht.

Die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen haben
daher einen Antrag mit konkreten Vorschlägen einge-
bracht, der das Programm „Umwelt und Gesundheit“ vom
Umwelt- und vom Gesundheitsministerium und vom der
Bundesregierung unterstützt und auf einen Ausbau
drängt. Die Eckpunkte unseres Antrages sind schon er-
wähnt worden; Frau Müller hat sie ausführlich dargestellt.

Ich will nur kurz sagen: Die Sammlung und Bewertung
aller fachlichen Informationen sowie die Schaffung fun-
dierter fachlicher Grundlagen für umweltbedingte Krank-
heiten ist schon in Angriff genommen. Aber man muss se-
hen, dass ein solches Projekt erstmalig ins Leben gerufen
wird. Wir haben noch keine Daten. Das zeigt, wie weit wir
im Grunde zurückliegen. Es ist eine große Aufgabe, ein
Umwelt-Gesundheits-Surveillance-System überhaupt
erst einmal aufzubauen.

Der nächste Punkt ist die Überprüfung und Verbesse-
rung bestehender Verfahren der Risikobewertung und
Standardsetzung. Es ist auch von Frau Müller erwähnt
worden, dass Kinder, schwangere Frauen, ältere und
kranke Menschen bislang völlig unzureichend in die Be-
wertung einbezogen werden. Wir haben jetzt in Frankfurt
und auch in Rheinland-Pfalz das Problem des US-Hou-
sing. Es gibt bestimmte Belastungen aus Wohngiften, die
die Menschen heute genauso wie vor vielen Jahren be-
treffen. Es gibt bis heute kein Standardverfahren zur Be-
wertung der gesundheitlichen Schäden; das wird Pi mal
Daumen gemacht. In Frankfurt gibt es ein städtisches
Amt, das einen Versuch in die richtige Richtung macht.
Aber es gibt keine gesicherten Grundlagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weiterhin geht es um die Verbesserung von Diagnose

und Therapie in der Umweltmedizin. Das heißt, mehr
Forschungsmittel sollen für die Charakterisierung um-
weltassoziierter Krankheiten und Symptomenkomplexe,
die wie MCS schwer zu erfassen sind, ausgegeben wer-
den. Ein Frühwarnsystem soll rechtzeitig auf Gesund-
heitsgefahren durch Umwelteinflüsse hinweisen. Vor-
sorgeaspekten muss Vorrang eingeräumt werden. Das be-
deutet die Umsetzung konkreter vorbeugender Maßnah-
men in der Umwelt- und Gesundheitspolitik.




Ulrike Höfken
13994


(C)



(D)



(A)



(B)


In der Lebensmittelproduktion wird das konsequent
angegangen. Ich bin froh, dass wir uns der Konkretisie-
rung von Maßnahmen stark annähern. Aber auch in ande-
ren Themenbereichen sind Maßnahmen nötig. Das betrifft
Außenluft und Klima, Innenluft und Bauprodukte, Was-
serressourcen und Böden, Kleidung und Textilien, Au-
tolärm, Fluglärm, Discolärm – ich rede von Hörschäden,
die bei Jugendlichen auftreten –, Stoffe, Zubereitungen
und Produktionsprozesse, wie bei den hormonartigen
Stoffen, ionisierte und nicht ionisierte Strahlen.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Was ist mit dem Rauchen?)


– Das Rauchen will ich um Gottes Willen gar nicht aus-
schließen. Das habe ich unter Tabak und Lebensmittel ge-
fasst.

Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Ge-
sundheit von Kindern.Wir müssen dafür sorgen, dass sie
nicht die Kranken von morgen sind. Dabei sind sie durch
Umwelteinflüsse stärker gefährdet und belastet als Er-
wachsene. Ich bin mir sicher, dass sich dieser Aufgabe alle
Fraktionen des Bundestages stellen werden. Ich hoffe,
dass wir in Fragen des vorbeugenden Gesundheits-
schutzes künftig mit einer breiten Mehrheit zusammenar-
beiten können.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414311900
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Bernward Müller.


Bernward Müller (CDU):
Rede ID: ID1414312000
Frau Präsiden-
tin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Vor fast ei-
nem Jahr hob die damalige Gesundheitsministerin Frau
Fischer gleich zu Beginn der Debatte zum Thema Umwelt
und Gesundheit die Wichtigkeit einer ressortübergreifen-
den Zusammenarbeit hervor. Leider – darin muss ich Ih-
nen, Frau Staatssekretärin, widersprechen – haben wir im
vergangenen Jahr von dieser Zusammenarbeit nichts be-
merkt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Im Gegenteil, eines hat die BSE-Problematik deutlich ge-
macht: Von einer Zusammenarbeit und Abstimmung der
Ministerien in Sachsen Verbraucherschutz kann weiß Gott
keine Rede sein. Eine Abstimmung ist aber dringend not-
wendig, um die anstehenden Probleme im Bereich Um-
welt und Gesundheit zu lösen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: In der Tat!)

Lassen Sie mich etwas zum Arbeitstempo dieser Re-

gierung anmerken. Frau Fischer sprach sich am 24. Fe-
bruar 2000 dafür aus, in Kürze eine Ad-hoc-Kommission
aus hochrangigen Experten einzusetzen, die sich mit be-
stehenden Verfahren der Risikobewertung auseinander
setzen sollte. Die Kommission wurde per Ministererlass
am 6. Oktober konstituiert. Eine erste fachliche Sitzung
fand im Dezember letzten Jahres statt – mehr als zehn Mo-
nate nach der vollmundigen Ankündigung der damaligen

Frau Ministerin. Das also bedeutet „ad hoc“ oder „in
Kürze“. Aber diese besondere rot-grüne Zeitrechnung ist
uns spätestens seit dem „sofortigen Atomausstieg“ be-
kannt.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: 30 Jahre!)

Diese so genannte Risikokommission – sie soll sage und
schreibe viermal jährlich tagen – existiert nun tatsächlich.
Aber einmal ganz ehrlich: Hat jemand von Ihnen davon
schon einmal Notiz genommen?

Jetzt sind wir bei einem anderen Punkt: Frau Müller –
Sie haben es hier sowie bei einer früheren Debatte im Aus-
schuss angesprochen –, Sie haben damals ein aktives In-
formationsmanagement gefordert. Ich frage mich auch
hier: Wo bleibt die Umsetzung? Sie hatten unseren Antrag
mit der Begründung abgelehnt, es fehle der gesellschaft-
liche Dialog. Ich will Ihnen sagen: Wir brauchen ein kom-
munikatives Beiwerk dieser Art in unserem Antrag nicht;
denn für uns sind Transparenz und Information selbstver-
ständlich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wir müssen nicht erst mit Worten Worte ankündigen, wie
Sie das bei Ihrer Politik in schöner Regelmäßigkeit tun.
Wir sind mit den Menschen im Dialog, ob Ihnen das passt
oder nicht. Ich habe den Eindruck, Sie fühlen sich in einer
medienwirksamen populistischen Ankündigungspolitik
wohl. Werden Sie aber zum Handeln gezwungen, produ-
zieren Sie unkoordinierte Schnellschüsse oder bewegen
sich im Schneckentempo.

Das Gutachten des Rates der Sachverständigen für
Umweltfragen ist eine ausgezeichnete Grundlage für un-
sere politische Arbeit. Den Gutachtern gilt mein Dank für
die wertvollen Informationen. Insbesondere die Aus-
führungen über die Gefährdungspotenziale von Allergien,
Lärmeinwirkungen, endokrinen Stoffen und ultravio-
letten Strahlen verdienen unsere besondere Aufmerk-
samkeit. Ich habe den Eindruck, dass die derzeitige BSE-
Debatte diese Risiken überschattet und eine notwendige
handlungsorientierte Diskussion darüber erstickt.

Um einmal die Dimension deutlich zu machen: Wir
wissen noch zu wenig über die Folgen von BSE für die
menschliche Gesundheit, um fundiert abwägen zu kön-
nen. Sicher ist aber, dass sich immerhin 70 Prozent der
deutschen Bevölkerung durch Straßenverkehrslärm be-
einträchtigt fühlen und etwa ein Viertel bis ein Drittel der
Bevölkerung unter allergischen Symptomen leidet. Es ist
höchste Zeit, eine überlegte und auf rationalen Kriterien
beruhende Umweltpolitik anzugehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Gestatten Sie mir ein paar mit Rücksicht auf meine Re-

dezeit kurze Ausführungen zum Thema Allergien. Die
Zahl der allergischen Erkrankungen hat in den letzten Jah-
ren stark zugenommen und der Höhepunkt ist noch nicht
erreicht. Auch wenn belegt ist, dass Allergien eine geneti-
sche Bedingung haben können, sind Wechselbeziehungen
zwischen Allergien und Umwelteinflüssen unbestritten.
In den Jahren nach der Wiedervereinigung hat sich die
Allergiehäufigkeit in den neuen Bundesländern der in den




Ulrike Höfken

13995


(C)



(D)



(A)



(B)


alten Bundesländern angeglichen. Bislang ist die Ursache
für diese Entwicklung noch ungeklärt.

Obwohl die allergenen Eigenschaften bestimmter
Stoffe mittlerweile gut belegt sind, bestehen noch erheb-
liche Lücken bei den Erkenntnissen über die Wirkungs-
mechanismen und die Dosis-Wirkung-Beziehungen. Hier
gibt es noch erheblichen Forschungsbedarf, zum Beispiel
auch im Hinblick auf die Immunisierung von Kleinkin-
dern gegen Allergien. Mit Blick auf die Schwere aller-
gischer Erkrankungen und die wachsende Zahl von Aller-
gikern besteht dringender Handlungsbedarf bei den
Maßnahmen zur Vorsorge. Ziel der Maßnahmen muss es
sein, erstens die Erkennung, Kennzeichnung und Mini-
mierung Allergie auslösender Umweltfaktoren zu beför-
dern, zweitens dem Anwachsen der Risikopopulation Al-
lergiker entgegenzuwirken und drittens das Fortschreiten
bzw. die Chronifizierung der Erkrankungen zu verhin-
dern.

Meine Damen und Herren von der Regierungskoali-
tion, Sie sind als Sachwalter einer neuen ökologischen Po-
litik angetreten. Sie haben Ihren Wählerinnen und
Wählern versprochen, alles besser als die frühere CDU
geführte Bundesregierung zu machen. Doch was machen
Sie wirklich? – Man kann sagen: Viel Lärm um nichts!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Marita Sehn [F.D.P.]: Viel Rauch, wenig Feuer!)


Dort, wo Sie handeln könnten, lenken Sie mit Alibiveran-
staltungen von Ihrer Untätigkeit ab. Was haben Sie bis-
lang Konkretes erreicht? Frau Müller, ich beziehe mich
auf das, was Sie vorhin zum Aktionsprogramm gesagt ha-
ben. Ein Aktionsprogramm in die Welt zu setzen kann
doch nicht alles sein, zumal es, wie mein Kollege
Dr. Klaus Lippold schon letztes Jahr anhand einer Sy-
nopse nachgewiesen hat, von Frau Dr. Merkel mehr oder
weniger abgeschrieben ist. Nein, stattdessen schädigen
Sie mit Ihrer Art, Politik zu betreiben, sogar die Men-
schen, die auf Sie gebaut haben. Ich erinnere nur an die
Pseudokrupp-Debatte, die Sie anheizten, als Sie noch
nicht gegen Kernkraftwerke waren.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Kaum hatten Sie mit der Atomenergie ein gutes Thema
gefunden, um die Ängste der Menschen für Ihre Politik zu
mobilisieren, war aus Ihren Reihen keine Stimme mehr
dazu zu hören. Ich sage Ihnen: Sie betreiben Stimmenfang
und verwechseln dies mit einer modernen Politik. Kehren
Sie zu einer vernünftigen Umweltpolitik um!

Wir sollten bei der ganzen Diskussion aber nicht ver-
gessen, dass Deutschland über ein hohes Schutzniveau
verfügt. Die Koalition wirft uns zwar immer Untätigkeit
vor. Aber eines ist offensichtlich: Noch heute profitieren
wir von den Ergebnissen der Umweltpolitik der früheren
Bundesregierung unter Dr. Helmut Kohl.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Die Belastung der Bevölkerung ist erheblich verringert
worden, wenn man sich die Schadstoffkonzentrationen
anschaut. Die Konzentrationen von Kohlenmonoxid,

Schwefeldioxid, Benzol, Schwermetallen wie Blei und
Giften wie Quecksilber und Arsen sind deutlich – um über
70 Prozent – gesenkt worden. Das ist ein großer Fort-
schritt. Ich frage Sie: Was haben Sie außer den unsägli-
chen Debatten über Ökosteuer und Atomausstieg vorzu-
weisen?


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Nichts!)

Wir brauchen eine Politik, die weder verharmlost noch

hysterische Ängste erzeugt. Wenn wir die im Sondergut-
achten angesprochenen Probleme lösen wollen, müssen
wir eine überlegte, auf rationalen Kriterien beruhende
Umwelt- und Gesundheitspolitik betreiben. Dazu dient
unser Antrag. Ich fordere Sie auf, dies gemeinsam mit der
CDU/CSU-Fraktion zu realisieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414312100
Als
nächster Redner hat der Kollege Michael Müller von der
SPD-Fraktion das Wort.


Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1414312200
Frau Sehn, ich
möchte – direkt auf Sie eingehen. Sie, die F.D.P., hatten
einmal einen Innenminister in Ihren Reihen, der nicht zu
Unrecht als Vorreiter beim Umweltschutz dargestellt
wird, nämlich Herrn Baum. Der wichtigste Satz in fast je-
der Rede von Herrn Baum war: Wir brauchen einen vor-
sorgenden Umweltschutz. – Was ist eigentlich schlechte
oder gute, was ist eigentlich berechtigte oder unbe-
rechtigte Vorsorge? Das ist mir nicht klar. Was sind denn
dafür Ihre Kriterien? Ich sage Ihnen: Zwischen der Um-
weltpolitik und der Gesundheitspolitik gibt es viele Paral-
lelen. Aus der Umweltpolitik wissen wir, dass Reparatur,
also Nachsorge, viel teurer als vorsorgender Schutz ist.
Genau dasselbe gilt für die Gesundheitspolitik.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie müssen mir einmal erklären, was an Vorsorge so falsch
ist. Mir ist das nicht klar.

Damit zwischen uns keine Missverständnisse entste-
hen: Mit solchen Fragen wird immer Schindluder getrie-
ben. Aber wenn Schindluder getrieben wird, dann hat das
meistens ein Vorspiel. Die BSE-Geschichte macht das
deutlich. Über lange Zeit sind bestimmte Gefahren ver-
harmlost worden. Dann kam ein Bruch und die Vertrau-
enskrise war umso tiefer. Dass dann zum Teil nicht ganz
rationale Reaktionen entstanden sind, ist verständlich.
Aber das Problem war nicht die Reaktion, sondern die
Vorgeschichte.

Bei der Gesundheitspolitik ist es ähnlich: Es gibt seit
Jahren zunehmend Warnungen, dass sich die Krankheits-
bilder verschieben und dass insbesondere umwelttoxiko-
logische Einflüsse eine erhebliche Rolle spielen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414312300
Herr Kol-
lege Müller, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Frau
Kollegin Sehn?




Bernward Müller (Jena)

13996


(C)



(D)



(A)



(B)



Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1414312400
Ja bitte, klar.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414312500
Bitte
schön, Frau Sehn.


Marita Sehn (FDP):
Rede ID: ID1414312600
Ich möchte Sie nach etwas aus
dem Bereich der Gesundheitspolitik fragen. Wir wissen
relativ viel darüber, was das Rauchen anrichten kann. Da
Sie so großen Wert auf eine vorsorgende Gesundheitspo-
litik legen, möchte ich Sie fragen: Wollen Sie das Rau-
chen verbieten?


(Zuruf von der SPD: Nein!)



Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1414312700
Sie haben eine
unglaubliche Fähigkeit, mit Schwarz-Weiß-Kategorien zu
argumentieren. Um es deutlich zu sagen: Ich habe in mei-
nem Leben noch nie geraucht; insofern treffen Sie mich
nicht und sprechen mit mir an diesem Punkt den Falschen
an. Ich habe ein einziges Mal eine Zigarette im Mund ge-
habt, um als 14-Jähriger in einen Film ab 16 zu kommen.
Das war das einzige Mal überhaupt, dass ich geraucht
habe.


(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Roland Claus [PDS]: Das wird die Union zu 32 Fragen animieren!)


– Es ist wahr, nach der gestrigen Debatte muss man mit
solchen Aussagen vorsichtig sein. – Aber daraus eine sol-
che Schlussfolgerung zu ziehen verstehe ich nicht.

Es geht um etwas anderes: Es geht doch darum, dass es
heute eine solche Zunahme der Anzahl von chronischen
Komplexkrankheiten gibt, dass unser traditionelles ku-
ratives System an Grenzen stößt. Also muss man in der
Gesundheitspolitik zu anderen Mechanismen kommen,
die sehr viel früher einsetzen, die sozusagen die Krankheit
vor der Krankheit verhindern. Frau Sehn, ich kann Sie
überhaupt nicht verstehen. Sie sprechen bei jeder Gele-
genheit von individueller Verantwortung. Vorsorge ist
ein klassischer Bereich individueller Verantwortung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414312800
Herr Kol-
lege Müller, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage von
Frau Sehn?


Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1414312900
Ja.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414313000
Bitte
schön, Frau Sehn.


Marita Sehn (FDP):
Rede ID: ID1414313100
Herr Kollege Müller, es freut
mich sehr, dass wir beide Nichtraucher sind. Ich möchte
Ihnen eigentlich nur sagen, was für mich Eigenverant-
wortung der Menschen bedeutet, gerade wenn man um die
Risiken einer Sache weiß. Ich glaube, Sie haben meine
Frage eben nicht so recht verstanden. Vielleicht sollten
wir darüber nach dem Plenum unter vier Augen weiter-
sprechen.


Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1414313200
Ich glaube
schon, dass ich Ihre Frage verstanden habe. Mir ist klar,
dass keine Industriegesellschaft ohne Risiko auskommt.
Aber die Kernaufgabe der Politik besteht darin, Risiken
so gering wie möglich zu halten. Insofern habe ich Ihre
Frage sehr wohl verstanden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich glaube nur, dass die von Ihnen aufgebaute Argumen-
tation, Vorsorge sei Hysterie und daher ein Überziehen,
falsch ist.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Nein!)

– Doch, das haben Sie vorhin gesagt.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Sie haben zu viel geschrieben während meiner Rede!)


Zu einer modernen Umweltpolitik gehört – genauso
wie zu einer modernen Gesundheitspolitik –, so viel wie
möglich dafür zu tun, dass Schäden gar nicht erst eintre-
ten. Das ist der eigentliche Kern von Umwelt- und Ge-
sundheitspolitik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch aus einem anderen Grund ist es für mich sehr
wichtig, den Vorbeuge- und Vorsorge-Gedanken zu stär-
ken. Laut einer Erhebung aus den USA hat sich, seitdem
es Informationssysteme gibt, mit denen man gesundheits-
politische Fragen über das Internet direkt abrufen kann, in
den letzten drei Jahren die Anzahl der Patientennachfra-
gen pro Jahr verzehnfacht. Das heißt, wir erleben eine
Veränderung im Verhältnis zwischen Gesundheitsbera-
tung und Patient. Das ist ein weiterer Grund, warum wir
politische Weichen stellen müssen, damit kein Schind-
luder getrieben wird. Mir ist sehr wohl klar, dass dies in
diesem Zusammenhang geschehen kann. Gerade deshalb
haben wir die Pflicht, durch Umsteuern im Gesundheits-
system einen vernünftigen Rahmen zu setzen. Darum geht
es.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin 1983 in den Bundestag gekommen. Eine mei-
ner ersten Aktivitäten bestand darin, seit 1985 Anfragen
zum Thema Allergie zu stellen. Ich kann Ihnen hier ein
Lied davon singen, wie sehr man damals als Außenseiter
und Spinner abgetan worden ist. Seinerzeit sagte man, die
Leiden seien genetisch bedingt. Heute würde das niemand
mehr behaupten. Hätte man früher darauf geachtet, dann
hätten wir vielen Entwicklungen eher gegensteuern kön-
nen, als es heute der Fall ist. Nach einer Schätzung des
Düsseldorfer Instituts Med-Plus leiden 25Millionen Bun-
desbürger an chronischen umweltbedingten Krankhei-
ten.Das ist mittlerweile eine dramatische Zahl. Selbst die
Betriebskrankenkassen beziffern die Zahl der an Aller-
gien Erkrankten auf 14,3 Millionen. Das sind Alarmsign-
ale, zumal solche chronischen Krankheiten oftmals
Türöffner für schwerwiegendere Erkrankungen sind, die
das Gesundheitssystem sehr teuer zu stehen kommen und






(C)



(D)



(A)



(B)


überdies viel menschliches Leid hervorrufen. Wer das
nicht will, muss früher, also präventiv ansetzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Insoweit gibt es zwischen der Debatte über BSE und
dem jetzt von uns diskutierten Thema sehr wohl einige
Zusammenhänge. Bei allen diesen Fragen ist es in einer
hochkomplexen Industriegesellschaft mit sehr verfestig-
ten Standesorganisationen unglaublich schwierig, die
Strukturen zu verändern und umzusteuern. Wir haben
lange Zeit erlebt, wie auch die traditionellen Organisatio-
nen im Gesundheitssystem alles abgetan haben, was mit
dem Thema „umweltbedingte Krankheiten“ zu tun gehabt
hat. Wir haben vor einer solchen Sichtweise gewarnt,
denn sie ist falsch. Man muss beim Entstehen von Krank-
heiten nicht nur den Ausbruch der Krankheiten, sondern
auch das soziale und ökologische Umfeld sehen. Es ist
immer eine Vielzahl von Faktoren für Krankheiten ver-
antwortlich. Das hat nun das Gutachten des Sachverstän-
digenrates für Umweltfragen sehr präzise und auch sehr
überzeugend herausgearbeitet.

Deshalb haben wir hier die Chance, in einer wichtigen
Frage ein Stück voranzukommen, bei der wir immer deut-
licher die Grenzen des traditionellen Gesundheitssystems
sehen, das nämlich erst dann einsetzt, wenn Krankheiten
ausgebrochen sind. Vor allem sehe ich die Verschlechte-
rung des Immunstatus bei einem großen Teil der Bevöl-
kerung mit Sorge. Der Hinweis auf die Verschlechterung
des Immunsystems ist ein Zeichen dafür, dass sich die Ge-
sundheit des Menschen insgesamt verschlechtert oder
dass die Menschen immer häufiger zwar nicht krank, aber
auch nicht richtig gesund sind. Deshalb ist ein Umsteuern
auf eine Stärkung der Körperabwehr und auf vorsorgende
und vorbeugende Maßnahmen die richtige Antwort, übri-
gens auch langfristig für die Verbesserung der Innovati-
onsfähigkeit unseres Gesundheitssystems. Das rein kura-
tive System gerät an Grenzen. In Zukunft wird es sehr viel
stärker um Gesundheitsförderung gehen. Das ist jeden-
falls unser Ansatz, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sage das übrigens auch aus einem anderen Grund,
der mir ebenfalls Sorgen bereitet: Die Zahl der Menschen,
die angeblich „austherapiert“ sind, denen man im Rahmen
des kurativen Systems nicht mehr helfen kann, wird mitt-
lerweile auf fast 2 Millionen geschätzt. Das bedeutet viel
menschliches Leid, das nicht zu akzeptieren ist. Auch
deshalb brauchen wir hier sehr viel früher ansetzende Hil-
fen.

Meine Damen und Herren, die Diskussion über Um-
welt und Gesundheit bietet die Chance, in einem auch
volkswirtschaftlich sehr wichtigen Sektor frühzeitig In-
novationen anzuregen und Modernisierungsprozesse in
Richtung auf eine Verbindung von moderner Wissen-
schaft und, wie ich es nennen würde, fürsorglicher Me-
dizin einzuleiten. Diese Verbindung scheint mir sehr zu-
kunftsfähig zu sein. Ich glaube nicht, dass die Zukunft im
Einkaufen von immer weiteren hoch komplizierten Medi-
zintechniken liegt. Es wird nur ein Schuh daraus, wenn

wir Medizintechniken mit fürsorglichen, ganzheitlichen
Systemen verbinden. Dies ist High-Tech und High-Care.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Daher bitte ich darum, dass wir vor dem Hintergrund
der Diskussionen der letzten 15 bis 18 Jahre, in denen wir
auf diesem Feld leider nur wenig vorangekommen sind


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Na, na!)

– doch, das ist so –, diese Debatte als Chance begreifen,
auch als Chance für mehr Arbeitsschutz, für mehr Um-
weltschutz,


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


für eine Verbindung von moderner Wissenschaft und Um-
weltpolitik, für eine Verbesserung der Ausbildung in der
Umweltmedizin usw. Ferner sollten wir aufhören, be-
stimmte Krankheiten nur deswegen, weil sie anders und
schwer zu fassen sind, gleich in die Ecke des Spinnertums
zu stellen, wie es beispielsweise bei MCS getan wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist ein ernsthaftes Problem. Wir müssen uns auch
ernsthaft mit diesen Fragen auseinander setzen.

Die Zukunft liegt in der Chance, Gesundheit zu för-
dern. Sollten wir das gemeinsam tun, haben wir auch die
Lektion BSE begriffen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414313300
Ich
schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstim-
mungen.

Wir beginnen mit Tagesordnungspunkt 5 a, der Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 14/3712.

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Frak-
tionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 14/2767 mit dem Titel: Umwelt und Gesundheit.

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Be-
schlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU
und F.D.P. angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss in Kennt-
nis des Sondergutachtens des Rates von Sachverständigen
für Umweltfragen mit dem Titel „Umwelt und Gesundheit
– Risiken richtig einschätzen“ – Drucksache 14/2300 –,
den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/2771 (neu) zu diesem Sondergutachten
abzulehnen.

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist diese Be-
schlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU
und F.D.P. angenommen.




Michael Müller (Düsseldorf)

13998


(C)



(D)



(A)



(B)


Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe
c, in Kenntnis des Berichts gemäß § 56 a der Geschäfts-
ordnung auf Drucksache 14/2848 mit dem Titel: Technik-
folgenabschätzung – hier: „Umwelt und Gesundheit“ die
Annahme einer Entschließung.

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Be-
schlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen, der PDS und der F.D.P. bei Enthaltung der
CDU/CSU angenommen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 5 b. Interfraktio-
nell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksa-
che 14/4710 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan-
den? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a bis c auf:
Überweisungen im vereinfachten Verfahren

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der
gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung
eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens

(Altersvermögensgesetz – AVmG)

– Drucksache 14/5068 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver-
trag vom 2. Februar 2000 zwischen der Bundes-
republik Deutschland und der Tschechischen
Republik über die Ergänzung des Europäischen
Übereinkommens über die Rechtshilfe in Straf-
sachen vom 20. April 1959 und die Erleichte-
rung seinerAnwendung
– Drucksache 14/5011 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver-
trag vom 2. Februar 2000 zwischen der Bundes-
republik Deutschland und der Tschechischen
Republik über die Ergänzung des Europäischen
Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezem-
ber 1957 und die Erleichterung seiner An-
wendung
– Drucksache 14/5012 –

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das
ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlos-
sen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der PDS
Haltung der Bundesregierung zur Verwendung
uranhaltiger Munition im Rahmen von NATO-
Kampfeinsätzen

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner und An-
tragsteller hat der Kollege Roland Claus von der PDS-
Fraktion das Wort.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1414313400
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Im Vorfeld dieser aktuellen
Debatte wurden wir gefragt, was die Fraktion der PDS
wohl mit dieser Debatte bezweckt. Ich will Ihnen das be-
antworten.

Wir wollen ausdrücklich die Aufklärung der Öffent-
lichkeit über die Wirkungen von uranhaltiger Munition.
Wir wollen, dass über dieses Thema nicht nur in nicht öf-
fentlichen und von Militärs dominierten Beratungen ver-
handelt wird. Es geht uns ausdrücklich auch um die damit
verbundenen Wirkungen und Gefährdungen für die Zivil-
bevölkerung und die Soldaten.


(Beifall bei der PDS)

Es ist deshalb notwendig, das hier zu sagen, weil zivile
Opfer in der Logik von Militärs leider oftmals gar nicht
vorkommen.

Wir wollen wissen: Wurden diese Gefährdungen durch
uranhaltige Munition in Verantwortung dieser Bundesre-
gierung wissentlich in Kauf genommen? Ich denke, es
wird Ihnen nicht entgangen sein, dass die PDS-Fraktion
dazu seit langem eine Reihe von Anfragen an die Bun-
desregierung gerichtet hat. Wir haben dieses Thema also
nicht erst gestern entdeckt. Diese Anfragen und die ent-
sprechenden Antworten waren auch einige der Quellen
von Veröffentlichungen.

Sie werden nun sagen: Aufklärung wollen alle. Das
geht ja auch in Ordnung. Wir unterstellen Ihnen nicht,
dass Sie das nicht wollten. Insofern sollten auch Sie uns
nicht unterstellen, dass wir daran kein Interesse hätten. Im
Übrigen denke ich, dass für die Sparte Legenden und My-
then – ich erinnere Sie nur an Racak und den Hufeisen-
plan – andere zuständig sind.


(Beifall bei der PDS)

Wenn Sie uns allerdings unterstellen, dass die PDS

mehr will als die Aufklärung in Einzelfragen, dann
kann ich Ihnen dazu nur sagen: Damit liegen Sie aus-




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

13999


(C)



(D)



(A)



(B)


drücklich richtig. Die PDS will den Krieg als Mittel
zur Lösung von Konflikten ächten und ausschließen. Es
bleibt bei einem klaren Nein zum Krieg.


(Beifall bei der PDS)

Am 17. Januar 1991, also gestern vor zehn Jahren,

wurde der Golfkrieg begonnen. Es wurde uranhaltige Mu-
nition verwendet. Danach entstand etwas, das in der Spra-
che der Fachleute den Begriff „Golfkrieg-Syndrom“ er-
hielt. Wenngleich auch nicht alle diese Gefahren aufgeklärt
sind, muss zumindest eins klar sein: Die Gefahren waren
potenziell vorhanden. Die Warnungen und Mahnungen von
Forschern auch aus der OSZE wurden aber in den Wind ge-
schlagen.

Man hätte in der Politik in einer solchen Situation im-
mer zwei Möglichkeiten gehabt. Man hätte zum einen sa-
gen können: Solange diese Risiken bestehen und solange
dies nicht aufgeklärt ist, wird es keinen weiteren Einsatz
geben. Diese Erkenntnis hätte das Europäische Parla-
ment, das gestern mit mehr als Zweidrittelmehrheit so be-
schlossen hat, schon früher haben können. Es hätte zur
Ächtung dieser Waffen kommen können.


(Beifall bei der PDS)

Stattdessen ist diese Bundesregierung an einem Vorgang
beteiligt, den man wie folgt beschreiben muss: Erstens,
weiter diese Munition verschießen; zweitens, ihre Wir-
kungen verschweigen; drittens, erst unter öffentlichem
Druck untersuchen.


(Peter Zumkley [SPD]: Das ist ja wohl völlig falsch!)


Sprache ist ja zuweilen entlarvend. Nehmen wir doch
einmal diesen Begriff, mit dem jetzt operiert wird, der da
heißt: abgereichertes Uran – abgereichert, wie Minus-
wachstum.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Wie die Politik der PDS!)


Das hört sich nicht so schlimm an. Aber ich will Ihnen
eins sagen: Aus der Physik – man könnte denken, dass der
Begriff daher kommt – stammt dieser Begriff nicht. Er ist
offenbar zum Zwecke einer Informations- oder Desinfor-
mationskampagne von Militärs erfunden worden.


(Beifall bei der PDS)

Deshalb muss man bei dieser Frage auch über Infor-

mationspolitik oder besser über Desinformationspolitik
reden und über den Umgang mit der Wahrheit. Lange hat
sich die Bundesregierung an der Verbreitung der Überle-
gung mitbeteiligt, hier gäbe es keine Gefahren. Ich will
auf den Widerspruch hinweisen. Sie haben auf der
einen Seite gesagt: Die Sache ist gefahrlos, und haben auf
der anderen Seite bereits Schutzmaßnahmen eingeleitet.

So, wie Sie in Nibelungentreue die deutsche Kriegsbe-
teiligung beschlossen haben, so haben Sie auch in Nibe-
lungentreue die Verwendung der uranhaltigen Munition
akzeptiert.


(Beifall bei der PDS)


Das ist alles andere als Bündnispolitik auf gleicher Au-
genhöhe. Das ist offenbar eine Sicht, die bei den US-Mi-
litärs und den dortigen Regierungen vorherrscht und die
man so beschreiben könnte: Wie viel müssen denn die lie-
ben Kleinen in Europa wissen und wie viel müssen sie
nicht wissen?

In einer solchen Situation hat eine Bundesregierung
immer zwei Möglichkeiten: zu sagen, man lässt sich so et-
was bieten – dann wird man weiter so behandelt und nicht
auf gleicher Augenhöhe akzeptiert –, oder zu sagen, man
lässt sich so etwas nicht bieten. Das wäre der richtige Weg
gewesen.


(Beifall bei der PDS)

Selbst in der ARD wurde gestern darüber gesprochen,
dass Deutschland wie drittklassige Verbündete informiert
würde.

Nun tritt der Bundesverteidigungsminister die Flucht
nach vorn an, bestellt den Geschäftsträger der US-Bot-
schaft ein und versucht, den schwarzen Peter weiterzuge-
ben. Insofern kann man sagen, dass die Militärs offenbar
zwei Hauptfeinde haben: zum einen die Friedensbewe-
gung und zum anderen die Öffentlichkeit.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414313500
Kommen
Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege Claus.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1414313600
Die PDS-Fraktion schlägt Ih-
nen die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur
Aufklärung der Folgen des Einsatzes uranhaltiger Muni-
tion vor. Wir haben einen entsprechenden Einsetzungs-
beschluss ausgearbeitet. Wir werden ihn vor der Einrei-
chung den anderen beiden Oppositionsfraktionen zuleiten
und sie fragen, ob sie den Vorschlag unterstützen wollen.
An dem Fragenkatalog der CDU/CSU habe ich gesehen,
wie viele Fragen und welche Erwartungen noch bestehen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414313700
Kommen
Sie bitte jetzt zum Schluss.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1414313800
Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, die Sie damals für den Einsatz gestimmt haben,– –


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414313900
Nein, Sie
müssen jetzt Ihren Beitrag beenden, Sie haben schon mehr
als eine Minute überzogen.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1414314000
Ich bin bei meinem Schluss-
satz. – Da ich Ihnen nicht unterstelle, dass Sie das leicht-
fertig getan haben, würde ich jetzt gerne wissen, was in
Ihnen vorgeht und ob ein Umdenken stattfindet. Die
Bundesregierung fordere ich auf, der Öffentlichkeit zu sa-
gen: Es war falsch, sich an diesem Krieg zu beteiligen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)





Roland Claus
14000


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414314100
Als
nächster Redner hat der Kollege Peter Zumkley von der
SPD-Fraktion das Wort.


Peter Zumkley (SPD):
Rede ID: ID1414314200
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Die derzeitige zuweilen aufgeregt und auch
emotional geführte Debatte wird von einigen so geführt,
als wäre diese Munition erst im Kosovo zum Einsatz ge-
kommen und nicht schon früher. Gerade auch nach dem,
was wir gerade gehört haben, habe ich den Eindruck, dass
gelegentlich politische Interessen verfolgt werden, die mit
der eigentlichen Sache nichts zu tun haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auf Anfragen meines Kollegen Georg Pfannenstein

aus den Jahren 1995 und 1997 hat die damalige Regierung
mitgeteilt, dass keine Gefährdung von uranabgereicherter
Munition ausgeht. Umso verwunderlicher finde ich die
jetzigen Vorwürfe gegen den Bundesminister der Ver-
teidigung. Er hat seit dem Frühjahr 1999 den Verteidi-
gungsausschuss fortlaufend über den Einsatz uranab-
gereicherter Munition und die von ihr möglicherweise
ausgehenden gesundheitlichen Gefährdungen informiert.
Von mangelnder Informationspolitik zu sprechen ist
schlichtweg falsch.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Er hat im Juni 1999, schon zu Beginn des Einmarsches
in den Kosovo, zusätzliche Schutzmaßnahmen erlassen,
um eine Gefährdung unserer Soldaten auf dem Balkan
durch diese Munition auszuschließen.


(Zuruf des Abg. Roland Claus [PDS])

Damit hat der Minister seine Fürsorgepflicht voll erfüllt,
was im Übrigen zu jeder Zeit der Fall war und ist.


(Heidi Lippmann [PDS]: Warum nicht im Oktober 98?)


Ebenfalls durch ihn wurde im Mai 1999 ein unabhän-
giges wissenschaftliches Institut mit der Untersuchung
der Problematik von DU-Munition beauftragt. Er hat in
der vergangenen Woche mit einer Gruppe namhafter
unabhängiger Wissenschaftler zum Thema DU-Munition
Gespräche geführt und die Öffentlichkeit über das Ergeb-
nis unterrichtet. In der gestrigen Sitzung des Ver-
teidigungsausschusses hat der Bundesminister wieder
umfassend informiert und die Ausschussmitglieder aufge-
fordert, weitere Vorschläge zu den laufenden DU-Unter-
suchungen einzubringen.


(Heidi Lippmann [PDS]: Und konkrete Fragen nicht beantwortet!)


Mir ist nicht bekannt, dass bis jetzt irgendwelche Beiträge
– auch nicht von Ihnen – oder Verbesserungsvorschläge
eingegangen sind, im Übrigen auch nicht im Ausschuss.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Aber sicher!)


Meine Damen und Herren, bisher liegen keine An-
haltspunkte dafür vor, dass es bei Soldaten der Bundes-
wehr zu Erkrankungen gekommen ist, die auf den Kon-
takt mit uranabgereicherter Munition oder die Aufnahme

von ihr abgeleiteter Substanzen zurückgeführt werden
könnten. Gleichwohl unterstützen wir ausdrücklich die
zurzeit laufenden nationalen und im Rahmen der NATO
durchgeführten Untersuchungen. Das geringste Gefähr-
dungsrisiko – auch die Militärs denken in dieser Frage
nicht so, wie Sie glauben – für die Gesundheit der Zivil-
bevölkerung und der Soldaten, wenn es denn eines gibt,
muss umfassend untersucht werden. Dies gilt auch für die
Problematik, dass in diesem Zusammenhang angeblich
sehr geringe Bestandteile von Plutonium verwendet wur-
den. Die wissenschaftlichen Untersuchungen sind einge-
leitet. Wir begrüßen sie.


(Heidi Lippmann [PDS]: Nach zehn Jahren!)

Zurzeit wird DU-Munition von den Verbündeten nicht

eingesetzt. Darüber sind wir alle froh. Dies entspricht fak-
tisch dem von uns angestrebten Moratorium und dem Ver-
zicht auf diese Munition. Die Bundeswehr hat und braucht
diese Munition nicht. Wir befürworten die gemeinsam mit
anderen NATO-Partnern durchgeführte Initiative der
Bundesregierung, auf Besitzer von uranabgereicherter
Munition einzuwirken, damit diese zukünftig auf deren
Einsatz verzichten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In jedem Fall geht es um den Schutz der Soldaten und der
Zivilbevölkerung gleichermaßen. Beide sind vor eventu-
ellen Folgewirkungen von Munition und Waffen jedweder
Art bestmöglich zu schützen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In diesem Zusammenhang sollte auch der vielseitigen zi-
vilen Verwendung von uranabgereichertem Material, zum
Beispiel im Flugzeugbau, Beachtung geschenkt werden.

Eventuelle gesundheitliche Schäden unserer Soldaten
durch Röntgenstrahlung, die bei Erzeugung der Radar-
strahlen entstehen, müssen sorgfältig untersucht werden.
Die vorliegenden Studien beziehen sich auf den Zeitraum
von Anfang der 70er- bis Anfang der 90er-Jahre. Die vom
Verteidigungsminister in Auftrag gegebene neue Studie
wird ausdrücklich begrüßt. Sie dient dazu festzustellen,
ob durch mangelnden Schutz, mangelnde technische
Kenntnisse oder durch Fahrlässigkeit Erkrankungen ent-
standen sind, die als Wehrdienstbeschädigung anerkannt
werden müssten.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Sollte ein ursächlicher Zusammenhang festgestellt wer-
den, muss den betroffenen Menschen bzw. ihren An-
gehörigen unverzüglich geholfen werden. Auch ist zu prü-
fen, ob die Radaranlagen ausreichend abgeschirmt waren
und die geltenden Sicherheitsbestimmungen eingehalten
wurden. Sollte dies nicht der Fall sein, ist umgehend Ab-
hilfe zu schaffen. Wir werden dies parlamentarisch weiter
mit Nachdruck verfolgen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414314300
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Anita Schäfer von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.






(C)



(D)



(A)



(B)



Anita Schäfer (CDU):
Rede ID: ID1414314400
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! In
dieser Aktuellen Stunde geht es nicht nur um die Frage der
Gefährlichkeit der so genannten DU-Munition und um
den Umgang mit dieser Munition. Im Besonderen geht es
auch um den Umgang des Verteidigungsministers mit die-
sem Thema, darum, ob er, der für die Soldaten und ihre
Gesundheit verantwortlich ist, dieser Verantwortung ge-
recht wurde. Weiterhin geht es darum, ob er damit der Ver-
antwortung gerecht wurde, die die westliche Staatenge-
meinschaft durch ihre Intervention im Kosovo auf sich
genommen hat.

Denn beileibe nicht nur die Soldaten unserer Bundes-
wehr sind dieser offensichtlich bis heute noch nicht rich-
tig einzuschätzenden Gefahr ausgesetzt, sondern auch die
vielen Mitarbeiter der Hilfsorganisationen, die vor Ort auf
dem Balkan Hilfe leisten, und vor allem auch die dortige
Bevölkerung. Nach Völkermord und Vertreibung durch
Milosevic müssen die Menschen erkennen, dass sie und
ihre Kinder unter Umständen seit Jahren in kontaminier-
ten Gebieten leben.

Schon im März des vergangenen Jahres habe ich in der
Presse auf die Verunsicherung hingewiesen, die unter un-
seren im Kosovo eingesetzten Soldaten herrscht. Herr
Minister Scharping, damals hätte ich mir gewünscht, dass
Sie sich vom amerikanischen Botschafter über die Bri-
sanz der DU-Munition hätten unterrichten lassen – nicht
erst in dieser Woche


(Beifall bei der CDU/CSU)

Warum haben Sie erst jetzt den Informationsaustausch

mit dem NATO-Partner forciert? Damals hätten Sie den
Sachverhalt mit einer Unterrichtung durch den amerika-
nischen Botschafter aufklären und informieren können.
Durch die gestrige Einbestellung dramatisieren Sie die
Angelegenheit unnötig. Hätten Sie bei den Amerikanern
früher nachgefragt, hätten Ihnen diese auch früher Aus-
kunft gegeben.

Es ist schon sehr bedenklich, liebe Kolleginnen und
Kollegen, dass es erst der Todesfälle in den Partnerstaaten
bedurfte, die mit der Uranmunition in Zusammenhang ge-
bracht wurden, um den Verteidigungsminister – wenigs-
tens in Grenzen – endlich wachzurütteln.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Weiterhin wird den Soldaten und der Öffentlichkeit

weisgemacht, unsere Bundeswehrsoldaten seien bereits
frühzeitig und ausreichend auf den möglichen Kontakt
mit DU-Munition vorbereitet gewesen. Der Minister
sollte sich einmal die Mühe machen, in den Web-Seiten
seines eigenen Hauses zu surfen. Würde er dort die
Adresse „www.bundeswehr.de“ anklicken, so würde er
quasi regierungsamtlich unter dem Stichwort DU-Muni-
tion auch einen Erfahrungsbericht von Angehörigen des
Diepholzer Objektschutzbataillons finden. Hier werden
ausdrücklich einsatzbezogene Unzulänglichkeiten beim
Umgang mit DU-Munition beklagt.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Der Bericht ist nicht etwa ein alter Hut. Er wurde erst am
29. November letzten Jahres ins Netz gestellt.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Da schau her!)


Mit anderen Worten: Die Aussagen des Verteidigungsmi-
nisters waren bisher von der Wirklichkeit im Kosovo weit
entfernt.Vielleicht hat er sie selbst geglaubt, was aller-
dings nur schwer vorstellbar ist.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie waren aber auch immer ganz schön blind!)


– Das würde ich nicht sagen. – Immerhin kann er die vie-
len Berichte aus dem Sanitätsdienst nicht übersehen ha-
ben, in denen schon frühzeitig auf die Problematik auf-
merksam gemacht worden ist.

Auch im Verteidigungsausschuss war DU-Munition im
Mai des vergangenen Jahres ein Thema. Ein Zwischenbe-
richt, den Staatssekretär Kolbow für Juli vergangenen
Jahres angekündigt hatte, hat bis vor einigen Tagen auf
sich warten lassen. Es hat eine Reihe von Anfragen an die
Bundesregierung gegeben. Aber die Soldaten und ihre Fa-
milien wurden in der brodelnden Gerüchteküche allein
gelassen. Ich glaube nicht, dass diese Salamitaktik, die
wir von Minister Scharping auch in anderen Bereichen
gewohnt sind und die schon in vielen Fällen zu Unmut
und zur Verstimmung auch in der Bevölkerung geführt
hat, dieser sensiblen Materie gerecht wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Kurt J. Rossmanith [CDU/ CSU]: Leider wahr!)


Es reicht nicht aus, nur immer über das zu informieren,
was aus den Medien ohnehin längst bekannt ist.

Nun ist auch noch das hochgiftige Plutonium ins Spiel
gekommen. Herr Minister Scharping, ich fordere Sie auf:
Legen Sie endlich Zahlen, Studien und Fakten auf den
Tisch! Nur so werden Sie Ihrer Verantwortung gerecht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenigstens in Ihrer Informationspolitik gegenüber den
Soldaten, dem Parlament und der Öffentlichkeit sollten
Sie nicht zu sehr an Ihrer Amtsbezeichnung kleben. Sie
sollten nämlich nicht nur verteidigen, sondern auch of-
fensiv aufklären und offensiv informieren. Hier geht es
um die Gesundheit und um das Leben vieler Menschen. In
Anbetracht der möglichen Gefährdung durch DU-Muni-
tion haben nicht nur unsere Soldaten, sondern auch die
Mitarbeiter der Hilfsorganisationen und die Bevölkerung
einen Anspruch auf rückhaltlose Information und auf un-
geschminkte Wahrheit.

Herr Minister Scharping, es ist zwar zu begrüßen,
wenn Sie nun ein Team des Forschungszentrums für Um-
welt und Gesundheit in den Kosovo entsenden, auch wenn
das für alle Beteiligten und für das Forschungszentrum
selbst etwas überraschend kommt. Aber auch diese Maß-
nahme kommt etwas spät. Ich kann nicht die Befürchtung
entkräften, dass bisher nicht alles getan worden ist, um
das Wohl und die Gesundheit der Ihnen anvertrauten Sol-
daten mit allen Mitteln zu schützen. Aber gerade das ist






(C)



(D)



(A)



(B)


das Gebot der Stunde. Unsere Soldaten und die unserer
Fürsorge anvertrauten Menschen vor den möglichen Ge-
fahren durch Informationen und durch entsprechende
Maßnahmen zu schützen, muss Vorrang haben.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414314500
Kommen
Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.


Anita Schäfer (CDU):
Rede ID: ID1414314600
Hierbei können Sie sich
zweierlei sicher sein: der Kontrolle, aber auch der Unter-
stützung durch die CDU/CSU-Fraktion.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414314700
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Annelie Buntenbach
vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Befürchtungen von Gesundheitsschäden durch Uran-
munition, wie sie jetzt von Soldaten und aus der Zivilbe-
völkerung geäußert werden, sind nur allzu berechtigt. Die
Betroffenen haben das Recht auf eine sorgfältige Unter-
suchung und darauf, dass schnell Konsequenzen gezogen
werden. Die Öffentlichkeit hat das Recht auf eine umfas-
sende Information.

Als Allererstes muss verhindert werden, dass die
Gesundheitsgefährdung durch DU-Munition noch wei-
tere Kreise zieht. Die Reste der Munition sowie die Reste
von Panzern und anderen getroffenen Zielen müssen um-
gehend sichergestellt und von der NATO vernünftig ent-
sorgt werden,


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sie sind doch an der Regierung!)


und zwar überall dort, wo DU-Munition bis jetzt einge-
setzt worden ist: im Kosovo, in Bosnien und im Irak. Was-
ser und Boden müssen in den betroffenen Gebieten auf
Kontamination untersucht werden. Im Südirak spielen
Kinder in ausgebrannten Panzern. Wer als Ziel des Krie-
ges im Kosovo formuliert hat, den vertriebenen Menschen
die Rückkehr zu ermöglichen, steht in der Verantwortung,
sicherzustellen, dass sie nicht in kontaminiertes Gebiet
zurückkehren müssen. Den Soldaten und Soldatinnen,
den Polizisten und dem Zivilpersonal, aber auch der Zi-
vilbevölkerung in den betroffenen Gebieten muss die
Möglichkeit zur Gesundheitsuntersuchung gegeben wer-
den, auch zu kontinuierlicher Nachsorge, da Erkrankun-
gen durch Uranmunition noch Jahre später auftreten kön-
nen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Uranmunition bedeutet eine langfristige Gesundheits-

gefährdung. Die genaue Risikoanalyse, die in der Wis-
senschaft ja noch umstritten ist, muss ganz neu erstellt
werden, wenn sich herausstellen sollte, dass Plutonium
noch zusätzlich enthalten ist. Wenn der Staub, der beim

Aufschlag von DU-Granaten entsteht, eingeatmet wird
oder durch Wunden in den Körper gelangt, dann setzt er
sich im Körper fest und entfaltet über Jahre hinweg als
bleibender Strahlungsherd seine radioaktive Wirkung.
Außerdem kann dieser kontaminierte Staub über Boden
und Wasser in den Nahrungskreislauf gelangen. Die
NATO muss offen legen, wo genau DU-Munition einge-
setzt worden ist, und auch ihre Erkenntnisse über Erkran-
kungen und Gesundheitsrisiken auf den Tisch legen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie bei der PDS)


Die bisherige Geheimhaltungspolitik der NATO ist
nicht hinnehmbar. Dass zum Beispiel noch am 15. De-
zember 1997 auf einer SFOR-Pressekonferenz in Bosnien
ausdrücklich betont wurde, dass in Bosnien niemals DU-
Munition eingesetzt wurde, ist eine Irreführung der Öf-
fentlichkeit.

Hintergrund scheinen befürchtete Regressforderun-
gen, insbesondere von erkrankten Golfkriegsveteranen,
zu sein. Handlungsleitend muss aber der Schutz der Men-
schen vor den langfristigen Folgen der DU-Munition sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS)


Auch bezogen auf die Lagerung und Erprobung oder
Transporte im Gebiet der Bundesrepublik und der ehema-
ligen DDR brauchen wir eine umfassende Klarstellung.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Machen!)

Die Informationspolitik der Bundesregierung kann nicht
darin bestehen, festzustellen, dass die Bundeswehr solche
Munition nicht einsetzt, wenn klar ist, dass die NATO-
Partner es tun. Es gibt diesbezüglich langjährige – ich be-
tone: langjährige – Versäumnisse des Bundesverteidi-
gungsministeriums und der NATO. Frau Schäfer, es ist
einfach absurd und scheinheilig, wenn man die
Verantwortung für das alles allein beim jetzigen Verteidi-
gungsminister abladen wollte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Anita Schäfer [CDU/CSU]: Er hat jetzt die Verantwortung!)


– Wir stehen jetzt in der Verantwortung, selbstverständ-
lich. Wir werden ihr auch nachkommen und nach vorne
schauen.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Davon merkt man aber nichts!)


Im Interesse der Zivilbevölkerung und der Soldaten
sind eine zügige Aufklärung und weitere umfassende Un-
tersuchungen notwendig. Wir wissen, dass niemandem
geholfen ist, wenn das Problem heruntergespielt wird. Die
Fakten müssen offen auf den Tisch, und zwar nicht erst
dann, wenn sie von der Presse veröffentlicht worden sind;
denn sonst wird weiteres Misstrauen genährt.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Das war deutlich an Scharping gerichtet!)


Waffen sind grundsätzlich gefährlich – und genau
das ist ihr Zweck. Hier allerdings handelt es sich um
Munition, die unterschiedslos auf Soldaten und Zivilisten




Anita Schäfer

14003


(C)



(D)



(A)



(B)


wirkt, und zwar langfristig. Ich halte die internationale
Ächtung von Uranmunition für notwendig. Ich begrüße
sehr, dass sich die Bundesregierung jetzt dafür verwendet
hat, dass die NATO Uranmunition in Zukunft nicht mehr
einsetzt und dafür auf internationaler Ebene ein Morato-
rium erreichen will. Ich hoffe sehr, dass sie damit Erfolg
hat. Wir werden sie jedenfalls mit allen Kräften dabei un-
terstützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414314800
Als nächs-
ter Redner hat der Kollege Günther Nolting von der
F.D.P.-Fraktion das Wort.


Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1414314900
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Zumkley, ich
stimme Ihnen zu: Bei dem Thema Uranmunition verbie-
ten sich vorschnelle Hysterie und blinde Panikmache.
Aber, Herr Kollege Zumkley, ich denke, es verbietet sich
auch eine unglaubwürdige Politik der Abwiegelung.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Peter Zumkley [SPD]: Ich sehe diese Abwiegelungspolitik nicht! Das entspringt Ihrer Fantasie!)


Herr Minister, was ich in den letzten Tagen beobachtet
habe, hat gewaltig mit Abwiegelungspolitik zu tun. Sie,
Herr Minister, stehen im Zentrum dieser Politik.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Frau Kollegin Buntenbach, als Koalitionspartner sind für
diese Politik auch die Grünen verantwortlich.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Warum haben die Grünen die Forderungen nicht schon
längst gestellt, die Sie heute vorgetragen haben? Und vor
allen Dingen: Warum haben Sie diese Forderungen nicht
schon längst umgesetzt?


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Sie sind in der Regierung, Sie stellen den Außenminister
und dieser hat bis jetzt nichts getan.

Der Verteidigungsminister gehört in einer Situation,
die bei den Betroffenen und deren Angehörigen Unbeha-
gen, wenn nicht sogar Verunsicherung oder Angst auslöst,
an die Spitze der Aufklärungsbewegung. Der Verteidi-
gungsminister darf sich nicht aufschwingen, erst die Op-
position und dann die Medienvertreter wegen einer an-
geblich hysterischen und unsachlichen Berichterstattung
zu attackieren. Was ich in den letzten Tagen den Medien
entnommen habe, war ausnahmslos eine um Aufklärung
bemühte, meist sehr sachliche Darstellung und Analyse
der Tatsachen.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., der CDU/CSU und der PDS – Peter Zumkley [SPD]: Das glauben Sie doch selber nicht!)


Herr Minister, Sie sollten daher nicht blinde Medien-
schelte betreiben, sondern Dank für die zahlreichen über-
aus sachlichen Darstellungen zum Ausdruck bringen.

Aufklärung tut ja auch Not.

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: In der Tat!)


Denn immerhin geht es nicht nur um rund 50 000 Men-
schen aus unserem Land, die im Auftrag des Deutschen
Bundestages in Auslandseinsätzen stellvertretend für die
westliche Wertegemeinschaft Hilfe geleistet haben. Es
geht auch um viele Zigtausend Bewohner in den betroffe-
nen Gebieten selber, die ebenso ein Recht auf lückenlose
Aufklärung haben,


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


ein Recht, das ihnen die deutsche Bundesregierung ge-
nauso wenig verwehren darf wie alle anderen Regierun-
gen dieser westlichen Wertegemeinschaft;


(Peter Zumkley [SPD]: Was ihr längst hättet anpacken müssen!)


denn gerade in der gegenwärtigen Diskussion geht es um
unsere Wertvorstellungen, nämlich Frieden, Freiheit und
Recht, aber auch Offenheit und Transparenz,


(Beifall bei der F.D.P.)

für die die NATO und die EU stehen und für die wir kämp-
fen.

Meine Damen und Herren, wenn die Forderung nach
„brutalstmöglicher Aufklärung“ jemals Berechtigung
hatte, dann ist das gegenwärtig der Fall.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Denn immerhin sind die Informationen, die wir bekom-
men, alles andere als beruhigend. Zum Beispiel: Welche
weiteren Inhaltsstoffe weist die Munition auf? Gibt es
neue Gefahren durch Plutonium? Welche genauen Wir-
kungen erzeugt das Auftreten dieser Munition auf Ober-
flächen? Welche chemischen Prozesse werden hierbei in
Gang gesetzt? Wie wirken sich diese aus? Wie gedenkt die
Bundesregierung auf mögliche Langzeitwirkungen einzu-
gehen?


(Zuruf von der F.D.P.: Viele Fragen!)

Herr Kollege Scharping, ich denke, dass Sie diese Ak-

tuelle Stunde zum Anlass nehmen sollten, den Gesichts-
winkel Ihrer Nachforschungen deutlich zu erweitern.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Welchen anderen, über das allgemeine Gefährdungsmaß
hinausgehenden Risiken sind Einheimische und Soldaten
in Auslandseinsätzen ausgesetzt? Auch hier muss der
Bundesminister der Verteidigung seiner Verantwortung
nachkommen und darf sich nicht in ministerieller Selbst-
zufriedenheit ergehen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Herr Minister, Ihr Problem sind weder die Opposition

noch die Medien.




Annelie Buntenbach
14004


(C)



(D)



(A)



(B)



(Gernot Erler [SPD]: Das stimmt!)

Ihr Problem ist Ihre zögerliche, zu Belehrungen neigende
Informationspolitik.


(Peter Zumkley [SPD]: Na, wer im Glashaus sitzt!)


Das haben Sie mittlerweile in aller Deutlichkeit auch von
den eigenen Genossen zu hören bekommen. Die Namen
brauche ich hier nicht zu erwähnen. Sie konnten das selbst
der Presse entnehmen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ein weiteres Phänomen harrt der Aufklärung durch den

Bundesverteidigungsminister, nämlich die seltsam schiefe
Logik, einerseits Gesundheitsrisiken durch uranhaltige
Munition nahezu kategorisch auszuschließen – das haben
wir gestern im Verteidigungsausschuss wieder gehört –,


(Zuruf von der F.D.P.: Unglaublich!)

andererseits aber alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen
anzuordnen und gestern sogar den amtierenden Botschaf-
ter der USA einzubestellen – ein einmaliger Vorgang in
der Politik und in der Diplomatie.


(Lachen bei der SPD – Peter Zumkley [SPD]: Hätte er es nicht gemacht, hätten Sie ihn noch mehr kritisiert! Gegenvorschlag!)


Herr Minister, sorgen Sie dafür, dass diese Pseudologik
aufgegeben wird!


(Beifall bei der F.D.P.)

Herr Minister, im Namen der F.D.P. fordere ich Sie noch

einmal auf – wie ich das gestern schon im Verteidigungs-
ausschuss getan habe –: Sorgen Sie für eine eingehende
medizinische Untersuchung aller – ich betone: aller – im
Ausland eingesetzten Bundeswehrangehörigen auf et-
waige Gesundheitsrisiken! Stichproben allein sind völlig
unzureichend und ungenügend.


(Beifall bei der F.D.P. – Peter Zumkley [SPD]: Sie hören im Ausschuss nicht zu! Tut mir Leid!)


Setzen Sie sich auf NATO-Ebene für Aufklärung und
eventuelle Hilfen für die betroffene Bevölkerung auf dem
Balkan ein! Es geht auch hier um die Glaubwürdigkeit der
NATO und damit der westlichen Wertegemeinschaft. Le-
gen Sie alle Fakten schonungslos offen, ohne falsche
Rücksichtnahmen auf falsche Geheimhaltungsinteressen!
Die Betroffenen und die Öffentlichkeit haben ein Anrecht
darauf. Ziehen Sie notfalls auch personelle und organisa-
torische Konsequenzen in Ihrem Haus!

Herr Minister, ein BSE-ähnliches Kompetenz- und
Verwirrspiel darf sich keinesfalls wiederholen. Im Vor-
dergrund allen Handelns muss das Wohl der Angehörigen
der Bundeswehr, muss das Wohl der Menschen stehen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Peter Zumkley [SPD]: Gedämpfter Trommelwirbel!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414315000
Als
Nächster hat der Bundesminister Rudolf Scharping das
Wort.


(Gernot Erler [SPD]: Das ist nach dieser Rede schwer!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414315100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte
zunächst festhalten: Es bleibt dabei, dass nach Auffassung
der Bundesregierung besser kein Staat diese Munition
hätte und besser auch kein Staat diese Munition einsetzte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Wir klatschen, wenn er Recht hat!)


