Protokoll:
14114

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 114

  • date_rangeDatum: 6. Juli 2000

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 00:14 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Benennung der Abgeordneten Horst Schmidtbauer (Nürnberg) und Gerhard Scheu als Mitglieder für den Stiftungsrat „Hu- manitäre Hilfe“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10749 A Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . 10749 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 19 sowie 21 a und b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10750 C Änderung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . . . 10750 C Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 10750 D Begrüßung ausländischer Gäste, unter anderem Abgeordnete des polnischen Parlamentes des Sejm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10752 A Tagesordnungspunkt 7: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Bernd Reuter, Dieter Wiefelspütz, Dr. Peter Struck und der Fraktion SPD, den Abgeord- neten Wolfgang Bosbach, Friedrich Merz, Michael Glos und der Fraktion CDU/CSU, den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, den Abgeordneten Jürgen W. Möllemann, Dr. Max Stadler, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Frak- tion F.D.P. sowie den Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion PDS eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Errich- tung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (Drucksachen 14/3206, 14/3758, 14/3759) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10751 A – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Er- richtung einer Stiftung „Erinne- rung, Verantwortung und Zu- kunft“ (Drucksachen 14/3459, 14/3758, 14/3759) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10751 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Dr. Heinrich Fink, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion PDS: Zügige Ent- schädigung für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter und Errichtung einer Bundesstiftung (Drucksachen 14/1694, 14/3758) . . . . 10751 C c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Christa Luft, Heidemarie Ehlert, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion PDS eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Einkommensteuergesetzes (Drucksachen 14/472, 14/3731, 14/3737) 10751 C Otto Graf Lambsdorff, Beauftragter des Bun- deskanzlers für die Stiftungsinitiative Deut- scher Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10752 A Wolfgang Bosbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 10754 C Bernd Reuter SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10758 A Dr. Max Stadler F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10759 D Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10761 A Dr. Peter Eckardt SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 10762 C Albert Deß CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 10762 D Plenarprotokoll 14/114 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 114. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 2000 I n h a l t : Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10763 D Dietmar Nietan SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10765 C Dr. Hans-Peter Uhl CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 10767 A Christian Simmert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10768 D Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . 10769 B Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 10771 A Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10773 D Zusatztagesordnungspunkt 3: Vereinbarte Debatte zur Steuerpolitik . . . 10771 C Joachim Poß SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10771 C Gerda Hasselfeldt CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 10776 B Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10778 D Carl-Ludwig Thiele F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 10781 A Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10783 C Carl-Ludwig Thiele F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 10784 A Roland Claus PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10785 A Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . 10786 C Friedrich Merz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 10791 D Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . 10795 B Peter Rauen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 10796 A Zusatztagesordnungspunkt 4: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zurReform derUnternehmensbesteuerung (Steuersenkungsgesetz) (Drucksachen 14/2683, 14/3074, 14/3366, 14/3640, 14/3760) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10796 D Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 10797 A Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10800 A Tagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technik- folgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Stephan Hilsberg, Brigitte Wimmer (Karlsruhe), weiterer Abgeordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeord- neten Matthias Berninger, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Für eine Modernisierung der Ausbildungsförderung für Studie- rende – zu dem Antrag der Abgeordne- ten Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen), Angelika Volquartz, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion CDU/CSU: Eck- punkte für eine BAföG-Reform – zu dem Antrag der Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Heinrich Fink, Dr. Ilja Seifert und der Fraktion PDS: Strukturelle Erneuerung der Ausbil- dungsförderung – zu der Unterrichtung durch die Bundes- regierung: Dreizehnter Bericht nach § 35 des Bundesausbildungsförde- rungsgesetzes zur Überprüfung der Bedarfssätze, Freibeträge sowie Vom- hundertsätze und Höchstbeträge nach § 21 Abs. 2 (Drucksachen 14/2905, 14/2031, 14/2789, 14/1927, 14/2811 Nr. 1, 14/3730) . . . . 10797 A Stephan Hilsberg SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10797 C Cornelia Pieper F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 10798 C Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen) CDU/CSU . 10802 B Matthias Berninger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10804 C Cornelia Pieper F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10806 C Maritta Böttcher PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10808 A Matthias Berninger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10808 C Edelgard Bulmahn, Bundesministerin BMBF 10809 A Cornelia Pieper F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 10810 D Angelika Volquartz CDU/CSU . . . . . . . . . . . 10813 A Tagesordnungspunkt 27: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vor- schriften über die Tätigkeit derWirt- schaftsprüfer (Wirtschaftsprüferord- nungs-Änderungsgesetz) (Drucksache 14/3649) . . . . . . . . . . . . . 10815 A b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zu dem Protokoll vom 22. März 2000 zur Änderung des Überein- kommens vom 9. Februar 1994 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Straßen mit schweren Nutzfahrzeugen (Drucksache 14/3651) . . . . . . . . . . . . . 10815 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 2000II d) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Fünf- zehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Drucksache 14/3764) . . . . . . . . . . . . . 10815 D e) Antrag der Abgeordneten Rita Streb- Hesse, Dr. Margrit Wetzel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion SPD so- wie der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rege- lung des Anwohnerparkens durch Städte und Gemeinden (Drucksache 14/1258) . . . . . . . . . . . . . 10815 D f) Antrag der Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler, Ulla Jelpke, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion PDS: Änderung des Ausländergesetzes (Drucksache 14/668) . . . . . . . . . . . . . . 10815 C g) Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion F.D.P.: Keine ersatzlosen Schließungen von Auslandsvertretungen (Drucksache 14/1751) . . . . . . . . . . . . . 10815 C h) Antrag der Abgeordneten Angelika Mertens, Angelika Graf (Rosenheim), weiterer Abgeordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Kerstin Müller (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bekämpfung der illegalen Kabotage und des Sozialdumpings im Transportgewerbe (Drucksache 14/3702) . . . . . . . . . . . . . 10815 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren (Ergänzung zu TOP 27) Antrag der Abgeordneten Brunhilde Irber, Dr. Eberhard Brecht, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion SPD, der Abgeordne- ten Sylvia Voß, Matthias Berninger, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN, der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Hildebrecht Braun (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P. sowie der Abgeordneten Rosel Neuhäuser, Dr. Heinrich Fink, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Si- cherung der Volksfeste, des Markthan- dels und des Schaustellergewerbes (Drucksache 14/3786) . . . . . . . . . . . . . . . 10815 D Tagesordnungspunkt 28: Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Schornsteinfeger- gesetzes und anderer schornstein- fegerrechtlicher Vorschriften (Drucksachen 14/3333, 14/3753) . 10816 A – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Schornsteinfegergesetzes und anderer schornsteinfegerecht- licher Vorschriften (Drucksachen 14/3650, 14/3753) . 10816 A b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Fünften Gesetzes zur Än- derung des Aufenthaltsgesetzes/EWG (Drucksachen 14/3274, 14/3788) . . . . 10816 B c) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Änderung produkt- haftungsrechtlicher Vorschriften (Drucksachen 14/3371, 14/3756) . . . . 10816 C d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gerätesicherheitsgesetzes und des Chemikaliengesetzes (Drucksachen 14/3491, 14/3798) . . . . 10816 D e) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. Mai 1999 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die gegensei- tige Amtshilfe bei der Beitreibung von Steueransprüchen und der Be- kanntgabe von Schriftstücken (Drucksachen 14/3077, 14/3698) . . . . 10817 A f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verord- nung der Bundesregierung: Verord- nung über die Erzeugung von Strom aus Biomasse (Biomasseverordnung) (Drucksachen 14/3489, 14/3574 Nr. 2.1, 14/3801) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10817 B g) – m) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 2000 III Sammelübersichten 175, 176, 177, 178, 179, 180, 181 zu Petitionen (Drucksachen 14/3687, 14/3688, 14/3689, 14/3690, 14/3691, 14/3692, 14/3693) . 10817 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache (Ergänzung zu TOP 28) a) – e) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses Sammelübersichten 182, 183, 184, 185, 186 zu Petitionen (Drucksachen 14/3793, 14/3794, 14/3795, 14/3796, 14/3797) . . . . . . . . 10818 A Zusatztagesordnungspunkt 7: Aktuelle Stunde betr. Absenkung der Beiträge für die Bezieher von Arbeits- losenhilfe und die Folgen für die gesetz- lichen Krankenkassen . . . . . . . . . . . . . . 10818 C Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU 10818 D Regina Schmidt-Zadel SPD . . . . . . . . . . . . . . 10820 A Detlef Parr F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10821 A Katrin Dagmar Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10822 D Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10824 A Ulrike Mascher, Parl. Staatssekretärin BMA . 10825 A Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10826 B Andrea Fischer, Bundesministerin BMG . . . . 10827 A Rainer Eppelmann CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 10828 D Eike Hovermann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10829 B Dr. Sabine Bergmann-Pohl CDU/CSU . . . . . 10830 D Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD . . . . . . . 10832 A Matthäus Strebl CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 10832 D Maritta Böttcher PDS (Erklärung zur GO) . . 10822 D Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Fraktionen SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Stärkung des so- zialen Zusammenhalts der Gesellschaft durch Weiterentwicklung des Sozial- staats und mehr Gerechtigkeit (Drucksache 14/3787) . . . . . . . . . . . . . . . 10833 D Rudolf Dreßen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10834 A Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . . . . . . . . 10837 D Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10839 A Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P. . . . . . . . . . . . . 10840 C Dr. Heidi Knake-Werner PDS . . . . . . . . . . . . 10841 C Johannes Singhammer CDU/CSU . . . . . . . . . 10842 C Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Fraktion der CDU/CSU: Wissen- schafts- und Hochschulzusammenarbeit mit den Entwicklungs- und Transformati- onsländern stärken (Drucksache 14/3376) . . . . . . . . . . . . . . . 10843 D Klaus-Jürgen Hedrich CDU/CSU . . . . . . . . . 10843 D Frank Hempel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10845 B Ulrike Flach F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10847 B Dr. Uschi Eid, Parl. Staatssekretärin BMZ . . . 10848 B Carsten Hübner PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10849 B Tagesordnungspunkt 11: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Berufe in der Al- tenpflege (Altenpflegegesetz) (Drucksachen 14/1578, 14/3736) . . . . . . . 10850 B Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10850 C Maria Eichhorn CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 10852 A Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10853 C Klaus Haupt F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10854 C Monika Balt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10855 B Christa Lörcher SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10856 B Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Diskriminierung von Frauen bei den Olympischen Spielen (Drucksache 14/3769) . . . . . . . . . . . . . . . 10857 C Angelika Graf (Rosenheim) SPD . . . . . . . . . . 10857 C Monika Brudlewsky CDU/CSU . . . . . . . . . . . 10858 D Winfried Hermann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10860 A Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P. . 10861A Petra Bläss PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10861 D Christine Lehder SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10862 B Irmgard Karwatzki CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 10863 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 2000IV Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Dr. R. Werner Schuster, Joachim Tappe, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster- Loßack, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Afrikas Entwick- lung unterstützen (Drucksache 14/3701) . . . . . . . . . . . . . . . 10864 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Joachim Tappe, Dr. Werner Schuster, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordneten Angelika Köster-Loßack, Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Friedensbemühungen am Horn von Afrika verstärken (Drucksache 14/3767) . . . . . . . . . . . . . . . 10864 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Dr. Werner Schuster, Joachim Tappe, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster- Loßack, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Demokratische und friedliche Kräfte im Sudan unter- stützen (Drucksache 14/3768) . . . . . . . . . . . . . . . 10864 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Joachim Tappe, Dr. Werner Schuster, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion SPD sowie der Abge- ordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜ- NEN: Konflikt in derRegion derGroßen Seen eingedämmt – nicht gelöst (Drucksache 14/3791) . . . . . . . . . . . . . . . 10864 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Carsten Hübner, Fred Gebhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Äthiopien und Eritrea (Drucksache 14/3547) . . . . . . . . . . . . . . . 10864 C Joachim Tappe SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10864 D Rudolf Kraus CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 10867 A Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 10868 C Joachim Günther (Plauen) F.D.P. . . . . . . . . . . 10871 D Carsten Hübner PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10872 B Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10873 C Dr. Karl-Heinz Hornhues CDU/CSU . . . . . . . 10875 B Dr. Uschi Eid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 10877 B Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Dr. Hermann Otto Solms, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Ökosteuer zurücknehmen (Drucksache 14/3519) . . . . . . . . . . . . . . . 10877 D Rainer Brüderle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10878 A Wolfgang Grotthaus SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 10879 B Heinz Seiffert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 10881 A Peter Dreßen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10881 C Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10883 C Dr. Gregor Gysi PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10885 A Reinhard Schultz (Everswinkel) SPD . . . . . . 10887 D Tagesordnungspunkt 15: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ächtung der Ge- walt in der Erziehung (Drucksachen 14/1247, 14/3781) . . . . 10888 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Jünger, Rosel Neuhäuser, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Ächtung der Ge- walt in der Erziehung wirkungsvoll flankieren (Drucksachen 14/2720, 14/3761) . . . . 10888 A Margot von Renesse SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 10888 B Ingrid Fischbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 10889 B Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 10890 B Klaus Haupt F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10891 C Sabine Jünger PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10892 C Rolf Stöckel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10893 B Ronald Pofalla CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 10894 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 2000 V Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 10896 C Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10897 A Tagesordnungspunkt 16: Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Norbert Hauser (Bonn), Norbert Röttgen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: „Wort halten“ Um- setzung der Bonn/Berlin-Beschlüsse (Drucksachen 14/1004, 14/2699) . . . . . . . 10899 B Norbert Hauser (Bonn) CDU/CSU . . . . . . . . 10899 C Hans-Peter Kemper SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 10900 C Dr. Guido Westerwelle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . 10902 C Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10903 D Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10904 D Norbert Röttgen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 10905 B Tagesordnungspunkt 17: a) Antrag der Fraktion PDS: Straffreiheit für Spionage zugunsten der Deut- schen Demokratischen Republik (Drucksache 14/3065) . . . . . . . . . . . . . 10907 A b) Beschlussempfehlung des Petitionsaus- schusses Sammelübersicht 144 zu Petitionen (Amnestie für Bundesbürger, die für die Auslandsnachrichtendienste der DDR tätig waren) (Drucksache 14/3002) . . . . . . . . . . . . . 10907 A c) Antrag der Fraktion PDS: Bereinigung von politischen Ungerechtigkeiten im Kalten Krieg (Drucksache 14/3066) . . . . . . . . . . . . . 10907 A d) Beschlussempfehlung des Petitionsaus- schusses Sammelübersichten 128 zu Petitio- nen (Das vom Bundesverfassungsgericht verfügte Verbot der KPD aufheben) (Drucksache 14/2716) . . . . . . . . . . . . . 10907 B e) Beschlussempfehlung des Petitionsaus- schusses Sammelübersicht 129 zu Petitionen (Novellierung des Bundesverfassungs- gerichtsgesetzes) (Drucksache 14/2717) . . . . . . . . . . . . . 10907 B f) Beschlussempfehlung des Petitionsaus- schusses Sammelübersicht 130 zu Petitionen (Aufhebung der Urteile der „politischen Sonderkammern“) (Drucksache 14/2718) . . . . . . . . . . . . . 10907 B g) Antrag der Fraktion PDS: Beendigung der Strafverfolgung für hoheitliches Handeln in der DDR (Drucksache 14/3067) . . . . . . . . . . . . . 10907 B Vera Lengsfeld CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 10907 C Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 10909 C Tagesordnungspunkt 18: Antrag des Abgeordneten Dr. Christian Schwarz-Schilling und weiteren Abgeord- neten der Fraktion CDU/CSU, der Abge- ordneten Heide Mattischeck und weiteren Abgeordneten der Fraktion SPD, der Abge- ordneten Claudia Roth (Augsburg) und wei- teren Abgeordneten der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeord- neten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und weiteren Abgeordneten der Fraktion F.D.P.: Humanitäre Grundsätze in der Flüchtlingspolitik beachten (Drucksache 14/3729) . . . . . . . . . . . . . . . 10912 B Dr. Christian Schwarz-Schilling CDU/CSU . 10912 C Heide Mattischeck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 10915 A Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P. . 10916 A Claudia Roth (Augsburg) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10916 D Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10917 D Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD . . . . . . . . 10918 B Tagesordnungspunkt 27: c) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Zusammenar- beit von Arbeitsämtern und Trägern der Sozialhilfe (Drucksache 14/3765) . . . . . . . . . . . . . 10919 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10919 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 10921 A Anlage 2 Gleichgewichtige Verteilung der reduzierten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 2000VI Zahl der Wehrpflichtigen und Panzer auf die einzelnen Standorte MdlAnfr 56, 57 Helmut Heiderich CDU/CSU Antw PStSekr’in Brigitte Schulte BMVg . . . . 10921 D Anlage 3 Auswirkungen der Umstrukturierungsmaß- nahmen bei der Bundeswehr auf das Bundes- amt für Wehrtechnik und Beschaffung und auf die rheinland-pfälzischen Standorte, insbeson- dere Koblenz MdlAnfr 58, 59 Karl-Heinz Scherhag CDU/CSU Antw PStSekr’in Brigitte Schulte BMVg . . . . 10922 A Anlage 4 Auflösung von Wehrbereichsverwaltungen in Baden-Württemberg MdlAnfr 60 Dirk Niebel F.D.P. Antw PStSekr’in Brigitte Schulte BMVg . . . . 10922C Anlage 5 Öffnung der Bundeswehr für Frauen; Einstel- lungsstandorte, Vorbereitung der Bundeswehr- angehörigen; finanzielle Auswirkungen MdlAnfr 61, 62 Werner Siemann CDU/CSU Antw PStSekr’in Brigitte Schulte BMVg . . . . 10922 C Anlage 6 Fortbestand der Kreiswehrersatzämter im Rahmen der Bundeswehrreform MdlAnfr 63, 64 Dr. Klaus Rose CDU/CSU Antw PStSekr’in Brigitte Schulte BMVg . . . . 10923 B Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ulrich Adam, Ilse Aigner, Peter Altmaier, Norbert Barthle, Günter Baumann, Brigitte Baumeister, Meinrad Belle, Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Otto Bernhardt, Renate Blank, Dr. Maria Böhmer, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dr. Wolfgang Bötsch, Friedrich Bohl, Jochen Borchert, Wolfgang Bosbach, Dr. Ralf Brauksiepe, Paul Breuer, Klaus Bühler (Bruchsal), Cajus Caesar, Wolfgang Dehnel, Hubert Deittert, Renate Diemers, Thomas Dörflinger, Marie-Luise Dött, Hansjürgen Doss, Maria Eichhorn, Rainer Eppelmann, Anke Eymer (Lübeck), Ilse Falk, Dr. Hans Georg Faust, Ulf Fink, Ingrid Fischbach, Dirk Fischer (Hamburg), Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen), Erich G. Fritz, Jochen-Konrad Fromme, Dr. Jürgen Gehb, Michael Glos, Dr. Reinhard Göhner, Kurt-Dieter Grill, Hermann Gröhe, Manfred Grund, Horst Günther (Duisburg), Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein, Gottfried Haschke (Großhennersdorf), Gerda Hasselfeldt, Norbert Hauser (Bonn), Klaus-Jürgen Hedrich, Helmut Heiderich, Ursula Heinen, Manfred Heise, Siegfried Helias, Peter Hintze, Klaus Hofbauer, Klaus Holetschek, Dr. Karl- Heinz Hornhues, Susanne Jaffke, Georg Janovsky, Dr.-Ing. Rainer Jork, Irmgard Karwatzki, Eckart von Klaeden, Ulrich Klinkert, Norbert Königshofen, Manfred Kolbe, Eva-Maria Kors, Thomas Kossendey, Dr. Martina Krogmann, Dr.-Ing. Paul Krüger, Karl Lamers, Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg), Dr. Norbert Lammert, Dr. Paul Laufs, Karl- Josef Laumann, Vera Lengsfeld, Werner Lensing, Ursula Lietz, Walter Link (Diepholz), Eduard Lintner, Dr. Klaus W. Lippold (Offen- bach), Dr. Michael Luther, Dieter Maaß (Herne), Wolfgang Meckelburg, Dr. Michael Meister, Dr. Angela Merkel, Friedrich Merz, Hans Michelbach, Bernward Müller (Jena), Bernd Neumann (Bremen), Claudia Nolte, Günter Nooke, Friedhelm Ost, Eduard Oswald, Dr. Peter Paziorek, Anton Pfeifer, Ruprecht Polenz, Dr. Bernd Protzner, Thomas Rachel, Dr. Peter Ramsauer, Helmut Rauber, Christa Reichard (Dresden), Katherina Reiche, Erika Reinhardt, Hans-Peter Repnik, Dr. Heinz Riesenhuber, Adolf Roth (Gießen), Dr. Christian Ruck, Volker Rühe, Heinz Schemken, Gerhard Scheu, Dietmar Schlee, Bernd Schmidbauer, Christian Schmidt (Fürth), Dr.-Ing. Joachim Schmidt (Hals- brücke), Andreas Schmidt (Mülheim), Hans Peter Schmitz (Baesweiler), Birgit Schnieber- Jastram, Dr. Andreas Schockenhoff, Dr. Rupert Scholz, Dr. Erika Schuchardt, Dr. Christian Schwarz-Schilling, Horst Seehofer, Rudolf Seiters, Bernd Siebert, Werner Siemann, Johannes Singhammer, Bärbel Sothmann, Margarete Späte, Erika Steinbach, Dorothea Störr-Ritter, Andreas Storm, Thomas Strobl, Edeltraut Töpfer, Dr. Hans-Peter Uhl, Gunnar Uldall, Angelika Volquartz, Andrea Voßhoff, Peter Weiß (Emmendingen), Gerald Weiß (Groß-Gerau), Annette Widmann-Mauz, Elke Wülfing, Wolfgang Zeitlmann (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erin- nerung, Verantwortung und Zukunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (Tages- ordnungspunkt 7 a ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10923 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 2000 VII Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Max Straubinger, Albert Deß, Josef Hollerith, Franz Obermeier, Dr. Wolfgang Götzer, Wolfgang Zöller, Ernst Hinsken und Georg Girisch (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung ei- ner Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (Tages- ordnungspunkt 7 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10925 C Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Martin Hohmann, Kurt Rossmanith, Benno Zierer, Werner Wittlich, Hans-Otto Willhelm (Mainz), Wilhelm-Josef Sebastian, Peter Bleser, Norbert Schindler, Anita Schäfer, Klaus Brähmig und Norbert Geis (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erin- nerung, Verantwortung und Zukunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (Tages- ordnungspunkt 7 a ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10926 A Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Carsten Hübner, Dr. Winfried Wolf und Christina Schenk (alle PDS) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erin- nerung, Verantwortung und Zukunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (Tages- ordnungspunkt 7 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10926 C Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sylvia Bonitz (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errich- tung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwor- tung und Zukunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (Tages- ordnungspunkt 7 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10927 C Anlage 12 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Georg Brunnhuber (CDU/CSU) zur Abstim- mung über den Entwurf eines Gesetzes zur Er- richtung einer Stiftung „Erinnerung, Verant- wortung und Zukunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (Tages- ordnungspunkt 7 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10928 A Anlage 13 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hartmut Büttner (Schönebeck) (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Ge- setzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinne- rung, Verantwortung und Zukunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (Tages- ordnungspunkt 7 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10928 C Anlage 14 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU) zur Ab- stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verant- wortung und Zukunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (Tages- ordnungspunkt 7 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10929 A Anlage 15 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Volker Kauder (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errich- tung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwor- tung und Zukunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (Tages- ordnungspunkt 7 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10929 C Anlage 16 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Julius Louven (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errich- tung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwor- tung und Zukunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (Tages- ordnungspunkt 7 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10929 D Anlage 17 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Clemens Schwalbe (CDU/CSU) zur Abstim- mung über den Entwurf eines Gesetzes zur Er- richtung einer Stiftung „Erinnerung, Verant- wortung und Zukunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (Tages- ordnungspunkt 7 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10930 B Anlage 18 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Heinz Seiffert (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errich- tung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwor- tung und Zukunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (Tages- ordnungspunkt 7 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10930 C Anlage 19 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/ Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 2000VIII CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erin- nerung, Verantwortung und Zukunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (Tages- ordnungspunkt 7 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10931 A Anlage 20 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) zur Abstim- mung über den Entwurf eines Gesetzes zur Er- richtung einer Stiftung „Erinnerung, Verant- wortung und Zukunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (Tages- ordnungspunkt 7 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10931 D Anlage 21 Erklärung des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Aussprache über den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (Tages- ordnungspunkt 7 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10932 A Anlage 22 Erklärung der Abgeordneten Monika Griefahn (SPD) zur Abstimmung über den Entwurf ei- nes Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Er- innerung, Verantwortung und Zukunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (Tages- ordnungspunkt 7 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10932 C Anlage 23 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Jörg Tauss (SPD) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (Drucksachen 14/2683, 14/3074, 14/3366, 14/3640 und 14/3760) (Zusatztagesordnungs- punkt 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10932 C Anlage 24 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Eva-Maria Bulling-Schröter (PDS) zur Ab- stimmung über die Verordnung der Bundesre- gierung: Verordnung über die Erzeugung von Strom aus Biomasse (Biomasseverordnung – BiomasseV) (Tagesordnungspunkt 27 f) . . . . . . . . . . . . . . . 10932 D Anlage 25 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Straffreiheit für Spionage zugunsten der Deutschen Demokratischen Republik (Tagesordnungspunkt 17) . . . . . . . . . . . . . . . . 10933 A Winfried Mante SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10933 B Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10934 C Jörg van Essen F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10935 A Anlage 26 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Zusammenarbeit von Arbeitsämtern und Trägern der Sozialhilfe (Tagesordnungspunkt 27 c) . . . . . . . . . . . . . . . 10935 B Brigitte Lange SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10935 B Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU . . . . . 10936 A Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10937 B Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P. . . . . . . . . . . . . 10938 A Dr. Klaus Grehn PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10938 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 2000 IX Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 2000
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 2000 Parl. Staatssekretärin Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast 10919 (C) (D) (A) (B) 1) Anlage 26 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 2000 10921 (C) (D) (A) (B) Adler, Brigitte SPD 06.07.00* Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 06.07.00* Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 06.07.00 Bury, Hans Martin SPD 06.07.00 Carstensen (Nordstrand), CDU/CSU 06.07.00 Peter H. Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 06.07.00 Friedrich (Altenburg), SPD 06.07.00 Peter Gebhardt, Fred PDS 06.07.00 Goldmann, F.D.P. 06.07.00 Hans-Michael Götz, Peter CDU/CSU 06.07.00 Grießhaber, Rita BÜNDNIS 90/ 06.07.00* DIE GRÜNEN Hauser (Rednitzhem- CDU/CSU 06.07.00 bach), Hansgeorg Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 06.07.00 DIE GRÜNEN Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 06.07.00 Klose, Hans-Ulrich SPD 06.07.00 Dr. Köster-Loßack, BÜNDNIS 90/ 06.07.00 Angelika DIE GRÜNEN Koschyk, Hartmut CDU/CSU 06.07.00 Lambrecht, Christine SPD 06.07.00 Lennartz, Klaus SPD 06.07.00 Lippmann, Heidi PDS 06.07.00 Moosbauer, Christoph SPD 06.07.00* Müller (Berlin), PDS 06.07.00 Manfred Niebel, Dirk F.D.P. 06.07.00 Oesinghaus, Günter SPD 06.07.00 Raidel, Hans CDU/CSU 06.07.00* Romer, Franz CDU/CSU 06.07.00 Schily, Otto SPD 06.07.00 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 06.07.00 Hans Peter Schumann, Ilse SPD 06.07.00 Sothmann, Bärbel CDU/CSU 06.07.00 Steen, Antje-Marie SPD 06.07.00 Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 06.07.00* Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 06.07.00 Weisskirchen SPD 06.07.00* (Wiesloch), Gert Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 06.07.00* Wohlleben, Verena SPD 06.07.00 Zapf, Uta SPD 06.07.00* * für die Teilnahme an der 9. Jahrestagung der ParlamentarischenVersammlung der OSZE Anlage 2 Antwort der Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte auf die Fragen des Abgeordneten Helmut Heiderich (CDU/CSU) (Drucksache 14/3722, Fragen 56 und 57): In welcher Weise beabsichtigt die Bundesregierung die Redu- zierung der Ausbildung von Grundwehrdienstleistenden – durch die Verkürzung der Wehrpflicht und die geringere Anzahl der Ein- berufungen – auf die einzelnen Standorte, welche jetzt ausbilden, zu verteilen? Wird die Absicht der Bundesregierung, die Anzahl der Panzer und damit der gepanzerten Truppen um circa ein Drittel zu redu- zieren, zum prozentual gleichgewichtigen Abzug von Material und Personal aus allen betroffenen Standorten führen? Zu Frage 56: Die Ausplanungen der im „Eckpfeilerpapier“ von Bun- desminister Scharping angekündigten Veränderungen der Bundeswehr stehen erst am Anfang. Inwieweit die Ver- kürzung der Wehrpflicht und die Einberufung einer gerin- geren Zahl von Wehrpflichtigen Auswirkungen auf die Konzeption der Ausbildung und mögliche Standortent- scheidungen haben könnte, kann derzeit noch nicht gesagt werden. Sollten als Ergebnis der Untersuchungen kon- krete Standortentscheidungen notwendig sein, werden, wie in der Vergangenheit auch, der Deutsche Bundestag und die Länderregierungen konsultiert. entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Zu Frage 57: Im Rahmen der Erneuerung der Bundeswehr von Grund auf soll auch ein moderneres Ausrüstungs- und Materialkonzept für die Streitkräfte entwickelt und stu- fenweise umgesetzt werden. Wie sich die im Eckpfeiler- papier des Bundesministers der Verteidigung angekün- digte Reduzierung von Großgeräten der Bundeswehr auf Stationierungsorte auswirkt, kann erst dann beantwortet werden. Anlage 3 Antwort der Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte auf die Fragen des Abgeordneten Karl-Heinz Scherhag (CDU/CSU) (Drucksache 14/3722, Fragen 58 und 59): Welche Auswirkungen haben die geplanten Reduzierungs-und Rationalisierungsmaßnahmen im Bereich der zivilen Be-schäftigungsstrukturen der Bundeswehr auf die Anzahl der Be-schäftigten beim Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung? Welche Folgen hat die geplante personelle und strukturelleNeuorganisation der Heeresunterstützungskommandos für dieBundeswehrstandorte in Rheinland-Pfalz und insbesondere fürden Standort Koblenz? Zu Frage 58: Im Zusammenhang mit der notwendigen Reform der Bundeswehr, die Bundesminister Scharping am 14. Ju- ni 2000 nach dem Beschluss der Bundesregierung einge- hend erläutert hat, ist eine Überprüfung der zivilen Bereiche der Bundeswehr erforderlich. In diesem Zusam- menhang werden Entscheidungen zu treffen sein, die ge- gebenenfalls die Prüfung des Personalumfangs und der Aufgaben des Bundesamtes für Wehrtechnik und Be- schaffung in Koblenz nach sich ziehen können. Dabei werden die Belange der Mitarbeiter und deren Familien in die Überlegungen einbezogen. Zu Frage 59: Nach dem Beschluss der Bundesregierung vom 14. Ju- ni 2000 zu den Eckpfeilern der Bundeswehr sollen die Aufgaben des Heeresunterstützungskommandos zukünf- tig teilstreitkraftübergreifend in der Streitkräftebasis und im Zentralen Sanitätsdienst, teilweise im Heeresfüh- rungskommando in Koblenz und im Heeresamt in Köln wahrgenommen werden. Für das Heeresunterstützungs- kommando bedeutet dies seine Auflösung. Eines unserer Ziele ist es, die Teilstreitkräfte durch die Zusammenfas- sung und weitgehend streitkräftegemeinsame Wahrneh- mung von Unterstützungsaufgaben zu entlasten und die Wirtschaftlichkeit zu verbessern. Über die Auswirkungen auf die Standorte in Rheinland-Pfalz und speziell in Ko- blenz kann erst eine verlässliche Aussage getroffen wer- den, wenn die Überlegungen zur Neuordnung der Aufga- benbereiche in der Streitkräftebasis und im Zentralen Sanitätsdienst, aber auch in den Teilstreitkräften entspre- chend festgeschrieben sind. Sollten als Ergebnis der noch notwendigen Untersuchungen konkrete Standortentschei- dungen notwendig sein, werden, wie in der Vergangenheit auch, der deutsche Bundestag und die Länderregierungen konsultiert. Anlage 4 Antwort der Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte auf die Frage des Abgeordneten Dirk Niebel (F.D.P.) (Drucksache 14/3722, Frage 60): Welche Wehrbereichsverwaltungen werden im Rahmen derNeustrukturierung der Streitkräfte in Baden-Württemberg aufge-löst und in welchem Unterstellungsverhältnis sollen die für dieVersorgung der Wehrbereiche IV, V, VI und VII in Stuttgart zu-sammengefassten Aufgaben verbleiben? Nach dem Eckpfeilerpapier „Die Bundeswehr – sicher ins 21. Jahrhundert“ von Anfang Juni dieses Jahres wird die Territoriale Wehrverwaltung im Gleichklang mit der Territorialen Wehrorganisation gestrafft. Hierzu sollen die Wehrbereichsverwaltungen von sieben auf vier reduziert werden. Die Zuständigkeitsbereiche und die Standorte der verbleibenden Wehrbereichsverwaltungen werden im Rahmen der Feinausplanung festgelegt. Das gilt auch für die Frage, welche Behörden in Zukunft die Versorgungs- bezüge zahlen. Anlage 5 Antwort der Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte auf die Fragen des Abgeordneten Werner Siemann (CDU/CSU) (Drucksache 14/3722, Fragen 61 und 62): An welchen Standorten sollen Frauen im Rahmen der umfas-senden Öffnung aller militärischen Laufbahnen zum Januar bzw.Juli 2001 eingestellt werden, und wie werden die oftmals im Um-gang mit weiblichen Soldaten unerfahrenen militärischen sowiezivilen Angehörigen der Bundeswehr darauf vorbereitet? Welche finanziellen Auswirkungen hinsichtlich der Versor-gung mit passender Bekleidung sowie der baulichen und organi-satorischen Trennung von Wasch-, Dusch-, WC-, Umkleide- undRuheräumen hat die umfassende Öffnung der Bundeswehr fürFrauen? Zu Frage 61: Der Einberufungsstandort der Soldaten hängt grundsätzlich von der Verwendungsreihe ab. Die Luft- waffe hat neben dem bisherigen Standort Bayreuth zu- sätzlich die Standorte Germersheim, Goslar und Roth und die Marine hat List/Sylt, Eckernförde, Glückstadt, Bre- merhaven, Parow, Plön und Kappeln vorgesehen. Die Ausbildungstruppenteile/Standorte für die Allgemeine Grundausbildung und Spezialgrundausbildung des Hee- res sollten ursprünglich bis Anfang September festgelegt werden. Aufgrund der im Juli anlaufenden Prüfung und Eignungsfeststellung der Bewerberinnen und der geplan- ten Ausbildung der Ausbilder in Vorbereitung auf Solda- tinnen in alle Laufbahnen versuchen wir zurzeit die Fest- legung wesentlich früher durchzuführen. Allgemein kann nicht gesagt werden, die militärischen und zivilen Angehörigen der Bundeswehr wären im Um- gang mit Soldatinnen oftmals unerfahren. In der Bundes- wehr ist eine Vielzahl von Frauen als zivile Mitarbeiterin- nen (Beamtinnen, Angestellte und Arbeiterinnen) be- schäftigt, derzeit arbeiten rund 49 000 Frauen in der Bundeswehrverwaltung und in zivilen Funktionen der Streitkräfte. Dies entspricht etwa 35 Prozent der zivilen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 200010922 (C) (D) (A) (B) Mitarbeiter. Aber auch mit Frauen im „Soldatenstatus“ haben zivile und militärische Angehörige der Bundes- wehr hinreichend und gute Erfahrungen sammeln kön- nen: Bereits seit 1975 können sich Ärztinnen, (Zahn- und Tierärztinnen) sowie Apothekerinnen freiwillig zum Dienst als Sanitätsoffiziere verpflichten. 1989 erfolgte die Öffnung der Laufbahn für die Sanitätsoffizieranwär- ter, 1991 die Öffnung aller Laufbahngruppen des Sanitäts- und Militärmusikdienstes für den freiwilligen Dienst von Frauen. Seit 1992 fördert die Bundeswehr auch Spitzens- portlerinnen. In den Laufbahnen des Sanitäts- und Mi- litärmusikdienstes der Streitkräfte dienen heute etwa 4 500 Soldatinnen. Im Rahmen der praktizierten Annah- meverfahren für den freiwilligen Dienst in den Streitkräf- ten werden nicht nur Psychologen und Ärzte, sondern ebenso Psychologinnen und Ärztinnen verwendet. Die mit der Durchführung von Eignungsfeststellungen beauf- tragten Dienststellen haben in der Vergangenheit bereits Erfahrungen mit Bewerberinnen für den Sanitätsdienst und Militärmusikdienst sammeln können. Sobald Solda- tinnen (außerhalb des Sanitätsdienstes) zur Verfügung ste- hen, wird dies in der Besetzung der Zentren Nachwuchs- gewinnung und der Offizierprüfzentrale berücksichtigt. Das Zentrum Innere Führung der Bundeswehr hat ein Ausbildungskonzept, das die Integration der Frauen in der Bundeswehr vorbereitet und erleichtert, erarbeitet. Dieses Multiplikatorenkonzept wendet sich zunächst an die Kommandeure aller Ebenen, Soldaten aus der Ebene der Ämter und Kommandobehörden, Inspektionschefs und Hörsaalleiter der Schulen und Einheitsführer der betroffe- nen Einstellungstruppenteile, in denen Frauen ausgebildet werden sollen. Die Ausbildungsinhalte werden durch diese Multiplikatoren in der Truppe weitervermittelt. Zu Frage 62: Die finanzielle Auswirkung durch spezielle Beklei- dung für Frauen kann nicht quantifiziert werden, da die hierzu erforderlichen Daten, zum Beispiel Einstellungs- zahlen noch nicht bekannt sind. Hinsichtlich der Kosten für infrastrukturelle Maßnahmen sind die Infrastruktur- dienststellen der Abteilung Wehrverwaltung angewiesen, den entsprechenden Bedarf zu ermitteln. Mit den zur Ver- fügung stehenden Planungsdaten ist bis jetzt keine seriöse Kostenrechnung möglich. Anlage 6 Antwort der Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Klaus Rose (CDU/CSU) (Druck- sache 14/3722, Fragen 63 und 64): Denkt die Bundesregierung im Rahmen der Reform der Bun- deswehr auch an eine Reduzierung der Zahl der Kreiswehrer- satzämter und kann sie eine Bestandsgarantie für die Kreiswehr- ersatzämter in Niederbayern und in der Oberpfalz geben? Falls ja, für welchen Zeitraum und für welche Größenord- nung? Zu Fragen 63 und 64: Die Aufgaben und die Standorte der Kreiswehrer- satzämter werden nach derzeitigen Überlegungen wie auch andere zivile Dienststellen der Bundeswehr im Rah- men der Feinausplanung der territorialen Wehrverwal- tung festgelegt werden. Dann wird man auch genauere Kriterien besitzen, ob und wo in Niederbayern und in der Oberpfalz Kreiswehrersatzämter erhalten bleiben. Um Planungssicherheit zu erreichen, bemüht sich das Bun- desverteidigungsministerium, möglichst frühe Standort- entscheidungen festzulegen. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ulrich Adam, Ilse Aigner, Peter Altmaier, Norbert Barthle, Günter Baumann, Brigitte Baumeister, Meinrad Belle, Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Otto Bernhardt, Renate Blank, Dr. Maria Böhmer, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dr. Wolfgang Bötsch, Friedrich Bohl, Jochen Borchert, Wolfgang Bosbach, Dr. Ralf Brauksiepe, Paul Breuer, Klaus Bühler (Bruchsal), Cajus Caesar, Wolfgang Dehnel, Hubert Deittert, Renate Diemers, Thomas Dörflinger, Marie-Luise Dött, Hansjürgen Doss, Maria Eichhorn, Rainer Eppelmann, Anke Eymer (Lübeck), Ilse Falk, Dr. Hans Georg Faust, Ulf Fink, Ingrid Fischbach, Dirk Fischer (Hamburg), Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen), Erich G. Fritz, Jochen-Konrad Fromme, Dr. Jürgen Gehb, Michael Glos, Dr. Reinhard Göhner, Kurt- Dieter Grill, Hermann Gröhe, Manfred Grund, Horst Günther (Duisburg), Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein, Gottfried Haschke (Großhen- nersdorf), Gerda Hasselfeldt, Norbert Hauser (Bonn), Klaus-Jürgen Hedrich, Helmut Heiderich, Ursula Heinen, Manfred Heise, Siegfried Helias, Peter Hintze, Klaus Hofbauer, Klaus Holetschek, Dr. Karl-Heinz Hornhues, Susanne Jaffke, Georg Janovsky, Dr.-Ing. Rainer Jork, Irmgard Karwatzki, Eckart von Klaeden, Ulrich Klinkert, Norbert Königshofen, Manfred Kolbe, Eva-Maria Kors, Thomas Kossendey, Dr. Martina Krogmann, Dr.-Ing. Paul Krüger, Karl Lamers, Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg), Dr. Norbert Lammert, Dr. Paul Laufs, Karl- Josef Laumann, Vera Lengsfeld, Werner Lensing, Ursula Lietz, Walter Link (Diepholz), Eduard Lintner, Dr. Klaus W. Lippold (Offen- bach), Dr. Michael Luther, DieterMaaß (Herne), Wolfgang Meckelburg, Dr. Michael Meister, Dr. Angela Merkel, Friedrich Merz, Hans Michelbach, Bernward Müller (Jena), Bernd Neumann (Bremen), Claudia Nolte, Günter Nooke, Friedhelm Ost, Eduard Oswald, Dr. Peter Paziorek, Anton Pfeifer, Ruprecht Polenz, Dr. Bernd Protzner, Thomas Rachel, Dr. Peter Ramsauer, Helmut Rauber, Christa Reichard (Dresden), Katherina Reiche, Erika Reinhardt, Hans-Peter Repnik, Dr. Heinz Riesenhuber, Adolf Roth (Gießen), Dr. Christian Ruck, Volker Rühe, Heinz Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 2000 10923 (C) (D) (A) (B) Schemken, Gerhard Scheu, Dietmar Schlee, Bernd Schmidbauer, Christian Schmidt (Fürth), Dr.-Ing. Joachim Schmidt (Halsbrücke), Andreas Schmidt (Mülheim), Hans Peter Schmitz (Baesweiler), Birgit Schnieber-Jastram, Dr. Andreas Schockenhoff, Dr. Rupert Scholz, Dr. Erika Schuchardt, Dr. Christian Schwarz- Schilling, Horst Seehofer, Rudolf Seiters, Bernd Siebert, Werner Siemann, Johannes Singhammer, Bärbel Sothmann, Margarete Späte, Erika Steinbach, Dorothea Störr-Ritter, Andreas Storm, Thomas Strobl, Edeltraut Töpfer, Dr. Hans-Peter Uhl, Gunnar Uldall, Angelika Volquartz, Andrea Voßhoff, PeterWeiß (Emmendingen), Gerald Weiß (Groß-Gerau), Annette Widmann-Mauz, Elke Wülfing, Wolfgang Zeitlmann (alle CDU/CSU) zur Ab- stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verant- wortung und Zukunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (Tagesordnungspunkt 7 a ) 1. Mit dem Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Erin- nerung, Verantwortung und Zukunft“ kommt der Deut- sche Bundestag seiner von der deutschen Geschichte auf- gegebenen Verantwortung nach, eines der furchtbarsten Kapitel unserer jüngsten Vergangenheit – die Entrech- tung, Verschleppung, Misshandlung und Ausbeutung von Sklaven- und Zwangsarbeitern – aufzuarbeiten. Wir bitten die Opfer um Vergebung. Mit diesem Gesetz übernehmen wir erneut und weltweit sichtbar die Verant- wortung für die Geschichte. Damit knüpfen wir an das Entschädigungs- und Versöhnungswerk an, das von Konrad Adenauer begonnen wurde. Insbesondere jene, die – hoch betagt und vielfach gebrechlich – bis heute noch nicht von den umfangreichen Wiedergutmachungs- und Entschädigungsleistungen der Bundesrepublik Deutschland erreicht wurden und als Opfer der Zwangs- arbeit unsäglich gelitten haben, erwarten zu Recht ein Zei- chen der Wiedergutmachung und Versöhnung. 2. Einen Schlussstrich unter das dunkelste Kapitel un- serer Geschichte, die Verbrechen der Nazi-Tyrannei, kann und darf es nicht geben. Von der sich daraus ergebenden besonderen historischen Verantwortung unseres Landes können wir uns weder durch Worte noch durch Geld lö- sen. Aber dies kann nicht bedeuten, dass wir Jahr für Jahr in neue Entschädigungsdebatten eintreten und dadurch zwangsläufig in vielen Ländern der Welt und bei vielen Menschen Hoffnungen erwecken, die nicht erfüllt werden können. Zu Beginn eines neuen Jahrhunderts wollen die Bun- desrepublik Deutschland und deutsche Unternehmen mit der Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ die bisherigen umfangreichen Wiedergutma- chungsregelungen ergänzen und ein Zeichen ihrer mora- lischen Verantwortung für diese Geschehnisse setzen. Ab- schließend kann dies nur in finanzieller Hinsicht sein. 3. Weil wir den Blick nach vorne richten müssen, ist der noch zu etablierende Zukunftsfonds von überragen- der Bedeutung. Ausgestattet mit einem Vermögen von 700 Millionen DM muss er jetzt mit Leben erfüllt werden. Insbesondere mit Projekten, von denen vor allem junge Menschen profitieren sollen. Weil der Zukunftsfonds auf Dauer angelegt ist, kann und wird er in den kommenden Jahren für ein friedliches Miteinander der Menschen von besonderer Bedeutung sein. 4. Wer Zukunft gestalten will, darf sie nicht mit dem belasten, was bereits seit langem abgeschlossen ist. Dies gilt insbesondere für die Frage der Reparationen. Spätestens seit dem Abschluss des Zwei-plus-Vier- Vertrages vom 12. September 1990 können derartige For- derungen aus völkerrechtlichen Gründen nicht mehr ge- gen die Bundesrepublik Deutschland geltend gemacht werden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bekräftigt, dass sich auch durch dieses Gesetz die Frage der Repara- tionen nicht neu stellt. 5. Die Bundesregierung hat zugesagt, die Stiftung noch in diesem Jahr mit einem Anteil in Höhe von 5 Milliar- den DM auszustatten. Die Stiftungsunternehmen haben für die Unternehmen der deutschen Wirtschaft erklärt, dass sie sich in der Verpflichtung sehen, dass auch der von der Stiftungsinitiative zugesagte Anteil in Höhe von 5 Milliarden DM umgehend gezahlt wird. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dankt allen Unter- nehmen, die sich bislang bereit erklärt haben, ihren Anteil in das Fondsvermögen einzuzahlen. Dieser Dank gebührt insbesondere den Gründungsunternehmen der Stiftungs- initiative der Deutschen Wirtschaft und denjenigen Fir- men, die sich am Stiftungsvermögen beteiligen, obwohl sie erst nach 1945 gegründet wurden und deshalb nie in das nationalsozialistische Unrechtssystem verstrickt wa- ren. Wir sehen es als unbedingt erforderlich an, dass insbe- sondere diejenigen Unternehmen, die oder deren Rechts- vorgänger Sklaven- oder Zwangsarbeiter eingesetzt ha- ben, unverzüglich ihren Beitrag zur Finanzierung leisten. 6. Für uns ist von besonderer Bedeutung, dass mög- lichst rasch mit der Auszahlung der Stiftungsmittel an die jeweiligen Partnerorganisationen und von dort mit der Auszahlung der Leistungen an die heute betagten und vielfach kranken oder gebrechlichen Opfer begonnen werden kann. Voraussetzung hierfür ist neben der not- wendigen Mittelbereitstellung die rechtskräftige Abwei- sung aller vor den US-Gerichten anhängigen Klagen. Wir bitten die Kläger und ihre Rechtsvertreter, dafür Sorge zu tragen, dass möglichst rasch mit der Auszahlung der Stif- tungsmittel an die Opfer begonnen werden kann. Wir gehen dabei davon aus, dass durch dieses Gesetz und die damit verbundenen Abkommen und Erklärungen ein ausreichendes Maß an Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen insbesondere in den USA bewirkt wird. 7. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert die Bun- desregierung, das noch zu bildende Kuratorium und den Stiftungsvorstand auf, durch geeignete Maßnahmen si- cherzustellen, dass die Stiftungsmittel die Leistungsbe- rechtigten nach Maßgabe des Gesetzes auch tatsächlich in voller Höhe erreichen. Wir fordern die Bundesregierung auf, den Deutschen Bundestag jährlich über die Arbeit der Stiftung, die Verteilung der Stiftungsmittel sowie über die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 200010924 (C) (D) (A) (B) Initiativen und Projekte des „Zukunftsfonds“ zu unter- richten. 8. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht es als un- abdingbar an, dass nach diesem Gesetz Leistungsberech- tigte unabhängig von ihrem Wohnsitz sowie unter Be- rücksichtigung der gesetzlichen Gestaltungsmöglichkei- ten die Chance auf gleiche Leistungen erhalten. Wir sind besorgt über eine mögliche Unterfinanzierung des Pla- fonds für Personenschäden der in diesem Gesetz bezeich- neten sechsten Partnerorganisation (IOM), die jene Opfer zu betreuen hat, die nicht in Ländern wohnen, für die eine andere Partnerorganisation zuständig ist. Ob und inwie- weit diese Sorge berechtigt ist, kann aber erst nach dem Eingang der Anträge von allen Opfern abschließend beur- teilt werden. 9. Wir bitten die Unternehmen der deutschen Wirt- schaft, die unter dem NS-Regime Sklaven- und Zwangs- arbeiter beschäftigt haben, bzw. ihre Rechtsnachfolger so- wie die Länder und Kommunen, zur geeigneten Umset- zung von § 18 des Gesetzes (Auskunftsersuchen) die notwendigen Auskünfte und Unterlagen zum Nachweis der Leistungsberechtigung der Opfer so rasch wie mög- lich zu erteilen bzw. herauszugeben. Sofern erforderlich, sollten sie die Vernetzung der Archive verbessern, um da- mit den Opfern und Partnerorganisationen den Nachweis der Leistungsberechtigung zu erleichtern. Kopien der an- geforderten und benötigten Unterlagen sollten ebenso wie Angaben über bereits an ehemalige Zwangsarbeiter ge- zahlte Leistungen an die nach diesem Gesetz bezeichne- ten Partnerorganisationen weitergegeben werden. Wir bitten die Bundesregierung, durch zusätzliche or- ganisatorische, finanzielle oder personelle Maßnahmen die Leistungsfähigkeit des Archivs des Internationalen Suchdienstes in Arolsen zu erhöhen, um den einzelnen Opfern und den Partnerorganisationen den Nachweis der Leistungsberechtigung zu erleichtern. 10. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht in der Er- richtung des Zukunftsfonds innerhalb der Stiftung eine besondere Chance, der Verantwortung von Staat, Gesell- schaft und Privatwirtschaft gerecht zu werden. Hierdurch wird auch den kommenden Generationen die Möglichkeit eröffnet, die Erinnerung an das NS-Unrecht weiter wach zu halten und der Ausbreitung von extremistischem und rassistischem Gedankengut sowie von totalitären Syste- men aller Art entgegenzuwirken. Wir sehen es deshalb als notwendig an, Schwerpunkte auf Projekte zu legen, die dem Jugendaustausch, der Ver- söhnung und Völkerverständigung, der Achtung von Menschenrechten und für die Pflege der Beziehungen zu überlebenden Opfern dienen. Dabei ist auch die Arbeit von und mit Zeitzeugen von Bedeutung. Darüber hinaus können in einer Übergangszeit auch Projekte im Interesse der Opfer und ihrer Hinterbliebenen gefördert werden. Die Mittel des Zukunftsfonds sind zusätzliche Auf- wendungen des Bundes und der deutschen Wirtschaft. Sie dürfen keinesfalls Finanzierungsersatz von bisher durch die öffentliche Hand geförderten Maßnahmen sein. Das Kuratorium wird gebeten zu prüfen, inwieweit ein eigener Beirat für die Konzeption des Zukunftsfonds berufen wer- den sollte. 11. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert die Bundesregierung auf, mit denjenigen Staaten, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Deutsche verschleppt und unter unmenschlichen Bedingungen zur Arbeit ge- zwungen haben, oder mit deren Nachfolgestaaten Kontakt aufzunehmen mit dem Ziel, dass auch die noch lebenden deutschen Opfer von diesen Staaten eine – der deutschen Regelung entsprechende – Entschädigung in Form einer humanitären Geste erhalten. 12. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dankt Bundes- minister a. D. Dr. Otto Graf Lambsdorff für seine hervor- ragende Arbeit als Beauftragter der Bundesregierung auf diesem ebenso wichtigen wie sensiblen Gebiet. Sie bittet ihn darum, seine Kenntnisse und Erfahrungen auch wei- terhin der zu gründenden Stiftung zur Verfügung zu stel- len. Zusatz zu derErklärung des Abgeordneten Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): Trotz Unterstützung der vorstehenden Erklärung kann ich dem Gesetz nicht zustimmen; ich werde mit „Nein“ stim- men. Zusatz zu derErklärung derAbgeordneten Margarete Späte (CDU/CSU): Ich werde mich allerdings bei der namentlichen Schluss- abstimmung enthalten. Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO derAbgeordneten Max Straubinger, Albert Deß, Josef Hollerith, Franz Obermeier, Dr. Wolfgang Götzer, Wolfgang Zöller, Ernst Hinsken und Georg Girisch (alle CDU/CSU) zurAbstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (Tagesordnungspunkt 7 a) Wir begrüßen, dass die Opfer der Zwangsarbeit ent- schädigt werden. Der vorliegende Gesetzentwurf enthält jedoch schwer- wiegende Mängel: Die zur Verfügung gestellten Mittel werden unter den betroffenen Opfern nicht gerecht aufge- teilt. Auch wurde für die derzeitigen bzw. künftigen Adres- saten von Forderungen keine hinreichende Rechtssicher- heit erreicht. Außerdem ist nicht auszuschließen, dass durch dieses Gesetz die Frage von Reparationen neu ge- stellt wird. Wir stimmen deshalb dem Gesetzentwurf nicht zu. Zudem können wir bei der Bundesregierung keine Be- reitschaft erkennen, mit denjenigen Staaten, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Deutsche verschleppt und unter unmenschlichen Bedingungen zur Arbeit gezwun- gen haben oder mit deren Nachfolgestaaten, Kontakt auf- zunehmen mit dem Ziel, dass auch die noch lebenden deutschen Opfer von diesen Staaten eine Entschädigung in Form einer humanitären Geste erhalten. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 2000 10925 (C) (D) (A) (B) Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Martin Hohmann, Kurt Rossmanith, Benno Zierer, Werner Wittlich, Hans-Otto Wilhelm (Mainz), Wilhelm Josef Sebastian, Peter Bleser, Norbert Schindler, Anita Schäfer, Klaus Brähmig und Norbert Geis (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stif- tung „Erinnerung, Verantwortung und Zu- kunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (Ta- gesordnungspunkt 7 a) Hiermit erklären wir, dass wir dem Gesetzentwurf nicht zustimmen können. Die Ablehnung wird wie folgt in Kurzform begründet: Erstens. Aufgrund der Bindungswirkung der deutsch- amerikanischen Verhandlungen war der Gestaltungsspiel- raum der Bundestagsabgeordneten so gering, dass sub- stanzielle Verbesserungen zur Schaffung von mehr Ge- rechtigkeit nicht möglich waren. Zweitens. Die Jewish Claims Conference und Vertreter von Russland, der Ukraine, Weißrussland, Polen und der Tschechischen Republik waren mit am Verhandlungs- tisch. Sie konnten sich auskömmliche Anteile der 10 Mil- liarden DM sichern, nicht aber der so genannte Rest der Welt. Für diese große Gruppe ergibt sich eine Unter- deckung von circa einer halben Milliarde DM. Ein befrie- digender oder gar abgestimmter Deckungsvorschlag liegt nicht vor. Drittens. Es steht für alle jüdischen Zwangsarbeiter der Höchstsatz von 15 000 DM bereit. Das wird trotz gleichen Leidensweges bei anderen Opfergruppen nicht möglich sein. Viertens. Dieses Missverhältnis begründet sich auch aus den von der Bundesregierung zugrunde gelegten Op- ferzahlen. Holocaustforscher gehen von höchstens 36 000 überlebenden jüdischen Zwangsarbeitern aus, während die Jewish Claims Conference 162 000 angibt. Die Bundesregierung hat es unterlassen, diesen Wider- spruch im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens aufzu- klären. Fünftens. Wegen vorangegangener Entschädigungsleis- tungen wird die Zwangsarbeiterentschädigung für eine Opfergruppe eine weniger bedeutende, eine Zusatzleis- tung sein, andererseits werden nicht wenige andere Opfer eine erstmalige und recht geringe Entschädigung erhalten. Zur Vermeidung dieses Missverhältnisses hätte eine An- rechnung stattfinden müssen. Dadurch wäre mehr Spiel- raum für die wirklich bedürftigen Überlebenden gewesen. Sechstens. Das Ausbringen der Stiftungsmittel könnte als faktische Reparationsleistung missverstanden werden und andere Anspruchsteller auf den Plan rufen. Siebentens. Auf Anfragen hat die Bundesregierung be- kundet, sich derzeit nicht für deutsche nichtjüdische Zwangsarbeiter einsetzen zu wollen. Das würde aus un- serer Sicht den Grundsatz „gleiches Leid – gleiche Ent- schädigung“ verletzen. Wir appellieren daher an die Bun- desregierung, auch die Interessen dieser vergessenen Op- fergruppe nachhaltig zu vertreten. Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Eva-Maria Bulling-Schröter, Carsten Hübner, Dr. Winfried Wolf und Christina Schenk (alle PDS) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (Tagesordnungspunkt 7 a) Wir enthalten uns der Stimme bei den Abstimmungen über den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stif- tung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (Druck- sache 14/3206), den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen, F.D.P. und PDS zur 2./3. Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung...und begründen dies wie folgt: Wir begrüßen, dass mit diesem Gesetzentwurf mehr als ein halbes Jahrhundert nach der NS-Zeit der Deutsche Bundestag gegenüber den Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern eine eigene Verpflichtung eingesteht und dass die deutsche Wirtschaft, insoweit sie die Stiftung mitträgt und finanziert, sich in allgemeiner Form mitver- antwortlich für die Verbrechen des NS-Regimes erklärt. Insbesondere begrüßen wir, dass es mit diesem Ge- setzentwurf noch in diesem Jahr möglich sein kann, dass die überlebenden ehemaligen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen eine bescheidene – aber für alle hin- sichtlich der Symbolik und für viele in materieller Hin- sicht wichtige – finanzielle Entschädigung erhalten. Und wir wissen, dass viele unserer MdB-Kolleginnen und -Kollegen, die für diesen Gesetzentwurf und für den Ent- schließungsantrag stimmen wollen, dies insbesondere mit Blick auf diesen letzten Aspekt tun. Wenn wir dennoch dem Gesetzentwurf nicht zustim- men und uns zur Enthaltung entschlossen haben, dann er- folgt dies insbesondere aus fünf Gründen: Erstens. Wir enthalten uns, weil die Zielsetzung weni- ger Verantwortung vor der Geschichte als Schutz der deut- schen Wirtschaft ist. Der Gesetzentwurf verfolgt in erster Linie das Ziel, deutschen Unternehmen, die mit Exporten und Kapitalan- lagen Interessen im Ausland haben, die Sicherheit für fortgesetzte profitable Geschäfte zu geben. Das allein war – erklärtermaßen – die Motivation der deutschen Wirtschaft, sich an der Stiftung zu beteiligen. Aus diesem Grund müssen sich ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die in den Genuss einer bescheidenen Entschädigung kommen, verpflichten, für immer auf wei- tergehende Schadenersatzansprüche zu verzichten. Der Gesetzentwurf soll einen Schlussstrich ziehen, der weder moralisch noch mit der Summe von zehn Milliarden Mark gezogen werden kann. Dass ein solcher Schlussstrich auch für die vielen hundert Unternehmen gilt, die sich nicht an der finanziellen Absicherung des Fonds beteilig- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 200010926 (C) (D) (A) (B) ten, aber von Zwangsarbeit profitierten, ist an diesem Ge- setzentwurf in besonderer Weise zu kritisieren. Zweitens. Wir enthalten uns, weil der Gesetzentwurf und der Entschließungsantrag nur unzureichende Aussa- gen zur aktiven Unterstützung der deutschen Wirtschaft für das NS-Regime enthalten. Die deutschen Konzerne, Banken und Versicherungen haben sich in der NS-Zeit aktiv an dem umfassenden Sys- tem der Zwangsarbeit beteiligt und das NS-System und den NS-Krieg direkt durch Spenden an die Nazis und mit einer Rüstungs- und Kriegswirtschaft unterstützt. Sie be- zogen Milliarden-Gewinne aus millionenfacher Zwangs- arbeit, während sie den Tod von Hunderttausenden Men- schen in Kauf nahmen und oft selbst aktiv daran beteiligt waren. Diese Umstände werden in der Präambel zum Ge- setz nur vorsichtig angesprochen, in der Begründung wer- den sie völlig verschleiert. Drittens. Wir enthalten uns der Stimme, weil die Ent- schädigung, die die ehemaligen Opfer in der Gesamt- summe und auf individueller Basis erhalten, viel zu nied- rig ist. Seriöse Berechnungen gehen davon aus, dass die deut- schen Unternehmen aus der Zwangsarbeit und der Lohn- vorenthaltung Vorteile bezogen, die heute einem Betrag zwischen 100 und 180 Milliarden Mark entsprechen – also zehn bis 18 mal mehr als nun tatsächlich gezahlt wer- den soll. Dieser Betrag ist zunächst objektiv berechtigt: Ihm entsprachen reale Gewinne. Dieser Betrag passt aber auch durchaus in die aktuelle Finanzlandschaft: In diesen Tagen werden Summen in dieser Höhe und darüber hi- naus allein dafür ausgegeben, dass ein Unternehmen ein anderes übernimmt (und dabei noch Tausende Arbeits- plätze zerstört) – im Fall Mannesmann/Vodafone-Air- touch waren es 240 Milliarden DM. Was auf dieser zer- störerischen Ebene der Fusionen jedoch als „normal“ gilt, wird im Fall der gerechtfertigten Forderung zur Wieder- gutmachung von Zwangsarbeit als „überzogen“ darge- stellt. So kommt es dazu, dass mit der gedeckelten Summe von 10 Milliarden Mark viele Opfer – insbesondere aus dem so genannten „Rest der Welt“ – keine oder nur eine marginale Entschädigung erhalten werden. Viertens. Wir enthalten uns der Stimme, weil die Hauptverantwortlichen, die deutsche Wirtschaft, einen geradezu lächerlich geringen Betrag zur Verfügung stellt und weil die Hauptsumme von den Steuerzahlenden zur Verfügung gestellt werden muss. Offiziell will die deutsche Wirtschaft 5 der im Fonds vorgesehenen 10 Milliarden Mark bezahlen, das heißt, die Hälfte bezahlen ohnehin die Steuerzahlenden. Die von der Wirtschaft bezahlten Beträge können jedoch von der Steuer abgesetzt werden, sodass weitere 2,5 Milliarden Mark Steuerausfälle für den Fall zu erwarten sind, dass die deutsche Wirtschaft ihre 5 Milliarden Mark wirklich einzahlt. Doch selbst diese 5 Milliarden bzw. real 2,5 Mil- liarden Mark Gelder der deutschen Wirtschaft sind nicht gesichert. Die deutschen Unternehmen spielen bis zum heutigen Tag zynisch auf Zeit. Erst für drei Fünftel des of- fiziell erwarteten Betrags liegen Zusagen vor. Für die aus- stehende Summe gibt es nicht einmal die – von der Bun- desregierung bis vor kurzem als unabdingbar bezeichne- te – Verpflichtungserklärung der deutschen Wirtschaft. Am Ende kann es also durchaus sein, dass der Steuerzah- ler zusätzlich zu den 7,5 Milliarden Mark „nachschießen“ muss. Fünftens. Wir enthalten uns der Stimme, weil selbst mit diesem Gesetz die Unternehmen, die von NS-Zwangsar- beit profitierten, nicht zur Öffnung ihrer Archive, die diese Zwangsarbeit dokumentieren, gezwungen werden, und weil ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsar- beiter Unternehmen nicht juristisch eindeutig verpflichten können, die Archive zu öffnen, um ihre Ansprüche bele- gen zu können. Das öffnet aber den deutschen Unternehmen ein weite- res Mal die Möglichkeit für ein zynischen Spiel auf Zeit – eben das, was sie einigermaßen erfolgreich nun seit mehr als 55 Jahren beim Thema Zwangsarbeit betrieben haben. Unsere Solidarität gehört den Opfern des NS-Regimes. Mit unserer Enthaltung stellen wir uns nicht in den Weg, dass möglichst viele von ihnen endlich eine Entschädi- gung erhalten. Mit dieser Erklärung betonen wir jedoch unsere Kritik an dem – trotz alledem historischen – Ge- setzentwurf. Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO derAbgeordneten Sylvia Bonitz (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (Tagesordnungspunkt 7 a) Einen deutschen Beitrag zur Wiedergutmachung des an Zwangsarbeitern begangenen NS-Unrechts befür- worte ich grundsätzlich. Trotz einiger Bedenken, ob dies nicht eher eine Aufgabe der deutschen Wirtschaft allein gewesen wäre als erneut – zumindest teilweise – des Steuerzahlers, hätte ich dem Gesetzentwurf zugestimmt, wenn er in entscheidenden Fragen endgültige Klarheit gebracht hätte. Nach derzeitigem Stand sind zahlreiche wichtige Punkte jedoch nur ungenügend geklärt, sodass ich dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Errichtung ei- ner Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern) in Drucksache Nr. 14/3206 nicht zustimmen kann. In den Verhandlungen mit den USAkonnte keine wirk- lich verbindliche Zusage erreicht werden, dass keine wei- teren Forderungen an die deutsche Wirtschaft gestellt werden. Trotz der Bereitschaft der deutschen Wirtschaft, dieses Restrisiko tragen zu wollen, dürfen wir uns m. E. nicht dem Risiko aussetzen, immer wieder mit neuen For- derungen konfrontiert zu werden. Der vorliegende Gesetzentwurf trifft keine Aussage hinsichtlich des Verzichtes auf weitere deutsche Reparati- onszahlungen. Nach dem bisherigen Verlauf der Verhand- lungen kann nicht mit hinreichender Sicherheit ausge- schlossen werden, dass die Reparationsfrage irgendwann neu gestellt wird. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 2000 10927 (C) (D) (A) (B) Während die Jewish Claims Conference, Russland, die Ukraine, Weißrussland, Polen und die Tschechische Re- publik, die am Verhandlungstisch saßen, von einem großen Teil der 10 Milliarden DM Stiftungsmittel profi- tieren werden, sind Opfer aus den übrigen Ländern ein- deutig benachteiligt. Es ist daher nicht auszuschließen, dass diese neue Prozesse anstrengen werden. Im Übrigen nehme ich mit Bedauern zur Kenntnis, dass die Verhand- lungen offenbar in weiten Teilen unter einem übermäßig großen Einfluss der Jewish Claims Conference gestanden haben, sodass eine gerechte Mittelverteilung unter allen betroffenen Opfern von Zwangsarbeit fragwürdig ist. Nach den ursprünglichen Vorstellungen sollte der Zu- kunftsfonds, dessen Bedeutung ich für besonders wichtig halte, den gleichen Anteil haben wie die Individualent- schädigungen. Inzwischen sind die Mittel hierfür auf le- diglich 0,7 Milliarden DM zusammengeschrumpft. Es ist nicht glaubwürdig zu begründen, dass deutsche Zwangsarbeiter nicht entschädigt werden. Ich halte es da- her für dringend erforderlich, mit denjenigen Staaten (oder deren Nachfolgestaaten), die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Deutsche verschleppt und unter un- menschlichen Bedingungen zur Arbeit gezwungen haben, zu verhandeln, mit dem Ziel, auch für deutsche Zwangs- arbeiter Entschädigungsleistungen zu ermöglichen. Diese Gründe veranlassen mich, den Gesetzentwurf abzulehnen. Anlage 12 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Georg Brunnhuber (CDU/ CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinne- rung, Verantwortung und Zukunft“ (Drucksa- chen 14/3206 und 14/3459) (Tagesordnungs- punkt 7 a) Dem Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stif- tung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ – Druck- sache 14/3206 stimme ich nicht zu. Ich begrüße es, dass Menschen, die als Zwangsarbeiter unter der NS-Herrschaft gelitten haben, eine Entschädi- gung bekommen. Allerdings bin ich mit der konkreten Ausgestaltung des Gesetzes nicht einverstanden. Zum ei- nen stört mich die Tatsache, dass die deutschen Steuer- zahler den größten Anteil am geplanten Stiftungsvermö- gen von 10 Milliarden DM zu zahlen haben, während die Wirtschaft nur 25 Prozent beiträgt. Auf den ersten Blick leisten sowohl die Bundesrepublik Deutschland und die Unternehmen eine Entschädigungssumme von 5 Milliar- den DM, die Wirtschaft kann sich aber aufgrund von Steu- erabschreibungen wieder 50 Prozent ihres eingezahlten Vermögens – 2,5 Milliarden DM – vom Fiskus zurückho- len. So bezahlt der deutsche Steuerzahler also 7,5 Milliar- den DM, die Wirtschaft aber nur 2,5 Milliarden DM. Zweitens stört mich die Tatsache, dass die jüdische Be- völkerung in den Ländern, die an den Verteilungsver- handlungen beteiligt waren, den Löwenanteil der Ent- schädigungssumme bekommen, die ehemaligen Zwangs- arbeiter in den anderen Ländern aber stark benachteiligt werden. Es steht zu befürchten, dass diese benachteiligten Zwangsarbeitsopfer erneut vor Gericht ziehen werden und damit immer neue finanzielle Auswirkungen auf die Bundesrepublik Deutschland zukommen. Ein weiteres Problem besteht darin, dass in den Ver- handlungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika eine hundertprozentige Rechtssicherheit für die deutsche Wirt- schaft nicht erreicht werden konnte. Dieses Restrisiko ist meiner Meinung nach nicht vertretbar. Eine Welle von neuen Klagen ist zu befürchten. Auch darf im Zusammenhang mit der Verabschiedung eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ die Frage der Reparationen nicht noch einmal neu gestellt werden. Es ist auch eine grobe Ungerechtigkeit, dass die Frage der Entschädigung der ins Ausland verschleppten und dort als Zwangsarbeiter eingesetzten Deutschen nicht zur Sprache kommt. Bei den Verhandlungen wurde diese ge- rechte Forderung nicht zum Thema gemacht. Das ist ge- genüber allen betroffenen deutschen Mitbürgern nicht zu verantworten. Diese Gründe veranlassen mich zur Ablehnung des Ge- setzentwurfes. Anlage 13 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hartmut Büttner (Schönebeck) (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zurErrichtung einer Stiftung „Er- innerung, Verantwortung und Zukunft“ (Druck- sachen 14/3206 und 14/3459) (Tagesordnungs- punkt 7 a) Die NS-Herrschaft hat Sklaven- und Zwangsarbeitern durch Deportation, Inhaftierung, Ausbeutung bis zur Ver- nichtung durch Arbeit und durch eine Vielzahl von Men- schenrechtsverletzungen schweres Unrecht zugefügt. Deutsche Unternehmen, die an diesem Unrecht betei- ligt waren, tragen eine hohe historische und menschliche Verantwortung mit. Deshalb begrüße ich ausdrücklich, dass dieses Leid den Betroffenen gegenüber zumindest finanziell wieder- gutgemacht werden soll. Die ungleiche und ungerechte Verteilung der gesamten finanziellen Mittel der Stiftung „Erinnerung, Verantwor- tung und Zukunft“ wird allerdings von mir nicht mitge- tragen. Ich kritisiere vor allem, dass einige Opfergruppen ge- genüber anderen Opfergruppen privilegiert werden, ob- wohl sie einem gleich schweren Schicksal ausgesetzt wa- ren, dass ein großer Teil der verfügbaren Finanzen für Anwaltskosten und weitere administrative Kosten aufge- wandt wird, dass deutschen Unternehmen in den USA auch weiterhin kein ausreichendes Maß an Rechtssicher- heit vor individuellen Verfahren gewährleistet wird. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 200010928 (C) (D) (A) (B) Die Diskussion um Sklaven- und Zwangsarbeit hat auch viele Deutsche, die ähnliche Schicksale zu erdulden hatten, in ihrem Gerechtigkeitsempfinden getroffen. Lö- sungen für alle diese Menschen sind bisher weder in der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ noch an anderer Stelle vorgesehen. Aus den vorgenannten Gründen enthalte ich mich zu dem Gesetzentwurf. Anlage 14 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hans-Joachim Fuchtel (CDU/ CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinne- rung, Verantwortung und Zukunft“ (Drucksa- chen 14/3206 und 14/3459) (Tagesordnungs- punkt 7 a) Dem Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stif- tung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ – Druck- sache 14/3206 – stimme ich nicht zu. Ich begrüße, dass Opfer der Zwangsarbeit entschädigt werden. Trotz einiger Bedenken, ob dies nicht eher eine Aufgabe der deutschen Wirtschaft allein gewesen wäre, als erneut – zumindest teilweise – des Steuerzahlers, hätte ich dem Gesetzentwurf zugestimmt, wenn er in entschei- denden Fragen endgültige Klarheit gebracht hätte. In den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika konnte nicht die verbindliche Zusage erreicht werden, dass keine weiteren Forderungen an die deutsche Wirtschaft erhoben werden. Die deutsche Wirtschaft ist zwar bereit, dieses – nach ihrer Auffassung – Restrisiko tragen zu können, ich aber bin der Meinung, dass wir nicht immer wieder mit neuen Forderungen konfrontiert wer- den dürfen. Die zur Verfügung gestellten Mittel werden nicht ge- recht unter den betroffenen Zwangsarbeitsopfern aufge- teilt. Ist dies schon Grund genug, dem Gesetzentwurf nicht zuzustimmen, befürchte ich darüber hinaus, dass be- nachteiligte Opfergruppen neue Prozesse anstrengen wer- den. Außerdem hätte ich eine klare Aussage dahin gehend erwartet, dass durch dieses Gesetz die Frage von Repara- tionen nicht neu gestellt wird. Ich hätte von der Bundesregierung auch erwartet, dass siemit denjenigenStaaten, die nach demEndedesZweiten Weltkrieges Deutsche verschleppt und unter unmensch- lichen Bedingungen zur Arbeit gezwungen haben, oder mit deren Nachfolgestaaten mit dem Ziel Verhandlungen aufnimmt, dass auch die noch lebenden deutschen Opfer von diesen Staaten eine der deutschen Regelung entspre- chende Entschädigung in Form einer humanitären Geste erhalten. Diese Gründe haben mich veranlasst, den Gesetzent- wurf abzulehnen. Anlage 15 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Volker Kauder (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (Tagesordnungspunkt 7 a) Dem Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stif- tung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ – Druck- sache 14/3206 – stimme ich nicht zu. Ich begrüße, dass Opfer der Zwangsarbeit entschädigt werden. Trotz einiger Bedenken, ob dies nicht eher eine Aufgabe der deutschen Wirtschaft allein gewesen wäre als erneut – zumindest teilweise – des Steuerzahlers, hätte ich dem Gesetzentwurf zugestimmt, wenn er in entschei- denden Fragen endgültige Klarheit gebracht hätte. In den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika konnte nicht die verbindliche Zusage erreicht werden, dass keine weiteren Forderungen an die deutsche Wirtschaft erhoben werden. Die deutsche Wirtschaft ist zwar bereit, dieses – nach ihrer Auffassung – Restrisiko tragen zu können, ich aber bin der Meinung, dass wir nicht immer wieder mit neuen Forderungen konfrontiert wer- den dürfen. Die zur Verfügung gestellten Mittel werden nicht ge- recht unter den betroffenen Zwangsarbeitsopfern aufge- teilt. Ist dies schon Grund genug, dem Gesetzentwurf nicht zuzustimmen, befürchte ich darüber hinaus, dass be- nachteiligte Opfergruppen neue Prozesse anstrengen wer- den. Außerdem hätte ich eine klare Aussage dahin gehend erwartet, dass durch dieses Gesetz die Frage von Repara- tionen nicht neu gestellt wird. Ich hätte von der Bundesregierung auch erwartet, dass sie mit denjenigen Staaten Verhandlungen aufnimmt, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Deutsche ver- schleppt und unter unmenschlichen Bedingungen zur Ar- beit gezwungen haben oder mit deren Nachfolgestaaten mit dem Ziel, dass auch die noch lebenden deutschen Op- fer von diesen Staaten eine der deutschen Regelung ent- sprechende Entschädigung in Form einer humanitären Geste erhalten. Diese Gründe haben mich veranlasst, den Gesetzent- wurf abzulehnen. Anlage 16 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Julius Louven (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (Tagesordnungspunkt 7 a) Dem Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stif- tung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ – Druck- sachen 14/3206 – stimme ich nicht zu. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 2000 10929 (C) (D) (A) (B) Ich begrüße, dass Opfer der Zwangsarbeit entschädigt werden. Trotz einiger Bedenken, ob dies nicht eher eine Aufgabe der deutschen Wirtschaft allein gewesen wäre als erneut – zumindest teilweise – des Steuerzahlers, hätte ich dem Gesetzentwurf zugestimmt, wenn er in entschei- denden Fragen endgültige Klarheit gebracht hätte. In den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika konnte nicht die verbindliche Zusage erreicht werden, dass keine weiteren Forderungen an die deutsche Wirtschaft erhoben werden. Die deutsche Wirtschaft ist zwar bereit, dieses – nach ihrer Auffassung – Restrisiko tragen zu können, ich aber bin der Meinung, dass wir nicht immer wieder mit neuen Forderungen konfrontiert wer- den dürfen. Die zur Verfügung gestellten Mittel werden nicht ge- recht unter den betroffenen Zwangsarbeitsopfern aufge- teilt. Ist dies schon Grund genug, dem Gesetzentwurf nicht zuzustimmen, befürchte ich darüber hinaus, dass be- nachteiligte Opfergruppen neue Prozesse anstrengen wer- den. Darüber hinaus stört mich, dass deutsche Opfer von Zwangsarbeit keine Chance einer Entschädigungsleistung haben. Außerdem hätte ich eine klare Aussage dahin gehend erwartet, dass durch dieses Gesetz die Frage von Repara- tionen nicht neu geregelt wird. Diese Gründe haben mich veranlasst, den Gesetzent- wurf abzulehnen. Anlage 17 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Clemens Schwalbe (CDU/ CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinne- rung, Verantwortung und Zukunft“ (Drucksa- chen 14/3206 und 14/3459) (Tagesordnungs- punkt 7 a) Die NS-Herrschaft hat Sklaven- und Zwangsarbeitern durch Deportation, Inhaftierung, Ausbeutung bis zur Ver- nichtung durch Arbeit und durch eine Vielzahl von Men- schenrechtsverletzungen schweres Unrecht zugefügt. Deutsche Unternehmen, die an diesem Unrecht betei- ligt waren, tragen eine hohe historische und menschliche Verantwortung mit. Deshalb begrüße ich ausdrücklich, dass dieses Leid den Betroffenen gegenüber zumindest finanziell wieder- gutgemacht werden soll. Die ungleiche und ungerechte Verteilung der gesamten finanziellen Mittel der Stiftung „Erinnerung, Verantwor- tung und Zukunft“ wird allerdings von mir nicht mitge- tragen. Ich kritisiere vor allem, dass einige Opfergruppen ge- genüber anderen Opfergruppen privilegiert werden, ob- wohl sie einem gleich schweren Schicksal ausgesetzt waren, dass ein großer Teil der verfügbaren Finanzen für Anwaltskosten und weitere administrative Kosten aufge- wandt wird, dass deutschen Unternehmen in den USA auch weiterhin kein ausreichendes Maß an Rechtssicher- heit vor individuellen Verfahren gewährleistet wird. Die Diskussion um Sklaven- und Zwangsarbeit hat auch viele Deutsche, die ähnliche Schicksale zu erdulden hatten, in ihrem Gerechtigkeitsempfinden getroffen. Lö- sungen für alle diese Menschen sind bisher weder in der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ noch an anderer Stelle vorgesehen. Aus den vorgenannten Gründen kann ich dem Gesetz- entwurf nicht zustimmen. Anlage 18 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Heinz Seiffert (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (Tagesordnungspunkt 7 a) Dem Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stif- tung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ – Druck- sachen 14/3206 und 14/3459 – stimme ich nicht zu. Ich begrüße, dass Opfer der Zwangsarbeit entschädigt werden. Trotz einiger Bedenken, ob dies nicht eher eine Aufgabe der deutschen Wirtschaft allein gewesen wäre als erneut – zumindest teilweise – des Steuerzahlers, hätte ich dem Gesetzentwurf zugestimmt, wenn er in entschei- denden Fragen endgültige Klarheit gebracht hätte. In den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika konnte nicht die verbindliche Zusage erreicht werden, dass keine weiteren Forderungen an die deutsche Wirtschaft erhoben werden. Die deutsche Wirtschaft ist zwar bereit, dieses – nach ihrer Auffassung – Restrisiko tragen zu können, ich aber bin der Meinung, dass wir nicht immer wieder mit neuen Forderungen konfrontiert wer- den dürfen. Die zur Verfügung gestellten Mittel werden nicht ge- recht unter den betroffenen Zwangsarbeiteropfern aufge- teilt. Ist dies schon Grund genug, dem Gesetzentwurf nicht zuzustimmen, befürchte ich darüber hinaus, dass be- nachteiligte Opfergruppen neue Prozesse anstrengen wer- den. Außerdem hätte ich eine klare Aussage dahin gehend erwartet, dass durch dieses Gesetz die Frage von Repara- tionen nicht neu gestellt wird. Diese Gründe haben mich veranlasst, den Gesetzent- wurf abzulehnen. Ich hätte von der Bundesregierung auch erwartet, dass sie mit denjenigen Staaten Verhandlungen aufnimmt, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Deutsche ver- schleppt und unter unmenschlichen Bedingungen zur Ar- beit gezwungen haben oder mit deren Nachfolgestaaten mit dem Ziel, dass auch die noch lebenden deutschen Op- fer von diesen Staaten eine der deutschen Regelung ent- sprechende Entschädigung in Form einer humanitären Geste erhalten. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 200010930 (C) (D) (A) (B) Diese Gründe haben mich veranlasst, den Gesetzent- wurf abzulehnen. Anlage 19 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zu- kunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (Ta- gesordnungspunkt 7 a) Das Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ wirft eine Reihe von wich- tigen Fragen auf, die derzeit nicht beantwortet werden können und hoffentlich in Zukunft nicht zu ungunsten für die Bundesrepublik Deutschland von dritter Seite, Ge- richten oder Regierungen anderer Staaten beantwortet werden. Dazu gehört unter anderem die Rechtssicherheit für deutsche Firmen und auch die nur vage Zusicherung, dass damit auch alle Ansprüche anderer Art für die Zu- kunft erledigt sind. Ärgerlich an dem Gesetz ist, dass es Doppelzahlungen gibt für einen Teil der Berechtigten; es ist überhaupt nicht einsehbar, dass Opfer, die bereits seit Jahren Renten oder Entschädigungen erhalten haben, nunmehr erneut die Höchstentschädigung bekommen und damit berechtigte Ansprüche von Betroffenen aus den ost- und mittelosteu- ropäischen Staaten, die durch die kommunistische Ge- waltherrschaft von jeglichen Zahlungen in der Vergan- genheit ausgenommen wurden, geschmälert werden. Är- gerlich ist auch die Raffgier einiger Rechtsanwälte, die nicht in vollem Umfang gestoppt werden konnte. Ein be- sonderer Fehler ist, dass zum Beispiel für die Länder Li- tauen, Lettland und Estland als Partnerorganisationen nicht eine eigene oder die allgemeine Organisation ge- wählt wurde, sondern sie den Partnerorganisationen Russ- lands in Moskau oder Belarus in Minsk zugewiesen wur- den. Dies ist zweifellos ein Affront gegen die Souverä- nität, aber auch die Empfindlichkeit dieser Staaten für erlebtes Unrecht in den letzten 60 Jahren. Sicher ist es übertrieben, wenn in diesen Staaten auf den Molotow- Ribbentrop-Pakt verwiesen wird, aber wieder einmal ha- ben Deutschland und Russland einen Vertrag über die Köpfe der drei souveränen Staaten hinweg beschlossen. Eine harte Pille, insbesondere nach den harschen Tönen der letzten Zeit aus Moskau. Es handelt sich zwar um ei- nen Vertrag zugunsten Dritter, aber ungefragt und daher mindestens mit einem moralischen Mangel behaftet. Das Seimas von Litauen hat offiziell dagegen protes- tiert. Der Verein für Andenken der Opfer des Faschismus in Litauen, die Jüdische Gemeinde in Litauen, der Rat des li- tauischen Vereines der ehemaligen minderjährigen Häft- linge in faschistischen Zwangeinkerkerungsorten und der Verein der Opfer des Faschismus der ehemaligen Häft- linge der Konzentrationslager haben in einem gemeinsa- men Brief auf die Mängel des Fonds der Verständigung und Zusammenarbeit der Russischen Föderation hinge- wiesen und ihrem Unverständnis darüberAusdruck gege- ben, dass von ihnen verlangt wird, dass sie erneut von dem Land deutsche Gelder zugeteilt bekommen, das sie 50 Jahre lang okkupiert und terrorisiert hat. Der Hinweis von deutscher Seite, dass dies bei der Stif- tung 1992 auch so gehandhabt wurde, liegt neben der Sa- che. Auch damals hatte die litauische Regierung prote- stiert und nur zwangsläufig, weil die Betroffenen sonst nicht an Gelder gekommen wären, haben sie den Weg über Moskau bzw. Minsk gewählt. Von deutscher Seite konnte damals auch entschuldigend zum Ausdruck ge- bracht werden, dass die staatlichen Behörden der erst we- nige Monate wieder frei gewordenen Staaten noch nicht alle in Funktionen waren. Dies trifft heute nicht mehr zu und es ist höchst bedauerlich, dass eine gute Sache mit ei- ner so schweren Hypothek belastet ist. Es war ein Versäumnis der drei baltischen Staaten, dass sie sich während der monatelangen schwierigen und zähen Verhandlungen nicht um diese Frage gekümmert haben, sondern die Verteilung erst thematisiert haben, als die Verhandlungen abgeschlossen waren. Die deutsche Seite hat bei den unendlich vielen und schwierigeren Pro- blemen, die zu lösen waren und wegen deren die Ver- handlungen oft auf des Messers Schneide standen, der Einfachheit halber auf die bestehenden Partnerorganisa- tionen zurückgegriffen. Die Feststellung der Bundesre- gierung, dass neue Verhandlungen nicht mehr möglich wären, zum Beispiel den Partnerorganisationen der Rus- sischen Föderation und Belarus die für Litauen, Lettland und Estland vorgesehenen Beträge wieder wegzunehmen, die Gefahr des Scheiterns der gesamten Vertragswerke nach sich ziehen könnten, ist nicht zu widerlegen. Nach- dem in die Begründung aufgenommen wurde, dass der Deutsche Bundestag davon ausgeht, dass in den betroffe- nen Staaten eigene Antrags- und Beschwerdestellen durch die Partnerorganisationen errichtet werden, in denen die Betroffenen in der eigenen Landessprache ihre Ansprü- che, gegebenenfalls Beschwerden, geltend machen kön- nen, habe ich auf weitergehende Anträge verzichtet; das Erreichte ist nicht viel, aber unter den gegebenen Um- ständen das noch Machbare. Die Bundesregierung ist aufgefordert, auf die Einhal- tung dieser Erwartungen zu drängen und dafür zu sorgen, dass an diese Partnerorganisationen dann keine Gelder mehr ausgezahlt werden, wenn es in Litauen, Lettland und Estland zu Verzögerungen oder Schikanen kommt. Anlage 20 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Klaus-Peter Willsch (CDU/ CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinne- rung, Verantwortung und Zukunft“ (Drucksa- chen 14/3206 und 14/3459) (Tagesordnungs- punkt 7 a) Ich lehne den Gesetzentwurf einer Stiftung „Erinne- rung, Verantwortung und Zukunft“ ab. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 2000 10931 (C) (D) (A) (B) Mein im Januar verstorbener Vater war der älteste Sohn eines Bauern in Krug/Oberschlesien. 1941 wurde er Sol- dat. Meinem Großvater wurde ein polnischer landwirt- schaftlicher Helfer, Stani, zugewiesen. Auf die Vorhaltungen des NS-Ortsgruppenführers, dass Stani unerlaubterweise mit meiner Familie am glei- chen Tisch esse, wies mein Großvater ihn zurecht: „Der Stani arbeitet mit uns, also isst er auch mit uns.“ Als Krug vor der näher rückenden Front ins Altvater- gebirge evakuiert wurde, begleitete und schützte Stani die Familie. Nach dem Fall Oberschlesiens kehrte er mit nach Krug zurück. Als meine Familie vertrieben wurde, wollte er mitgehen auf den Treck, wurde jedoch von Tschechen und Polen mit Waffengewalt zurückgehalten. Er blieb zurück mit dem Versprechen an meinen Groß- vater, den Hof in Ordnung zu halten. Stani bewirtschaftet seitdem unseren Hof. Zweimal konnte ich mit meinem Vater Stani besuchen. Ich war vom freundschaftlichen Respekt und der Ehrenbezeugung, die Stani meinem Vater entgegen brachte, tief beeindruckt. Mögen all jene, die sich an der Arbeitsleistung von Zivi- listen oder Kriegsgefangenen bereichert haben, ihre Schul- den begleichen – die Familie Willsch hat keine Rechnun- gen offen. Anlage 21 Erklärung des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zurAussprache über den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zu- kunft“ (Drucksachen 14/3206 und 14/3459) (Ta- gesordnungspunkt 7 a) In der Debatte ist der Einruck entstanden, ich hätte fälschlicherweise zwei namentlich genannte Goslaer Be- triebe bezichtigt, nicht Mitglieder der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft zu sein. Ich habe hingegen in meiner Rede diesbezüglich alleine eine Frage gestellt: Gehören zum Beispiel Harzer Grauhof-Brunnen oder die Chemische Fabrik Borchers aus Goslar oder ihre Rechtsnachfolger zu den Mitgliedern der Stif- tungsinitiative der deutschen Wirtschaft? Wie viel haben sie gezahlt? Das wüssten wir gerne. In der ver- öffentlichten Mitgliederliste der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft sind diese Betriebe nicht verzeichnet. Ich habe in dieser Frageform bewusst zum Ausdruck gebracht, dass die Möglichkeit besteht, sie seien doch in- direkt Mitglieder der Initiative. Sollte der Hinweis des Abgeordneten Eckhardt zutreffen, die beiden genannten Firmen würden heute zu Konzernen gehören, die sich an der Stiftungsinitiative beteiligt haben, so nehme ich die- sen Hinweis dankend zur Kenntnis. Es lag und liegt mir fern, Unternehmen zu nahe zu treten, die ihrer histo- rischen Verpflichtung gemäß verantwortlich handeln. Bezüglich der anderen genannten Firmen, deren Zah- lungsbereitschaft ich angemahnt habe, handelt es sich um Informationen, die uns die Stiftungsinitiative der deut- schen Wirtschaft selbst am 4. Juli 2000 auf Anfrage zur Verfügung gestellt hat. Auch hier würden wir einen Bei- tritt entsprechend begrüßen. Anlage 22 Erklärung der Abgeordneten Monika Griefahn (SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Ge- setzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinne- rung, Verantwortung und Zukunft“ (Drucksa- chen 14/3206 und 14/3459) (Tagesordnungs- punkt 7 a) Mein Name ist in der Abstimmungsliste nicht aufge- führt. Ich erkläre, dass ich an der namentlichen Abstimmung teilgenommen habe. Mein Votum lautet Ja. Anlage 23 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Jörg Tauss (SPD) zurAbstim- mung über die Beschlussfassung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Ge- setz zur Senkung der Steuersätze u nd zur Re- form der Unternehmensbesteuerung (Drucksa- chen 14/2683, 14/3074, 14/3366, 14/3640 und 14/3760) (Zusatztagesordnungspunkt 4) Ich stimme der Beschlussempfehlung des Vermitt- lungsausschusses zum Gesetz zur Senkung der Steuer- sätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung zu, obgleich die Senkung der Beteiligungsgrenze für die Be- steuerung von Veräußerungsgewinnen von bisher 10 v. H. auf 1 v. H. als Ergebnis des Vermittlungsverfahrens auf Initiative der Bundesländer als nicht sachgerecht angese- hen werden kann, da Erschwerungen im Bereich von Un- ternehmensgründungen befürchtet werden müssen. Trotz dieser erheblichen Bedenken gegen diese Rege- lungstimme ich den anderen Ergebnissen des Vermitt- lungsausschusses zu, um auch in Deutschland endlich eine Gesamtreform der Besteuerung zu ermöglichen, die von Beschäftigten und Unternehmen dringend benötigt wird. Anlage 24 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Eva-Maria Bulling-Schröter (PDS) zurAbstimmung über die Verordnung der Bundesregierung: Verordnung über die Erzeu- gung von Strom aus Biomasse (Biomasseverord- nung – Biomasse V) (Tagungsordnungspunkt 27 f) Ich werde gegen die Beschlussempfehlung zur Bio- masseverordnung stimmen. Wir haben uns in den Aus- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 200010932 (C) (D) (A) (B) schüssen enthalten, sind aber nach einiger Überlegung zum Schluss gekommen, dass die Intention der Verord- nung dem Sinn der Förderung regenerativer Energien nicht entspricht. Schon in der Debatte zum EEG habe ich auf das Pro- blem der Förderung der Verbrennung kontaminierter Höl- zer im EEG hingewiesen und eine Konkretisierung des Begriffes „Biomasse“ gefordert, vor allem, dass schad- stoffbelastetes Holz ausgeschlossen werden soll. Mit der Formulierung in § 2 Abs. 3. 1 b, wonach „verleimtes, be- schichtetes, lackiertes oder anderweitig behandeltes Alt- holz“ als Biomasse im Sinne der Verordnung gelten solle, wird nicht „Biomasse“ gefördert, sondern schadstoffbe- lastetes Holz. Eine energetische Verwertung, also Ver- brennung, wird heute schon in zahlreichen Müllverbren- nungsanlagen und Industrieöfen durchgeführt. Dafür muss aber bezahlt werden. Jetzt soll die direkte Verfeue- rung von schadstoffbelastetem Altholz Geld einbringen. Schadstoffbelastetes Holz wird damit der „sauberen Bio- masse“ aus der Land- oder Forstwirtschaft gleichgestellt und gilt offenbar als „nachwachsender Rohstoff“, dessen Verbrennung förderungswürdig ist. Doch seit wann wächst schadstoffbelastetes Altholz nach? Anlage 25 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Straffreiheit für Spio- nage zugunsten der Deutschen Demokratischen Republik (Tagesordnungspunkt 17) Winfried Mante (SPD): Die uns heute zur Beratung vorliegenden Anträge der PDS zum Umgang mit so ge- nannten teilungsbedingten Delikten und Straftaten sowie die gleichzeitig zu behandelnden Petitionen mit gleich lautenden Problemen aus der Vergangenheit des geteilten Deutschlands reihen sich nahtlos ein bzw. sind sogar identisch mit Vorlagen der PDS-Fraktion aus der 12. und 13. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages, was mich auch nicht besonders verwundert. So behandelte der Gesetzentwurf auf Drucksa- che 12/2260 vom 12. März 1990 die Behebung und Wie- dergutmachung von politischen Ungerechtigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland – allerdings noch ohne Hin- weis auf den jetzt in Drucksache 14/3066 erwähnten Ra- dikalenerlass. Der Gesetzentwurf der PDS wurde damals an die Ausschüsse überwiesen und dort nicht weiter bera- ten. Die Anträge auf den Drucksachen 14/3065 und 14/3067 entsprechen Art. 2 und 3 des Entwurfes eines Strafverfolgungsbeendigungsgesetzes vom 26. Juni 1995, Drucksache 13/1823. Allerdings wurde damals im Unterschied zur heutigen Vorlage nicht vor allem auf den Strafbestand an der inner- deutschen Grenze abgestellt. Darüber hinaus war keine Entschädigung vorgesehen. Der damalige Gesetzentwurf der PDS wurde am 14. November 1995 von der großen Mehrheit des Deutschen Bundestages abgelehnt! Ich will an die damalige Debatte im Plenum erinnern, in der der heutige Staatsminister im Bundeskanzleramt, Rolf Schwanitz, diesen Entwurf wie folgt bewertete: Die Einbringung dieses Machwerkes ist erstens eine Provo- kation des Deutschen Parlamentes und zweitens ein neuer Höhepunkt der Desinformationskampagne der PDS über den Alltag in Deutschland, drittens der Ver- such, deutsche Geschichte und das Handeln von Teilen der Nomenklatur so umzuinterpretieren, dass es in das unaufgeklärte Geschichtsbild der PDS-Hinterzimmer passt, – ein Akt von Geschichtsklitterung –, und viertens nicht zum Schluss eine Demütigung für all diejenigen, die in der DDR unter Repressionsmaßnahmen persönlich gelitten haben. Dem ist heute eigentlich nichts hinzuzufügen – bis auf die Bemerkung, dass unterhalb des Straftatbestandes ei- gentlich jeder ehemalige DDR-Bürger – und ich bin einer – permanent irgendwelchen Behinderungen, Bevormun- dungen, Repressalien oder anderen „Regulierungen“, auch indirekten Berufsverboten, ausgesetzt war, die da- mals „Herstellung von Übereinstimmung von privaten und gesellschaftlichen Interessen“ genannt wurden. Hier- von ist in den vorliegenden Anträgen überhaupt keine Rede. Die vorliegenden vier Drucksachen des Petitionsaus- schusses belegen mit klaren juristischen Argumenten, dass den Forderungen und Anliegen der Petenten zur Am- nestie für Bundesbürger, die für Auslandsnachrichten- dienste der DDR tätig waren, zum Aufheben des Verbots der KPD, zur Änderung des BVVG – nä mlich Möglich- keiten von Revisionen zu schaffen – und zur Aufhebung der Urteile so genannter politischer Sonderkammern in keinem Fall gefolgt werden kann und die Petitionsverfah- ren abzuschließen sind. Die SPD-Fraktion des Deutschen Bundestages schließt sich den Begründungen und den Beschlussvorschlägen an, und dies umso mehr, als die juristischen Begründun- gen der Petitionen auch hinreichende Argumente gegen die zur Diskussion stehenden PDS-Anträge liefern. Wenn wir von einer juristischen Filigrandiskussion einmal absehen, so bleibt festzustellen, dass die vorlie- genden Anträge der PDS im Grundsatz verkennen, dass das Staatssystem der DDR – eben das System eines Will- kür- und Unrechtsstaates – im so genannten Klassen- kampf unterlegen war und dessen Folge nunmehr das de- mokratische Rechtssystem des Rechtsstaates Bundesre- publik seine Hoheitsgewalt auf das Gebiet der ehemaligen DDR augedehnt hat – dies auch noch auf ei- genen Beschluss der ersten und zugleich letzten demo- kratisch frei gewählten Volkskammer der DDR. Das war und ist lediglich eine Ausdehnung der Anwendung von rechtsstaatlichen Prinzipien auf das gesamte und verei- nigte Deutschland, niemals Siegerjustiz. Wer von uns kann sich eigentlich vorstellen, wie die Anwendung von DDR-Willkürjustiz bei einem Sieg der Kommunisten über ihren Klassenfeind, der BRD, ausgesehen hätte. Da- rüber will ich jetzt lieber nicht spekulieren. Die meisten Bürgerinnen und Bürger haben den Vor- gang der Wiedervereinigung als Glücksfall der Ge- schichte empfunden. Und sie empfinden im Gegenteil zur Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 2000 10933 (C) (D) (A) (B) Darstellung der PDS die Anwendung der Rechtsstaatlich- keit, die in zahlreichen Prozessen vorgenommene Recht- sprechung durch die rechtsstaatlichen Strafverfolgungsin- strumente, als unzulänglich, wenn nicht sogar als unge- eignet, die Unrechtstaten von „einst“ gerecht zu bewerten. Denn die Täter von einst sind doch bisher meist unge- schoren davon gekommen bzw. haben zum Teil Be- währungsstrafen oder geringfügige Strafen erhalten. Das empfinden die Menschen als zutiefst ungerecht. Wenn die PDS in ihrem Antrag zur Beendigung der Strafverfolgung für hoheitliches Handeln in der DDR be- hauptet, dass die strafrechtlichen Verfahren die Erfor- schung der historischen Wahrheit behindert haben, so ist das schlichtweg falsch und indiskutabel. Die Mauerschüt- zenverfahren zum Beispiel haben im Gegenteil dazu bei- getragen, dass die Aufarbeitung der Wahrheit nicht behin- dert, sondern zu einem guten Teil erst ermöglicht und da- durch das menschenentwürdigende System von Befehl und Gehorsam in einem autoritären Staat, wie es die DDR war, entlarvt wurde. Und das gestrige Urteil des 5. Straf- senates des BGH, der die Tötung eines DDR-Grenzpos- tens durch einen Flüchtling als Mord einstuft, beweist, dass sich der Rechtsstaat nicht nur gegen Täter aus Rei- hen der ehemaligen DDR-Grenztruppen richtet. Diese Wahrheit will die PDS natürlich nicht zur Kenntnis neh- men. Wenn im Antrag steht, der Deutsche Bundestag bitte die Opfer von SED-Unrecht, eine Beendigung der Straf- verfolgung nicht als schmerzhafte Zumutung zu empfin- den, sondern als Beitrag zur Aussöhnung, dann frage ich mich: Wo bleibt denn die Bitte der PDS als Nachfolge- partei der SED an die Opfer von SED-Unrecht, diese ihre ureigene Bitte, um Verzeihung und Aussöhnung? Zehn Jahre waren und sind offensichtlich noch lange nicht aus- reichend für diesen Erkenntnisprozess der alten und neuen Sozialisten/Kommunisten. Der Petitionsausschuss hat in seiner Begründung unter anderem zu Recht darauf verwiesen, dass es zu keiner Zeit eine „politische Justiz“ in der Bundesrepublik gegeben hat und auch in Zukunft nicht geben wird. Zum Beispiel konnte nach rechtsstaatlichen Prinzipien in der Bundesre- publik gegen Maßnahmen aufgrund des Radikalenerlas- ses geklagt werden, und zwar bis zum Europäischen Ge- richtshof – und das durchaus mit Erfolg. Der Ausschuss weist auch ganz entschieden den Vor- wurf zurück, dass in der Bundesrepublik eine „Deformie- rung des Rechtsstaates“ stattgefunden hat. Mit solchen Äußerungen und Behauptungen gerade von der PDS kann man weder die Wiederzulassung der KPD durchsetzen noch einen Straferlass für die Hauptverantwortlichen von Mauerbau und Schießbefehl erreichen, zumal die „klei- nen Mauerschützen“ der ehemaligen Grenztruppen der DDR ihre Strafen schon längst verbüßt haben. Ich finde das eher unsozial und wenig solidarisch. Und man kann schon gar nicht die Verfassungsgerichtsbarkeit der Bun- desrepublik in ihren Grundfesten erschüttern. Aufklärung, Anklage und Verfolgung von Straftatde- likten und Vergehen, ob im „hoheitlichen Auftrag“, ob in wohlverstandener oder auf Irrtum beruhender Absicht, ei- nem Unrechtsstaat zu dienen, müssen sowohl rückwir- kend als auch zukünftig zur Anklage und zur Verurteilung führen. Wenn wir dieses Prinzip in Deutschland oder im Europa der Europäischen Union aufweichen oder gar auf- geben, leisten wir Vorschub für die Beschneidung von Bürgerrechten und Bürgerfreiheiten, geben wir Raum für Willkür und Intoleranz. Dem sollten wir uns mit aller Macht und aller Kraft widersetzen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Anträge der PDS zur „Straffreiheit“ früherer DDR-Amt- sträger oder Mitarbeiter des ehemaligen Nachrichtendien- stes sind zumeist mit einem gravierenden Makel behaftet: Ihr Schein trügt. Selbstverständlich kann man darüber dis- kutieren, ob noch heute – mehr als zehn Jahre nach Mau- erfall und lange nach Ende des Kalten Krieges – die straf- rechtliche Sanktionierung der Spionagetätigkeit für die DDR notwendig ist. Ein sicherheitspolitisches Interesse der Bundesrepublik an der Ahndung früherer DDR-Agen- ten ist seit Untergang der DDR sicherlich nicht mehr er- kennbar. Aber darum geht es auch nicht: Opfer der Be- spitzelung war ja nicht nur der Staat Bundesrepublik. Op- fer waren doch auch die bespitzelten Bürgerinnen und Bürger der DDR. Und hier eine saubere Trennlinie zu zie- hen ist sehr schwierig. Aber seien Sie doch ehrlich: Es geht Ihnen in Wirk- lichkeit ja auch nicht um Amnestie oder um den bloßen Verzicht auf strafrechtliche Ahndung. Sie betreiben hier Etikettenschwindel: Was Sie wollen, ist doch eine Reha- bilitierung der Täter. Sie wollen sämtliche Strafregister- eintragungen löschen. Sie wollen also so tun, als habe es das Unrecht nie gegeben. Eine solche Rehabilitierung, die das Vorgefallene nicht wahr haben will, trägt nicht zur Versöhnung bei. Sie fordern auch nicht nur so genannte Straffreiheit für ehemalige Agenten, über die man – wie bereits angedeu- tet – reden kann – jedenfalls solange damit nicht auch noch andere Straftaten einhergehen. Sie wollen darüber hinaus die Straffreiheit für sämtliche Amtsträger der ehe- maligen DDR. Also auch für Personen, die an der inner- deutschen Grenze schwerste Straftaten begangen haben oder die sich der Rechtsbeugung schuldig gemacht haben. Diese Forderung geht eindeutig zu weit. Sie verhöhnen damit die Opfer, die unter der DDR-Diktatur zu leiden hatten. Mit der ewigen Masche, unter dem Deckmantel der Amnestie in Wahrheit das Unrecht leugnen zu wollen, schaden Sie in erster Linie denjenigen, denen es ernsthaft um Versöhnung und Amnestie geht. Die nämlich werden in der öffentlichen Wahrnehmung sogleich mit denjenigen in einen Topf geworfen, für die es den Unrechtsstaat DDR nicht gegeben hat – und das, obwohl diese Menschen sehr wohl in der Lage sind Unrecht auch als solches zu be- greifen. Ein trauriger Höhepunkt Ihrer Forderungen findet sich übrigens in dem Antrag, der sich mit der Agententätigkeit beschäftigt: Darin fordern Sie sogar eine Art Wiedergut- machung für ehemalige DDR-Spione. „Erlass von Rest- strafen“, und wie heißt es weiter, „Regelungen, die den Betroffenen eine angemessene soziale Existenz“ ermögli- chen. Sollen DDR-Spione also besser behandelt werden als die anderen Bürgerinnen und Bürger? Das können Sie doch nicht ernst meinen. Eine Sonderstellung für diejeni- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 200010934 (C) (D) (A) (B) gen, die sich maßgeblich an der Aufrechterhaltung und Verteidigung eines Unrechtsregimes beteiligt haben, ist abwegig. Jörg van Essen (F.D.P.): Wir beschäftigen uns heute mit einer Thematik, von der ich hoffte, sie würde uns fast zehn Jahre nach Vollendung der deutschen Einheit nicht mehr beschäftigen. Wir wissen alle, dass sich das Bun- desverfassungsgericht und der Bundesgerichtshof in den letzten Jahren in vielen Urteilen mit der Frage der Straf- verfolgung für hoheitliches Handeln in der DDR ausein- andergesetzt haben. Durch diese umfangreiche Recht- sprechung haben die Gerichte für umfangreiche und grundsätzliche Klarheit gesorgt. Insbesondere das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Mai 1995 zur DDR-Spionage hat erneut die Stärke des Rechtsstaates Bundesrepublik Deutschland unterstrichen. Wer immer von „Siegerjustiz“ gesprochen hat, wurde durch dieses Urteil erneut wiederlegt. Die rechtliche Würdigung durch das Bundesverfassungsgericht hat sich immer streng an rechtlichen Kriterien orientiert. Natürlich ist es der Poli- tik nicht verwehrt, andere Bewertungen hinzuzufügen. Aber nach zehn Jahren deutscher Einheit hatte ich gehofft, dass die PDS endlich die Autorität des Bundesverfas- sungsgerichts akzeptieren würde. Die Entscheidungen der Gerichte zeigen deutlich, dass es bei der heute debattier- ten Problematik eben keine Ostdeutschen und Westdeut- schen gibt, sondern nur Bundesbürger. Wir sollten als Gesetzgeber alles dafür tun, dass dieses in allen gesell- schaftlichen Bereichen geschieht und nicht neue Diffe- renzierungen in Ost und West vornehmen. Letztlich han- delt es sich bei dem Antrag zur Beendigung der Strafver- folgung um nichts anderes als den Versuch einer pauschalen Amnestie. Wie wenig Sinn eine vom Parla- ment zu beschließende Amnestie macht, haben die Grü- nen vor nicht einmal einem Jahr bereits bei der Debatte über die von Ihnen geforderte Milleniumsamnestie erle- ben dürfen. Dort hat, für mich in besonders überzeugen- der Weise die Kollegin von Renesse aufgezeigt, welche Unrechtsgeister man mit einer Amnestie heraufbeschwört und dann nicht mehr los wird. Eines ärgert mich an den vorliegenden Anträgen ganz besonders. Die Anträge begünstigen völlig einseitig die Täter. Sie fordern Straffreiheit für begangenes Unrecht. Die Opfer werden in den Anträgen so gut wie nicht er- wähnt. Die Forderungen der PDS sind daher in Gänze un- geeignet, zehn Jahre nach Vollendung der deutschen Ein- heit zum inneren Frieden unseres Landes beizutragen. Solch einseitige Anträge, die nur den Täter im Blick ha- ben und das Opfer vergessen, kann und wird die F.D.P.- Bundestagsfraktion nicht mittragen. Anlage 26 Zu Protokoll gegebene Reden Zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Zusammenarbeit von Arbeits- ämtern und Trägern der Sozialhilfe (Tagesord- nungspunkt 27 c) Brigitte Lange (SPD):Vornehmstes und oberstes Ziel der Bundesregierung ist es, Arbeitslosigkeit abzubauen – mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, auf unter- schiedlichen Wegen einer ineinander greifenden Finanz-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik und in Kooperation mit den wichtigsten gesellschaftlichen Kräften, zusam- mengeführt im Bündnis für Arbeit und Ausbildung. Grundlage unserer Arbeitsmarktpolitik ist das Prinzip „Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren“. Dazu hat die Bundesregierung nicht nur die Ausgaben für die aktive Arbeitsmarktpolitik auf hohem Niveau verstetigt, sondern auch das Arbeitsförderungsgesetz in einem ersten Schritt praxisgerechter gestaltet und verbessert. Mit verschiede- nen Modellprojekten wird versucht, den unterschiedli- chen Problemen Arbeitsloser gerechter zu werden. Es wird weiter darum gehen, die Arbeitsvermittlung auszubauen, eine intensive Zusammenarbeit der arbeits- marktpolitischen Akteure zu fördern und eine effizientere Nutzung und Feinsteuerung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente, eingebettet in die Strukturpolitik der Regio- nen, zu erreichen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein weiterer Baustein dazu. Um die beruflichen Eingliederungschancen Langzeit- arbeitsloser zu erhöhen soll erstens die Zusammenarbeit von Arbeits- und Sozialämtern zu einer verpflichtenden Aufgabe werden, will zweitens die Bundesregierung re- gionale Modellvorhaben zur Verbesserung der Zusam- menarbeit fördern und drittens durch befristete Experi- mentierklauseln außerdem ermöglichen, in Modellpro- jekten auch neue Wege der Zusammenarbeit über die bestehende Gesetzeslage hinaus zu erproben. Damit baut die Bundesregierung auf Erfahrungen und Kompetenzen auf, die Arbeits- und Sozialämter mit der Vermittlung Arbeitsloser – früher jeder für sich, dann, insbesondere seit Herausgabe des „Leitfadens für Sozial- hilfeträger und Arbeitsämter zur beruflichen Eingliede- rung Arbeitsloser“, zunehmend gemeinsam – erworben haben. Daraus hat sich ein „vielfältiges Spektrum ge- meinsamer Aktivitäten, organisatorischer Absprachen und Regelungen zur beruflichen Wiedereingliederung der gemeinsamen Klientel entwickelt“, wie die Bundesanstalt für Arbeit berichtet. Weil die Zusammenarbeit aber noch nicht flächen- deckend in allen Kommunen erfolgt, soll mit diesem Ge- setz im BSHG und im SGB III die Zusammenarbeit von Sozial- und Arbeitsämtern als Verpflichtung verankert werden. Von der Förderung regionaler Modellvorhaben ver- spricht sich die Bundesregierung Aufschlüsse darüber, wie eine bessere Verzahnung und gegenseitige Inan- spruchnahme von Maßnahmen der Arbeitsförderung und der Instrumente der „Hilfe zur Arbeit“ des BSHG dazu beitragen können, die Vermittlung in den regulären Ar- beitsmarkt zu erleichtern, Fördermöglichkeiten zu ver- bessern und bürokratische Hürden abzubauen. Die betei- ligten Akteure können sich gegenseitig Aufgaben übertra- gen oder eine gemeinsame Anlaufstelle für Arbeitslose bilden. Die Aufgaben dieser Anlaufstelle wie Beratung, Vermittlung und Auszahlung von Leistungen können auch von einer gemeinsam beauftragten Service-Agen- tur – zum Beispiel in Trägerschaft eines Wohlfahrts- verbandes – wahrgenommen werden. Damit werden die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 2000 10935 (C) (D) (A) (B) in verschiedenen EU-Staaten gemachten positiven Erfah- rungen mit zentralen Anlaufstellen aufgenommen. Die Modellvorhaben sind so auszugestalten, dass den Arbeitslosen durch die Einbeziehung keine rechtlichen und finanziellen Nachteile entstehen. Die geförderten Modellvorhaben sollen wissenschaftlich so begleitet und ausgewertet werden, dass sie eine bundesweite Bewer- tung zulassen. Die Auswertung soll insbesondere Schluss- folgerungen für eine verbesserte Zusammenarbeit und eine bessere Verzahnung der Arbeitslosenhilfe und Hilfe zum Lebensunterhalt für erwerbsfähige Hilfebedürftige ermöglichen. Für die Durchführung der Modellvorhaben sollen bis Ende 2004 bis zu 30 Millionen DM jährlich ein- gesetzt werden. Zu dem Gesetzentwurf gibt es positive Signale aus den Bundesländern wie von den Kommunen, sodass wir mit einem reibungslosen Gesetzgebungsverfahren im Bun- destag und Bundesrat rechnen und berechtigt hoffen, dass dieses Gesetz noch in diesem Jahr wirksam werden und eine zügige Umsetzung der Modellprojekte erfolgen kann. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Eine der zentralen arbeitsmarktpolitischen Fragen ist: Wie gelingt es uns besser, langzeitarbeitslosen Mitbürgerinnen und Mitbürgern wieder einen Zugang zum Arbeitsmarkt zu verschaffen? Langzeitarbeitslose befinden sich in unter- schiedlichen staatlich finanzierten Hilfesystemen. Es gibt einen großen Teil von Langzeitarbeitslosen, die Arbeits- losenhilfe beziehen, eine staatlich aus Steuergeldern fi- nanzierte Hilfe, die von den Arbeitsämtern verwaltet wird. Es gibt eine große Zahl arbeitsloser Menschen, die Sozialhilfe beziehen, eine ebenfalls aus Steuergeldern fi- nanzierte Hilfe, die jedoch von den Kommunen, den Städ- ten und Landkreisen gewährt wird. Und es gibt die Situa- tion, dass rund ein Drittel derer, die Arbeitslosenhilfe be- ziehen, gleichzeitig ergänzend Sozialhilfe beziehen, weil die Arbeitslosenhilfe für sie zur Sicherung des Lebensun- terhaltes nicht ausreicht. Was die Vermittlung in Arbeit anbelangt, gelten für Langzeitarbeitslose in den jeweiligen Hilfesystemen un- terschiedliche Regelungen. Bei der Arbeitslosenhilfe ist die Leistungsgewährung an die Suche eines zumutbaren Arbeitsplatzes gebunden. In der Sozialhilfe ist jeder Sozialhilfeempfänger im Prinzip zur Aufnahme jeder Tätigkeit verpflichtet. In der Arbeitslosenhilfe gelten großzügigere Anrechnungsvorschriften bei der Bedürftig- keitsprüfung als bei der Sozialhilfe. Ein Arbeitslosenhil- feempfänger verliert in jedem Fall bei Aufnahme einer Er- werbstätigkeit von mehr als 15 Wochenstunden seinen Leistungsanspruch. Sozialhilfeempfänger können, wenn sie einen kleinen oder Teilzeitjob finden, einen Teil des- sen, was sie hinzuverdienen, behalten. In Modellen wie zum Beispiel dem badenwürttember- gischen Modell des Einstiegsgeldes werden die Grenzen dessen, was hinzuverdient werden kann, sogar noch wei- ter erhöht, um ein Anreizsystem zur Arbeitsaufnahme zu schaffen. Verweigert ein Arbeitslosenhilfebezieher die Aufnahme einer zumutbaren Tätigkeit, können Sperrzei- ten gegen ihn verhängt werden. Verweigert ein Sozialhil- feempfänger die Aufnahme zumutbarer Tätigkeiten, kann die Sozialhilfe um 25 Prozent gekürzt werden. Für mich ist klar, wir brauchen mehr Anreizsysteme und Hilfen zur Aufnahme einer Arbeit für Langzeitarbeitslose; wir brau- chen angemessene Sanktionsmechanismen, wenn eine Aufnahme einer Tätigkeit abgelehnt wird; wir brauchen weniger Bürokratie, Abbau von Doppelarbeit und eine ef- fizientere staatliche Hilfe. Und deswegen muss Ziel der Politik sein, für arbeitslose Menschen ein möglichst ein- heitliches Hilfesystem mit einheitlichen Regeln, die für jeden durchschaubar sind, zu schaffen. Doppelarbeit und Doppelzuständigkeiten sind zu vermeiden. Diesem Ziel dient der im März 1998 von der Bundesanstalt für Arbeit und der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenver- bände herausgegebene Leitfaden für Sozialhilfeträger und Arbeitsämter zur beruflichen Eingliederung Arbeitsloser. Die Anwendung des Leitfadens hat zu einer deutlichen Verbesserung der Zusammenarbeit geführt. Auch aus meinem Wahlkreis kann ich über gelungene Vorhaben der Kooperation zwischen Arbeitsamt und Sozialamt zur Wiedereingliederung langzeitarbeitsloser Mitbürgerinnen und Mitbürger berichten. Diese Kooperationen, die letzt- lich auch vom guten Willen der beteiligten Behörden ab- hängen, haben eines gezeigt: Wir müssen weitere Schritte gehen. Der von einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe ausgearbei- tete Vorschlag, sowohl im Sozialgesetzbuch III als auch im Bundessozialhilfegesetz Experimentierklauseln einzu- fügen, die eine weitergehende Kooperation ermöglichen, liegt heute als Gesetzentwurf der Regierungskoalition zur ersten Lesung vor. In Modellvorhaben können die Zu- ständigkeiten für arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger und für Arbeitslosenhilfebezieher in einem Modellbezirk ent- weder einheitlich dem Arbeitsamt oder dem Sozialamt oder einem Dritten übertragen werden – zweifelsohne ein richtiger Schritt, der zu begrüßen ist. Modellvorhaben und Experimentierklauseln sind gut. Aber sie müssen natürlich so angelegt sein, dass am Ende der Modellphase auch Erkenntnisse gewonnen werden können, und zwar Erkenntnisse, die es ermöglichen, dann endlich eine politische Entscheidung darüber zu fällen, ob eine sinnvolle Zusammenführung von Sozialhilfe und Ar- beitslosenhilfe zu einem neuen Hilfesystem möglich ist. Nur Symbolpolitik reicht nicht. Nach dem rot-grünen Gesetzentwurf wird lediglich er- probt, wie es sich auswirkt, wenn entweder das Arbeits- amt, das Sozialamt oder eine beauftragte dritte Stelle die Aufgaben der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe je- weils insgesamt gegenüber dem Bürger wahrnimmt. Folge wäre, dass ein Sachbearbeiter in der Modellphase auf ein und denselben Fall zweierlei Recht anwenden müsste, nämlich SGB III und BSHG, und dass zudem die Sachbearbeiter, die ja bislang nur eines der beiden Hilfe- systeme anwenden mussten, sich in das jeweils andere erst noch einarbeiten müssen. Dass der Gesetzentwurf also ein Lernprogramm für die Mitarbeiterinnen und Mit- arbeiter in den Sozialämtern und Arbeitsämtern auslöst, ist ja gut, aber er wäre besser, wenn er auch ein besseres Hilfeprogramm für die Bezieher von Sozialhilfe und/oder Arbeitslosenhilfe beinhalten würde. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 200010936 (C) (D) (A) (B) Die gute Absicht des Gesetzentwurfes bleibt halbher- zig, wenn durch die Experimentierklauseln nicht auch in- haltlich das Recht der Sozialhilfe und das Recht der Ar- beitslosenhilfe zumindest in Teilbereichen angeglichen werden können. Die Modellvorhaben machen nur dann Sinn, wenn sowohl für arbeitsfähige Sozialhilfeempfän- ger als auch für Bezieher von Arbeitslosenhilfe die glei- chen Anreizsysteme zur Aufnahme einer neuen Tätigkeit und die gleichen Sanktionsmechanismen bei Verweige- rung einer zumutbaren Tätigkeit angewandt werden kön- nen. Vergleichbar dem Modell eines Einstiegsgeldes bei der Sozialhilfe sollte bei der Aufnahme einer Tätigkeit durch einen Bezieher der Arbeitslosenhilfe die bisherige 15-Stunden-Grenze entfallen und ein höherer finanzieller Eigenbehalt möglich sein. Wenn schon die Hilfe für alle Hilfebezieher von einem zuständigen Amt gewährt werden kann, dann sollten auch für die Hilfebezieher die Doppelzuständigkeiten und die Doppelfinanzierungen in den Modellversuchen aufgeho- ben werden können. Die Arbeitslosenhilfe, die sich jetzt nach dem vorher erzielten bzw. noch erzielbaren Arbeits- entgelt richtet, sollte mindestens die Höhe des für den Arbeitslosen geltenden Sozialhilfesatz erreichen. Dazu könnte auch ein Ausgleichsanspruch des Arbeitsamtes ge- genüber dem Sozialamt eingeführt werden. Damit würde der Zustand beendet, dass sich zwei Behörden mit der Be- streitung des Lebensunterhaltes eines Langzeitarbeitslo- sen befassen müssen und dass im Rahmen der Modell- projekte ein Sachbearbeiter auf ein und denselben Fall zweierlei Recht anwenden muss. Wir bieten der Koalition an, gemeinsam in diesen bei- den Punkten im parlamentarischen Verfahren den Gesetz- entwurf zur Verbesserung der Zusammenarbeit von Ar- beitsämtern und Trägern der Sozialhilfe nachzubessern. Dann macht das neue Gesetz auch Sinn, weil dann in den neuen Modellversuchen auch neue Erkenntnisse gewon- nen werden können. Wir wollen den besten Weg finden, wie arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger und Bezieher von Arbeitslosenhilfe wieder in ein reguläres Beschäftigungs- verhältnis vermittelt werden können. Wir wollen Modell- versuche, in denen doppelte Arbeit, doppelte Bürokratie, doppelte Zuständigkeiten abgebaut und vermieden wer- den. Wir wollen mehr Hilfe, mehr Beratung, mehr Effizi- enz, mehr erfolgreiche Vermittlungen von Langzeitar- beitslosen in den ersten Arbeitsmarkt. Wir wollen Mo- delle, aus denen man wirklich etwas für die Zukunft lernen kann. Dazu ist etwas mehr Mut notwendig als der, den die Koalition jetzt aufgebracht hat. Gehen Sie mit uns einen Schritt weiter! Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ein Ziel unserer Arbeitsmarktpolitik ist es, die Integration von Arbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt durch vielfältige Strukturen zu fördern. Ziel ist es deshalb, insbesondere Langzeitarbeitslosen eine Brücke in den Arbeitsmarkt zu bauen. Für Langzeitarbeitslose werden Maßnahmen sowohl von den örtlich zuständigen Arbeitsämtern als auch den Trägern der Sozialhilfe angeboten, um sie in Arbeit zu bringen. Durch dieses Nebeneinander der beiden steuerfi- nanzierten Hilfssysteme ergeben sich naturgemäß hohe Reibungsverluste. Eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen Arbeits- und Sozialämtern kann die beruflichen Eingliederung- schancen von Langzeitarbeitsarbeitslosen erhöhen. Mit- hilfe von befristeten Experimentierklauseln sollen die rechtlichen Grundlagen für vom BMA zu fördernde Mo- dellvorhaben geschaffen werden, um die Zusammenar- beit von Arbeitsämter und Trägern der Sozialhilfe zu ver- bessern. Ziel dieser Modellvorhaben ist es, die Vermittlung von Arbeitslosen zu erleichtern, das Verwaltungsverfahren zu vereinfachen und – was uns besonders wichtig ist – auch Sozialhilfeempfängern den Zugang zu den Instrumenten der aktiven Arbeitsförderung zu eröffnen. Die einzelnen Modellvorhaben sollen in der Regel zwei Jahre gefördert werden. Daneben soll eine Pflicht zum Abschluss von Kooperationsvereinbarungen von Ar- beits- und Sozialämtern über eine verbesserte Zusam- menarbeit bei der Vermittlung in Arbeit von Empfängern von Hilfe zum Lebensunterhalt und von Leistungsberech- tigten nach dem SGB III eingeführt werden. Wichtiger Kernpunkt der Modellvorhaben ist die Be- treuung dieser Langzeitarbeitslosen durch eine gemein- same Anlaufstelle. Die Leistungen sollen entweder vom Arbeitsamt, vom Sozialamt oder von einer gemeinsam be- auftragten neuen Stelle ausgezahlt werden. Das Verwal- tungsverfahren soll einfacher gestaltet und bürgernah werden. Für die Durchführung und Auswertung der Modellvor- haben werden bis Ende 2004 bis zu 30 Millionen DM jährlich eingesetzt. Sie sollen während ihrer gesamten Laufzeit und bis zu einem Jahr danach evaluiert werden, wobei mit der Evaluierung ein oder mehrere wissen- schaftliche Forschungseinrichtungen beauftragt werden sollen. Das Vorhaben, durch innovative Modelle die Vermitt- lung von Arbeitslosen in Arbeit zu erleichtern und das Verwaltungsverfahren zu vereinfachen, ist notwendig. Durch eine verstärkte Zusammenarbeit der Arbeitsämter und der Sozialämter und eine sinnvolle Verknüpfung der verschiedenen Instrumente können sich sowohl für er- werbsfähige Sozialhilfeempfänger als auch für Arbeitslo- senhilfeempfänger Vorteile im Hinblick auf eine bessere Eingliederung in den Arbeitsmarkt ergeben. Entscheidend ist daher, dass die im Gesetzentwurf vor- gegebene Zielrichtung der Erleichterung der Vermittlung vonArbeitslosen in Arbeit bei der Durchführung der Mo- dellvorhaben ohne Einschränkung der bisher bestehenden Ansprüche konsequent verfolgt wird. Ein Anhaltspunkt für einen positiven Verlauf der Modellprojekte wird sein, ob Sozialhilfeempfänger tatsächlich auch in Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung integriert werden. Vorran- gig ist aber, dass Arbeitslosenhilfeempfängern weiterhin auch Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung angebo- ten werden und diese Leistungen nicht etwa zunehmend durch Angelegenheiten im Rahmen der Hilfe zur Arbeit ersetzt werden, bei denen unter Umständen kein Be- schäftigungs- und Arbeitsverhältnis begründet wird. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 2000 10937 (C) (D) (A) (B) Es ist daher darauf hinzuwirken, dass diese Gesichts- punkte bereits bei der Durchführung der Modellvorhaben besonders berücksichtigt werden. Um dieses am Ende be- urteilen zu können, müssen die Kriterien der wissen- schaftlichen Begleitung der Projekte diese Fragestellun- gen berücksichtigen. Eine Politik der Integration in den ersten Arbeitsmarkt benötigt neue Instrumente, deren Wirksamkeit experi- mentell erprobt werden muss. Das vorliegende Modell ist dabei eines von mehreren, welches den Schritt in das Ar- beitsleben auch für Langzeitarbeitslose erleichtern soll. Dr. Irmgard Schwaetzer (F.D.P.): Lassen Sie mich in der gebotenen Kürze drei für die F.D.P. wesentliche Punkte hervorheben: Erstens: Grundsätzlich begrüßen wir den Zweck dieses Gesetzes, die Zusammenarbeit der Arbeitsämter mit den Trägern der Sozialhilfe zu verbessern. Erleichterung der Vermittlung von Arbeitslosen, Abbau überflüssiger Büro- kratie und Vereinfachung von Verwaltungsverfahren – all dies sind Ziele, die wir unterstützen. Dies gilt insbeson- dere für die vorgesehene Möglichkeit der gegenseitigen Übertragung von Aufgaben oder Bildung einer gemeinsa- men Anlaufstelle für Arbeitslose. Gerade Letzteres konnte ich auf meiner jüngsten Reise mit dem Ausschuss für Ar- beit und Sozialordnung in die USAsehen: Dort werden so genannte One-Stop-Career-Centers eingerichtet, die sich dadurch auszeichnen, dass Beratung des Arbeitsamtes, Unterstützung bei der Arbeitssuche, Anleitung zur Arbeit mit dem Computer in einem Haus stattfinden. Zweitens: So sehr die Eröffnung dieser Möglichkeiten unterstützenswert ist: Es handelt sich bei diesem Gesetz um eine im Wesentlichen organisatorische Maßnahme. Auch für die vier neuen Modellversuche für Geringquali- fizierte und Langzeitarbeitslose gilt: Sie laufen erst im Spätsommer an und ihre Ergebnisse nach der wissen- schaftlichen Auswertung dürften frühestens in zwei bis drei Jahren zu erwarten sein. Ich weiß nicht, ob wir so viel Zeit haben. Nach wie vor gilt: Wir brauchen eine beschäftigungs- orientierte Sozialpolitik, die sich vor allem auf die Gruppe der gering qualifizierten Arbeitnehmer und deren Integra- tion in den Arbeitsmarkt konzentriert. Entscheidend hier- für ist eine Verzahnung von Sozial- und Arbeitsmarktpo- litik. In Deutschland laufen die Unterstützungssysteme der Arbeitslosen- und Sozialhilfe weitgehend parallel, was in vielen Fällen eine doppelte Bürokratie bedeutet und eine zielgerichtete Beratung und Betreuung Gering- qualifizierter erschwert, wenn nicht gar unmöglich macht. Eine solche inhaltliche Reform muss auch nicht zwingend finanzielle Leistungskürzungen für die Betroffenen mit sich bringen. Dass dem nicht so sein muss, zeigen die Er- fahrungen anderer Länder, wie die OECD belegen konnte. Arbeitslosen- und Sozialhilfe müssen zusammengefasst und auf einen Träger konzentriert werden. Denn Arbeits- losenhilfe knüpft nicht nur an die Bedürftigkeit, sondern auch an die frühere Lohnhöhe an. Drittens: Zu einer beschäftigungsorientierten Sozial- politik gehört auch das Problem hoher Grenzsteuersätze im unteren Einkommensbereich: Denn das deutsche So- zialhilfesystem gibt arbeitsfähigen Hilfeempfängern zu wenig Anreize, Arbeit aufzunehmen. Das Bundessozial- hilfegesetz enthält zwar den Auftrag, für den Hilfeemp- fänger Anreize zu schaffen, eine entlohnte Beschäftigung aufzunehmen. Dementsprechend kann der Sozialhilfe- empfänger bis zu einer bestimmten Grenze Geld dazuver- dienen, ohne dass ihm Hilfeleistungen gestrichen werden. Einem Alleinstehenden in Westdeutschland wird aber schon von einem monatlichen Zuverdienst von 137 DM an die Sozialhilfe gekürzt, bei Haushalten von Verheirate- ten mit Kindern ist der Anreiz, Arbeit aufzunehmen, noch geringer. Hier müssen neben der Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe Lösungen gefunden werden. Dr. Klaus Grehn (PDS): Fünf Minuten vor Beginn der Sommerpause beschert uns die Regierungskoalition einen Gesetzentwurf mit dem harmlosen Titel „Gesetz zur Ver- besserung der Zusammenarbeit von Arbeitsämtern und Trägern der Sozialhilfe“. Gegen die Verbesserung einer solchen Zusammenarbeit könnte es an sich keine Ein- wände geben. Aber in diesem Gesetzentwurf ist nicht die Verbesserung der Zusammenarbeit, sondern etwas ganz anderes geregelt: Die Arbeitsämter können im Rahmen von Modellversuchen bei Arbeitslosenhilfeempfängern „und anderen einbezogenen Arbeitslosen“ die Aufgaben der Beratung, Vermittlung und Auszahlung von Leistun- gen der Arbeitsförderung und der aktiven Arbeitsmarkt- politik an die Träger der Sozialhilfe oder eine „beauftragte Stelle“ abgeben. Bleibt die Frage, wer verbirgt sich hinter dieser „beauftragten Stelle“? Ist dies der Weg in die Pri- vatisierung und gilt auch in diesen Fällen die Genehmi- gung zur Abweichung von Vorschriften über den Daten- schutz sowie von Vorschriften des Sozialgesetzbuches? In jedem Falle aber gelten dabei dann die wesentlich schlechteren Konditionen des Bundessozialhilfegesetzes. Gleichzeitig können Träger der Sozialhilfe ihnen ob- liegende Aufgaben von den Arbeitsämtern wahrnehmen lassen – allerdings gelten dabei auch nur die niedrigeren Standards des BSHG. Ein Trostpflaster gibt es für Emp- fänger von Hilfe zum Lebensunterhalt und andere einbe- zogene Arbeitslose: Träger der Sozialhilfe können für sie in Modellversuchen Leistungen der aktiven Arbeitsförde- rung erbringen aus dem Katalog des Arbeitsförderungs- rechtes nach dem SGB III. Bis auf die letztgenannte Rege- lung handelt es sich um den Einstieg in eine umfassende Verschlechterung der Standards des Arbeitsförderungs- rechts für Arbeitslosenhilfeempfänger „und andere einbe- zogene Arbeitslose“ – ein dehnbarer und beliebig aus- weitbarer Personenkreis. Da Modellvorhaben, die schwerpunktmäßig andere einbeziehen, nicht gefördert werden, handelt es sich of- fensichtlich um die stille Reserve, denn die kostet bisher kein Geld und würde bei breiter Einbeziehung das ganze Unternehmen sehr verteuern. Sollte dies verallgemeinert werden, also über das Stadium der Modellversuche hi- nausgehen und zum bundesweiten Standard werden, hät- ten wir es mit einem Paradigmenwechsel im Arbeitsför- derungsrecht zu tun: Arbeitslose generell, nicht nur Ar- beitslosenhilfeempfängerinnen und -empfänger, würden Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 200010938 (C) (D) (A) (B) zum großen Teil aus dem Arbeitsförderungsrecht heraus- genommen werden können und unter das Sozialhilferecht fallen – zumindest was die Arbeitsförderung betrifft. Das wäre ein Schritt, der teilweise noch über alte, für die Be- troffenen fatale Absichten der Zusammenlegung von Ar- beitslosenhilfe und Sozialhilfe hinausgehen würde. Zwischen den Modellprojekten nach diesem Gesetz und den Modellprojekten zum Niedriglohnsektor, die die Regierungskoalition plant, besteht ein innerer Zusam- menhang: Sie schaffen sich mit dem vorliegenden Gesetz ein zusätzliches Instrument, um die Durchsetzung des Niedriglohnsektors zu erproben. Wie mit Kooperations- vereinbarungen zwischen den Arbeitsämtern und den ört- lichen Trägern der Sozialhilfe die Arbeitslosigkeit über- wunden werden kann (§ 371 a), bleibt das Geheimnis der Regierungskoalition. Wir kritisieren nachhaltig, dass, wenn dieses Gesetz im September beschlossen werden sollte, 30 Millionen Mark aus dem Haushaltstitel „Förderung neuer Maßnahmen zur Erprobung zusätzlicher Wege in der Arbeitsmarktpolitik“ vergeben werden, für den noch keine Vergabekriterien vorliegen, obwohl er im November 1999 beschlossen worden ist. Dass dies alles nicht die Zustimmung der PDS finden wird, versichere ich Ihnen. Gegen die Einbeziehung von Sozialhilfeempfängern in die Arbeitsförderungsleistun- gen nach SGB III haben wir natürlich nichts einzuwen- den. Im Gegenteil: Dies ist eine alte Forderung der Er- werbslosen, die von der PDS immer unterstützt wurde und wird. Dazu wären jedoch keine aufwendigen Modellver- suche notwendig, sondern es genügte eine kleine Ände- rung des SGB III. Vielleicht verraten Sie übrigens dem Parlament noch, was in den Geheimverhandlungen ihres „Bündnisses für Arbeit“ noch alles an Segnungen für Arbeitslose geplant ist, oder bedarf es dazu erst der Zustimmung der Arbeit- geberverbände? Gegenwärtig haben Sie Glück: Die Ent- wicklung der Konjunktur, saisonale Effekte und demo- graphische Faktoren sorgen für eine leichte Erholung am Arbeitsmarkt. Allerdings wird der Sockel der Massenar- beitslosigkeit dadurch auch nicht abgebaut, und ob die ge- genwärtige glückliche Konstellation lange anhält, ist zweifelhaft. Bisher haben Sie jedenfalls aus eigenem Zutun nichts dazu beigetragen, dass die Massenarbeitslosigkeit merk- lich abgetragen wird. Im Gegenteil: Der vorliegende Ge- setzentwurf dient überwiegend nur der Verschlechterung der Bedingungen von Arbeitslosen. Dies gilt ebenso für die geplante vollständige Reduktion des Bundeszuschus- ses für die Bundesanstalt für Arbeit. Darüber hinaus war- ten wir bisher vergeblich auf ihre grundsätzlichen Novel- lierungsvorschläge für das SGB III. Sie werden sich mit all dem bei den Betroffenen keine Freunde machen. Aber vielleicht ist das ja bei der Politik der „Neuen Mitte“ auch gar nicht beabsichtigt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 2000 10939 (C)(A) Druck: MuK. Medien-und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1411400000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Zunächst müssen wir eine Wahl der Mitglieder im Stif-
tungsrat der Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blut-
produkte HIV-infizierte Personen“ vornehmen, da ihre
Amtszeit am 30. Juli dieses Jahres endet. Gemäß § 8
Abs. 1 des HIV-Hilfegesetzes werden zwei Mitglieder
für den Stiftungsrat vom Deutschen Bundestag benannt.
Die Fraktion der SPD schlägt den Kollegen Horst
Schmidbauer (Nürnberg) und die Fraktion der
CDU/CSU den Kollegen Gerhard Scheu vor. Sind Sie
damit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch.
Dann sind die beiden Kollegen als Mitglieder für den Stif-
tungsrat „Humanitäre Hilfe“ benannt.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die
verbundene Tagesordnung dieser Woche um weitere Zu-
satzpunkte erweitert werden. Die Punkte entnehmen Sie
bitte der folgenden Zusatzpunktliste:

1. Beratung des Antrags der Abgeordneten Carsten Hübner, Fred
Gebhardt, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der PDS: Eine nachhaltige demokratische und so-
ziale Entwicklung in Kolumbien unterstützen – Drucksache
14/3782 – (siehe 113. Sitzung)

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

2. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der PDS: Haltung
der Bundesregierung zur öffentlichen Kritik am Bericht
der Bundesregierung über die Wirkungen der Nutzungs-
entgeltverordnung (siehe 113. Sitzung)


3. Vereinbarte Debatte zur Steuerpolitik
4. Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Ar-

tikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem
Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unter-
nehmensbesteuerung (Steuersenkungsgesetz – StSenkG)
Drucksache 14/2683, 14/3074, 14/3366, 14/3640, 14/3760 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Joachim Poß


(Ergänzung zu TOP 27.)

Beratung des Antrags der Abgeordneten Brunhilde Irber,
Dr. Eberhard Brecht, Annette Faße, weiterer Abgeordneter und

der Fraktion der SPD, der Abgeordneten Sylvia Voß, Matthias
Berninger, Thea Dückert, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der Abgeordneten Ernst
Burgbacher, Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer Brüderle,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. sowie der
Abgeordneten Rosel Neuhäuser, Dr. Heinrich Fink, Rolf
Kutzmutz, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS: Siche-
rung der Volksfeste, des Markthandels und des Schaustel-
lergewerbes – Drucksache 14/3786 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

6. Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache

(Ergänzung zu TOP 28.)

a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschus-


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411400100
Sammelübersicht 182 zu Petitionen
– Drucksache 14/3793 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschus-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411400200
Sammelübersicht 183 zu Petitionen
– Drucksache 14/3794 –

c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschus-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411400300
Sammelübersicht 184 zu Petitionen
– Drucksache 14/3795 –

d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschus-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411400400
Sammelübersicht 185 zu Petitionen
– Drucksache 14/3796 –

e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschus-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411400500
Sammelübersicht 186 zu Petitionen
– Drucksache 14/3797 –

7. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:
Absenkung der Beiträge für die Bezieher von Arbeitslosen-
hilfe und die Folgen für die gesetzlichen Krankenkassen

8. Beratung des Antrags der Abgeordneten Joachim Tappe,
Dr. Werner Schuster, Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Dr. Peter
Struck und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Dr. Angelika Köster-Loßack, Hans-Christian Ströbele, Kerstin
Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN: Friedensbemühungen am Horn von
Afrika verstärken – Drucksache 14/3767 –

9. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Werner Schuster,
Joachim Tappe, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der

10749


(C)



(D)



(A)



(B)


114. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 6. Juli 2000

Beginn: 9.00 Uhr

Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-
Loßack, Hans-Christian Ströbele, Kerstin Müller (Köln),
Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN: Demokratische und friedliche Kräfte im Sudan un-
terstützen – Drucksache 14/3768 –

10. Beratung des Antrags der Abgeordneten Joachim Tappe, Dr.
Werner Schuster, Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Dr. Peter
Struck und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Dr. Angelika Köster-Loßack, Kerstin Müller (Köln), Rezzo
Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Konflikt in der Region der Großen Seen eingedämmt –
nicht gelöst – Drucksache 14/3791 –

11. Beratung des Antrags der Abgeordneten Carsten Hübner, Fred
Gebhardt, Heidi Lippmann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der PDS: Abschiebestopp für Flüchtlinge aus
Äthiopien und Eritrea – Drucksache 14/3547 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

12. Erste Beratung des von den Abgeordneten Alfred Hartenbach,
Hermann Bachmaier, Bernhard Brinkmann (Hildesheim), wei-
teren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Ab-
geordneten Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen),
Claudia Roth (Augsburg), weiteren Abgeordneten und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung
gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaf-
ten (Lebenspartnerschaftsgesetz – LpartG) – Drucksache
14/3751 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss

13. Beratung des Antrags der Abgeordneten Alfred Hartenbach,
Margot von Renesse, Hans-Joachim Hacker, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Volker Beck (Köln), Hans-Christian Ströbele, Marieluise Beck

(Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-

NIS 90/DIE GRÜNEN: Einbeziehung von eingetragenen
Lebenspartnerschaften in die Hinterbliebenenversorgung
– Drucksache 14/3792 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Verteidigungsausschuss

14. Erste Beratung des von den Abgeordneten Alfred Hartenbach,
Hermann Bachmaier, Bernhard Brinkmann (Hildesheim), wei-
teren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Ab-
geordneten Volker Beck (Köln), Hans-Christian Ströbele,
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines

(Zivilprozessreformgesetz – ZPO-RG)

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss

15. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergän-

(Vermögensrechtsergänzungsgesetz – VermRErgG)

14/1932 – (Erste Beratung 69. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses


(7. Ausschuss)

– Drucksache 14/3802
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Luther
Reinhard Schultz (Everswinckel)


bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß
§ 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 14/3803
Berichterstattung:
Abgeordnete Susanne Jaffke
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Uwe-Jens Rössel

Von der Frist für den Beginn der Beratung soll – soweit
es bei einigen Tagesordnungspunkten erforderlich ist –
abgewichen werden.

Des Weiteren wurde vereinbart, die Tagesordnungs-
punkte 19 „Keine Hermesbürgschaften für den Ilisu-Stau-
damm“ und 21 a und b „Änderung des Grundgesetzes –
Artikel 16“ abzusetzen.

Der Gesetzentwurf „Verbesserung der Zusammenar-
beit von Arbeitsämtern und Trägern der Sozialhilfe“, der
bisher als Tagesordnungspunkt 27 c ohne Debatte über-
wiesen werden sollte, soll heute mit 30 Minuten als letz-
ter Tagesordnungspunkt beraten werden.

Außerdem mache ich auf nachträgliche Ausschuss-
überweisungen im Anhang zur Zusatzpunkteliste auf-
merksam:

Der in der 64. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich
dem Ausschuss für Tourismus zur Mitberatung über-
wiesen werden.

Gesetzentwurf von den Abgeordneten Dr. Guido
Westerwelle, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Rainer
Funke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der F.D.P. zur Aufhebung des Ladenschlussge-
setzes – Drucksache 14/1671 –
überwiesen:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus

Der in der 106. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem
Auswärtiger Ausschuss zur Mitberatung überwiesen
werden.

Antrag der Abgeordneten Adelheid Tröscher,
Friedhelm-Julius Beucher, Lothar Mark, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der
Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Hans-
Christian Ströbele, Kerstin Müller (Köln), Rezzo
Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE




Präsident Wolfgang Thierse
10750


(C)



(D)



(A)



(B)


GRÜNEN: Entwicklungszusammenarbeit mit
Kuba – Drucksache 14/3128 –
überwiesen:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

Der in der 111. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Fi-
nanzausschuss zur Mitberatung überwiesen werden.


(Bayreuth)

Guttmacher, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der F.D.P.: Wohngeld erhöhen, Bürokratie
abbauen, Länderkompetenz stärken: Reform-
chancen beim sozialen Wohnungsbau konse-
quent nutzen – Drucksache 14/3676 –
überwiesen:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuss

Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
sen.

Ich rufe auf die Tagesordnungspunkte 7 a bis c:
a) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-

neten Bernd Reuter, Dieter Wiefelspütz,
Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD, den
Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Friedrich Merz,
Michael Glos und der Fraktion der CDU/CSU, den
Abgeordneten Volker Beck (Köln), Kerstin Müller

(Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜND-

NIS 90/DIE GRÜNEN, den Abgeordneten Jürgen
W. Möllemann, Dr. Max Stadler, Dr. Wolfgang
Gerhardt und der Fraktion der F.D.P. sowie den
Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. Gregor Gysi und
der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Er-
innerung, Verantwortung und Zukunft“
– Drucksache 14/3206 –

(Erste Beratung 100. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung,
Verantwortung und Zukunft“
– Drucksache 14/3459 –

(Erste Beratung 108. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des

Innenausschusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/3758 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Bernd Reuter
Martin Hohmann
Volker Beck (Köln)


Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke


(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/3759 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Georg Wagner
Hans Jochen Henke
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Uwe-Jens Rössel

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Dr.
Heinrich Fink, Dr. Barbara Höll, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der PDS
Zügige Entschädigung für Zwangsarbeiterin-
nen und Zwangsarbeiter und Errichtung einer
Bundesstiftung
– Drucksachen 14/1694, 14/3758 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Bernd Reuter
Martin Hohmann
Volker Beck (Köln)

Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke

c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Dr. Christa Luft, Heidemarie Ehlert,
Dr. Barbara Höll, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuer-
gesetzes
– Drucksache 14/472 –

(Erste Beratung 30. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des

Finanzausschusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/3731 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Barbara Höll


(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/3737 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Christa Luft

Ich weise darauf hin, dass wir über den Gesetzentwurf
zur Errichtung einer Stiftung namentlich abstimmen wer-
den.

Zu diesem Gesetzentwurf liegt ein gemeinsamer Ent-
schließungsantrag der Fraktionen der SPD, BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN, F.D.P. und der PDS vor. Nach ei-
ner interfraktionellen Vereinbarung sind für die Ausspra-
che eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist es so beschlossen.




Präsident Wolfgang Thierse

10751


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich begrüße zu diesem Tagesordnungspunkt einige
ausländische Gäste, darunter Abgeordnete des polni-
schen Parlamentes, des Sejm, sehr herzlich. Seien Sie
uns willkommen!


(Beifall)

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Beauf-

tragte des Bundeskanzlers, Graf Lambsdorff.

Dr. Otto Graf Lambsdorff, Beauftragter des Bundes-
kanzlers für die Stiftungsinitiative Deutscher Unterneh-
men: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen!
Meine Herren! Am 14. April hat der Deutsche Bundestag
den von allen Fraktionen eingebrachten Entwurf eines
Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Ver-
antwortung und Zukunft“ in erster Lesung behandelt.
Heute – knapp drei Monate später – stehen Sie vor der
zweiten und dritten Lesung. Kaum ein Wort, kaum ein
Satzzeichen ist unverändert geblieben.

Die Berichterstatter und der Bundesminister der Fi-
nanzen haben eine wahrlich eindrucksvolle Arbeit geleis-
tet, um im Gesetzentwurf mit dem Rhythmus deutsch-
amerikanischer Verhandlungsrunden, aber auch mit den
Absprachen mit deutschen Unternehmen, Osteuropäern
und vielen Opfergruppen Schritt zu halten. Herr Bosbach,
Sie haben die Papierflut, die dadurch entstanden ist, zu
Recht beklagt. Im Arbeitskreis war sie noch viel größer.
Wir haben volles Verständnis für Ihre Klagen.

Dass es gelungen ist, die Allparteienkoalition zusam-
menzuhalten, ist in meinen Augen eine große politische
Leistung, für die Frau Jelpke, Herr Beck, Herr Bosbach,
Herr Reuter und Herr Stadler und nicht zuletzt Herr
Wiefelspütz gemeinsam verantwortlich zeichnen.


(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren, am 14. April 2000 habe ich

Ihnen die vorausgegangenen Etappen unseres Verhand-
lungsprozesses vorgestellt. Es sind zwei wesentliche
Schritte hinzugekommen. Am 22. Mai 2000, nach langen,
zum Teil öffentlich geführten Debatten, hat ein amerika-
nischer Reparationsverzicht den Weg zum Abschluss
frei gemacht. Im deutsch-amerikanischen Regierungsab-
kommen wird dazu ausgeführt werden:

The United States will not raise any reparation claims
against Germany.

Auf Deutsch: Die Vereinigten Staaten werden keine Re-
parationsansprüche gegen Deutschland geltend machen.

Es ist leicht zu behaupten, dass die US-Regierung hier
nur Evidentes bestätigt. Das Thema Reparationen hat
komplizierte Diskussionen erfordert. Die Beratung durch
Professor Frowein, Direktor des Max-Planck-Instituts für
ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, war
dabei besonders hilfreich.

Am vergangenen Pfingstmontag haben wir uns endlich
nach weiteren dramatischen Diskussionen auf den
Rechtsfrieden geeinigt, der in einem Briefwechsel zwi-
schen dem außen- und sicherheitspolitischen Berater des
Bundeskanzlers, Michael Steiner, dem National Security

Advisor, Sandy Berger, und der Rechtsberaterin des ame-
rikanischen Präsidenten, Frau Nolan, festgehalten ist.

Erst unsere Intervention, die die Angelegenheit auf die
Ebene Bundeskanzleramt-Weißes Haus brachte, ermög-
lichte es, in einer äußerst schwierigen Verhandlungsphase
die Bedenken des amerikanischen Justizministers zu
überwinden. Der so erzielte Rechtsfrieden wird auch dort
greifen, wo anhängige Klagen etwa nicht zurückgenom-
men oder neue Klagen erhoben werden.

Wir befinden uns jetzt in der Endphase der Redaktion
des deutsch-amerikanischen Regierungsabkommens
zur Rechtssicherheit und der Abschlusserklärung der
Konferenzteilnehmer – jeweils mit einer Reihe von Anla-
gen. Diese Texte werden voraussichtlich am 17. Juli 2000
anlässlich eines feierlichen Abschlussplenums unter-
schrieben werden: von der deutschen und der amerikani-
schen Regierung, den fünf mittel- und osteuropäischen
Staaten Polen, Russland, Tschechische Republik, Ukraine
und Weißrussland, von Israel und der Claims Conference,
von der Stiftungsinitiative Deutscher Unternehmen und
von den an den Plenarsitzungen beteiligten US-Anwälten.

Mit diesem Gesetz und diesen begleitenden Texten ist
von deutscher Seite alles getan, damit die Auszahlungen
an die Partnerorganisationen in diesem Jahr beginnen
können. Über eine Million ältere und alte Menschen ha-
ben darauf 55 Jahre oder zumindest seit Beginn der Ge-
spräche vor eineinhalb Jahren gewartet. Die meisten leben
in Osteuropa und die Sterberate scheint nach jüngeren In-
formationen aus Russland noch viel höher zu sein, als wir
es bisher angenommen haben.

Bei den Diskussionen über viele juristische Details
sind die Bilder der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter häufig verblasst. Heute haben wir allen
Anlass, wieder an sie zu denken.


(Beifall im ganzen Hause)

Bundespräsident Rau hat uns am 17. Dezember 1999 da-
rauf verpflichtet, das Leid der Zwangsarbeiter als Leid an-
zuerkennen und das Unrecht, das ihnen angetan worden
ist, Unrecht zu nennen.

Wie ich schon am 14. April 2000 hervorheben konnte,
unterstützten die meisten der fast 2 000 Zuschriften, die
ich in diesen Monaten erhielt, das Vorhaben der Bundes-
stiftung. Vor einigen Wochen hatte ich ein persönliches
Erlebnis in Berlin. Bei der Hauptversammlung der Deut-
schen Lufthansa standen Aktionäre auf und fragten nach
dem Beitrag der Gesellschaft zur Stiftungsinitiative. Ich
hatte eigentlich angenommen, sie würden ihn eher kriti-
sieren. Aber ausnahmslos alle fragten, ob die Lufthansa
nicht mehr tun könne, als 40 Millionen DM zu zahlen.
Eine erstaunliche und erfreuliche Erfahrung!


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS)


Es erreichten mich aber auch fragende Briefe, viele
von ehemaligen deutschen Zwangsarbeitern der unmittel-
baren Nachkriegszeit in Polen, in Russland, in der Tsche-
chischen Republik, aber auch im Westen. In vielen Brie-
fen war das Anliegen nicht Entschädigung, sondern das




Präsident Wolfgang Thierse
10752


(C)



(D)



(A)



(B)


Bedürfnis, das eigene durchaus vergleichbare Leid nicht
vergessen zu lassen. Dafür habe ich tiefes Verständnis.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, drei Fra-
gen des Gesetzentwurfes anzusprechen.

Erstens. Der Bundestag wird in seiner Entschließung
dazu auffordern, dass wir auch für die ehemaligen
Zwangsarbeiter aus jenen Ländern Sorge tragen, die nicht
mit am Verhandlungstisch saßen: etwa aus der Slowakei,
aus Slowenien, aus Ex-Jugoslawien. Viele sind als „dis-
placed persons“ nach Frankreich, England, Amerika aus-
gewandert oder leben in anderen Staaten in der Diaspora.
Wir wissen, dass sich die 540 Millionen DM, die dafür im
Gesetz vorgesehen sind, als zu knapp erweisen könnten.
Genau weiß es niemand. Wir haben uns gemeinsam mit
Deputy Secretary Eizenstat darüber Gedanken gemacht,
wie wir eine annähernd vergleichbare Entschädigung si-
cherstellen können. Es geht dabei um nicht ausgeschöpfte
Plafonds, Gelder aus dem US-Fonds, Mittel aus dem
Schweizer Bankenvergleich und Zinsen aus dem Stif-
tungskapital. Es wird eine zentrale Aufgabe des Stif-
tungskuratoriums sein, die materielle Gerechtigkeit zu
überwachen.

Der Innenausschuss schlägt Ihnen vor, die Internatio-
nal Organization for Migration als siebte Partnerorga-
nisation mit der Aufgabe zu betrauen, den so genannten
„Rest der Welt“ zu betreuen, und ihr dafür von Anfang an
einen Platz im Kuratorium einzuräumen. Ich begrüße
dies.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Mit dem In-Kraft-Treten des Gesetzes, also in weniger
als einem Monat, beginnt die höchstens einjährige An-
tragsfrist für die Zahlungen. Dann müssen die 80 IOM-
Büros weltweit in der Lage sein, die Anträge entgegenzu-
nehmen und ihre Prüfung einzuleiten. Die anderen Part-
nerorganisationen, die über Datenbanken und Personal
verfügen, sind gegenüber der IOM im zeitlichen Ablauf
im Vorteil. Ich meine, dass wir der IOM mit einer ange-
messenen Anschubfinanzierung helfen müssen, den Ab-
stand zu anderen Partnerorganisationen im Interesse der
Opfer zu verringern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS)


Zweitens. Die baltischen Staaten fordern, eigene Pla-
fonds und die Verteilung durch eigene Opferorganisatio-
nen vorzusehen. Ähnliches gilt für eine Reihe anderer
Staaten und Organisationen. Ich erwähne nur Slowenien,
die Slowakei oder die Polen in Amerika. Bundeskanzler
Schröder hatte mich eingeladen, ihn in der vergangenen
ersten Juniwoche auf eine Reise in das Baltikum zu be-
gleiten, eine Region, die, wie manche von Ihnen wissen,
mir und meiner Familie nicht völlig unvertraut ist. Umso
mehr kann ich daher die Zurückhaltung der baltischen Be-
troffenen gegenüber dem Vorschlag verstehen, die Zah-
lungen über die Partnerstiftungen in Minsk und Moskau
zu erhalten.

Ich habe meinen baltischen Gesprächspartnern vorge-
schlagen, in ihren Staaten Annahmeorganisationen einzu-
richten, deren Vertreter die Anträge in der Landessprache
entgegennehmen und nach Moskau bzw. Minsk weiterlei-
ten. Auch die Auszahlung sollte vor Ort erfolgen. Aber ei-
gene Plafonds für die baltischen Staaten sind nicht mög-
lich, weil sie die im Dezember abgeschlossene Auftei-
lungsdiskussion erneut eröffnen und außerdem einen
Präzedenzfall schaffen würden, auf den sich alle anderen
Staaten zu Recht berufen könnten.

Ich betone, dass ich für das politische Anliegen durch-
aus Verständnis habe, und zwar umso mehr, als jetzt Mos-
kau erneut das Märchen verbreitet, das Baltikum sei der
Sowjetunion freiwillig beigetreten.

Herr von Stetten und ich, wir haben inzwischen unse-
ren Wettstreit, wer denn von uns beiden baltischer sei,
friedlich beigelegt.


(Heiterkeit bei der SPD und der CDU/CSU)

Erst in dem Moment, in dem der Deutsche Bundestag

festgestellt hat, dass mit der Abweisung der in den USA
anhängigen Klagen der Rechtsfrieden hergestellt ist, wird
die Stiftung berechtigt und verpflichtet, ihre Auszahlun-
gen zu beginnen. Das Wort „Konsens“, Herr Bundes-
kanzler, habe ich, wie Sie wissen, bewusst vermieden.


(Heiterkeit des Bundeskanzlers Gerhard Schröder)


Ich halte fest: Die vor einem US-Richter zusammen-
geführten Sammel- und Einzelklagen müssen vom Tisch.
Ob dies auch für die letzte Klage etwa vor einem Einzel-
staatsgericht in Kentucky gilt, mag der Bundestag zu ge-
gebener Zeit entscheiden. Er hat sich das im Gesetz zu
Recht vorbehalten.

Auch ich hätte mir eine mutigere erneute Verpflich-
tung der deutschen Wirtschaft vorstellen können. Aber
ich vertraue auf die von der deutschen Wirtschaft gege-
bene Zusage, der Stiftung insgesamt 5 Milliarden DM zur
Verfügung zu stellen. Es ist ein öffentliches Ärgernis, dass
die Mehrzahl der Unternehmen noch immer nicht der Stif-
tungsinitiative beigetreten ist.


(Beifall im ganzen Hause)

Die Gründungsunternehmen der Stiftungsinitiative

waren sicherlich zu optimistisch und fangen erst jetzt an,
Klartext zu sprechen. Ich sage auch hier ganz deutlich:
Kein deutsches Unternehmen, auch wenn es erst nach
dem Kriege gegründet wurde, darf sich von der Stiftungs-
initiative ausschließen. Es gibt keinen Grund, sich der Ge-
samtverantwortung der deutschen Wirtschaft zu entzie-
hen.


(Beifall im ganzen Hause)

Diejenigen, die sich nicht durch die Vergangenheit be-

lastet fühlen, sollten sich mit den Aufgaben des Zukunfts-
fonds identifizieren können, der in der Stiftung eine
zentrale Bedeutung hat. Denen, die aus verständlichen
Gründen den einen oder anderen Einwand gegen das Stif-
tungsgesetz haben, möchte ich mit aller Deutlichkeit zu
verstehen geben, dass Moral und Geschäft selten so nahe
beieinander lagen wie bei diesen Verhandlungen. Die




Dr. Otto Graf Lambsdorff

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Stiftung schützt unmittelbar deutsche Interessen in den
USA, nämlich unsere Exporte und Investitionen. Sie si-
chert damit auch Arbeitsplätze in Deutschland. Sie fördert
den Handelsaustausch zwischen den Ländern und das
Vertrauen in die Märkte. Damit trägt sie entscheidend zur
Erhaltung der guten deutsch-amerikanischen Beziehun-
gen bei. Eine Fortsetzung der Gerichtsverfahren in Ame-
rika mit aller öffentlichen Begleitmusik hätte das
deutsch-amerikanische Verhältnis schwer belastet.

Meine Damen und Herren, ich stehe heute sicherlich
das letzte Mal vor Ihnen im Bundestag, der, wie Sie wis-
sen, einen großen Teil meines Lebens ausgemacht hat. Ich
hätte mir allerdings nie träumen lassen, den letzten Auf-
tritt von der rot-grünen Regierungsbank aus zu bestreiten;
aber so ist die Welt.


(Heiterkeit im ganzen Hause – Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So kann es kommen! – Dr. Peter Struck [SPD]: So schlimm ist es auch nicht!)


Herr Bundeskanzler, ich werden Ihnen in Kürze Voll-
zug melden. Ich hoffe, dass ich Ihnen allen mit dieser Auf-
gabe, die ich in vollem Bewusstsein der damit verbunde-
nen Verantwortung übernommen habe, einen Dienst er-
weisen konnte.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich will nicht schließen, ohne denjenigen Dank zu sa-
gen, deren Mithilfe für das Gelingen unerlässlich war.
Mein Dank geht zuerst an Deputy Secretary Stuart
Eizenstat, an seinen unermüdlichen Mitstreiter Botschaf-
ter J. D. Bindenagel und an Dr. Manfred Gentz, den Spre-
cher der Stiftungsinitiative Deutscher Unternehmen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)


Nicht zuletzt geht mein Dank an Otto Löffler vom Bun-
desfinanzministerium und an die hochmotivierten Mitar-
beiter meines kleinen Arbeitsstabes, vor allem an dessen
Leiter Michael Geier.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)


Meine Damen und Herren, Ihre heutige Entscheidung
wird helfen, die Vergangenheit nicht zu vergessen und den
Weg in eine Zukunft zu stärken, in der sich solche Unta-
ten nicht wiederholen werden. Bitte, stimmen Sie dem
Gesetzentwurf zur Errichtung der Stiftung „Erinnerung,
Verantwortung und Zukunft“ zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1411400600
Lieber Kollege
Lambsdorff, ich darf Ihnen im Namen des ganzen Hauses
unseren herzlichen Dank für Ihre Arbeit aussprechen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)


Nun erteile ich dem Kollegen Wolfgang Bosbach,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Wolfgang Bosbach (CDU):
Rede ID: ID1411400700
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine große Mehrheit
der Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen
Bundestag wird dem Gesetzentwurf zur Errichtung der
Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ heute
zustimmen.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Was heißt „eine große Mehrheit“?)


Dies geschieht allerdings nicht deshalb, weil sie der Auf-
fassung ist, dass im Verlaufe der Beratungen über diesen
Gesetzentwurf alle offenen Fragen beantwortet, alle Pro-
bleme gelöst, ein Höchstmaß an Gerechtigkeit gegenüber
allen Opfern und eine hundertprozentige Rechtssicherheit
erzielt worden seien, sondern in der Überzeugung, dass
durch dieses Gesetz eine entscheidende Voraussetzung
dafür geschaffen wird, dass 55 Jahre nach dem Ende des
Zweiten Weltkrieges und damit auch der Naziherrschaft
den ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangarbei-
tern, die verschleppt, entrechtet, misshandelt und ausge-
beutet wurden, spät – für viele leider zu spät – in Form ei-
ner humanitären Geste ein Stück Gerechtigkeit und Wie-
dergutmachung für erlittenes Leid widerfährt. Dies gilt
insbesondere für jene Opfer, die bis heute die umfangrei-
chen Entschädigungs- und Wiedergutmachungsleistun-
gen der Bundesrepublik nicht in Anspruch nehmen konn-
ten.

Dieses Gesetz ist nicht zuletzt – in Verbindung mit den
Begleitabkommen und mit den völkerrechtlich verbindli-
chen Erklärungen der Verhandlungspartner – eine ent-
scheidende Voraussetzung dafür, dass deutschen Firmen
im In- und Ausland und insbesondere in den USA ein ho-
hes Maß an Rechtssicherheit und Rechtsfrieden und ein
weitgehender Schutz vor administrativen Schikanen ga-
rantiert wird.

Wer will bestreiten – darauf hat Graf Lambsdorff zu
Recht hingewiesen –, dass auf diesem ebenso wichtigen
wie sensiblen Gebiet der Entschädigung für nationalsozi-
alistische Zwangsarbeit Geschäft und Moral eng beiein-
ander liegen?

Angesichts der Klagen, insbesondere der Sammelkla-
gen und der Droh- und Boykottkulisse in den USA, haben
die deutschen Unternehmen ein berechtigtes und nach-
vollziehbares Interesse daran, dass die schwierigen und
komplexen humanitären, aber auch rechtlichen Fragen
und Anliegen möglichst rasch zur Zufriedenheit aller Be-
teiligten auf Dauer, endgültig geklärt werden.

Wenn einige Kolleginnen und Kollegen unserer Frak-
tion dem Gesetzentwurf dennoch nicht zustimmen kön-
nen, dann bedeutet das weder, dass diese Kolleginnen und




Dr. Otto Graf Lambsdorff
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Kollegen für das humanitäre Anliegen der Stiftung oder
für die berechtigten Interessen der deutschen Wirtschaft
kein Verständnis hätten, noch, dass sie dem Leid und dem
Unrecht, das den ehemaligen Zwangsarbeitern zugefügt
wurde, gar gleichgültig gegenüberstehen. Bei ihnen über-
wiegt die Sorge, dass durch diese Stiftung zwar Unrecht
zumindest teilweise wieder gutgemacht werden soll,
gleichzeitig aber neue Ungerechtigkeiten entstehen könn-
ten, dass zwar formal von einer abschließenden Rege-
lung zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Un-
rechts gesprochen wird, dass aber tatsächlich schon bald
neue Forderungen gestellt und akzeptiert werden könnten
und dass sich auch der vereinbarte Rechtsfrieden mögli-
cherweise als trügerische Hoffnung erweisen könnte.

Auch wenn ich selber mit der großen Mehrheit meiner
Fraktion bei Abwägung aller Argumente zu dem Ergebnis
komme, dass ich dem Gesetzentwurf trotz der auch hier
schon angesprochenen Probleme in einzelnen Detailfra-
gen, die nicht verschwiegen, sondern offen angesprochen
werden sollten, aus Überzeugung zustimme, so darf ich
dennoch darum bitten, die Argumente derjenigen Kolle-
ginnen und Kollegen, die eine andere Auffassung vertre-
ten, nicht als schlichtweg unbegründet abzulehnen oder
ihrem Nein eine Motivlage zu unterstellen, die tatsächlich
nicht vorhanden ist.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dankt Ihnen, lieber
Graf Lambsdorff, für Ihre umsichtige und kluge Verhand-
lungsführung. Gerne wiederhole ich das, was ich bereits
bei Einbringung des Gesetzentwurfes gesagt habe: Sie
waren zur richtigen Zeit der richtige Mann am richtigen
Ort. Ohne Ihr unermüdliches Engagement in dem lang-
wierigen und schwierigen Verhandlungsprozess wäre die
Einigung nicht zu erzielen gewesen. Die Opfer und unser
Land haben Ihnen viel zu verdanken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Unser aller Dank gebührt aber auch den Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeitern Ihres Arbeitsstabes. Auch sie haben
viel mehr als nur ihre Pflicht getan und einen wichtigen
Beitrag dazu geleistet, dass wir diesen Gesetzentwurf
heute abschließend beraten und verabschieden können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Haltung der Unionsfraktion zu einigen besonders

wichtigen Punkten des gemeinsamen Gesetzentwurfes
aller im Bundestag vertretenen Fraktionen haben wir in
einer gesonderten Erklärung zur Abstimmung zusammen-
gefasst. Lassen Sie mich zu einigen Punkten Stellung
nehmen:

Die gelegentlich geäußerte Kritik, es werde aber auch
allerhöchste Zeit, dass sich die Bundesrepublik Deutsch-
land 55 Jahre nach dem Ende der Nazi-Barbarei endlich
einmal des Themas Entschädigung für NS-Unrecht an-
nehme, ist zumindest in dieser Form nicht nachvollzieh-
bar. Diese Stiftungsinitiative zur Entschädigung von NS-
Zwangsarbeitern knüpft an das Entschädigungs- und
Versöhnungswerk an, das schon Anfang der 50er-Jahre
unter Bundeskanzler Konrad Adenauer begründet wurde.
Leider gab es in den letzten Monaten nur wenige Veröf-

fentlichungen, in denen darauf hingewiesen wurde, dass
die Bundesrepublik in den vergangenen Jahrzehnten be-
reits über 104Milliarden DM an Wiedergutmachungsleis-
tungen erbracht hat. Auf den Wert der D-Mark von heute
umgerechnet ergibt dies einen Betrag von 200 Milliar-
den DM. Auch zukünftig werden wir auf der Grundlage
des schon jetzt geltenden Rechts und ohne Berücksichti-
gung des hier in Rede stehenden Stiftungsvermögens
noch weitere 20 Milliarden DM als Entschädigungsleis-
tungen zu zahlen haben.

Es muss erlaubt sein, auch im Deutschen Bundestag
einmal darauf hinzuweisen, dass sich unser Land in den
vergangenen Jahrzehnten, wenn auch manchmal quälend,
so doch redlich darum bemüht hat, die dunklen Kapitel
seiner Geschichte nicht zu verdrängen oder gar zu ver-
gessen, sondern aufzuarbeiten und aus ihnen für die Zu-
kunft notwendige Konsequenzen zu ziehen. Wir haben
den Worten stets auch Taten folgen lassen. In diesem Zu-
sammenhang darf ich ausdrücklich darauf hinweisen,
dass für die Unionsfraktion das Kapitel Reparationen spä-
testens seit dem Abschluss des Zwei-plus-Vier-Vertra-
ges vom 12. September 1990 endgültig abgeschlossen ist,


(Beifall bei der CDU/CSU)

dass für uns auch heute im Zusammenhang mit diesem
Gesetzentwurf keinerlei Veranlassung besteht, mit ande-
ren Staaten über Reparationsforderungen zu sprechen
oder gar zu verhandeln, und dass sich an dieser Haltung
auch zukünftig nichts ändern wird.

Bislang haben alle Bundesregierungen, auch diese, aus
guten Gründen folgenden Rechtsstandpunkt vertreten:
Soweit ausländische Zwangsarbeiter außerhalb des Bun-
desentschädigungsgesetzes, einschließlich Art. 6 des
BEG-Schlussgesetzes, Schadensersatzansprüche geltend
machen, stehe dem das Londoner Schuldenabkommen
aus dem Jahre 1953 entgegen. Bei Forderungen nach Ent-
schädigung wegen Zwangsarbeit handele es sich um
Reparationszahlungen im Zusammenhang mit dem Zwei-
ten Weltkrieg. Dies gelte auch für Forderungen ehemali-
ger Zwangsarbeiter gegenüber privaten Unternehmen.

Eine völlig andere Frage ist es jedoch, ob man das
Thema Entschädigung für Zwangsarbeit wegen der be-
sonderen historischen Verantwortung insbesondere ge-
genüber den noch lebenden Opfern nicht eher unter hu-
manitären als unter rechtlichen Aspekten betrachten
muss. Gerade aufgrund dieser Überlegung wurden in der
Vergangenheit zunächst mit elf westlichen Staaten Glo-
balabkommen zur Wiedergutmachung abgeschlossen.
Darüber hinaus hat die Bundesrepublik nach dem Ab-
schluss des Zwei-plus-Vier-Vertrages als humanitäre Ges-
te für die Errichtung von Stiftungen in Warschau, Mos-
kau, Kiew und Minsk sowie für die Einrichtung des
deutsch-tschechischen Zukunftsfonds Beträge in Höhe
von insgesamt 1,5 Milliarden DM zur Verfügung gestellt.
Diese Beträge sollten auch ehemaligen Zwangsarbeitern
zugute kommen.

Mit der neu zu gründenden Bundesstiftung soll nun
eine umfassende und abschließende Regelung erreicht
werden, die insbesondere auch jenen alten, kranken und
gebrechlichen Opfern zugute kommen soll, die bislang




Wolfgang Bosbach

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aus unterschiedlichsten Gründen noch keine Chance hat-
ten, aus den umfangreichen Wiedergutmachungspro-
grammen eine finanzielle Leistung zu erhalten. Gerade
weil es ein wichtiges Ziel und Anliegen dieser Stiftung ist,
das Kapitel Wiedergutmachung nationalsozialistischen
Unrechts umfassend und abschließend zu regeln, muss
dafür gesorgt werden, dass die zur Verfügung stehenden
Mittel die Leistungsberechtigten und insbesondere die
noch lebenden Opfer auch tatsächlich so rasch wie mög-
lich und in voller Höhe erreichen.

Diese Stiftungsinitiative soll keine institutionelle För-
derung betreiben, keine Sachinvestitionen tätigen oder
gar den Aufbau neuer Bürokratien finanzieren. Sie soll ge-
genüber den Opfern, gegenüber jedem einzelnen ehema-
ligen Zwangsarbeiter, durch eine Entschädigung in Form
einer humanitären Geste ein Stück Wiedergutmachung
leisten. Die Verantwortung dafür, dass die Stiftungsmittel
nicht in irgendwelchen Administrationen versickern oder
gar zweckwidrig verwendet werden, tragen die Partneror-
ganisationen, das noch zu bildende Kuratorium und der
Stiftungsvorstand – nicht allein gegenüber dem deutschen
Steuerzahler, der mit circa 7,5 Milliarden DM belastet
wird, sondern auch und in erster Linie gegenüber den Op-
fern der Nazi-Diktatur.

Die Unionsfraktion – ich glaube, dies auch im Namen
der anderen Fraktionen des Hauses sagen zu können – ist
mit Ihnen, Graf Lambsdorff, über die drohende Unterfi-
nanzierung der so genannten sechsten Partnerorganisa-
tion, der International Organization for Migration, be-
sorgt. Sie soll jene Opfer nicht jüdischen Glaubens be-
treuen und entschädigen, die in den Ländern leben, die
über keine eigene Partnerorganisation verfügen. Für die
Frage, ob überhaupt ein Leistungsanspruch geltend ge-
macht werden kann und, wenn ja, in welcher Höhe, kön-
nen nach übereinstimmender Auffassung aller Berichter-
statter nur das Lebensschicksal des Opfers, also dessen
Leid und das an ihm begangene Unrecht, maßgeblich
sein, nicht jedoch die Frage, welcher Glaubensgemein-
schaft das Opfer angehört und in welchem Land das Op-
fer heute lebt.


(Beifall im ganzen Hause)

Es darf im Ergebnis nicht so sein, dass ein heute in

Frankreich oder in England lebender ehemaliger polni-
scher Zwangsarbeiter nicht jüdischen Glaubens nur des-
halb eine geringe oder möglicherweise überhaupt keine
Entschädigung erhält, weil er nach dem Kriege – aus wel-
chen Gründen auch immer – aus Polen nach Frankreich
oder England ausgewandert ist. Diese Stiftungsinitiative
soll zumindest ein Stück Wiedergutmachung leisten und
damit der Gerechtigkeit dienen. Sie darf keine neuen Un-
gerechtigkeiten schaffen.

Angesichts des zur Verfügung stehenden Datenmateri-
als hätte es nahe gelegen, an eine andere Verteilung und
damit gleichzeitig an eine Revision des Allokationsbe-
schlusses zu denken. Damit wäre jedoch der gesamte –
ich betone: der gesamte – Verhandlungsprozess mit einem
völlig ungewissen Ausgang neu eröffnet worden. Unser
gemeinsames Ziel war es jedoch, den Gesetzgebungsvor-
gang noch vor der parlamentarischen Sommerpause ab-
zuschließen, das heißt vor der Sitzung des Bundesrates am

14. Juli, damit das Gesetz möglichst rasch in Kraft tritt.
Angesichts des Umstandes, dass pro Jahr etwa 10 Prozent
der ehemaligen Zwangsarbeiter sterben, muss es unser ge-
meinsames Anliegen sein, dass schon in wenigen Mona-
ten mit den ersten Akontozahlungen an die Opfer begon-
nen werden kann.


(Beifall im ganzen Hause)

Wir alle wollen die jetzt noch lebenden Opfer erreichen,
nicht deren Hinterbliebene.

Zu den Problemen, über die wir im Zuge der Verhand-
lungen und Beratungen über diesen Gesetzentwurf in den
vergangenen Wochen sehr intensiv gesprochen haben,
gehörte auch der Wunsch der Opfer in den baltischen
Staaten,mit der Geltendmachung ihrer Ansprüche nicht an
die Stiftungen in Moskau und Minsk verwiesen zu werden.
Das Anliegen ist verständlich; in dem gewünschten Um-
fange konnten wir ihm leider nicht entsprechen, denn im
Ergebnis hätte auch das bedeutet, dass zumindest der Allo-
kationsbeschluss infrage gestellt worden wäre – mit mögli-
cherweise unabsehbaren Folgen. Jedenfalls hätten wir un-
ser Ziel, das Gesetzgebungsverfahren noch vor der parla-
mentarischen Sommerpause abzuschließen, um möglichst
bald mit Zahlungen zu beginnen, nicht erreichen können.

Wir sind froh, dass wir dieses Ziel erreicht haben. Das
verdanken wir auch meinem Freund Bernd Reuter. Ich darf
mich im Namen der Fraktionen herzlich für deine gute
Verhandlungsführung bedanken. Du warst ein guter Mo-
derator und hast uns sehr geholfen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Und ob zu einem späteren Zeitpunkt mit den übrigen Ver-
handlungspartnern ein Einvernehmen auch in dieser Frage
hätte erzielt werden können, ist höchst ungewiss.

Wichtig wird es jetzt sein, dass im Gesetzesvollzug, in
der praktischen Abwicklung durch die zuständigen Part-
nerorganisationen in Moskau und Minsk die berechtigten
Interessen der baltischen Staaten unter Berücksichtigung
der Auffassungen des Deutschen Bundestages, die sich in
der Begründung des Gesetzestextes wiederfinden, ausrei-
chend berücksichtigt werden. Dies gilt insbesondere für
etwaige Widerspruchsverfahren.

Für die Unionsfraktion ist dieser Gesetzentwurf auch
deshalb von Bedeutung, weil wir mit ihm den Blick nicht
nur zurück, sondern auch nach vorne richten. Die Idee der
Gründungsunternehmen der Stiftungsinitiative der deut-
schen Wirtschaft war es, das Stiftungsvermögen jeweils
zur Hälfte für individuelle Entschädigungsleistungen ei-
nerseits und für zukunftsbezogene Projekte andererseits
zur Verfügung zu stellen.

Ich persönlich und mit mir viele Kolleginnen und Kol-
legen bedauern es sehr, dass der Gedanke eines großzügig
ausgestatteten Zukunftsfonds, der ja aus seinen Erträg-
nissen auf Dauer tätig sein soll, in den vergangenen Mo-
naten immer mehr an Strahlkraft verloren hat. Im Zuge
der Verhandlungen sank sein Anteil am Stiftungsvermö-
gen von zunächst 10 Prozent auf nunmehr 7 Prozent. Und
wenn von diesem Betrag auch noch 100MillionenDM für
Forderungen aus Versicherungsansprüchen bereitgestellt




Wolfgang Bosbach
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werden müssten, hätten wir eine Untergrenze erreicht, die
nicht weiter unterschritten werden darf.

Wir sehen in dem Zukunftsfonds die besondere
Chance, nicht nur als Mahnung für kommende Genera-
tionen die Erinnerung an das NS-Unrecht wach zu halten,
sondern auch der Ausbreitung von extremistischem und
rassistischem Gedankengut sowie totalitären Systemen
aller Art entgegenzuwirken. Es ist unbedingt notwendig,
dass der Zukunftsfonds Schwerpunkte auf solche Projekte
legt, die dem Jugendaustausch, der Versöhnung, der Völ-
kerverständigung, der Achtung von Menschenrechten,
aber auch der Pflege von Beziehungen zu den überleben-
den Opfern dienen.

Auch vor dem Hintergrund dieses wichtigen Projektes,
dessen Bedeutung nicht unterschätzt werden sollte, ist
die – nach wie vor zu beklagende – mangelnde Bereit-
schaft vieler Wirtschaftsunternehmen, sich an der Auf-
bringung des Fondsvermögens zu beteiligen – milde
formuliert –, mehr als nur enttäuschend. Etwa
200 000 Unternehmen aller Branchen wurden von den
Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft aufgefordert,
der Initiative beizutreten, und wenn es stimmt, dass bis-
lang nur gut 1,5 Prozent der Unternehmen der Aufforde-
rung gefolgt sind, dann ist das für die deutsche Wirtschaft
kein Ruhmesblatt.


(Beifall im ganzen Hause)

Dies muss insbesondere für diejenigen Unternehmen ent-
täuschend sein, die durch die Gründung der Stiftungsinitia-
tive Verantwortung übernommen haben, und für solche Fir-
men, die erst vor wenigen Jahren gegründet wurden, die
also nie in das nationalsozialistische Unrechtssystem ver-
strickt waren und die sich trotzdem mit zum Teil erheb-
lichen Beträgen engagieren.

Von denjenigen Unternehmen, die sich bislang vor-
nehm zurückhalten, wurde zunächst eingewandt, man
müsse das Ergebnis der internationalen Verhandlungen
abwarten. Die Verhandlungen sind seit vier Monaten ab-
geschlossen. Dann wurde vorgetragen, dass auch Rechts-
sicherheit und dauerhafter Rechtsfrieden, vor allen Din-
gen in den USA, gewährleistet sein müssten. Auch diese
schwierige Problematik wurde in der Zwischenzeit zur
Zufriedenheit aller Beteiligten, nicht nur der Bundesre-
gierung, sondern auch der deutschen Wirtschaft, gelöst.

Wir alle wissen, dass es hundertprozentigen Rechts-
schutz auch und gerade in den USA nicht geben kann.
Aber wenn nicht nur die Bundesregierung, sondern auch
führende Repräsentanten der deutschen Wirtschaft erklä-
ren, dass das erzielte Verhandlungsergebnis für sie auch in
puncto Rechtssicherheit befriedigend sei, dann kann ein
Beitritt zur Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft
nicht mehr unter Hinweis auf angeblich fehlende Rechts-
garantien der USA verweigert werden.

Wenn heute dieser Gesetzentwurf – wie ich hoffe, mit
einer breiten Mehrheit dieses Parlamentes – verabschie-
det wird, dann gibt es insbesondere für jene Firmen, die
im Dritten Reich Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbei-
ter beschäftigt haben, keinen einzigen vernünftigen
Grund mehr dafür, sich nicht mit einem angemessenen
Betrag am Stiftungsvermögen zu beteiligen.


(Beifall im ganzen Hause)

Diese Stiftungsinitiative kann und darf nicht ein Projekt
des Staates und relativ weniger Unternehmen bleiben.
Hier geht es vielmehr, wie gerade die kommunalen Akti-
vitäten zeigen, um eine gesamtstaatliche Initiative und um
eine gesamtstaatliche Verantwortung, der sich mehr als
nur 1,5 Prozent aller Unternehmen stellen müssen.

Wenn man in diesem Zusammenhang berücksichtigt,
dass die Wirtschaftsunternehmen ihre Beträge steuerlich
absetzen können und dass infolgedessen der deutsche
Steuerzahler durch die Addition von direkten Zahlungen
und Steuermindereinnahmen wirtschaftlich betrachtet
drei Viertel aller Lasten trägt, dann sollte es eigentlich
eine Selbstverständlichkeit sein, dass die heute noch feh-
lenden 1,8 Milliarden DM aus den Kreisen der deutschen
Wirtschaft bald aufgebracht werden.


(Beifall im ganzen Hause)

Einig sind wir uns auch darin, dass die Auszahlung

der Stiftungsmittel an die Partnerorganisationen und an
die Opfer grundsätzlich erst dann erfolgen kann, wenn die
vor den US-Gerichten anhängigen Klagen konsolidiert
bzw. abgewiesen sind. Die Bereitschaft, diese Klagen –
umgangssprachlich formuliert – zu erledigen, wird nach
aller Lebenserfahrung nach Auszahlung des Geldes stark
nachlassen. Deshalb muss es bei folgender Reihenfolge
bleiben: erst Konsolidierung und Abweisung der Klagen,
dann die Auszahlung der Stiftungsmittel an die Partneror-
ganisationen und an die Opfer.

Abschließend darf ich noch einmal auf die Erklärung
unserer Fraktion hinweisen, insbesondere auf Ziffer 11:

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert die Bun-
desregierung auf, mit denjenigen Staaten, die nach
dem Ende des Zweiten Weltkrieges Deutsche ver-
schleppt und unter unmenschlichen Bedingungen zur
Arbeit gezwungen haben, oder mit deren Nachfolge-
staaten Kontakt aufzunehmen mit dem Ziel, dass
auch die noch lebenden deutschen Opfer von diesen
Staaten eine – der deutschen Regelung entspre-
chende – Entschädigung in Form einer humanitären
Geste erhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Viele Mitbürgerinnen und Mitbürger haben die Ver-

handlungen in den vergangenen Monaten mit großem In-
teresse verfolgt, insbesondere jene, die selber verschleppt,
gequält und unter grausamen Bedingungen in Russland
oder in anderen Staaten Zwangsarbeit verrichten mussten.
Vermutlich ist es politisch nicht korrekt, wenn auch an de-
ren Schicksal erinnert wird. Es geht uns nicht um Auf-
rechnung, es geht uns auch nicht darum, den Eindruck zu
vermitteln, als habe es hüben und drüben in gleicher
Weise Unrecht gegeben und daher sei man quitt, als müsse
ein Schlussstrich gezogen werden. Es wäre geradezu
töricht, eine solche Auffassung zu vertreten. Aber es muss
erlaubt sein, in dieser Debatte darauf hinzuweisen, dass
auch viele Deutsche Opfer von Ausbeutung unter un-
menschlichen Bedingungen waren.

Die heute noch lebenden deutschen Opfer werden nicht
eine finanzielle Entschädigung erwarten oder diese gar




Wolfgang Bosbach

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einklagen. Aber zumindest auf eine humanitäre Geste ha-
ben sie am Ende dieses Jahrhunderts bzw. zu Beginn ei-
nes neuen Jahrhunderts ebenso ein Recht wie alle anderen
Opfer von Unmenschlichkeit und Tyrannei auch.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1411400800
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Bernd Reuter, SPD-Fraktion.


Bernd Reuter (SPD):
Rede ID: ID1411400900
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Das Gesetz zur Errichtung der
Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, das
wir heute in zweiter und dritter Lesung behandeln und
verabschieden wollen, ist ein Meilenstein in der Nach-
kriegsgeschichte Deutschlands. Dieses Gesetz symboli-
siert die historische und moralische Verantwortung des
deutschen Volkes, auch hier für nationalsozialistisches
Unrecht, dem dunkelsten Kapitel unserer Geschichte,
Verantwortung zu tragen. Menschen aus vielen Ländern
Europas wurden von Deutschen verschleppt, misshandelt
und durch Zwangsarbeit getötet. Die Sklaven- und
Zwangsarbeit hatte oft nur ein Ziel, nämlich Leben zu ver-
nichten. Ich habe wie viele andere Bundestagskolleginnen
und -kollegen erschütternde Berichte über die Leidens-
wege von überlebenden Opfern gehört.

Mit der Errichtung der Stiftung „Erinnerung, Verant-
wortung und Zukunft“ setzen wir ein Zeichen der Ent-
schuldigung und Versöhnung an alle Opfer, an „die Un-
tergegangenen und die Geretteten“, wie sie Primo Levi
nannte. Es ist nicht übertrieben, diese Stiftung 55 Jahre
nach Ende des Krieges als einen historisch bedeutsamen
Schritt zu bezeichnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.])


Mit aller Deutlichkeit möchte ich betonen, dass es sich
hier nur um eine humanitäre Geste handeln kann. Auch
mit noch so großem finanziellen Aufwand kann das un-
endliche Leid der Zwangsarbeit nicht wirklich wieder
gutgemacht werden.


(Beifall bei der SPD)

Aber wir können dieses Leid anerkennen und unsere hi-
storische Verantwortung annehmen. Dies ist die Grund-
lage unserer Gesetzesinitiative. Dass alle Fraktionen des
Deutschen Bundestages gemeinsam diesen Gesetzent-
wurf tragen, zeigt, dass sich der Deutsche Bundestag sei-
ner Verantwortung bewusst ist.

Mit dieser Stiftung dürfen wir keinen Schlussstrich
unter unsere Geschichte ziehen. Die Ungeheuerlichkei-
ten, die Menschen anderen Menschen angetan haben,
dürfen wir nicht vergessen. Denn nur so stellen wir sicher,
dass sich in der Zukunft ein System wie das NS-Regime
nicht wiederholt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Die künftigen Generationen sollen in einer gesicherten
Demokratie, frei von Repressionen und in freundschaftli-
chem Einvernehmen mit anderen Staaten leben können.

Dabei möchte ich nicht versäumen, auch an die jünge-
ren Mitbürgerinnen und Mitbürger in unserem Lande zu
appellieren, die Erinnerung an die deutsche Vergangen-
heit wach zu halten und dafür Sorge zu tragen, dass sich
die Geschichte nicht wiederholt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Mit der heutigen Verabschiedung des Gesetzentwurfes
ist sichergestellt, dass die Stiftung mit ihrer Arbeit in
Kürze beginnen kann. Auch hierbei werden wir als Parla-
mentarier im Kuratorium intensiv mitarbeiten. Ich unter-
streiche, was mein Kollege Wolfgang Bosbach gesagt hat:
Noch in diesem Jahr sollte mit der Auszahlung an die
meist hoch betagten Opfer begonnen werden.

Die Voraussetzungen dafür sind geschaffen. Der Bun-
desfinanzminister wird sicherstellen, dass der Bund die
Stiftung mit der vereinbarten Summe von 5 Milliar-
den DM ausstattet, und zwar noch in diesem Jahr. In ei-
nem Brief an Bundesfinanzminister Hans Eichel hat die
Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft nochmals
versichert, dass sie in ihren Bemühungen, die vollen
5 Milliarden DM zu sammeln, nicht nachlassen wird und
dass das Geld rechtzeitig zur Auszahlung zur Verfügung
steht. Herr Gibowski, der Sprecher dieser Initiative, hat
heute Morgen im Deutschlandfunk erklärt, dass die heu-
tige Verabschiedung des Gesetzentwurfes durch den
Deutschen Bundestag helfen wird, den Druck auf die In-
dustrie zu erhöhen, damit die Sammelaktion erfolgreich
abgeschlossen werden kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der PDS)


Durch dieses Gesetz, das deutsch-amerikanische Re-
gierungsabkommen und die gemeinsame Erklärung aller
an den Verhandlungen beteiligten Parteien haben wir ein
ausreichendes Maß an Rechtssicherheit für die deut-
schen Unternehmen erreicht. Deshalb gibt es für deutsche
Firmen keinen vernünftigen Grund mehr, sich der Stif-
tungsinitiative nicht anzuschließen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich fordere alle Unternehmen nachdrücklich auf, sich ih-
rer historischen Verantwortung bewusst zu werden. Die
deutsche Wirtschaft muss ihren finanziellen Beitrag von
5 Milliarden DM umgehend leisten.


(Beifall im ganzen Hause)

Es ist überdies notwendig, dass alle Firmen, die Zwangs-

arbeiter beschäftigt haben, ihre Firmenarchive für den
Nachweis der Leistungsberechtigung öffnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Wolfgang Bosbach
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(C)



(D)



(A)



(B)


Das Gleiche gilt auch für die Bundesländer und für die
Kommunen. Der Internationale Suchdienst des Roten
Kreuzes in Arolsen ist durch geeignete Maßnahmen und
Aufstockung des Personals in die Lage zu versetzen, den
Opfern schnell und unbürokratisch den Nachweis der
Leistungsberechtigung zu liefern. Das gilt vor allem für
jene sechste Partnerorganisation, die Internationale Orga-
nisation für Migration – sie wird manchmal auch siebte
Partnerorganisation genannt –, die für alle Opfer im „Rest
der Welt“ zuständig ist.

Eine Gleichbehandlung aller Opfer nach dem vorlie-
genden Gesetz, unabhängig von ihrem jetzigen Wohnsitz
und ihrer Nationalität, ist oberstes Gebot. Das gilt nicht
nur für die Bearbeitung ihrer Anträge, sondern vor allem
für den Erhalt gleicher Leistungen. Ein ehemaliger
Zwangsarbeiter, der heute in Slowenien wohnt, darf bei
gleichem Schicksal der Verfolgung nicht weniger erhalten
als ein Opfer in einem anderen Land.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Aufgrund der geschätzten Zahl dieser Opfer ist zu be-
fürchten – das ist auch bei Graf Lambsdorff und bei Herrn
Bosbach angeklungen –, dass die vorgesehenen Mittel für
die sechste Partnerorganisation in Höhe von 540 Milli-
onen DM vermutlich nicht ausreichen werden. Deshalb
muss sichergestellt werden, dass alle Mittel, die in ande-
ren Bereichen nicht in Anspruch genommen werden, an
die sechste Partnerorganisation fließen, damit keine
neuen Ungerechtigkeiten entstehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der PDS)


Die Stiftung ist auch berechtigt, Zuwendungen von Drit-
ten anzunehmen und sich um weitere Zuwendungen zu
bemühen. Wer schon jetzt einen Beitrag leisten will, kann
dies tun. Das Bundesfinanzministerium hat dafür ein
Konto eingerichtet, auf dem bereits Beiträge eingegangen
sind. Bei der Aufteilung des Stiftungsvermögens ist si-
chergestellt, dass 8,1 Milliarden DM den Opfern direkt
zugute kommen. 1 Milliarde Mark werden für Vermö-
gensschäden bereitgestellt.

Besondere Aufmerksamkeit gilt dem Fonds „Erinne-
rung und Zukunft“. Er ist mit 700 Millionen DM aus-
gestattet; wir hätten allerdings gerne 1 Milliarde DM
vorgesehen. Es geht darum, eine dauerhafte Aufgabe zu
bewerkstelligen, Projekte der Völkerverständigung und
Ver-söhnung zu finanzieren, Jugendaustausch und Zu-
sammenarbeit auf humanitärem Gebiet sowie die Aufar-
beitung der Geschichte zu organisieren. Wir dürfen die
Zahlungen an die Opfer nicht gegen diesen Zukunftsfonds
ausspielen. Beide Dinge gehören gemeinsam in unsere Ini-
tiative.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es war ein ungewöhnliches Gesetzgebungsverfahren.
Ich möchte an dieser Stelle den Beteiligten aus allen Frak-
tionen des Deutschen Bundestages und den beteiligten Mi-

nisterien für die Zusammenarbeit herzlich danken. Mein
besonderer Dank und meine Anerkennung gilt dem Beauf-
tragten des Bundeskanzlers, Graf Lambsdorff. Es ist nicht
zuletzt sein bleibendes Verdienst, dass wir heute dieses Ge-
setz verabschieden können.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Das Ergebnis vieler Beratungen liegt uns heute vor. Es
geht nicht um theoretische und juristische Formulierun-
gen, gespickt mit Zahlen; es geht um menschliche Schick-
sale. Wer noch immer Zweifel hat, diesem Gesetz zuzu-
stimmen, dem empfehle ich eindringlich, den Artikel über
einen ehemaligen polnischen Zwangsarbeiter zu lesen, der
in der Zeitschrift „Publik-Forum“ abgedruckt war und den
ich allen Abgeordneten in die Fächer habe legen lassen.
Dieser polnische Zwangsarbeiter ist der einzige Überle-
bende einer 23-köpfigen jüdischen Familie. Er hat in zwei-
dreiviertel Jahren sechs Konzentrationslager durchlitten
und hat überlebt. Dieser Mann wartet nun auf unser Ge-
setz: Er möchte mit seiner Frau noch einmal in seinem Le-
ben nach Israel fahren und möchte das Geld dafür nutzen.
Nach der Lektüre dieses Artikels dürfte eigentlich kein
Mitglied dieses Hohen Hauses diesem Gesetz seine Zu-
stimmung verweigern.

Ich danke Ihnen.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1411401000
Ich erteile dem Kolle-
gen Max Stadler, F.D.P.-Fraktion, das Wort.


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1411401100
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Wenn es nach einem so lan-
gen Verhandlungsprozess und nach so schwierigen Bera-
tungen zu einem konkreten Ergebnis kommt, dann stellt
sich bei denen, die daran beteiligt waren, schon eine ge-
wisse Zufriedenheit ein. Für Selbstzufriedenheit ist den-
noch kein Anlass: Uns ist bewusst, wie begrenzt unsere
Möglichkeiten sind, mit einer humanitären Geste den Op-
fern der Zwangsarbeit im Nazistaat unsere Reverenz zu
erweisen, und uns ist bewusst, dass diese humanitäre Ges-
te für viele Opfer zu spät kommt. Den Opfern gilt daher
der erste Gedanke in dieser Debatte.

Ich bin froh, dass im Zuge dieses Verhandlungsprozes-
ses die rein juristische Betrachtungsweise verlassen wor-
den ist, die uns in der Vergangenheit daran gehindert hat,
das Problem zu lösen. Eine weitere Debatte um die Fra-
gen, ob Ansprüche juristisch oder nur moralisch gerecht-
fertigt seien, ob Verjährung vorliege oder nicht und wer
denn der eigentliche Anspruchspartner sei, die öffentliche
Hand oder die Privatfirmen, hätte nicht weitergeführt. Mit
dem jetzt vorliegenden Stiftungsgesetz stellen sich der
Deutsche Bundestag und die Stiftungsinitiative der deut-
schen Wirtschaft der historischen Verantwortung.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Bundestag hat das getan, was seine Pflicht war und
was er nach diesen vielen Jahren und Jahrzehnten wenig-
stens tun konnte. Er hält das den Opfern gegebene




Bernd Reuter

10759


(C)



(D)



(A)



(B)


Versprechen, das Ergebnis der verdienstvollen Verhand-
lungen von Graf Lambsdorff noch vor der Sommerpause
in ein konkretes Gesetz umzusetzen. Das waren wir den
Opfern schuldig; das sind wir auch der Stiftungsinitiative
der deutschen Industrie und ihren berechtigten Interessen
schuldig gewesen.


(Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt sind andere am Zuge. Die Stiftungsinitiative wird
von uns nachdrücklich in ihrem Bemühen unterstützt, end-
lich den zugesagten Gesamtbetrag von 5Milliarden DM in
die Stiftung einzubringen. Alle anderen Redner haben es
auch schon gesagt – ich wiederhole es für die F.D.P.-Frak-
tion –: Jetzt gibt es keine Ausreden mehr.


(Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Am Zuge sind auch die Anwälte, die insbesondere in den
Sammelklagen in den USA die Kläger vertreten und die
auf ihre Weise ja auch einen Beitrag geleistet haben, um die
Lösung der Problematik voranzutreiben. Aber diese Sam-
melklagen müssen jetzt erledigt werden, damit – so ist es
vereinbart – mit der Auszahlung an die Opfer begonnen
werden kann.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich kurz auf das
Gesetzgebungsverfahren zurückblicken; denn es war
schon so ungewöhnlich, dass es noch einer Erwähnung
wert ist. In letzter Zeit ist eine berechtigte Debatte über
die Frage entstanden, ob denn Konsensrunden das ange-
messene Mittel zur Lösung von Problemen seien. In der
Tat entspricht es dem traditionellen, vom Angelsächsi-
schen her geprägten Demokratiemodell, dass sich die kla-
ren Vorstellungen von Regierungsseite einerseits und Op-
position andererseits deutlich gegenüberstehen und auch
zueinander in Kontrast gebracht werden. In diesem Ge-
setzgebungsverfahren haben wir uns eher am Schweizer
Konkordanzmodell orientiert. Das heißt, in völlig unge-
wöhnlicher Weise haben sich alle Fraktionen des Deut-
schen Bundestages in den Beratungen bemüht, die vorlie-
genden Entwürfe, die von der Bundesregierung und den
Fraktionen eingebracht wurden, gemeinsam zu verbes-
sern.

Ein solches Verfahren, das man im Bundestag nur
höchst selten erlebt, fand seine Rechtfertigung darin, dass
hier eben nicht die übliche Auseinandersetzung zwischen
Regierung und Opposition stattgefunden hat, sondern
dass der Deutsche Bundestag als Gesamtheit Partner in ei-
nem internationalen Verhandlungsprozess gewesen ist
und die Aufgabe hatte, die Ergebnisse dieses Verhand-
lungsprozesses gemeinsam umzusetzen.

Die Verhandlungen der Berichterstatter mit den Minis-
terien und dem Arbeitsstab von Graf Lambsdorff waren
außerordentlich konstruktiv. Ich will damit das Konsens-
modell nicht für weitere Fälle empfehlen, aber es ist doch
festzuhalten, dass alle Seiten dieses Hauses in dem Ge-
setzgebungsverfahren ihre Vorstellungen nicht nur vortra-
gen konnten, sondern dass für das bessere Argument die
echte Chance bestanden hat, sich durchzusetzen.

Meine Damen und Herren, wir haben intern vereinbart,
entgegen dem, was noch in der ersten Lesung üblich ge-
wesen ist, mit Dankesarien sparsam umzugehen, weil es
vielleicht dem Ernst der Thematik nicht angemessen
wäre, wenn wir uns selber zu sehr auf die Schulter klopf-
ten. Ich fand die Zusammenarbeit mit den Berichterstat-
tern der anderen Fraktionen jedoch so bemerkenswert,
dass ich sie hier doch hervorheben und sagen möchte:
Alle, die beteiligt waren – Ulla Jelpke, Dieter
Wiefelspütz, Bernd Reuter, Volker Beck, Wolfgang
Bosbach und Martin Hohmann –, haben ihren Anteil da-
ran. Diesen Dank möchte ich gern hier aussprechen.


(Beifall im ganzen Hause)

Die so ungewöhnlich strukturierten Beratungen der

Berichterstatter und des Innenausschusses haben nach
meinem Urteil auch deutliche Verbesserungen gegenüber
den Ursprungsentwürfen gebracht. Ich erinnere an einige
Monita, die wir von der F.D.P. in der ersten Lesung vor-
getragen haben, aber vor allem an Anliegen, die sich aus
der äußerst interessanten Anhörung des Innenausschus-
ses ergeben haben. Ich nenne fünf Punkte:

Es ist in den Verhandlungen seit dem Allokationsbe-
schluss vom 23. März offen thematisiert worden, dass die
finanzielle Ausstattung für die Opfer derjenigen Staaten,
die nicht am Verhandlungsprozess beteiligt waren, mögli-
cherweise nicht ausreichen wird. Genaues weiß man erst,
wenn die Anträge gestellt und bewertet worden sind. In
unseren Beratungen ist dieses Thema jedenfalls ganz of-
fen angesprochen worden. Lösungsmöglichkeiten sind
aufgezeigt worden, und sofern diese nicht ausreichen soll-
ten, bringt der Deutsche Bundestag heute mit einem Ent-
schließungsantrag deutlich zum Ausdruck, dass das Pro-
blem, sollte es denn eines sein, gelöst werden wird. Das
sind wir dem Gedanken der Gleichbehandlung allerOp-
fer schuldig, und deswegen ist der Entschließungsantrag
neben dem Gesetz ebenfalls von großer Bedeutung.


(Beifall bei der F.D.P., der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Wir konnten erreichen, dass es eine Gleichbehandlung
der Opfer hinsichtlich der von ihnen aufgewendeten Ver-
fahrenskosten geben wird. Auch das ist für die einzelnen
Betroffenen von größter Bedeutung.

Die Zusammensetzung des Kuratoriums ist größer
und nach unserer Meinung auch sinnvoller ausgestaltet
geworden. Endlich ist aus dem Gesetzentwurf der Absatz
entfernt worden, der einige Vertreter bestimmter Staaten
von der weiteren Mitarbeit im Kuratorium nach der ersten
Amtszeit ausgegrenzt hätte. Dies war völlig unverständ-
lich, das konnten wir so nicht belassen.

Schließlich haben wir Mechanismen gefunden, die es
ermöglichen, dass bei der Auszahlung der ersten Rate fle-
xibler vorgegangen wird, als dies der Ursprungsentwurf
vorgesehen hatte; denn die Zielsetzung besteht nun ein-
mal darin, so rasch wie möglich so viel wie möglich von
den zur Verfügung stehenden Mitteln an die Opfer auszu-
zahlen. Die Einbeziehung nationaler Opferverbände ist
ein Ergebnis der schon von mir erwähnten Anhörung des
Innenausschusses.




Dr. Max Stadler
10760


(C)



(D)



(A)



(B)


Meine Damen und Herren, es stellt sich die Frage: Er-
leben wir heute den Abschluss eines historischen Vor-
gangs? Man ist geneigt zu sagen: Wir sind nahe daran.
Hoffen wir, dass die letzten Hürden, die außerhalb dieses
Parlaments liegen, ebenfalls noch überwunden werden.
Erst dann, wenn das Ziel erreicht wird, noch in diesem
Jahr die ersten Auszahlungen an die Opfer tatsächlich
durchzuführen, können wir wirklich zufrieden sein.

Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1411401200
Ich erteile dem Kolle-
gen Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411401300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute bringen
wir ein Gesetzeswerk zum Abschluss, für das unsere Frak-
tion seit 15 Jahren gekämpft hat: eine Bundesstiftung für
die ehemaligen Zwangsarbeiter unter Beteiligung der
deutschen Wirtschaft. Angesichts des Unrechts, das die-
sen Menschen angetan wurde, war es für uns immer un-
verständlich und inakzeptabel, dass sie vom deutschen
Entschädigungsrecht ausgeschlossen waren.

Der Holocaust an Juden, Sinti und Roma ist meiner
Generation aus dem Schulunterricht bekannt gewesen. Er
bedeutete millionenfache Deportation, Vernichtungsla-
ger, für die Sklavenarbeiter auch Vernichtung durch Ar-
beit. Über das Schicksal der anderen deportierten zivilen
Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen hingegen habe ich
in der Schule nichts erfahren: nichts davon, dass unge-
horsamen Zwangsarbeitern so genannte Arbeitserzie-
hungslager angedroht wurden, nichts davon, dass die Be-
dingungen dort vielfach den Bedingungen von KZs ver-
gleichbar waren, nichts davon, dass in diesen Lagern
Menschen zu Wracks gemacht wurden, nicht wenige
schon nach wenigen Wochen starben.

Juden hatten einen Davidstern zu tragen. Wenig be-
kannt ist, dass Polen ein „P“ und Russen und Ukrainer ein
„Ost“ auf ihrer Kleidung tragen mussten. Habe ich in der
Schule erfahren, dass diese Menschen vielfach um ihren
Lohn gebracht und am Arbeitsplatz geschlagen wurden,
dass sie unterernährt und oftmals ohne medizinische Ver-
sorgung leben mussten, dass für sie als so genannte
Fremdvölkische der sexuelle Kontakt zu Deutschen mit
der Todesstrafe bedroht war? Nein, diese Wahrheit war
weithin verschüttet geblieben.

Das ganze Ausmaß des nationalsozialistischen
Zwangsarbeitersystems ist uns erst durch die bahnbre-
chenden Arbeiten von Ulrich Herbert bewusst geworden.
Erst in den letzen 15 Jahren sind erschütternde Doku-
mentationen über die Lebens- und Leidensbedingungen
dieser NS-Opfer erstellt worden. Sie machen auch deut-
lich, wie das Räderwerk des NS-Staates mit der Ausbeu-
tung durch die Privatwirtschaft verzahnt war.

Diese Dokumentationen und die vielen Briefe, die wir
als Abgeordnete in den letzen Wochen von den überle-
benden Opfern bekommen haben, zeigen mir vor allem:
Wir als Deutscher Bundestag müssen und wollen uns

stellvertretend für das deutsche Volk bei denen entschul-
digen, denen man so etwas angetan hat.


(Beifall im ganzen Hause)

Auch wenn unser Staat und die Gerichte es lange nicht

wahrhaben wollten: Der Einsatz von Zwangsarbeitern
war nationalsozialistisches Unrecht und dieses Gesetz ist
die späte Anerkenntnis dieses Tatbestandes.

Ich will Ihnen aus einer bemerkenswerten Lokalstudie
aus Goslar einige Briefe zitieren. Diese hat Friedhart
Knolle unter dem Titel „Gebt uns unsere Würde wieder“
zusammengestellt. Eine Frau aus der Ukraine, die als jun-
ges Mädchen im Frühjahr 1942 nach Grauhof im Harz
verschleppt wurde, schreibt:

Nach langer Fahrt musste ich vom 30.April 1942 bis
zum 6./7. April 1945 in der Mineralwasserfabrik
Harzer Grauhof-Brunnen in Goslar gemeinsam mit
11 weiteren jungen Frauen Zwangsarbeit leisten. Ich
war im dortigen Zwangsarbeiterlager unter gefäng-
nisartigen und schlimmen Bedingungen eingesperrt.
So gab es zum Beispiel kein Haarwaschmittel; wir
mussten dafür die Soda benutzen, ... mit allen ge-
sundheitlichen Folgen wie zum Beispiel Haarausfall
bei uns. Wir durften das Lager in der ersten Zeit bis
auf die Produktionsräume und unsere Unterkunft
nicht verlassen; erst viel später erhielten wir zwei bis
drei Stunden Freigang täglich. Wir litten ständig
Hunger, es gab nur schlechtes Essen, das zudem häu-
fig durch Kakerlaken und Glasscherben gefährlich
verunreinigt war. ... Es herrschte uneingeschränkter
Arbeitszwang; wir wurden geschlagen und Tritte
gehörten zu den Alltäglichkeiten. Unser Meister
hat uns so häufig und intensiv schikaniert, dass ich
seinerzeit mehrfach an Selbstmord gedacht habe.

An die Autoren der Ausstellung schrieb Anastasia B. aus
Bogdanowka folgenden Brief, den ich auszugsweise zi-
tiere:

Ich wurde am 25. Mai 1943 nach Deutschland ver-
schleppt. Ich war damals 18 Jahre alt. Wir wurden
nach Goslar gebracht und dann in der Zinkhütte
Oker/Harz eingesetzt. Wir haben im Lager gewohnt
und unsere Bewacher haben uns nicht wie Menschen
gehalten. Unser Arbeitstag war 11 Stunden lang, die
Deutschen arbeiteten 6 Stunden. Am Tag haben wir
130 g Brot bekommen, nicht reines Brot, sondern mit
Sägemehl. Unsere Arbeit war sehr schwer. ... Mein
Bein wurde verletzt und zwei Wochen habe ich kein
Brot bekommen. Dann habe ich gebetet, dass ich
vielleicht irgendeine Arbeit bekomme im Sitzen,
dass ich wenigstens meine Brotration bekomme. ...
Die deutschen Mütter kamen zu unserem Lager mit
Kindern; sie waren sehr gut angezogen. Sie haben
uns angespuckt. Und wir jungen schönen Mädchen
mussten schweigend stehen und unter Tränen diese
Spucke im Gesicht wegwischen. ... Die Erinnerung
ist schmerzhaft und bitter. Ich habe keine Gesund-
heit, das, was wir erlebt haben, wie wir als Menschen
gedemütigt wurden, so etwas wünsche ich keinem
Menschen, nicht einmal meinen Feinden. ... Viel-
leicht werde ich auch nie Hilfe bekommen, aber ich
hoffe und warte, vielleicht kommt zu meiner kleinen
Rente etwas dazu.