Wir werden unsere Möglichkeiten nutzen, um diese Auf-
fassung zur Geltung zu bringen.

Es ist allerdings auch richtig, dass jeder Staat alleine
über seine militärischen Mittel und ihren Einsatz ent-
scheidet, auch im Bündnis. Genauso bleibt es richtig, dass
es eine gemeinsame Verantwortung gibt, die sich zum ei-
nen auf die Risiken für eingesetzte Soldaten, zum anderen
aber genauso auf die Risiken für die möglicherweise be-
troffene Zivilbevölkerung bezieht. Das ist ebenfalls un-
sere unveränderte Auffassung. Das ist auch der Grund,
weshalb ich während des Kosovo-Krieges und auch jetzt
gegen jeden Anschein einer ungleichgewichtigen Infor-
mation innerhalb des Bündnisses und im Rahmen ge-
meinsamer Verantwortung vorgehen werde. Das habe ich
während des Kosovo-Krieges getan und das tue ich jetzt
wieder. Ich komme auf diesen Punkt gleich noch einmal
zurück.

Dann ist gesagt worden, es gebe keine hinreichende
Unterrichtung der Öffentlichkeit bzw. des Parlamentes.
Ich möchte Sie darüber informieren, welche Unterrich-
tungen erfolgt sind – es tut mir Leid, dass ich das
nachträglich tun muss –: Am 21. April 1999 hat das Bun-
desministerium der Verteidigung zum ersten Mal in einer
Pressekonferenz zu diesem Thema Stellung genommen.
An diesem Tag ist hier im Parlament eine Frage nach dem
angeblichen Einsatz uranangereicherter Munition beant-
wortet worden.


(Heidi Lippmann [PDS]: Das war damals ein Protokollfehler! Das wissen Sie auch!)


Das Bundesministerium der Verteidigung hat hier im
Deutschen Bundestag freundlicherweise die Vermutung
angestellt, es könne sich dabei um ein Missverständnis
handeln, und, obwohl nicht danach gefragt wurde, auch
Fragen nach uranabgereicherter Munition beantwortet.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Tolle Leistung!)


Die Bundesregierung und der Bundesminister der Vertei-
digung haben ebenfalls im Deutschen Bundestag am
7. Mai 1999 alle diesbezüglichen Fragen beantwortet.

Die Bundesregierung hat am 20. Mai 1999 im Deut-
schen Bundestag von sich aus zum ersten Mal auf eine




Günther Friedrich Nolting

14005


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(D)



(A)



(B)


Unterscheidung hingewiesen, die in der Sache getroffen
werden muss und die manchmal leider auch in Beiträgen
hier im Parlament regelmäßig verwischt wird: Das Risiko,
das von der Strahlenbelastung ausgeht, ist nach Auffas-
sung aller Mediziner – nicht etwa nur der der Bundes-
wehr, sondern auch der unabhängiger Fachleute und In-
stitute – von vernachlässigbar geringem Umfang. Aber
wir haben von uns aus, ohne dass wir im Einzelnen da-
nach gefragt worden sind, am 20. Mai 1999 hier im Deut-
schen Bundestag während des Kosovo-Krieges auf das
Risiko toxisch bedingter Erkrankungen wegen der Eigen-
schaft von Uran als Schwermetall hingewiesen.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Denken Sie an das Badewasser von Hofgastein!)


Wir haben in mehreren Sitzungen des Verteidigungs-
ausschusses und des Deutschen Bundestages darauf auf-
merksam gemacht, dass diese beiden Risiken nicht mitei-
nander vermengt werden dürfen und dass das zweite
Risiko deshalb differenziert zu betrachten ist, weil es ein
Unterschied ist, ob man zeitweilig und mit der Möglich-
keit von Schutzmaßnahmen in einem Gebiet, in dem diese
Munition verwendet wird, eingesetzt wird oder ob man
dauerhaft in diesem Gebiet lebt, also Teil der Zivilbevöl-
kerung ist. Das haben wir hier im Deutschen Bundestag
zum ersten Mal in aller Deutlichkeit am 20. Mai 1999
festgestellt.


(Peter Zumkley [SPD]: Richtig!)

Am 11. Juni 1999 und am 28. Juni 2000 haben wir das
wiederholt. Wir haben den Verteidigungsausschuss am
21. April, am 12. Mai, am 19. Mai und am 8. September
1999 darüber informiert.

Dann wird behauptet, die Truppe sei nicht ordentlich
informiert worden. Die Truppe ist am 10. Juni 1999, also
vor Einrücken in den Kosovo, belehrt worden. Das war in
einer Zeit, in der wir noch nicht wussten, ob – geschweige
denn in welchem Gebiet und in welchem Umfang – sol-
che Munition eingesetzt werden könnte. Wir hatten keine
offizielle Information, aber eine Reihe von Hinweisen
durch Gespräche am Rande von NATO-Tagungen und
durch den einen oder anderen Brief, der bei uns einge-
gangen ist.

Am 11. Juni 1999 wurde mit dem Einrücken begonnen
und am 12. Juni 1999 wurde es durchgeführt. Am 14. Juni
1999 ist ein entsprechender Befehl zur Vorsorge erlassen
worden, der ausdrücklich auch auf das Problem der DU-
Munition hinweist. Diese Befehle sind im Zuge der Infor-
mationen, die im Bundesministerium der Verteidigung
eingegangen sind, ergänzt und erweitert worden, nämlich
am 2. Juli, am 5. Juli, am 15. Juli, am 3.August, am 9. Sep-
tember 1999 usw., usw.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Alles im Griff!)

– Herr Kollege Breuer, Sie versuchen, der Öffentlichkeit
und damit leider auch den Soldaten zu suggerieren, es
seien nicht regelmäßig und sofort alle Erkenntnisse um-
gesetzt worden, die im Bundesministerium der Verteidi-
gung deswegen eingingen, weil wir entweder danach ge-
fragt haben oder weil andere sie an uns weitergegeben
oder an uns herangetragen haben. Dazu sage ich: Das ist

eine böswillige, durch keine einzige Tatsache belegte Un-
terstellung.


(Beifall bei der SPD – Peter Zumkley [SPD]: Alles zulasten der Bundeswehr!)


Der Bundesminister der Verteidigung hat im Oktober
1999 – im Übrigen als Einziger im Bündnis – ein unab-
hängiges Institut beauftragt, das zu untersuchen, was Sie,
Frau Kollegin Buntenbach, hier gefordert haben. Dies ist
also schon geschehen.


(Ursula Lietz [CDU/CSU]: An wie viel Leuten?)


Die Gesellschaft für Umwelt und Gesundheit hat auf der
Grundlage der Informationen, die wir von der NATO hat-
ten, fünf Stellen innerhalb des Kosovo, an denen sicher
DU-Munition eingesetzt worden ist, identifiziert. Es wur-
den regelmäßig die Strahlung gemessen, Bodenproben
genommen, die Nahrungsmittelkette untersucht, mit dem
Ergebnis – das übrigens auch im Ausschuss berichtet wor-
den ist; Sie könnten das also wissen; ich hoffe auf gute In-
formation in Ihrer Fraktion –, dass im April 2000 Strah-
lung nicht mehr feststellbar war.

Ich habe in diesem Zusammenhang mehrfach darauf
aufmerksam gemacht – und tue das hiermit erneut –, dass
damit das Risiko einer Wirkung von Uran als Schwerme-
tall nicht völlig ausgeschlossen ist. Die fünf erwähnten
Stellen sind identifiziert und abgesperrt, für die Bevölke-
rung unzugänglich gemacht worden. Zusätzlich ist darauf
aufmerksam gemacht worden, dass bei Annäherung an
diese Stellen oder Arbeiten innerhalb dieses Bereiches
ABC-Schutzanzüge und Atemmasken zu tragen sind.
Dies ist übrigens eine Vorschrift, die seit dem 14. Juni
1999 besteht und bei regelmäßigen Belehrungen im Kon-
tingent, bei der Vorbereitung und während des Einsatzes,
wiederholt wird. Auf der Grundlage von im Novem-
ber 2000 eingegangenen Informationen der Umweltorga-
nisation der Vereinten Nationen werden weitere Stellen zu
untersuchen sein.

Ich fasse zusammen: Alle Informationen, die uns zu-
gänglich waren oder an die wir herankommen konnten,
sind sofort in entsprechende Maßnahmen umgesetzt wor-
den. Sie betreffen das Thema der radioaktiven Wirkung
von abgereichertem Uran und sie betreffen die Wirkung
von Uran als Schwermetall.

Ich will dann noch darauf hinweisen, Frau Kollegin
Buntenbach, dass wir – wiederum als Einzige innerhalb
der NATO und im Übrigen aus eigenem Antrieb und un-
ter Hinzuziehung von externen, unabhängigen Sach-
verständigen – nicht nur diese Untersuchung eingeleitet
haben, sondern auch die Untersuchung derjenigen Solda-
ten, die in der Nähe der Flächen eingesetzt worden waren,
zum Beispiel als Pioniere mit Erdarbeiten. Diese Soldaten
sind mit einer Kontrollgruppe – Soldaten, die nicht auf
dem Balkan eingesetzt worden sind – verglichen worden.
Deren Ergebnisse wiederum sind verglichen worden mit
einer weiteren Personengruppe – „gleichaltrige männli-
che Bevölkerung“; das hat alles die Gesellschaft für Um-
welt und Gesundheit gemacht –, mit dem Ergebnis, dass
es keine Abweichung der Untersuchungsergebnisse zwi-
schen diesen drei Personengruppen gibt: erstens im Ko-




Bundesminister Rudolf Scharping
14006


(C)



(D)



(A)



(B)


sovo unmittelbar in der Nähe möglicherweise kontami-
nierter Flächen eingesetzte Soldaten, zweitens nicht im
Kosovo eingesetzte Soldaten, drittens Zivilbevölkerung.

Ich frage in allem Ernst, Herr Kollege Nolting: Macht
es angesichts dieser Tatsache – wenn also unmittelbar ne-
ben möglicherweise kontaminierten Flächen eingesetzte
Soldaten keine Auffälligkeiten aufweisen – Sinn, 70 000
Menschen per Anordnung zu untersuchen?


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Ja, es macht Sinn: um Ängste zu nehmen! – Gegenruf des Abg. Peter Zumkley [SPD]: Unsinn!)


–Augenblick! Macht es nicht mehr Sinn, zu sagen, jeder,
der sich in irgendeiner Weise subjektiv verunsichert und
beschwert fühlt,


(Peter Zumkley [SPD]: Jetzt kommt es! Das ist wichtig!)


hat im Rahmen der freien Heilfürsorge Anspruch auf die
Untersuchungen und wird sie auch bekommen?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Genau das tun wir.

(Paul Breuer [CDU/CSU]: Jetzt auf einmal!)


– Wieso denn „Jetzt auf einmal!“?

(Heidi Lippmann [PDS]: Und die Zivilbevöl kerung?)

Das habe ich mehrfach öffentlich gesagt. Und was die
Nichtregierungsorganisationen und die Bevölkerung an-
geht: Diese Informationen sind im Rahmen der üblichen
Gefahrenbesprechungen, die in regelmäßigen Briefings
im Einsatzgebiet stattfinden, auch an die Nichtregie-
rungsorganisationen weitergegeben worden.


(Heidi Lippmann [PDS]: Hat die Zivilbevölkerung auch Anspruch auf freie Heilfürsorge?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414315200
Herr
Minister, ich mache Sie darauf aufmerksam, dass Ihre Re-
dezeit überschritten ist.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414315300

Ich weiß, dass die Überschreitung von Redezeit eine ge-
wisse Konsequenz für Ihr Verfahren hat. Aber ich möchte
zu dem aktuellen Punkt trotzdem noch kurz etwas sagen,
Herr Präsident.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414315400
Wenn Sie
noch länger reden, hat die Opposition das Recht, in eine
allgemeine Debatte einzusteigen.

Rudolf Scharping, Bundesminister der Verteidi-
gung: Gut, dann will ich unter Inkaufnahme dieses Risi-
kos – wenn es denn eines wäre – auf etwas aufmerksam
machen.


(Lachen bei der CDU/CSU)


– Dass die Diskussion in eine allgemeine Debatte über-
führt wird, ist doch kein Risiko.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Das machen wir dann!)


Darüber müssten Sie sich doch eher freuen.
Im Zusammenhang mit Informationen – von denen ich

zum ersten Mal am Montagabend dieser Woche gehört
habe –, dass wegen des Auffindens von Uran 236 mögli-
cherweise die Frage auftaucht, ob Transurane – das ist
nicht nur Plutonium – als Spuren in dieser Munition vor-
handen sein könnten, habe ich unmittelbar veranlasst, er-
neut Bodenproben im Kosovo zu nehmen und sie darauf-
hin zu untersuchen. Ich habe unmittelbar veranlasst, dass
die aus der Untersuchung der Soldaten und der Kontroll-
gruppen noch vorhandenen Proben ebenfalls daraufhin
untersucht werden, und zwar durch dasselbe Institut, das
dies vorher getan hat.

Schließlich – in der Hoffnung, dass ich Ihre Aufmerk-
samkeit bei einem durchaus ernsten Thema noch einen
kurzen Moment beanspruchen darf – habe ich gesagt –
und dabei komme ich auf meine Eingangsbemerkung
zurück –: Es ist nicht vertretbar, dass unter dem Mantel
der nationalen Verantwortung für den Einsatz eines mi-
litärischen Mittels oder einer Munition innerhalb des
Bündnisses unterschiedlich informiert wird. Wir werden
dem nachgehen. Das war der Grund, weshalb wir den Ge-
schäftsträger zu einem Gespräch einbestellt und die Ihnen
bekannten Erwartungen formuliert haben.

Nun wird dieses Thema noch zusätzlich mit etwas
anderem vermischt. Das hat etwas mit Fragen zu DU-Ver-
suchen zu tun. Hier muss ich mich zunächst auf das ver-
lassen, was die damalige Bundesregierung dem Deut-
schen Bundestag 1995 und 1997 mitgeteilt hat. Es muss
untersucht werden, ob diese Information komplett gewe-
sen ist.

Schließlich möchte ich Sie darauf aufmerksam ma-
chen, dass dies auch für zum Teil jahrzehntelang zurück-
liegende Vorgänge im Zusammenhang mit Röntgenstrah-
lung oder anderem gilt. Ich habe deshalb heute einen
entsprechenden Arbeitsstab mit dem Ziel eingesetzt,


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Heute?)

20, 30 Jahre zurückliegende Vorgänge – zum großen Teil
in Ihrer politischen Verantwortung – sorgfältig untersu-
chen zu lassen und alle Fakten zu der Frage zu erheben,
wie es eigentlich mit der Röntgen-, nicht Radarstrahlung
ist, die offenkundig schädlich gewirkt hat, alle Fakten zu
erheben, die mit der Erprobung von DU-Munition durch
Firmen in Deutschland zu tun haben, alle Fakten zu erhe-
ben, die – zum größten Teil in Ihrer Regierungszeit – eine
Rolle spielen. Ich werde dem langjährigen Mitherausge-
ber und Herausgeber der „Zeit“ und stellvertretenden Vor-
sitzenden der Weizsäcker-Kommission, Herrn Dr. Theo
Sommer, die Leitung dieses Arbeitsstabes übertragen,
weil ich sehr gerne die Verantwortung für das übernehme,
was in meiner Amtszeit geschieht oder nicht geschieht.

Ich bin aber nicht bereit – das sage ich auch hier
im Deutschen Bundestag –, die Verantwortung dafür zu




Bundesminister Rudolf Scharping

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(C)



(D)



(A)



(B)


übernehmen, dass 1995 oder 1997 möglicherweise
falsche Informationen gegeben worden sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bin nicht bereit, die Verantwortung dafür zu überneh-
men, dass es möglicherweise in den 60er-, 70er-Jahren,
unter welcher Regierungsverantwortung auch immer, auf-
grund mangelnder technischer Kenntnisse oder aufgrund
anderer Umstände – das wird aufzuklären sein – einen un-
zureichenden Schutz an Radargeräten gegeben hat, der
Röntgenstrahlung und Exposition mit Röntgenstrahlung
ausgelöst haben mag und offenbar ausgelöst hat.

Ich bin auch nicht bereit, die Verantwortung dafür zu
übernehmen, dass bis Dezember 1997 in Kenntnis des
Einsatzes von DU-Munition in Bosnien und Herzegowina
in den Jahren 1996 und 1997 spezifisch bezogen auf DU-
Munition keine einzige Entscheidung getroffen worden
ist, obwohl es geboten gewesen wäre. Ich bin auch nicht
bereit, mir einen Vorwurf anzuhören, der letzten Endes
eher auf die Diskreditierung des Ministers denn auf sach-
liche Aufklärung hinausläuft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben ganz im Gegensatz zu manchen anderen De-
batten sorgfältig, auch auf der Grundlage eines als gering
eingeschätzten Risikos, auf der Grundlage von Hinweisen
– nicht immer von offiziellen Informationen – alle diese
Maßnahmen eingeleitet.

Wir werden auch in Zukunft alles tun, was zum Schutz
von Gesundheit und körperlicher Unversehrtheit der Sol-
daten und übrigens auch der im Kosovo lebenden Zivil-
bevölkerung notwendig ist und was nach unabhängigem
Rat von Medizinern und Wissenschaftlern entsprechend
vorgeschlagen wurde. Das haben wir in der Vergangenheit
getan und werden es auch in Zukunft tun.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414315500
Meine lie-
ben Kolleginnen und Kollegen, der Herr Bundesminister
Rudolf Scharping hat deutlich länger als zehn Minuten
gesprochen. Die Fraktion der F.D.P. stellt den Antrag,
nach Anlage 5 Nr. 7 Abs. 2 in Verbindung mit § 44 Abs. 3
unserer Geschäftsordnung über die Aktuelle Stunde hi-
naus eine allgemeine Aussprache über die Ausführungen
des Herrn Bundesministers durchzuführen.

Die Geschäftsführer haben vereinbart, dass diese Aus-
sprache eine halbe Stunde dauern soll. Die Zeitverteilung
in dieser halben Stunde entspricht der üblichen Zeitver-
teilung bei allgemeinen Aussprachen.


(Heidi Lippmann [PDS]: Dann wird meine Redezeit doch verkürzt!)


– Das ist nach unserer Geschäftsordnung so beantragt
worden. Sie können es gerne nachlesen. Das ist so.

Als erster Redner in der allgemeinen Aussprache hat
der Kollege Paul Breuer das Wort.


Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1414315600
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Nachdem ich Herrn Minister Scharping
gehört habe, muss ich Ihnen, Herr Minister – er sitzt jetzt
auf der Abgeordnetenbank –, Folgendes sagen: Es gibt of-
fenbar einen Scharping aus der vergangenen Woche und
einen Scharping aus dieser Woche. In der vergangenen
Woche haben Sie in allen deutschen Fernsehanstalten und
in allen deutschen Zeitungen den Eindruck zu erwecken
versucht – dafür haben Sie Leute vor die Kamera ge-
schickt –, dass das uranabgereicherte Material in der Mu-
nition ungefähr so gefährlich sei wie das Badewasser in
Hofgastein. Das waren Aussagen, die in Ihrem Auftrag
gemacht worden sind.

Wenn ich Sie heute höre, dann habe ich das Gefühl, Sie
wollen den Eindruck erwecken, Sie hätten jederzeit ver-
sucht, auf die Gefahren der DU-Munition hinzuweisen.
Das haben Sie nicht. Sie haben abgewiegelt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Nun schaue ich mir die Rollenverteilung in der Koali-
tion an.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt sind wir aber neugierig!)


Die Grünen tun so, als hätten sie schon immer darauf hin-
gewiesen.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht den Eindruck erweckt, wir haben es getan!)


– Das haben Sie gemacht? – In Ordnung, dann möchte ich
aber Folgendes zitieren. Ich beziehe mich auf die Sendung
„Monitor“ vom 22. April 1999. Aussage: „Die Gefähr-
lichkeit von Uran-Munition ist umfassend dokumentiert.“ –
So die Redaktion. „Nur der grüne deutsche Außenminis-
ter Joschka Fischer will dies offenbar nicht wahrhaben.“
Auf Anfrage schrieb er noch vor zwei Wochen – das ist
jetzt ein Zitat von Joschka Fischer –:

Dem Auswärtigen Amt ist bekannt, dass solche Mu-
nition im Kosovo-Konflikt zum Einsatz kommen
kann. ... Es ist jedoch davon auszugehen, dass Ge-
fährdungen der von Ihnen beschriebenen Art für
Mensch und Umwelt nicht auftreten.

Heute versuchen Sie den Eindruck zu erwecken, Sie
hätten es immer gewusst und sich entsprechend einge-
setzt. Sie sind in dieser Bewertung noch nicht einmal bis
zu Ihrem eigenen Außenminister vorgedrungen. Das ist
die Realität in dieser Bundesregierung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ein weiterer Punkt: Herr Scharping, der offenbar für
nichts verantwortlich ist – das sind bei ihm immer die Vor-
gänger gewesen; ich bin überzeugt, dass er notfalls noch
Anleihen bei Bismarck macht –, wollte uns glauben ma-
chen, es sei der Minister Rühe gewesen, der nichts veran-




Bundesminister Rudolf Scharping
14008


(C)



(D)



(A)



(B)


lasst habe. Ich habe Ihnen das gestern in der Ausschuss-
sitzung – was ich selbst sage, kann ich auch öffentlich vor-
tragen – widerlegt und bewiesen, dass Sie selbst der Mei-
nung waren, Herr Rühe habe etwas veranlasst.

Im März 2000 haben Sie auf eine Anfrage der PDS,
welche Maßnahmen unternommen werden, um die Bun-
deswehrsoldaten vor einer Kontaminierung mit DU-Mu-
nition zu schützen, gesagt: Für den Umgang mit den von
DU-Munition getroffenen Fahrzeugen bzw. DU-Muniti-
onsfunden sind bereits 1997 Regelungen getroffen wor-
den. Das betraf einen Zeitpunkt, zu dem Rühe Verteidi-
gungsminister war.

Herr Scharping, es geht um Folgendes: Welche Verant-
wortung haben Sie getragen – nicht Ihre Vorgänger – und
welche Verantwortung hat der deutsche Außenminister
getragen? Sie müssen endlich einmal kapieren, dass Sie in
der Regierung sind und dass Sie – Herr Scharping hat ja
sogar ein Kriegstagebuch geschrieben; er hat sich in der
deutschen Öffentlichkeit als Feldherr aufgespielt – für
diesen Krieg sowie für alles, was getan bzw. nicht getan
worden ist, die Verantwortung haben. Um nichts anderes
geht es.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Scharping – es wäre gut, wenn man Ihr geneigtes

Ohr einmal erreichen könnte –, ich werfe Ihnen überhaupt
nicht vor, dass Sie zum damaligen Zeitpunkt Soldaten
leichtfertig in Krisengebiete geschickt haben.


(Gernot Erler [SPD]: Das wäre ja noch schöner!)


Damit das völlig klar ist: Ich werfe Ihnen das nicht vor.
Was ich Ihnen aber vorwerfe, ist: Sie stellen sich vor die
deutsche Öffentlichkeit und vor die Soldaten, denen ge-
genüber Sie zur Fürsorge verpflichtet sind,


(Peter Zumkley [SPD]: Die er beachtet hat!)

und versuchen mit Ihrer Haltung – das war bis letzte Wo-
che noch so – „Liebe Leute, worüber regt ihr euch über-
haupt auf? Warum macht ihr von der Presse, der Öffent-
lichkeit und der Opposition eine solche Hysterie?“ den
Eindruck zu erwecken, Sie hätten zu allen Zeiten alles im
Griff gehabt.

Ich will Ihnen eines sagen: Wenn es um derartige Ge-
schichten geht – auch ich kenne die Gefährlichkeit nicht –,
wäre ich im Herausblasen solch großer Sprüche etwas
vorsichtiger als Sie, da es hier um Fürsorge geht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Es geht um nichts anderes. Wenn die Soldaten im Kosovo
jetzt noch betonen, sie hätten nicht die richtigen Anwei-
sungen, sieht man, welches Versagen mit Ihrer Person ver-
bunden ist.


(Peter Zumkley [SPD]: Das ist doch alles nachweisbar! Das ist doch nicht wahr! Sie haben doch nicht mit den Soldaten gesprochen!)


Psychologische Führung ist ein wesentliches Element.
Als die Diskussion bei unseren Verbündeten zwischen
Weihnachten und Neujahr – sie wurde ja auch vorher

schon geführt – begann, war weder vom Verteidigungs-
ministerium noch von Scharping persönlich etwas zu
hören. Es war gar nichts zu hören.


(Irmgard Karwatzki [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Ich habe direkt nach dem Jahreswechsel im Verteidi-
gungsministerium angerufen und gefragt: Was wird denn
eigentlich gemacht? Die im Bereich der Verbündeten ge-
führte Diskussion war noch gar nicht wahrgenommen
worden. Der Zwischenbericht, der dem Verteidigungsaus-
schuss im Juli des vergangenen Jahres hätte vorgelegt
werden sollen, lag dem Ausschuss bis zum damaligen
Zeitpunkt nicht vor. Ich habe dann dafür gesorgt, dass wir
ihn bekommen haben. Ich habe ihn öffentlich bekannt ge-
macht, aber nicht um zu desinformieren, sondern um zu
informieren.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414315700
Herr Kol-
lege, Sie müssen zum Schluss kommen.


Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1414315800
Ich komme zum Schluss. –
Was Sie nicht verstanden haben, Herr Kollege Scharping,
ist Folgendes: Die Diskussion und die Debatte wurden bei
den Alliierten in Europa geführt. Sie haben den Eindruck
erweckt, alles sei ungefährlich, und sich zunächst einmal
eine Woche lang überhaupt nicht geäußert. Danach haben
Sie diejenigen, die dazu beigetragen haben, dass die deut-
sche Öffentlichkeit und die Ihnen anvertrauten Soldaten
informiert werden, als diejenigen beschimpft, die Hyste-
rie entfacht hätten. Das ist der Fehler, den Sie gemacht ha-
ben. Das ist unverantwortlich und das kann man nicht zu-
lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Untersuchungen, die heute vorgenommen werden,

haben Sie nicht aus eigenem Antrieb veranlasst, sondern
weil Druck vonseiten der Opposition und der Öffentlich-
keit kam.


(Lachen bei der SPD)

Sie haben den amerikanischen Botschafter aus Not zu sich
gerufen und nicht deshalb, weil Sie die Lage im Griff ha-
ben. Das nimmt Ihnen die deutsche Öffentlichkeit nicht
ab.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414315900
Herr Kol-
lege Breuer, Ihre Redezeit ist mehr als abgelaufen. An-
sonsten müsste Ihnen Ihre Fraktion mehr Redezeit ein-
räumen.


Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1414316000
Herr Präsident, vielen
Dank. – Ich muss dazu allerdings Folgendes sagen: Die
Art und Weise, wie Herr Scharping mit Redezeiten um-
geht, offenbart einiges darüber, wie er auch mit anderen
Dingen umgeht.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)





Paul Breuer

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(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414316100
Zu einer
Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Rudolf
Scharping das Wort.


Rudolf Scharping (SPD):
Rede ID: ID1414316200
Ich denke, dass die Kolle-
ginnen und Kollegen der Opposition dafür Verständnis
haben, dass man wenigstens den Versuch macht, auf pau-
schale und nicht belegte Vorwürfe mit Tatsachen zu ant-
worten.

Erstens. Ich habe am 10. Januar 2001 mit einer Reihe
unabhängiger Wissenschaftler – darunter waren auch an-
erkannte Arbeitsmediziner – der Universitäten Köln,
Bonn und Mainz zusammengesessen, die sich mit Nukle-
armedizin beschäftigen. Ich verzichte mit Rücksicht auf
die Zeit, alle Namen vorzulesen. Ich habe im Rahmen ei-
ner Pressekonferenz darauf aufmerksam gemacht, dass
ich manche, längst nicht alle Berichte für fahrlässig halte
und dass ich es für ein Problem halte – das ist auch un-
verändert meine Meinung –, dass der Verdacht und die un-
bewiesene Behauptung öffentlich einen höheren Stel-
lenwert bekommen als die Tatsachen, die zum Teil im
Deutschen Bundestag, in Pressekonferenzen und in den
Sitzungen des Verteidigungsausschusses weitergegeben
worden sind. Das betrifft, wie gesagt, einige, nicht die
Mehrheit. Von diesem Urteil habe ich leider nichts abzu-
streichen.

Zweitens. Herr Kollege Breuer, welcher öffentliche
Druck sollte mich denn im Oktober 1999 veranlasst ha-
ben, vorsorglich die Untersuchungen einzuleiten, die ein-
geleitet worden sind?


(Heidi Lippmann [PDS]: Die Anfragen der PDS!)


– Wir haben die erwähnten Anfragen im Deutschen Bun-
destag beantwortet. Wir haben – ich wäre dankbar, wenn
Sie das in Zukunft in Ihre Beurteilung einbeziehen könn-
ten – schon im Mai 1999 – ich betone: von uns aus – auf
das toxische Risiko der Munition hingewiesen.

Die Debatte – auch dazu stehe ich unverändert – er-
reicht in dem Augenblick, in dem der Verdacht auftaucht,
dass auch Transurane in der DU-Munition vorhanden sein
könnten – selbst wenn es sich nur um geringste Spuren
handeln sollte –, schon wegen der öffentlichen Sensibi-
lität, aber vor allen Dingen auch wegen der damit ver-
bundenen Risiken eine andere Ebene. Dann muss man
sich anders verhalten, selbst um des Risikos willen, dass
es im Verhältnis mit den USA die eine oder andere diplo-
matische Verstimmung gibt. Ich bin nicht bereit, zu ak-
zeptieren, dass es im Bündnis unterschiedliche Informa-
tionen über mögliche Folgen des Einsatzes von Munition
eines Bündnispartners bei gemeinsam zu tragender Ver-
antwortung und bei gemeinsam zu tragendem Risiko gibt.
Das werde ich nicht hinnehmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414316300
Herr Kol-
lege Breuer, Sie haben das Recht zu erwidern.


Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1414316400
Um direkt darauf einzuge-
hen: Herr Kollege Scharping, der Zwischenbericht über
die Untersuchungen der GSF, den Sie für Juli 2000 Jahres
zugesagt hatten und der den Verteidigungsausschuss erst
im Januar 2001 erreicht hat, nachdem wir insistiert hatten,
enthielt nicht nur den Hinweis darauf, dass die Untersu-
chung von 118 Soldaten – in meinen Augen sind das viel
zu wenige – notwendig sei – der Kollege Scharping hört
nicht zu; es ist ohnehin schon seltsam, dass Sie nicht auf
der Regierungsbank sitzen; ich denke, Herr Scharping,
Sie wissen derzeit nicht genau, wo Sie hingehören; ent-
weder gehören Sie auf die Regierungsbank oder in die
Fraktionsreihen, was am besten wäre –,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

sondern auch die Empfehlung, Boden- und Trinkwasser-
proben zu nehmen. Das ist auf Ihre Initiative hin ein hal-
bes Jahr nicht geschehen. Wenn Sie jetzt auf einmal – im
Übrigen: 14 Tage später als die Alliierten – Experten in
das Kosovo schicken, dann weist das darauf hin, dass Sie
im falschen Film waren und die Entwicklung in Deutsch-
land und in Europa 14 Tage lang völlig verschlafen haben.
Erwecken Sie hier nicht den Eindruck, als ob Sie immer
auf der Höhe der Zeit gewesen wären. Ich weise Ihnen
nach, dass das nicht der Fall war.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414316500
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Hans Peter
Bartels von der SPD-Fraktion.


Dr. Hans-Peter Bartels (SPD):
Rede ID: ID1414316600
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Herr Breuer, es nützt niemandem, am
wenigsten den eingesetzten Soldaten und der Zivilbevöl-
kerung, wenn bei diesem schwierigen Thema Sachlich-
keit durch Polemik ersetzt wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir diskutieren hier über Tatsachen und über Tatsa-
chenbehauptungen, die Sie gern belegen können, wenn
Sie finden, Sie seien nicht rechtzeitig informiert worden.
Nach meiner Kenntnis hat Staatssekretär Kolbow – es
muss nicht immer der Minister sein – den Verteidigungs-
ausschuss bereits zu dem von Ihnen gewünschten Zeit-
punkt informiert.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Nein!)

Es geht also um Tatsachen, Tatsachenbehauptungen, Spe-
kulationen, Vorwürfe und Meinungen, die vielleicht nicht
immer leicht auseinander zu halten sind.


(Peter Zumkley [SPD]: Richtig!)

Behauptet wird – wir kommen zu einigen Aspekten,

die hier vielleicht noch keine so große Rolle gespielt ha-
ben, aber mit der Sache zu tun haben –, amerikanische
DU-Munition habe bei Soldaten alliierter Kosovo-Kon-
tingente Leukämie ausgelöst. Das ist unwahrscheinlich.
Die UNEP bestätigt das, auch im Hinblick auf die Zivil-






(C)



(D)



(A)



(B)


bevölkerung. Mediziner sagen, Strahlung könne zwar
Leukämie auslösen, aber bei weitem nicht so schnell und
wohl auch nicht bei so geringer und so kurzzeitiger Strah-
lung. Der bisher gemeldete eine an Leukämie erkrankte
deutsche Soldat war übrigens in Mostar stationiert. Dort
hat es keinen DU-Einsatz gegeben.

Am Montag dieser Woche fand eine Sitzung der Sa-
nitätsinspekteure der NATO in Brüssel statt. Das Ergeb-
nis: Eine Verbindung zwischen abgereichertem Uran und
den in den Medien berichteten Erkrankungen konnte we-
der durch die dort vorgestellten epidemiologischen Daten
der eingesetzten NATO-Soldaten noch durch die in der
wissenschaftlichen Fachliteratur veröffentlichten Er-
kenntnisse festgestellt werden. Es sollen weitere wissen-
schaftliche Studien auch von unabhängiger Seite durch-
geführt werden, durch die die Ursachen für die zum Teil
unspezifischen Symptome gefunden werden sollen, die
bei einigen Soldaten verbündeter Streitkräfte nach dem
Einsatz auf dem Balkan – wie auch nach anderen Aus-
landseinsätzen – in der Tat aufgetreten sind. Das ist doch
alles andere als Abwiegelung, Herr Nolting. Das ist ein
Beitrag nicht nur Deutschlands, sondern auch der NATO
zur Aufklärung.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Achten Sie darauf: Ich spreche nach Ihnen! Dazu sage ich gleich etwas!)


– Schönen Dank!
Die Chefs der Sanitätsdienste haben beschlossen, eine

Arbeitsgruppe „Präventivmedizin“ damit zu beauftragen,
die notwendigen Daten zusammenzufassen und zu be-
werten. Ein Bericht dazu soll bis Mai 2001 vorgelegt
werden. Natürlich wollen die Sanitätsdienste der NATO
– durch diese Diskussion sicherlich aufgeschreckt – in
Zukunft noch enger zusammenarbeiten, sodass wir nicht
nur auf unsere Erkenntnisse zurückgreifen können, son-
dern auch auf die der anderen befreundeten Nationen.

Behauptet wird auch, der deutsche Verteidigungsmi-
nister habe irgendetwas irgendwie verzögert, er habe zu
spät informiert oder reagiert. Nun spricht Rudolf
Scharping manchmal mit einer eindrucksvollen Bedäch-
tigkeit; aber gehandelt hat er sehr schnell.


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Solche vergifteten Komplimente sollten Sie Ihrem Minister nicht machen!)


Ich erinnere an seine Weisungen vom 14. Juni 1999, vom
2. Juli 1999, vom 15. Juli 1999 und an den Erlass vom
21. Juli 1999. Das geschah alles unmittelbar in der Phase
vor und während des Einrückens in das Kosovo. DU war
damals noch gar kein so interessantes öffentliches Thema
wie heute; aber der Minister hat die mögliche Gefährdung
des deutschen Einsatzkontingents ernst genommen und
angemessene Vorkehrungen treffen lassen. Ich sage
„mögliche Gefährdungen“; denn offiziell wusste die Bun-
desregierung zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht, ob DU-
Munition eingesetzt worden war.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Er ist ein Wechselbalg!)


Offiziell ist das erst später mitgeteilt worden. Aber natür-
lich oblag ihm eine Fürsorgepflicht, die er wahrgenom-
men hat.

Zu den Sicherheitsmaßnahmen für die Soldaten kommt
seit Oktober 1999 eine kontinuierliche Gesundheitsüber-
wachung der im Umfeld von DU-Fundorten eingesetzten
Soldaten hinzu. Sogar die Atemluft im Feldlager wurde
gemessen – ohne Befund. Selbstverständlich wird dem
neuesten Verdacht – Plutonium – sofort nachgegangen.
Auch darauf wird der Urin der Soldaten untersucht. Das
geschieht nicht, weil es so sein muss, dass das eine neue
große Gefahr ist, sondern weil wir wirklich jedem Hin-
weis nachgehen sollten. Was mehr hätte getan werden
können? Was mehr kann getan werden? Sagen Sie es
doch!


(Peter Zumkley [SPD]: Richtig! Da kommt doch nichts!)


Behauptet wird dennoch, Bundeswehrsoldaten seien
einige Zeit der toxischen, chemischen Wirkung, also nicht
der Strahlungswirkung, von Uranoxid schutzlos ausge-
setzt gewesen. Das ist so wohl nicht richtig. Beim Ein-
treffen im Einsatzgebiet war den Soldaten befohlen, wie
zum Beispiel mit den DU-getroffenen Panzerwracks um-
zugehen ist. Diese Wracks sind im deutschen Sektor ge-
messen, gekennzeichnet und abgesperrt worden. Das war
übrigens beim deutschen IFOR-/SFOR-Kontingent ab
1996 nicht der Fall.


(Peter Zumkley [SPD]: Wer war denn da der Befehlshaber?)


Da wurde nicht gemessen.
Ich will daraus keinen Vorwurf machen; vielmehr will

ich nur feststellen: Auch damals war um Sarajevo DU-
Munition eingesetzt worden, 11 000 Schuss. Das ist kein
Vorwurf; aber auch das gehört zum Komplex DU und
Bundeswehr.


(Peter Zumkley [SPD]: Richtig!)

Was mir aber mindestens so problematisch wie DU er-

scheint, ist die fortgesetzte Gefährdung der Zivilbevölke-
rung durch nicht weggeräumte Waffen- und Munitionsres-
te, Minen, Blindgänger usw., worüber selten gesprochen
wird. Aber das ist eine real fortdauernde Gefahr.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Diese Hinterlassenschaften des Krieges müssen jetzt be-
seitigt werden, und zwar nicht nur im deutschen Sektor.
Das schließt DU-Reste ein. Die Bevölkerung im Kosovo
und auch in Bosnien muss sich darauf verlassen können,
dass die Waffenwirkungen des Krieges vorbei sind.

Es ist erstaunlich, wie sehr sich die Diskussion der letz-
ten Tage auf potenzielle Gefahren für Soldaten, noch dazu
für deutsche Soldaten, konzentriert hat. Wir müssen alle
Besorgnisse ernst nehmen, nachfragen und aufklären,
nicht nur dann, wenn es um Deutsche geht. Wir haben
auch einen Teil Verantwortung für Gesundheit und Zu-
kunft der Bevölkerung im Kosovo übernommen.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Wer bestreitet das?)





Dr. Hans Peter Bartels

14011


(C)



(D)



(A)



(B)


Für deren Überleben hat die NATO einen Luftkrieg ge-
führt; für deren Sicherheit sind die KFOR-Soldaten jetzt
dort stationiert.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Bestreitet das jemand?)


Lassen Sie uns das Wesentliche nicht aus dem Blick ver-
lieren!

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414316700
Als
nächster Redner hat der Kollege Günther Nolting von der
F.D.P.-Fraktion das Wort.


(Gernot Erler [SPD]: In einer halben Stunde zweimal Nolting ist ja seelische Grausamkeit!)



Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1414316800
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Herr Minister, wir haben es
nicht anders erwartet, als dass das, was Sie heute vorge-
tragen haben, so kam, wie es kam: dass Sie nämlich die
Verantwortung ablehnen und auf die Vergangenheit ver-
weisen. Aber Sie tragen nun Verantwortung und haben
jetzt die Probleme, die Sie 16 Jahre lang haben wollten.


(Beifall bei der F.D.P.)

Sie haben die Probleme nicht erkannt.

(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie? – Annelie Buntenbach [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 17 Jahre lang haben Sie die Probleme erkannt!)


Ich billige Ihnen ja zu, dass Sie, wie Sie es gestern erklärt
haben, einen wohlverdienten Urlaub gemacht haben. Er
sei Ihnen gegönnt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414316900
Herr Kol-
lege Nolting, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Scharping?


Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1414317000
Darf ich diesen
Gedanken noch zu Ende führen? Vielleicht löst sich dann
schon einiges auf.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414317100
Bitte
schön.


Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1414317200
Sie haben dann
gesagt, dass Sie unmittelbar nach Ihrem Urlaub Maßnah-
men ergriffen hätten. Aber sagen Sie mal: Ist Ihr Haus
kopflos, wenn Sie im Urlaub sind? Ist dann niemand mehr
da, der Verantwortung trägt? Was haben in dieser Zeit die
Staatssekretäre gemacht?

Sie haben auch heute wieder, Herr Kollege Bartels, ab-
gewiegelt.


(Peter Zumkley [SPD]: Das ist doch nicht wahr!)


Herr Minister, Sie haben in der letzten Woche erklärt,
nach allen wissenschaftlichen Erkenntnissen und aller
medizinischer Erfahrung sei das Strahlenrisiko vernach-
lässigbar. Gestern haben Sie im Verteidigungsausschuss
gesagt, das Risiko durch Strahlung sei gleich Null. Jetzt
brechen Sie plötzlich in Hektik aus, jetzt werden Kom-
missionen gegründet


(Peter Zumkley [SPD]: Er versteht es einfach nicht! – Gegenruf von der F.D.P.: Abwiegler!)


– doch, ich verstehe es – und jetzt gehen Sie in die Offen-
sive.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Das ist ja keine, das ist Nervosität!)


Sie tun dies wohl deshalb, weil Sie unter Druck geraten,
und zwar nicht nur unter den Druck der Medien und der
Opposition, sondern auch unter Druck aus den eigenen
Reihen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Herr Kollege Nachtwei, Ihr Koalitionspartner,

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was schlagen Sie jetzt anderes vor, Herr Nolting?)


verwandte den Begriff „eine sehr fahrlässige Verharmlo-
sung“. Damit hat er Sie gemeint.


(Rudolf Scharping [SPD]: Darf ich jetzt eine Zwischenfrage stellen oder soll ich mich setzen?)


Aus dem Kanzleramt heißt es: „katastrophales Krisenma-
nagement“ und „miserable Informationspolitik“.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Welche Informationspolitik?)


Die Vorsitzende der Ethikkommission, Margot von
Renesse, SPD, fordert einen Untersuchungsausschuss.
Der Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer,


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Alles Freunde von Scharping!)


Ihr Kollege, Ihr Genosse, wirft dem Ministerium schwer-
wiegende Versäumnisse bei der Aufklärung der Ver-
dachtsmomente gegen die Uranmunition vor. Ich könnte
noch andere Kollegen zitieren. Aber ich möchte zum Ab-
schluss die Fraktionsvorsitzende der Grünen zitieren:
„Ich bin der Ansicht, dass der Verteidigungsminister hier
leider etwas zu defensiv war“.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414317300
Herr Kol-
lege Nolting, wollen Sie nun die Zwischenfrage geneh-
migen oder nicht?


Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1414317400
Ja.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414317500
Bitte
schön, Herr Kollege Scharping.




Dr. Hans Peter Bartels
14012


(C)



(D)



(A)



(B)



Rudolf Scharping (SPD):
Rede ID: ID1414317600
Herr Kollege Nolting,
könnten Sie mir bitte den Unterschied zwischen den Maß-
nahmen, die im Zusammenhang mit der im Februar 1997
entstandenen Kenntnis des Einsatzes von DU-Munition in
Bosnien-Herzegowina stehen, und den Maßnahmen er-
läutern, die seit Juni 1999 zum Teil in Unkenntnis des prä-
zisen Einsatzes – es gab nur Vermutungen – im Zusam-
menhang mit DU-Munition getroffen worden sind?


Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1414317700
Herr Minister,
ich habe Sie auf das aufmerksam gemacht, was Sie in den
letzten Tagen in der Öffentlichkeit vorgetragen haben,
nämlich dass kein Risiko bestehe. Dies haben Sie im Aus-
schuss wiederholt.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht! – Peter Zumkley [SPD]: Das ist die Unwahrheit! – Zuruf von der CDU/CSU: BSE!)


Ich hätte gern von Ihnen den Widerspruch aufgeklärt,
warum Sie auf der einen Seite sagen, es gebe kein Risiko,
auf der anderen Seite hier jetzt aber in Hektik ausbrechen,
weil Sie wissen, dass Sie unter Druck geraten.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414317800
Herr Kol-
lege Nolting, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage des
Kollegen Scharping?


Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1414317900
Nein, ich glau-
be, das bringt nichts.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein erster Funke von Einsicht!)


Herr Minister, gehen Sie auf die Fragen ein, die ich
vorhin in meinem Redebeitrag gestellt habe. Das wäre
sehr hilfreich.

Herr Minister, Sie wissen, dass andere auf diese Ge-
fahren sehr frühzeitig aufmerksam gemacht haben: Klaus
Töpfer hat gesagt, alle Orte, in denen DU-Munition ein-
schlug, müssen markiert, gesperrt, untersucht und gesäu-
bert werden. Der IAEO-Chef hat gesagt, Menschen, die in
Kontakt mit derartigen Waffen gekommen sind, müssen
untersucht werden.

Deswegen wiederhole ich für die F.D.P. die Forde-
rung – Sie haben dies in Ihrem Redebeitrag vorhin abge-
lehnt –, dass eingehende medizinische Untersuchungen
aller im Ausland eingesetzten Bundeswehrangehörigen
auf etwaige Gesundheitsrisiken durchgeführt werden.
Stichproben oder das, was Sie vorgeschlagen haben, näm-
lich dass derjenige, der sich betroffen fühlt, untersucht
werden soll, reichen aus unserer Sicht nicht aus. Ich denke
auch, dass bezüglich der dort lebenden Zivilbevölkerung
– das habe ich vorhin schon gefordert – mehr getan wer-
den muss. Das sind weiter gehende Forderungen, die wir
stellen. Ich fordere Sie auf, dem wirklich nachzugehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414318000
Ich erteile
zu einer weiteren Kurzintervention dem Kollegen Rudolf
Scharping das Wort.


Rudolf Scharping (SPD):
Rede ID: ID1414318100
Herr Kollege Nolting, ich
möchte auf zwei Dinge hinweisen, nachdem ich dazu im
Rahmen einer Zwischenfrage leider keine Gelegenheit
bekommen habe.

Nachdem im Februar 1997 am Rande einer NATO-
Arbeitstagung erste Informationen über die Verwendung
von DU-Munition in Bosnien bekannt geworden sind,
sind im Bundesministerium der Verteidigung bis April
1997 fachliche Bewertungen vorgenommen worden. Man
hat dann im Dezember 1997 festgehalten, dass früher er-
lassene Vorschriften im Zusammenhang mit Strahlenkon-
taminationen aus zerstörten Industrieanlagen etc. als aus-
reichend angesehen werden könnten.

Das unterscheidet sich insofern vollständig von dem,
was seit Juni 1999 unternommen worden ist, als das Bun-
desministerium der Verteidigung im Juni 1999 wesentlich
erweiterte Befehle gegeben hat, ABC-Schutztrupps ein-
gesetzt hat und im Herbst 1999 eine Untersuchung be-
treffend Boden, Ernährungswege, eingesetzte Soldaten
eingeleitet hat.

Sie können mir vorwerfen, dass Sie den Zwischen-
bericht im Sommer 2000 nicht bekommen haben, ebenso
wie die Naivität, zu glauben, dass der mündliche Vortrag
des Parlamentarischen Staatssekretärs Kolbow im Vertei-
digungsausschuss ausreichend war. Das haben Sie mir
nicht im Sommer 2000 vorgehalten; das halten Sie mir
jetzt vor. Das ist ganz interessant.

Im Übrigen möchte ich Sie darauf aufmerksam ma-
chen, dass Sie in der gesamten Zeit der regelmäßigen Be-
richterstattung seit Mai 1999 nicht einen einzigen Vor-
schlag dazu gemacht haben, was zusätzlich getan werden
könnte.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Jetzt hätten Sie besser geschwiegen!)


Wenn Sie sagen, dass man im Zusammenhang mit ei-
ner öffentlichen Diskussion, in der jetzt auch noch das
Stichwort Plutonium aufgetaucht ist, schnell und ent-
schlossen handeln muss, dann nehme ich das für die
Regierung, für das Verteidigungsministerium und auch
für mich persönlich in Anspruch. Wir werden das auch
weiterhin tun. Sie sind herzlich eingeladen, Ihre Untätig-
keit in der Zeit von Juni 1999 bis zum Dezember 2000,


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Opposition, warum regierst du so schlecht, oder was?)


Untätigkeit im Sinne von Vorschlägen dazu, was besser
gemacht werden könnte, in Zukunft zu beenden.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ CSU: Wer ist denn Verteidigungsminister, Herr Nolting oder Herr Scharping?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414318200
Zunächst
hat Kollege Nolting das Wort zur Erwiderung. Danach
lasse ich noch eine Kurzintervention des Kollegen






(C)



(D)



(A)



(B)


Christian Schmidt und eine eventuelle Erwiderung zu.
Aber dann gibt es keine weitere Kurzintervention.

Bitte schön, Herr Nolting.


Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1414318300
Herr Kollege
Scharping, wir kennen es ja mittlerweile, dass Sie die Op-
position beschimpfen und diese in die Verantwortung zie-
hen. Sie wissen ganz genau, dass es aus den Reihen der
Opposition, der PDS, der Union und der F.D.P., immer
wieder Anfragen bezüglich DU-Munition gegeben hat.
Herr Kollege Thiele von der F.D.P. hat dazu im Herbst
1999 eine umfangreiche Anfrage an die Bundesregierung
gestellt. Ihr Haus hat darauf – im Herbst 1999 – unter an-
derem geäußert:

Das Bundesministerium der Verteidigung hat keine
eigenen Studien/Untersuchungen über Munition mit
abgereichertem Uran durchgeführt, da sie diese Mu-
nition weder verwendet noch besitzt.

Diesen Widerspruch werden Sie aufklären müssen,
wenn Sie hier heute als jemand auftreten, der in diesem
Bereich ständig für Klarheit und Transparenz gesorgt ha-
ben will.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir werden in den nächsten Verteidigungsausschusssit-
zungen noch viel Gelegenheit haben, uns über diese Frage
zu unterhalten. Dort werden Sie dann Rede und Antwort
stehen müssen, wahrscheinlich auch hier im deutschen
Parlament.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414318400
Jetzt er-
teile ich zu einer Kurzintervention dem Kollegen
Christian Schmidt von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1414318500
Herr Minis-
ter, es gibt überhaupt keinen Anlass, beleidigt zu sein.
Hier geht es um einen schwierigen Sachverhalt und um
die Frage, in welchem Maß und wie Ihr Haus reagiert hat.
Dass es offensichtlich Versäumnisse gibt, hat die letzte
Kurzintervention noch einmal nachgewiesen.


(Peter Zumkley [SPD]: Er hat es nicht nachgewiesen, er hat es behauptet!)


Sie werfen der Opposition vor, sie würde sich am
Schwarzer-Peter-Spiel beteiligen. Ich habe den Eindruck,
dass das Schwarzer-Peter-Spiel von Ihnen geführt wird.
Warum soll denn der von mir persönlich sehr geschätzte
Journalist Theo Sommer eine Arbeitsgruppe leiten, die
sich mit was weiß ich beschäftigen soll?

Ich weise Sie darauf hin, dass in der Causa „Hirsch-
Bundeskanzleramt“ entsprechende Rechtsgutachten vor-
liegen, die nicht nur die Problematik, sondern auch den
Widersinn solcher Aktionen darstellen. Wer Verantwor-
tung hat, muss sich auch zur Verantwortung bekennen und

darf das Problem nicht auf die Zeit abschieben. Der
Staatsminister kann abgeschoben werden, aber nicht die
Verantwortung. Deswegen erwarte ich, dass sich das Haus
um diese Sachen kümmert. Dann wird darüber zu ent-
scheiden sein, welche weiteren Maßnahmen notwendig
sind.

Ich möchte Sie auch darauf hinweisen, dass ich die
Form, in der Sie mit den Amerikanern gesprochen haben,
für falsch halte. Man kann mehr erreichen, wenn man
partnerschaftlich miteinander spricht. Dann muss man al-
lerdings auch fragen, ob unsere amerikanischen Verbün-
deten auch all die Fälle, bei denen Unfälle in Deutschland
stattgefunden haben, offen gelegt haben. Ich möchte von
Ihnen wissen, ob Sie diese Frage angesprochen und ge-
klärt haben.

Hören Sie endlich auf, auf die Regierungszeit abzuhe-
ben! Es geht hier darum, ob Menschen gefährdet sind oder
nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich lasse es nicht zu, dass durch Nebelwerferei versucht
wird, den schwarzen Peter wegzuschieben. Jetzt muss
derjenige handeln, der in der Verantwortung steht. Nichts
mehr und nichts weniger wollen wir. Es geht darum, dass
den Menschen bei uns, auch den Zivilisten, die mögli-
cherweise Gefährdungen ausgesetzt waren, Beistand ge-
geben wird und dass Untersuchungen stattfinden. Das
muss auf jeden Fall passieren. Aber davon habe ich noch
kein Wort gehört.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414318600
Herr Kol-
lege Scharping, Sie haben das Recht zur Erwiderung.
Bitte schön.


Rudolf Scharping (SPD):
Rede ID: ID1414318700
Herr Kollege Schmidt, ich
möchte Sie zunächst darüber informieren, warum ich die-
sen Arbeitsstab unter Leitung von Herrn Sommer, einem
neutralen Fachmann der Sicherheits- und Außenpolitik,
eingesetzt habe. Der Kollege Pfannenstein hat am 29. Mai
1995 die Bundesregierung gefragt, ob ihr bekannt sei, ob
die USA oder andere NATO-Staaten DU-Munition auf
dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland lagern oder
zu Übungszwecken eingesetzt haben und, falls ja, für wel-
che Truppen, Standorte und Übungsplätze dieses zutreffe.
Die Bundesregierung hat geantwortet: Nach Erkenntnis-
sen der Bundesregierung haben die in Deutschland statio-
nierten USA-Streitkräfte DU-Munition im Bestand. Ein
Verschuss zu Übungszwecken ist in Deutschland mangels
geeigneter Übungseinrichtungen nicht möglich und daher
untersagt. – Das habe ich überprüft. Es kamen hier eine
Reihe von Informationen. Ich erspare mir jetzt noch das
Zitieren der Antwort des damaligen Staatsministers im
Auswärtigen Amt Helmut Schäfer auf eine entsprechende
Frage des Kollegen Pfannenstein im Jahre 1997. Aber an-
gesichts der Hinweise auf Schrobenhausen, Unterlüß oder
Grafenwöhr, auf den irrtümlichen Beschuss eines ausge-
brannten Panzers, der DU-Munition an Bord gehabt ha-
ben soll, möchte ich, dass das mit Blick auf diese Antwort,




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
14014


(C)



(D)



(A)



(B)


auf die man sich zunächst einmal verlässt, sorgfältig auf-
geklärt wird. Ich halte das – unabhängig von der Frage,
wer zu welchen Zeiten regiert hat – für richtig. Die Ereig-
nisse liegen ja zum Teil mehr als zwei Jahrzehnte zurück,
was die Aufklärung nicht ganz so einfach macht.

Herr Kollege Nolting, die Frage des Kollegen Thiele ist
korrekt beantwortet worden. Ich habe Ihnen geschildert,
dass im Oktober der Vorschlag der Gesellschaft für Ge-
sundheit und Umwelt geprüft wurde, ein entsprechendes
Monitoring in Form von Untersuchungen vor Ort wie bei
den eingesetzten Soldaten durchzuführen. Darüber ist im
November 1999 entschieden worden und dann ist sofort
damit bei uns, als einzigem Land innerhalb der NATO
– das sage ich noch einmal –, begonnen worden. Ich bitte
Sie, die vorliegenden Erkenntnisse noch einmal zu diffe-
renzieren: nach dem aus Sicht aller Mediziner fast ver-
nachlässigbar geringen Risiko von Strahlenschäden und
nach dem von der Bundesregierung seit Mai 1999 hier im
Parlament und andernorts beschriebenen und auch nach-
gegangenem Risiko toxischer Wirkungen von Uran als
Schwermetall.

Wenn ich dazu etwas gesagt habe, habe ich immer auf
diesen Unterschied aufmerksam gemacht. Ich hätte mich
zumindest fahrlässig, wenn nicht sogar dumm verhalten,
wenn ich dies nicht getan hätte. Wir haben das aber seit
Mai 1999 getan. Wir werden mit derselben Konsequenz
und Energie dem Plutonium-Verdacht nachgehen. Hier
wird nämlich eine andere neue qualitative Ebene erreicht.
Hier ist besonders viel Energie und ein besonderer Auf-
klärungswille erforderlich. Den haben wir auch.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414318800
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Angelika Beer vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Jetzt sagen Sie etwas zu Fischer!)



Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414318900
Zu
Joschka fällt mir so viel ein; da bräuchte ich eine Stunde
Redezeit.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass
es dem Ernst der Thematik nicht angemessen ist, wenn
hier mit Vokabeln wie „Schwarzer Peter hin- und her-
schieben“ und „Nebelwerfer schmeißen“ agiert wird.

Worum geht es? Es geht um den Einsatz uranhaltiger
Munition auf dem Balkan,


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Abgereicherter!)


übrigens auch im Irak im zweiten Golfkrieg. Es geht kon-
kret um die Anwendung im Rahmen der Luftangriffe ge-
gen Serbien, also um Munitionsreste im Kosovo, in
Serbien, in Montenegro und, wie wir nun wissen, auch in
Bosnien. Es geht dabei nicht um die Frage, wer einmal an
der Regierung war, sondern es geht darum, dass dieses
Parlament mit großer Mehrheit beiden Einsätzen zu-

gestimmt hat und damit Verantwortung für den Einsatz
selbst, für die Folgen des Einsatzes und damit Verantwor-
tung für die Menschen und die Ökologie übernommen
hat.

Verantwortung für die Menschen heißt Verantwortung
für die Zivilbevölkerung in den betroffenen Gebieten, für
die Soldaten, denen wir das Mandat erteilt haben, für die
internationalen Polizisten, die dort tätig sind, wie auch für
die Vertreter von Nichtregierungsorganisationen und für
alle, die versuchen, die Situation auf dem Balkan wieder
zu stabilisieren.

Wenn wir von uranhaltiger Munition, von abgereicher-
tem Uran reden, dann sind unterschiedliche Risikofak-
toren zu nennen. Hierbei geht es um die Strahlung, um die
toxischen Stoffe und um das Plutonium. Letzteres wissen
wir seit vorgestern. Das, verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen, kann man nicht auf den Streit reduzieren, ob der
Kosovo-Einsatz etwas mit Leukämie zu tun hat. Wir müs-
sen vielmehr alle Einzelheiten gründlich untersuchen. Wir
müssen die Soldaten, die dort im Einsatz waren, und die
Zivilbevölkerung ermuntern, sich untersuchen zu lassen,
und zwar nicht nur einmal, sondern über einen Folge-
zeitraum von mehreren Jahren hinweg. Denn wir wissen,
dass insbesondere die Auswirkungen von Uran und Plu-
tonium nicht von heute auf morgen auftreten, sondern erst
zu einem späteren Zeitpunkt.


(Heidi Lippmann [PDS]: Wie ermutigen wir die Zivilbevölkerung? Machen Sie einmal einen Vorschlag!)


Wenn wir von Handeln reden – handeln müssen wir;
die Regierung hat das im Fall der Aufklärung durch die
NATO, ob uranhaltige Munition auch Plutonium enthält,
getan –, dann müssen wir auch – das gehört zu den
Sofortmaßnahmen – dort, wo dies möglich ist, der Zivil-
bevölkerung helfen. Das bedeutet, die Gebiete abzu-
sperren, die Munition zu bergen, zu vernichten und ärzt-
liche Hilfe anzubieten.

Über die Frage der Entschädigung wird übrigens spä-
ter zu reden sein, wenn wissenschaftliche Untersuchun-
gen den Beweis eines Zusammenhangs erbracht haben.
Aber – und hier gibt es Differenzen – wir können uns nicht
darauf ausruhen, dass wir nur die Wissenschaftler zitie-
ren, die unsere Hoffnung stützen, dass uranhaltige Muni-
tion keine direkten Auswirkungen hat. Wir müssen viel-
mehr auf den drei unterschiedlichen Ebenen, die ich
genannt habe, den Verdacht konstatieren, dass Waffen wie
die Uranmunition, unterschiedslos gegen Bevölkerung
wie Soldaten wirkend, dem humanitären Kriegsvölker-
recht widersprechen. Das ist der Grund, warum wir sagen:
Es geht nicht nur um das Moratorium, das wir leider er-
folglos versucht haben, in der NATO durchzusetzen. Es
geht auch um das Verbot uranhaltiger Munition und um
die internationale Ächtung dieser Munition, weil dies für
uns auch zur Fürsorgepflicht und zur Verantwortung
gehört. Denn die Beweispflicht liegt nicht bei den poten-
ziellen Opfern. Handeln heißt sofort verbieten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Rudolf Scharping

14015


(C)



(D)



(A)



(B)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Transparenz ist
das Gebot der Stunde: Transparenz bei Verschwiegenem
in den vergangenen Jahren, Transparenz und ein Ende der
Geheimnistuerei der NATO und Transparenz in jedem
Punkt gegenüber dem zuständigen Verteidigungsaus-
schuss, um verantwortlich die nächsten Schritte festlegen
zu können. Diese Transparenz liegt nicht nur in der Ver-
antwortung der Politik: Damit meine ich sowohl das
Ministerium als auch den Ausschuss und das Parlament.
Wir müssen feststellen, dass unsere Soldaten und sicher-
lich auch die anderer Streitkräfte, dass auch die Familien
zu Recht fragen: Wart ihr sicher genug? Waren alle Maß-
nahmen getroffen? – Da reicht es nicht, zu sagen, Sol-
daten seien besser geschützt als die Zivilbevölkerung,
sondern wir müssen in beiden Bereichen Vertrauen zu-
rückgewinnen. Deswegen werden wir Grüne mit unserer
Kraft und sicherlich auch mit Unterstützung der Bundes-
regierung diese Transparenz innerhalb der Bundesregie-
rung und der NATO erwirken, und zwar auch für einen
letzten Bereich, den ich ansprechen möchte.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414319000
Nein,
Frau Kollegin. Sie haben Ihre Redezeit schon lange über-
schritten.


Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414319100
Ich
komme zum Schluss. – Wir bestehen auf Offenheit hin-
sichtlich aller Versuche der Erprobung in der Bundesre-
publik Deutschland, hinsichtlich jeder Art der Nutzung
durch Alliierte in der Bundesrepublik Deutschland. Auch
das ist notwendig, um Schäden vielleicht noch rechtzeitig
zu erkennen und Spätfolgen zu verhindern.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414319200
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Heidi Lippmann von
der PDS-Fraktion das Wort.


Heidi Lippmann-Kasten (PDS):
Rede ID: ID1414319300
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte zunächst eine Selbstverständlichkeit voranstellen:
Es gibt keine sauberen oder humanitären Kriege. Frau
Buntenbach, es gibt auch keine Waffe oder keine Muni-
tion, die nicht die Gesundheit gefährdet. Das sollten wir
hier klarstellen und ich denke, dass mir alle in diesem
Hause in diesem Punkt Recht geben.


(Beifall bei der PDS – Annelie Buntenbach [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau das habe ich gesagt! – Paul Breuer [CDU/CSU]: Gesundheitsfördernde Munition gibt es nicht!)


Es gibt auch beim Führen von Kriegen Grundregeln,
nämlich das Völkerrecht und insbesondere das Kriegsvöl-
kerrecht. Nach dem Kriegsvölkerrecht besteht schon sehr
lange die Forderung gerade von den Vereinten Nationen,
DU-Munition zu verbieten und zu ächten.


(Beifall bei der PDS)


Wenn Sie, liebe Frau Beer, heute behaupten, dass Sie
schon seit zwei Jahren für das Verbot und die Ächtung der
DU-Munition eintreten,


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit zehn Jahren!)


dann frage ich Sie: Weshalb haben Sie das nicht am
24. März und am 15.April 1999 getan, als die Meldungen
eintrafen, dass DU-Munition von A-10-Bombern abge-
worfen wurde? Weshalb haben Sie damals nicht lautstark
bei Ihrem amerikanischen Bündnispartner protestiert und
gefordert, auf diese Munition zu verzichten?


(Beifall bei der PDS)

Stattdessen tun Sie heute so, als hätten Sie mit dem Aus-
ruf „mea maxima culpa“ Ihrer Verantwortung für diesen
Krieg Genüge getan. Ich habe keinerlei Verständnis dafür,
dass Sie heute so tun, als bestehe dieses Phänomen erst
seit gestern oder seit Beginn dieses Jahres.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit zehn Jahren, Frau Kollegin!)


Spätestens seit 1990, als über 800 000 Geschosse DU-
Munition im Irak eingesetzt wurden, gibt es Warnungen
aus dem Pentagon und aus britischen Regierungskreisen.
All dies ist nachzulesen. Es gibt Einzelstudien – wenn
auch keine gesicherten Langzeitstudien –, dass die De-
pleted-uranium-Munition nicht nur eine hochtoxische
Wirkung hat, sondern dass aufgrund des Zerfalls in ver-
schiedene Isotope Radioaktivität mit einer bis zu 4,5 Mil-
liarden Jahre anhaltenden Strahlung entsteht, die Böden
und Gewässer kontaminiert. Doch dies alles wollten Sie
damals nicht gewusst haben. Deswegen erlaube ich Ihnen
hier und heute auch nicht, so zu tun, als sei dieses Phä-
nomen neu.


(Beifall bei der PDS – Zurufe von der SPD: Oh!)


Worum es Ihrer Regierung und insbesondere dem Ver-
teidigungsminister geht, hat er am Sonntag in einem Fern-
sehinterview klar gesagt. Er sprach davon, dass in Zu-
kunft alles öffentlich auf den Tisch gelegt werden solle
und man dafür eintrete, diese Munition nicht mehr zu ver-
wenden. Er sagte weiterhin – ich zitiere –:

... nicht wegen der gesundheitlichen Risiken, die
entstehen mögen und die wir für sehr gering halten,
sondern um zu vermeiden, dass die politische Legi-
timität des Bündnisses ... dadurch untergraben wird,
dass man solche Debatten entzündet, die einen sehr
geringen sachlichen Kern haben, aber eine hohe
emotionale Wirkung.

Dies zeigt deutlich, Herr Minister: Ihnen ist die Legiti-
mität des Bündnisses viel wichtiger als die wohlbegrün-
deten Ängste der Menschen


(Beifall bei der PDS)

in der Golfregion, in Bosnien, im Kosovo, in Serbien und
in Montenegro. Wir wissen bis heute noch nicht einmal,
wie viel DU-Munition dort heruntergegangen ist.

Auf verschiedene Anfragen wurde ausweichend geant-
wortet, es wurde verharmlost und vertuscht. Ähnlich wie
beim BSE-Skandal hat man darauf verzichtet, offen mit




Angelika Beer
14016


(C)



(D)



(A)



(B)


Informationen zu agieren und die Wahrheit zu sagen.
Diese Vertuschungs- und Verharmlosungspolitik und ins-
besondere das bewusste Sagen der Unwahrheit haben Sie
uns auch heute wieder vorgeführt, Herr Minister. Deshalb
fordern wir einen Untersuchungsausschuss.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Wir und auch die CDU/CSU können Ihnen nachweisen,
an welcher Stelle Sie die Unwahrheit gesagt haben. Des-
wegen appelliere ich an alle Kolleginnen und Kollegen,
die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss zu
unterstützen. Wir fordern ihn nicht nur, weil jetzt auch
noch Plutonium in der Munition nachgewiesen wurde.
Wir fordern ihn auch, weil es nicht nur ein Skandal, son-
dern ein Verbrechen ist, den Einsatz derartiger Munition
seit Jahrzehnten zu tolerieren.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414319400
Frau Kol-
legin, kommen Sie bitte zum Schluss.


Heidi Lippmann-Kasten (PDS):
Rede ID: ID1414319500
Gestatten Sie mir zum
Schluss noch eine Bemerkung. Ich habe am Anfang mei-
ner Rede gesagt: Es gibt keine sauberen und keine huma-
nitären Kriege; es gibt keine saubere und keine huma-
nitäre Munition. Der Schritt hin zu einer Ächtung und zu
einem Verbot von DU-Munition ist längst überfällig und
notwendig. Doch dieser Schritt reicht bei weitem nicht
aus. Viel wichtiger ist es, nicht nur eine bestimmte Muni-
tionsart, sondern Kriege und den Einsatz von Waffen ge-
nerell zu ächten, um damit Konflikte zu entschärfen.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414319600
Als
nächster Redner hat der Kollege Georg Pfannenstein von
der SPD-Fraktion das Wort.


Georg Pfannenstein (SPD):
Rede ID: ID1414319700
Sehr geehrter Herr Prä-
sident! Meine Damen und Herren! Man muss immer auf
der Höhe der Zeit bleiben. Ich habe eben eine Nachricht
von 15.40 Uhr aus dem spanischen Verteidigungsministe-
rium gelesen, in der Frederico Trillo ankündigt, dass er
sich am Donnerstag mit Verteidigungsminister Scharping
in Verbindung setzen will; er will von seinen Erfahrungen
profitieren und seinen Rat im Umgang mit den Einsätzen
im Kosovo ersuchen. Ich denke, das spricht für unseren
Verteidigungsminister.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU und F.D.P. – Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Das kommt mir aber spanisch vor!)


– Herr Nolting, weil ich Sie gerade so lachen sehe: Sie ha-
ben hier alleine zwei Runden gedreht. Das spricht nicht
gerade für Ihre Personaldecke; ich denke, die ist ziemlich
dünn. Wie Sie bei der nächsten Bundestagswahl die
10 Prozent erreichen wollen, die Ihnen Möllemann vorge-
geben hat,


(Zuruf von der F.D.P.: 18 Prozent!)

bleibt mir schleierhaft.

Was die aufgeheizte Diskussion um die DU-Munition
eigentlich so schwierig macht, sind zwei Punkte. Erstens:
Schon das Wort Uran ist in Deutschland nach einer jahr-
zehntelangen Debatte um Kernkraft und Kernwaffen ein
psychologisches Reizwort. Zweitens: Es gibt noch immer
einige Unsicherheiten hinsichtlich möglicher gesundheit-
licher Schäden durch die Munition.

Weil das so ist, wird auch mit großer Akribie verfolgt,
ob es in Deutschland Zwischenfälle mit dieser Munition
gegeben hat. Die Liste mutmaßlicher oder tatsächlicher
Zwischenfälle ist in der letzten Zeit täglich länger gewor-
den: 1980 will ein deutscher Soldat in Sennelager mehrere
Patronen DU-Munition zu Testzwecken verschossen ha-
ben. Die Bundeswehr besitzt diese Munition aber nicht.
Höchstwahrscheinlich hat er vielmehr die bei der Bun-
deswehr gebräuchliche Panzer brechende Munition mit
Wolframkern abgefeuert. – Die sowjetischen Streitkräfte
sollen angeblich in der Altmark jahrelang Munition mit
abgereichertem Uran verschossen haben. Beweise dafür
hat noch niemand vorgelegt. – Wie wir aber seit einigen
Tagen wissen, haben US-Soldaten in zwei Fällen je ein
DU-Geschoss versehentlich eingesetzt und abgefeuert:
1985 in Altenwalde/Garlstedt, 1986 in Grafenwöhr. Die
DU-Kerne sind entsorgt worden. Das umgebende Erd-
reich wurde ebenfalls entsorgt. – Ebenfalls neu ist die
Information, dass 1988 in Gollhofen ein US-Kampfpan-
zer bei einer Übung Feuer fing und ausbrannte. Er hatte
DU-Munition an Bord. Die Unfallstelle wurde durch ame-
rikanische Militärpolizei abgeriegelt. Zu Schaden ist,
Gott sei Dank, niemand gekommen.

Zwischenfälle mit der DU-Munition gab es übrigens
auch im Ausland. Ende 1995 und Anfang 1996 haben US-
Kampfflugzeuge über einer unbewohnten japanischen In-
sel versehentlich circa 1 500 Schuss DU-Munition ab-
gefeuert. Die Überreste wurden teilweise eingesammelt.
Die japanische Regierung erfuhr aber erst 1997 von die-
sem Vorfall. Das spricht nicht gerade für die Informati-
onspolitik unserer Verbündeten. Zudem gibt es Befürch-
tungen, nach denen die US-Luftwaffe auch auf einer
Militärbasis in Puerto Rico versehentlich DU-Munition
verschossen haben soll.

Das Hauptproblem bei diesen tatsächlichen oder mut-
maßlichen Zwischenfällen ist die unzureichende Informa-
tionspolitik der US-Armee, gerade weil es sich um ein
sehr sensibles Thema handelt. Wenn nun die Kollegen von
der CDU/CSU der jetzigen Bundesregierung schlechte
Informationspolitik vorwerfen,


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Dilettantische!)

dann verpassen sie einen entscheidenden Punkt. – Ihre
Sicht, Herr Breuer, ist getrübt, weil Sie alles nur durch die
Parteibrille sehen. Das ist uns allen bekannt.

1995 habe ich nämlich bei der damaligen Bundesre-
gierung schriftlich angefragt, ob die USA oder andere
Staaten DU-Munition in Deutschland lagern oder zu
Übungszwecken eingesetzt haben. Herr Rühe war damals
Verteidigungsminister. Aus seinem Haus habe ich die Ant-
wort erhalten, dass die US-Streitkräfte diese Munition in
Deutschland lagern. Weiter lautete die Antwort:

Ein Verschuss zu Übungszwecken ist in Deutschland
mangels geeigneter Übungseinrichtungen nicht
möglich und daher untersagt.




Heidi Lippmann

14017


(C)



(D)



(A)



(B)



(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Das wird wohl nach bestem Wissen und Gewissen geäußert worden sein!)


Nach dem versehentlichen Verschuss von DU-Muni-
tion in Japan habe ich die Bundesregierung 1997 noch
einmal gefragt, wie sie das Risiko eines versehentlichen
Verschusses in Deutschland einschätzt und was sie unter-
nimmt, um Risiken auszuschließen und sicherzustellen,
dass sie nach einem Zwischenfall umgehend informiert
wird. Die Antwort lautete:

Die Verbündeten verwenden keine DU-Munition für
Schießübungen in Deutschland. Demnach ist ein Ri-
siko durch einen versehentlichen Verschuss von DU-
Munition auf dem Gebiet der Bundesrepublik nicht
gegeben.

Das ist der Informationsstand, den die heutige Bundes-
regierung und damit Verteidigungsminister Scharping
1998 von Ihnen geerbt haben. Wie wir heute wissen, war
die Antwort auf meine Anfrage nicht korrekt, um es vor-
nehm auszudrücken.


(Gernot Erler [SPD]: So ist das!)

Ich gehe davon aus, dass man es im Verteidigungsminis-
terium und im Auswärtigen Amt nicht besser wusste. Aber
Herr Rühe hat offensichtlich weder die Berichterstattung
über den Golfkrieg noch die parlamentarischen Anfragen
noch den Zwischenfall in Japan zum Anlass genommen,
sich intensiver um das Thema DU zu kümmern.

Wenn heute von Versäumnissen geredet wird, dann
müssen wir schon von Ihren Versäumnissen sprechen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wesentlich konstruktiver ist es, wenn Sie sich den Regie-
rungsfraktionen anschließen und sich mit uns dafür ein-
setzen, dass DU-Munition zumindest vorläufig nicht
mehr genutzt wird.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Denn wo auch immer sie auftaucht, bringt sie Schwierig-
keiten mit sich, egal ob diese psychologischer, medizini-
scher oder gegebenenfalls völkerrechtlicher Art sind.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414319800
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ursula Lietz.


Ursula Lietz (CDU):
Rede ID: ID1414319900
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren!
Zum wiederholten Male müssen wir uns nun beim Thema
„depleted uranium“ mit einer völlig inakzeptablen Infor-
mationspolitik vonseiten des Verteidigungsministeriums
auseinander setzen.

Ich selbst habe dies in der Vergangenheit bereits zwei-
mal erleben dürfen. Der eine Fall war der eines im Januar
im Kosovo gestorbenen Soldaten, in dessen Krankenun-
terlagen es sehr widersprüchliche Aussagen und drei ver-
schiedene Diagnosen gab. Präzise Fragen wurden nicht
beantwortet. Die Strafanzeige, die Sie, Herr Verteidi-
gungsminister, bekommen haben, hätten Sie sich durch
gute Informationspolitik sparen können.


(Rudolf Scharping, Bundesminister: Das ist wirklich unglaublich!)


Seit zwei Jahren versuche ich, die Aufmerksamkeit des
Verteidigungsministeriums auf das Thema „Asbestkonta-
mination von Soldaten“ zu richten. Auch da gab es kaum
eine Reaktion und schon gar kein Geld für Untersuchun-
gen.


(Peter Zumkley [SPD]: Das ist doch alles nicht die Wahrheit!)


Diese Fälle und jetzt der falsche Umgang mit Informa-
tionen zum Thema „abgereichertes Uran“ geben ein be-
redtes Zeugnis davon, dass die Ängste von Soldaten und
ihren Familien nicht ernst genommen werden.

Auf dem Balkan ist Munition mit abgereichertem Uran
zur besonders effektiven Panzerbekämpfung eingesetzt
worden. Die Vorteile sind uns allen sehr deutlich geschil-
dert worden. Mögliche Nachteile für die Gesundheit der
Soldaten bis hin zu Langzeitwirkungen bei Betroffenen
werden von Wissenschaftlern allerdings sehr unterschied-
lich beurteilt und von Ihnen, Herr Verteidigungsminister,
nicht ehrlich diskutiert. Solange wir so unterschiedliche
Meinungen bekannter Wissenschaftler erhalten, solange
wenige fundierte Kenntnisse zu diesem Thema vorliegen,
können wir es uns nicht leisten, ein Risiko einzugehen.

In dem Papier, das wir heute unmittelbar vor der Aktu-
ellen Stunde bekommen haben, ist die Rede davon, dass
die NATO eine Sonderkommission zur DU-Munition ein-
gerichtet hat. Das beweist zumindest, dass man auch dort
nicht sicher ist, welche Wirkungen dieses Material mit
sich bringt.


(Peter Zumkley [SPD]: Das hätte schon längst geschehen müssen, unter Ihrer Verantwortung!)


Die CDU/CSU-Fraktion fordert Sie deshalb auf:
Erstens. Wir brauchen eine zuverlässige Erfassung und

valide Reihenuntersuchungen in Form eines Screenings,
und zwar über einen längeren Zeitraum, weil wir die Wir-
kungen über längere Zeiträume überhaupt noch nicht ken-
nen. Diese Untersuchung muss sich auf alle im Kosovo und
auf dem Balkan mit DU-Munition in Berührung gekom-
menen Soldaten erstrecken. Stichprobenuntersuchungen
von 50 oder 100 Soldaten von insgesamt 60 000 oder
70 000 reichen natürlich überhaupt nicht aus.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Diese Untersuchungen sollten in Absprache mit anderen
NATO-Ländern nach internationalen und vergleichbaren
Standards durchgeführt werden, damit Interpretations-
möglichkeiten so gering wie möglich gehalten werden.

Zweitens. Sie müssen gemeinsame Forschungsan-
strengungen mit unseren Verbündeten unternehmen, um




Georg Pfannenstein
14018


(C)



(D)



(A)



(B)


fundierte Ergebnisse nach WHO-Standard über mögliche
Schädigungen – auch über Strahlenschädigungen – zu er-
halten, und diese in gemeinsamen Datenbanken integrie-
ren.

Drittens. Klares Datenmaterial aller NATO-Länder
über Boden- und Wasserproben aus DU-kontaminierten
Gebieten muss vorgelegt werden. Unterschiedliche Mess-
ergebnisse, so wie sie zum jetzigen Zeitpunkt vorliegen,
sind irreführend.

Viertens. Schnellste Aufklärung ist zu schaffen über
die in der Vergangenheit erfolgte Verwendung von DU-
Munition in Deutschland durch verbündete, aber auch
durch russische Streitkräfte.

Fünftens. Herr Verteidigungsminister, die betroffenen
Soldaten und ihre Familien leiden unter Ihrer Informati-
onspolitik. Aussagen wie „Die Strahlung ist vergleichbar
mit der, der man bei einem Aufenthalt in Hofgastein aus-
gesetzt ist“ sind zynisch und herablassend


(Peter Zumkley [SPD]: Das kommt doch nicht vom Minister!)


– das hat er persönlich gesagt; ich habe das im Fernsehen
gesehen, verehrter Herr Zumkley –,


(Peter Zumkley [SPD]: Er hat zitiert! – Gegenruf des Abg. Paul Breuer [CDU/CSU]: Aber warum denn? Mit welcher Zielsetzung?)


und zwar gerade dann, wenn Sie im NATO-Rat ein Mora-
torium im Hinblick auf die Verwendung dieser Munition
beantragen. Dies ist widersprüchlich und überhaupt nicht
glaubwürdig,


(Peter Zumkley [SPD]: Das ist eine Unwahrheit, dass sich die Balken biegen!)


auch dann, wenn gleichzeitig auf der Homepage des Ver-
teidigungsministeriums Folgendes zu lesen ist – ich zi-
tiere –: Vorgekommen sind auch einsatzbezogene Un-
zulänglichkeiten beim Umgang mit DU-Munition und
Asbest.

Wenn das aber so ist, Herr Verteidigungsminister, dann
frage ich ernsthaft, ob Sie der Fürsorgepflicht gegenüber
den betroffenen Soldaten überhaupt gerecht werden und
ob nicht zu späte oder gar keine Information die von Ih-
nen so beklagte Medienhysterie erzeugt hat. Glaubwür-
digkeit, Herr Minister, ist etwas, worauf Soldaten und ihre
Familien nicht erst jetzt ein Recht haben. Beteuert haben
Sie viel, geschehen ist bis heute wenig.


(Susanne Kastner [SPD]: Bei Ihnen gar nichts!)


Als die Medienberichterstattung über Sie hereinbrach,
haben Sie den amerikanischen Botschafter herzitiert, da-
mit Sie vor der Presse sagen konnten, er sei der Schuldige.


(Gernot Erler [SPD]: Fantasievoller Vortrag! – Peter Zumkley [SPD]: Mein lieber Mann!)


Ich frage mich ernsthaft, welchen Stellenwert Deutsch-
land als größtes europäisches Land innerhalb der NATO
eigentlich hat, wenn Sie von dort nötige Informationen

nicht bekommen. Ich muss Ihnen sagen: Ich glaube Ihren
Aussagen nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Heidi Lippmann [PDS] – Gernot Erler [SPD]: Das ist keine Glaubensfrage! – Peter Zumkley [SPD]: Fakten sind entscheidend!)


Es ist Zeit zu handeln. Es geht nicht darum, hier Panik
zu machen, sondern um die Wahrheit, Herr Minister. Es
geht darum, dass Sie dafür zu sorgen haben, dass die Bun-
deswehr durch Ihr Verhalten keinen Schaden nimmt.
Hören Sie auf, bei wirklich jedem Problem, mit dem Sie
konfrontiert werden, quasi wie ein rhetorisch nur begrenzt
geschulter Papagei immer wieder zu rufen: Rühe war es!
– Das reicht nicht mehr.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Peter Zumkley [SPD]: Das ist die Erblast! – Weiterer Zuruf von der SPD: Das tut euch weh!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414320000
Die Aktuelle
Stunde ist damit beendet.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
Bosbach, Erwin Marschewski (Recklinghausen),
Meinrad Belle, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Familienzusammenführung sachgerecht regeln
– EU-Richtlinienvorschlag ablehnen
– Drucksache 14/4529 (neu)
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Kein
Widerspruch. – Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Erwin Marschewski.


Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1414320100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Wir haben den vorliegenden Antrag ganz be-
wusst auf die Tagesordnung setzen lassen, weil wir ei-
gentlich dem Herrn Bundesinnenminister – gewisser-
maßen als Neujahrsgeschenk – eine Freude machen
wollten. Nun ist der Bundesinnenminister nicht anwe-
send. Er ist – vielleicht begründet – verhindert. Frau
Staatssekretärin, ich denke, Sie werden ihm dies mittei-
len.

Denn wir wollten dem Bundesinnenminister hier im
Parlament coram publico die Chance geben, das, was er in
der Zeitung festgestellt hat, zu wiederholen. Dort hat er
gesagt, die Familienrichtlinie der EU gehe viel zu weit.
Wir gehen sogar ein Stück weiter: Wir wollen gemeinsam
mit Herrn Schily erreichen, dass diese Familienrichtlinie
keine Realität wird.




Ursula Lietz

14019


(C)



(D)



(A)



(B)


Meine Damen und Herren, wir brauchen im Auslän-
derrecht keine punktuellen Regelungen. Was wir im Zu-
sammenhang mit der Zuwanderung nach Deutschland
brauchen, ist ein Gesamtkonzept. Ein solcher Entwurf ei-
ner Richtlinie kann nicht das Ergebnis eines Gesamtkon-
zeptes sein, sondern nur ein Anfang. Das ist die falsche
Reihenfolge. Wer komplexeste Problemlösungen – darum
handelt es sich ja bei einer Zuwanderungsbegrenzung –
ohne Gesamtkonzept erledigen will, der verliert zwangs-
läufig den Überblick.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Diese Konzeptionslosigkeit ist für Deutschland gefähr-
lich. Sie nimmt uns die Chance, eine Zuwanderungsbe-
grenzung einzuführen. Bedenken Sie auch, dass Normen,
die wir setzen, letzten Endes Ansprüche schaffen, die wir
gewähren müssen. Das bedeutet, dass unser Handlungs-
spielraum beträchtlich eingeschränkt wird.

Wir brauchen insgesamt ein Zuwanderungsbegren-
zungskonzept, weil einfach zu viele Menschen nach
Deutschland kommen wollen, die wir nicht benötigen,
und weil zu wenige Leute nach Deutschland kommen, die
wir nötig haben.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Ja, so ist das! Hätten Sie einmal unserem Gesetzentwurf zugestimmt!)


– Deswegen, Frau Kollegin – völlig richtig –, stehen Ein-
zellösungen nun wirklich nicht auf der Tagesordnung und
macht es keinen Sinn, in nur einem Bereich vorzupre-
schen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe es bereits gesagt: Wir hatten die Hoffnung,

dass der Minister heute einmal anwesend ist. Er hat groß
angekündigt, er wolle diese Richtlinie – ich komme gleich
auf Einzelheiten zu sprechen – verhindern. Aber wir ha-
ben die große Sorge, dass Herr Schily wieder keine Un-
terstützung aus den eigenen Reihen bekommt. Das ist ja
im Bereich deutscher Innenpolitik mittlerweile an der Ta-
gesordnung. So hat der Bundesinnenminister zu Recht ge-
sagt – Sie wissen dies –, die Grenze der Belastbarkeit
durch Zuwanderung sei überschritten. Er hatte Recht mit
dieser Äußerung. Kaum hatte er diese Äußerung getan,
wurde er kritisiert – von der SPD, von den Grünen. Ich
habe in der Zeitung gelesen, dass Herr Appel – Fraktions-
sprecher der Grünen im Landtag von Nordrhein-West-
falen – dem Bundesinnenminister für diese Äußerung den
so genannten Peinlichkeitspreis verleihen wollte, von den
Angriffen des Herrn Ströbele, der sich wahrscheinlich
auch bald wegen seiner Jugendsünden rechtfertigen muss,
ganz zu schweigen. Wir sind es gewohnt: Der Bundesin-
nenminister sagt viel, aber erreicht wenig.

Das nächste Thema, Asylrecht: Der Bundesinnenmi-
nister hat gesagt – ich gebe das einmal wörtlich wieder –,
das subjektive Grundrecht auf Asyl müsse im Zuge einer
europäischen Asylregelung nun wirklich abgeschafft wer-
den. Kaum hatte er dies gesagt, kam die Kritik: im Aus-
schuss von der SPD-Fraktion, von den Grünen und im
Kabinett vom Bundeskanzler persönlich. Der Bundes-
kanzler hat wörtlich zu Herrn Schily gesagt – ich habe
dies der Presse entnommen –, zwar könne man Einzelnen

nicht die Meinung verbieten, sie sollten sie aber nicht
ständig und prononciert in die Öffentlichkeit tragen.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Maulkorb für den Minister!)


Und die nächste Schlappe stand bevor: Schily hat ge-
sagt – wie ich gerade erwähnte –, er wolle diese Richtli-
nie nicht – zumindest nicht so – realisieren. Kaum hatte
er dies gesagt, haben Grüne und Sozialisten im Europä-
ischen Parlament für diesen Entwurf, also gegen den Bun-
desinnenminister, gestimmt. Das war Schlappe Nummer
drei.


(Ulla Jelpke [PDS]: Bravo!)

Übrigens, Frau Kollegin Lenke: Auch die Liberalen haben
dafür gestimmt. Ich weiß nicht, warum;


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Weil sie Liberale sind! – Ina Lenke [F.D.P.]: Das erzähle ich Ihnen einmal! Dazu komme ich gleich!)


es passt nämlich nicht in ihr Gesamtkonzept. Das wider-
spricht völlig Ihrem Zuwanderungsbegrenzungskonzept,
das ich im Übrigen für einen – nicht sonderlich tauglichen –
Vorschlag halte, der völlig im Gegensatz zu Ihrer sonsti-
gen Politik steht. Aber vielleicht wird sich das ändern,
wenn der Herr Westerwelle – der weiß das nämlich
selbst – in der Partei die Zügel in die Hand nimmt.

Meine Damen und Herren, wir wollten diesen Antrag,
wie gesagt, auf die Tagesordnung setzen, um Herrn Schily
die Chance zu geben, hier wirklich einmal Ross und Rei-
ter zu nennen und uns auf diese Fragen zu antworten. Aber
wir wollten auch die Bevölkerung informieren. Wenn
diese Richtlinie in Kraft tritt, werden Hunderttausende
Menschen mehr nach Deutschland kommen, und zwar
ungesteuert.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Panikmache! Fürchterlich! – Zuruf von der SPD: Das sind die apokalyptischen Reiter!)


Es wird kein Raum mehr sein für eine gesteuerte Zu-
wanderung. Zudem werden – auch da hat Schily Recht –
die Sozialklassen beträchtlich belastet. Das kann nicht
sein, ohne dass ein Gesamtkonzept auf dem Tisch liegt.

Zu den einzelnen Positionen – ich will nur ein paar auf-
führen –: Es ist falsch, Personen das Recht zur Familien-
zusammenführung zu geben, die nur einen befristeten
Aufenthaltstitel besitzen. Das kann doch nicht sein. Eine
Zuwanderung muss auf Dauer angelegt sein. Es kann
nicht sein, jemandem, der nur einen auf ein Jahr befriste-
ten Aufenthaltstitel hat, Familiennachzug zu gewähren.
Dies ist am Ende zu hart für den Betroffenen, zu hart für
das Ausgangsland und auch nicht verständlich für unser
Land.

Ein weiterer Punkt: Der Kreis der Nachzugsberechtig-
ten ist zu weit und unbestimmt. Der Kreis der Berechtig-
ten umfasst nicht nur die normale Familie. Sie wollen den
Kreis nicht auf die so genannte Kernfamilie beschränken,
sondern ihn – das Gegenteil von Kern ist Schale –, auch
auf homosexuelle Lebensgemeinschaften


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)





Erwin Marschewski (Recklinghausen)

14020


(C)



(D)



(A)



(B)


und – hier wird es problematisch – auf heterosexuelle
Partnerschaften ausdehnen.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Auch dies sind Familien, wenn sie Kinder haben!)


– Da haben Sie und auch die Bundesregierung doch Er-
fahrung. Ich weiß, wie oft Partner gewechselt werden,
wenn man nicht verheiratet ist;


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist ja interessant!)


übrigens auch, wenn man verheiratet ist. Aber wenn man
nicht verheiratet ist, werden die Partner noch häufiger ge-
wechselt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie wollen jedem ein Zuwanderungsrecht geben.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Das steht da gar nicht drin!)


– Das steht in der Richtlinie. Das führt doch nur dazu, dass
niemand einen Arbeitsplatz nachweisen muss. Niemand
braucht Wohnraum nachzuweisen. Auch das steht in der
Richtlinie. Niemand braucht Einkünfte nachzuweisen.
Niemand braucht eine Krankenversicherung nachzuwei-
sen. Wenn das Wirklichkeit wird, findet die Zuwanderung
keine vernünftige Begrenzung.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Das ist die Familienpartei CDU!)


Ich bleibe dabei: Wir wollen eine Zuwanderungsbe-
grenzung.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir sind im falschen Film!)


Natürlich brauchen wir Zuwanderung nach Deutschland,
aber dies muss gesteuert werden. Wir wollen Nein sagen
können, wenn wir Menschen nicht benötigen, weil dies
nicht vernünftig ist und die Menschen bei uns auch keine
Zukunft hätten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Ulla Jelpke [PDS]: Schwacher Beifall!)


Ich bin gespannt, was Sie dazu sagen. Ich bin insbe-
sondere auf die SPD gespannt, vor allem vor dem Hinter-
grund dessen, was der Bundesinnenminister gesagt hat.

Ich war im Innenausschuss und im Plenum des Bun-
desrates. Im Innenausschuss haben Länder wie Nord-
rhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen ge-
gen diese Richtlinie gestimmt. Diese Richtlinie fand auch
im Plenum des Bundesrates keine Unterstützung; zu
Recht, weil sie nicht Inhalt eines Gesamtkonzeptes sein
kann. Europäische Lösungen können nur auf der Basis
von Vernunft und nicht von Schnellschüssen gefunden
werden. Vor diesem Hintergrund hoffe ich, dass sich der
Bundesinnenminister zum ersten Mal gegenüber der
grün-linken Fraktion durchsetzt, Nein zu dieser Familien-
zusammenführungsrichtlinie sagt und nicht nur ununter-
brochen große Sprüche zur Zuwanderung, zum Asylrecht,
zur Ablehnung der Familienzusammenführungsrichtlinie

macht, aber letzten Endes bei Ihnen, im Ausschuss und in
der Fraktion scheitert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Familie steht unter dem besonderen Schutz des Staates!)


Ich hoffe auch, dass sich der Bundeskanzler in dieser
Frage einmal in der grünen Fraktion und in der SPD-Frak-
tion durchsetzt. Hier – nicht in der Rentenpolitik – wäre
ein Basta des Herrn Bundeskanzlers wirklich sehr ange-
bracht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Das lassen Sie mal unsere Sorge sein!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414320200
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Rüdiger Veit.


Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1414320300
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren und vor allen Dingen lieber
Herr Kollege Marschewski! Mit ihrem Antrag strebt die
CDU/CSU-Fraktion – wenn man es richtig liest – sogar
die Ablehnung des Vorschlags für eine Richtlinie des Eu-
ropäischen Rates betreffend das Recht auf Familienzu-
sammenführung insgesamt an. Aber das wird ihr nicht ge-
lingen. Sonst müsste sie sich von Art. 63 des Amsterdamer
Vertrages vom Oktober 1997 – damals hat ein Kanzler,
der nicht Gerhard Schröder hieß, unterzeichnet – und von
den Ergebnissen des Europäischen Rates auf seiner Son-
dertagung im Oktober 1999 in Tampere, Finnland, lossa-
gen. Sie müssten sich davon verabschieden, denn auf die-
sen vertraglichen Grundlagen sollten der Bereich der
Menschenrechte genauso wie jener der Asyl- und Flücht-
lingspolitik zu einem einheitlichen europäischen Raum
der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ausgebaut wer-
den.

Getrieben von Ängsten vor Überfremdung und Über-
bevölkerung – das haben wir eben wieder gehört –, zu-
gleich aber diese Ängste weiter schürend, leisten Sie als
Union hier einen europapolitischen Offenbarungseid.


(Zuruf von der CDU/CSU: So wie der Innenminister!)


Welch ein Kontrast zur Realität! Nach einer Pressebe-
richterstattung von vorgestern befürchtet der für die Ber-
liner Stadtentwicklung zuständige Senator Strieder einen
geradezu dramatischen Bevölkerungsrückgang in Berlin,
wenn nicht etwa 200 000 Menschen jährlich allein nach
Berlin aus dem Ausland kommen. Ohne exakt diese Zahl
zu bestätigen – das will ich gerne dazu sagen –, pflichten
ihm jedenfalls im Grundsatz der Regierende Bürgermeis-
ter von Berlin Diepgen und sein Innensenator Werthebach
– bekanntlich CDU, Herr Kollege Marschewski –


(Eckhardt Barthel – in der Tat, Kollege Barthel, ein ausgesprochener Hardliner – ausdrücklich bei, wie gestern in der Zeitung zu lesen war. Bei dem Ziel ihres Antrags, nämlich die vollständige Ablehnung der Richtlinie, verkennt die CDU/CSU völlig, Erwin Marschewski 14021 dass es mit gutem Grund und mit ihrer eigenen Zustimmung schon heute – allerdings in erweiterungsbedürftiger Form – das Recht auf Familienzusammenführung in deutschen Gesetzen gibt. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, müssten es eigentlich begrüßen, dass das Recht auf Familienzusammenführung – jedenfalls in diesem Umfang – in dieser Ihnen bekannten und von Ihnen zugestimmten Form in ganz Europa einheitlich geregelt werden soll. Eine vollständige Ablehnung dieser Richtlinie – das will ich hier deutlich sagen – wollen weder der Bundesrat in seiner Mehrheit noch der deutsche Innenminister, dem Sie laut Begründung Ihres Antrages und so, wie es angekündigt wurde, gegen die deutschen SPD-Europaabgeordneten offenbar zu Hilfe eilen wollten. Herr Marschewski – dazu passt auch, was Sie hier gesagt haben –, Sie sollten sich wie viele in meiner eigenen Fraktion langsam daran gewöhnen, dass manchmal – ich betone: manchmal – der Innenminister Otto Schily mit seinen Positionen einigen Länderinnenministern oder auch den Kollegen hier aus der CDU/CSU-Fraktion größere Freude als seinen eigenen Parteifreunden in Brüssel oder Berlin macht. Aber um darauf aufmerksam zu machen, brauchen Sie wirklich nicht jedes Mal im Parlament einen Antrag zu stellen. Das merken wir auch so. In der Begründung Ihres Ablehnungsantrags führen Sie unter anderem aus, „dass der Richtlinien-Entwurf Einwanderung aus wirtschaftlichen Gründen mit Asylfragen und dem Schutz von Personen, die subsidiären Schutz genießen, vermischt“. Wenn Sie aber genau hinschauen, merken Sie, dass diese Personen gar nicht mehr vom neuen Entwurf aus dem Oktober letzten Jahres berührt werden. Ihrer Meinung nach vermische die Kommission dies alles und habe bei dem Entwurf im Übrigen völlig außer Acht gelassen, zu prüfen, wie viel Zuwanderung und wie viele Personen mit welcher Qualifikation sinnvollerweise zu erwarten seien. Dabei sind Sie es selbst, die die Dinge – übrigens nicht zum ersten Mal – immer wieder vermischen. Sie haben offenbar nicht verstanden – das hat Ihr Beitrag deutlich gemacht –, dass Familienzusammenführung weder Einwanderung aus wirtschaftlichen Gründen ist, noch dass sie etwas mit der Qualifikation von Familienangehörigen zu tun hat. Sie haben deutlich gesagt, es gehe Ihnen in Wahrheit bei diesem Thema erneut um ein Zuwanderungsbegrenzungskonzept, aber nicht um Familienzusammenführung. Ich hätte offen gestanden nicht geglaubt, Sie von der CDU/CSU darauf hinweisen zu müssen, dass das Recht auf Zusammenleben mit und in der Familie ein Menschenrecht ist: geachtet und geschützt, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





(C)


(D)


(A)


(B)


und zwar in Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskon-
vention genauso wie in Art. 6 des Grundgesetzes – es ist
banal, das hier und heute noch einmal sagen zu müssen,
aber Ihnen muss man es offenbar sagen –, das ganz aus-
drücklich nicht nur für deutsche Staatsangehörige gilt.

In diesem Zusammenhang komme ich auf ein Zitat
zurück, das man findet, wenn man im Internet unter dem

Stichwort Familienpolitik bei der CDU nachschaut. Ich
schicke das deswegen voraus, weil Sie sonst vielleicht
glauben, es sei unsere Position.

Wir wollen mit unserer Politik
– so sagen Sie dort –

junge Menschen ermutigen, sich für die Familie, für
ein Leben mit Kindern und für ein Leben in der So-
lidarität des Familiennetzes zu entscheiden.

Wie wahr, kann ich dazu nur sagen.
Daher ist – jedenfalls aus unserer Sicht – der Absicht

des Richtlinienentwurfes, den Zuzug von Familienan-
gehörigen zu in der Europäischen Union lebenden Dritt-
staatsangehörigen als Rechtsanspruch auszugestalten,
ausdrücklich zuzustimmen,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


auch wenn dies – das muss man sehen – an der einen oder
anderen Stelle Änderungen des deutschen Ausländerrech-
tes bedeuten mag. Anders als Sie, meine Damen und Her-
ren von der Opposition, sind wir ausdrücklich damit ein-
verstanden, dass das Nachzugsalter für Kinder von bisher
16 auf 18 Jahre heraufgesetzt wird.

Wie wir – angesichts Ihrer Befürchtung, es kämen dann
große Massen von Menschen, will ich Ihnen das einmal
sagen – der Kindergeldstatistik der Arbeitsämter ziemlich
genau entnehmen können, kann es sich dabei um maximal
10 000 junge Menschen im Alter zwischen 16 und 18 Jah-
ren handeln, die im Übrigen nur möglicherweise und si-
cherlich nur zum Teil zu ihren Familien nach Deutschland
nachreisen würden. Sie wollen das Nachzugsalter sogar
auf das 10. Lebensjahr beschränken. Wie dies mit dem
Grund- und Menschenrecht auf Zusammenleben in der
Familie und mit Ihren eben zitierten Grundsätzen zur Fa-
milienpolitik vereinbar ist, müssen Sie uns einmal erklä-
ren. Das bleibt nach wie vor Ihr Geheimnis.

Anders als Sie halten wir es in Übereinstimmung mit
dem Richtlinienentwurf für richtig, dass die wenigen – es
mögen 1999 von bundesweit 1 200 Antragstellern viel-
leicht nur 100 oder 200 Personen gewesen sein – aner-
kannten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge un-
ter 16 Jahren die Möglichkeit haben sollten, ihre Eltern
und zumindest weitere minderjährige Geschwister nach
Deutschland oder Europa nachkommen zu lassen. Denn
diese Kinder und Jugendlichen können nur in dem Land,
in dem sie Zuflucht gefunden haben, ein Familienleben
realisieren, aber nicht in dem Land, aus dem sie gekom-
men sind und aus dem sie aus zwingenden Gründen ge-
flohen sind, weil sie keinen Schutz gefunden haben.

Neben humanitären Gesichtspunkten – das sei auch
den Kommunalpolitikern gesagt – spricht für diese Rege-
lung unter anderem auch, dass anderenfalls die Unter-
bringung dieser Jugendlichen in Jugendhilfeeinrichtun-
gen für den Sozial- und Jugendhilfeträger extrem hohe
Kosten verursacht.

Schließlich sind wir – anders als Sie – der Auffassung,
die hier zu ihren Familien nachziehenden Ehegatten und
Kinder sollten einen sofortigen Zugang zum Arbeitsmarkt




Rüdiger Veit
14022


(C)



(D)



(A)



(B)


oder zu einer Ausbildung haben. Dies fördert ihre Inte-
gration erheblich und es ist für unsere öffentlichen Kassen
auch nur von Vorteil, wenn die gesamte Familie des Dritt-
staatsangehörigen durch eigene Erwerbstätigkeit unab-
hängig von Sozialleistungen ist bzw. möglichst schnell
wird.

Gänzlich anders, als die Opposition in ihrem Antrag
unterstellt, ist dies durchaus keine Bedrohung für den
deutschen Arbeitsmarkt.Auch hier helfe ich Ihnen gerne
mit ein paar Zahlen weiter: In München ist der Aus-
länderanteil an der Bevölkerung rund 6 Prozent, in Frank-
furt sogar 10 Prozent höher als in Berlin, die Arbeitslo-
senquote in beiden Städten ist jedoch nicht einmal halb so
hoch wie in Berlin.

In einem Punkt allerdings – dies will ich gegen Ende
meiner Rede sagen – begegnet der Richtlinienentwurf
auch in der SPD-Fraktion Bedenken: Einen Rechtsan-
spruch – ich betone: Rechtsanspruch – für Verwandte der
aufsteigenden Linie, also für Eltern und Großeltern, und
für volljährige Kinder halten wir für problematisch. Statt-
dessen sollte diese Entscheidung unter den in der Richtli-
nie genannten Voraussetzungen in das Ermessen der Aus-
länderbehörden gestellt werden, und zwar nicht nur bei
außergewöhnlichen Härten, wie es jetzt in § 22 des
Ausländergesetzes vorgesehen ist, sondern generell er-
weitert aus vernünftigen humanitären Gründen.

Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Nach diesen Maß-
stäben sollten wir Familienzusammenführung in Europa
und folglich auch in Deutschland sachgerecht regeln, an-
statt bei diesem Thema mit Fantasiezahlen und Schreckens-
szenarien von bis zu 500 000 – man überbietet sich da ge-
genseitig – alljährlich zuziehenden Familienangehörigen
unserer Bevölkerung Angst einflößen zu wollen, wie die
CDU/CSU dies in durchsichtiger populistischer Art und
Weise mit ihrem Antrag versucht. Daher ist der Antrag ab-
zulehnen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414320400
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Ina Lenke.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1414320500
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Zuerst, Herr Marschewski, würde ich mich
gerne an Sie wenden. Ich habe mich mit Ihrem Antrag
sehr ernsthaft auseinander gesetzt. Wenn Sie jetzt sagen,
Sie hätten ihn nur gestellt, um Herrn Schily eins auszuwi-
schen, halte ich das für keine gute Grundlage, über diese
Dinge zu reden.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Irmingard ScheweGerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Absicht der CDU/CSU-Fraktion, den EU-Richtli-
nienvorschlag zur Familienzusammenführung abzulehnen,
halte ich für sehr überzogen. Denn der Tenor dieses Antrags
ist eine wirkliche Ablehnung eines erweiterten Rechtes auf
Familienzusammenführung. Herr Marschewski, Sie haben

eigentlich nicht begründet, warum Sie dieser Auffassung
sind.

Im familienpolitischen Bereich widerspricht sich die
CDU/CSU selbst;


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


denn obwohl die CDU/CSU doch eigentlich für Familie
steht, verhält sie sich sehr restriktiv im Hinblick auf Ein-
reise- und Aufenthaltsvoraussetzungen für den Bereich
der Zusammenführung ausländischer Familien. Als Libe-
rale sehe ich hier eigentlich keinen so großen Unterschied
wie Sie.

Herr Marschewski, im familienpolitischen Papier der
CDU/CSU – Ihre Partei hat ja dieses Signum – vom De-
zember 1999 – ich habe dieses Papier archiviert und darin
noch einmal Ihre Positionen nachgelesen – steht, dass die
Zahl der nicht ehelichen Lebensgemeinschaften gewach-
sen ist und dass es – auch das konzedieren Sie – außerhalb
der Ehe auch noch andere Verantwortungsgemeinschaften
gibt. Aber in Ihrem jetzigen Antrag sprechen Sie sich ge-
gen den Nachzug von homosexuellen Partnern aus. Ich
kann das nicht verstehen. Wenn Sie in Ihrem familienpoli-
tischen Papier fordern, dass die Diskriminierung gleichge-
schlechtlicher Partnerschaften abgeschafft werden muss,
dann müssen Sie doch erkennen, dass die Regelungen der
Familienzusammenführung auch für diese Partnerschaften
gelten müssen. Daran kommen Sie nicht vorbei.


(Beifall bei der F.D.P. und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie, Herr Marschewski, haben behauptet – das fand ich
recht heftig; auch andere Kollegen von der CDU/CSU ha-
ben sich schon so geäußert –, dass die EU kein Gesamt-
konzept zur Einwanderungspolitik vorgelegt habe. Lieber
Kollege, Ihre Fraktion hat lange genug eine Koalition mit
der F.D.P.-Fraktion gebildet, um zu wissen, dass wir im-
mer die Absicht und den Wunsch hatten, gemeinsam ein
Zuwanderungsgesetz zu verabschieden. Das haben Sie
nicht mitgetragen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Dass Sie das jetzt beklagen und dann auch noch anderen
vorwerfen, ist also eine unzutreffende Kritik; denn Sie
sind kein Vorreiter in Sachen Zuwanderungsregelungen in
der Bundesrepublik Deutschland. Meines Erachtens dür-
fen Sie sich nicht so verhalten. Ihre Kritik geht ins Leere.
Die Aussage im CDU/CSU-Antrag, dass Deutschland
nicht mehr Zuwanderung brauche, ist absolut falsch.

Wenn Sie sich die im Herbst veröffentlichten Zuwan-
derungszahlen anschauen, dann werden Sie feststellen,
dass es geradezu beängstigend ist – das ist es jedenfalls für
mich –, wie stark die Bevölkerung in Deutschland in Zu-
kunft schrumpfen wird. Schätzungen gehen von einem
Bevölkerungsrückgang von 22 Millionen Menschen bis
zum Jahr 2050 – in diesem Jahr möchte ich noch im Oh-
rensessel sitzen und beobachten können, was so alles in
der Politik geschieht – aus. Dieser Rückgang muss auch
durch Zuwanderung abgefedert werden.


(Beifall bei der F.D.P.)





Rüdiger Veit

14023


(C)



(D)



(A)



(B)


Insoweit muss dringend gehandelt werden. Ich weise nur
auf Folgendes hin: Es wird auch einen Wettbewerb um
qualifizierte Arbeitskräfte geben; denn alle europäischen
Länder haben ein demographisches Problem.

Als Liberale empfinde ich den Tenor des EU-Richtli-
nienvorschlags als richtig; denn die F.D.P. möchte, dass
die Mitgliedstaaten der Europäischen Union dem Rest der
Welt Offenheit signalisieren. Wenn die EU das jetzt
signalisiert, werden wir sie dabei ausdrücklich unterstüt-
zen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Deshalb ist es sicherlich nicht gut, wenn in diesem Richt-
linienvorschlag – das stellt man fest, wenn man ihn genau
durchliest – vieles verkompliziert wird. Warum sollte die
Erlaubnis zur Zuwanderung zum Beispiel nicht an
Sprachkenntnisse geknüpft werden? Hier müsste in den
Beratungen im Ausschuss noch einiges geklärt werden.

Die Kritikpunkte, die die CDU/CSU in ihrem Antrag
aufgeführt hat, sind schwarz-weiß. Wer sich den EU-
Richtlinienvorschlag genau durchliest, wird feststellen,
dass das Problem der Zuwanderung dort sehr differenziert
dargestellt wird und viele Ausnahmetatbestände aufgelis-
tet werden. Es ist in einigen Punkten nicht so, wie es hier
von Herrn Marschewski dargestellt worden ist. Wir mei-
nen, dass eine Debatte und dass gesetzliche Regelungen
zur Zuwanderung überfällig sind. Wenn auch die
CDU/CSU eine solche Debatte möchte, dann sollte sie ein
eigenes Konzept vorlegen. Sie von der CDU/CSU haben
ja jetzt ein Jahr Zeit und können daran arbeiten. Wir ha-
ben schon ganz konkrete Vorschläge zu einer geregelten
Zuwanderung gemacht, die Sie abgelehnt haben und zu
denen Sie keine Alternativen vorgelegt haben. Deshalb
sollte man nach meiner Meinung ernsthaft über diesen
EU-Richtlinienvorschlag beraten und sich nicht in ir-
gendwelche Personalstreitigkeiten verlieren. Die politi-
sche Zielrichtung des CDU/CSU-Antrags ist für uns nicht
relevant. So wollen wir das nicht.

Erschreckend ist für mich die politische Überzeugung,
die in den vielen Kritikpunkten, die zum Teil mit Verve
vorgetragen werden, zutage tritt. Wir sollten uns lieber für
eine gute Regelung der Familienzusammenführung ein-
setzen. Die F.D.P. jedenfalls wird sich Ihrem Antrag mit
der gebotenen Ernsthaftigkeit widmen. Wir werden über
Ihren Antrag in den entsprechenden Bundestagsaus-
schüssen beraten und schauen, wie die EU-Richtlinie viel-
leicht noch geändert werden kann. Die Möglichkeit dazu
haben Sie uns mit Ihrem Antrag gegeben. Bedenken wir
dabei, dass durch die Anwesenheit von ausländischen Fa-
milienmitgliedern in Deutschland ein normales Familien-
leben ermöglicht wird. Die Familie und die Menschen
stabilisieren sich und erhalten eine bessere Verwurzelung
bei uns in der Bundesrepublik Deutschland.

Wir von der F.D.P. werden uns für eine liberale Richt-
linie zur Familienzusammenführung in Europa einsetzen.
Das ist unser Ziel. Zusammen mit Ihnen allen werden wir
in den Ausschüssen versuchen, das zur Erreichung dieses
Ziels Notwendige zu erarbeiten.


(Beifall bei der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414320600
Das Wort zu ei-
ner Kurzintervention erhält der Kollege
Marschewski.


Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1414320700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr ver-
ehrte Frau Kollegin, ich weiß nicht, wer Ihnen das alles
aufgeschrieben hat. Zunächst einmal: Natürlich wollte ich
dem Herrn Bundesinnenminister keins auswischen. Ich
wollte dem Bundesinnenminister zu Beginn des neuen
Jahres nur die Chance geben, zu dem, was er draußen im-
mer sagt, hier Stellung zu beziehen. Ich wiederhole: Wenn
er draußen sagt, die Belastbarkeitsgrenze sei erreicht,
dann soll er dazu hier etwas sagen. Er hat gesagt: Ich will
das Asylrecht ändern. Das wollen vielleicht noch nicht
einmal alle von uns so wie er. Er soll etwas zu seinen Vor-
stellungen sagen.

Der Bundesinnenminister hat ganz klar gesagt, der EU-
Richtlinienvorschlag zur Familienzusammenführung sei
nicht in Ordnung; es kämen – Zitat aus der Zeitung –
„Hunderttausende ungesteuert nach Deutschland“. Wenn
er nicht begründet verhindert ist, dann möge er hier zu-
mindest anwesend sein und darüber mit uns diskutieren.
Diese Chance möchten wir ganz gern haben.

Natürlich sind wir immer eine Partei der Familie ge-
wesen. Ich freue mich, dass neuerdings auch die SPD auf
diesen Trichter gekommen ist. Nur, Familie heißt für uns
nicht zwangsläufig homosexuelle Lebensgemeinschaft.
Familie ist etwas anderes. Familie heißt für uns nicht
zwangsläufig, dass Nichtverheiratete miteinander leben.

Hinzu kommt Folgendes: Ich halte es für falsch, dass
nach dieser Richtlinie – der Kollege der SPD hat darauf
dankenswerterweise Bezug genommen; ich habe genau
zugehört; das wollen Sie vielleicht gar nicht – bis zurück
in die zweite, dritte oder vierte Generation Menschen
nach Deutschland kommen können, ohne Sozialversiche-
rung, ohne Krankheitsschutz, ohne Wohnung und ohne ei-
nen Arbeitsplatz. Auch das hat der Bundesinnenminister
kritisiert. Auch wir wollen das nicht.

Zu den Kindern. Es ist doch wirklich so, dass die Inte-
gration von Kindern insbesondere dann Erfolg verheißt,
wenn Kinder in jungem Alter nach Deutschland kommen.
Es ist nicht sinnvoll, wenn Kinder mit acht Jahren in ihr
Heimatland zurückkehren – was oft passiert – und mit 15
zurückkommen. Sie können dann weder die deutsche
Sprache noch wissen sie etwas über die deutsche Kultur.
Das erschwert die Integration. Gerade das wollen wir
nicht.

Zu Ihrem bemerkenswerten Konzept zur Zuwande-
rung. Vor Ihnen hatten wir längst ein Konzept zur Zu-
wanderung. Über Ihr Konzept haben wir lange diskutiert.
Der Kollege Westerwelle weiß das alles. Ihr Konzept hat
unseres Erachtens einen kleinen Haken. Wir haben dieses
Konzept in dieser Form abgelehnt, weil es folgende Fra-
gen nicht berücksichtigt: Sollen wir in die Überlegungen
die Asylbewerber einbeziehen? Sollen wir in die Überle-
gungen Art. 6 des Grundgesetzes – Stichwort „Familien-
begriff“ – einbeziehen? Sollen wir in die Überlegungen
Art. 116 des Grundgesetzes einbeziehen?




Ina Lenke
14024


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414320800
Herr Kollege
Marschewski, eine Kurzintervention soll drei Minuten
dauern. Diese Zeit haben Sie reichlich überschritten.


Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1414320900

Ich komme zum Schluss. – All das ist bei Ihnen nicht ge-
regelt. Diese Richtlinie bringt keinen Vorteil. Wir wollen
eine generelle Zuwanderungsbegrenzung. Erst wenn das
geschehen ist, müssen und können die Einzelfälle geregelt
werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414321000
Sie bringen
mich ein bisschen in Schwierigkeiten, weil ich nicht weiß,
wen speziell Sie angeredet haben. Es waren auf jeden Fall
mehrere. Ich gebe jetzt einfach der Kollegin Lenke das
Wort.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1414321100
Herr Kollege Marschewski, mit
den von Ihnen genannten Beispielen stellen Sie diese
Richtlinie so dar, als hätten alle volljährigen Kinder ein
Nachzugsrecht, als gelte für alle unverheirateten Lebens-
partner und für alle hier lebenden Studenten, dass sie ihre
Familien nachholen könnten.

Ich will Sie einmal etwas aufklären, weil Sie sich wahr-
scheinlich die Rede haben aufschreiben lassen. Hätten Sie
sich nämlich die Richtlinie selbst durchgelesen, Herr
Marschewski, dann hätten Sie etwas ganz anderes darin
gefunden. Zum Zuzug lediger Lebenspartner heißt es bei-
spielsweise:

Um Missbrauch der Bestimmung zu verhindern, gilt
diese nur für den Fall, dass ledige Lebenspartner eine
auf Dauer angelegte Beziehung führen.

Was soll eigentlich Ihre Schwarz-Weiß-Malerei?
Auch volljährige Kinder haben nach dieser Richtlinie

nicht immer ein Recht auf Zuzug. Hier steht nur:
Es wird eine Bestimmung über volljährige Kinder
eingeführt. In besonderen, schwierigen Situationen
kann ihnen der Nachzug gestattet werden.

Wollen Sie keine solche soziale Komponente in dieser
Richtlinie? Ich will sie.

Dann haben Sie, glaube ich, auch von Studenten ge-
sprochen. Dazu steht dort:

Da jedoch die Dauer des Aufenthalts ... begrenzt ist
und sie in einigen Mitgliedstaaten keine Erwerbs-
tätigkeit aufnehmen dürfen, kommen die Studenten
nicht in den Genuss derselben Vergünstigungen wie
andere dort ansässige Personen.

Es sind also Ausnahmen und es gibt für den Staat Er-
messensspielräume. Außerdem sind die Bestimmungen
enger, als Sie es dargestellt haben. Ihre Rede wäre wirk-
lich ausgewogener gewesen, wenn Sie auch auf das hin-
gewiesen hätten, was in der Richtlinie steht, und nicht nur
auf das, was Sie aus der Richtlinie herauslesen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414321200
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollegen! Herr Marschewski, bei Ihrer Rede hatte ich den
Eindruck, im falschen Film zu sitzen. Noch am Montag
habe ich mit Ihren Kollegen in der Enquete-Kommission
„Demographischer Wandel“ gesessen. Wir haben über-
legt, wie wir mehr Migranten und Migrantinnen nach
Deutschland bekommen, und die Sachverständigen ge-
fragt, woran es liege, dass so viele wieder zurückgehen.
Wir werden nämlich im Jahre 2050 22 Millionen Men-
schen weniger in Deutschland haben. Heute aber legen
Sie uns hier ein Papier vor, mit dem jede Großmutter und
jedes ältere Kind aus Deutschland fern gehalten werden
soll. Für mich ist das ein Beweis dafür, dass Sie in der In-
tegrations- und Migrationspolitik kopflos sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die von dem neuen EU-Kommissar für Justiz und In-
neres, Antonio Vitorino, vorgelegten flüchtlings- und mi-
grationspolitischen Vorschläge zeugen von einer grundle-
genden Wende weg von den bisherigen restriktiven
Konzepten hin zu einer modernen, weltoffenen und gleich-
zeitig werteorientierten Asyl- und Einwanderungspolitik.
Endlich werden die Vorgaben des Amsterdamer Vertrages
ernst genommen und Institutionen wie der UNHCR, Am-
nesty International und der Europäische Flüchtlingsrat er-
halten die Beachtung, die ihnen gebührt. Ausdruck dieser
neuen Dynamik ist der erste, heute hier zur Debatte ste-
hende Richtlinienvorschlag, den die Kommission vorge-
legt hatte. Er widmet sich dem wichtigsten Instrument der
Integration, der Familienzusammenführung.