Dr. Max Stadler

10761


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich hoffe, die gute Nachricht für diese Frau – hoffentlich
lebt sie noch – ist heute, dass bald eine Zahlung, eine hu-
manitäre Hilfe für sie erfolgt – als Versöhnungsgeste des
deutschen Volkes.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Dass diese zitierten Beispiele keine Einzelbeispiele
waren, sondern der Regelfall, sieht man an der Vielzahl
von rechtlichen Sonderregelungen des NS-Regimes ge-
rade für NS-Verfolgte und für die Opfer slawischer Ab-
stammung.

Auch die geschilderten Lebensumstände der in Goslar
eingesetzten Zwangsarbeiter, etwa bei den Firmen Che-
mische Fabrik Borchers, Harzer Grauhof-Brunnen, Luthe
Bleiwerk oder dem Reichsbahnbetriebsamt Goslar, waren
sicherlich keine Sonderfälle. Wir könnten auch Hamburg,
Hannover, Stuttgart, München, Berlin oder Köln nehmen.

Aber ich frage beispielsweise: Gehört Harzer Grauhof-
Brunnen zu denen, die sich nach 1945 bei den Opfern ent-
schuldigt und ihnen einen finanziellen Ausgleich gezahlt
haben? Nein. Gehören zum Beispiel Harzer Grauhof-
Brunnen oder die Chemische Fabrik Borchers aus Goslar
oder ihre Rechtsnachfolger zu den Mitgliedern der Stif-
tungsinitiative der deutschen Wirtschaft?Wie viel ha-
ben sie gezahlt? Das wüssten wir gerne. In der veröffent-
lichten Mitgliederliste der Stiftungsinitiative der deut-
schen Wirtschaft sind diese Betriebe nicht verzeichnet.

Gerade die Unternehmen, die oder deren Rechtsvor-
gänger sich Sklaven und Zwangsarbeiter beschafft und
eingesetzt haben, sind aber in einer besonderen Pflicht.
Ich frage zum Beispiel die Firma Haribo in Bonn, warum
sie nicht an der Stiftungsinitiative beteiligt ist. Ich frage
die Firma Richard Hengstenberg, ich frage die Edeka-
Zentrale AG in Hamburg,


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Prangerdarstellung!)


ich frage die Sektkellerei Henkel und Söhne, ich frage die
Stollwerck AG in meinem Wahlkreis in Köln, ich frage die
Bierbrauerei Warsteiner und ich frage die Südfleisch Hol-
ding AG in München, warum sie sich bis heute ihrer
historischen Verpflichtung entziehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Die Pranger sind doch abgeschafft worden!)


Selbst wenn man nicht wie wir von Bündnis 90/Die
Grünen eine besondere rechtliche Verantwortung der Fir-
men für den Zwangsarbeitereinsatz bejaht und man sich
stattdessen das Paradigma der deutschen Wirtschaft zu Ei-
gen macht, es gehe heute allein um Verantwortung der ge-
samten deutschen Wirtschaft, muss man sich fragen: Wo
bleibt die angemessene finanzielle Bereitschaft des Trans-
portgewerbes, wo der Bauwirtschaft, wo schließlich des
Medienbereichs, der die mangelnde Zahlungsbereitschaft
durch Zeitungen, Zeitschriften usw. hundertfach öffent-
lich dokumentiert und auch beklagt hat?


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1411401400
Kollege Beck, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Eckhardt?


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411401500

Ja.


Dr. Peter Eckardt (SPD):
Rede ID: ID1411401600
Herr Kollege Beck, Sie ha-
ben mehrere Firmen aus meiner Heimatstadt genannt. Ich
weiß nicht, wie gut Sie recherchiert haben. Ist Ihnen be-
kannt, dass die Firmen heute zu Konzernen gehören, die
sich an der Initiative beteiligt haben, etwa die Firma
Borchers über Bayer Leverkusen?


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Das ist schlimm! Damit treiben Sie Leute zum Nein! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)



Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411401700

Das ist mir so nicht bekannt. Sollte es in Einzelfällen der
Fall sein, würde ich das begrüßen. Ich habe versucht zu
recherchieren. Ich habe es bei den Goslarer Firmen sehr
bewusst als Frage formuliert. Bei den anderen Firmen
weiß ich aber, dass sie nicht in der Liste auftauchen; da
gibt es eine Kontinuität.


(Zuruf von der CDU/CSU: Dann entschuldigen Sie sich doch einmal! – Gegenruf des Abg. Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, hören Sie doch auf!)


Ich denke, wir sollten den Schwerpunkt hier vor allen
Dingen darauf legen, dass der Stiftungsinitiative der deut-
schen Wirtschaft nur eineinhalb Prozent, wie Kollege
Bosbach vorhin gesagt hat, beigetreten sind. Das ist der
Skandal. Jeder, der dabei ist, ist okay und jeder, der fehlt,
muss aufgefordert werden, endlich mitzumachen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1411401800
Kollege Beck, gestat-
ten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Deß,
CDU/CSU-Fraktion?


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411401900

Bitte schön.


Albert Deß (CSU):
Rede ID: ID1411402000
Herr Kollege Beck, ich
möchte fragen: Haben Sie geprüft, ob die SPD für ihre
Verlagsanteile bezahlt hat?


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411402100

Ich finde diese Frage der Debatte nicht angemessen und
beantworte Sie deshalb nicht.


(Lachen bei der CDU/CSU – Beifall des Abg. Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])





Volker Beck (Köln)

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(C)



(D)



(A)



(B)


Meine Damen und Herren, nun zum Medienbereich.
Warum ist die Bertelsmann AG zum Beispiel dabei – was
zu begrüßen ist –, nicht aber die Holtzbrinck-Gruppe?

Wichtig ist natürlich nicht nur, wer zahlt, sondern auch,
in welcher Höhe gezahlt wird. Wenn uns die Stiftungs-
initiative berichtet, es gebe historisch belastete Firmen,
die sich mit einmalig 50 000 DM an den Fonds freikaufen
wollten, während junge unbelastete IT-Firmen den x-fa-
chen Betrag freiwillig bezahlten, dann ist das ein unmo-
ralisches Angebot und eine Beleidigung der Opfer.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Das Gesetz gewährt allen Unternehmen ausreichende
Rechtssicherheit. Diese gibt es aber nur, wenn auch die
zugesagten 5 Milliarden DM möglichst bald eingezahlt
werden. Gefordert sind hier an erster Stelle die ehemali-
gen Profiteure der Zwangsarbeit.

Ich habe die Schreiben der Opfer gewählt, weil sie zei-
gen, dass es angesichts des unermesslichen Leids unan-
gemessen wäre, davon zu sprechen, wir könnten mit die-
sem Stiftungsgesetz das an Sklaven- und Zwangsarbeitern
verübte Leid wieder gutmachen oder es auch nur ange-
messen entschädigen.

10 Milliarden DM sind eine beachtliche Summe. Aber
angesichts des Leids der Opfer ist dies eine Summe, die
wir als Bundestag nur als humanitäre finanzielle Zuwen-
dung begreifen können. Gleichwohl hat sie für Zwangs-
arbeit und Vermögensschäden abschließenden Charakter.
Den zumeist verarmten Opfern, die auf dieses Geld dring-
lich warten, ist es aber vielleicht auch egal, welchen Na-
men wir dieser Zuwendung geben, wenn sie diese nur
endlich bald erleben dürfen.

Eine moralische Qualität bekommt diese Zahlung aber
erst dann, wenn wir uns zu dem Unrecht bekennen und
uns dafür entschuldigen, was den Opfern im Namen
Deutschlands angetan wurde. Nur so können wir den
Menschen auch ihre verlorene Würde wiedergeben. Das
hat unser Bundespräsident Johannes Rau vor allen ande-
ren in der Öffentlichkeit zu Recht herausgestellt.

An der moralischen Qualität der Debatte hat es bei den
Auseinandersetzungen über die Höhe des Fonds, den Ver-
teilungsschlüssel und die Rechtssicherheit für Firmen in
den letzten eineinhalb Jahren manchmal gefehlt. Das hat
bei den Opfern zu Recht oft Bitterkeit hinterlassen. Frak-
tionsübergreifend wollen wir Abgeordneten dazu beitra-
gen, dieser moralischen Qualität wieder ihren Platz zu ge-
ben.

Wir stellen nun durch dieses Gesetz fest: Der national-
sozialistische Staat hat Sklaven- und Zwangsarbeitern
durch Deportation, Inhaftierung, Ausbeutung bis hin zur
Vernichtung durch Arbeit und durch eine Vielzahl weite-
rer Menschenrechtsverletzungen schweres Unrecht zuge-
fügt. Deutsche Unternehmen, die an diesem Unrecht be-
teiligt waren, tragen dafür historische Verantwortung und
müssen ihr gerecht werden.

Wir wollen bei der Gesetzgebung Regelungen finden,
die dem Schicksal der Opfer angemessen sind. Dies hat
manches Mal auch öffentlich ausgetragenen Streit mit der

Wirtschaft, zum Teil auch mit einigen Fachbeamten der
Bundesregierung bedeutet. Aber es war die Sache um der
Opfer willen wert.

Wir haben als Deutscher Bundestag trotz der Beson-
derheit des Beratungsverfahrens, das Herr Stadler betont
hat, nicht nur einfach als Notar agiert. Wir haben im Sinne
der Opfer und der maximalen Gerechtigkeit versucht, alle
Spielräume zu nutzen, um unserer Verantwortung als Ge-
setzgeber bei dieser historischen Aufgabe gerecht zu wer-
den.

Die größte Gefahr, die dieser Gesetzgebungsprozess
beinhaltet, ist, dass die Opfer, die von der IOM entschä-
digt werden sollen – also die nicht jüdischen Opfer außer-
halb des Bereiches der osteuropäischen Versöhnungsstif-
tungen – zum Teil gar nichts oder ungleich weniger er-
halten als die Opfer, die von anderen Organisationen
entschädigt werden sollen. Hier hat der Deutsche Bun-
destag in seiner Entschließung der vier Fraktionen zum
Ausdruck gebracht, dass wir bei der Administration in der
Stiftung, aber auch darüber hinaus, eine ganz besondere
Verantwortung sehen. Wir haben die Verantwortung
dafür, dass alle Opfer für gleiches Leid auch gleiche Ent-
schädigungen bekommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Wir lösen heute das Versprechen an die Opfer ein, das
Gesetz noch vor der Sommerpause zu verabschieden. Wir
haben damit auch die Voraussetzungen dafür geschaffen,
dass die Opfer noch in diesem Jahr eine erste Auszahlung
erhalten. Wir hoffen nun, dass die Rücknahme der Klagen
in den USAeingeleitet wird. Die weiteren Geschicke wer-
den in die Hände des Kuratoriums und der Partnerorgani-
sationen gelegt. Wir wünschen uns und den Opfern, dass
sie ihre schwierige Aufgabe verantwortungsbewusst und
zügig wahrnehmen.

Lassen Sie mich zum Schluss für das gute Klima in den
Berichterstattergesprächen sowie für die vorzügliche Ar-
beit und Unterstützung durch den Arbeitsstab Lambsdorff
und für die Verhandlungsführung durch Graf Lambsdorff
danken. Ich möchte auch einen Dank an einen unserer
Mitarbeiter, Herrn Saathoff, anschließen, der mit seiner
Fachkompetenz in den Berichterstattergesprächen bei-
spiellos für alle Fraktionen hilfreiche Zuarbeit im Dienste
der Sache geleistet hat.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1411402200
Ich erteile das Wort
der Kollegin Ulla Jelpke, PDS-Fraktion.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1411402300
Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Wie Sie in den Beiträgen heute Morgen schon
vernommen haben, hat es bei der Vorbereitung des vorlie-
genden Gesetzesentwurfs weit auseinander liegende In-
teressen gegeben. Unser Leitmotiv bei diesen Verhand-
lungen und auch bei diesem Gesetz war und ist die Ent-
schädigung der Opfer. Das Nürnberger Gericht hat nach




Volker Beck (Köln)


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(C)



(D)



(A)



(B)


1945 die Zwangsarbeit für Millionen von Menschen, vor
allem aus Osteuropa, richtig als ein „Verbrechen gegen
die Menschlichkeit“ eingestuft. Für dieses Verbrechen
muss endlich gezahlt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Für die PDS-Fraktion will ich mich deshalb an dieser

Stelle noch einmal bei allen noch lebenden NS-Opfern
und ihren Angehörigen ausdrücklich für diese Verbrechen
und für das ihnen angetane Leid entschuldigen, auch
dafür, dass erst 55 Jahre nach Kriegsende etwas für sie ge-
tan wird.


(Beifall bei der PDS)

Wir werden auch in Zukunft mit diesen Opfern solidarisch
sein und helfen, wo wir können.

Wir werden dem Gesetz trotz vieler Bedenken und Kri-
tik zustimmen. Die 10 Milliarden DM, die nun an ver-
mutlich 1,6 Millionen noch lebende Opfer und ihre An-
gehörigen gezahlt werden, sind nur ein Tropfen auf den
heißen Stein. Selbst die VW-Regelung, die eine Zahlung
von immerhin 10 000 DM pro Person vorsah, hätte den
Opfern – wenn man alle entschädigt hätte – etwas mehr
Gerechtigkeit gebracht. Das hatten wir auch mit unserem
ursprünglichen Antrag gefordert. Jetzt erhalten die
Zwangsarbeiter, die im KZ waren, wahrscheinlich etwas
mehr, aber die anderen leider nur halb so viel.

Trotzdem bestreiten wir nicht: Es gibt Verbesserungen
gegenüber dem ersten Entwurf. Es sind Verbesserungen,
die vor allem dem Druck und den Protesten der Opfer, ih-
rer Anwälte und der osteuropäischen Länder zu verdan-
ken sind. Ich möchte mich an dieser Stelle bei diesen be-
danken, da sie uns viele Vorschläge eingereicht haben, um
die Gesetzesarbeit zu verbessern und zu erleichtern.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte mich auch dafür bedanken, was schon
meine Kolleginnen und Kollegen getan haben, dass die
Atmosphäre, in der diese Verhandlungen stattgefunden
haben, ausgesprochen angenehm war. Ich brauche nicht
zu wiederholen, dass es in der Tat ein außergewöhnlicher
Prozess war.

Anlässlich des heutigen Tages ist es mir wichtig, stell-
vertretend für viele von ihnen einen Menschen zu nennen.
Er heißt Hans Frankenthal.


(Beifall bei der PDS)

Er war der Sohn eines jüdischen Viehhändlers und wurde
bereits 1940 mit 14 Jahren von den Nazis zu Straßenbau-
arbeiten gezwungen. 1943 deportierten ihn die Nazis mit
seiner Familie nach Auschwitz. In seinem Buch „Verwei-
gerte Rückkehr“ schildert Hans Frankenthal sein Zwangs-
arbeiterleben. Er schreibt – ich zitiere –:

Wenn man nicht irgendwie einen Druckposten be-
kam, überlebte man keine acht Wochen.

Hans Frankenthal überlebte Auschwitz, die Zwangsarbeit
im Lager Monowitz und das KZ Mittelbau-Dora. 1945
wurde er in Theresienstadt befreit.

Hans Frankenthal hat wie viele andere jahrzehntelang
für die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter gekämpft,
zuletzt als Mitglied im Landesverband der Jüdischen Ge-
meinden von Westfalen, im Zentralrat der Juden in
Deutschland und als stellvertretender Vorsitzender des
Auschwitz-Komitees.

Hans Frankenthal ist im Dezember vergangen Jahres
gestorben. Er gehört damit zu den NS-Opfern, die keine
Entschädigung mehr für die Zwangsarbeit bekommen.
Ich finde das auch an diesem Tag nach wie vor beschä-
mend.

Ein weiterer Punkt. In dem Gesetz findet sich ein klei-
ner Titel von 50 Millionen DM. Dieses Geld ist insbeson-
dere für Opfer medizinischer Versuche und so genann-
ter Kinderheimfälle vorgesehen. Tausende von Kindern,
vor allem so genannte schlechtrassische Kinder von Ost-
arbeiterinnen, starben in den mörderischen Kinderheimen
der NS-Zeit. Auch die Menschenversuche in den KZs, für
die nunmehr eine Entschädigung gezahlt werden soll, fan-
den vielfach auf direkten Wunsch deutscher Pharmaun-
ternehmen statt. Dass für diese Opfer nur 50 Millionen
DM bereitgestellt werden, liegt einzig und allein daran,
dass sie in den USA gegen Konzerne wie VW und Bayer
geklagt haben. Die 50 Millionen DM, mit denen die Kla-
gen abgewendet werden sollen, entsprechen gerade ein-
mal 5 Prozent eines Jahresgewinns von VW und Bayer.

Diese Klagen abzuwenden und das Ansehen der Indu-
strie wieder herzustellen ist in meinen Augen das domi-
nierende Motiv bei der Bundesregierung und vor allem
bei der Industrie. Das soll hier nicht verschwiegen wer-
den. In der Erklärung, die das Presse- und Informations-
amt der Bundesregierung am 16. Februar 1999 bei der
Gründung der Stiftungsinitiative veröffentlicht hat, ist es
sehr deutlich ausgesprochen worden. Darin heißt es – ich
zitiere –: Die Stiftungsinitiative wolle

Klagen, insbesondere Sammelklagen in den USA, ...
begegnen und Kampagnen gegen den Ruf unseres
Landes und seiner Wirtschaft den Boden ... entzie-
hen.

Ich erinnere an den Schweizer Bankenvergleich, in
dem sich Schweizer Banken zu Zahlungen von Milliar-
denhöhe verpflichtet haben. Für die deutsche Industrie,
die ganz andere Verbrechen während der NS-Zeit began-
gen hat als die Schweizer Banken, drohen ganz andere Ur-
teile und viel höhere Zahlungen. Das zu verhindern war
und ist das dominierende Motiv bei der Industrie und lei-
der auch bei der Bundesregierung. Es geht und ging ihnen,
wenn überhaupt, nur in zweiter Linie um die Opfer.

Die Industrie zahlt laut Gesetz 5 Milliarden DM. In
Wirklichkeit muss man davon 2,5 Milliarden DM abzie-
hen. Diese bekommt die Industrie vom Finanzamt zurück.
Zieht man dann noch die 1 bis 1,2 Milliarden DM ab, die
für die so genannten Arisierungsschäden vorgesehen sind,
also für Versicherungsbetrug und Arisierungsgewinne der
Banken, dann bleiben nur 1,3 bis 1,5 Milliarden DM
übrig, die die Industrie für Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter zahlt – hoffentlich! Denn bis heute ist
noch unklar, wann das Geld wirklich vorhanden sein wird.
Noch unsicherer ist es, wann das Geld wirklich bei den




Ulla Jelpke
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(B)


Opfern ankommt. Das Verhalten der Industrie ist und
bleibt ein Skandal.


(Beifall bei der PDS)

Wissenschaftler, wie Professor Kuczynski, haben

schon vor einiger Zeit ausgerechnet, dass die deutsche In-
dustrie in der NS-Zeit den Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeitern allein an Löhnen einen Betrag – umge-
rechnet auf heutige Preise – von 180 Milliarden DM
vorenthalten hat. Verglichen damit sind die 1,5 Milliar-
den DM, die die Industrie nun zuzahlt, einfach kläglich.

Wir haben – darauf habe ich schon hingewiesen – Ver-
besserungen im Gesetz erreicht. Ich nenne jetzt einige, die
für uns wichtig sind: Die zuerst vorgesehene Regelung,
Landarbeiter und Nichtdeportierte auszugrenzen, ist
durch eine Öffnungsklausel korrigiert werden. Die Opfer,
die gegen die deutsche Industrie geklagt haben, müssen
jetzt nicht ihre eigenen Gerichts- und Anwaltskosten zah-
len. Das Kuratorium ist durch Opfer und Vertreter von
Partnerorganisationen vergrößert worden, die nicht am
Verhandlungstisch gesessen haben. Auch die verharmlo-
sende Sprache – das ist nicht ganz unwichtig; im ersten
Gesetzentwurf war noch von „Geschehnissen“ und „Ver-
strickungen“ die Rede – ist weitgehend verschwunden. In
der Präambel werden Täter und Opfer deutlich beim Na-
men genannt.

Wichtig bleibt das Problem, dass der im Gesetz vorge-
sehene Betrag für die Opfer, die nicht am Verhand-
lungstisch gesessen haben, nicht ausreicht. Der Entschlie-
ßungsantrag ist zwar ein Versuch, dafür den Bundestag
bzw. die Bundesregierung in die Pflicht zu nehmen, aber
ich sage: Papier ist geduldig. Uns wäre es lieber gewesen,
wenn die Lösung dieses Problems im Gesetz geregelt
worden wäre. Ich erkläre hier klipp und klar für meine
Fraktion: Wenn das Geld am Ende nicht reicht, dann muss
nachgezahlt werden. Darauf werden wir bestehen.


(Beifall bei der PDS)

Die Industrie und auch die CDU/CSU – damit komme

ich zum Schluss – möchte dieses Gesetz gerne als Schluss-
strichgesetz sehen. Für uns ist das Gesetz kein Schluss-
strich, weder bezüglich der Entschädigung der Zwangs-
arbeiterinnen und Zwangsarbeiter noch der anderen
Opfer – für die schon gar nicht –, die bislang noch keine
Entschädigung für ihr Leid und keine Rehabilitierung er-
halten haben. Für sie werden wir uns auch in Zukunft ein-
setzen, und zwar sowohl im Parlament als auch außerhalb
des Parlaments. Einen Schlussstrich unter die NS-Zeit
und die in ihr begangenen Verbrechen wird es mit uns nie-
mals geben.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1411402400
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dietmar Nietan, SPD-Fraktion.


Dietmar Nietan (SPD):
Rede ID: ID1411402500
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zu Beginn meiner
Ausführungen den Menschen Dank sagen, denen hier
noch keiner gedankt hat. Ich möchte all denjenigen Dank
sagen, die wie Lothar Evers und andere über viele Jahre
hinweg die Opfer von NS-Verbrechen beraten und ihnen
in all den Jahrzehnten Mut gemacht haben, nicht die
Hoffnung aufzugeben,


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


dass ihnen irgendwann doch noch Gerechtigkeit wider-
fährt. Auch diesen Menschen muss man heute Dank sa-
gen.

Ich möchte auch Deidre Berger und den anderen Kol-
leginnen und Kollegen vom American Jewish Committee
Dank sagen, die mit ihrer mutigen Aktion, die Namen der
Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben und die da-
mals noch nicht der Stiftungsinitiative beigetreten waren,
ins Internet zu stellen, Öffentlichkeit hergestellt haben
und auf dieses düstere Kapitel das Licht geworfen haben,
das es verdient hat.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ich möchte an dieser Stelle auch meinen Fraktionskol-
leginnen und -kollegen Andrea Nahles, Simone Violka,
Michael Roth, Christoph Moosbauer und Christian
Simmert vom Bündnis 90/Die Grünen Dank sagen. Ge-
meinsam mit diesen Kolleginnen und Kollegen haben
auch gerade wir jungen Abgeordneten von Anfang an die
Diskussion nicht nur in unserer Fraktion, sondern auch
mit vielen Vertretern der NGOs über das Stiftungsgesetz
und insbesondere über den Zukunftsfonds geführt, weil
wir dies als Verpflichtung auch unserer jungen Generation
ansehen. Ich danke in diesem Zusammenhang auch mei-
ner Fraktion, dass sie mir als Vertreter der jungen Gene-
ration die Möglichkeit gibt, dies heute hier zu sagen.

Es ist sehr oft gesagt worden, dass dies heute eine hi-
storische Stunde sei. Zwar teile ich diese Einschätzung –
es ist ein historischer Moment, weil wir uns zu unserer
Verantwortung bekennen –, aber ich empfinde diesen Mo-
ment auch als einen Moment, der mich beschämt. 55 Jahre
haben die Opfer darauf warten müssen, dass das an ihnen
begangene Unrecht endlich anerkannt wird. 55 Jahre ha-
ben Menschen warten müssen, denen von Nazideutsch-
land unendlich großes Leid angetan wurde.

Wir wissen nicht, wie viele von ihnen daran zerbrochen
sind. Wir wissen nicht, wie viele von ihnen in dem Be-
wusstsein gestorben sind, dass ihnen auch die Nachfahren
der Täter eine Entschädigung und damit die Anerkennung
des an ihnen begangenen Unrechts letztlich versagt ha-
ben. Das ist, wie ich finde, schon etwas, was einem bei al-
lem Frohsein darüber, dass wir weitergekommen sind, im-
mer noch beschämen muss.

Trotz dieses bitteren Beigeschmacks möchte ich dem
Bundeskanzler ausdrücklich dafür danken, dass er sich
anders als sein Vorgänger intensiv für die zügige Reali-
sierung der längst überfälligen Entschädigungsleistungen




Ulla Jelpke

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eingesetzt hat. Herr Bundeskanzler, an dieser Stelle ge-
bührt Ihnen unser Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Mein Dank gilt aber auch den mittlerweile fast 3 000
Unternehmen, die sich in der Stiftungsinitiative zusam-
mengeschlossen haben. Diese Unternehmen – ich betone:
nur diese 3 000 Unternehmen – bekennen sich zu der Ver-
antwortung; aber es handelt sich gerade einmal um ganze
1,4 Prozent der Gesamtzahl. Anders herum gesagt: 98,6
Prozent der deutschen Unternehmen denken bisher nicht
daran, gesellschaftliche Mitverantwortung für diesen Be-
reich zu übernehmen.

Ich halte es in diesem Zusammenhang für einen Skan-
dal, dass es junge Menschen gibt, die gerade eine Firma
gegründet haben und sich trotzdem, obwohl sie mit dieser
ganzen Sache persönlich nichts zu tun haben, an der Stif-
tungsinitiative beteiligen, während es andere, saturierte
große Unternehmen gibt, die es bis heute nicht für nötig
erachten, dabei mitzumachen. Man kann es nicht deutlich
genug sagen: Das ist ein Skandal.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist schon höchst interessant, dass nun ins Felde ge-
führt wird, dass zuerst die Rechtssicherheit – das ist der
ausschlaggebende Punkt – zu 100 Prozent garantiert sein
müsse, bevor man sich beteiligen könne. In diesem Sinne
äußern sich gerade solche Personen, die sonst immer sa-
gen, der Staat möge sich doch aus möglichst allen Dingen
heraushalten. Von der amerikanischen Regierung verlan-
gen sie jetzt, den unabhängigen Gerichten genau zu sagen,
wie man Rechtssicherheit herzustellen hat.

Auch wenn ich akzeptiere, dass Rechtssicherheit für
die deutschen Firmen zweifellos eine wichtige Frage ist,
muss ich ehrlich sagen: Wenn man die Frage der Rechts-
sicherheit vor die Entschädigung der Opfer – unser
eigentliches Anliegen – stellt, dann offenbart man eine
Geisteshaltung, die nicht nur eine Geringschätzung der
durch die Gewaltenteilung garantierten Unabhängigkeit
der Gerichte darstellt, sondern auch die Opfer erneut als
Mittel für einen ökonomischen Zweck missbraucht. Das
darf man nicht durchgehen lassen. Wir als Bundestagsab-
geordnete müssen ein deutliches Zeichen setzen, dass die
zügige Entschädigung aller Opfer, die noch leben, für uns
weiterhin im Vordergrund aller Bemühungen stehen
muss.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Im Zentrum unserer Anstrengungen muss ebenfalls
stehen – das sage ich auch als Vertreter der jungen Gene-
ration –, den Opfern dadurch gerecht zu werden, dass wir
durch den Zukunftsfonds einen Beitrag dazu leisten, dass
die Erinnerung an das, was ihnen angetan wurde, nie ver-
blasst. Allein dieser Auftrag – die Erinnerung an Verfol-
gung, Ausbeutung und Vernichtung der Opfer des Natio-
nalsozialismus auch dann noch bei den zukünftigen Ge-
nerationen wach zu halten, wenn die Opfer gestorben sind
und sie den jungen Menschen ihr Schicksal nicht mehr
selbst als Zeitzeugen berichten können – rechtfertigt es,

einen Teil der Mittel der Stiftung den noch lebenden Op-
fern nicht direkt zukommen zu lassen, sondern in den Zu-
kunftsfonds fließen zu lassen.

Für mich ist der Zukunftsfonds der Teil der Stiftung,
der den Opfern gewidmet werden muss, die mittlerweile
schon verstorben sind. Ihnen kann man keine materielle
Entschädigung mehr zukommen lassen. Aber indem man
wegweisende, neue Projekte durch diesen Zukunftsfonds
fördert, mit denen der Jugendaustausch und das Wachhal-
ten bzw. die Erinnerung unterstützt werden, kann man ih-
nen noch gerecht werden; darin liegt die wesentliche Be-
rechtigung des Zukunftsfonds. Wenn man es so versteht,
dann muss jedem Versuch, den Zukunftsfonds als Stein-
bruch zu benutzen, um irgendwelche anderen Angelegen-
heiten, die man in den Verhandlungen nicht geregelt hat,
bezahlen zu können, widerstanden werden. Wir müssen
jeden Schritt in diese Richtung zurückweisen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es geht bei diesem Zukunftsfonds nicht darum, Presti-
geprojekte zu fördern – bei einigen Vorschlägen der Wirt-
schaft hatte ich diesen Eindruck –; vielmehr geht es da-
rum, vielen jungen Menschen – gerade von unten – in
Deutschland, in Israel und in den mittel- und osteuropä-
ischen Staaten die Möglichkeit zu geben, einander zu be-
gegnen. Das sollte aber immer vor dem Hintergrund des
Sichvergegenwärtigens der Geschichte des Holocaust und
seiner Einmaligkeit geschehen. Es geht darum, die Erin-
nerung an die Unvergleichbarkeit wach zu halten und in
die Zukunft zu retten. Dadurch können für junge Men-
schen Brücken gebaut werden, damit sie durch das Lernen
aus der Vergangenheit in der Lage sind, eine menschli-
chere Zukunft ohne Faschismus, ohne Rassismus und
ohne Fremdenhass zu gestalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich glaube, das ist gerade auch für uns als junge Gene-
ration sehr wichtig; denn es darf in keiner Weise einen
Schlussstrich geben. Mich irritiert, in welcher Art und
Weise jetzt einige davon reden, dass man den Gerichten
vorschreiben kann, in Bezug auf finanzielle Fragen einen
Schlussstrich zu akzeptieren. Wir sollten wirklich in aller
Deutlichkeit sagen: Diesen Schlussstrich darf es nicht ge-
ben.

Erlauben Sie mir zum Schluss, etwas von dem zu zi-
tieren, was uns Elie Wiesel am 27. Januar dieses Jahres
hier an dieser Stelle gesagt hat:

Wer einen Schlussstrich ziehen will, hat es schon
längst getan. Er hat nicht nur das Blatt gewendet,
sondern es aus seinem Bewusstsein gerissen. Wer
sich dazu herbeilässt, die Erinnerung an die Opfer zu
verdunkeln, der tötet sie ein zweites Mal.

Das, meine Damen und Herren, darf in Deutschland nie
passieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)





Dietmar Nietan
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Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1411402600
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hans-Peter Uhl, CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1411402700
Herr Präsident!
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Gestatten
Sie auch mir zu Anfang eine Bemerkung zur Arbeit
des Beauftragten der Bundesregierung, des Grafen
Lambsdorff. Völlig unbestritten haben Sie, Herr Kollege
Graf Lambsdorff, vor einem Jahr ein unglaublich schwe-
res Erbe von Ihrem Vorgänger übernommen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Ohne Rücksicht auf Ihre Gesundheit haben Sie sich einem
nervenaufreibenden Verhandlungsmarathon zur Verfü-
gung gestellt. Dabei waren Sie auch ungerechtfertigten
Angriffen ausgesetzt. Deswegen gebührt Ihnen heute
umso mehr der Respekt und der Dank des Hohen Hauses.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zu Recht, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen,
trägt die Stiftung den Titel „Erinnerung, Verantwortung
und Zukunft“; denn ohne Erinnerung und Übernahme der
Verantwortung für das Geschehene kann es keine gedeih-
liche Zukunft geben, kein friedliches Miteinander unter
Nachbarn. Wir beweisen heute unsere Verantwortung vor
der historischen Wahrheit. Der deutsche Staat und die
deutsche Wirtschaft wollen mit dieser Stiftung die bereits
geleisteten Wiedergutmachungszahlungen noch einmal
ergänzen und dadurch abermals ein Zeichen der Versöh-
nung setzen.

Das Wachhalten der Erinnerung an das vergangene
Leid darf aber nicht dazu führen, dass das Erinnern zur al-
leinigen Verpflichtung der Deutschen wird.

Die richtige Erinnerung darf nicht bei unserer scho-
nungslosen Aufdeckung von Verbrechen durch die Nazi-
herrschaft stehen bleiben. Ohne jede Aufrechnungsab-
sicht muss festgestellt werden: Das Unrecht des Naziregi-
mes hat letztlich auch das Unrecht an vielen Deutschen
ausgelöst. Aber ebenso gilt, dass ein Unrecht das andere
Unrecht niemals rechtfertigen kann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es kann kein Aufrechnen geben, weder für uns noch für
andere. Erinnern kann nicht teilbar sein.

Heute erinnern wir an die Opfer des Naziregimes und
übernehmen wieder Verantwortung. Gerade heute ist es
deshalb aber auch eine Verpflichtung des Deutschen Bun-
destages, jener unschuldigen Deutschen zu gedenken, de-
nen als Zwangsarbeiter schweres Leid und grausamste
Behandlung widerfahren sind. So müssen wir uns daran
erinnern, wie der jüdische Deutsche Hans-Georg Adler,
der während des Zweiten Weltkriegs in Theresienstadt in-
haftiert war, die Verhältnisse im ehemaligen KZ The-
resienstadt im Jahre 1946, also nach dem Krieg, schil-
derte:

Bestimmt gab es unter ihnen welche, die sich
während den Besatzungsjahren manches haben zu-
schulden kommen lassen, aber die Mehrzahl, darun-

ter viele Kinder und Halbwüchsige, wurden bloß
eingesperrt, weil sie Deutsche waren.

Er fährt fort:
Nur weil sie Deutsche waren ...? Der Satz klingt
erschreckend bekannt; man hatte bloß das Wort „Ju-
den“ mit „Deutsche“ vertauscht. ... Die Menschen
wurden elend ernährt, misshandelt und es ist ihnen
um nichts besser gegangen, als man es von deutschen
Konzentrationslagern her gewohnt war.

Wir stimmen der Zwangsarbeiterentschädigung zu.
Aber wir müssen auch an das Folgende erinnern: Allein
in einem von 1 255 polnischen Arbeits- und Deportati-
onslagern kamen beispielsweise von 8 064 Insas-
sen 6 488 Deutsche ums Leben. Darunter waren auch
628 Kinder, die wirklich nichts für Hitlers Herrschaft
konnten. Viele der Zwangsarbeiter ließ man verhungern,
prügelte sie zu Tode oder erschoss sie. Wer nicht arbeiten
konnte, wurde ermordet.

Wir stimmen heute der Zwangsarbeiterentschädi-
gung zu. Aber wir müssen auch daran erinnern: In der
Tschechoslowakei gab es 2 061 Arbeits-, Straf- und Inter-
nierungslager. In Jugoslawien gab es 1 562 Lager. Dort
wurde zwischen Arbeitslagern und Lagern für Arbeitsun-
fähige unterschieden. In diesen letzteren Lagern wurden
die Menschen systematisch vernichtet. Im größten ju-
goslawischen Vernichtungslager, Rudolfsgnad, sind von
33 000 deutschen Insassen 9 503 umgebracht worden,
darunter 491 Kinder unter 14 Jahren.

Wir stimmen der Zwangsarbeiterentschädigung zu.
Aber wir müssen auch an die 700 000 deutschen Zivilis-
ten erinnern, darunter viele Frauen und Kinder, die nach
1945 zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert wur-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Hunderttausende von deutschen Kriegsgefangenen

mussten sich völkerrechtswidrig in Sibirien bis Mitte der
50er-Jahre zu Tode schuften. Weit über 2 Millionen Deut-
sche sind nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges durch
Vertreibung, Internierung und Zwangsarbeit zu Tode ge-
kommen. All dies geschah übrigens in demselben Zeit-
raum, als in den Nürnberger Prozessen gegen Nazigrößen
Todesurteile wegen ebendieser Straftaten, also wegen De-
portation, Zwangsarbeit und Vernichtung, ausgesprochen
wurden.

Verantwortung beginnt mit der Wahrhaftigkeit und sie
endet mit ihr. Ob Christ, Jude oder Atheist, ob Pole, Russe
oder Deutscher: Was man ihnen in den Arbeitslagern des
Zweiten Weltkrieges und danach angetan hat, waren Ver-
brechen gegen die Menschlichkeit. Der englische Be-
richterstatter Bashford schrieb bereits im Sommer 1945
an das englische Außenamt:

Die Konzentrationslager sind nicht aufgehoben, son-
dern von den neuen Besitzern übernommen worden.
... In Swientochlowice, einem Ort in Oberschlesien,
müssen Gefangene, die nicht verhungern oder zu
Tode geprügelt werden, Nacht für Nacht bis zum
Hals im kalten Wasser stehen, bis sie sterben. In






(C)



(D)



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Breslau gibt es Keller, aus denen Tag und Nacht die
Schreie der Opfer dringen.

In einem Bericht an den amerikanischen Senat vom
28. August 1945 heißt es:

Man hätte erwarten dürfen, dass nach der Ent-
deckung der Scheußlichkeiten, die sich in den
Konzentrationslagern der Nazis ereigneten, niemals
wieder Derartiges geschehen würde; das aber scheint
leider nicht so zu sein.

So wie das Erinnern unteilbar und Leid nicht teilbar ist,
so ist auch die Verantwortung für Verbrechen nicht teilbar.

Willy Brandt kniete in Auschwitz nieder. Roman
Herzog bat im Warschauer Getto um Vergebung. Deut-
sche haben sich zu Recht für deutsche Untaten immer
wieder entschuldigt und um Vergebung gebeten. Wir ver-
missen aber, dass sich auch die Gegner von einst ihrer
Verantwortung stellen. Eine wahre Aussöhnung kann es
aber nicht geben, wenn das Leid des einen anerkannt und
das Leid des anderen geleugnet wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Dichter sagt:
Wer sich nicht erinnert und damit die eigene Verant-
wortung leugnet, der sät die Blumen des Bösen: Auf
dieser Saat der Selbstgerechtigkeit blüht keine Zu-
kunft und gedeiht keine gute Nachbarschaft in Eu-
ropa.

Wir stimmen der Stiftung zu, aber in unserer heutigen
Fraktionserklärung fordern wir diejenigen Staaten auf,
„die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Deutsche
verschleppt und unter unmenschlichen Bedingungen zur
Arbeit gezwungen haben, den noch lebenden deutschen
Opfern eine der deutschen Regelung zur Zwangsarbeiter-
frage entsprechende Entschädigung in Form einer huma-
nitären Geste zu gewähren“.

Wer dies verweigert mit der Begründung, dass das
deutsche Leid auf das Konto der Nazis gehe, vergisst
zweierlei: Zum einen war der Zweite Weltkrieg zu diesem
Zeitpunkt bereits zu Ende. Zum anderen wurden diese
Verbrechen zumeist an unschuldigen Zivilisten begangen.

Wir wollen nur, dass die Prinzipien der Wahrhaftigkeit
und Gerechtigkeit für alle Menschen, also auch für Deut-
sche, gelten. Vaclav Havel hat Recht, wenn er fordert: Je-
des Volk sollte sich um einen ehrlichen Umgang mit sei-
ner Geschichte bemühen.

Die Geschichte kennt keinen Schlussstrich. Das wissen
wir. Verantwortung für die Zukunft bedeutet deshalb, dass
wir die Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalso-
zialismus fortführen werden. Wohl aber muss es für die
Menschen in diesem Lande die Gewissheit geben, dass
die materiellen Wiedergutmachungsleistungen irgend-
wann ein Ende haben. Denn über 70 Prozent der heute le-
benden Deutschen sind nach 1945 geboren.

Als Opposition gehen wir davon aus, dass die Bundes-
regierung, die die entscheidenden Gespräche geführt hat,
den Gesamtkomplex der Entschädigung nun so geregelt
hat, dass sich die vielfältig geäußerte Besorgnis, es könne

zu immer neuen Nachforderungen kommen, als haltlos er-
weist. Wir sind aber umso mehr überrascht über den heute
vorgelegten gemeinsamen Entschließungsantrag der
SPD, der F.D.P., der Grünen und der PDS. Darin wird
nämlich unmissverständlich die Bereitschaft zu neuen fi-
nanziellen Leistungen bereits jetzt in Aussicht gestellt.
Wir lehnen das ab.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.

„Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ – dieser Titel
der Stiftung ist Ausdruck des deutschen Bemühens um
Versöhnung und materiellen Ausgleich für das von deut-
scher Seite verursachte Leid. Über ein halbes Jahrhundert
nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges muss es aber
auch für Deutsche eine historische Gerechtigkeit geben.
Wir fordern nicht mehr und nicht weniger als diese Ge-
rechtigkeit.

Wir Deutschen werden das Leid, das unsere Vorväter
anderen angetan haben, bestimmt nicht vergessen. Aber
nur mit Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit schaffen wir
Vertrauen und nur mit Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit
schaffen wir eine wahre Versöhnung zwischen den Völ-
kern im zusammenwachsenden Europa.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1411402800
Ich erteile dem Kolle-
gen Christian Simmert, Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort.


Christian Simmert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411402900

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und
Herren! Ich bin froh und dankbar, hier im Deutschen Bun-
destag eine Entscheidung mit treffen zu können, die aller-
dings schon längst hätte getroffen werden müssen.

Für uns alle ist das Gesetz zur Entschädigung der
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ein historischer
Schritt, vor allem für die Opfer, von denen nach so vielen
Jahrzehnten leider nur noch zu wenige diesen Augenblick
erleben können.

Dieser historische Schritt kann aber nicht der letzte
Schritt in der Auseinandersetzung um die deutsche Ver-
gangenheit sein – weder im politischen noch im gesell-
schaftlichen Raum. Vielmehr muss ein neues Kapitel in
der Erinnerungsarbeit aufgeschlagen werden, ein Kapitel,
das gerade der jungen Generation eine Auseinanderset-
zung mit Naziterror, Holocaust und Zwangsarbeit ermög-
licht.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Das Gesetz zur Entschädigung von ehemaligen
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern ist kein
Schlussstrich und darf kein Schlussstrich sein. Ich denke,
das haben die Beteiligten mit dem Titel der Stiftungs-
initiative „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ aus-
drücken wollen.

Gerade der Zukunftsfonds hat in diesem Sinne eine
zentrale Bedeutung. Dieser kann mit dafür sorgen, dass




Dr. Hans-Peter Uhl
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(D)



(A)



(B)


nicht Schlussstrichgedanken vorherrschen, sondern die
Erinnerungsarbeit eine neue Dimension bekommt. Wenn
immer weniger Zeitzeuginnen und Zeitzeugen jungen
Menschen unmittelbar aus ihren Erfahrungen berichten
können, dann werden wir lernen müssen, neue Wege der
Erinnerung zu gehen. Der Zukunftsfonds sollte deshalb
besonders für neue, innovative Projekte genutzt werden,
die sich gerade dieser Entwicklung stellen.

Was können zukünftige Generationen nicht nur über
die deutsche Vergangenheit erfahren, sondern vor allem
daraus lernen? Wie kann Erinnerungsarbeit in Schulen
nicht verschult, sondern lebendig gestaltet werden, und
dies vor dem Hintergrund, dass sich Europa näher kommt
und sich unsere Gesellschaft verändert? Wie gehen junge
Menschen in einem anderen kulturellen Kontext mit der
deutschen Vergangenheit um und welche Verantwortung
leiten sie für sich daraus ab? Neue und alte Fragen müs-
sen gerade für die junge Generation und die zukünftigen
Generationen immer wieder beantwortet werden. Schon
deshalb kann es keinen Schlussstrich geben.

Es wäre jedoch falsch, zu glauben, dass sich die Erin-
nerungsarbeit in Zukunft „nur“ auf den Zukunftsfonds der
Stiftungsinitiative beschränkt. So wichtig der Fonds an
sich ist, so wichtig ist es auch, dass die bisherige
Erinnerungsarbeit weiterhin geleistet und finanziert wird.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der PDS)


Grundvoraussetzung für die Stiftungsinitiative gene-
rell und damit auch für den Zukunftsfonds ist jedoch, dass
die deutsche Wirtschaft endlich ihren Teil der Verant-
wortung annimmt. Es kann nicht sein – auch ich finde das
beschämend –, dass es noch immer Unternehmen gibt, die
Zwangsarbeiter beschäftigt haben und die sich jetzt ihrer
Verantwortung entziehen wollen, junge Unternehmen
aber, die es erst seit kurzem gibt, Mitglied der Stiftungs-
initiative sind. Es geht bei der Entschädigung ehemaliger
Zwangsarbeiter um die moralische Gesamtverantwortung
der deutschen Wirtschaft. Vor dem Hintergrund von Fu-
sionen und den Summen, die dabei im Spiel sind, kann ich
mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es für einige Un-
ternehmen eher um Peanuts geht als um einen finanziel-
len Kraftakt.

Auch ich möchte mich für die gute Zusammenarbeit
bedanken. Ich hoffe, dass wir in Zukunft an diesem
Thema weiterarbeiten und gemeinsam für eine Erinne-
rungsarbeit eintreten, die diesen Namen auch verdient.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1411403000
Ich erteile das Wort
dem Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411403100
Herr Prä-
sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen
Sie mich zum Ende dieser sehr bewegenden Debatte,
nachdem Graf Lambsdorff als Beauftragter der
Bundesregierung schon vorgetragen hat, wie diese Stif-

tungsinitiative zustande gekommen ist, für die Bundesre-
gierung noch wenige Bemerkungen machen.


(Unruhe)

Wir dürfen nie vergessen, welch unvergleichliche Ver-

brechen in der Zeit zwischen 1933 und 1945 von unse-
rem Lande ausgegangen sind. 55 Millionen Tote und die
systematische Ausrottung ganzer Völker und Ethnien mit
der unglaublichen Begründung, dass das eigentlich gar
keine Menschen seien, gehören in diese Phase. Sich daran
zu erinnern ist schmerzhaft. Die deutsche Nachkriegsge-
schichte ist sehr schmerzhaft und auch sehr wider-
sprüchlich verlaufen. Aus dieser Geschichte auszutreten
ist niemandem erlaubt. Auch jetzt noch, da eine andere
Generation hier sitzt, haben wir Verantwortung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.] – Unruhe)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1411403200
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich bitte doch wenigstens bei diesem
Thema um eine gewisse Ruhe, damit der Redner über-
haupt noch zu verstehen ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.])



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411403300
Wir tra-
gen Verantwortung, weil wir das Erbe nicht ausschlagen
können, das Gute nicht – das wollen wir auch nicht –, aber
das Schlechte ebenso wenig.

Deswegen tragen wir Verantwortung dafür, dass sich
das Geschehene in der Zukunft nie wiederholt. So sind
übrigens viele meiner Generation überhaupt zum politi-
schen Engagement gekommen: Sie wollten nie wieder so
etwas wie das erleben, was wir von 1933 bis 1945, aus-
gehend von Deutschland, erlebt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der PDS)


Wir haben uns schwer getan. Wir haben uns bemüht,
wieder gutzumachen – wenn das denn überhaupt geht. Je-
denfalls kann dieses Leid auf materiellem Wege nicht
wirklich ausgeglichen werden. Aber man kann sich be-
mühen. Ich will ausdrücklich betonen: Das ist seit Anfang
der 50er-Jahre geschehen; dieser Hinweis ist richtig. Die
Vereinten Nationen haben das deutsche Vorgehen in die-
sem Zusammenhang als eine beispielhafte Aufarbeitung
von Krieg und Diktatur anerkannt.

Aber wir haben lange gebraucht. Das, worüber wir
heute diskutieren und was wir heute entscheiden wollen,
hätte vielleicht schon viel früher entschieden werden kön-
nen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Aber da dies bisher nicht der Fall gewesen ist, müssen wir
dies jetzt tun.




Christian Simmert

10769


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich freue mich darüber – dazu möchte ich herzlichen
Dank sagen –, dass es in diesem Hause bei dieser Gesetz-
gebung die Zustimmung aller Fraktionen und wohl fast
aller Mitglieder geben wird. Dies ist keine Schluss-
strichgesetzgebung in dem Sinne, dass wir uns danach
umdrehen und sagen könnten: Damit ist für uns die Zeit
von 1933 bis 1945 ein für alle Mal historisch abgeschlos-
sen. Das wird sie nie sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wir versuchen aber, materiell zu einem Ergebnis zu kom-
men.

Dass wir im Rahmen des Haushaltes – ich sage das als
Finanzminister – weiter helfen werden, dass wir weiter
Entschädigungsleistungen erbringen – etwa 150 000
Rentnerinnen und Rentner bekommen weiter Entschädi-
gungsleistungen; das muss auch so sein –, ist auch hier
eine humanitäre Geste unsererseits.

Ich will – wie alle anderen Redner auch – zuallererst
Graf Lambsdorff sehr herzlich dafür danken, dass er diese
außerordentlich schwierige Frage sehr sensibel und sehr
bestimmt zu einem Ergebnis geführt hat.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Ich sage Dank auch an die amerikanische Regierung
und stellvertretend an Stuart Eizenstat, den stellvertreten-
den Finanzminister und für Graf Lambsdorff führenden
Gesprächspartner auf der anderen Seite des Verhand-
lungstisches.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Ich sage Dank an die Stiftungsinitiative der deutschen
Wirtschaft sowie ganz besonders an Herrn Dr. Gentz und
an die an die Spitze der Initiative getretenen Unterneh-
men, die es geschafft haben, dass alle anderen Unterneh-
men ihrem Beispiel folgen, egal ob sie Zwangsarbeiter be-
schäftigt haben oder nicht.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie der Abg. Dr. Christa Luft [PDS])


Denn hier wird von denjenigen, die sich engagieren, eine
beispielhafte Initiative geleistet. Wenige fragen danach,
ob sie rechtlich verpflichtet sind oder nicht. Diejenigen
Unternehmen, die nach dem Krieg neu gegründet worden
sind und historisch mit der Entschädigung der Zwangsar-
beiter nichts zu tun haben, aber die wie wir als Bürgerin-
nen und Bürger begreifen, dass wir nicht aus der Ge-
schichte austreten können, geben ein hervorragendes Bei-
spiel. Diejenigen, die schon in der Vergangenheit dabei
gewesen sind, hätten nun allen Grund, sich jetzt auch an
den Entschädigungszahlungen zu beteiligen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Für die Bundesregierung ist aber auch klar: Hier wird
kein neues Kapitel im Hinblick auf Reparationen eröffnet.

Dieses Kapitel ist abgeschlossen. Die Bundesregierung
und das ganze deutsche Volk leisten zum Beispiel im Rah-
men ihrer Hilfe zur Integration der mittel- und osteu-
ropäischen Länder in die Europäische Union große
Anstrengungen. Unsere eigentliche Zukunftsaufgabe ist –
denn das ist die Lehre, die wir aus der Vergangenheit zu
ziehen haben –, alle diese Länder zu einem vereinigten
Europa zusammenzuschließen


(Beifall bei der SPD)

und zu helfen, dass sie dieselbe Entwicklung nehmen, wie
wir sie, ökonomisch gesehen, erfahren haben. Das ist un-
ser Zukunftsbeitrag, den wir – ich hoffe, das bleibt auch
so – gerne leisten wollen. Ich wiederhole es: Reparationen
haben keine Zukunft. Es wird von Deutschland aus keine
Debatten darüber geben. Dazu werden wir nicht mehr die
Hand reichen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Eine humanitäre Geste aber musste von uns ausgehen –
das ist die Errichtung dieser Stiftung –, wenigstens heute,
wenn dies schon in den vergangenen Jahren nicht geleis-
tet worden ist. Die Stiftung kann auch unmittelbar tätig
werden. Dies setzt allerdings voraus, dass alle, die an dem
Tisch gesessen haben, an dem Graf Lambsdorff für uns
die Verhandlung führte, ihren Beitrag dazu leisten. Das
sage ich mit Nachdruck gerade angesichts der Sammel-
klagen in den Vereinigten Staaten und denen, die noch an-
gedroht werden.

Ich unterstreiche ausdrücklich, dass es im Rahmen die-
ser Stiftung möglich sein wird – das ist die Position der
Bundesregierung –, alle gerecht zu behandeln. Das be-
zieht sich auch auf diejenigen, die nicht am Verhand-
lungstisch gesessen haben. Wir sollten auch so schnell wie
irgend möglich mit den Auszahlungen beginnen; denn die
Menschen sind alt. Graf Lambsdorff hat darauf hingewie-
sen, wie viele Menschen sozusagen wegsterben. Wenigs-
tens unsere Geste sollte diese Menschen noch erreichen
und etwas versöhnen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie des Abg. Roland Claus [PDS])


Deswegen sind wir an einer schnellen Auszahlung inte-
ressiert.

Lassen Sie mich noch eines sagen: Es ist ein gutes Zei-
chen, dass alle Fraktionen bzw. fast alle Mitglieder des
Deutschen Bundestages zustimmen. Das symbolisiert un-
sere ausgestreckte Hand gegenüber den Opfern. Wir wis-
sen, dass dies keinen Schlussstrich darstellt. Es ist viel-
mehr die Verpflichtung, für alle Zukunft dafür zu sorgen,
in unserem Lande und überall, dass Menschen als Men-
schen behandelt werden und nicht so, wie wir es in den
zwölf Jahren von 1933 bis 1945 – dies hatte auch große
Nachwirkungen – erlebt haben.

Herzlichen Dank für Ihre Zustimmung.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)





Bundesminister Hans Eichel
10770


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1411403400
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die
Grünen, der F.D.P. und der PDS sowie der Bundesregie-
rung eingebrachten Gesetzentwurf zur Errichtung einer
Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“,
Drucksachen 14/3206, 14/3459 und 14/3758. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Die Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen verlangen namentliche Ab-
stimmung. Ich bitte also die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.

Bevor ich die Abstimmung eröffne, möchte ich mittei-
len, dass zahlreiche Erklärungen zur Abstimmung zu Pro-
tokoll gegeben worden sind.1) Ich erspare mir die Verle-
sung der Namen, da dies sehr lange dauern würde. Ich
möchte nur noch darauf hinweisen, dass der Kollege
Volker Beck eine schriftliche Erklärung zur Aussprache
abgegeben hat.2)

Sind alle Urnen besetzt? – Dann können wir mit der
Abstimmung beginnen. Ich eröffne die Abstimmung. –

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim-
me noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das
Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt ge-
geben.3)

Wir setzen die Beratungen fort und kommen jetzt zur
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktio-
nen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, F.D.P. und PDS
auf Drucksache 14/3790. Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD,
Bündnis 90/Die Grünen, F.D.P. und PDS gegen die Stim-
men der CDU/CSU-Fraktion angenommen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Innenaus-
schusses zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem Ti-
tel „Zügige Entschädigung für Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter und Errichtung einer Bundesstiftung“.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksa-
che 14/1694 für erledigt zu erklären. Die PDS-Fraktion ist
damit einverstanden. Damit ist dieser Antrag erledigt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktion der PDS zur Änderung des Einkommensteu-
ergesetzes auf Drucksache 14/472. Der Finanzausschuss
empfiehlt auf Drucksache 14/3731, den Gesetzentwurf
abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt

dagegen? – Stimmenthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD,
CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. abgelehnt
worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung
die weitere Beratung.

Ich rufe Zusatzpunkt 3 auf:
Vereinbarte Debatte zur Steuerpolitik

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Kollege
Joachim Poß, SPD-Fraktion.


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1411403500
Herr Präsident! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag ent-
scheidet heute über eine wichtige Frage des Standorts
Deutschland: über den Fortgang des wirtschaftlichen Auf-
schwungs, über die weitere Rückführung der Arbeitslosig-
keit und über massive Steuerentlastungen für Arbeitneh-
mer, Wirtschaft und Mittelstand. Ich habe keine Zweifel,
dass der Deutsche Bundestag dem Vermittlungsergebnis
zum Steuersenkungsgesetz mit überzeugender Mehrheit
zustimmen wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen des Abg. JochenKonrad Fromme [CDU/CSU])


– Herr Fromme, mit Ihrer Stimme wird man nicht rechnen
können, aber, ehrlich gesagt, beruhigt mich das eher.


(Beifall bei der SPD)

Alle müssen wissen, dass die Wachstumsaussichten

ohne diese Steuerreform erheblich zurückgeschraubt wer-
den müssen. Das DIW zum Beispiel rechnet für das
nächste Jahr mit einem Wachstum von nur noch 2 Prozent
statt der ursprünglich erwarteten 2,75 Prozent. Bei der
Entscheidung, die wir heute Morgen treffen, geht es ganz
konkret um Arbeitsplätze und neue Chancen für Arbeits-
lose in Deutschland.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das müssen Sie von der Opposition bedenken und wis-
sen. Das müssen die Ministerpräsidenten der Länder am
nächsten Freitag bedenken, wenn sie über dieses Vermitt-
lungsergebnis abstimmen. Das gilt insbesondere für die
unionsgeführten oder von der Union mitregierten Lan-
desregierungen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist doch kein Vermittlungsergebnis!)


Ich verhehle aber nicht: Das gilt auch für sozialdemokra-
tische Ministerpräsidenten. Es muss bedacht werden, was
hier auf dem Spiel steht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlagen 7–20
2) Anlage 21
3) s. Seite 10773

Sie werden sich in den nächsten acht Tagen entschei-
den müssen, ob Sie der totalen Blockadestrategie des
Herrn Merz folgen wollen.


(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Denn dann kann die Steuerreform endgültig scheitern.
Die Landesregierungen sollten sich vor Augen führen,
was das bedeutet. Herr Merz behauptet: Kein Gesetz ist
besser als dieses Gesetz. So lautet seine Kernbotschaft.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Eigentlich können die Länder, egal ob SPD- oder
CDU-geführt, diese Botschaft nicht teilen. Sie wissen
nämlich: Verhandlungsgegenstand war zumindest aus
Sicht der CDU/CSU bisher leider nicht unser Steuerre-
formkonzept, auf dem Spiel stand das politische Prestige
des Fraktionsvorsitzenden Merz.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Die Eitelkeit!)

Das hat er selbst so gewollt und deshalb war Herr Merz

bisher eine schwere Hypothek für das Vermittlungsver-
fahren. Es ist eine sehr teure Rehabilitationsmaßnahme,
die hier durchgeführt wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist nicht hinzunehmen, dass sich das negativ auf die
Chancen unserer Republik auswirkt. Die Opposition ist in
dieses Vermittlungsverfahren offensichtlich ohne den Wil-
len zu einer Vermittlung gegangen.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Ohne Fähigkeit!)

Das ist das Entscheidende.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Das stimmt doch nicht!)


Dagegen sind SPD und Grüne der Union ein großes Stück
entgegengekommen, zum Beispiel beim Spitzensteuer-
satz, beim Tarif und beim so genannten Optionsmodell.
Das alles soll jetzt wegen des verbissenen Kampfs des
Herrn Merz um sein politisches Profil nicht in Kraft tre-
ten?


(Michael Glos [CDU/CSU]: Wer ist denn hier verbissen?)


Ist es denn nicht so, dass es mittlerweile in der Union hin-
ter vorgehaltener Hand heißt: „Kein Merz ist besser als
dieser Merz“?


(Beifall bei der SPD)

Das Steuersenkungsgesetz sieht Steuerentlastungen

für alle vor: Arbeitnehmer, Mittelstand und Großunter-
nehmen. Es begünstigt Arbeiter, Angestellte, Freiberufler,
kleine, mittlere und große Personenunternehmen sowie
Kapitalgesellschaften. Die Steuerentlastungen sind mas-
siv. Das Steuersenkungsgesetz hat nach dem Ergebnis des
Vermittlungsverfahrens ein Entlastungsvolumen von rund
50 Milliarden DM. Was ist das für eine Logik, Herr Merz:
Keine Entlastung ist besser als diese Entlastung von
50 Milliarden DM?

Darum geht es: Wollen Sie den Menschen wirklich
weismachen, dass das geltende Vollanrechnungsverfah-
ren bei der Körperschaftsteuer es wert ist, auf diese Steu-
erentlastung verzichten zu müssen? Ein Lediger mit ei-
nem Einkommen in Höhe von 70 000 DM muss im Jahre
2005 – das wird voraussichtlich das Durchschnittsein-
kommen sein – 2 640 DM weniger und ein Verheirateter
muss 3 316 DM weniger im Jahr zahlen. Darauf sollen die
Steuerzahler wegen dieses durchsichtigen Spiels, das auf
der rechten Seite des Hauses gespielt wird, verzichten?
Das kann doch wohl nicht wahr sein!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ludwig Stiegler [SPD]: Unglaublich!)


Ich will hier nicht in den Streit über das Für und Wider
des Vollanrechnungsverfahrens und des von uns vorge-
schlagenen Halbeinkünfteverfahrens einsteigen. Aber
eines sollten die Menschen wissen: Den Systemwechsel
zum Halbeinkünfteverfahren hat eine Kommission vorge-
schlagen, die mit Wissenschaftlern, Steuerexperten von
Wirtschaft und Gewerkschaften, Verbänden, mit Rechts-
anwälten und Praktikern der Finanzverwaltung besetzt
war, also mit Leuten, die wissen, wovon sie sprechen, weil
sie aus der Praxis kommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn Herr Merz sich auf Professoren stützt,


(Zuruf von der CDU/CSU: Die wissen ja nichts!)


– natürlich wissen die etwas; ich stelle deren Autorität gar
nicht infrage; selbstverständlich gibt es Argumente für das
Vollanrechnungsverfahren; dies haben wir auch in der
Diskussion im Vermittlungsausschuss nicht infrage ge-
stellt –,


(Michael Glos [CDU/CSU]: Professor Poß!)

denen zur fehlenden Europatauglichkeit des Vollanrech-
nungsverfahrens nur einfällt, dass man ja über alle be-
troffenen Doppelbesteuerungsabkommen neu verhandeln
kann, darf man sich nicht wundern, wenn sich alle über
Merz wundern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dies gilt umso mehr, als Herr Merz am 15. Fe-
bruar 2000, damals noch als stellvertretender Fraktions-
vorsitzender, der „FAZ“ gesagt hat, man könne über einen
Ersatz des derzeit geltenden Vollanrechnungsverfahrens
sprechen. Die Union sei hier nicht für alle Tage festgelegt. –
Welch eine Formulierung! Das heißt, man hat sich auf
diese Frage möglicherweise nur bis zum 14. Februar fest-
gelegt und dann wird man weitersehen. Man kann im
Zweifel für alles auf ein Zitat zurückgreifen. Welch ein fa-
tales Spiel, meine Damen und Herren!


(Beifall bei der SPD)

Herr Merz, Sie sollten sich wieder an das erinnern, was

Sie als stellvertretender Fraktionsvorsitzender gesagt ha-
ben. Ist es nicht höchste Zeit, dass Sie Ihre vorgeschobe-
nen Argumente, dass es um einen Systemwechsel oder um




Joachim Poß
10772


(C)



(D)



(A)



(B)


die angeblich fehlende Gleichmäßigkeit der Besteuerung
gehe, beiseite räumen und sich dem Kern nähern? Zu un-
serem Konzept gibt es nämlich keine vernünftige und vor
allen Dingen finanzierbare Alternative.


(Beifall bei der SPD)

Mit unserem Kompromissangebot im Vermittlungsver-

fahren haben wir die bereits im Gesetzentwurf vorgese-
hene Steuerentlastung um weitere 5 Milliarden DM aus-
geweitet. Dies können wir mit Blick auf die Haushalte des
Bundes und der Länder noch verantworten, weil wir un-
ser Konsolidierungsziel, im Jahre 2006 ohne Neuver-
schuldung auszukommen, damit noch darstellen und auch
die Länder damit noch verfassungsmäßige Haushalte ver-
abschieden können. Wir halten an unseren Leitplanken
fest: Haushaltssanierung auf der einen und Steuerent-
lastung auf der anderen Seite.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das sind die Markenzeichen dieser Koalition: Nachhal-
tigkeit der Finanzpolitik und Generationengerechtigkeit.
Dies spiegelt sich auch in unserem Kompromissvorschlag
im Vermittlungsverfahren wider.

Dagegen sind Ihre Vorschläge – was alle wissen – nicht
finanzierbar.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dies hat Herr Merz in einem Interview mit der „Financial
Times“ am 20. Juni zugegeben; sehr zum Ärger der CSU
und von Herrn Faltlhauser. Herr Merz, warum wollen Sie
plötzlich keinen Spitzensteuersatz von 35 Prozent mehr?
Dies ist doch Gegenstand Ihres Konzeptes. Glauben Sie,
die Bürger nehmen solche Zickzackerklärungen eines
Fraktionsvorsitzenden noch ernst? Sie wussten doch, dass
ein Spitzensteuersatz von 35 Prozent nur zu finanzieren
ist – darüber gibt es zig Äußerungen –, wenn zum Beispiel
die Steuerfreiheit von Sonntags-, Feiertags- und Nachtar-
beitszuschlägen abgeschafft wird. Nur unter solchen Um-
ständen ist das möglich. Da sage ich Ihnen für die Sozial-
demokraten: Mit der SPD wird es keine Absenkung des
Spitzensteuersatzes zulasten von Krankenschwestern,
Facharbeitern, Handwerksgesellen und anderen Arbeit-
nehmern geben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dabei kennen wir die steuersystematischen Argumente
und wissen auch, dass der Ball eigentlich ins Feld der Ta-
rifparteien gehört.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Ja! Da gehört er hin!)


Aber so kann man eine Praxis, die sich in 50 Jahren ein-
geschliffen hat und deren Änderung auch während Ihrer
Regierungsverantwortung, Herr Gerhardt, nur zaghaft an-

gepackt wurde, leider nicht ändern. Eines muss klar sein:
Eine Krankenschwester muss zu den Gewinnern der Steu-
erreform gehören und darf am Ende nicht dafür bluten,
dass Sie, Herr Gerhardt, hier wahnsinnige, unfinanzier-
bare Tarife vorschlagen. Das ist doch der Punkt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Was macht denn die freiberufliche Hebamme?)


– Die profitiert auch von den Tarifsenkungen, Herr
Gerhardt. Schauen Sie einmal nach. Möglicherweise ge-
bricht es Ihnen auch an dieser Stelle wieder an Sach-
verstand.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Oh, oh! Herr Poß!)


Auch die größte Oppositionspartei im Bundestag hat
neben ihrer Rolle, die Regierung zu kontrollieren, eine ge-
samtgesellschaftliche Aufgabe. Herr Merz und alle an-
deren, Sie sind doch auch Ihren Wählerinnen und
Wählern verpflichtet – und die wollen jetzt auch entlastet
werden, ob sie Mittelständler sind oder Arbeitnehmer.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben eine Entscheidungsgrundlage geschaffen, in
der sich nicht nur die Vorstellungen der Sozialdemokraten
und der Grünen wiederfinden, sondern auch Ihre Vorstel-
lungen.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Nein!)

Das jetzt vorliegende Gesetz ist für uns, für Sie und für die
Bundesländer akzeptabel. Es ist ein Gesetz, das die Wirt-
schaft jetzt braucht. Es ist ein Gesetz, auf das die Arbeit-
nehmer nicht länger warten wollen. Wer sagt: „Lieber
kein Gesetz als dieses Gesetz“, der will das Scheitern der
Reform.


(Beifall bei der SPD)

Ich bin aber zuversichtlich, dass wir heute und auch in

der nächsten Woche, am 14. Juli, eine Mehrheit für die po-
litische Vernunft und die Interessen aller Steuerzahler er-
reichen, eine Mehrheit für mehr Arbeitsplätze und den
Abbau der Arbeitslosigkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ludwig Stiegler [SPD]: Gut gebrüllt, Löwe!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411403600
Bevor ich den
nächsten Redner aufrufe, gebe ich Ihnen das von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb-
nis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf
eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung,
Verantwortung und Zukunft“ bekannt. Abgegebene Stim-
men 620. Mit Ja haben gestimmt 556, mit Nein haben ge-
stimmt 42, Enthaltungen gab es 22.




Joachim Poß

10773


(C)



(D)



(A)



(B)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 620

ja: 556
nein: 42
enthalten: 22

Ja
SPD
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)


Arne Fuhrmann
Prof. Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Wolfgang Grotthaus
Karl Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Prof. Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf

Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Prof. Dr. Jürgen Meyer

(Ulm)


Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Gerhard Neumann (Gotha)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Prof. Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Prof. Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht

Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Volkmar Schultz (Köln)

Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz (Oldenburg)

Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie
Sonntag-Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
10774


(C)



(D)



(A)



(B)


Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff (Zielitz)

Heidemarie Wright
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley

CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Cajus Caesar
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Heiner Geißler
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Gottfried Haschke

(Großhennersdorf )


Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser (Bonn)

Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Klaus Holetschek
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Bartholomäus Kalb
Irmgard Karwatzki
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Thomas Kossendey
Dr. Martina Krogmann
Dr.-Ing. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Werner Lensing
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold

(Offenbach)


Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhelmshaven)

Erwin Marschewski

(Recklinghausen)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Bernward Müller (Jena)

Bernd Neumann (Bremen)

Claudia Nolte
Günter Nooke
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Dr. Peter Paziorek

Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Hannelore Rönsch

(Wiesbaden)


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Adolf Roth (Gießen)

Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt (Mülheim)

Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Diethard Schütze (Berlin)

Dr. Christian Schwarz-
Schilling

Horst Seehofer
Rudolf Seiters
Bernd Siebert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten

Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Gunnar Uldall
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl

Aribert Wolf
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Katrin Dagmar Göring-
Eckardt

Winfried Hermann
Antje Hermenau
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth (Augsburg)

Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)

F.D.P.
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

10775


(C)



(D)



(A)



(B)


Der Gesetzentwurf ist damit mit der großen Mehrheit
des Hauses angenommen worden.


(Beifall im ganzen Hause)

Wir fahren jetzt in der Debatte fort. Als Nächste hat die

Abgeordnete Gerda Hasselfeldt das Wort.

Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) (von Abgeordneten
der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Es gibt in diesem Haus eine
breite Übereinstimmung darüber, dass wir eine Steuerre-
form brauchen. Es gibt auch eine breite Übereinstimmung
darüber, dass wir eine solche wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das haben wir bei Ihnen aber nicht gespürt!)


Ihr ständiges Gerede, Herr Poß, von einer Blockade ist,
mit Verlaub gesagt, nichts als leeres Gequatsche ohne jeg-
liche Grundlage.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Das Wort „Blockade“ war in der letzten Legislaturpe-
riode angebracht. Sie haben damals nicht einmal einen ei-
genen Entwurf vorgelegt. Wir sind in diese Auseinander-

Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich Leonhard Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
PDS
Monika Balt
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Roland Claus
Heidemarie Ehlert

Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Uwe Hiksch
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert

Nein
CDU/CSU
Dietrich Austermann
Peter Bleser
Sylvia Bonitz
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Klaus Brähmig
Georg Brunnhuber
Leo Dautzenberg

Albert Deß
Albrecht Feibel
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Georg Girisch
Dr. Wolfgang Götzer
Horst Günther (Duisburg)

Ernst Hinsken
Martin Hohmann
Josef Hollerith
Siegfried Hornung
Susanne Jaffke
Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Volker Kauder
Peter Letzgus
Julius Louven
Elmar Müller (Kirchheim)

Franz Obermeier
Kurt J. Rossmanith
Anita Schäfer
Norbert Schindler
Michael von Schmude
Clemens Schwalbe
Wilhelm-Josef Sebastian
Heinz Seiffert
Carl-Dieter Spranger
Max Straubinger
Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Klaus-Peter Willsch
Werner Wittlich
Peter Kurt Würzbach
Benno Zierer
Wolfgang Zöller

Enthalten
CDU/CSU
Monika Brudlewsky
Klaus Bühler (Bruchsal)

Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Dankward Buwitt
Manfred Carstens (Emstek)

Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein

Klaus-Jürgen Hedrich
Rudolf Kraus

(Heidelberg)


Vera Lengsfeld
Dr. Manfred Lischewski

(Siegertsbrunn)


Dr. Gerd Müller
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Rupert Scholz
Margarete Späte
Arnold Vaatz
F.D.P.
Marita Sehn
PDS
Eva-Maria Bulling-Schröter
Carsten Hübner
Christina Schenk
Dr. Winfried Wolf




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
10776


(C)



(D)



(A)



(B)


Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Ver-
sammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete
Adler, Brigitte Bierling, Hans-Dirk Grießhaber, Rita BÜNDNIS 90/DIE
SPD CDU/CSU GRÜNEN
Moosbauer, Christoph Raidel, Hans Dr. Süssmuth, Rita
SPD CDU/CSU CDU/CSU
Prof. Weisskirchen, Gert (Wiesloch) Wimmer, Willy (Neuss) Zapf, Uta
SPD CDU/CSU SPD

setzung mit einem eigenen, ausformulierten, konkret
durchgerechneten Entwurf gegangen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Unfinanzierbar!)

Wir haben die Verhandlungen in den letzten Monaten im
Finanzausschuss konstruktiv geführt. Wir haben im Ver-
mittlungsausschuss auf die Defizite, auf die Schwach-
stellen hingewiesen.


(Joachim Poß [SPD]: Sie werden doch jetzt sicherlich etwas zur Finanzierung sagen!)


Wir haben deutlich auf den falschen Grundansatz hinge-
wiesen. Aber auf all diese Argumente sind Sie nicht ein-
gegangen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Dann können Sie von uns nicht erwarten, dass wir sehen-
den Auges einen falschen politischen Weg mitgehen,


(Widerspruch bei der SPD)

dass wir sehenden Auges eine falsche politische Wei-
chenstellung mittragen. Genau diese ist in diesem Ge-
setzentwurf vorhanden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Auch in Ihren geänderten Vorschlägen ist der Grund-
ansatz nach wie vor falsch und die Entlastungswirkung
insbesondere für die Personenunternehmen und für die
Arbeitnehmer unzureichend.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Detlev von Larcher [SPD]: Das stimmt ja nicht!)


Die Konsequenzen, die dadurch zu verzeichnen sind, sind
unsozial und ungerecht.

Lieber Herr Poß, ich stimme mit Ihnen überein: Auch
die Krankenschwestern müssen zu den Gewinnerinnen
dieser Reform zählen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Aber sie zählen eben nicht dazu, weil Sie die Arbeitneh-
mer letztlich ganz außen vor lassen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Lügen! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch vorsätzlich unwahr!)


Die Besteuerung der Sonntags- und Nachtzuschläge spielt
da überhaupt keine Rolle. Ich komme gleich noch darauf
zu sprechen. Der Grundansatz ist falsch.

Ich sage Ihnen noch etwas zum Systemwechsel. Sie
tun ja so, als wäre das Ganze etwas Neues gewesen und
als wäre es eine Alleinveranstaltung unseres Fraktions-
vorsitzenden.


(Joachim Poß [SPD]: Nein, Sie machen den Unsinn mit!)


Wissen Sie, es ist nicht unser Problem, dass wir einen
Fraktionsvorsitzenden haben, der von der Steuerpolitik
etwas versteht. Das ist Ihr Problem.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Detlev von Larcher [SPD]: Wenig, wenig, sehr wenig! – Joachim Poß [SPD]: Es laufen viele Experten herum, die überzeugt viel Stuss erzählen!)


Wir haben von Anfang an auf die Konsequenzen dieser
Systemumstellung – sie ist falsch – hingewiesen, nämlich
als da sind: erstens die Bevorzugung der Unternehmen
und Benachteiligung der Unternehmer – es ist schon be-
zeichnend, dass man überhaupt zwischen Unternehmen
und Unternehmer trennt –; zweitens die Bevorzugung der
Kapitalgesellschaften gegenüber den Personenunterneh-
men und den Arbeitnehmern; drittens die Bevorzugung
der einbehaltenen Gewinne gegenüber den ausgeschütte-
ten Gewinnen und viertens, nicht zu vernachlässigen, die
Benachteiligung der Kleinaktionäre durch die Umstellung
des Systems.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das sind nur die wichtigsten Konsequenzen.

Wir haben von Anfang an deutlich gemacht, dass un-
sere Alternative dagegen die Beibehaltung des bewährten
Anrechnungssystems und die Senkung aller Steuersätze
sowohl im Körperschaftsteuerbereich als auch im Ein-
kommensteuerbereich beinhaltet. Wir haben von Anfang
an darauf hingewiesen, dass die Gerechtigkeit und die
Gleichmäßigkeit der Besteuerung sowie die gerechte Ent-
lastung aller Steuerpflichtigen Ziel dieser Reform sein
müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Sehr richtig! – Detlev von Larcher [SPD]: Nur über die Finanzierung haben Sie sich keine Gedanken gemacht!)


Sie heben immer auf die 25 Prozent bei den Kapitalge-
sellschaften und die 43 Prozent Spitzensteuersatz bei den
Personenunternehmen ab. Ich will darauf hinweisen, dass
wir, bezogen auf das Jahr 2001, nicht über 43 Prozent re-
den. Vielmehr reden wir bei dem Vorschlag der Regierung
im Jahr 2001 über folgende Situation: Körperschaftsteu-
ersatz 25 Prozent, Spitzensteuersatz bei den Personenun-
ternehmen und den Arbeitnehmern nicht 43 Prozent, son-
dern 48,5 Prozent. Das ist der treffende Vergleich.

Wenn Sie etwa einen Bäckermeister und seine Familie
mit einer Spitzenbelastung von 48,5 Prozent belasten und
eine Backfabrik als GmbH mit einer Spitzenbelastung
von 25 Prozent, dann stimmt da irgendetwas nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Detlev von Larcher [SPD]: Wie viele sind das? – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unsinn!)


Ich weiß sehr wohl zwischen dem Grenzsteuersatz und
dem Durchschnittsteuersatz zu unterscheiden; das können
Sie mir abnehmen. Sie müssen dabei berücksichtigen,
dass beim Grenzsteuersatz, bei dieser 48,5-prozentigen
Belastung, jede zusätzlich verdiente Mark ab einer ge-
wissen Größenordnung mit diesem hohen Grenzsteuer-
satz zu versteuern ist.


(Susanne Kastner [SPD]: Warum gucken Sie denn so böse?)





Gerda Hasselfeldt

10777


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie müssen bei diesem Beispiel des Bäckermeisters
berücksichtigen, dass er von seinem gesamten Gewinn
auch noch seine Familie ernähren muss, den Lebensun-
terhalt zu bestreiten hat und nicht alles im Unternehmen
belassen werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie behaupten, die Systemumstellung sei notwendig

wegen der so genannten Europatauglichkeit. Jetzt will ich
Ihnen einmal sagen, was Sie dabei ändern.


(Susanne Kastner [SPD]: Aber freundlich, Frau Hasselfeldt! Wir sind gewohnt, dass man freundlich mit uns umgeht!)


Für den ausländischen Investor, der an einem inländi-
schen Unternehmen beteiligt ist, ändert sich überhaupt
nichts.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Da ist nämlich nur ausschlaggebend, wie hoch der Aus-
schüttungssatz ist. Er kann weder in dem einen noch in
dem anderen Verfahren etwas anrechnen. Für den inländi-
schen Investor, für den deutschen Bürger, der an einem
ausländischen Unternehmen beteiligt ist, ist das neue Ver-
fahren in der Tat besser. Für den deutschen Bürger, der
eine inländische Beteiligung hat, ist das neue Verfahren
besser, wenn er in der oberen Einkommensklasse ist, und
schlechter, wenn er in der unteren Einkommensklasse ist.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Auch das stimmt nicht!)


Wenn man dies vergleicht, muss man sich die Frage stel-
len: Wo bleibt denn da die Gerechtigkeit,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

wo bleibt das von Ihnen verfolgte Ziel, die Arbeitsplätze
im Inland in den Vordergrund der Bemühungen zu stel-
len?

Ich denke, dass eine Steuerreform folgende Ziele ver-
folgen muss: Sie muss erstens eine gerechte Besteuerung
gewährleisten und zweitens zur Schaffung von Arbeits-
plätzen im Inland beitragen. Genau diese beiden Ziele
verfolgen Sie mit Ihren Vorschlägen nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Was ist an Ihrem Entwurf zu verbessern? Sie haben ei-

nen Kompromissvorschlag vorgelegt, der eine Tarifände-
rung bei der Einkommensteuer ab dem Jahr 2005 vorsieht.
Wenn wir von einer Senkung des Spitzensteuersatzes auf
43 Prozent reden, reden wir vom Jahr 2005 – das ist viel
zu spät! Für die Jahre 2001 bis 2004 planen Sie Ver-
schlechterungen. Wenn Sie die Tabellen vergleichen, wird
deutlich, dass die Steuerpflichtigen in den Jahren 2001 bis
2004 gegenüber dem Gesetzentwurf, den Sie im Bundes-
tag beschlossen haben, noch weniger entlastet werden,
nämlich um 15 Milliarden DM weniger in diesen Jahren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Joachim Poß [SPD]: Wir versprechen nur, was wir halten können!)


Das Optionsmodell ist nun vom Tisch. Sie sagen nun:
Das wollt ihr doch immer. – Wir haben das Optionsmo-

dell – zu Recht – immer kritisiert. Aber wir haben es nie
isoliert kritisiert, sondern immer gesagt: Das Modell muss
weg, weil es eine Krücke ist, um die Ungleichbehandlung
zwischen Kapitalgesellschaften und Personenunterneh-
men zu umschiffen. Sie müssen die Wurzel des Übels
bekämpfen. Die Wurzel des Übels ist eben diese Un-
gleichbehandlung und nicht allein das Optionsmodell.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie haben eine zweite Änderung vorgesehen, nämlich

die Änderung bei der Gewerbesteueranrechnung. Das
ist keine Verbesserung, sondern eine Verschlechterung für
den Mittelstand. Diese trifft den Mittelstand nicht erst ab
dem Jahr 2005, sondern sie greift bereits im Jahre 2001.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Joachim Poß [SPD]: Deswegen ist das auch finanzierbar!)


Sie haben somit die leichten Verbesserungen im Tarif, die
ich durchaus anerkenne, erst ab dem Jahr 2005 vorgese-
hen, während Sie alles Negative in Ihrem Kompromiss-
vorschlag bereits für die Jahre 2001 bis 2004 zur Anwen-
dung bringen wollen. Dass wir einem solchen Vorschlag
nicht zustimmen können, sollte ein jeder begreifen, der
sich mit dieser Materie beschäftigt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie verweisen weiter darauf, Sie hätten eine Mittel-

standskomponente eingeführt. Dabei anerkenne ich aus-
drücklich, dass Sie von Ihrem Vorhaben, die Ansparab-
schreibungen und die Sonderabschreibungen nicht mehr
zuzulassen, abgegangen sind und auch beim Mitunter-
nehmererlass etwas korrigieren wollen. Ich muss Ihnen
aber vorhalten, dass Sie nicht vollständig korrigieren. Für
den Mittelstand besteht nach wie vor das ungelöste Pro-
blem – das Sie mit dem Steuerentlastungsgesetz erst ge-
schaffen haben –,wie mit den Veräußerungsgewinnen bei
Betriebsaufgabe umgegangen wird. Dieses Problem muss
in einem Reformkonzept mit gelöst werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir wollen eine Reform, aber wir wollen eine gute Re-

form. Wir wollen eine Reform, die wir alle miteinander
verantworten können. Wir wollen eine Reform, die alle
Steuerpflichtigen entlastet und gerecht ist. Wir wollen
eine Reform, die zum 1. Januar 2001 in Kraft tritt. Darum
müssen wir in den nächsten Wochen ernsthaft ringen, –
nicht so oberflächlich, wie Sie es gemacht haben. Es geht
nicht darum, Zeitdruck zu erzeugen, sondern darum, eine
inhaltlich saubere und gute Reform für die Bürger dieses
Landes zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411403700
Das Wort hat
jetzt die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grü-
nen, Kerstin Müller.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Merz, das, was Sie in den vergangenen Tagen und auch im
Vermittlungsausschuss gemacht haben, kann man meines




Gerda Hasselfeldt
10778


(C)



(D)



(A)



(B)


Erachtens nicht mehr mit Anfangsfehlern erklären. Sie
wissen doch selbst, dass Sie mit dem störrischen Behar-
ren, die Steuerreform wegen des Verfahrens der Be-
steuerung von Dividenden, der so genannten System-
frage, zu blockieren, keinerlei Rückhalt in der Bevölke-
rung haben. Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande
verstehen nicht, worum es geht. Fragen Sie einmal die
Menschen auf der Straße, was sich hinter dem Begriff
Systemfrage verbirgt.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Diejenigen, die aus ihrer täglichen Praxis wissen,

worum es geht, raten Ihnen dringend, Ihren Widerstand
aufzugeben. Zuletzt hat Sie gestern der Bundesverband
deutscher Banken nachdrücklich aufgefordert, unserem
Vorschlag zuzustimmen, meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das glaube ich!)


– Soll ich es zitieren?

(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)


– Hören Sie einmal zu! Vielleicht können Sie sich dann
wieder ein bisschen beruhigen.

Sie haben die so genannte Systemfrage nur deshalb in
den Mittelpunkt gestellt, weil Sie fürchten, dass Sie, so-
bald es um die inhaltliche Debatte geht, Ihr eigenes Lager,
die B-Länder, die CDU- und CSU-geführten Länder, nicht
mehr zusammenhalten können. Die Länder brauchen eine
Steuerreform, die die Länderhaushalte verkraften können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Vorschläge, die Sie gemacht haben, sind nicht fi-
nanzierbar. Deshalb haben Sie jede konstruktive Debatte
über wichtige Einzelfragen der Steuerreform konsequent
torpediert. Erst haben Sie sich geweigert, überhaupt eine
Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses einzurichten,
dann haben wir von Ihnen in fünf Sitzungen des Vermitt-
lungsausschusses nicht einen einzigen inhaltlichen Kom-
promissvorschlag gehört. Bis heute sind Sie nicht in der
Lage, zu den zentralen Fragen der im Vermittlungsaus-
schuss vorgelegten Steuerreform Stellung zu beziehen.
Auch heute hat Frau Hasselfeldt hierzu nichts gesagt. Wie
hoch soll nach Auffassung der Union die Gesamtentlas-
tung von Bürgern und Wirtschaft ausfallen? Welchen
Spitzensteuersatz, der auch finanzierbar ist, wollen Sie?
Mit welchen konkreten Maßnahmen wollen Sie den Mit-
telstand tatsächlich entlasten? Vor allen Dingen: Wie wol-
len Sie sicherstellen, dass die Reform von Bund, Ländern
und Kommunen auch dauerhaft finanzierbar ist? Auf all
diese Fragen sind Sie bis heute die Antwort schuldig ge-
blieben.

Herr Stoiber und Herr Teufel wollen Geld verschen-
ken, das die Ministerpräsidenten Müller, Biedenkopf und
Vogel nicht haben. Die Landesregierungen von Saarland,
Sachsen und Thüringen hoffen doch insgeheim, dass sich
die Bundesregierung mit ihrem Konzept durchsetzt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Und noch mehr gilt das für die Länder Brandenburg, Bre-
men und Berlin. In deren Haushalten ist doch jetzt schon
„Land unter“ angesagt. Wie sollen diese Länder weitere
Steuerausfälle finanzieren, meine Damen und Herren?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: Das ist leider wahr!)


Inzwischen merkt es doch auch der Letzte: Sie ver-
stecken sich hinter der Frage des Halbeinkünfteverfah-
rens, um zu vertuschen, dass es bei Ihnen drunter und drü-
ber geht und dass Sie in Ihrem Lager bei diesen Fragen
keine Einigung finden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir dagegen haben gemeinsam mit den SPD-geführten
Ländern einen Kompromissvorschlag vorgelegt. Dabei
sind wir Ihnen, meine Damen und Herren von der Oppo-
sition, weit entgegengekommen. Rot-Grün macht den
Menschen und der Wirtschaft ein hervorragendes Ange-
bot. Wir sorgen dafür, dass alle Steuerzahler nachhaltig
entlastet werden. Insgesamt bringt die Steuerreform bis
zum Jahre 2005 eine Entlastung von rund 56 Milliarden
DM. Davon kommen drei Viertel den Privathaushalten
und den kleinen und mittleren Unternehmen zugute. Wir
senken schrittweise den Eingangsteuersatz, der 1998 noch
bei 25,9 Prozent gelegen hat, in den nächsten vier Jahren
auf 15 Prozent. Zusätzlich erhöhen wir den Grundfreibe-
trag. Wir senken den Spitzensteuersatz von 53 Prozent in
1998 in vier Jahren auf 43 Prozent und wir erhöhen die
Einkommensgrenze, ab der dieser Satz gezahlt werden
muss. Das ist die größte Steuerentlastung in der Ge-
schichte der Bundesrepublik. Diese Steuerentlastung für
die Menschen und die Wirtschaft wollen Sie im Moment
verhindern. Das bringt Schaden für die ökonomische
Entwicklung in der Bundesrepublik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir entlasten auch und gerade kleine und mittelständi-
sche Unternehmen. Diese profitieren von der Reform,
nicht nur im Wege der Senkung der Steuersätze. Sie wer-
den zusätzlich entlastet, weil sie die Gewerbesteuer zur
Hälfte auf die Einkommensteuer anrechnen können und
weil die Anspar- und Sonderabschreibungen nach dem
neuen Vorschlag doch beibehalten werden. Dafür haben
wir Grüne uns von Anfang an besonders stark gemacht.
Das ist für den Mittelstand und für eigenkapitalschwache
Unternehmen in den neuen Ländern ganz besonders wich-
tig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Genau das beschließen wir heute. Damit schaffen wir

die Voraussetzung für mehr Investitionen, für mehr
Arbeitsplätze und für mehr Ausbildungsplätze gerade im
mittelständischen Bereich. Dies ist auch der Motor für
jede weitere wirtschaftliche Entwicklung. Das Land war-
tet auf diese Reform. Sie ist sozial gerecht und fördert die
Kaufkraft der Haushalte und die Investitionskraft der Un-
ternehmen. Jede weitere Verzögerung hinsichtlich ihrer
Umsetzung schadet dem Standort Deutschland.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)





Kerstin Müller (Köln)


10779


(C)



(D)



(A)



(B)


Unternehmen und Verwaltungen brauchen jetzt Planungs-
sicherheit. Wenn Sie diese Reform weiterhin blockieren –
das wollen Sie ja tun –, dann machen Sie Politik gegen die
Arbeitslosen und bremsen den weiteren wirtschaftlichen
Aufschwung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich komme gerne auf Ihr derzeitiges Lieblingsthema
zurück. Sie verkennen mit Ihrer Kritik am Halbeinkünf-
teverfahren, dass nur das rot-grüne Steuerkonzept eine
Senkung des Körperschaftsteuersatzes auf einheitlich
25 Prozent ermöglicht. Unter Ihrer Verantwortung hatte
Deutschland die höchsten Unternehmensteuersätze welt-
weit.


(Detlev von Larcher [SPD]: Sehr wahr!)

Durch unseren Vorschlag erreichen wir – ohne Einbezie-
hung der Gewerbesteuer – mit einem Schlag Platz eins im
internationalen Vergleich. Bei Berücksichtigung der Ge-
werbesteuer liegen wir noch immer im guten Mittelfeld.

Noch eines: Hören Sie endlich auf, das Märchen von
der Ungleichmäßigkeit der Besteuerung zu erzählen! Sie
wissen doch genau, dass es unredlich ist, den reinen Kör-
perschaftsteuersatz ausschließlich mit dem Spitzensteu-
ersatz der Einkommensteuer zu vergleichen. Sie unter-
schlagen bei diesem Vergleich regelmäßig, dass auch die
Kapitalgesellschaften Gewerbesteuer zahlen. Mit Gewer-
besteuer zahlen diese tatsächlich nicht 25 Prozent, son-
dern im Schnitt nur rund 38 Prozent.

Dagegen erreicht nach unserem Konzept fast kein
Personenunternehmen auch nur annähernd einen Steuer-
satz von 38 Prozent, geschweige denn den Spitzensteuer-
satz. Im Gegenteil: Über 95 Prozent der Personen-
unternehmen liegen weit darunter. Fast 80 Prozent der
Personenunternehmen haben einen Gewinn vor Steuern
von unter 100 000 DM pro Jahr. Die übergroße Mehrheit
dieser Unternehmen zahlt ab 2005 weniger als 20 Prozent
Steuern, inklusive der Gewerbesteuer. Während Ihrer Re-
gierungszeit, meine Damen und Herren von der Opposi-
tion, mussten die Personenunternehmen noch über
25 Prozent an Steuern verkraften. Das ist die Wahrheit
über die Steuersätze in diesem Land.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ihre Behauptung, wir würden Personenunternehmen mit
unserem Konzept benachteiligen, ist eine freie Erfindung
Ihrer Buchhaltertheorie, Herr Merz, und sonst gar nichts.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Unser Konzept ist gerecht, praktikabel und überzeu-
gend. Nicht umsonst fordern Wirtschaft, Industrie und
Banken seit Wochen, dass diese Steuerreform nicht ver-
zögert werden und erst recht nicht scheitern darf. So
schrieb zum Beispiel Herr Walter, Chefökonom der Deut-
schen Bank, am letzten Donnerstag in der „Welt“ – das
möchte ich Ihnen wirklich nicht vorenthalten –:

Das Steuersenkungsgesetz richtet sich eindeutig an
Zielsetzungen aus, die zur langfristigen Sicherung
der Wachstumsperspektive in Deutschland ohne Al-
ternative sind.

Weiter schreibt er:
Wenn die Aufbruchstimmung in Deutschland im
Sommerloch des Jahres 2000 dadurch verschwände,
dass die Union den Reformwillen der Bundesregie-
rung bei Steuern und Rente mit einer reinen, aber de-
struktiv wirkenden Prinzipiendebatte bricht, statt ihn
mit möglichen Verbesserungen zu stärken, dann hilft
das weder unserem Land noch der CDU/CSU. Frei-
lich wird dann dieses Land zur internationalen Lach-
nummer.

Das ist die Wahrheit. Dem braucht man nichts hinzuzufü-
gen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411403800
Frau Kol-
legin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Michelbach?

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Nein, heute nicht.

Ausgerechnet das, wovor Dr. Norbert Walter warnt,
haben Friedrich Merz und Angela Merkel mit den uni-
onsgeführten Ländern verabredet, gegen jede Vernunft
und gegen den erklärten Willen der deutschen Wirtschaft.
Sie haben sich und die Union damit völlig isoliert.

Auch das Ausland schaut mit Argusaugen auf uns;
denn wenn wir zulassen, dass Sie sich durchsetzen, dann
erhalten ausländische Investoren das Signal, dass sie
künftig einen höheren Steuersatz zahlen müssten. Das
wäre eine schlechte Nachricht, die Sie, meine Damen und
Herren von der Opposition, zu verantworten hätten. Wir,
Grüne und SPD, wollen dagegen ein klares Zeichen set-
zen. Wir wollen einen einheitlichen Körperschaftsteuer-
satz von 25 Prozent. Wir wollen ausländisches Kapital für
Deutschland gewinnen. Wir wollen Arbeitsplätze und
Ausbildungsplätze schaffen.

Während Sie sich weiter um die Lehrmeinungen von
einigen Professoren kümmern, sorgen wir für die Wett-
bewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Wir haben
einen mutigen Kompromissvorschlag vorgelegt, einen
Kompromiss, durch den alle Bürger und die Wirtschaft
spürbar entlastet werden, eine Steuerreform, durch die die
wirtschaftliche Entwicklung gefördert wird und durch die
Arbeitsplätze geschaffen werden.

An dieser Stelle möchte ich auch sagen: Wir sind dabei
an die Grenze dessen gegangen, was die öffentlichen
Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen verkraften
können. Wir wollen weiterhin eine seriöse Finanzpolitik
betreiben. Wir wirtschaften nicht auf Kosten künftiger
Generationen, wie Sie es über Jahrzehnte gemacht haben.
Für uns gilt: Steuergerechtigkeit ist nur im Paket mit Ge-
nerationengerechtigkeit zu haben. Mit uns wird es keine
Steuerreform auf Pump geben. Das ist gegenüber den
künftigen Generationen nicht zu verantworten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Aber, meine Damen und Herren, da der Appell an die
Vernunft hier im Bundestag bei Ihnen ins Leere zu gehen




Kerstin Müller (Köln)

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(C)



(D)



(A)



(B)


scheint, lautet mein Appell an die Ministerpräsidenten
von CDU und CSU: Wer jetzt blockiert, der zahlt später
möglicherweise die Zeche. Sie sollten den Interessen Ih-
rer Länder folgen und sich nicht zum Büttel von CDU-
Präsidiumsbeschlüssen machen lassen. Das liegt nämlich
nicht im Interesse Ihrer Länder. Ich kann Sie nur auffor-
dern, dem Gesetzentwurf am nächsten Freitag im Bun-
desrat zuzustimmen. Die Regierungsfraktionen haben in
den vergangenen Wochen unzählige Kompromissange-
bote gemacht. Wir sind der Opposition weit entgegenge-
kommen. Wenn diese Steuerreform jetzt noch scheitert,
dann tragen Sie die Verantwortung dafür. Kommen Sie
endlich zur Vernunft und geben Sie Ihren Widerstand auf!

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411403900
Jetzt spricht der
Abgeordnete Carl-Ludwig Thiele.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1411404000
Sehr geehrte Frau Prä-
sidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kolle-
gen! Warum schicken die Grünen eigentlich keinen
steuer- und finanzpolitischen Sachverstand in den Ver-
mittlungsausschuss?


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Warum haben die Grünen in der letzten Wahlperiode die
Blockadepolitik von Oskar Lafontaine unterstützt?
Warum haben sie nicht konstruktiv dazu beigetragen, dass
es schon in der letzten Wahlperiode zu einer Steuerreform
gekommen ist?


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Die Grünen haben in der letzten Legislaturperiode gegen
eine Nettoentlastungslüge polemisiert. Das zeigt ganz
deutlich: Die Grünen wollen mehr Steuern und mehr
Staat. Wir von der F.D.P. wollen hingegen weniger Steu-
ern und weniger Staat.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen Schulden machen!)


Die F.D.P. bedauert, dass das Vermittlungsausschuss-
verfahren zur Steuerreform gescheitert ist. Niemand ist
heute Gewinner; die Bürger und die Steuerzahler sind
Verlierer. Die Bürger erwarten von der Politik nicht nur
Lösungsvorschläge, sondern auch Lösungen. Die F.D.P.
hat schon zu Beginn der vergangenen Wahlperiode als
erste Partei des Deutschen Bundestages eine Steuerreform
mit einem Eingangsteuersatz von 15 Prozent und mit ei-
nem Spitzensteuersatz von 35 Prozent, mit einer deutli-
chen Entlastung der Bürger und der Unternehmen in un-
serem Lande, vorgelegt. Diese Reform wurde vom ge-
samten Sachverstand – auch vom Steuersystem her – als
positiv bewertet.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie fordern es, wir machen es!)


Diese Reform ist von Rot-Grün blockiert worden. Das
einzig Positive, das wir einräumen können, ist, dass Rot-
Grün inzwischen erkennt, dass wir auch in einem Wettbe-
werb der Steuersysteme stehen und dass die Steuersätze
gesenkt werden müssen.

In dem Gesetzgebungsverfahren für diese Steuerre-
form hat die F.D.P. immer erklärt: Die Gleichmäßigkeit
der Besteuerung ist für uns die zentrale Frage; es darf
keine Benachteiligung des Mittelstandes, der Selbststän-
digen, der Handwerker und auch der Arbeitnehmer in un-
serem Land gegenüber den Kapitalgesellschaften geben.


(Beifall bei der F.D.P.)

Das ist die Kernforderung der F.D.P., von der wir nicht ab-
rücken werden. Die Bürger erwarten von der Politik und
den Politikern Glaubwürdigkeit. Wenn wir diese verspie-
len, dann tragen wir selbst zur Parteienverdrossenheit bei.


(Detlev von Larcher [SPD]: Und darüber redet Herr Thiele!)


Neben den unterschiedlichen Runden, die der Herr
Bundeskanzler nach Gutsherrenart zur Vorbereitung von
Lösungsvorschlägen einberufen hat, gibt es ein überpar-
teiliches Gremium, und zwar den Vermittlungsausschuss.
Er ist in Art. 77 des Grundgesetzes konstituiert. Im Ver-
mittlungsausschuss, wo eine Lösung gefunden werden
soll, ist nicht irgendeine Parteiräson, sondern das Verant-
wortungsprinzip maßgeblich. Deshalb erwarten wir, dass
spätestens in diesem Gremium die Bedenken und die Kri-
tik der Opposition und der Länder tatsächlich Gehör fin-
den, was vorher überhaupt nicht der Fall war.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich war schon erstaunt darüber, Herr Finanzminister,
wie Sie diese Bedenken in den Beratungen des Vermitt-
lungsausschusses als unbegründet und überhaupt nicht
sachgerecht zur Seite gewischt haben. Herr Finanzminis-
ter Eichel, ich sage Ihnen das hier sehr persönlich: Es war
Ihr Fehler, diese Kritik nicht aufzunehmen. Es war Ihr
Fehler, diese Kritik als unwichtig und falsch einzu-
schätzen. Es war Ihr Fehler, eine Diskussion darüber ab-
zulehnen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb haben Sie selbst, Herr Finanzminister, das Zu-
standekommen dieser Steuerreform blockiert.

Schon während des Gesetzgebungsverfahrens hat Rot-
Grün gezeigt, dass es an einer Einigung mit der Opposi-
tion überhaupt nicht interessiert war:


(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt!)

Erstens. Die Zahl der Sachverständigen wurde will-

kürlich entsprechend rot-grüner Vorstellung reduziert, um
unliebsame Kritiker auszuschalten.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)





Kerstin Müller (Köln)


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(C)



(D)



(A)



(B)


78 Professoren haben sich hiergegen verwahrt. Ich zitiere
aus ihrer Erklärung:

Nachdem zur Anhörung vor dem Finanzausschuss
Fachvertreter der Betriebswirtschaftlichen Steuer-
lehre wohlweislich nicht mehr eingeladen wurden,
möchten wir auf diesem Wege versuchen, uns Gehör
zu verschaffen.

Es ist doch ein Armutszeugnis für dieses Parlament, dass
im Vorfeld Kritiker ausgeschaltet werden.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Zweitens. Der erste Termin des Vermittlungsaus-
schussverfahrens wurde mit Hilfe Ihrer Stimmenmehrheit
so gelegt, dass die Vertreter der F.D.P. nicht daran teil-
nehmen konnten.


(Widerspruch des Abg. Detlev von Larcher [SPD])


Das hat es überhaupt noch nicht gegeben. Normalerweise
wird auf Bundesparteitage Rücksicht genommen.

Drittens. Die Tagung des Vermittlungsausschusses am
letzten Freitag wurde parallel zur Debatte über zehn Jahre
Wirtschafts- und Währungsunion in unserem Lande
durchgeführt. Als wir im Vermittlungsausschuss saßen,
hat Ihr Sprecher vor der Tür Papiere verteilt und vor der
Presse erläutert, die wir im Vermittlungsausschuss noch
nicht einmal gesehen hatten.


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Unerhört! Unglaublich! – Zurufe von der SPD)


Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wer im Ver-
fahren bei der Behandlung berechtigter Interessen der Op-
position zu erkennen gibt, dass ihm diese schnurzegal
sind, wer sich mit seiner Verfahrensmehrheit rücksichts-
los über die Opposition hinwegsetzt,


(Detlev von Larcher [SPD]: Wir sind im Bundestag und nicht im Bundesrat!)


wer ein unechtes Vermittlungsausschussergebnis vorlegt,
zeigt deutlich, dass ihm an einem Ergebnis in der Sache
gar nicht gelegen ist.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Sie alle wissen doch selbst, dass das mutwillige Her-

beiführen eines unechten Vermittlungsausschussergebnis-
ses ein echtes Vermittlungsausschussergebnis unmöglich
macht. Das war immer so und wird auch bei diesem un-
echten Vermittlungsausschussergebnis nicht anders sein.


(Peter Dreßen [SPD]: Haben Sie sich denn bewegt?)


Noch einmal zur Frage, warum es keine Bewegung ge-
geben hat: Die Hauptkritik der F.D.P. bleibt weiterhin,
dass die Gleichmäßigkeit der Besteuerung von Kapital-
gesellschaften auf der einen Seite und von Personen,
Personengesellschaften, dem Mittelstand und den Arbeit-
nehmern auf der anderen Seite nicht gegeben ist. Der Mit-
telstand und die Arbeitnehmer werden bis zum Jahr 2004
deutlich höher belastet als die Kapitalgesellschaften.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Auch nach dem Jahre 2005 halten Sie diesen Systembruch
weiter aufrecht, denn ein Spitzensteuersatz von 43 Pro-
zent plus Solidarzuschlag steht dann einem Körper-
schaftsteuersatz von 25 Prozent gegenüber. Das ist nicht
hinnehmbar.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hier werden Sie sich noch erheblich bewegen müssen.
Diese Spreizung der Steuersätze widerspricht Art. 3 des
Grundgesetzes und dürfte deshalb verfassungswidrig
sein.

Dieser Verstoß gegen Art. 3 des Grundgesetzes wird
jetzt noch deutlicher, nachdem Sie das Optionsmodell,
das nie funktioniert hätte, gestrichen haben. Damit ist die
Hoffnung vieler Personengesellschaften, sie könnten wie
eine Kapitalgesellschaft steuerlich belastet werden, end-
gültig geschwunden. Dieses Feigenblatt ist weg. Die Ver-
fassungswidrigkeit wird offensichtlich.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das vorgelegte, geänderte Konzept reicht nach unserer

Meinung bei weitem nicht aus:
Erstens. Die Gleichmäßigkeit der Besteuerung ist nicht

gewahrt. Die ideologische Unterscheidung, Unternehmen
müssten entlastet werden, Unternehmer hingegen nicht,
bleibt bestehen. Das ist eine krasse Benachteiligung des
Mittelstandes, der Bürger und der Arbeitnehmer in unse-
rem Lande.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Das richtet sich gegen die Konjunktur!)