Meine Kolleginnen und Kollegen von der Union, Sie
verlangen eine „sachgerechte Lösung“ der Familienzu-
sammenführung. Ihre Vorschläge aber zeigen, dass Sie
weder an mehr Rechten oder Gerechtigkeit noch an den
sozialen und menschlichen Bedürfnissen der betroffenen
Personen interessiert sind. Sie kritisieren, dass die EU-
Kommission eine Richtlinie zur Familienzusammen-
führung vorgeschlagen hat, ohne ein Gesamtkonzept für
Fragen der künftigen Einwanderungs- und Asylpolitik
entwickelt zu haben. Dieser Vorwurf ist überholt, denn im
November letzten Jahres hat die Kommission zwei grund-
legende Mitteilungen zur Migrationspolitik präsentiert.

Wir Bündnisgrünen erkennen darin viele erfreuliche
Parallelen mit unseren Vorstellungen, die wir vor wenigen
Wochen in einem Grundsatzpapier der Öffentlichkeit vor-
gestellt haben. Die Kommission schlägt nämlich eine
grundlegende Kehrtwende von der bisherigen unbarm-
herzigen Abschottungspolitik der EU mit der Begründung
vor, die „Politik der Nullzuwanderung passt nicht mehr in
den (heutigen) wirtschaftlichen und demographischen
Kontext“. Durch die Festungspolitik der EU werden nicht
nur Flüchtlinge und Migranten in die Hände krimineller
Schlepperbanden getrieben, diese Politik blockiert auch
gestalterische Politikansätze.

Aus grüner Sicht ist von besonderer Bedeutung, dass
die Kommission ebenfalls ein Dreisäulenmodell für ihre






(C)



(D)



(A)



(B)


Einwanderungspolitik entwickelt hat, das sich mit unse-
ren Vorstellungen weitgehend deckt. – Herr Marschewski,
ich bitte Sie, einmal zuzuhören, damit Sie die Konzeption
der Grünen mitbekommen, weil Sie behaupteten, wir hät-
ten keine solche Konzeption.

Die Kommission und die Grünen unterscheiden drei
Kategorien der Zuwanderung: erstens aus humanitären
und zweitens aus wirtschaftlichen Gründen, drittens aber
auch als Rechtsanspruch auf Familienzusammenführung.
Mit diesem Dreisäulenmodell stellt die Kommission klar,
dass es sich hierbei um strukturell unterschiedliche For-
men der Einwanderung handelt. Diese können nämlich
nicht, wie zum Beispiel bei einer migrationspolitischen
Gesamtquote, gegeneinander aufgerechnet werden. Dies
ist richtig; denn sowohl beim Asyl als auch bei der Fami-
lienzusammenführung handelt es sich um eine Ein-
wanderung aufgrund von Rechtsansprüchen. Diese sind
den politischen Opportunitätserwägungen entzogen.

Die Familienzusammenführungsrichtlinie ist für uns
eine konsequente Umsetzung auch der Schlussfolgerun-
gen von Tampere, nämlich die Rechte von Drittstaatenan-
gehörigen denen der Unionsbürgerinnen und -bürgern
anzugleichen. Der Ansatz ist klar: Es gibt keine Men-
schenrechte erster, zweiter oder dritter Klasse. So sollen
auch Flüchtlinge künftig das Recht haben, zusammen mit
ihren Familien zu leben. Dieser Grundsatz wurde auch im
überarbeiteten Kommissionsvorschlag vom Oktober bei-
behalten.

Wenn Sie von der Union nun kritisieren, dass die Kom-
mission diesen Menschen zu großzügige soziale Rechte
gewähren möchte, dann warne ich Sie. Sie stellen sich mit
Ihrer Kritik in Widerspruch zu der sonst doch so hoch ge-
haltenen Idee der Integration. Die Entrechtung und Dis-
kriminierung von Flüchtlingen führt nicht nur zu deren
gesellschaftlicher Ausgrenzung, sie gibt diese Menschen
auch rassistischen Vorurteilen preis. Wie Sie wissen, ist
das die Vorstufe von fremdenfeindlicher Gewalt.

Deswegen begrüßen wir den von der Kommission vor-
geschlagenen Familienbegriff; denn dieser umfasst auch
nicht eheliche und gleichgeschlechtliche Lebensgemein-
schaften. Ich finde, das ist ein zeitgemäßer und realitäts-
tüchtiger Ansatz.

Ihre Kritik, meine Kolleginnen und Kollegen von der
Union, ist Ausdruck einer heuchlerischen Doppelmoral.
Wenn Sie immer über die Bedeutung des Schutzes der Fa-
milie reden, dann gilt dies offenkundig nur für die deut-
sche Familie. Diese besteht, wie Sie gerade noch einmal
bestätigt haben, in Ihren verstaubten Vorstellungen immer
noch aus Vater und Mutter, verheiratet, plus Kind. Sie ge-
hen hiermit nicht nur an den vielfältigen Lebensrealitäten
in unserer Gesellschaft vorbei, sondern auch an der ge-
setzlichen Realität.

Wir haben mit unserem Gesetz zur eingetragenen Le-
benspartnerschaft auch einen Anspruch auf Nachzug
gleichgeschlechtlicher Partner ermöglicht. Wenn Sie
Sorge haben, dass da auf den Staat hohe Kosten zukom-
men, Herr Marschewski, so kann ich Ihnen nur sagen: Es
ist ganz genau geregelt, dass das eine Verantwortungsge-
meinschaft ist, dass die Partner gegenseitig unter-

haltspflichtig sind. Insofern sind Ihre Bedenken hier über-
haupt nicht nachvollziehbar.

Abschließend noch einige Worte zu den Zahlenspiele-
reien, mit denen Sie in mitunter unverantwortlicher Weise
die Ängste von Menschen schüren. Wir haben heute einen
jährlichen Zuzug von 60 000 Familienangehörigen. Da-
von betrifft fast die Hälfte, nämlich rund 25 000, den
Nachzug von ausländischen Angehörigen deutscher
Staatsangehöriger. Der Kommissionsvorschlag regelt al-
lerdings nur den Nachzug der bereits hier lebenden
Drittstaatenangehörigen.

Schließlich – das geben Sie in Ihrem Antrag selber zu –:
Ihre atemberaubenden Zahlen derjenigen, die mit dem
Kommissionsvorschlag einen zusätzlichen Anspruch auf
Nachzug nach Deutschland erhalten würden, ergeben sich
zum allergrößten Teil durch den Aussiedlerzuzug. Brüssel
ist also die falsche Adresse Ihrer Polemik.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
wenn Sie sich entschieden haben, die Familienpolitik in
das Zentrum Ihres Wahlkampfes zu stellen, dann sollten
Sie heute damit beginnen, indem Sie diesen Antrag
zurückziehen; denn sonst machen Sie sich unglaubwür-
dig. Die Familie steht unter dem Schutz des Staates, steht
in unserem Grundgesetz. Dieser Schutz des Staates be-
zieht sich nicht nur auf die deutschen Familien, sondern
auch auf die Familien, die aus anderen Ländern kommen
und hier bei uns leben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414321300
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ulla Jelpke.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1414321400
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Auch wir sind der Meinung, dass der von der
CDU/CSU vorgelegte Antrag völlig an der Wirklichkeit
vorbeigeht. Unserer Ansicht nach wäre es ein großer Fort-
schritt, wenn die EU-Richtlinien, die nach wie vor erst im
Entwurf vorliegen, verabschiedet werden würden. Ich
hatte schon befürchtet, Herr Marschewski, dass Sie eine
unheilige Allianz mit dem Innenminister vorschlagen
würden. Ich hoffe, dass die SPD und die Grünen bei dem
bleiben, was sie heute in ihren Reden vorgetragen haben.
Denn wenn man sich genau anschaut, was in diesen Richt-
linien enthalten ist, dann gibt es eine Menge wichtiger
Punkte, die meines Erachtens längst überfällig sind.

Ich erinnere an den Rechtsanspruch auf Familienzu-
sammenführung, der geschaffen werden würde und der
die Ermessenswillkür der Ausländerbehörden entspre-
chend einschränken würde. Der Kreis derjenigen, die ei-
nen Anspruch haben, wird außerdem erweitert. Das ist
hier schon genannt worden. Das bedeutet, dass alle, die
eine Aufenthaltsgenehmigung von einer gewissen Dauer
haben, ihre Angehörigen nachziehen lassen können. Das
finde ich einen sehr wichtigen Schritt.

Der Kreis der Angehörigen, die nachziehen können,
wird zudem ausgeweitet, nämlich auf Kinder bis zu
18 Jahren. Das Gesetz sieht bisher nur Kinder bis 16 Jahre




Irmingard Schewe-Gerigk
14026


(C)



(D)



(A)



(B)


vor. Ich finde es ziemlich kinderfeindlich, dass die CDU
das Alter sogar auf zehn Jahre beschränken will. Es ist
auch genannt worden, dass Homosexuelle ihre Lebens-
partner ebenfalls nachziehen lassen können. Das, meine
ich, ist grundsätzlich eine sehr wichtige Entscheidung,
wenn sie denn so getroffen wird.

Herr Marschewski befürchtet das Einsetzen einer Ein-
wanderungsflut. Auch in dem Antrag wird beschworen,
dass keine Kontrolle mehr über die Einwanderung mög-
lich wäre. Ich möchte an Debatten erinnern, die dieses
Haus diverse Male geführt hat. Es gibt ganz bestimmte
Gruppen von Menschen, die Grundrechte haben, die sie in
Anspruch nehmen können, sodass sie hier bleiben kön-
nen. Dazu zählen beispielsweise die Asylbewerber und
diejenigen, die ihre Familien nachziehen lassen. Der Fa-
miliennachzug ist also ein Menschenrecht – nicht nur
nach unserem Grundgesetz. Im Übrigen hat auch die da-
malige Kohl-Regierung die Europäische Menschen-
rechtskonvention unterzeichnet. Da heißt es: Jede Person
hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienle-
bens.

Ich meine, dass diese Gruppen, egal, wie man zur Ein-
wanderungsdebatte steht und ob man mit Quotenzahlen
oder Sonstigem arbeiten will, auf gar keinen Fall hinzu-
gerechnet werden dürfen. Sie haben vielmehr ein Grund-
recht darauf, mit ihren Familien hier zu leben, weil sie des
Schutzes vor Verfolgung bedürfen oder sie in Not sind.

Ich möchte Sie außerdem auf etwas aufmerksam ma-
chen, das sich mit diesen Richtlinien, wenn sie durchge-
setzt würden, ebenfalls ändern würde. Wir haben gegen-
wärtig das Problem, dass beispielsweise Menschen, die
abgeschoben wurden und die nach ihrer Abschiebung hei-
raten, nur dann ins Land zurückkehren dürfen, wenn sie
die Abschiebekosten aufbringen. Es handelt sich in der
Regel um mehrere tausend Mark.

Ich habe dazu eine Kleine Anfrage gestellt. Die Bun-
desregierung hat zwar geantwortet, dass die finanziellen
Erwägungen nicht zwingend seien, man könne auch eine
Ratenzahlung vereinbaren, aber ich meine, es ist für eine
junge Familie eine große Zumutung, gleich mit Schulden
belastet zu sein. Diese Menschen haben ein Recht darauf
zurückzukommen, ohne sich ihr Familienglück sozusa-
gen erkaufen zu müssen. Das entspricht unter der jetzt ge-
gebenen Bedingung nicht gerade der Menschenwürde.

Natürlich gibt es in den Richtlinien auch Punkte – wir
werden sie ausführlich im Ausschuss diskutieren –, die
aus unserer Sicht ergänzt werden müssen. Es ist zum Bei-
spiel so, dass nicht anerkannte Asylberechtigte, die hier
aber Flüchtlingsschutz genießen, ihre Familien nicht
nachziehen lassen sollen. Warum und weshalb ist meiner
Meinung nach überhaupt nicht nachvollziehbar.

Ich meine jedenfalls, dass wir die EU-Richtlinien aus-
führlich diskutieren, sie wohlwollend behandeln und über
entsprechende Ergänzungen nachdenken sollten.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414321500
Das Wort hat
jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin Cornelie
Sonntag-Wolgast.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414321600
Frau Präsidentin!
Liebe Kollegen und Kolleginnen! Herr Marschewski,
Neujahrsgeschenke nimmt man eigentlich nicht von an-
deren an, sondern man macht sie sich lieber selber. Dann
ist man auch selbstbestimmt und fähig, darüber zu ent-
scheiden.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Wenn Sie mir etwas schenken würden, würde ich das sofort annehmen!)


Deswegen reklamiere ich bei dieser Frage für uns unseren
eigenen Weg und der ist doch ein bisschen anders, als Sie
ihn sich vorstellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt wohl, meine Damen und Herren, kaum ein Pa-

pier der EU-Kommission aus dem Bereich der Asyl- und
Migrationspolitik, das derzeit so heftig debattiert wird wie
dieser Vorschlag der EU zum Recht auf Familien-
zusammenführung. Ich finde, diese öffentliche Auseinan-
dersetzung tut dem Prozess der europäischen Einigung
gut; sie macht das Ganze endlich einmal fassbar und le-
bendig. Ich begrüße auch ausdrücklich, dass diese Dis-
kussion um ein Thema kreist, das gerade in unserem
Grundgesetz einen hohen Wert hat, nämlich den Schutz
von Ehe und Familie. Ich halte es schon für bemer-
kenswert, wie Christdemokraten die Problematik des Zu-
sammenlebens von Menschen dann plötzlich nicht mehr
für so wichtig halten, wenn es sich um Migranten handelt.
Überlegen Sie sich sehr genau, was Sie damit anrichten,
auch vor dem Hintergrund Ihrer eigenen Ideologie!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Eine europäische Zuwanderungspolitik, meine Da-
men und Herren, gehört zu den großen laufenden Vorha-
ben der Gemeinschaft. Sie kann damit auch nicht warten,
bis die Frist, die uns der Amsterdamer Vertrag gibt, abge-
laufen ist. Es ist zugleich eine Aufgabe der nationalen Ver-
handlungspartner, die besondere Situation im jeweiligen
Staat in diese Arbeit einzubringen, den notwendigen
Handlungsspielraum auszuloten und auch zu wahren. Ge-
nau in dieser Phase befinden wir uns. Es ist überhaupt
kein Geheimnis, dass die Bundesregierung gegen einige
Punkte der jetzigen Fassung Bedenken hat. Das gilt übri-
gens auch für die Länder und die Kommunen. Ich sage
aber ebenso deutlich: Eine knallharte Ablehnung der
Richtlinie, wie sie die CDU/CSU fordert, kommt nicht in
Frage.

Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der
CDU/CSU, übertragen Ihre sattsam bekannten Stand-
punkte und Ängste vom nationalen Rahmen auf die Ebene
der Union. So einfach lässt sich das EU-Geschäft nun
wirklich nicht erledigen. Ich gehe noch einen Schritt wei-
ter: Teile Ihres Antrages sind von einem unfreundlichen
Geist und Ton gegenüber Europa geprägt. Ich will dafür
einige Beispiele nennen. Sie sprechen von einer „konzep-
tionslosen Vermehrung des Familiennachzugs“. Sie sehen
den „Begriff Familie faktisch ausgehöhlt“. Sie wittern bei
den geplanten Nachzugsregelungen für eingetragene




Ulla Jelpke

14027


(C)



(D)



(A)



(B)


Lebenspartnerschaften „unzählige Missbrauchsmöglich-
keiten“ usw. Kurz gesagt, Sie schüren wieder einmal mit
dramatischen Vokabeln Sorgen und Unruhe. Ich kann nur
dazu ermuntern, die Zuwanderungsdebatte in ruhiges
Fahrwasser zu lenken. Das ist angesichts der jüngst ver-
öffentlichten Statistiken nun wirklich auch geboten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich erinnere zum Beispiel an die Zahl der Asylanträge:
Sie war im vergangenen Jahr so niedrig wie seit 1988
nicht mehr. Ruhe und Gelassenheit wären also ange-
bracht.

Es ist auch viel besser, konstruktiv an der Richtlinie
mitzuarbeiten, denn auf diese Weise haben wir die größ-
ten Chancen, unsere Vorstellungen und unsere Interessen
in Brüssel zur Geltung zu bringen. Die Kommission,
meine Damen und Herren, ist der Motor der europäischen
Integration, aber nicht unbedingt der Sachwalter einzelner
Mitgliedstaaten. Unsere Aufgabe ist es, den Standpunkt
der Bundesrepublik zu vertreten und zu verankern. Dazu
sind wir durchaus in der Lage. Es wird Sie vielleicht in-
teressieren, dass der Bundesinnenminister noch im Laufe
des Januars mit Kommissar Vitorino zusammenkommt,
um unter anderem auch über dieses Thema zu sprechen.

Ich will durchaus auch auf einige Probleme verweisen,
die die Bundesregierung und übrigens auch die Länder se-
hen. Dazu gehört zum Beispiel die Tatsache, dass die
Kommission im Oktober 2000 eine überarbeitete Fassung
vorlegte, in dem neuen Text aber praktisch nur die Ände-
rungswünsche des Europäischen Parlaments berücksich-
tigt hat, nicht aber die Vorstellungen der Mitgliedstaaten.
Vorbehaltlos kann sich das Bundesinnenministerium auch
nicht mit den Vorschlägen zum Kindernachzug bis zur
Volljährigkeit anfreunden. Wir plädieren für ein flexible-
res Verfahren, das den Mitgliedstaaten die Möglichkeit
lässt, Altersbegrenzungen zwischen 16 und 18 Jahren
festzulegen.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Das weiß Ihr lieber Kollege aber nicht!)


Wir sind aber jederzeit auch für Ausnahmeregelungen bei
Härtefällen oder aus humanitären Gründen. Im Moment
wird das ja auch noch so geregelt. Sie von der CDU/CSU
wollen nun aber den Kindernachzug nur bis zum Alter von
höchstens zehn Jahren gewähren; das richtet sich nun
wirklich gegen die Pläne der EU. Ich möchte auch noch
die Beseitigung der so genannten Inländerdiskriminie-
rung nennen, wodurch die Zahl von zuziehenden Spätaus-
siedlern deutlich ansteigen würde. Das ist eine spezielle
deutsche Eigenheit, die auch bei den weiteren Verhand-
lungen mit in die Waagschale geworfen werden muss.

Meine Damen und Herren von der Opposition, so ein
bisschen müssten Sie sich eigentlich noch an die Jahre Ih-
rer Regierungsverantwortung erinnern, als Sie sich noch
mit dieser Materie beschäftigen mussten. Zur Verabschie-
dung von Normen zur Familienzusammenführung haben
wir uns nämlich in dem bereits erwähnten Art. 63 Nr. 3 des
Amsterdamer Vertrages verpflichtet. Dieses Werk, Herr
Kollege Marschewski, wurde 1997, also von der damali-

gen CDU/CSU/F.D.P.-Koalition, abgeschlossen. Darüber,
dass Sie jetzt so tun, als ob die Bundesrepublik dieses
Rechtssetzungsvorhaben einfach und schlankweg verhin-
dern könnte, kann ich wirklich nur den Kopf schütteln.

Außerdem folgt Ihr Antrag einer krausen Logik. Er for-
dert, die EU-Richtlinie einfach abzulehnen. In der Be-
gründung ist dann von der Notwendigkeit der Überarbei-
tung die Rede. Was denn nun? Etwas, was man als völlig
untauglich ablehnt, kann man nicht anschließend überar-
beiten. Sie müssen sich schon entscheiden, welchen Weg
Sie einschlagen wollen.

Meine Damen und Herren, unser Motto lautet: nicht
ablehnen, sondern arbeiten und argumentieren, nicht ver-
hindern, sondern verhandeln. Wir wollen doch auf dem
Weg zu einer einheitlichen Zuwanderungspolitik in Eu-
ropa weiterkommen und wir wollen dabei unsere beson-
deren Interessen zur Geltung bringen. Das, was Sie dage-
gen vorschlagen, führt in die Isolation und das wollen wir
nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414321700
Als Letzte in der
Debatte hat jetzt die Kollegin Anke Eymer das Wort.


Anke Eymer (CDU):
Rede ID: ID1414321800
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kol-
legen und Kolleginnen! Die Bürger und Bürgerinnen ha-
ben ein Anrecht darauf, dass wir uns mit diesem wichtigen
Thema ernsthaft beschäftigen. Unsere Fraktion will die
Integration, wir müssen sie aber auch leisten können.

Unser Antrag „Familienzusammenführung sachge-
recht regeln – EU-Richtlinienvorschlag ablehnen“ stellt
die Forderung nach einem gesamtheitlichen Konzept der
Einwanderungs- und Asylpolitik in den Vordergrund.
Der EU-Richtlinienvorschlag ist abzulehnen. Er bietet nur
punktuelle Regelungen und ermöglicht eine konzeptions-
lose Vermehrung des Familiennachzugs, ohne die we-
sentlichen Fragen einer Integration der Zuwanderer zu lö-
sen oder auch nur Lösungsansätze auszugestalten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sehr wahr! Das ist das Problem!)


Wir brauchen kein planloses Mehr an Zuwanderern,
sondern wir brauchen ein vernünftiges, ausgewogenes
Verhältnis von Aufnahmen aus humanitären, wirtschaftli-
chen und gesellschaftlichen Gründen. Wir brauchen eine
umfassende Lösung auch unter Einbeziehung des Asyl-
rechts,


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das hat die Kommission vorgelegt!)


eine Lösung mit klaren Quoten, eine faire Lastenvertei-
lung in der EU und eine Zuwanderungsbegrenzung, die
unseren Integrationsmöglichkeiten Rechnung trägt.


(Beifall bei der CDU/CSU)





Parl. Staatssekretärin Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
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(B)


Ich sage es noch einmal: Wir wollen Integration, wir
müssen sie aber auch leisten können. Ein gesamtheitliches
Konzept für Deutschland und Europa ist gefordert.

Mit dem Vertrag von Amsterdam aus dem Jahre 1999
haben die Mitgliedstaaten die Entwicklung einer gemein-
samen Einwanderungs- und Asylpolitik in die Hände der
EU gelegt. Damit haben sie anerkannt, dass dieser Be-
reich nicht mehr nur national geregelt werden kann. Es
muss europaweite Regelungen geben. Was gut gemeint
war, wird aber nicht gut gemacht.

Die Kommission hat sich als erste Gesetzesinitiative
für den Entwurf einer Richtlinie betreffend das Recht auf
die Familienzusammenführung entschieden, ohne auch
nur im Ansatz ein Gesamtkonzept für die künftige Asyl-
und Einwanderungspolitik erkennen zu lassen. Bisher ist
weder erfasst worden, wie viel Zuwanderung durch den
Nachzug von Familienangehörigen erfolgt, noch ist abzu-
sehen, mit wie viel Zuwanderung aus welcher Generation
und mit welcher Qualifikation durch die von der Kom-
mission vorgeschlagenen Regelungen zu rechnen ist. Die
Folgen für das Renten-, Sozial- und Steuersystem der Mit-
gliedstaaten sind ebenfalls nicht abzuschätzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die fehlende Gesamtstrategie und die zumindest man-

gelhaften statistischen Grundlagen bleiben leider nicht
die einzigen Kritikpunkte. Die Kommission vermischt
Einwanderung aus wirtschaftlichen Gründen mit Asyl.
Asyl als Hilfe für jemanden, dessen Leben in seinem Hei-
matland bedroht ist, ist eine Verpflichtung, die sich die
Staaten aus humanitären Gründen auferlegt haben. Bei
der Einwanderung aus wirtschaftlichen Gründen ist es das
legitime Recht der Staaten, zu entscheiden, welches Maß
an Zuwanderung für sie verträglich ist und nach welchen
Kriterien sie eine Auswahl treffen.

Ein Kardinalfehler im Umgang mit Ausländern wird
von der Kommission erneut begangen: Es wird keinerlei
Gedanken an die Integration dieser Menschen ver-
schwendet. Man kann Menschen nicht in ein fremdes
Land holen, ohne gleichzeitig für ein friedliches und
freundschaftliches Zusammenleben von Ausländern und
Inländern zu sorgen. Hier muss die Frage gestellt werden:
Ist derjenige, der ins Land kommt, integrationswillig und
auch integrationsfähig? Andererseits müssen wir aber
auch fragen, in welchem Maße unsere Bürger und Bürge-
rinnen bereit und in der Lage sind, Fremde zu integrieren.

All diese Kritikpunkte betreffen nicht nur den Richtli-
nienentwurf zur Familienzusammenführung. Sie müssen
aber bereits in diesem Zusammenhang aufgezeigt werden,
da durch diese erste Gesetzesinitiative Rechtsgrundlagen
auch für später zu regelnde Bereiche der gemeinsamen
Einwanderungspolitik geschaffen werden.

Um auf europäischer Ebene zu einer befriedigenden
Lösung zu kommen, dürfen wir uns nicht mehr in punk-
tuellen Diskussionen verlieren. Wichtig ist der tatsächli-
che und unbürokratische Schutz derer, die in ihren
Heimatländern an Leib und Leben bedroht sind. Diese Be-
dingung ist bereits durch die Anerkennung der Genfer
Flüchtlingskonvention erreicht. Sie bietet Asylsuchenden

den gleichen Schutz wie der entsprechende Artikel des
Grundgesetzes.

Abschließend ist festzuhalten: Zuwanderungspolitik
darf kein bloßes Mehr an Zuwanderung sein, sondern
muss ein vernünftiges und ausgewogenes Verhältnis von
Aufnahme aus humanitären, wirtschaftlichen und gesell-
schaftlichen Gründen herstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir lehnen den EU-Richtlinienvorschlag ab.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414321900
Ich schließe

damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 14/4529 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 sowie den Zusatz-
punkt 6 auf:

8. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Werner Schuster, Joachim Tappe, Brigitte Adler,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-
Loßack, Hans-Christian Ströbele, Kerstin Müller

(Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des

BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Afrikas Entwicklung unterstützen
– Drucksachen 14/3701, 14/4850 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Joachim Tappe
Carl-Dieter Spranger
Rita Grießhaber
Ulrich Irmer
Wolfgang Gehrcke

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, Joachim
Günther, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der F.D.P.
Für eine europäische Ausrichtung der deutschen
Afrikapolitik
– Drucksache 14/5090 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Herr Bundesminister Joschka Fischer.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414322000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Europa und
Afrika sind Nachbarkontinente. Allein aus diesem Grund
können wir es uns als Europäer nicht erlauben, dass Afrika




Anke Eymer (Lübeck)


14029


(C)



(D)



(A)



(B)


im Zeitalter der Globalisierung zum vergessenen Konti-
nent wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Was dort geschieht, geht uns unmittelbar an und hat viel-
fältige Rückwirkungen auf Deutschland und Europa. Eu-
ropa hat – dies nicht nur aufgrund seiner kolonialen Ge-
schichte – eine Verantwortung für Afrika. Wir müssen und
wollen uns deshalb in Afrika engagieren.

Ich bin im vergangenen Jahr zweimal nach Afrika ge-
reist, um mir selbst ein Bild von der dortigen Lage zu ver-
schaffen. Die Besuche in Nigeria, Mosambik und Süd-
afrika haben mir einen anderen Eindruck vermittelt als
meine nachfolgenden Besuche in Angola, Burundi und
Ruanda. Diese Reisen haben vor allem eines bestätigt: Die
Wirklichkeit in Afrika ist heute, 40 Jahre nach der Entko-
lonisierung, in jeder Hinsicht – politisch, wirtschaftlich
und gesellschaftlich – außerordentlich differenziert.

Die Ablösung der Militärregierung in Nigeria durch
eine demokratisch gewählte Regierung, die Überwindung
der Apartheid in Südafrika, der Wiederaufbau der durch
Bürgerkrieg zerstörten ehemaligen portugiesischen Kolo-
nien Angola und Mosambik, die Aufarbeitung des Völ-
kermords in Ruanda, der schwelende Konflikt in Burundi,
der blutige Krieg im Kongo, Staatszerfall und Bürgerkrieg
in Sierra Leone, zunächst Hunger und Krieg, dann neue
Hoffnung für den Frieden am Horn von Afrika, der
langjährige Krieg im Süden des Sudans: All dies zusam-
mengenommen zeigt, dass pauschale Ansätze der kom-
plexen Realität unseres Nachbarkontinents nur sehr be-
dingt gerecht werden können.

Wir haben uns deshalb vorgenommen, regionale Stra-
tegien zu entwickeln, die dieser Komplexität gerecht wer-
den, und eine Politik der regionalen Stabilisierung zu ver-
suchen. Dabei sind wir uns der begrenzten Reichweite der
Afrikapolitik Deutschlands aufgrund der begrenzten Res-
sourcen bewusst. Allein werden wir nicht wirkungsvoll
handeln können. Die Bundesregierung setzt sich deshalb
dafür ein, dass die EU in Afrika eine stärkere Rolle über-
nimmt, was mit manchen Partnern allerdings nicht immer
einfach ist.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Der erste EU-Afrika-Gipfel in Kairo hat den Willen ge-
zeigt, zwischen Afrika und Europa einen Dialog „auf glei-
cher Augenhöhe“ zu führen. Hieran wollen wir bilateral
und auf europäischer Ebene anknüpfen. Das neue Lomé-
Nachfolgeabkommen vertieft neben der wirtschaftlichen
die politische Partnerschaft. Auch in der GASP muss
Afrika einen höheren Stellenwert erhalten.

Auch wenn unsere Lösungsansätze immer auf die je-
weiligen regionalen Besonderheiten in Afrika bezogen
sein müssen, lassen wir uns von übergeordneten Zielen
leiten:

Erstens: Demokratisierung und die Herrschaft des
Rechts.Bürgerliche Freiheiten und die Achtung der Men-
schenrechte sind nicht der Lohn der Entwicklung, sondern

die Voraussetzung dafür. Demokratische Regierungsfor-
men bieten die beste Garantie für eine verantwortliche
Regierungsführung, für ein Mehr an sozialer Gerechtig-
keit und – dies ist ganz wichtig für Entwicklung – für die
Überwindung von Armut. Das sind nicht Ergebnisse von
Entwicklung, sondern Voraussetzungen für Entwicklung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Nur so kann der „Fluch“ des Rohstoffreichtums, der
Länder wie Sierra Leone, Angola oder Kongo in Bürger-
krieg und Verwüstung gestürzt hat, in einen Segen ver-
wandelt werden. Afrika braucht offene, plurale Gesell-
schaften, braucht Medienfreiheit und Toleranz zwischen
den Ethnien. Klar ist aber auch, dass demokratische Insti-
tutionen von innen heraus getragen werden müssen. Sie
müssen von der Bevölkerung gewollt und dort kulturell
verwurzelt sein und dürfen nicht nur von ausländischen
Gebern verlangt werden – eine Erfahrung, die wir in Eu-
ropa und vor gar nicht langer Zeit auch in Deutschland ge-
macht haben.

Deshalb: Geduld und langer Atem sowie langfristiges
Engagement sind notwendig. Wir werden uns darauf kon-
zentrieren, die Rechtssysteme zu stärken und zu fördern.

Zweitens: Stärkung regionaler Stabilisierungsbe-
mühungen. Die OAE und afrikanische Regionalorgani-
sationen wie SADC oder ECOWAS haben – trotz ihrer
auch in Afrika unbestrittenen Schwächen – Beachtliches
erreicht, gerade hinsichtlich des „peace-keeping“. Nigeria
hat dabei einen hohen Blutzoll entrichtet, wie die Exper-
ten nur zu gut wissen. Aber ich möchte es hier noch ein-
mal betonen: „Peace-keeping“ war in Westafrika im We-
sentlichen eine Leistung der Afrikaner.

Ihre Fähigkeiten zu Krisenprävention und Konfliktbe-
wältigung werden wir aktiv unterstützen und wir werden
bei der Entwicklung von Minderheitenstandards und ver-
trauensbildenden Maßnahmen europäische Erfahrungen
anbieten. Als Beispiele nenne ich die Förderung des OAE-
Konfliktmanagementzentrums, die Kleinwaffeninitiative
und eine restriktive Rüstungsexportpolitik.

Auch in der Friedenssicherung gilt der Grundsatz: Vor-
rang für regionale Lösungsansätze. Das heißt aber nicht,
dass wir unsere Erwartungen nicht klar formulieren.

Im Kongo hoffen wir nach dem Tod Kabilas auf eine
Rückkehr zu geordneten Verhältnissen. Die Lage in
Kinshasa ist nach den jüngsten Ereignissen bislang ruhig
geblieben. Sie ist jedoch potenziell hochgefährlich.
Kongo ist heute der zentrale Konfliktherd der Region und
darüber hinaus. Insofern wird es hier entscheidend auf
eine Deeskalation ankommen. Ein Auseinanderbrechen
dieses Landes könnte das gesamte Umfeld in einen Ab-
grund von Gewalt und Zerstörung reißen. Es muss des-
halb alles getan werden, um dies zu verhindern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Die Bundesregierung appelliert an alle am Kongokon-
flikt Beteiligten, die jetzige dramatische Lage nicht für ei-




Bundesminister Joseph Fischer
14030


(C)



(D)



(A)



(B)


gene Zwecke auszunutzen. Wir fordern von ihnen die
Umsetzung des Abkommens von Lusaka


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


und die Unterstützung der Friedensbemühungen der Ver-
einten Nationen. Jetzt müssen die Voraussetzungen für
den Übergang zu einer demokratischen Regierungsform
geschaffen werden. Nur dann besteht Hoffnung, dass sich
die Lage im Land und in der Region stabilisieren wird.

Der Gefährdung der Stabilität im südlichen Afrika
durch die politische Instrumentalisierung der Landfrage
in Simbabwe muss vor allen Dingen in der Region ent-
schieden begegnet werden. Wir bestehen dabei auf
Rechtsstaatlichkeit. Namibia darf dem Beispiel Simbab-
wes nicht folgen. Die dort geplante Landreform ist unver-
zichtbar. Wir wollen sie unterstützen, soweit dies in unse-
ren Kräften steht.

In den westafrikanischen Krisenländern Guinea, Sierra
Leone und Elfenbeinküste hat die Afrikabeauftragte der
Bundesregierung in den letzten Tagen politische Ge-
spräche geführt. Wir erwarten eigene Anstrengungen die-
ser Länder zur Beendigung der Konflikte und zur Partizi-
pation der Bevölkerung beim Übergang zur Demokratie.
Die Bundesregierung leistet humanitäre Hilfe und ist zur
Unterstützung beim wirtschaftlichen Wiederaufbau und
bei der Rückkehr der Flüchtlinge bereit.

Neben den eigenen Bemühungen der Afrikaner bleibt
Friedenssicherung durch die VN unverzichtbar. Auf kei-
nem anderen Kontinent gibt es so viele gewaltsame Kon-
flikte und so wenig Engagement von außen. Auch hier
wollen wir nachhaltig unterstützen.

Drittens: Nothilfe. Bei Natur- und Flüchtlingskatastro-
phen müssen wir schnell und umfassend humanitäre Hilfe
leisten. Wir haben dies am Horn von Afrika und in Mo-
sambik getan. Wir hoffen darauf, dass die neuen Krisen-
managementkapazitäten mit der Verbindung von zivilen
und militärischen Aktivitäten noch schnellere, noch effi-
zientere, noch punktgenauere europäische Reaktionen
möglich machen.

Viertens: Förderung nachhaltiger Entwicklung.
Dies ist gerade in Afrika ein entscheidender Punkt, für den
wir uns einsetzen müssen. Afrika darf sich nicht vom In-
formationszeitalter abkoppeln. Wir dürfen das nicht zu-
lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Anschluss an das Internet muss auch dort gewährleis-
tet werden. Die Voraussetzungen dafür müssen geschaf-
fen werden. Erziehung und Bildung spielen dabei eine
große Rolle. Die Abkopplung von der Wissensgesell-
schaft dürfen wir nicht zulassen. Ein verstärkter Kampf
gegen den Analphabetismus ist erforderlich.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Was wollen Sie denn machen?)


– Es wird entscheidend sein, dass wir uns mit unseren be-
grenzten Möglichkeiten gemeinsam mit unseren europä-

ischen Partnern engagieren. Hier gibt es einzelne Ansätze,
an die wir anknüpfen können. Das ist von entscheidender
Bedeutung. In dem Punkt Informationszeitalter haben wir
von der Vorgängerregierung nichts vorgefunden, woran
wir hätten anknüpfen können. Das ist ein neues Thema,
dem wir uns zuwenden müssen, gemeinsam mit unseren
Partnern in der Europäischen Union.

Wir dürfen die ärmsten Länder nicht im Teufelskreis
der Verschuldung allein lassen. Die Kölner Schulden-
initiative und darüber hinausgehende bilaterale Vereinba-
rungen setzen in vielen Ländern neue Ressourcen für
Armutsbekämpfung und wirtschaftliche Entwicklung
frei. Bislang sind Erlassmaßnahmen für 22 hoch verschul-
dete arme Länder beschlossen worden. Davon liegen 18
in Afrika. Ich denke, das ist ein sehr konkreter, sehr prak-
tischer Schritt aktiver Entwicklungsunterstützung, der
sich weiß Gott sehen lassen kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Fünftens. Die Aidsbekämpfung wird von entschei-
dender Bedeutung sein. Zusammen mit WHO und UN-
AIDS müssen wir Mittel von europäischer Seite einset-
zen. Neue Impfstoffe zu entwickeln und ihren Einsatz
materiell zu ermöglichen wird eine große Herausforde-
rung sein.

Für uns wird es darum gehen – das hat die Diskussion
mit afrikanischen Partnern gezeigt –, dass wir uns von
postkolonialen, paternalistischen Vorstellungen lösen,
dass wir unser Engagement Afrika gegenüber aufrechter-
halten, dass wir unsere begrenzten Ressourcen gemein-
sam mit unseren Partnern in Europa in den Punkten zum
Einsatz bringen, die ich angesprochen habe, dass wir eine
neue Partnerschaft „auf gleicher Augenhöhe“ zwischen
Europa und Afrika nicht nur formulieren, sondern auch
umsetzen und so eine regionale Stabilisierung auf diesem
Kontinent erreichen. Diese regionale Stabilisierung der
Sicherheitslage, diese regionale Stabilisierung der Ent-
wicklungsperspektive ist die Voraussetzung dafür, dass
Afrika im Zeitalter der Globalisierung nicht von der glo-
balen Entwicklung abgekoppelt wird. Dafür wollen wir
uns einsetzen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414322100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Karl-Heinz Hornhues.


Dr. Karl-Heinz Hornhues (CDU):
Rede ID: ID1414322200
Frau Präsi-
dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es ist das dritte Mal binnen
weniger als Jahresfrist, dass wir im Deutschen Bundestag
über Afrika sprechen, und das ist gut so. Jedenfalls mir ge-
fällt dies. Das ist eine gewisse Dichte, sie gibt auch die
Chance, das eine oder andere, was man beim letzten Mal
noch nicht sagen konnte, jetzt einzufügen und andere Ge-
danken fortzusetzen.




Bundesminister Joseph Fischer

14031


(C)



(D)



(A)



(B)


Das Einzige, was mich bei der Kontinuität unserer De-
batten ein wenig beschwert, ist die Tatsache, dass ihre Ba-
sis jeweils Anträge von Fraktionen waren, zu denen kein
Konsens gefunden werden konnte. Dies stimmt mich in-
soweit besorgt, als es gerade bei Themen, die nicht im
Mittelpunkt unserer Politik stehen, die alte Tradition gab,
wo immer es geht, den Konsens zu suchen.

Deswegen lassen Sie mich mit der Anmerkung begin-
nen, dass ich so ziemlich alles, was Sie, Herr Minister, ge-
sagt haben, und vieles, was in den vorliegenden Anträgen
steht, nicht sehr strittig finde. Nur, das wird uns nicht da-
ran hindern, dass wir, so wie Sie von der Koalition im letz-
ten Jahr unseren diesbezüglichen Antrag abgelehnt haben,
Ihren Antrag ablehnen. Denn Sie haben natürlich – ich
hätte beinahe gesagt: wie sich das gehört – ein paar Dinge
vergessen, die Ihnen nicht in den Kram passten und die ich
hier nicht nur pflichtgemäß benennen muss, sondern die
auch wichtig sind.

Denn angesichts all dessen, was hier festgestellt wor-
den ist, muss man fragen: Wie geschieht es denn? Herr
Außenminister, solange die Zahl unserer Botschaften in
Afrika nicht wieder wächst


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

und die personelle Ausstattung nicht größer wird, habe ich
Probleme hinsichtlich der Beantwortung der Frage, wie
ich das umsetze, was ich will.

Auch die markante Art und Weise im Antrag der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen, einen geschrumpften
Entwicklungshaushalt als umfangreich zu bezeichnen,
indem man zum Beispiel sagt: „Relativ gesehen sind die
Entwicklungen bei anderen Haushalten noch viel schlim-
mer gewesen“, ist nicht so, dass die Hoffnung besteht, mit
weniger garantiert mehr machen zu können.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Wo er Recht hat, hat er Recht!)


Ab und zu hat man mit mehr Mitteln eher eine Chance, et-
was zu erreichen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich habe damit die beiden wichtigsten Punkte genannt,

warum wir am Ende Ihren Antrag, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen,
ablehnen werden, obwohl in ihm eine ganze Menge Ver-
nünftiges enthalten ist. Vor allem die Aufforderungen an
die Bundesregierung sind zum Teil bemerkenswert. Ich
möchte vorschlagen, dass die F.D.P., Herr Kollege Irmer,
netterweise ihren Antrag nicht zur Abstimmung stellt,
sondern ihn in den entsprechenden Ausschuss überweisen
lässt. Dann kommt es in einigen Monaten zusammen mit
der Antwort der Bundesregierung auf ihre Große Anfrage
zu einer erneuten Afrikadebatte, anlässlich der wir eine
Zwischenbilanz ziehen und fragen könnten: Was ist nach
den Ankündigungen dessen, was man will, konkret ge-
schehen?


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Charly, machen wir doch!)


Ich wäre ausgesprochen dankbar, wenn dies so erfolgen
würde.


(Ulrich Irmer [F.D.P.]: Das machen wir!)


– Sie signalisieren Zustimmung; dann ist auch dieses Pro-
blem gelöst.


(Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])


Meine sehr geehrten Damen und Herren, in diesem
Hause haben wir uns wiederholt – dies tun wir auch
heute – den Kopf darüber zerbrochen, was wir tun kön-
nen, damit es in Afrika besser läuft; um es einmal auf
diese simple Formel zu bringen. Über die ganzen Jahre
hinweg hat sich bei mir der Eindruck festgesetzt: Das
Kernproblem in Afrika ist zunehmend und zentral – nicht
nur, aber eben auch – die Frage, ob es in Afrika selbst
genügend Menschen, Leiter und Lenker von Staaten, Po-
litiker und gesellschaftliche Eliten gibt, die ihre gesamte
Kraft darauf verwenden, dass es ihrem Volk und ihrem
Land und nicht nur ihnen als Person besser geht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn es so ist, dass darin eines der ganz großen Pro-

bleme Afrikas liegt – ich behaupte dies –, dann müssen
wir uns natürlich auch die Frage stellen, inwieweit wir
manche unserer Bemühungen vielleicht einmal überprü-
fen und uns auf die Bereiche Bildung und Ausbildung
konzentrieren sollten, die genau auf diese Führungseli-
ten – seien es nun Journalisten, Soldaten, Polizisten,
Richter oder Verwaltungsbeamte – zielen.

Angesichts dessen, dass ich von der Sache her Defi-
zitäres entdecke, ist mein Eindruck, dass wir uns manch-
mal ein wenig schüchtern benehmen im Hinblick auf die
Frage, was wir in diesem Zusammenhang einbringen
können. Man sollte unsere Vorstellungen nicht dorthin ex-
portieren, sie sind nicht perfekt; dies alles ist richtig. Aber
ich weiß manchmal auch nichts Besseres.

Deswegen, so glaube ich, ist es sinnvoll und gut, zu
prüfen, ob die Zahl der Stipendien des Deutschen Akade-
mischen Austauschdienstes sur place oder in Deutsch-
land, der Inhalt und die Art der Stipendien und vieles an-
dere mehr nicht tatsächlich stärker als bisher in den
Mittelpunkt gerückt werden sollten, damit wir in breites-
ter Front im Dialog mit denjenigen stehen, die künftig das
Schicksal ihrer Länder bestimmen. Wenn wir dies nicht
tun und auch wenn wir uns lange den Kopf zerbrechen
und viele gute Ideen haben, werden wir immer wieder an
den Realitäten scheitern, die von uns nicht gestaltet wer-
den wollen und sollen. – Dies ist mein Hauptpetitum.

Ein zweiter Aspekt: Die Entwicklung im Kongo ist für
uns ein Problem. Herr Außenminister, ich habe sehr wohl
vernommen, was Sie dazu ausgeführt haben. Ich finde
gut, was Sie gesagt haben. Ich hätte nur gerne ergänzend
gehört, was Sie schon getan haben. Denn in einer so kri-
tischen Situation geht es oft um Stunden. Gibt es einen
Kontakt mit unseren wichtigsten Bündnispartnern in Eu-
ropa? Ist mit den Amerikanern darüber gesprochen wor-
den, was sie eigentlich vorhaben? Oder ist es so, dass nie-
mand etwas vorhat?


(Joseph Fischer, Bundesminister: Im Moment gibt es eine neue Administration!)





Dr. Karl-Heinz Hornhues
14032


(C)



(D)



(A)



(B)


– Ich weiß. Aber auch Sie wissen, Herr Minister, dass un-
terhalb der Ebene des Präsidenten die Dinge weiterlaufen.


(Karl Lamers [CDU/CSU]: Er darf keine Zwischenrufe machen!)


Man könnte trotzdem telefonieren; ich wüsste schon ein
paar Telefonnummern.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ist mit dem
Beauftragten der Länder des südlichen Afrikas, dem
Preisträger der Deutschen Afrika-Stiftung, Masire, ge-
sprochen worden, der der Vermittler in diesem Konflikt
ist? Hat man ihm Unterstützung angeboten? Braucht er
Unterstützung in einer solch kritischen Situation? Meine
Bitte geht dahin, nicht nur zu bekunden, was wir wollen,
sondern auch die Frage zu beantworten: Was geschieht ei-
gentlich? Was tut man, hat man getan und gedenkt man
konkret zu tun?

Damit bin ich bei dem Stichwort, das auch Sie ge-
braucht haben: Europa. Ich bin froh, dass die F.D.P. zu-
gestimmt hat, den Antrag zu Europa in die Beratung zu
geben. Denn ich hätte manches zu kritisieren, manches
auch nicht zu kritisieren,


(Ulrich Irmer [F.D.P.]: Manches zu rühmen!)

einiges zur Not sogar zu rühmen, Herr Kollege Irmer –
wenn es denn unbedingt sein muss, tue ich auch dies –,
aber dieser Antrag gibt einem die Gelegenheit, das ge-
samte Thema Europa und Afrika noch einmal näher zu
erörtern. Denn es macht keinen Sinn zu sagen: In Europa
soll etwas geschehen, die sollen das einmal machen. Viel-
mehr müssen wir uns stärker fragen: Was können wir denn
tun? Was ist unser Input? Was müssen wir einbringen? Ich
nenne einige Beispiele.

Zwischen der Europäischen Union und Südafrika ist
ein Freihandelsabkommen geschlossen worden. Der Vor-
sitzende der Deutsch-Namibischen Gesellschaft hat uns
alle darauf aufmerksam gemacht, was passiert ist: Da mit
den Ländern, die mit Südafrika in einer Zollunion ver-
bunden sind, überhaupt nicht gesprochen worden ist, ste-
hen diese vor einem riesigen Ausfall an Staatseinnahmen.
Ihnen ist lediglich eine kleine Morgengabe als Ausgleich
versprochen worden. Es ist wichtig, dass wir bei all dem,
was wir in Afrika tun, bedenken, nicht nur mit Südafrika
zu reden, sondern auch die Nachbarn einzubeziehen.

Ich war in den letzten Tagen aus einem erfreulichen
Anlass in Afrika und habe dort zu meiner großen Freude
die Kollegin Eid als Vertreterin der Bundesregierung ge-
troffen, nämlich bei der Amtseinführung des Präsidenten
von Ghana, einem bemerkenswerten Vorgang, den ich
hier erwähnen möchte, da dies in einem Land geschah, in
dem ein Mann, der durchaus eine schillernde Figur war
und ist – Rawlings –, in einer Art und Weise abgetreten
ist – seine Partei hat ihn abwählen lassen – seine Ämter
übergeben hat, dass einem als überzeugter Demokrat bei-
nahe so etwas wie Freudentränen in die Augen steigen
konnte.


(Beifall bei der F.D.P.)

Dass die Kollegin Eid davon sehr angetan war, konnte ich
ihr nachfühlen – mir ging es genauso –, obwohl ich einige
Reihen hinter ihr gesessen habe.


(Heiterkeit)


– Aber nicht sehr weit, was aber am Auswärtigen Amt lag.
Das ist ein anderes Thema.


(Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es tat dir weh!)


– Nein, das tat mir nicht weh. Meine Sorge war, dass es
das Auswärtige Amt nicht schafft, die Bundesregierung in
der ersten Reihe zu platzieren. Das Problem habe ich dann
hinreichend mit gelöst.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich hier noch Folgendes sagen –: Wir neigen dazu, die
Bundesregierung anzusehen und dann Europa anzusehen.
Bei Europa war ich gerade stehen geblieben. In diesem
Zusammenhang geht es mir um Ghana. Ghana ist von
Ländern umgeben, die zur CFA-Zone gehören. CFA ist
verknüpft mit dem Euro. Was geschieht dort eigentlich
weiter? Sie wollen eine eigene Währung einführen. Wie
sollen sie das machen? Die Amerikaner sagen: Wir bilden
eine Dollar-Region mit Nigeria.

Es gibt also eine Reihe von Themen, von denen unter
Umständen die Bedeutung und die Entwicklung der De-
mokratie in diesen Ländern abhängen, die wir ins Blick-
feld nehmen müssen,


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


nicht nur Europa und nicht nur die Bundesregierung, son-
dern auch wir in diesem Hohen Hause.

Erfreulicherweise haben wir Parlamentariergruppen,
die sich mit Afrika beschäftigen, die die Kolleginnen und
Kollegen in Afrika besuchen und sie hierher einladen. Ich
glaube, es ist höchste Zeit, dass wir uns diesen Vorgang
einmal näher vor Augen führen; denn auch wir haben et-
was zu tun. Wenn wir mit Freude feststellen, dass sich im
Senegal, in Mali und jetzt in Ghana demokratische Struk-
turen entwickelt haben, dann muss man genau hinsehen.
Dann stellt man nämlich fest, dass manches noch ein
Stück Fassade ist, dass die Kolleginnen und Kollegen in
den dortigen Parlamenten davon träumen, auch nur an-
satzweise solche Arbeitsbedingungen zu haben wie wir.

Es stellt sich die Frage, warum ein Programm des
Deutschen Bundestages, Frau Präsidentin, das wir vor
vielen Jahren einmal gehabt haben, nicht fortgeführt wird,
in dessen Rahmen Beamte unserer Verwaltung zwecks
Unterstützung in afrikanische Parlamente geschickt und
Praktikanten aus diesen Parlamenten zu uns geholt wur-
den, um den Ländern auf diese Art und Weise, auch mit
technischer Ausstattung und einer Fülle von anderen Din-
gen sehr praktisch und konkret zu demonstrieren, dass wir
Parlamentarier ihr Schicksal als Parlamentarier positiv
begleiten.
Dies sollten wir tun, damit auch die Regierenden merken,
dass es Sinn macht, sich mit den Parlamenten in Europa
nicht wieder zu überwerfen, indem man der Verlockung
der Macht erliegt. Ich habe nämlich bisher nirgendwo in
Afrika erkennen können, dass die Demokratie so gefestigt
ist, dass man sich in Ruhe zurücklehnen könnte.




Dr. Karl-Heinz Hornhues

14033


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich glaube, auch wir als Parlament haben Anlass ge-
nug, darüber nachzudenken, was wir besser machen kön-
nen. Ich lade Sie ein, das gemeinsam zu tun.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414322300
Das Wort hat
jetzt die Frau Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-
Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus dem,
was die beiden Vorredner gesagt haben, ist schon deutlich
geworden, dass es auf dem afrikanischen Kontinent eine
Vielzahl unterschiedlicher Entwicklungen gibt. Der
Kongo allein ist nicht Afrika. Afrika ist auch nicht einfach
nur der Krisenkontinent. Es gibt auch Länder – ich bin
Herrn Hornhues dankbar, dass er das eben angesprochen
hat –, die weit weniger reich ausgestattet sind als zum Bei-
spiel der Kongo, die also weit ärmer sind, die aber trotz-
dem zu innerem Frieden, Stabilität, Demokratie und
Entwicklungsperspektiven gefunden haben.

Sie haben den friedlichen Machtwechsel in Ghana ge-
nannt. Das gibt Hoffnung, und das gilt auch für Länder
wie Südafrika – bei allen Schwierigkeiten –, Mali, Sene-
gal und Botswana. Dies macht deutlich, dass ein Weg in
Richtung einer demokratisch fundierten Entwicklung ein-
geschlagen worden ist. Auch das ist Afrika. Das ermutigt
uns als Entwicklungsministerium und als Bundesregie-
rung, die Zusammenarbeit mit diesen Ländern und diesem
Kontinent noch besser zu gestalten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Afrika ist und wird in diesem Jahr sowie in den nächs-
ten Jahren der Kontinent sein, bei dem wir einen beson-
deren Schwerpunkt unserer Entwicklungszusammen-
arbeit setzen, den wir besonders fördern. Die Erhöhung
des Entwicklungshaushaltes um 325 Millionen DM im
Jahr 2001 kommt zum großen Teil dem afrikanischen
Kontinent zugute. So stocken wir zum Beispiel die Mittel
für die Bekämpfung von Aids, für die Entwicklung im Be-
reich erneuerbarer Energien und Klimaschutz, aber auch
für die Förderung lokaler Informationszentren – Stich-
wort „Verknüpfung bei IT und verhindern, dass ein ganzer
Kontinent von den Informationstechnologien abgehängt
wird“ – auf.

Mittlerweile geht nach Afrika – früher lag Asien an der
Spitze – der größte Teil der Mittel für die bilaterale Ent-
wicklungszusammenarbeit, und zwar gehen nach Afrika
südlich der Sahara rund 30 Prozent. Der Kontinent Afrika
insgesamt bekommt 42 Prozent der gesamten Mittel für
die Entwicklungszusammenarbeit. Hier werden die
Schwerpunkte deutlich. Wir werden in diesem Jahr rund
800 Millionen DM im Rahmen der bilateralen Entwick-
lungszusammenarbeit für Afrika südlich der Sahara ein-

setzen. Der Betrag für den gesamten Kontinent beläuft
sich auf rund 1 Milliarde DM.

Ich möchte an dieser Stelle einmal sagen, dass wir hin-
sichtlich der Frage, wie wir zu den Menschen in Afrika
stehen, nicht nur hehre Afrikadebatten führen sollten,
sondern dass sich dies auch im praktischen Denken und
Handeln auswirken muss. Unter diesem Gesichtspunkt
halte ich den Vorschlag von Herrn Glos, das Fleisch der
400 000 Rinder in arme Entwicklungsländer zu exportie-
ren, für absolut zynisch und auch für menschenverach-
tend.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Ich finde es unglaublich, dass man den Menschen in
Afrika das Fleisch liefern will, das wir unseren Verbrau-
chern zu Recht – das sage ich ausdrücklich – nicht zumu-
ten wollen.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Das ist eine unfaire Verkürzung! – Zuruf von der SPD: Und die afrikanische Wirtschaft kaputtmacht!)


Wie helfen wir Afrika? Der Kollege Fischer hat es an-
gesprochen: Die Entschuldungsinitiative greift. Ende
2000 ist die Entschuldung für 22 der ärmsten Entwick-
lungsländer beschlossen worden. 18 dieser Länder liegen
in Afrika. Die Entlastung insgesamt für die Staatshaus-
halte dieser 18 Länder beträgt rund 25 Milliarden US-
Dollar, und zwar nur die erlassenen Schulden gegenüber
der Weltbank.

Die Entschuldung und Entlastung – das ist mir wich-
tig – wirkt im Übrigen nicht nur mittel- und langfristig,
wie häufig gesagt wird, sondern sie wirkt sofort, schon in
diesem Jahr. Es war der Sinn der HIPC-Initiative, nicht
sechs Jahre zu warten, bis alle Programme durchgeführt
sind, sondern im Gegenzug zur Armutsbekämpfung eine
Entlastung sofort spürbar zu machen.

Ich möchte an dieser Stelle eine Zahl nennen, die be-
deutend ist: Für die afrikanischen Länder heißt dies im
Jahr 2001, dass sie 1 Milliarde US-Dollar real an Schul-
denerlass haben und diesen Betrag für die Bekämpfung
der Armut einsetzen können. Das ist eine zusätzliche
Maßnahme zu dem, was wir bilateral machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein Land wie Burkina Faso, um nur ein Beispiel zu nen-
nen, wird eine Entlastung von 37Millionen US-Dollar ha-
ben. Das ist durch Entwicklungszusammenarbeit allein
nicht zu erreichen.

Es gibt ein Thema, das ich für sehr bedenklich halte
und das ich in mehreren Reden und Debatten bereits an-
gesprochen habe. Es geht um die drastische Verschlech-
terung der Terms of Trade für die afrikanischen Länder
im Jahr 2000. Sie sind von den damals hohen Ölpreisen
und von einem drastischen Verfall der Rohstoffpreise be-
troffen. Für die afrikanischen Länder, für die Daten vor-
liegen – diese Zahl muss man sich einmal vorstellen –,




Dr. Karl-Heinz Hornhues
14034


(C)



(D)



(A)



(B)


ergibt sich allein im Jahr 2000 ein aggregierter Verlust von
5,4 Milliarden US-Dollar.

Deshalb hatten wir dieses Thema bei der Jahrestagung
der Weltbank im September letzten Jahres auf die Tages-
ordnung gesetzt. Wir haben mit unserem Drängen durch-
gesetzt, dass es Sonderhilfen für diese besonders von den
Schocks durch die Terms of Trade betroffenen Entwick-
lungsländer – darunter besonders die afrikanischen Län-
der – geben wird.

Daraus wird aber auch ein anderes Thema ersichtlich.
Die Entschuldung der Entwicklungsländer und auch die
bilaterale Entwicklungszusammenarbeit sind zwar sehr
wichtig. Ich bin sehr dafür, dass die Mittel dafür weiter er-
höht werden. Aber noch viel wichtiger ist es, die Terms of
Trade zugunsten der afrikanischen Länder grundsätzlich
und dauerhaft zu verbessern; sonst wird es ein Wettlauf,
den die afrikanischen Länder immer verlieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das heißt, ihnen die Chance zu geben, ihre eigene
Landwirtschaft zu entwickeln und sich aus der Rolle der
bloßen Rohstoffproduzenten und Rohstoffexporteure he-
rausarbeiten zu können. Rund 70 Prozent aller afrikani-
schen Länder sind nach wie vor Rohstoffexporteure. Nur
dann, wenn sie sich von dieser Rolle befreien und auch
verarbeitete Produkte absetzen können, können sie mehr
Einkommen für ihre Länder erzielen und bessere Anteile
am Weltmarkt und am Welthandel erreichen.

Deshalb gilt – ich werde das so lange betonen, bis es zu
Veränderungen kommt –: Wir müssen dazu beitragen – wir
als Bundesregierung für das, aber auch alle anderen EU-
Länder müssen es tun –, dass vor allem den ärmsten Ent-
wicklungsländern ein freier Zugang ohne Zölle und Quo-
ten zu den Märkten der Industrieländer gewährleistet
wird, damit sie auch Einkommen erzielen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Carsten Hübner [PDS])


Sie sollen die Armut in ihren Ländern bekämpfen. Aber
dazu brauchen sie Wachstum und wirtschaftliche Ent-
wicklung.

Besonders pervers finde ich, dass wir, die Industrielän-
der, immer noch das Prinzip der so genannten Tarifeska-
lation praktizieren. Das heißt, je verarbeiteter ein Produkt
ist, desto höher die Zölle. Das hat zur Folge, dass wir die
Entwicklungsländer nach wie vor in die Rolle von Roh-
stoffexporteuren zwingen. Ohne eine Veränderung wird
sich nichts Grundsätzliches an der schwierigen und
schlechten Ausgangsposition afrikanischer Länder än-
dern.

Die Bundesregierung fordert deshalb die EU-Kommis-
sion auf, die Entscheidung über den ursprünglichen Vor-
schlag von Kommissar Lamy, der den 48 ärmsten Ent-
wicklungsländern freien Zugang zu den EU-Märkten
eröffnen wollte, endlich unverändert herbeizuführen und
nicht zu verzögern. Die Angelegenheit sollte ursprünglich
im Dezember entschieden werden, ist aber bis zum heuti-
gen Tage nicht entschieden. Vor allen Dingen fordere ich
die EU-Kommission auf, nicht dem Druck der Zuckerin-

dustrie – darum geht es – nachzugeben und den ursprüng-
lichen Vorschlag, den die EU-Kommission vorgelegt hat,
nicht zu verwässern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn wir diesen Vorschlag verwirklichen, ist das ein
Beitrag zur Veränderung der Terms of Trade zugunsten
der afrikanischen Entwicklungsländer. Die Bundesregie-
rung wird sich in diesem Sinne – wie sie es auch bisher
getan hat – im Ministerrat der Europäischen Union ver-
halten.

Ich danke Ihnen sehr herzlich.

(Beifall bei der SPD und dm BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414322400
Das Wort hat
jetzt der Kollege Ulrich Irmer.


Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1414322500
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Lassen Sie mich zunächst sagen, dass wir
dem Antrag der Koalition nicht ablehnend gegenüber tre-
ten werden, weil wir erkennen, dass in einigen Punkten
des Antrags Substanz enthalten ist, mit der wir uns ein-
verstanden erklären können, obwohl wir ihn insgesamt
für nicht besonders erhellend halten. Kollege Tappe sagte
mir gestern auf dem Rückweg vom Auswärtigen Aus-
schuss – was heute auch Kollege Hornhues gesagt hat –,
dass wir in der Sache gar nicht so weit voneinander ent-
fernt sind und dass es manchmal nur Formalien sind, über
die wir uns streiten. Da müsste es doch möglich sein dazu
zu kommen, dass das ganze Haus ein Konzept formuliert,
das wir uns als Afrikapolitik des Bundestages vorstellen.
Wir stellen deshalb unseren eigenen Antrag heute nicht
zur Abstimmung, sondern bitten um Überweisung.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich hoffe, dass die Zeit die Koalitionsfraktionen etwas
mehr Klugheit lehrt und sie dazu bringen wird, nach eini-
gen Umformulierungen, über die wir mit uns gerne wer-
den reden lassen, dem Antrag vielleicht noch zuzustim-
men.

Nachdem ich gehört habe, was der Außenminister hier
gesagt hat, muss ich feststellen, dass die Afrikapolitik
der Bundesregierung – wie viele andere Politikberei-
che – durch drei Elemente gekennzeichnet ist: Erstens, es
besteht durchaus ein guter Wille; zweitens, es werden
viele schöne Worte gemacht; aber es ist drittens wenig bis
gar keine Substanz vorhanden.

„Die Zeit“ hat im März letzten Jahres Folgendes zu Pa-
pier gebracht:

Ob finanziell, technisch oder kulturell – überall ist
das Engagement der neuen Regierung im Vergleich
zu ihrer konservativen Vorgängerin deutlich zurück-
gegangen. Da werden Finanzhilfen eingefroren, Bot-
schaften aufgelöst und Goethe-Institute geschlossen,
als würden südlich der Sahara demnächst die Lichter
ausgehen.




Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul

14035


(C)



(D)



(A)



(B)


Das war voriges Jahr und diese Bemerkungen sind vor
dem Hintergrund zu verstehen, dass damals der Bundes-
außenminister seine geplante Afrikareise wegen Parteiter-
minen mehrfach hatte verschieben müssen. Das kann vor-
kommen und ich zolle dem durchaus Respekt. Sie haben
ja dann die Reise gemacht und sind bis heute mächtig
stolz darauf. Sie waren aber bei dieser Reise in drei Bil-
derbuchländern, nämlich – Sie haben es eben erwähnt – in
Nigeria, Mosambik und Südafrika. Zu diesem Thema hat
„Die Welt“ eine schöne Formulierung gebracht:

Endlich unterwegs gelang ihm das Kunststück, die
eigentlichen Krisenherde weiträumig zu umfliegen.
Das Afrika der Kriege und Krisen blieb unberück-
sichtigt.

Sie haben das später nachgeholt, indem Sie Stippvisi-
ten in drei Krisenländern gemacht haben. Das hat jetzt
Peter Scholl-Latour sehr schön kommentiert. Ich habe mir
das einmal herausgesucht. Er hat seinen Artikel mit „Die
seltsame Gorilla-Safari des Joschka Fischer“ überschrie-
ben. Er schrieb weiter, was der deutsche Außenminister
bei den Diktatoren in Angola, Burundi und Ruanda ei-
gentlich wollte, sei schwer ersichtlich. Die „Frankfurter
Rundschau“ hat das auf die Formel gebracht:

Worthülsen in Burundi und Gorillabeobachtung in
Ruanda.

Die Gorillabeobachtung sei ihm gegönnt; ich habe sie
noch nicht gesehen und hätte ihnen auch gern „Grüß
Gott!“ gesagt. Aber, Herr Außenminister, auf der Bot-
schafterkonferenz im letzten Herbst haben Sie plötzlich
erkannt, dass die Gesamtkonzeption des Afrikakonzeptes
nicht mehr zeitgemäß ist. Sie haben das heute wiederholt
und ausgeführt, man müsste zu regionalen Ansätzen kom-
men. Davon habe ich jedoch noch gar nichts gehört, das
blieb eine reine Ankündigung. Der Antrag, den die Koali-
tion jetzt vorgelegt hat, spart den Aspekt des regionalen
Ansatzes völlig aus. In diesem Antrag ist davon überhaupt
keine Rede mehr.


(Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Dann haben Sie ihn nicht gelesen!)


– Ich habe ihn sogar dreimal gelesen. Es war zwar eine
Qual, ihn zu lesen, aber ich habe mir das angetan. Es ist
alles inkohärent. Es wird nicht gesagt, was jetzt substan-
ziell geschehen soll.

Wir sind der Meinung, dass sich die Deutschen oh-
nehin übernehmen würden, wenn sie alleine nach Afrika
marschieren wollten und sagen würden: Wir helfen euch
jetzt bei der Lösung eurer Probleme. Wozu haben wir die
Europäische Union, wozu haben wir das Instrument der
Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der ge-
meinsamen Strategien in den Verträgen verankert? Wel-
cher Kontinent böte sich – Herr Fischer, Sie selbst haben
das erwähnt – aufgrund seiner Historie und aufgrund un-
serer besonderen Verantwortung mehr als Afrika dafür an,
eine gemeinsame Strategie zu entwickeln?

Ich bitte, das jetzt nicht falsch zu verstehen. Wir plä-
dieren keineswegs dafür, die bilaterale Entwicklungszu-
sammenarbeit einzustellen und auf Europa zu übertragen.
Das würde zum einen nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip

in Einklang stehen und zum anderen nicht unbedingt hilf-
reich bei dem Versuch sein, die Koordinierung des viel-
fältigen Nebeneinanders der Institutionen, die in Afrika
tätig sind, zu verbessern. Es gibt ohnehin ein Gestrüpp
von zu vielen Organisationen, auch von Regierungsorga-
nisationen sowie europäischen und bilateralen Institutio-
nen, die in diesem Bereich tätig sind. Diese kommen sich
zum Teil in die Quere und konterkarieren sich bei ihrer Ar-
beit zum Teil gegenseitig. Es wäre dringend erforderlich,
dieses Gestrüpp zu durchforsten.

Wir müssen vor allem auf einem bestehen. Die finan-
zielle Entwicklungszusammenarbeit, die im Rahmen des
Europäischen Entwicklungsfonds geleistet wird, krankt
an zwei Dingen: Zum einen wird sie von Nationen wie
insbesondere Frankreich und Großbritannien beherrscht,
die bei der Vergabe der finanziellen Mittel vor allem die
Entwicklungsländer berücksichtigen, die in Form von
Aufträgen an französische und englische Firmen für fi-
nanzielle Rückflüsse sorgen. Deutschland schneidet bei
der Vergabe solcher Aufträge weit unterproportional ab.
Ich bitte die Bundesregierung, auf europäischer Ebene
dafür zu sorgen, dass diesem Missstand abgeholfen wird.
Aus deutschen Kassen werden annähernd 30 Prozent der
Mittel des Europäischen Entwicklungsfonds gezahlt. Das,
was an deutsche Firmen zurückfließt, ist wenig genug.
Das ist zwar nicht der eigentliche Zweck der Entwick-
lungszusammenarbeit, aber es ist ein Nebenprodukt, das
zum Teil für die Akzeptanz des deutschen Steuerzahlers
wichtig ist.

Außerdem plädieren wir seit langem dafür, dass die
Mittel für den Europäischen Entwicklungsfonds in den
Haushalt der Europäischen Union eingestellt werden, da-
mit auch hier endlich eine parlamentarische Kontrolle ge-
währleistet ist.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414322600
Herr Kollege
Irmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Hedrich?


Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1414322700
Ja, sehr gern.


Klaus-Jürgen Hedrich (CDU):
Rede ID: ID1414322800
Herr Kollege
Irmer, ist Ihnen zufälligerweise bekannt, dass das Euro-
päische Parlament schon jetzt nicht bei den Mitteln seiner
parlamentarischen Kontrolle nachkommt, deren Verwen-
dung es eigentlich kontrollieren könnte? So liegen zum
Beispiel im EU-Haushalt 14,6 Milliarden Euro – ich wie-
derhole: Euro – auf Halde und Mittel in Höhe von
6,3 Milliarden Euro bei der Europäischen Union, die aus
dem Europäischen Entwicklungsfonds stammen. Das
sind insgesamt ungefähr 40 Milliarden DM. Wäre es vor
diesem Hintergrund nicht eher angemessen, zu fordern,
dass das Europäische Parlament erst einmal die Kontrolle
über die Mittel ausüben sollte, für die es schon jetzt zu-
ständig ist, anstatt zu verlangen, dass das Europäische
Parlament einen weiteren Zuständigkeitsbereich kontrol-
lieren soll, was es wahrscheinlich auch nicht kann? Sind
Ihnen die eben genannten Zahlen bekannt?




Ulrich Irmer
14036


(C)



(D)



(A)



(B)



Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1414322900
Diese Zahlen waren mir im Ein-
zelnen nicht bekannt. Aber das generelle Problem ist mir
natürlich bekannt. Das Problem liegt wohl darin, dass die
Europäische Kommission das Geld nicht zur Verfügung
stellt. Es gibt ja einen alten Streit zwischen Europäischer
Kommission und Europäischem Parlament. Die Kommis-
sion behauptet immer, dass sie nur Geld ausgeben dürfe,
wenn eine entsprechende Verordnung vom Ministerrat
vorliege. Wenn es eine solche Verordnung nicht gibt, dann
kann das Europäische Parlament im Grunde gar nichts
tun. Aber das ändert nichts an der grundlegenden Berech-
tigung meiner Uraltforderung, dass der Europäische Ent-
wicklungsfonds in den Haushalt der Europäischen Union
überführt werden muss.

Im Übrigen übt das Europäische Parlament über die
Haushaltskontrolle sehr wohl auch Kontrolle über die
Ausgaben des Europäischen Entwicklungsfonds aus. Es
ist ja nicht so, dass diese Ausgaben am Europäischen Par-
lament vorbeiliefen. Die Ausgaben des Europäischen Ent-
wicklungsfonds werden zwar nicht im Rahmen des Haus-
haltsbewilligungsverfahrens, sehr wohl aber im Rahmen
des Haushaltskontrollverfahrens überwacht. Es besteht
zum Beispiel die Möglichkeit, dass der Kommission die
Entlastung verweigert wird, wenn die Mittel, die im all-
gemeinen Haushalt für den Fonds zur Verfügung stehen,
nicht ordnungsgemäß bewirtschaftet werden.

Lassen Sie mich noch eines sagen: Die Europäische
Union hat die einmalige Chance, durch vielfältige kultu-
relle Kontakte einen besonderen Zugang zu den einzelnen
Regionen in Afrika zu bekommen. Natürlich ist die kolo-
niale Vergangenheit keineswegs glorios und nicht immer
durch Freundschaft und positive Entwicklungen gekenn-
zeichnet. Aber es gibt doch vielfältige starke Bindungen.
Wir Deutsche können uns glücklich preisen, dass wir un-
sere Kolonien sehr frühzeitig verloren haben, sodass wir
weniger als manche andere belastet sind. Mir ist bei dem
Gedanken nicht wohl, dass manche Länder, wie Frank-
reich, ihre ehemaligen Kolonien nach wie vor als Chasse
gardée betrachten.

Insgesamt kann die Europäische Union mehr als ein-
zelne Länder tun. Afrikapolitik wäre deshalb ein klassi-
sches Betätigungsfeld im Hinblick auf die Entwicklung
einer gemeinsamen europäischen Strategie gegenüber un-
serem Nachbarkontinent, von dem ich mich nach wie vor
weigere anzuerkennen, dass es nur ein Katastrophenkon-
tinent sei. Gerade das menschliche Potenzial in Afrika
gibt Hoffnung, dass wir dort eines Tages eine positive
Entwicklung erleben werden.

Danke schön.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414323000
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Carsten Hübner


Carsten Hübner (PDS):
Rede ID: ID1414323100
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Die zum Teil erschütternde Da-
tenlage zu Afrika, etwa die Zahl der Armen, der Flüchtlinge,
der Aidskranken oder die Zahlen zur Kindersterblichkeit, ist

hier bereits genannt worden oder sie ist allgemein bekannt.
Auch über die sozioökonomischen Rahmenbedingungen
macht sich zumindest in diesem Haus, so hoffe ich jeden-
falls, niemand Illusionen. Auch sie sind dramatisch. Ich
werde das alles hier nicht wiederholen.

Ich will aber sagen, dass diese Situation – man tut ja
gern so – nicht vom Himmel gefallen ist, sondern ganz
konkrete Verursacher hat. Ein großer Teil der Verant-
wortung für das Elend in Afrika ist nun einmal bei uns
zu finden. Er ist in einer ungerechten Weltwirtschaftsord-
nung, deren Profiteure wir sind, zu finden. Er ist in den
Folgen des Kolonialismus und einer nachkolonialen Ord-
nung zu finden, die Afrika, wenn es denn überhaupt wahr-
genommen wird, als Lieferant billiger Rohstoffe begreift,
als Region, der die Aufgabe zugewiesen wird, die hoch
entwickelten Ökonomien des Nordens mit all jenen Ba-
sisgütern zu versorgen, die hier weiterverarbeitet und
konsumiert werden und die einen nicht unerheblichen Teil
unseres Lebensstandards ausmachen.

Dafür werden nicht nur schlechte Preise gezahlt, son-
dern auch der Regenwald zerstört, mit Monokulturen wird
die Desertifikation, die Wüstenbildung, beschleunigt,
dafür werden in den Ölförderregionen das Lebensumfeld
der Menschen und die Umwelt verseucht oder es wird – man
denke an die Diamanten – zumindest billigend in Kauf ge-
nommen, dass sich daran verheerende Bürgerkriege ent-
zünden.

Ich frage Sie: Wie lange hat es gedauert, bis endlich
über die so genannten Blutdiamanten ernsthaft nachge-
dacht wurde und erste Gegenmaßnahmen eingeleitet wur-
den? Noch immer stehen die Agrarmärkte des Nordens
unter massiver Protektion und sind für die Staaten des Sü-
dens kaum geöffnet, während unsere Politiker durch die
Welt reisen und die Vorzüge des Freihandels predigen.
Wer diese Verantwortung verschweigt oder übergeht, der
kann keine wirklichen Lösungen und Lösungswege auf-
tun.


(Beifall bei der PDS)

Aber – dazu müssen ebenfalls klare Worte gesagt wer-

den – auch die politischen und ökonomischen Eliten Afri-
kas haben in den vergangenen Jahrzehnten oftmals nicht
das gehalten, was sie im Zuge der Dekolonisation ver-
sprochen haben. Menschenrechtsverletzungen, man-
gelnde Demokratie, soziale Ungleichheit, Korruption und
gnadenlose Bereicherung sind Missstände, die auch darin
ihre Ursachen haben und die nicht selten dazu beigetragen
haben, dass sowohl die Ökonomien des Nordens als auch
die afrikanischen Eliten vom natürlichen Reichtum dieser
Länder profitierten, während breite Bevölkerungsschich-
ten mehr und mehr im Elend versinken. Auch das muss
benannt werden. Wir müssen uns fragen lassen, wer in der
Vergangenheit eigentlich unsere Partner waren, wer die
Partner deutscher und europäischer Unternehmen waren
und noch immer sind.

Selbst wenn die PDS-Fraktion die Eingangsthese des
F.D.P.-Antrags teilt, dass ein so genannter Afropessimis-
mus – diesen Ausdruck habe ich vorher noch nie
gehört – nicht angesagt ist – allein schon deshalb nicht,
weil es sehr viel Optimismus und Tatendrang verlangt,






(C)



(D)



(A)



(B)


endlich zu nachhaltigen Maßnahmen zur Stabilisierung und
zur strukturellen Verbesserung der Lebensbedingungen
der Menschen in Afrika zu kommen –, können wir dem
Antrag in seiner gegenwärtigen Form aus vielerlei Grün-
den nicht zustimmen; vielmehr müssen wir ihn ablehnen.

Ich nenne nur einen Grund: Zum einen verlangt die
F.D.P.-Fraktion eine Steigerung der öffentlichen Mittel im
Bereich EZ, zumal mit Blick auf Afrika. Zum anderen sol-
len wiederum die Mobilisierung privaten Kapitals in der
Entwicklungsfinanzierung Vorrang haben und der öffent-
liche Anteil an ihr reduziert werden. Zum Dritten schließ-
lich sind Sie der Überzeugung, Freihandel und Investitio-
nen seien wirkungsvoller als die gesamte öffentliche EZ.
Das alles, liebe Kolleginnen und Kollegen, steht in ein
und demselben Antrag und macht deutlich, dass er entwe-
der mit heißer Nadel gestrickt ist oder Ihre Konzeption
schlichtweg nicht kohärent ist. Mit unseren Vorstellungen
von nachhaltiger und sozial wie ökonomisch sinnvoller
Entwicklungskooperation hat er an dieser wie an vielen
anderen Stellen jedenfalls nichts gemein. Wir werden das
im Ausschuss noch beraten.

Dem Antrag der Regierungskoalition werden wir aller-
dings auch nicht zustimmen, sondern uns enthalten. Da-
bei sage ich deutlich, dass ich viele der Ansätze und
Forderungen grundsätzlich teile. Aber von den Regie-
rungsfraktionen erwarte ich einfach, dass ihre Anträge
auf klare, abrechenbare Projekte und Schritte abzielen.
Ansonsten erwecken sie schnell den Eindruck von Nebel-
kerzen.

Nur ein Beispiel: Sie erklären unter Ziffer III 1 e), es
komme „der Unterstützung von Frauen herausragende
Bedeutung zu“. Ich teile dies; das habe ich hier bereits
mehrfach gesagt. Aber statt diesen Ansatz auch program-
matisch umzusetzen, durfte ich mir in den Haushaltsde-
batten von Ihrer Seite anhören, Frauenförderung sei eine
Querschnittsaufgabe. Unser Haushaltsantrag auf Einstel-
lung gesonderter EZ-Mittel zur Frauenförderung wurde
demgemäß abgelehnt. Wie – das interessiert mich nun
aber wirklich – soll jetzt die Ziffer III 1 e) konkret pro-
jektiert und so umgesetzt werden, dass dieser Antrag qua-
litativ etwas Neues befördert? Mit welchen Programmen
und Mitteln?

Aufgrund der Zeit will ich jetzt keine weiteren Bei-
spiele ausführlich darstellen, etwa was den Umgang mit EZ-
Mitteln als beliebtes Sanktionsinstrument anbetrifft – auch
das kommt in diesem Antrag leider wieder vor –, während
Wirtschafts- und militärische Zusammenarbeit im Falle von
Demokratiedefiziten eher nicht zur Disposition gestellt
werden. Daher erwähne ich zum Abschluss nur noch das,
was ich in diesem Antrag erwartet hätte.

Eine konkrete Position wäre zum Beispiel gewesen,
mit Südafrika in Verhandlungen über die unsäglichen
Apartheidschulden zu treten oder einen Erlass dieser
Schulden zu fordern.


(Beifall bei der PDS)

Eine konkrete Position wäre gewesen, den Schuldener-

lass insgesamt mit neuen Zielgrößen zu versehen. Eine
konkrete Position wäre gewesen, in der Aids-Problematik
Name, Hausnummer und konkrete Vorhaben inklusive ih-

rer Finanzierung zu benennen. Eine konkrete Position wäre
auch gewesen, zu erklären, wie und in welchem Zeitrahmen
der Europäische Entwicklungsfonds reformiert werden soll
und wann endlich die Milliarden abfließen werden, die dort
aufgelaufen sind. Was – das frage ich Sie – unterscheidet die-
sen Antrag von dem, was Sie bisher auch schon als Regie-
rungswollen und -handeln verkündet haben? Wo liegt das qua-
litativ Neue und wie soll es konkret umgesetzt werden?

Ein Letztes: Der Außenminister hat mit eindringlichen
Worten darauf hingewiesen, dass die Situation im Kongo
nicht nur insgesamt äußert kompliziert und schwierig ist,
sondern durch die Ereignisse der letzten Tage noch kom-
plizierter geworden ist. Ich bitte die Bundesregierung, vor
diesem Hintergrund auf Abschiebungen in den Kongo zu
verzichten.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414323200
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Werner Schuster.


Dr. R. Werner Schuster (SPD):
Rede ID: ID1414323300
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Antrag lautet
„Afrikas Entwicklung unterstützen“ und macht damit
schon in der Überschrift deutlich, dass die Priorität im
Hinblick auf konkrete Arbeit bei den Afrikanern liegt. Aus
Zeitgründen fasse ich meinen Beitrag in sieben kurzen
Thesen zusammen.

Erstens. Das christliche Abendland hat ein gerütteltes
Maß Schuld an der derzeitigen Situation in Afrika. Die
Kolonialzeit hat nationalstaatliche Grenzen geschaffen,
die heute für manche Bürgerkriege auf einem Kontinent,
auf dem es vordem keine Grenzen gab, mit verantwortlich
sind. Wir haben viele afrikanische Staaten völlig unvor-
bereitet in ihre Unabhängigkeit entlassen. Stellen Sie sich
einmal vor, wir hätten es mit der ehemaligen DDR ähnlich
gemacht! Afrika war im Kalten Krieg ein Spielball. In
Afrika finden Sie vermehrt und inzwischen öffentlich
Spuren von schmutzigen Händen von Europäern. Ich er-
innere hier nur an Mitterrand junior.

Wirtschaftliche Interessen haben alles überlagert. Es
ist kein Zufall, dass Öl und Diamanten den betroffenen
Ländern Nigeria, Angola oder Zaire kein Glück gebracht
haben.

Im Übrigen bieten wir Europäer unseren afrikanischen
Freunden mit unserem Konsumverhalten ein schlechtes
Vorbild. Die Afrikaner werden so stark fremdbestimmt,
dass ich mich manchmal frage, ob wir den Afrikanern
überhaupt eine realistische Chance einräumen wollen,
ihren eigenen Weg zu finden.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)

Zweite These. Wir im Norden wollen grundsätzlich po-

sitive Meldungen aus Afrika schlicht nicht wahrnehmen.
In meinem Geburtsland Tansania fanden Wahlen statt, in-
ternational beobachtet, fair und frei. Berichtet wurde nicht
über die Wahlen, sondern nur über den Kladderadatsch in
Sansibar, der nur einen Bruchteil der Menschen betrifft.




Carsten Hübner
14038


(C)



(D)



(A)



(B)


Letzte Woche wurde die ostafrikanische Wirtschafts-
gemeinschaft gegründet. Das war ein schwieriger, aber
entscheidender Schritt in der Region. Haben Sie viel da-
rüber gelesen?

In Ghana fand ein Machtwechsel statt, der um Größen-
ordnungen demokratischer ablief als der in den USA. Ich
habe es so formuliert: Ghana schlägt Florida.

These drei. Es gibt nicht ein Afrika, sondern es gibt
48 Staaten plus 5 Maghrebstaaten. Also brauchen wir dif-
ferenzierte Länderstrategien. Da sind wir auf einem
guten Weg. Ich teile nicht den Afropessimismus dieser
Memorandumgruppe, die die Hälfte dieser 48 Staaten
schlicht abschreibt und sagt: Null Entwicklungschancen!
Das würde ich als Arzt nicht einmal kranken Patienten ge-
genüber sagen, weil sie dann keinen Lebensmut mehr hät-
ten.

Richtig ist, dass sich diese 48 Staaten mit unterschied-
lichen Geschwindigkeiten entwickeln. Das kennen wir
aus Europa. Richtig ist auch, dass viele Anträge von
CDU/CSU, F.D.P. und der Regierungskoalition inhaltlich
meistens übereinstimmen. Wir haben also kein Defizit bei
den Konzepten, sondern wir haben ein Umsetzungsdefi-
zit. Herr Hornhues, wir haben Ihnen im Entwicklungsaus-
schuss angeboten, einen gemeinsamen Antrag zu machen.
Ich selbst habe acht Jahre lang das bittere Brot essen und
unsere eigenen Anträge abschwächen müssen, weil eine
Regierungskoalition manche Unverschämtheiten einer
Opposition eben nicht übernehmen kann. Es liegt also an
Ihnen. Wir reichen Ihnen die Hand.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

These vier. Wichtigstes Ziel muss eine europäische

Afrikapolitik sein. Deutschland allein, Herr Minister, ist
vorhersehbar überfordert. Aber die 15 plus 1 stellen etwas
dar. Also brauchen wir gemeinsame Länderstrategie-
konzepte und eine Arbeitsteilung. Nicht jedes europäische
Land muss für jedes afrikanische Land das Gleiche tun.
Wir brauchen Koordination und Kooperation.

Auf nationaler Exekutivebene gibt es so etwas wie ei-
nen Ministerrat. Ich frage mich, Herr Hedrich: Warum
gibt es eigentlich auf parlamentarischer Ebene kein Äqui-
valent, zum Beispiel ein parlamentarisches Forum aus
Afrikaexperten der jeweiligen Nationalparlamente und
des Europaparlaments, um gemeinsam zu eruieren, wie
man zu abgestimmten Konzepten kommt?

These fünf. Afrikapolitik, Frau Ministerin, bleibt auf
lange Sicht die Domäne der Entwicklungspolitik, auch
wenn die Entwicklungspolitik – das ist bitter – lernen
muss, bescheidener zu sein. Das heißt aber vor allem:
Förderung der Zivilgesellschaft. Ohne Zivilgesellschaft
gibt es keine stabilen demokratischen Gesellschaften in
Afrika.


(Beifall bei der SPD)

Das heißt zweitens, Konfliktprävention. Das heißt drit-
tens: politisch und ökonomisch innerafrikanische regio-
nale Kooperationen. Das heißt viertens: Die Nothilfe
muss in eine nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit
überführt werden und darf nicht isoliert betrachtet wer-
den. Ich glaube, Frau Ministerin, dass wir beim nächsten

Haushalt intern doch noch das eine oder andere an Prio-
ritäten werden umschichten müssen, so schwer es uns
fällt.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Drauflegen wollen wir!)


These sechs. Erfolgreiche Entwicklungszusammenar-
beit setzt einen partnerschaftlichen Dialog voraus. Dia-
log funktioniert aber erstens nur, wenn er, Herr Minister,
auf gleicher Augenhöhe stattfindet. Manchmal habe ich
Zweifel, ob alle wichtigen europäischen Politiker das
auch nachvollziehen können. Erfolgreiche Zusammenar-
beit setzt zweitens die Bereitschaft von uns Europäern vo-
raus, voneinander zu lernen. Dort haben die Nichtregie-
rungsorganisationen einen großen Erfahrungsvorsprung.
Drittens: Wir müssen endlich mit dem Lügen aufhören.
Wahrhaftigkeit ist gefragt.

Ich will das an zwei Beispielen deutlich machen. Wir
waren irgendwann einmal in Kamerun und haben darum
gebeten, dass man dort den Regenwald erhält. Ich glaube,
es war der Präsident, der uns aus Caesars „De bello Gal-
lico“ vorgelesen hat und uns gefragt hat: Wo ist eigentlich
euer Urwald? Da haben wir die Bringschuld.

Umgekehrt habe ich diesen Sommer auf einer Konfe-
renz in Maputo die Forderung gehört: Wir wollen einen
Marshallplan. Schon meine Frage: Seid ihr überhaupt in
der Lage, eine Struktur für den Marshallplan zu ent-
wickeln?, wurde als Aggression aufgefasst. Ich bin froh,
dass sich hier inzwischen etwas bewegt.

Die letzte These heißt nämlich: Die Afrikaner sind für
ihre Zukunft zuallererst selbst verantwortlich. Diese Ver-
antwortung können wir ihnen in Europa nicht abnehmen,
wie wir das im Äthiopien-Eritrea-Konflikt bitter erlebt
haben. Auch die afrikanischen Politiker können diese Ver-
antwortung nicht an ihre NGOs delegieren. Das ist ihr ori-
ginärer Job. Ich bin froh – Herr Tappe hat es hier beim
letzten Mal berichtet –, dass sich dieses Bewusstsein bei
führenden afrikanischen Politikern offensichtlich zu än-
dern beginnt.

Zum Schluss, Frau Ministerin, Herr Minister: Es wäre
zu schön, wenn Sie als das Ministertandem in die deut-
sche Afrikapolitikgeschichte eingehen würden, das ge-
meinsam in Berlin und Brüssel für eine kohärente Afrika-
politik so wesentliche Impulse gesetzt hat, dass unser
gemeinsamer Traum von Afrika als Kontinent der Zu-
kunft Realität wird.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Ulrich Irmer [F.D.P.]: Herr Schuster, ich habe mir als Traumpaar immer etwas anderes vorgestellt als die zwei!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414323400
Der nächste Redner ist
Kollege Rudolf Kraus für die CDU/CSU-Fraktion.


Rudolf Kraus (CSU):
Rede ID: ID1414323500
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die bisherige Debatte




Dr. R. Werner Schuster

14039


(C)



(D)



(A)



(B)


zeigt, dass wir in den Zielen hinsichtlich der Afrikapolitik
der Bundesrepublik Deutschland in vielen Punkten über-
einstimmen. Wir streiten – zu Recht – über die Frage, ob
denn die Anstrengungen der Bundesregierung wirklich
zureichend sind, diese Ziele zu erreichen. Ich bin hier ähn-
licher Meinung wie Kollege Dr. Schuster, der dies natür-
lich nicht unterstellt.

Es wäre besser, wenn wir weiter über diese Wege strei-
ten als über das, was die Ministerin jetzt gemacht hat. Sie
unterstellt dem Kollegen Glos etwas, was dieser nicht ge-
sagt hat.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Genau! Das sollten Sie unterlassen!)


Ich möchte diese Sache hier mit aller Deutlichkeit auf-
greifen. Es ist unfair und grenzt nahe an Verleumdung,
was hier gesagt wurde.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: So ist es!)

Es wird unterstellt, der Kollege Glos habe vorgeschla-

gen, Fleisch von Rindern, die aus BSE-auffälligen Be-
ständen kämen und der deutschen Bevölkerung nicht zum
Verzehr zuzumuten seien, an die Armen der Welt zu ver-
teilen. Genau das ist nicht der Fall. Es ist vielmehr so, dass
überlegt wird, 400 000 Rinder aus Gründen der Markt-
entlastung zu schlachten, und zwar von BSE nicht betrof-
fenen Beständen. Jedem vernünftigem, normal denken-
dem Menschen ist es zuwider, wenn Lebensmittel hoher
Qualität einfach vernichtet werden. Genau dem wollte
Kollege Glos mit seinem Vorschlag Rechnung tragen, die-
ses Fleisch an diese Länder abzugeben,


(Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das dort die Agrarmärkte kaputtmacht!)


und zwar kostenlos. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.

(Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Umso schlimmer!)

– Das ist dummes Zeug, Frau Kollegin; ich komme gleich
auf Ihr Argument zu sprechen.

Mit anderen Worten: Es handelt sich um Fleisch – ich
unterstelle der Ministerin, dass sie weiß, dass auch in
Deutschland bis zum heutigen Tag noch Rindfleisch an-
geboten wird –, das in der gleichen Qualität in Deutsch-
land und in anderen europäischen Ländern angeboten
wird.


(Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist entwicklungspolitischer Unsinn!)


Es ist Fleisch von Tieren aus Nicht-BSE-Beständen – das
sage ich noch einmal –, die geschlachtet und untersucht
werden und dann auf den Markt kommen. Genau das ist
der Vorschlag.

Sehr viel ernster nehme ich in der Tat, Frau Staatsse-
kretärin Eid, den Einwand, damit würden die Märkte ka-
puttgemacht werden. Ich glaube das aus folgenden Grün-
den nicht: Erstens handelt es sich um eine einmalige
Aktion, die sich hoffentlich in den nächsten Jahrzehnten
nicht wiederholt. Zweitens handelt es sich um kostenlos
abgegebenes Fleisch, das von Leuten entgegengenommen
werden kann, die sonst überhaupt nicht am Markt teilneh-

men, weil sie keine müde Mark haben, um sich so etwas
zu kaufen. Das heißt also, das Argument, das Sie vorbrin-
gen, würde dann gelten, wenn permanent oder über einen
längeren Zeitraum Überschüsse zu subventionierten
Dumpingpreisen an Länder geliefert würden, die zu die-
sen Kosten überhaupt nicht produzieren könnten. Deswe-
gen denke ich, dass es gerechtfertigt ist, über diesen Vor-
schlag ernsthaft nachzudenken, und er es nicht verdient,
in dieser Weise heruntergemacht zu werden.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die
Koalitionsfraktionen begrüßen in ihrem Antrag „Afrikas
Entwicklung unterstützen“ die Konzentration von 30 Pro-
zent der insgesamt von Deutschland verausgabten Mittel
für bilaterale Entwicklungszusammenarbeit auf afrikani-
sche Länder. Diese Zahlenangabe ist aber leider grob ir-
reführend, da der Anteil der Mittel für die Finanzielle und
Technische Zusammenarbeit schon zu der Zeit, als die
Bundesregierung noch von CDU/CSU und F.D.P. gestellt
wurde, an die 30 Prozent betragen hat.

Wie wenig aussagekräftig der Hinweis auf einen Anteil
von 30 Prozent ist, wird vor allem dann deutlich, wenn
man die reale Höhe der Finanzmittel fürAfrika im letz-
ten Jahr der von CDU/CSU und F.D.P. geführten Regie-
rung mit der im Haushaltsjahr 2001 vergleicht. Im Jahr
1998 belief sich der reale Betrag noch auf 865 Millio-
nen DM, im Haushalt 2001 ist der Ansatz auf 712 Milli-
onen DM gesunken. Das Vorgehen der Bundesregierung
in ihrem Antrag wird damit als untauglicher Versuch ent-
larvt, darzutun, dass sie wesentlich mehr als früher für
Afrika tue.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Noch in der letzten Afrika-Debatte im Juli letzten Jah-

res hatte die Fraktion der CDU/CSU ein mangelndes In-
teresse des Bundesaußenministers an Afrika kritisiert;
mittlerweile ist er zweimal in Afrika gewesen. Wir halten
das für richtig, glauben aber nicht, dass damit schon ein
wirklich überzeugendes Engagement der deutschen
Außenpolitik deutlich gemacht werden konnte, das zur
Prävention von Konflikten in diesen Regionen ausreicht.


(Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: Besser als gar nichts!)


Immerhin macht der Hinweis im Antrag darauf auf-
merksam, dass der Bundesaußenminister bei seinen Rei-
sen einen Konfliktherd im südlichen Afrika außen vor
gelassen hat, der für die gesamte Region des südlichen
Afrika und für das gesamte Schwarzafrika große Be-
deutung erlangen kann. Ich meine die Situation in
Simbabwe. Dort stürzt Präsident Mugabe das ehemals
prosperierende Land mehr und mehr ins Chaos. Am
6.April 2000 verabschiedete das Parlament von Simbabwe
eine Verfassungsänderung, durch die die Regierung er-
mächtigt wurde, Farmen von Weißen entschädigungslos
zu enteignen. Präsident Mugabe ging es dabei darum, die
Landfrage, die in der öffentlichen Meinung eine unter-
geordnete Rolle spielte, für den Wahlkampf zu in-
strumentalisieren. Er wollte von Versäumnissen ablenken,
indem er den Hass auf den weißen Anteil der simbabwi-
schen Bevölkerung schürte. Die Folgen sind desaströs.




Rudolf Kraus
14040


(C)



(D)



(A)



(B)


Simbabwe war früher Nettoexporteur von Lebensmit-
teln, nun droht eine Lebensmittelknappheit. Die Inflation
beträgt 60 Prozent, die Arbeitslosigkeit 50 Prozent. Der
Tourismus, eine der Stützen der Wirtschaft, ging um
80 Prozent zurück. Der Presse war in den letzten Tagen
auch zu entnehmen, dass 4 000 der 8 500 Ärzte und
Schwestern zwischenzeitlich das Land verlassen und eine
Arbeit im Ausland aufgenommen haben. In den Kranken-
häusern arbeitet inzwischen nicht viel mehr als eine Not-
besetzung. Der Zusammenbruch des gesamten Gesund-
heitssystems ist zu befürchten – und dies vor dem
Hintergrund, dass Simbabwe zu den am schwersten von
Aids heimgesuchten Ländern zählt.

Ursache für diesen Missstand ist die Politik des Prä-
sidenten, dessen Regierung Unsummen für einen aufge-
blähten Staats- und Machtapparat und für die Entsendung
von 11 000 Soldaten in den Kongo hinauswirft, womit
Mugabes Freund Kabila an der Macht gehalten werden
sollte. Wie wir heute gehört haben, hat sich die Situation
zwischenzeitlich anders entwickelt: Kabilas Sohn hat die
Macht übernommen.

Im Zusammenhang mit Aids – ich habe das in meiner
letzten Rede zu Afrika schon getan – möchte ich auf ein
ganz entscheidendes Aufgabenfeld hinweisen, nämlich
auf die Notwendigkeit, die Seuche Aids dort zu bekämp-
fen.

Mit Sicherheit hat Aids in etwa das Ausmaß und die
Rolle der mittelalterlichen Pest in Europa. Dieses Pro-
blem wird auch in der deutschen Öffentlichkeit in seiner
Tragweite bis zum heutigen Tag praktisch nicht wahrge-
nommen. Ich denke, dass es eine große Aufgabe der Re-
gierung sein wird, alles zu tun, um diese Seuche zu
bekämpfen, die Prävention mit in Gang zu setzen und
– was ganz besonders wichtig ist – dafür zu sorgen, dass
den Menschen, die dort betroffen sind, auch Medikamente
zugänglich sind, so wie dies in den entwickelten Ländern
der Fall ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Ich weiß, dass dies sehr schwierig ist. Aber wenn die
Seuche schon nicht völlig verhindert werden kann, müs-
sen wir alles tun, die Firmen dazu zu veranlassen, mit
Hilfe des Staates, mit Hilfe der EU Bezahlbares auf den
Markt zu bringen. Es ist eine sittliche Forderung erster
Güte, dass die Folgen möglichst eingedämmt werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, noch ein
Wort zum Antrag der F.D.P. Ich bedaure es sehr, aber
meine Fraktion hat beschlossen, diesem Antrag nicht zu-
zustimmen. Insbesondere die Absätze 5, 6 und 7 machen
es uns unmöglich, Ihrem Antrag zu folgen. Ich bitte um
ein gewisses Verständnis und bedanke mich für Ihre Auf-
merksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.])



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414323600
Nächste Rednerin in
der Debatte ist für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN die Kollegin Uschi Eid.


Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414323700
Sehr
geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Ghana wurde schon verschiedentlich als ein Land
genannt, in dem ein für das Land selber historischer und
für den gesamten Kontinent beispielgebender Macht-
wechsel stattgefunden hat. Ich bin froh, dass ich für die
Bundesregierung in Ghana gewesen bin und dass auch der
Kollege Hornhues für die Opposition in Ghana anwesend
war. Ich danke aber auch den deutschen Stiftungen, die
diesen Prozess in Ghana sehr konstruktiv und beispielhaft
begleitet haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wir sind uns allerdings darüber im Klaren, dass
Wahlen alleine nicht ausreichen, um Demokratie mit
Substanz zu füllen. Denn nach Feudalismus und Zentra-
lismus müssen viele Gesellschaften erst lernen, pluralis-
tische, dezentrale Strukturen zu verankern. Das wurde
hier verschiedentlich bereits gesagt.

Die Kollegen Schuster und Hornhues haben schon die
Parlamente, also das Herz der verfassten Demokratie, ge-
nannt. Hierzu möchte ich noch einiges ausführen.

Zunächst will ich die Rolle des burundischen Parla-
ments seit dem Putsch von Buyoya 1996 würdigen. Dies
mag viele von Ihnen überraschen, kommt doch Burundi
seit Jahren nicht zur Ruhe. Aber in Burundi hat auch der
Deutsche Bundestag eine kleine, durchaus entscheidende
Rolle gespielt. Namentlich erwähne ich in diesem Zu-
sammenhang die Abgeordneten Brudlewsky, Schwaetzer,
Tappe und Schuster.

Ich möchte Ihnen ein Schreiben des Vizepräsidenten
des burundischen Parlaments zur Kenntnis geben, weil
ich glaube, dass dies ebenfalls beispielhaft ist. Nach mei-
nem Besuch dort im November hat er mir eine E-Mail ge-
schickt. Ich zitiere:

Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, ich möchte Sie
versichern, dass wir nie den Beitrag Ihres Parlamen-
tes – auch durch Ihren persönlichen Einsatz – für die
Versöhnung Burundis vergessen werden. Sie kamen
1995 nach Bujumbura und wir diskutierten. Wir ka-
men 1996 nach Bonn, eine Gruppe von zehn Parla-
mentariern, und wir diskutierten mit Ihnen und wir
verstanden uns. Dies war der Beginn von wahrhaf-
tigen Verhandlungen.

So der heutige Vizepräsident des Parlaments in Burundi.
Er schreibt weiter:

1998 erreichten wir dank des Treffens in Bonn eine
Partnerschaft, denn der Dialog in Bonn erlaubte es
mir und Herrn Bamvuginyumviye, die äußeren Flü-
gel unserer Parteien zu überzeugen, dass wir um Ver-
handlungen „nicht herumkommen“.

Ich muss hinzufügen, dass die beiden Männer, die ich
hier zitiere, damals die Fraktionsvorsitzenden der zerstrit-
tenen Parteien waren, die sich bis aufs Blut bekämpft ha-
ben, nämlich die Fraktionsvorsitzenden von UPRONA
und FRODEBU.




Rudolf Kraus

14041


(C)



(D)



(A)



(B)


Weiter heißt es in dem Brief:
Das jetzt unterzeichnete Friedensabkommen ist die
Frucht des Dialogs von Bonn.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich möchte ausdrücklich der damaligen Präsidentin des
Deutschen Bundestages, Frau Süssmuth, dem damaligen
Vizepräsidenten, Herrn Klose, und der Vizepräsidentin
Frau Vollmer für die Unterstützung meiner Initiative dan-
ken. Ich möchte diesen Dank im Deutschen Bundestag
erwähnen, damit Sie wissen – es ist vorhin schon ange-
sprochen worden –, dass die Parlamentariergruppen eine
wichtige Rolle für die Stärkung der Demokratie in afrika-
nischen Ländern zu spielen haben. Ich hoffe, dass die Vor-
sitzenden der Parlamentariergruppen diesen Gedanken
weitertragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dank dieses Erfolges wird das BMZ in diesem Jahr
eine Konferenz zur Rolle der Parlamente in Afrika durch-
führen. Ich hoffe, dass das burundische Beispiel Schule
macht.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414323800
Frau Kollegin Eid, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.


Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414323900
Frau
Präsidentin, ich will zum Schluss meiner Rede noch eine
Bemerkung zur aktuellen Situation machen. Beunruhi-
gende Meldungen, dass der Friedensprozess zwischen
Eritreern und Äthiopiern ins Stocken geraten sei, ver-
anlassen mich, an beide Seiten zu appellieren, alles zu tun,
damit das Friedensabkommen erfüllt wird. Dort ist fest-
gelegt, dass der UNMIK-Luftkorridor wieder geöffnet
wird und dass die Minenlagepläne bekannt gegeben wer-
den, damit mit der Räumung der Minen begonnen werden
kann, dass die Mitglieder der Grenzkommission unver-
züglich dem UN-Generalsekretär zu benennen sind und
dass der Propagandakrieg auf beiden Seiten zu beenden
ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Erst wenn Friedenstruppen der UN stationiert und die
äthiopischen Truppen vom eritreischen Territorium abge-
zogen worden sind – nur dann –, werden wir mit beiden
Seiten die Entwicklungszusammenarbeit aufnehmen. Ei-
nen dauerhaften Frieden wird es nur geben, wenn sich
beide Staaten zu wirklich demokratischen Systemen wei-
terentwickeln, das heißt also, wenn die Intransparenz in
der Staatsführung beseitigt wird, wenn die Parlamente zu
wirksamen Kontrollinstrumenten der Gesellschaft gegen-
über ihren Regierungen werden, wenn die Verfassungen
wirklich respektiert und umgesetzt werden und wenn Plu-
ralismus kein Schlagwort mehr ist.


(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414324000
Frau Kollegin Eid, ich
erinnere Sie ein letztes Mal daran, zum Schluss zu kom-
men. Ich war schon recht großzügig.


Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414324100
Eine
solche Entwicklung wollen und werden wir fördern. Das
ist das Ziel unserer zukünftigen Zusammenarbeit für eine
friedliche Entwicklung in der Region.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414324200
Letzter Redner in die-
ser Debatte ist der Kollege Joachim Tappe für die SPD-
Fraktion.


Joachim Tappe (SPD):
Rede ID: ID1414324300
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Ausgangspunkt und Anlass für
die heutige Debatte – Herr Kollege Hornhues hat darauf
aufmerksam gemacht, dass es dankenswerterweise schon
die dritte Debatte innerhalb eines knappen Jahres ist – ist
der Antrag der Koalitionsfraktionen „Afrikas Entwick-
lung unterstützen“.

Ich möchte gerne den Gedanken von Herrn Hornhues
aufnehmen – Herr Irmer hat sich in gleicher Weise ge-
äußert – und durchaus beklagend fragen: Warum ist es ei-
gentlich nicht mehr möglich, im Zusammenhang mit dem
Kontinent Afrika unsere alte Tradition wieder aufleben zu
lassen, fraktionsübergreifend gemeinsame Anträge zu-
stande zu bringen?


(Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: Den Grund kann ich Ihnen nennen!)


Wenn ich aus dem Antrag der CDU/CSU „Afrika darf
nicht zum vergessenen Kontinent werden“, aus entschei-
denden Teilen des sehr kurzfristig vorgelegten Antrages
der F.D.P. „Für eine europäische Ausrichtung der deut-
schen Afrikapolitik“ und aus unserem Antrag eine Synopse
erstelle, dann kann man ohne Übertreibung feststellen: Es
gibt eine mindestens 90-prozentige Übereinstimmung.
Ich würde mir wünschen, dass wir zu der altbewährten
Praxis zurückkehren, im Interesse dieses geschundenen
Kontinents gemeinsame Anträge, die ein einstimmiges
Votum in diesem Hause finden, einzubringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Aber, Herr Irmer, ich möchte gern die Gelegenheit
wahrnehmen, eine Kritik, die Sie unter Verwendung eines
Zitates am Außenminister geäußert haben, zurückzu-
weisen. Denn ich habe an der Reise des Außenministers
nach Angola, Burundi und Ruanda teilgenommen und
muss feststellen: Die Kritik am Außenminister, die von
Teilen der Medien im Zusammenhang mit dieser Reise
geäußert worden ist, ist unberechtigt; sie ist schlichtweg
falsch. Im Gegensatz zu Herrn Scholl-Latour, den Sie zi-




Dr. Uschi Eid
14042


(C)



(D)



(A)



(B)


tiert haben, war ich dabei. Herrn Scholl-Latour habe ich
bei dieser Reise nicht gesehen.

Im Gegenteil, ich muss sagen – das tue ich nicht
pflichtgemäß –: Der Außenminister hat diese Besuche mit
hoher Sensibilität durchgeführt. Ich erinnere mich sehr
deutlich an die Moderation eines runden Tisches in
Ruanda – im traumatisierten Ruanda – mit vielen Vertre-
tern zivilgesellschaftlicher Gruppen. Das war schon sehr
eindrucksvoll. Deshalb möchte ich deutlich machen:
Diese Kritik ist unberechtigt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU])


Wenn ich alle drei Anträge im Zusammenhang sehe
und mich frage, ob wir unseren eigenen Ansprüchen, die
wir dort formulieren und artikulieren, nämlich Afrika zu
unterstützen, gerecht werden, ergibt sich für mich – mit
hoher Aktualität – eine Handlungsnotwendigkeit, die ich
hier – bei aller Vorläufigkeit – kurz skizzieren möchte.

Der Außenminister hat im Zusammenhang mit dem
Kongo-Problem von der Hoffnung auf eine zukünftige
friedliche Entwicklung gesprochen und appelliert, dass
sich die Key-Player im Kongo zusammensetzen mögen.
Diejenigen, die Afrika ein bisschen kennen, und die Afri-
kaner wissen: Das allein reicht nicht. Deshalb fordere ich
die Bundesregierung auf, ernsthaft alle Möglichkeiten zu
überprüfen, wie in europäischer Abstimmung die augen-
blickliche Chance genutzt werden kann, die sich durch
den Tod Kabilas für den Kongo und für die ganze Region
ergibt. Wir alle wissen, – auch aus unserer eigenen Ver-
gangenheit –, dass die Geschichte besondere Chancen nur
einmal vorhält. Deshalb meine ich, dass hier schnelles
Handeln gefordert ist. Es könnte durchaus eine Nagel-
probe für unser Bekenntnis zu Afrika sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/ CSU und der F.D.P.)


Schnelles Handeln ist auch deswegen erforderlich, da-
mit Terror und Bürgerkrieg – es geht um 2 Millionen Op-
fer in diesem Land in den letzten drei Jahren – nicht zu ei-
nem Dauerzustand werden.

Schnelles Handeln erscheint mir ebenso deshalb gebo-
ten, damit die – sehr reale – Gefahr gebannt wird, dass
ein neuer korrupter und unfähiger Diktator, quasi ein
Mobutu 3, das momentane Machtvakuum füllt und der
Kongo weiterhin ein Synonym für Staatszerfall und
Rechtlosigkeit bleibt.

Ich war einige Male im Kongo und habe dort – Frau
Eid wird das bestätigen können – eine Vielzahl von Ge-
sprächen mit zivilgesellschaftlichen Gruppen, mit Bür-
gergruppen führen können, die im Lande bereits vor
vielen Jahren, schon unter Mobutu, eine Demokra-
tiebewegung errichtet haben. Deswegen meine ich, dass
die Bundesregierung in Absprache mit den Vereinten Na-
tionen und mit der OAU, der Organisation der Afrikani-
schen Einheit, die Initiative ergreifen sollte, diese „débat
national“, die auch Bestandteil des Lusaka-Abkommens

ist, zu organisieren, weil in dem derzeitigen chaotischen
Zustand eine Selbstorganisation nicht möglich erscheint.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich hatte heute Nachmittag zufälligerweise die Gele-

genheit, mit Herrn Diallo, dem Exekutivsekretär des Wüs-
tensekretariats der Vereinten Nationen, zu sprechen. Er ist
selber Afrikaner und war in vielen Funktionen in afrikani-
schen Organisationen, in den Vereinten Nationen tätig. Er
hat mich dringend gebeten, diesen Vorschlag hier zu un-
terbreiten und die Bundesregierung aufzufordern, aktiv zu
werden, um das Problem des Kongo, das auch ein Pro-
blem Burundis, Ruandas, Ugandas, des Südsudan und von
Kongo-Brazzaville ist, anzugehen und damit nicht zu
warten. Denn in drei oder vier Wochen ist die Chance
nicht mehr da, die wir vielleicht in den nächsten Tagen ha-
ben.


(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


Das ist eine Nagelprobe für unser Bekenntnis, Afrika zu
unterstützen.

Danke schön.

(Beifall im ganzen Hause)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414324400
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag
der Fraktion der SPD und der Fraktion des Bündnises 90/
Die Grünen mit dem Titel „Afrikas Entwicklung unter-
stützen“ auf. Es handelt sich um die Drucksache 14/4850.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/3701 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist gegen die Stimmen der CDU/CSU
bei Enthaltung von F.D.P. und PDS angenommen.

Der Antrag der Fraktion der F.D.P. mit dem Titel „Für
eine europäische Ausrichtung der deutschen Afrikapoli-
tik“ auf Drucksache 14/5090 soll an den Auswärtigen
Ausschuss – federführend – und den Ausschuss für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit überwiesen werden. – Ich
sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer

Brüderle, Hildebrecht Braun (Augsburg), Ernst
Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der F.D.P.
Schattenwirtschaft mit marktwirtschaftlichen
Mitteln eindämmen
– Drucksache 14/3024 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus




Joachim Tappe

14043


(C)



(D)



(A)



(B)


b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Eindämmung ille-
galer Betätigung im Baugewerbe
– Drucksache 14/4658 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Neunter Bericht der Bundesregierung über
Erfahrungen bei derAnwendung des Arbeitneh-
merüberlassungsgesetzes – AÜG – sowie über
die Auswirkungen des Gesetzes zurBekämpfung
der illegalen Beschäftigung – BillBG –
– Drucksache 14/4220 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die Kollegin-
nen und Kollegen Ludwig Eich, Leyla Onur, Dr.
Hans-Peter Friedrich, Dr. Thea Dückert, Dr. Heinrich
Kolb sowie Dr. Klaus Grehn haben ihre Reden zu Proto-
koll gegeben.1) – Ich sehe keinen Widerspruch im Saal.

Deshalb kommen wir sofort zu der Überweisung. In-
terfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den
Drucksachen 14/3024, 14/4658 und 14/4220 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (19. Ausschuss)

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Berufsbildungsbericht 2000
zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten
Willi Brase, Klaus Barthel (Starnberg),
Hans-Werner Bertl, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ekin
Deligöz, Matthias Berninger, Irmingard
Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Berufsbildungsbericht 2000
– Drucksache 14/3244, 14/3331, 14/4305 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Willi Brase
Dr.-Ing. Rainer Jork
Antje Hermenau
Cornelia Pieper
Maritta Böttcher

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist für die
Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär
Wolf-Michael Catenhusen.

W
Wolf-Michael Catenhusen (SPD):
Rede ID: ID1414324500
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Junge Erwach-
sene stehen in unserem Lande vor einer Zukunft, die stän-
dig im Wandel ist. Darauf müssen wir sie vorbereiten.
Entscheidend dafür ist vor allem auch eine hohe Qualität
der beruflichen Bildung. Entscheidend ist auch ein mög-
lichst breiter Zugang für alle zu einer qualifizierten Be-
rufsausbildung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Klar ist: Unsere Jugendlichen wollen sich qualifizie-

ren. Wir müssen ihnen allerdings auch allen die Chance
dazu geben. Klar ist aber auch: Gesellschaft und Wirt-
schaft brauchen diese gut und aktuell qualifizierten jun-
gen Leute. Der Qualifizierungsbedarf steigt. Die Politik
muss und die Bundesregierung will sich dieser Verant-
wortung stellen.

Wir haben am Ausbildungsstellenmarkt mit dem So-
fortprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit
und den Vereinbarungen im Bündnis für Arbeit in zwei
Schritten, nämlich 1999 und 2000, eine wirksame Ent-
spannung erreicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Berufsbildungsbericht, dessen Beratungen heute

zum Abschluss gebracht werden, dokumentiert die Situa-
tion von 1999. Danach wurden damals bundesweit rund
631 000 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen,
18 500 Verträge mehr als im Vorjahr. Die bessere Bilanz
in 1999 war vor allem auf die Ausweitung der öffentlich
finanzierten Ausbildung durch das Sofortprogramm
zurückzuführen.

Heute, nachdem die politischen Entscheidungen und
Maßnahmen der Regierung und des Bündnisses für Arbeit
zu greifen beginnen, liegen nun auch die Ergebnisse der
bis zum 30. September 2000 neu abgeschlossenen Ausbil-
dungsverträge und damit die Ergebnisse der Ausbildungs-
platzbilanz 2000 vor. Daran zeigt sich: Die Lage auf dem
Ausbildungsstellenmarkt hat sich insgesamt verbessert.
Gemessen an den Angebots- und Nachfrageverhältnissen
wurde sowohl in den alten als auch in den neuen Ländern
die beste Ausbildungsplatzsituation seit Mitte der 90er-
Jahre erreicht.


(Beifall bei der SPD)





Vizepräsidentin Petra Bläss
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(D)



(A)



(B)


1) Anlage 4

In den alten Ländern übersteigt nun wieder das Angebot
die Nachfrage um rund 10 500 Plätze. Das ist seit 1996 der
höchste Überschuss. In den neuen Ländern hat sich die
Lücke zwischen angebotenen und nachgefragten Plätzen
auf 8 500 weiter verringert und damit den niedrigsten
Wert seit 1995 erreicht. In gleicher Größe standen Anfang
Oktober letzten Jahres noch Plätze im Rahmen des Bund-
Länder-Sofortprogrammes und der ergänzenden Länder-
programme sowie des Sofortprogramms 2001 zur Verfü-
gung. Das heißt, rein rechnerisch besteht immer noch die
Hoffnung, dass sich diese Ausbildungsplatzlücke in Ost-
deutschland jetzt in der Nachvermittlungsphase noch ein
Stückchen weiter schließen lässt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dieses gute Ergebnis ist zum einen auf die deutlich ge-
wachsene Zahl betrieblicher Ausbildungsplätze zurück-
zuführen. Darauf kann die Wirtschaft, darauf können wir
stolz sein. Die Betriebe haben im Jahre 2000 in den alten
Ländern rund 12 100 bzw. rund 3 Prozent mehr Ausbil-
dungsverträge abgeschlossen. In den neuen Ländern sind
rund 2 300 bzw. etwas über 2 Prozent mehr Ausbildungs-
verträge abgeschlossen worden als im Jahr zuvor. Für Ost-
deutschland bedeutet dies: Nach jahrelangen Rückgängen
ist dies der erste Anstieg seit 1996.


(Beifall bei der SPD)

Noch positiver sieht die Bilanz der Ausbildungsver-

träge im Bereich der IT- und Medienberufe aus. Die in
diesem Bereich allein im Jahr 2000 mehr als 25 500 ab-
geschlossenen neuen Ausbildungsverträge sind ein deut-
licher Anstieg um 45 Prozent im Vergleich zu 1999.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das heißt, wir haben die im Rahmen der IT-Offensive ver-
einbarte Zielmarke von 40 000Ausbildungsplätzen in die-
sen Berufen bereits übertroffen. Das ist ein guter Erfolg.
Wir sind sehr zuversichtlich, dass das gemeinsam gesetzte
Ziel, bis 2003 60 000Ausbildungsplätze zu schaffen, bei
Fortsetzung unserer Anstrengungen auch erreicht werden
kann.

Sie wissen, dass wir vom Bundesministerium für Bil-
dung und Forschung in diesem und im kommenden Jahr
im Rahmen der UMTS-Zinsersparnisse mit Mitteln in
Höhe von 250 Millionen DM eine weitere Kraftanstren-
gung unternehmen, indem wir durch eine Modernisierung
der Ausstattung von Berufsschulen und vor allem durch
Investitionen in eine moderne IT-Infrastruktur der
Attraktivität der beruflichen Bildung gerade in diesem
Bereich einen weiteren Push versetzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im letzten Jahr ist aber auch die Nachfrage an Ausbil-
dungsplätzen etwas zurückgegangen. Wir führen dies vor
allem darauf zurück, dass im Vorjahr mit dem Jugendso-
fortprogramm Nachfrage abgeschöpft worden ist. Das ist
gut so. Jüngere Menschen sind schneller als in den vorhe-
rigen Jahren in eine qualifizierte Ausbildung eingestie-
gen. Dies und die deutliche Stärkung der betrieblichen

Ausbildung haben es ermöglicht, die außerbetrieblichen
Ausbildungsplätze zurückzuführen und so Platz für an-
dere Maßnahmen zu schaffen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Zahl der neuen Ausbildungsverträge in öffentlich
finanzierter Ausbildung sank deshalb in den alten Län-
dern um knapp 36 Prozent. In den neuen Bundesländern
sank die Zahl der neuen öffentlich finanzierten Aus-
bildungsverträge um 12 000 bzw. um knapp 34 Prozent.
Das heißt, dass in diesem Ausbildungsjahr anteilmäßig
mehr junge Menschen als vorher das primäre Ziel, näm-
lich einen betrieblichen Ausbildungsplatz, erreichen
konnten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind stolz darauf, dass die Anzahl der Jugendli-
chen, die zum Stichtag 30. September 2000 noch nicht
vermittelt waren, im Vergleich zum Vorjahr in den alten
Ländern weiter auf rund 14 200 und in den neuen Ländern
noch einmal auf 9 400 gesunken ist. Das heißt, wir haben
in den alten Ländern, was die Zahl der nicht vermittelten
Bewerberinnen und Bewerber angeht, den niedrigsten
Wert seit 1993 erreicht. In den neuen Ländern ist es der
niedrigste Wert nicht vermittelter Bewerberinnen und Be-
werber seit 1995. Das ist eine Bilanz, die Mut macht.