Zweitens. Bei den Veräußerungsgewinnen wird der
Mittelstand gegenüber den Großunternehmen weiter
deutlich benachteiligt. Die rot-grüne Koalition hat zu Be-
ginn dieser Wahlperiode durch die Abschaffung des hal-
ben Steuersatzes den deutschen Mittelstand um ein Vier-
tel seines Vermögens enteignet.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Das ist die Wahrheit. Auf der anderen Seite sollen aber
Veräußerungsgewinne für Kapitalgesellschaften komplett
steuerfrei gestellt werden. Das kann nicht der richtige
Weg sein. Das ist mittelstandsfeindlich und reine Willkür.

Drittens. Der Kleinaktionär und Kleinanleger wird ge-
genüber dem Großaktionär drastisch benachteiligt.

Viertens. Die Verschlechterung der Abschreibungsbe-
dingungen und der Abschreibungstabellen wirkt wie eine
Desinvestitionsteuer und wird dafür sorgen, dass der An-
reiz für Investitionen, die wir brauchen, um mehr Arbeits-
plätze und Beschäftigung in unserem Land zu erreichen,
nicht zum Tragen kommen kann.

Fünftens. Das angebliche Entlastungsvolumen wird
mit diesem Kompromissvorschlag in den Jahren 2001 bis
2004 um 15 Milliarden DM gekürzt. Auf der anderen
Seite – die Steuerreform verfolgt eine Zeitschiene von
2001 bis 2005 – werden die Steuereinnahmen des Staates




Carl-Ludwig Thiele
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(C)



(D)



(A)



(B)


bzw. die Steuerbelastung der Bürger und der Wirtschaft
um mehr als 200 Milliarden DM steigen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

Davon sollen ihnen 45 Milliarden DM als Entlastung
zurückgegeben werden.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch Unsinn!)


Gleichzeitig wird die Ökosteuer die Bürger mit zusätzlich
35 Milliarden DM belasten. Da wird jeder Bürger fragen:
Wo bleibt die Entlastung? – Sie ist wahrhaftig nicht zu fin-
den.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Aus Sicht der F.D.P. müssen die Bürger und der Mit-

telstand deutlich stärker entlastet werden als bisher ge-
plant. Der Spitzensteuersatz muss deutlich unter 40 Pro-
zent liegen. Das Sinken des Spitzensteuersatzes hat
zwangsläufig eine Senkung des Tarifes auch für diejeni-
gen Steuerpflichtigen zur Folge, die den Spitzensteuersatz
nicht zu bezahlen haben. Das ist genau das Ziel, das wir
anstreben.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist auch unseriös, jeden Tag neue Zahlenspielereien
auf den Tisch zu legen. Deshalb hat die F.D.P. in den ver-
gangenen Wochen nicht täglich neue Modelle auf den
Tisch gelegt. Unser Modell ist bekannt und hat die
Sachverständigen und die Wirtschaft überzeugt. Es
könnte noch heute übernommen werden, wenn Sie ein
bisschen Mut hätten.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Steuersystem, das wir brauchen, benötigt niedrige
Steuersätze, klare Regelungen und die Beachtung steuer-
licher Grundsätze. Im Steuerrecht muss es nach Auffas-
sung der F.D.P. bei einer Besteuerung entsprechend der
Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen bleiben. Deshalb
dürfen Unternehmen nicht anders als Unternehmer belas-
tet werden. Wie mein Kollege Solms in einer anderen De-
batte in diesem Haus zu dem Thema erklärte, war die Aus-
sage des Bundeskanzlers die wirtschaftspolitisch dümms-
te Aussage, die ein Bundeskanzler je gemacht hat.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Kapitalgesellschaften dürfen nicht anders behandelt

werden als Handwerker, Selbstständige und Arbeitneh-
mer. Ich appelliere daher – damit komme ich zum Schluss,
Frau Präsidentin –


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

an die rot-grüne Koalition: Akzeptieren Sie endlich diese
steuerlichen Grundsätze! Bürger erwarten vernünftige
Lösungen und nicht nur gute Absichten. Die F.D.P. wird
sich einer systematisch sauberen und vernünftigen Steu-
erreform nach einem erneuten Vermittlungsausschussver-
fahren nicht verschließen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Sie haben doch nichts zu sagen, Herr Thiele! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Diese Drohung hätten wir nicht gebraucht!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411404100
Zu einer Kurz-
intervention erhält jetzt der Kollege Oswald Metzger das
Wort.


Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411404200

Meine Damen und Herren! Ich finde es schon bemer-
kenswert, Herr Kollege Thiele – jetzt zunächst die Pole-
mik, weil Sie in Ihrer Rede mit diesem Punkt eingestiegen
sind –, dass jemand wie Sie heute solche Töne spuckt, der
zur Zeit der alten Regierung Vorsitzender des Finanzaus-
schusses war, der Mitglied einer Partei ist, die von 1969
bis 1998 fast ohne Unterbrechung die Vorsitzenden des
Finanzausschusses gestellt hat, und der in Bezug auf
Haushaltskonsolidierung, Steuersenkung und Lohnne-
benkostensenkung in diesen 29 Jahren fast immer das Ge-
genteil von dem zu verantworten hatte, was Sie in Ihren
Programmen geschrieben und öffentlich verkündet ha-
ben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich bedauere, dass manche Kollegen, die sehr genau
wissen, dass zu einer pragmatischen Position auch die Be-
achtung der finanziellen Machbarkeit und die Durchsetz-
barkeit in Verhandlungen mit den Ländern im Rahmen
des Vermittlungsausschusses gehört, so tun, als hätten sie
keine Kenntnis von der Finanzlage der Länder, in denen
Ihre eigenen Parteifreunde, Herr Thiele, mit regieren – in
Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen –, und
wüssten nicht, dass sie dort sehr viel kleinere Brötchen
backen müssen.

Nicht umsonst haben die F.D.P. und die Union in den
letzten zwei Wochen im Vermittlungsausschuss überhaupt
keine Vorschläge gemacht. Sie führen lediglich zum
Schein eine Diskussion über das Halbeinkünfteverfahren,
obwohl inzwischen feststeht, dass sich Deutschland mit
der von Ihnen gewollten Rückkehr zum Vollanrech-
nungsverfahren international isolieren würde. Wenn wir
zum Vollanrechnungsverfahren zurückkehren würden,
meine Damen und Herren, würde gerade angesichts der
Internationalisierung der Wirtschaft im deutschen Steuer-
recht ein Konzept festgezurrt, das nicht mehr wettbe-
werbsfähig wäre.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Deshalb entledigen Sie sie doch bitte in der Debatte Ihrer
ideologischen Verblendung und kehren Sie auf die Sach-
ebene zurück! Wir alle wollen Planungssicherheit für un-
sere Wirtschaft.

Kollege Merz, wenn unser Fraktionsvorsitzender
Rezzo Schlauch Sie heute Morgen als „Oskar Merz“ beti-
telte, so geschah das doch nicht ohne Grund. Sie versu-
chen ständig eine Blockadeposition herbeizureden – und
das zu einem Zeitpunkt, da alle Fraktionen in diesem Par-
lament die Steuersätze für die Bürgerinnen und Bürger
wirklich senken wollen. Lassen Sie ab von Ihrer Blo-
ckade!




Carl-Ludwig Thiele

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(C)



(D)



(A)



(B)


In neun Jahren, von denen Sie sieben Jahre lang Re-
gierungsverantwortung getragen haben, wurde Deut-
schland hinsichtlich des ökonomischen Wachstums
Schlusslicht in Europa. Gott sei Dank rücken wir seit Mai
wieder an die Spitzenpositionen heran. Wenn wir aber
Planungssicherheit für unsere Wirtschaft wollen, brau-
chen wir das Signal einer Steuerreform und keine Hänge-
partie über den Sommer. Anderenfalls sind Sie dafür ver-
antwortlich, wenn die nächsten Frühindikatoren im „Han-
delsblatt“ im Gegensatz zur gestrigen Veröffentlichung
einen Knick nach unten bekommen und die Aufbruch-
stimmung, die doch allenthalben spürbar ist, abbricht.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wenn Sie glauben, mit dieser Strategie Erfolg zu haben
und damit auch noch die Rentenreform in diesem Land
verzögern zu können, dann wird die Union sich selber,
aber vor allem unserem Land einen Bärendienst erweisen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Jetzt bekommt Herr Thiele aber die gleiche Zeit!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411404300
Das Wort zur
Antwort hat Herr Kollege Thiele.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1411404400
Sehr geehrte Frau Prä-
sidentin! Ich vermute, ich bekomme eine ähnliche Rede-
zeit wie der Kollege Metzger.

Erstens. Herr Kollege Metzger, ich bin in den Debatten
zu diesem Thema immer wieder darüber erstaunt, dass die
letzten 16 Jahre immer als 16 Jahre bezeichnet werden
und nicht als zweimal acht Jahre.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es waren zweimal acht Jahre, davon einmal acht Jahre bis
zur deutschen Einheit. In dieser Zeit wurde die Staats-
quote von der alten Koalition um 2,5 Prozent gesenkt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Im Jahre 1990 hätten wir keinerlei Neuverschuldung ge-
habt, wenn nicht die deutsche Einheit gekommen wäre,
die wir – im Gegensatz zu vielen anderen in diesem
Hause – gewollt haben und über die wir nach wie vor
glücklich sind.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Es ist zwar richtig, dass zur Finanzierung der Kosten der
deutschen Einheit bzw. der Sanierung der sozialistisch
heruntergewirtschafteten DDR von uns Steuern und Sozi-
alabgaben sowie die Neuverschuldung erhöht wurden.
Aber ich sage Ihnen: Das war absolut alternativlos.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Und wenn Herr Eichel momentan beklagt, dass die

Länder den Bund allein lassen, so war das beim Solidar-
pakt 1993 genauso der Fall. Rudi Walther von der SPD hat
als Vorsitzender des Haushaltsausschusses immer erklärt,

die Länder hätten sich an dieser Stelle ihrer Mitverant-
wortung entzogen. Das muss man erst einmal zur Kennt-
nis nehmen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wo war denn Herr Eichel damals?)


Seit 1990 haben wir versucht, die Staatsquote wieder
zu senken und eine steuerliche Entlastung der Bürger zu
erreichen. Es wird von Ihnen verschwiegen, dass der Fa-
milienleistungsausgleich in der vergangenen Legislatur-
periode dazu führte, dass das Kindergeld von 70 auf
220 DM am Ende der Legislaturperiode gestiegen ist.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Auf unseren Druck hin!)


– Das ist Ihre Art der Geschichtsklitterung. Mir ist nicht
bekannt, Herr Poß, dass Sie seinerzeit die Mehrheit in die-
sem Hause gehabt hätten. Das war nicht der Fall. Die
Mehrheit hatte die Koalition der alten Regierung.

Zum zweiten Punkt, dem Anrechnungsverfahren:
Das Anrechnungsverfahren ist 1977 in der sozialliberalen
Koalition mit dem Finanzminister Hans Apel eingeführt
worden. Das war ein Riesensprung in Richtung mehr Ein-
zelfallgerechtigkeit für den einzelnen Bürger, weil sicher-
gestellt wurde – und das wird auch heute noch sicherge-
stellt –, dass jeder Aktionär entsprechend seiner persön-
lichen Leistungsfähigkeit im Einkommensteuerrecht be-
steuert wird. Dass Sie diese Errungenschaft des Steuer-
rechts hier einfach opfern wollen, weil eine EuGH-Ent-
scheidung Sie angeblich dazu verpflichtet, die aber
tatsächlich dazu nichts hergibt, ist mir unbegreiflich.


(Beifall bei der F.D.P.)

Da nur der Staatssekretär des Finanzministers diese Auf-
fassung vertritt, erwarte ich vom Finanzminister die
Sprungkraft, bei der bisherigen gesetzlichen Regelung zu
bleiben und von seinen unsinnigen Vorstellungen an die-
ser Stelle Abstand zu nehmen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Drittens. Wenn Haushalte konsolidiert werden sol-

len – –


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411404500
Herr Kollege
Thiele, Sie hatten drei Minuten Zeit für Ihre Antwort und
die sind jetzt vorbei.


(Widerspruch bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1411404600
Dann möchte ich zu-
mindest ausreden.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411404700
Liebe Kollegin-
nen und Kollegen, ich habe die Uhr genau im Blick; ich
habe das auch Herrn Ramsauer erklärt. Herr Thiele hat so-
gar sechs Sekunden mehr als drei Minuten geantwortet.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1411404800
Ich möchte gerne noch
einen letzten Satz sagen, Frau Präsidentin, wenn Sie ge-
statten.




Oswald Metzger
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(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411404900
Nein, Herr Kol-
lege Thiele. Kurzinterventionen dürfen drei Minuten dau-
ern und nicht länger. Ich muss Sie bitten, wieder Platz zu
nehmen.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1411405000
Aber ich werde doch
trotzdem einen letzten Satz sagen dürfen, Frau Präsiden-
tin!


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411405100
Ich möchte Sie
jetzt bitten, sich hinzusetzen.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1411405200
Der Unterschied zwi-
schen uns und den Grünen ist: Wir wollen die Steuern sen-
ken, die Grünen nicht.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411405300
Herr Kollege
Thiele, ich möchte Sie bitten, sich jetzt hinzusetzen!

Das Wort hat nun der Abgeordnete Roland Claus.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1411405400
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Vielleicht kann ich ein we-
nig zu Ihrer Beruhigung beitragen: Gestern Abend haben
wir alle Gerechtigkeit à la Schröder erlebt; vielleicht ha-
ben auch Sie das gesehen. Wir haben uns – unsere Frak-
tion in besonderem Maße bedrückt, da wir nicht im Ver-
mittlungsausschuss vertreten sind – durch den Dschungel
der Steuergesetze gequält, während unser Bundeskanzler
eine, wie ich finde, lobenswerte Initiative ergriffen hat, in-
dem er sich an der Bewerbung um die Austragung der
Fußball-WM 2006 beteiligt hat.


(Beifall bei der PDS)

Wir haben also die harten Bänke der Opposition drücken
müssen, während er die Daumen für diese Bewerbung ge-
drückt hat. Ich wollte ihm eigentlich nur noch einen Tipp
geben: Hätte der Kanzler den Kollegen Gregor Gysi
mitgenommen, dann wäre er gestern Abend unter den
Fußballzwergen nicht der kleinste gewesen.


(Heiterkeit bei der PDS)

Der Vermittlungsausschuss legt uns ein Ergebnis vor,

das keines ist. Sie nennen es deshalb auch ein „unechtes
Ergebnis“. Hier läuft genau das ab, was zu erwarten war:
Die Koalition erklärt an die Adresse der CDU/CSU, dass
diese schuld sei, dass die Politik der Koalition alternativ-
los sei, und die Opposition, vor allem die CDU/CSU, sagt,
die Regierung sei daran schuld.

Nun muss ich allerdings eingestehen: Der Kollege
Merz hat sich wirklich in einem magischen Viereck ver-
fangen. Da sind zu viele Dinge zusammengekommen:
erstens die nicht ganz wegzuleugnende Verantwortung für
die frühere Steuerpolitik der CDU/CSU, die in diesem
Lande natürlich nicht vergessen ist; zweitens das uner-
wartete Lob der Industrie für die rot-grüne Regierung –
das passt ja nicht so richtig dazu –; drittens die traditio-
nelle Kritik an der Regierung, die aus der Opposition not-
wendig wäre; viertens etwas, das in diesem Hause wirk-
lich überrascht, und zwar die in der CDU/CSU-Fraktion

so plötzlich entdeckte Verantwortung für soziale Gerech-
tigkeit. Da hat er sich also ein bisschen vermanövriert.


(Beifall bei der PDS)

So hat er das Prinzip kennen gelernt, dass man sich in der
Politik die meisten Beulen nicht vom politischen Gegner,
sondern in den eigenen Reihen holen kann.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Ich neige ja nicht dazu, die PDS zu überschätzen, wie

Sie wissen. Aber ich sage einmal ein bisschen salopp: So
ein Murks kommt im Vermittlungsausschuss eben dann
zustande, wenn Sie die PDS dort nicht mitmachen lassen.


(Beifall bei der PDS – Ludwig Stiegler [SPD]: Jetzt wissen wir es! – Joachim Poß [SPD]: Ist das jetzt die Bewerberrede?)


Kompetenzen hinsichtlich knapper Kassen haben wir al-
lemal. Ich will aber im Ernst sagen: Die PDS kritisiert
nach wie vor und auch an dieser Stelle, dass wir durch un-
sere Nichtbeteiligung am Vermittlungsverfahren in unse-
ren parlamentarischen Rechten eingeschränkt sind.

Warum lehnt die PDS das Gesetz ab?

(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr habt doch zugestimmt!)


Erstens. Diese Reform stellt sich bei genauer Analyse als
eine arbeitnehmerfeindliche Reform heraus.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mecklenburg-Vorpommern, Herr Kollege!)


Auch wir verkennen natürlich nicht, dass mit der Sen-
kung des Eingangssteuersatzes ein Fortschritt erreicht
ist. Aber im Verhältnis zu den Verbesserungen für Spit-
zenverdiener kommen die meisten Arbeitsnehmerinnen
und Arbeitnehmer bei dieser Reform sehr schlecht weg.

Ich will hier einfach einmal einen Fakt in Erinnerung
rufen: Es ist erst zwei Wochen her, dass wir in dieser Re-
publik etwas ganz Bemerkenswertes zur Kenntnis neh-
men mussten, nämlich dass sich von 1990 bis 1999 die
privaten Geldvermögen verdoppelt haben. Daher wäre es
wirklich möglich gewesen, den Spitzenverdienern eine
höhere Solidarität für die Gesellschaft abzuverlangen.


(Beifall bei der PDS)

Das, was Sie vorhaben, sind Peanuts für die Malocher und
Kniefälle vor den Banken und der großen Industrie.

So offenbart sich wohl, was wirklich damit gemeint
war, als der Kanzler zu Beginn seiner Amtsperiode sagte,
er wolle nicht viel anders, aber vieles besser machen. Mit
dieser Steuerreform hat er Dinge angepackt, die anzuge-
hen Helmut Kohl sich nie getraut hat. Damit hat er lei-
der – das ist unsere Kritik – einen weiteren Schritt auf dem
Weg in die Ellenbogengesellschaft zurückgelegt.


(Beifall bei der PDS)

Ein zweiter Punkt unserer Kritik: Diese Reform ist mit-

telstandsfeindlich und widerspricht marktwirtschaftli-
chen Prinzipien. Aber auch hier gibt es Fortschritte. Sie






(C)



(D)



(A)



(B)


haben jetzt wieder die Beibehaltung der Anspar-
abschreibung vorgesehen. Das hätten Sie leichter haben
können.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit der PDS in Mecklenburg-Vorpommern? Ist das eine andere PDS?)


Die PDS hatte nämlich bekanntlich bei der zweiten und
dritten Lesung des Steuergesetzes einen gleich lautenden
Antrag eingebracht. Den haben Sie damals abgelehnt.
Jetzt sehen Sie doch eine Beibehaltung vor. Dies ist zu be-
grüßen.

Aber es ist nach wie vor eine Benachteiligung der klei-
nen und mittelständischen Unternehmen gegenüber der
großen Industrie zu verzeichnen. Sie schreiben hiermit
auf Dauer eine Ungleichbesteuerung fest – und das zulas-
ten der allermeisten Personengesellschaften. Eine Alter-
native wäre möglich gewesen. Wir haben Ihnen eine pro-
gressive Körperschaftsbesteuerung vorgeschlagen.

Ein dritter Punkt unserer Kritik: Dieses Gesetz richtet
sich gegen die Länder und Kommunen und widerspricht
dem Prinzip des Föderalismus; dies ist immerhin ein
Verfassungsgrundsatz. Ich weiß, dass diese Kritik
selbstverständlich auch aus Bayern kommt – und dies zu
Recht; denn das Land Bayern ist nach jetzt vorliegenden
Schätzungen, die von Steuerausfällen in Höhe von 14 Pro-
zent ausgehen, am härtesten betroffen. Damit wird ein
Verfassungsgrundsatz ernsthaft angegriffen. Ich frage
mich in diesem Zusammenhang manchmal, ob die Vi-
deoüberwachung, die derzeit in aller Munde ist, nicht
langsam in das Bundeskabinett gehört.

Vierter Punkt unserer Kritik: Dies ist ein Gesetz, das
sich gegen die neuen Bundesländer richtet, wenn ich nur
an den Fakt erinnere, dass zum Beispiel Sachsen-Anhalt
mit Steuerausfällen in Höhe von 500 Millionen DM rech-
nen muss. Mit dem Haushalt von Sachsen-Anhalt kenne
ich mich reichlich aus; da habe ich viele Umschichtungen
miterlebt. Wenn in einem Landeshaushalt im Zuge der
Haushaltsverhandlungen 200 oder 300 Millionen DM
umgeschichtet werden – das wissen Sie doch selbst –,
dann ist das ein großer Akt. Wenn aber jetzt auf diesem
Wege Steuereinnahmen in Höhe von 500 Millionen DM
und mehr verloren gehen, dann geht der gesamte im Hin-
blick auf die landespolitische Gestaltung bestehende
Spielraum flöten. Das kann man so nicht hinnehmen; das
ist zu kritisieren.


(Beifall bei der PDS)

Dann wird der immer als Gegenargument vorgebrachte
selbst tragende Aufschwung infolge der mit diesem Ge-
setz beabsichtigten Steuerentwicklung nicht zum Tragen
kommen.

Für besonders bemerkenswert halte ich – ich hoffe,
dass ich mich da irre –, dass es einen nicht unerheblichen
Druck auf die neuen Bundesländer gegeben hat, diese
Steuergesetze mit dem zweiten Solidarpakt zu verbinden.

Ich möchte Ihnen einen fünften und letzten Punkt nen-
nen, warum wir gegen dieses Gesetz sind: Es nimmt keine
Rücksicht auf die über 10 Millionen sozial Schwachen in
dieser Republik. Nun werden Sie sagen: Die kommen in
diesem Gesetz gar nicht vor.


(Joachim Poß [SPD]: Die kommen auch gar nicht vor! Pure Demagogie, was Sie da machen!)


Genau das ist unsere Kritik. Sie kommen nämlich nicht
vor. Aber sie sind von Kürzungen im Sozialbereich und
von steigenden Lebenshaltungskosten betroffen.


(Beifall bei der PDS – Joachim Poß [SPD]: Wie wollen Sie das mit Steuergesetzen auffangen?)


Aus all diesen Gründen werden wir Ihren Vorschlag
ablehnen. Politiker haben mitunter eine ganze Reihe von
Sammelleidenschaften. Die einen sammeln Akten; Kohl
gehört bekanntlich nicht dazu. Die anderen sammeln
Kompromisse am Kamin; das tut unser Bundeskanzler
sehr gern und nennt es dann Konsens.


(Joachim Poß [SPD]: Sie sammeln Stimmen mit den falschen Argumenten und Demagogie!)


Um bei meinem anfangs gebrachten Vergleich zu bleiben:
In diesem Falle müssen Sie in die Verlängerung gehen,
Herr Bundeskanzler. Ich hoffe, dass Sie bei der Bewer-
bung um die Fußball-WM 2006 mehr Glück haben als mit
diesem Gesetz.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411405500
Das Wort hat
jetzt der Herr Bundesminister Hans Eichel.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411405600
Frau Prä-
sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als
wir, der Bundeskanzler und ich, im Dezember vergange-
nen Jahres das Konzept zum Steuersenkungsgesetz, zur
Steuerreform 2000 vorgelegt haben, da ging dem der Ein-
stieg in die Haushaltskonsolidierung voraus. An den An-
fang meiner Rede möchte ich daher die Frage stellen, die
Sie bis heute nicht beantwortet haben: Bleibt es dabei,
dass wir Haushaltskonsolidierung und Steuerentlastung in
einem Paket und im Rahmen der international eingegan-
genen Verpflichtungen behandeln – ja oder nein?


(Joachim Poß [SPD]: So ist es!)

Damit ist gleichzeitig die Frage verbunden, wie hoch das
Entlastungsvolumen durch dieses Steuerpaket sein kann.

Hier liegt der fundamental falsche strategische Ansatz
der Opposition;


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


hieraus habe Sie sich – das sagen alle draußen – mit einer
überraschenden Volte in eine völlig abwegige System-
debatte geflüchtet. An der Haushaltskonsolidierung haben
Sie sich nicht beteiligt. Ich kann mich nicht erinnern, von
Ihnen irgendeinen hilfreichen Beitrag gehört zu haben.
Sie haben in allen Haushaltsberatungen gesagt, überall
müsse mehr ausgegeben werden. Denselben Kommentar
haben wir auch zum Haushaltsplan für das Jahr 2001
gehört.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)





Roland Claus
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(C)



(D)



(A)



(B)


Aber wir müssen eine Haushaltskonsolidierung vorneh-
men und von den Schulden wegkommen.

Ich sage ausdrücklich: Ja, die deutsche Einheit war
eine besondere Last. Wir werfen Ihnen auch gar nicht vor,
dass dadurch Ausgaben entstanden sind. Unser Vorwurf
aber ist, dass Sie die Einheit nicht solide finanziert haben
und wir dieses Versäumnis jetzt sozusagen abarbeiten
müssen. Das ist das Problem.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Fünf Sitzungen lang sind Sie im Vermittlungsaus-
schuss wie Ölgötzen dagesessen und haben keinen einzi-
gen Ton gesagt. Übrigens, Herr Thiele – da Sie persönlich
geworden sind –, ich kann mich nicht erinnern, von Ihnen
im Vermittlungsausschuss einen Beitrag gehört zu haben.
Ich erinnere mich wohl an Ihre Beiträge vor den Türen des
Sitzungssaales, nicht aber im Ausschuss.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eine Antwort auf die von mir eingangs gestellte zentrale
Frage sind Sie schuldig geblieben, meine Damen und Her-
ren.

Schon im vergangenen Herbst haben Sie versucht, die
Konsolidierungsdebatte zu unterlaufen, indem Sie den
Menschen ein Wolkenkuckucksheim vorgegaukelt haben.
Von Bayern, Baden-Württemberg und Thüringen liegt be-
reits ein Gesetzentwurf auf dem Tisch. Er findet aber
keine Mehrheit, im Deutschen Bundestag nicht, aber
natürlich auch im Bundesrat nicht, weil sich die Länder
dies gar nicht leisten können.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Die CDU-Finanzminister kommen doch in mein Dienst-
zimmer und sagen, dass sie schon diese Steuerreform
nicht bezahlen könnten. Das ist die Wahrheit!


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Namen!)

– Gut, ich möchte Ihnen einige Namen nennen. Zum Bei-
spiel Herr Müller hat in einer öffentlichen Diskussion mit
mir gesagt – das musste er hinterher offenkundig revozie-
ren –, ein nennenswert größeres Entlastungsvolumen, als
ich es vorgesehen habe, könne man sich nicht leisten. Dies
geschah in einer Diskussion mit dem Chefvolkswirt der
Dresdner Bank, Dr. Friedrich.

Auch der Staatssekretär im hessischen Finanzministe-
rium – Sie haben ja alle zum Schweigen verdonnert – hat
erklärt, Hessen sei an der Grenze seiner Leistungsfähig-
keit. Das können Sie in den Zeitungen nachlesen. Sie ha-
ben das Glück, dass Ihr Gesetzentwurf gar nicht erst zur
Debatte steht, weil er nirgendwo eine Mehrheit gefunden
hat; sonst müssten einige Leute die Finger heben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir können also festhalten, dass die zentrale Frage,
was überhaupt machbar und vereinbar ist, von Ihnen in
fünf Sitzungen des Vermittlungsausschusses nicht beant-
wortet worden ist. Ich kann auch verstehen, warum eine

Reihe von Finanzministern an dem Vermittlungsverfah-
ren gar nicht erst teilgenommen hat. Das hätte ich an de-
ren Stelle auch nicht getan, wenn ich so unter Kuratel
stünde und wüsste, dass ich die eingangs gestellte Frage
wahrheitsgemäß beantworten muss. Man hat ja schließ-
lich eine Reputation zu verlieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Übrigens – aber das wissen Sie alles – haben Sie in der
vergangenen Wahlperiode zwei Fehler gemacht. Der erste
zentrale Fehler – das können Sie in dem Buch von Herrn
Koch nachlesen –: Eine Steuerreform macht man nicht am
Ende einer Wahlperiode, sondern am Anfang. Der zweite
zentrale Fehler: Eine Steuerreform kann man nicht mit
großen Steuersenkungen verbinden, wenn die Staatsein-
nahmen aus Steuern zurückgehen. Diese Einnahmen müs-
sen steigen; ansonsten ist dies nicht machbar. Deswegen
war völlig klar, dass niemand die Umsetzung der Peters-
berger Beschlüsse verkraften kann. Alle Länderhaushalte
wären sonst sofort verfassungswidrig geworden. Dieses
Problem haben die Länder auch für das Jahr 2001; inzwi-
schen geben sie das indirekt zu.

Ich höre ja jetzt schon aus München, dass man auf die
schwächeren Länder Rücksicht nehmen müsse; der Bund
solle gefälligst Privatisierungserlöse einsetzen. Herr
Rauen beispielsweise hat erklärt, ich solle dafür die Erlöse
aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen verwenden.
Diese unseriöse Finanzpolitik, Herr Thiele, habe ich ge-
meint; wir betreiben sie nicht weiter.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/ CSU]: Was war denn daran unseriös?)


Einmaleinnahmen darf man nicht für laufende Ausgaben
einsetzen. Zu dieser Aussage gab es übrigens viel Zu-
stimmung aus Ihren Reihen: von Frau Merkel, von Herrn
Biedenkopf und auch von Kurt Faltlhauser, der dies noch
in unserem gemeinsamen Gespräch mit dem „Handels-
blatt“ bestätigte. Das ist das kleine Einmaleins einer se-
riösen Finanzpolitik, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen will ich von Ihnen wissen, was Sie für ver-
kraftbar halten, quergeschrieben von allen Finanzminis-
tern, die Sie stellen.

Dann will ich von Ihnen wissen, ob wir im europä-
ischen Stabilitäts- und Wachstumspakt bleiben. Alle
Europäer haben sich nämlich verpflichtet, im Jahre 2002
allenfalls noch ein Defizit von 1 Prozent des Bruttoin-
landsprodukts zu haben; nach Möglichkeit sollten wir so-
gar Haushaltsüberschüsse haben. Bei dieser Planung
bleibe ich, meine Damen und Herren. Aber bleiben auch
Sie dabei? Was bedeutet dies denn für das Entlastungsvo-
lumen? Die meisten europäischen Länder haben das Ziel
schon erreicht. Es gibt eine Reihe von Ländern mit Haus-
haltsüberschüssen. Wir dagegen sind noch lange nicht so
weit; das macht mir Sorgen. Wollen Sie denn im Zusam-
menhang mit dieser Steuerreform für Deutschland eine
Debatte über das Nichteinhalten der Stabilitätskriterien




Bundesminister Hans Eichel

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(D)



(A)



(B)


einläuten, wie sie im vergangenen Frühjahr mit Italien ge-
führt worden ist? Sie, meine Damen und Herren, waren es
doch, die den Stabilitäts- und Wachstumspakt abge-
schlossen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen bleibt die erste Frage, auf die Sie bis heute
jede Antwort schuldig geblieben sind: Welches Entlas-
tungsvolumen ist verkraftbar?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kriterium hierfür dürfen aber keine „voodoo economics“
sein nach dem Motto,


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das können Sie ja gar nicht buchstabieren!)


man müsse nur die Steuern ordentlich senken, dann werde
das Wachstum so kräftig sein, dass es so viele Steuern
gibt, dass man schneller aus den Schulden herauskommt
und den Staatshaushalt sanieren kann; alle verdienen da-
ran und das Schlaraffenland ist perfekt. Nein, meine Da-
men und Herren, so sieht die Wirklichkeit nicht aus!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jeder von Ihnen, der einen Betrieb sanieren muss – der
Bundeshaushalt, den ich übernommen habe, ist ein Sanie-
rungsfall –, weiß, dass die Arbeitnehmer, die Eigentümer
und die Banken etwas hergeben müssen. Am Schluss steht
oft auch noch der Staat mit einer Bürgschaft daneben. Erst
dann kriegen wir die Sanierung hin. Anders ist das nicht
in Schweden und nicht in den Vereinigten Staaten gelau-
fen und anders wird es auch bei uns nicht laufen. Deswe-
gen müssen Sie die von mir gestellte Frage einmal beant-
worten, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vor diesem Hintergrund unternehmen wir große An-
strengungen zur Senkung der Steuern für alle. In diesem
Zusammenhang erzählen Sie hier ja Märchen. Das Entlas-
tungsvolumen beträgt 80 Milliarden DM und baut sich ab
2005 in drei Stufen nachhaltig auf. Das sind rund 2 Pro-
zent des Bruttoinlandsprodukts. Davon kommen über
55 Milliarden DM bei den privaten Haushalten an, insbe-
sondere – das sage ich ganz ausdrücklich – bei den Ar-
beitnehmern und Beziehern kleiner Einkommen.

Aber Sie brauchen immer erst ein Verfassungsge-
richtsurteil, bis Sie endlich Steuergesetze machen, die mit
der Verfassung in Einklang stehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das steuerfreie Existenzminimum war bei Ihnen uner-
träglich niedrig. In der ganzen Zeit, in der Sie an der Re-
gierung waren, haben Sie die kleinen Einkommen verfas-
sungswidrig hoch besteuert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Verfassungsgericht musste Sie zu einer Änderung
zwingen.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Das war der Grund für den Sprung beim steuerfreien
Existenzminimum von 1995 auf 1996. Außerdem haben
Sie die Familien verfassungswidrig besteuert. Das muss-
ten wir in Ordnung bringen, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Uns dann zu erzählen, Sie wollten bei der Steuerreform
die Arbeitnehmer stärker entlasten als wir, wirkt unglaub-
haft angesichts der Tatsache, dass es noch gar nicht so
lange her ist, dass Sie die Menschen kujoniert haben. Die
Zahlen liegen alle auf dem Tisch.

Nun komme ich zum Mittelstand: Von dem Entlas-
tungsvolumen in Höhe von 80 Milliarden DM kommt der
Teil, der nicht an die Privathaushalte geht, ausschließlich
beim Mittelstand an; Sie wissen das auch.


(Widerspruch des Abg. Hans Michelbach [CDU/CSU])


Ich komme hier einmal auf die Kapitalgesellschaften
zu sprechen. Sie, Herr Merz, haben im vergangenen Früh-
jahr von dieser Stelle aus gesagt, wir trieben mit dem
Steuerentlastungsgesetz die Konzerne aus dem Land. Da-
mals waren Sie der Patron der großen Unternehmen.
Heute sollen wir das sein. Die Wahrheit ist aber ganz ein-
fach folgende: Wir haben sie mit dem Steuerentlastungs-
gesetz ordentlich belastet. Das war auch verantwortbar.
Jetzt entlasten wir sie mit ordentlich gesenkten Steuersät-
zen. Das geht für die Körperschaften als Nullsummen-
spiel aus. Die Gewinner aber sind die Personengesell-
schaften, also der Mittelstand, der um über 20 Milliar-
den DM entlastet wird. Sie kennen diesen Sachverhalt
doch!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Märchenerzähler! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)


– Vorsicht, darauf komme ich gleich noch zu sprechen.
Die Rechnung ist doch ganz einfach. Betrachten wir

die Definitivbesteuerung der Körperschaften. Dabei las-
sen wir den Soli weg, weil ihn alle bezahlen. Ab 1. Januar
nächsten Jahres zahlen die Kapitalgesellschaften 38 Pro-
zent: 25 Prozent Körperschaftsteuer und 13 Prozent Ge-
werbesteuer. Bei den Personengesellschaften entfällt die
Gewerbesteuer – auf diesen Punkt komme ich gleich noch
einmal zu sprechen – durch die Anrechnung auf die
Einkommensteuerschuld. Das bedeutet, dass überhaupt
nur noch weniger als 5 Prozent der Personengesellschaf-
ten in die Gefahr geraten, eine höhere tarifäre Belastung
zu haben als die Kapitalgesellschaften. Über 95 Prozent
werden tarifär niedriger belastet als Kapitalgesellschaf-
ten. So einfach ist das.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben in einem Punkt Recht: Das Ganze passiert
bei der Körperschaft in der Mitte der Wahlperiode, im




Bundesminister Hans Eichel
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(A)



(B)


Jahre 2001, auf einen Schlag, während die Senkung für
die Personengesellschaften bereits begonnen hat. Das
muss ich hier ausdrücklich erwähnen, weil Sie es Ihrer-
seits nicht tun. Die Senkung begann mit dem 1. Januar
1999 und verläuft systematisch in mehreren Schritten –
weil das alle betrifft, ist das sehr viel teurer – bis 2005.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Keiner merkt es!)


Jetzt können Sie sagen – den Punkt kann ich zwar ver-
stehen, aber es ist nur die halbe Wahrheit –: In 2001 gera-
ten mehr als 5 Prozent der Personengesellschaften in die
Gefahr, mehr zu zahlen als die Kapitalgesellschaften.
Nun, vielleicht sind es 7 oder 8 Prozent, weil der Spitzen-
steuersatz bei der Einkommensteuer in der Tat noch höher
ist. Mehr Personengesellschaften wird das aber nicht be-
treffen.

Wir haben noch ein paar weitere Veränderungen vor-
genommen, und zwar auch mit dem Willen der Länder, je-
denfalls mit dem der sozialdemokratisch geführten. Das
hat dazu geführt, dass wir auf all das, was Sie vorher ge-
sagt haben, eingegangen sind. Sie haben einen Strategie-
wechsel vorgenommen. Das hat jeder bemerkt, auch wenn
Sie das hier am Rednerpult noch ein paar Mal bestreiten.

Ein halbes Jahr lang haben Sie mit einem Gesetzent-
wurf aus München Ihre Politik bestritten und gesagt: Es
muss mehr sein, die Sätze müssen weiter gesenkt werden.
Ich habe immer gesagt: Wenn wir uns den Beratungen im
Vermittlungsausschuss nähern, kommt die Stunde der
Wahrheit. Wenn die Finger für die Entlastungsvolumina
gehoben werden müssen, dann müssen die Länderfinanz-
minister sagen, was mit ihren Haushalten wirklich mög-
lich ist. Siehe da: Sogar Herr Faltlhauser erklärt inzwi-
schen, das Jahr 2001 sei ein Problem. Nun ist er nah ge-
nug an der Wahrheit. Sehen Sie, meine Damen und
Herren, da lag Ihr eigentliches strategisches Problem.

Sie hätten sich doch die Senkung des Spitzensteuersat-
zes, die wir zusätzlich angeboten haben, auf Ihre Fahnen
schreiben können, Herr Merz. Sie hätten sich doch die
Senkung der Progression, die Rechtsverschiebung – das
ist nämlich das eigentlich interessante Thema – auf Ihre
Fahnen schreiben können. Die bloße Senkung des Spit-
zensteuersatzes von 45 Prozent auf 35 Prozent kostet al-
lein 50 Milliarden DM. Es glaubt doch kein Mensch, dass
das finanzierbar ist. Jeder weiß doch, dass das nicht geht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie hätten sich das im Vermittlungsverfahren auf Ihre
Fahnen schreiben können.

Wir haben für den Mittelstand noch ein paar Dinge er-
reicht: Wir haben den Freibetrag bei der Betriebsveräuße-
rung, den Sie in der vorigen Wahlperiode auf 60 000 DM
gesenkt haben, wieder auf 100 000 DM angehoben. Zu
der Frage halber Steuersatz oder Fünftelungsregelung
sage ich Ihnen, Herr Thiele: Für die meisten Fälle ist die
Fünftelungsregelung günstiger als der halbe Steuersatz.
Das ist die Wahrheit.

Wir haben die Ansparabschreibung erhalten. Wir ha-
ben gleichzeitig – das waren Voten, die aus Rheinland-
Pfalz gekommen sind – die Umstrukturierung für die Per-
sonengesellschaften erleichtert. Auch das kostet über

1 Milliarde DM. Man findet fast nichts mehr, was man im
Bereich des Mittelstandes noch tun könnte, und das alles
hätten Sie sich auf Ihre Fahnen schreiben können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zu der absurden Vorstellung, eine Systemfrage zur
zentralen Frage zu machen, will ich Ihnen noch Folgen-
des sagen:


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Es geht um Steuergerechtigkeit!)


– Darauf komme ich sofort, Herr Michelbach. Vorsicht
mit Ihrem Zwischenruf!

Man hätte über diese Frage nachdenken können. Sehen
Sie sich doch einmal an, was Sie in der Hand hätten, wenn
Sie sich mit Ihrer Strategie, wenn sie nicht auf totale
Blockade gerichtet wäre, Herr Merz, durchgesetzt hätten.
Was hätten Sie denn in der Hand? Sie würden der stau-
nenden Öffentlichkeit im Bundestagswahlkampf 2002 er-
klären: Wir haben zwar nichts mit der Senkung des Spit-
zensteuersatzes zu tun – das haben die von Rot-Grün
gemacht –; wir haben zwar nichts mit der Rechtsver-
schiebung, der Progression zu tun – das haben die ande-
ren gemacht –; wir haben nichts mit der Erhöhung des
Freibetrags bei der Betriebsveräußerung und mit der An-
sparabschreibung zu tun und wir haben auch nichts damit
zu tun, dass der Mitunternehmererlass für die kleinen und
mittleren Betriebe erhalten bleibt. Das alles haben wir, die
Union, abgelehnt. Aber wir haben das Vollanrech-
nungsverfahren erhalten. Die Freude im nächsten Wahl-
kampf wird groß sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Verehrter Herr Merz, man könnte ja einmal die Probe
aufs Exempel machen. Ich lasse mich gedanklich auf ein
Spiel ein. Es kann ganz gut sein – dann hätten Sie sogar
noch Glück –, dass bis dahin der EuGH das Ding aus der
Welt geschafft hat, wie er es in Bezug auf die Niederlande
bereits getan hat. Das wissen auch Sie alles.

Wie lautete denn Ihre Antwort im Vermittlungsver-
fahren? Es war ja klar – auch Herr Milbradt hat das
eingeräumt und es ist übrigens nicht nur eine Gruppe, die
damit ein Problem hat –, dass nur noch ein Drittel
der Dividenden über das Vollanrechnungsverfahren
läuft. In einer internationalisierten Wirtschaft muss das
auch so sein. Ausländische Unternehmer, die bei uns an-
legen, fallen nicht mehr darunter. Inländer, die im Ausland
anlegen, fallen ebenfalls nicht mehr darunter. Inländer, die
steuerbefreit sind, haben nichts von dieser Veranstaltung.
Deswegen fällt überhaupt nur noch ein Drittel der Divi-
denden unter das Vollanrechnungsverfahren. In einer in-
ternationalisierten Wirtschaft wird dieser Anteil immer
geringer werden.

Es gibt aber ein anderes Problem. Jetzt komme ich auf
die Behauptung zurück, wir seien die Befürworter der
Kapitalgesellschaften.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sicher!)





Bundesminister Hans Eichel

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(C)



(D)



(A)



(B)


Für diese gibt es aber gar keine Entlastung. Fragen Sie
einmal die Versicherungsunternehmen. Denen haben wir
im vorigen Jahr ihre Bilanzen ganz schön verhagelt. Fra-
gen Sie einmal die Energieversorgungsunternehmen. Sie
wissen das, denn Sie haben das alles vor einem Jahr an
dieser Stelle selber vorgetragen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Jetzt geben Sie es zu!)


Aber, meine Damen und Herren, jetzt wollen wir ein-
mal fragen: Welches ist denn der Sinn dieses Teils der Un-
ternehmensteuerreform? Ein Sinn ist, die kleinen und mitt-
leren Unternehmen, die 70 Prozent der Arbeitsplätze und
80 Prozent der Ausbildungsplätze stellen, ordentlich zu
entlasten. Genau das machen wir.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein anderer Sinn ist: Die großen Unternehmen hatten
nie das Problem. Sie haben dies übrigens von diesem Pult
aus alles anders behauptet. Sie haben immer behaup-
tet, die großen Unternehmen würden bei uns zu hoch
besteuert. Übrigens war das, wenn es überhaupt der Fall
war, zu Ihrer Regierungszeit. Darauf will ich nur hin-
weisen. Die großen Unternehmen gehen plus/minus null
aus dem Geschäft heraus, aber sie bekommen ein inter-
national wettbewerbsfähiges Steuerrecht und interna-
tional wettbewerbsfähige Steuersätze. Gehen Sie doch
einmal raus und erklären Sie denen, dass sie einen Kör-
perschaftsteuersatz von 30 Prozent behalten, statt einen
von 25 Prozent zu bekommen. Dies müssen Sie denen
einmal klarmachen. Dies ist ja fast eine Verschlechterung.
Und Sie glauben – das habe ich mir angesehen –, damit
bekäme man ausländische Investoren nach Deutschland?

Die 90er-Jahre, für die Sie hauptsächlich die politische
Verantwortung tragen – ich wische nicht weg, dass auch
der Bundesrat beteiligt war, lieber Herr Thiele –, waren
die wachstumsschwächsten in der deutschen Nach-
kriegszeit. Seit Mitte der 90er-Jahre steht Deutschland
beim Wirtschaftswachstum auf dem vorletzten Platz. Dies
ist nicht erst so, seit wir an der Regierung sind. Jetzt geht
es wieder aufwärts. Ich will auch nicht sagen, dass das an
uns liegt. Aber ich halte fest: Seit Mitte der 90er-Jahre
sind wir beim Wirtschaftswachstum auf dem vorletzten
Platz.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das liegt auch an uns, Herr Minister! Keine falsche Bescheidenheit!)


Ich will Ihnen gerne etwas vorlesen: Die ausländischen
Direktinvestitionen sind bei uns eine Katastrophe. Slowe-
nien hat mehr Auslandskapital bekommen als wir. Jetzt
geht die Zahl hoch, aber Sie schlagen uns mit dem Voll-
anrechnungsverfahren einen Körperschaftsteuersatz von
30 Prozent vor. Dieser aber würde genau nicht dazu
führen, dass auch wir ausländisches Kapital ins Land
bekommen. Aber dies zu erreichen, ist die andere Auf-
gabe, die wir mit unserer Reform zu erfüllen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nun will ich noch etwas – ich weiß gar nicht, ob Sie
wissen, wovon Sie an diesem Punkt reden – zur Gleich-
mäßigkeit der Besteuerung sagen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Aber Sie wissen es!)


Nicht nur die Öffentlichkeit versteht das gar nicht; auch
Ihre Vermittlungsausschussmitglieder verstehen es zum
Teil nicht. Herr Rauen hat uns 20 Minuten lang gesagt,
dass wir den Mittelstand kaputtmachen, und hat das auf
das Halbeinkünfteverfahren bezogen. Damit hat es aber
nun gar nichts zu tun.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Er hat das Optionsmodell gemeint. Sehen Sie, so infor-
miert sind Sie über die Themen.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt frage ich Sie einfach, was Sie meinen. Wenn Sie
meinen sollten, dass bei der Besteuerung der Kapitalge-
sellschaften der Steuersatz für thesaurierte Gewinne de-
finitiv mit dem Spitzensteuersatz in der Einkommen-
steuer identisch sein sollte, sage ich Ihnen: Aus dieser Si-
tuation sind Sie selber ausgestiegen, und zwar im Jahre
1990. Bis dahin stimmte das. Bis dahin lag der Körper-
schaftsteuersatz für thesaurierte Gewinne bei 56 Prozent
und der Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer
ebenfalls. Seit 1990 ging der Körperschaftsteuersatz –
weil Sie gemerkt haben, dass es international nicht funk-
tioniert – auf 50 Prozent runter, der Spitzensteuersatz bei
der Einkommensteuer aber nur auf 53 Prozent. 1995 sank
er – da liegt doch das Problem – auf 45 Prozent. Das, was
Sie hier offenbar kritisieren – mir ist immer noch nicht
ganz klar, was Sie eigentlich meinen –, haben Sie doch
selber eingeführt.

Ein entscheidender Unterschied zu uns heute ist: Sie
haben in beiden Fällen die Gewerbesteuer vorgesehen.
Wir haben die Gewerbesteuer für die Personenge-
sellschaften als Kostenfaktor beseitigt.

Nun will ich Ihnen sagen, was wir von Ihnen übernom-
men haben. 1998 hatten wir eine Spreizung zwischen der
Körperschaftsteuer plus Gewerbesteuer und dem Spitzen-
steuersatz der Einkommensteuer plus Gewerbesteuer von
acht Punkten. Sie haben Recht: Die Differenz steigt
kurzfristig ein bisschen, nämlich auf 10,5 Prozent ab dem
1. Januar 2001. Aber bereits in 2003 sinkt sie auf neun
Punkte – Sie hatten acht – und geht in 2005 auf fünf Punkte
zurück. Das ist so wenig, wie es das zu Ihrer Zeit nie gab.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mir ist aber noch immer nicht klar, was Sie mit Gleich-
mäßigkeit meinen. In diesem Punkt wird unser Steuer-
recht am Ende der Legislaturperiode jedenfalls deutlich
besser sein als das, was Sie uns hinterlassen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In anderen europäischen Ländern gibt es allerdings

eine Riesenspreizung. Betrachten Sie einmal die Nieder-
lande. Die Niederlande haben einen Körperschaftsteuer-




Bundesminister Hans Eichel
10790


(C)



(D)



(A)



(B)


satz von 35 Prozent und bei der Einkommensteuer einen
Spitzensteuersatz von 60 Prozent. Wir müssen eine
Steuerreform machen, die die Unternehmen in Deutsch-
land im europäischen Umfeld und auch im amerikani-
schen Umfeld wettbewerbsfähig macht. Muss ich Ihnen
das erzählen? Muss Ihnen das ein sozialdemokratischer
Finanzminister sagen?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sprechen
von der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Dann will ich
doch einmal darauf hinweisen, dass Sie eine Situation
geschaffen und in Ihrem Modell beibehalten haben, in der
der Handwerksmeister und der Einzelhändler höher
besteuert werden als der Freiberufler und der Arbeit-
nehmer. Diese ungleiche Besteuerung beseitigen wir. Das
ist Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Wovon reden Sie in
diesem Zusammenhang also überhaupt?

Deswegen ist Ihre Behauptung, der Mittelstand komme
bei diesem Gesetz schlechter weg, falsch und in allen As-
pekten widerlegbar. Die Reform, die Sie uns anbieten, ist,
wenn der Vorschlag von Bayern und Baden-Württemberg
ernst genommen wird, für die öffentlichen Kassen un-
bezahlbar und beschert uns im Übrigen noch nicht einmal
international wettbewerbsfähige Steuersätze bei der Kör-
perschaftsteuer. Das macht keinen Sinn.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir tragen die Verantwortung, diese Steuerreform in
Gang zu setzen. Sie, Herr Merz, machen einen schwer-
wiegenden Fehler, wenn Sie sagen: Besser keine Steuer-
reform als diese. Das sehen Sie in diesem Lande ganz
alleine so.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Schauen Sie sich doch mal die Zeitungen an!)


Ich will das jetzt gar nicht weiter vertiefen. Sie wissen das
ganz genau.

Lesen Sie einmal nach, was der Internationale
Währungsfonds vorgestern zu unserer Steuerpolitik
geschrieben hat. Sie wissen ja, wer an der Spitze des IWF
steht. Ich will Herrn Köhler gar nicht für alles verant-
wortlich machen. Aber der Internationale Währungsfonds,
der die weltweit höchste Autorität bei der Beurteilung
dieser Fragen hat, sagt: Jawohl, ihr seid genau auf dem
richtigen Wege, mit eurer Haushaltskonsolidierung
genauso wie mit eurer Steuerpolitik. Er sagt weiter: Wir
können hinnehmen, dass 2001 – das habe ich immer gesagt
wegen des Vorziehens der Steuerreform – das Defizit ein-
malig ein Stückchen wächst. Aber eigentlich solltet ihr
auch das nicht machen.

Sie müssen sich überlegen, was das bedeutet. Das
heißt, zumindest die internationalen Institutionen sa-
gen – übrigens die Europäische Zentralbank, die Europä-
ische Kommission und alle anderen Finanzminister der
Europäischen Union ganz genauso –: Ihr dürft keine
Steuerreform mit einer Erhöhung des Staatsdefizits
machen. Recht haben sie.

Deswegen, meine Damen und Herren: Sie sind da eine
Antwort schuldig. Sie dürfen nicht nur einen Hinweis auf
eine Systemfrage geben, die wir übrigens gar nicht erfun-
den haben. Es handelt sich hierbei um eine Frage der prak-
tischen Vernunft. Sie haben dazu nur erklärt: Na gut, dann
lassen wir uns eben vom Europäischen Gerichtshof ver-
urteilen. – Das ist keine vernünftige Maxime für die
Steuerpolitik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben hier alle eine Verantwortung und der Bun-
desrat hat eine Verantwortung.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig!)

Jeder weiß, worum es geht, weil alles offen ausgetauscht
wird. Wir haben eine Fülle von Angeboten gemacht, die
Sie alle hätten übernehmen können. Sie hätten sich damit
schmücken können.

Es geht in Wirklichkeit um die Frage, ob der Herr Merz
seine Autorität als Fraktionsvorsitzender durchsetzen
kann oder nicht. Das ist alles.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/ CSU)


Genauso wird die Sache in den Landeshauptstädten auch
diskutiert. Sie müssen sich überlegen, ob Sie mit dem Fö-
deralismus in Deutschland so umgehen wollen


(Zurufe von der CDU/CSU)

oder ob Sie sagen: Föderalismus heißt, dass die Interessen
der Länder richtig wahrgenommen werden, und nichts an-
deres.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie alle haben eine Verantwortung. Die CDU/CSU
trägt in einer Fülle von Landesregierungen die Verant-
wortung. Die F.D.P. kommt übrigens in dieser ganzen De-
batte, solange sie in der Babylonischen Gefangenschaft
bleibt, überhaupt nicht vor und wird auch nicht gebraucht,
wenn sie sich so verhält. Sie müssen doch sehen, was Sie
da anrichten.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Sie müssen doch hier noch einmal reden!)


Meine Damen und Herren, es ist nicht vernünftig, was
Sie an dieser Stelle tun. Wenn Sie das Ganze weiter blockie-
ren, schaden Sie dem Land. Und jeder weiß auch, wer hier
blockiert.


(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411405700
Das Wort hat
jetzt der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Friedrich
Merz.

Friedrich Merz (CDU/CSU) (von der CDU/CSU mit
Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Herr Eichel, ich habe mir, als ich sie hier gehört




Bundesminister Hans Eichel

10791


(C)



(D)



(A)



(B)


habe, so gedacht: Besonders souverän und in der Sache
überzeugend war dieser Auftritt des Finanzministers
nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen bei der SPD und dem Bündnis 90/DIE GRÜNEN – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jetzt wollen wir mal gucken, was Sie machen! Wir sprechen uns in 20 Minuten wieder! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Und das von Ihnen, Herr Merz! Was für ein grandioser Auftakt Ihrer Rede!)


Ich habe eine Bitte: Wenn Sie beim nächsten Mal Fi-
nanzminister der Länder zitieren, die Ihr Dienstzimmer
aufsuchen, dann sagen Sie uns doch wenigstens, wer das
war.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind doch bloß neidisch, dass zu Ihnen keiner kommt!)


Wenn Sie es nicht tun, setzen wir einen Untersuchungs-
ausschuss ein und werden Ihre Terminkalender beschlag-
nahmen, Herr Eichel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen bei der SPD und dem Bündnis 90/DIE GRÜNEN – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist ja eine Lachnummer nach der anderen!)


Ich habe nämlich den Verdacht, dass Sie immer wieder
versuchen, mit Gesprächen Eindruck zu schinden, die in
Wahrheit gar nicht stattgefunden haben.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da können Sie von Ihrem Kollegen Schmidt lernen!)


Herr Eichel, wir haben keinen Entwurf der Länder
Bayern und Baden-Württemberg, sondern einen Gesetz-
entwurf der CDU/CSU-Bundestagsfraktion eingebracht.
Alle unionsregierten Länder haben im Bundesrat einen
Gesetzentwurf für eine große Steuerreform eingebracht.
Das unterscheidet uns von Ihnen, als Sie in der Opposi-
tion waren: Wir haben eine klare Alternative angeboten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Geld dafür kommt aus der Steckdose!)


Zu dieser Alternative zählt, dass wir in der Tat die gleich-
mäßige Entlastung von großen, mittleren und kleinen Un-
ternehmen genauso wie von Arbeitnehmern wollen.

Ich habe in diesem Zusammenhang immer gesagt: Wir
sind bereit, uns über Zeitpläne, über Entlastungsvolu-
mina, über Steuertarife und über den Körperschaftsteuer-
satz zu unterhalten. Das alles haben wir immer zur
Diskussion gestellt. Aber die Haushaltskonsolidierung
ist von uns nie infrage gestellt worden.


(Lachen bei der SPD)

Die Notwendigkeit einer Haushaltskonsolidierung ist von
uns immer bestätigt worden.

Damit wir auch wissen, worüber wir hier sprechen, will
ich Ihnen nur eine Zahl nennen. In den Jahren von 1998
bis 2001 nehmen allein die Steuereinnahmen des Bundes
von 341 Milliarden DM auf 442 Milliarden DM, also um
mehr als 100MilliardenDM, zu. Das ist das Dreifache des
Entlastungsvolumens, das Sie den Bürgern dieses Landes
bis zum Jahre 2005 in Aussicht stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Nun tun Sie nicht so, als ob mit den von uns gemach-

ten Vorschlägen das notwendige und richtige Ziel der
Haushaltskonsolidierung infrage gestellt wird. Herr
Eichel, die Wahrheit ist: Seitdem diese Regierung im Amt
ist, steigt die Steuerquote, steigt die Abgabenquote, steigt
der Anteil des Staatsverbrauchs am Sozialprodukt und ist
Stillstand auf dem Arbeitsmarkt eingetreten. Das ist die
Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: Das ist nicht die Wahrheit, wie Sie wissen! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rosstäuscher!)


Ich will ein Zweites sagen, was uns in dieser Frage
grundlegend voneinander unterscheidet: Wir führen hier
keine Debatte über steuerpolitische Dogmen, sondern wir
führen eine Diskussion um die Frage, wie ein begrenztes
Entlastungsvolumen, das Bund, Länder und Gemeinden
aufbringen müssen, gleichmäßig auf große, mittlere und
kleine Unternehmen sowie auf Arbeitnehmer verteilt wer-
den soll. Für eines lassen wir uns nicht mit in Haftung
nehmen: Sie haben gerade selbst zugegeben, dass Sie im
letzten Jahr die Körperschaften in der Bundesrepublik
Deutschland mit einer drastischen Verschärfung der
Gewinnermittlungsvorschriften steuerlich erheblich
höher belastet haben. Offensichtlich haben Sie denen
dabei versprochen, dass es im nächsten Jahr eine Senkung
des Körperschaftsteuersatzes auf 25 Prozent geben wird.
Herr Eichel, wir lassen uns für die Fehler, die Sie im letz-
ten Jahr gemacht haben, nicht durch niedrigere Körper-
schaftsteuersätze in Haftung nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen bei der SPD)


Es geht in der Tat um eine große Steuerreform, die
dieses Land dringend braucht. Wir wollen aber eine
Steuerreform, die auch und gerade den Mittelstand er-
reicht, und keine Steuerreform, die nur die großen Kapi-
talgesellschaften mit angeblich international wettbewerbs-
fähigen Körperschaftsteuersätzen ausstattet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es mag ja sein, dass Sie den guten Rat, den Sie während

der Ausschusssitzungen nie hören wollten, in den Wind
schlagen, auch wenn er öffentlich erteilt wird. Es kommt
nicht darauf an, ob das gewählte Verfahren als Anrech-
nungsverfahren oder Halbeinkünfteverfahren be-
zeichnet wird. Es kommt entscheidend darauf an, dass
Anteilseigner an Unternehmen – sei es an Kapitalgesell-
schaften oder an Personengesellschaften – steuerlich gle-
ich behandelt werden. Das ist der entscheidende Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)





Friedrich Merz
10792


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411405800
Herr Kollege
Merz, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten
Dr. Barbara Hendricks?


Friedrich Merz (CDU):
Rede ID: ID1411405900
Nein, Frau Präsidentin,
ich möchte meine Rede gerne im Zusammenhang vortra-
gen.


(Lachen bei der SPD – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Souverän, haben Sie doch vorhin gesagt! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Eine lächerliche Veranstaltung ist das!)


– Entschuldigung, ich möchte das jetzt gerne im Zusam-
menhang vortragen und mich nicht durch Zwischenfragen
unterbrechen lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Außerordentlich souverän, was Sie bisher vorgetragen haben!)


Wenn es richtig ist, was Sie hier bezüglich der gleich-
mäßigen Entlastung des Mittelstandes sagen, warum
muss der Mittelstand in der Bundesrepublik Deutschland
dann bis zum Jahr 2005 warten, während gleichzeitig für
die großen Kapitalgesellschaften die Körperschaftsteuer-
sätze zum 1. Januar 2001 gesenkt werden? Warum?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Detlev von Larcher [SPD]: Erstens ist es nicht wahr und zweitens hat er was dazu gesagt!)


Sie haben am letzten Freitag so genannte Kompro-
missvorschläge unterbreitet. Der Inhalt dieser Kompro-
missvorschläge, die Sie auch im Vermittlungsausschuss
verbreitet und vorher der Presse gegeben haben – Ihr
Vorgehen hat auch etwas mit Stil und Umgang zu tun; aber
sei es drum –,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zurufe von der SPD: Sensibelchen!)


entpuppt sich bei Licht betrachtet als eine weitere Ver-
schlechterung der Lage des Mittelstandes. Das weisen
Sie in Ihren Finanztableaus ja selbst aus. Gerda
Hasselfeldt hat bereits darauf hingewiesen. Für die Jahre
2001 bis 2004 wird der Mittelstand gegenüber dem, was
Sie hier mit Ihrer rot-grünen Mehrheit beschlossen haben,
noch einmal um 15 Milliarden DM höher belastet, bis
dann im Jahr 2005 eine Entlastung eintreten soll.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich will in diesem Zusammenhang ein weiteres

wichtiges Thema ansprechen: Wie halten Sie es eigentlich
mit der Steuerfreistellung der so genannten Veräuße-
rungserlöse? Sie haben für die großen Kapitalge-
sellschaften in Aussicht gestellt, eine solche ab dem Jahre
2001 vorzunehmen. Nun soll diese Freistellung auf das
Jahr 2002 verschoben werden. Darüber gibt es mit Recht
ziemlichen Ärger; aber das ist Ihre Sache. Was aber
machen Sie mit den Veräußerungserlösen im Bereich des
Mittelstandes? Was passiert mit denen, die beispielsweise
ihr Unternehmen an die nächste Generation weitergeben
wollen? In diesem Fall werden die Veräußerungsgewinne

voll versteuert. Dort, wo es um Kapitalgesellschaften
geht, werden die Veräußerungserlöse steuerfrei gestellt.
Das hat weder mit einer Gleichmäßigkeit der Besteuerung
noch mit einer Mittelstandsförderung etwas zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Joachim Poß [SPD]: Schon wieder was Falsches! – Detlev von Larcher [SPD]: Auch das ist ein Märchen!)


Ich will Sie nun auf eine Konsequenz Ihrer Steuerpoli-
tik aufmerksam machen, die Sie selbst wahrscheinlich
noch gar nicht gesehen haben. Sie kritisieren Vorschläge
mit den Schlagworten Krankenschwester und Chefarzt,
die wir gar nicht gemacht haben. Ich will mich auf das
konzentrieren, was Sie vorschlagen und was in diesem
Lande Wirklichkeit werden soll.

Sie wollen mit der Absenkung der Körperschaftsteuer-
sätze eine differenzierte Besteuerung der Unternehmen
gegenüber den natürlichen Personen erreichen. Was ist die
Folge davon? Jemand, der in diesem Land ein großes Ver-
mögen besitzt, ist gut beraten, mit In-Kraft-Treten dieser
Steuerreform die Vermögensverwaltung von privater
Hand auf eine GmbH zu übertragen. Die Folge ist, dass
die Vermögenserträge in privater Hand, in einer GmbH
organisiert, in Zukunft nur noch mit 25 Prozent besteuert
werden. Was soll eigentlich Ihre viel zitierte Kranken-
schwester davon halten, wenn sie mit dem oberen Teil
ihres Einkommens mittlerweile den Spitzensteuersatz von
48,5 Prozent erreicht


(Lachen bei der SPD)

und der Chefarzt mit seiner Vermögensverwaltung durch
eine GmbH nur noch 25 Prozent Steuern bezahlt?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Detlev von Larcher [SPD]: Wo leben Sie eigentlich? – Zurufe von der SPD: Unglaublich! – Weitere Zurufe von der SPD)


Meine Damen und Herren, die Steuerberater in der Bun-
desrepublik Deutschland, die eine Mandantschaft haben,
die zu den Vermögenden in diesem Land zählen, lachen
sich über die Vorschläge im Hinblick auf die Vermö-
gensverwaltung tot, die von der rot-grünen Bun-
desregierung kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie, Herr Eichel, haben nicht ohne Grund darauf

hingewiesen, dass der Gesetzgeber in der Bundesrepublik
Deutschland mehrfach vom Bundesverfassungsgericht
aufgefordert worden ist, eine verfassungskonforme
Steuergesetzgebung zu machen. Das war in der Tat be-
gründet. Angesichts der von mir beschriebenen eklatanten
Verletzung des Grundsatzes der Gleichmäßigkeit der
Besteuerung, eines Grundsatzes, der in der Bundesrepu-
blik Deutschland Verfassungsrang hat, der dem Gleichbe-
handlungsgebot des Grundgesetzes entspricht, frage ich:


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Erinnern Sie sich an Ihre Regierungszeit?)


Erwarten Sie allen Ernstes, dass wir einer Steuergesetzge-
bung zustimmen, die erneut die Frage aufwirft, ob nicht






(C)



(D)



(A)



(B)


Teile unseres Steuerrechts in der Bundesrepublik Deutsch-
land verfassungswidrig sind? Hierfür bekommen Sie die
Zustimmung der Union nicht, Herr Bundesfinanzminister.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Nun rühmt sich diese Regierung besonders gern ihrer
Hinwendung zur so genannten New Economy. Ich habe
Ihnen bei der ersten Lesung am 18. Februar 2000 von
dieser Stelle aus den Vorwurf gemacht, es handele sich
bei der Steuerreform, die Rot-Grün mache, um eine
Steuerreform, die sich im Wesentlichen auf die Old
Economy konzentriere. Daraufhin habe ich viel hämi-
sches Gelächter bekommen. In der Zwischenzeit haben
einige Leute nachgerechnet, welche Konsequenzen diese
Steuerreform hat. Kein Geringerer als der Chef des Welt-
wirtschaftsinstituts in Kiel, Professor Siebert, der nicht im
Verdacht steht, immer mit dem einverstanden gewesen zu
sein, was wir in früheren Jahren gemacht haben, hat in
jüngster Zeit darauf hingewiesen, dass diese Steuerreform
die Sachkapitalbildung in den Unternehmen privilegiert
und die Bildung von Humankapital diskriminiert.


(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

Was hat das noch mit New Economy und moderner Wirt-
schaftspolitik zu tun, wenn alte Unternehmen steuerlich
entlastet und junge Unternehmensgründer der New Eco-
nomy höher belastet werden, Herr Eichel? Nichts.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Deswegen ist es völlig richtig, was Professor Siebert

vor einigen Tagen sagte – wörtlich –:
Der Steuersatz sollte gerade in der neuen Informations-
gesellschaft zwischen Unternehmen und natürlichen
Personen nicht gespalten sein, wenn man Wachstums-
kräfte in der Breite freisetzen will.

Meine Damen und Herren, es gibt eine ganze Reihe
von ernsthaften sachlichen Einwendungen gegen das
Konzept der rot-grünen Steuerreform. Damit es allen, die
uns in dieser Debatte zuhören und langsam die Nase voll
davon haben, dass wir zu keinem Ergebnis kommen, klar
wird, worum es geht: Wir streiten nicht über irgendwelche
steuertechnischen Verfahren, sondern wir streiten über
die Grundfrage, ob es in der Bundesrepublik Deutschland
auch in Zukunft dabei bleibt, dass die Einkünfte und
Gewinne, gleich wo sie entstehen und wie sie verwendet
werden, steuerlich neutral behandelt werden und steuer-
lich gleich belastet werden. Das ist die entscheidende
Frage, um die es geht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es ist ja wahr, dass dies alles sehr schwer verständlich

ist. Aber wir gehören zu denen, die noch immer bereit
sind, sich auch einmal einen Rat von außen anzuhören,
ihn anzunehmen und über ihn nachzudenken.


(Jörg Tauss [SPD]: Oh ja!)

Man muss nicht in allen politischen Fragen der Wissen-
schaft folgen. Manches findet dort auch ziemlich weit von
der Realität entfernt statt. Aber die 78 Professoren, die ei-
nen geradezu dramatischen Aufruf an die deutsche Öf-
fentlichkeit gerichtet haben,


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit wann können Professoren dramatisch sein?)


den Fehler, den Sie jetzt planen, nicht zu machen, schließen
ihren Beitrag mit einem Zitat aus einer Bundestagsdebatte,
das ich an dieser Stelle gerne vortragen möchte. Das Zitat
lautet wörtlich:

Um die gravierenden Fehler der geplanten Steuer-
reform bloßzulegen, muss man nicht Wissenschaftler
sein. Auch Politiker haben erkannt: Die Meinung,

– jetzt wird das zitiert, was unser Kollege Solms in der
ersten Lesung gesagt hat –


(Mehrere Abgeordnete der SPD unterhalten sich an der Regierungsbank mit Mitgliedern der Bundesregierung)

dass die Unternehmen – –

(Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)

– Offen gestanden nehme ich das, was vor der Regie-
rungsbank stattfindet, nicht ernst. Das zeigt vielmehr, dass
die Regierung zu einem hohen Grad nervös ist und nicht
weiß, wie sie ihre Steuerreform durchsetzen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich versuche, noch einmal zu zitieren:

(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Dramatischer Appell!)

Um die gravierenden Fehler der geplanten Steuer-
reform bloßzulegen, muss man nicht Wissenschaftler
sein. Auch Politiker haben erkannt: Die Meinung, dass
die Unternehmen entlastet werden müssen, aber nicht
die Unternehmer, ist die wirtschaftspolitisch dümmste
Aussage eines Bundeskanzlers seit der Existenz der
Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Außerordentlich wissenschaftlich, diese Professoren!)


Der Beitrag endet mit den Worten:
Wir können nur hoffen, dass sich die Mehrheit der
verantwortlichen Politiker dieser Erkenntnis noch
rechtzeitig anschließt.

(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dramatisch blöd! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Soweit zur Wissenschaftlichkeit dieser Professoren!)


Ich habe für die Mehrheit in diesem Hause jede Hoff-
nung aufgegeben.


(Lachen bei der SPD)

Sie werden sich dieser Erkenntnis nicht mehr anschließen,
weil Sie völlig verbohrt und fixiert auf Ihre Ideologie der
Entlastung der Unternehmen und der höheren Belastung
der Unternehmer sind.


(Lachen bei der SPD)





Friedrich Merz
10794


(C)



(D)



(A)



(B)


Das ist Ihre Entscheidung.

(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer da ideologisch verbohrt ist, das ist noch die Frage! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Verrannt haben Sie sich!)


Es gibt für diese politische Position keine Mehrheit im
Bundesrat. Das werden Sie am nächsten Freitag bei der
letzten Sitzung des Bundesrates in Bonn erfahren. Wir
werden danach in ein zweites Vermittlungsverfahren ein-
treten können. Ich sage Ihnen im Namen meiner Fraktion:
Lieber eine gute Steuerreform am 29. September bei der
nächsten Sitzung des Bundesrates als eine schlechte am
14. Juli!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir schließen uns dem nicht an, was Sie im letzten Jahr

gemacht haben, als ein großes Unternehmen Pleite zu
gehen drohte: Wenn Philipp Holzmann Pleite geht, dann
kommt der Bundeskanzler. Aber wenn die Kleinen Pleite
gehen, dann kommt der Konkursverwalter. Ich sage Ih-
nen: Wir machen Steuerpolitik nicht nur für die Großen in
unserem Lande.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir werden uns auch in Zukunft – wenn wir in den ver-

gangenen Jahren etwas anderes versucht haben, dann ist es
von Ihnen blockiert worden – unserer Verantwortung im
Bundestag und im Bundesrat stellen. Wir werden dafür
sorgen, dass dieses Land eine gute Steuerreform bekommt.
Wir werden auf jede Weise verhindern, dass Sie mit dem,
was Sie vorhaben, am nächsten Freitag Erfolg haben.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Das weiß man nicht! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wie kommen Sie denn darauf?)


Wir werden Sie zwingen,

(Lachen bei der SPD)


mit uns über eine Steuerreform zu verhandeln, die ihren
Namen wirklich verdient, durch die große, mittlere
und kleine Unternehmen und Betriebe entlastet werden
und die auch die Arbeitnehmer in der Bundesrepublik
Deutschland nicht völlig unberücksichtigt lässt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Bei fall bei der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411406000
Ich erteile noch
einmal Herrn Bundesminister Hans Eichel das Wort.


(von der SPD sowie von Abgeordneten des Bündnisses 90/ Die Grünen mit Beifall begrüßt)

Merz, erstens möchte ich noch einmal auf das Thema
Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu sprechen kom-
men. Wie passt es zu Ihrer Forderung, Einkünfte und Ge-
winne, egal wo sie entstehen, steuerlich gleich zu behan-
deln, dass in Ihrem Steuerkonzept eine Abgeltungsteuer
vorgesehen ist? Das bedeutet, dass Sie die Kapitalerträge

günstiger als die Arbeitseinkommen besteuern. Das ist
Ihre Vorstellung von gleichmäßiger Besteuerung der Ein-
kommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zweiter Punkt: Sie behaupten, eine Politik für die Ar-
beitnehmer zu betreiben. Deswegen senken Sie in Ihrem
Steuerkonzept den Arbeitnehmerfreibetrag von 2 000 DM
auf 1 500 DM; die Kilometergeldpauschale machen Sie
zu einer Entfernungspauschale, indem Sie die Kilometer-
geldpauschale von 70 Pfennig auf 50 Pfennig verringern,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Hört! Hört!)


und Sie erkennen 15 Kilometer des Weges zum Arbeits-
platz nicht mehr an. Es ist die Masse der deutschen Ar-
beitnehmer, die Sie damit ordentlich belasten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Heuchelei! – Wolfgang Dehnel [CDU/CSU]: Populismus pur!)


An keiner Stelle Ihres Konzepts befindet sich ein Aus-
gleich für diese zusätzliche steuerliche Belastung von Be-
ziehern kleiner Einkommen. Ihre Behauptung, eine Poli-
tik für die Arbeitnehmer zu betreiben, ist also schlicht un-
wahr.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im Übrigen wiederhole ich nur die Zahlen: Wir sorgen
für eine Nettoentlastung von über 20 Milliarden DM für
den Mittelstand und für die Kapitalgesellschaften, was die
Gesamtwirkung unserer Steuerpolitik – Steuerentlas-
tungsgesetz und Steuersenkungsgesetz – angeht.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)

Die Kapitalgesellschaften – Sie haben früher im Deut-
schen Bundestag immer davon geredet, sie steuerlich zu
entlasten – haben es nötig, ein international wettbewerbs-
fähiges Steuerrecht und international wettbewerbsfähige
Steuersätze zu bekommen, damit der Standort Deutsch-
land auch für ausländisches Kapital, das zu Ihrer Regie-
rungszeit dieses Land gemieden hat, wieder interessant
wird. Das ist konkrete Politik für Arbeitsplätze und nicht
für Konzerne.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Was hier gespielt wird, das ist schon klar. Übrigens hat
Herr Kollege Faltlhauser – er wäre nie auf die Idee ge-
kommen, das Thema Halbeinkünfteverfahren ins Zen-
trum zu rücken; er hat die Gesamtentlastung zum Thema
gemacht – in dankenswerter Offenheit schon Wochen vor
dem Beginn des Vermittlungsverfahrens gesagt, man habe
viel Zeit und man könne im Herbst noch weitermachen.
Das Einzige, was Sie erreichen wollen, ist, zu beweisen,
dass wir unser Ziel nicht gleich erreichen. Das kann ich –
sozusagen als oppositionellen Kraftakt – zwar noch ver-
stehen; dem Lande dient es aber nicht. Das ist ganz klar.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Friedrich Merz

10795


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich wiederhole: Alle Landesregierungen werden sich
deswegen überlegen müssen, ob sie am 14. Juli eine rein
parteitaktisch motivierte Position beziehen


(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der CDU/CSU: Ausgerechnet ihr müsst das sagen!)


oder ob sie die Interessen dieses Landes in den Mittel-
punkt Ihrer Entscheidung stellen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411406100
Das Wort hat der Kol-
lege Peter Rauen, CDU/CSU-Fraktion.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Optionsmodell oder Halbeinkünfteverfahren?)



Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1411406200
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Herr Finanzminister
Eichel, ich habe den Eindruck, dass Sie doch sehr nervös
geworden sind,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


auch aufgrund der Rede von unserem Fraktionsvorsitzen-
den, weil Sie jetzt die Redezeit vom Kollegen Schmidt
doch noch beansprucht haben. Ihre Nervosität zeigt sich
auch daran, dass Sie hier aus Gesprächen im Vermitt-
lungsausschuss berichten und sich dann auch noch das
Recht nehmen, meine dort getätigten Aussagen zum Mit-
telstand völlig falsch zu interpretieren. Das nehme ich
nicht einmal mehr übel, weil Sie davon relativ wenig ver-
stehen.


(Lachen bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte nur auf einen Punkt intensiv eingehen, da
mir lediglich noch 3 Minuten und 40 Sekunden Redezeit
bleiben. Sie, Herr Finanzminister, sind ganz zum Schluss
auf die Arbeitnehmer eingegangen. Ich habe Sie im Ver-
mittlungsausschuss gebeten, meine Berechnungen zu wi-
derlegen, dass nach Ihren Reformen, auch unter Zugrun-
delegung des nachgereichten Vorschlags mit 43 Prozent
Spitzensteuersatz und einem leicht hinausgeschobenen
Erreichen der oberen Proportionalzone, der Facharbeiter
in Deutschland im Jahre 2005 prozentual mehr Steuern
zahlt als im Jahre 2001,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!)


dass der verheiratete Facharbeiter ohne mitverdienende
Ehefrau im Jahre 2005 prozentual mehr Steuern zahlt als
im Jahre 2001,


(Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

dass der verheiratete Facharbeiter mit der mitverdienen-
den Ehefrau im Jahre 2005 prozentual wesentlich mehr
Steuern zahlt als im Jahre 2001.

Meine Damen und Herren, daran wird die ganze Ver-
logenheit dieser Steuerreform deutlich, die den Menschen

über einen langen Zeitraum von sieben Jahren eine Ent-
lastung vorgaukelt, in Wahrheit aber am Sankt-Nimmer-
leins-Tag den Arbeitnehmern und den Unternehmern nur
das zurückgibt, was der Staat heimlich über die kalte Pro-
gression einkassiert hat. Dies ist ein zutiefst unredliches
Vorgehen; dazu passt, Herr Eichel, dass Sie immer von der
größten Steuerreform sprechen, die es je gegeben habe.
Ich darf daran erinnern, dass es in den 80er-Jahren unter
Stoltenberg eine Steuerreform gab, die die Menschen um
50 Milliarden DM entlastet hat. Das geschah damals bei
einem Bruttoinlandsprodukt von 1 800 Milliarden DM;
Sie bezeichnen aber trotz eines Bruttoinlandsprodukts
von 4 000 Milliarden DM und einer längeren Laufzeit als
damals Ihre Reform mit einer Entlastung von 80 Milliar-
den DM als die größte Steuerentlastung aller Zeiten.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Der größte Sprüchemacher aller Zeiten!)


Es ist eigentlich eines Finanzministers unwürdig, wenn er
durch das Nennen nur von absoluten Zahlen die volks-
wirtschaftlichen Zusammenhänge verzerrt. Das kann man
im Kern so nicht machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Eichel, ich will abschließend noch eines feststel-

len: Sie beklagen, dass sich durch das Scheitern der Ver-
handlungen im Vermittlungsausschuss jetzt eine wirkli-
che Reform um sechs, acht oder zehn Wochen verzögert.
Herr Eichel, dieses Land hat wichtige Jahre verloren,


(Zuruf von der SPD: 16!)

weil Sie 1997 als einer der Oberblockierer mit Lafontaine
und dem jetzigen Bundeskanzler Schröder in der Aus-
übung der Verantwortung Ihres damaligen Amtes eine
wirkliche Reform blockiert haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir wollen am Ende mit Ihnen gemeinsam zu einer Re-

form kommen, die wirklich, wie Friedrich Merz sagt, Ar-
beitnehmer, Unternehmer und Unternehmen entlastet,
aber keine Reform, die einseitig Kapitalgesellschaften be-
günstigt, aber natürliche Personen zur Kasse bittet. Das
werden Sie mit uns nicht machen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411406300
Ich schließe die Aus-
sprache.

Ich rufe nun den Zusatzpunkt 4 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)

Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbe-
steuerung (Steuersenkungsgesetz – StSenkG)

– Drucksachen 14/2683, 14/3074, 14/3366,
14/3640, 14/3760 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Joachim Poß




Bundesminister Hans Eichel
10796


(C)



(D)



(A)



(B)


Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Das
ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Erklärung er-
wünscht? – Das ist ebenfalls nicht der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsaus-
schuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsord-
nung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag über die
Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Es ist
namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze
einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung. –

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das
Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt ge-
geben.1) 2)

Ich möchte für das Protokoll noch bekannt geben, dass
es gemäß § 31 der Geschäftsordnung eine Erklärung des
Kollegen Jörg Tauss, SPD-Fraktion, zur Abstimmung
über das Ergebnis des Vermittlungsausschusses gibt.

Bevor wir die Beratungen fortsetzen, bitte ich diejeni-
gen Kolleginnen und Kollegen, die der anschließenden
Debatte folgen wollen, ihre Plätze einzunehmen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (19. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Stephan

Hilsberg, Brigitte Wimmer (Karlsruhe), Klaus
Barthel, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD sowie der Abgeordneten Matthias
Berninger, Hans-Josef Fell, Kerstin Müller

(Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine Modernisierung der Ausbildungsför-
derung für Studierende
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard

Friedrich (Erlangen), Angelika Volquartz,
Thomas Rachel, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU

Eckpunkte für eine BaföG-Reform
– zu dem Antrag der Abgeordneten Maritta

Böttcher, Dr. Heinrich Fink, Dr. Ilja Seifert und
der Fraktion der PDS

Strukturelle Erneuerung der Ausbildungsför-
derung
– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-

rung
Dreizehnter Bericht nach § 35 des Bundesaus-
bildungsförderungsgesetzes zur Überprüfung

der Bedarfssätze, Freibeträge sowie Vomhun-
dertsätze und Höchstbeträge nach § 21 Abs. 2
– Drucksachen 14/2905, 14/2031, 14/2789,
14/1927, 14/2811 Nr. 1, 14/3730 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Angelika Volquartz
Matthias Berninger
Cornelia Pieper
Maritta Böttcher

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kol-
lege Stephan Hilsberg von der SPD-Fraktion.


Stephan Hilsberg (SPD):
Rede ID: ID1411406400
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundestag
wird heute Eckpunkte zur BAföG-Reform verabschieden
und es wird Sie nicht wundern, dass es die Eckpunkte der
Koalition sind.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Ich darf das vorwegnehmen, auch wenn mir das natürlich
Leid tut für die Opposition, Herr Kollege Friedrich: Das
ist ein großer Erfolg für die Studierenden.

Wir sind hier auf der politischen Ebene, und zwar nicht
nur hinsichtlich des Umstandes, dass sich die Kollegen
lieber miteinander unterhalten statt zuzuhören, und dies
auch bei der Diskussion über wichtige Reformen. Leider
gibt es bei uns einen Sprachgebrauch, der von den Be-
troffenen häufig nicht verstanden wird. BAföG, das ist das
Bundesausbildungsförderungsgesetz. Es ist eines der
wichtigsten Gesetze, das wir haben und das die Bundes-
republik in den vergangenen 30 Jahren ein ganzes Stück
sozialer gemacht hat. Viele Absolventen, auch viele, die
hier im Saale sitzen, viele unserer Kollegen verdanken es
BAföG, dass sie haben studieren können, dass sie akade-
mische Grade erwerben konnten. Ich denke, ich kann im
Namen aller sagen: Die Gesellschaft verdankt BAföG ein
Stück mehr Chancengleichheit.


(Beifall bei der SPD)

Aber dieses Gesetz ist in die Jahre gekommen. Es ist

sehr unverständlich geworden, es ist fürchterlich kompli-
ziert, engherzig und deshalb alles in allem unzumutbar
geworden. Aus diesem Grunde hat es in den letzten Jah-
ren umfangreiche Bemühungen um eine vollständige Re-
form des BAföG gegeben.

Natürlich muss man eines bedenken: BAföG ist nicht
der einzige Teil der Reform, die ansteht. Wir haben neben
der BAföG-Reform auch noch eine umfangreiche Hoch-
schulreform für dieses System an Haupt und Gliedern
vorzunehmen. Dazu gehören die Dienstrechtsreform und
die Hochschulstrukturreform. Dies alles ist dringend not-
wendig, doch ohne BAföG-Reform kann die Hochschul-
strukturreform nicht gelingen, weil es sonst auf unserem
Weg in die Wissensgesellschaft leicht passieren könnte,




Vizepräsidentin Petra Bläss

10797


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Seite 10800
2) Anlage 23

dass Kinder aus sozial schwachen Familien zurückgelas-
sen würden. Und dann ist Chancengleichheit eben nicht
gewährleistet.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Chancengleichheit ist ein abstraktes Wort, aber hier

wird es mit Leben gefüllt. Ganz konkret: Was werden wir
machen? Wir wollen, dass die Studenten mehr Geld im
Portemonnaie haben. Wir werden die Eltern entlasten, in-
dem das Kindergeld nicht mehr angerechnet wird und die
Freibeträge erhöht werden. Wir werden BAföG-Empfän-
gern erstmals die Möglichkeit geben, EU-weit im Ausland
mit BAföG-Inlandssätzen studieren zu können. Wir wer-
den durch diese Reform die letzten Reste an Ost-West-
Ungleichheit aufheben, sodass eine völlige Rechtsgleich-
heit zwischen Ost und West geschaffen wird. Das ist ein
großer Fortschritt. Wir werden solche wichtigen Dinge
wie die Anrechnung von Kindererziehungszeiten stärker
und besser berücksichtigen, als das bisher der Fall war.

Dies alles sind dringend notwendige, unverzichtbare
Bestandteile der BAföG-Reform.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nun hat es in den letzten Monaten, in denen wir das
diskutiert haben, immer wieder kritische, skeptische Fra-
gen von Seiten der Opposition gegeben. Die Opposition
traute uns nicht zu, die dafür notwendigen Finanzmittel
aufzubringen. Meine Damen und Herren, der Finanzplan
liegt vor. Sie alle können in den Haushalt des Jahres 2001
hineinschauen. Die Diskussion ist entschieden. Die zu-
sätzlichen Millionen – in diesem Falle sind es 425 Milli-
onen DM, weil das nur ein Teilzeitraum und nicht das ge-
samte Jahr ist – sind bereitgestellt. Es ist „fresh money“,
es ist frisches Geld, das zur mittelfristigen Finanzplanung
hinzugekommen ist,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

sodass wir im Jahr 2001 nicht nur über den uns zustehen-
den Anteil der Innovationsmilliarde verfügen können,
sondern zusätzlich über den Anteil, der für das BAföG zur
Verfügung gestellt wird. Wenn ich dann noch berücksich-
tige, dass der Darlehensanteil und der Anteil der Länder
hinzukommen, werden wir es mit den 500 Millionen DM,
die zusätzlich im Haushalt stehen, schaffen, insgesamt
1,3 Milliarden DM für die Studenten zu mobilisieren.
Wenn das kein Erfolg ist, weiß ich nicht, was ein Erfolg
ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Natürlich haben wir mehr gewollt. Das gebe ich ganz
ehrlich zu. Wir haben einen Sockel gewollt. Der Sockel
hat sich nicht realisieren lassen. Es ist eine Sache der Ehr-
lichkeit, das einzugestehen. Aber es ist verlogen, wenn
F.D.P. und PDS heute immer noch so tun, als könnten sie
den Sockel realisieren.

Bei der F.D.P. wundert mich das besonders, weil der
Vorschlag, den sie dazu unterbreitet hat, total unfinan-
zierbar ist. Wie sich eine Partei der Besserverdienenden
das eigentlich leisten will, ist mir schleierhaft. Ich kann

mir das nur so erklären, dass Sie an dieser Stelle ja nicht
Ihr Geld ausgeben, sondern das Geld anderer.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411406500
Herr Kollege
Hilsberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Pieper?


Stephan Hilsberg (SPD):
Rede ID: ID1411406600
Bitte schön, Frau Pieper.


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1411406700
Herr Kollege Hilsberg, nach
diesen zahlreichen Unterstellungen, die natürlich alle
nicht zutreffen,


(Widerspruch bei der SPD)

möchte ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist – es müsste zu
Ihren Pflichten als Abgeordneter gehören, dass Sie darü-
ber Bescheid wissen –, dass die Darlehensrückflüsse aus
dem BAföG-Bestand im Bundeshaushalt bis zu 6 Milliar-
den DM betragen und dass das ursprüngliche Gesetz vor-
gesehen hat, dass diese Darlehensrückflüsse in die neue
Finanzierung des BAföG fließen, das heißt der Sockelbe-
trag des Ausbildungsgeldes allein aus den Darlehensrück-
flüssen voll finanzierbar wäre.


Stephan Hilsberg (SPD):
Rede ID: ID1411406800
Frau Pieper, Sie machen
hier wieder eine schöne Milchmädchenrechnung auf und
wollen darüber offenbar vergessen machen, dass allein Ihr
so genannter Reformvorschlag vermutlich zusätzliche
Kosten von 4 bis 5 Milliarden DM zur Folge hätte. Das
überstiege das, was an Mitteln vorhanden ist, bei weitem.

Jetzt lassen Sie mich bitte fortfahren. Ich glaube, Sie
haben noch Gelegenheit, darüber zu sprechen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411406900
Heißt das, dass Sie
eine zweite Frage nicht zulassen, Kollege Hilsberg?


Stephan Hilsberg (SPD):
Rede ID: ID1411407000
Wir wollen ja in der Sache
weiterkommen und keine Scheindiskussionen führen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auch zur PDS muss man nicht viel sagen. Ihr Vor-

schlag ist ein typisches Beispiel dafür, dass ungleiche Ver-
hältnisse gleich behandelt werden sollen. Nicht nur der
Umstand, dass Sie 1,8 Millionen Studenten eine Summe
von 1 200 DM monatlich zur Verfügung stellen wollen,
zeigt, dass er überhaupt nicht finanzierbar ist, denn das
würde in einen zweistelligen Milliardenbereich hinein-
gehen. Zum anderen würden Sie damit die bestehenden
sozialen Ungerechtigkeiten nicht beseitigen, sondern ver-
festigen. Denn diejenigen, die aus guten Familienverhält-
nissen kommen, nähmen das Geld dankbar entgegen, aber
sie hätten es überhaupt nicht nötig. Das heißt, soziale Un-
gerechtigkeiten werden bei Ihrem Antrag nur perpetuiert.

Darüber hinaus haben wir vor – das ist gemeinsam ver-
abredet –, Bildungskredite einzurichten. Das ist ein in-
novativer Vorschlag, der sich an eine völlig neue Gruppe
von Studenten richtet, die bisher kein BAföG erhalten ha-
ben, bei denen es aber ebenso vorkommen kann, dass sie




Stephan Hilsberg
10798


(C)



(D)



(A)



(B)


in finanzielle Notlagen geraten. Deshalb kann ich mir, ge-
rade bei Ihnen von der CDU/CSU, überhaupt nicht erklä-
ren, warum Sie diesen Vorschlag nicht unterstützen.


(Jörg Tauss [SPD]: Weil er neu ist!)

Vielleicht verstehen Sie das nicht; dann muss man es

Ihnen noch einmal genau erklären. Aber ich habe einen
anderen Verdacht. Mein Verdacht ist, dass Sie über Ihrem
Bemühen, sozusagen in die linke Ecke vorzustoßen und
so zu tun, als seien Sie sozial gerechter als wir, Ihre eigene
Wählerklientel vergessen. Denn es ist doch völlig klar:
Auch unter den Studenten, die zur Finanzierung ihres Stu-
diums auf das Einkommen ihrer Eltern angewiesen sind,
gibt es soziale und finanzielle Unterschiede. Die einen El-
tern sind leicht in der Lage, ein Auslandsstudium zu fi-
nanzieren, die anderen nicht. Auch wenn finanzielle Not-
lagen entstehen, sind diese Studenten nicht BAföG-be-
rechtigt. Aber sie brauchen eine finanzielle Hilfe, damit
sie nicht arbeiten gehen müssen. Diesen Studenten wollen
wir mit Bildungskrediten helfen. Dies ist die politische
Stoßrichtung der Bildungskredite. Es ist sehr gut, dass es
uns gelungen ist, sie zu verankern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ein weiterer Punkt unseres Antrags betrifft die Exper-
tenkommission. Auch das ist ein Punkt, den die
CDU/CSU nicht unterstützt. Ich wundere mich immer da-
rüber. Sind Sie denn schon so weit jenseits, dass Sie nicht
einmal mehr Diskussionen über die Veränderungen in un-
serer Gesellschaft führen wollen?


(Heiterkeit bei der SPD)

Das wundert mich wirklich sehr. Sie können gerne
blockieren, aber Sie werden die Veränderungen nicht auf-
halten. Wir werden uns um diese Veränderungen küm-
mern.


(Hubert Deittert [CDU/CSU]: Diese Arroganz! Das ist unglaublich!)


Es sind zum Teil ganz praktische Fragen, um die wir
uns zu kümmern haben. Ich kann doch beispielsweise
nicht ignorieren, wenn das Deutsche Studentenwerk fest-
stellt, dass zwar immerhin 33 Prozent der Kinder aus
bildungsfernen Schichten die Sekundarstufe II besuchen,
aber viel zu wenige von diesen anschließend studieren.
Ich kann doch nicht ignorieren, dass festgestellt wird, dass
die eigentliche Selektion in der Schule vorgenommen
wird, in der Weichenstellung zwischen Berufsausbildung
und Abiturzweig.

Wenn ich hier etwas ändern will, muss ich zusätzliche
Förderinstrumente entwickeln. Das können einfache
Dinge sein. Ich kann zum Beispiel Fahrt- und Verkehrs-
kosten zusätzlich fördern und ich kann mit Bildungsgut-
scheinen arbeiten. Aber ich muss mich um diese Dinge
kümmern. Denn wenn ich diese Gesellschaft sozial ge-
rechter machen will, dann muss ich bereits in der Schule
ansetzen. Mit welchen Instrumenten kann man das ma-
chen? Wir laden Sie ein, mit uns darüber zu reden.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias Berninger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Angelika Volquartz [CDU/CSU]: Für Schule sind Sie nicht zuständig! Das ist Länderkompetenz!)


Das sind alles keine trivialen Probleme. Wenn Sie diese
Diskussion nicht unmittelbar im Herzstück der Politik
verankern, dann ist sie für die Gesellschaft folgenlos.

Welchen Sinn macht es, Kindergeld bis zum 27. Le-
bensjahr zu zahlen? Hat das etwas mit dem Ende des Stu-
diums zu tun, mit dem Begriff des „lebenslangen Ler-
nens“? Hat das etwas damit zu tun, dass die, die eine
Berufsausbildung machen, davon überhaupt nichts ha-
ben? Und wie gehen wir auf die Situation ein, dass wir auf
dem Weg in die Wissensgesellschaft zunehmend ganz an-
dere Erwerbsbiografien haben werden: Abschnitte, in
denen man sein Geld selber verdienen muss, und dann
wieder Abschnitte, in denen man lernen muss? Die beste-
henden sozialen Netze sichern diese Lernabschnitte nicht
genügend ab. Wir brauchen im Hinblick auf die verschie-
denen sozialen Systeme umfangreiche Harmonisierungs-
bemühungen. Wir kümmern uns darum. Wir haben uns
dieses Problems angenommen und sind an dieser Stelle
auf einem guten Weg.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, wir verabschieden uns in
die Sommerpause


(Angelika Volquartz [CDU/CSU]: Ohne Gesetzentwurf!)


mit der Verabschiedung der Eckpunkte für eine solche Re-
form. Im Herbst dieses Jahres werden wir dann über einen
Gesetzentwurf und über viele Einzelheiten diskutieren
können. Aber die Weichen für mehr soziale Gerechtigkeit,
für die Förderung von Studenten werden wir heute stellen
und dafür danke ich Ihnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Angelika Volquartz [CDU/CSU]: Wo stellen Sie die? – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Wo bleibt der Gesetzentwurf?)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411407100
Bevor ich dem nächs-
ten Redner das Wort erteile, gebe ich Ihnen das von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb-
nis der namentlichen Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Vermittlungsausschusses zum Gesetz zur
Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unterneh-
mensbesteuerung, dem Steuersenkungsgesetz, Drucksa-
chen 14/2683, 14/3074, 14/3366, 14/3640 und 14/3760
bekannt: Abgegebene Stimmen 591. Mit Ja haben ge-
stimmt 312 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben
gestimmt 279 Kolleginnen und Kollegen. Die Beschluss-
empfehlung ist damit angenommen.




Stephan Hilsberg

10799


(C)



(D)



(A)



(B)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 591

ja: 312
nein: 279

Ja

SPD
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich (Mettmann)

Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Prof. Monika Ganseforth
Konrad Gilges

Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Prof. Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch

Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Prof. Dr. Jürgen Meyer

(Ulm)


Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Gerhard Neumann (Gotha)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Prof. Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Prof. Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer

Siegfried Scheffler
Horst Schild
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Volkmar Schultz (Köln)

Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz (Oldenburg)

Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie
Sonntag-Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker




Vizepräsidentin Petra Bläss
10800


(C)



(D)



(A)



(B)


Jochen Welt
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff (Zielitz)

Heidemarie Wright
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Katrin Dagmar
Göring-Eckardt

Winfried Hermann
Antje Hermenau
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)


Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler (Bruchsal)

Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Manfred Carstens (Emstek)

Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund

Horst Günther (Duisburg)

Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein

Gottfried Haschke

(Großhennersdorf )


Gerda Hasselfeldt
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold

(Offenbach)


Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhelmshaven)

Erwin Marschewski

(Recklinghausen)


Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz

Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller (Kirchheim)

Bernd Neumann (Bremen)

Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Hannelore Rönsch

(Wiesbaden)


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth (Gießen)

Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Dr. Christian
Schwarz-Schilling

Wilhelm-Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Rudolf Seiters
Bernd Siebert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten




Vizepräsidentin Petra Bläss

10801


(C)



(D)



(A)



(B)


Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Edeltraut Töpfer
Gunnar Uldall
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
Wolfgang Zöller

F.D.P.
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich Leonhard Kolb

Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Günther Friedrich Nolting
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
PDS
Monika Balt
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva-Maria Bulling-Schröter

Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Uwe Hiksch
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Dr. Ilja Seifert




Vizepräsidentin Petra Bläss
10802


(C)



(D)



(A)



(B)



(Beifall bei der SPD)

Nächster Redner in der laufenden Debatte ist der Kol-

lege Dr. Gerhard Friedrich, CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Gerhard Friedrich (CSU):
Rede ID: ID1411407200
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst
möchte ich dem Kollegen Hilsberg versichern, dass wir
natürlich die Idee des Bildungskredits überprüfen werden.
Allerdings können wir mit dieser Diskussion erst dann be-
ginnen, wenn Sie ein Konzept vorlegen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Bisher gibt es nur diesen Begriff. Soweit ich den Entwurf
des Haushalts für das nächste Jahr gesehen habe, gibt es
dafür kein Geld.

Herr Hilsberg, Sie haben Recht, wenn Sie prognosti-
zieren, dass die Koalition heute ein BAföG-Konzept be-
schließen wird. Es spricht für Sie, dass Sie zugeben – das
haben Sie aber etwas verniedlicht –, dass Sie gleichzeitig
ein Vorhaben, das man früher als „großes sozialdemokra-
tisches Reformprojekt“ bezeichnet hat, beerdigen. Das

Drei-Körbe-Modell, ein Begriff, den wirklich kaum je-
mand versteht, haben Sie vor und während des letzten
Bundestagswahlkampfes kompromisslos vertreten. Die-
ses Modell wurde als zentrales Vorhaben in Ihrer Koaliti-
onsvereinbarung angekündigt. Noch auf Ihrem Parteitag
im Dezember letzten Jahres haben Sie dieses Konzept be-
kräftigt.

Frau Kollegin Wimmer, die ich hier vor mir sitzen
sehe, hat unsere Vorschläge anlässlich einer Diskussion
am 2. Dezember 1999 sehr herablassend behandelt


(Brigitte Wimmer [Karlsruhe] [SPD]: Herablassend bin ich nie, Herr Friedrich!)


und ziemlich großspurig angekündigt, dass man auf der
Grundlage des so genannten Drei-Körbe-Modells für eine
Trendwende hin zu mehr Gerechtigkeit sorgen werde.


(Brigitte Wimmer [Karlsruhe] [SPD]: Ja, das habe ich gesagt! – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Nichts ist daraus geworden!)


Wenige Wochen später hat der Bundeskanzler dieses
Konzept während einer Fraktionssitzung beerdigt bzw.

Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Ver-
sammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete
Adler, Brigitte Bierling, Hans-Dirk Grießhaber, Rita
SPD CDU/CSU BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Moosbauer, Christoph Raidel, Hans Dr. Süssmuth, Rita
SPD CDU/CSU CDU/CSU
Prof. Weisskirchen, Gert (Wiesloch) Wimmer, Willy (Neuss) Zapf, Uta
SPD CDU/CSU SPD

mit einem Veto gestoppt. Seine Begründung – das hat
Kollege Berninger schon zum Ausdruck gebracht –, die
Eltern hätten das dafür notwendige Geld bereits für die Fi-
nanzierung ihrer Häuschen fest eingeplant, war wirklich
abenteuerlich.


(Cornelia Pieper [F.D.P.]: Richtig!)

In Wirklichkeit mussten auch Sie sich der Einsicht beu-

gen, dass der in diesem Zusammenhang erforderliche
Sockelbetrag nicht finanzierbar ist. Das wissen wir bereits
seit Jahren. Bei einer Direktzahlung an die Studierenden
gibt es erhebliche Konflikte mit dem Unterhaltsrecht und
mit verfassungsrechtlich abgesicherten Grundsätzen des
Steuerrechts. Diese Probleme lassen sich mit sehr viel
Geld lösen, machen das Ganze aber nicht finanzierbar.

1998 hat der Bund für das BAföG insgesamt 1,5 Milli-
arden DM ausgegeben. Frau Bulmahn, unsere neue Bil-
dungsministerin, hat 15 Monate gebraucht, um festzustel-
len, dass der Bund seine Ausgaben verdoppeln müsste,
um allein allen erwachsenen Auszubildenden ein Bil-
dungsgeld von 400 DM monatlich zu zahlen. Diese Zeit
hat sie auch gebraucht, um festzustellen, dass kein sozial-
demokratischer Finanzminister bereit ist, diese und zu-
sätzliche Mittel für höhere Leistungen an Einkommens-
schwache, auf die es in diesem Zusammenhang ganz ent-
scheidend ankommt, bereitzustellen. Hätte Frau Bulmahn
die Stellungnahmen ihres Vorgängers Rüttgers intensiv
gelesen, dann hätte sie schon bei Amtsantritt zu diesem
Ergebnis kommen können.

Herr Kollege Hilsberg, heute haben Sie die Koalition
und deren weise Beschlüsse bejubelt. Mitte Januar dieses
Jahres haben Sie schlicht und einfach von einem „Glaub-
würdigkeitsverlust der SPD“ gesprochen. Bei den Grünen
war sogar von einem „Bruch der Koalitionsvereinbarung“
die Rede.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Was ist denn wirklich passiert? Einige Tage später, wohl
in der Nacht vom 19. auf den 20. Januar dieses Jahres, ha-
ben Sie unseren Vorschlag einer Reform innerhalb des
Systems übernommen. Ich war wirklich fassungslos, als
Sie in der Aktuellen Stunde vom 20. Januar 2000 schon
wieder bereit waren, den Ruhm und die Weisheit der Ko-
alition zu preisen.

Ich will es klar sagen: Das Scheitern des Drei-Körbe-
Modells ist für uns kein Anlass, Tränen zu vergießen. An-
geblich sollte dadurch erreicht werden, erwachsene Stu-
dierende von ihren Eltern finanziell unabhängig zu ma-
chen. Tatsächlich ist dieses Ziel überhaupt nicht zu
verwirklichen; dies gilt zumindest für die meisten Stu-
denten.

Auch die Empfänger von Bildungsgeld bleiben über-
wiegend auf ergänzende Unterhaltsleistungen der Eltern
angewiesen. Ein Staat, der sparen muss, sollte das Geld
auf diejenigen konzentrieren, die aufgrund der Einkom-
mensverhältnisse wirklich staatliche Hilfe brauchen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Brigitte Wimmer [Karlsruhe] [SPD]: Hättet ihr das einmal in den letzten zehn Jahren gemacht!)


Wir haben immer vorhergesagt, dass jemand, der viel
Geld für die Einrichtung eines Bildungsgeldes ausgibt,
anschließend bei der Hilfe für die wirklich Ein-
kommensschwachen sparen muss.

Ein Beispiel dafür ist ein Vorschlag der F.D.P., Frau
Kollegin Pieper. Sie bieten darin ein noch großzügigeres
Bildungsgeld an – über die Finanzierung will ich hier gar
nicht reden –


(Cornelia Pieper [F.D.P.]: Doch!)

und sehen für diejenigen, die es benötigen, noch einen Zu-
schuss von 350 DM vor. Wer noch mehr Geld braucht, be-
kommt dann ein Darlehen in Höhe von bis zu
750 DMmonatlich. Übertragen wir das auf die heutige Si-
tuation, so wären diejenigen, die auf eine Vollförderung
angewiesen sind, bei Abschluss ihrer Ausbildung an der
Hochschule noch höher verschuldet, als sie es heute sind.

Wenn wir gemeinsam beklagen, dass von 100 Kindern
aus einkommensschwachen Familien nur 33 auf das
Gymnasium gehen und davon im Schnitt lediglich acht
ein Studium aufnehmen,


(Brigitte Wimmer [Karlsruhe] [SPD]: Das ist das gewollte Ergebnis der CDU/CSU-Politik! – Gegenruf der Abg. Angelika Volquartz [CDU/CSU]: Vorsicht, das ist Länderpolitik!)


dann ist doch genau das Gegenteil notwendig, Frau Kol-
legin. Deshalb schlagen wir, unterstützt durch die Hoch-
schulrektorenkonferenz, vor, die Darlehensbelastung zu
begrenzen. Meine Damen und Herren, wenn Sie eines Ta-
ges unsere Zustimmung zu Ihrem BAföG-Konzept wol-
len – das ist ja erst dann endgültig zu beurteilen, wenn der
Gesetzentwurf vorliegt –, dann müssen Sie bei dieser so-
zialen Komponente, die uns sehr wichtig ist, noch nach-
bessern.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Bei der letzten Debatte zu diesem Thema am 20. Januar

musste ich feststellen, dass uns die in den letzten Jahren
tatsächlich stark gesunkene Gefördertenquote vorge-
worfen wird.


(Brigitte Wimmer [Karlsruhe] [SPD]: Zu Recht!)


Es wurde gesagt, die alte Regierung hätte das BAföG aus-
getrocknet.


(Brigitte Wimmer [Karlsruhe] [SPD]: Hat sie auch gemacht!)


Da Sie damit auch heute sicher wieder kommen, möchte
ich auf Folgendes aufmerksam machen: Wir hatten es mit
der schwierigen Situation zu tun, dass sich die Fachmi-
nister aus Bund und Ländern wegen ihrer unterschiedli-
chen Vorstellungen hinsichtlich des Wesens einer Struk-
turreform gegenseitig blockiert haben. Im Jahre 1997 ha-
ben die Finanzminister dreimal den einstimmigen
Beschluss gefasst, dass eine BAföG-Reform kostenneu-
tral durchgeführt werden müsse. Und im letzten Be-
schluss vom Dezember 1997 – ich habe die ent-
sprechenden Unterlagen an meinem Platz – kommt
klar zum Ausdruck, dass die Finanzminister – und zwar




Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen)


10803


(C)



(D)



(A)



(B)


einstimmig – alle vorgelegten Konzepte für eine BAföG-
Reform ablehnen.


(Angelika Volquartz [CDU/CSU]: SPD regierte Länder!)


Für die wirklich bedauerliche Entwicklung, die wir nie-
mals gerechtfertigt haben, sind also nicht nur wir verant-
wortlich, die wir die letzte Regierung getragen haben,
sondern auch die sozialdemokratischen Finanzminister in
den Ländern.

Umso erstaunter sind wir, dass Sie jetzt aus den Feh-
lern der Vergangenheit das Recht ableiten, die Strukturre-
form oder, wie Frau Bulmahn neuerdings sagt – dieser Be-
griff ist eigentlich zutreffend –, die Totalsanierung der
Ausbildungsförderung selbst zu verzögern. Nur zu Be-
ginn Ihrer Regierungszeit haben Sie schnell gehandelt
und, wie damals Herr Bundesminister Rüttgers kurz vor
der Wahl, die Freibeträge und die Bedarfssätze erhöht.
Aber wir stellen fest, dass Sie seit der Verabschiedung der
20. Novelle, genauer gesagt: seit dem Wechsel im Fi-
nanzministerium, eine Politik nach dem Motto „Sparen
durch Verzögern“ betreiben.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der SPD: Das haben wir von Herrn Waigel gelernt!)


– Sie lachen, Herr Kollege Hilsberg. Als Sie nach einer
Nachtsitzung – das habe ich gelesen; Sie haben es der
Presse mitgeteilt – Ihr Konzept vorgelegt haben, war die
Finanzierung überhaupt noch nicht gesichert; es gab nur
Eckpunkte.


(Stephan Hilsberg [SPD]: Das war ein großer Erfolg!)


Darüber haben Sie mit dem Finanzminister noch wochen-
lang gestritten.


(Brigitte Wimmer [Karlsruhe] [SPD]: Aber wir sind erfolgreich, im Gegensatz zu Ihnen!)


Der Finanzminister wollte die Reform erst im Jahr 2002
in Kraft treten lassen.

Jetzt haben Sie einen Kompromiss geschlossen und
nennen ein neues Datum für das In-Kraft-Treten, nämlich
den 1. April 2001. Damit setzen Sie sich in Widerspruch
zu dem Bericht Ihrer Regierung über die Entwicklung des
BAföG. In ihm steht, dass aus dem Anstieg der Lebens-
haltungskosten eine Anhebung der Bedarfssätze und Frei-
beträge zum Herbst 2000 abgeleitet werden kann und dass
die Entwicklung der Nettoeinkommen eine noch höhere
Anpassung rechtfertigt.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411407300
Herr Kollege
Friedrich, ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.


Dr. Gerhard Friedrich (CSU):
Rede ID: ID1411407400
Das
heißt, Sie verschieben nicht nur die inzwischen von allen
Ländern dringend angemahnte Totalsanierung des
BAföG, sondern nehmen auch in Kauf, dass das Förder-

niveau vorübergehend erneut absinkt. Dafür werden al-
lein Sie die Verantwortung übernehmen müssen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411407500
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Matthias
Berninger.


Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411407600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor kurzem
hat die OECD eine Studie mit dem Titel „Bildung auf ei-
nen Blick“ vorgestellt, in der die Industrieländer, die
wohlhabenden Länder dieser Welt, und deren Bildungs-
systeme miteinander verglichen wurden. Auffällig ist,
dass in Deutschland der Anteil eines Altersjahrgangs, der
an eine Hochschule geht, erschreckend niedrig ist: niedri-
ger als in den meisten anderen Ländern, niedriger als im
Durchschnitt aller OECD-Länder.

Hier ist von allen Seiten beklagt worden, dass in
Deutschland der Geldbeutel darüber entscheidet, ob je-
mand an die Uni geht oder nicht. Eine Errungenschaft der
Bildungsreform ist, dass der Anteil von Frauen bei den
Studienanfängern knapp 50 Prozent beträgt, dass also
Gleichberechtigung gegeben ist.


(Angelika Volquartz [CDU/CSU]: Richtig!)

Im Hinblick auf die Einkommen der Eltern der Studieren-
den haben wir aber überhaupt noch nichts erreicht.

Bei allem Streit über die BAföG-Reform sollte man
sich dieses Ziel ganz oben auf die Fahnen schreiben. Hier
muss sich in den nächsten Jahren etwas ändern. In
Deutschland müssen mehr junge Menschen studieren. Die
Begabungsreserven kann man vor allem dort wecken, wo
die Leute nicht studieren, weil die Eltern die notwendigen
Mittel nicht zur Verfügung stellen können, obwohl deren
Kinder die Fähigkeiten zum Studieren hätten. Wenn wir
über BAföG reden, sollten wir uns meiner Meinung nach
zunächst einmal über diesen Punkt verständigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein zweiter wichtiger Punkt ist für mich die Diskussion

über die BAföG-Reform. Ich hätte es für besser gehalten,
wir hätten eine BAföG-Strukturreform gemacht, die das
klare Signal an die Familien gesandt hätte, dass unabhän-
gig von den Eltern Studierende gefördert werden können.
Die elternunabhängige Studienfinanzierung ist aus
meiner Sicht nach wie vor das bessere Modell im Ver-
gleich zu der bisherigen, am Elterneinkommen orientier-
ten Ausbildungsförderung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der F.D.P. und der PDS)


– Da Sie von beiden Seiten klatschen, muss ich sagen,
dass Sie von der PDS nur eine halbe elternunabhängige
Förderung wollen.


(Maritta Böttcher [PDS]: Aber besser als keine!)





Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen)

10804


(C)



(D)



(A)



(B)


Das ist so, als wollte man über einen Bach springen,
springt aber nur bis zur Mitte. Dass dies das Problem löst,
bezweifle ich.

Eine Ungerechtigkeit, die heute noch nicht thematisiert
worden ist, besteht darin, dass wir zwei Formen der För-
derung haben: Über das Steuerrecht fördern wir die wohl-
habenden Familien. Wir geben sehr viel Geld dafür aus,
dass sie entlastet werden, wenn ihre Kinder studieren.
Über das BAföG fördern wir diejenigen Familien, die we-
nig Geld haben. Der Unterschied besteht darin, dass der
Steuervorteil zu keinerlei Rückzahlungsverpflichtungen
führt, was, wie wir wissen, zumindest für die Hälfte des
BAföG gilt. Diese Ungerechtigkeit wird auch nach der
Reform fortbestehen. Ich persönlich halte dies sozialpoli-
tisch für nicht verantwortbar und familienpolitisch für
falsch.


(Beifall bei der F.D.P.)

Auf dem Weg in die Wissensgesellschaft werden wir nur
dann einen kräftigen Schritt vorankommen, wenn wir die
Familien komplett von der Verantwortung für ihre Kinder
im Studium entlasten.

Nun aber zur konkreten Reform: Herr Kollege
Friedrich, wir haben es – natürlich im zähen Kampf mit
dem Finanzminister – geschafft, 0,5 Milliarden DM zu-
sätzlich im Haushalt zu mobilisieren. Das bedeutet, dass
wir insgesamt weitere 1,3 Milliarden DM in das BAföG
hineinstecken können. Die bedürftigen Familien in
Deutschland können mit 1,3 Milliarden DM mehr für die
Studierendenförderung rechnen. Klar war das ein harter
Kampf mit Herrn Eichel; das ist überhaupt keine Frage.
Im Kabinett ist es aber beschlossen worden. Die Ministe-
rin hat sich an dieser Stelle durchgesetzt.


(Brigitte Wimmer [Karlsruhe] [SPD]: Davon haben die nur geträumt!)


Ich möchte Ihnen einmal ein paar Zahlen vorlesen, die
die Dimension deutlich machen. Die BAföG-Ausgaben
sind im Jahr 1991 um 18Millionen DM gesunken, im Jahr
1992 um 244 Millionen DM, im Jahr 1993 um 268 Milli-
onen DM, im Jahr 1994 um 164 Millionen DM. 1995 hat
der Bund 85 Millionen DM weniger für das BAföG aus-
gegeben, 1996 202 Millionen DM weniger und 1997 hat
man sich darüber gefreut, dass es nur noch 41 Milli-
onen DM weniger als im Vorjahr waren. Da hat man stolz
davon gesprochen, dass die Talfahrt gestoppt ist.

In Ihrer Verantwortungszeit – ich beziehe mich nur auf
diese Phase – ist das Sozialleistungsgesetz BAföG zu ei-
nem absoluten Nichts verkommen und ausgeblutet wor-
den. Das ist auch der Grund dafür, warum heute nur so
wenige Kinder aus einkommensschwachen Familien – es
sind übrigens viel weniger, als das früher der Fall war –
studieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es ist natürlich überhaupt keine Frage: Auch die Län-
derfinanzminister haben sich die Hände gerieben. Ich
halte es nicht für verantwortbar, dass sie dieses Geld ein-
gespart haben. Es gibt aber einen Unterschied: Unsere
Ministerin wird Ihnen einen Gesetzentwurf vorlegen, in

dem 1,3 Milliarden DM mehr ausgegeben werden und
nicht Hunderte von Millionen DM weniger. Das ist ein
wichtiger Unterschied.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Wo ist denn der Gesetzentwurf? Der war für Januar angekündigt! – Dr.-Ing. Rainer Jork [CDU/CSU]: Ankündigungsministerium!)


Die Koalitionsfraktionen haben in ihrem Antrag die
Bundesregierung aufgefordert, zum 1.April nächsten Jah-
res die BAföG-Reform auf den Weg zu bringen. Der
1. April ist ein realistisches Datum.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das ist wahr!)


Wir werden, wenn wir so viel Geld in das BAföG
stecken, wie wir es heute vorhaben – es geht um 1,3 Mil-
liarden DM –, an vielen Stellen innerhalb des Gesetzes
überlegen müssen: Sind bestimmte Regelungen noch
sinnvoll oder nicht, können wir das BAföG entbürokrati-
sieren? Das bedarf eines geordneten Verfahrens. Dieses
geordnete Verfahren heißt: Im Herbst beschließt das Kabi-
nett, im Winter berät der Bundestag und im Frühjahr tritt
die BAföG-Reform in Kraft.


(Dr. Gerhard Friedrich [CDU/CSU]: Und vorher?)

Sie haben beispielsweise Forderungen gestellt, über

die man gründlich nachdenken muss – das werden wir
auch tun –, so etwa über die Forderung, die Darlehens-
schuld zu begrenzen, damit diejenigen, die am meisten
bedürftig sind, am wenigsten durch die BAföG-Schulden
belastet werden. Das ist ein interessanter Vorschlag, den
auch die Ministerin angesprochen hat und von dem wir
glauben, dass man ihn gründlich überprüfen und abwägen
sollte, ob er sinnvoll ist.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Wir sind kreativer als die Bundesregierung!)


Dafür brauchen wir aber die Zeit bis zum 1. April.
Ich glaube, dass es in dieser Zeit gelingen wird, die

BAföG-Regelungen zu sanieren. Dass wir sie total sanie-
ren werden, bezweifle ich. Ich habe Ihnen auch erklärt,
warum: Ich glaube, es wird in den nächsten Jahren struk-
tureller Reformen innerhalb der Ausbildungsförderung
bedürfen. Wir werden aber in diesem Gesetz so viele
Dinge verändern, dass es am Ende nicht am BAföG lie-
gen wird, wenn nur wenige Leute aus einkommens-
schwachen Familien studieren.


(Dr.-Ing. Rainer Jork [CDU/CSU]: Das ist nicht wiederzuerkennen!)


Natürlich haben auch die Schulen eine große Verant-
wortung, dafür zu sorgen, dass Leute auch dann eine
Chance zum Abitur erhalten, wenn sie aus einer Familie
stammen, die Sozialhilfe bezieht. Die Zahlen, die uns auf
dem Tisch liegen, sind erschreckend. Das wissen wir alle
und das macht uns alle besorgt.

Ich möchte noch zwei Bemerkungen zu der Strukturre-
formdiskussion machen. Innerhalb der Rentenreform
wird es jetzt eine Reform des Unterhaltsrechts geben.




Matthias Berninger

10805


(C)



(D)



(A)



(B)


Das hat Arbeitsminister Riester angekündigt, und das ist
vernünftig. Warum sollen diejenigen, die Kinder in die
Welt gesetzt haben, dann, wenn sie im Alter von Armut
betroffen sind, ihre Kinder belasten, während andere, die
ohne Kinder durchs Leben gegangen sind, zum Sozialamt
gehen können?

Hier werden die Unterhaltsbeziehungen zwischen Er-
wachsenen gekappt. Wir sollten das zum Anlass nehmen,
insgesamt darüber nachzudenken, ob die Unterhaltsbezie-
hungen zwischen Erwachsenen – zwischen erwachsenen
Studierenden und ihren Eltern und zwischen Rentnerin-
nen und Rentnern und ihren Kindern – noch vernünftig
geregelt sind. Dafür wollen wir eine Reformkommission
zur Zukunft der Bildungsfinanzierung einsetzen.

Wir wollen diese Reformkommission, weil wir sagen:
Auf dem Weg zum lebenslangen Lernen ist eine zentrale
Frage, wie man die Vorsorgeleistungen der Menschen für
die Bildung steuerlich begünstigen kann. Wir wollen die
Reformkommission, weil wir nicht selbstsicher sagen,
diese BAföG-Reform wird der größte Erfolg in der Ge-
schichte der Republik, sondern weil wir prüfen wollen, ob
das Ziel erreicht wird oder ob weitere Maßnahmen nötig
sind. Wir wollen die Reformkommission, weil die Struk-
turreformdiskussion über das BAföG gezeigt hat: Es gibt
in Deutschland viele Menschen, viele Verbände und sehr
viel Engagierte, die sich mit diesem Thema beschäftigen.
Diese Menschen wollen wir an einen Tisch holen, um mit
ihnen über vernünftige Lösungen über den Tag hinaus zu
diskutieren. Ich halte das für eine gute Sache.

Am meisten freue ich mich, dass wir uns bereits auf ei-
nen Punkt geeinigt haben, der ein Stück weit Elternunab-
hängigkeit repräsentiert. Der Kollege Hilsberg hat ihn be-
reits angesprochen. Dadurch, dass wir den Studierenden
die Möglichkeit geben, elternunabhängig Bildungskre-
dite in Anspruch nehmen zu können, wollen wir einen un-
bürokratischen Weg gehen, der es den Studierenden er-
laubt, nicht jobben zu müssen, sondern schneller das Exa-
men zu machen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411407700
Herr Kollege
Berninger, auch Sie müssen bitte zum Schluss kommen.


Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411407800

Es darf nämlich nicht sein, dass Deutschland die jüngsten
Rentner und die ältesten Studenten hat. Deshalb wollen
wir ein Instrument schaffen, das das Studium beschleu-
nigt.

Mein Appell, insbesondere an die unionsgeführten
Länder, lautet: Machen Sie dafür ebenfalls den Weg frei.
Die Koalitionsfraktionen werden ihren Anteil dazu bei
den Haushaltsberatungen abliefern.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Legen Sie erst einmal ein Konzept vor!)


– Das Konzept, Herr Kollege Rachel, legen wir Ihnen
selbstverständlich gern vor.


(Angelika Volquartz [CDU/CSU]: So schnell wie den Gesetzentwurf?)


– Alles zu seiner Zeit, im Herbst.
Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411407900
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Cornelia Pieper für die F.D.P.-Fraktion.


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1411408000
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich sage noch einmal deut-
lich: Wir beraten heute nicht über eine Strukturreform der
Bundesausbildungsförderung, sondern über Anträge der
Regierungskoalition und der Union, die auf eine Er-
höhung der Bedarfssätze und Freibeträge hinauslaufen,


(Stephan Hilsberg [SPD]: Na, na, na! Ein bisschen mehr ist es schon!)


sozusagen über eine zukünftige 21. Novelle. Insbeson-
dere die Regierungskoalition verabschiedet sich damit
von ihrem Vorhaben, eine echte Reform auf den Weg zu
bringen.

Meine Damen und Herren von der Regierungskoali-
tion, ich möchte Sie, Frau Ministerin, daran erinnern, was
Sie bei der Beratung des 20.Gesetzes zur Änderung der
Bundesausbildungsförderung 1999 gesagt haben. Da-
mals sagten Sie – ich zitiere mit Genehmigung der Präsi-
dentin:

Ich habe ... gesagt, dass wir zwar mit der vorliegen-
den BAföG-Novelle eine Trendwende hin zu mehr
Chancengleichzeit und sozialer Gerechtigkeit einlei-
ten, dass aber die Hauptaufgabe noch vor uns liegt,
nämlich eine grundlegende Reform der Ausbildungs-
förderung.
Wir werden hierzu bis Ende dieses Jahres ein ent-
scheidungsreifes Konzept vorlegen. Wir bauen bei
unseren Überlegungen auf den breiten Konsens auf,
ausbildungsbezogene staatliche Leistungen wie Kin-
dergeld und Freibeträge zu einer elternunabhängigen
Förderung zusammenzufassen.

Frau Ministerin, genau das, was Sie wollten, sieht un-
ser Gesetzentwurf vor, den wir heute hier nicht mitbera-
ten. Ich weiß das, aber ich wollte Sie einfach noch einmal
an Ihre Vorhaben in der Regierungskoalition und auch an
die Beschlüsse des SPD-Bundesparteitages erinnern.

Die Wahrheit, meine Damen und Herren von der Re-
gierungskoalition, ist: Sie sind mit Ihren richtigen Vor-
stellungen für eine echte Strukturreform vom Bundes-
kanzler zurückgepfiffen worden. Es verlief nach dem be-
kannten Schema – wir wissen es alle, denn dies passiert
öfter und auch vor den Augen der Öffentlichkeit –: große
Versprechen im Wahlkampf, auch einmal in der Regie-
rungserklärung und im Koalitionsvertrag. Dann erklärt
der Kanzler der jungen Generation, als der er sich gerne
sieht, die BAföG-Reform zur Chefsache und erledigt es
auf seine Weise: Sie findet nicht statt.




Matthias Berninger
10806


(C)



(D)



(A)



(B)



(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Angelika Volquartz [CDU/CSU]: Er hat die Ministerin bloßgestellt!)


Die richtige Idee einer elternunabhängigen Förde-
rung für junge Erwachsene in der Ausbildung opfern Sie
sozusagen einer unsachlichen und demagogischen Argu-
mentation des Kanzlers selbst: Er könne auf die Wähler-
stimmen der Häuslebauer nicht verzichten, die das Kin-
dergeld und das durch Ausbildungsfreibeträge gesparte
Geld zur Abzahlung ihrer Schulden verwenden. Ich finde,
dies ist eine Anmaßung gegenüber diesem Parlament, das
die Steuerfreibeträge, die die Eltern junger Menschen bis
zu deren 27. Lebensjahr geltend machen können, geneh-
migt hat, damit die Ausbildung finanziert und das Geld
nicht artfremd verwendet wird. Ich glaube, dies ist eine
demagogische und unsachliche Argumentationsführung,
die wir in diesem Hohen Hause nicht dulden können.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Mit anderen Worten: Diese Regierung ist gewiss nicht

der Anwalt der jungen Generation,

(Stephan Hilsberg [SPD]: Sie müssen erst einmal rechnen lernen, Frau Pieper! Dann können Sie uns hier Vorhalte machen!)


denn Sie haben Ihr Wort gegenüber den jungen Menschen
gebrochen.

Eines ist auch gewiss: Der Druck der Opposition, ins-
besondere auch durch unseren F.D.P.-Gesetzentwurf, hat
Ihnen wenigstens geholfen, dem Finanzminister diese
rund 500 Millionen DM aus dem Haushalt 2001 abzurin-
gen. Ohne den Druck der Opposition hätten Sie das nicht
geschafft.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Sie haben doch immer beim Finanzminister abgeladen! Wir laden auf! Das ist der Unterschied!)


Ich will Ihnen noch eines entgegenhalten: Die angebli-
che Nichtfinanzierbarkeit einer Strukturreform ist von
Ihrem eigenen Hause, sprich: vom Ministerium, widerlegt
worden. Ich habe ausrechnen lassen, welche Kosten mit
unserem Gesetzentwurf zum Ausbildungsgeld verbunden
sind. Dies wären Mehrkosten in Höhe von 3,5 bis 4 Mil-
liarden DM. Ich habe schon aus der Expertenanhörung zi-
tiert. Das Deutsche Studentenwerk hat in dieser An-
hörung noch einmal daran erinnert, dass im Gesetz ur-
sprünglich vorgesehen war, dass Rückflüsse, die schon
jetzt von Studierenden, die fertig sind, kommen, zur Refi-
nanzierung beitragen sollen. Diese verschwinden in Höhe
von 6Milliarden DM im Gesamthaushalt. Dies finden wir
nicht richtig. Dies entspricht auch nicht dem ursprüngli-
chen Anliegen des Gesetzentwurfes.


(Beifall bei der F.D.P.)

Sie von der Regierungskoalition wollen mit Ihrem An-

trag, wie ich schon sagte, unter anderem entbürokratisie-
ren – das kann ich eigentlich nur begrüßen –, die Be-
darfssätze auf 1 100 DM anheben, die Freibeträge ohne
Anrechnung des Kindergeldes erhöhen und die Unter-
schiede zwischen Ost und West abbauen, die sich auf

Wohnkosten und Krankenversicherungszuschläge bezie-
hen.

Frau Ministerin, Letzteres haben wir Ihnen bereits vor
einem Jahr empfohlen. Da argumentierten Sie übrigens
noch, die Lebenshaltungskosten im Osten seien viel ge-
ringer und die Härtefallregelung im bisherigen Gesetz
ausreichend. Ich freue mich, dass jetzt zumindest unsere
damalige Argumentation gegriffen hat und Sie diesen
Schritt der Angleichung bei der Gesetzesänderung tun
wollen.

Aber ich frage Sie auch: Wo bleibt eigentlich Ihr Ge-
setzentwurf? Wir beraten hier über einen Antrag, der ne-
bulös im Raum steht. Ein Gesetzentwurf der Regierung
liegt bis jetzt nicht vor. Sie wollen – so haben Sie uns im
Ausschuss versprochen – bis Ende des Jahres eine Geset-
zesnovelle vorlegen, die dann unserem Gesetzentwurf mit
einer echten Strukturreform gegenüberstehen wird.

Der eigentliche Skandal ist, dass Sie sich, ohne einen
Gesetzentwurf vorgelegt zu haben, im Haushalt 2001 ei-
nen Blankoscheck von der Opposition ausstellen lassen
wollen. Das geht nicht, meine Damen und Herren. Ich
habe mich gefragt, warum Sie Ihren Gesetzentwurf, für
den Sie auch schon, ich glaube, vor etwa einem halben
Jahr auf einer Bundespressekonferenz geworben haben,
hier heute nicht vorlegen. Als schlüssige Argumentation
fiel mir dazu nur ein: Dann müssten Sie wahrscheinlich
bereits ab diesem Herbstsemester höheres BAföG, höhere
Bedarfssätze und Freibeträge finanzieren. Aber das wol-
len Sie nicht.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411408100
Frau Kollegin Pieper,
ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1411408200
Ich komme zum Schluss,
Frau Präsidentin. – Sie, die Koalition, vertrösten die Stu-
denten. Sie versuchen mit einer Hinhaltetaktik, den Stu-
dierenden vorzugaukeln, dass Sie für die Auszubildenden
etwas tun würden. Sie tun das Gegenteil: Sie wollen die
Änderung des Gesetzes zum Wahlkampfschlager machen.
Erst ab Sommersemester nächsten Jahres soll die BAföG-
Novelle rechtswirksam sein.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411408300
Frau Kollegin, bitte
kommen Sie zum Schluss.


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1411408400
Ich sage Ihnen, meine Da-
men und Herren von der Regierungskoalition: Wir halten
diesen Opportunismus für nicht akzeptabel. Wir werden
dafür sorgen und Sie auch davon überzeugen, dass wir
eine echte Strukturreform der Bundesausbildungsförde-
rung brauchen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411408500
Nächste Rednerin ist
für die PDS-Fraktion die Kollegin Maritta Böttcher.




Cornelia Pieper

10807


(C)



(D)



(A)



(B)



Maritta Böttcher (PDS):
Rede ID: ID1411408600
Frau Präsidentin! Sehr ge-
ehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich frage: Wie lange,
meine Damen und Herren von der Koalition, möchten Sie
die Studentinnen und Studenten eigentlich noch an der
Nase herumführen? Mit Ihrer Bildungs- und Hochschul-
politik machen Sie es der Opposition in diesem Haus
wirklich leicht.

Das entwaffnendste Argument gegen Ihre Versäum-
nisse ist immer noch Ihre eigene Koalitionsvereinba-
rung. Aus diesem Papier – man muss wohl leider sagen:
zeitgeschichtlichen Dokument – hat Kollegin Pieper eben
zitiert. Ich will dieses Zitat nicht wiederholen. Die
entscheidende Absicht, nämlich die ausbildungsbezoge-
nen staatlichen Leistungen zusammenzufassen und dieses
Konzept Ende 1999 vorzulegen, ist eindeutig und klar,
aber nicht erfüllt.


(Brigitte Wimmer [Karlsruhe] [SPD]: Sie wissen aber auch, dass das Urteil des Verfassungsgerichts nach der Koalitionsvereinbarung war!)


– Sie können mir gerne eine Frage stellen, Frau Wimmer.
Als die Ministerin im Januar verkünden musste, dass

sie sich aufgrund eines Machtworts des Bundeskanzlers
auch von diesem Reformprojekt zu verabschieden hatte,
war der Sturm der Entrüstung groß, nicht nur bei der PDS,
die seit Jahren eine echte Strukturreform der Ausbil-
dungsförderung fordert, sondern auch bei Ihren eigenen
Jugend- und Studentenverbänden, beim Deutschen Stu-
dentenwerk und bei der Hochschulrektorenkonferenz.
Völlig zu Recht mussten Sie sich den Vorwurf des Wahl-
betrugs gefallen lassen, da die Studierenden mit dem Re-
gierungswechsel 1998 die Hoffnung auf eine spürbare
Verbesserung ihrer sozialen Lage verknüpft hatten.


(Beifall bei der PDS)

Von Ihnen wurden sie bitter enttäuscht.

Um die Wogen zu glätten, haben Sie im Januar buch-
stäblich über Nacht Eckpunkte für eine BAföG-Reform
präsentiert, mit denen anstelle der versprochenen Struk-
turreform der Ausbildungsförderung die Leistungen des
geltenden BAföG verbessert werden sollten. Ein halbes
Jahr ist es jetzt her, dass Sie diese Eckpunkte vorgelegt ha-
ben; aber – ich wiederhole es – es liegt noch immer kein
Gesetzentwurf der Bundesregierung vor.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Alles leere Versprechen!)


– Genau.
Als Termin für die Einbringung des Gesetzentwurfs in

den Bundestag geben Sie mittlerweile November oder
Dezember an. Damit verspielen Sie kostbare Zeit. Aber
mit jedem einzelnen Semester, mit dem Sie die BAföG-
Reform auf die lange Bank schieben, legen Sie Hundert-
tausenden Studentinnen und Studenten Knüppel in den
Weg zu einem erfolgreichen Studienabschluss.


(Beifall bei der PDS)

Fangen Sie endlich an, Politik zu machen, statt nur davon
zu reden!

425MillionenDM wollen Sie im Bundeshaushalt 2001
zusätzlich für die Ausbildungsförderung bereitstellen. Bei
allem Respekt für diese zusätzlichen Leistungen: Selbst
inklusive der Leistungen der Deutschen Ausgleichsbank
erreichen die BAföG-Aufwendungen des Bundes nicht
einmal das Niveau von 1994. 1994 war aber genau der
Zeitpunkt, als das Deutsche Studentenwerk eine Krise
des BAföG diagnostizierte und die Diskussion über eine
Strukturreform anstieß.


(Matthias Berninger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!)


Gleichzeitig sind die jährlichen Darlehensrückzahlun-
gen ehemalig Studierender seit 1995 um über 300 Milli-
onen DM gestiegen.

Ich fordere Sie auf: Hören Sie auf, mit diesen enormen
Summen Löcher im Bundeshaushalt zu stopfen und set-
zen Sie das Geld aus den Portemonnaies ehemaliger
BAföG-Empfänger für eine zusätzliche Verbesserung der
Ausbildungsförderung ein!


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411408700
Frau Kollegin
Böttcher, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Berninger?


Maritta Böttcher (PDS):
Rede ID: ID1411408800
Selbstverständlich.


Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411408900

Frau Kollegin, Sie haben eben gesagt, die Reform, die wir
jetzt in Gang setzen wollen, würde das Niveau von 1994
nicht erreichen. 1994 wurden 3,1 Milliarden DM für das
BAföG ausgegeben. Am Ende der Reform werden wir
aller Wahrscheinlichkeit nach 3,4 Milliarden DM, viel-
leicht sogar 3,5 Milliarden DM für das BAföG mobilisie-
ren. Vor dem Hintergrund frage ich Sie: Bleiben Sie bei
Ihrer Aussage? Ist sie nicht falsch?


Maritta Böttcher (PDS):
Rede ID: ID1411409000
Ich bleibe bei meiner Aus-
sage, da ich andere Zahlen zur Grundlage habe. Ich gebe
die Frage zurück: Wenn das so ist, warum machen Sie
denn dann keine Strukturreform?


(Beifall bei der PDS sowie der Abg. Cornelia Pieper [F.D.P.])


Insofern hält die PDS an ihrem Vorschlag einer struk-
turellen Erneuerung der Ausbildungsförderung fest und
stellt ihre Alternative zur Regierungspolitik der leeren
Versprechen heute zur Abstimmung. Das hat einen einfa-
chen Grund: Wenn wir die bisherigen Leistungen des Fa-
milienlastenausgleichs bündeln, so wie es versprochen
wurde, und direkt an die Studentinnen und Studenten aus-
zahlen, können wir auf einen Schlag und mit nur geringen
zusätzlichen Belastungen für die Haushalte des Bundes
und der Länder das BAföG zumindest um 400 DM oder
500 DM – um diese Zahl will ich mich jetzt nicht strei-
ten – pro Monat erhöhen, ohne dass es zurückzuzahlen
wäre.






(C)



(D)



(A)



(B)


Gleichzeitig machen wir Schluss mit der steuerlichen
Privilegierung von besser verdienenden Eltern von Stu-
denten. Die Studierenden würden ein gutes Stück unab-
hängiger von ihren Eltern und von übermäßiger Erwerbs-
arbeit.

Wenn wir der Realisierung von Chancengerechtigkeit
näher kommen wollen, müssen Sie unserem Antrag heute
zustimmen.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411409100
Das Wort hat die Bun-
desministerin für Bildung und Forschung, Edelgard
Bulmahn.

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lie-
ben Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung ist
mit dem Versprechen angetreten, unser Land zu moderni-
sieren. Dieses Versprechen halten wir. Die Erhöhung der
Zukunftsinvestitionen in Bildung und Forschung, die wir
im kommenden Jahr zum dritten Mal durchführen wer-
den – wir haben sie 1999 und 2000 durchgeführt und auch
2001 wird sie 780 Millionen DM betragen –, ist die
Grundlage für Lebenschancen von morgen, die Grund-
lage für Innovation, Wohlstand und Arbeitsplätze.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir setzen dabei auf ein hochwertiges Bildungssys-
tem. Das können wir nicht alleine leisten, sondern nur ge-
meinsam mit den Ländern. Aber wir tun unseren Teil
dafür. Wir setzen darauf, dass junge Menschen in Schu-
len, Hochschulen und Betrieben fundiert ausgebildet wer-
den und dass eine exzellente Forschung durchgeführt
wird. Wir setzen auf eine rasche und breite Verwendung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die BAföG-Reform


(Dr.-Ing. Rainer Jork [CDU/CSU]: Jetzt kommt sie!)


ist die wichtigste Voraussetzung dafür, dass alle jungen
Menschen diese Bildungschancen unabhängig vom Geld-
beutel auch tatsächlich nutzen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich muss mich jetzt sowohl an Sie, Frau Pieper, als
auch an die PDS wenden. Sie verwechseln zwei Dinge.
Sie verwechseln eine Veränderung und eine Umstellung
der Familienförderung, die keinem Studierenden aus ei-
ner einkommensschwächeren Familie tatsächlich eine
müde Mark mehr bringen würde, mit der BAföG-Reform.
Deshalb sind es zwei getrennte Dinge, über die man redet.


(Cornelia Pieper [F.D.P.]: Wir reden über Chancengleichheit!)


Wir brauchen eine BAföG-Reform, wenn wir errei-
chen wollen, dass auch Jugendliche aus einkommens-
schwächeren Familien Bildungschancen nutzen können.
Daran geht überhaupt kein Weg vorbei. Wir brauchen eine
Totalsanierung des BAföG.


(Beifall bei der SPD)


Das angestrebte Ziel können Sie durch eine Umstellung
der Familienförderung nicht erreichen, sondern Sie müs-
sen die BAföG-Reform durchführen, weil nur das zur
Folge haben wird, dass gerade Studierende aus einkom-
mensschwächeren Familien tatsächlich mehr Geld in die
Hand bekommen. Das ist der wesentliche Unterschied,
das kann man nicht gleichsetzen. Es geht um zwei völlig
verschiedene Dinge, nämlich zum einen um die Verände-
rung des Unterhaltsanspruches und der Unterhaltsbezie-
hungen zwischen Eltern und Kindern und zum anderen
um die Förderung von Studierenden aus einkommens-
schwächeren Familien. Die Veränderung der Unterhalts-
beziehungen zwischen Eltern und Kindern bringt den Stu-
dierenden aus einkommensschwächeren Familien nicht
mehr Geld. Insofern hat Herr Friedrich Recht.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411409200
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage der Abgeordneten Pieper?

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Ich will noch auf einen zweiten Punkt ein-
gehen, vielleicht können wir die Frage dann im Zusam-
menhang klären, Frau Pieper.

Die Totalsanierung des BAföG, so wie ich sie vorge-
schlagen habe, ist notwendig. Mit der von uns vorgestell-
ten Reform werden wir insgesamt mehr als 1 Milliarde
DM zusätzlich für BAföG mobilisieren. Meine Vorredner
haben darauf hingewiesen, wie das BAföG unter der Re-
gierungskoalition von CDU/CSU und F.D.P. abgebaut
und zurückgeschraubt worden ist. Deshalb finde ich es
einfach nicht glaubwürdig, wenn man jetzt hier sagt: Es
ist alles bei weitem nicht genug. – Sie haben 16 Jahre lang
Zeit gehabt, um das BAföG zu modernisieren, und haben
es nicht getan.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich ein Zweites sagen. Ich habe von An-
fang an für diese Bundesregierung erklärt, dass die grund-
legende BAföG-Reform im Jahre 2001 in Kraft treten
soll. Deshalb ist schlichtweg falsch, wenn hier von Ver-
zögerung geredet wird. Wir haben von Anfang an gesagt:
Wir gehen in zwei Schritten vor: Wir machen erst eine
BAföG-Novelle, mit der wir den Abbau des BAföG stop-
pen, und werden dann mit Beginn des Jahres 2002 die
richtige Strukturreform – die ich Totalsanierung genannt
habe – in Kraft treten lassen. Genauso gehen wir jetzt
auch vor.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411409300
Frau Ministerin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Pieper?

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Ich habe vorhin gesagt, dass ich das in ei-
nem Komplex zusammen abhandeln will, weil ich an-
schließend auf die BAföG-Höhe eingehen möchte.

Ein Blick zurück: Wir haben unter der Regierungsver-
antwortung der CDU/CSU- und F.D.P.-Koalition eine
Halbierung der Zahl der BAföG-geförderten Studenten




Maritta Böttcher

10809


(C)



(D)



(A)



(B)


hinnehmen müssen. Das hatte zur Folge, dass immer mehr
Studierende vor dem Problem standen: „Wie finanziere
ich meinen Lebensunterhalt?“ und auf Jobsuche gehen
mussten. Ihre Ausgestaltung des BAföGs hatte auch zur
Folge, dass diejenigen BAföG-Empfänger, die auf die
Höchstförderung angewiesen waren, am Ende des Studi-
ums – nicht zuletzt vor dem Hintergrund unsicherer Be-
rufsaussichten – vor dem höchsten Schuldenberg standen.

All dies hatte letztlich zur Konsequenz, dass sich vor
allen Dingen Jugendliche aus einkommensschwächeren
Familien von einem Studium haben abschrecken lassen.
Das Ergebnis führt uns der neueste OECD-Bericht, der
die Situation bis zum Jahre 1998 beschreibt, deutlich vor
Augen: Wir haben im internationalen Vergleich erheblich
zu wenig Studierende. In anderen Ländern nehmen
40 Prozent eines Jahrgangs ein Studium auf, während es
in Deutschland nur 28 Prozent sind. Das können wir uns
in einem Land, das in hohem Maße auf das Know-how,
auf das Können und das Wissen gerade der jungen Men-
schen angewiesen ist, überhaupt nicht leisten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sage ganz klar: Wir wollen es uns auch deshalb nicht
leisten, weil es dem Grundsatz der Chancengleichheit wi-
derspricht. Dieser Grundsatz ist für uns ein wichtiger Eck-
pfeiler der Politik.

Die aktuelle Diskussion um die Green Card und um
den Fachkräftemangel im informationstechnischen Bereich
hat sehr deutlich gezeigt, wohin es führt, wenn Ausbildung
und Qualifizierung jahrelang vernachlässigt werden. Des-
halb sind wir so vorgegangen, wie ich es beschrieben habe:
Wir haben zunächst das 20. BAföG-Änderungsgesetz initi-
iert, mit dem wir die Studierenden vor einer Bruchlandung
bewahrt haben, und legen jetzt die Eckpunkte für die ei-
gentliche Reform vor. Ich habe immer gesagt, wir werden
sie im Frühherbst, am Ende der Sommerpause, in Form ei-
nes Referentenentwurfs vorlegen. Bei dieser Zeitplanung
bleiben wir.

Das heißt, wir können im parlamentarischen Bera-
tungsverfahren auch so vorgehen – das ist unser Wille –,
dass diese Reform zum 1. April des kommenden Jahres,
also mit Beginn des Sommersemesters, in Kraft treten
wird. Eine Reform kann nicht mitten im Semester in Kraft
treten. Das wissen Sie genauso wie ich. Sie muss vielmehr
mit Semesterbeginn in Kraft treten. Genau das werden wir
vom 1. April des nächsten Jahres an tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mit dieser Totalsanierung werden wir erreichen, dass
wir wieder deutlich mehr Studierende fördern, als es in
der Vergangenheit der Fall war. Bei der Berechnung des
BAföG wird das Kindergeld künftig nicht mehr ange-
rechnet. Davon profitieren zum Beispiel Eltern mit mitt-
lerem Einkommen.


(Angelika Volquartz [CDU/CSU]: Guter Vorschlag von uns!)


Die Freibeträge, die für die anrechenbaren Einkom-
men maßgeblich sind, werden deutlich angehoben. Das

habe ich übrigens schon im Herbst letzten Jahres bei einer
Veranstaltung des DSW gesagt. Das kann man alles im
Protokoll nachlesen.

Wir verbessern auch die Leistungen der Ausbildungs-
förderung. Wir erhöhen das BAföG auf den Höchstsatz
von 1 100 DM. Zusammen mit dem Kindergeld stehen ei-
nem Studierenden dann 1 370 DM zur Verfügung. Das ist
eine Summe, von der man leben kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir machen nicht nur
das, sondern wir führen auch grundsätzliche Neuerungen
ein. Wir reden nicht nur über Internationalisierung, son-
dern wir fördern sie auch. Wir setzen bei den Studieren-
den auf eine Ausbildung im Ausland. Während die Vor-
gängerregierung die BAföG-Empfänger, die im Ausland
studieren wollten, mit der Nichtanrechnung der zu-
sätzlichen Auslandssemester bestraft hat, werden wir die
Ausbildung im Ausland fördern, und zwar ohne enge
Grenzen und ohne Bestrafung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden sie fördern, weil wir davon überzeugt sind,
dass Auslandserfahrung notwendig ist, und weil wir wis-
sen, dass Auslandserfahrung nicht ein Extraluxus für ei-
nige wenige, die es sich leisten können, ist, sondern für
den akademischen Werdegang eine große Rolle spielt und
von vielen Unternehmen inzwischen ein wichtiges Ein-
stellungskriterium ist.

Mit dieser Förderung, der parallelen Entwicklung in-
ternationaler Studiengänge, der Einführung der bekann-
ten Bachelor- und Master-Abschlüsse sowie dem Ausbau
von Austauschmaßnahmen treiben wir die Internati-
onalisierung der Hochschulen voran. Mit der Reform des
BAföG ermöglichen wir es den BAföG-Empfängern,
diese Chancen zu nutzen, weil wir nicht wollen, dass
BAföG-Empfänger Studierende zweiter Klasse sind. Wir
wollen nicht, dass sie sich nur eine Schmalspurausbildung
im Ausland leisten können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden Gleichberechtigung und Gleichheit auch für
Studierende, die BAföG erhalten, herstellen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411409400
Frau Ministerin, ent-
schuldigen Sie, dass ich Sie noch einmal unterbreche. Da
die Kollegin Pieper ihre Frage aufrechterhält, möchte ich
Sie fragen, ob Sie sie jetzt zulassen.

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Das tue ich.


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1411409500
Frau Ministerin, Sie spra-
chen von der Ungleichbehandlung, die insbesondere
durch das Ausbildungsgeld hergestellt werden würde. Das
gelte insbesondere auch für die Personen, die aus einkom-
mensschwachen Familien kommen. Würden Sie nicht der
Argumentation Ihres Kollegen Herrn Berninger von der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen folgen, der logisch auf-




Bundesministerin Edelgard Bulmahn
10810


(C)



(D)



(A)



(B)


gezeigt hat, dass wir bei der derzeitigen BAföG-Regelung
aufgrund der ständigen Erhöhung der Steuerfreibeträge
durch dieses Gesetz eher eine Bevorteilung der Studenten
haben, die aus besser verdienenden Familien kommen?
Stimmen Sie mir zu, dass durch ein einheitliches Ausbil-
dungsgeld für alle, aber auch durch Zuschüsse für eine be-
grenzte Schicht aus einkommensschwachen Familien
eine sehr starke Differenzierung durch das von uns vor-
geschlagene Drei-Körbe-Modell hergestellt wird und eine
Ungleichbehandlung aufgehoben wird?

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Nein, Frau Pieper, ich kann Ihnen deshalb
nicht zustimmen, weil Sie auch bei einer Änderung der
Familienförderung für Studierende aus Familien mit ei-
nem geringen Einkommen eine zusätzliche Ausbildungs-
förderung brauchen. Das haben Sie in Ihrem Modell vor-
gesehen; das sehen Sie also selber. Sie brauchen
grundsätzlich eine Totalsanierung der individuellen Aus-
bildungsförderung, wenn Sie erreichen wollen, dass
Chancengleichheit nicht nur eine Phrase bleibt, sondern
auch tatsächlich umgesetzt wird. Deshalb muss die Total-
sanierung des BAföG stattfinden. Wenn man Chancen-
gleichheit erreichen will, geht daran kein Weg vorbei. Mit
einer Totalsanierung des BAföG werden wir dieses Ziel
erreichen. Das können Sie allein durch eine Umstellung
der Familienförderung nicht erreichen.

Das zweite Problem, das Sie angesprochen haben, ent-
steht durch eine Senkung der Steuereingangssätze und
eine Anhebung der Steuerfreibeträge. Es könnte die Si-
tuation entstehen, dass Studierende aus einkommens-
schwachen Familien nicht mehr BAföG-berechtigt
wären, wenn wir die Einkommensfreigrenzen nicht anhe-
ben. Deshalb heben wir ja die Einkommensfreigrenzen
an. Das ist notwendig, damit Studierende aus Familien,
die zum Beispiel ein Nettoeinkommen von rund
4 000 DM haben, trotzdem BAföG-berechtigt sind. In un-
serem Vorschlag ist genau diese Anhebung der Einkom-
mensfreigrenzen vorgesehen.

Ich möchte noch einen dritten Punkt in diesem Zusam-
menhang ansprechen. Sie haben vorhin behauptet, Frau
Pieper, dass Ihr Vorschlag durch die BAföG-Rückflüsse
durchaus finanzierbar sei. Das ist falsch. Als Sie die Zahl
6Milliarden DM genannt haben, haben Sie eines nicht ge-
sagt: Die 6 Milliarden DM sind die Summe der BAföG-
Rückflüsse aus allen Jahren. Das ist also kein Rückfluss
pro Jahr. Auch ich muss das BAföG, das ich erhalten habe,
zurückzahlen. Meine Rückzahlung und die Rückzahlun-
gen aller anderen ehemaligen BAföG-Empfänger, die ir-
gendwann einmal unterstützt worden sind, summieren
sich zu insgesamt 6 Milliarden DM. Aber Ihr Vorschlag
hätte alleine schon 3,7 Milliarden bis 4 Milliarden DM
pro Jahr an Kosten zur Folge, die zusätzlich zu dem kom-
men, was wir jetzt vorgeschlagen haben. Deshalb ist Ihr
Vorschlag beim besten Willen nicht finanzierbar. Wenn
man 6 Milliarden DM über einen langen Zeitraum vertei-
len muss, dann kann man nach Adam Riese beim besten
Willen nicht zusätzlich zu dem, was wir hier vorgelegt ha-
ben, noch 3,7 Milliarden bis 4 Milliarden DM pro Jahr

aufbringen. Ich bitte Sie, endlich einmal ein wirklich so-
lides Finanzkonzept vorzulegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411409600
Frau Ministerin, die
Kollegin Pieper möchte eine kurze Nachfrage stellen. Ich
bitte Sie, kurz zu antworten.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind doch hier nicht in der Schule!)



Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1411409700
Frau Ministerin, stimmen
Sie meiner Einschätzung zu, dass das Interesse an der De-
batte über die Bundesausbildungsförderung in diesem
Hohen Hause anscheinend nicht sehr hoch ist, insbeson-
dere nicht bei der Regierungskoalition? Anders kann ich
die Zwischenrufe nicht werten.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wie viele von der F.D.P. sind denn da? Gucken Sie sich um! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: F.D.P.: Drei! – Brigitte Wimmer [Karlsruhe] [SPD]: Vielleicht liegt es an derjenigen, die fragt!)


Würden Sie mir bitte die Anzahl der Anspruchsberech-
tigten nennen, die durch Ihre Novelle, die Sie im Winter
vorlegen wollen, zusätzlich gefördert werden sollen? Se-
hen Sie insbesondere nach dem letzten Familienurteil von
Karlsruhe die Chancengleichheit gefährdet, wenn nicht
alle Auszubildenden in die Bundesausbildungsförderung
einbezogen werden?


(Beifall des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])


Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Liebe Kollegin, ich muss – erstens – fest-
stellen, dass das Interesse der Koalition, sowohl bei der
SPD als auch beim Bündnis 90/ Die Grünen, an dieser Re-
form sehr groß ist, wie ich sehe. Die Zahl der an dieser De-
batte interessierten Abgeordneten Ihrer Fraktion kann
man sogar an einer Hand abzählen. Es gibt offensichtlich
einen deutlichen Unterschied zwischen dem Interesse Ih-
rer Fraktion sowie dem meiner Fraktion und der Fraktion
von Bündnis 90/Die Grünen. Unser Interesse ist sehr
groß.

Ich werde – zweitens – die Novelle nicht im Winter
vorlegen. Ich werde den Referentenentwurf vielmehr
Ende dieses Sommers bzw. im Frühherbst vorlegen. Das
habe ich vorhin klar gesagt; das habe ich immer gesagt.
Nehmen Sie also bitte zur Kenntnis: Er wird Ende dieses
Sommers bzw. im Frühherbst und nicht im Winter vorge-
legt werden. Wenn die Novelle vorliegt, dann werden Sie
auch Ihre übrigen Fragen, die Sie noch gestellt haben, be-
antwortet finden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte jetzt noch ganz kurz auf weitere Eckpunkte
der Reform eingehen. Wir gestalten die Verlängerung




Cornelia Pieper

10811


(C)



(D)



(A)



(B)


der Förderungsdauer im Hinblick auf die Kindererzie-
hungszeiten bedarfsgerechter. Das ist vor allen Dingen für
weibliche Studierende mit Kind wichtig. Das ist natürlich
auch für einige männliche Studierende wichtig, wenn sie
Kinder erziehen.


(Angelika Volquartz [CDU/CSU]: Auch ein CDU-Vorschlag!)


Das ist wichtig, weil wir Studierende mit Kindern nicht
benachteiligen wollen.

Wir machen das BAföG einfacher und durchschauba-
rer. Das kostet leider sehr viel Arbeit; denn jeder, der
schon einmal einen Blick in das Gesetz geworfen hat,
wird festgestellt haben, dass es ein wahnsinnig kompli-
ziertes, bürokratisches Gesetz geworden ist, das leider
nicht innerhalb von zwei Wochen reformiert werden kann.
Wenn wir das Ziel erreichen wollen, ein einfacheres,
durchschaubareres und damit für diejenigen, für die die-
ses Gesetz gedacht ist, ein handhabbareres Gesetz zu ma-
chen, dann müssen wir auch eine Menge an Mühe und Ar-
beit aufwenden. Das ist notwendig. Ich möchte das Gesetz
so verändern, dass in Zukunft jeder selber abschätzen
kann, wie viel BAföG er erwarten kann, und jeder weiß,
welchen Rechtsanspruch er hat. Damit soll Planungssi-
cherheit und Überschaubarkeit hergestellt werden. Das ist
ein wichtiges Ziel.

Wir vereinfachen die selbst für Fachleute kaum noch
verständlichen Ergänzungsregelungen. Die Regelung der
Wohnzuschläge nach der Härtefallverordnung versteht
kein Mensch mehr. Wir regeln das dort, wo es hingehört,
nämlich im Gesetz.

Außerdem planen wir – über die im Antrag der Koali-
tionsfraktionen enthaltenen Punkte hinaus – eine Ober-
grenze bei der Darlehensbelastung, Herr Friedrich. Ich
habe im letzten Jahr schon einmal gesagt, dass ich das für
notwendig halte. Ich bin sehr froh, dass Sie diese Auffas-
sung teilen. Von daher hoffe ich, dass wir zu einem Kon-
sens kommen können. Ich bin der Auffassung, dass bei
denjenigen, die eine Höchstförderung erhalten, eine Ober-
grenze vorhanden sein muss; es haben zurzeit nämlich
diejenigen, die aus den einkommensschwächsten Fami-
lien kommen, den höchsten Schuldenberg. Die jetzige
Regelung ist eigentlich nicht gerecht und von der Sache
her nicht richtig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir stellen die Studierenden aus Ost und West bei der
Ausbildungsförderung gleich.


(Cornelia Pieper [F.D.P.]: Das wurde auch Zeit!)


Wir heben dazu alle noch bestehenden Unterschiede bei
den Förderleistungen auf. Damit wird beim BAföG die
soziale Einheit von Ost und West endlich Realität.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir machen noch ein Weiteres: Wir fördern über das

BAföG mehr Interdisziplinarität; sie ist heute mehr
denn je erforderlich. Master-Studiengänge, die auf den
Bachelor-Abschlüssen aufbauen, müssen in Zukunft nicht

mehr streng fachidentisch sein; nach Ihren Beschlüssen
müssen sie das im Augenblick noch. Diese Studiengänge
werden vielmehr dann gefördert, wenn sie für den späte-
ren Beruf besonders geeignet sind.

Über die Reform des BAföG hinaus arbeiten wir an der
Einführung eines zeitlich befristeten Bildungskredits.
Meine Vorredner haben darauf bereits hingewiesen. Wir
denken dabei an ein Programm, das Studierenden Kredite
zu günstigen Zinssätzen gewährt, unabhängig vom För-
deranspruch durch das BAföG. Es ist also kein Ersatz für
das BAföG, sondern ein zusätzliches Instrument, das kei-
nen Rechtsanspruch beinhaltet. Wir wollen mit diesem
Angebot Studierenden in besonderen Studiensituationen
eine Möglichkeit zur Selbsthilfe geben. Es handelt sich
um ein sinnvolles Ergänzungsprogramm, das notwendig
ist und der Sache gerecht wird.

Mit dem Etatentwurf für das Jahr 2001 haben wir un-
ser Versprechen eingelöst, zusätzliche Mittel zur Verfü-
gung zu stellen. Diese Mittel werden nicht durch Abstri-
che bei anderen Bildungs- und Forschungsaufgaben auf-
gebracht. Das war nicht ganz einfach, aber es hat
geklappt. Es macht deutlich, dass die gesamte Bundesre-
gierung dahinter steht.

Wie ich vorhin gesagt habe, werden wir gleich nach der
Sommerpause den Gesetzentwurf für die BAföG-Reform
vorlegen. Wenn das geschehen ist, können die parlamen-
tarischen Beratungen noch in diesem Jahr beginnen, so-
dass die Studierenden bereits zu Beginn des Sommerse-
mesters 2001


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Was heißt hier „bereits“? Im Jahr 2001 sollte die Reform in Kraft treten!)


von dieser Totalsanierung des BAföG profitieren werden.
Ich bin sicher, Sie werden begreifen, dass diese Bundes-
regierung im Gegensatz zur Vorgängerregierung nicht nur
redet, sondern den Studierenden eine kräftige Unterstüt-
zung tatsächlich zukommen lässt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411409800
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, bevor ich der nächsten Rednerin das Wort
erteile, habe ich Ihnen eine erfreuliche Mitteilung zu ma-
chen. Wie Sie wissen, entscheiden nicht nur wir in diesem
Parlament. Die FIFA hatte heute über den Ausrichtungs-
ort der Fußballweltmeisterschaft im Jahr 2006 zu ent-
scheiden. Es gab ein denkbar knappes Ergebnis: Mit
einem Stimmenverhältnis von 12:11 wurde entschieden,
die Weltmeisterschaft in der Bundesrepublik Deutschland
stattfinden zu lassen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Angelika Volquartz von der Fraktion der CDU/CSU.




Bundesministerin Edelgard Bulmahn
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(D)



(A)



(B)



Angelika Volquartz (CDU):
Rede ID: ID1411409900
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt gilt es eigentlich
nur noch, die Weltmeisterschaft im BAföG zu gewinnen;
dann ist der Sieg komplett. Nur, verehrte Kolleginnen und
Kollegen auf der linken Seite des Hauses, da haben wir
doch allmählich unsere Zweifel. Frau Ministerin, Sie ha-
ben eben gesagt: Wir machen eine einfache und durch-
schaubare BAföG-Reform. Dazu kann man eigentlich nur
sagen: Einfach und durchschaubar ist Ihre Verzögerungs-
taktik seit Ihrer Regierungsübernahme gewesen. Ich erin-
nere an die leeren Wahlversprechen, die Sie immer wie-
der gegeben haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir sind uns einig, dass unsere Wissensgesellschaft

weiterentwickelt werden muss und dass wir Politiker die
Rahmendaten zu setzen bzw. zu verbessern haben. Wenn
wir davon sprechen, dass wir sie weiterentwickeln wol-
len, dann müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass
grundsätzliche Entscheidungen getroffen werden müssen.
Sie haben heute die Green Card angesprochen. Dazu
muss ich sehr deutlich sagen: In den Ländern, die bis
1998/99 mehrheitlich von der SPD regiert waren, hat es
im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich der
Schulen doch große Versäumnisse gegeben.


(Brigitte Wimmer [Karlsruhe] [SPD]: Ach, das ist doch nicht wahr!)


– Dazu gibt es ganz klare Daten. Frau Wimmer, Sie kom-
men nicht aus diesem Bereich. Sie kennen das nicht. Da-
ran liegt es, dass Sie das nicht wissen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Brigitte Wimmer [Karlsruhe] [SPD]: Ich bin keine Rektorin, das ist klar!)


Aus dem OECD-Bericht 2000 geht doch ganz deut-
lich hervor, dass lediglich 28 Prozent eines Jahrganges bei
uns mit dem Studium beginnen und nur 16 Prozent eines
Jahrganges abschließen. Das ist auch ein Problem der
mangelnden Qualifikation an den Schulen, die gerade in
SPD-regierten Ländern zutage tritt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Brigitte Wimmer [Karlsruhe] [SPD]: Diese Behauptung ist längst widerlegt!)


Dieser Entwicklung muss natürlich Einhalt geboten wer-
den. Es muss eine Trendwende herbeigeführt werden.


(Peter Dreßen [SPD]: Die haben wir doch schon!)


Dazu gehört selbstverständlich auch die längst überfällige
BAföG-Reform.

Die Gefördertenquoten sind gesunken. Sie haben da-
bei aber einen wichtigen Punkt vergessen, Frau Bulmahn.
Sie haben nämlich vergessen zu erwähnen, dass es 1990
eine Steuerreform gab, in deren Folge die Nettoein-
kommen gestiegen sind. Auch dadurch hat sich eine Ver-
änderung ergeben. Außerdem haben wir seit 1996 den
Grundfreibetrag für Familien erhöht. Es muss einfach er-
wähnt werden, was wir alles für die jungen Menschen ge-
macht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich sage es noch einmal deutlich – es nützt auch gar
nichts, wenn Sie hier wieder versuchen, Ihre Verzöge-
rungstaktik mit nicht überzeugenden Argumenten zu ver-
schleiern –: Die Bundesregierung hat diese Reform im-
mer wieder angekündigt. Doch eine Oppositionsfraktion,
die CDU/CSU-Fraktion, war die treibende Kraft. Wir ha-
ben im Dezember letzten Jahres die Eckpunkte vorgelegt
und nicht Sie.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie, Frau Ministerin, sind uns dann gefolgt. Rot-Grün hat
die wesentlichen Eckpunkte übernommen. Die Kriterien,
die Sie eben lobend erwähnt haben – stärkere Berück-
sichtigung von Kindererziehung während des Studiums,
Erhöhung der Freibeträge usw. –, sind okay, damit bin ich
einverstanden. Aber dabei handelt es sich doch um unsere
Vorschläge. Es ist sehr schön, dass Sie diese übernommen
haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie reden, wir handeln!)


Es ist deutlich zu sagen, dass Rot-Grün bei den Bil-
dungskrediten, die Sie jetzt so hervorheben, über die
Ziellinie herausgeschossen ist. Jedermann leuchtet doch
ein, dass dies zusätzliche Prüfungen erfordert und mehr
Zeitaufwand bedeutet. Warum findet darüber keine sepa-
rate Diskussion statt? Herr Hilsberg hat vorhin gesagt, wir
wollten die Reform torpedieren. Das ist völlig falsch, Herr
Kollege Hilsberg.


(Zuruf des Abg. Stephan Hilsberg [SPD])

Wir wollen eine separate Diskussion. Nehmen Sie das
bitte ganz ruhig zur Kenntnis. Dies sollte doch bloß wie-
der ein Alibi für ein Spiel auf Zeit sein.

Wenn die BAföG-Studienförderung nach Ihrem Willen
auf Teufel komm raus ohne ein zeitliches Limit zukünftig
verlängert werden soll,


(Stephan Hilsberg [SPD]: Das ist doch Unsinn!)


dann kann ich dazu nur deutlich sagen, dass das der ver-
kehrte Weg ist. Langzeitstudierenden wird damit nicht der
Weg in eine gute Zukunft bereitet. Ausnahmen sollten ge-
macht werden – darin sind wir uns wieder einig –,
beispielsweise sollte bei Alleinerziehenden mehr Rück-
sicht auf Studienverzögerungen genommen werden,
aber diese Regelung darf nicht auf Bummelstudenten aus-
geweitet werden. Allerdings passen Bummelstudenten
ausgezeichnet zu Ihnen, weil Sie eine Bummelreform ma-
chen, die einfach nicht in Gang kommt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Bodo Seidenthal [SPD]: Das nehmen Sie zurück! – Stephan Hilsberg [SPD]: Das sagt eine Vertreterin der CDU/CSU, die jahrelang nichts gemacht hat!)


Anstatt die Leistungsgewährung auf nicht akzeptable
Bereiche auszudehnen, stehen wir für eine Ausdehnung
der Leistungen in andere, sinnvollere Richtungen. Eine
Zielgruppe für eine Leistungserweiterung sind die ein-
kommensschwächeren Familien. Dazu hat mein Kollege
Gerhard Friedrich schon einiges ausgeführt. Der von ihm






(C)



(D)



(A)



(B)


angesprochene Punkt unseres Programms fördert die Ak-
zeptanz der BAföG-Leistung und schafft ein Stück mehr
soziale Gerechtigkeit, von der Sie immer reden, während
wir entsprechend handeln. Sogar der DGB hat uns in die-
ser Frage im Rahmen der Anhörung Recht gegeben.

Eine zweite Zielgruppe der Leistungserweiterung sind
zügig bzw. überdurchschnittlich gut Studierende. Wir
wollen verstärkt Anreize für Studenten geben, die über-
durchschnittliche Abschlüsse erzielen. In diesem Punkt
den Geförderten entgegenzukommen halten wir für den
richtigeren Weg, weil wir damit in die Zukunft der Stu-
denten investieren.

Wer nun in Anbetracht der vorliegenden Papiere
glaubt, der Boden für ein zügiges Gesetzgebungsverfah-
ren sei bereitet und die Geförderten könnten eventuell
noch in diesem Jahr mit einem Zuschlag rechnen, der irrt
leider gewaltig.


(Brigitte Wimmer [Karlsruhe] [SPD]: Davon war nie die Rede! Das wissen Sie genau!)


Wir haben die entsprechenden Aussagen eben gehört.
Allerdings gibt es eine Diskrepanz, Frau Bulmahn. Ihr

Staatssekretär hat in der letzten Woche im Ausschuss ge-
sagt, im November/Dezember gebe es einen Gesetzent-
wurf. Sie sprechen jetzt vom Spätsommer.


(Brigitte Wimmer [Karlsruhe] [SPD]: Ihr kennt den Unterschied zwischen Referentenentwurf und Gesetzentwurf nicht!)


Hoffentlich haben wir im Spätsommer noch kein Glatteis.
Dann würde die Gangart etwas härter. Wir müssten dann
nämlich sagen, dass man der Bundesregierung einfach
nicht mehr glauben kann. Immer wieder wird etwas
versprochen und nicht gehalten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich finde es in diesem Zusammenhang besonders amü-

sant, dass Sie am 4. Januar dieses Jahres einen BAföG-
Bericht veröffentlichen, in dem Sie die Eckpunkte für
eine Reform Ende 1999 ankündigen.


(Dr.-Ing. Rainer Jork [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Aber am 4. Januar liegt noch nichts auf dem Tisch. Es
gehört schon einiges dazu, zu glauben, dass das vielleicht
niemandem auffällt.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Unverfroren!)

Als durchsichtige Erklärung in all dieser Zeit wird die
rechtliche und finanzielle Prüfung des Sockelmodells an-
geführt.

Es ist schon mehrfach gesagt worden, aber man muss
es noch einmal deutlich sagen: Mitte Januar – ich glaube,
es ist der 14. Januar dieses Jahres gewesen – hat der Bun-
deskanzler Sie schlicht und ergreifend einen Kopf kürzer
gemacht. Er hat nämlich gesagt: Schluss! Er hat in gewis-
ser Weise gesagt, es müsse eine BAföG-Reform sein, wie
sie die CDU/CSU vorschlägt. Da hat er Recht gehabt.

Die Folge ist gewesen, dass Sie und auch Vertreter von
Rot-Grün entsprechende Vorschläge für Eckpunkte einer

BAföG-Reform auf den Tisch gelegt haben, nämlich Eck-
punkte für eine Reform innerhalb des bestehenden Sys-
tems. Viel Zeit ist zum Nachteil der Studierenden verstri-
chen.

Wenn in Sonntagsreden der Finanzminister, die Bil-
dungsministerin und der Bundeskanzler immer wieder
mehr Bildung einfordern, aber im grauen Alltag die
falschen Prioritäten setzen, dann kann ich nur sagen:
große Sprünge wie ein Känguru und nichts im Beutel.
Man kann nicht mit dem Versprechen von Reformen und
von einer Verdoppelung des Bildungshaushaltes auf Stim-
menfang gehen und hinterher Peanuts als große Leistung
proklamieren. Unterschätzen Sie nicht die Intelligenz der
Studierenden!

Wir fordern: keine weiteren Verzögerungen durch die
Bundesregierung! Die Studierenden dürfen nicht weiter
betrogen werden. Machen wir uns das Motto eines Plaka-
tes in einer Berliner Universität zu Eigen: „Wann, wenn
nicht jetzt? Wo, wenn nicht hier? Wer, wenn nicht wir?“
Nach diesem Motto: Es muss noch in diesem Jahr ge-
schehen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Uwe Küster [SPD]: Von der PDS lernen heißt siegen lernen! Mein Gott!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411410000
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktionen
der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen zur Moder-
nisierung der Ausbildungsförderung für Studierende,
Drucksache 14/3730.

Der Ausschuss empfiehlt unter Nr.1 seiner Beschluss-
empfehlung, den Antrag auf Drucksache 14/2905 anzu-
nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU-Fraktion
und PDS-Fraktion bei Enthaltung der F.D.P.-Fraktion an-
genommen.

Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner
Beschlussempfehlung, den Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Eckpunkte für eine BAföG-Re-
form“, Drucksache 14/2031, abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
von CDU/CSU-Fraktion und PDS-Fraktion bei Ent-
haltung der F.D.P.-Fraktion angenommen.

Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung, den Antrag der Fraktion der PDS
zur strukturellen Erneuerung der Ausbildungsförderung,
Drucksache 14/2789, abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der
PDS-Fraktion angenommen.




Angelika Volquartz
10814


(C)



(D)



(A)



(B)


Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 4 seiner Beschluss-
empfehlung, den 13. Bericht der Bundesregierung nach
§ 35 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes auf
Drucksache 14/1927 zur Kenntnis zu nehmen.

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
einstimmig angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b, 27 d
bis 27 h sowie Zusatzpunkt 5 auf:
27. Überweisungen im vereinfachten Verfahren

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung von Vorschriften über
die Tätigkeit der Wirtschaftsprüfer

(Wirtschaftsprüferordnungs-Änderungsgesetz – WPOÄG)

– Drucksache 14/3649 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Protokoll vom 22. März 2000 zur
Änderung des Übereinkommens vom
9. Februar 1994 über die Erhebung von
Gebühren für die Benutzung bestimmter
Straßen mit schweren Nutzfahrzeugen
– Drucksache 14/3651 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
cherheit
Haushaltsausschuss

d) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Fünfzehnten Ge-
setzes zur Änderung des Bundeswahlge-
setzes
– Drucksache 14/3764 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung
Rechtsausschuss

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rita
Streb-Hesse, Dr. Margrit Wetzel, Ingrid
Becker-Inglau, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD sowie der Abgeordne-
ten Albert Schmidt (Hitzhofen), Kerstin
Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Regelung des Anwohnerparkens durch
Städte und Gemeinden
– Drucksache 14/1258 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Evelyn Kenzler, Ulla Jelpke, Petra Pau,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
PDS
Änderung des Ausländergesetzes
– Drucksache 14/668 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer,
Hildebrecht Braun (Augsburg), weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der F.D.P.
Keine ersatzlosen Schließungen von
Auslandsvertretungen
– Drucksache 14/1751 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

h) Beratung des Antrags der Abgeordneten

(Rosenheim)

ordneter und der Fraktion der SPD sowie der
Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig,
Kerstin Müller (Köln), Albert Schmidt (Hitz-
hofen), weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Bekämpfung der illegalen Kabotage und
des Sozialdumpings im Transportgewerbe
– Drucksache 14/3702 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

ZP 5 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfah-
ren
Beratung des Antrags der Abgeordneten Brunhilde
Irber, Dr. Eberhard Brecht, Annette Faße, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD, der Ab-
geordneten Sylvia Voß, Matthias Berninger, Thea
Dückert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der Abgeordneten
Ernst Burgbacher, Hildebrecht Braun (Augsburg),
Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der F.D.P. sowie der Abgeordneten Rosel
Neuhäuser, Dr. Heinrich Fink, Rolf Kutzmutz,
Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS
Sicherung der Volksfeste, des Markthandels
und des Schaustellergewerbes
– Drucksache 14/3786 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus (f)

Finanzausschuss




Vizepräsidentin Petra Bläss

10815


(C)



(D)



(A)



(B)


Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen.

Die Vorlage auf Drucksache 14/668 soll zusätzlich an
den Innenausschuss überwiesen werden.

Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe auf die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 m so-
wie Zusatzpunkte 6 a bis 6 e. Es handelt sich um die Be-
schlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache
vorgesehen ist.

Wir kommen zuerst zum Tagesordnungspunkt 28 a:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Schornsteinfegergesetzes und anderer
schornsteinfegerrechtlicher Vorschriften
– Drucksache 14/3333 –

(Erste Beratung 105. Sitzung)

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Schornsteinfegergesetzes
und anderer schornsteinfegerrechtlicher Vor-
schriften
– Drucksache 14/3650 –

(Erste Beratung 111. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

– Drucksache 14/3753 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Karl-Heinz Scherhag

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 28 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften
Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgeset-
zes/EWG

– Drucksache 14/3274 –

(Erste Beratung 105. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/3788 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Sebastian Edathy
Dr. Hans-Peter Uhl
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Petra Pau

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen der
PDS-Fraktion angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit gegen die Stim-
men der PDS-Fraktion angenommen.

Tagesordnungspunkt 28 c:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
produkthaftungsrechtlicher Vorschriften
– Drucksache 14/3371 –

(Erste Beratung 105. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/3756 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Margot von Renesse
Norbert Röttgen
Volker Beck (Köln)

Rainer Funke
Sabine Jünger

Der Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache
14/3756, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenom-
men.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig ange-
nommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 28 d auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes




Vizepräsidentin Petra Bläss
10816


(C)



(D)



(A)



(B)


zur Änderung des Gerätesicherheitsgesetzes
und des Chemikaliengesetzes
– Drucksache 14/3491 –

(Erste Beratung 108. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss)

– Drucksache 14/3798 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Heidi Knake-Werner

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung bei Gegenstimmen der
PDS angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit gegen die Stim-
men der PDS-Fraktion angenommen.

Tagesordnungspunkt 28 e:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. Mai
1999 zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und dem Königreich der Niederlande über
die gegenseitige Amtshilfe bei der Beitreibung
von Steueransprüchen und der Bekanntgabe
von Schriftstücken
– Drucksache 14/3077 –

(Erste Beratung 99. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/3698 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Grasedieck
Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach)


Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache
14/3698, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des
ganzen Hauses angenommen.

Tagesordnungspunkt 28 f:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Ver-
ordnung der Bundesregierung
Verordnung über die Erzeugung von Strom aus
Biomasse (Biomasseverordnung – BiomasseV)

– Drucksachen 14/3489, 14/3574 Nr. 2.1,
14/3801 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Monika Ganseforth
Franz Obermeier

Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Eva-Maria Bulling-Schröter

Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung auf Druck-
sache 14/3489 in der Ausschussfassung zuzustimmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der F.D.P.-
Fraktion und der PDS-Fraktion angenommen. Ich ver-
weise darauf, dass es eine schriftliche Erklärung der Kol-
legin Eva Bulling-Schröter, PDS-Fraktion, zu ihrem Ab-
stimmungsverhalten gibt.

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Peti-
tionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 28 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 175 zu Petitionen
– Drucksache 14/3687 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 175 ist damit einstimmig an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 28 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 176 zu Petitionen
– Drucksache 14/3688 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 176 ist ebenfalls einstimmig
angenommen.

Tagesordnungspunkt 28 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 177 zu Petitionen
– Drucksache 14/3689 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 177 ist mit den Stimmen des
ganzen Hauses angenommen.

Tagesordnungspunkt 28 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 178 zu Petitionen
– Drucksache 14/3690 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 178 ist gegen die Stimmen
der CDU/CSU-, der F.D.P.- und der PDS-Fraktion ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 28 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 179 zu Petitionen
– Drucksache 14/3691 –




Vizepräsidentin Petra Bläss

10817


(C)



(D)



(A)



(B)


Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 179 ist gegen die Stimmen
der CDU/CSU- und der F.D.P.-Fraktion angenommen.

Tagesordnungspunkt 28 l:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 180 zu Petitionen
– Drucksache 14/3692 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 180 ist gegen die Stimmen
der CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der F.D.P.-Frak-
tion angenommen.

Tagesordnungspunkt 28 m:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 181 zu Petitionen
– Drucksache 14/3693 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Damit ist Sammelübersicht 181 gegen die Stim-
men der PDS-Fraktion angenommen.

Ich rufe die Zusatzpunkte 6 a bis 6 e auf, weitere Be-
schlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Ein biss-
chen Geduld brauchen Sie also noch.

Zusatzpunkt 6 a:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 182 zu Petitionen
– Drucksache 14/3793 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Damit ist die Sammelübersicht 182 mit den
Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

Zusatzpunkt 6 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 183 zu Petitionen
– Drucksache 14/3794 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Damit ist die Sammelübersicht 183 mit den
Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

Zusatzpunkt 6 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 184 zu Petitionen
– Drucksache 14/3795 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 184 ist gegen die Stim-
men der CDU/CSU-, der F.D.P.- und der PDS-Fraktion
angenommen.

Zusatzpunkt 6 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 185 zu Petitionen
– Drucksache 14/3796 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 185 ist gegen die Stim-
men der CDU/CSU- und der F.D.P.-Fraktion angenom-
men.

Wir kommen zur letzten Abstimmung, und zwar zu
Tagesordnungspunkt 6 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 186 zu Petitionen
– Drucksache 14/3797 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 186 ist gegen die Stim-
men der PDS-Fraktion angenommen.

Ich bedanke mich ausdrücklich für die Disziplin bei al-
len Fraktionen bei diesem Abstimmungsmarathon.

Ich rufe nun Zusatzpunkt 7 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Absenkung der Beiträge für die Bezieher von
Arbeitslosenhilfe und die Folgen für die gesetz-
lichen Krankenkassen

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Fraktion
der CDU/CSU hat der Herr Kollege Wolfgang Lohmann.


Wolfgang Lohmann (CDU):
Rede ID: ID1411410100

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! In wenigen Tagen gehen wir in die Sommerpause.
Man kann, wenn man daran denkt, dass sicherlich auch im
Jahre 2002 die parlamentarischen Beratungen zu dieser
Zeit enden werden, sagen: Wir befinden uns in der Mitte
der Legislaturperiode. Wenn ich eine Überschrift für die
vergangenen zwei Jahre, was die Gesundheitspolitik an-
belangt, suchen würde, dann würde ich schreiben: Pleiten,
Pech und Pannen, und zwar nicht nur handwerklich, wie
es von Ihren eigenen Leuten, unter anderem von Herrn
Dreßler, genannt worden ist, sondern vor allen Dingen
auch inhaltlich. Ich erinnere an das Vorschaltgesetz bzw.
an das Solidaritätsstärkungsgesetz, an die Gesundheitsre-
form 2000, an Änderungsanträge der Koalitionsfraktio-
nen im Umfang von 345 Seiten und an fehlende Unterla-
gen bei der zweiten und dritten Lesung im Bundestag so-
wie im Bundesrat. – Das nur als Stichworte.

Nun leben wir mit sektoralen Budgets, vor denen wir
immer gewarnt haben. Die ersten, in einigen Bereichen
sogar katastrophalen Folgen für die Versorgung werden
sichtbar. Wir hatten gerade gestern eine öffentliche An-
hörung zu der Frage der Honorierung der psychothera-
peutischen Leistungen. Da ist schließlich jedem – wohl
auch jedem in der Regierung – deutlich geworden,


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Hoffentlich!)





Vizepräsidentin Petra Bläss
10818


(C)



(D)



(A)



(B)


wo wir gelandet sind und welche Bedingungen wir den
Psychotherapeuten, die nach unserem gemeinsamen Wil-
len in das bestehende System integriert wurden, bei der
Verrichtung ihrer Arbeit zumuten. Inzwischen – ich habe
mir sagen lassen: gerade gestern – hat der Petitionsaus-
schuss mit den Stimmen der SPD die Forderung aufge-
stellt, hier etwas zu ändern.


(Detlef Parr [F.D.P.]: Hört! Hört!)

Es ist also dringender Handlungsbedarf gegeben.

Das alles ist nur die Spitze des Eisbergs.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Nun mal nicht so spitze Bemerkungen hier!)

Auch in manchen anderen Bereichen bestehen deutliche
Defizite, wenn Sie an chronische Erkrankungen, bei-
spielsweise an Diabeteskranke oder Krebskranke, den-
ken. Zum Beispiel werden keine Blutzuckermesschips
bzw. -streifen mehr zur Verfügung gestellt. Es gibt also in-
zwischen überall Defizite.

Wenn wir schon bisher an Ihrer Gestaltungsfähigkeit,
Frau Ministerin, Zweifel hatten, dann haben wir vor allem
angesichts des Themas, um das es heute geht, noch mehr
Zweifel an Ihrer Durchsetzungsfähigkeit beispielsweise
im Kabinett.


(Detlef Parr [F.D.P.]: Leider ja!)

Da versucht der Finanzminister, die Sanierung des Haus-
haltes unter anderem durch den Griff in die Kassen von
Pflegeversicherung und Krankenversicherung voranzu-
treiben.


(Detlef Parr [F.D.P.]: Unanständig!)

Bereits im vergangenen Jahr sind der Pflegeversicherung
400 Millionen DM entzogen worden. Auf zusätzlich
248 Millionen DM bemisst sich der Betrag, der aufgrund
der Tatsache der niedrigeren Rentenanpassung, die sich
nur nach der Inflationsrate richten wird, fehlen wird. Da-
durch werden erhebliche Defizite entstehen, was offen-
sichtlich von weiten Teilen der Koalition gewollt ist.

Wenn nun gemäß dem, was uns inzwischen im Zusam-
menhang mit dem Gesetzentwurf zur Gleichstellung
gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften vorliegt,
daran gedacht wird, Partner von versicherten Lesben und
Schwulen, sofern sie eine solche Lebensgemeinschaft
eingehen, in Zukunft beitragsfrei in die gesetzliche Kran-
kenversicherung aufzunehmen, dann fragt man sich wirk-
lich, ob – im bildlichen Sinne – die Rechte noch weiß, was
die Linke eigentlich tut.

Gleichzeitig stellt man sich in weiten Teilen – offen-
sichtlich auch in der Regierung – die Frage – wir halten
das allerdings für weit über das Ziel hinausgeschossen –,
ob es sich die gesetzliche Krankenversicherung auf Dauer
überhaupt noch leisten kann, Familienmitglieder, vor al-
len Dingen nicht berufstätige und nicht Kinder erziehende
Frauen, kostenlos mit in die gesetzliche Kranken-
versicherung einzubeziehen. Gleichzeitig aber will man
den Beschluss fassen, dass Lebensgemeinschaften, die –
jedenfalls nach unserer Auffassung – mit einer Ehe nicht
vergleichbar sind, kostenlos miteinbezogen werden. Wei-

tere Defizite in der gesetzlichen Krankenkasse sind also
vorprogrammiert.

Das Ganze summiert sich nach Berechnungen der ge-
setzlichen Krankenversicherung auf einen Betrag von
mindestens 5,3 Milliarden DM.


(Ulf Fink [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Denn ich erinnere daran, dass die Reduzierung der Zu-
zahlung zu Arzneimitteln zu Ausfällen in Höhe von 1Mil-
liarde DM, die Aussetzung des Krankenhausnotopfers zu
Ausfällen in Höhe von etwa 700 Millionen DM, die Aus-
weitung von Leistungen im Rahmen der beschlossenen
Gesetze im Bereich der Soziotherapie zu Mehrausgaben
in Höhe von 1 Milliarde DM und Ausnahmeregelungen
im Bereich der Krankenhäuser zu Mehrausgaben in Höhe
von etwa 2 Milliarden DM führen werden. Wenn das, was
ich soeben im Hinblick auf die Kürzung der Renten fest-
gestellt habe, hinzukommt, haben wir ein Defizit von
5,3 Milliarden DM. In einigen Berechnungen wird sogar
von 7,5 Milliarden DM ausgegangen.

Dass dies natürlich Beitragssatzerhöhungen geradezu
provoziert bzw. erforderlich macht, dürfte keine Frage
sein. Wir stellen auch die Frage, wie eine solche Tatsache
in Zusammenhang mit den Versprechungen und Vorhaben
steht, die Sie immer genannt haben: dass ganz oben auf
der Agenda – das ist dringend notwendig – die Beitrags-
satzstabilität steht.


(Zurufe von der CDU/CSU: Sehr richtig!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411410200
Herr Kollege
Lohmann, wir haben eine Aktuelle Stunde. Ich muss Sie
an Ihre Redezeit erinnern.


Wolfgang Lohmann (CDU):
Rede ID: ID1411410300
Ist
meine Redezeit schon so schnell zu Ende? Es tut mir sehr
Leid.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411410400
Ja, das geht immer
recht schnell.


Wolfgang Lohmann (CDU):
Rede ID: ID1411410500

Dann komme ich jetzt ganz schnell zum Ende meiner
Ausführungen: Ich appelliere in diesem Zusammenhang
sowohl vor allen Dingen an Sie, Frau Schaich-Walch, an
alle anderen in der SPD-Fraktion, aber auch an die grüne
Fraktion. Denn wenn man Zitate von Ihnen, die Sie selbst
in Veröffentlichungen etwa in der „Süddeutschen Zei-
tung“ vor wenigen Tagen gebracht haben, vorlesen würde –
das kann ich aber nicht mehr tun –, dann würde man fest-
stellen, dass absolut klar ist, dass die Kassen, wenn Ihre
Vorhaben umgesetzt werden, die Beiträge im kommenden
Jahr erhöhen müssen.

Herr Dreßler beispielsweise hält dies für unzumutbar.
Sogar Herr Metzger warnt dringend vor einer solchen Lö-
sung. Man kann doch nur sagen: Wenn Sie die weitere Ab-
wärtsspirale wirklich aufhalten und eine weitere Ver-
schlechterung der Versorgung vermeiden wollen, dann
verhindern Sie im Herbst dieses Jahres bei der zweiten




Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)


10819


(C)



(D)



(A)



(B)


und dritten Lesung, dass eine solche Regelung eingeführt
wird.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411410600
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Regina Schmidt-Zadel.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Ich bin gespannt, wie Sie das verteidigen wollen!)



Regina Schmidt-Zadel (SPD):
Rede ID: ID1411410700
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen von der Union, ich spreche Sie heute einmal als
diejenigen an, die diese Aktuelle Stunde beantragt haben.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: War doch notwendig!)


Herr Lohmann, eines gleich vorweg: Wer 16 Jahre im
Glashaus saß, der sollte eigentlich nicht mit Steinen wer-
fen.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/ CSU – Detlef Parr [F.D.P.]: Jetzt kommt die alte Leier wieder!)


Aber Sie konnten sich offenbar wieder einmal nicht
zurückhalten. Zu verlockend war es, die Regierungsver-
einbarung – ich betone ausdrücklich: die Regierungs-
vereinbarung – zur Absenkung der GKV-Beträge für Ar-
beitslosenhilfebezieher als Stein am Wegesrand auf-
zunehmen und als Munition für Ihr politisches Tagesge-
schäft nutzen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sie haben ihn ja da hingelegt!)


Auch ich gebe unumwunden zu:

(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)


Die Belastungen der gesetzlichen Krankenkasse in Höhe
von 1,2 Milliarden DM – sagen Sie nicht „Aha“; warten
Sie ab – durch die Absenkung der Beiträge, die aus dem
Etat des Bundesministers für Arbeit gezahlt wurden, sind
auch für uns eine bittere Pille, die nicht leicht zu
schlucken ist.


(Zuruf von der F.D.P.: Warum lassen Sie es sich dann gefallen? – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Ausspucken!)


Dies sind unerfreuliche Momente für jeden Sozial- und
Gesundheitspolitiker, in denen man mit sich ringen muss.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Und nun?)


Aber während Ihrer Regierungszeit ist es Ihnen genauso
gegangen. Dies habe ich vielfach in Gesprächen mit Ihnen
gehört. Aber – jetzt werfe ich den Stein zurück – es ist
letztlich das Ergebnis Ihrer 16 Jahre andauernden Politik
des Schuldenanhäufens,


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


die die rot-grüne Bundesregierung zu Sparmaßnahmen
zwingt, die wir alle gerne vermieden hätten.

Es ist doch der gigantische Schuldenberg der Kohl-Re-
gierung, der eine Haushaltssanierung, an der sich alle
Ressorts beteiligen müssen, unausweichlich macht. Sie
haben uns ungeordnete Staatsfinanzen und einen Schul-
denberg hinterlassen,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Wer nimmt Ihnen denn so was noch ab, Frau Schmidt-Zadel! Sie müssen sich ja selbst bemühen, nicht zu lachen!)


der uns zwingt, jede vierte Mark – hören Sie gut zu – für
Zins und Tilgung zu verwenden. Die Schulden hatten am
Ende Ihrer Regierungszeit mit 1,5 Billionen DM den
höchsten Stand in der Geschichte der Bundesrepublik.
80 Prozent davon sind während Ihrer Regierungsverant-
wortung verursacht worden.

Ich betone noch einmal: Die Absenkung der Beiträge
von Arbeitslosenhilfebeziehern zur GKV und zur Pflege-
versicherung ist eine bittere Pille. Ich wäre froh, wenn wir
sie nicht schlucken müssten.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Dann spucken Sie sie doch aus! – Zuruf von der F.D.P.: Was heißt hier: eine?)


Lassen Sie mich aber folgende Punkte anmerken – ich
weise an dieser Stelle noch einmal darauf hin –: Hätten
sich die Union bzw. die Mehrheit nicht der Reform ver-
weigert und nicht wichtige Teile der Gesundheitsreform
blockiert, wäre dieses Opfer sogar noch verkraftbar ge-
wesen. Nicht die hier diskutierte Beitragsabsenkung, son-
dern Ihre Verweigerungshaltung bei wichtigen Fragen,
zum Beispiel bei der Reform der Krankenhausfinanzie-
rung, ist die wirkliche Belastung der GKV.


(Beifall bei der SPD)

Ein Drittel der Kosten bei der gesetzlichen Kranken-

versicherung entfallen auf den stationären Bereich. Ihre
Reformblockade kostet die Kassen jährlich Milliarden-
summen – ein Vielfaches mehr als die 1,2 Milliarden DM,
über die wir heute diskutieren. Die Union hat während ih-
rer Regierungszeit noch weit größere Verschiebeaktionen
veranstaltet.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Nun sprechen Sie doch mal zur Sache!)


Schlimmer noch: Herr Lohmann, es war doch geradezu
das Markenzeichen Ihrer Politik, Kosten, die eigentlich
die Allgemeinheit zu tragen hätte, auf die Beitragszahler
der Sozialversicherungssysteme abzuwälzen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das nimmt Ihnen doch keiner mehr ab!)


Zu keiner Zeit war der Anteil der versicherungsfremden
Leistungen in der Renten- und Krankenversicherung
höher als zu Ihrer Regierungszeit. Wenn Sie und Herr
Seehofer heute wegen der Absenkung der Beiträge von
Arbeitslosenhilfebeziehern von Verschiebebahnhöfen
sprechen,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sie tun es doch selbst! Frau SchaichWalch und Herr Dreßler sagen das doch auch!)





Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)

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(C)



(D)



(A)



(B)


dann verschweigen Sie, dass Seehofer selbst über Jahre
der Bahnhofsvorsteher eines gigantischen Verschiebe-
hauptbahnhofs war.


(Beifall bei der SPD)

Die hier diskutierte Absenkung der Beiträge ist kein

Selbstzweck. Sie dient auch nicht der Vorbereitung der
Systemveränderung innerhalb der Sozialversicherungen,
wie Sie es wollen und wie es bei Ihren Verschiebebahn-
höfen war. Nein, die Absenkung dient zielgerichtet dem
Schuldenabbau. Auch hier besteht ein Unterschied: Ihre
Verschiebeaktionen haben die Schulden nicht verringert,
sondern sogar noch wachsen lassen. Ihre Hinterlassen-
schaft macht uns das Leben jetzt schwer und wir haben
mit ihr zu kämpfen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD – Ulf Fink [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411410800
Für die F.D.P.-Frak-
tion spricht jetzt der Kollege Detlef Parr.


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1411410900
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Wenn sich SPD-Kollegen auf vielen Veran-
staltungen wie vor der sozialdemokratischen Seniorenar-
beitsgemeinschaft „60 plus“ zu der Behauptung verstei-
gen,


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie gehören zur Arbeitsgemeinschaft „20 minus“!)


die Attraktivität unseres Gesundheitswesens werde sich
bei gleich bleibenden Beiträgen weiter verbessern, und
zur gleichen Zeit die Bundesgesundheitsministerin sich
dem Diktat des Finanzministers unterwirft und mal eben
1,2 Milliarden DM aus den Taschen der Krankenversi-
cherten ihrem Kabinettskollegen zuschiebt, dann beweist
das, dass sich Ihre Gesundheitspolitik mehr und mehr auf
bewusste Irreführung gründet.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das ist besonders schlimm, wenn dies gegenüber gut-
gläubigen älteren Menschen erfolgt; das ist einfach nicht
in Ordnung.

Nach der Pflegeversicherung im letzten Jahr ist jetzt
also die Krankenversicherung mit 1,2 Milliarden DM
jährlich betroffen. Wohlgemerkt, es geht nicht um die Re-
duzierung von Steuerzuschüssen, sondern um einen dreis-
ten Griff in die Tasche der Versicherten und der Arbeitge-
ber. Ist das Beitragssatzstabilität, meine Damen und
Herren? Dieses Ziel gehört bereits seit längerem offen-
sichtlich in die Welt Ihrer Träume.

Zu der Zeit, als die Ministerin sich mit diesem üblen
Schachzug einverstanden erklärte, demonstrierte in Ber-
lin das Bündnis „Gesundheit 2000“ gegen die Folgen
grün-roter Gesundheitspolitik – ein Bündnis, das die Ge-
sundheitsberufe in Deutschland repräsentiert: 4,2 Milli-
onen direkt und indirekt Beschäftigte, 38 Organisationen.
Sie alle werden durch die Federstrichaktion der Ministe-

rin weiteren zusätzlichen Belastungen ausgesetzt. Sie,
Frau Ministerin, haben sie zum wiederholten Mal
schmählich im Stich gelassen.


(Beifall bei der F.D.P. – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das kann man so sagen!)


Krankenschwestern, Arzthelferinnen, Ärzte, Apothe-
ker, Patientinnen und Patienten, alle sind sich einig: We-
gen der willkürlichen Ausgabenbegrenzung, die Sie ge-
rade weiter verschärfen wollen, müssen medizinische
Leistungen wie Krankengymnastik und Sprachheilthera-
pien eingeschränkt werden, können Krankenhäuser Ope-
rationen nicht im erforderlichen Maße durchführen –
Wartelisten drohen nicht nur, sondern werden zukünftig
zum Alltag gehören –, werden Medikamente nicht mehr
wie gewohnt verschrieben und die Patienten auf billigere
Arzneimittel verwiesen und fehlt die Zeit für ausrei-
chende Zuwendung in der Krankenpflege, um nur einige
Folgen Ihrer verfehlten Gesundheitspolitik zu beschrei-
ben.

Das belastet gerade diejenigen, von denen SPD und
Grüne behaupten, sie lägen ihnen besonders am Herzen:
die chronisch Kranken. Gerade hier – Frau Schmidt-
Zadel, da sind wir uns völlig einig –, bei den Volkskrank-
heiten Diabetes, Rheuma, Asthma sowie bei Krebs-
erkrankungen, zeichnet sich ein zusätzlicher Versor-
gungsbedarf ab. Besondere Versorgungsdefizite in der
Arzneimitteltherapie bestehen bei Langzeiterkrankungen
wie MS, Hepatitis B und C sowie bei Aids. Sie interessie-
ren sich offensichtlich nicht für die Krankheitsbilder in
unserer Gesellschaft. Hauptsache, der Plan und die Ideo-
logie stimmen.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das ist ja mehr als billig!)


Statt auf das alles zu reagieren, sorgen Sie dafür, dass jetzt
noch weniger Geld in den Kassen ist. Durch Ihre Politik
zwingen Sie die Ärzte zum Verschreiben billigster Gene-
rika, also zur Umstellung ihrer Patienten auf andere als
ihre gewohnten Präparate. Sie greifen rücksichtslos in das
Vertrauensverhältnis von Arzt und Patient ein.


(Lachen der Abg. Regina Schmidt-Zadel [SPD])


Sie sprechen gleichzeitig, Frau Schmidt-Zadel, von ethi-
schen Verpflichtungen, die unsere Heilberufler selbst bei
bestem Willen nicht mehr erfüllen können, wenn Sie so
weitermachen wie bisher.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es!)

Sie sollten uns nicht wieder mit Ihrer gebetsmühlenar-

tigen Wiederholung angeblicher Wirtschaftlichkeitsreser-
ven kommen. Selbst wenn es sie gibt – Sie haben sie noch
nicht nachgewiesen; die 20 Milliarden DM stehen im
Raum, ohne dass Sie je spezifiziert hätten, woher Sie sie
holen wollen –,


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Davon habe ich doch gar nicht gesprochen!)





Regina Schmidt-Zadel

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(C)



(D)



(A)



(B)


dann müssen sie erst realisiert werden, bevor man sie ab-
schöpfen kann.


(Zuruf von der SPD: Die F.D.P. versteht vom Wirtschaften nichts! Null Ahnung vom Wirtschaften!)


Das haben mittlerweile sogar die gesetzlichen Kranken-
kassen begriffen und deshalb gegen Ihren dreisten Milli-
ardenzugriff heftig protestiert und Beitragssteigerungen
angekündigt.

Behaupten Sie bitte auch nicht, dass das alles mit Ihrem
Globalbudget viel besser zu bewältigen sei. Wir wissen,
dass Sie nicht einmal den Mut hatten, im ursprünglichen
Entwurf zur GKV-Gesundheitsreform auf sektorale Bud-
gets zu verzichten. Es war nicht der böse Bundesrat, der
sie hat fortbestehen lassen, das sind ganz allein Sie gewe-
sen. Auch hier wird ein neuer Weg beschritten.

Sie gefährden mit Ihrer Politik entweder die medizini-
sche Versorgung oder Sie sorgen über steigende Beitrags-
sätze für eine Gefährdung des Wirtschaftsstandorts
Deutschland.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Haben sie schon!)


Der scheint Ihnen ohnehin nicht sonderlich am Herzen zu
liegen, wie ein anderes Beispiel, die 10. AMG-Novelle,
deutlich macht. Wir beschließen eine solche Novelle, die
die Zulassung und Nachzulassung von Arzneimitteln be-
schleunigen soll, und gleichzeitig versäumen Sie es, die
organisatorischen Voraussetzungen dafür zu schaffen,
dass das, was wir als Gesetzgeber wollen, auch umgesetzt
wird.

Gestern ist im Gesundheitsausschuss deutlich gewor-
den, dass die personelle Situation beim Bundesinstitut für
Arzneimittel und Medizinprodukte katastrophal ist.
Durch den Umzug von Berlin nach Bonn verlieren Sie
wichtige leitende Mitarbeiter in einer zurzeit noch nicht
abzuschätzenden Zahl – so kann man das in einer Vorlage
der Staatssekretärin nachlesen – und sind nicht in der
Lage, sie adäquat zu ersetzen.

Firmen – das ist die Folge –, die wollen, dass ein Arz-
neimittel zugelassen wird, wird angeraten, das bei einem
europäischen Nachbarn zu tun. Sie lassen diese Firmen
ohne Rücksicht auf Arbeitsplätze und den Forschungs-
standort Deutschland im Stich.

Für die fatalen Folgen Ihrer staatlichen Zuteilungspo-
litik gibt es ein weiteres Beispiel: die Lage der Psycho-
therapeuten in Deutschland. Herr Lohmann hat darauf
hingewiesen. Die Anhörung hat bewiesen, dass das nach
planwirtschaftlichen Gesichtspunkten bereitgestellte
Geld vorne und hinten nicht ausreicht, um den Psycho-
therapeuten eine angemessene Bezahlung ihrer Leistun-
gen zu garantieren. Sehenden Auges entlassen Sie viele
Praxen, besonders in den neuen Bundesländern – das hat
Professor Azzola sehr nachdrücklich mitgeteilt –, in den
Ruin.

Es ist endlich an der Zeit, damit aufzuhören, den Men-
schen vorzugaukeln, alle medizinischen Leistungen seien

mit den zur Verfügung stehenden Finanzen ohne Ein-
schränkung zu bezahlen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411411000
Herr Kollege Parr, Sie
haben das Stichwort „aufhören“ schon genannt. Ich muss
Sie an die Redezeit in der Aktuellen Stunde erinnern.


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1411411100
Es ist mein letzter Satz, Frau Prä-
sidentin.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Ich habe die Zeit eingehalten!)


Wir sollten endlich die demographische Entwicklung mit
der gewaltig wachsenden Zahl älterer Menschen ernst
nehmen und ehrlich sagen, dass der immense medizini-
sche Fortschritt nicht zum Nulltarif zu haben ist.

Korrigieren Sie Ihre Entscheidung, lassen Sie die
1,2 Milliarden DM im System! Sie werden dringend ge-
braucht.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411411200
Bevor ich der Kolle-
gin Katrin Göring-Eckardt das Wort erteile, bitte ich um
Aufmerksamkeit für eine Erklärung zur Geschäftsord-
nung vonseiten der PDS-Fraktion. Sie wissen, wir haben
einen Abstimmungsmarathon hinter uns. Dabei ist etwas
schief gegangen. Bitte, Frau Kollegin Böttcher.


Maritta Böttcher (PDS):
Rede ID: ID1411411300
Vielen Dank, Frau Präsiden-
tin.

Ich bitte das Hohe Haus zur Kenntnis zu nehmen, dass
wir beim Abstimmungsverhalten zu Tagesordnungs-
punkt 8 etwas klarstellen müssen. Es wurde über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses abgestimmt. Da wir
den Antrag der CDU/CSU ablehnen, stimmen wir natür-
lich Nr. 2 der Ausschussempfehlung zu. Da wir selbstver-
ständlich dem PDS-Antrag zustimmen, lehnen wir Nr. 3
der Beschlussempfehlung des Ausschusses ab.

Ich bedanke mich.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411411400
Damit ist diese Er-
klärung vonseiten der PDS-Fraktion im Protokoll.

Ich erteile als nächster Rednerin in der Aktuellen
Stunde der Kollegin Katrin Göring-Eckardt für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollegen! Man hat inzwischen das Gefühl, es fällt Ihnen
nichts anderes mehr ein, als darüber zu spekulieren, was
demnächst kommen könnte. Ich finde, Sie sollten versu-
chen, sich an den Tatsachen zu orientieren.


(Dr. Sabine Bergmann-Pohl [CDU/CSU]: Es gibt noch harte Tatsachen, Frau GöringEckardt!)





Detlef Parr
10822


(C)



(D)



(A)



(B)


Mich wundert, dass Sie sich bemühen, sich als Retter
der Beitragssätze darzustellen. Schließlich war und ist
Ihre Politik eine andere: Während Ihrer Regierungszeit
haben Sie dafür gesorgt, dass die Beiträge in der gesetzli-
chen Krankenversicherung und in der Rentenversiche-
rung gestiegen sind.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sechs Jahre sind sie unverändert stabil gewesen!)


Sie haben ebenso die steuerliche Belastung hochschnellen
lassen; davon ist heute schon geredet worden. Die Ursa-
che lag vor allen Dingen darin, dass Sie strukturelle und
mutige Reformen weder in dem einen noch in dem ande-
ren Sicherungssystem angehen wollten. Das war auch
schon vor der deutschen Einheit so, die Sie sicher wieder
als Begründung heranziehen wollen.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Ich will nur ein paar Beispiele nennen: Während der
Zeit Ihrer Regierung ist der Beitragssatz für die gesetzli-
che Krankenversicherung in den Jahren 1995 bis 1998
trotz erhöhter Zuzahlungen um durchschnittlich 0,3 Bei-
tragspunkte gestiegen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Was war 1996 bis 1998?)


In dem gleichen Zeitraum sind die Beiträge zur Renten-
versicherung um 1,7 Prozentpunkte gestiegen.
Rechnet man die Einführung der Pflegeversicherung mit
1 Prozent hinzu, ergibt sich für die Jahre 1995 und 1996
eine Steigerung der Sozialabgaben um insgesamt 3 Pro-
zent. Noch deutlicher wird es, wenn man sich das
Ansteigen der Sozialabgaben über einen längeren
Zeitraum hinweg anschaut. Für die Zeit von 1985 bis
1998 – das war auch noch vor der deutschen Einheit –
ergibt sich eine Steigerung um fast 17 Prozent. Das ist Ihre
Politik gewesen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Na! Na!)

Wir haben seit dem Regierungsantritt bereits eine Sta-

bilisierung bzw. Senkung der Beiträge erreicht. So ist bei-
spielsweise der Beitrag zur Rentenversicherung von
20,3 Prozent um 1 Prozent auf 19,3 Prozent gesunken.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Den Sie den Leuten über die Ökosteuer aus der Tasche gezogen haben!)


Nach der Blümschen Rentenreform lägen wir jetzt übri-
gens bei 21 Prozent. Seit 1998 ist die Belastung durch die
Sozialabgaben rückläufig und liegt bei 41,1 Prozent. Um
eines klarzustellen: Auch wir wollen keine Sanierung des
Haushaltes auf Kosten der Krankenkassen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Na, na!)

Die Bundesministerin Andrea Fischer hat mit Walter

Riester, dem Arbeitsminister, einen annehmbaren Kom-
promiss ausgehandelt. Der ist ihr sicherlich nicht leicht
gefallen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Einfach auf der Mitte! Was ist das für ein Kompromiss?)


Aber Politik zu machen heißt natürlich auch, Kompro-
misse zu schließen. Ich will Ihnen auch erklären, warum
ich finde, dass es sich um einen annehmbaren Kompro-
miss handelt. Die Belastungen für die Krankenver-
sicherungen in Höhe von 1,2 Milliarden DM stellen
gegenüber den 2,4 Milliarden DM, die ursprünglich zur
Debatte standen, eine, wie ich finde, tragfähige Lösung
dar.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist nach Adam Riese die Hälfte, aber das ist auch das Einzige!)


Wir sind der Überzeugung, dass die Mindereinnahmen
in der Krankenkasse ohne Beitragssatzanhebungen zu
verkraften sind, und zwar aus folgendem Grund: Ohne zu
optimistisch sein zu wollen,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sie enthalten den Leuten Leistungen vor!)


können wir mit erhöhten Einnahmen rechnen. Diese er-
höhten Einnahmen haben übrigens mit unserer Politik zu
tun und fallen nicht vom Himmel. Sie stammen zum einen
aus der Regelung für die geringfügigen Beschäfti-
gungsverhältnisse – ich weiß, dass Ihnen auch das nicht
gefällt,


(Detlef Parr [F.D.P.]: Das hat alle sehr begeistert!)


nichtsdestotrotz führt dies zu Mehreinnahmen der
Krankenkassen – und beruhen zum anderen auf dem
Rückgang der Arbeitslosenzahlen, der nach vorsichtigen
Schätzungen der Bundesanstalt für Arbeit – nicht etwa
dieser Regierung – bei rund 200 000 liegt. Bei der zu er-
wartenden anhaltenden positiven Konjunktur wird dieser
noch höher sein. Für das Jahr 2001 wird ein Rückgang der
Arbeitslosenzahlen um 300 000 geschätzt. Dies bedeutet
eine klare Entlastung der Krankenversicherungen.


(Detlef Parr [F.D.P.]: Alles ungedeckte Schecks! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das kann doch nur sein, wenn Sie mehr Beschäftigung haben, aber nicht, wenn Sie weniger Arbeitslose haben!)


Und schließlich: Die Lohnabschlüsse der vergangenen
Monate bedeuten ebenfalls eine positive Entwicklung für
die Einnahmen der GKV. Um 2 Prozent höhere Lohnab-
schlüsse bedeuten für die gesetzliche Krankenversiche-
rung allein eine Differenz von 4,8 Milliarden DM. Wenn
Sie dies den 1,2 Milliarden DM, die wir in dem Kompro-
miss ausgehandelt haben, gegenüberstellen, kann mit
Recht von Verhältnismäßigkeit gesprochen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Kompromisse zu machen, ist nie angenehm; für keinen
der Beteiligten. Sie aber sollten sachlich bleiben und die
Menschen nicht unnötig verunsichern. Dies ist nicht nur
unpolitisch, sondern unverantwortlich. Dafür sollten Sie




Katrin Dagmar Göring-Eckardt

10823


(C)



(D)



(A)



(B)


sich zu schade sein, wenn es um solche Größenordnungen
wie die geht, von denen wir hier reden.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1411411500
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Ruth Fuchs von der
PDS-Fraktion das Wort.