(Beifall bei der SPD)

Wir können nun feststellen, dass diese Zahl bis Ende

Dezember, unterstützt durch die im Ausbildungskonsens
des Bündnisses für Arbeit vereinbarten Nachvermitt-
lungsaktionen, um mehr als 50 Prozent gesenkt worden
ist. Zum Stichtag Ende Dezember suchten noch rund
7 000 Jugendliche in den alten und rund 4 200 Jugendli-
che in den neuen Ländern einen Ausbildungsplatz. Rein
rechnerisch stehen dem in gleicher Höhe verfügbare be-
triebliche Programmplätze gegenüber, sodass wir sagen:
Bis Februar können wir diese Lücke noch ein Stückchen
schließen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, damit beschreiten wir einen
Weg, der, rein statistisch gesehen, bundesweit zu einem
ausgewogenen Verhältnis von Angebot und Nachfrage auf
dem Lehrstellenmarkt führt. Aber wir wissen auch, dass
das nur ein Zwischenschritt ist; denn wir wollen natürlich
auch in den Problemregionen – in Ost- wie in West-
deutschland – unsere Anstrengungen fortsetzen, um diese
Lücke weiter zu schließen. Wir wollen auch noch ein
Stück weiter dahin kommen, dass Jugendliche wieder
eine größere Freiheit bei der Wahl eines zukunftssicheren
Berufs haben.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben es natürlich, wie ich schon erwähnte, nach

wie vor mit einem gespaltenen Ausbildungsmarkt zu tun.
Einer vergleichsweise entspannten Lage im Westen steht
eine anhaltend schwierige Situation im Osten gegenüber.
Daran sollte man heute nicht vorbeireden. Auch die leicht




Parl. StaatssekretärWolf-Michael Catenhusen

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(A)



(B)


steigenden Ausbildungsstellenangebote in Ostdeutsch-
land bedeuten de facto, dass es immer noch für nur rund
60 Prozent der Jugendlichen, die eine Ausbildungsstelle
nachfragen, reicht. Deshalb werden wir die staatlichen
Ausbildungsplatzprogramme in den neuen Ländern –
schon jetzt gibt es dazu klare Verabredungen – zumindest
bis zum Jahre 2003 fortsetzen. In dem Ausbildungs-
platzsonderprogramm, das das BMBF gemeinsam mit
den neuen Ländern auflegt, sind in diesem Jahr 16 000
Plätze vorgesehen. Aus dem Jugendsofortprogramm ste-
hen auch 2001 bis zu 2 500 Plätze für die neuen Länder
bereit. Dafür stellen wir etwa 370 Millionen DM zur Ver-
fügung.


(Beifall bei der SPD)

Die neuen Länder bleiben in der Solidarität und werden
auch ihre Programme fortsetzen.

Insbesondere werden wir aber alle Aktivitäten verstär-
ken, um mehr betriebliche Ausbildungsplätze zu gewin-
nen; denn wir wollen damit auch dazu beitragen, dass
nicht die besonders leistungsfähigen und motivierten Ju-
gendlichen in die alten Länder abwandern. Es muss klar
sein: Wir geben der Abwanderung junger Menschen aus
den neuen Bundesländern, die eine Ausbildung suchen,
keine politische Unterstützung. Es muss unser Ziel sein,
die Modernisierung der Infrastruktur so fortzusetzen, dass
die jungen Menschen ihre Ausbildung in Ostdeutschland
abschließen.


(Beifall des Abg. Dr.-Ing. Rainer Jork [CDU/CSU])


Wenn diese jungen Menschen dann allerdings vor der
Gefahr, arbeitslos zu werden, stehen, muss der Staat wei-
terhin eine gewisse Hilfe leisten können, um ihnen in an-
deren Regionen unseres Landes Arbeitspraxis zu ermög-
lichen. Vielleicht kommen sie in besseren Zeiten mit
ihrem Know-how und der Erfahrung aus mehrjähriger
Berufstätigkeit zurück und vermeiden es dann, dauerhaft
arbeitslos zu werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, wir haben dazu im letzten
Jahr mit dem neuen Projekt Regio-Kompetenz-Ausbil-
dung begonnen. Es hat den Aufbau von regionalen Un-
terstützungsstrukturen zur Mobilisierung von betriebli-
chen Ausbildungsplätzen durch Organisation von
Netzwerken für kleine und mittlere Betriebe, also durch
Verbundausbildung in Kooperation von Kammern,
Betrieben, Bildungswerken, Bildungsträgern und Bera-
tungseinrichtungen, zum Ziel. Bis einschließlich 2003
sind dafür rund 17 Millionen DM vorgesehen.

Vor diesem Hintergrund ist auch das Ergebnis der Be-
ratungen im federführenden Ausschuss zu würdigen;
denn wir begrüßen es außerordentlich, dass uns der Be-
schluss des Ausschusses Rückendeckung für die Strategie
gibt, auf der einen Seite die Anstrengungen zur
Schließung der Ausbildungslücke fortzusetzen, auf der
anderen Seite aber auch gezielte Schritte in Richtung auf
die Modernisierung des Systems unserer beruflichen Bil-
dung zu gehen.

Ich denke, wir können davon ausgehen, dass mit den
weit reichenden Beschlüssen zur inhaltlichen Weiterent-
wicklung und Modernisierung der beruflichen Bildung,
die wir zusammen mit den Sozialpartnern und den Län-
dern in der Arbeitsgruppe Aus- und Weiterbildung des
Bündnisses seit Januar 1999 getroffen haben, Bausteine
für eine zukunftsorientierte weitere Modernisierung des
beruflichen Bildungssystems geschaffen werden.

Wir lassen uns bei unserem Engagement für die Zu-
kunft der jungen Menschen in diesem Bereich der beruf-
lichen Bildung von folgenden Schwerpunkten leiten: Je-
der bzw. jede Jugendliche soll die Möglichkeit zu einer
Ausbildung erhalten. Sofortprogramm und Ausbildungs-
konsens gehen weiter. Hier geht es nicht um Umsteuern,
aber um ein effizienteres Nachsteuern, um bessere Nach-
vermittlung. Wir setzen die strategische Modernisierung
der beruflichen Bildung fort, das heißt, wir arbeiten zu-
sammen mit den Sozialpartnern auf den verschiedenen
Ebenen weiter an der strukturellen Erneuerung der Aus-
bildungsberufe. Wir werden die Frage der Berufseinmün-
dung Ausgebildeter stärker aufgreifen müssen. Darüber
hinaus wollen wir gemeinsam mit den Sozialpartnern in
einer breiten Qualifizierungsoffensive die stärkere Ver-
zahnung von beruflicher Erstausbildung und beruflicher
Weiterbildung angehen.

Ich habe die große Hoffnung, dass die Qualifizie-
rungsoffensive in unserem Lande, die überfällig ist und
die die Bemühungen um Lehrstellen für jeden jungen
Menschen ergänzen muss, einer der Schwerpunkte des
Bündnisses für Arbeit in diesem Jahr und damit auch der
Politik unseres Hauses werden wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich denke, diese Modernisierung ist überfällig. Wir
wollen sie mit den und für die jungen Menschen. Die Ent-
wicklung hin zu mehr Arbeit in unserem Lande ist nur
durch eine Modernisierung der Bildung und Ausbildung
erreichbar. Deshalb ist die Arbeit an diesem Zukunftsfeld
ein Stück Zukunftssicherung für die junge Generation, für
unsere Wirtschaft und für unsere Gesellschaft.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414324600
Nächster Redner ist
der Kollege Heinz Wiese für die CDU/CSU-Fraktion.


Heinz Wiese (CDU):
Rede ID: ID1414324700
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An der
Schwelle zum dritten Jahrtausend stehen wir in der Bil-
dungspolitik vor neuen Herausforderungen. Gerade eben
w
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414324800
Das Tempo des Fortschritts – verbunden mit der
Vervielfachung des Wissens und den damit einhergehen-
den Veränderungen – hat dramatisch zugenommen. Wei-
tere Beschleunigungsprozesse stehen uns noch bevor.

Der Wert qualifizierter Ausbildung für die Zukunft
des Einzelnen und des ganzen Volkes kann gar nicht hoch




Parl. StaatssekretärWolf-Michael Catenhusen
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(C)



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(B)


genug eingeschätzt werden. Wissen und Bildung haben
eine überragende Bedeutung für die Wertschöpfung und
den Wohlstand unserer Gesellschaft. Sie sind die Voraus-
setzungen für die aktive Bewältigung des Strukturwan-
dels und gewährleisten die Innovationsfähigkeit Deutsch-
lands. Dies gilt ohne Abstriche auch für den Bereich der
beruflichen Bildung.

Gerade für junge Menschen ergeben sich aus diesen
veränderten Rahmenbedingungen unter anderem fol-
gende Konsequenzen: ein hohes Maß an Flexibilität und
Mobilität, das Erfordernis, sich auf neue Anforderungen
einzustellen, die Bereitschaft, häufig Arbeitsplatz und
Wohnort zu wechseln, die Notwendigkeit, Zeiten der Be-
schäftigung und Zeiten der Weiterbildung miteinander zu
verknüpfen.

Künftig wird die Festlegung auf einen bestimmten Be-
ruf als lebenslange Dauererwerbsquelle nicht mehr aus-
reichen. Wechsel des Berufes werden die Erwerbsbiogra-
fien stärker als bisher prägen. Dies müssen wir der jungen
Generation rechtzeitig vermitteln.

Doch nun zum Berufsbildungsbericht 2000. Darin heißt
es unter anderem: Die Ausbildungschancen der Jugendli-
chen haben sich zwar verbessert, aber dies ist vor allem auf
den verstärkten Einsatz öffentlich finanzierter Programme
zurückzuführen. Gemeint ist natürlich in erster Linie das
JUMP-Programm.Dieses Programm kann zwar Brücken
zum ersten Arbeitsmarkt bauen; entscheidend ist aber, dass
die Jugendlichen am Ende der Qualifizierung die Chance
bekommen, tatsächlich ins Berufsleben einzusteigen. An-
derenfalls werden nur Warteschleifen aufgebaut. Langfris-
tig brauchen wir deshalb keine milliardenschweren Pro-
gramme mit Strohfeuereffekt, sondern Lösungen mit
tragfähigen Strukturen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]: Das ist eine Änderung der Position! Früher habt ihr etwas anderes gesagt!)


Frau Ministerin Bulmahn – sie ist heute leider nicht an-
wesend – hat bereits in der Debatte zum Berufsbildungs-
bericht 1999 erklärt, Kollege Tauss, dass die Förderung
von Ausbildungsplätzen mit öffentlichen Mitteln nicht zu
einem Dauerzustand werden dürfe.

Auch der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Herr
Jagoda, betont am laufenden Band, dass Förderpro-
gramme keine Alternative zur betrieblichen Ausbildung
darstellen können. Deshalb ist es, glaube ich, höchste
Zeit, zumindest in Westdeutschland andere Wege zu ge-
hen.


(Zuruf von der SPD: Sagen Sie das den großen Unternehmen!)


Über die Situation im Osten, die besonders prekär ist,
wird mein Kollege Rainer Jork nachher sehr deutliche
Worte finden.

Zur aktuellen Diskussion über den Fachkräftemangel
in Deutschland möchte ich nur eine kurze Bemerkung ma-
chen. Eine echte Green-Card-Regelung könnte durchaus
auf andere Branchen ausgeweitet werden. Wir dürfen da-
bei aber die Qualifizierung unserer eigenen Jugend nicht

vernachlässigen. Wir brauchen beides: Ausbildung und
Zuwanderung. Im Zeitalter der Globalisierung ist die
Jagd nach den klugen Köpfen in einem weltweiten Bil-
dungsmarkt genauso wenig aufzuhalten wie die Flucht
der Gehirne aus der Dritten Welt.

Deshalb ist es natürlich wichtig, sich auch dieser He-
rausforderung zu stellen, genauso wie wir es – auch dies
wird von uns immer wieder beklagt – angesichts des
Fachkräftemangels auf Dauer nicht verantworten können,
dass technische Intelligenz in Deutschland bereits im Al-
ter von 45 Jahren auf dem Abstellgleis landet. Immer
mehr Unternehmen suchen überwiegend olympiareife
Mitarbeiter. Dies darf so nicht bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Für mich gilt immer noch: Lieber mit 50 zur Weiterbil-
dung als mit 60 in Rente!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der PC gehört heute zum Alltag der Jugendlichen und

ist natürlich für die Wissensvermittlung unabdingbar. Ziel
muss es sein, dass jeder Schulabgänger einen Computer-
führerschein hat. Dieser sollte international vergleichbar
sein, wie es schon heute bei IT- und IuK-Zertifikaten der
großen Softwarehäuser der Fall ist.

Wir begrüßen Maßnahmen zur Verbesserung der Fle-
xibilität und Durchlässigkeit des dualen Systems. Vor al-
lem für die schwer vermittelbaren Jugendlichen mit Lern-
schwächen oder für solche, die eher praktisch begabt sind,
fördern wir teilqualifizierende und modulare Ausbil-
dungsgänge sowie zusätzliche Berufsbilder mit theorie-
vermindertem Anforderungsprofil. Wir glauben – das ist
schon immer unsere Überzeugung gewesen –, dass hier
Barrieren überwunden werden müssen und wir in abseh-
barer Zeit mit den Gewerkschaften in einen aktiven Dia-
log eintreten sollten.

In dieser Richtung zeigt das Satellitenmodell des DIHT
neue Wege auf. Dies sind geeignete Maßnahmen, um Un-
gelernte zu qualifizieren und ihnen eine Chance zu ge-
ben; denn wir wissen, dass sich die Zahl der Arbeitsplätze
für Ungelernte in Deutschland in den nächsten zehn Jah-
ren noch einmal halbieren wird. Wir werden in einer
drastischen Situation sein, wenn der Anteil dieser Arbeits-
plätze in Deutschland nur noch 10 statt 20 Prozent aus-
macht.

Wir haben insbesondere die Schwervermittelbaren im
Auge; denn gerade ihnen droht die gesellschaftliche
Randständigkeit oder Ausgrenzung. Man nennt diese jun-
gen Menschen immer wieder auch „Modernisierungsver-
lierer“.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist ein Argument für JUMP!)


Über sie sollten wir immer wieder reden. Wir dürfen sie
nicht aus den Augen verlieren. Die Schere zwischen
„Wissensinhabern“ und „Nichtwissenden“ darf auf kei-
nen Fall weiter auseinander klaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU)





Heinz Wiese (Ehingen)


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Wir müssen mehr Jugendliche in den modernen
IuK- und Servicebereichen ausbilden. Insbesondere junge
Frauen sollten die großen Chancen, die im IT-Bereich lie-
gen, stärker nutzen. Zurzeit sind nur 14 Prozent der
Auszubildenden im IT-Bereich weiblich. Dies darf so
nicht bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zentrale Kompetenzen für den Arbeitsmarkt von mor-

gen sind Medienkompetenz, interkulturelle Bildung und
die Befähigung zu lebensbegleitendem Lernen. Medien-
kompetenz ist weit mehr als Technikkompetenz. Ent-
scheidend ist die Fähigkeit der Schüler zu verantwor-
tungsbewusstem Umgang mit den neuen Medien. Neben
der Medienkompetenz wird interkultureller Bildung
eine noch größere Rolle zukommen. Das Jahr 2001 ist das
Europäische Jahr der Sprachen. Deshalb fordere ich an
dieser Stelle: Jeder Schüler in der Europäischen Union
sollte von der Elementarschule bis zum Berufsabschluss
Englisch lernen. Dies ist notwendig, um das erforderliche
Maß an Flexibilität sowie an Mobilität im Beruf und auf
dem Arbeitsmarkt zu erreichen. Das gilt besonders für die
so genannten Global Player. In Baden-Württemberg
führen wir aus diesem Grunde bereits in diesem Jahr an
400 Grundschulen und demnächst flächendeckend schon
ab der ersten Klasse Englischunterricht ein.

Zur Bildung gehört die Vermittlung von Wissen und
Werten. Ein gemeinsames Fundament von Wissen und
Werten für alle ist unerlässlich. Es ist jedenfalls einfacher,
aus einem gebildeten Menschen einen Spezialisten zu ma-
chen als umgekehrt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Für unser rohstoffarmes Land sind Wissen und Bildung
unserer Bürger die wichtigsten Produktionsfaktoren. Bil-
dung und Erziehung müssen aber auch wertorientiert sein.
Wertorientierung bleibt der beste Schutz vor politisch und
kriminell motivierter Gewalt.

Lassen Sie mich zum Abschluss einige Anmerkungen
zu unseren Berufsschulen machen: Sie sind leider am
stärksten vom Lehrermangel betroffen. Es fehlen unter
anderem Handelslehrer sowie Lehrer, die im Bereich der
Elektro- und Metalltechnik und der Informationstechno-
logie unterrichten. Das sind genau die Fächer, in denen die
Lehramtsbewerber mit attraktiven Angeboten aus der
Wirtschaft abgeworben werden. Das Deutsche Institut für
Wirtschaftsforschung hat kürzlich errechnet, dass allein
1999 bundesweit 6 600 neue Berufsschullehrer hätten ein-
gestellt werden müssen. Tatsächlich traten aber nur 2 400
Lehrkräfte ihren Dienst an. Gerade bei den Berufsschulen
sollten wir deshalb das Lehramt mehr als bisher für Quer-
einsteiger öffnen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Unsere Berufsschulen benötigen die bestmögliche mate-
rielle und die ideelle Unterstützung. Wir stehen weiterhin
zu dem bewährten dualen Ausbildungssystem. Bildung
schafft Zukunft. Dies gilt auch für eine moderne Beruf-
lichkeit.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]: Loben Sie doch einmal unser Programm!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414324900
Das Wort hat die Kol-
legin Ekin Deligöz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414325000
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Be-
rufsbildungsbericht 2000 ist ein Teil der rot-grünen Er-
folgsgeschichte. Dieser Erfolg zahlt sich, wie die Zahlen
gezeigt haben, vor allem für die junge Generation in die-
sem Land aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Junge Menschen haben wieder eine Chance auf eine gute
Ausbildung. Junge Menschen finden Ausbildungsplätze,
sie stehen nicht auf der Straße und sind nicht in Warte-
schleifen. Sie haben eine Zukunft vor sich und gewinnen
an Zuversicht. Diese Zuversicht ist nicht aus der Luft ge-
griffen, sondern hat eine gute und sehr stabile Grundlage.

Wir haben die Zahl der nicht vermittelten Jugendlichen
innerhalb kürzester Zeit massiv reduziert;


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

in Ostdeutschland sogar um 78 Prozent. Dies ist nicht zu-
letzt dem JUMP-Programm zu verdanken. Aber ist das
dann zu kritisieren? Es ist immer noch besser als zu-
schauen –, was wir vor 1998 vorgeführt bekommen ha-
ben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich freue mich deshalb, dass wir dieses Programm ge-
rade im Haushaltsjahr 2001 verstetigt haben und dass wir
uns dazu entschieden haben, ab 2001 50 Prozent der Mit-
tel für Jugendliche in Ostdeutschland einzusetzen. Bisher
waren es 40 Prozent. Wir werden die einzelnen Maßnah-
men weiter verstetigen, eben weil sie erfolgreich sind und
weil das Programm insgesamt ein Erfolgskonzept ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Durch das Bündnis für Arbeit – JUMP ist nicht alles,
Herr Wiese, ich muss Sie hier korrigieren, – ist es uns ge-
lungen, in Industrie und Handwerk, vor allem bei Klein-
und Mittelbetrieben, eine größere Bereitschaft zu mehr
Ausbildung zu wecken, mehr auszubilden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auch in größeren Unternehmen ist die Zahl der abge-
schlossenen Ausbildungsverträge angestiegen.

Immer mehr Ausbildungsverträge werden übrigens in
neu geschaffenen Berufen abgeschlossen. 50 Berufsbilder
wurden bereits neu erarbeitet bzw. befinden sich gerade in
Arbeit.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das hat alles Herr Rüttgers gemacht!)





Heinz Wiese (Ehingen)

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– Das ist lächerlich. Da muss sogar ich lachen. – Eines
muss ich natürlich auch sagen: Es bleibt noch eine ganze
Menge zu tun. Wir diskutieren über den Bildungsbericht
2000 nicht nur, um festzustellen, was gut gelaufen ist,
sondern auch, um zu erkennen, wo Verbesserungen not-
wendig sind.

Das duale System, das bei den Betrieben in West-
deutschland sehr begehrt ist, ist in Ostdeutschland noch
nicht in Schwung gekommen. Sehr viele Menschen in
Ostdeutschland sind ungeduldig, weil die dortige Wirt-
schaft noch immer nicht den Anschluss an das Niveau der
Wirtschaft im Westen gefunden hat. Wir stellen fest, dass
es derzeit eine Abwanderung gerade von jungen qualifi-
zierten Fachkräften von Ost nach West gibt. Ost-
deutschland wird für eine nachhaltige Verbesserung nach
wie vor unsere Solidarität brauchen. Aber diese Solida-
rität darf sich nicht nur auf den ökonomischen Bereich
konzentrieren. Sie muss vielmehr darüber hinausgehen.

Ich möchte jetzt ein bisschen abschweifen, weil ich
denke, dass gerade das Folgende für den Standort Ost-
deutschland wichtig ist. In Ostdeutschland müssen vor al-
lem die Menschen besonders unterstützt werden, die sich
für eine offene, gewaltfreie und zivile Gesellschaft ein-
setzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Gerade in diesem Bereich investiert diese Regierung. Hier
liegt einer unserer Schwerpunkte; denn eine gewaltfreie
Zivilgesellschaft zu schaffen ist nicht nur eine Frage der
Humanität oder der Lebensqualität, sondern auch ein
wirtschaftlicher Standortfaktor, der gerade für Ost-
deutschland wichtig ist. Wir beobachten immer häufiger,
dass sich ausländische Investoren, Spitzenkräfte von
internationalem Rang, scheuen, in Ostdeutschland zu in-
vestieren und dorthin ihre Betriebe zu verlagern, weil sie
das im Moment dort herrschende gesellschaftliche Klima
als einen negativen Standortfaktor beurteilen. Ich möchte
gleichzeitig hinzufügen, um keine Missverständnisse auf-
kommen zu lassen: Die große Mehrheit der Menschen in
Ostdeutschland, in den neuen Bundesländern, hat mit ag-
gressiver Fremdenfeindlichkeit nichts zu tun. Dennoch
müssen wir die zivilgesellschaftlichen Strukturen im
Osten noch stärker als im Westen fördern.

Eine nachhaltige Verbesserung der Ausbildungssitua-
tion erfordert nicht zuletzt eine zeitgemäße Veränderung
vor allem in den Schulen, in den Universitäten und in der
betrieblichen Ausbildung, und zwar nicht nur, weil die
Quote der Ausbildungsabbrecher bei 25 Prozent – das ist
immerhin ein Viertel all derjenigen, die eine Ausbildung
begonnen haben – liegt. Wir müssen in diesem Bereich so-
wohl für qualitative als auch für quantitative Verbesse-
rungen sorgen.

Ein Handlungsbereich wurde durch das JUMP-Pro-
gramm abgedeckt. Wir müssen zugeben: Nicht überall
kommt die Wirtschaft ihrer Verpflichtung nach, genügend
Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Daran arbei-
ten wir, und zwar nicht nur im Bündnis für Arbeit, sondern
auch an anderen Stellen. Wir arbeiten übrigens auch da-
ran, dass die Qualität der Ausbildung insgesamt einen

höheren Stellenwert bekommt; denn diese ist nicht überall
befriedigend. Hier kommen die Schulen ins Spiel. Bil-
dungspolitik findet vor allem in den Ländern statt, in de-
ren Verantwortungsbereich sie liegt. Es muss vielmehr auf
den Erwerb von Schlüsselqualifikationen, die zukünftig
verlangt werden, gesetzt werden, also nicht nur auf solche
Qualifikationen wie Fleiß und Pünktlichkeit, die heutzu-
tage als selbstverständlich gelten, sondern auch auf solche
Qualifikationen wie Teamfähigkeit, Kommunikations-
fähigkeit und die Kompetenz, Probleme kreativ zu lösen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Nicht zuletzt müssen wir in die Menschen investieren;
denn wir brauchen mündige und kreative Bürgerinnen
und Bürger auch in den Betrieben, in den Ausbildungs-
stätten und in den Schulen.

Um die Schlüsselqualifikationen, die zukünftig gefor-
dert werden, zu vermitteln, reicht der klassische Frontal-
unterricht nicht aus. Damit junge Menschen ihre Poten-
ziale richtig entwickeln können und die individuellen
Fähigkeiten in der Ausbildung besser ausgeschöpft wer-
den können, müssen mehr Freiräume in den Schulen, in
den Berufsschulen und auch in der immer mehr individu-
alisierten Arbeitswelt geschaffen werden.

Das duale System der beruflichen Ausbildung hat sich
an sehr vielen Stellen bewährt; es ist erhaltenswert. Wir
müssen uns natürlich Gedanken über die europäische
Kompatibilität der hiesigen Ausbildung machen. Wir
müssen uns Gedanken über den Umgang mit einzelnen
Problemen, zum Beispiel dem der Abbrecherquote, ma-
chen. Es gibt Ansätze für Modularisierungen. Firmen wie
Siemens oder Volkswagen haben in dieser Hinsicht eine
ganze Menge Erfahrungen gemacht, von denen wir profi-
tieren können. Darüber hinaus müssen wir über neue Mo-
delle, zum Beispiel über eine Teilzeitausbildung, nach-
denken. Außerdem müssen wir über die Probleme von
ausbildungswilligen Jugendlichen nachdenken, die im
Vorfeld der Ausbildung auftreten und ihnen das Leben er-
schweren.

Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, der hier
noch nicht behandelt worden ist: die Sozialhilfe. Derzeit
ist es in Deutschland nicht möglich, gleichzeitig einer
Ausbildung nachzugehen und Sozialhilfe zu beziehen.
Das heißt, dass zum Beispiel Jugendliche, die nicht zu
Hause wohnen wollen oder können, oder junge Men-
schen, die ein Kind haben, das sie ernähren müssen, nicht
die Möglichkeit haben, allein von ihrer Ausbildungsver-
gütung ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Sozial-
minister der Länder haben bereits zugesagt, daran etwas
zu ändern. Die Ausgestaltung ist allerdings noch sehr
mangelhaft. Gerade mit dem System der Ausbildungsfi-
nanzierung müssen wir uns auch hier weiterhin beschäfti-
gen.

Flexibilität wird künftig viel mehr als heute ein Leit-
begriff sein; denn schon in ein paar Jahren wird es keinen
Überschuss, sondern einen Mangel an Auszubildenden
geben. Wir werden immer weniger Auszubildende be-
kommen. Gerade für die Ausbildungsbetriebe bedeutet
das eine Umstellung: Sie müssen sich nicht nur auf eine




Ekin Deligöz

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(D)



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(B)


verstärkte Nachfrage nach Dienstleistungen einstellen,
sondern auch darauf, dass die Ausbildungsangebote bes-
ser werden, damit Jugendliche zur Annahme einer Aus-
bildung motiviert werden können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Koalition wird den erfolgreichen Kurs der berufli-
chen Bildung und Weiterbildung fortsetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Das ist wahr!)


Wir setzen in unserer Politik auf Dialog und auf Partner-
schaft mit den Tarifparteien; wir setzen auf Dialog und
Partnerschaft mit den Schulen in den einzelnen Ländern.
Wir werden uns trotz dieser Erfolge auch künftig nicht
scheuen, manche Probleme beim Namen zu nennen und
vor allem entschieden zuzupacken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414325100
Das Wort hat die Kol-
legin Cornelia Pieper für die F.D.P.-Fraktion.


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1414325200
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Wenn wir heute den Berufsbildungs-
bericht 2000 zur Kenntnis nehmen und zugleich über den
Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zu befinden
haben, dann müssen wir, obwohl wir über Entwicklungen
des Jahres 1999 sprechen, den Blick für die gegenwärtigen
Probleme des Arbeitsmarktes und der Berufsausbildung in
Deutschland offen halten.

In der Tat, bedingt auch durch den Konjunkturauf-
schwung, hat sich die absolute Zahl der arbeitslosen unter
25-jährigen Jugendlichen seit Dezember 1998 um rund
46 400 verringert. Trotz des höheren Bedarfs an Ausbil-
dungsplätzen durch geburtenstarke Jahrgänge war in den
alten Ländern seit 1996 die Zahl der noch unbesetzten be-
trieblichen Ausbildungsplätze höher als die der unvermit-
telten Bewerber. Das klingt gut. Das ist schön für die Ju-
gendlichen. Es ist aber in starkem Maße auf die Ausweitung
der öffentlich finanzierten Ausbildung zurückzuführen.
Genau darin ist die Schwierigkeit zu sehen.

Die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplatzver-
träge ging nach Angaben Ihres Ministeriums, Herr
Catenhusen, in den alten Ländern um 0,5 Prozent und in
den neuen Ländern um bis zu 10 Prozent zurück. Im Osten
ist die Anzahl der arbeitslosen Jugendlichen um 11 800
gestiegen. Eine weitere Spaltung von Ost und West ist in
dieser Hinsicht unübersehbar.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)


Die Chancen der Jugendlichen in Ostdeutschland, ei-
nen Ausbildungsplatz zu bekommen, sind nach wie vor
schlecht. 127 300 offenen Ausbildungsstellen standen im
Ausbildungsjahr 1999/2000 224 400 Bewerber gegen-
über. Trotz des Bewerberrückgangs gegenüber dem Aus-

bildungsjahr 1998/99 hatten rund 97 000 Jugendliche zu
diesem Zeitpunkt noch keine Ausbildungsstelle.

Meine Damen und Herren von der Regierungskoali-
tion, für die F.D.P. bleibt die Ausbildungsplatzsituation
nicht nur ein Thema für die Bundesbildungsministerin,
sondern es ist in erster Linie ein Thema für den Bundes-
wirtschaftsminister.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Hören Sie endlich auf, mittelstandsfeindliche und ausbil-
dungsplatzvernichtende Gesetze zu verabschieden!


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen

Handwerks, Herr Philipp, hat die Bundesregierung zu
Recht aufgefordert, in einem ersten wichtigen Schritt die
nächste Stufe der Steuerreform vorzuziehen, um die der-
zeit bestehende Benachteiligung der Personengesell-
schaften auszugleichen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Die Mehrheit der mittelständischen Unternehmen ge-

rade im Osten Deutschlands sieht die Steuerpolitik der
Bundesregierung als Wachstumshemmnis an. Nehmen
Sie das bitte zur Kenntnis!


(Beifall bei der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]: Das ist aber falsch!)


Auch die Gewerbesteuer gehört nach unserer Auffassung
längst auf den Prüfstand. Mit Steuersenkungen würden Sie
mittelständischen Unternehmen helfen und dazu beitra-
gen, dass neue betriebliche Ausbildungsplätze entstehen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Sie diskriminieren Ihre eigenen Leistungen bei der Steuerreform! Das ist ja unglaublich!)


Die Leistungen der ostdeutschen Unternehmen – der
Handwerksunternehmen wie der mittelständischen Unter-
nehmen insgesamt – sind zu würdigen. 60 Prozent der
Ausbildungsplätze in der ostdeutschen Wirtschaft werden
von Unternehmen geschaffen. Aber es sind eben noch
70 Prozent davon staatlich subventioniert. Das ist der Zu-
stand im Osten Deutschlands. Es ist natürlich eine an-
dere Situation als in den alten Bundesländern. Aber man
darf diese Situation nicht ignorieren.

Wenn bereits unser Bundestagspräsident, Herr Kollege
Thierse, darauf hinweist, sollte man es auch ernst nehmen,
obwohl ich nichts von Schwarzmalerei halte.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Seine Analyse war aber völlig verfehlt!)


Ich halte viel davon, dass man die Situation gerade beim
Aufbau Ost differenziert betrachtet. In Ostdeutschland
gibt es sowohl strukturschwache als auch strukturstarke
Regionen.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Das hat Herr Thierse übersehen!)





Ekin Deligöz
14050


(C)



(D)



(A)



(B)


Man muss aber auch überdenken, wie es mit der Mo-
bilitätshilfe weitergehen soll. Erlauben Sie mir, Herrn
Thierse zu zitieren:

Die konjunkturelle Abkoppelung des Ostens und die
damit zusammenhängende verschärfte Ost-West-
Spaltung des Arbeitsmarktes führen zwangsläufig zu
steigender Abwanderung qualifizierter und mobiler
Arbeitskräfte sowie Auszubildender von Ost nach
West.

Das ist eben das Problem. Wollen wir weiterhin eine
Landverschickung Jugendlicher gezielt fördern oder wol-
len wir die Mobilität junger Menschen motivieren, ohne
sie staatlich zu subventionieren? In einer international ge-
prägten Wirtschaftslandschaft ist es wichtig, dass junge
Leute Mobilität an den Tag legen. Aber es stellt keine Lö-
sung für den Osten dar, wenn man Mobilitätshilfen ge-
währt. Das Ziel kann doch nicht sein, im Osten Deutsch-
lands ein Altersheim zu schaffen und junge Menschen in
den Westen auswandern zu lassen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Nehmen Sie den Aufbau Ost ernst und schaffen Sie den

jungen Menschen Perspektiven in ihren Heimatregionen!
Betreiben Sie eine echte Mittelstandspolitik und bringen
Sie den Mut für eine wirkliche Reform des dualen Sys-
tems der Berufsausbildung und der beruflichen Weiterbil-
dung auf!


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Schaffen Sie ein Klima des Aufbruchs und damit ein bes-
seres Klima auch für die Ausbildungsplatzsituation im
Osten Deutschlands!


(Jörg Tauss [SPD]: Haben wir doch! Überall, im Osten wie im Westen!)


Meine Damen und Herren von der Regierungskoali-
tion, ich weiß eigentlich gar nicht, warum Sie sich aufre-
gen. Sie haben uns einen Entschließungsantrag vorgelegt,
der eine selbstkritische Bewertung der Ausbildungsplatz-
situation in Deutschland und insbesondere in den neuen
Bundesländern enthält, und haben zugegeben, dass be-
triebliche Ausbildungsplätze fehlen. Dann sollten Sie hier
auch nicht ständig die Problembeschreibung verneinen,
die ich vornehme. Lassen Sie uns endlich Taten insbeson-
dere von der Bundesregierung sehen und nicht nur schöne
Worte hören!


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Verglichen mit Ihren Problemen von damals sehen wir aber gut aus! – Walter Hirche [F.D.P.]: Ei der Tauss!)


Wir müssen natürlich die Reform der Berufsausbil-
dung vorantreiben. Die F.D.P. hat vorgeschlagen, in der
Modularisierung der beruflichen Ausbildung auf der Ba-
sis von Grundberufen mit anschließenden Spezialisie-
rungsrichtungen weiterzukommen. Natürlich haben wir
dabei leistungsstarke und leistungsschwache junge Men-
schen gleichermaßen im Auge.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist kalter Kaffee!)


Einerseits erhalten die jungen Menschen in einem solchen
System eine echte Chance für einen Einstieg in den Beruf.
Andererseits gewinnt man durch die Modularisierung
mehr Flexibilität in der Ausbildung, die dem Wandel der
Berufsbilder, aber auch dem drohenden Fachkräfteman-
gel gerecht wird.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Zuletzt ein Blick auf Europa.Dieses Thema ist uns be-

sonders wichtig. Die Ausbildung muss internationaler
werden. Mit Blick auf ein weiter zusammenwachsendes
Europa unter Berücksichtigung des baldigen Beitritts der
ersten mittel- und osteuropäischen Staaten sehe ich im Ge-
gensatz zur innerdeutschen Mobilitätshilfe große Chancen
für eine europäische Berufsausbildung. Die guten Daten,
die wir auch für die Nutzung des Euro-Passes seit 1. Januar
2000 haben, bestätigen dies.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414325300
Frau Kollegin Pieper,
der Blick nach Europa darf nur ein kurzer sein; denn Ihre
Redezeit ist abgelaufen.


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1414325400
Ich glaube, dass wir gerade
hier weiterkommen müssen. Wir werden Vorschläge dafür
unterbreiten, dass die Berufsausbildung auf dem eu-
ropäischen Bildungsmarkt von jungen Menschen ver-
stärkt genutzt werden kann. Das, denke ich, ist ein
wichtiges Ziel, das wir alle ins Auge fassen sollten.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Frau Pieper, wir haben es nie aus dem Auge verloren!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414325500
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Maritta Böttcher.


Maritta Böttcher (PDS):
Rede ID: ID1414325600
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Wende-
schock hat, denke ich, nun auch jene erreicht, die mein-
ten, der Markt werde es schon richten. Die Warnungen vor
einer Vertiefung der Kluft zwischen West- und Ost-
deutschland sind zwar allesamt nicht neu, aber darum
nicht weniger richtig.

Neu ist allerdings, dass nun auch die CDU/CSU die
Entvölkerung des Ostens entdeckt, eine Entwicklung,
die vor allem auf die Strukturentscheidungen der Ära
Kohl zurückgeht. Maßnahmevorschläge gegen die Ab-
wanderung der Jugend – von Streichung der Mobilitäts-
hilfen bis zum Vorschlag aus Sachsen, Rückkehrprämien
von 5 000 DM zu zahlen – zeigen die Hilflosigkeit der Po-
litik auf diesem Gebiet. Wer wollte denn wirklich für
5 000 DM dorthin zurückkehren, wo man ihm schon vor-
her keine Perspektive bieten konnte? Die Jobmaschine
steht nun einmal nicht im Osten, sondern im Süden
Deutschlands. Von dort aus werden die Patenschaften mit
den Ostarbeitsämtern organisiert, und zwar mit circa
10-prozentigen Erfolgsquoten vor allem bei Jugendli-
chen, die einen Ausbildungsplatz suchen.




Cornelia Pieper

14051


(C)



(D)



(A)



(B)


Dass sich das alles marktwirtschaftlich besser rechnet
als sozial flankierende Strukturmaßnahmen, lässt uns die
BDAwissen. Mobilitätshilfen haben in 2000 nur 134Mil-
lionen DM gekostet, ABM dagegen 7,2 Milliarden DM.

Durch die schwache wirtschaftliche Entwicklung und
die damit einhergehende hohe Arbeitslosigkeit werden
weite Teile der Bevölkerung Ostdeutschlands von den
wichtigen Lernprozessen in der Arbeit abgekoppelt. Die
Zahl der im Berufsleben stehenden Menschen ist seit
1989 rückläufig. Es stieg nicht nur die Arbeitslosigkeit.
Auch die Dauer der Arbeitslosigkeit erhöhte sich ebenso
wie die Langzeitarbeitslosigkeit bei gleichzeitig sinken-
der Wiederbeschäftigungsquote der Arbeitslosen. Zwei
Drittel der Arbeitslosen blieben auf Dauer im Kreislauf
zwischen registrierter Arbeitslosigkeit, Umschulung und
ABM, also außerhalb von Lernprozessen in der eigentli-
chen Arbeitswelt. Damit ist die Entwertung beruflicher
Kompetenzen programmiert.

Das Dilemma setzt sich in der Berufsausbildung fort.
Die Angebot-Nachfrage-Relation ist im Osten nach wie
vor am schlechtesten. Viele Jugendliche müssen auf An-
gebote der zweiten oder dritten Wahl ausweichen, da die
Zahl der betrieblichen Stellen nicht einmal für die Hälfte
ausreicht. Die jüngste Steigerung der Zahl der abge-
schlossenen betrieblichen Ausbildungsverträge um 2 Pro-
zent in 2000 bereits als positiven Trend hinsichtlich des
Engagements der Wirtschaft zu feiern geht wohl doch am
Problem vorbei.


(Beifall bei der PDS)

Denn erstens beruht diese Steigerung auf einem Rückgang
um bis zu 10 Prozent im letzten Jahr. Zweitens sind wir da-
mit gerade einmal auf dem Niveau von 1997/98 angekom-
men. Und drittens gab es trotz aller Nachvermittlungs-
aktionen zum Jahresende immer noch fast 30 000 un-
versorgte Bewerberinnen und Bewerber; denn es fallen
circa 11 000 aus Ihrer Statistik heraus. Die Arbeitgeber ha-
ben ihr Versprechen also zum wiederholten Male nicht ein-
gehalten. Damit meine ich nicht die Kleinbetriebe in den
neuen Ländern, die ohnehin die höchsten Ausbildungs-
quoten haben.

Hinzu kommt, dass im Osten etwa jede dritte den Ar-
beitsämtern gemeldete Stelle auf ein Sonderprogramm
zurückzuführen ist. Rund 14 000 Jugendliche aus dem
Osten nahmen 1999 eine Ausbildung in den alten Bun-
desländern auf. Deutliche regionale Unterschiede gibt es
auch in der schulischen Ausbildung.

Auch die Probleme der so genannten zweiten
Schwelle haben im Osten andere Dimensionen: Nach er-
folgreich abgeschlossener Ausbildung haben sich hier
1998 39 Prozent der Absolventen zunächst einmal ar-
beitslos melden müssen. Dabei ist die Ausbildungsquote
in den neuen Ländern deutlich höher als in den alten; 1998
waren dort 6,2 Prozent aller Beschäftigten Auszubil-
dende. Am geringsten war die Ausbildungsquote in Groß-
und Mittelbetrieben der alten Länder mit 3,7 Prozent bzw.
mit 3,9 Prozent, am höchsten in Kleinbetrieben der neuen
Länder mit 7,2 Prozent. Die Tatsache, dass die Ausbil-
dungsquote bei den Großbetrieben am geringsten ist, wird
auch dadurch nicht besser, dass sich diese Betriebe im-

merhin zu 85 Prozent überhaupt an der Ausbildung betei-
ligen.

Diejenigen, die das Jahrhundertgeschäft mit der Trans-
formation Ostdeutschlands gemacht haben, sind weit
weg, wenn es gilt, das Desaster für die Jugendlichen zu
mildern, die auch zehn Jahre nach der Wende viermal
schlechtere Startchancen haben. Auch die hoch gelobten
Fördermaßnahmen von Bund und Ländern haben für die
Jugendlichen im Osten keinen durchschlagenden Erfolg
gebracht. Während die Jugendarbeitslosenquote im Wes-
ten sank, stieg sie zum Ende des Jahres 2000 im Osten so-
gar um 11 Prozent. Der Abbau der Arbeitslosigkeit in
Deutschland kommt also genau dort nicht voran, wo es
am nötigsten wäre. Noch immer finden Tausende von Ju-
gendlichen weder einen Ausbildungsplatz noch berufliche
Perspektiven.

Deshalb möchte ich zum Schluss festhalten: Lehrstel-
lenmangel ist für uns nicht zuerst eine Frage des Wirt-
schaftsstandortes, sondern vor allem eine Frage der Ent-
wicklungsperspektive der Jugendlichen. Dafür, dass diese
im Osten gleiche Chancen haben, ist auch die Politik zu-
ständig; hier ist sie in der Verantwortung. Die Wirtschaft
löst das Problem ganz offensichtlich nicht, sollte aber als
Nutznießer finanziell an der Ausgestaltung qualitativ
gleichwertiger, zukunftsträchtiger Ausbildungsgänge be-
teiligt werden.

Deshalb – und nur deshalb – halten wir an der Forde-
rung nach einem Gesetz zur solidarischen Umlagefinan-
zierung fest. Denn auch das jetzt hoch gelobte Bündnis für
Arbeit – ich will nicht falsch verstanden werden: ich achte
jeden Schritt nach vorn – hat genau an diesem Punkt noch
keinen Schritt nach vorn getan.


(Beifall bei der PDS)

Die einzige Möglichkeit, die wir sehen, ist daher, ein sol-
ches Gesetz auf den Weg zu bringen.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414325700
Es spricht jetzt der
Kollege Willi Brase für die SPD-Fraktion.


Willi Brase (SPD):
Rede ID: ID1414325800
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dem von
den Koalitionsfraktionen vorgelegten Entschließungs-
antrag wird die Lage auf dem Ausbildungsstellenmarkt
grundsätzlich positiv beschrieben. Es ist nicht zu bestrei-
ten, dass die Bundesregierung erhebliche Anstrengungen
auf dem Gebiet der beruflichen Bildung unternommen
hat. Ich nenne hier nur Stichworte: Orientierung an dem
Ausbildungskonsens im Rahmen der Arbeitsgruppe Aus-
und Weiterbildung des Bündnisses für Arbeit, das JUMP-
Programm, die zweite Phase der Früherkennung des
Qualifikationsbedarfes, die Offensive zum Abbau des IT-
Fachkräftemangels, die Erhöhung der Flexibilität, die
Durchlässigkeit des dualen Systems und – aus jüngster
Zeit – die Bereitstellung von 255 Millionen DM zur Mo-
dernisierung der Berufsschulen aus dem Zukunftsinvesti-
tionsprogramm.


(Beifall bei der SPD)





Maritta Böttcher
14052


(C)



(D)



(A)



(B)


Meine Damen und Herren von der F.D.P., ich stelle
fest: Wir haben von Ihnen heute zu diesen Tatsachen kein
einziges Wort gehört.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Das stimmt doch gar nicht! – Cornelia Pieper [F.D.P.]: Ich habe sogar etwas zur Konjunktur gesagt! Hätten Sie mal zugehört!)


Sie betreiben auch bei der Debatte zur beruflichen Bil-
dung die Strategie nach dem Motto: Totalverriss und
Wegschauen. Die konjunkturelle Entwicklung wird von
Ihnen nicht zur Kenntnis genommen, im Gegenteil. Ich
bin ganz sicher: Wir werden hier noch einiges nach vorn
bringen können.

Ihnen ist offensichtlich einfach nicht klarzumachen,
dass diese sattsam bekannte Verselbstständigung der par-
lamentarischen Auseinandersetzung von den Menschen
immer mehr durchschaut wird. Nur sollten Sie sich dann
über zunehmende Politikfeindlichkeit und Wahlenthal-
tung nicht wundern. Setzen Sie sich doch endlich einmal
mit den Konzepten, die wir vorlegen, auseinander!


(Beifall bei der SPD – Cornelia Pieper [F.D.P.]: Eine freie Rede hätte den Vorteil, dass man vorher zuhören müsste!)


Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die
von Ihnen und insbesondere von der F.D.P. propagierten
Konzepte auf die Durchlöcherung bundeseinheitlicher Aus-
bildungsordnungen, auf Kurzausbildungs- und Schmal-
spurberufe, aber noch mehr auf maßgeschneiderte, rein auf
den Betrieb bezogene Ausbildungsordnungen sowie auf
Ausdünnung der Basisberufe zugunsten weiterer Modulari-
sierung hinauslaufen. Anders herum formuliert: Das Satel-
litenmodell zum Beispiel des DIHTwird von den zuständi-
gen Sozialpartnern abgelehnt. Es ist doch schon spannend,
dass eine bestimmte Dachorganisation ein Modell verfolgt,
das die eigenen Arbeitgeberverbände als nicht tragbar und
nicht gut für die Zukunft ansehen.


(Jörg Tauss [SPD]: Hört! Hört!)

Sie können davon ausgehen, dass wir als Mehrheitsfrak-
tion dieses nicht mitmachen werden. Ich denke, dass wir
den jungen Leuten etwas Neues sagen und Perspektiven
bieten müssen. Das wollen wir machen.

Meine Damen und Herren, die grundsätzlich positive
Lage befreit uns aber nicht von der Verpflichtung, die Re-
formanstrengungen fortzuführen.


(Beifall bei der SPD)

Die Ausbildungsplatzsituation stellt sich regional sehr un-
terschiedlich dar; vor allem in den östlichen Bundeslän-
dern reichen die Angebote der Betriebe nicht aus. Durch
regionale Nachvermittlungsaktionen müssen hier noch
Reserven erschlossen werden. Angesichts der schwieri-
gen Situation in den neuen Bundesländern müssen das
JUMP-Programm weitergeführt, die Ausbildungsförde-
rung Ost auf hohem Niveau beibehalten und gleichzeitig
in den regionalen Ausbildungskonsensrunden dauerhaft
zusätzliche Ausbildungsplätze mobilisiert werden.


(Beifall bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: In der Reihenfolge!)


Ich verweise in diesem Zusammenhang gerne auf die
Daten des IAB-Betriebspanels, denenzufolge im Dienst-
leistungsbereich ein hohes ungenutztes Ausbildungspo-
tenzial brachliegt. Sie können das nachlesen: Vor allem
im Bereich der freien Berufe, im Gesundheitswesen, in
der Wirtschaftswerbung, in Architekturbüros und im
Gaststätten- und Beherbungsgewerbe sind noch riesige
Kapazitäten vorhanden. Diese sollten wir gemeinsam vor
Ort erschließen. Das eröffnet Zukunftschancen für junge
Menschen. Es gibt deshalb aus unserer Sicht überhaupt
keinen Anlass für die Behauptung, die hin und wieder auf-
gestellt wird und die man dann lesen kann, die Bundesre-
gierung hätte ihre Parole, dass der Aufbau Ost Chefsache
sei, jedenfalls bezüglich des Feldes berufliche Bildung, ad
acta gelegt.

Jetzt komme ich doch noch darauf, was Sie, Frau
Pieper gesagt haben. Eine Landverschickung von Ost
nach West wird sicherlich von niemandem hier im Parla-
ment gewünscht oder gefordert. Wenn wir es aber nicht
schaffen, dafür zu sorgen, dass ausreichend Ausbildungs-
plätze in den östlichen Bundesländern zur Verfügung ge-
stellt werden, dann ist es besser, dass die jungen Leute
sich in den angrenzenden Regionen ausbilden lassen und
danach wieder zurückgehen.


(Beifall bei der SPD – Cornelia Pieper [F.D.P.]: Bei Ihrer mittelstandsfeindlichen Politik ist das auch kein Wunder!)


– Das hat damit überhaupt nichts zu tun, Frau Pieper, das
wissen Sie auch.

Das Gleiche macht schon seit längerem das Land Sach-
sen. Auch dort wurde ein Mobilisierungsprogramm auf
den Weg gebracht. Wenn die jungen Leute nach der Aus-
bildung in die neuen Bundesländer zurückkehren, brau-
chen sie die Mobilitätshilfe nicht zurückzuzahlen; bleiben
sie in den westlichen Ländern, müssen sie einen Teil die-
ser Hilfe zurückzuzahlen. Ich finde, dieser Weg ist rich-
tig. Wir werden ihn unterstützen.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, die gesellschaftliche Verantwortung zur Zukunfts-
sicherung der Jugend bündelt sich in der regionalen Be-
reitschaft und Fähigkeit der beteiligten Partner, für die
Sicherung und Schaffung ausreichender und qualifizierter
Ausbildungsplätze zu sorgen. Dass sie nah an den Betrie-
ben liegen, nah an den Jugendlichen und nah an den Be-
rufsschulen, sehen wir als eine ständige Aufgabe an. Hier
wollen wir das Erreichte noch weiter vorantreiben.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414325900
Herr Kollege Brase,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Böttcher?


Willi Brase (SPD):
Rede ID: ID1414326000
Ja.


Maritta Böttcher (PDS):
Rede ID: ID1414326100
Herr Kollege Brase, Sie
haben eben noch einmal deutlich gemacht, wie wichtig
die regionale Bereitschaft ist. Geben Sie mir Recht, dass
es angesichts der Tatsache, dass die 100 größten ost-
deutschen Unternehmen gemeinsam nicht mehr als ein
Viertel der Umsätze von zum Beispiel Daimler-Chrysler




Willi Brase

14053


(C)



(D)



(A)



(B)


verbuchen können, dass von den 190 größten deutschen
Unternehmen kein einziges seinen Sitz in den neuen Län-
dern hat und sämtliche größere Ostunternehmen von
westdeutschen Mutterkonzernen abhängig sind, ein sehr
kompliziertes Unterfangen ist, diese zu stärken? Es ist
doch klar, dass selbst eine 100-prozentige Beteiligung der
Großunternehmen bei der Ausbildung den Jugendlichen
im Osten dann noch lange nichts bringt. Würde wirklich
die Möglichkeit – Sie haben es Landverschickung
genannt; so weit möchte ich nicht gehen –, im Westteil des
Landes eine Ausbildung zu absolvieren, das Problem
lösen, dass die Jugendlichen, wenn sie zurückkommen,
keinen Arbeitsplatz bekommen? Glauben Sie das wirk-
lich?


Willi Brase (SPD):
Rede ID: ID1414326200
Ich habe nie gesagt, dass wir
mit einer Orientierung hin zu den westlichen Ländern
automatisch eine Antwort auf die Ausbildungs-
platzprobleme und -wünsche der Jugendlichen geben
können. Ich habe nur gesagt: Wenn wir es in den Regio-
nen teilweise nicht schaffen, im Konsens ausreichend
Ausbildungsplätze zu organisieren, so liegt dies nicht nur
an größeren Unternehmen bzw. an Unternehmen, die
ihren Firmensitz in den westlichen Bundesländern haben.
Am Beispiel der Dienstleistungsberufe aufgrund des Be-
triebpanel kann man sehr gut nachvollziehen, dass es hier
jede Menge Reserven gibt. Es kommt darauf an, diese vor
Ort zu mobilisieren. Dass das möglich ist, zeigen viele
Beispiele aus den so genannten alten bzw. westlichen,
südlichen oder nördlichen Ländern der Bundesrepublik
Deutschland. Hier wollen wir ansetzen. Das wollen wir
vorantreiben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte gerne noch einige Anregungen für die wei-
tere Diskussion geben, wenn es darum geht, wie wir in der
beruflichen Bildung – auch vor dem Hintergrund ver-
besserter Zahlen – wieder weiter nach vorn kommen.

Von Wissenschaft bis Unternehmen wird ein erhöhter
Veränderungs- und Modernisierungsbedarf für die beruf-
liche Bildung reklamiert. Uns und auch mir erscheint es
notwendig, dass wir das Leitbild der beruflichen Bildung
vor dem Hintergrund der rasanten Veränderung der Ar-
beitswelt überprüfen. Eine moderne Berufsausbildung
muss sich stärker an einem Facharbeiter-, an einem Ar-
beitnehmerbild orientieren, das sich vielleicht wie folgt
beschreiben lässt:

Die zukünftigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
beteiligen sich aktiv und gestaltend an den betrieblichen
Geschäfts- und Innovationsprozessen und an der betrieb-
lichen Organisationsentwicklung. Sie tun dies in sozialer,
ökonomischer und ökologischer Verantwortung. Anders
formuliert: Es geht um die Mitgestaltung der Arbeitswelt
durch die aktiv handelnden Personen, das heißt die Be-
schäftigten und auch die Auszubildenden. Dieser Mitge-
staltungsaspekt hat Konsequenzen für die berufliche Bil-
dung. Wir wollen und wir werden ihm künftig mehr
Beachtung schenken.


(Beifall bei der SPD)


Es kann zweitens nicht bestritten werden, dass bei der
Neuordnung der Ausbildungsberufe große Fortschritte
mit Blick auf das oft kritisierte Problem der mangelnden
Zeitnähe erreicht worden sind. Wir haben in Punkt 6 des
Entschließungsantrages gefordert, die Offensive zum Ab-
bau des IT-Fachkräftemangels der Bundesregierung, die
ich ausdrücklich begrüße, auf alle Ebenen des Bil-
dungssystems und nicht zuletzt auf die berufliche Bildung
auszuweiten. Die IT-Revolution ist nicht primär ein Aka-
demikerproblem, sondern in vorderster Front ein Problem
auf der Ebene der Facharbeiterinnen und Facharbeiter.

Ein dritter Punkt bei der notwendigen Weiterentwick-
lung des Berufskonzeptes ist der Tatbestand, dass das
Wissen über Arbeitszusammenhänge und Arbeitspro-
zesse immer mehr zu einem zentralen, berufskonstitu-
ierenden Merkmal wird. Dies führt aus meiner Sicht – ich
weiß, dass das nicht unumstritten ist – zu der Notwendig-
keit, die vorhandene ausgeprägte horizontale Speziali-
sierung der Ausbildungsberufe zu vermindern. Wir brau-
chen keine Ausbildung zum Zweiradkaufmann, wie vom
DIHT gefordert, wir wollen Fehlentwicklungen verhin-
dern, wie ich sie gerade geschildert habe.

Zu diesem dritten Punkt – das will ich deutlich machen –
liegt ein hochinteressantes Reformprojekt auf dem Tisch.
In einem Modellversuch zur Reform der beruflichen Bil-
dung bei VW, gestartet am 1. September 1999, werden
diese und andere Entwicklungsperspektiven umgesetzt.
In diesem Modellprojekt geht es unter der Zielorientie-
rung der Verringerung der horizontalen Spezialisierung
um die Entwicklung von Kernberufen. Lassen Sie mich
zwei Beispiele nennen.

Aus den Berufen Kommunikationselektroniker/in, Fach-
richtung Informationstechnik, Energieelektroniker/in, Fach-
richtung Betriebstechnik, und lndustrieelektroniker/in,
Fachrichtung Produktionstechnik, wird in diesem Modell-
projekt der Kemberuf Industrieelektroniker/in entwickelt.

Aus den Berufen Kauffrau/Kaufmann für Bürokom-
munikation, Automobilkauffrau/-kaufmann und Indus-
triekauffrau/-kaufmann alter Prägung wird der neue Kern-
beruf Industriekauffrau/-kaufmann entwickelt.

In diesem Modellvorhaben werden 3 900 Auszubil-
dende in 29 Berufen vorrangig in fünf ausgewählten In-
dustrieberufen qualifiziert und vorangebracht. Dieses
Modellvorhaben zeigt deutlich, dass sich die Berufsaus-
bildung stärker auf Geschäfts- und Produktionsprozesse
beziehen soll, so wie dies übrigens auch im Bündnispapier
zur „Strukturellen Weiterentwicklung der dualen Berufs-
ausbildung“ vom 22. Oktober 1999 gefordert wird. Dies
setzt eine enge Abstimmung aller an der Ausbildung Be-
teiligten zwingend voraus.

Meine Damen und Herren, ein weiterer Punkt, der vo-
rangetrieben werden muss, ist die Kooperation der
Lernorte.Die Bundesregierung hat dies deutlich erkannt.
Wir verweisen auf den entsprechenden BLK-Modellver-
such. Dieser Aspekt der Kooperation der Lernorte muss
bundesweit zum Grundsatz der beruflichen Bildung wer-
den. Denn dann wird berufliche Bildung eher passgenau
durchgeführt.


(Beifall bei der SPD)





Maritta Böttcher
14054


(C)



(D)



(A)



(B)


Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, der stark
in der Diskussion ist: die Situation der Berufsschulleh-
rer. In Punkt 9 unseres Antrages wird gefordert, im Rah-
men der Initiative der Bundesregierung „Schulen ans
Netz“ die Qualifikation des Lehrpersonals zu einem
Schwerpunkt zu machen. Der DGB-Vorsitzende Schulte
hat unlängst gefordert, dass der Stellenwert der Berufs-
schule gesteigert werden müsse. Wir unterstützen ihn in
diesem Punkt.

Der Lehrermangel an den Berufsschulen entwickelt
sich mehr und mehr zu einem „alarmierenden Zustand“,
so unlängst die „Berliner Zeitung“. Es gibt möglicher-
weise – das wurde eben schon gesagt – eine Personallücke
von 6 600 Berufsschullehrern. Besonders wichtig dabei
ist, festzustellen, dass der größte Mangel in den Bereichen
Maschinenbau, Elektrotechnik und – man will es nicht
glauben – in dem Zukunftssektor überhaupt, in der Infor-
mationstechnologie, liegt. Es stellt sich immer klarer he-
raus, dass das Gehalt eine große Rolle bei dem zu beob-
achtenden Trend der Abwanderung in die Wirtschaft
spielt.

Wir haben erkannt, dass bezüglich dieses Problems der
Berufsschulen gehandelt werden muss. Die Bundesregie-
rung hat aus den ZIP-Mitteln 255 Millionen DM zur Mo-
dernisierung der Berufsschulen mit der Auflage zugesagt,
Mitnahmeeffekte auszuschließen. Diese schnelle Reak-
tion wird von meiner Fraktion ausdrücklich begrüßt.