Dr. Ruth Fuchs (PDS):
Rede ID: ID1411411600
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Liebe Kollegin Katrin Göring-Eckardt, den
Versicherten ist es egal, ob der Frau Gesundheitsministe-
rin der Kompromiss schwer oder leicht gefallen ist. Es
bleibt dabei, dass die Regierung mit der Kürzung der
Krankenkassenbeiträge bei der Arbeitslosenhilfe einen
folgenschweren Fehler begangen hat, ob sie das nun
wahrhaben will oder nicht.


(Detlef Parr [F.D.P.]: Richtig! – Zuruf des Abg. Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU])


– Warten Sie nur ab, Sie kriegen auch noch Ihr Fett weg.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)


Ob Sie es glauben oder nicht, aber Sie haben einen
neuen Verschiebebahnhof zugunsten des Bundeshaushal-
tes und zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung
geschaffen. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Die für
das Gesundheitswesen zur Verfügung stehenden Mittel
haben Sie damit deutlich verringert. Dies ist unverständ-
lich, denn inzwischen ist eigentlich zur Genüge bekannt,
dass die Krankenkassen nicht nur ein Ausgabenproblem,
sondern vor allen Dingen ein systematisches Einnahme-
problem haben. Dazu sage ich Ihnen: Dieses Einnahme-
problem wird sich in der nächsten Zeit weiter verschärfen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das sehen wir auch so!)


Wir haben schon damals bei der Diskussion der Ge-
sundheitsreform 2000 gesagt, dass es ein Kardinalfehler
war, die Grundsituation tendenziell zurückbleibender
Beitragseinnahmen zu negieren und der gesundheitlichen
Versorgung eine Politik der knappen Finanzen zu verord-
nen. Dies war aus unserer Sicht ein Fehler.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: So ist es!)


Die Folgen sind schwerwiegend. Überall im Gesund-
heitswesen wachsen Spannungen und daraus resultie-
rende Probleme. Die Bundesregierung muss von allen
guten Geistern verlassen sein, wenn sie in einer solchen
Situation die gesetzliche Krankenversicherung als Stein-
bruch betrachtet, aus dem man nach Belieben Haushalts-
löcher stopfen kann. In einer Situation, in der jede Bei-
tragsmark willkommen sein muss – aus meiner Sicht not-
wendig –, zwingen Arbeits- und Finanzminister die
Gesundheitsministerin zu einem ihr nicht leicht gefalle-
nen Kompromiss, dessen politische Auswirkungen im
Gesundheitswesen als verheerend bezeichnet werden
müssen. Diese Entscheidung ist in hohem Grade verant-

wortungslos, weil – schon heute absehbar – auf die ge-
setzliche Krankenversicherung weitere finanzielle Belas-
tungen zukommen. So wird auch die Rentenreform mit
ihren geplanten Kürzungen der Altersbezüge zu Minder-
einnahmen in Milliardenhöhe führen.

Weitere Defizite ergeben sich auch aus der zu erwar-
tenden Steuerfreiheit für die Beiträge zur privaten Alters-
vorsorge sowie aus dem jüngsten Urteil des Bundesver-
fassungsgerichts zum Krankengeld. Besonders ungünstig
werden die Auswirkungen für die Kassen in den neuen
Bundesländern sein. Aufgrund der höheren Arbeitslosig-
keit sinken die Einnahmen dort noch stärker und erneut
werden die AOKen am härtesten betroffen sein.

Im Übrigen macht die vorgenommene Streichung von
Kasseneinnahmen das Kabinett Schröder als Ganzes, aber
auch die Gesundheitsministerin persönlich unglaubwür-
dig. Ich will Ihnen auch sagen, warum ich das behaupte.
Bei der Vorgängerregierung haben die damaligen Opposi-
tionsparteien SPD und Grüne die Sanierung des Bundes-
haushaltes auf Kosten der Beitragszahler immer scharf
verurteilt. Schließlich haben auch CDU/CSU und F.D.P. –
das ist das, worauf ich Sie hinweisen wollte – viele Jahre
friedlich mit riesigen Verschiebebahnhöfen zulasten der
gesetzlichen Krankenversicherung koexistiert. Auch da-
ran sollte und muss heute erinnert werden.

Wissen Sie, liebe Kollegin Regina Schmidt-Zadel, et-
was wird nicht besser oder richtiger, nur weil zwei das
Gleiche tun.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Manchmal schon!)


Nicht nur, dass Sie als Regierungsparteien jetzt zu den
gleichen Methoden greifen wie Ihre Vorgängerregierung,
ist aus meiner Sicht schlimm. Hinzu kommt noch: Die
Sparpolitik im Gesundheitswesen haben Sie immer
wieder mit dem Gebot der Beitragssatzstabilität begrün-
det. Jetzt aber kürzt die rot-grüne Regierung willkürlich
die Einnahmen der GKV und provoziert damit selbst
nachfolgende Beitragserhöhungen.

Vor einigen Wochen waren es nur unausgegorene und
widersprüchliche Äußerungen der Gesundheitsministe-
rin, die dem Verdacht von Konzeptionslosigkeit Nahrung
gaben. Heute offenbart die Regierung im praktischen
Handeln, dass sie in der Gesundheitspolitik zurzeit entge-
gen ihren Behauptungen nicht über einen klaren Kurs ver-
fügt. Das könnte sich bald rächen; denn dieses Politik-
feld – noch immer voller ungelöster und hochbrisanter
Probleme – wird weiter in den Mittelpunkt der gesell-
schaftlichen Auseinandersetzungen rücken. Spätestens
dann wird viel davon abhängen, ob eine sozialdemokra-
tisch geführte Regierung weiß, was sie will.

Vor allem muss erwartet werden, dass sie einem zu-
nehmenden Druck in Richtung ökonomischer Konkur-
renz, Kern- und Wahlleistungen und damit einhergehen-
der Privatisierung der gesundheitlichen Versorgung nicht
nachgibt.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)





Katrin Dagmar Göring-Eckardt
10824


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1411411700
Als
nächste Rednerin hat die Parlamentarische Staatssekretä-
rin Ulrike Mascher das Wort.

U
Ulrike Mascher (SPD):
Rede ID: ID1411411800
Sehr verehrte Kol-
legen und Kolleginnen! Die Kollegen von der Opposition
haben sich heute offenbar ihr oppositionelles Pflichtpro-
gramm vor dem Sommerurlaub vorgenommen


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Nein! Sie hätten sich das schenken können! Dann hätten wir nicht darüber geredet! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das ist eine Kür!)


und versuchen in Kurzform, die verbalen Schlachten der
letzten Monate noch einmal zu schlagen und auch noch
eine kleine Schreckensmeldung abzusetzen.


(Beifall bei der SPD – Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Frau Mascher, in Wirklichkeit ist es Ihnen doch sehr peinlich!)


Seit einigen Wochen taucht auch in der Presse immer
wieder das Schreckgespenst einer Beitragserhöhung in
der Krankenversicherung auf. Es gibt sich selbst erfül-
lende Prophezeiungen. Man muss nur lange genug davon
reden; dann schafft man das schon.

Mit der Drohung einer Beitragserhöhung haben die
Krankenversicherungsträger versucht, auf die Entschei-
dung der Bundesregierung Einfluss zu nehmen. Jetzt,
nachdem die Bundesregierung entschieden hat, soll Stim-
mung für die Rücknahme der Entscheidung erzeugt wer-
den.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist auch notwendig!)


Wenn man es nüchtern betrachtet, stellt man fest: Hinter-
grund der aktuellen Debatte ist, dass im Haushalts-
sanierungsgesetz 1999 die Bemessungsgrundlage für die
Beiträge zur Renten- und zur Pflegeversicherung der
Arbeitslosenhilfebezieher auf den Zahlbetrag der Arbeits-
losenhilfe abgesenkt wurde. Die Krankenversicherungs-
beiträge blieben 1999 ausgenommen. – Dieser Schritt
hatte damit zu tun, dass man damals mitten in der Erar-
beitung der Gesundheitsreform 2000 steckte.


(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)

– Das finde ich auch korrekt. Wenn man ein so großes Re-
formvorhaben vor sich hat, darf man es nicht auch noch
mit anderen Dingen belasten.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Sie haben sich erfolgreich gewehrt, weil es Unsinn ist!)


Für die Beratungen zum Haushalt 2001 und zum Fi-
nanzplan bis 2004 ergibt sich nun aufgrund des Zukunfts-
programms folgende Ausgangslage: Es muss ein Konso-
lidierungsbeitrag von jährlich 2,4Milliarden DM erbracht
werden. Selbst bei noch so sparsamer Haushalts- und
Wirtschaftsführung ist ein solcher Betrag nicht zu erwirt-
schaften.

Wir haben uns deswegen dafür entschieden, dass die
Krankenkassen – jedenfalls für diese Legislaturperiode –,
genauso wie die Rentenversicherung und die Pflegeversi-
cherung, hier ihren Beitrag leisten: Absenkung der Be-
messungsgrundlage für die Krankenversicherungsbei-
träge der Arbeitslosenhilfeempfänger auf die Höhe der
realen Zahlbeträge.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Darum geht es doch gar nicht! Es geht darum, was aus der Kasse genommen wird!)


– Doch, genau darum geht es, Herr Lohmann. Nur darum
geht es.


(Beifall bei der SPD)

Versuchen Sie jetzt nicht, da einen Popanz aufzubauen!


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Den bauen Sie doch auf!)


Ich halte das für eine verantwortbare Entscheidung.
Wir haben für die Krankenkassen durch die Neuregelung
der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, das heißt
durch das 630-Mark-Gesetz, zusätzliche Einnahmen er-
schlossen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das kommt mir bald vor wie beim Jäger 90! Das muss für alles herhalten!)


– Nein!
Den Krankenkassen sind im letzten Jahr 1,6 Milliar-

den DM zugeflossen, obwohl das Gesetz erst im Frühjahr
in Kraft getreten ist. Hochgerechnet auf das Jahr 2000 er-
geben sich einschließlich der geringfügig Nebenbeschäf-
tigten Mehreinnahmen von rund 3 Milliarden DM. Ich
will jetzt gar nicht die Aussage des Vorsitzenden des Bun-
desverbandes der Ortskrankenkassen bemühen, der ja
wiederholt hat, was Ihr ehemaliger Gesundheitsminister
Seehofer immer wieder beschworen hat: die berühmten
25 Milliarden DM Wirtschaftlichkeitsreserven.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: So viele gibt es doch gar nicht!)


Die Mehreinnahmen in der Krankenversicherung
rechtfertigen das, was jetzt in einem Kompromiss – ich
sage als Vertreterin des Bundesministeriums für Arbeit
und Sozialordnung: dank der Hartnäckigkeit der Kollegin
Fischer –


(Ulf Fink [CDU/CSU]: Wie hartnäckig war denn Riester?)


erreicht worden ist, wonach das Volumen der Kranken-
versicherungsbeiträge aus Arbeitslosenhilfe nicht um
2,4 Milliarden DM, sondern um 1,4 Milliarden DM abge-
senkt wird. Deshalb wurde beschlossen, die Bemessungs-
grundlage für die Krankenversicherungsbeiträge der Ar-
beitslosenhilfebezieher nicht auf den Zahlbetrag, sondern
auf einen in der Mitte zwischen dem Zahlbetrag und der
jetzigen Bemessungsgrundlage liegenden Betrag abzu-
senken.

Wir werden Ihnen zum Ende der Sommerpause den
entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen. Wir werden






(C)



(D)



(A)



(B)


Ihnen den Einzelplan des Bundesministeriums für Arbeit
und Sozialordnung vorlegen. Dann haben Sie noch einmal
Gelegenheit, diese Sache im Gesamtzusammenhang der
Haushaltsentwicklung und der Entwicklung der Einnah-
men in der GKV zu diskutieren.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Es geht aber nicht um finanzielle Beträge und nicht um Steuermittel!)


Ich glaube, dann kann man sagen: Das ist eine Ent-
scheidung mit Augenmaß. Es macht uns doch allen keinen
Spaß, diese Haushaltssanierung zu betreiben. Wenn Sie
hier so schreien, kann ich nur sagen: Wer hat denn das
Ganze verursacht? Wir haben doch von Ihnen einen fi-
nanziellen Scherbenhaufen geerbt,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


den wir jetzt in mühsamer Kleinarbeit aufarbeiten
müssen. Wir müssen jetzt versuchen, die Sache wieder in
Ordnung zu bringen.

Wenn wir in Zukunft die Entwicklung erfolgreich ge-
stalten wollen, dann muss man hier mit Augenmaß vorge-
hen. Ich möchte Sie bitten, sich an den konkreten Zahlen
zu orientieren, anstatt zu versuchen, vor der Sommer-
pause im Plenarsaal irgendwelche Schreckgespenster zu
beschwören. Im Interesse der Betroffenen ist das, glaube
ich, keine gute Politik, die Sie hier machen.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1411411900
Als
nächster Redner hat Kollege Ulf Fink, CDU/CSU-Frak-
tion, das Wort.


Ulf Fink (CDU):
Rede ID: ID1411412000
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Im Unterschied zu dem, was
Frau Schmidt-Zadel und die Parlamentarische Staatsse-
kretärin Frau Mascher vorgetragen haben, gibt es keine,
aber auch überhaupt keine einzige überzeugende kon-
junktur-, wirtschafts- oder finanzpolitische Begründung
für diesen Griff in die Kassen der Krankenkassen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Doch, Ihre Schulden, die Sie uns hinterlassen haben!)


Die Wahrheit ist: In dem Maße, wie der eichelsche Etat
entlastet werden soll, werden die Kassen der Kranken-
kassen, der Pflegeversicherung und der Rentenver-
sicherung belastet. Per saldo haben Sie wirtschaftspoli-
tisch überhaupt nichts gewonnen. Das Staatsdefizit insge-
samt verändert sich überhaupt nicht. Es ändert sich nur
eines: Statt dass die Defizite bei Herrn Eichel auftauchen,
tauchen sie nun bei Krankenkassen, Pflegeversicherung
und Rentenversicherung auf. Das ist ein unzulässiger Ein-
griff in die Autonomie dieser Versicherungseinrichtun-
gen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Frau Göring-Eckardt versucht, von ihren fehlenden Ta-
ten dadurch abzulenken, dass sie darauf hinweist, was
früher falsch gelaufen ist. Ich will Ihnen einmal ein Zitat
vorlesen und Sie können nachher raten, wer es gesagt hat:

Trotz des fortschreitenden Alters der Menschen, trotz
medizinischen Fortschritts haben wir es geschafft,
die Qualität unseres Gesundheitswesens zu erhalten
und die Beitragssituation im Rahmen des Wachstums
des Bruttoinlandsprodukts zu halten. Das ist eine
tolle Leistung. Darauf hinzuweisen wäre auch poli-
tisch lobenswert.

Nun raten Sie einmal, wer das gesagt hat: Rudolf Dreßler
im Interview mit dem „Gesundheitspolitischen Informa-
tionsdienst“ am 27. Juni. Für den Löwenanteil dieser
20 Jahre haben Union und F.D.P. die Regierungsverant-
wortung getragen. Vielleicht sollten Sie das einfach ein-
mal zur Kenntnis nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Das eigentlich Entscheidende ist doch: Wir haben Un-
tersuchungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsfor-
schung vorliegen, wonach die Beitragssätze zur gesetzli-
chen Krankenversicherung – wenn nichts geschieht – bis
zum Jahre 2040 von jetzt 13,5 Prozent auf 24 Prozent stei-
gen werden. Es gibt verschiedene Schätzungen, aber alle
Schätzungen gehen davon aus, dass der medizinische
Fortschritt und die älter werdende Gesellschaft solche ge-
waltigen zusätzlichen Kosten verursachen, dass die Bei-
tragseinnahmen damit nicht Schritt halten werden kön-
nen.

Anstatt sich in einer solchen Situation um dieses
Thema intensiv zu kümmern, entziehen Sie der gesetzli-
chen Krankenversicherung sogar noch Beitragseinnah-
men, die ihnen zustehen. Dies ist sozialpolitisch und ge-
sundheitspolitisch ein absolutes Kuddelmuddel, dem kei-
nerlei Prinzip zugrunde liegt. Das lässt sich auch an
Folgendem deutlich machen: Sie beschließen im Jahre
1999 – das ist jetzt, im Jahre 2000, geltendes Gesetz –,
dass für die Empfänger von Arbeitslosenhilfe Beiträge an
die Renten- und Pflegeversicherung auf der Grundlage
des tatsächlichen Zahlbetrages und nicht, wie es bisher
immer der Fall war und notwendig ist, auf der Grundlage
von 80 Prozent des früheren Bruttoentgeltes abgeführt
werden. Bei der Krankenversicherung hingegen werden
im Jahre 2000 Beiträge nach Maßgabe von 80 Prozent des
früheren Bruttoentgeltes entrichtet.

Nun könnte man darüber diskutieren, ob besser auf den
tatsächlichen Zahlbetrag oder auf 80 Prozent des früheren
Bruttoentgeltes abgestellt werden sollte. Für das Jahr
2001 beabsichtigen Sie nun aber, bei der Renten- und
Pflegeversicherung Beiträge auf der Grundlage des
tatsächlichen Zahlbetrages abzuführen. Nun könnte man
daran denken, dass Sie das auch bei der Krankenversi-
cherung wollen. Aber das ist nicht der Fall. Bei der Kran-
kenversicherung wollen Sie, dass das irgendwo zwischen
dem tatsächlichen Zahlbetrag und 80 Prozent des frühe-
ren Bruttoentgeltes liegt.

Diese Politik verstehe, wer will. Wir haben doch alle
Hände voll zu tun, den Menschen sinnvoll zu erläutern,
dass Sozial- und Gesundheitspolitik gewissen Prinzipien
folgt, denen eine einheitliche Logik zugrunde liegt. Sie




Parl. Staatssekretärin Ulrike Mascher
10826


(C)



(D)



(A)



(B)


aber entziehen dem System jegliche Glaubwürdigkeit und
erzeugen damit eine neue Altersarmut – insbesondere in
Ostdeutschland –, obwohl Sie vorgeben, ebendiese be-
kämpfen zu wollen.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: So ist es!)


Gleiches gilt für die Altersverwirrten: Wir wollten et-
was im Rahmen der Pflegeversicherung tun und brauchen
dafür Geld. Was aber tun Sie? Sie entziehen der Pflege-
versicherung 400 bis 500 Millionen DM an Einnahmen.
Bei der Krankenversicherung müssen wir dafür sorgen,
dass die Budgetierung endlich zugunsten einer am medi-
zinischen Bedarf ausgerichteten Versorgung geändert
wird. Was tun Sie? Sie entziehen der Krankenversiche-
rung 1,2 Milliarden DM an Beiträgen.

Nein, meine Damen und Herren, das ist eine falsche
Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1411412100
Das Wort
hat jetzt die Bundesministerin Andrea Fischer.


Andrea Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411412200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich unter-
nehme einen Versuch, das Ritual, uns gegenseitig die
Schuld zuzusprechen, zu durchbrechen, indem ich sage:
Es ist meine Verantwortung, dass dieser Beschluss im Ka-
binett gefasst wurde. Dabei ist in der Tat unerheblich, ob
es mir dabei gut ging. Das ging auf meine Kappe und dazu
bekenne ich mich. Sie aber können nicht dieser harten,
schwierigen und auch schmerzhaften Operation auswei-
chen, den Bundeshaushalt in eine Lage zu bringen, in der
wir nicht immer mehr Schulden anhäufen, sondern ihn
entschulden.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie schreiben es doch nur um! Sie bringen es nur in einen anderen Haushalt!)


Diese Aufgabe stellt sich uns aufgrund der Entwicklung
in den letzten Jahren in aller Schärfe und dafür tragen Sie
die Verantwortung.

Wir müssen auch darüber reden – ich komme später da-
rauf zurück –, wie das mit der Verantwortung für die Ge-
staltung des Gesundheitswesens ist. Natürlich lassen sich
Aktuelle Stunden wie diese leicht beantragen. In diesem
Fall empfand ich es geradezu als Pflicht der Opposition,
diesen Stein, von dem Sie sprachen, aufzuheben ange-
sichts der Tatsache, dass Sie wussten, dass es darum ein
großes Ringen innerhalb der Bundesregierung gab. Sie
hätten wirklich versagt, wenn Sie das nicht gemacht hät-
ten. Das ändert aber nichts daran, dass dies leicht ist,
gleichzeitig Ihnen das Schwere unmöglich ist, nämlich
sich zu entscheiden, was Sie wollen: Das erleben wir je-
den Tag in der Rentenpolitik, das erleben wir jeden Tag in
der Steuerpolitik und ich meine, das gilt auch für die
Gesundheitspolitik.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Das wissen wir besser als Sie! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie verwechseln die Parteien!)


Jetzt noch einmal zu dem zweifelsohne starken Wort,
ich hätte mich dem Diktat des Finanzministers gebeugt
und meinem Kollegen mal so eben Geld rübergeschoben:
Mit Verlaub, wir reden hier vom Bundeshaushalt. Wir re-
den nicht davon, dass irgendwelche Deals zwischen Mi-
nistern gemacht werden, sondern von dem Bestreben, im
Bundeshaushalt die ständige Verschuldung einzudäm-
men, und davon, dass es großer Anstrengungen bedarf,
das zu ändern.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sie haben es dann dem Beitragszahler abgenommen!)


Ich will darauf hinweisen: Die Beitragszahler, zu deren
Fürsprecher Sie sich jetzt machen, sind in aller Regel auch
Steuerzahler. Denen ist es nicht gleichgültig, ob die Ver-
schuldung des Bundeshaushaltes immer weiter zunimmt
und ob wir in der Lage sind, die Steuerbelastung zu sen-
ken. Sie wollen ja noch viel mehr herausholen – wie wol-
len Sie das eigentlich finanzieren? Ich bin deshalb dafür,
dass wir alle Verantwortung übernehmen. Ich bekenne
mich zu dem, was wir beschlossen haben.

Ich will noch einmal deutlich sagen – darauf haben
aber schon etliche Kollegen und Kolleginnen hingewie-
sen –: Sie können nicht behaupten, Sie seien in diesem
Bereich überhaupt nicht tätig gewesen. Die Absenkung
von 100 Prozent auf 80 Prozent, die der Kollege Fink so
vehement verteidigt hat, ist systematisch ebenfalls nicht
zu begründen, sondern war auch eine politisch gegriffene
Zahl.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Aber für alle gleich!)


Außerdem muss man berücksichtigen: In den letzten
anderthalb, zwei Jahren gab es immerhin keine Beitrags-
satzerhöhungen, was man von den davor liegenden Jahren
nicht sagen kann. Davor nämlich sind die Beiträge gestie-
gen, obwohl auch die Zuzahlungen ständig gestiegen
sind. Dies noch einmal zu der Frage, wer wofür steht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Herr Lohmann, das Argument, das sei unsere uner-
schöpfliche Geldbörse, stimmt nicht. Fakt ist, dass sich
die Einnahmen durch die Neuregelung bei den 630-DM-
Jobs positiver entwickelt haben, als wir es in unseren pes-
simistischen Schätzungen angenommen haben.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das kann man doch nicht für alle verwenden!)


Wir können immerhin sagen, das wir zum ersten Mal seit
sechs Jahren im ersten Quartal des Jahres einen Anstieg
der beitragspflichtigen Einnahmen verzeichnen, der über
2 Prozent liegt. Das ist sehr ungewöhnlich. Das bedeutet,
dass die Einnahmeentwicklung an anderer Stelle
wesentlich positiver verläuft, als wir das erwarten kon-
nten. Jeder Prozentpunkt Zuwachs bei den beitrags-
pflichtigen Einnahmen für die Krankenversicherung be-
deutet Mehreinnahmen für die gesetzliche Krankenver-
sicherung in einer Größenordnung von 2,4 Milliarden
DM.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)





Ulf Fink

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(C)



(D)



(A)



(B)


Deshalb stellen wir hier keine Milchmädchenrechnung
auf. Wir können sehr wohl belegen, dass das zu verkraften
ist.

Wir haben außerdem – das will ich noch einmal ganz
deutlich sagen – im Kabinett die Vereinbarung getroffen,
dass wir bis zum Ende der Legislaturperiode an dieser
Stelle keine weiteren Veränderungen vornehmen.

Noch ein Wort zu der Milchmädchenrechnung unserer
Kritiker. Wenn uns vorgehalten wird, wir würden die ge-
setzliche Krankenversicherung um Einnahmen aus dem
Krankenhausnotopfer bringen, so muss ich erwidern:
Meine Damen und Herren, es war Ihr Gesetz, was dieses
Krankenhausnotopfer auf drei Jahre begrenzt hat. Selbst
wenn wir es nicht geändert hätten – es wäre im letzten Jahr
ausgelaufen –, gäbe es diesen Topf in diesem Jahr nicht
mehr. Zudem haben Sie durch das Krankenhausnotopfer
nur die Hälfte von dem erzielt, was Sie gewollt haben. Sie
erinnern sich sicherlich noch an den Konflikt, den es hier
gab.

Was die Soziotherapie angeht, so rechnen Sie mit völ-
lig überhöhten Zahlen, die überhaupt nichts mit dem zu
tun haben, was dort beschlossen worden ist.

Ich muss angesichts der ganzen Diskussion über das
Gesetz zur Gleichstellung homosexueller Lebensgemein-
schaft, mit Verlaub, klarstellen, dass dieses Gesetz noch
nicht beschlossen ist. Zudem wird es nur wenige homo-
sexuelle Paare geben, die überhaupt Leistungen dieses
Gesetzes in Anspruch nehmen werden – und die Wahr-
scheinlichkeit, dass es sich bei denen um so genannte
Hausfrauenehen handelt, ist relativ gering.

Wenn Sie also behaupten, dieses Gesetz würde für Mil-
liardenbelastungen sorgen, dann muss ich feststellen, dass
dies nur ganz wenig mit der gesellschaftlichen Realität zu
tun hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Im Zusammenhang mit der Rentenreform will ich
deutlich darauf hinweisen: Mit den Zahlen, die dort zum
Teil herumschwirren, geht man von einem Status quo ante
aus, der schon jahrelang obsolet ist. Man kann natürlich
immer von früher prognostizierten Rentenentwicklungen
ausgehen. Es ist selbstverständlich klar, dass die Renten-
reform, die wir beschlossen haben, auch Auswirkungen
auf die Einnahmeseite der gesetzlichen Krankenversiche-
rung haben wird. Das ist richtig. Aber das liegt in der Lo-
gik unserer Sozialversicherungssysteme. Sie weisen
schließlich auch immer dann Einnahmeschwankungen
auf, wenn die Löhne steigen oder sinken. Mit Verlaub, der
Hinweis, dass sich die Rentenreform auch auf die gesetz-
liche Krankenversicherung auswirkt, kann kein Argument
gegen eine dringend notwendige Reform sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt zu der Frage der Verantwortung. Ja, Herr Fink, Sie

haben Recht: Die Frage des demographischen Wandels
gehört auf die Agenda. Aber es stimmt nicht, dass der de-
mographische Wandel ein Beleg dafür ist, dass wir mit
dem heute vorhandenen Geld unter keinen Umständen

auskommen können; denn die Prognosen, die Sie erwähnt
haben, erfüllen sich erst in 20 oder 30 Jahren.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Die Dramatik ist später!)


Auch Sie wissen, dass die Prognosen – je nach Studie –
eine große Bandbreite aufweisen. Das lohnt sich zu disku-
tieren. Zu dieser Diskussion bin ich auch bereit. Ich bin
der festen Überzeugung, dass wir noch schwierige
Entscheidungen vor uns haben, die sowohl die Einnah-
men- als auch die Ausgabenseite betreffen werden.

Nur, wenn Sie sagen: „Ihr mit Eurer Budgetierung seid
doch Schurken, dadurch wird alles so schwierig!“, dann
müssen Sie auch hinzufügen, dass nach Ihrem Alternativ-
vorschlag die Versicherten wieder sehr viel mehr zahlen
müssen oder dass sie bestimmte Leistungen nicht mehr in
Anspruch nehmen können. Sie verfügen doch über ein-
schlägige Erfahrungen, was die Versicherten von einem
solchen Vorschlag halten.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie machen das!)


Die Debatte darüber haben Sie 1997/98 schon einmal
geführt, wenn ich mich richtig erinnere. Es ist klar, wenn
man in der Opposition ist, kann man solche Forderungen
aufstellen und niemand regt sich auf, weil niemand die
Folgen Ihrer Vorschläge zu spüren bekommt. Trotzdem
müssen Sie zugeben, dass Sie an diesem Punkt auch noch
am Anfang der Lösung des Problems stehen; denn die
Wahlleistungsdebatte wird auch bei der Opposition und
insbesondere bei der CDU/CSU – wenn ich das richtig
verfolgt habe – außerordentlich kontrovers geführt. Voller
Neid erkenne ich also an, dass Sie sich in der Opposition
andere Vorschläge leisten können als wir uns in der
Regierung.


(Zuruf von der CDU/CSU)

– Aber Sie können zeigen, dass auch Sie Ihren Teil der
Verantwortung übernehmen wollen, wenn Sie einen Teil
unserer Verantwortung mittragen. Alle bislang von uns
geplanten Maßnahmen, zum Beispiel Steuerung der Aus-
gaben, Qualitätssicherung und Herstellung von Daten-
transparenz, um bessere Kenntnisse über das, was tat-
sächlich geschieht, zu erlangen, bieten Ihnen vielfältige
Möglichkeiten, zu zeigen, wie ernst es Ihnen damit ist, die
Leistungen im Gesundheitswesen angemessen zu steuern
und einen Beitrag für die Zukunft zu leisten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1411412300
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Rainer
Eppelmann von der CDU/CSU-Fraktion.


Rainer Eppelmann (CDU):
Rede ID: ID1411412400
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Ich rede hier nicht als ge-
sundheitspolitischer Fachmann – der bin ich auch nicht –,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Einfach als Mensch!)





Bundesministerin Andrea Fischer
10828


(C)



(D)



(A)



(B)


sondern als betroffener Sozialpolitiker. Ich möchte
meinen Ausführungen voranstellen: Ich erhebe nicht den
Anspruch, dass wir immer dann, wenn wir regiert haben –
das wird auch in der Zukunft so sein –, alles richtig
gemacht haben. Aber selbst wenn man dies zugibt, muss
man heftige Kritik üben können, wenn man den Eindruck
hat, dass andere etwas falsch machen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ungerechtigkeit und Kurzsichtigkeit werden nicht des-

wegen weniger, weil sie wiederholt werden. Während bis
1999 die Beiträge der Arbeitslosenhilfebezieher zur Ren-
ten-, Pflege- und Krankenversicherung auf der Basis von
80 Prozent des bisherigen Bruttoverdienstes erhoben wur-
den, gilt dies zurzeit nur noch für Beiträge zur Kranken-
versicherung. An dieser Stelle soll nun offensichtlich
nachgearbeitet werden. Noch einmal: Das wird nicht al-
lein deswegen besser, weil es schon einmal gemacht wor-
den ist. Dieser Weg war falsch und bleibt falsch.

Für die Rentenansprüche bedeutet dieser Weg erhebli-
che Kürzungen. Er führt gerade in den neuen Ländern bei
geringerer betrieblicher und privater Altersvorsorge und
bei einer höheren Arbeitslosigkeit, auch bei einer höheren
Dauerarbeitslosigkeit, zu einer erheblich steigenden Al-
tersarmut. Beitragszahler rutschen unter das Sozialhilfe-
niveau ab. Bei den jetzt erneut gewählten willkürlichen
Verschiebebahnhöfen spürt der Arbeitslosenhilfeempfän-
ger selbst keine Entlastung; die Beitrags- und Steuerzah-
ler aber müssen mehr schultern.

Ich bin als Mitglied der AOK in Brandenburg voll
großer Sorge. Durch die Solidarität der Kassen im Risi-
kostrukturausgleich und durch verbesserte Effektivität hat
die Brandenburger AOK endlich wieder einmal schwarze
Zahlen geschrieben, allerdings nur ganze 4,6 Millionen
DM. Wenn Sie jetzt Ihren unheilvollen Weg der willkür-
lichen Absenkung fortsetzen, dann würde dadurch allein
bei der AOK in Brandenburg ein neues Minus von 34Mil-
lionen DM entstehen.

Ich frage mich als bei der AOK Versicherter ängstlich:
Wie lange bleibt die AOK in Brandenburg und in den
neuen Ländern überhaupt noch leistungsfähig, wenn die
Zahl der Arbeitnehmer und damit die der Beitragszahler
zurückgeht? Wie kann die AOK in Brandenburg, wie kön-
nen die AOKen in den neuen Ländern ihren Haushalt we-
nigstens wieder ausgleichen? Durch eine Erhöhung der
schon jetzt vergleichsweise hohen Beiträge? Durch was
denn sonst! Das ist kein guter Weg; das ist und bleibt ein
schlechter Weg.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1411412500
Als
nächster Redner hat der Kollege Eike Hovermann von der
SPD-Fraktion das Wort.


Eike Hovermann (SPD):
Rede ID: ID1411412600
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Herrn Lohmann ging es um
Pleiten, Pech und Pannen. Zwar waren wir von Rot-Grün

gemeint; aber hinter diesen Begriffen verbarg sich die
Diskussion über die Finanzen im Gesundheitswesen. Der
Vorwurf lautet, die Gesundheit blute aus, man nehme Be-
lastungen einfach hin und der Weg zur Zweiklassenmedi-
zin werde geebnet. Ich kann dazu nur sagen: Alle Haus-
halte, bis auf den von Bildung und Forschung, haben Ein-
schnitte hinnehmen müssen, so auch der für Gesundheit.
Die entscheidende Frage ist: Waren die Einschnitte bei der
Gesundheit so gravierend? Hätte es nicht schon in der
Vergangenheit Möglichkeiten gegeben, innerhalb des Ge-
sundheitssystems wirtschaftlich und finanziell etwas zu
machen? Ich will nicht nach hinten schauen; diese Rituale
liegen mir nicht so sehr.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist nett von Ihnen!)


Ich will nur daran erinnern, dass im Zuge der Ausei-
nandersetzung über den vorgelegten Entwurf zu einer Re-
form des Gesundheitsstrukturgesetzes zum Beispiel die
Datensammlung bzw. die Datenzusammenführung ver-
hindert – das Wort „blockiert“ darf ich nicht nehmen –
worden ist. Nach Meinung aller Experten ist dies das ein-
zige sinnvolle Instrument zur Steuerung und zur Kontrolle
des Gesundheitswesens und seiner Ausgaben. Alle Fach-
leute waren und sind sich darin einig, dass dieses Instru-
ment kommen muss, weil nur auf diesem Weg Milliarden
DM an Ausgaben zum Beispiel bei den Arzneimitteln ein-
gespart werden könnten: durch Vermeidung zu häufiger
Verschreibungen, durch Vermeidung der Herstellung zu
teurer und falscher Arzneien, durch Vermeidung von
unnötigen Doppeluntersuchungen, durch die Kontrolle
der Verweildauer im Krankenhaus – ich erinnere an die
Praxis unnötiger Einweisungen am Mittwoch und am
Samstag; Sie kennen das – , durch „Doktorhopping“ und
durch vieles anderes mehr.

Es gibt im Gesundheitswesen riesige Einsparpoten-
ziale. Die Frage ist, ob der Finanzminister hier nicht auf
die Idee gekommen ist, die einsparbaren Dinge im Ge-
sundheitswesen mit den Belastungen, die er dem Gesund-
heitssystem zugemutet hat, aufzurechnen. Es gilt festzu-
halten, was Frau Schmidt-Zadel gesagt hat: Es war eine
bittere Pille. Ich sage lieber: Es ist eine Kröte, an der wir
sehr schwer zu schlucken haben.


(Detlef Parr [F.D.P.]: Zwei!)

Ich erinnere auch daran, dass an sich der doppelte Be-

trag an Kürzungen, nämlich 2,4 Milliarden DM, auf dem
Gesundheitsbereich hätte lasten müssen. Aber die Ge-
sundheitsministerin hat diesen Betrag erfolgreich auf
1,2 Milliarden DM reduziert.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Ein Pyrrhussieg ist das!)


– Herr Lohmann, wir sind erst am Anfang des Weges. Wir
sind uns völlig klar darüber, dass wir spätestens nach der
Sommerpause in Gesprächen mit der Bundesregierung
weitere Entlastungen für die GKV erreichen wollen und
auch müssen. Wir alle wissen, in vielen Bereichen des Ge-
sundheitswesens gäbe es genug Möglichkeiten, die
1,2 Milliarden DM sinnvoll einzusetzen.




Rainer Eppelmann

10829


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir fordern Sie allerdings auf, mit uns in einen Dialog
einzutreten und nach weiteren Wegen im Gesundheitssys-
tem zu suchen. Ich denke, Herr Dr. Parr, etwa an die Ver-
netzung von Praxen und die integrierte Versorgung gemäß
§ 140 SGBV. Dadurch können 20 bis 30 Prozent der Gel-
der eingespart werden, die jetzt noch im Gesundheitssys-
tem im Grunde für ineffektive Dinge ausgegeben werden.

Ich würde Sie, Herr Parr, ausdrücklich bitten, nicht von
billigen Generika zu sprechen, weil dadurch der Eindruck
erweckt wird, dies seien sozusagen Tabletten von minde-
rer Bedeutung und schlechterer Qualität. Sie wissen ge-
nau, dass die Generika, die sich auf dem Markt befinden
und verantwortungsbewusst verschrieben werden, die
gleichen Wirkstoffe haben und gleiche Wirkungen erzie-
len. Vermeiden Sie bitte, wenn Sie von billigen Generika
sprechen, den Touch, diese seien zweite Wahl, die wollen
wir nicht. Sie wissen genauso gut wie ich, dass es vielfäl-
tige Arzneimittel gegen hohen Blutdruck gibt, die alle die
gleichen Wirkstoffe beinhalten und alle die gleichen Aus-
wirkungen haben, deren Preise aber zwischen 8 und
40 DM liegen. Seltsamerweise werden in 70 Prozent der
Fälle die teureren Mittel verschrieben. Das ist nicht nötig.
Um das zu verhindern, brauchen wir die Datenzusam-
menführung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich denke, man kann an sinnvollen Strukturreformen

mitarbeiten. Sicherlich war auch die Positivliste ein Mit-
tel – das wurde von Ihnen bestritten –, langfristig Kosten
im Gesundheitssystem einzusparen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Ehrlich?)

Die Schweiz, die über ein ausgezeichnetes Gesundheits-
system verfügt, praktiziert dieses so und niemand be-
schwert sich. Wir wissen natürlich, welch mächtige
Lobby dahinter steht: Diese möchte das nicht und auch
nicht, dass das Prinzip des Reimports eingeführt wird oder
etwa die Möglichkeit der Aut-idem-Verschreibung durch
den Apotheker, Herr Zöller.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Dafür sind wir!)


– Dann müssen wir aber auch zusammenfinden und zuse-
hen, dass Sie unser Gesundheitsstrukturgesetz in all sei-
nen Implikationen mittragen, Herr Lohmann.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das fehlte noch!)


Auf diesem Wege haben wir ja auch die von Ihnen ein-
geführten starren Fristen im Reha-System verändert – ein
völlig falscher Ansatz. Insbesondere die bayrischen Kur-
orte, Herr Zöller, hätten dadurch beinahe ihren Nieder-
gang erlebt. Sie wissen, dass Ihr ehemaliger Parteifreund,
Herr Gnan, zu uns gekommen ist und gesagt hat: Helfen
Sie uns, in Bayern geht die Sonne unter!


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Inzwischen kommt er wieder zu uns!)


Inzwischen zeigt sich, wie Herr Professor Steinbach sagt,
ein Silberstreif am Horizont. Den werden wir mithilfe all
der von uns geplanten Schritte vergrößern.

Ich erinnere auch an die Vereinbarung über den Kata-
log von Operationen, die ambulant durchgeführt werden
können. Ich will Ihnen das einmal vorlesen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1411412700
Nein,
Herr Kollege, bitte nicht mehr vorlesen.


Eike Hovermann (SPD):
Rede ID: ID1411412800
Ich schließe damit auch ab.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1411412900
Sie haben
Ihre Redezeit bereits reichlich überschritten.


Eike Hovermann (SPD):
Rede ID: ID1411413000
Verehrter Herr Präsident,
das habe ich jetzt erst erfahren. Darf ich den Satz noch zu
Ende bringen?


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1411413100
Bitte sehr,
gerne.


Eike Hovermann (SPD):
Rede ID: ID1411413200
Herr Präsident, ein letzter
Satz mit ein paar Zahlen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Die amtierende Präsidentin war bei mir vorhin viel härter!)


– Das muss an Ihnen liegen.
In den USAwerden 65 Prozent aller Leistenbrüche am-

bulant behandelt, bei uns nur 4 Prozent. Es wäre gar kein
Problem, dass auch wir diese Zahlen erreichen.

Wir haben immer darauf hingewiesen, dass das ge-
samte Gesundheitsstrukturgesetz auf solche Dinge ausge-
richtet worden ist. Wir wollen da weitermachen und den
Silberstreif am Horizont vergrößern. Wir bitten Sie, nicht
durch unqualifizierte Bemerkungen über billige Generika
den Eindruck zu erwecken, als ob wir uns auf dem Weg
zur Zweiklassenmedizin befänden.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das stimmt aber! – Zuruf von der CDU/CSU: Da sind wir mittendrin!)


Herr Präsident, ich danke.

(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1411413300
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Sabine Bergmann-
Pohl von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Dr. Sabine Bergmann-Pohl (CDU):
Rede ID: ID1411413400
Herr Prä-
sident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Fischer,
nachdem ich Ihre Rede gehört habe, ist mir jetzt wirklich
nicht mehr klar, ob Ihnen überhaupt bewusst ist, welche
Folgen Ihre Gesundheitspolitik hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie bringen durch Ihre Gesundheitspolitik und den Griff
in die Kassen der gesetzlichen Krankenversicherungen,
die Sie um 1,2 Milliarden DM erleichtern, diese in eine




Eike Hovermann
10830


(C)



(D)



(A)



(B)


nicht mehr zu korrigierende Schieflage. Das hat übrigens
auch Frau Schaich-Walch bestätigt. Sie hat nämlich am
21. Juni 2000 gesagt:

Sollte Riester Erfolg haben, dann „ist absolut klar,
dass die Kassen im kommenden Jahr die Beiträge er-
höhen“.

Das heißt: Sie sind sich offensichtlich gar nicht darüber
im Klaren, weil Sie selbst den Grundsatz der Beitrags-
satzstabilität infrage stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Hinzu kommt, dass Sie mithilfe des Vorschaltgesetzes
Wahlkampfgeschenke gemacht haben.

Sie sprechen zum Beispiel auch das Krankenhausnot-
opfer an. Ich finde Ihr Vorgehen unglaublich, weil Sie
wissen, dass sich die Länder gewehrt haben, die Kosten
für die Instandhaltung der Krankenhäuser zu bezahlen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Mit Ausnahme von Bayern!)


Weil zum Beispiel OP-Säle nicht mehr funktionieren, ha-
ben wir das Krankenhausnotopfer eingeführt. Sie werfen
uns aber vor, unsozial gehandelt zu haben. Sie wissen
ganz genau, Frau Fischer, dass wir damals in der Klemme
waren.

Hinzu kommt auch, dass Sie die Krankenkassen durch
Ihre Gesundheitsreform mit 2 Milliarden DM und durch
Beitragsausfälle aufgrund der Kürzung bei den Renten
zusätzlich belastet haben: mit 600 Millionen DM in die-
sem Jahr und 1,4 Milliarden DM im nächsten Jahr. Das
heißt also: 5,8 bis 6,6 Milliarden DM werden der Kran-
kenversicherung fehlen. Ich möchte von Ihnen schon wis-
sen, wie Sie das ausgleichen wollen.

Wenn Sie mir mit dem Märchen von der positiven Wir-
kung der Einbeziehung der geringfügigen Arbeitsverhält-
nisse kommen, dann muss ich Ihnen sagen: Erstens nimmt
die Zahl dieser Arbeitsverhältnisse ab. Zweitens betragen
die Beiträge aufgrund dieser Arbeitsverhältnisse jährlich
nur 2 Milliarden DM. Drittens können Sie jede Mark nur
einmal ausgeben.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das wissen die noch nicht!)


Sie haben uns also noch nicht gesagt, wie Sie die Ausfälle
ausgleichen wollen.

Wir merken ja jetzt schon, dass diese Gesundheitspoli-
tik zu einem Qualitätsabbau geführt hat. Sie selbst haben
am 17. September des vorigen Jahres im Bundestag ge-
sagt:

... wenn wir die Ausgaben in den nächsten Jahren
entsprechend den Löhnen steigern, kann es nicht
sein, dass wir damit in eine Zwei Klassen Medizin,
in eine Barfuß-Medizin oder was auch immer
zurückfallen. Das ist einfach völlig unrealistisch.
Das ist etwas, was Panik verursachen soll, aber mit
der Realität nichts zu tun hat.


(Klaus Kirschner [SPD]: Sehr wahr!)


Was aber ist passiert? Herr Kirschner, schauen Sie sich
einmal an, was der VFAund die Gmünder Ersatzkasse ge-
sagt haben, die unsere Politik nicht gerade gutheißen.
Diese haben nämlich festgestellt, dass 2,5Millionen Asth-
matiker nicht mehr ausreichend medikamentös behandelt
werden. 88 Prozent der Alzheimererkrankten und 75 Pro-
zent der Personen mit chronischer Herzinsuffizienz erhal-
ten keine nach wissenschaftlichem Stand erforderliche
Therapie. 65 Prozent der Menschen mit Depressionen
sind unterversorgt. Jeder Vierte in Deutschland ist inzwi-
schen medizinisch unterversorgt.


(Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD]: Doch nicht erst seit heute!)


An dieser Tatsache kommen Sie nicht vorbei.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Gestern haben Sie in unserer Anhörung gehört, dass ein
Psychotherapeut in Mecklenburg-Vorpommern – man
höre und staune – 14,8 Pfennige für eine Behandlungs-
stunde bekommt.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Skandal!)

Frau Fischer, ich weiß also gar nicht, wie Sie dieses Ge-
sundheitswesen mit Ihrer Politik retten wollen.

Wenn Sie von Qualitätssicherungsmaßnahmen spre-
chen, dann merkt man, dass Sie offensichtlich nicht so tief
in der Materie stecken; denn Qualitätssicherungsmaßnah-
men sparen kein Geld, sondern sie kosten Geld.


(Zuruf des Abg. Klaus Kirschner [SPD])

– Herr Kirschner, wenn Sie uns vorwerfen, dass in einem
langen Zeitraum Beiträge geringfügig angehoben worden
sind, dann muss ich sagen: Das geschah aufgrund des me-
dizinischen Fortschritts. Überlegen Sie doch einmal, was
heute alles möglich ist! Von Lebertransplantationen sowie
von Herz-Lungen-Transplantationen haben wir noch vor
zehn Jahren nicht zu träumen gewagt. Aber sie kosten
Geld und müssen bezahlt werden. Sie liegen mit Ihrer Ge-
sundheitspolitik schon sehr daneben. Sie werden dafür
auch die Quittung erhalten; denn durch Ihre Politik haben
wir bereits heute eine Zwei Klassen Medizin in Deutsch-
land.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Frau Fischer, wenn Sie weitere Haushaltslöcher mit

Krankenversicherungsbeiträgen stopfen wollen, dann
muss ich Ihnen empfehlen, dieses Geld lieber mit Ihren
Zirkusauftritten hereinzuholen


(Zurufe von der SPD: Oh!)

als mit einem Griff in die Kasse der Krankenkassen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1411413500
Das Wort
hat jetzt der Kollege Horst Schmidbauer von der SPD-
Fraktion:




Dr. Sabine Bergmann-Pohl

10831


(C)



(D)



(A)



(B)



Horst Schmidbauer (SPD):
Rede ID: ID1411413600
Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen
und Herren! Ich denke, das war eigentlich eine gute
Chance, mehr Argumente in der Sache auszutauschen.
Aber leider ist – außer vom Kollegen Eppelmann – davon
sehr wenig Gebrauch gemacht worden. Gerade Sie, Frau
Kollegin Bergmann-Pohl, haben hier mit einer Argumen-
tation aufgewartet, die nicht neu ist; denn dass die chro-
nisch Kranken in diesem Land unterversorgt sind, haben
die Menschen schon vor zehn Jahren gewusst.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das hat man ihnen aber nicht gesagt! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)


Es hat sich auch in den letzten Jahren nichts getan. In der
ganzen Gesundheitsdebatte haben Sie in hohem Maße ge-
pennt.

Wir haben mit der Reform 2000 die so genannten kom-
munizierenden Röhren geschaffen. Wir werden das Geld
aus der Überversorgung, das Geld aus der Fehlversorgung
nehmen – es also nicht aus dem System herausnehmen,
sondern es nutzen –, um die Unterversorgung gerade der
chronisch Kranken zu überwinden. In dieser Richtung
werden wir agieren.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Aber die brauchen dann das Gleiche!)


Ich glaube, wir müssen als Sozialdemokraten deutlich
machen, dass die Frage, die jetzt der Regierung zur Ent-
scheidung vorliegt, in der Koalition noch nicht entschie-
den ist und dass wir uns natürlich bemühen werden und
dafür arbeiten wollen, überzeugen wollen, dass dieser
Kelch an der solidarischen Krankenversicherung vorbei-
geht. Wenn Sie uns dabei helfen, Kollege Thomae, habe
ich natürlich nichts dagegen.

Das Ziel der Haushaltskonsolidierung tragen wir un-
eingeschränkt mit; denn das ist ja nachhaltig begründet
worden. Aber damit die Sanierung nicht zulasten der So-
lidargemeinschaft der Versicherten geht, brauchen wir Al-
ternativen. Wir wären froh gewesen, wenn heute im Rah-
men der Aussprache Alternativen benannt worden wären,
wie wir einen anderen und besseren Weg finden können.

Es steht außer Zweifel, dass der Erfolg der Bundesre-
gierung am Arbeitsmarkt zu Mehreinnahmen führen wird.
Ob allerdings die Mehreinnahmen die Einsparungen in
der Größenordnung von 1,2 Milliarden DM ausgleichen
werden, ist eine andere Frage. Unsere Befürchtung ist
eher folgende: Wir glauben, dass die Opposition dies als
Vorwand benutzt, um Druck auf die Patientinnen und Pa-
tienten auszuüben.


(Detlef Parr [F.D.P.]: Die sind mündiger, als Sie glauben!)


Das ist das, was uns in dieser Frage am meisten schreckt.
Deshalb will ich auch gar nicht leugnen, dass wir in der

Frage der Sanierung der Staatsfinanzen vorankommen
müssen. Allerdings: Wenn heute von der Union oder auch
von der F.D.P. wegen dieser geplanten Umleitungsaktion
gleich von einem „Verschiebebahnhof“ geredet wird, soll-

ten Sie sich lieber erinnern, welche geradezu gigantischen
Baumaßnahmen von Verschiebebahnhöfen unter der Re-
gierung Kohl/Waigel/Seehofer/Blüm stattgefunden ha-
ben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben in immer kürzeren Abständen ständig Mittel hin
und her geschoben mit dem Ergebnis, dass der Zug unse-
res Sozialstaates überhaupt nicht mehr vorankam, dass
der Zug unseres Sozialstaates letztlich im Sumpf der
Staatsverschuldung stecken geblieben ist.

Im Gegensatz zu den Chefrangierern der alten Regie-
rung werden wir in der SPD-Fraktion nach Alternativen
trachten, damit das Vertrauen in das Gesundheitssystem
nicht untergraben wird.

Die letzte Glanzleistung Ihrer Chefrangierer war, den
Krankenversicherungen 5 Milliarden DM aus den Ta-
schen zu ziehen. Durch die Absenkung der Bemessungs-
grundlage der Beiträge für die Arbeitslosen haben Sie die
Krankenkassen um 5 Milliarden DM erleichtert. Ihr gran-
dioses seinerzeitiges Ergebnis: Beitragserhöhung statt
Beitragsstabilität. Ich denke, so pharisäerhaft, wie Sie tun,
darf nur tun, wer sich auf die strenge Einhaltung von Re-
geln und Gesetzen berufen kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Darauf berufen darf sich nur der, der selbst noch im
Stande der Unschuld ist. Aber unschuldig am Zustand der
Krankenversicherung, der Rentenversicherung, der Pfle-
geversicherung, der Arbeitslosenversicherung sind Sie,
liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, ganz ge-
wiss nicht – im Gegenteil!


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Aber für die Erhöhung der Lebenserwartung haben wir etwas getan!)


Es ist allzu billig, sich über jemanden zu mokieren, der
Schwierigkeiten beim Aufräumen hat und Probleme an-
packen muss. Sie dürfen nicht vergessen, dass es sich um
das Aufräumen Ihrer Hinterlassenschaften handelt.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1411413700
Als letz-
ter Redner in der Aktuellen Stunde hat der Kollege
Matthäus Strebl, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Matthäus Strebl (CSU):
Rede ID: ID1411413800
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Jederzeit wollte sich
der Bundeskanzler am Abbau der Arbeitslosigkeit messen
lassen. Heute diskutieren wir darüber, wie Rot-Grün die
Arbeitslosen bekämpft,


(Zuruf von der SPD: Wer wollte ihre Zahl denn halbieren?)


wie Sie mit kurzatmigen Aktionen die Belastbarkeit der
sozialen Sicherungssysteme testen. Bei der Rente disku-
tieren wir zwischenzeitlich über das Riester-Modell
Nr. 68. Bei der Pflegeversicherung zerstören Sie systema-
tisch die Finanzierungsgrundlage. Ähnlich ist es bei der






(C)



(D)



(A)



(B)


gesetzlichen Krankenversicherung. Sie setzen Rotstift ge-
gen schwarze Zahlen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es!)

Die Sozialkassen, Kollege Schmidbauer, dienen Ihnen
nur noch als Verschiebebahnhof für Ihre hektische Haus-
haltspolitik.

Was Sie damit zerstören, ist enorm: die Vertrauens-
grundlage für den Generationenvertrag und das Vertrau-
enskapital der Sozialversicherung. Ihre Sozialpolitik
gleicht einem Rummelplatz: Sie verkünden laut schreiend
die neuesten Angebote, als Lose nur Nieten, und selbst bei
den Gewinnen ist bereits der Lack ab. So funktioniert
Schröders Rummelplatzpolitik. Wen wundert es, dass die
Menschen trotz weltweit guter Konjunkturdaten und de-
mographischer Entspannung auf dem Arbeitsmarkt dieser
Bundesregierung nichts mehr glauben?

Noch im November 1998 kündigte im „Kölner Ex-
press“ der zwischenzeitlich privatisierte Schröder-Kom-
pagnon, der damalige Bundesfinanzminister Lafontaine,
der Fahnenflucht begangen hat, an, dass die Zahl der Ar-
beitslosen um 1 Million sinken werde. Wir von den Uni-
onsparteien werden Sie daran messen. Heute diskutieren
wir darüber, dass die Beiträge der Arbeitslosenhilfe-
empfänger zur gesetzlichen Krankenkasse sinken sollen.
Die Situation der Langzeitarbeitslosen hat sich nämlich
weiter verschärft. Diese Kehrtwenden, die Sie in der Ar-
beitsmarktpolitik, bei der Pflege, in der Gesundheitspoli-
tik und in der Rentenpolitik vorführen, zeigen Ihre
Ratlosigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Mein Vorwurf ist: Sie haben sich mit falschen Verspre-

chungen an die Macht gemogelt, im Wahlkampf die
Union diffamiert


(Widerspruch bei der SPD)

und müssen heute damit klarkommen, dass die Wirklich-
keit anders aussieht als die bunt bemalten Papiere aus der
SPD-Zentrale.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Was die Schröder-Regierung am meisten zu fürchten
hat, ist das Langzeitgedächtnis der Menschen, die Sie im
Wahlkampf mit falschen Versprechungen geleimt haben.
Sie lösen keine Probleme, Sie sind das Problem.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Können Sie den Satz noch einmal wiederholen?)


Allein die Abkehr von der nettolohnbezogenen Rente
verursacht bei den Krankenkassen in diesem und im
nächsten Jahr 2 Milliarden DM Mindereinnahmen. Und
es geht noch weiter: Durch die Kürzung der Beiträge von
Arbeitslosenhilfeempfängern zur Rentenversicherung
schafft diese Regierung neue Altersarmut, die sie dann mit
einer Art Grundrente wieder bekämpfen will. Und durch
die Kürzung der Beiträge von Arbeitslosenhilfeempfän-
gern zur sozialen Pflegeversicherung wurden dieser die
Mittel genommen, die sie braucht, um den altersverwirr-

ten Menschen, den Demenzkranken zum Beispiel, zu hel-
fen.

Nun wollen Sie die Beiträge der Arbeitslosenhilfeemp-
fänger zur gesetzlichen Krankenversicherung kürzen. Das
Ergebnis wird sein: jährlich 1,2 bis 1,5 Milliarden DM
Mindereinnahmen. Durch diese Mindereinnahmen sind
die Arbeitsplätze von sehr vielen Krankenpflegerinnen
und Krankenpflegern gefährdet. Dies steigert den enor-
men Druck, dem die Beschäftigten im Gesundheitswesen
ausgesetzt sind, nochmals.

Wir, die CDU/CSU, sind zu einem fairen Umbau der
sozialen Sicherungssysteme bereit. Aber, meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren von Rot-Grün, dazu müssen Sie
hier erst die Nebelkerzen verschwinden lassen. Es müssen
wieder Klarheit und Wahrheit in die gesamte Sozialpoli-
tik einkehren. Statt die Arbeitslosen zu melken, wären
eine durchgreifende Steuerreform, eine verlässliche Ren-
tenreform und ein wahres Bündnis für Arbeit, das diesen
Namen auch verdient, notwendig.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Im letzten Jahr der unionsgeführten Bundesregierung

wurde die Zahl der Arbeitslosen um 400 000 reduziert.
Das entlastet die Sozialversicherung und stabilisiert ihre
Finanzgrundlage. Seit 1999 bleibt der Abbau der Arbeits-
losigkeit unter der Entlastung des Arbeitsmarktes durch
die geburtenschwachen Jahrgänge.

Eine „neue Mitte“ wollten Sie, die neue Bundesregie-
rung, ansprechen. Eine neue Ehrlichkeit wäre hilfreicher,
um den notwendigen Konsens beim Umbau der Sozial-
systeme und die dafür notwendige Akzeptanz in der Be-
völkerung zu schaffen. Mit einer Kürzungsorgie gegen
die Arbeitslosen zeigt diese Bundesregierung ihre Hilflo-
sigkeit in der sozialen Frage.

Zum Schluss möchte ich Ihnen eines sagen: Es wird
Zeit, dass der DGB mit 8 Millionen DM auch eine Kam-
pagne für eine andere, eine ehrliche Sozialpolitik startet.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das könnte man sich wünschen!)


Die Union wird aufmerksam beobachten, ob hier die Ge-
nossensolidarität wichtiger ist als der Einsatz für soziale
Gerechtigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ein guter Redebeitrag!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1411413900
Die Aktu-
elle Stunde ist beendet.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90 /DIE GRÜNEN
Stärkung des sozialen Zusammenhalts der Ge-
sellschaft durch Weiterentwicklung des Sozial-
staats und mehr Gerechtigkeit
– Drucksache 14/3787 –




Matthäus Strebl

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Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Rudolf Dreßler von der SPD-Fraktion das Wort.

Rudolf Dreßler (SPD) (von der SPD, dem Bünd-
nis 90/Die Grünen und der PDS mit Beifall begrüßt): Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die
Sozialpolitik war ein Schwerpunkt des SPD-Wahlpro-
gramms im Jahre 1998.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr!)


Alle Wahlanalysen berichten, dass wir gewählt wurden,
weil große Teile der Bevölkerung ein Gerechtigkeitsdefi-
zit empfunden haben. Man erwartet von der Sozialdemo-
kratie, dass sie dieses Gerechtigkeitsdefizit abstellt.

Sozialpolitik wurde zu einem Schwerpunkt des Arbeits-
programms der Koalitionsfraktionen, von Bündnis 90/
Die Grünen und SPD. Wir haben in den ersten Monaten
dieser Legislaturperiode viel auf den Weg gebracht. Man-
che sagen: zu viel. Die wichtigsten Maßnahmen sind im
Einzelnen im vorliegenden Antrag der Koalitionsfraktio-
nen aufgelistet.

Auch für die zweite Hälfte der Legislaturperiode set-
zen die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen
wichtige sozialpolitische Reformvorhaben auf die Tages-
ordnung. Besondere Bedeutung kommen der Rentenre-
form, der Reform der Betriebsverfassung und der Ar-
beitsförderung zu. Das alles wird zu gegebener Zeit in die-
sem Hause erörtert.

Stattdessen möchte ich mir in meiner letzten Rede im
Deutschen Bundestag ein paar offene Anmerkungen zu
den zukünftigen sozialpolitischen Aufgaben und Heraus-
forderungen erlauben. Vielleicht akzeptieren einige sogar
den Begriff „grundsätzlich“. Dazu gehören auch einige
Gedanken zu unserem Streit und unseren Übereinstim-
mungen in der Sozialpolitik der vergangenen Jahre.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Da müssen Sie jetzt Abbitte leisten!)


Die Bundesrepublik Deutschland ist ein sozialer und
demokratischer Bundesstaat. Demokratie ist nicht denk-
bar ohne das Adjektiv „sozial“.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS)


„Sozial“ heißt übersetzt „gesellschaftlich“. Es meint nicht
„karitativ“, so wichtig dies auch sein mag.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Das Soziale in unserer Gesellschaft zielt nicht auf

bloße Existenzsicherung ab, wie es der Fürsorgestaat tut.
Sozialpolitik in einer Demokratie muss vielmehr zualler-
erst das Ziel verfolgen, den Menschen die gleichen Chan-
cen auf Teilhabe am sozialen, kulturellen und politischen
Leben zu eröffnen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Auch wenn wir dies nicht vollständig erreichen werden:
Wir waren in den letzten 50 Jahren in der Bundesrepublik
auf diesem Weg erfolgreich. Das erreichte Maß an Chan-
cengleichheit ist das Fundament für den inneren Zusam-
menhalt unserer Gesellschaft. Ich warne nachhaltig, es
aufs Spiel zu setzen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der PDS)


Wenn ich mir die Diskussionen der letzten Jahre verge-
genwärtige, habe ich Zweifel, ob diese enorme Bedeutung
unseres Sozialstaatspostulats für die beschriebene Gesell-
schaftspolitik allen politisch Handelnden noch gegenwär-
tig ist.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Die gesellschaftspolitischen Wirkungen unserer sozi-

alstaatlichen Verfassung werden immer weniger gewür-
digt, die Vorteile, die auch die Wirtschaft daraus zieht, im
Übrigen auch nicht. Hingegen werden soziale Institutio-
nen als Hemmschuh für die wirtschaftliche Entwicklung
identifiziert, die es zu deregulieren gelte. Der Neolibera-
lismus meldet sich mit der lauten Forderung, der Staat
müsse sich zurückziehen und die Entwicklung dem freien
Spiel der Kräfte des Marktes überlassen. Dies, so die Be-
hauptung, führe zu einem größeren Maß an Wohlstand
und Wohlfahrt. Es wird unterstellt, die Menschen könnten
in viel größerem Umfang für sich selber sorgen und der
Sozialstaat könne sich folglich „auf die wirklich Bedürf-
tigen“ konzentrieren. Anders ausgedrückt: Jeder sei künf-
tig wieder seines eigenen Glückes Schmied. Die zuneh-
mende Individualisierung der Menschen wird in Gegen-
satz gebracht zu unseren bewährten solidarischen und
sozialen Sicherungssystemen.

Mit Verlaub, meine Damen und Herren: Da wird doch
allerhand durcheinander geworfen. Aber auf jeden Fall re-
klamieren diese Auffassungen das Etikett „modern“. Wer
dagegen an den bewährten Zielen und Grundprinzipien
unseres Sozialstaates festhalten will, bekommt das Prädi-
kat „Traditionalist“ – und das ist negativ gemeint.

Diese oberflächliche Art der Diskussion macht mich
besorgt. Manches allerdings amüsiert mich auch. Bemer-
kenswert finde ich vor allem, dass sich die Protagonisten
solcher politischen Haltungen offenbar nicht bewusst
sind, dass sie selbst in einer jahrhundertealten Tradition
stehen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ich möchte das hier nicht in epischer Breite ausführen,
aber von Traditionen verstehe ich etwas. Das werden nicht
einmal meine ärgsten Gegner bestreiten.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Nein, das ist wohl wahr! – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Denkmuster, nach dem eine höhere Macht schon
alles richtet, wenn sich der Staat nur heraushält, hat eine
jahrhundertelange Tradition. Es findet sich schon bei




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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Thomas von Aquin. Die höhere Macht war bei ihm der
liebe Gott. Das Zeitalter, das durch diesen Grundgedan-
ken geprägt war, nannte man übrigens Mittelalter.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Aber damals noch nicht!)


Ich bekenne: Auch ich bin Traditionalist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Aber ich bin mir der Tradition, auf die ich mich beziehe,
bewusst. Sie ist jedenfalls insofern moderner, als sie etwas
jüngeren Datums ist. Dem Mittelalter folgte nämlich das
Zeitalter der Aufklärung.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Aber bei der Aufklärung lebten Sie noch nicht! Die ist an Herrn Dreßler vorbeigegangen!)


Im Zeitalter der Aufklärung wurde der Staat in die
Pflicht genommen und ihm eine aktive Rolle gegeben.
Die Aufklärer meinten nämlich, dass nichts allein von sich
aus zu einem harmonischen Ganzen gefügt werden könne,
wenn nicht Menschen durch aktives Eingreifen etwas
nachhelfen.

Auch die großen Werte der Aufklärung – Freiheit, Ge-
rechtigkeit und Brüderlichkeit – sind für mich hochaktu-
ell.


(Dr. Irmgard Schwaetzer Diese Werte taugen immer noch als Orientierungsmaßstab für Politik, insbesondere für Sozialpolitik. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der PDS)


Dies gilt gerade dann, wenn wir Brüderlichkeit durch So-
lidarität ersetzt haben. Es ist mir ein Anliegen, darauf auf-
merksam zu machen, dass sich abzeichnende neue
Grundlinien der Gesellschaftspolitik in unserem Lan-
de, denen einige die Überschrift „Modernisierung“ zuer-
kannt haben, einen Generationenkonflikt heraufbe-
schwören können. So wie Jung und Alt schon heute mit-
einander umgehen, ist eine solche Gefahr nicht von der
Hand zu weisen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Was ich meine, möchte ich anhand eines durchaus hu-
morvollen Histörchens deutlich machen, das ich vor eini-
gen Tagen gehört habe und das alle Mithörer unheimlich
cool – so heißt das ja auf Neudeutsch – fanden:


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Ja, so heißt das heute!)


Da sitzt auf der Düsseldorfer Königsallee ein älterer Herr
in seinem Mercedes und wartet geduldig darauf, dass vor
ihm ein Parkplatz frei wird. Just in dem Moment, als der
Parkplatz endlich geräumt ist und er einparken will,
nähert sich ein junger Mann in seinem schnittigen Sport-
coupé und schnappt ihm den Parkplatz ratzfatz vor der

Nase weg. Dieser garniert sein Tun auch noch mit der
schnodderigen Bemerkung: „Tja, Opa, so löst man ein
Problem, wenn man jung und dynamisch ist“. Der so
apostrophierte Opa bleibt ganz ruhig, legt den ersten Gang
ein, gibt Vollgas und faltet den schnittigen Sportflitzer zu-
sammen wie einen Schuhkarton.


(Heiterkeit)

Danach steigt er aus, überreicht dem völlig verdutzten
jungen Mann, jetzt Besitzer eines Schrotthaufens, seine
Visitenkarte mit folgender Bemerkung: „Und so, junger
Freund, löst man ein Problem, wenn man alt und reich
ist“.


(Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause)

Irgendwie ist das ja lustig. Aber irgendwie bleibt einem

auch das Lachen im Halse stecken; denn dieses Histör-
chen offenbart bei beiden Beteiligten Verhaltensweisen,
die frei von jeder Rücksichtnahme auf den anderen sind.


(Beifall bei der SPD, der F.D.P. und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aggressivität auf die jeweils andere Generation ist hier
das hervorstechende Merkmal. Den beiden fehlt es an So-
lidarität füreinander. An deren Stelle tritt die Ellbo-
genmentalität. Soll das etwa das prägende Element für das
zukünftige gesellschaftspolitische Zusammenleben sein?

In der Diskussion über unsere gemeinsame Zukunft
höre ich immer, Solidarität sei zwar unzeitgemäß, müsse
aber nunmehr neu bestimmt werden. Das war es dann aber
auch; denn das Wie, Was und Warum einer Neubestim-
mung bleiben im Nebel. Ich frage: Muss Solidarität wirk-
lich neu bestimmt werden oder ist Solidarität nicht das
Urelement jeder menschlichen Gesellschaft, wenn sie
denn ein humanes Antlitz trägt?


(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe eher den Eindruck, dass wir in einer Zeit le-
ben, in der Solidarität einseitig als etwas verstanden wird,
was man im Fall der Fälle erhalten möchte, in der aber im-
mer weniger bereit sind, Solidarität selbst zu leisten.
Solidarität nur als Empfangsberechtigung, nicht aber als
Leistungsverpflichtung – soll das eigentlich modern sein?

Bei einem solchen Verständnis von Solidarität wäre es
doch eigentlich politische Aufgabe, sie wieder in ihren al-
ten Stand zu setzen, sie als Geben und Nehmen zu defi-
nieren.


(Beifall im ganzen Hause)

Ich bin doch hoffentlich nicht der Einzige, der die ebenso
rechten wie billigen Sprüche von „Hilf dir selbst, dann
hilft dir Gott!“ für eine ziemliche Unverfrorenheit hält.
„Jeder ist seines Glückes Schmied“ predigen in der Regel
auch nur diejenigen, bei denen der Schmied schon min-
destens einmal war.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der PDS)





Rudolf Dreßler

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Sie predigen es vorzugsweise jenen, die nie auch nur den
Hauch einer Chance haben, dass ebenjener Schmied vor-
beikommen wird. Soll das die neu bestimmte Solidarität
sein?

Was heißt es denn, wenn es heute in der jungen Gene-
ration eine Neigung gibt, mit Blick auf die Altersversor-
gung und ihre Probleme den Alten vorzuwerfen, durch die
Erfüllung ihrer Ansprüche würden sie den Jungen einen
guten Teil ihrer Zukunft wegnehmen? Stimmt das denn
oder ist es nicht vielmehr so, dass die Startposition mate-
riell wie ausbildungsmäßig für keine Generation in der
Geschichte je so günstig wie die der heutigen Jugend –
trotz erheblicher Probleme auf dem Arbeitsmarkt – gewe-
sen ist?


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ist es denn nicht auch so, dass diese Startposition der Jun-
gen Ergebnis der ebenso zielstrebigen wie zähen Aufbau-
arbeit der vorangegangenen Generationen gewesen ist?
Von wegen, die Alten fressen uns die Zukunft vom Kopf!
Die Wahrheit ist, die Alten haben durch ihre Arbeit den
Jungen erst Zukunft gegeben.


(Beifall bei der SPD, der F.D.P. und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Noch eines scheint vergessen worden zu sein: Es gibt
keine Gesellschaft, die nur aus Gewinnern besteht. In je-
der Gesellschaft, und sei sie noch so vollendet, gibt es im-
mer auch Verlierer und Schwächere. Das mag man be-
dauern, aber es ist so. Ich werde mich deshalb auch nicht
darin beirren lassen, dass sich die Qualität einer Gesell-
schaft an ihrer Fähigkeit bemisst, diesen Schwächeren ge-
recht zu werden


(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.])


und ihnen deutlich zu machen, dass auch sie dazu gehören
und ihren gleichberechtigten Platz haben. Das ist das
Kernelement der Freiheit und ein wesentliches Element
republikanischer Gesinnung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es geht um Freiheit für alle und nicht nur für die, die

sie sich ohnehin aus eigener Kraft besorgen können. Den-
jenigen, die sich mit dem oberflächlichen Prädikat der
Modernisierung schmücken, entgegne ich Folgendes: Die
Ausübung individueller Freiheit braucht soziale Voraus-
setzungen und eine ihrer wichtigsten ist die Solidarität.
Wir brauchen deshalb keine Neubestimmung von Solida-
rität, sondern wir brauchen endlich wieder republikani-
sche Gesinnung, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Zum Wert der Freiheit: Jeder Mensch soll eine
Chance erhalten, ein selbst bestimmtes Leben zu führen
und seine Fähigkeiten, Begabungen und Ambitionen voll
zu entfalten. Ist das ein unmodernes Ziel? Ist das Sozial-
romantik? Fragen Sie die Menschen in unserem Land.

Vielleicht werden einige einwenden, dass dieses Ziel
wohl nie ganz zu erreichen ist. Aber die meisten werden
zustimmen, dass sie es anstreben; denn Freiheit heißt auch
Individualität.

Die Voraussetzungen sind heute günstiger als je zuvor.
Bildung und neue Kommunikationsmedien eröffnen vie-
len Menschen ganz neue Optionen. Sie sind nicht mehr an
das Milieu gebunden, in das sie hineingeboren wurden.
Sie haben ganz andere Freiheitsgrade in ihrer Lebenspla-
nung und der Wahl ihres Lebensstils. Die Globalisierung,
nicht nur als internationale Verflechtung der Wirtschaft,
sondern als Zusammenwachsen verschiedenster Kulturen
und Gesellschaften der Welt verstanden, verstärkt diese
Entwicklung.

Damit sind wir beim Wert der Gleichheit. Gleichheit
bedeutet nicht Gleichmacherei. Das wäre ganz falsch. Die
Menschen sind verschieden, sie haben verschiedene
Voraussetzungen und unterschiedliche Bedürfnisse. Un-
gleiches gleich zu behandeln ist ungerecht. Das ist schon
mehrfach versucht worden und gründlich schief gegan-
gen, wie wir aus der Geschichte wissen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Gleichheit bedeutet gleiche Chancen auf Persönlichkeits-
entwicklung und eine würdevolle Lebensführung, gleiche
Chancen auf Teilhabe. Gleichheit bedeutet Gleichberech-
tigung trotz Verschiedenheit. Das führt zur Brüderlich-
keit, heute nennen wir das Solidarität. Ich will es so for-
mulieren: Wir sind aufeinander angewiesen.

Freiheit im Sinne von Selbstbestimmung, Selbstentfal-
tung und Individualität kann nicht heißen: Ich für meine
Interessen zur Not gegen den Rest der Welt. Das würde al-
lenfalls bei ganz wenigen funktionieren. Freiheit und
Individualität stehen nicht im Gegensatz zu Kollektivität
oder, besser ausgedrückt, Gesellschaftlichkeit. Im Gegen-
teil: Die meisten Menschen können sich Individualität,
also Freiheit, nur auf der Basis einer solidarischen Absi-
cherung leisten.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Der gut verdienende Internetdesigner oder Medien-
mensch konnte dies deshalb werden, weil die Gesellschaft
seine Schul- und seine Hochschulausbildung bezahlt hat.
Das ist vermutlich vielen, die mit diesen Sicherheiten
ganz selbstverständlich groß geworden sind, gar nicht be-
wusst. Deshalb müssen wir darüber sprechen. Freiheit im
Sinne von Individualität ist für die meisten Menschen
auch in unserer Gesellschaft nur auf der Basis gemeinsa-
mer sozialer Absicherung möglich. Deshalb ist unser So-
zialstaat keine Last. Der Sozialstaat ist eine Errungen-
schaft im Interesse der Emanzipation des einzelnen Men-
schen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie des Abg. Karl-Josef Laumann [CDU/CSU])


Unser Modell der gemeinsamen Absicherung von
Chancengleichheit nenne ich genial. Wenn wir es nicht




Rudolf Dreßler
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schon hätten, müssten wir es erfinden. Wir werden zu
Recht weltweit darum beneidet. Das System ist deshalb so
genial, weil es die Gesellschaft nicht in diejenigen spaltet,
die für sich allein Vorsorge tragen, und diejenigen, die auf
Unterstützung angewiesen sind. Nein, keiner muss in die-
sem System Danke sagen. Keiner muss das Gefühl haben,
nur für den anderen zu bezahlen. Jeder trägt im Rahmen
seiner Möglichkeiten Verantwortung auch für die anderen
und erwirbt dadurch das Recht, von diesen im Bedarfsfall
unterstützt zu werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich frage: Warum stellen wir dies nicht in der öffentli-
chen Auseinandersetzung als ein hohes Gut heraus, das
uns viel wert ist und auf das wir stolz sein können? Statt-
dessen schwingt in den Forderungen nach mehr Eigenvor-
sorge und mehr Eigenverantwortung der Vorwurf mit, die
Menschen würden sich bisher zu sehr auf den Staat ver-
lassen. Ich frage: Wo bitte schön fängt die Eigenverant-
wortung denn an, jenseits von 2 000 DM monatlich?
Ungefähr so viel zahlt nämlich ein Facharbeiter mit einem
Bruttoeinkommen in Höhe von 5 000 DM in die Sozial-
versicherung ein – von seinen Steuern, mit denen schließ-
lich Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, kulturelle
und Jugendeinrichtungen sowie unsere innere und äußere
Sicherheit finanziert werden, ganz zu schweigen.

Die Bürger betreiben Eigenvorsorge. Mehr noch: Sie
übernehmen nicht nur Eigenverantwortung, sondern auch
solche für die Gemeinschaft. Ich erinnere daran, dass die
westdeutschen Arbeitnehmer seit zehn Jahren Hunderte
von Milliarden DM aufgebracht haben, um die soziale
Absicherung der deutschen Einheit zu finanzieren. Das
haben sie zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt. Die Welt
staunt heute noch darüber. Das ist eine Riesenleistung und
eine großartige verantwortungsbewusste Haltung der
Menschen in unserem Land der Gemeinschaft gegenüber.
Diese Tradition müssen wir hegen und pflegen, wir dür-
fen sie nicht herunterreden.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich fasse es in die These: Nicht Globalisierung statt
Tradition, sondern Globalisierung der Tradition, der Tra-
dition der Aufklärung.

Ich werde demnächst aus dem Deutschen Bundestag
ausscheiden und eine neue Aufgabe übernehmen. Dass
dies einige mit Erleichterung zur Kenntnis nehmen, macht
mich ein bisschen stolz.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vor zweieinhalb Jahren musste ich mein Leben neu
sortieren. Das einschneidende Ereignis eines Verkehrsun-
falls zwang mich täglich in eine Auseinandersetzung mit
fast allen Sekundärtugenden. Ich habe diese Auseinander-
setzung angenommen und, so glaube ich, einigermaßen
gemeistert.


(Beifall im ganzen Hause)


Ich will heute daran erinnern, um mich bei jenen Kolle-
ginnen und Kollegen – parteiübergreifend – zu bedanken,
die mir auf unterschiedlichste Weise dabei geholfen ha-
ben. Gestatten Sie mir, dass ich stellvertretend drei Na-
men nenne: Norbert Blüm, Wolfgang Schäuble und
Rudolf Scharping.

Man kann in vielen Details unterschiedlicher Meinung
sein und streiten. Große sozialpolitische Reformen soll-
ten im Interesse der Menschen und im Interesse des Zu-
sammenhalts der Gesellschaft parteiübergreifend vorge-
nommen werden. Darum sollten wir uns immer wieder
neu bemühen. Der Opposition kommt in diesem Zusam-
menhang immer die größere Verantwortung zu, weil sie
nicht handeln muss; eine Regierung muss, die Opposition
kann.

Ich möchte auf fünf große sozialpolitische Reformvor-
haben verweisen, die wir parteiübergreifend erarbeitet
haben, Reformen, bei denen wir in der Opposition Ver-
antwortung übernommen haben: die Rentenreform 1989,
das Renten-Überleitungsgesetz, das Gesundheitsstruktur-
gesetz von 1992, die Pflegeversicherung und den sozial-
politischen Teil des Einigungsvertrages. Wir haben über
die Details hart gestritten und wir haben gerungen. Wir
wussten uns aber in den grundsätzlichen Zielen einig.

Ich habe denjenigen, die neben mir daran beteiligt wa-
ren, für ihre Zusammenarbeit, für ihre Fairness und für
den wechselseitigen Respekt, der unsere Arbeit begleitet
hat, zu danken. Stellvertretend für viele andere möchte
ich diesen Dank insbesondere an die Kollegen Norbert
Blüm –, noch einmal Horst Seehofer, Julius Cronenberg
und Dieter Thomae richten. Vielleicht trifft auf uns alle
ein bisschen der Satz zu, den Willy Brandt an das Ende
seiner Zeit gesetzt hat: „Man hat sich bemüht.“


(Anhaltender Beifall im ganzen Hause – Die Abgeordneten von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, F.D.P. und PDS erheben sich)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1411414000
Ich denke,
ich spreche in Ihrer aller Namen, liebe Kolleginnen und
Kollegen, wenn ich dem Kollegen Dreßler den sehr herz-
lichen Dank des ganzen Hauses ausspreche.

Herr Kollege Dreßler, Sie waren seit Ihrem Amtsantritt
im Deutschen Bundestag im Jahre 1980 einer der herausra-
genden Sozialpolitiker dieses Hauses. Sie haben sich um
die Sozialpolitik in Deutschland verdient gemacht. Ich
wünsche Ihnen im Namen aller Kolleginnen und Kollegen
auch für Ihre zukünftigen wichtigen Aufgaben viel Erfolg,
insbesondere für die wichtige und schwierige Aufgabe des
deutschen Botschafters in Israel.


(Beifall im ganzen Hause)

Der nächste Redner ist der Kollege Josef Laumann von

der CDU/CSU-Fraktion.


Karl-Josef Laumann (CDU):
Rede ID: ID1411414100
Sehr geehrter
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr
geehrter Herr Dreßler, zunächst einmal möchte ich Ihnen
auch im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Res-
pekt und Anerkennung für Ihre Tätigkeit über sechs




Rudolf Dreßler

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Wahlperioden hier im Deutschen Bundestag aussprechen.
Sie sind in dieser Zeit ohne Frage einer der bedeutendsten
Sozialpolitiker dieses Hauses gewesen. Niemand, auch
wir als Ihre politischen Gegner nicht, auch die Jüngeren
im Parlament nicht, kann Ihnen Ihre Riesensachkennt-
nisse streitig machen. Man hatte immer den Eindruck –
das spürte man –, dass Sie Ihre Arbeit daran orientierten,
Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Menschen in
diesem Land, die der Solidarität bedürfen, am gesell-
schaftlichen Leben teilhaben können.

Ich finde, wir Jüngeren, die die Sozialpolitik in den
nächsten Jahren hier im Parlament tragen und weiterent-
wickeln müssen – Sozialpolitik ist nie statisch, etwas, was
so bleiben kann, wie es ist, sondern sie muss gesellschaft-
lichen Veränderungen angepasst werden, über Generatio-
nen und Fraktionen im Deutschen Bundestag hinweg –,
sollten nicht jedem Modetrend erliegen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Die Sozialversicherung zur Absicherung bei Krankheit,
Alter und Arbeitslosigkeit ist nichts Altmodisches und
muss auch von uns Jüngeren verteidigt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Ich bin sicher, dass der Begriff Sozialversicherung, wenn
der DAX irgendwann einmal etwas fällt und viele Leute
merken, dass die Buchwerte sich nicht wie gewünscht rea-
lisieren, nicht mehr in allen Ohren so altmodisch klingt,
wie das heute bei dem einen oder anderen vielleicht der
Fall ist.

Aber, Herr Dreßler, es wäre heute von mir als Vertreter
der Union eine unehrliche Rede, wenn ich nicht auch fol-
genden Punkt ansprechen würde: Sie als Sozialexperte
haben den Wahlkampf Ihrer Partei für die letzte Bundes-
tagswahl wesentlich mit vorbereitet. Das war Ihr gutes
Recht. Es ist das Recht der Opposition, sich für ihren
Wahlkampf ein bestimmtes politisches Feld auszusuchen.
Sie haben damals an der Rentenreform, die wir als
CDU/CSU und F.D.P. am Ende unserer Wahlperiode ge-
meinsam zu verantworten hatten, vor allen Dingen den
demographischen Faktor kritisiert und von einer Verwüs-
tung der Rentenversicherung gesprochen. Sie haben an
die Wand gemalt, dass unsere Politik zu Altersarmut
führen würde. Ich finde, nicht Sie, aber manch einer in Ih-
rer Fraktion muss sich doch fragen, ob die Politik, die
heute von der SPD in Deutschland mit vertreten wird,
noch mit dem in Einklang steht, was im letzten Wahl-
kampf versprochen worden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich stelle mir in diesen Tagen oft vor, wie wohl Herr
Dreßler von diesem Pult aus, aber auch auf vielen Presse-
konferenzen und auf vielen anderen Veranstaltungen da-
rauf reagiert hätte, wenn Sozialminister Norbert Blüm ein
Papier aus seinem Hause in Umlauf gebracht hätte, nach
dem wir in der gesetzlichen Rentenversicherung irgend-
wann bei einem Rentenniveau von 64 Prozent landen
würden.

Wir müssen uns in unserer Gesellschaft bemühen – da
muss Politik mit gutem Beispiel vorangehen –, die Frage
der Generationengerechtigkeit im Kopf zu behalten. Ich
persönlich empfinde es genauso, wie Sie es gesagt haben.
Ich bin fest davon überzeugt, dass die ganz jungen Leute,
auch die Generation meiner Kinder, heute in Deutschland
Rahmenbedingungen vorfinden werden, von denen Ihre,
aber auch meine Generation noch geträumt hat: in einem
Europa zu leben, in dem es die reale Sorge vor Krieg nicht
mehr gibt.

In den 60er- und 70er-Jahren, auch noch bis in die 80er-
Jahre hinein, hatten wir eine andere Situation. Ich kann
mich noch daran erinnern, wie wir das Ganze Mitte der
70er-Jahre, als ich Soldat war, gesehen haben. Wir haben
heute ein breit gefächertes Bildungssystem für alle Ge-
nerationen, eine Teilhabe an der Bildung ist für alle mög-
lich. Dennoch müssen wir gerade in der Sozialpolitik da-
ran denken, dass auch diejenigen, die trotzdem nicht mit-
halten können, eine Chance haben, am Arbeitsmarkt und
am gesellschaftlichen Leben insgesamt teilzunehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie der Abg. Andrea Fischer [Berlin] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Sozialpolitik der Zukunft – das soll mein letzter Ge-
danke sein – darf sich nicht darauf beschränken, sich um
die Armen und Entrechteten zu kümmern, der Samariter
zu sein. Wir müssen vielmehr für den normalsituierten
Bürger die gemeinschaftliche Absicherung bei Krankheit
und Alter in Pflicht- und Kollektivsystemen behalten;
denn sie schützen vor Altersarmut und gewährleisten je-
dem die notwendige medizinische Versorgung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gesetzliche Krankenkassen sind nichts Altmodisches.
Wir brauchen sie, damit auch Menschen, die zum Beispiel
von Geburt an Handicaps haben, zu bezahlbaren Beiträ-
gen versichert sind.

Sehr geehrter Herr Dreßler, seien Sie sicher, dass es
auch in der jüngeren Generation der Abgeordneten des
Deutschen Bundestages viele Menschen geben wird, die
aus diesem Geist heraus Sozialpolitik weiterentwickeln
werden. Sie werden das auch in Ihrer neuen Funktion be-
obachten können.

Ich gehe davon aus, dass für Sie und Ihre Familie in
diesem Neuanfang, den Sie mit knapp 60 Jahren nach
sechs Wahlperioden im Deutschen Bundestag noch ein-
mal machen dürfen, ein großer Reiz liegt, und wünsche
Ihnen von Herzen, dass Sie in dieser Aufgabe für die Zeit,
in der Sie noch etwas gestalten möchten, eine schöne in-
nere Befriedigung finden. Die besten Wünsche der
CDU/CSU werden Sie nach Israel begleiten.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)





Karl-Josef Laumann
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Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1411414200
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Thea Dückert vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411414300

Lieber Kollege Dreßler! Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute
zwei wichtige Punkte, die zusammengehören. Wir haben
einen wichtigen Anlass, der zu dieser Debatte geführt hat:
Der Kollege Dreßler wird nun nach Israel gehen. Ganz
eng damit verwoben – deswegen können wir diese De-
batte führen – ist eine inhaltliche Themenstellung, näm-
lich die Frage: Wohin geht unsere Politik der Weiterent-
wicklung und der Erneuerung des Sozialstaates?
Wo ist unser Ziel? Wo ist diese Perspektive? Herr Dreßler,
Sie haben eben in bewährter Art und Weise viele Punkte
in die Debatte eingebracht. Wir haben nach 19 Monaten
gemeinsamer Regierung eine stolze Bilanz vorzuweisen,
doch geht es insbesondere um die angesprochene Per-
spektive.

Ich bin – ich habe es gestern schon gesagt – nicht län-
ger Abgeordnete, als diese Regierung im Amt ist. Auf
diese Art und Weise bin ich nicht in den Genuss der kon-
troversen und lebendigen Debatten der letzten Jahre um
die Sozialpolitik gekommen und konnte so den häufigen
Schlagabtausch nicht verfolgen. Ich habe aber das, was
nach außen gedrungen ist, aus einer Außenperspektive
sehr deutlich wahrnehmen können. Dabei hat sich bei mir
ein Bild festgesetzt, das sich auch anderen Menschen ver-
mittelt hat, nämlich dass jemand um die Sozialpolitik
ringt, der sie nicht einfach als Blinddarm, sondern als
Herz des Sozialstaats begreift.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Mit dieser Form, engagiert Sozialpolitik zu betreiben,
wird eine sehr wichtige gesellschaftliche Funktion gerade
in der heutigen Zeit, in der wir uns den neuen Herausfor-
derungen der Zukunft stellen müssen, erfüllt. Die Zukunft
wird Probleme aufwerfen, die in ihrer Komplexität und
Vielseitigkeit von unserem heutigen Sozialsystem häufig
gar nicht verarbeitet werden können. In einer solchen Si-
tuation der Veränderung, Weiterentwicklung und Erneue-
rung haben Sie gewissermaßen einen sozialen Kompass
dargestellt, der ein Stück Sicherheit in die Debatte bringt
und den Raum für eine Debatte um Zukunftsfragen öffnet.
Ich weiß, Sie hören nicht gerne den Begriff der Moderni-
sierung, aber wir diskutieren natürlich auch unter dieser
Begrifflichkeit und meinen das nicht so oberflächlich, wie
Sie das zu Recht in Ihrem Beitrag kritisiert haben. Sie
nehmen, Herr Dreßler, eine Rolle an, in der man den Tra-
ditionalisten als wohlverstandene und positive Ausprä-
gung begreifen kann.

Sie haben gesagt und vorhin noch einmal ausgeführt,
dass sich die Qualität einer Gesellschaft an der Fähig-
keit, den Schwachen gerecht zu werden und ihnen deut-
lich zu machen, dass sie dazugehören, bemesse. Ich
denke, dieser wichtige und zentrale Satz für die Sozialpo-
litik ist für uns eine Aufforderung zu einer Politik der In-

tegration, einer Politik gegen Ausgrenzung und auch einer
Politik der Antidiskriminierung.

Ich glaube, dass wir in den letzten 19 Monaten ange-
fangen haben, mit sehr viel Aufmerksamkeit und Kraft zu
versuchen, diesen Anforderungen gerecht zu werden. Es
ist nicht einfach nur eine sozialpolitische Aufforderung im
engeren Sinne, es ist vielmehr eine kulturelle Aufforde-
rung an uns alle, eine Integration der ausländischen Mit-
bürger – das gehört zur Sozialpolitik – oder eine Politik zu
betreiben, die den Menschen, die in ihre Heimatländer
nicht zurück können, den Zugang zum Arbeitsmarkt er-
möglicht.

Integration ist ein sehr wichtiges Zentrum unserer Po-
litik, das wir sehr ernst genommen haben. Dies betrifft
auch die Arbeitsmarktpolitik, in der es heute immer mehr
darum geht, diejenigen, die trotz einer positiven wirt-
schaftlichen und konjunkturellen Entwicklung außen vor
stehen, in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Das ist
ein wichtiger Punkt und ein Zentrum der Arbeitsmarktpo-
litik dieser Regierung sowie des Bündnisses für Arbeit.

Herr Dreßler, Sie brechen die Lanze für diese Politik
der Integration. Ich denke, dass insbesondere die Armut –
das haben Sie immer wieder thematisiert – ein sehr zen-
traler Punkt der Ausgrenzung in unserer heutigen Kon-
sumgesellschaft ist. Wir wissen auch, dass insbesondere
das Leben mit Kindern heute ein besonderes Armutsrisiko
darstellt.

In der Koalition haben wir uns diesen Bereich in einer
sehr umfassenden Art und Weise zu Herzen genommen,
weil wir von der alten Bundesregierung etwas vorgefun-
den haben, was sehr schnell wieder zu korrigieren war. An
dieser Stelle will ich nicht alle Punkte inhaltlich auf-
führen, die dazu geführt haben, dass das Leben mit Kin-
dern heute schon etwas einfacher geworden ist. Nach
19 Monaten ist aber noch viel zu tun.

Die Politik der vergangenen Monate ist eine Antwort
auf das, was Sie fordern. Das haben Sie wieder ausge-
führt, als Sie von den drei großen G – Gleichheit, Ge-
rechtigkeit und Glaubwürdigkeit – gesprochen haben. Sie
sprachen davon, dass es um Chancengleichheit geht. In
unserer Gesellschaft können wir die Politik der Chancen-
gleichheit nirgends besser ansetzen als bei den Kindern,
gerade bei Kindern, die in einkommensschwachen Fami-
lienverhältnissen leben.

Sie haben von den drei großen G als Aufforderung, Po-
litik zu machen, gesprochen. Sie haben in der Verbindung
dazu gesagt, dass jeder großen Reform zunächst einmal
die Anerkennung und die Aussprache der Wahrheit und
der Realität vorausgehen. Dies mit der Anforderung an
Gleichheit, Gerechtigkeit und Glaubwürdigkeit verbun-
den ist etwas, was den großen sozialpolitischen Refor-
men, denen wir gegenüberstehen, zum jetzigen Zeitpunkt
zugrunde gelegt worden ist. Das gilt für die Ge-
sundheitsreform, und das gilt auch für die Rentenreform.
Dies ist sehr schwierig – ich komme noch einmal auf
diesen Punkt zu sprechen –, weil ich an einer Stelle eine
Differenz zu dem sehe, was Sie vorgetragen haben.
Ich denke, dass man Gleichheit, Gerechtigkeit und
Glaubwürdigkeit nicht abschließend definieren kann.






(C)



(D)



(A)



(B)


Gerechtigkeit ist ein Begriff ist, der sich in dieser Ge-
sellschaft entwickelt, sodass es neue Facetten und
Schwerpunkte gibt.

Die Frage der Generationengerechtigkeit ist für uns
ein ganz zentraler Punkt. Wenn wir heute über die Ren-
tenreform diskutieren, dann ist die neue Sensibilität in un-
serer Gesellschaft, zum Beispiel über etwas Zentrales
oder Profanes, wie die Beitragssätze zu reden, damit ver-
bunden, dass wir eine vernünftige Sozialpolitik nur be-
treiben können, wenn die Politik nicht auf Kosten der jun-
gen Generation geht. Das versuchen wir in unserem Kon-
zept der Rentenreform zusammenzubringen. Deswegen
reden wir über die Notwendigkeit einer Beitragsstabili-
sierung und über die Notwendigkeit, dass die ältere Ge-
neration dazu einen Beitrag leisten muss. Wir führen diese
Diskussion nicht, weil wir meinen, man müsse den alten
Menschen in die Tasche greifen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1411414400
Frau Kol-
legin, darf ich Sie an die Zeit erinnern?


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411414500

Ich komme gleich zum Schluss.

An dieser Stelle geht es vielmehr darum, dass sich
diese Gesellschaft so verändert, dass zum Beispiel Gene-
rationengerechtigkeit einen anderen Schwerpunkt be-
kommt. Deswegen glaube ich, dass wir bei der Rentenre-
form, selbst wenn Sie in vielen Punkten Kritik anmelden,
dieser Überschrift folgen.

Meine Damen und Herren, eigentlich wollte ich noch
etwas zur Gesundheitsreform sagen. Das tue ich jetzt
nicht. Alle wissen, dass meine Meinung mit der des Kol-
legen Dreßler weitgehend übereinstimmt. Auch in diesem
Prozess ging es immer um das Ringen von Lösungen. Das
ist ganz klar.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1411414600
Frau Kol-
legin, bitte.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411414700

Ich komme zum Schluss.

Herr Kollege Dreßler, Sie gehen nach Israel. Das ist ein
Neubeginn. Meine Worte, die ich Ihnen mit auf den Weg
geben kann, sind vielleicht nicht so schön wie von
Hermann Hesse, der gesagt hat: „Und jedem Anfang
wohnt ein Zauber inne.“ Ich hoffe das sehr für Sie. Ich
nenne noch ein Zitat von Mao Zedong, den Sie vielleicht
auch mögen: „Die Zukunft ist licht.“ Das wünsche ich Ih-
nen auch für Israel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1411414800
Als nächs-
te Rednerin hat die Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer von
der F.D.P.-Fraktion das Wort.


Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1411414900
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen De-
batte verlässt ein wirklich politisches Schwergewicht die
Bonner bzw. die Berliner Bühne. Auf der Bonner Bühne
hat er länger als auf der Berliner Bühne agiert. Aber im-
mer hat er agiert und war nicht zu überhören.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das ist wahr!)


Ich glaube – das stellt die F.D.P. als kleinere Oppositi-
onsfraktion sowieso fest; aber auch die CDU/CSU tut es –,
dass es einer ungeheuren Anstrengung bedarf, aus der
Opposition heraus sozialpolitische Entwicklungen bzw.
politische Entscheidungen überhaupt mitzugestalten.
Aber auch dies haben Sie, Herr Kollege Dreßler, ge-
schafft, als Sie nach dem Regierungswechsel 1982 für
viele Jahre in die Opposition gezwungen wurden.


(Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte an drei Dinge erinnern: Erstens. Die F.D.P.
hat den Konsens über die Rentenreform 1989 aus großer
Überzeugung mitgetragen. Zweitens. Schmerzliche Erin-
nerungen hat die F.D.P. dagegen an die Verhandlungen
über das Gesundheitsstrukturgesetz, die 1992 in Lahn-
stein stattfanden, als die Übereinstimmung zwischen dem
Arbeits- und Gesundheitsminister Blüm und dem opposi-
tionellen Sozialpolitiker Rudolf Dreßler wesentlich
größer war als die mit der F.D.P.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das war Seehofer, nicht Blüm!)


– Okay, in Lahnstein hat schon Seehofer verhandelt, aber
es war Dreßler.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bei uns ruft die Erinnerung an Lahnstein keine ungeteilte
Freude hervor.

Drittens. Etwas Ähnliches hat sich dann bei den Ver-
handlungen über die Pflegeversicherung 1999 abgespielt.

Man fragt sich natürlich, worauf das beruht. Ich
möchte einen Punkt unterstreichen – das haben Sie, Herr
Dreßler, auch an der Reaktion der Opposition auf das, was
Sie gerade vorgetragen haben, gemerkt –: Wir unterschei-
den uns nicht durch die Ziele, die wir in der Sozialpolitik
verfolgen. Auf Art. 20 des Grundgesetzes, den sozialen,
demokratischen Rechtsstaat, sind wir alle verpflichtet.
Ihm fühlen wir uns alle auch verpflichtet. Im Wesentli-
chen diskutieren wir über Instrumente.

Ich denke, Sie nehmen mir ab, dass sich die Abgeord-
neten meiner Fraktion häufig durch Ihre polemischen
Feststellungen verletzt fühlten, die Sie zweifellos mit
großer rhetorischer Brillanz und Schärfe vorgetragen ha-
ben; denn wir haben natürlich die beachtliche Resonanz,
die Sie damit erzielt haben, bemerkt. Bei mir persönlich
hat das eine oder andere durchaus auch Aggressionen
ausgelöst. So bin ich eben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die leichte Frustration, die Ihnen in den letzten Jahren

anzumerken war, ist, glaube ich, durchaus verständlich.
Wir alle haben bemerkt, dass sich in der SPD eine Ausei-
nandersetzung darüber vollzieht, wie die Sozialpolitik




Dr. Thea Dückert
10840


(C)



(D)



(A)



(B)


für die Informationsgesellschaft aussehen soll. Diese
Auseinandersetzung hat zu Beginn dieser Legislaturperi-
ode dazu geführt, dass die Reformen der alten Regierung
zurückgenommen wurden. Aber im Rahmen der Renten-
reform tauchen die Reformen der alten Regierung in et-
was veränderter Form wieder auf, wie die Einführung der
Sozialversicherungspflicht bei den 630-Mark-Jobs und
die Regelung zur Bekämpfung der Scheinselbstständig-
keit belegen. Eine Sozialpolitik für die Informationsge-
sellschaft hätte in beiden Fällen die Pflicht zur Versicher-
ung wesentlich adäquater anerkennen können.

Sie haben auf den Grundsatz „Freiheit, Gleichheit,
Brüderlichkeit“ hingewiesen. Ich bin fest überzeugt,
dass keine Partei, die ihr Überleben in unserer Gesell-
schaft dauerhaft sichern möchte, an diesem Dreiklang
vorbeikommt. Die Prioritäten werden unterschiedlich ge-
setzt. Bei den Freien Demokraten ist es die Freiheit, die
ganz eindeutig die größere Betonung hat. Am Ruf der
Französischen Revolution, dem Anfangspunkt bürgerli-
cher Freiheit, kann keiner vorbei.

Es kann aber auch niemand daran vorbei, dass sich ge-
rade in der jungen Generation die Begriffe Solidarität und
Gerechtigkeit in einem Bedeutungswandel befinden. Glo-
balisierung bedingt verschärften Wettbewerb, aber auch
ein erhöhtes Maß an Selbstbestimmung, Selbstverantwor-
tung und Mobilität. Das bedeutet: Der Sozialstaat muss
und kann anders gestaltet werden. Steigende Lebenser-
wartung und medizinischer Fortschritt sind in einer
Gesellschaft, in der sich die Arbeit verändert und anders
gestaltet ist, als es noch vor 10 oder 20 Jahren der Fall ge-
wesen ist, nicht mehr zu finanzieren.

Deswegen geht es nicht darum, Umlage gegen Privat-
vorsorge oder Kapitaldeckung auszuspielen;


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Ergänzung!)


vielmehr geht es darum, das Beste aus beiden Ansätzen zu
nehmen und Solidarität und Umlage mit den Chancen der
Nutzung des Kapitalmarktes zu verbinden.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch das bedeutet nicht, dass staatliche Hilfe entfällt,
wenn sich der Staat zurückzieht. Es bedeutet nur, dem
Einzelnen mehr Entscheidungsspielraum zu überlassen,
wie er selbst staatliche Hilfe einsetzt.

Herr Dreßler, ich bedanke mich bei Ihnen im Namen
der F.D.P. für die – in den meisten Fällen – konstruktive
Auseinandersetzung. Sie waren kein leichter Gegner. Sie
sind immer geachtet gewesen. Ich habe mit Ihnen nur vier
Jahre, von 1983 bis 1987, im Ausschuss für Arbeit- und
Sozialordnung verbracht. Immerhin waren wir nachts um
drei Uhr für eine Ausschusssitzung auf den Beinen, als es
unter der Leitung von Eugen Glombig – damals waren
noch andere dabei – um die Auszubildenden im Bäcker-
handwerk ging. Wir haben uns da nichts erspart.

Ich wünsche Ihnen im Namen der F.D.P. Glück und Er-
folg, Zufriedenheit und persönliches Wohlergehen in Ih-
rer neuen Aufgabe.

Ich danke Ihnen.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1411415000
Als nächs-
te Rednerin hat die Kollegin Dr. Heidi Knake-Werner von
der PDS-Fraktion das Wort.


Dr. Heidi Knake-Werner (PDS):
Rede ID: ID1411415100
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Kollege
Dreßler, heute ist nicht ein Antrag wichtig, sondern
Rudolf Dreßler ist wichtig. Ich darf sagen: Rudolf Dreßler
zuzuhören hat sich für mich heute wieder einmal gelohnt.
Dafür ein ganz herzliches Dankeschön!


(Beifall bei der PDS, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich muss leider auch sagen: Der Antrag, den Sie heute
eingebracht haben, hat sich nicht gelohnt. Sie hätten sich
ihn ersparen sollen. Ich finde, er wird auch dem Kollegen
Dreßler in keiner Weise gerecht.


(Beifall bei der PDS)

Wenn Sie diesen Antrag neben die Rede von Herrn
Dreßler legen, dann werden Sie unschwer feststellen, was
ich damit meine.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Dann können sie den Antrag wegwerfen!)


Insofern zitiere ich gerne aus einer jüngst veröffentlichten
Rede von Rudolf Dreßler. Er sagte:

Der Hang zur Oberflächlichkeit in unserer Gesell-
schaft ist zu einer grassierenden Seuche geworden.

Das gilt leider auch für diesen Antrag.

(Beifall bei der PDS)


Trotzdem will ich dazu kurz etwas sagen. Wenn ich mir
Ihre zwölf Spielstriche umfassende Bilanz der 19 Monate
Sozial- und Arbeitmarktpolitik anschaue, dann muss ich
Ihnen einfach sagen: Mit einer Bilanz kann man zwar sehr
viel zum Ausdruck bringen, aber man kann natürlich auch
sehr viel verschweigen. Letzteres tun Sie vorrangig. So
vorzugehen ist eben nicht glaubwürdig. Auf Ihrer Aktiv-
seite schwelgen Sie, wie ich finde, in Überbewertung Ih-
rer Leistungen und auf der Passivseite steht nichts ande-
res als ein trotziges „Weiter so“.

Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich ignoriere
den sozialpolitischen Elan in Ihrer Anfangszeit keines-
wegs; aber ich registriere natürlich auch, die Brüche in Ih-
rer Politik und Ihren Versprechungen seit dem Abgang
von Lafontaine. Sie müssen sich heute einfach fragen las-
sen: Haben Sie dieser Bundesregierung wirklich nichts
anderes zu sagen, als sie aufzufordern, den eingeschla-
genen Weg nach dem Motto weiterzugehen: „Augen zu
und durch“? Das finde ich auch angesichts der heutigen
Rede von Rudolf Dreßler äußerst mager.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das hat er nicht gesagt!)