(Beifall bei der SPD)

Die Bundesregierung hat eine Steilvorlage an die Län-

der geliefert. Die Kosten für die berufliche Bildung wer-
den damit deutlich verringert. Die Länder sind nun gefor-
dert, sich daran ein Beispiel zu nehmen und mögliche frei
werdende Mittel für höhere Bezüge der Berufsschullehrer
auszugeben, sodass wir bei der Beseitigung des Berufs-
schullehrermangels einen kleinen Schritt nach vorne kom-
men. Die Bundesregierung sollte prüfen, ob bei erfolgrei-
cher Umsetzung des Modernisierungsprogramms das
Programm auch über 2002 sinnvollerweise seine Fortset-
zung finden kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Ausgleich der gleichberechtigten Interessen von

Jugendlichen und Unternehmen, von Schulen und der Ge-
sellschaft ist Ausdruck der Reformfähigkeit und bedeutet
Zukunftssicherung. Reform als einseitige Orientierung an
Unternehmensinteressen lehnen wir ab; sie wird den An-
sprüchen und den berechtigten Interessen der Jugendli-
chen nicht gerecht. Ein großer Teil der jungen Menschen
sieht heute noch und auch weiterhin seine Perspektive in
der dualen Berufsausbildung.

Zugleich gilt mehr denn je, in der Wissensgesellschaft
neben den einschlägigen Reformen im Bereich von Hoch-
schule und Forschung die Bereiche berufliche Erstaus-
bildung und lebensbegleitendes Lernen nach vorne zu
bringen. Das Bildungssystem in seiner Gesamtheit bleibt
nur dann reform- und entwicklungsfähig, wenn der ent-
scheidende Faktor der Qualifizierung der Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer nicht ausgespart wird.


(Beifall bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Richtiger Ansatz!)


Es ist richtig, was der IG-Metall-Vorsitzende Zwickel
in diesem Zusammenhang kürzlich deutlich gemacht hat.
Bildung muss ein Thema für das Bündnis für Arbeit wer-
den. Es kann nicht angehen, dass sich 80 Prozent aller
Weiterbildungsangebote an nur 30 Prozent der Beleg-
schaften richten und für die anderen diesbezüglich nichts
getan wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Das werden wir nicht mitmachen. Wir werden vielmehr
den notwendigen Prozess vorantreiben.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414326300
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Rainer Jork.

Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU/CSU) (von Abgeordneten
der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist überaus sinn-
voll, in den Ausschüssen und hier im Plenum des Deut-
schen Bundestages über Berufsbildung und über die
Lage auf dem Lehrstellenmarkt zu diskutieren. Schließ-
lich geht es um eine Zukunftsfrage, die uns alle und nicht
nur die jungen Menschen betrifft. Es geht um Themen wie
die strukturelle Erneuerung, die Modernisierung und Ak-
tualisierung der Ausbildung. Es geht aber auch um die
Ausbildungsplatzsituation.

Wenn ich mich erneut primär der Ausbildungssituation
in den neuen Bundesländern widme, dann liegt das neben
meiner begrenzten Redezeit an der nach wie vor beson-
ders prekären Situation in den neuen Bundesländern hin-
sichtlich der Bereitstellung betrieblicher Lehrstellen.

In der ersten Ausschusssitzung dieser Periode hörten
wir aus dem Mund des Sprechers der SPD, dass nun ein
Epochenwechsel eintreten werde. Zwei Jahre danach darf
man sicher fragen, wie denn dieser Epochenwechsel in
der Praxis aussieht. Dazu will ich einige aktuelle Zahlen
zur Jugendarbeitslosigkeit nennen, die Sie alle kennen
und die die Zahlen ergänzen, die wir schon gehört haben.

Im Bundesgebiet West haben wir eine Jugendarbeitslo-
sigkeit von 8,9 Prozent, im Bundesgebiet Ost von
22,9 Prozent. Sachsen-Anhalt mit 24,6 Prozent und
Mecklenburg-Vorpommern mit 24,1 Prozent sind
Spitzenreiter. Die allgemeine Arbeitslosigkeit liegt im
Westen bei 7,8 Prozent, im Osten bei 17,4 Prozent. Das ist
– ungeachtet der bereits diskutierten Abwanderung – eine
Verschlechterung gegenüber früher.


(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

In dem Entschließungsantrag von SPD und Bünd-

nis 90/Die Grünen vom 10. Mai vorigen Jahres zu dem
Berufsbildungsbericht auf Drucksache 14/3244, über den
wir heute beraten und beschließen, steht allerhand. Ich
möchte auf zwei Punkte eingehen, weil sie mir, vor allem
unter dem Blickwinkel der Situation in den neuen Bun-
desländern, besonders wichtig sind und weil, obwohl ich
bereits am 27. September vorigen Jahres im Ausschuss




Willi Brase

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und am 10. November vorigen Jahres im Plenum darauf
hingewiesen habe, bislang keinerlei Reaktion erfolgt ist.

Schauen wir uns den Antrag einmal an. Da steht:
Die Situation auf dem Ausbildungsmarkt hat sich
verbessert.

Weiter heißt es:
Diese Verbesserung der Ausbildungssituation ist den
Bemühungen der rot-grünen Bundesregierung zu
verdanken.


(Jörg Tauss [SPD]: Richtig!)

Dann muss die Bundesregierung ja wohl auch primär

dafür verantwortlich sein. Die Zahlen haben wir ja gehört.
Aber es gibt auch noch ein „Forum Bildung“. Wir haben
in der Abgeordneteninformation Nr. 5 des BMBF vom
27. November vorigen Jahres lesen können, dass auch ei-
nige andere einbezogen werden sollen, zum Beispiel die
Länder, die Arbeitnehmer, die Arbeitgeber, die Vertreter
der Wissenschaft, der Kirchen, der Studierenden, der Aus-
zubildenden. Danach sollten unter Hinzuziehung externer
Experten „in zwei Jahren Konzepte zur Weiterentwick-
lung unseres Bildungswesens“ vorliegen. Es geht also um
Konzepte, die erst in der nächsten Wahlperiode vorliegen
werden, da diese Wahlperiode in zwei Jahren zu Ende sein
wird. Das wird dann bestimmt vor allem für Jungen und
Mädchen spannend sein, die heute keine Lehrstelle haben.

Wird so ein Epochenwechsel vorbereitet? Welche
Rolle spielt dabei die Wirtschaft? Wir haben heute schon
darüber gesprochen. Gilt das Prinzip Hoffnung als Epo-
chenwechsel? Das genügt weder dem Anspruch der SPD
noch deren Versprechungen und den berechtigten Erwar-
tungen der Jugendlichen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Was wird in dem Informationsblatt für Abgeordnete

unter der Überschrift „Neue Chancen für Auszubildende“
angeboten? Als „neue Chancen“ werden bewährte Me-
thoden wie Verbundausbildung, neue Berufe, Fortführung
des Ausbildungsprogramms Ost, Ausbildungsplatzent-
wickler, finanzielle Förderung angeboten – alles gut,
wohlgemerkt. Da stimme ich mit Ihnen völlig überein,
Herr Brase. Ich habe bei dem, was Sie an der Stelle gesagt
haben, keine Abstriche zu machen. Aber das alles ist seit
Jahren bekannt. Es ist nichts Neues, es bedeutet nur eine
Verstetigung, die man nicht als Neues verkaufen kann.
Was also ist wirklich neu?


(Jörg Tauss [SPD]: JUMP haben Sie ganz vergessen!)


Zu dem dritten Punkt Ihres Entschließungsantrages.
Dort steht – ich verkürze es ein bisschen –: Der Bundes-
tag begrüßt die Weiterführung des Sofortprogramms zum
Abbau der Jugendarbeitslosigkeit.


(Jörg Tauss [SPD]: Ein gutes Programm!)

– Klar, Herr Tauss.

Jetzt geht es weiter:

In diesem Zusammenhang sollten auch Möglichkei-
ten der Standardisierung der Maßnahmen geprüft
werden.

„Standardisierung“ bedeutet nichts anderes, als nach ei-
nem Muster zu vereinheitlichen. Was soll das angesichts
nachgewiesenermaßen recht unterschiedlicher Ausgangs-
bedingungen, nicht nur in Ost und West, sondern auch re-
gional in den einzelnen Bundesländern?

Herr Schwanitz sagte am 14. Januar im Fernsehen, dass
die Förderung differenziert und regional erfolgen solle.
Das ist das genaue Gegenteil.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das ist ein großer Widerspruch!)


Warum ist dieser Antrag nicht der Realität angepasst
worden? Seit wann hat die SPD eine Scheu nachzubessern?
Das ist doch ein Wort, das wir uns inzwischen eingeprägt
haben. Warum wird dieser irrsinnige Untersuchungsauftrag
nicht gestrichen? Lesen Sie einmal das Thierse-Papier! Le-
sen Sie einmal die Ergebnisse unserer Anhörungen zu den
Lehrstellen, die ich am 30. Juni vorigen Jahres in diesem
Hause übergeben habe!

Ich bedanke mich ausdrücklich für die ehrliche Be-
standsaufnahme, die der Präsident des Bundestages und
stellvertretende SPD-Vorsitzende Thierse veranlasst hat.
Auch wenn es manchem hier und dort, aus welchen Grün-
den auch immer, nicht gefällt: Hier wird problemspezifi-
scher Handlungsbedarf aufgezeigt.


(Jörg Tauss [SPD]: Wie früher die blühenden Landschaften!)


– Das wird Sie interessieren, Herr Tauss, besonders vor
Ihrem gewerkschaftlichen Hintergrund.

Lassen Sie mich zitieren:
Seit 1998 ist die Arbeitslosenquote im Osten vom
1,8-Fachen im Jahr 2000 auf das 2,3-Fache der
Arbeitslosenquote im Westen gestiegen.

Weiter:
Jugendarbeitslosigkeit ist eines der gravierendsten
Probleme in Ostdeutschland. 150 000 Arbeitslose
sind unter 25 Jahre alt, 15 Prozent mehr als 1998 ...

Frau Kollegin Deligöz, hier haben Sie etwas verpasst.
Das haben Sie nicht gehört. Das sollten Sie wissen. Sie ha-
ben vorhin das Gegenteil behauptet.

Die Problemlage, die ich eben beschrieb und die Sie
sich schriftlich haben zuarbeiten lassen, wurde von der
Koalition mit Durchschnittsangaben oder Unkenntnis
sträflich ignoriert. Hier ist eine nachhaltige Besserung
nötig.

Ich zitiere weiter aus dem Papier:
Die konjunkturelle Abkoppelung ... führt zwangsläu-
fig zu steigender Abwanderung ...

Ferner – ganz wichtig; Frau Pieper sprach das an –:
Sparen kann man im Fall Ostdeutschlands nur, wenn
man in die wirtschaftliche Entwicklung investiert!




Dr.-Ing. Rainer Jork
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Das bedeutet auch, dass in einem Ministerium allein das
Problem nicht lösbar ist. Davon redete ich schon wieder-
holt.

Weiter:
Deshalb kann auch eine Politik der „Verstetigung“
den bereits stattfindenden Vertrauensverlust nicht
mehr kompensieren ...

Verstetigung ist das, was Sie machen – nichts Neues.
Nach dieser umfassenden Analyse warten wir nun aber

gespannt auf konsequente und konkrete Schlussfolgerun-
gen in der praktischen Politik, um zu bessern und auch zu
ermutigen. Bitte tun Sie endlich etwas für den Epochen-
wechsel – wenn Sie es schon so nennen –, den Sie ver-
sprochen haben, und nicht nur für Verstetigung! Sie brau-
chen offenbar sehr viel Zeit.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist schon Chuzpe!)

Wenn die enormen Beträge des Sofortprogramms

sachgerecht eingesetzt worden wären, dann hätten effek-
tivere und nachhaltigere Ergebnisse erreicht werden kön-
nen.


(Jörg Tauss [SPD]: Sie wollten es doch abschaffen!)


Praktische Politik muss die eigenen ideologischen und
programmatischen Ansprüche infrage stellen.

Was ist also aus dem angekündigten Epochenwechsel
in der Bildungspolitik, speziell bei unserem Thema, ge-
worden? Zögern, Gleichverteilen, „Weiter so“, nichts
Grundsätzliches; zuerst Handeln, dann Nachbessern und
Nachdenken; das Prinzip Hoffnung für die Zeit nach der
Wahl.

Ich möchte ausdrücklich anerkennen, wo die Bundes-
regierung positiv auf die Lehrstellensituation eingewirkt
hat und einwirkt – ich wiederhole, Kollege Brase, das,
was Sie gesagt haben –: natürlich die finanzielle Förde-
rung auf hohem Niveau, aber auch anderes.

Ich zitiere: Bei der strukturellen „Weiterentwicklung
der dualen Berufsausbildung“ wird eine „künftige Glie-
derung ... in Elemente gemeinsamer Qualifikation und in
Wahlpflichtelemente“ zur „Differenzierung der Ausbil-
dung für Leistungsschwächere und Leistungsstärkere“
unterstützt. – So eine Presseerklärung der Arbeits-, So-
zial-, Kultus- und Wirtschaftsministerkonferenz vom
6. Dezember vorigen Jahres. Das sind für mich die Mo-
dule, die wir lange fordern. Das ist für mich das Satelli-
tenmodell, das Ihnen, Herr Brase, nicht passt. Andere ha-
ben sich entschlossen, genau das anzuwenden, weil das
vernünftig ist. Das ist der Ansatz zu neuen Methoden.

Im gleichen Sinne finde ich es sinnvoll, dass Berufs-
fachkommissionen eingerichtet werden sollen. Das hat
das BIBB am 20. Dezember 2000 in einer Presseerklärung
veröffentlicht. Es geht dort um die Aktualisierung, einen
schnellen Basiskontakt und die Abstimmung derer, die
mit dem Thema zu tun haben.

Aber es bleibt offen, was wir, die CDU/CSU-Fraktion,
wiederholt vorschlugen und was nun auch in dem Papier
von Thierse steht:

Erstens. Fördern Sie die Wirtschaft in den neuen Bun-
desländern konsequent, damit sie tun kann, was sie soll
und will: Lehrlinge ausbilden!

Zweitens. Berücksichtigen Sie regionale Spezifika, da-
mit die Abwanderung eingedämmt wird!

Drittens. Reagieren Sie aktuell und zeitnah im Inte-
resse der jungen Leute, frei von Vorbehalten und Wahl-
terminen!

Viertens. Gehen Sie das überaus komplexe Anliegen
durch koordinierte Maßnahmen an! Ich sagte schon: Das
ist in einem Ministerium allein nicht zu machen.

Herr Schwanewitz fehlt ja jetzt. Das ist ein Thema, das
er ansprechen sollte. Ein Ministerium allein schafft das
nicht.


(Zuruf von der PDS: Schwanitz heißt der!)

– Schönen Dank. Ich sehe ihn so selten, dass ich es ver-
gessen habe.

Ich kann die Koalition nur bitten: Haben Sie den Mut
zu wirklich neuen Wegen und Methoden, zu einem
tatsächlichen Epochenwechsel,


(Jörg Tauss [SPD]: Wie bei der Wahl-ABM!)

der, Herr Tauss, nicht nur verbal zu realisieren ist. Hier
geht es um Praxis.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der F.D.P. )



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414326400
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst zur
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, For-
schung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksa-
che 14/4305. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner
Beschlussempfehlung die Kenntnisnahme des Berufsbil-
dungsberichts 2000 auf Drucksache 14/3244. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
des ganzen Hauses angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Annahme des Entschließungsantrags der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
zum Berufsbildungsbericht 2000. Es handelt sich um die
Drucksache 14/3331. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist bei Enthaltung von CDU/CSU-,
F.D.P.- und PDS-Fraktion angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Günter
Nooke, Dr. Norbert Lammert, Ulrich Adam, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU




Dr.-Ing. Rainer Jork

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Gesamtkonzeption für Berliner Gedenkstätten
für die Opfer der SED-Diktatur notwendig
– Drucksache 14/4641 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder (f)

Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich höre kei-
nen Widerspruch. – Dann ist das so beschlossen.

Der Kollege Werner Schulz (Leipzig) vom Bünd-
nis 90/Die Grünen hat seine Rede zu Protokoll gegeben.1)
– Auch hier sehe ich keinen Widerspruch.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Günter Nooke.


Günter Nooke (CDU):
Rede ID: ID1414326500
Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Damen und Herren! Zu den Errungenschaften un-
seres Rechtsstaates gehört zweifellos die Pflege der de-
mokratischen Erinnerungskultur. Ein Grundprinzip
dieser Erinnerungskultur ist die Aufklärung, und zwar
deshalb, um das Aufkommen von Legenden und Lügen zu
verhindern. So gesehen sind Gedenkstätten der stärkste
Pfeiler der demokratischen Erinnerungskultur. Gedenk-
stätten – zumal die an authentischen Orten – zwingen uns
zum Hinsehen und befördern somit Wahrhaftigkeit, um
einmal dieses gewaltige Wort zu gebrauchen.

Dieser Sache war sich dieses Hohe Haus immer be-
wusst. Nicht zuletzt die beiden Enquete-Kommissionen
des Deutschen Bundestages, die sich in den beiden vor-
hergehenden Legislaturperioden vor allem mit der Aufar-
beitung und den Folgen der SED-Diktatur beschäftigten,
kamen zu folgendem Ergebnis: Demokratische Erinne-
rungskultur gehört zu den Bestandteilen unseres Rechts-
staates so wie dessen Institutionen selbst.

Als Mitglied des Kuratoriums zur Errichtung eines
Mahnmals für die ermordeten Juden Europas und zur Er-
innerung an die Opfer des Holocaust kann ich bestätigen,
dass bei allen demokratischen Kräften trotz aller – zum
Teil auch kontroversen – Debatten der Wille zur Pflege ei-
ner Erinnerungskultur, auch bezogen auf die jüngste Ge-
schichte im vergangenen Jahrhundert, vorhanden ist.

Wer die öffentlichen Debatten verfolgt, der wird
schnell Folgendes bestätigen können: Diesem Land man-
gelt es gewiss nicht an Gedenken, Gedenkstätten und ent-
sprechenden Diskussionen darüber. Ganze Feuilletons
von Zeitungen scheinen von diesem Thema zu leben. Es
gibt durchaus honorige Leute, die sagen, dass dies bereits
zu einer gewissen Gedenkmüdigkeit geführt hat. Aber
liegt das tatsächlich daran, dass es in diesem Lande zu viel
Gedenken gibt? Oder ist nicht vielmehr zu fragen, woran
in diesem Lande überwiegend gedacht wird, wenn es um
die Erinnerung an Widerstand und Opfer zweier Diktatu-
ren geht?

Wir müssen uns schon die Frage stellen, ob die Akzente
unserer Erinnerungskultur mit deren ganz praktischen Be-
standteilen, nämlich mit den Gedenkstätten, ausgewogen
und entsprechend den Erfahrungen unserer Geschichte
gesetzt sind. Dies ist jetzt nicht der Ort, um eine Debatte
über die Frage zu führen, ob das Erinnern an die eine Dik-
tatur mit dem Erinnern an die zweite Diktatur gleichge-
setzt werden sollte. Das ist hier wirklich nicht mein
Thema. Wir haben in diesem Lande keine Defizite, was
die Diskussion über diese Frage anbelangt. Aber es be-
steht sicherlich bei den meisten Mitgliedern dieses Hau-
ses kein Zweifel daran, dass die Erinnerung an die SED-
Diktatur ebenso ein wesentlicher Bestandteil der von mir
angesprochenen Erinnerungskultur ist wie das Erinnern
an die Opfer des Nationalsozialismus.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es besteht sicherlich auch kein Zweifel in diesem

Hause daran, dass gerade Berlin einer der wichtigsten
Orte – vielleicht der wichtigste Ort – für das Gedenken an
die SED-Opfer ist. Somit kommt entsprechenden Berli-
ner Gedenkstätten fast immer eine nationale Bedeutung
zu; denn hier in Berlin waren nun einmal die politischen
Zentren der Macht und des Unterdrückungsapparates der
DDR. Diese Gedenkstätten haben eine nationale Bedeu-
tung im eigentlichen Sinne. Das sollte gerade auch, wenn
es um die Frage geht, in welcher Weise Mittel zur Pflege
und praktischen Arbeit dieser Gedenkstätten zur Verfü-
gung gestellt werden, bedacht werden.

Ich hielte es für ein gutes Zeichen, wenn sich der neue
Staatsminister für Kultur und Medien, Herr Nida-Rümelin,
der Gedenkstätten der SED-Diktatur annähme.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Hälfte des Engagements, das Ihr Vorgänger für das
Gedenken an den Stätten der nationalsozialistischen Ge-
waltherrschaft aufgebracht hat, würde mir schon reichen.


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Diese Quantifizierung finde ich zum Kotzen!)


Die CDU/CSU-Fraktion hat den vorliegenden Antrag
eingebracht, weil – um es kurz zu sagen – den Erinne-
rungsstätten für die Opfer der SED-Diktatur und die kom-
munistische Gewaltherrschaft in der Hauptstadt bisher zu
wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Wenn das an
Berlin lag, dann will ich Ihnen nicht völlig widersprechen,
aber es ist eben auch eine nationale Aufgabe.

Sowohl die Mauergedenkstätte und das Dokumentati-
onszentrum in der Bernauer Straße als auch die ehemalige
Stasi-Untersuchungshaftanstalt Hohenschönhausen so-
wie die Zentrale der Staatssicherheit in der Normannen-
straße sind authentische Stätten der Erinnerung.


(Jörg Tauss [SPD]: Beim Stasi-Unterlagengesetz macht ihr das gleich mit!)


Für alle drei Gedenkstätten gilt, dass ihre perspektivische
Finanzierung derzeit nicht gesichert ist. Noch nicht ein-
mal die Mittel für notwendige Bau- und Instandhaltungs-
arbeiten sind so in die entsprechenden Haushalte einge-
stellt, dass – um es formal-bürokratisch zu sagen –
Planungssicherheit besteht.




Vizepräsidentin Petra Bläss
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1) Anlage 5


(Jörg Tauss [SPD]: Sie wollen die wissenschaftliche Aufarbeitung verhindern!)


– Aufarbeiten wollen wir schon. Schauen Sie sich einmal
an, was die Enquete-Kommissionen mit Ihrer Unterstüt-
zung beschlossen haben.

Unsere Fraktion hält es dabei für außerordentlich wich-
tig, dass für die genannten Gedenkstätten eine verbin-
dende Gesamtkonzeption – darum geht es in unserem
Antrag – erstellt werden muss. Dass sich hier insbeson-
dere der Bund in deutlich stärkerem Maße engagieren
muss, liegt meines Erachtens auf der Hand.

Unsere Sorge, dass dieser Teil der deutschen Nach-
kriegsgeschichte in Bezug auf die hier schon wiederholt
erwähnte Erinnerungskultur sozusagen unter die Räder
kommt, nährt sich aus bisherigen Erfahrungen. Es sei da-
ran erinnert, dass am 13. August 1998 das Mauer-Denk-
mal in der Bernauer Straße als nationales Denkmal einge-
weiht wurde. Die Kosten hatte der Bund übernommen,
während das Land Berlin für den Unterhalt des Denkmals
zuständig war und ist. Übrigens: Im Vergleich zu den Aus-
gaben beispielsweise für verschiedene Denkmäler und
Gedenkstätten zur Erinnerung an den Holocaust, zu denen
ich als Kuratoriumsmitglied für die Errichtung des Holo-
caust-Mahnmals stehe – ich sage das ausdrücklich –, han-
delt es sich in diesen Fällen um extrem niedrige Aus-
gaben. Um es – seit Jahren gibt es dafür ein geläufiges
Wort – anders auszudrücken: Es handelt sich um Peanuts.

Für mich war es eine ernüchternde Erfahrung, als ich
am 13. August vergangenen Jahres in einem Brief an die
Bundesregierung fragte, wie denn der Staatsminister für
Kultur und Medien an die Opfer der Berliner Mauer zu ge-
denken beabsichtige. Von der Protokollabteilung des In-
nenministeriums erhielt ich den lakonischen Hinweis,
dass eine offizielle Feierstunde oder ein Gedenken am na-
tionalen Denkmal oder anderswo nicht vorgesehen seien.

Meine Damen und Herren, am 13. August 2000, dem
39. Jahrestag des Mauerbaus, wurde von der Bundesre-
gierung schlichtweg nichts getan. Dieser Termin wurde
einfach vergessen.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Skandalös!)

Um es noch einigermaßen diplomatisch auszudrücken:
Dies war einer Bundesregierung unwürdig und müsste
den Opfern gegenüber eigentlich peinlich gewesen sein.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Ich weiß, wie viele da gelitten haben!)


Ich hoffe, dass es bei der Bundesregierung wenigstens zu
irgendeiner Gefühlsregung geführt hat. Die SPD-Fraktion
– ich will das auch sagen – erklärte damals lakonisch, das
Gedenken sei Sache des Parlamentes. Doch nicht einmal
der Bundestagspräsident interessierte sich an diesem
13. August dafür und ich glaube, diese Aussage ist
schlichtweg verlogen, wenn ich an die Größe der von
Schröder und Thierse am 9. November des vergangenen
Jahres vor der Synagoge in der Oranienburger Straße nie-
dergelegten Kränze denke.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist unglaublich! Widerwärtig! Tut mir Leid!)


– Das ist leider so. Entweder gedenkt das Parlament oder
die Regierung hat eine Verantwortung für beide Diktatu-
ren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]: Peinlich genug!)


Das möchte ich aber nicht weiter ausführen, sondern
die Gelegenheit lieber dafür nutzen, schon rechtzeitig
daran zu erinnern, dass in diesem Jahr immerhin der
40. Jahrestag des Mauerbaus begangen wird, Herr
Staatsminister. Ich hoffe, dass wenigstens diesmal die Pro-
tokoll-abteilung des Innenministeriums dem Minister die-
sen Hinweis auf Wiedervorlage für den 13. August dieses
Jahres legt.

Ich will die Gelegenheit des 40. Jahrestages des Baus
der Berliner Mauer, die das herausragende Symbol nicht
nur für die Teilung der Stadt, sondern auch für die Teilung
unseres Landes, die Teilung Europas und die Teilung der
Welt war, auch dafür nutzen,die Bundesregierung an ihre
Verantwortung zu erinnern. Es wäre gerade für einen
neuen Kulturstaatsminister, Herrn Nida-Rümelin, eine
außerordentlich gute Gelegenheit, unabhängig von der
Kulturhoheit der Länder nationales Engagement zu zei-
gen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich fordere den Herrn Staatsminister und die Bundes-

regierung deshalb im Namen der CDU/CSU-Bundestags-
fraktion auf, mit den verantwortlichen Mitarbeitern der
anfangs genannten Gedenkstätten mit dem Ziel in Kon-
takt zu treten – das ist auch in unserem vorliegenden An-
trag zu lesen –, erstens eine verbindende Gesamtkonzep-
tion einschließlich der notwendigen Finanzierung zu
erarbeiten, sich zweitens dafür einzusetzen, dass die not-
wendigen Bau-, Sanierungs- und Erhaltungsmaßnahmen
unverzüglich in Angriff genommen werden können, und
drittens für die genannten Gedenkstätten die Vorausset-
zungen für eine hinreichende Planungssicherheit auch für
die Zukunft ihrer Arbeit zu schaffen.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Lassen Sie mich mit einem Wort des ehemaligen
Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Joachim Gauck,
schließen, das er aus Anlass einer Sitzung der Enquete-
Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur
im Prozess der deutschen Einheit“ in Bezug auf die Not-
wendigkeit der Gedenkstätten sagte:

Wir gewinnen, wenn wir die Diktatur vorurteilsfrei
und offen bearbeiten, eine deutliche Annäherung an
die eigene Demokratie. Wir nehmen sie ernster trotz
der sie prägenden Widersprüche.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]: Für die Oranienburger Straße sollten Sie sich entschuldigen, Herr Nooke! Das wäre angemessen!)





Günter Nooke

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(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414326600
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Angelika Krüger-
Leißner von der SPD-Fraktion das Wort.


Angelika Krüger-Leißner (SPD):
Rede ID: ID1414326700
Sehr geehrter Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh,
dass ich nach Herrn Nooke reden kann, um einiges klar-
stellen zu können. Uns liegt ein Antrag der CDU/CSU-
Fraktion vor, der ein verstärktes Engagement der Bundes-
regierung im Bereich der Gedenkstätten und hier speziell
für drei Gedenkstätten für die Opfer der SED-Diktatur
fordert.

Nach dem ersten Durchlesen des Antrages erinnert
man sich an unsere jahrelange sehr umfangreiche und in-
tensive Arbeit in der Enquete-Kommission „Aufarbeitung
der Geschichte und der Folgen der SED-Diktatur“ im Pro-
zess der deutschen Einheit. Wir denken an die Diskussio-
nen, an die Debatten zur Gedenkstättenkonzeption des
Bundes und an den zuletzt vorgelegten Bericht der Bun-
desregierung über die Beteiligung des Bundes an den Ge-
denkstätten. Dabei stellen sich die Fragen nach ausrei-
chenden Grundlagen und Rahmenbedingungen für die
Arbeit der Gedenkstätten, nach ihren Möglichkeiten und
Grenzen künftiger Arbeit, nach spezifischen Aspekten ih-
rer Tätigkeit und nach der engeren Verknüpfung der zahl-
reich bestehenden Gedenkstätten.

Für die drei explizit aufgeführten Gedenkstätten, um
die sich die Antragsteller bemühen, sind diese Fragen
noch einmal zu durchdenken. Liebe Kollegen, ich erin-
nere mich, dass wir in den wesentlichen Grundfragen zur
Gedenkstättenkonzeption überfraktionell ein Einverneh-
men herstellen konnten.


(Beifall bei der SPD und der PDS)

Das ist an Herrn Nooke möglicherweise vorbeigegangen.


(Jörg Tauss [SPD]: Aber spurlos!)

Mit diesem umfassenden Konzept, das auf Erkenntnissen
langjähriger Zusammenarbeit mit den Ländern, den zahl-
reichen Gedenkstätten und den Experten beruht, haben
wir zugleich ein gesamtgesellschaftlich getragenes Kon-
zept entwickelt. In ihm haben wir den authentischen Or-
ten der beiden Diktaturen in Deutschland die höchste Pri-
orität eingeräumt. Sie sind die stärksten Pfeiler der
demokratischen Erinnerungskultur, sind sie doch die Orte
der freien und offenen Auseinandersetzung mit der Ge-
schichte unseres Landes. Als Lernorte haben sie ein un-
geheures, einmaliges Erinnerungs- und Aufklärungspo-
tenzial, das in der aktuellen politischen Situation für
individuelles und gesellschaftliches Handeln von heraus-
ragender Bedeutung ist. Die Bewahrung der Erinnerung
und die Unterstützung der Arbeit der Gedenkstätten ist
auch deshalb eine gesamtgesellschaftliche Arbeit, da sie
nur in Kooperation von Bund und Ländern, mit privater
Initiative und durch Vereine und Verbände geleistet wer-
den kann.

Die drei im Antrag benannten Berliner Gedenkstätten
in der Bernauer Straße, in Hohenschönhausen und in der
Normannenstraße haben eine besondere Stellung in der
Reihe der nach der Wende sehr zahlreich entstandenen

Gedenkstätten an authentischen Orten in den neuen Bun-
desländern. Die Geschichte, die sie repräsentieren und mit
ihren Ausstellungen lebendig halten, ist ebenso vielfältig,
wie die 45 Jahre dauernde Nachkriegsgeschichte und
Existenz der DDR an Brüchen und Ereignissen reich ist.
Sie stehen ohne Zweifel in einem besonderen Licht, das
sich in der zentral historischen Rolle Berlins als Haupt-
stadt der DDR begründet, da sich hier auch jene zentralen
Institutionen und Organisationen angesiedelt hatten, die
die politische Verfolgung der Gegner planten und organi-
sierten.

Die von großer Heterogenität geprägte Gedenkstätten-
landschaft in Berlin erinnert in vielfältiger Weise an die
Repressionen der 50er-, 60er-, 70er- und 80er-Jahre mit
ihren spezifischen Formen politischer Verfolgung und
Hafterfahrung. An diesen authentischen Orten können wir
eindringlich und nachhaltig wahrnehmen, wie man Milli-
onen Menschen über ein Netzwerk dieser Diktaturen zu
lenken und einzuschüchtern wusste und wie sich Verwei-
gerung, Opposition und Widerstand regten.

Diese Erinnerung zu bewahren ist für die Bundesre-
gierung und das Land Berlin an diesen drei Gedenkorten
von besonderer Bedeutung, dokumentieren sie doch zu-
gleich ihren spezifischen Charakter, wie Hohenschönhau-
sen als Ort der Opfer, die Normannenstraße als Ort der Tä-
ter und die Bernauer Straße als Ort der Repression, und
damit zugleich auch ihre Vernetzung.

Aus Ihrem Antrag, werte Kollegen der CDU/CSU, ist
der Ruf nach einem verstärkten Engagement des Bundes
in konzeptioneller und finanzieller Hinsicht nicht zu über-
hören. Wenn dem so sein soll, dann stellen sich für mich
folgende Fragen: Was haben der Bund und das Land Ber-
lin für diese herausgehobenen Gedenkstätten bisher ge-
tan? Gibt es vielleicht Versäumnisse in der gemeinsamen
Verantwortung für diese Orte? Ist die Bedeutung dieser
drei Gedenkstätten in der Vergangenheit nicht hinrei-
chend berücksichtigt worden?

Bei genauem Hinschauen, werter Kollege Nooke, wird
deutlich, dass dem nicht so ist. Der Bund nimmt seine ge-
samtstaatliche Verantwortung für die Gedenkstätten in
Berlin sehr wohl wahr. Ich denke, dass er dies sogar in
hervorgehobener Weise wie in keinem anderen Bundes-
land tut. Dazu einige Zahlen. Auf der Grundlage der Kri-
terien in der Gedenkstättenkonzeption beteiligt er sich
durch die hälftige institutionelle Förderung an vier Ge-
denkstätten, darunter auch Hohenschönhausen. Zu den
drei historischen Museen, die der Bund bisher zu 100 Pro-
zent finanziert, ist in diesem Jahr das Jüdische Museum
hinzugekommen.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: 20 Millionen DM Betriebskosten! Wissen Sie das? – Gegenruf der Abg. Monika Griefahn [SPD]: Das kommt auch noch hinzu!)


– Warten Sie doch ab! – Zu den vier geförderten Denk-
mälern gehört auch das Denkmal Berliner Mauer. Dazu
kommen noch mehrere Projektförderungen.

Wir haben uns in der Gedenkstättenförderung auf eine
zumindest hälftige Beteiligung des jeweiligen Sitzlan-
des verständigt. Ich erinnere Sie daran, dass dies im Ein-






(C)



(D)



(A)



(B)


vernehmen mit den Ländern erfolgt ist, sichert sie doch so
die gemeinsam notwendige und angemessene Förderung
wie die gemeinsame Verantwortung und Mitwirkung in
den Gremien der Gedenkstätten bzw. Stiftungen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Von diesem Grundsatz der gesamtstaatlichen Verant-
wortung und Repräsentanz wollen wir nicht abgehen,
wird sie doch sowohl der historischen Verantwortung des
Gesamtstaats als auch der grundsätzlichen und verfas-
sungsmäßigen föderalen Kompetenz der Länder gerecht.
In Anerkennung dessen ist demnach die in Ihrem Antrag
beschriebene Forderung, Herr Nooke, wohl in erster Linie
zunächst an das Land Berlin heranzutragen. Unter der Be-
achtung der Kompetenzordnung des Grundgesetzes und
in Anerkennung der dezentralen Gedenkstättenlandschaft
in der Bundesrepublik kann es nicht Aufgabe des Bundes
sein, eine Konzeption für einzelne Gedenkstätten oder für
die Beziehung der Gedenkstätten untereinander zu erar-
beiten. Die konzeptionelle Arbeit muss an den Gedenk-
stätten selbst geschehen; dort sind die notwendige Kom-
petenz und die dafür zuständigen Gremien vorhanden.

Einer der wichtigsten Grundsätze in der Gedenkstät-
tenkonzeption war die Wahrung der Unabhängigkeit
der Gedenkstätten. Schon aus diesem Grunde werden
wir keine inhaltlichen Vorgaben machen. Dennoch habe
ich für Ihre Forderung Verständnis, wird doch auch Ihre
Unzufriedenheit mit dem bisher Erreichten sowie die
Sorge um die weitere Arbeit und die finanzielle Sicher-
stellung aus Ihrem Antrag deutlich. Ohne auf die Um-
stände der Entwicklung dieser drei Gedenkstätten näher
eingehen zu können, glaube ich, dass wir im elften Jahr
nach der Wende konzeptionell schon hätten weiter sein
und damit eine sichere finanzielle Grundlage für die Ar-
beit hätten haben können.

Lassen Sie mich den gegenwärtigen Stand genauer be-
trachten: Das Denkmal Berliner Mauer wurde 1998 an
einem signifikanten Ort in der Bernauer Straße eröffnet.
An keiner anderen Stelle in Berlin war die Trennung von
Ost und West durch die Mauer so unmittelbar gravierend
erfolgt. So gelingt es dort in hervorragender Weise, um-
fassende Informationen über das Grenzsystem und das
Ausmaß der menschenverachtenden Grenzanlagen am
authentischen Ort zu vermitteln. Das Denkmal wurde mit
rund 2,3 Millionen DM vom Bund finanziert und nach
Fertigstellung vom Senat von Berlin übernommen.
Gegenüber der Gedenkstätte hat das Land Berlin ein Do-
kumentationszentrum eingerichtet. Derzeit wird eine
Ausstellung anlässlich des 40. Jahrestages des Mauerbaus
vorbereitet. Sie wird vom Bund im Rahmen der
Gedenkstättenkonzeption zu 50 Prozent mitfinanziert.
Auf dieser Grundlage könnte auch die weitere Finanzie-
rung erfolgen. Dies muss aber für das Jahr 2001 und die
folgenden Jahre durch das Land Berlin mit dem Bund ver-
handelt werden; der Rahmen dafür ist gegeben.

Die Gedenkstätte Hohenschönhausen, die von 1950
bis 1989 zentrale Untersuchungshaftanstalt in der DDR
war, wurde 1995 gemeinsam vom Bund und dem Land
Berlin gegründet. Dieses Dokumentations- und
Begegnungszentrum ist zugleich Forschungsstätte für die

Geschichte der Haftanstalt und wird bereits von einer
selbstständigen Stiftung nach Berliner Landesrecht ge-
tragen. Vertreter von Bund und Land arbeiten gemeinsam
im Stiftungsrat, Vertreter der Opferverbände, Sachver-
ständige und die unterschiedlichsten gesellschaftlichen
Kräfte sind im Stiftungsrat vertreten. Grundlage für ihr
Zusammenwirken ist eine vom Arbeitsausschuss der Ge-
denkstätte erarbeitete Nutzungs- und Gestaltungskonzep-
tion.

Seit 1995 wird diese Gedenkstätte vom Land Berlin
und vom Bund zu je 50 Prozent finanziert. In diesem Jahr
stehen 1,97 Millionen DM an Haushaltsmitteln zur Verfü-
gung, zuzüglich 9,8 Millionen DM für die notwendigen
Instandsetzungs- und Sanierungskosten bis 2004. Auch
diese Mittel teilen sich der Bund und das Land Berlin. Ich
sehe hier keinen Handlungsbedarf.

Was die dritte genannte Gedenkstätte – die Zentrale der
ehemaligen Staatssicherheit, das Haus I in der Norman-
nenstraße – betrifft, teile ich Ihre Sorgen. Ich bin froh,
dass sich auch hier einiges bewegt hat. Dazu folgende
Fakten:

Erstens. Der Bund und das Land Berlin sind sich darin
einig, dass die Sicherung von Haus I als Ort historischer
Dokumentation von großer Bedeutung ist.


(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Die Grundlage für ein weiteres Vorgehen

muss eine wissenschaftliche Konzeption zur Nutzung
sein – eine solche fehlt bisher –, die der besonderen his-
torischen Bedeutung des Ortes gerecht wird.

Drittens. Der Bund und das Land Berlin haben zu die-
sem Zweck eine Fachkommission berufen, die ihre Ar-
beit bereits aufgenommen hat. Die Geschäftsführung liegt
beim Berliner Landesbeauftragten für die Unterlagen des
Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Herrn
Gutzeit; Vorsitzender dieser Kommission ist Siegfried
Vergin, den wir in dieser Frage alle noch als Experten ken-
nen.

Viertens. Als Ergebnis der Arbeit der Fachkommission
erwarten wir neben einem Nutzungskonzept auch ein wis-
senschaftlich und museumspädagogisch fundiertes Kon-
zept, das eine grundlegende Ausstellung zur Tätigkeit des
MfS als Ort der Täter ermöglichen soll.

Die zu erarbeitenden Leitlinien für die künftige Nut-
zung des Hauses I sollen eine inhaltliche Perspektive vor-
geben und Grundlage für das weitere politische Vorgehen
vom Land Berlin und vom Bund sein. In diesem
Zusammenhang erwarten wir auch eine Klärung der von
Ihnen angesprochenen Frage nach der Kooperation zwi-
schen den Einrichtungen, also ein Gesamtkonzept.

Der Bericht der Fachkommission soll im Sommer die-
ses Jahres vorliegen. Er wird Grundlage für unsere weite-
ren Beratungen sein. Dazu gehört dann auch die brisante
Frage der Sanierungsmaßnahmen, die sich im zweistelli-
gen Millionenbereich bewegen werden. Die Entschei-
dung über die künftige Nutzung, die Kooperation mit den
anderen beiden Gedenkstätten, die Sanierung und die Fi-
nanzierung sind also nach Lage der Dinge frühestens im
Herbst möglich.




Angelika Krüger-Leißner

14061


(C)



(D)



(A)



(B)


Lassen wir also den Fachleuten diese Zeit zur intensi-
ven Arbeit und Abwägung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Diskutieren wir weiter, wenn die Ergebnisse der Fach-
kommission auf dem Tisch liegen. Sie sehen, Herr Nooke,
die Dinge sind auf den Weg gebracht.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Die Gesamtkonzeption nicht!)


– Haben Sie nicht zugehört?

(Günter Nooke [CDU/CSU]: Doch! – Gegenruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]: Fachleute statt Nooke!)


Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414326800
Als
nächster Redner hat der Kollege Jürgen Türk von der
F.D.P.-Fraktion das Wort.


Jürgen Türk (FDP):
Rede ID: ID1414326900
Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer wie ich als gelern-
ter DDR-Bürger erfahren hat, wie schwer es ist, unter den
Bedingungen einer Diktatur aufrecht zu gehen, den erfüllt
es schon mit einer gewissen Trauer, wenn er sieht, dass die
Erinnerungsstätten einstiger Unterdrückung jetzt langsam
verfallen. So sieht der Iststand aus. Das haben die vielen
Opfer, die den Weg zur friedlichen Revolution in der DDR
bereiteten, nicht verdient.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir wissen ja, das menschliche Gedächtnis ist

schwach. Es braucht einfach Orte und Gegenstände, an
denen sich die Erinnerung festmachen lässt. Was könnte
eindrücklicher als das Stasi-Gefängnis in Hohenschön-
hausen sein, das fast „unversehrt“ erhalten geblieben ist.
Fatalerweise lassen wir es jetzt verfallen, weil notwendige
Mittel für den Gedenkstättenbetrieb und die bauliche In-
standhaltung noch fehlen. Machen wir uns nichts vor:
Das, was uns etwas wert ist, lassen wir uns auch etwas
kosten. Das ist im privaten wie im staatlichen Bereich so.
Deshalb wäre es aus meiner Sicht ein falsches Signal,
insbesondere in Richtung Osten, ausgerechnet bei der Be-
wahrung der Erinnerung an die Opfer kommunistischer
Gewaltherrschaft eine falsche Sparsamkeit, die es auch
gibt, an den Tag zu legen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Die Menschen, die in Hohenschönhausen und in der

Normannenstraße schreckliche Qualen erlitten haben, be-
saßen Zivilcourage, eine Eigenschaft, an der es in
Deutschland und auch anderswo häufig mangelt und die
man deshalb gar nicht hoch genug bewerten kann und
muss.


(Beifall des Abg. Walter Hirche [F.D.P.])


Wenn das Leid der Verfolgten einen Sinn gehabt haben
soll, dann den, die nachwachsende Generation auch gegen
etwaige Wiederholungsversuche zur Schaffung einer
kommunistischen Diktatur zu immunisieren. Deshalb fin-
det der gestellte Antrag, eine Gesamtkonzeption für die
Opfergedenkstätten in Berlin zu erstellen – Sie haben
heute gesagt, dass sie auf dem Weg sei – sowie deren lang-
fristige Finanzierung zu sichern, meine volle Unterstüt-
zung.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ein letzter Satz: Ein Schwarzer-Peter-Spiel zwischen

Bund und Berlin – das spielen wir immer, wenn wir uns
herausmogeln wollen – bringt uns nicht weiter, Frau
Krüger-Leißner.


(Angelika Krüger-Leißner [SPD]: Das ist nur ein Beachten von Kompetenzen!)


Sie haben das heute richtig gestellt. Für den neuen Staats-
minister wird es sicherlich zu seinen ersten wichtigen
Aufgaben gehören, dafür zu sorgen, dass der Bund und
Berlin eine Gesamtkonzeption vorlegen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414327000
Der Kol-
lege Werner Schulz vom Bündnis 90/Die Grünen hat seine
Rede zu Protokoll gegeben.

Als nächster Rednerin gebe ich das Wort der Kollegin
Petra Pau von der PDS-Fraktion.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414327100
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Herr Kollege Nooke, zwei Botschaften
bzw. Anliegen des CDU/CSU-Antrages teile ich aus-
drücklich. Es stimmt: Eine Gesamtkonzeption für die Ge-
denkstätten steht aus. Eine langfristige und damit auch
perspektivgebende Finanzierung ist nicht geklärt.

Ausgangs- und auch Zielpunkt Ihres Antrages greifen
aber meines Erachtens zu kurz. Meine geringe Redezeit
ermöglicht es mir nicht, zu den von Ihnen vorgenomme-
nen Gleichsetzungen und Aufrechnungen unterschiedli-
chen Gedenkens, welche sich aus meiner Sicht verbieten,
Stellung zu nehmen. Deshalb möchte ich nur etwas dazu
sagen, warum in Ihrem Antrag einiges zu kurz greift.

Meines Erachtens geht es eben nicht nur um die Ver-
waltung des Gedenkens und um das Erhalten von Ge-
denkstätten; vielmehr wird es sehr lange, nämlich Zeit ih-
res Bestehens, auch um wissenschaftliche Begleitung
und um Aufarbeitung gehen. Das muss Bestandteil einer
Gesamtkonzeption und eines Finanzierungskonzeptes
sein.


(Beifall bei der PDS)

Sie sollten den Fokus Ihrer Betrachtung erweitern. Wo

ist das Haus am Checkpoint Charlie mit dem, was es in
dieser Topographie des Gedenkens zu leisten hat?


(Beifall bei der PDS)





Angelika Krüger-Leißner
14062


(C)



(D)



(A)



(B)


Was ist mit der inzwischen abgeschlossenen Markierung
des Grenzverlaufs in der Innenstadt? Auch hierzu gehört
eine Begleitung, eine Erklärung – nicht nur für die vielen
Gäste dieser Stadt, sondern vor allen Dingen auch für die
nachwachsenden Generationen. Selbst wir fragen uns
doch heute, wenn wir an diesen Orten sind: Wie war denn
das damals? Wir haben kaum noch Erinnerungen. Was
machen wir mit unseren Kindern und unseren Enkeln?
Auf welche Art und Weise können wir ihnen das erfahr-
bar machen, was nicht mehr sinnlich erfahrbar ist?

Auch ein paar Sünden gehören dazu. Kollege Nooke,
es reicht nicht auf die Bundesregierung oder auf Teile des
Berliner Senates zu schauen. Wenn ich mich recht ent-
sinne, dann hat den Abriss des Wachtturms am Check-
point Charlie genauso wie den Abriss des Turmes am
Potsdamer Platz ein CDU-geführter Berliner Senat zu
verantworten.


(Beifall bei der PDS)

Wenn über ein Gesamtkonzept geredet wird, dann sollten
wir uns auch mit der gesamten Geschichte und den Zeu-
gen, die noch zur Verfügung standen, auseinander setzen.

In der Konzeption der Gedenkstättenlandschaft müs-
sen strukturelle Defizite behoben werden. Ein Vorschlag
für die weitere parlamentarische Behandlung: Lassen Sie
uns doch über eine Stiftung des Bundes nachdenken! Las-
sen Sie uns darüber beraten, was machbar ist, möglichst
in Verbindung mit dem Forschungsverbund der Freien
Universität „SED-Unrechtsregime“! Ich denke, das wäre
wünschenswert, damit wir nicht immer wieder dann,
wenn ein Problem auftaucht, über Stückwerk debattieren
müssen.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414327200
Ich
schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/4641 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung soll
abweichend von der Tagesordnung beim Ausschuss für
Kultur und Medien liegen. Sind Sie damit einverstan-
den? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
4. Bericht der Bundesregierung zurAuswärti-
gen Kulturpolitik 1999
– Drucksache 14/4312 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Auswärtiger Ausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Tourismus

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sollen die
Reden zu diesem Tagesordnungspunkt – es handelt sich
um die Reden der Kolleginnen Monika Griefahn, Rita
Süssmuth,1) Rita Grießhaber, Ulrich Irmer, Dr. Heinrich
Fink und Staatsminister Dr. Zöpel – zu Protokoll genom-
men werden.2) Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann ist das so beschlossen.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/4312 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Dr. Norbert Lammert, Bernd Neumann (Bremen),
Hartmut Koschyk, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Soziokultur
– Drucksachen 14/1575, 14/4020 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Dr. Norbert Lammert von der CDU/CSU-Frak-
tion das Wort.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1414327300
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über meinen Parla-
mentarischen Geschäftsführer habe ich Ihren gut gemein-
ten Hinweis erhalten, Herr Präsident, dass auch in der
Hälfte der mir zustehenden Redezeit dieses Thema Ihrer
Einschätzung nach erschöpfend zu behandeln sei. Die
Wahrheit ist, dass sicherlich nicht nur nach der Wahrneh-
mung der im Bereich der Soziokultur engagierten Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter auch die doppelte Redezeit
nicht ausreichen würde,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

die vielfältigen Aspekte angemessen darzustellen, mit de-
nen sich der Deutsche Bundestag wenn überhaupt, dann
eher zu selten als zu häufig beschäftigt. Deswegen hoffe
ich, mir Ihr Wohlwollen nicht gänzlich zu verscherzen,
wenn ich Ihnen feierlich zusage, mich um eine Kürzung
der vorgegebenen Redezeit zu bemühen, auch wenn ich
vielleicht nicht ganz die von Ihnen vorgegebene Maßein-
heit erreiche.


(Jörg Tauss [SPD]: Das Wohlwollen hängt vom Inhalt ab, nicht von der Länge!)


– Mindestens der erste Teil war offenkundig auch von den
Koalitionsfraktionen nicht zu beanstanden. Vielleicht hält
sich das so; das wollen wir einmal abwarten.

Jedenfalls bin ich für den nächsten Teil auch ganz zu-
versichtlich. Ich möchte nämlich die erste Gelegenheit




Petra Pau

14063


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Redebeitrag wird in einem späteren Bericht abgedruckt.
2) Anlage 6

nutzen, bei einer kulturpolitischen Debatte im Deutschen
Bundestag den neuen Beauftragten der Bundesregierung
für Kultur und Medien im Namen meiner Fraktion herz-
lich zu begrüßen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)


– An diese Konstellation werden Sie sich ohnehin ge-
wöhnen müssen, Herr Nida-Rümelin, dass die Aus-
führungen der Opposition jedenfalls in Kultur und Me-
dienfragen regelmäßig stürmischen Beifall insbesondere
Ihrer Koalitionsfreunde erzeugen. Das mag die bei Ihnen
ohnehin sicherlich hinreichend vorhandene Motivation
zur Übernahme des Amtes weiter stabilisieren.

Ich wiederhole, was ich bereits im Ausschuss gesagt
habe: Wir sind zu einer konstruktiven Zusammenarbeit
bereit. Konstruktiv heißt: Wir werden immer dann hart
streiten, wenn es uns als notwendig erscheint; aber wir
werden uns in Zukunft wie in der Vergangenheit darum
bemühen, dass dabei nicht der Streit zur Hauptsache wird,
sondern die Sache Hauptsache bleibt, und dass dieses ge-
meinsame Ringen am Ende die Entfaltungs- und Wir-
kungsmöglichkeiten der Kultur vergrößert.


(Beifall bei der CDU/CSU – Walter Hirche [F.D.P.]: Damit wollten Sie wohl das Leitmotiv der Soziokultur im Bundestag darstellen?)


– Gäbe ich der Versuchung nach, auf diesen Zwischenruf
einzugehen, Herr Kollege Hirche, würde dies die gut ge-
meinten Bemühungen um Kürzung der Redezeit vollends
atomisieren. Deswegen bitte ich um Verständnis, dass ich
das nicht tue.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Ich wollte Sie nur in Ihren Bemühungen unterstützen!)


Ich sehe für eine solche auch in Zukunft enge Zusam-
menarbeit über Fraktionsgrenzen hinweg insgesamt gute
Voraussetzungen, übrigens auch bei diesem Thema, zu-
mal die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große
Anfrage der CDU/CSU-Fraktion ausdrücklich auf eine
frühere Anfrage der damaligen Opposition und auf die
seinerzeitige Antwort der damaligen Bundesregierung
Bezug nimmt. Um auch an dieser Stelle die Kontinuität
kulturpolitischer Bemühungen im Protokoll festzuhalten,
weise ich darauf hin, dass die Bundesregierung Wert da-
rauf legt, dass die in der seinerzeitigen Antwort der da-
maligen Bundesregierung vorgenommenen Bewertungen
hinsichtlich der Bedeutung der Soziokultur und ihrer Le-
gitimation innerhalb des kulturellen Lebens unverändert
Gültigkeit besitzen. Nun ist das vielleicht nicht so son-
derlich aufregend, weil man sich über die Überschriften
immer leichter als über das Eingemachte einigt.

Wir haben im Übrigen nicht nur, aber auch bei diesem
Thema das bekannt delikate Verhältnis unterschiedlicher
Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten zwischen
Bund, Ländern und Kommunen. Deswegen freue ich
mich ganz besonders, dass zur Verdeutlichung unseres In-
teresses an einer konstruktiven, unverkrampften und nicht
ideologisch bornierten Zusammenarbeit von Bund und
Ländern der Staatsminister für Wissenschaft, Forschung

und Kunst des Freistaates Bayern die Mühe nicht ge-
scheut hat, an dieser Debatte teilzunehmen, und damit un-
ser Interesse an einem konstruktiven Verhältnis der Zu-
sammenarbeit eindruckvoll unterstreicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Walter Hirche [F.D.P.] – Jörg Tauss [SPD]: Aber so ganz „unborniert“ ist er auch nicht!)


– Ich bin schon über das Wort „auch“ ganz gerührt, weil
es ein Maß an Selbsterkenntnis deutlich macht, das nicht
in jeder Debatte bei Ihren Zwischenrufen, Herr Tauss, zu
erkennen war.

Wir haben die Große Anfrage zum Thema Soziokultur
am 7. September 1999 eingebracht. Die Bundesregierung
hat zweimal um Fristverlängerung gebeten und nach
zehnmonatiger Bearbeitung dieses Themas endlich ihre
Antwort vorgelegt. Dies könnte zwei Schlussfolgerungen
nahe legen. Die eine Schlussfolgerung ist die, dass das
frühere Lieblingsthema sozialdemokratischer Kulturpoli-
tik in der neuen sozialdemokratischen oder rot-grünen
Wahrnehmung von Kulturpolitik den Stellenwert nicht
mehr hat, der über viele Jahre behauptet wurde. Die an-
dere denkbare Interpretation könnte sein, dass man sich so
nachhaltig und so gründlich um möglichst materialreiche
Informationen zum Gegenstand bemühen wollte, dass
dies einen so ungewöhnlich langen Beantwortungszeit-
raum erfordert hat.

Ich entnehme Ihrer Gestik, Herr Staatsminister, dass
Ihnen die zweite Interpretation viel besser gefällt als die
erste. Das überrascht mich nicht. Meine Vermutung ist,
dass es vielleicht eine Kombination des einen mit dem an-
deren sein könnte. Denn ich will gar nicht bestreiten, son-
dern will im Gegenteil mit Respekt anerkennen, dass die
Antwort der Bundesregierung eine ganze Reihe von Zah-
len, Daten und Fakten enthält, wie man das mit gutem
Recht von der Beantwortung einer Großen Anfrage einer
Fraktion in diesem Hause erwarten kann.

Gleichwohl bleiben die daraus gezogenen Schlussfol-
gerungen deutlich nicht nur hinter den Erwartungen
zurück, die wir als Opposition gegenüber den Auskünften
der Bundesregierung haben, sondern ganz offenkundig
auch hinter den Erwartungen und Ansprüchen, die im Be-
reich der Soziokultur und der soziokulturellen Zentren bei
der Behandlung dieses Themas bestehen.

In den kulturpolitischen Mitteilungen der Kulturpoliti-
schen Gesellschaft gibt es eine interessante Beurteilung
dieses Dokuments. Unter der Überschrift „Loblied auf die
Soziokultur“ bemüht sich der Autor Norbert Sievers um
eine Bewertung der Auskünfte der Bundesregierung. Ich
darf einen Satz, der aus meiner Sicht ein Schlüsselsatz ist,
vortragen – ich zitiere mit freundlicher Genehmigung des
Herrn Präsidenten –:

Insgesamt liegt mit der Antwort der Bundesregie-
rung auf die Große Anfrage zum Thema Soziokultur
eine sehr informative und in den Aussagen der Bun-
desregierung positive Stellungnahme vor, die für In-
teressenten zur Lektüre und für die Akteure zur poli-
tischen Legitimationsarbeit empfohlen werden kann,
auch wenn sie der Soziokultur in der Sache nicht sehr
weiterhilft. So zeigt sich die Bundesregierung ge-




Dr. Norbert Lammert
14064


(C)



(D)



(A)



(B)


genüber den steuerpolitischen Forderungen und ar-
beitsmarktpolitischen Anregungen sehr reserviert.

(Walter Hirche [F.D.P.]: So ist es auch! Da schweigt der Tausendsassa!)

Ohne jedes Tremolo in der Stimme: Sosehr ich die

Bemühungen um Klärung von Sachfragen würdige, so
dürftig scheinen mir und offenkundig auch vielen in der
Szene die Schlussfolgerungen zu sein, die daraus gezogen
werden. Natürlich kommt es auf Letzteres mindestens so
sehr an wie auf Ersteres. Dass hier die Bundesregierung
eine Verantwortung hat, entspricht auch ihrer eigenen
Wahrnehmung. Denn in der Antwort der Bundesregierung
wird ausdrücklich darauf verwiesen, dass hier nicht nur
eine besondere Verantwortung von Ländern, Städten und
Gemeinden bestehe, sondern dass – ich zitiere – „die Bun-
desregierung entsprechende Initiativen, Einrichtungen
und Projekte im Rahmen ihrer Zuständigkeit sowie ihrer
gesamtstaatlichen Aufgaben, insbesondere bei der Gestal-
tung der rechtlichen Rahmenbedingungen für das kultu-
relle Schaffen, unterstützen kann“.

Wir hätten uns gewünscht und werden auch darauf be-
stehen, dass da nachgearbeitet wird, dass an dieser Stelle
die eigene Verantwortung nicht nur rhetorisch reklamiert,
sondern auch mit Initiativen unterlegt wird. Davon kann
nachweislich dieses Papiers bislang leider noch keine
Rede sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will das an einigen wenigen Punkten verdeutlichen,

verehrte Kolleginnen und Kollegen. Die Bundesregierung
weist darauf hin, dass sich die Soziokultur als ein dyna-
misch entwickelndes Praxisfeld, das auf eigenständige
Weise Kultur, Soziales und Kunst zu verknüpfen sucht
und das mit der Forderung, Kulturpolitik und Quer-
schnittsaufgaben zu verstehen, Ernst macht, inzwischen
etabliert hat, dass sie inzwischen ein mehr oder weniger
selbstverständlicher Bestandteil der Kulturszene ge-
worden ist.

Dem wollen wir nicht widersprechen. Aber auch hier
bleibt die Frage offen, welche Schlussfolgerungen daraus
gezogen werden und ob insbesondere das Verständnis der
jetzigen wie der damaligen Bundesregierung in der
Kulturarbeit vor Ort, also auch und gerade auf der kom-
munalen Ebene, eine entsprechende Resonanz gefunden
hat. Unser begründeter Eindruck ist, dass dies an manchen
Stellen noch nicht der Fall ist. Ich stehe gar nicht an ein-
zuräumen, dass das auch für manche unionsgeführten
Kommunen gilt, bei denen hinsichtlich des Stellenwertes
der Arbeit der Soziokultur und soziokultureller Zentren
immer wieder Überzeugungsarbeit geleistet werden
muss.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Schwarze Löcher richten sich nicht nach der Parteicouleur!)


Ein zweiter Punkt, den ich anführen möchte, ist die zu
Recht erfolgte freundliche Würdigung der ehrenamtli-
chen Tätigkeit, ohne die die Arbeit in den allermeisten
dieser soziokulturellen Zentren ganz gewiss nicht mög-
lich wäre.


(Beifall der Abg. Monika Griefahn [SPD])


– Ich bedanke mich für die Zustimmung aus den Reihen
der Koalition.


(Christian Simmert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er greift nach jedem noch so dünnen Strohhalm!)


Ich will nur darauf hinweisen – zumal uns das Thema
Ehrenamt in diesem Jahr in vielfältigen Varianten beglei-
ten wird –, dass wir allesamt damit nicht das Missver-
ständnis verbinden dürfen, dass die beliebige Belastung
ehrenamtlich Tätiger an die Stelle von professionellem
Engagement bzw. öffentlicher Förderung treten dürfte.
Deswegen stehen wir gerade hier – zumal sowohl die alte
als auch die neue Bundesregierung einen solchen Stellen-
wert der Soziokultur ausdrücklich bestätigen – in einer
gemeinsamen Verantwortung, dafür zu sorgen, dass dieser
Stellenwert in der operativen Kulturpolitik seinen Nieder-
schlag findet.

Dritte Bemerkung. Es ist ganz sicher kein Zufall und
auch ausdrücklich nicht falsch, dass die Bundesregierung
in ihrer Antwort darauf hinweist, dass die Soziokultur und
ihre Einrichtungen in einer Zeit gefährlicher gesell-
schaftlicher Entwicklungen, wie Gewaltbereitschaft,
Arbeitslosigkeit, Ausländerfeindlichkeit und Generatio-
nenkonflikte, viele hilfreiche und unterstützende Arbeiten
leisten. Das ist ohne Zweifel zutreffend.

Auffällig ist, dass an dieser wie an mancher anderen
Stelle die Aufgaben der Soziokultur und ihrer Zentren im
allgemeinen gesellschaftlichen Bereich sehr viel stärker
akzentuiert werden als in dem Bereich, den sie im Namen
führen und mit dem sie mal mehr und mal weniger erfolg-
reich Förderansprüche geltend machen, nämlich im Be-
reich der Kulturarbeit.

Viertens. Ich will auch ein praktisches Problem an-
sprechen, ohne den Punkt verallgemeinern zu wollen: Un-
ter der Vielzahl der Zentren – es sind weit über 400, die
wir inzwischen in der Bundesrepublik haben – mit ganz
unterschiedlichen, zum Teil auch im Jahresverlauf wech-
selnden Schwerpunkten gibt es vielerlei Aktivitäten, die
mit Kultur nur noch ganz wenig, mit Gesellschaftspolitik
ganz viel zu tun haben und von denen manche meinen,
dass das in einem demokratischen Staat immer legitime
Interesse an Organisation von Demonstrationen auch ge-
gen demokratisch zustande gekommene Ratsentscheidun-
gen aus Kulturmitteln gefördert werden müsste. Das halte
ich nun allerdings sowohl für eine Übertreibung als auch
für ein Missverständnis der Aufgabe von Soziokultur und
von soziokulturellen Zentren.

Ich entnehme dem strahlenden Lächeln meines Kolle-
gen Barthel, dass auch an dieser Stelle eine nahtlose Über-
einstimmung zwischen der Opposition und der Mehr-
heitsfraktion im Deutschen Bundestag besteht. Das
erleichtert die Arbeit des neuen Staatsministers ungemein;


(Beifall des Abg. Eckart von Klaeden [CDU/CSU])


denn er braucht gar nicht zu überprüfen, ob die gut ge-
meinten Empfehlungen der Opposition auch im eigenen
Lager Unterstützung finden.




Dr. Norbert Lammert

14065


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich habe schon darauf verwiesen, dass der richtige Hin-
weis auf die besondere Verantwortung von Ländern und
Kommunen nicht zu einer Abstinenz des Bundes führen
darf, schon gar nicht dann, wenn eigene Gestaltungsmög-
lichkeiten ausdrücklich eingeräumt werden. Ich will des-
wegen nur stichwortartig darauf hinweisen, dass bei-
spielsweise die Förderung über Modellprojekte durchaus
möglich ist.

Das möchte ich vor allen Dingen auch ausdrücklich für
den fünften Punkt reklamieren, nämlich für den Qualifi-
kationsbedarf, der hier sowohl bei hauptamtlichen als
auch insbesondere bei ehrenamtlichen Mitarbeitern ganz
sicher besteht. Wir sollten gemeinsam darüber nachden-
ken, ob und wie hier etwa über Modellprojekte eine Un-
terstützung der kommunalen Arbeit erfolgen kann.

Schließlich möchte ich darauf hinweisen, dass die
Bundesregierung wiederum grundsätzlich zutreffend, wie
ich glaube, auf die wirtschafts- und beschäftigungspoliti-
schen Effekte der Soziokultur und der Arbeit in soziokul-
turellen Zentren verweist. Hier fällt allerdings auf, dass es
überhaupt keine Zahlen und Daten gibt, auf denen sich
diese positive Einschätzung der Beschäftigungswirkung
gründet. Diese Daten liegen entweder nicht vor oder sie
sind nicht aufgearbeitet.

Hier scheint mir ein sinnvolles Feld der kulturwissen-
schaftlichen Expertise zu liegen. Auch angesichts der
Bundesforderung, die inzwischen für das Institut für Kul-
turpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft vereinbart
worden ist, bestehen sicher Möglichkeiten, über die Ar-
beit solcher Initiativen etwas mehr Klarheit zu gewinnen,
auch über die tatsächlichen Wirkungen für Beschäftigung
und Wachstum.

Ich fasse zusammen. Wir haben die Große Anfrage
auch und gerade deswegen eingebracht, weil sich Kultur-
politik – auch Kulturpolitik des Bundes – nicht auf preu-
ßischen Kulturbesitz, auf die Berliner Opernkrise, auf die
eine oder andere mit Glanz und Gloria versehene kultur-
politische Initiative und auch nicht auf die Bemühungen
um einen möglichst angemessen dotierten Hauptstadtkul-
turvertrag reduzieren darf.

Wir wollten mit dieser Großen Anfrage die Aufmerk-
samkeit auch auf einen oft vernachlässigten, jedenfalls
nicht im Mittelpunkt stehenden Bereich der Kulturpolitik
lenken, in dem im Übrigen insgesamt gesehen mindestens
so viele Menschen direkt und indirekt beschäftigt oder be-
teiligt sind wie in den großen, glanzvollen Kultureinrich-
tungen.

D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414327400
Wer Kultur für alle mög-
lich machen will, muss sich besonders um den Teil der
Kulturszene kümmern, von dem wenig Glanz und noch
weniger Gloria zu erwarten ist, aber in dem die Voraus-
setzungen für Nachhaltigkeit auch in der Kulturpolitik ge-
schaffen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414327500
Herr Kol-
lege Lammert, ich darf Sie vielleicht doch darauf hinwei-
sen, dass Redner nicht der Zustimmung des Präsidenten
bedürfen, um Zitate vorzutragen. Ich glaube, diese
Entscheidung wurde schon in den 80er-Jahren des letzten
Jahrhunderts getroffen und sollte eigentlich allgemein be-
kannt sein.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1414327600
Ich bitte aus-
drücklich um Nachsicht, dass ich für die völlig unnötige
Bitte um Genehmigung unnötige Redezeit in Anspruch
genommen habe.


(Beifall des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS] – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wie war denn die Zwischenzeit, Herr Präsident?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414327700
Er hat
seine Zeit ausgeschöpft.

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Hanna Wolf von
der SPD-Fraktion das Wort.


Hanna Wolf (SPD):
Rede ID: ID1414327800
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte dem Herrn
Staatsminister im Namen meiner Fraktion einen guten
Start hier im Deutschen Bundestag wünschen. Ich freue
mich natürlich als Münchener Abgeordnete, dass er aus
München kommt. Diese Bemerkung darf erlaubt sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Monika Griefahn [SPD]: Die Bayern gehen nach Preußen!)


Bevor ich auf den Begriff „Soziokultur“ eingehe,
möchte ich zunächst einen Dank aussprechen. Ich möchte
all denen danken, die in diesem Bereich arbeiten und
durch ihr Engagement und ihr Schaffen Soziokultur ver-
körpern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ein ganz besonderer Dank gilt den vielen Freiwilligen
und Ehrenamtlichen. Ich stimme Herrn Lammert zu:
Ohne sie wäre diese Arbeit nicht machbar. Deswegen gilt
ihnen an erster Stelle mein Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Die Bundesregierung schätzt die Soziokultur und för-
dert diesen Beitrag zur Zivilgesellschaft, soweit es ihr
verfassungsrechtlich möglich ist. Ich bin Ihnen, Herr
Lammert, sehr dankbar, dass Sie und Ihre Fraktion diese
Große Anfrage gestellt haben. Haben wir doch jetzt Gele-
genheit, wenn auch etwas spät, hier noch einmal auf die
Bedeutung von Soziokultur hinzuweisen. Der Begriff ent-
stand in den 70er-Jahren als Folge der Studentenbewe-
gung und anderer sozialer Bewegungen, wie zum Beispiel
auch der Frauenbewegung. Unter ihr verstand man
zunächst eine Gegenbewegung zum bürgerlichen Kultur-
betrieb und wollte vor allem Kultur für alle fördern und




Dr. Norbert Lammert
14066


(C)



(D)



(A)



(B)


praktizieren, die kreative Selbstständigkeit möglichst vie-
ler Menschen fördern, den Zugang zu Kunst und Kultur
erleichtern und die Kultur wieder in die gesellschaftliche
Wirklichkeit des Alltagslebens einbinden. Das Motto
„Kultur für alle“ sollte helfen, auch so genannte kultur-
ferne Bevölkerungsschichten an der Kultur teilhaben zu
lassen. Ich glaube, das ist mit ihrer Arbeit gelungen.

Heute besteht die Gefahr, dass sich Ausländerfeind-
lichkeit und Rechtsradikalismus, Generationenkonflikt
und Gewaltbereitschaft in unserer Gesellschaft ausbrei-
ten. Die soziokulturelle Arbeit wird von daher immer
wichtiger.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der PDS)


Heute gibt es insgesamt 80 Verbände. Allein 383 Einrich-
tungen sind in der Bundesvereinigung soziokultureller
Zentren organisiert, 300 Einrichtungen im Bundesver-
band der Jugendkunstschulen und Kulturpädagogischen
Einrichtungen, aber dazu kommen auch kommunikations-,
medien- und museumspädagogische Einrichtungen.

Die Zentren unterscheiden sich schon strukturell von
den Kultureinrichtungen der so genannten Hochkultur.
Ihre Arbeitsansätze und inhaltlichen Schwerpunkte rich-
ten sich zum Beispiel nach folgenden Grundsätzen: Be-
tonung des erweiterten Kulturbegriffs, Förderung der
künstlerischen Eigenbetätigung, Integration verschiede-
ner Altersgruppen, Förderung von Frauenkultur, Einbe-
ziehung sozialer und ethnischer Minderheiten, Gewähr-
leistung von demokratischen Organisationsformen und
selbstverwalteten Entscheidungsstrukturen.

Unsere Verfassung teilt die Pflege von Kunst und Kul-
tur – also auch die Förderung der Soziokultur – den Län-
dern und Kommunen zu. Die kulturpolitischen Zielset-
zungen und Maßnahmen des Bundes konzentrieren sich
daher vor allem auf die Verbesserung und Fortentwick-
lung der Rahmenbedingungen, den Aufbau und die För-
derung gesamtstaatlich bedeutsamer kultureller Einrich-
tungen und die Bewahrung des kulturellen Erbes. Der
Bund kann also die Soziokultur nur im Rahmen der Zu-
teilung an Fonds und im Rahmen der Modellförderung
bedenken. Modellförderung heißt in der Konsequenz aber
auch, dass die Länder und Kommunen eine Anschlussför-
derung für Folgeprojekte bereitstellen.

Die Zentren selbst rufen keineswegs nach einer Über-
versorgung mit öffentlichen Geldern. Sie sind ihrerseits
auch auf ihre finanzielle Eigenständigkeit bedacht, um ihr
Prinzip der Selbstständigkeit zu leben. Allerdings darf das
„Nagen am Hungertuch“ nicht so weit gehen, dass um der
Eigenwirtschaftlichkeit willen wichtige, kostenträchtige
Programmbereiche zurückstehen oder sogar entfallen.


(Beifall bei der SPD)

Die Zentren erwirtschaften fast die Hälfte ihres Etats

selbst. Ein Viertel kommt von den Kommunen, ein Zehn-
tel von den Bundesländern und vom Bund kommen aus
den schon erwähnten Gründen 0,25 Prozent.

Die einzelnen Bundesländer bewerten die Bedeutung
der soziokulturellen Zentren sehr unterschiedlich. Gerade

die neuen Bundesländer – dies möchte ich besonders he-
rausstellen – schätzen diese Einrichtungen besonders hoch
ein, da hier vor allem in der Jugendbildung ein großer Be-
darf an kulturpolitischer Arbeit besteht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Beim statistischen Ländervergleich fällt allerdings auf
– jetzt ist Minister Zehetmair leider nicht mehr anwesend,
ich war schon erstaunt, dass er zu diesem Thema kommt –,
dass Bayern kein einziges soziokulturelles Zentrum för-
dert.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Wieso gibt es denn in Sachsen-Anhalt kein einziges?)


Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass es hier nur
zwölf Zentren gibt, gerade einmal so viel wie im kleinsten
Bundesland Bremen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Wieso? Bayern hat nach Auskunft der Bundesregierung eine Menge! Sie verwechseln da etwas!)


Diese zwölf Zentren werden ausschließlich von den
Kommunen gefördert.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Ach so!)

So zahlt die Stadt München für den soziokulturellen Be-
reich fast 1 Million DM. Es lohne nicht, Anträge an den
Kultusminister Zehetmair zu stellen, so hört man aus der
soziokulturellen Praxis. Es gebe ja doch kein Geld.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Aber wenn das eine kommunale Aufgabe ist, ist es richtig, dass die Stadt dafür bezahlt, nicht nur das Land oder der Bund!)


Das ist nicht nur peinlich, es ist auch beschämend in ei-
ner Zeit, in der in der übrigen Bundesrepublik mit den
Mitteln der Soziokultur gegen den drohenden Rechtsradi-
kalismus vorgegangen wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ganz anders dagegen Brandenburg und Sachsen. In
Brandenburg wird der Stellenwert der Soziokultur beson-
ders hoch bewertet. Die soziokulturellen Zentren werden
als ein bedeutender, Demokratie bildender, gesell-
schaftspolitischer Faktor gerade in der Jugendbildung an-
gesehen. Der Landesanteil Brandenburgs an der Förde-
rung liegt durchschnittlich bei 35 Prozent. In Sachsen gibt
es 47 Mitgliedseinrichtungen der Bundesvereinigung. Die
Zentren sind sowohl kulturelle Dienstleister als auch Orte
für gesellschaftspolitische, soziale und stadtentwicklungs-
politische Fragestellungen.

In der Bundesrepublik Deutschland sind die soziokul-
turellen Zentren inzwischen flächendeckend verbreitet.
Sie sind kein Phänomen von Großstädten mit studenti-
schem Milieu.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Im Gegenteil! In den Städten sind sie seltener geworden!)





Hanna Wolf (München)


14067


(C)



(D)



(A)



(B)


Diese Zentren gehören inzwischen zur Grundausstattung
der kulturellen Infrastruktur. – Wieso „im Gegenteil“,
Frau Kollegin? Ich will ja gerade betonen, dass es überall
welche gibt. Denn in der Großen Anfrage wurde auch ge-
fragt, ob es sie nur in den Großstädten gibt. Die Antwort
lautet: Nein. Rund 51 Prozent der Mitgliedseinrichtungen
der Bundesvereinigung befinden sich in Städten mit über
100 000 Einwohnern. In Klein- und Mittelstädten und im
ländlichen Raum haben sich in den letzten zehn Jahren
soziokulturelle Zentren gebildet. Sie sind hier häufig der
alleinige Anbieter von kulturellen Veranstaltungen und
Aktivitäten und erfüllen als einzige die Aufgabe der kul-
turellen Grundversorgung.

Der Erfolg der soziokulturellen Zentren zeigt sich auch
an der wachsenden Zahl der Besucher und Besu-
cherinnen. Seit 1994 hat sich die Zahl um 35,3 Prozent
erhöht, obwohl nur 6,2 Prozent mehr Zentren gebaut wur-
den. Im Schnitt kamen 1998 auf jedes Zentrum 59 000 Be-
sucher. In Ostdeutschland haben allein 5,3 Millionen
Menschen die Zentren der Bundesvereinigung besucht.
Ich finde, dies ist eine herausragende Zahl.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Bekämpfung von Gewaltbereitschaft und Auslän-
derfeindlichkeit ist der Bundesregierung besonders wich-
tig. Sie hat daher noch im Jahr 2000 erhebliche Förder-
mittel für Modellprojekte bereitgestellt, die sich mit dem
Thema „Kultur und Konflikt“ beschäftigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Soziokultur hat eine emanzipatorische und inte-
grative Wirkung, die sich aus ihrem freiheitlichen und de-
mokratischen Ansatz entwickelt hat. Ich freue mich daher,
dass Staatsminister Nida-Rümelin heute in seiner ersten
Rede im Deutschen Bundestag zu diesem Thema spre-
chen wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die soziokulturellen Zentren freuen sich natürlich über
die Würdigung ihrer Arbeit. Dies geschieht heute Abend.
Aber sie erwarten auch, dass in einer komplizierter wer-
denden Lebenswelt die finanzielle Ausstattung auf die
entsprechend komplizierter werdenden Aufgaben zuge-
schnitten wird.

Ich kann die Länder nur auffordern – der Bund ist
natürlich auch gemeint –, diese Politik im Sinne des Kul-
turföderalismus nachhaltig zu unterstützen. Dabei appel-
liere ich besonders an diejenigen Länder, die sich wie
Bayern bisher vornehm zurückgehalten haben. Vom Er-
folg der Soziokultur profitieren wir schließlich alle.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414327900
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer
von der F.D.P.-Fraktion das Wort.


Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1414328000
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch im Namen der
F.D.P.-Fraktion möchte ich Ihnen, Herr Staatsminister
Professor Nida-Rümelin, sehr herzlich zu Ihrer Ernen-
nung gratulieren. Ich wünsche Ihnen für Ihre sicherlich
nicht ganz einfache Aufgabe eine energische wie auch
glückliche Hand.


(Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Der Begriff „Soziokultur“ ist einem Kommunalpoliti-
ker, der in den westdeutschen Bundesländern in den 70er-
und 80er-Jahren aktiv gewesen ist, ganz selbstverständ-
lich geworden. Dieser Begriff entwickelte sich mit der Ar-
beit der soziokulturellen Zentren, die in vielen Städten
und Gemeinden damals sozusagen als Kontrapunkt zu der
etablierten Kulturarbeit entstanden sind, die damals noch
eine hohe Zugangsschwelle aufwies. Die Soziokultur ver-
stand sich als kulturelle Einrichtung für alle gesellschaft-
lichen Gruppen und stand vor allem auch für die Einbe-
ziehung sozialer und ethnischer Minderheiten.


(Jürgen Türk [F.D.P.]: Bis jetzt habe ich es verstanden!)


An dieser Konzeption hat sich bis heute nichts grund-
legend geändert. Sie ist aber in dem Maße weiterent-
wickelt worden, wie es notwendig war. Immerhin besu-
chen jährlich etwa 22Millionen Bürger die Veranstaltungen
in soziokulturellen Zentren wie Konzerte, Ausstellungen,
Kurse und Seminare. Der Bedarf an solchen Veranstal-
tungen, aber auch die Inanspruchnahme steigen. Daran
sieht man, dass soziokulturelle Zentren ein ganz selbst-
verständlicher Bestandteil der kulturellen Infrastruktur
von Kommunen sein müssen. So wird es auch in der Ant-
wort auf die Große Anfrage formuliert.

Die Statistiken, die ebenfalls in der Antwort aufgeführt
werden, zeigen aber ein etwas anderes Bild. Soziokultu-
relle Zentren sind noch nicht ein selbstverständlicher Be-
standteil kultureller Infrastruktur. In vielen Bereichen un-
seres Landes fehlen sie. Damit fehlt ein wichtiges Stück
alltagsorientierter und lebensweltorientierter Kulturarbeit
in den Gemeinden, die heute in einem sich sehr stark ver-
ändernden kulturellen Umfeld wichtiger denn je wird.


(Beifall bei der F.D.P.)

Diese Zentren stehen in Konkurrenz zu einer immer

stärker werdenden Event-Kultur. Wir leben in der Zeit der
Globalisierung der Märkte und der Mediatisierung.
Natürlich ist auch die Kultur von dieser Entwicklung be-
troffen. Die Frage ist nur, ob am Ende dieses Prozesses
eine kommerzielle World Culture steht, deren Grundge-
setz das Wettbewerbsrecht, deren Verfassungsgericht die
World Trade Organization und deren Souverän Aktionäre
sind, oder ob wir eine Weltkultur im Sinne Goethes erhal-
ten, die Ausdruck nicht nur wirtschaftlichen Erfolges,
sondern bedeutender humanitärer und künstlerischer
Leistungen aus dem Geist eigenständiger Kulturen ist.


(Beifall bei der F.D.P.)

Soziokultur erfährt vor dem Hintergrund der Globali-

sierung eine neue und bisher weder in der Großen Anfrage
noch in der Antwort auf diese Anfrage diskutierte Bedeu-




Hanna Wolf (München)

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(C)



(D)



(A)



(B)


tung. Im Mikrokosmos der Kommunen, der Stadtteile und
der Bezirke von Städten setzen soziokulturelle Zentren
einen individuell- und gruppenorientierten kreativen Ge-
genpol zur globalisierten Massenkultur. Die Globalisie-
rung lässt Normen durch rasch wechselnde Informa-
tionslagen und durch undurchsichtige Verflechtungen
erodieren.

Bei immer mehr Menschen wächst damit das Verlan-
gen nach Orientierung, nach neuen Angeboten und nach
neuen Erfahrungen. Allerdings wächst in gleichem Um-
fang offensichtlich auch das Bedürfnis nach einfachen
Erklärungen, nach Spiritualität ohne Religion und nach
Esoterik.


(Monika Griefahn [SPD]: Esoterik?)

– In der Tat, Frau Kollegin, nach Esoterik.

Gerade diese letzten Tendenzen bergen allerdings die
Gefahr einer Fundamentalisierung. Das schafft einen Ge-
genpol und bedeutet eine zusätzliche Aufgabe für die Ar-
beit in den soziokulturellen Zentren. Das Angebot von
Kulturarbeit, die auf Werten und Normen aufbaut und da-
mit zur Schaffung und zum Leben von Werten und Nor-
men beitragen kann, und die freie Beschäftigung mit Kul-
tur in Sozial- und Jugendpflege können entscheidend
dazu beitragen, den fundamentalen Ansprüchen vorzu-
beugen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Kultur ist das Gegenmittel zu Intoleranz und Hass.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Kulturaustausch ist der Weg zu Weltoffenheit und Tole-
ranz. Deswegen erfahren soziokulturelle Zentren gerade
in dieser globalisierten Welt eine neue Bedeutung.

Vor diesem Hintergrund erfährt auch die Finanzierung
von Soziokultur eine neue Dimension. Richtig ist natür-
lich, dass dies zuvörderst eine Aufgabe der Kommunen
ist. Dennoch stellt die Bundesregierung Mittel bereit und
hat offensichtlich vor, diese zu erhöhen; wir begrüßen das.
Nicht eingegangen ist die Bundesregierung aber auf das,
was in dieser Situation für den Fortbestand und die Arbeit
der soziokulturellen Zentren von entscheidender Bedeu-
tung ist, nämlich eine Definition steuerlicher Rahmenbe-
dingungen, die sie leben lässt, und zwar steuerlicher Rah-
menbedingungen sowohl für den wirtschaftlichen Betrieb
– Frau Kollegin Wolf hat eben schon darauf hingewiesen,
dass über 50 Prozent der Finanzierung aus Eigeneinnah-
men erfolgen; das bedeutet, dass hier ganz dringend steu-
erliche Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen,
damit diese Eigeneinnahmen in der Kulturarbeit einge-
setzt werden können – als auch für die Künstler.

Das ist eine Aufgabe, die die Bundesregierung noch
vor sich hat. Wenn sie sie in Angriff nehmen will, wird sie
von uns die entsprechende Unterstützung erfahren. Ich
denke, das ist notwendig.

Danke schön.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414328100
Als
nächster Redner hat der Kollege Christian Simmert vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Christian Simmert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414328200

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte
auch im Namen meiner Fraktion den Herrn Staatsminister
hier willkommen heißen und hoffe, dass wir in diesem
Haus – nicht nur heute, sondern auch in Zukunft – eine
gute Debatte und eine Reihe von spannenden Diskus-
sionen haben werden und zu guten Entscheidungen kom-
men werden.

Soziokulturelle Zentren bieten einen Raum für die ge-
gründete Initiative und für das Theaterprojekt genauso
wie für politische Debatten. Herr Lammert, wenn das
dazu führt, dass daraus das demokratische Recht eines
friedlichen Protestes entwickelt werden kann, dann be-
grüße ich das im Hinblick auf die Stärkung der Zivilge-
sellschaft. So viel zu Ihrem Einwurf, dass man das nicht
unter dem Label Kulturfinanzierung laufen lassen könne.

Politische Debatten – dies macht auch die Antwort der
Bundesregierung auf die Große Anfrage deutlich – spie-
len natürlich eine Rolle. Die soziokulturellen Zentren sind
heute ein Bestandteil der Demokratiebewegung von un-
ten, ein Beweis für Selbstorganisation und gelebtes Mit-
einander. Es handelt sich dabei vor allem um einen Be-
reich, der bis heute neue Möglichkeiten des Mit- und
Nebeneinanders schafft, um einen Bereich, der neue
Arbeitsstrukturen in der Selbstorganisation so weit wie
möglich beibehalten hat, aber auch um einen Bereich im
Spannungsfeld zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen,
zwischen autonom und eingebunden in staatliche Förder-
strukturen, zwischen Bedarfsorientierung und lang entwi-
ckeltem politischen Anspruch. Diese Gratwanderung
spiegelt sich auch in ihrem Verhältnis zur staatlichen An-
bindung generell wider. Deshalb müssen wir differenziert
mit den soziokulturellen Zentren umgehen.

Als regionalgesellschaftliche Motoren sollen die Zen-
tren möglichst aus Eigeninitiative entstehen und ihr An-
gebot an der Nachfrage der Menschen ausrichten. Des-
halb dürfen sie auch nicht mit möglichst bundesweit
abgefragten Kriterien und Vorhaben zugeschüttet werden.
Sie brauchen aber gleichzeitig Planungssicherheit. Ob-
wohl vielerorts die ehemals bisweilen doch recht kon-
flikthafte Beziehung zu den kommunalen Parlamenten in-
zwischen einer guten Kooperation mit Kultur- und
Jugendhilfeausschüssen gewichen ist, fehlt es oftmals an
längerfristigen Zusagen über das aktuelle Haushaltsjahr
hinaus. Beauftragte für Soziokultur zum Beispiel wären
für die Zentren sicherlich eine große Hilfe.

Bei der Landesförderung sieht es oftmals ähnlich aus.
Das Land Bayern – wir haben es gerade schon gehört –
kennt die Soziokultur gar nicht und setzt stattdessen auf
Projektförderung bestimmter Sparten im kulturellen Be-
reich wie Musik oder Theater. Dies wird sich nun, liebe
Kolleginnen und Kollegen der CSU, die leider heute hier
nicht so zahlreich anwesend sind, nach der Beratung die-
ser Anfrage hoffentlich ändern.




Dr. Irmgard Schwaetzer

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(C)



(D)



(A)



(B)


Doch Planungssicherheit im Sinne der Sicherstellung
einer notwendigen Infrastruktur der soziokulturellen Zen-
tren ist Grundlage der Arbeit vor Ort. Bürgerschaftliches
Engagement – das macht schließlich circa ein Drittel der
Aktiven aus – bedarf der hauptamtlichen Zuarbeit, der
festen Arbeits- und damit auch Koordinationsstrukturen.

Hauptamtliche brauchen aber auch für sich Planungs-
sicherheit. Zielorientierte Weiterbildung ist hier wichtig.
Deshalb möchte ich auch in Zeiten leerer Kassen an die
Länder und Kommunen appellieren, diese bürgerorien-
tierten Bereiche der Kulturarbeit wichtig zu nehmen und
ihre Existenz sicherzustellen.


(Beifall der Abg. Hanna Wolf [München] [SPD] – Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Klassische Kultur ist auch bürgerorientiert! Irgendwie gehen Ihnen die Begriffe durcheinander!)


Beispiele für eine mehrjährige Planungssicherheit wie
etwa in Essen machen hier Mut und ermöglichen erst eine
längerfristig angelegte Stadtteil- und Stadtentwicklungs-
arbeit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun sind wir hier
nicht in Bayern oder in Nordrhein-Westfalen, sondern im
Deutschen Bundestag. Deshalb geht es hier natürlich vor
allem um die Rahmenbedingungen der Soziokultur. Die
Erfolgsgeschichte der Bottom-up-Kulturlandschaft sollte
im Rahmen der Kulturforschung stärkere Beachtung fin-
den. Vor allem aber sollte die Vernetzungsstruktur und
damit Verbandskultur der soziokulturellen Zentren sicher-
gestellt werden. Gerade als an der Basis entwickelte
Strukturen müssen sich die Zentren austauschen und von-
einander lernen, aber auch in gesamtgesellschaftliche
Vorhaben integriert werden können.

Hier denke ich ganz besonders an einen Punkt, den wir
hier im Hause in den letzten Monaten immer wieder dis-
kutiert haben – die Kollegin Wolf hat ihn angesprochen –:
die Bekämpfung von Rechtsextremismus und Frem-
denhass in diesem Land. Besonders in den neuen Bun-
desländern – aber nicht nur dort –, wo nach der Wende
viele Strukturen im kulturellen Bereich verschwunden
sind, wo sich kaum eine andere am Bedarf vor allem jun-
ger Menschen ausgerichtete Angebotsstruktur entwickelt
hat, leisten die soziokulturellen Zentren einen absolut
wichtigen Beitrag. Dieser Beitrag muss in den von der
Bundesregierung neu aufgelegten Programmen natürlich
Unterstützung finden. Denn ihre Kulturarbeit nimmt seit
gut einem Jahrzehnt eine der größten Herausforderungen
dieser Gesellschaft an, nämlich Generationen, Geschlech-
ter und ethnische Minderheiten zusammenzuführen und
ihnen Möglichkeiten zur eigenen Verwirklichung zu ge-
ben.

Die Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaft-
lichen Engagements“ stellt sich vielen Fragen, die auch
von den soziokulturellen Zentren an die Politik herange-
tragen werden.

Wir wollen klären, wie steuerrechtliche Hindernisse
für diese wichtige Kulturarbeit abgebaut werden können.
Dazu gehört die Entwicklung von Strategien, um die Zen-
tren möglichst weitgehend auf eigene Füße zu stellen und
deshalb zu ermöglichen, erwirtschaftete Überschüsse in

andere Bereiche zu überführen. Die Zentren dürfen eben
nicht nur irgendwie dem Marktgeschehen überlassen wer-
den. Hier muss die Enquete-Kommission Vorschläge er-
arbeiten und muss die Politik insgesamt handeln.

Wir stehen aber auch grundsätzlich vor der Herausfor-
derung, den Bereich des freiwilligen Engagements in un-
serem Land neu zu regeln. Die aus grüner Sicht unaus-
weichliche Konversion des Zivildienstes sowie die
Bereitschaft vieler junger Menschen zu freiwilligem En-
gagement machen dies notwendig. Deshalb schlagen
Bündnis 90/Die Grünen im Zusammenhang mit einer
Ausweitung des freiwilligen sozialen Jahres und des frei-
willigen ökologischen Jahres ein freiwilliges kulturelles
Jahr als einen wichtigen Lerndienst vor.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Monika Griefahn [SPD])


Die Hauptamtlichenstruktur als eine Säule der Arbeit
der Zentren muss, wie bereits gesagt, hauptsächlich über
die öffentlichen Haushalte der Länder und Kommunen
sichergestellt werden. Die Bundesregierung sollte jedoch
prüfen, ob die Bundesvereinigung soziokultureller Zen-
tren als Dachverband nicht zum Beispiel im Haushalt der
Bundesregierung verstärkt gefördert werden kann, um so
auch die Projektfinanzierung zu verstetigen. Sicherlich ist
es nicht wünschenswert, die Zentren grundsätzlich der Ar-
beitsmarktpolitik zu unterwerfen. Es wäre vielmehr wün-
schenswert, wenn bei der ABM-Zielgruppendefinition
der BA der soziokulturelle Bereich benannt werden
könnte. Denn Stellen schaffen Kultur und Kultur schafft
Stellen.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Walter Hirche [F.D.P.]: So leicht ist das nicht!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414328300
Als
nächster Redner hat der Kollege Professor Dr. Heinrich
Fink von der PDS-Fraktion das Wort.


Dr. Heinrich Fink (PDS):
Rede ID: ID1414328400
Sehr verehrter Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße auch
die Mitarbeiter des Deutschen Kulturrates und die anwe-
senden Vertreter der Bundesvereinigung der soziokultu-
rellen Zentren, die heute Abend zu so später Stunde noch
hier bei uns sind.


(Beifall bei der PDS, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Staatsminister Nida-Rümelin hat gestern anlässlich
seines Introitus im Kulturausschuss erklärt, dass die So-
ziokultur nicht überflüssig ist. Denn die sozialen und kul-
turellen Spannungen haben zugenommen. Sie machen es
erforderlich, den Anspruch einer Kultur für alle in neuer
Weise aufzunehmen.

Meine Fraktion begrüßt, dass dieses Thema nun zum
Gegenstand der parlamentarischen Debatte auf Bundes-
ebene geworden ist. Der Antwort der Bundesregierung
entnehmen wir eine hohe Wertschätzung dieses kulturel-
len Bereiches und die Absicht, die Soziokultur weiter zu
unterstützen. Die beabsichtigte Erhöhung der Mittel für




Christian Simmert
14070


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(D)



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(B)


den Fonds „Soziokultur“ ab dem Jahre 2001 ist ein wich-
tiges förderpolitisches Signal. – So weit das Erfreuliche.

Problematisch aber ist die beschönigende Einschät-
zung der Situation. Die existenziellen Probleme der so-
ziokulturellen Zentren in den Kommunen, die zu
Schließungen und zum Abbau von Angeboten vor allem
in den neuen Bundesländern führen, bleiben ebenso aus-
geblendet wie die Finanz- und Legitimationskrise kom-
munaler Kulturpolitik. Offen bleibt, wie dieser Bereich
perspektivisch gesichert und seiner kulturellen Bedeutung
gemäß gefördert werden kann.

Die laufende Förderung ist im Wesentlichen Sache der
Kommunen und Länder. Aber der Bund setzt die Rah-
menbedingungen für deren Arbeit. Es liegt eine ganze
Reihe von Reformvorschlägen der Kulturverbände vor,
so zum Beispiel zum Steuerrecht, zur Besteuerung aus-
ländischer Künstler und zu den Bedingungen des Ehren-
amtes, die, wie ich bisher gehört und gesehen habe, von
der Bundesregierung noch nicht aufgegriffen wurden. Die
Bundesvereinigung soziokultureller Zentren hat in ihrer
Stellungnahme erneut ihre Forderung an die Bun-
deskulturpolitik formuliert, die wir in wesentlichen Punk-
ten unterstützen.

Aus Sicht der PDS ist entscheidend, die Finanzkraft
der Kommunen durch eine Gemeindefinanzreform zu
stärken. Die Kommunen müssen wieder in die Lage ver-
setzt werden, ihre kulturellen Aufgaben wahrnehmen zu
können. Erst auf dieser Grundlage können sie wieder
Handlungsspielraum gewinnen und selbstbestimmt da-
rüber entscheiden, wofür sie ihre Mittel ausgeben.


(Beifall bei der PDS)

Wenn die vielgestaltige soziokulturelle Szene freier

Träger, die sich in den letzten Jahren auch in den neuen
Bundesländern entwickelt hat, weiterhin erhalten bleiben
soll, bedarf es einer kontinuierlichen Förderung und einer
Verankerung in den kommunalen Etats. Die Probleme
mangelnder struktureller Grundsicherung, kurzfristiger
Beschäftigungen über ABM-Stellen und des Ehrenamtes
als Dauerprovisorien müssen gelöst werden. Auch in die-
sem Bereich sind feste Stellen erforderlich, um die Kon-
tinuität der Arbeit zu gewährleisten.


(Beifall bei der PDS)

Wir halten es für dringend erforderlich, Lösungen für

die Probleme des zweiten Arbeitsmarktes zu finden. Wie
Sie wissen, setzt sich die PDS für eine öffentlich geför-
derte Beschäftigung im sozialen und kulturellen Bereich
ein. Im Gegensatz zum instabilen und diskriminierenden
Charakter der jetzigen Arbeitsfördermaßnahmen sollen
hier Beschäftigungsverhältnisse entstehen, die auf Dauer
angelegt sind und nach Tarif bezahlt werden.

Von der Bundesregierung erwarten wir, dass sie dem
Hohelied auf die Soziokultur entsprechende Taten folgen
lässt. Ein wichtiger Schritt zur Unterstützung der sozio-
kulturellen Praxis wäre die institutionelle Förderung der
Bundesvereinigung soziokultureller Zentren. Diese war
zugesagt. Lösen Sie dieses Versprechen ein!

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414328500
Jetzt hat
der Staatsminister für Kultur, Herr Nida-Rümelin, das
Wort.

Dr. Julian Nida-Rümelin, Staatsminister beim Bun-

(von der SPD und vom Bündnis 90/Die Grünen mit Beifall begrüßt)

und Herren Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Her-
ren! Wenn ich mich nicht irre, wurde heute vor 130 Jah-
ren der preußische König Wilhelm in Versailles zum deut-
schen Kaiser ausgerufen. Das war erst möglich, nachdem
der bayerische König ihm die Kaiserwürde angetragen
hat. Ich halte das für eine ganz gute Verbindung und – ver-
stehen Sie die Tendenz, dass sich Bayern offensichtlich in
Berlin zunehmend Berliner oder – wenn Sie so wollen –
preußischen Dienstherren unterstellen, nicht falsch – Bay-
ern und Preußen für unterdessen gleichberechtigt. Das
wird auch – so habe ich es verstanden – durch die Anwe-
senheit des Staatsministers aus Bayern, dort zuständig für
Kunst und Wissenschaft, unterstrichen.

In den 70er-Jahren hat es einen großen Aufbruch ge-
geben. Es ist vielleicht nur ein Gebot der Fairness, daran
zu erinnern, dass dieser Aufbruch, ein Aufbruch zu neuen
Ufern der Kulturpolitik, ein Paradigmenwechsel, poli-
tisch sehr umstritten war. Es ging im Kern darum, von ei-
nem – ich sage das ganz bewusst, auch wenn ich vielleicht
familiär aus einer ähnlichen Tradition komme – bildungs-
bürgerlich verengten Kulturbegriff wegzukommen und
die Partizipation, die Teilhabe oder – so könnte man in ei-
nem nächsten Schritt sagen – die kulturelle Verfasstheit
dieser Gesellschaft ernst zu nehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


In meinen Augen ist dieser Aufbruch in einem Maße er-
folgreich gewesen, wie es wohl die Protagonisten dieser
Zeit selbst kaum gemeint haben. Da will ich vielleicht
noch etwas deutlicher werden als in der Ihnen schriftlich
vorliegenden Antwort der Bundesregierung. Alle statisti-
schen Daten zeigen, dass die kulturelle Partizipation der
Bevölkerung in Deutschland in einem Maße angestiegen
ist – und dass das letztlich eine Folge dieser Jahre des Auf-
bruchs ist –, wie wir alle es im Grunde – oder die, die da-
mals aktiv waren – nicht haben erhoffen können. Das ist
erst mal ein toller Erfolg, ein Erfolg der Kulturpolitik ins-
gesamt in Deutschland.


(Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)


Drei Dinge sind wesentlich für mich und ich habe
– auch aus zweieinhalb Jahren Kulturpolitik in der Kom-
mune München – den Eindruck, dass das unterdessen eine
Art politischer Konsens ist: zum Ersten erweiterter
Kulturbegriff, also nicht die besagte Engführung, zum
Zweiten als ein zentrales Ziel – und das hängt mit dem ers-
ten zusammen – Partizipation, die Einbeziehung auch der-
jenigen, die von ihrer Sozialisation, von ihrem sozialen
Hintergrund her Zugangsbarrieren vor den kulturellen
Angeboten überwinden müssen, und schließlich – und das
wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten immer wich-
tiger werden – der Aspekt der kulturellen Integration.




Dr. Heinrich Fink

14071


(C)



(D)



(A)



(B)


In einem Land, das so stark wie das unsere von Einwan-
derung geprägt war – das ist unterdessen auch weithin an-
erkannt – und in Zukunft von mehr Einwanderung geprägt
sein wird, ist das eine Herausforderung an die Kulturpoli-
tik insgesamt.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS sowie des Abg. Eckart von Klaeden [CDU/CSU])


Mein Eindruck ist, dass die Soziokultur die Grundlage für
ein solches Verständnis kultureller Integration gelegt hat.

Jetzt bringe ich noch ein Aber. Dieses Aber nehme ich
sehr wichtig, es darf aber auch nicht missverstanden wer-
den. Wenn Sie zurückblicken, stellen Sie fest: Seit den
70er-Jahren hat es mehrere Versuche gegeben, die Kul-
turpolitik zu instrumentalisieren. Ich halte keinen dieser
Versuche für die Kultur, für die Rolle der Kunst, auch dem
Stellenwert, den Kultur in der Lebensform jedes Bürgers
und jeder Bürgerin einnimmt, angemessen,


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der PDS)


weder die ökonomische Instrumentalisierung, die wir vor
allem aus den 80er- und den frühen 90er-Jahren sehr stark
in Erinnerung haben – der Standortfaktor Kultur kann
nicht alles sein; es kann ein Randaspekt sein, ist aber nicht
das zentrale Moment –, noch die soziale Instrumentalisie-
rung. Kultur legitimiert sich nicht lediglich dadurch, ein
soziales Bindemittel zu sein und die Beteiligung an kul-
turellen Einrichtungen zu erleichtern.


(Beifall im ganzen Hause)

Meine Vorredner haben die wesentlichen Daten schon

genannt. Es kann keine Rede davon sein, dass die Sozio-
kultur ihren Höhepunkt etwa überschritten habe und ihre
Bedeutung nun wieder zurückgehe – die Daten sind in der
Antwort enthalten –: Es gibt ein Plus von 30 Prozent zwi-
schen 1994 und 1998 auf 22 Millionen Besucher und eine
Gesamtförderung in Höhe von 160 Millionen DM.

Eine Zahl aber ist nicht genannt worden und die finde
ich faszinierend: Bei dem Gesamt der kulturellen Ange-
bote in den Kommunen, in den Ländern und auch im
Bund sind die Adressaten in der Tendenz älter als der Be-
völkerungsdurchschnitt. Daneben gibt es eine spezifische
Förderung der Jugend- und Kinderkultur, also der Phase
der kulturellen Entwicklung, die noch sehr stark von der
Familie geprägt ist. Die Jahre dazwischen – also von etwa
15 bis 30 Jahren – sind für die Kulturpolitik nicht so stark
prägend. Typischerweise entfernen sich diese Jahrgänge
stärker von den kulturellen Angeboten der Kommunen
und der Gemeinden. Auch dazu gibt es Daten, allerdings
nicht in dieser Antwort. Das Interessante ist, dass 50 Pro-
zent der Besucher soziokultureller Einrichtungen zwi-
schen 15 und 30 Jahre alt sind. Das ist ein weit überpro-
portionaler Anteil an der Bevölkerung. Das ist ein großes
Kompliment für die kulturellen Einrichtungen, die der
Staat anbietet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist von den Gefahren gesprochen worden und es
wurde zu Recht darauf hingewiesen, man solle beachten,
dass gerade die Einrichtungen der Soziokultur unter den
in den Kommunen gegebenen beengten Bedingungen oft
in Schwierigkeiten geraten. Darauf ist nur am Rande ein-
gegangen worden, aber ich möchte das in Erinnerung ru-
fen. Auch dieser Punkt ist in der Antwort enthalten. Es
gibt eine spezifische Herausforderung, die ich darin sehe,
dass der Markt Angebote unterbreitet, die er früher nicht
unterbreitet hat. Das kann man erst einmal begrüßen. Es
ist gut, wenn der Markt kulturelle Angebote macht, die
auch nachgefragt werden. Darin liegt aber auch eine Ge-
fahr. Und zwar könnte das öffentliche Gut Kultur – öf-
fentliches Gut heißt auch zugängliches Gut, ein Gut, das
für alle gleichermaßen zugänglich ist – zu einem teilba-
ren, zu einem individuellem Gut werden, das je nach
Geldbeutel konsumiert wird; bitte erlauben Sie diesen un-
passenden Begriff.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist aber immer zugleich öffentlich und privat!)


Deswegen halte ich es für ganz wichtig, dass man die so-
ziokulturellen Zentren angesichts dieser Konkurrenz
stärkt.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ich möchte drei Stichworte zu den Perspektiven nen-
nen. Erstens. Viele soziokulturelle Einrichtungen bedür-
fen heute der professionellen Unterstützung in einem
höheren Maße, als das in der Vergangenheit der Fall war –
eine Erfahrung, die ich auch in München gemacht habe.
Das hängt auch mit dem Verhalten der Bürgerinnen und
Bürger zusammen, die langfristige Bindungen und Enga-
gement in der Form, wie wir das aus der Vergangenheit
kannten, so nicht mehr praktizieren. Als Stichwort ist also
Teilprofessionalisierung zu nennen. Zunehmende Profes-
sionalisierung in diesen Einrichtungen wiederspricht
nicht dem zivilgesellschaftlichen Gedanken.

Als zweites Stichwort ist die interkulturelle Verständi-
gung zu nennen. Interkulturelle Verständigung ist eine
ganz wichtige Aufgabe soziokultureller Zentren, und
zwar nicht in dem kollektivistischen Verständnis, dass
sich Gruppen begegnen. Es begegnen sich immer einzelne
Bürgerinnen und Bürger.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Keine Klischees, keine simplen, oft auf Folklore verkürz-
ten Verständnisse der kulturellen Herkunft, sondern die
Begegnung der Bürgerinnen und Bürger mit ihrer jeweili-
gen kulturellen Vielfalt stehen im Vordergrund.

Zum Dritten möchte ich schließlich etwas ansprechen,
das weit über den Bereich der Soziokultur hinausreicht.
Durch die stärkere Integration gerade der zeitgenössi-
schen, oft unbequemen Kunst müssen neue inhaltliche
Impulse in die Lebenswelt der Bürgerschaft ausgesendet
werden. Das kann nirgendwo besser als in solchen sozio-
kulturellen Zentren geleistet werden.


(Beifall im ganzen Hause)





Staatsminister Dr. Julian Nida-Rümelin
14072


(C)



(D)



(A)



(B)


Weil dies der Beginn einer Zusammenarbeit ist, erlau-
ben Sie mir zum Schluss, dass ich drei Stichworte für die
Kulturarbeit und die Kulturpolitik generell aufgreife, die
auch für die Soziokultur eine wichtige Rolle spielen. Das
eine ist – darum muss es uns gemeinsam gehen –, die Ba-
lance zwischen Repertoire und Innovation zu wahren
oder, wo sie nicht besteht, wieder herzustellen. Wir müs-
sen aufpassen, dass die Fortentwicklung der Künste kei-
nen Fadenriss bekommt. Es gibt Sparten, um die ich mir
Sorgen mache, zum Beispiel E-Musik. Also: Innovation
stärken. Das Repertoire ist stark, muss aber natürlich ge-
fördert werden. Wir müssen aufpassen, dass wir die zeit-
genössische Kunstentwicklung nicht aus dem Blick ver-
lieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Eckart von Klaeden [CDU/CSU])


Zweites Stichwort: Die eigentlichen Protagonisten der
Kultur sind die Künstlerinnen und Künstler. Sie schaffen
und arbeiten unter oft sehr schwierigen Bedingungen. Es
besteht nach wie vor ein krasses Missverhältnis zwischen
dem expandierenden Markt mit künstlerischen Produkten
auf der einen Seite und den Existenzbedingungen der vie-
len, der großen Mehrzahl der Künstlerinnen und Künstler
in diesem Land auf der anderen Seite. Ich glaube, die
Förderung der eigentlichen Protagonisten der Kultur
muss im Mittelpunkt jeder Kulturpolitik stehen.


(Beifall im ganzen Hause)

Letztes Stichwort: Zivilgesellschaft. Sie wurde heute

schon angesprochen. In den soziokulturellen Zentren ist
ein Ferment zivilgesellschaftlichen Engagements. Sie ste-
hen an der Schnittstelle zwischen Staat und bürgerschaft-
lichem Engagement. Ohne staatliche Unterstützung wür-
den viele soziokulturelle Zentren nicht existieren können.
Das heißt, sie sind gewissermaßen ein Angebot in der de-
mokratischen Gesellschaft an die Bürgerschaft und an den
Staat, zusammenzuwirken, um diese Form von Koopera-
tionen aufrechtzuerhalten. Die Zivilgesellschaft ist etwas,
das gerade unter den erschwerten Bedingungen von Des-
integration und sozialer Marginalisierung besonders auch
in den Städten bedroht ist. Die Zivilgesellschaft muss das
aushalten und Gegenkräfte entwickeln.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Kulturpolitik – auch die Kulturpolitik des Bundes –
wird, so hoffe ich, dazu beitragen. Ich jedenfalls freue
mich sehr auf die Zusammenarbeit mit Ihnen.


(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414328600
Herr
Staatsminister, ich beglückwünsche Sie im Namen des
Hauses zu Ihrer ersten Rede vor dem Deutschen Bundes-
tag.


(Beifall)

Ich schließe die Aussprache. Eine Abstimmung steht

nicht an, da es sich um die Beratung einer Großen Anfrage
handelt.

Deshalb rufe ich jetzt die Tagesordnungspunkte 20 a
und 20 b sowie den Zusatzpunkt 7 auf:
20a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-

gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Künstlersozialversicherungs-
gesetzes und anderer Gesetze
– Drucksache 14/5066 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.

(Frankfurt)

und der Fraktion der F.D.P.
Reform der Künstlersozialversicherung ge-
recht gestalten
– Drucksache 14/4929 (neu)
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
Heinrich Fink, Dr. Heidi Knake-Werner, Pia
Maier, Maritta Böttcher und der Fraktion der PDS
Für eine grundlegende Reform der Künstler-
sozialversicherung
– Drucksache 14/5086 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

Auch hier gibt es eine Vereinbarung, dass die Reden zu
Protokoll gegeben werden. Ich setze Ihr Einverständnis
voraus. Es handelt sich um die Reden der Kolleginnen
und Kollegen Angelika Krüger-Leißner, Andreas Storm,
Dr.Antje Vollmer, Dr. Irmgard Schwaetzer, Heinrich Fink
und der Parlamentarischen Staatssekretärin Ulrike
Mascher.1)

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/5066, 14/4929 neu und 14/5086 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Christina Schenk, Dr. Evelyn Kenzler, Ulla Jelpke,




Staatsminister Dr. Julian Nida-Rümelin

14073


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 7

weiteren Abgeordneten und der Fraktion der PDS
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur be-
ruflichen Gleichstellung von Prostituierten und
anderer sexuell Dienstleistender
– Drucksache 14/4456 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Gesundheit

Es werden eine Reihe von Reden zu Protokoll gegeben,
nämlich die der Kolleginnen Anni Brandt-Elsweier,
Margot von Renesse, Ilse Falk, Irmingard Schewe-Gerigk
und Ina Lenke.1) Die Kollegin Christina Schenk von der
PDS-Fraktion wird ihre Rede halten.

Frau Schenk, bitte.


Christina Schenk (PDS):
Rede ID: ID1414328700
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Prostitution ist in Deutschland nicht ver-
boten, aber nach wie vor als Beruf nicht anerkannt. Wir
haben es mit einer Doppelmoral zu tun, die Prostituierte
heimlich begehrt und zugleich öffentlich verschmäht.
Mehr als eine Million Männer und auch einige Frauen
nehmen täglich die Dienste von Prostituierten in An-
spruch; unter ihnen Banker, Bauarbeiter und Politiker. Al-
lein stehende Männer gehören genauso zu den Kunden
wie verheiratete Familienväter. Jährlich werden in diesem
Bereich etwa 12,5 Milliarden DM umgesetzt. Der Staat
hält das Steuersäckel offen und verdient kräftig mit.

Ich erinnere mich noch gut an die Debatte zu diesem
Thema in der vergangenen Legislaturperiode. Unter den
damaligen Oppositionsparteien SPD, Bündnis 90/Die
Grünen und PDS herrschte Einigkeit darüber, dass die
Diskriminierung der beruflichen Tätigkeit von Prostitu-
ierten beendet werden müsse. Selbst vonseiten der CDU
wurde die Doppelmoral beklagt. Entsprechend hoff-
nungsvoll las sich dann auch die rot-grüne Koalitionsver-
einbarung, in der versprochen wurde, die rechtliche und
soziale Situation von Prostituierten zu verbessern. Leider
ist es bei den Willensbekundungen und Ankündigungen
geblieben.

Daher hat die PDS einen Gesetzentwurf vorgelegt, der
die berufliche Anerkennung von Anbietern sexueller
Dienstleistungen vorsieht. Zunächst wird in dem Ge-
setzentwurf klargestellt, dass das Verdikt der Sittenwid-
rigkeit für sexuelle Dienstleistungen nicht zutrifft, indem
diese in das Dienstvertragsrecht des BGB eingeordnet
werden. Damit wären die zwischen Prostituierten und
Freiern geschlossenen Verträge ebenso rechtswirksam
wie die über die Erbringung anderer Dienstleistungen.
Des Weiteren sollen alle strafrechtlichen Sondervor-
schriften gestrichen werden, die die freie Berufsausübung
von Prostituierten und Strichern behindern bzw. verhin-
dern. Aufgehoben werden sollen auch die Sperrgebiets-
verordnung und das Werbeverbot für Prostitution.

Die Beseitigung der rechtlichen Diskriminierung von
Prostituierten ist lange überfällig. Erst vor kurzem hat ein

Berliner Gericht klargestellt, dass Prostitution nicht län-
ger als sittenwidrig gelten kann. Es hatte im Vorfeld sei-
ner Urteilsfindung Stellungnahmen von einer Vielzahl
von gesellschaftlichen Institutionen und Gruppen einge-
holt. Die Antworten – seien es die vom Deutschen Juris-
tinnenbund, von der Industrie- und Handelskammer oder
von der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für Famili-
enfragen – haben die Richter zu dem Schluss geführt, dass
Prostitution heute von der Mehrheit der Bevölkerung als
„Teil unseres Zusammenlebens“ akzeptiert wird. Das
deckt sich mit Umfrageergebnissen aus dem Jahr 1999,
nach denen mehr als 68 Prozent der Bundesbürger und
Bundesbürgerinnen eine rechtliche Anerkennung von
Prostituierten befürworten. Die notwendige Akzeptanz
für ein solches Gesetzesvorhaben ist also da.

Das Problem ist klar und die Lösung liegt auf der Hand.
Wir haben es – so meine ich – in diesem Fall mit einer
rechtlich durchaus übersichtlichen und nicht sonderlich
komplizierten Materie zu tun. Ich habe deshalb überhaupt
kein Verständnis für weitere Verzögerungen. Die Huren
und Stricher erwarten, dass endlich etwas geschieht.


(Beifall bei der PDS)

Ich bedaure auch, dass von den anderen Fraktionen die
Reden zu Protokoll gegeben worden sind und somit das
Angebot zu einem ersten Austausch über unseren Gesetz-
entwurf von Ihnen ausgeschlagen wird.

Das Problem ist: Noch immer gilt Prostitution als sit-
tenwidrig – mit den allgemein bekannten Folgen: Prosti-
tuierte dürfen zwar Steuern auf ihre Arbeit zahlen, können
aber nicht ihren Lohn einklagen. Sie müssen gegen Vor-
kasse arbeiten, weil sie im Nachhinein gegen den Freier
keinerlei Ansprüche haben. Ein Freier, der die Prostitu-
ierte um das vereinbarte Entgelt prellt, macht sich nicht
einmal wegen Betruges strafbar. Prostituierte können
keine regulären Arbeitsverträge mit Clubs oder Bordellen
abschließen und der Zugang zu den Sozialkassen ist ihnen
verwehrt. Diverse Strafvorschriften, die vorgeblich die
Frauen vor Ausbeutung schützen sollen, bewirken genau
das Gegenteil: Die Bordellbetreiberin, die für gute Ar-
beitsbedingungen sorgt, macht sich strafbar. Da reicht es
schon, wenn im Zimmer ein Waschbecken vorhanden ist
oder Kondome – ein sicherlich unerlässliches Arbeitsmit-
tel – bereitliegen. Hingegen genießt der Betreiber eines
Eros-Centers, der lediglich eine überhöhte Zimmermiete
kassiert und sonst nichts leistet, den Schutz der Rechts-
lage und bleibt straffrei.

Die Sperrgebietsverordnung, die es den Gemeinden
gestattet, Prostitution auf bestimmte Straßenzüge oder
Gebiete zu begrenzen, drängt Prostituierte und Stricher
geradezu in die Hände von Zuhältern und abzockenden
Hausbesitzern. Besonders pikant ist, dass Prostituierte
aufgrund des Werbeverbotes in ihren Anzeigen nicht ein-
mal darauf hinweisen dürfen, dass sie ausschließlich
Safer Sex praktizieren.

Ich fordere insbesondere Sie, meine Damen und Her-
ren von der SPD und vom Bündnis 90/Die Grünen, auf,
endlich zu Potte zu kommen, entweder etwas Eigenes vor-
zulegen oder sich intensiv mit dem Gesetzentwurf der
PDS zu befassen. Ich persönlich bin davon überzeugt,




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
14074


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 8

dass unser Gesetzentwurf die Basis für die weiteren Be-
ratungen darstellt und unter Umständen sogar die Basis
für einen gemeinsamen, parteiübergreifenden Konsens,
wie er sich bereits in der 13. Legislaturperiode abge-
zeichnet hat, sein kann. In diesem Sinne kann ich Ihnen
versichern: Die PDS ist zu einer zügigen Beratung in den
Ausschüssen bereit. Wir erwarten, dass bald etwas ge-
schieht.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414328800
Ich
schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 14/4456 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu ander-
weitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer Brüderle,
Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der F.D.P.
Senkung des Entgelts für die Beförderung von
Briefsendungen im Geltungsbereich der Exklu-
sivlizenz nach § 51 Postgesetz
– Drucksache 14/4417 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

Hierzu werden die Reden zu Protokoll gegeben, und
zwar die von den Kollegen Klaus Barthel (Starnberg),
Elmar Müller (Kirchheim), Rainer Funke, Gerhard
Jüttemann, der Kollegin Michaele Hustedt1) sowie des
Parlamentarischen Staatssekretärs Siegmar Mosdorf.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/4417 an den in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einver-
standen? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten

(Reck linghausen)

ordneten und der Fraktion der CDU/CSU einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Personenstandsgesetzes
– Drucksache 14/4425 (neu)
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Die Reden sind zu Protokoll gegeben, und zwar die des
Kollegen Harald Friese und der Kolleginnen Renate
Diemers, Irmingard Schewe-Gerigk, Ina Lenke und Hei-
demarie Lüth.2)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 14/4425 (neu) an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu an-
derweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Krankenhausfinanzierungsgesetzes und

(DRG-Systemzuschlags-Gesetz)

– Drucksache 14/5082 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit

Auch hier werden die Reden zu Protokoll gegeben, und
zwar die der Kollegen Horst Schmidbauer (Nürnberg), Dr.
Hans Georg Faust, Dr. Dieter Thomae und der Kollegin-
nen Katrin Göring-Eckardt und Dr. Ruth Fuchs.3)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5082 an den in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einver-
standen? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Freitag, den 19. Januar 2001, 9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.