– Das hat nicht Dreßler gesagt – auf ihn komme ich noch
zu sprechen –, sondern ich beziehe mich jetzt auf den An-
trag. – Er hat Ihnen einiges ins Stammbuch geschrieben,
was Sie ernst nehmen sollten und in Ihre Politik aufneh-
men müssten. Dieser Antrag ist auch im Vergleich zu dem
Titel, den Sie dafür gewählt haben und gemäß dem es um




Dr. Irmgard Schwaetzer

10841


(C)



(D)



(A)



(B)


Weiterführung des Sozialstaates und um mehr Gerechtig-
keit gehen soll, äußerst mager.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von den Ko-
alitionsfraktionen, glauben Sie wirklich, dass das riester-
sche Rentenkonzept zur Weiterentwicklung des Sozial-
staates und zu mehr sozialer Gerechtigkeit führt?


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Wer glaubt denn das?)


Ich glaube das nicht. Das Gegenteil ist der Fall.

(Beifall bei der PDS)


Ihr Konzept richtet sich gegen die Interessen von Milli-
onen Menschen, die auf eine ausreichende soziale Alters-
sicherung angewiesen sind. Es richtet sich auch gegen die
junge Generation, die über die Maßen belastet wird. Ich
will hier noch einmal Dreßler zitieren:

Ob diese Entwicklung noch mit den Grundsätzen ei-
ner solidarischen Gesellschaftspolitik in Einklang zu
bringen ist, das muss jeder für sich entscheiden.

Er hat sich entschieden, und zwar, wie ich finde, richtig.

(Beifall bei der PDS)


Rudolf Dreßler gehört zweifellos zu den Politikern in
der SPD, die das soziale Profil dieser Partei über Jahre ge-
prägt haben. Er hat Werte wie soziale Gerechtigkeit ge-
gen den Kurs der Modernisierer in den eigenen Reihen en-
ergisch verteidigt. Er musste wie viele andere auch die Er-
fahrung machen, dass die Beulen, die man sich im
politischen Leben einhandelt, nicht immer vom politi-
schen Gegner kommen, manchmal sogar seltener von
ihm.

Spätestens seit dem Schröder-Blair-Papier hat sich
Dreßler als Traditionalist, als Betonkopf, als Sozialro-
mantiker verunglimpfen lassen müssen. Ich finde, er hat
diesen Angriff gut pariert. Heute hat er dafür wieder ein
gutes Beispiel abgelegt. In seiner bereits zitierten Rede
sagte Dreßler allen Schröders und Clements zum Trotz:

... wer mehr Gerechtigkeit durchsetzen will, der
schafft dies nicht durch Anpassung an die Realitä-
ten… Nein, der schafft dies nur durch seine Ent-
schlossenheit, Realitäten zu verändern!

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist Dreßlers Credo.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, er wird

Ihnen fehlen und er wird auch uns fehlen.

(Beifall bei der PDS)


Wenn Rudolf Dreßler heute geht, geht in der Tat ein Stück
sozialdemokratisches Urgestein. Sie haben es selber ge-
sagt: Manche werden erleichtert sein. Sie sind ein wenig
stolz darauf. Ich gönne ihnen zwar diese Genugtuung,
aber ich finde es schade. Manch kämpferische Rede,
manch intellektueller Höhenflug, manch polemische Pol-
terei werden wir künftig vermissen. Ich wünsche Ihnen
auch im Namen der gesamten PDS-Fraktion alles Gute für

Ihre neue Aufgabe als Diplomat – den kann ich mir aller-
dings noch nicht so ganz vorstellen.


(Beifall bei der PDS, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1411415200
Als nächs-
ter Redner hat der Kollege Johannes Singhammer von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1411415300
Herr Präsi-
dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ihnen,
Herr Kollege Rudolf Dreßler, gelten mein Respekt und
meine Achtung für Ihre politische Lebensleistung hier im
Hohen Hause. Wir haben uns gerne mit Ihnen gemessen,
sei es mit dem leichten Florett oder mit dem schweren Sä-
bel.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Oder mit dem Holzhammer! – Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Wir wünschen Ihnen persönlich als Diplomat in Israel bei
der Vertretung unseres Landes Glück, Erfolg und auch
Befriedigung.

Herr Kollege Dreßler, Sie haben die Gelegenheit ge-
nutzt, wie es einem so erfahrenen Politiker wie Ihnen zu-
kommt, mit Ihrer Rede ein politisches Vermächtnis, das
einige Grundsätze enthält, zu hinterlassen. Gestatten Sie
mir deshalb, darauf kurz einzugehen.

Für uns steht im Mittelpunkt einer zukunftsgewand-
ten Sozialpolitik die Überzeugung, dass der Mensch Maß
und Mitte der Politik bleiben muss, dass Freiheit und Ge-
rechtigkeit zusammengehören und dass die Würde des
Menschen – wie es unser Grundgesetz formuliert – unan-
tastbar ist. Wir gehen von einem christlichen Men-
schenbild aus. Wir nehmen deshalb den Menschen so an,
wie er ist. Wir wollen ihn nicht ändern und nicht neu er-
schaffen. Wir nehmen ihn mit seinen Stärken und
Schwächen an.


(Beifall bei der CDU/CSU)

An diesem Grundsatz richten wir unsere politischen

Forderungen aus. Deshalb sind wir der Meinung, dass Ge-
rechtigkeit, zumal soziale Gerechtigkeit, nicht mit
Gleichheit verwechselt werden darf. Wir treten dafür ein,
jeden zu befähigen, seine Leistung zu erbringen und zu
steigern. Wir treten auch dafür ein, dass sich jeder mit sei-
ner ganzen Persönlichkeit einbringen kann.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Wir wollen eine menschliche Gesellschaft, die den
Schwachen hilft. Wer Freiheit schafft, muss denjenigen
schützen und demjenigen helfen, der diese Freiheit nicht
in allen Bereichen so nutzen kann wie vielleicht die über-
wiegende Zahl der Menschen. Darunter fallen ganz kon-
kret in den nächsten Jahren bei uns in Deutschland zual-
lererst Familien, denen diese Teilhabe nicht in ange-
messener Weise möglich ist. Darunter fallen auch
Menschen mit einem Handicap, die deshalb auch in Zu-
kunft unsere besondere Hilfe benötigen.




Dr. Heidi Knake-Werner
10842


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir gehen von einem Grundsatz aus, der lautet, dass
eine nachhaltige Sozialpolitik Leistungsanreize geben
muss. Leistung soll belohnt werden. Wir brauchen die
Starken und ihre Leistung, damit wir auch denen, die
schwächer sind, helfen können.

Rudolf Dreßler geht, sein Antrag bleibt. Deshalb will
ich auch auf diesen Antrag ganz kurz eingehen. Da hier
eine Bilanz des großen Erfolges gezogen wird, wird es Sie
nicht wundern, dass wir, was die ersten 19 Monate dieser
rot-grünen Regierung betrifft, die Entwicklung nicht ganz
so euphorisch sehen. Ich will nicht alle Einzelheiten auf-
zählen. Ich will aber zum Beispiel in diesem Zu-
sammenhang das Gesetz zur Vermeidung von Schein-
selbstständigkeit nennen, das Sie schon nach einem hal-
ben Jahr korrigiert haben. Dazu zählt auch die schwierige
Geburt des Gesetzes hinsichtlich der 630-DM-Jobs. Seine
Auswirkungen auf das Ehrenamt beschäftigen uns ja ge-
rade.

Ich möchte noch auf einen zentralen Punkt eingehen,
der uns in der nächsten Zeit sehr intensiv beschäftigen
wird. Das ist die Frage der Sicherheit der Renten. Wir
haben mittlerweile den vierten Entwurf des Bundes-
arbeitsministers vorliegen. Schon das Herausgreifen von
zwei Punkten zeigt, so meine ich, dass das vorliegende
Konzept erhebliche Probleme in sich birgt.

Erster Punkt. Bei einer korrekten Berechnung und ei-
nem entsprechenden Vergleich der Auswirkungen des
Rentengesetzes der früheren Regierung mit den Auswir-
kungen aufgrund des neuen Entwurfs muss man feststel-
len, dass nicht, wie von Ihnen angegeben, ein Rentenni-
veau von 65 Prozent erreicht wird – dieses Niveau wäre
durch unser Gesetz erreicht worden; Sie haben es aber
heftig bekämpft und uns dafür im zurückliegenden Wahl-
kampf getadelt –, sondern nur ein Niveau von 61 Prozent.

Ein zweiter wichtiger Punkt. Dieses Konzept birgt die
Problematik in sich, dass derjenige besser weg kommt,
der früher in Rente geht, und dass derjenige, der länger
einzahlt und seine Beiträge leistet, dementsprechend
benachteiligt wird.
Damit würde bei einer Berücksichtigung dieses Konzepts
der Anreiz, sich früher aus dem Arbeitsleben zu entfernen,
nicht geringer, sondern er würde wachsen. Das wiederum
würde auf die jüngere Generation erhebliche Auswirkun-
gen haben. Wir brauchen die jüngere Generation. Wir
müssen ihr glaubhaft machen, dass das ein gerechtes
System ist, bei dem die Jüngeren nicht zu kurz kommen,
sondern bei dem sie, wenn sie lange eingezahlt haben,
letztendlich das, was sie eingezahlt haben, auch wieder
zurückerhalten.

In diesem Zusammenhang Folgendes: Wenn wir bei
den Zukunftslinien einer Politik sind, die den Erforder-
nissen von Nachhaltigkeit und wirklicher Zukunftssicher-
heit genügt, müssen wir natürlich auch auf die demogra-
phische Entwicklung eingehen. Ich denke, dass in den
kommenden Jahren von allen Entwicklungen die demo-
graphische Entwicklung die größten Auswirkungen auf
die Sozialsysteme haben wird. Im Zusammenhang mit der
Rente diskutieren wir sie intensiv. Bei der Gesundheitsre-
form wird es ähnlich sein. Bei anderen Sozialversiche-

rungssystemen, beispielsweise bei der Pflegeversiche-
rung, spüren wir auch jetzt schon ihre Folgen.

Die demographische Entwicklung ist die größte He-
rausforderung für Deutschland in den nächsten 30, 40 Jah-
ren – nebenbei bemerkt auch für die Innovationsfähigkeit,
die unser Land braucht, wobei wir darauf angewiesen
sind, dass auch Jüngere nachwachsen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir verab-
schieden heute Rudolf Dreßler. Wir wünschen Ihnen, Herr
Kollege Dreßler, im diplomatischen Dienst in Israel und
auf Ihrem weiteren Lebensweg alles Gute. Sie haben nun
auch die Möglichkeit, Ihre Erfahrungen in anderer Weise
einzubringen. Sie haben in diesem Hohen Hause tiefe
Spuren hinterlassen.


(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411415400
Diesen vielen
herzlichen Grüßen und Wünschen möchte auch ich per-
sönlich mich anschließen.

Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der

Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
mit dem Titel „Stärkung des sozialen Zusammenhalts der
Gesellschaft durch Weiterentwicklung des Sozialstaats
und mehr Gerechtigkeit“ auf Drucksache 14/3787. Wer
stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Antrag ist damit mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU
und F.D.P. bei Enthaltung der PDS angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
Wissenschafts- und Hochschulzusammenarbeit
mit den Entwicklungs- und Transformations-
ländern stärken
– Drucksache 14/3376 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Widerspruch
höre ich nicht. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Klaus-Jürgen Hedrich.


Klaus-Jürgen Hedrich (CDU):
Rede ID: ID1411415500
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Der Kollege Rudolf Dreßler
hat vorhin in einer durchaus beeindruckenden Rede
auf das Element der Solidarität in einer Gesellschaft




Johannes Singhammer

10843


(C)



(D)



(A)



(B)


hingewiesen. Aber eine Gesellschaft ist nur so solidarisch,
wie sie sich auch gegenüber anderen Gesellschaften, Na-
tionen und Völkern verhält. Deshalb ist es, glaube ich, in
einer enger werdenden globalen Struktur von ganz ent-
scheidender Bedeutung, dass man sich nicht nur darüber
Rechenschaft ablegt – so wichtig das ist –, wie es im ei-
genen Lande aussieht, sondern auch darüber, wie es in an-
deren Ländern aussieht, und insbesondere darüber, wie
die Beziehungen zwischen Völkern gestaltet sind.

Vor diesem Hintergrund kommt der Frage der Zusam-
menarbeit im Bereich von Wissenschaft und Hochschulen
gerade mit Entwicklungsländern, Transformationslän-
dern und Schwellenländern eine zunehmende Bedeutung
zu. Es ist nicht nur von entscheidender Bedeutung, dass
wir dazu beitragen, dass in diesen Ländern die entspre-
chenden Fachkräfte ausgebildet werden, sondern es ist in
gleicher Weise entscheidend, wie wir das Verhältnis zu
diesen Ländern sehen.

Deshalb möchte ich, auch vor dem Hintergrund der
Diskussionen der letzten Wochen und Monate, für unsere
Fraktion noch einmal sehr deutlich machen: Deutschland
hat ein Interesse daran, dass die Besten der Welt in unser
Land kommen, um hier zu arbeiten und zu studieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dies muss auch in unserem eigenen Interesse liegen.

Leider verletzt die Bundesregierung, die diesem Grund-
satz, den ich gerade genannt habe, manchmal zustimmt,
diesen in ihrer aktuellen Politik. Sie können das an vielen
Punkten erkennen. Beispielsweise werden die Förder-
mittel für den Wissenschaftsaustausch zurückgefahren.
In der letzten Zeit ist viel darüber gesprochen worden, wie
wir junge Wissenschaftler zum Beispiel aus Indien nach
Deutschland holen können, Stichwort: Green Card. Zum
gleichen Zeitpunkt reduziert aber die Bundesregierung
die Zusammenarbeit mit Indien im ingenieurwissen-
schaftlichen Bereich, also ausgerechnet in dem Bereich,
in dem man den Mangel an Fachkräften in Deutschland
beklagt und in dem man immer ausgerechnet nach Indien
schielt – was mich ein bisschen wundert, aber das hat sich
so eingebürgert. Diese Reduzierung ist schon ein bisschen
grotesk.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Gegenwärtig haben wir die Situation, dass lediglich

etwa 100 Inder pro Semester ihr Studium in Deutschland
aufnehmen und nur 700 indische Studenten und Wissen-
schaftler insgesamt in Deutschland ihre Ausbildung
genießen, während die Besten dieser Welt in Scharen in
die Vereinigten Staaten strömen. Zurzeit sind es mehr als
39 000 Bürger allein aus Indien, die in den Vereinigten
Staaten ihre wissenschaftliche Ausbildung durchlaufen,
also ein Vielfaches der Zahl derer, die sich in Deutschland
aufhalten.

Wir sind in unserer Wissenschaftspolitik ein bisschen
provinziell. Vorhin wurde ausgeführt, wie viele Chancen
die jüngere Generation hat; das ist wahr. Aber wir haben
der eigenen Generation viele Chancen verbaut, indem wir
gerade in der Bildungspolitik dem Prinzip der Gleichma-
cherei, das Herr Dreßler vorhin als falsch dargestellt hat,
das Wort geredet haben. Dadurch ist die deutsche Bil-

dungslandschaft in vielen Bereichen nicht mehr so attrak-
tiv wie es die Bildungslandschaften unserer Nachbarn
sind: der Holländer, der Engländer, der Franzosen, von
den Amerikanern ganz zu schweigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir müssen ein Interesse daran haben, unsere Univer-

sitäten auf dem höchsten Stand zu halten. Aber wenn wir
von Kooperation sprechen, möchte ich auch darauf ver-
weisen: Wir sollten nicht immer nur auf die akademische
Jugend und die akademische Landschaft schauen, son-
dern wir sollten auch an die hoch qualifizierten Fachar-
beiter denken. Hier geht die Bundesregierung einen merk-
würdigen Weg – gerade das BMZ, Frau Staatssekretärin,
was mir überhaupt nicht einleuchtet –, indem sie in zu-
nehmendem Maße die Ausbildung von Bürgern aus Ent-
wicklungsländern in die Entwicklungsländer selbst verla-
gert, statt diesen Menschen die Chance zu geben, nach
Deutschland zu kommen und deutsche Kultur und deut-
sche Sprache kennen zu lernen.

Vielleicht reden Sie einmal mit Ihrem zuständigen Re-
feratsleiter ein ernstes Wort, damit er diesem Unsinn end-
lich ein Ende bereitet. Das können Sie von der Leitungs-
ebene her entscheiden. Sie drücken sich hier um Ihre
Verantwortung, und das vor dem Hintergrund, dass gerade
auf diesem Gebiet viel stärker als übrigens in unseren
Nachbarländern für Deutschland eine große Chance be-
steht, weil die deutsche Wirtschaft bereit ist, an der Aus-
bildung von jungen Menschen aus den Entwicklungslän-
dern mitzuwirken. Diese Chancen sollten wir nutzen und
nicht verbauen.

Noch ein letztes Wort zur Hochschulkooperation.Wir
sollten diese Hochschulkooperation in einem ganz beson-
deren Maße mit den so genannten Schwellenländern be-
treiben, mit Ländern wie zum Beispiel Brasilien, Indone-
sien, Indien und Südafrika. Dies sind Länder, die für uns
zum einen aus entwicklungspolitischer Sicht und zum an-
deren – dies ist an dieser Stelle hinzuzufügen – natürlich
auch als Handelspartner interessant sind. Je stärker der
Bildungs- und Entwicklungsstand eines Landes vorange-
schritten ist, desto interessanter ist dieses Land für uns als
Wirtschaftspartner. Es muss in unserem Interesse liegen,
dass junge Menschen die Chance haben, nach Deutsch-
land zu kommen.

Ich plädiere aber mit großem Nachdruck dafür, dass
wir dies nicht als Einbahnstraße betrachten, sondern dass
wir in zunehmendem Maße deutsche Studenten, deutsche
Wissenschaftler und deutsche Fachkräfte ermutigen, im
Ausland zu studieren. Dabei sollten sie nicht nur in die
USA gehen – auch das ist wichtig –, sondern auch bereit
sein, in Entwicklungsländern zu studieren und diese ken-
nen zu lernen. Denn es gibt auch in den Entwicklungslän-
dern, zum Beispiel in Brasilien, in Chile, in Argentinien,
in Mexiko, aber auch in Indien, hervorragende wissen-
schaftliche Institute.


(Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Auch in Afrika!)


Um also zu einem stärkeren kulturellen Austausch
zwischen den Völkern beizutragen, sollten wir unsere
Landsleute ermutigen, ins Ausland zu gehen. Ich halte es




Klaus-Jürgen Hedrich
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(D)



(A)



(B)


für selbstverständlich, dass wir dieses Element stärken.
Wenn wir den Gedanken des immer stärkeren Zusam-
menwachsens der Welt ernst meinen, dann muss es dazu
kommen, dass sich Menschen aus unterschiedlichen Län-
dern in einem stärkeren Maße begegnen. Dazu gehört,
dass man mobil ist und ins Ausland geht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die

Zahl der ausländischen Studenten in Deutschland sta-
gniert. Das kann uns nicht beruhigen. Es gibt zwei, drei
Ausnahmen. Dazu gehört zum Beispiel Korea. Ansonsten
stagnieren die Zahlen bzw. gehen sie zurück. Das liegt
nicht allein, wie häufig gesagt wird, an der Sprachbar-
riere. Wenn heute mehr Indonesier in Japan studieren als
in Deutschland und Sprachwissenschaftler einem sagen,
der Sprung von Bahasa Indonesia ins Japanische sei viel
schwieriger als von der indonesischen in jede indoeu-
ropäische Sprache, dann macht dies deutlich: Die Sprach-
barriere allein kann kein Grund dafür sein.

Deshalb muss der Standort Deutschland attraktiver
werden. Wir müssen die Bundesregierung und die Bun-
desländer ermutigen, entsprechende Angebote zu ma-
chen. Es ist richtig, nüchtern festzustellen, dass leider die
Zeit vorbei ist, in der Deutsch die Wissenschaftssprache
war. Das ist heute Englisch. Wenn wir es an deutschen
Universitäten als selbstverständlich betrachten, dass Wis-
senschaftler aus dem Ausland ihre Examens- bzw. Dok-
torarbeit in englischer Sprache abliefern können, dann
sollte es auch selbstverständlich sein, dass wir in zuneh-
mendem Maße Studiengänge anbieten, die in englischer
Sprache durchgeführt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich plädiere übrigens nicht zuletzt vor dem Hinter-

grund der Notwendigkeit, die Prozesse in den Transfor-
mationsländern zu beschleunigen, dafür, dass wir uns
auch überlegen, ob wir nicht an der einen oder anderen
deutschen Universität, vor allem an einer Universität in
den neuen Bundesländern, entsprechende Angebote in
russischer Sprache machen.

Wir sollten also unsere Möglichkeiten flexibler gestal-
ten. Deutschland als Wissenschaftsnation hat heute nach
wie vor viel zu bieten. Aber wir dürfen uns nicht ausru-
hen. Andere Länder haben aufgeholt und die Entwick-
lungsländer nehmen an diesem Prozess in einem zuneh-
menden Maße teil. Es gilt diese Chancen zu nutzen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411415600
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Frank Hempel.


Frank Hempel (SPD):
Rede ID: ID1411415700
Verehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Insbesondere lieber
Kollege Hedrich, wenn dieser Antrag im September 1998
vorgelegt worden wäre, dann hätten Sie eigentlich die
gleiche Rede halten können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denn Sie beschreiben in der Analyse des Antrags weitest-
gehend eine Entwicklung, die in der Zeit stattgefunden
hat, als es einen Bundeskanzler Kohl und als es in den
letzten Jahren Ihrer Regierung einen Minister für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit namens Spranger gab.

Eine Antwort auf die im Herbst 1998 vorgefundene Si-
tuation sind die Schwerpunktsetzungen der Bundesregie-
rung auch im Blick auf die Wissenschafts- und Hoch-
schulzusammenarbeit – im Übrigen nicht nur mit den
Entwicklungs- und Transformationsländern. Wie in den
letzten Monaten schon so oft machen es sich die Sprecher,
insbesondere die der größeren Oppositionsfraktion, sehr
einfach. „Haushaltskürzungen rückgängig machen“ ist
mittlerweile eine stehende Floskel geworden. Nur, ange-
sichts des finanziellen Scherbenhaufens, den uns die
frühere Regierung hinterlassen hat, werden und können
wir dies nicht machen.

Trotzdem verweise ich darauf, dass die Mittel für die
Wissenschaftskooperation im Rahmen der Aus- und Fort-
bildung von Angehörigen der Entwicklungsländer, wie
der entsprechende Haushaltstitel heißt, seit Regierungs-
übernahme ja prozentual gestiegen sind und auch weiter
steigen werden, wie Sie dem entsprechenden Haushaltsti-
tel des Haushaltes entnehmen können. Dies entspricht im
Übrigen Überlegungen, die Fachleute bereits in der letz-
ten Legislaturperiode, zum Beispiel auf einem Sympo-
sium der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, vorgeschla-
gen haben. Sie wissen, dass dies schon damals zum Bei-
spiel der Deutsche Akademische Austauschdienst, der
DAAD, die Alexander-von-Humboldt-Stiftung und die
Deutsche Forschungsgemeinschaft, die DFG, sehr erfolg-
reich abwickelten.

Es wird allerdings darauf ankommen, das Gesamtkon-
zept und damit die Bedingungen auch für den Wissen-
schafts- und Hochschulbereich vor dem Hintergrund einer
Neuorientierung der Politik in der Entwicklungszusam-
menarbeit zu verbessern, zum Beispiel dadurch, dass der
noch von der alten Regierung eingesetzte Bundesbeauf-
tragte für das Hochschulmarketing Ende des Jahres 1999,
also schon ein Jahr nach Bildung der neuen Bundesregie-
rung, ein Memorandum unter Einbeziehung der Länder
vorgelegt hat, die ja in vielfältiger Hinsicht Verantwor-
tung für den Hochschulbereich tragen. Die im Memoran-
dum genannten Maßnahmen werden von uns umgesetzt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei verschiedenen
Delegationsreisen, insbesondere in afrikanische Entwick-
lungsländer, habe ich gemerkt, dass die Gesamtsituation
in Deutschland, die nach wie vor von Ressentiments ge-
genüber Menschen anderer Länder und anderer Haut-
farbe, insbesondere aus Entwicklungsländern, geprägt ist,
Studierende aus dem Bereich der akademischen Eliten da-
von abhält, in Deutschland zu studieren. Dies muss man
zur Kenntnis nehmen.

Diese Ressentiments dürfen nicht geschürt werden,
wie es von bestimmten politischen Kräften in diesem
Land getan wurde. Ich komme aus einem Bundesland, in
dem ich gespürt habe, wie dies auf fruchtbaren Boden fal-
len kann. Hier ist, meine ich, Vertrauensarbeit zu leisten,
die dann geschieht, wenn in den Projektzusammenhän-
gen, zum Beispiel im Bildungsbereich, ein konstruktiv-
kritischer Dialog geführt wird, der auch auf die
Studienbedingungen in Deutschland eingeht.




Klaus-Jürgen Hedrich

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(C)



(D)



(A)



(B)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland muss
mit offenen Angeboten an die Partner in den Entwick-
lungs- und Transformationsländern herantreten. Herr
Hedrich, die Angebote an unseren Hochschulen, Fach-
hochschulen und Universitäten sind gar nicht so schlecht
wie in Ihrem Antrag angedeutet ist. Die Kolleginnen und
Kollegen der Unionsfraktion tun gut daran, den Hoch-
schulstandort Deutschland nicht schlechter zu reden als er
ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Gewiss gab es in der Vergangenheit massive Versäum-
nisse, aufgrund derer unsere Regierung und insbesondere
die Ministerin für Bildung und Forschung aktiv geworden
sind. Die Umstrukturierung hat unter der neuen Bundes-
regierung schon begonnen. Diese Neuorientierung der
Hochschulen, Fachhochschulen und Universitäten im
Blick auf mehr internationale Attraktivität und Überein-
stimmung bei Ausbildungsgängen und Abschlüssen ist
von der neuen Bundesregierung in Gesprächen mit den
Bundesländern immer wieder Gegenstand der Diskussion
gewesen. Hier gibt es auch erste Erfolge: So bieten einige
Universitäten oder Fachhochschulen, zum Beispiel die
Fachhochschule Neubrandenburg in Mecklenburg-Vor-
pommern, wo ich herkomme, einen Bachelor- und Ma-
sterstudiengang an.

Die Mitarbeit beim Aufbau neuer wirtschaftlicher,
rechtlicher und administrativer Strukturen in den Ländern
Mittel- und Osteuropas ist ebenfalls in vollem Gange. Das
Gleiche gilt für die bereits genannten Fachorganisationen
der Entwicklungszusammenarbeit, die sich in diesen Län-
dern wie bereits in der Vergangenheit in den Entwick-
lungsländern engagieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Sie
sollten im Übrigen zur Kenntnis nehmen, dass die deut-
schen Hochschulabschlüsse international anerkannt sind
und dass bei allen bilateralen Verhandlungen und multila-
teralen Konsultationen deutlich gemacht wird, dass es in
Deutschland qualifizierte Hochschulausbildung verbun-
den mit entsprechender Begleitung und Integrationspro-
grammen gibt.

Mit der Novellierung des Hochschulrahmengesetzes
sind die Voraussetzungen dafür geschaffen worden, dass
sich die Hochschulen in Richtung Internationalisierung
verändern können. Auch die angebotenen Aufbaustudi-
engänge mit entwicklungsbezogener Schwerpunktset-
zung werden bereits gut angenommen. Hier empfehle ich,
auch in die Haushalte des Auswärtigen Amtes und des
Bundesministeriums für Forschung zu schauen, aus denen
deutlich wird, dass in erheblichem Umfange Programme
in englischer Sprache durchgeführt werden.

Bei einem Aufenthalt im südlichen Afrika habe ich
selbst erfahren, dass in Deutschland ausgebildete Studen-
ten noch gut von der Nachkontaktbetreuung zum Bei-
spiel der Carl-Duisberg-Gesellschaft sprechen. Nicht ver-
gessen sollten wir in diesem Zusammenhang die zahlrei-
chen in der ehemaligen DDR ausgebildeten Facharbeiter
und Akademiker, die – das habe ich in Mosambik selbst

erlebt – ein großes Interesse daran haben, mit uns in Kon-
takt zu bleiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Christa Luft [PDS])


Ich verweise etwa auf die Windhuker Erklärung, die vor
dem Hintergrund der Auswertung von Erfahrungen von in
Deutschland ausgebildeten Fachkräften aus Angola, Na-
mibia, Simbabwe usw. entstanden ist.

Hier wird deutlich, dass die Bundesregierung bzw. die
von ihr unterstützten Organisationen – ich nenne hier als
Beispiel die Arbeitsgruppe Entwicklung und Fachkräfte
im Bereich der Migration und der Entwicklungszusam-
menarbeit, AGEF, in Berlin – bereits heute die partner-
schaftliche Nachkontaktbetreuung und die Anwendung
des an Fach- und Hochschulen Gelernten fördern.

Die bedeutendste Sprache in internationalen Zusam-
menhängen ist – nicht erst seit dem Jahr 2000 – die engli-
sche Sprache. Von daher gesehen ist das Angebot für
junge Menschen aus Entwicklungsländern, möglichst
schon im Heimatland Deutsch zu lernen, die eine Seite. In
diesem Zusammenhang – das erkenne ich natürlich an –
spielen die Goethe-Institute schon eine entscheidende
Rolle. Ich bin aber der Meinung, dass der Ausbau der Stu-
diengänge in englischer Sprache genauso wichtig ist. Hier
verweise ich darauf, dass gerade die neue Bundesregie-
rung im Sinne einer verstärkten Internationalisierung der
Angebote an Hochschulen initiativ geworden ist.

Wir sollten allerdings auch nicht so tun, als würden in
der Sekundarausbildung und auch in der Hochschulaus-
bildung in Entwicklungs- und Transformationsländern
nicht bereits deutsches Know-how und deutsche Fach-
kräfte eingesetzt. Diese Fachkräfte leisten, wie wir wis-
sen, eine nicht unerhebliche Werbung für den Ausbil-
dungs- und Hochschulstandort Deutschland. Das wissen
Sie auch, Herr Kollege Hedrich.


(Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: Wer bestreitet das denn?)


Ich habe gerade auch in Gesprächen anlässlich von De-
legationsreisen festgestellt, dass der Bereich von Public
Private Partnership gewachsen ist. Gerade im Bereich
der Hochschulen sind die deutschen Fachorganisationen
vom DAAD bis zur GTZ, der Gesellschaft für Technische
Zusammenarbeit, an der Koordination beteiligt. Ein Blick
in die Kursangebote für Aufbaustudiengänge mit ent-
wicklungsländerbezogener Problematik zeigt, dass an den
deutschen Universitäten die Herausforderung der Globa-
lisierung ernst genommen wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich wundere mich schon ein wenig, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Union, dass Sie nun plötzlich aus
Ihren Reihen nach der „Kinder-statt-Inder“-Kampagne
die Reform des Ausländerrechts als Vehikel zur Verbes-
serung der von Ihnen in diesem Antrag angesprochenen
Situation bemängeln. Hier stelle ich fest, dass gerade die
Bundesregierung – insbesondere der Bundeskanzler – die




Frank Hempel
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(C)



(D)



(A)



(B)


Anregungen der Wirtschaft für diesen Bereich schon
längst aufgegriffen hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, schauen Sie sich ein-
mal die Zahlen der vom BMZ geförderten Stipendiaten
an.


(Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: Lieber nicht!)


– Doch. – Dann werden Sie nämlich feststellen, dass sie
im Vergleich zum Ende Ihrer Regierungszeit erheblich ge-
stiegen sind.


(Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: Woher hast du denn das?)


Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, werden in diesem
Jahr weit über 3 000 Stipendiaten gefördert, während es
noch 1997 nur knapp über 2 000 waren.


(Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Guck mal an!)

Ich gehe davon aus, dass im Zuge des Gesamtkonzep-

tes der Politik der Entwicklungszusammenarbeit der Ko-
alitionsregierung diese und die anderen von mir ange-
sprochenen Tendenzen auch künftig verstärkt werden.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411415800
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Ulrike Flach.


Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1411415900
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! In der globalisierten Welt des 21. Jahrhun-
derts wird die Zusammenarbeit im Bereich der Wissen-
schaft und Hochschulen immer wichtiger. Ich bin sehr
froh, dass wir uns hier parteiübergreifend einig sind. Ich
wäre noch froher, wenn auch ein Vertreter des entspre-
chenden Ministeriums anwesend wäre.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ich freue mich, dass Sie, Frau Eid, anwesend sind, aber
dem Bildungsministerium hätte es sicherlich auch gut an-
gestanden, wenn es hier heute Abend anwesend gewesen
wäre.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die F.D.P.-Fraktion hat schon vor einiger Zeit einen
Antrag zur Verbesserung der Attraktivität des Hochschul-
standorts Deutschland eingebracht. In dem Antrag der
Union finden sich viele Gemeinsamkeiten. Wir begrüßen
das.

In Deutschland zeigt sich ein dramatischer Mangel an
Naturwissenschaftlern und Ingenieuren. Hier könnte sich
praktische Wissenschaftskooperation zeigen. Gingen
früher überwiegend deutsche Fachkräfte in Entwick-
lungsländer – meine beiden Vorredner haben es schon an-
geführt –, so sind wir heute umgekehrt auf IT-Spezialis-
ten aus aller Welt angewiesen.

Auch hier hätte ich gern das Bildungsministerium ge-
fragt: Ist es Ihnen eigentlich selbst nicht schon peinlich,
wenn Sie im Ausland mit Wissenschaftlern sprechen und
die überbürokratischen kleinkarierten Hürden für die Er-
teilung von Green Cards erklären müssen, die Ihnen Herr
Riester ins Gepäck gelegt hat?


(Beifall bei der F.D.P.)

Ich kann mir natürlich einen kleinen Seitenhieb auf die

Antragsteller nicht verkneifen. Ich lese bei Ihnen den sehr
guten Satz, dass das deutsche Ausländerrecht

es ausländischen Studierenden unnötig erschwert, an
ein abgeschlossenes Studium eine zeitlich limitierte,
berufliche Tätigkeit ... anzuhängen.

(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Woher kommt eigentlich das deutsche Ausländerrecht?)


Wir stimmen dem natürlich zu, ich als Nordrhein-Westfä-
lin eh. Ist das aber wirklich die Union, die ich in den letz-
ten Monaten erlebt habe, als Ihre unselige Kampagne


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

„Kinder statt Inder“ über unsere Lande zog?


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Ich freue mich über diesen Sinneswandel und hoffe, dass
er die nächsten beiden Wahlkämpfe übersteht.

Meine Damen und Herren, internationale Hochschul-
zusammenarbeit setzt auch die Vergleichbarkeit der Sys-
teme und Abschlüsse voraus. Wir begrüßen die inzwi-
schen fast 400 neuen Bachelor- und Masterstudien-
gänge in Deutschland. Es muss aber auch klar sein, dass
die Wertigkeit eines deutschen Bachelor im Vergleich mit
US- oder englischen Abschlüssen nach wie vor offen-
sichtlich zu wünschen übrig lässt. Es gibt noch Nachhol-
bedarf.

In den Entwicklungsländern gibt es eine steigende
Nachfrage nach Bildung im Ausland. Aber da haben im-
mer wieder die anderen die Nase vorn. Herr Hedrich, Sie
haben es gerade schon erwähnt. Mit circa 100 000 aus-
ländischen Studierenden liegen wir deutlich hinter den
Briten und Amerikanern.

Wir, die F.D.P., setzten uns deshalb für mehr interna-
tionale Studiengänge an deutschen Hochschulen, für
mehr englisch- und französischsprachige Kurse – mit den
russischen laufen Sie bei uns offene Türen ein – und natür-
lich für eine bessere Beratung ausländischer Studierender
ein.

lch begrüße in diesem Zusammenhang die neue Initia-
tive der Max-Planck-Gesellschaft, die mit 9 bereits ge-
gründeten und 30 geplanten Research Schools ein inno-
vatives Projekt für Promotionsstudiengänge, bei denen es
auch um mehr Kooperation mit ausländischen Unis und
Instituten geht, umsetzt. Das sind sinnvolle Projekte, auch
für die so genannte Dritte Welt.




Frank Hempel

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(C)



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(A)



(B)


Wir müssen gerade in den Entwicklungsländern für das
deutsche Bildungssystem werben. Hier möchte ich beto-
nen, Frau Eid: Die Schrumpfpolitik der rot-grünen Regie-
rung bei den Goethe-Instituten schadet diesem Ziel si-
cherlich massiv.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich kann bei Ihnen kein Auslandsmarketing für die
deutsche Hochschullandschaft erkennen, wie es die ande-
ren betreiben. Ich kann auch kein zwischen Bund und
Ländern abgestimmtes Konzept zur Erhöhung der Stipen-
dienfonds für Postgraduierte aus Entwicklungsländern er-
kennen. Die virtuelle Universität, die gerade in diesem
Zusammenhang von nicht unerheblicher Bedeutung wäre,
gibt es im Augenblick nur auf dem Papier.

Vor wenigen Tagen haben wir über die nachhaltige Ent-
wicklung gesprochen. Dort wie hier zeigt sich, dass wir es
mit einer Querschnittsaufgabe der Ressorts zu tun haben.
Bildungs- und Forschungspolitik im In- und Ausland, aus-
wärtige Kulturpolitik, Entwicklungszusammenarbeit und
Wirtschaftspolitik müssen zusammenwirken.

Der CDU/CSU-Antrag enthält viele sinnvolle Anre-
gungen. Wenn die Regierung diese gemeinsam mit unse-
ren Vorschlägen zur Attraktivitätssteigerung umsetzen
würde, kämen wir ein Stück weiter, hier vor Ort und bei
einer Partnerschaft zwischen Hochschulen und Instituten
in Deutschland und in den Entwicklungsländern.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411416000
Das Wort hat
jetzt die Frau Staatssekretärin Uschi Eid.

Dr
Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411416100
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte
Damen und Herren! Ich begrüße es ausdrücklich, dass wir
uns heute mit dem wichtigen Thema der Wissenschafts-
und Hochschulkooperation mit unseren Partnerländern im
Süden und im Osten befassen. Internationale Zusammen-
arbeit gerade auch im Wissenschafts- und Hochschulbe-
reich ist eine Selbstverständlichkeit, wenn wir gemeinsam
und im Sinne einer wirklichen Partnerschaft nach Lösun-
gen für die Herausforderungen unserer Zeit suchen wol-
len.

Die Zusammenarbeit hat vielfältige und lang wirkende
positive Effekte und ist zum Nutzen aller Beteiligten.
Wissenschafts- und Hochschulkooperation entspricht
dem Gebot unserer Zeit. Dazu brauchten wir nicht durch
einen CDU/CSU-Antrag aufgefordert zu werden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das ist schon notwendig!)


Hierzu trägt auch die Entwicklungspolitik der Bundes-
regierung in erheblichem Umfang bei. Im Rahmen der
notwendigen Haushaltskonsolidierung, zu der natürlich
auch der Entwicklungsetat beitragen musste, ist es uns

sogar gelungen, den Bereich der Wissenschaftskoopera-
tion noch aufzuwerten, auch wenn Sie von der CDU/CSU
hier die ganze Zeit das Gegenteil behaupten.

Einen Titel – vielleicht hören Sie gut zu, Herr Hedrich –
haben Sie bei Ihren Ausführungen außen vor gelassen:
Aus dem Titel „Aus- und Fortbildung für Angehörige aus
Entwicklungsländern“ wurden 1999 für die Wissen-
schaftskooperation 26 Prozent der Mittel verwandt. In
diesem Jahr sind es 27,3 Prozent und für 2001 haben wir
einen Anteil von 30 Prozent vorgesehen. Diese Zahlen wi-
derlegen Ihre Behauptungen, die Sie zu Beginn der De-
batte aufgestellt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Diese Mittel sind im Antrag der CDU/CSU überhaupt
nicht berücksichtigt. Selbiger bezieht sich lediglich auf
auslaufende Programme im Bereich der Finanziellen Zu-
sammenarbeit und Technischen Zusammenarbeit im en-
geren Sinne und übersieht, dass wir Programme der Wis-
senschaftskooperation bereits seit mehreren Jahren im
Rahmen der Technischen Zusammenarbeit im weiteren
Sinne finanzieren.

Erlauben Sie mir daher, das verzerrte Bild, das die
CDU/CSU versucht zu zeichnen, etwas zurechtzurücken:
Wir fördern im Rahmen unserer Entwicklungszusammen-
arbeit derzeit insgesamt 12 verschiedene Programme der
Wissenschafts- und Hochschulkooperation. Dabei arbei-
ten wir in den meisten Fällen mit dem Deutschen Akade-
mischen Austauschdienst zusammen.

1999 erhielten über 1 000 Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler von uns finanzierte Stipendien, um sich
in ihren Ländern selber weiterbilden zu können, davon al-
lein über 700 in Afrika. Mit diesen Programmen unter-
stützen wir den Aufbau nationalen Expertentums. Hierfür
haben wir 1999 10,8 Millionen DM zur Verfügung ge-
stellt. Wir werden das Mittelvolumen in den nächsten Jah-
ren ungefähr beibehalten.

Wir fördern 33 Aufbaustudiengänge mit entwick-
lungsbezogener Thematik, die aktuell 740 Teilnehmern
aus unseren Partnerländern eine praxisorientierte Weiter-
qualifikation mit international anerkannten Abschlüssen
bieten. 1999 haben wir hierfür 14,3 Millionen DM zur
Verfügung gestellt. In den kommenden Jahren werden wir
diese Kurspalette jeweils um zwei Programme erweitern.

Ebenfalls mit unserer Unterstützung wurden mittler-
weile 98 Hochschulpartnerschaften zwischen deut-
schen Universitäten und wissenschaftlichen Einrichtun-
gen in Entwicklungsländern aufgebaut. Wir fördern die
Vermittlung deutscher Wissenschaftler ins Ausland. Die-
ses Jahr zum Beispiel werden allein 40 Dozenten nach
Brasilien und Chile entsandt. Wir fördern auch Stipendien
für Nachwuchswissenschaftler aus fortgeschrittenen Part-
nerländern, damit sie sich hier in Deutschland weiter qua-
lifizieren. So wird ein Programm mit Thailand, den Phi-
lippinen und Vietnam von neun Promotionsstipendien im
Jahre 1998 auf 32 Neustipendien im Jahre 2001 erweitert.




Ulrike Flach
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(C)



(D)



(A)



(B)


Wir tragen auch den wachsenden Möglichkeiten auf-
grund der neuen Kommunikationstechnologien Rech-
nung.
So hat der DAAD im letzten Jahr mit unserer Unterstüt-
zung mit dem Aufbau von Datenbanken und internatio-
nalen Netzwerken begonnen, die es ehemaligen Stipen-
diaten ermöglichen, sich auch nach der Rückkehr in ihre
Heimatländer weiterzubilden und aktuelle Forschungser-
gebnisse weltweit auszutauschen. Hierzu gehört zum Bei-
spiel auch das Projekt „Alumni.med.Live“ eines Hoch-
schulkonsortiums unter der Federführung der Universität
Heidelberg – eine multimediale Medizinwissensbank, die
über das Internet zugänglich ist und der virtuellen Weiter-
bildung in aller Welt dient. Es ist noch keine virtuelle Uni-
versität, aber immerhin eine virtuelle medizinische Fa-
kultät.


(Zustimmung bei der F.D.P.)

Darüber hinaus haben wir die Zusammenarbeit mit der

deutschen Wirtschaft intensiviert, die in wachsendem
Maße ebenfalls Vorhaben der Wissenschaftskooperation
finanziert. Hierzu gehören unter anderem zwölf Stiftungs-
lehrstühle am Chinesisch-Deutschen Hochschulkolleg an
der Tongji Universität in Schanghai, 16 Stipendien für ein
Postgraduiertenprogramm in Zusammenarbeit mit ausge-
wählten asiatischen Universitäten in den Bereichen Elek-
troingenieurwesen, Informations- und Kommunikations-
technologie, das von der Asean Brown Boveri AG, Mann-
heim, finanziert wird, und eine Kooperation der Siemens
AG mit dem DAAD im Rahmen eines auf Asien ausge-
richteten Stipendienprogramms in der finanziellen Größe
von circa 4Millionen DM, wovon Siemens fast zwei Drit-
tel finanziert.

Dies ist nur eine kleine Auswahl derzeit laufender Ak-
tivitäten. Wir haben dem Ausschuss für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung vor wenigen Wochen
einen umfangreichen Informationsvermerk zu diesem
Thema zur Verfügung gestellt, der die Zustimmung aller
Fraktionen fand, auch die der CDU/CSU und der F.D.P.

Lassen Sie mich daher zum Schluss noch einmal beto-
nen: Die Wissenschafts- und Hochschulkooperation war
und ist eine wichtige Aufgabe der deutschen Entwick-
lungszusammenarbeit. Dies wird auch in Zukunft so blei-
ben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Carsten Hübner [PDS])



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411416200
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Carsten Hübner.


Carsten Hübner (PDS):
Rede ID: ID1411416300
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Vieles im Antrag von CDU/CSU
ist auch aus unserer Sicht durchaus in Ordnung. Die For-
derungen sind richtig. Vieles ist allerdings nicht neu. Wir
haben gehört: Einiges ist umgesetzt. Die sehr positive Be-
trachtung der Haushaltsentwicklung teilen wir natürlich
nicht. Ich denke, es ist ganz wichtig, darauf hinzuwei-
sen, welch entscheidendes Kriterium die Förderung von

Hochschulzusammenarbeit und Wissenschaftszusam-
menarbeit auch für die Entwicklungspolitik ist und dass in
diesem Bereich gar nicht genug Mittel eingesetzt werden
können.

Was uns am Antrag von CDU/CSU stört, ist der Tenor:
dass Wissenschafts- und Hochschulzusammenarbeit vor-
nehmlich aus dem Blickwinkel einer Wirtschafts- und
Standortpolitik betrachtet wird. Ich denke, das ist gerade
angesichts der Kooperation mit Entwicklungsländern
nicht die richtige Sichtweise. Wir denken, der vielleicht
schon etwas verstaubte, aber noch immer sehr aktuelle
humboldtsche Bildungsbegriff ist gerade im Kontext ei-
ner zu schaffenden Infrastrukturentwicklung und einer zu
schaffenden gesellschaftlichen Weiterentwicklung in die-
sen Ländern sehr viel angebrachter als die Formulierung
von Interessen, denen wir in diesen Ländern zukünftig
möglichst noch verstärkt nachgehen wollen.


(Beifall bei der PDS)

Ich werde mich deswegen auf drei Anmerkungen be-

schränken. Die erste Anmerkung zu dem vorliegenden
Antrag und zur bisherigen Politik bezieht sich auf die
Frage: Wer kommt eigentlich de facto in den Genuss un-
serer bisherigen Stipendien- und Förderprogramme?
Ich denke, wir sollten sehr viel stärker darauf achten, dass
die Entwicklungsländer, die sich Bildungspolitik gegen-
wärtig nicht leisten können, in diese Maßnahmen einbe-
zogen werden,


(Beifall bei der PDS)

dass Stipendienprogramme zunehmend auf genau diese
Klientel zugeschnitten werden. Wir haben in diesen Län-
dern bereits Bildungseliten, die gleichzeitig gesellschaft-
liche Eliten sind. Die bedürfen dieser Förderung in vie-
len Fällen nicht. Denjenigen, die gewisse Möglichkeiten
nicht haben, bleibt die Förderung trotz dieser Programme
auch weiter oft vorenthalten. Da sollten wir soziale Indi-
katoren sehr viel stärker berücksichtigen.

Das Zweite ist: Wir müssen sehr viel stärker darauf
achten, dass Frauen in den Genuss dieser Programme
kommen. Frauen sind – das wissen alle, die in der Ent-
wicklungspolitik tätig sind – in vielen Fällen der Motor
gesellschaftlicher Prozesse, gerade in den Entwicklungs-
ländern. Ihnen müssen unter den ganz besonderen und
sehr schwierigen Bedingungen zusätzliche Angebote
eröffnet werden. Eine Schwerpunktverlagerung in diesem
Bereich ist unbedingt notwendig, um die derzeit beste-
henden Defizite auszugleichen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Und dann gilt – das ist vorhin vom Kollegen Hedrich
angesprochen worden –: Mut zu Neuem und natürlich
auch Mut zur Expansion in Bereichen, die sinnvoll er-
scheinen. Ich fände es sinnvoll, wenn wir in der Bundes-
republik Deutschland sehr viel stärker Studiengänge –
nicht nur Aufbaustudiengänge – zum Beispiel in russi-
scher Sprache, in Englisch oder Französisch anbieten
würden, die sich ganz speziell mit Fragen befassen, die für
Studierende aus Entwicklungsländern und auch aus den
Schwellenländern von Interesse sind.




Parl. Staatssekretärin Dr. Uschi Eid

10849


(C)



(D)



(A)



(B)


Studiengänge, die sich mit Infrastrukturentwicklung,
mit Dezentralisierung, mit Demokratisierung, mit einer
nachhaltigen ökonomischen und ökologischen Entwick-
lung unter den Bedingungen auseinander setzen, die in
den Entwicklungsländern vorherrschen und die nicht nur
das reproduzieren, was im Moment in den entwickelten
Ländern als Entwicklungsmodell hochgehalten wird.
Diese Spezifizierung im Hinblick auf die besonderen Be-
dingungen fände ich wichtig. Hier, denke ich, könnten wir
noch sehr viel tun.

Zum Schluss will ich nur sagen: Ich möchte die Teile
im CDU/CSU-Antrag unterstützen, die auf eine Art
Nachbetreuung verweisen. Ich war vor kurzem in Laos.
Dort haben wir mit dem Botschafter gesprochen. Er müht
sich sehr, diejenigen Studierenden, die Deutsch können,
an einen Tisch zu bekommen, in einem Gremium zu or-
ganisieren. Das sind in Laos immerhin 3 000 Menschen.
Laos ist ein kleines Land. Diese Leute bieten sowohl für
ökonomische Kooperation als auch für Entwicklungsko-
operation sowie für den allgemeinen gesellschaftlichen
und kulturellen Dialog ein großes Potenzial.

Diese Gruppen von Studierenden, von Akademikern
und auch von Führungseliten sind im Moment noch nicht
greifbar. Es bedarf vielfach eines großen Engagements,
um ihnen in diesen Ländern Foren zu bieten, sodass wir
direkt an ihren Erfahrungen und ihr Wissen anknüpfen
können. In diesem Sinne hoffe ich, dass wir im Ausschuss
zu einer lebhaften Diskussion kommen werden.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411416400
Ich schließe da-
mit die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/3376 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorschlagen. Sind Sie einverstanden? –
Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes

(Altenpflegegesetz – AltPflG)

– Drucksache 14/1578 –

(Erste Beratung 59. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

(13. Ausschuss)

– Drucksache 14/3736 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Christa Lörcher
Irmingard Schewe-Gerigk
Maria Eichhorn
Klaus Haupt
Monika Balt

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist auch
hier für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. –
Widerspruch gibt es nicht. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die
Frau Ministerin Dr. Christine Bergmann.
Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-

milie, Senioren, Frauen und Jugend: Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit Mitte der
80er-Jahre, also seit ungefähr 15 Jahren, hat es immer
wieder Versuche gegeben, eine bundeseinheitliche Rege-
lung für einen anerkannten Fachberuf Altenpflege zu
schaffen. Für dieses bedeutsame Vorhaben, das wir drin-
gend brauchen, um Verbesserung in der Pflege alter Men-
schen zu erreichen, war erst ein Regierungswechsel nötig.


(Beifall bei der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt liegt unser Regierungsentwurf auf dem Tisch. Ich
bin froh darüber. Nun müssen wir sagen, worum es geht.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

– Es ist so, Sie haben das Vorhaben nicht zuwege ge-
bracht. Worum geht es also in diesem Gesetz? – Es geht
darum, die Qualität der Pflege alter Menschen auf die
Dauer zu sichern. Das ist unsere Aufgabe als Politikerin-
nen und Politiker. Ich bin der Meinung, das sollte uns auch
über die Fraktionsgrenzen hinweg einen.

Zu dieser Qualitätssicherung gehört unzweifelhaft die
Ausbildung der Altenpflegerinnen und Altenpfleger. Sie
kennen den Sachverhalt. Wir haben heute in 16 Bundes-
ländern 17 verschiedene Ausbildungen. Ziele, Inhalte,
Dauer und Strukturen sind unterschiedlich. Dabei darf es
nicht länger bleiben. Neuregelungen zur Qualitätsver-
besserung in Bundesgesetzen wie im Heimgesetz, im
SGB XI, im SGB V, die Sie von der Opposition zu Recht
fordern, gehen ins Leere, wenn das Pflegepersonal nicht
so ausgebildet ist, dass entsprechende Standards in der
Pflegepraxis dann auch umgesetzt werden können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich denke, es bezweifelt eigentlich niemand mehr, dass
von den Fachkräften in der Altenpflege sowohl im sta-
tionären als auch im ambulanten Bereich hohe Professio-
nalität und besondere Qualifikation gefordert werden.
Den Anspruch an die Altenpflege kann man deutlich ma-
chen, wenn man einmal darauf hinweist, dass das Durch-
schnittsalter bei den Menschen, die in ein Heim aufge-
nommen werden, bei über 80 Jahren liegt und dass 50 Pro-
zent der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner unter
Demenz leiden, also verwirrt sind. Das heißt: hier muss
unwahrscheinlich viel in der Pflege geleistet werden.

Wir wissen, dass die Bundesländer mit ihren Ausbil-
dungsgesetzen in der Vergangenheit wichtige Grundlagen
für die Qualifizierung der Altenpflegekräfte geschaffen
haben. Sie haben dafür Sorge getragen, dass sich der Al-
tenpflegeberuf etabliert hat. Es ist nun aber endlich an der
Zeit, dass wir die Altenpflege als Berufsfeld mit Zukunft
adäquat weiterentwickeln. Dazu gehört, dass wir die Al-
tenpflegeausbildung aus dem Dickicht der unterschied-
lichen Länderregelungen herausholen.




Carsten Hübner
10850


(C)



(D)



(A)



(B)



(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will nun ein paar Argumente dafür aufführen,
warum wir dieses bundeseinheitliche Altenpflegegesetz
so dringend brauchen: Wir brauchen es, damit Altenpfle-
gerinnen und Altenpfleger bundesweit einheitlich ausge-
bildet werden und überall in Deutschland die gleichen
Mindestqualifikationen erfüllen. Wir brauchen es, damit
die Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden, dass
der Beruf ein eigenes Profil erhält und die Gleichwertig-
keit mit dem Beruf der Krankenschwester und des Kran-
kenpflegers erreicht wird.

Wir brauchen die bundeseinheitlichen Vorschriften,
damit die Altenpflege in allen Bundesländern ein Ausbil-
dungsberuf wird, der nicht nur für Umschülerinnen und
Umschüler, sondern auch für Erstauszubildende attraktiv
wird. Wir benötigen dieses Gesetz auch, damit dieser nach
wie vor typische Frauenberuf keine strukturellen Benach-
teiligungen gegenüber anderen Berufen erfährt, wie es im
Moment in einigen Ländern schlichtweg der Fall ist, wenn
man daran denkt, dass zum Beispiel nicht überall eine
Ausbildungsvergütung gezahlt wird. Durch das Alten-
pflegegesetz mit seinen bundeseinheitlichen Ausbil-
dungs- und Berufszulassungsvorschriften erfährt der Be-
ruf endlich die ihm gebührende gesellschaftliche Aner-
kennung. Darüber kann man nicht nur reden, dafür muss
man auch etwas tun.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Koalitionsfraktionen haben im Gesetzgebungsver-
fahren nach den Anhörungen Änderungen vorgenommen,
die meine volle Unterstützung finden. Ich will aus Zeit-
gründen nur auf drei Punkte eingehen:

Zum einen geht es um die Frage der Umschulung. Sie
wissen, dass es eine Sonderregelung gibt, die Ende des
Jahres 2001 ausläuft. Die Anhörung und viele Gespräche
haben ergeben, dass wir die Umschulungsregelung nicht
in diesem Verfahren schaffen können, sondern dass wir
uns gesondert davon mit den Vertretern der zuständigen
Ressorts und den Vertretern der Länder zusammensetzen
müssen, um eine einvernehmliche Regelung zu finden,
die nicht nur den Altenpflegeberuf betrifft, sondern gene-
rell die Heilberufe und die sozialpflegerischen Berufe.
Damit können zunächst bis zum 31. Dezember 2001 be-
gonnene Umschulungen wie bisher dreijährig durchge-
führt und entsprechend gefördert werden.

Wichtig war auch, dass wir die Strukturen zur Finan-
zierung der Ausbildungsvergütung präzisiert haben. Ich
denke, dass wir dafür ein solides Fundament geschaffen
haben. Die Ermächtigungsnorm zur Einführung eines
Umlageverfahrens wurde nochmals konkretisiert, damit
hier Rechtssicherheit herrscht.

Nicht zuletzt begrüße ich die Einführung von Experi-
mentierklauseln zur Erprobung integrierter Ausbil-
dungsmodelle. Das weist auf unser eigentliches Ziel.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben damit die Weichen für die Weiterentwicklung
der Pflegeberufe im Hinblick auf ein langfristiges Ergeb-
nis gestellt.

Bis zur letzten Woche hatte ich wenig Zweifel daran,
dass dieses Gesetz eine breite Zustimmung finden würde.
Ich hatte erwartet, dass Sie, meine Damen und Herren von
der CDU/CSU, zu Ihren politischen Zielen und Verspre-
chen der vergangenen Legislaturperioden stehen werden.
Ich kann den von Ihnen vollzogenen Sinneswandel nicht
ganz verstehen. Sie werden auch Mühe haben, das zu er-
klären.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich muss Sie fragen, wo Ihre Glaubwürdigkeit in dieser
Sache bleibt.

Wir haben eine von Bayern angeführte Debatte, ob der
Bund für dieses Gesetz die notwendige Gesetzgebungs-
kompetenz habe. Sie wissen, dass wir Rechtsgutachten
auf dem Tisch haben, die diese Frage bejahen. Sie müssen
sich daran erinnern, dass eine von Ihnen gestellte Regie-
rung vor zwei Legislaturperioden in dem gleichen Fall die
Bundeskompetenz bejaht hat und dass auch die Mehrheit
der Länder in den letzten Legislaturperioden dieses nie-
mals in Zweifel gezogen hat. Ihre Haltung ist daher nicht
sehr überzeugend.

Wenn ich mir überlege, was von Ihnen an inhaltlichen
Einwänden zu diesem Gesetz – teilweise in letzter Se-
kunde – vorgebracht wurde, muss ich Ihnen vorhalten: Sie
haben nicht einen einzigen Änderungsantrag zu diesem
Gesetz gestellt. Wenn Sie bestimmte Punkte anders sehen
und daher Verbesserungen gewünscht hätten, hätten wir
gerne darüber reden können.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Dann hätten wir das ganze Gesetz neu schreiben müssen, Frau Ministerin!)


– Das fällt Ihnen sehr spät ein. Das ist alles nicht sehr
überzeugend. Ich denke, Sie müssen den Pflegebedürfti-
gen erklären, warum Sie diesem Gesetz nicht zustimmen.

Ich bin davon überzeugt, dass durch die Änderungen,
die im Wesentlichen auch den Vorschlägen des Bundesra-
tes und den Forderungen der Fachverbände entsprechen,
eine sehr gute Grundlage für die bundeseinheitliche Al-
tenpflegeausbildung geschaffen wird. Deshalb möchte
ich mich für die gute Zusammenarbeit mit den Kollegin-
nen und Kollegen der Koalitionsfraktionen bedanken. Wir
haben etwas auf den Weg gebracht, worauf viele in die-
sem Land warten.

In diesen Dank möchte ich auch die Vertreterinnen und
Vertreter der Fachverbände und Interessenvertretungen
einschließen, die nicht müde geworden sind, die Bun-
deseinheitlichkeit der Altenpflege einzufordern. Es war
eine lange Strecke, die wir zurücklegen mussten, bis wir
dieses Gesetz auf den Tisch legen konnten. Wir sind es
diesem Berufsstand, der über lange Jahre hingehalten
wurde, und natürlich auch den Pflegebedürftigen, die An-
spruch auf eine qualifizierte Pflege haben, schuldig, dass
dieses Gesetz endlich verabschiedet wird. Deshalb er-
warte ich nicht nur hier, sondern auch im Bundesrat eine




Bundesministerin Dr. Christine Bergmann

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(C)



(D)



(A)



(B)


Zustimmung, dass dieses Vorhaben, das lange überfällig
ist, nicht weiter blockiert wird.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411416500
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Maria Eichhorn.


Maria Eichhorn (CSU):
Rede ID: ID1411416600
Frau Präsidentin! Mei-
ne Damen und Herren! Wenn heute Menschen in ein Al-
tenheim eintreten, sind sie im Durchschnitt 86 Jahre alt.
Zwischen 50 und 60 Prozent der in den Heimen betreuten
alten Menschen sind dement. Diese Menschen bedürfen
einer besonderen Betreuung. Die Anforderungen an die
Altenpflege werden deswegen immer höher. Aufgabe der
Altenpflegerinnen und Altenpfleger ist es, älteren Men-
schen zu helfen, die körperliche, geistige und seelische
Gesundheit zu fördern und ihre Selbstständigkeit zu un-
terstützen und zu erhalten. Ihre Arbeit dient dazu, alten
Menschen einen würdigen Lebensabend und einen wür-
devollen Tod zu ermöglichen, eine schöne, aber auch
höchst anspruchsvolle Aufgabe für Altenpflegerinnen und
Altenpfleger.

Die Bundesregierung hat bei der Vorlage des Regie-
rungsentwurfes zur Altenpflege erklärt, dass sie mit einer
bundeseinheitlichen Neuregelung der Altenpflegeausbil-
dung den Beruf aufwerten möchte. Frau Ministerin, eine
bundeseinheitliche Regelung als solche bringt keine Qua-
litätsverbesserung. Es kommt auf den Inhalt an.


(Beifall bei der CDU/CSU – Christa Lörcher [SPD]: Haben Sie die Ziele nicht gelesen?)


Unser Ziel ist eine bessere Altenpflegeausbildung.
Das ist aber bei dem Gesetzentwurf, den Sie vorgelegt ha-
ben, nicht der Fall. Das hat die Anhörung im Dezember
bestätigt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie hat deutlich gemacht, dass der Gesetzentwurf der
Bundesregierung völlig ungeeignet ist. Wir hätten ein völ-
lig neues Gesetz vorlegen müssen. Mit Änderungsanträ-
gen hätte man überhaupt nichts bewirken können.

Trotz einer Vielzahl von Änderungen, die Sie aufgrund
des niederschmetternden Urteils der Sachverständigen
beider Beratungen im Ausschuss vorgelegt haben, sieht
der Arbeitskreis Ausbildungsstätten für Altenpflege – ich
zitiere –: „den Gesetzentwurf in seiner Zielsetzung als ge-
scheitert an“.
Denn der Gesetzentwurf regelt den Beruf weit unterhalb
der in Ländern erreichten Standards der Altenpflegeaus-
bildung.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Änderung des Krankenpflegegesetzes im Alten-

pflegegesetz lässt die Vermutung aufkommen, den Beruf
nicht qualitativ voranzubringen, sondern mittelfristig ab-
zuschaffen. Ich unterstelle Ihnen zwar nicht, dass Sie das

tatsächlich wollen, aber es kann die Folge dieser Ände-
rung sein. Darauf weisen Fachleute hin.

Die Zugangsvoraussetzungen zur Altenpflege sollen
gleich oder ähnlich ausgestaltet werden wie die Zugangs-
voraussetzungen zur Krankenpflegeausbildung. Damit
wird die Altenpflege im Konkurrenzkampf gegenüber der
Krankenpflege nur zweiter Sieger sein, das heißt, dass
nicht mehr Schüler zu erwarten sind. Das Gegenteil aber
wäre notwendig, da bereits heute Fachkräfte knapp sind.

Statt ein höheres Qualifikationsniveau zu erreichen,
wird die theoretische Ausbildung erheblich gekürzt. Das
Berufsbild wird auf die somatische Pflege verengt. Der
Schwerpunkt wird hin zur geriatrischen Krankenpflege
verlagert. Dies entspricht keinesfalls den fachlichen Er-
fordernissen. Der Altenpflegeberuf, der als einziger spe-
ziell auf die Lebenslagen und Krisen im Alter zugeschnit-
ten ist, wird zugunsten einer medizinisch-pflegerischen
Orientierung aufgegeben, für die es aber bereits den Kran-
kenpflegeberuf gibt.

Aufgrund der Kritik der Länder und der Sachverstän-
digen haben Sie § 26 des Altenpflegegesetzes, der die
Umschulung betrifft, herausgenommen. Die Heraus-
nahme dieses Paragraphen garantiert jedoch nur für we-
nige Monate dreijährige Ausbildungszeiten; denn bereits
kurze Zeit nach dem geplanten In-Kraft-Treten des Ge-
setzes wird die Regelung, dass Umschulungen auch drei
Jahre gefördert werden können, auslaufen. Über eine
Nachfolgeregelung – das haben Sie gerade selber zugege-
ben – muss noch gesondert verhandelt werden.

Die Fachschulen für Altenpflege haben sich bewährt.
Das Gesetz, das Sie heute beschließen wollen, wird schul-
rechtliche Strukturen zerstören; denn die Regelschule, die
das Gesetz jetzt vorsieht, ist eine Schule der besonderen
Art. Es ist zu befürchten, dass zahlreiche Träger ihre
Schulen aufgeben, wenn sie diese in Berufsfachschulen
umwandeln müssen. Das lässt sich nicht nur mit der ge-
ringeren Zahl an Lehrkräften und dem geringeren Be-
triebszuschuss begründen, sondern auch mit der fehlen-
den Anbindung an Einrichtungen, in denen die praktische
Ausbildung durchgeführt werden kann und die bereit
sind, eine Ausbildungsvergütung zu zahlen oder zu refi-
nanzieren. Die Ansiedlung der Ausbildung an Fachschu-
len ermöglicht zurzeit den direkten Zugang zur Fach-
hochschule. Diese Durchlässigkeit wird zerstört. Der Be-
ruf in der Altenpflege mündet damit in der Sackgasse. Ich
frage: Wollen Sie das wirklich?

Laut Gesetzentwurf soll die praktische Ausbildung
überwiegend in den Einrichtungen erfolgen und der Um-
fang der theoretischen und praktischen Ausbildung in der
Schule soll geringer werden. Begründung ist die Ausbil-
dungsvergütung. Frau Ministerin, in der Praxis gibt es
derzeit nicht genügend Ressourcen, um diesen Verlust an
Ausbildungsqualität ausgleichen zu können; denn es feh-
len in der Regel die qualifizierten Ausbilder. Notwen-
dige Schlüsselqualifikationen können angesichts dieser
Struktur der Ausbildung nicht mehr vermittelt werden.
Aber Teamfähigkeit, Koordinierung von Leistungen, Be-
ratung von Angehörigen und der Umgang mit Menschen




Bundesministerin Dr. Christine Bergmann
10852


(C)



(D)



(A)



(B)


gerade in der ambulanten Pflege sind grundlegende An-
forderungen einer modernen Altenpflege.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Ausbildung ist als berufliche Erstausbildung

konzipiert. Damit liegt das Eintrittsalter bei 16 oder
17 Jahren. Dies ist angesichts der bei der Betreuung alter
Menschen zwangsläufig auftretenden physischen und
psychischen Belastungen höchst problematisch. Sterbe-
begleitung und die zunehmende Zahl an Demenzkranken
stellen höchste Anforderungen. Während in der Kranken-
pflege mit einer Gesundung der Patienten zu rechnen ist,
müssen in der Altenpflege die Menschen regelmäßig bis
zu ihrem Tode begleitet werden. Die Erfahrung zeigt, dass
junge Berufsanfänger wesentlich kürzer im Beruf bleiben
als solche, die erst später einsteigen. Wenn man das weiß,
dann müsste man eigentlich alles dafür tun, um Berufs-
rückkehrerinnen, die nach einer Familienpause wieder
einsteigen wollen, für die Altenpflegeausbildung zu ge-
winnen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist jedoch fraglich, ob eine dreijährige berufliche Aus-
bildung für solche Frauen noch attraktiv ist.

Weiterhin ungeklärt ist die Frage der Finanzierung.
Die von den Ländern und Sachverständigen vorgetra-
genen rechtlichen Einwände gegen eine Umlagefinanzie-
rung haben sich bestätigt. Im Gegensatz zu Ihnen, Frau
Ministerin, sehe ich keine solide Finanzierung; denn die
jetzt generell vorgesehene Finanzierung durch die Träger
wird zu einer drastischen Reduzierung der Zahl an Aus-
bildungsplätzen führen. Ein dramatischer Fachkräfteman-
gel wird die Folge sein; denn in den Ländern, in denen be-
reits jetzt die Träger die Ausbildungsvergütung finanzie-
ren müssen, stehen zwischenzeitlich – das wissen Sie
genauso gut wie ich – weniger als die Hälfte der zuvor
vorhandenen Zahl an Ausbildungsplätzen zur Verfügung.

Die mögliche Berücksichtigung der Kosten in den
Pflegesätzen konnte dies nicht verhindern. Da eine Um-
lagefinanzierung mit erheblichen rechtlichen Hürden
versehen ist, wird sie, wenn sie als Notlösung erforderlich
ist, nicht schnell genug greifen können. Es besteht die
große Gefahr, dass bewährte Ausbildungsstätten schlie-
ßen müssen. Die qualitativ gute Entwicklung in der Al-
tenpflegeausbildung in den letzten Jahren würde damit
wieder zunichte gemacht.

In Ihrem Papier, das Sie im Ausschuss zur verfas-
sungsrechtlichen Prüfung des Umlageverfahrens vorge-
legt haben, versuchen Sie, die grundsätzlichen rechtlichen
Einwendungen zu zerstreuen. Dagegen hält zum Beispiel
das Land Baden-Württemberg an seiner Auffassung fest,
dass die verfassungsrechtlichen Bedenken durch das Bun-
desverfassungsgericht zunächst zu klären sind. Was die
oft zitierte Gesetzgebungskompetenz betrifft, sind die
von Bayern geäußerten Bedenken nicht ausgeräumt.

Der Stellungnahme der Bundesregierung zur Gesetz-
gebungskompetenz des Bundes für ein Altenpflegegesetz
hat die zuständige bayerische Staatsministerin für Unter-
richt und Kultus, Frau Hohlmeier, in einer Sitzung des
Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages letzte

Woche widersprochen. Sie hat darauf hingewiesen, dass
es neben Gutachtern, die dem Bund eine umfassende
Normsetzungskompetenz zugestehen, auch eine Vielzahl
von Professoren gibt, die zur gegenteiligen Auffassung
gelangen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Bundesregierung sieht als wesentliche Gründe für

eine bundeseinheitliche Altenpflege ein bundeseinheit-
liches Qualifikationsniveau und bundesweit vergleich-
bare Fachkenntnisse der Altenpflegerinnen und Alten-
pfleger an. Die propagierte Vereinheitlichung findet je-
doch nach dem Urteil der Fachleute nicht statt; denn auch
in Zukunft soll jedes Land auf der Basis abgesenkter Mi-
nimalstandards seine Form wählen können.

Fazit, meine Damen und Herren, Frau Ministerin:
Der Gesetzentwurf entspricht trotz Nachbesserungen
nicht dem Qualitätsstandard, den der Bildungsstandort
Deutschland erfordert. Statt die Qualität der Ausbildung
zu verbessern, wird sie durch dieses Gesetz verschlech-
tert. Das ist ein historischer Rückschritt. Das können wir
und wollen wir nicht mittragen. Wir werden diesem Ge-
setzentwurf nicht zustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411416700
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

gen! Frau Eichhorn, Ihre Rede hat mich ziemlich über-
rascht. Wir wollen heute das beschließen, was Sie seit
10 Jahren durchzusetzen versucht haben und was die
Grundlage der Bundesratsinitiative ist. Ich kann Ihr Ver-
halten eigentlich nur so werten, dass Sie ärgerlich darüber
sind, dass wir das umsetzen, was Sie in 10 Jahren nicht ge-
schafft haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Mit dem Gesetzentwurf zur bundeseinheitlichen Al-
tenpflegeausbildung beschließen wir das Ende einer ver-
meintlich unendlichen Geschichte; denn drei Ministerin-
nen – die Kolleginnen Lehr, Rönsch und Nolte – haben in
über zehn Jahren den Versuch unternommen, 17 unter-
schiedliche Länderregelungen zu einer bundeseinheitli-
chen Ausbildung zu vereinheitlichen – leider ohne Erfolg.
Es bedurfte einer rot-grünen Bundesregierung, dass die-
ser Durchbruch jetzt endlich gelingen konnte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Künftig werden alle Altenpflegeschülerinnen – ich be-
nutze bewusst die weibliche Form, weil zu 90 Prozent
Frauen betroffen sind – eine Ausbildungsvergütung erhal-
ten. Das war bisher nicht der Fall. Keine wird mehr Schul-
geld zahlen müssen und der Abschluss befähigt zur
gleichwertigen Tätigkeit in allen Bundesländern – auch
das war bisher nicht möglich – und innerhalb der Europä-
ischen Union. Die Qualität der Ausbildung erfährt in




Maria Eichhorn

10853


(C)



(D)



(A)



(B)


vielen Bundesländern eine Aufwertung. Sie wissen ganz
genau, dass die Ausbildung in einigen Ländern sehr viel
schlechter ist als jetzt geregelt. Wir haben sie angepasst.

Damit schaffen wir mit diesem Gesetz einen attrakti-
ven und qualifizierten Beruf und den Erfordernissen der
Auszubildenden wird Rechung getragen. Es ist ein Beruf,
der künftig von noch mehr jungen Menschen nachgefragt
wird und der einen wissenschaftlichen Überbau in den
Pflegewissenschaften hat.
Wir sorgen endlich dafür, dass dem hartnäckig behaupte-
ten Vorurteil „Pflegen kann jeder“, das ja der ehemalige
Sozialminister Blüm prägte, ein Ende bereitet wird. –
Und: Wir schaffen einen Beruf, der den geänderten An-
forderungen der Pflegebedürftigen Rechnung trägt.

Es wurde hier schon gesagt: Früher waren die Men-
schen Ende 60, wenn sie in ein Heim gingen, heute liegt
das durchschnittliche Alter bei der Aufnahme in ein Heim
bei 86 Jahren. Es ist unser Ziel, dass alte Menschen so
lange wie möglich in ihrer gewohnten Umgebung bleiben.
Das bedeutet aber für das Pflegepersonal eine ungeheure
Herausforderung. In diesem Alter treten in den meisten
Fällen eine Reihe von Krankheiten und, damit verbunden,
ein höherer Pflegebedarf auf. Die Fachleute sprechen von
Multimorbidität. Auch diesem Umstand wird in der
neuen Ausbildung Rechnung getragen: Geriatrische Re-
habilitationskonzepte, Gesundheitsvorsorge, Begleitung
von Sterbenden sind nur einige Stichworte. Für uns heißt
ganzheitliche Altenpflege auch, die alten Menschen in
ihren persönlichen und sozialen Angelegenheiten zu be-
treuen und ihnen Hilfe zur Erhaltung der eigenständigen
Lebensführung zukommen zu lassen. Es handelt sich also
um einen anspruchsvollen Beruf.

Dass die Qualität der Schulen und des Lehrpersonals
noch nicht auf einem einheitlich hohen Niveau ist, ist der
Abstimmung mit den Bundesländern geschuldet. Hier
sind mittelfristig Verbesserungen notwendig. Darin stim-
me ich dem Kollegen Haupt ausdrücklich zu. Aber
16 Länder davon zu überzeugen, auf ihre eigenen Gesetze
zu verzichten, kommt schon einem Kunststück gleich. Es
ist gut, dass das nun endlich gelungen ist.

Uns Bündnisgrüne freut besonders, dass mit dem
neuen Gesetzentwurf ein Vorschlag von uns aufgenom-
men wurde, durch den der Einstieg in eine integrierte
Pflegeausbildung ermöglicht wird, denn in der Alten-,
Kranken- und Kinderkrankenpflege gibt es zahlreiche in-
haltliche Überschneidungen. Modellversuche zeigen: Das
ist das Modell der Zukunft. Ich würde mir wünschen, dass
möglichst bald von einem Bundesland von der Experi-
mentierklausel Gebrauch gemacht wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch die Ände-
rungsanträge der Koalitionsfraktionen haben wir insbe-
sondere den Anregungen des Bundesrates, aber auch der
Sachverständigenanhörung Rechnung getragen. Ein
wichtiger Punkt dabei war die Kritik an der verkürzten
Ausbildung der Umschülerinnen; diese stellen bisher
immerhin zwei Drittel. Dieses wurde nun aus dem Gesetz
herausgenommen. Lassen Sie uns nun gemeinsam die
Zeit bis Ende 2001 – denn es läuft zum 1. Januar 2002
aus – für Verhandlungen zwischen Bund und Ländern

nutzen, um eine dreijährige Umschulungszeit für alle
Gesundheitsfachberufe zu erreichen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
ich würde mir wünschen, Sie würden diesem Gesetzent-
wurf zustimmen. Er entspricht genau dem, was Sie zehn
Jahre lang forderten. Er wird doch nicht einfach dadurch
schlechter, dass Sie nun in der Opposition sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es handelt sich hier nämlich um ein echtes Generationen-
projekt: qualifizierte Ausbildung für junge Menschen,
qualifizierte Pflege für alte Menschen. Dem sollten Sie
sich nicht verweigern.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411416800
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Klaus Haupt.


Klaus Haupt (FDP):
Rede ID: ID1411416900
Frau Präsidentin! Meine liebe
Kolleginnen und Kollegen! Um ein Gesetz zur Regelung
derAltenpflegewurde lange gerungen. Wir Liberalen be-
grüßen, dass diese fast unendliche Geschichte nun endlich
zu einem Abschluss kommt.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der wachsende Bedarf an qualifizierter Altenpflege,
auf die immer mehr ältere Bürgerinnen und Bürger ange-
wiesen sind, erfordert einen gewissen einheitlichen Aus-
bildungsstandard der Pfleger. Für die jungen Menschen
wird zugleich die Attraktivität dieses wichtigen Berufs-
zweiges erhöht. Beide Seiten haben ein Anrecht auf
Schutz der Berufsbezeichnung, bundeseinheitliche Aus-
bildungsstandards, bundeseinheitliche Zugangsvoraus-
setzungen sowie eine Regelung der Ausbildungsvergü-
tungen.

Wir begrüßen, dass die Regelausbildungsdauer grund-
sätzlich drei Jahre betragen soll, dass die Umschüler aus
dem Kreis der Verkürzungsberechtigten ausgeschlossen
sind und Verkürzungsmöglichkeiten nunmehr nur noch
restriktiv, bei wirklichen Berufserfahrungen im Bereich
der Pflege, vorgesehen sind. Es darf weder unter arbeits-
markt- noch unter finanzpolitischen Gesichtspunkten eine
Verkürzung der Ausbildung geben.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein inflationärer Gebrauch von Verkürzung beeinträchtigt
die Qualität der Ausbildung, auf die wir im Interesse der
Pflegebedürftigen nicht verzichten wollen.

Es ist gut, dass die Pflegeschulen die Gesamtverant-
wortung für die Altenpflegeausbildung zugewiesen be-
kommen. Die Aufgabenteilung zwischen Schule und Pra-
xis ist jetzt klarer. Unter dem Aspekt der Qualität – Frau
Schewe-Gerigk verwies schon darauf – bedauern wir
aber, dass die Anforderungen an Lehrpersonal und Schule




Irmingard Schewe-Gerigk
10854


(C)



(D)



(A)



(B)


nicht konkreter festgeschrieben werden. Diese sind im
Gesetzentwurf zu ungenau gehalten. Hier wird das Gesetz
seinem eigenen Anspruch nicht ganz gerecht. Neben der
Ausübung eines sozialpflegerischen Berufs wäre aus libe-
raler Sicht ein pädagogischer Fachhochschul- oder Hoch-
schulabschluss eine wünschenswerte Voraussetzung für
Leiter und Dozenten in der Altenpflegeausbildung.


(Beifall bei der F.D.P. sowie der Abg. Monika Balt [PDS])


Dies würde den sonst geltenden Regeln in unserer Bil-
dungslandschaft besser entsprechen.

Die jetzt vorgesehene Finanzierung der Ausbildung
und damit auch die Art der Ausbildungsvergütung ist
einfacher gelöst als durch das zunächst vorgesehene Um-
lageverfahren. Ziel muss es trotzdem sein, die Finanzie-
rung möglichst einfach und ohne besonderen Verwal-
tungsaufwand zu regeln.

Sicherlich lässt der Gesetzentwurf Wünsche offen.
Doch ist der Gesetzentwurf ein wichtiger Schritt zu ein-
heitlichen Ausbildungsstandards. Deshalb unterstützen
wir Liberalen auch die Absicht, eine integrierte Ausbil-
dung für Kranken- und Altenpflege anzustreben und mo-
dellhaft eine gemeinsame Ausbildung zu erproben.

Die nun vorgesehene Öffnungsklausel, so scheint es,
ist ein viel versprechendes Instrument, gemeinsame Aus-
bildungsstrukturen zu erproben. Das Altenpflegegesetz
kann so eine wichtige Vorstufe für eine einheitliche
Pflegeausbildung sein. Längerfristig wäre es nützlich,
zunächst die Pflegeberufe in einem einheitlichen Ausbil-
dungsberuf zusammenzuführen, die Schlüsselqualifi-
kationen zu vermitteln und zu gewährleisten, dass die im
dualen Bildungssystem heute üblichen Qualitäten erreicht
werden.

Die F.D.P. hofft, dass mit der Verabschiedung des Al-
tenpflegegesetzes die Diskussion nicht beendet ist, son-
dern über eine weitere Verbesserung in der Pflegeausbil-
dung nachgedacht wird. Dies ist sowohl im Interesse der
älteren als auch der jüngeren Generation. Ich wiederhole
mich: Packen wir es an!


(Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christa Lörcher [SPD]: Da können Sie sicher sein!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411417000
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Monika Balt.


Monika Balt (PDS):
Rede ID: ID1411417100
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Vor ungefähr zwei Stunden hörten
wir in der letzten Rede unseres Kollegen Dreßler das –
wie er es selber bezeichnet hat – „Histörchen“ von dem
jungen Dynamischen und von dem alten Reichen – ein
wohl mehr als ernster Hintergrund. Letztlich hat es auch
einen Bezug zum vorliegenden Entwurf des Altenpfle-
gegesetzes, der nach über zehnjähriger Diskussion nun-
mehr auf dem Tisch liegt. Diesem Gesetzentwurf kann
meine Fraktion in dieser Form nicht zustimmen. Wir wer-
den uns deshalb enthalten.

Im federführenden Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend sprach man von einer historischen
Stunde. Für wen eigentlich? Zwar sind im Gesetzentwurf
eine Reihe von Forderungen enthalten, die auch die PDS
in ihrem Antrag 1996 erhoben hatte. Zum Beispiel wird
mit diesem Gesetz der Abbau der Niveauunterschiede
zwischen den Ländern und zwischen den Altenpflegeein-
richtungen angestrebt. Eine einheitliche Ausbildungs-
dauer von drei Jahren soll erreicht werden. Das alles fin-
den wir gut. Doch mit dieser Bundeseinheitlichkeit wird
der gegenwärtige Zustand, nämlich 17 unterschiedliche
Regelungen in 16 Bundesländern, auf ein neues Niveau
gehoben, aber nicht beendet.

Jetzt zu den Problemen. Für mich ist ausschlaggebend
und wichtig, aus welchem Blickwinkel man das Problem
der Altenpflegeausbildung betrachtet. Ich meine, da kann
es nur einen geben: den der pflegebedürftigen älteren
Menschen.


(Beifall bei der PDS)

Wir sagen, dass die Altenpflege gewährleisten muss, dass
Ältere nicht nur gepflegt, sondern fachlich qualifiziert be-
gleitet und betreut werden.


(Beifall bei der PDS)

Sie dagegen, meine Damen und Herren von der rot-grü-
nen Regierung, stellen bei den Ausbildungszielen die
medizinische Pflege und Behandlung an die erste Stelle,
Rehabilitation an die dritte und Hilfe zur Erhaltung und
Aktivierung der eigenständigen Lebensführung an die
siebente Stelle. Damit wird Altenpflege zu einem „Heil-
hilfsberuf“ degradiert. Mir ist natürlich vollkommen klar,
warum der Gesetzgeber das macht: Es bestünde sonst
keine Bundeskompetenz. Wer sich aber für eine Pflege
„Still, sauber, satt“ entscheidet und Schritte in diese Rich-
tung tut, dem reicht natürlich auch ein Mindestmaß an
Ausbildung. Kosten werden minimiert. Es sind wieder
nur Frauenberufe.

Durch das Gesetz wird in der Folge ein Rückgang des
qualitativ-fachlichen Niveaus der Ausbildung herbeige-
führt. Dazu ein Beispiel: Die Ausbildung im Freistaat
Thüringen umfasst gegenwärtig 2 580 Theoriestunden.
Nach In-Kraft-Treten des Gesetzes werden es nur noch
1 830 Theoriestunden sein können. Das ist ein Minus von
30 Prozent.

Dieses Raster wird in allen Bundesländern zur Regel
werden. Die Abstriche werden zwingend in der psy-
chosozialen, rechtlichen und hilfeplanungsspezifischen
Kompetenz erfolgen. Dieses Manko wird auch nicht
durch die stärkere Betonung der praktischen Ausbildung
ausgeglichen.


(Beifall bei der PDS)

Das Berufsbild wird auf somatische Pflege verengt und
es erfolgt eine Schwerpunktverlagerung auf geriatrische
Krankenpflege. Der ältere Mensch hat aber nicht nur An-
spruch auf Pflege – so er dieser bedarf –, sondern er hat
auch Anspruch auf Betreuung einschließlich sozialer Be-
treuung. Somit kann es nicht nur um Krankenpflege ge-
hen.




Klaus Haupt

10855


(C)



(D)



(A)



(B)


Den Weg, den das Gesetz zur Ausbildungsfinanzierung
vorsieht, sehen wir als außerordentlich problematisch an.
Zudem ist die Finanzierung durch das Umlageverfahren
verfassungsrechtlich sehr umstritten. Daher geht der Ge-
setzgeber nun den Weg, die Träger aufzufordern, sich frei-
willig zur Finanzierung zu verpflichten.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411417200
Frau Kollegin,
denken Sie bitte an die Zeit.


Monika Balt (PDS):
Rede ID: ID1411417300
Erfahrungen in den Ländern zei-
gen, dass dadurch nur noch ein Drittel der Träger weiter-
hin Ausbildungsplätze sicherstellen wird. Darüber hi-
naus ist zu befürchten, dass kleinere Trägerkapazitäten
untergehen, da das ursprünglich angestrebte Umlagever-
fahren, das einen Ausgleich für alle Altenpflegeeinrich-
tungen regelt, unabhängig davon, ob dort Ausbildung
stattfindet oder nicht, verfassungsrechtlich kaum reali-
sierbar sein wird.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411417400
Frau Kollegin,
Sie können nicht einfach weiterreden. Das geht nicht.


Monika Balt (PDS):
Rede ID: ID1411417500
Ich komme zu meinem letzten
Satz.

Man darf dabei nicht vergessen: In Altenpflegeheimen
lebt nur rund ein Drittel unserer älteren pflegebedürftigen
Mitbürgerinnen und Mitbürger.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411417600
Würden Sie jetzt
bitte aufhören! Ich habe es schon zweimal gesagt. Es geht
nicht, dass Sie einfach so durchreden.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist schon ein bisschen unverfroren, Frau Kollegin!)



Monika Balt (PDS):
Rede ID: ID1411417700
Deshalb brauchen wir ein Gesetz,
das diesen Forderungen Rechnung trägt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411417800
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Christa Lörcher.


Christa Lörcher (SPD):
Rede ID: ID1411417900
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Frau Eichhorn, ich
glaube, Sie haben den falschen Gesetzentwurf gehabt.
Wahrscheinlich ist Ihnen auch entgangen, dass sehr viele
Vorschläge des Bundesrates in unseren Änderungsantrag
aufgenommen und im Ausschuss auch durchgesetzt wur-
den.

Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
gend hat in der letzten Woche mit deutlicher Mehrheit be-
schlossen, dass ab 2001 die Altenpflegeausbildung in un-
serem Land bundeseinheitlich und mit gemeinsamen
Qualitätsstandards durchgeführt werden soll. Die mitbe-
ratenden Ausschüsse haben sich ebenfalls mehrheitlich

für diesen Gesetzentwurf mit den vorliegenden Ände-
rungsanträgen ausgesprochen. Herzlichen Dank dafür.

Am Tag der Ausschussberatungen stand in der „Berli-
ner Morgenpost“ ein Bericht mit der Überschrift „Ma-
schinen – Diener an Bett und Arbeitsplatz, Roboter für
Pflegebedürftige und Körperbehinderte“. Zitat: „Und
wann kommt die elektronische Krankenschwester?“ Auf
der Messe „Altenpflege 2000“ wurde sie vorgestellt; für
Koma-Patienten entwickelt, wird sie jetzt auch Pflegehei-
men angeboten: „Eine Waschanlage für bettlägerige Pati-
enten – zeitsparend, porentief rein und absolut hygien-
isch, garantiert ohne menschliche Zuwendung.“

Wollen wir das? Ich bin sicher: Wer Pflegetätigkeit
kennt und verantwortlich ausübt oder Verantwortung
dafür trägt, will das nicht. Hilfsmittel, auch technische
Hilfen wie zum Beispiel ein Lifter, sind sinnvoll und
wichtig, weil sie die oft schwere Arbeit erleichtern. Aber
sie können nie eine qualifizierte ganzheitliche Pflege er-
setzen, in der Körper, Geist und Psyche einbezogen wer-
den.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Waschen ist mehr als Körperreinigung; es ist auch Kom-
munikation, Beobachtung von körperlichen und geistigen
Fähigkeiten, Mobilisation, Berührung. Längst ist bekannt,
dass Koma-Patienten – wie wir alle – Worte, Berührung
und Zuwendung brauchen.

Der Gesetzentwurf zur Altenpflegeausbildung mit un-
seren Änderungsvorschlägen soll das Berufsbild Alten-
pflege verbessern, aufwerten und attraktiver machen:
durch fundierte Ausbildungsziele, eine Kombination von
Theorie und Praxis, qualifizierte Praxisbegleitung und die
Gesamtverantwortung der Altenpflegeschule, durch eine
dreijährige Ausbildungszeit und das Recht auf eine ange-
messene Ausbildungsvergütung.

Qualität in der Pflege kann und soll damit verbessert
und gesichert werden. Eine steigende Lebenserwartung
gibt uns mehr Jahre. Dass Menschen diese Jahre in Würde
verbringen können, auch bei Pflegebedürftigkeit, ist unser
Anliegen. Mehr Lebensjahre heißt auch ein höheres Ri-
siko bezüglich Krankheiten im Alter: Störungen bei Herz
und Kreislauf, Bewegungseinschränkungen, psychische
Krankheiten wie Depressionen, mehr Demenzerkrankun-
gen. Es heißt mehr Pflegebedürftigkeit zu Hause, wobei
die Pflege oft von Angehörigen und von professionellen
Kräften gemeinsam geleistet wird. Es bedeutet auch ein
höheres Alter beim Eintritt in stationäre Einrichtungen,
wobei der Bedarf an Grund- und Behandlungspflege, aber
auch an Aktivierung und Rehabilitation entsprechend
steigt.

Ich wundere mich, dass trotz Kenntnis dieses Sachver-
haltes in allen Bereichen der Pflege von manchen noch
immer die Bundeskompetenz für die Regelung der Be-
rufe in der Altenpflege infrage gestellt wird.


(Zuruf von der SPD: Da kann man sich mehr als wundern!)





Monika Balt
10856


(C)



(D)



(A)



(B)


Medizinisch-pflegerische Kenntnisse sind die Grundlage
für eine qualifizierte Arbeit. Ich will dafür zwei Beispiele
nennen.

Bei der zunehmenden Zahl von Diabeteskranken in un-
serer Gesellschaft, derzeit rund 5 Millionen Menschen
und der größte Teil von ihnen mit Altersdiabetes, ist es un-
bedingt nötig, dass eine Fachkraft in der Pflege zu jedem
Zeitpunkt genau beobachtet und feststellen kann, wenn es
jemandem schlecht geht: Liegt ein zu niedriger oder ein
zu hoher Blutzuckerwert vor? Was ist sofort zu tun? Was
muss und darf ich machen? Was kann und darf nur der
Arzt tun?

Auch die Zahl der Parkinsonkranken bei uns ist hoch –
rund 200 000 Menschen leiden an Parkinson. Viele woh-
nen zu Hause, werden vom Partner oder von der Partne-
rin versorgt; manche treffen sich in Selbsthilfegruppen
und erhalten dort Unterstützung. Aber auch professionelle
Hilfe ist nötig. Gerade bei Parkinson ist bekannt, dass Re-
habilitationsmaßnahmen wie Bewegungsübungen und
Sprachtraining viel an Lebensqualität erhalten oder eine
Verschlechterung verzögern können. Fundierte Kennt-
nisse und Fähigkeiten in der Pflege, aber auch in den Be-
reichen Aktivieren und Rehabilitation, sind bei der Pfle-
geausbildung und Berufstätigkeit nötig.

Es ist gut, dass stationäre und ambulante Pflegeein-
richtungen als Praxislernorte verbindlich festgelegt sind.
Zusätzlich ist sinnvoll, dass bei der praktischen Ausbil-
dung – eine Kannbestimmung im Gesetzentwurf – auch
ein Praktikum in einer psychiatrischen Einrichtung, zum
Beispiel in der Gerontopsychiatrie oder in einer Reha-
bilitationseinrichtung, etwa einer geriatrischen Rehakli-
nik, möglich ist.

Besonders positiv – das möchte ich zum Schluss ver-
merken – ist, dass Modellversuche hinsichtlich einer in-
tegrierten Pflegeausbildung mit diesem Gesetzentwurf
ermöglicht werden.

Ich hoffe und wünsche uns, dass wir die Pflegeberufe
in Übereinstimmung mit den europäischen Richtlinien
auf der heute zu beschließenden gemeinsamen Grundlage
einer dreijährigen qualifizierten Altenpflegeausbildung in
den kommenden Jahren gemeinsam weiterentwickeln –
im Interesse derjenigen Menschen, die Hilfe und Betreu-
ung brauchen, und derjenigen, die diese wichtige und an-
spruchsvolle Arbeit leisten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.])



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411418000
Ich schließe da-
mit die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Altenpflegege-
setzes. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der F.D.P. gegen die

Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der PDS ange-
nommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit auch in dritter Lesung mit dem soeben festge-
stellten Stimmenergebnis angenommen worden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen SPD,
CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
F.D.P.
Diskriminierung von Frauen bei den Olympi-
schen Spielen
– Drucksache 14/3769 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Widerspruch
höre ich nicht. Dann verfahren wir auch so.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die
Abgeordnete Angelika Graf.


Angelika Graf (SPD):
Rede ID: ID1411418100
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Junge und erfolgreiche
Sportlerinnen und Sportler sind für Kinder und Jugendli-
che wichtige Identifikationsfiguren. Die Schwimmerin
Franziska von Almsick zum Beispiel hat in den letzten
Jahren insbesondere für Mädchen den Schwimmsport
sehr interessant gemacht. Das hat die steigende Zahl von
Anmeldungen in Schwimmvereinen ganz deutlich ge-
zeigt.

Die Ausübung von Sport, die dadurch angeregt wird,
vermittelt jungen Menschen nicht nur soziale Kompeten-
zen. Durch den Sport lernen sie im Allgemeinen auch, mit
ihrem eigenen Körper umzugehen und auf ihn zu achten.
Sport ist also Gesundheitsvorsorge im besten Sinne. Der
Sport gibt den Menschen die Möglichkeit, sich selbst zu
verwirklichen, die eigenen Grenzen auszuloten und
Selbstbewusstsein im wahrsten Sinne des Wortes aufzu-
bauen. Dies alles sind insbesondere für junge Frauen in
der ganzen Welt wichtige Dinge.

Eine besondere Rolle im Ablauf der sportlichen Ereig-
nisse über die Jahre hinweg spielen die Olympischen
Spiele. Sie haben sich im Laufe der Jahre durchaus ver-
wandelt. Im Jahre 1896 haben sich in Athen 295 Männer
sportlich gemessen haben. Im Jahre 1900 waren in Paris
schon 11 Frauen am Start. In den letzten Jahrzehnten ha-
ben immer mehr Frauen aus allen Erdteilen und jeder
Hautfarbe an den Olympischen Spielen teilgenommen.
Begonnen hat das Ganze allerdings mit Stamathia Roviti,
die 1896 durch ihre inoffizielle Teilnahme am Marathon-
lauf ihren Protest gegen die Frauendiskriminierung
deutlich gemacht hat.

Es waren recht starke Frauen, die da um Medaillen –
und nicht nur um diese – kämpften. Die etwas Älteren von




Christa Lörcher

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(C)



(D)



(A)



(B)


Ihnen können sich sicher noch an die vor kurzem verstor-
bene dunkelhäutige Sprinterin Florence Griffith-Joyner
erinnern. Das war die mit den langen Fingernägeln.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die war aber gut im Sport! – Dr. Barbara Höll [PDS]: Schön bunt!)


– Ja genau, die mit den schönen bunten. – Sie hat Gold-
medaillen über 100 Meter und über 200 Meter gewonnen.
Sie war nicht nur für den Frauensport ganz allgemein,
sondern insbesondere auch für farbige Frauen eine Iden-
tifikationsfigur.

Trotz dieser Fortschritte gibt es noch immer eine
Reihe von Ländern, die reine Männerdelegationen zu den
Olympischen Spielen schicken. Die Entwicklung ist zwar
rückläufig. Aber es erschreckt schon, dass 1992 nach
Barcelona immer noch 34 Länder ohne weibliche Teil-
nehmer angereist sind. Auch in Atlanta gab es 1996 noch
29 Delegationen, die ohne Frauen angetreten sind. Das
waren damals unter anderem Länder wie Afghanistan,
Bolivien, Brunei, Bahrain, Dschibuti, Haiti, Irak, Kuwait
und Saudi-Arabien. Diese Liste muss nicht zu Ende ge-
führt werden. Es ist sehr beeindruckend, welche Länder
in diesem Zusammenhang zu nennen sind: unter anderem
viele afrikanische und arabische Länder.

Dort wurden und werden – das ist ganz offensichtlich –
Frauen aktiv oder passiv diskriminiert und an der Aus-
übung des Sportes gehindert. Ob das nun dadurch pas-
siert, dass Bekleidungsvorschriften, zum Beispiel der
Tschador im Iran oder die Burka in Afghanistan, oder an-
dere angeblich theologisch oder kulturell bedingte
Zwänge die Frauen an der Ausübung des Sportes hindern,
ob den Frauen die Ausübung des Sportes vollständig ver-
boten wird oder man ihnen andere Rechte vorenthält, was
sie daran hindert, oder ob es schlicht und einfach die Ge-
dankenlosigkeit und das Machoverhalten von Männern
sind, die den Frauen diese Betätigung bzw. Erfolge auf
diesem Gebiet nicht gönnen wollen, das spielt meiner An-
sicht nach bei der Beurteilung des Ganzen keine Rolle.
Fest steht: Es widerspricht deutlich der olympischen
Charta und dem olympischen Gedanken.

In der Olympischen Charta steht geschrieben:
Alle Formen der Diskriminierung mit Bezug auf ein
Land oder eine Person, sei es aus Gründen von
Rasse, Religion, Politik, Geschlecht und sonstigen
Motiven sind mit der olympischen Bewegung unver-
einbar.


(Beifall bei der SPD und der PDS)

Schauen wir nach Sydney: Obwohl die Ergebnisse der

Qualifizierung aus den einzelnen Ländern noch nicht vor-
liegen und infolgedessen auch noch keine Aussagen über
die Zusammensetzung der Delegationen gemacht werden
können, appellieren wir mit dem vorliegenden frak-
tionsübergreifenden Antrag – dies ist auch ein deutlicher
Fortschritt gegenüber früher –,


(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.]: Ja!)


den wir heute noch rechtzeitig vor dem Beginn der Spiele
im September dieses Jahres verabschieden, an das Natio-
nale Olympische Komitee, beim IOC die Einhaltung der
Charta einzufordern und harte Sanktionen – ich meine, sie
müssen bis zum Ausschluss von den Spielen gehen – ge-
gen Länder zu beschließen, die sich daran nicht halten.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ausreden jedenfalls kann es nicht mehr geben. Für die
Kleinststaaten wurden die Leistungsvorgaben bei den
Qualifikationen abgeschafft, sodass nun auf jeden Fall
Frauen aus diesen Ländern teilnehmen können. Die
Trainingsbedingungen für viele Sportlerinnen haben sich
durch das Engagement, zum Beispiel unseres eigenen
NOK, deutlich verbessert. Irakerinnen und Palästinense-
rinnen zum Beispiel können zurzeit in Deutschland mit
deutscher Unterstützung trainieren. Das ist ein Vorteil
gegenüber den schwierigen Trainingsbedingungen im ei-
genen Land. Ich meine, dass dies etwas ist, was weiter-
verfolgt werden muss und wofür man dem Nationalen
Olympischen Komitee – im Sinne der internationalen
Frauenbewegung und des internationalen Frauensportes –
danken muss.

Ich meine, wir sollten unseren Dank durch die Zustim-
mung zu diesem Antrag manifestieren.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411418200
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Monika Brudlewsky.


Monika Brudlewsky (CDU):
Rede ID: ID1411418300
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Leider haben wir ge-
rade ein deutsches sportliches Debakel hinter uns. Aber
bei den Olympischen Spielen in Australien hoffen wir auf
bessere Ergebnisse für Deutschland. Bei diesem Fest der
Nationen werden sich Sportler aus aller Welt im sportli-
chen Wettkampf miteinander messen und Millionen Men-
schen werden über die Medien mit Spannung live dabei
sein.

Obwohl sicher ein großes Fest der Begegnung daraus
wird, müssen wir auch dieses Mal wieder befürchten, dass
weibliche Sportler aus einer Reihe von teilnehmenden
Staaten aufgrund angeblich religiöser Vorbehalte, gepaart
mit männlichem Chauvinismus, außen vor bleiben müs-
sen, nur weil sie Frauen sind oder weil diese Staaten keine
Sport treibenden Frauen dulden.


(Irmgard Karwatzki [CDU/CSU]: Leider!)

Dies ist ein klarer Verstoß gegen die olympische Charta.
Wir wollen und müssen den Frauen dieser Länder zu ver-
stehen geben: Dies muss und wird sich ändern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die olympische Charta verbietet, wie Frau Graf schon
zitiert hat, jede Form von Diskriminierung. Dazu ge-
hört auch die Ungleichbehandlung aufgrund des Ge-
schlechts. Menschenrechte sind auch Frauenrechte.




Angelika Graf (Rosenheim)

10858


(C)



(D)



(A)



(B)


Menschrechtsverletzungen einiger Länder gegenüber
ihren Frauen gehören daher an den Pranger gestellt. Die-
sen Ländern und ihren Regierungen muss vor der
Weltöffentlichkeit klargemacht werden, dass es so nicht
weitergehen kann.

Meine Kollegin Bärbel Sothmann hat vor vier Jahren
in einer Debatte zum gleichen Thema den Satz geprägt:
Diese Frauenapartheid ist nicht weniger menschenrechts-
verletzend als die Rassenapartheid in Südafrika. Schließ-
lich bringen diese Länder damit die Miss- und Verachtung
der Hälfte ihrer Bevölkerung zum Ausdruck. Um noch
einmal zum Fußball zu kommen: Diese Länder verdienen
die rote Karte der Weltgemeinschaft. Sie halten anschei-
nend Frauen für nicht würdig oder nicht fähig, ihre Län-
der im sportlichen Wettstreit zu vertreten, obwohl es doch
für jeden Sportler eine Ehre ist, für die Olympischen
Spiele nominiert zu werden und sich mit den weltbesten
Sportlern messen zu können.

Sport ist aber auch eine Frage von Persönlichkeit,
Selbstdisziplin, Ausdauer und persönlichem Engagement,
was Vorbildcharakter vor allem für junge Menschen hat.
Gerade in Ländern der Dritten Welt haben die Sportler oft
Kultstatus und werden wie Popstars verehrt; ich denke nur
an die hervorragenden afrikanischen Läuferinnen und
Läufer. Manche Regierungen sehen hierin Gefahren. Statt
selbstbewusste und erfolgreiche Frauen wollen sie lieber
Frauen als eine dumm gehaltene schwarz umhüllte Masse,
die ohne männliche Begleitung noch nicht einmal alleine
vor die Tür gehen dürfen, wenn ich zum Beispiel an das
Taliban-Regime in Afghanistan denke. Frauen mit Ge-
sicht, mit Persönlichkeit, mit Durchsetzungsvermögen
könnten in diesen Ländern Begehrlichkeiten nach mehr
Rechten und Freiheiten einfordern und als Vorbild für an-
dere gelten. Dies passt natürlich nicht in die Ideologie sol-
cher Regime.

Auch wenn sich die Zahl der Länder, die ausschließlich
mit Männern zu den Olympischen Spielen anreisten, von
35 Länder 1992 in Barcelona auf 29 Länder 1996 in At-
lanta verringert hatte, so sind dies immer noch zu viele.
Wie viele werden es wohl in diesem Jahr sein? Wir sind
gespannt.

Es sei zugestanden, dass aufgrund der geringen Bevöl-
kerungszahlen und auch des unterschiedlichen sportli-
chen Interesses sich die olympischen Mannschaften man-
cher Länder nur auf ganz bestimmte Sportarten konzen-
trieren oder Frauen sich nicht qualifizieren konnten.


(Irmgard Karwatzki [CDU/CSU]: Noch nicht!)

So ist es aber immer noch eine andere Frage, ob ich es
sportbegeisterten jungen Mädchen und Frauen, die es
auch in diesen Ländern gibt, generell verbiete, Sport zu
treiben, was ein ureigenes menschliches Bedürfnis ist,
oder ob ich ihnen zumindest die grundsätzliche Möglich-
keit einräume, sich in ihren Sportarten und entsprechend
ihren sportlichen Neigungen für ein solches Weltereignis
zu qualifizieren. Dies setzt aber voraus, dass diese Staaten
den Frauen Trainingsmöglichkeiten zur Verfügung stel-
len, wie sie auch den Männern zustehen. Auch dürfen ver-
meintlich religiöse Kleiderordnungen nicht einem sportli-

chen Training entgegenstehen, wenn die Frauen von sich
aus dieses Recht wahrnehmen wollen.

Grundsätzlich hat dieses Problem nichts mit Religion
zu tun. Schließlich gibt es auch eine Reihe islamischer
Staaten, die ihre hervorragenden Sportlerinnen nach Aus-
tralien schicken werden; dies betone ich ausdrücklich. Sie
werden im Koran eine Reihe von Frauen finden, bei-
spielsweise die Tochter des Propheten Mohammed, die
man nach heutiger Sichtweise durchaus als emanzipierte
Frauen bezeichnen würde.

100 Jahre nach der Teilnahme der ersten Frauen an
Olympischen Spielen der Neuzeit sollte die Emanzipation
so weit fortgeschritten sein, dass mit Beginn des 21. Jahr-
hunderts diese Diskriminierung überwunden ist. Daran
müssen wir mitwirken.

Ein Einwurf sei mir als ehemalige DDR-Bürgerin im
Zusammenhang mit Diskriminierung von Frauen im
Sport und vor dem Hintergrund der gerade laufenden Pro-
zesse gegen Trainer und Funktionäre der ehemaligen
DDR in Bezug gerade auf das Doping von jungen Men-
schen erlaubt. Die DDR, die Sowjetunion und die meisten
sozialistischen Staaten sahen in der Olympiade auch ein
wichtiges ideologisches Propagandamittel, um die Über-
legenheit des Sozialismus durch ihre Sportlerinnen und
Sportler zu demonstrieren. Das Doping unserer DDR-
Frauen gehörte da leider zur Tagesordnung, um zu zeigen,
wozu der Sozialismus gerade auch hinsichtlich der sport-
lich emanzipatorischen Förderung von Frauen fähig ist.

Auch hier wurden Frauen benutzt und aufgrund der un-
verantwortlichen Betreuung durch Funktionäre zu hor-
monell behandelten Wettkampfmaschinen herangezogen,
ohne dass Rücksicht auf gesundheitliche Folgen genom-
men worden wäre. Ich habe selber solche Mädchen ken-
nen gelernt, die später unter der Dopingbehandlung ge-
sundheitlich schwer litten, zumal man ihnen diese Mittel
meist ohne Information über die Folgen verabreichte.
Auch wurden sie später oft allein gelassen, wenn sie nicht
als Kader verwendet werden konnten, und hatten so große
Probleme mit dem Abtrainieren.

Diese Praxis war genauso menschenverachtend wie
der völlige Ausschluss von Sportlerinnen. Auch das will
natürlich keiner. Diese Praxis findet heute zum Glück
auch die juristische Würdigung durch ordentliche Ge-
richte.

Uns geht es in diesem Zusammenhang um die
grundsätzliche Achtung der Würde der Frau und die Er-
möglichung der Wahrnehmung ihrer Rechte und Chancen
und nicht um ihre Instrumentalisierung für Ideologien und
Religionen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411418400
Als einzigem
männlichen Redner in dieser Debatte erteile ich jetzt dem
Abgeordneten Winfried Hermann das Wort.




Monika Brudlewsky

10859


(C)



(D)



(A)



(B)



Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411418500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hoffe,
man muss sich in diesem Haus nicht dafür entschuldigen,
dass man als Mann zur Diskriminierung von Frauen
spricht. Ich glaube nämlich, dass es eine moderne Auffas-
sung ist, dass sich auch die Männer um die Beseitigung
von Diskriminierungen kümmern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Ich möchte meine Rede gern mit einem kleinen histo-
rischen Exkurs beginnen; denn man kann die Diskrimi-
nierung nicht verstehen, ohne die Geschichte der Olym-
pischen Spiele ein wenig zu kennen. Man könnte viel-
leicht zugespitzt sagen: Die Geschichte der Olympischen
Spiele war schon immer auch eine Geschichte von Dis-
kriminierung.

In Griechenland waren die Olympischen Spiele sicher-
lich etwas anders als in der modernen Welt, aber einige
Parallelen sind erkennbar. In Griechenland waren nur
Männer als Athleten zugelassen; Frauen waren nur als Zu-
schauerinnen zugelassen, wenn sie jung und unverheira-
tet waren. Die Kampfrichter waren Männer; lediglich eine
Priesterin, die alle vier Jahre gewählt wurde, hatte gewis-
sermaßen die Oberaufsicht. Das war eine merkwürdige
Konzeption, dennoch war es eigentlich eine Männerver-
anstaltung.

Die modernen Olympischen Spiele von Pierre de
Coubertin haben im Grunde genommen diese Tradition
aufgenommen – Sie schmunzeln schon –: Es war wie-
derum eine Männerveranstaltung. 1896 waren keine
Frauen dabei, 1900 waren nur wenige Frauen vertreten.
Sie waren eher geduldet als erwünscht. Erst 1928 hat man
sich durchringen können, Frauen offiziell zu akzeptieren.

Dann hat eine neue Form von Diskriminierung, dies-
mal im positiven Sinne, begonnen: Man hat zwischen ge-
mischten und reinen Frauenwettbewerben unterschieden.
Ich glaube, man muss anerkennen, dass im Sport mehr als
anderswo sichtbar wird, dass Mann und Frau zwar im
Prinzip gleich sind, aber in mancher Hinsicht eben doch
nicht. Deswegen macht es auch Sinn, dass Männer und
Frauen in unterschiedlichen Wettbewerben antreten.
Frauen dürfen aber nicht per se vom Sport und von Olym-
pischen Spielen fern gehalten werden.

Die Geschichte der folgenden Jahre und Jahrzehnte
war eine Geschichte des Kampfes der Frauen für die Be-
teiligung an den Spielen. Sie haben es gerade aufgelistet,
wie Spiel um Spiel immer mehr Frauen hinzugekommen
sind. Aber auch heute können wir immer noch feststellen,
dass eine Beteiligung in vielen Ländern nicht gelungen
ist. Zum Teil gibt es völlig geschlechtsspezifische Mann-
schaften. Ich warne aber davor, das als Phänomen des Is-
lams zu geißeln – Sie haben das hier nicht getan, aber man
liest es bisweilen in der Sportpresse, nach dem Motto, die
harten Islamstaaten lassen die Frauen nicht zu den Olym-
pischen Spielen –, denn es sind weit mehr als nur die is-
lamischen Staaten. Es gibt auch anderswo Diskriminie-
rungen. Oft ist es nicht eine verfassungsmäßige Diskrimi-
nierung, sondern eine kulturelle, und das ist vermutlich
auch das eigentliche und größere Problem.

Das gilt übrigens auch für die anderen Bereiche, nicht
nur für die Mannschaften. Schauen Sie sich einmal die
Nationalen Olympischen Komitees oder das IOC an. Das
sind reine Männerklubs, Altherrenklubs, in denen Frauen
lange Zeit überhaupt nicht vorgekommen sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Mühsam macht das IOC jetzt eine Kampagne, um
mehr Frauen für den Bereich der Organisation und des
Managements zu gewinnen. Dort finden sich erst 10 Pro-
zent bis 20 Prozent Frauen. Das ist angesichts der Tatsa-
che, dass wir im 21. Jahrhundert leben, beschämend. Hier
gibt es noch viel Nachholbedarf, übrigens auch in
Deutschland. Wir haben, glaube ich, keinen Grund, allzu
hochnäsig zu sein und auf andere Staaten zu zeigen, nur
weil sie keine Frauen in ihren Olympiateams haben. Bei
uns haben wir bei Funktionären reine Männermannschaf-
ten. Auch das ist unerträglich.

Ich glaube, dass die Staaten, in denen Frauen verfas-
sungsmäßig explizit vom Sport ausgeschlossen werden,
hart sanktioniert werden müssen, und zwar bis hin zum
letzten Mittel, dem Ausschluss von Olympischen Spielen.
Ich möchte allerdings nicht einer pauschalen harten Aus-
grenzung das Wort reden.


(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.]: Das ist richtig!)


Ich glaube, das wäre nicht klug.
Zur Geschichte der Olympischen Spiele gehörten auch

immer politisch begründete Boykotts. So hat man etwa
bei den Olympischen Spielen 1980 in Moskau durch den
Boykott der westlichen Staaten versucht, den Krieg der
Sowjetunion in Afghanistan zu verhindern, was nicht ge-
lungen ist und eher zum Schaden der Olympischen Spiele
war. Auch das Vorgehen 1984 in Los Angeles – der Re-
vancheboykott der kommunistischen Staaten – war nicht
sinnvoll. Auf der anderen Seite steht der sehr erfolgreiche
Ausschluss der Südafrikanischen Republik über viele
Jahre hinweg, weil sie Apartheidrepublik war. Dort hat es
auch etwas geholfen. Also kann so etwas im Einzelfall
sehr wohl politisch wirken. Deswegen muss man sich das
Verhängen von Sanktionen genau überlegen.

Im Großen und Ganzen wird es wahrscheinlich darauf
ankommen, Staaten, die diskriminierende Kulturen ha-
ben, trotzdem an Olympischen Spielen teilnehmen zu las-
sen, ihnen aber deutlich zu signalisieren, dass man Frau-
endiskriminierung nicht akzeptieren kann. Ich glaube,
dass Beteiligung statt Ausgrenzung eher zu einer Moder-
nisierung dieser Staaten und Kulturen führt und dies am
ehesten der Politik der Nichtdiskriminierung förderlich
ist. In diesem Sinne glaube ich, dass wir noch viele Jahre
des Streitens für Olympische Spiele ohne Diskriminie-
rung vor uns haben.

Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)







(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411418600
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1411418700

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Der Antrag, der uns heute beschäftigt, ist nach noch
streitiger Behandlung vor vier Jahren, nämlich 1996 zu
den Olympischen Spielen in Atlanta, jetzt ein gemein-
samer Antrag der Fraktionen. 1996 gab es getrennte An-
träge – nach dem alten Muster: Regierungskoalition auf
der einen Seite, Oppositionsfraktionen auf der anderen
Seite. Inhaltlich haben sie sich mehr kosmetisch denn in
der Sache unterschieden. Heute sind wir jedenfalls in die-
sem Punkt etwas weiter. Gerade die jetzigen Oppositions-
fraktionen zeigen, dass es ihnen hier um ein vernünftiges
Befassen mit dem Thema geht. Dies ist also schon einmal
ein wirklicher Fortschritt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

In meinen Augen ist es selbstverständlich – dies haben

auch alle hier gesagt –, die Diskriminierung von Frauen
bei Olympischen Spielen, wie aber natürlich auch in allen
anderen Bereichen, und hier besonders das Fernhalten
von Frauen vom sportlichen Wettbewerb anzuprangern.
Schlimm ist, dass es dies nach wie vor gibt. Wir haben
heute schon einige Bemerkungen zur Entwicklung und
zur Geschichte hören können.

Bewirkt der Antrag denn irgendetwas? Bewirkt er et-
was beim Internationalen Olympischen Komitee, einem
Gremium mit 113 Mitgliedern und noch nicht einmal
zehn Frauen? Hieran habe ich erhebliche Zweifel. Ich
habe heute in Vorbereitung auf diese Debatte versucht,
mit IOC-Vertretern zu sprechen. Soweit sie zu erreichen
waren, waren sie auf dieses Thema überhaupt nicht anzu-
sprechen. Ich denke, so wird es auch weitergehen.

Selbstverständlich ist das IOC nach seinem Statut ver-
pflichtet, zu versuchen – und entscheidend darauf hinzu-
wirken –, jegliche Diskriminierung, aus welchen Gründen
auch immer, zu beseitigen. Dies ist nun einmal das wich-
tigste Grundprinzip der Charta des Internationalen Olym-
pischen Komitees. Nur dann kann gemäß dem Haupt-
grund für die olympische Bewegung ein Beitrag zu einer
friedlicheren und besseren Welt geleistet werden, wie es
in diesen schönen hehren Worten in der Charta des IOC
geschrieben steht.

Für den Deutschen Bundestag ist es ein Leichtes, die-
sen Antrag zu beschließen. Er kostet uns nichts – er kos-
tet kein Geld, er kostet keinen Aufwand – als die Ausei-
nandersetzung und die Debatte heute. Aber was kann er
tatsächlich bewirken? In meinen Augen kann er dann et-
was bewirken, wenn wir deutlich machen, dass die Ursa-
chen der Diskriminierung von Frauen in vielen Staaten
in religiösen und kulturellen Bereichen liegen, dort lange
Wurzeln und Traditionen haben, und dass ohne Kenntnis
und Analyse dieser gesellschaftspolitischen Hintergründe
vor allem in den Staaten, in denen Frauen überhaupt keine
Möglichkeit haben, im alltäglichen Bereich Sport auszu-
üben, keine wirksamen Maßnahmen ergriffen werden
können. Auf diese Hintergründe müssen wir eingehen.
Man muss versuchen, dies zum Gegenstand von Politik zu
machen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bin der Auffassung, dass dieser Antrag, der heute
beschlossen werden soll, auch ein Auftrag an die Bundes-
regierung ist, sich die große Mehrheitsmeinung hier im
Plenum, im Bundestag zu Eigen zu machen. Sie sollte dies
gerade in der Außenpolitik, in den kritischen Dialogen mit
den Ländern, in denen Menschenrechte verletzt werden,
zum Thema machen. Es ist bereits zu Recht gesagt wor-
den: Frauen überhaupt nicht die Möglichkeit zu sport-
licher Betätigung zu geben ist eine Verletzung ihrer
Rechte und eine Verletzung von Menschenrechten. Des-
halb, denke ich, sollten wir hier heute Einvernehmen da-
rüber erzielen, dass es zum einen eine Verpflichtung des
Bundestages ist, dieses Problem in Debatten deutlich zu
machen, und dass es zum anderen immer auch Gegen-
stand der Dialoge der Bundesregierung mit diesen Län-
dern sein muss und offen und ehrlich eingefordert werden
muss. Es gibt schon nächste Woche bei dem Besuch des
iranischen Präsidenten in Deutschland Gelegenheit, das
mit Nachdruck zu tun.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411418800
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Petra Bläss.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411418900
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Die Stoßrichtung des interfraktionel-
len Antrags ist richtig und auch notwendig. Die Kollegin
Graf hat bereits aus der olympischen Charta zitiert und be-
tont, dass Diskriminierung aufgrund des Geschlechts mit
der olympischen Bewegung unvereinbar ist.

Dennoch werden Frauen auch bei Olympischen Spie-
len systematisch diskriminiert. Wir haben in der Debatte
bereits einige Beispiele dafür gehört. Ich war, ehrlich ge-
sagt, ziemlich überrascht, zu lesen, dass bei den Olympi-
schen Spielen 1996 immerhin noch 35 Länder aus-
schließlich Männer in ihre Mannschaften nominiert hatten.
Es ist bekannt, dass Frauen gerade in diesen Ländern – die
Kollegin Graf hat bereits einige Staaten aufgezählt; des-
halb kann ich mir das an dieser Stelle sparen – grundle-
gende Menschenrechte nach wie vor verweigert werden.
Diese Woche ging durch die Presse, dass Frauen in Ku-
wait nicht wählen dürfen. Erst recht haben sie nicht die
Chance, im Sport zu gleichen Rechten wie die Männer zu
kommen.

Dennoch greift es zu kurz, dieses Problem allein mit
kultureller Tradition abzutun. Hier werden Frauenrechte
unterdrückt. Die kürzlich stattgefundene UN-Sonderge-
neralversammlung Peking plus Fünf in New York hat
noch einmal bekräftigt, was bereits im Rahmen der UN-
Weltkonferenz des Jahres 1995 festgeschrieben wurde:
Frauenrechte sind Menschenrechte und unteilbar,


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)







(C)



(D)



(A)



(B)


das heißt, auch nicht mit der Berufung auf kulturelle Tra-
ditionen zu relativieren und einzuschränken.

Südafrika durfte von 1964 bis 1988 nicht an den Olym-
pischen Spielen teilnehmen mit der Begründung, das
Apartheidsystem widerspreche der olympischen Idee und
ihrer Charta. Bei den genannten Staaten haben wir es mit
Geschlechterapartheid zu tun, was der olympischen
Charta genauso widerspricht. Wo bleiben die Konsequen-
zen des Internationalen Olympischen Komitees? Der vor-
liegende Antrag ist hier meines Erachtens sehr allgemein
geblieben. Die notwendige Forderung, die entsprechen-
den Länder von der Teilnahme an den Olympischen Spie-
len auszuschließen, fehlt.


(Beifall bei der PDS)

Der Kollege Hermann hat bereits darauf verwiesen:

Die Diskriminierung von Frauen ist schon in der Struktur
des IOC angelegt; denn das Exekutivkomitee des IOC be-
steht ausschließlich aus Männern. Schon das allein ist ein
Skandal und muss geändert werden.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei den Olympischen
Spielen geht es nicht nur um sportliche Ehre, sondern be-
kanntlich auch um viel Geld. Wir sollten auch an die mil-
lionenschweren Sponsorinnen und Sponsoren appellie-
ren, ihren Einfluss geltend zu machen und zu verlangen,
dass Geschlechterapartheid bekämpft wird.

Lassen Sie mich abschließend noch eine kurze Bemer-
kung machen, die ich mir gern erspart hätte: Einmal mehr
stellt sich das Parlament bei einem wichtigen interfraktio-
nellen Anliegen ein Armutszeugnis aus. Es ist traurig,
dass bei einem solchen Thema, bei dem es offensichtlich
im Hause Konsens gibt, politische Ausgrenzungsbe-
schlüsse wieder über das gemeinsame Sachinteresse – ich
sage das jetzt bewusst in sportlichem Jargon – gesiegt ha-
ben. Ich hoffe, dass das jetzt zum letzten Mal der Fall war.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS, der SPD, dem BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411419000
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Christine Lehder.


Christine Lehder (SPD):
Rede ID: ID1411419100
Sehr geehrte Frau Präsiden-
tin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Diskrimi-
nierung von Frauen im Sport ist vielseitig. Von meinen
Vorrednerinnen und meinem Vorredner wurden schon ei-
nige Facetten aufgegriffen. Ich möchte einen bereits an-
geführten Punkt beleuchten, nämlich die Diskriminierung
von Frauen bei der Besetzung von Entscheidungs-
positionen in internationalen und nationalen Sportorga-
nisationen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Fangen wir jedoch mit etwas Erfreulichem an. Wie wir
alle wissen, ist das Vereinsleben generell männlich domi-

niert, was natürlich auf eine bestimmte Rollenverteilung
in vergangener Zeit zurückzuführen ist. Diese ehemals
klassische Rollenverteilung bricht Gott sei Dank immer
weiter auf und schreitet unaufhaltsam in Richtung Gleich-
berechtigung voran. Auch vor den Sportvereinen macht
diese Entwicklung nicht Halt. So ist die Zahl der Mit-
gliedschaften von Frauen in den Sportvereinen stetig ge-
stiegen und liegt im Moment bei 38,6 Prozent.

Aber leider können wir uns nicht allzu sehr darüber
freuen. Es ist nämlich festzustellen, dass Frauen gemes-
sen an dieser Entwicklung in den Führungsgremien der
Sportorganisationen noch immer unterrepräsentiert sind.
So beträgt beispielsweise der Anteil der Frauen in den
Präsidien der Landessportverbände lediglich 17 Prozent.
Als ostdeutsche Abgeordnete bin ich dabei stolz darauf,
dass gerade in den neuen Bundesländern ein ständiger
Anstieg zu verzeichnen ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Fakt ist aber, dass dieser Anteil bei weitem noch nicht
die Zahl der weiblichen Mitglieder widerspiegelt. Hier
besteht also dringend Handlungsbedarf. Es kann nicht
sein, dass Frauen, die in gleichem Maße leistungsfähig
und qualifiziert sind wie Männer, immer noch bei der
Vergabe von Führungspositionen benachteiligt werden
bzw. sich selbst benachteiligen, indem sie manchmal zu
zurückhaltend auf sich bietende Gelegenheiten reagieren.

Ziel muss es sein, eine wirkliche Gleichstellung von
Männern und Frauen zu erreichen; „gendermainstream-
ing“ scheint für mich hierbei der richtige Ansatz zu sein.
Dieses Leitprinzip der Bundesregierung sieht vor, bei al-
len Planungen, Gesetzesvorhaben und Programmen die
Gleichbehandlung von Männern und Frauen zu berück-
sichtigen. Dies ist meiner Ansicht nach auf andere Felder
und Bereiche beliebig übertragbar und könnte dement-
sprechend auch Bestandteil des Handlungsmus-ters von
Sportorganisationen werden.

Ich denke, dass über diesen Weg mehr Akzeptanz er-
reicht werden kann – übrigens auch bei Männern – als mit
einer isolierten Betrachtung der frauenspezifischen Be-
lange. Das Präsidium des NOK für Deutschland hat im
Februar 2000 beschlossen, bis zum Ende des Jahres einen
konkreten Aktionsplan zur Förderung von Frauen zu erar-
beiten, in dem „gender mainstreaming“ ein große Rolle
spielt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu Beginn dieses
Jahrtausends sind sehr viel mehr Frauen in den Präsidien
der Spitzenverbände und Landessportbünde vertreten als
noch vor zehn Jahren. Doch im Vergleich zur Politik ist
die Teilhabe von Frauen an der Verantwortung im Sport in
Deutschland noch erheblich im Rückstand. Es liegt nicht
nur im Interesse der Frauen, dieses Defizit aufzuholen und
sich ausreichende Mitwirkungsmöglichkeiten im Sport zu
eröffnen. Es sollte auch an die demokratische Legitima-
tion der Vereine und Verbände gedacht werden, die in der
Zukunft auch an der Frage der Teilhabe von Frauen ge-
messen werden.


(Vo r s i t z : Vizepräsidentin Petra Bläss)





Petra Bläss
10862


(C)



(D)



(A)



(B)


Der DSB ist mit einer Satzungsänderung auf dem rich-
tigen Weg. Hierin wird festgeschrieben, dass der Anteil
von Frauen in den Bundesausschüssen entsprechend ihren
Mitgliederzahlen ausgerichtet werden soll und dass Frau-
en mindestens eine Funktion als Präsidentin bzw. Vize-
präsidentin ausüben sollen.

Auch das IOC kann die Augen vor diesen Entwicklun-
gen nicht verschließen. In seiner Resolution der 2. IOC-
Weltkonferenz zum Thema „Frauen und Sport“ steht
geschrieben – es wurde hier ja auch schon mehrfach er-
wähnt –:

Die Konferenz erinnert daran, dass das Ziel der
Olympischen Bewegung der Aufbau einer friedvol-
len und besseren Welt durch den Sport und das olym-
pische Ideal ohne Diskriminierung irgendwelcher
Art ist.

Durch einige Punkte des Forderungskataloges wird
aber dennoch deutlich, wie groß die Diskriminierung in
den eigenen Reihen ist. So fordert das IOC, bis zum Ende
des Jahres 2000 – es wurde schon von Herrn Hermann und
von Frau Leutheusser-Schnarrenberger erwähnt – eine
10-prozentige Mindestvertretung von Frauen in Entschei-
dungspositionen zu erreichen, was schon 1996 vom IOC
beschlossen wurde und leider immer noch nicht vollstän-
dig umgesetzt ist. Ein weiterer Punkt ist die Forderung
nach einer Mindestvertretung von wenigstens einer Re-
präsentantin in nationalen Delegationen bei den interna-
tionalen und regionalen Versammlungen. Dieser Stand ist
bei der Besetzung ebenfalls noch nicht erreicht. Das emp-
finde ich als sehr bedenklich. Ich kann nur immer wieder
daran erinnern, dass wir uns im Jahre 2000 befinden und
nicht im 18. Jahrhundert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, für mich ist es un-
vorstellbar, dass es keine ausreichende Beteiligung von
Frauen in den einzelnen Gremien gibt. Ich denke da an die
vielen weiblichen Spitzensportlerinnen, die uns überall
auf der Welt bei den Wettkämpfen vertreten, wie zum Bei-
spiel Gunda Niemann-Stirnemann im Eisschnelllauf,
Birgit Fischer im Kanusport oder Steffi Graf im Tennis,
um nur einige unter den vielen zu nennen.

Hier muss endlich etwas passieren. Die Sportorganisa-
tionen auf den unterschiedlichen Ebenen stellen sich
durch diese Diskriminierung auf lange Sicht ein Armuts-
zeugnis aus. Jetzt ist Handeln angesagt!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411419200
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Irmgard Karwatzki für die
CDU/CSU-Fraktion.


Irmgard Karwatzki (CDU):
Rede ID: ID1411419300
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich nehme mit
einem lachenden und einem weinenden Auge zur Kennt-
nis, dass von dem für den Sport zuständigen Ministerium
kein Vertreter auf der Regierungsbank sitzt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Der Minister muss heute einen wichtigen Termin wahrnehmen! – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Der Sportminister muss heute feiern!)


Ich will hier nur anmerken: Würden wir hier heute
schon über die Fußballweltmeisterschaft 2006 reden, säße
nicht nur der Minister auf der Regierungsbank. Ich will
nicht bezweifeln, dass der Minister noch in Zürich ist und
erwarte auch gar nicht, dass er hier sitzt. Ich halte es aber
für eine Missachtung des Parlaments, dass sein Haus
überhaupt nicht vertreten ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Da gebe ich Ihnen Recht!)


– Lieber Herr Kollege Schmidt, ich sage das noch sehr
freundlich. Ich weiß noch aus meiner Zeit als Parlamen-
tarische Staatssekretärin, dass in vergleichbaren Fällen
Kollegen aus Ihrer Fraktion gefordert haben, man müsse
von 9 Uhr morgens bis 1 Uhr nachts auf der Regierungs-
bank sitzen. Insofern bitte ich, weiterzugeben, dass es so
nicht geht.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ich habe Ihnen gerade zugestimmt!)


– Ich bedanke mich sehr dafür, aber wir wollen hoffen,
dass sich das in Zukunft ändert.

Die Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger hat eben
bereits gesagt, sie finde es begrüßenswert, dass wir uns
darauf verständigt hätten, einen gemeinsamen Antrag ein-
gebracht zu haben. Ich bin in Kollegenkreisen gefragt
worden, ob es nichts Wichtigeres gebe, als sich für die Be-
lange von Frauen im internationalen Sport zu engagie-
ren.


(Gernot Erler [SPD]: Das müssen Kollegen von der Union gewesen sein!)


– Ich glaube, es waren auch einige von Ihnen dabei.
Zugegeben: Es gibt Ärgerlicheres auf der Welt. Doch

wenn sich die Vorkämpferinnen der Frauenrechte in früh-
eren Jahren oder die Lobbyisten in anderen Bereichen –
davon gibt es ja sehr viele – das auch jedes Mal gefragt
hätten, wären viele Fortschritte für die Menschen nicht er-
reicht worden. Deshalb halte ich die erneuten Appelle an
die Entscheidungsträger beim Internationalen Olympi-
schen Komitee, die olympische Charta einzuhalten, nach
wie vor für wichtig. Es lohnt, sich dafür einzusetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Ich will nicht so viel von dem zitieren, was meine Vor-
rednerinnen und Vorredner aus allen Parteien hinsichtlich
der Wichtigkeit des olympischen Geistes, der Freund-
schaft, der Solidarität und des Fairplay gesagt haben. Es
ist alles gesagt worden und man braucht es nicht zu wie-
derholen. Ich möchte nur noch eines herausstellen: Wir
müssen weiter daran arbeiten, dass sich die Sichtweise der
Männer ändert. Eben hat jemand gesagt, sowohl das
Internationale Olympische Komitee als auch die Nationa-
len Olympischen Komitees würden mehrheitlich von




Christine Lehder

10863


(C)



(D)



(A)



(B)


Männern beherrscht. Dennoch glaube ich, dass in der
Zwischenzeit eine Sensibilisierung dahingehend eingetre-
ten ist, dass es ohne Frauen auch im Sport und in den
Führungsgremien des Spitzensports nicht geht. Insofern
wurde in dieser Richtung eine Öffnung für viele Sportar-
ten erreicht.

Ich glaube dennoch, dass wir damit nicht zufrieden
sein können. Die wenigen Frauen, die in diesen Gremien
heute Verantwortung tragen – das ist ähnlich wie hier im
Parlament –, sind aufgefordert, für die Frauen möglichst
das zu erreichen, was aus der Sicht von Frauen im Sport
stärker zum Tragen kommen sollte. Die Frauen, die Ver-
antwortung tragen, müssen sich an der Lösung der Pro-
bleme im Hochleistungssport beteiligen. Die Frauen müs-
sen sich in diesen Gremien auch stärker mit dem Kampf
gegen das Doping beschäftigen. Es ist weiter wichtig, sich
mit den ständig steigenden Leistungsstandards kritisch
auseinander zu setzen.

Abschließend: Es ist eigentlich ein Skandal, dass wir
uns zu Beginn des dritten Jahrtausends mit der Frage der
Diskriminierung von Frauen im Sport beschäftigen müs-
sen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so wie bei Abgeordneten der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411419400
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen
und F.D.P. zur Diskriminierung von Frauen bei den Olym-
pischen Spielen in Sydney 2000, Drucksache 14/3769.
Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen
des ganzen Hauses angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 sowie die Zusatz-
punkte 8 bis 11 auf:
13. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. R.

Werner Schuster, Joachim Tappe, Brigitte Adler,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-
Loßack, Hans-Christian Ströbele, Kerstin Müller

(Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜND-

NIS 90/DIE GRÜNEN
Afrikas Entwicklung unterstützen
– Drucksache 14/3701 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Joachim
Tappe, Dr. R. Werner Schuster, Wilhelm Schmidt

(Salzgitter), Dr. Peter Struck und der Fraktion der

SPD sowie der Abgeordneten Dr.Angelika Köster-
Loßack, Hans-Christian Ströbele, Kerstin Müller

(Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜND-

NIS 90/DIE GRÜNEN

Friedensbemühungen am Horn von Afrika ver-
stärken
– Drucksache 14/3767 –

ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. R.
Werner Schuster, Joachim Tappe, Brigitte Adler,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-
Loßack, Hans-Christian Ströbele, Kerstin Müller

(Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜND-

NIS 90/DIE GRÜNEN
Demokratische und friedliche Kräfte im
Sudan unterstützen
– Drucksache 14/3768 –

ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Joachim
Tappe, Dr. R. Werner Schuster, Wilhelm Schmidt

(Salzgitter), Dr. Peter Struck und der Fraktion der

SPD sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-
Loßack, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch
und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Konflikt in der Region der Großen Seen einge-
dämmt – nicht gelöst
– Drucksache 14/3791 –

ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Carsten
Hübner, Fred Gebhardt, Heidi Lippmann, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Äthiopien
und Eritrea
– Drucksache 14/3547 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kol-
lege Joachim Tappe von der SPD-Fraktion.


Joachim Tappe (SPD):
Rede ID: ID1411419500
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Obwohl ich weiß, dass das Aus-
wärtige Amt konzeptionell an einer neuen Afrikapolitik
arbeitet, möchte ich unsere afrikapolitische Debatte am
heutigen Tage mit einer kritischen These einleiten, die
meines Erachtens den derzeitigen Zustand treffend be-
schreibt: Die deutsche Afrikapolitik agiert seit vielen Jah-
ren sowohl unterhalb ihrer Möglichkeiten als auch – das
halte ich für sehr viel gravierender – unterhalb der objek-
tiven Notwendigkeit. Stattdessen befindet sie sich durch-
aus im Einklang mit der öffentlichen Meinung, die ange-
sichts der zahlreichen Krisen und Konflikte in Afrika die
Frage stellt, weshalb wir uns – auch mit Blick auf die Pro-
bleme im eigenen Land oder angesichts der europäischen
Herausforderungen – überhaupt noch um Afrika küm-
mern. Selbst in diesem Hause hat es erheblichen Recht-
fertigungsdruck für die heutige Debatte gegeben.


(Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Leider!)





Irmgard Karwatzki
10864


(C)



(D)



(A)



(B)


Realität ist, dass nach dem Wegfall des Ost-West-Kon-
fliktes Afrika politisch marginalisiert worden ist und
tatsächlich zum vergessenen Kontinent mutiert, der ledig-
lich dann Aufmerksamkeit erzielt, wenn wieder einmal
Bilder von hungernden oder sterbenden Kindern als Aus-
druck einer humanitären Katastrophe an unser Mitleid ap-
pellieren.

Dass die afrikanischen Länder in der deutschen Außen-
politik – noch, wie ich hoffe – eine niedrige Priorität ge-
nießen, halte ich für einen schweren Fehler. Deshalb be-
grüße ich es sehr, dass es in der Bundesregierung ernst-
hafte Überlegungen gibt, unsere Afrikapolitik neu zu
justieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Deutsche Bundestag will sich mit der heutigen De-
batte konstruktiv in diese Diskussion einbringen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Afrikapolitik ist
auch Interessenpolitik. Ich will von den vielfältigen
deutschen Interessen gegenüber Afrika zwei exem-
plarisch benennen, die in der öffentlichen Diskussion
meines Erachtens nicht die notwendige Aufmerksamkeit
finden: erstens unser existenzielles Interesse an einer sta-
bilen und friedlichen Weltordnung, die ohne Afrika mit
seinen bald 1 Milliarde Menschen nicht möglich ist. Das
bedeutet: Die Länder Subsahara-Afrikas dürfen nicht dem
Staatsverfall, dem Chaos und auch nicht kriminellen und
korrupten Despoten ausgeliefert werden, auch wegen der
Gefahren des Übergreifens solcher Beispiele, wie wir sie
leider zuhauf aus Afrika kennen, auf andere Weltregionen.

Das Auseinanderklaffen der Nord-Süd-Wohlstands-
schere verstärkt zusätzlich die weltweite politische Insta-
bilität, deren sichtbare Zeichen der internationale Terro-
rismus mit all seinen innenpolitischen Implikationen und
natürlich auch der religiöse Fundamentalismus sind. Ich
verweise hierbei auch auf den sich verstärkenden Migra-
tionsdruck, gerade aus Afrika.

Zweitens. Ein weiteres, überragendes Interesse deut-
scher Politik an Afrika liegt im Erhalt dieses riesigen Öko-
systems für den globalen Lebensraum Erde. Dabei müs-
sen wir uns klarmachen, dass Afrika Opfer und weniger
Verursacher der kontinentalen Umweltzerstörung ist.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der PDS)


Desertifikation, Bodendegradation und hohe Wasser-
knappheit, verstärkt durch ein hohes Bevölkerungswachs-
tum, und die damit verbundene Erschöpfung und Zer-
störung ökologischer Ressourcen sind in jüngster Vergan-
genheit bereits Ursache für heftige und blutige Konflikte
gewesen. Wenn wir nicht helfen, diese Probleme wirksam
zu lösen, dann werden unsere Kinder und Enkel die Kon-
sequenzen und Auswirkungen teuer bezahlen müssen.

Zur Wahrung dieser zentralen Interessen scheint mir
eine stärkere Gewichtung deutscher Afrikapolitik not-
wendig zu sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Jeder von uns weiß, dass die Architektur der Weltfi-
nanzen, die hohe Verschuldung, das Abgekoppeltsein von
den Globalisierungsprozessen und die Terms of Trade ne-
ben den hausgemachten Ursachen die größten Entwick-
lungshemmnisse für die Afrikaner darstellen. Nun weiß
auch ich, dass im bilateralen Kontext vieles unzulänglich
und unzureichend bleiben wird. Deshalb sollten die Ver-
treter der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik im
Rahmen der GASP stärker auf eine Europäisierung der
Afrikapolitik drängen, selbst dann, wenn wir mit franzö-
sischen, britischen oder auch mit amerikanischen Interes-
sen in Konflikt geraten sollten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Erste Schritte hin zu einer europäischen Koordinierung ist
die Bundesregierung – dankenswerterweise – bereits ge-
gangen.

Meine persönliche Afrikaerfahrung lehrt mich, dass
trotz umfangreicher Hilfen, die seit mehr als 30 Jahren ge-
leistet werden, der Armutsgraben noch tiefer geworden
ist, auch deshalb, weil nicht immer die richtigen Prioritä-
ten gesetzt worden sind,


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: So ist es!)

zu vieles unkoordiniert und in Konkurrenz zueinander ge-
schieht, worunter die Effizienz gelitten hat. Eine Entmy-
thologisierung der weltweiten Entwicklungszusammen-
arbeit scheint mir deshalb unausweichlich zu sein.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Dieser Effizienzdebatte müssen wir uns zwar stellen.
Aber diese Diskussion – das fordere ich bewusst als
Außenpolitiker – darf nicht nur unter entwicklungspoliti-
schen Gesichtspunkten geführt werden. Wir müssen
Afrika endlich auch als außenpolitischen Faktor wahr-
nehmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dazu gehört auch – das sage ich durchaus kritisch auch in
Richtung Bundesregierung – das Überdenken der Bot-
schaftsschließungen und der unzureichenden Möglichkei-
ten deutscher Kulturpolitik in Afrika.


(Beifall im ganzen Hause)

In unserem Engagement für Afrika sollten wir uns trotz

aller Rückschläge, die es in verstärktem Maße in den letz-
ten Jahren gegeben hat und die es leider auch in Zukunft
geben wird, nicht entmutigen lassen. Die Wunden Afri-
kas, so sagte mir jüngst ein afrikanischer Freund, sind un-
sere Politiker, die ihre eigenen Interessen vor das Wohler-
gehen der Menschen stellen. Wir haben – daran sollten wir
uns durchaus erinnern – in der Vergangenheit oft genug
auf das falsche Pferd gesetzt. Jedem Abgeordneten in die-
sem Hause fallen in diesem Zusammenhang sicherlich
entsprechende Namen ein.




Joachim Tappe

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(C)



(D)



(A)



(B)


Trotz aller Probleme, die Afrika hat, wage ich eine wei-
tere These: Afrika ist der Kontinent der Zukunft.


(Beifall bei der SPD)

Es wird zwar noch drei oder vier Generationen dauern.
Aber den Afrikanern wird der Übergang von dem riesigen
Spagat, den sie heute noch machen müssen, nämlich mit
einem Bein in der Eisenzeit und mit dem anderen in der
Moderne zu stehen, zum aufrechten Gang gelingen.

Ich gründe meine These auf Beobachtungen, die ich in
den letzten zwei, drei Jahren bei meinen zahlreichen Be-
suchen in Afrika verstärkt machen konnte. Ich will einige
signifikante Beobachtungen nennen.

Erstens. Zunehmend mehr Afrikaner begreifen den Un-
terschied zwischen Befreiung und Freiheit.

Zweitens. Die jungen afrikanischen Eliten in Politik,
Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur, die nicht durch den
Unabhängigkeitskampf geprägt sind, erkennen zuneh-
mend, dass die Legitimation von Macht, die sich in den
absolutistischen Attitüden der ehemaligen Guerillakämp-
fer pervertiert, nicht ausreicht, ein Land zu regieren.


(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Drittens. Der historisch zu nennende Wandel in Süd-
afrika, die Beendigung des 20 Jahre währenden grausa-
men Bürgerkriegs in Mosambik, die Rückkehr Nigerias in
die demokratische Staatengemeinschaft, die jüngsten
Wahlen in Simbabwe, der friedliche Machtwechsel im Se-
negal, die in vielen afrikanischen Ländern spürbare Ver-
besserung der Menschenrechtssituation, die Fortschritte,
die sich in der Presse- und Medienlandschaft zeigen, die
Pluralisierung politischer Systeme mit einer Stärkung par-
lamentarischer Rechte, die in vielen Ländern angestrebte
Dezentralisierung mit dem Ziel einer größeren Teilhabe
der Menschen an politischen Entscheidungen – alles das
sind ermutigende Entwicklungen, zu denen auch deutsche
Afrikapolitik in der Vergangenheit maßgeblich beigetra-
gen hat.

Viertens. Viele politisch verantwortliche Afrikaner ha-
ben in der Zwischenzeit erkannt, dass sie in den letzten
40 Jahren ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben.


(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Bei meinem letzten Besuch in Tansania hat uns der tansa-
nische Staatspräsident zum Schluss gesagt: Wir haben
40 Jahre lang auf die Geberländer geschaut und gefragt:
Was könnt ihr für uns tun? Dabei haben wir die Frage ver-
drängt: Was müssen wir eigentlich selbst für uns tun? Ich
finde, das gibt Hoffnung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Seien wir uns darüber im Klaren: Wirksame und auf
Akzeptanz ausgerichtete Afrikapolitik beginnt bei uns zu
Hause und sie nötigt uns darüber hinaus, in größeren zeit-
lichen Dimensionen zu denken. Politik für Afrika erfor-
dert deshalb von uns vor allem Geduld und bis zu einem

gewissen Grade auch Nachsicht; denn wie unsere eigene
Demokratiegeschichte zeigt: Der Weg zu politischer Sta-
bilität ist ein langer und schwieriger Prozess, der be-
kanntlich auch bei uns nicht frei von Konflikten und Ka-
tastrophen war. Auch deshalb sollten wir uns vor Arro-
ganz und besserwisserischer Überheblichkeit gegenüber
unseren afrikanischen Partnern hüten und im Rahmen der
in Sonntagsreden oft beschworenen weltweiten kulturel-
len Vielfalt akzeptieren, dass die afrikanische Geschichte
lange vor der Kolonisierung mit der Herausbildung eige-
ner Werte, eigener Kulturen und eigener Traditionen be-
gonnen hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)


Diese ernst zu nehmen erfordert auch, unsere staatsfi-
xierten Entwicklungshilfekriterien kritisch zu hinterfra-
gen


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und beispielsweise darüber nachzudenken, ob die rituali-
sierte demokratische Debatte nach westlichen Mustern
das afrikanische, konsensorientierte Palaver, gegründet
auf Alter und Weisheit, in allen Fällen ersetzen kann
oder gar muss und ob Formen traditioneller Rechtsfin-
dung der afrikanischen Identität und der Realität nicht
besser entsprechen und dennoch rechtsstaatlichen Prinzi-
pien genügen.

Das heißt für mich: Wir müssen den Afrikanern Zeit
und Gelegenheit lassen, eigene Formen ihres gesell-
schaftlich organisierten Zusammenlebens zu entwickeln
und diese müssen wir dann auch akzeptieren. Eine fort-
schreitende Entafrikanisierung und eine kulturelle Ent-
wurzelung der Afrikaner scheint mir der falsche Weg zu
sein, partnerschaftlichen Umgang, der nötig ist, um den
Afrikanern ihre Menschenwürde zurückzugeben, in glei-
cher Augenhöhe zu pflegen.

Die Koalitionsfraktionen legen deshalb vier Anträge
vor: einen mit dem Titel „Afrikas Entwicklung unterstüt-
zen“, der die grundsätzliche Dimension deutscher Afrika-
politik thematisiert. Weil Afrika kein homogener Konti-
nent ist, sondern – im Gegenteil – eine Region mit höchs-
ter Diversität, flankieren wir diesen Antrag aktuell mit
regional- und problemorientierten Handlungsoptionen:
erstens zur Unterstützung eines möglichen Friedenspro-
zesses im Sudan, zweitens zur aktuellen Entwicklung am
Horn von Afrika und drittens zur friedlichen Entwicklung
in Zentralafrika, in der Schlüsselregion der Großen Seen.
Das Bedürfnis nach hoher Aktualität hat leider dazu ge-
führt, dass diese Anträge erst sehr spät vorgelegt worden
sind. Ich bitte um Entschuldigung, aber auch um Ver-
ständnis dafür.

Mein letzter Satz, Frau Präsidentin.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411419600
Das muss auch wirk-
lich der letzte sein.


Joachim Tappe (SPD):
Rede ID: ID1411419700
Alle Anträge verfolgen das
Ziel, die Bundesregierung aufzufordern und zu ermuti-




Joachim Tappe
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(D)



(A)



(B)


gen, im aufgeklärten deutschen Eigeninteresse noch mehr
für Afrika zu tun und damit auch einen wichtigen Beitrag
zur Krisenprävention zu leisten.

Herzlichen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411419800
Nächster Redner für
die Fraktion der CDU/CSU ist der Kollege Rudolf Kraus.


Rudolf Kraus (CSU):
Rede ID: ID1411419900
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die letzte Afrikade-
batte liegt erst kurze Zeit zurück: Sie fand am 18. Februar
dieses Jahres statt. Damals ging es um den Antrag der
CDU/CSU-Fraktion mit der Überschrift „Afrika darf
nicht zu einem vergessenen Kontinent werden“. Dieser
Antrag hat als Positives im Wesentlichen nur eines be-
wirkt, nämlich dass wir heute wieder über Afrika disku-
tieren, weil auch die Koalitionsfraktionen entsprechende
Anträge eingereicht haben. Im Übrigen ist seitdem leider
nur ganz wenig bis nichts passiert. Ich entnahm der Rede
meines Kollegen von der SPD, dass offensichtlich auch
viele Kollegen der Koalitionsfraktionen die Situation
ähnlich beurteilen. Einen Teil der Rede, die ich damals ge-
halten habe, könnte ich praktisch heute wieder vorlesen.
Die Bundesregierung hat keine Initiativen ergriffen, die
erkennen lassen, dass sie wirklich bereit wäre, sich etwas
einfallen zu lassen, was zur Verbesserung der Situation in
Afrika beitragen kann.


(Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Das ist die halbe Wahrheit!)


– Herr Dr. Schuster, ich bin ganz sicher, dass gleich noch
aufgezählt wird, was alles an Positivem geleistet wurde;
ich bin darauf gespannt und werde genau zuhören.

Ich habe am 18. Februar 2000 gesagt, dass es in Afrika
eine ganze Menge von Anzeichen für eine bessere Ent-
wicklung gibt. Ich habe festgestellt, dass nach zwei Jahr-
zehnten der Stagnation und des Niedergangs das Wirt-
schaftswachstum in Afrika in der zweiten Hälfte der 90er-
Jahre erstmals wieder etwas stärker als seine Bevölkerung
gewachsen ist. Ich habe vorgetragen, dass sich die zuneh-
mende Reformorientierung in Afrika offenbar auf einen
wachsenden Bewusstseinswandel der politisch Verant-
wortlichen gründet und sich mehr und mehr afrikanische
Regierungen und Entscheidungsträger zu ihrer Eigenver-
antwortung für die Entwicklung bekennen.

Diese positive Entwicklung stockt allerdings derzeit.
Seit langem gibt es ja die kriegerischen Auseinander-
setzungen im Sudan, in Somalia, in Sierra Leone, in Li-
beria und in der Demokratischen Republik Kongo. Dabei
habe ich noch nicht die Länder aufgeführt, in denen der
Frieden noch immer sehr trügerisch wirkt. Dabei habe ich
in erster Linie die Region der Großen Seen im Auge.

Ganz sicher sind nun zwei Gebiete hinzugekommen, in
denen die kriegerischen Auseinandersetzungen eine ganz
andere Qualität erhalten haben. Ich meine Eritrea und
Äthiopien sowie Simbabwe. Dabei hatten gerade in Sim-
babwe gute Voraussetzungen für eine weitere demokrati-
sche und wirtschaftliche Entwicklung vorgelegen. Es gab

eine ausgedehnte Zivilgesellschaft und es gab einen rela-
tiv breiten Mittelstand. Präsident Mugabe legte nunmehr
fest, dass mehr als 600 weißen Farmern gehörende Far-
men ohne Entschädigung verstaatlicht werden können,
nachdem er vorher zu Landbesetzungen angestiftet hatte.
Dennoch bleibe ich dabei, dass die Entwicklung der
Zivilgesellschaft in den Ländern Afrikas eine ganz ent-
scheidende Voraussetzung sowohl für eine Hinwendung
zu demokratischen Verhältnissen als auch für eine Besse-
rung der wirtschaftlichen Situation ist.

Doch gerade der Zivilgesellschaft Afrikas droht derzeit
ein weiteres Risiko – besser gesagt: die Katastrophe ist
bereits eingetreten – von einem kaum kalkulierbaren Aus-
maße. Ich denke an die Krankheit Aids. Nach zwi-
schenzeitlich vorliegenden Informationen wird es immer
deutlicher, welche schreckliche Bedeutung Aids schon für
die gegenwärtige Situation und vor allem für die zukünf-
tige Entwicklung Afrikas hat.

Kein Staat und kein Kontinent auf der Welt sind so
stark von der Ausbreitung dieser Immunkrankheit betrof-
fen wie Afrika. Schätzungsweise 14 Millionen Menschen
sind daran bereits gestorben. 22Millionen Menschen sind
infiziert. Man sagt, dass fünf von sechs Erkrankten auf der
ganzen Welt in Afrika leben. Angesichts der Tatsache,
dass dort täglich 5 500 Menschen an Aids sterben und sich
11 000 Menschen neu infizieren kann man erkennen, wel-
che Katastrophe eingetreten ist.

Viele Forscher fürchten, dass sich diese Zahlen in den
nächsten Jahren verdoppeln werden. Bereits heute hat
Aids in den Ländern des südlichen Afrikas zu einer Sen-
kung der Lebenserwartung um zehn Jahre geführt. Es
muss befürchtet werden, dass im nächsten Jahrzehnt die
Lebenserwartung um weitere zehn Jahre zurückgeht. Aids
wird deshalb viele Staaten Afrikas südlich der Sahara in
ihrer Entwicklung um Jahrzehnte zurückwerfen.

Die mittlerweile rund 10 Millionen Aidswaisen stellen
Afrikas bislang größte soziale Katastrophe dar. Sie be-
dürfen dringend unserer Hilfe, da immer mehr von ihnen
von Vernachlässigung und Ausbeutung bedroht sind, sich
oft als Straßenkinder durchschlagen müssen und keine
funktionierende soziale Umgebung mehr vorfinden.


(Beifall im ganzen Hause)

Die Ausbreitung von Aids in Afrika hat Auswirkungen

auf ganze Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens.
Das Ausmaß ist von der Größenordnung her ganz sicher
vergleichbar mit den Entwicklungen im mittelalterlichen
Europa, als die Pestepidemien auftraten. Vielleicht dauert
es etwas länger als früher, bis die Menschen in großer
Zahl hinweggerafft werden. Aber letztendlich besteht der
Unterschied nur darin, dass Aids gerade die arbeitsfähigen
und aktiven Jahrgänge betrifft, was das Elend natürlich
gewaltig vergrößert.

Anhand eines prozentualen Vergleichs kann man fest-
stellen, dass in manchen Ländern des südlichen Afrikas in
den nächsten Jahren mehr Menschen ihr Leben verlieren,
als es durch die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges
in Europa der Fall war. Es handelt sich also um eine Ka-
tastrophe gigantischen Ausmaßes.




Joachim Tappe

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(C)



(D)



(A)



(B)


Die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politi-
schen Entwicklungen sind in einem erschreckendem Aus-
maße davon betroffen. Es drohen Verelendung, Verro-
hung und politische Lethargie. Es gibt keine Möglichkeit
mehr, die demokratische Entwicklung voranzutreiben.
Vom Sterben in Würde kann natürlich überhaupt keine
Rede sein. Man muss sich vorstellen, dass in vielen Fäl-
len die Menschen miserabel gepflegt werden und dass die
medizinische Versorgung keinesfalls auch nur annähernd
ausreichend ist. Das ist erklärbar angesichts der Tatsache,
dass die medizinische Versorgung mit Medikamenten für
einen Tag oft mehr kostet, als manche in Monaten verdie-
nen.

Ich glaube, dass gerade ein Industrieland wie die Bun-
desrepublik Deutschland, aber auch ganz Europa gefor-
dert ist, diesem himmelschreienden Elend wenigstens da-
durch zu begegnen, dass man versucht, Medikamente zu
bezahlbaren Preisen bereitzustellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es müssen furchtbare körperliche, aber auch seelische

Qualen sein, die die Menschen erleiden müssen, wenn sie
erkennen, dass sie nicht gut versorgt werden, und wenn
sie insbesondere mit ansehen müssen, wie ihre Hin-
terbliebenen ins Elend gestürzt werden.

Aids stellt sich zunehmend als eine Herausforderung
für die deutsche Entwicklungspolitik dar. Es entwickelt
sich in immer größerem Maße zu einem destabilisieren-
den Faktor in Afrika. Ich möchte an dieser Stelle noch da-
rauf aufmerksam machen, dass das BMZ die Mittel für
die Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika in die-
sem Jahr insgesamt um circa 20 Prozent gekürzt und da-
mit auf den niedrigsten Stand seit 1972 heruntergefahren
hat.


(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Können Sie das einmal wiederholen? Ich habe das nicht genau verstanden!)


– Herr Kollege Hornhues, ich werde es speziell für Sie
noch einmal ganz deutlich sagen: Die Mittel für die Ent-
wicklungszusammenarbeit mit Afrika sind in diesem Jahr
um insgesamt 20 Prozent gekürzt worden und haben da-
mit den niedrigsten Stand seit 1972 erreicht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte
zum Schluss meiner kurzen Rede noch ganz kurz auf den
Antrag der Fraktionen der SPD und der Bündnisgrünen
„Afrikas Entwicklung unterstützen“ eingehen. Der An-
trag enthält aus unserer Sicht relativ wenig Neues. Er ent-
hält nach meiner Auffassung viele Allgemeinplätze und
gibt der Regierung im Gegensatz zu dem Antrag der Frak-
tion der CDU/CSU keinerlei wirklich konkrete Hinweise,
was in Afrika schnell besser gemacht werden kann und
sollte. Das ist allerdings nicht so schlimm, weil die Re-
gierung, wenn sie denn will, sich an den Antrag der Frak-
tion der CDU/CSU halten und die in ihm gegebenen kon-
kreten Anleitungen übernehmen kann.

Wegen der kurzfristigen Vorlage der Anträge der Frak-
tionen der SPD und der Bündnisgrünen „Demokratische
und friedliche Kräfte im Sudan unterstützen“ usw. be-
stand für uns nicht die Möglichkeit, diese Anträge wirk-

lich einer inhaltlichen Prüfung zu unterziehen. Dennoch
soll bereits heute über diese Anträge abgestimmt werden.
Wir denken, dass das gegenüber der Opposition nicht
ganz richtig ist. Es ist ein Zeichen mangelnden Respekts
gegenüber der Opposition, derartige Dinge so kurzfristig
vorzulegen. Weil aber in diesen Anträgen sicherlich auch
gute Gedanken enthalten sind, werden wir zwar nicht zu-
stimmen, uns aber der Stimme enthalten.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411420000
Für die Bundesregie-
rung spricht jetzt der Bundesminister des Auswärtigen,
Joseph Fischer.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411420100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „The Eco-
nomist“, eine Wirtschaftszeitung aus Großbritannien, hat
am 13. Mai getitelt: „Hopeless Africa“, hoffnungsloses
Afrika. Ich teile diese Meinung überhaupt nicht. Die Eu-
ropäische Union hat auch klar gemacht, dass wir uns eine
solche resignative Position, ob wir es wollen oder nicht,
als Europäer, als Bewohner des Nachbarkontinents nicht
erlauben können. Deshalb war der erstmals durchgeführte
Gipfel zwischen der Organisation Afrikanischer Staaten
und der Europäischen Union in Kairo ein so überaus
wichtiges Signal.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


All denjenigen – lassen Sie mich das gleich hinzufü-
gen, Herr Tappe –, die eine verstärkte Europäisierung
unserer Afrikapolitik fordern, sage ich: In der Tat hat
sich die Bundesregierung auf diesem Gipfel dafür einge-
setzt und sie hat gegen historisch gewachsene nationale
Eigenheiten, um es ganz diplomatisch zu formulieren,
auch durchgesetzt, dass wir auf dem eingeschlagenen
Weg des engen Kontaktes, der partnerschaftlichen Zu-
sammenarbeit „auf gleicher Augenhöhe“ zwischen den
beiden Nachbarkontinenten weitergehen und insofern
auch eine Verstetigung der Zusammenarbeit auf dieser
Ebene erreichen.

Gestatten Sie mir, verehrter Herr Vorredner von der
Opposition, folgenden Hinweis: Ich glaube, diese Dis-
kussion bringt innenpolitisch nichts, afrikapolitisch aber
schon gar nichts. Denn wenn Ihre Position richtig wäre,
würde dies bedeuten, dass die Bundesregierung eine blü-
hende Afrikapolitik vorgefunden und diese in eineinhalb
Jahren zerschlagen hätte.


(Beifall der Abg. Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ihre Analyse der Aids-Problematik erkenne ich als
richtig an. Ein Blick auf die erste Seite der heutigen Aus-
gabe der „Herald Tribune“ macht klar, um was für ein
wirklich dramatisches Problem es sich dabei handelt. Ich
könnte es mir ganz einfach machen, würde mich dann al-
lerdings auf dasselbe unfruchtbare Niveau der innenpoli-
tischen Auseinandersetzung begeben, wenn ich fragen
würde: Was haben Sie denn in den 16 Jahren Ihrer Regie-




Rudolf Kraus
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(C)



(D)



(A)



(B)


rungsarbeit gemacht? Dieses Problem hat sich ja nun
wirklich nicht über Nacht aufgebaut, sondern über Jahre,
um nicht zu sagen: weit über ein Jahrzehnt.

Insofern rate ich dringend dazu: Lassen Sie uns diese
Form der Debatte beenden, weil die Afrikapolitik, die
Gott sei Dank auch in der Vergangenheit durchaus breiter
fundiert war, sonst Schaden nehmen würde. Wir würden
damit einer billigen innenpolitischen Münze den Vorrang
vor einer unter schwierigen Bedingungen erreichten ge-
meinsamen afrikapolitischen Initiative in diesem Haus
einräumen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Reden wir doch nicht drum herum: Wir sind uns einig,
dass für die Afrikapolitik mehr getan werden müsste. Die
Verteidigungspolitiker sitzen zusammen und meinen, es
müsste mehr für die Verteidigungspolitik getan werden.
So sitzen alle Fachpolitiker zusammen und denken in ers-
ter Linie an ihr Ressort.


(Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Nicht alles ist eine Frage des Geldes, Herr Außenminister! – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Ich sage ja auch gar nicht, dass alles eine Frage des Gel-
des ist. Aber ich wende mich hier gerade an den Opposi-
tionsredner und gerade im Zusammenhang mit dem, was
er gefordert hat, ist vieles eine Frage des Geldes, vor al-
len Dingen wenn er der Bundesregierung vorwirft,


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Zu Recht!)

dass beim Entwicklungshaushalt Kürzungen in Höhe von
20 Prozent vorgenommen worden seien. Da kann ich Ih-
nen nur sagen: Sie haben uns einen Haushalt hinterlas-
sen – –


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

– Nein, das müssen Sie sich anhören.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Denn wenn Sie meinen, dass es mir Spaß machen würde,
Botschaften und Generalkonsulate zu schließen, oder
wenn Sie meinen, dass es der Kollegin Wieczorek-Zeul
Spaß machen würde, Entwicklungshilfemittel zurückzu-
fahren, statt sie zu erhöhen, und ich würde sie dabei gerne
unterstützen, dann täuschen Sie sich! Ich sage Ihnen: Wir
müssen hier eine Sanierungsphase durchlaufen. Das wer-
den wir auch tun und dann werden gerade in diesem Be-
reich wieder Aufwüchse zu verzeichnen sein.

Der Zwischenruf „Nicht alles ist eine Frage des Gel-
des“ ist richtig. Dennoch dürfen wir das Geld nicht ver-
gessen; sonst bleiben wir bei schönen Worten und dabei
wollen wir es nicht belassen. Ansonsten stimme ich Ihnen
darin völlig zu.

Der gegenwärtige Blick auf Afrika – die Vorredner ha-
ben es schon dargestellt – zeigt viel Schatten, aber auch
viel Licht. Wenn man realistisch auf Afrika blickt, kann
man meines Erachtens durchaus eine optimistische Posi-
tion einnehmen. Vor allen Dingen sollten wir keine pater-

nalistische Position einnehmen, schon gar nicht als Eu-
ropäer.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich will die Geschichte unsererKontinente nicht ver-
gleichen. Missverstehen Sie mich nicht; ich behaupte
nicht, dass sich Afrika auf dem Stand befindet, auf dem
sich Europa im Jahre 1945 befunden hat. Aber der Blick
etwa auf den europäischen Kontinent im Jahre 1932
zeigte einen Kontinent, der erneut der Selbstzerstörung
entgegentrieb. Die Behauptung einer britischen Zeitung –
ich glaube, es war die „Times“ –, der Konflikt im Kongo
sei der Erste Weltkrieg Afrikas, ist sicher eine Überspit-
zung. Und doch hat sie auch etwas Wahres. Wenn ich
heute auf den Balkan schaue, erkenne ich viele Elemente
des Konflikts, den man, mit denselben verderblichen, fa-
talen Konsequenzen, an vielen Orten in Afrika findet. Für
Paternalismus, für Überlegenheitsgefühle, für eine hoch-
näsige europäische Haltung gibt es auch und gerade an-
gesichts der kolonialen Vergangenheit überhaupt keine
Veranlassung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Deswegen denke ich, ist es das Wichtigste, dass wir un-
seren Beitrag zu einer neuen Partnerschaft leisten. Neue
Partnerschaft setzt aber voraus, dass man von Gleich zu
Gleich und nicht paternalistisch verkehrt. Sie setzt voraus,
dass man bereit ist, bei einer humanitären Katastrophe,
bei einer Naturkatastrophe großzügig zu helfen. Wir ha-
ben dies in Mosambik gezeigt. In Mosambik haben wir im
Zusammenhang mit dem dortigen Aufbau der Krisen-
bewältigungskapazitäten der Europäischen Union, der
jetzt gemeinsam mit den Skandinaviern vorgenommen
wird, insistiert – mittlerweile haben wir es durchgesetzt –,
gleichzeitig zivile Krisenbewältigungskapazitäten auf-
zubauen. Dies hat sich als überaus wichtig erwiesen.

Wenn es so ist, dass wir in Zukunft verstärkt mit glo-
balen Katastrophen zu tun haben werden, bei denen sehr
schnell, faktisch aus dem Stand heraus, Hilfe über 10 000
und mehr Kilometer geleistet werden muss, weil die
Möglichkeiten dort regional nicht gegeben sind, dann
müssen wir dafür die entsprechenden Hilfsmittel bereit-
halten. Das ist eine Konsequenz aus der Erfahrung der
Flutkatastrophe in Mosambik.

Besonders tragisch ist, dass es ein Land nach einem
jahrelangen blutigen, furchtbaren Bürgerkrieg getroffen
hat, das sich auf den Weg einer hoffnungsvollen Entwick-
lung gemacht hat und in dem nun die Anstrengungen, die
Mühsal, die harte Arbeit der Menschen von Jahren von ei-
nem Sturm zunichte gemacht worden sind. Deswegen se-
hen wir uns in der Pflicht, Mosambik hier nicht allein zu
lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Gestatten Sie mir, an diesem Punkt auf die Frage zu
kommen: Was habt ihr gemacht? Die Kölner Entschul-
dungsinitiative, die die Bundesregierung, namentlich




Bundesminister Joseph Fischer

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(C)



(D)



(A)



(B)


Bundeskanzler Schröder, als zentralen Punkt unserer
G7-/G8-Präsidentschaft durchgesetzt hat, hat vor allen
Dingen die Ärmsten der Armen, überwiegend die afrika-
nischen Länder, entlastet.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Sie hat noch gar nichts entlastet!)


– Das ist nicht richtig.

(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Schauen wir mal!)

– Da können Sie gerne sagen: Schauen wir einmal. Diese
Initiative hätte ich mir schon viel früher von Ihnen ge-
wünscht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Christian Ruck [CDU/ CSU]: 9 Milliarden, Herr Fischer!)


Ein weiterer für mich in diesem Zusammenhang sehr
wichtiger Punkt ist, dass wir Acht geben müssen, dass mit
Afrika nicht ein ganzer Kontinent von der Entwicklung
der Weltwirtschaft abgekoppelt wird. Hier im Rahmen
des Lomé-Abkommens einen neuen Akzent zu setzen
war, glaube ich, sehr wichtig. Im Zusammenhang mit der
Informationsgesellschaft auch über die Frage des Anal-
phabetismus zu diskutieren, darauf Acht zu geben, dass
der Graben zwischen der Weltwirtschaft und einem
ganzen Kontinent nicht tiefer, sondern zugeschüttet wird,
wird eine der Hauptaufgaben der zukünftigen Afrikapoli-
tik sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Gleichzeitig wird es darauf ankommen, klarzumachen,
dass partnerschaftliche Zusammenarbeit auch bedeutet,
an die Eigenverantwortung der Afrikaner und vor allen
Dingen der afrikanischen Eliten zu appellieren. Eine gute
Regierung, Demokratie, Transparenz und die Bekämp-
fung von Korruption, all dies sind keine spezifischen He-
rausforderungen nur für die Regierungen in Afrika. Das
gilt für Asien, für Amerika und für Europa ganz genauso.
Die Herrschaft des Rechts ist die Voraussetzung einer
rechtsstaatlichen, demokratischen Entwicklung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Diese Herrschaft des Rechts hat nichts mit Kulturim-
perialismus oder mit dem Aufdrücken von fremden Wer-
ten zu tun. Ich behaupte vielmehr: Die Herrschaft des
Rechts ist kompatibel mit jeder menschlichen Kultur auf
unserem Globus. Insofern kommt es ganz entscheidend
darauf an, dass einige Grundprinzipien, denen wir uns alle
verpflichtet haben, indem wir die entsprechenden Kon-
ventionen der Vereinten Nationen unterzeichnet haben,
tatsächlich durchgesetzt werden. Denn anderenfalls – das
müssen wir immer wieder feststellen – setzt die Abwärts-
spirale von Korruption, politischer Unterdrückung und
Unterentwicklung erneut ein. Hier gibt es durchaus be-
eindruckende positive Entwicklungen. Mosambik habe
ich genannt; Botswana und andere Länder könnte ich hier
zusätzlich anführen.

Gleichzeitig füge ich aber hinzu, dass ich die Entwick-
lung im südlichen Afrika mit großer Sorge betrachte. Ich
spreche hier nicht von dem tragischen 30-jährigen Krieg
zum Beispiel in Angola. Dies ist eine furchtbare Tragödie.
Ich spreche hier nicht von der Tragödie am Horn von
Afrika. Ich spreche hier nicht von der verantwortungslo-
sen Absurdität des Krieges zwischen Eritrea und Äthio-
pien. Ich spreche auch nicht von dem 30-jährigen Bürger-
krieg im Sudan oder von der furchtbaren Barbarei in
Westafrika. Das alles sind Katastrophen, denen wir uns
zuwenden müssen und angesichts derer es im Rahmen der
Mittel, die wir haben, unserer Solidarität bedarf. Ich spre-
che hier vor allen Dingen von Simbabwe und der Ent-
wicklung im südlichen Afrika. Denn ich glaube, unsere
Afrikapolitik darf keine kontinentale sein. Vielmehr brau-
chen wir einen Ansatz im Hinblick auf eine regionale
Stabilisierung.Das ist für mich der entscheidende Punkt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/ CSU]: Es wurde Zeit, dass Sie dazu etwas sagen!)


Deswegen kommt Ländern wie Südafrika und Nigeria
eine überragende Bedeutung zu. Selbst unter den Bedin-
gungen der Militärdiktatur, die hier im Hause zu Recht
scharf kritisiert und bekämpft wurde, war Nigeria für
Westafrika ein entscheidender Stabilitätsanker. Dies dür-
fen wir nie vergessen.

Vor dem Hintergrund einer regionalen Stabilisierung
macht mir die Entwicklung im südlichen Afrika in der Tat
sehr große Sorgen. Warum? Weil in der Frage der Land-
verteilung en masse Sprengstoff verborgen liegt. In Sim-
babwe, in einem Land, das zu den potenziell reichsten
Ländern gehört und eigentlich ein Stabilitätsanker sein
müsste, wird zum Zweck des Machterhalts und zulasten
der dortigen Demokratie mit der offenen Fackel im
Sprengstoffschuppen hantiert. Das kann Auswirkungen
auf das gesamte südliche Afrika, auf Südafrika und Na-
mibia, haben.

Wir müssen ein überragendes Interesse daran haben,
dass Südafrika jenen vom Vorredner zu Recht als großar-
tig bezeichneten demokratischen Weg hin zu Versöhnung,
Aussöhnung und Entwicklung – auch unter schwierigen
Bedingungen – weiter erfolgreich geht.

Wir haben ebenso ein Interesse an einer Entwicklung
in Namibia, die nicht rückwärts läuft. Das hängt aller-
dings davon ab, ob die Frage der Landverteilung friedlich
gelöst wird oder ob sie gegen die Demokratisierung und
zum Zwecke des Machterhalts instrumentalisiert wird. In-
sofern kommt dieser Frage aus unserer Sicht eine überra-
gende Bedeutung zu.

Die Demokratisierung und die Herrschaft des Rechts,
die Stärkung regionaler Stabilisierungsbemühungen re-
gionaler Organisationen, aber natürlich auch die Stärkung
der Eigenkräfte, auch der ökonomischen Eigenkräfte,
sind also die Elemente einer neuen Afrikapolitik.

Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Punkt auf-
nehmen, den der verehrte Vorredner der Opposition ange-
sprochen hat: Ich freue mich, dass Sie das Thema Aids so




Bundesminister Joseph Fischer
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(C)



(D)



(A)



(B)


stark in den Mittelpunkt gerückt haben. Sie haben in der
Tat Recht – der Bundesverteidigungsminister, die Bun-
desministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung und ich haben das auf unseren Reisen nach
Afrika mitbekommen –: Die Gefahr, die von AIDS aus-
geht, die Zerstörung der Kultur, der Sozialstruktur in
ihrem innersten Kern, nämlich der Familie, ist auch eine
politische Gefahr, die Gefahr der sozialen Destabilisie-
rung. Diesem Problem müssen wir uns dringend zuwen-
den. Das ist eine Aufgabe, die Deutschland nicht alleine
lösen kann. Hier ist in der Tat die Europäische Union ge-
fragt, hier liegt ein weiterer Europäisierungsansatz in der
Afrikapolitik. Das ist für mich ein ganz entscheidender
Punkt.

Trotz aller Unterschiede, die es zwischen Regierung
und Opposition wohl geben muss, stelle ich aber ein ho-
hes Maß an Übereinstimmung fest. Entlang der Grund-
sätze, die ich Ihnen hier dargestellt habe, werden wir, die
Bundesregierung, die neue Afrikapolitik der regionalen
Stabilisierung entwickeln. Wir werden versuchen, sie mit
den vorhandenen Mitteln umzusetzen, eng eingebunden
in eine neue Afrikapolitik der Europäischen Union.

Ich bedanke mich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411420200
Für die F.D.P.-Frak-
tion spricht jetzt der Kollege Joachim Günther.


Joachim Günther (FDP):
Rede ID: ID1411420300
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der afrika-
nische Kontinent stellt für die Außen- und Entwicklungs-
politik eine besondere Herausforderung dar. Dort leben
über 800 Millionen Menschen, etwa 580 Millionen süd-
lich der Sahara. Beinahe 200 Millionen Afrikaner sind
chronisch unterernährt. 23 Millionen Kinder leiden an
Mangelernährung. 6 Millionen Menschen in Afrika sind
Flüchtlinge.

Trotz dieser im Vergleich zu anderen Regionen der
Welt schlimmen Gesamtbilanz wäre es falsch, von einem
allgemeinen Afropessimismus zu sprechen. Vielmehr
muss die politische, wirtschaftliche und soziale Entwick-
lung in Afrika differenziert beurteilt werden. Eine Reihe
afrikanischer Staaten hat, vor allem bei der Demokratisie-
rung, eine beachtliche Entwicklung erzielen können. In
20 afrikanischen Staaten liegt das reale Wachstum inzwi-
schen bei 4 bis 6 Prozent. Die Lebenserwartung der Men-
schen in Afrika ist seit 1960 um 25 Prozent gestiegen; die
Gefahren der Gegenwart wurden vorhin bereits aufge-
führt. Der Zugang zur schulischen Ausbildung vor allem
für Mädchen wurde verbessert. Diese Entwicklung zeigt,
dass sich Anstrengungen zur Förderung von Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit und sozialer Marktwirtschaft tatsäch-
lich lohnen.

Diese Erfahrung zeigt aber auch, dass inAfrika die Re-
gierungen und Eliten der Länder die Hauptverantwortung
für die Entwicklung ihrer Länder tragen. Dort, wo sie sich
ernsthaft um politische, rechtsstaatliche und wirtschaftli-
che Reformen bemühen, ist unsere volle Unterstützung

zugesagt. Aber dort, wo Regime vorsätzlich vom Grund-
satz der guten Regierungsführung abweichen, wo sie
wichtige Ressourcen verschwenden und wo die Korrup-
tion ständig zunimmt, müssen wir – vielleicht deutlicher
als in der Vergangenheit – Konsequenzen ziehen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Jede noch so gute Entwicklungszusammenarbeit kann

zur wirtschaftlichen Entwicklung nur einen begrenzten
Beitrag leisten. Wir müssen uns von der Vorstellung lösen,
die Armut in Afrika allein durch Finanztransfers oder groß
angelegte Entschuldungsaktionen bewältigen zu können.
Die Regierungen in Afrika müssen ihre Märkte vom staat-
lichen Dirigismus befreien, Landreformen zulassen und
für klare Eigentumsverhältnisse sorgen. Wenn es nicht ge-
lingt, eine solche Entwicklungsstrategie für die ländlichen
Räume zu schaffen, wird der Drang zur Bildung von nicht
mehr lenkbarer Verstädterung in diesen Bereichen noch
viel größer.

Dreh- und Angelpunkt der wirtschaftlichen Entwick-
lung ist aus unserer Sicht ein verstärkter Einsatz markt-
wirtschaftlicher Instrumente. Dazu gehört in erster Li-
nie die Förderung und Entwicklung des Finanzsektors.
Wesentliche Elemente sind unter anderem der Zugang
zu Kleinkrediten, der Aufbau von Dorfbanksystemen, die
Ausbildung von Bankfachleuten, eine stabile Geldpolitik
der Entwicklungsländer und Rechtssicherheit im Finanz-
wesen. Ebenso wichtig ist die Unterstützung beim Aufbau
eines effizienten Dienstleistungssektors sowie im Ver-
kehrs- und Kommunikationsbereich.

Ganz entscheidend für die Entwicklungschancen unse-
rer Partnerländer ist darüber hinaus ihre volle Teilnahme
am freien Welthandel. Handel ist besser als Hilfe. Die
Beispiele vieler erfolgreicher Schwellenländer belegen,
dass es nur dort, wo eine konsequente Deregulierung statt-
findet, zur nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung
kommt. Dies bedeutet aus unserer Sicht selbstverständ-
lich auch, dass unsere eigene Handelspolitik auf den Prüf-
stand gehört: der Abbau von Handelshemmnissen vor al-
lem im Agrar- und Textilbereich sowie die Beendigung
marktverzerrender Subventionspolitik, um nur wenige
Punkte anzusprechen.

Vor diesem Hintergrund ist es besonders bedauerlich,
dass im Rahmen der Haushaltskürzungen nicht nur Afrika
betroffen ist, sondern auch die freiwilligen Beiträge für
internationale Organisationen heruntergefahren werden
mussten. Wie steht es so schön in dem Antrag, den wir ge-
rade beraten? Der Deutsche Bundestag fordert die Bun-
desregierung auf, insbesondere die Intensivierung und
Ausweitung des politischen Dialogs als Instrument zu eta-
blieren. Das ist richtig; das unterstützen wir. Aber wie
sieht die Realität aus, Herr Außenminister? Massive
Schließungen von Botschaften in Afrika in einer Zeit, in
der dieser leidgeprüfte Kontinent verzweifelt nach Aus-
wegen aus seiner Misere sucht und auf Partnerschaften,
wie Sie es vorhin betont haben, besonders angewiesen ist.

Bei allem Verständnis für die Haushaltszwänge hätte
man sich kreativere Lösungen als eine ersatzlose Schließ-
ung von Botschaften vorstellen können.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)





Bundesminister Joseph Fischer

10871


(C)



(D)



(A)



(B)


Für die betroffenen Länder ist der Abzug des deutschen
Botschafters und seines Personals ein verheerender Rück-
schlag in ihren Reform- und Entwicklungsbemühungen.
Wie soll man es zum Beispiel der Regierung des Tschad
vermitteln, dessen Bevölkerung von Hungersnöten be-
droht ist, dass das reiche Deutschland kein Geld mehr für
den Unterhalt einer kleinen Botschaft hat? Aus der Sicht
dieser Länder bedeutet der Abzug praktisch den Abbruch
der Beziehungen. Der hierdurch entstandene Schaden,
Herr Außenminister, kann auch durch noch so viele Rei-
sen von Ihnen nach Afrika nicht ausgeglichen werden.


(Beifall bei der F.D.P.)

Nach der Afrikakonferenz, nach Ihrer Afrikareise und

auch nach Ihrer heutigen Rede, Herr Außenminister, habe
ich immer noch keine konzeptionellen Grundlinien ei-
nerAfrikapolitik feststellen können. Welche Vorstellun-
gen hat die Bundesregierung für die Beilegung der Kon-
flikte im Kongo und um die Großen Seen in Zentral-
afrika? Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung für
einen Friedensprozess im Sudan?


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Welche haben Sie?)


Wir brauchen noch viele Antworten auf diesem Gebiet.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, große

Teile dieses Antrags können von uns mitgetragen werden.
Einzelne Punkte, zum Beispiel eine neue Entschul-
dungsinitiative – die erste ist noch nicht einmal voll ab-
geschlossen – bedürfen weiterer Diskussionen. Aber eines
müsste die Koalition doch heute machen – auch Herr
Tappe hat darauf hingewiesen –: Sie müsste zu einem
Sturm auf das Außenministerium ansetzen, damit ein
großer Teil der deutschen Botschaften in Afrika als ein
Eckpfeiler unserer Politik erhalten bleibt.


(Beifall bei der F.D.P. – Gernot Erler [SPD]: Haben wir doch 1998 schon gemacht!)


Aus diesem Grund, meine Damen und Herren, werden wir
uns der Stimme enthalten.


(Beifall bei der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411420400
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Carsten Hübner.


Carsten Hübner (PDS):
Rede ID: ID1411420500
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Vorweg eine kurze Bemerkung,
weil Afrika wieder einmal gegenüber einem Land des rei-
chen Nordens den Kürzeren gezogen hat: Die Fußball-
weltmeisterschaft wird in Deutschland und nicht in Süd-
afrika stattfinden. So sehr das hier viele begrüßen mögen,
fände ich es doch ganz gut, wenn der Vorschlag unseres
Fraktionsvorsitzenden aufgegriffen würde und im Gegen-
zug ein Maßnahmenpaket geschnürt würde, um der Ba-
sissportentwicklung in Afrika von deutscher Seite etwas
mehr Gewicht zu verleihen, als es bisher der Fall ist. Das
wäre zumindest im Ansatz ein Ausgleich.


(Beifall bei der PDS – Rudolf Bindig [SPD]: Darüber kann man nachdenken!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mit einer
ganz kritischen Bemerkung beginnen; denn ich befürchte,
dass wir mit der Afrikadebatte, wie wir sie heute führen,
nachdem sie relativ kurzfristig angesetzt worden ist, we-
der dem Thema noch den Fachpolitikern einen wirklichen
Gefallen tun und auch wenig zur Lösung der Probleme
beitragen können.

Ich möchte dies im Namen einer kleinen Oppositions-
partei ganz kurz erläutern: Drei Anträge, und zwar die An-
träge „Friedensbemühungen am Horn von Afrika verstär-
ken“ – er umfasst fünf Seiten –, „Demokratische und
friedliche Kräfte im Sudan unterstützen“ – er umfasst acht
Seiten – und „Konflikt in der Region der Großen Seen ein-
gedämmt – nicht gelöst“ – er umfasst sieben Seiten –, sind
am gestrigen Tag eingereicht worden. Das ist aus meiner
Sicht ein unhaltbarer Zustand; denn das offenbart, dass
eine wirkliche parlamentarische Beratung und eine ent-
sprechende Vorbereitung offenbar nicht im Sinne der An-
tragsteller oder der zuständigen parlamentarischen Ge-
schäftsführer lag. Hinzu kommt, dass über all diese An-
träge heute abgestimmt wird. Das heißt, eine Beratung in
den Ausschüssen ist ebenfalls nicht möglich.

Ich möchte auch darauf hinweisen, dass die Anträge,
die zum Teil von strategischer Bedeutung sind und in de-
nen wirklich gut aufgezeigt wird, wo die Probleme liegen,
heute zur Abstimmung stehen, während der Antrag, in
dem der sofortige Handlungsbedarf angesprochen wird,
nämlich der Antrag „Abschiebestopp für Flüchtlinge aus
Äthiopien und Eritrea“, zur Beratung an die Ausschüsse
überwiesen werden soll, was heißt, dass er frühestens
Ende September aufgerufen wird. Ich sage Ihnen: Das ist
eine unhaltbare Praxis. Deswegen ziehen wir unseren An-
trag heute zurück. Das machen wir nicht mit.


(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, viele Absichtserklärungen

des Antrags „Afrikas Entwicklung unterstützen“ teile ich,
denn es sind gute Ansätze, über die wir diskutieren kön-
nen und möchten. Leider sind nur wenige konkrete Maß-
nahmen und keine zeitlich fixierten Maßnahmen enthal-
ten. Das bedauern wir sehr. Die besondere deutsche Rolle,
der besondere EU-Prozess und die Rolle Deutschlands
darin werden nicht entsprechend untermauert und das
konzeptionell Neue tritt nicht wirklich in den Vorder-
grund.

Auch ich möchte noch einmal deutlich machen, wie
sich die Situation derzeit in Afrika gestaltet. Einige Daten
wurden schon genannt. Ich möchte noch einige hinzufü-
gen.

Die Verschuldung der afrikanischen Staaten ist von
250 Milliarden US-Dollar in den 80er-Jahren auf inzwi-
schen 360 Milliarden US-Dollar gestiegen. Ich finde es
richtig, dass wir die Entschuldungsinitiative, so wie sie
bisher in Fahrt gekommen ist, nur als einen ersten Teiler-
folg begreifen; denn die Summe der Entschuldung – und
diese bezieht sich nicht nur auf Afrika – beläuft sich noch
nicht einmal auf 110 Milliarden US-Dollar, auf den Be-
trag, um den der Schuldenstand Afrikas gestiegen ist.

Die Direktinvestitionen sind in den letzten Jahren – Sie
haben darauf hingewiesen, dass Handel manchmal sinn-




Joachim Günther (Plauen)

10872


(C)



(D)



(A)



(B)


voller ist als Helfen, das mag auch sein – auf weniger
als 1 Prozent weltweit gesunken. Afrika hat nur einen
1,5-prozentigen Anteil am Welthandel. Das sind doch Indi-
zes, die deutlich machen, wie dramatisch die Situation ist.

Es gibt Millionen von Flüchtlingen. Das sind Binnen-
flüchtlinge, Flüchtlinge vor wirtschaftlicher Not, vor
Elend, Hunger und Katastrophen, aber natürlich auch vor
kriegerischen Auseinandersetzungen. 19 von 48 afrikani-
schen Staaten sind direkt in kriegerische Auseinanderset-
zungen verwickelt.

Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund dieser
Zahlen möchte ich nur ganz kurz deutlich machen, wel-
che Fragestellungen mir in diesem Antrag nicht genügend
gewürdigt werden. Nicht hervorgehoben ist zum Beispiel
die Forderung des NGO-Netzwerkes Jubilee 2000 South,
also des Südablegers der Erlass-Jahr-Kampagne, nach ei-
nem vollständigen und sofortigen Schuldenerlass und
nach Maßnahmen, die die Schuldenlast wirklich reduzie-
ren. Es darf keinen langen Prozess geben. Im Rahmen der
Schuldeninitiative hat man sich, wenn ich richtig infor-
miert bin, bisher zunächst auf Uganda konzentriert.


(Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Und Tansania!)


– Gut. Mosambik ist im Zusammenhang mit der Flutkata-
strophe in ein Sofortprogramm aufgenommen worden.
Dort ist es aber nicht über die Initiative so schnell zu ei-
ner Entschuldung gekommen.

Es gibt keine besondere Förderung und Protektion der
kleinen und mittleren Unternehmen, stattdessen setzten
wir weiter auf die Marktöffnung. Ich erinnere nur an das
neu ausgehandelte Lomé-Abkommen, das schrittweise
Deregulierungen vorsieht und in dem die WTO weiterhin
den Bezugspunkt unserer Zusammenarbeit darstellt.


(Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben haben Sie die niedrigen Investitionsraten beklagt!)


Es gibt auch keine konkreten Maßnahmen in diesem An-
trag, durch die die Süd-Süd-Zusammenarbeit verstärkt
unterstützt werden soll. Es geht jetzt darum, das nicht im-
mer nur zu proklamieren, sondern mit ganz konkreten
Maßnahmen zu untermauern. Auch auf eine ganz kon-
krete und strikte Initiative im Bereich des Waffenhandels-
verbots, zumal für Kleinwaffen, die in den Konflikten im
Wesentlichen zum Tragen kommen, ist in dem Antrag
nicht deutlich genug Bezug genommen worden.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411420600
Herr Kollege Hübner,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.


Carsten Hübner (PDS):
Rede ID: ID1411420700
Ein letztes Wort: Zu Aids ist
viel gesagt worden. Ich sage Ihnen, welches das Problem
von Aids ist: Das Problem ist nicht allein, dass es eine
Krankheit ist. Vielmehr ist es auch zu einem soziokultu-
rellen Problem für Afrika geworden. Darauf hat der
Außenminister hingewiesen. Aidsbekämpfung ist teuer.
Wenn wir dieses Geld nicht von hier aus einsetzen, wenn
wir unsere Unternehmen, die hiergegen wirksame Präpa-
rate entwickelt haben, nicht dazu bringen, sie zu günsti-

geren Preisen zur Verfügung zu stellen, werden wir in
Afrika eine Katastrophe nicht absehbaren Ausmaßes erle-
ben.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411420800
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt die Bundesministerin für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-
Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich teile
die Auffassung der Kolleginnen und Kollegen, die gesagt
haben, dass Afrika trotz aller großen Probleme, die sich
für diesen Kontinent stellen, im 21. Jahrhundert Riesen-
chancen hat. Dies ist nicht nur meine persönliche Über-
zeugung, sondern auch die Weltbank hat dies in ihrer
jüngsten Studie ausdrücklich noch einmal belegt. Sie hat
aber deutlich gemacht, dass auch in Afrika selbst Verän-
derungen notwendig sind. Diese betreffen Investitionen
zugunsten der Menschen, der Bildung und der Gesund-
heit. Die Wirtschaftsstrukturen müssen im Rahmen der
Möglichkeiten verändert und entsprechende Vorausset-
zungen dafür geschaffen werden. Veränderungen sind
auch im Bereich der verantwortlichen Regierungsführung
und Krisenlösung notwendig. Natürlich müssen auch die
internationale Gemeinschaft sowie die einzelnen Geber-
länder ihrer Verantwortung gegenüber diesen Ländern
und dem Kontinent gerecht werden.

Heute ist nicht der Tag, dies im Einzelnen darzustellen.
Dies haben wir schon gemacht. Aber ich sage noch einmal
zur Erinnerung: Erstens. Im Rahmen des Lomé-Abkom-
mens, welches die Voraussetzungen dafür schafft, dass
diese Länder unter veränderten Wirtschaftsstrukturen im
Rahmen ihrer Möglichkeiten vom internationalen Wett-
bewerb profitieren können, hat es gerade jetzt eine Zusage
über 13,8 Milliarden Euro gegeben. Deutschland ist zu
23 Prozent daran beteiligt.

Zweitens. Die Entschuldungsinitiative wird vor allen
Dingen für die afrikanischen Länder 50 Milliarden DM –
der größte Teil der Länder, die davon profitieren, liegt in
Afrika – bringen.

Drittens. 42 Prozent der Mittel unserer gesamten bila-
teralen Entwicklungszusammenarbeit fließen in den Be-
reich des afrikanischen Kontinents. Dies sage ich, damit
diejenigen, die hier anderes behauptet haben, das richtig
stellen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte heute Abend drei Punkte ansprechen, bei
denen wir konkret handeln können. Es kommt darauf an,
dass wir nicht nur reden, sondern auch handeln. Ich
möchte sagen, was ich für besonders wichtig halte. Dies
mache ich deshalb, weil afrikanische Regierungen dies
uns gegenüber ansprechen:




Carsten Hübner

10873


(C)



(D)



(A)



(B)


Erstens. Die Erhöhung derRohölpreise bedeutet eine
dramatische Verschlechterung der Terms of Trade für die
afrikanischen Länder und besonders für diejenigen afri-
kanischen Länder, die kein Erdöl produzieren, sondern es
importieren. Die Preissteigerungen der OPEC – das wis-
sen Sie alle – haben schon bei unseren Autofahrern Un-
mut verursacht. Aber in Afrika bedeutet das, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, dass aufgrund der vorhandenen
Struktur ganze Wirtschaften zerrüttet werden. Angesichts
dessen ist das, was wir hier in Deutschland diskutiert ha-
ben, wirklich nur ein kleiner Ansatz.

Sie müssen sich vorstellen, dass dies Länder sind, die
erstens durch die Rohölpreissteigerungen stärker betrof-
fen sind und die dies zweitens nicht durch Erlöse aus ihren
eigenen Rohstoffen ausgleichen können, sodass sich die
Terms of Trade dramatisch zu ihren Lasten verschlech-
tern. Afrikanische Länder sind im Übrigen weit mehr von
der Erhöhung als andere Regionen betroffen, denn die
Preissteigerungen fallen dort aufgrund der geringeren
Einkommen sehr viel stärker ins Gewicht. Außerdem sind
Preisschwankungen für Rohölimporte für viele afrikani-
sche Länder, die sich ohnehin schon in einer schwierigen
Situation befinden, ein weiterer Faktor der Destabilisie-
rung.

Welche Handlungsmöglichkeiten gibt es? Wir werden
zwei Aspekte in den Vordergrund stellen, weil die afrika-
nischen Länder dies von uns erwarten. Erster Aspekt: Wir
unterstützen die Länder – die internationale Gemeinschaft
muss das gemeinsam machen – bei der Reform ihres
Energiesektors.Diese Länder haben nach Berechnungen
der Weltbank durch ineffiziente Beschaffungsverfahren
schon jetzt einen Verlust von rund 1 Milliarde US-Dollar.
Es ist auch bekannt, dass afrikanische Länder wesentlich
höhere Importpreise zu bezahlen haben, weil sie gegen-
über den Öl exportierenden Ländern eine schlechtere Ver-
handlungsposition haben. Das heißt für uns, die Reform
des Energiesektors mit voranzubringen. Auch die erneu-
erbaren Energien sind ein ganz zentraler Punkt bei der
Veränderung der Position dieser Länder.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


So viel Entwicklungszusammenarbeit können wir im
Haushalt gar nicht vorsehen, wie angesichts der schon
jetzt spürbaren negativen Auswirkungen der Entwicklung
notwendig ist.

Der zweite Aspekt: Ich habe beantragt, diese Frage auf
die Tagesordnung der Septembersitzung der Weltbank zu
setzen, weil ich der Meinung bin, dass die dort vertrete-
nen Länder – das sind Öl exportierende und Öl importie-
rende Länder und andere Industrieländer – gemeinsam
über diese dramatische Situation diskutieren müssen und
dass wir Mechanismen der Unterstützung seitens Welt-
bank und IWF überprüfen und in Gang bringen müssen,
damit konkret gehandelt wird.

Ein zweiter Punkt: Aids. Liebe Kolleginnen und Kol-
legen, die Bundesregierung unterstützt in diesem Jahr mit
Neuzusagen von 55 Millionen DM konkrete Projekte, die
diese Krankheit, diese Epidemie unmittelbar bekämpfen,
und zwar in allen Bereichen. Die Weltbank wird auf un-

sere Initiative hin Mittel im Umfang von 500 Milli-
onen DM für die Bekämpfung dieser Pandemie, dieser
Seuche, dieser dramatischen Gefährdung zur Verfügung
stellen. Auf dem bevorstehenden G8-Gipfel wird das ei-
nes der zentralen Themen sein.

Aber ich sage an dieser Stelle auch: Die Länder sind
mitverantwortlich. Ich weiß nicht, wie es bei meinen Vor-
gängern war, aber ich spreche bei jeder politischen Reise
gegenüber den höchsten Repräsentanten an, dass sie Lea-
dership zeigen müssen; denn Verschweigen heißt Tod. Die
Regierungschefs, die Präsidenten sind selbst für Aufklä-
rung im Land verantwortlich. Nur wenn das Verschwei-
gen endlich durchbrochen wird, wenn nicht der Eindruck
vermittelt wird, es sei ein Tabu,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


werden die Menschen im Land selbst ihr Verhalten än-
dern. Denn gegen Aids kann man sich schützen: entweder
durch Treue, durch Abstinenz oder durch Kondome. So
hat es eine in Afrika erfolgreiche Initiative aufgezeigt.
Das muss zum Thema gemacht werden. Die Diskussion
muss von der Spitze der betroffenen Länder geführt wer-
den. Es gibt diese Verantwortung.

Vor allen Dingen soll damit auch Hoffnung geschaffen
werden. Uganda hat das so gemacht. Der dortige Präsi-
dent Museveni hat das so gemacht. Er hat die Themen an-
gesprochen. Damit hat sich die Zahl der Neuinfizierungen
im Land drastisch reduziert. Es gibt also auch Hoffnung.
Es ist nicht so – das wäre ja schrecklich –, dass die Seu-
che unaufhaltsam wäre. Durch Verhaltensänderung, durch
öffentliche politische Diskussion in Afrika selbst kann et-
was verändert werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dritter und letzter Punkt – auch da sind wir betrof-
fen –: gute Regierungsführung. Das ist auch ein ganz
konkreter und praktischer Punkt. Es ist zum Beispiel un-
erträglich, wenn Diamanten, an denen Blut klebt, in den
Handel gelangen. In Sierra Leone terrorisieren kriminelle
Banden, die sich fälschlicherweise Rebellen nennen, die
Bevölkerung. Sie hacken den Leuten die Gliedmaßen ab.
Sie wollen an die Diamantenfelder; denn sie wollen mit
dem Verkauf von Diamanten ihr verbrecherisches Hand-
werk finanzieren. Deshalb sind die Industrieländer und
auch die Diamantenindustrie aufgefordert, ihre Verant-
wortung wahrzunehmen. Diese Quelle der Kriegsfinan-
zierung muss zum Versiegen gebracht werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS – Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Und das kostet kein Geld!)


– Das kostet kein Geld.
Ich begrüße deshalb nachdrücklich, dass der UN-Si-

cherheitsrat auf Initiative der britischen Regierung ges-
tern Nacht ein Diamantenhandelsverbot gegen Sierra
Leone verhängt hat. Ich plädiere dafür, dass es auf abseh-




Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
10874


(C)



(D)



(A)



(B)


bare Zeit aufrechterhalten bleibt und damit Konsequenzen
gezogen werden.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411420900
Frau Kollegin, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.

Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:
Danke, Frau Präsidentin.

Ich wollte zum Schluss sagen: Sie sehen die struktu-
rellen Zusammenhänge. Wir müssen uns jedes Mal ein
Element heraussuchen, wo wir bezüglich der strukturellen
Fragen mit unserem eigenen Engagement etwas verän-
dern können.

Die Bundesregierung und ich als Entwicklungsminis-
terin sind angetreten, diese Verantwortung wahrzuneh-
men. Wir nehmen sie wahr, weil wir wissen: Afrika ist ein
Kontinent, der große Hoffnungen hat, ein Partnerkonti-
nent, eine Region mit großen Chancen. Wir können dazu
beitragen, dass die Chancen dieses Kontinentes genutzt
werden.

Ich danke Ihnen sehr.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411421000
Der letzte Redner die-
ser Debatte ist der Kollege Dr. Karl-Heinz Hornhues für
die Fraktion der CDU/CSU.


Dr. Karl-Heinz Hornhues (CDU):
Rede ID: ID1411421100
Frau Präsi-
dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Man kann kritisieren, dass
uns von der Regierungskoalition bergeweise Papier auf
den Tisch gelegt wird. Wahrlich; denn es ist sehr viel zu
lesen. Vieles ist gar nicht so schlecht oder sogar ganz gut.


(Rudolf Bindig [SPD]: Haben Sie was gelernt!)


Ich bin dafür, es nicht zu sehr zu kritisieren, weil ich jede
Gelegenheit als begrüßenswert empfinde, über Afrika re-
den können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Steter Tropfen höhlt den Stein. Vielleicht kommen wir

doch zu dem Punkt, dass im Rahmen der unendlichen Pri-
oritäten der jetzigen Bundesregierung die Priorität Afrika,
von der wir heute einiges gehört haben, tatsächlich von
der letzten Position der Prioritätenskala ein paar Millime-
ter näher an die anderen Prioritäten herangerückt wird.

Wenn wir ehrlich sind, Herr Außenminister, müssen
wir uns ja wohl darüber im Klaren sein: Wenn man über
Afrika spricht, steht es für einen Moment im Mittelpunkt
unseres Interesses. Kaum haben wir den Saal verlassen,
bleiben vielleicht die paar „Afrikafans“, wie Herr

Schuster in der Regel zu sagen beliebt, noch übrig, um
sich weiter darum zu kümmern. Sie finden sich dann zur
nächsten Debatte wieder zusammen, um erneut zu for-
dern.

Ich fand es bemerkenswert, dass sich der Außenmini-
ster zu den Anträgen der ihn tragenden Koalitionsfraktion
nicht geäußert hat. Ich unterstelle Ihnen, Herr Außenmi-
nister, dass Sie keine Gelegenheit hatten, die Anträge zu
lesen. Es steckt eine ganze Menge an Forderungen darin,
was das Außenministerium alles tun soll. Ich finde es
schon bemerkenswert und warte auf die nächste Debatte,
damit wir abfragen können, was die Bundesregierung
dem Petitum des Kollegen Tappe folgend alles getan hat,
um die Probleme vielleicht einen Millimeter näher an die
Lösung heranzubringen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Das ist doch die Arbeitsteilung Politik/Exekutive!)


– Ja, ich finde es ja prima. Ich wollte nur den Außenmi-
nister daran erinnern, damit er es nicht vergisst, weil er es
eben noch nicht gesagt hat.

Ich habe noch einen zweiten Punkt, nur damit sich die
Legenden in diesem Lande nicht allzu fest graben: die
Schuldeninitiative. Meine sehr geehrten Damen und
Herren, ich höre ja, etwas fängt schon an, real wirksam zu
werden. Es sei nur zu Protokoll gegeben, dass Schulden
erlassen keine Erfindung von Ihnen ist. Ich finde es löb-
lich, wenn sie es weiter betreiben.


(Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat auch niemand behauptet! Aber diese Regierung setzt sie um!)


Bis zum Ende unserer Regierungszeit sind immerhin
9 Milliarden DM Schulden erlassen worden. Wir fragen
dann noch einmal nach.


(Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Bilateral, aber nicht multilateral, Herr Kollege!)


– Herr Kollege, auch da ist einiges geschehen, wie Sie
ganz genau wissen. Wenn Sie bilateral weitermachen,
finde ich das ganz prima.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, nehmen Sie
bitte zur Kenntnis: Es ist keine völlig neue Erfindung von
Ihnen. Es gab schon vorher ein Nachdenken über Pro-
bleme.

Worum geht uns in der Sache, wenn wir über Afrika
diskutieren? Glücklicherweise hat sich inzwischen im-
merhin hier weitgehend durchgesetzt: Es geht vor allen
Dingen auch um unser ureigenes Interesse, nämlich um
die Frage, wie wir mit einem Kontinent weiterleben wol-
len, der wie kein anderer von Krisenkatastrophen ge-
schüttelt und gebeutelt ist. Es ist unser Nachbarkontinent.
Wir können das Problem Afrika nicht den Mitgliedern der
südlichen Länder der Europäischen Union als Privatpro-
blem überlassen. Vielmehr müssen wir begreifen, dass
auch wir uns immer stärker diesem Problem zuwenden
müssen, damit unsere Partner in der Europäischen Union
auch bereit sind, auf uns zu hören, wenn wir größere




Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul

10875


(C)



(D)



(A)



(B)


Probleme haben, die vielleicht in Mittelosteuropa und
nicht an dem Mittelmeerrand liegen, und bereit sind, diese
Probleme mit uns gemeinsam anzugehen.

Das heißt: Unser Bemühen, für Afrika mehr zu tun, hat
auch den Hintergrund – das sollten wir unseren Mitbür-
gern sagen –, dass wir für andere Probleme, mit denen un-
sere Partner stärker kämpfen, mehr Verständnis haben
müssen. Dabei ist durchaus eine gehörige Portion Egois-
mus vorhanden, wenn wir uns um diese Probleme küm-
mern.

Wenn wir uns die Frage stellen, was man tun könne,
taucht als erstes Stichwort sofort der Begriff der Präven-
tion auf. Der bedeutendste Teil der Prävention ist die Ent-
wicklungszusammenarbeit, die wir betreiben. Ich will
nicht in eine Debatte darüber einsteigen, was gut oder
schlecht ist. Ich will aber eines anmerken: Es wird immer
weniger für die Entwicklungszusammenarbeit ausgege-
ben. Ich fand es heute insoweit gut, dass die Frau Minis-
terin nicht wie beim letzten Mal versucht zu erklären, dass
es zwar weniger, aber trotzdem mehr sei. Was immer der
Grund für die Reduzierung sein mag, es ist weniger. Es ist
ein Problem, anderen deutlich machen zu müssen, warum
wir mehr tun wollen, aber weniger Mittel dafür zur Ver-
fügung stellen.

Einer Europäisierung stimme ich zu, es sei denn, es
würden bestimmte Zwecke damit verfolgt. Wenn dahinter
steckt, mehr Zusammenarbeit in Richtung Europa mit
dem Gedanken zu machen, die sollen das tun, damit wir
aus dem Schneider sind, muss man dies offen sagen, ohne
das Bemühen der Europäisierung überzustrapazieren.
Wenn Europäisierung aber meint, die deutsche Bundesre-
gierung und der Deutsche Bundestag wollen sich ver-
stärkt darum bemühen, dass Europa insgesamt mit uns –
da wir nicht die Kleinsten sind, auch sehr stark mit uns –
eine Afrikapolitik entwickelt, die sich in einem für uns für
notwendig gehaltenen Maße in Afrika einmischt und als
Partner zur Verfügung steht, dann, Herr Außenminister,
müssen wir zwingend darüber diskutieren, was die
Schließung von Botschaften bedeutet. Dies ist mit dem
Argument, es habe an Geld gefehlt, nicht zu beantworten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Ich kann nicht sagen, ich wolle Krisenprävention machen,
und kappe dabei eines der wenigen Instrumente. Dies ist
besonders schlimm in Ländern wie Burundi, Tschad und
Niger.

Mich interessiert in diesem Zusammenhang die Frage,
was uns noch bevorsteht. Ich weiß nicht, ob die Presse-
meldungen stimmen, dass infolge weiterer Kürzungen
weitere Botschaften geschlossen werden sollen. Ich gebe
zu Protokoll, dass der Herr Außenminister den Kopf
schüttelt. Ich schließe daraus, dass keine weitere Bedro-
hung für unsere Auslandsbotschaften besteht. Ich hoffe,
dass uns nicht zu einem späteren Zeitpunkt mit anderen
Argumenten das Gegenteil droht.

Diese Strategie, sich zurückzuziehen und anderen die
Verantwortung zuzuschieben – egal, ob OAU oder UNO –
halte ich für einen eklatanten Fehler, weil dies unseren
Einfluss schwächt. Es bedeutet auch, dass wir in Wahrheit

zwar schöne Reden über die Probleme in Afrika halten,
tatsächlich aber selten in der Lage sind, ein Problem kon-
kret zu lösen. Die Schwierigkeit ist, dass wir oft hier ge-
sessen und darüber geredet haben, was andere falsch ma-
chen, wenn zum Beispiel die französische Fremdenlegion
in eine bestimmte Richtung marschiert ist oder davon die
Rede war, dass sich die CIA auf dem einen oder anderen
Feld – ich glaube, es war im Kongo – einmischt. In diesen
Fällen haben wir immer dagestanden und gesagt: „Da hät-
ten wir...“; „Da könnten wir“, „Da müssten wir ...“.

Die Frage ist, was uns an eigenen Erkenntnissen auf-
grund eigener Recherche vorliegt. Man kann in diesem
Zusammenhang über andere Instrumente als die Bot-
schaften nachdenken. Wir haben eine Institution, die
Nachrichten beschafft und wie ich gehört habe, ab und zu
einen Reisenden nach Afrika schickt. Wenn alles so wich-
tig ist, wie diese Institution das schildert, müssen wir uns
die Frage stellen, was getan werden kann.

Die Westeuropäische Union wird in ihrem operativen
Teil, den Petersberg-Aufgaben, in die Europäische
Union übernommen. Wir haben gelernt: Krisenprävention
ist schön, klappt aber meistens nicht. Im Ergebnis haben
wir die Krisen und diese bestehen nicht immer nur aus
Wirbelstürmen oder Hochwasser. Das alles wäre schon
schlimm genug, aber viel zu oft wird geschossen, gemor-
det und getötet. Wir stehen dabei immer vor den gleichen
Fragen. Meine Frage ist: In welchem Umfang drängt die
Bundesregierung darauf, dass die Europäische Union mit
ihren Petersberg-Aufgaben – das heißt den alten WEU-
Aufgaben – real mit Afrika zusammenarbeitet und nicht
nur ein paar Sprüche klopft? Wie sieht es konkret mit un-
serer Ausstattungshilfe aus?

Wer einige Krisenszenarien nachzeichnet, muss sich
darüber im Klaren sein, dass manches Unternehmen
wahrscheinlich schlechter ausgegangen wäre, wenn es die
Ausstattungshilfe nicht gegeben hätte. Ich komme damit
zu einem weiteren Punkt, von dem ich weiß, dass seine
Behandlung schon vor längerer Zeit eingeschlafen ist,
weil viel schief gelaufen ist.

Wo immer in Afrika etwas passiert, haben wir es mit
dem Militär zu tun. Die Bundeswehr hat in der Vergan-
genheit wiederholt in ihrer internationalen Offiziersaus-
bildung afrikanische Offiziere einbezogen. Dies ist mei-
nes Wissens eingestellt worden, weil man nicht nur gute
Erfahrungen gemacht hat, um es sehr vorsichtig zu sagen.
So heikel die Frage der Armee in der Demokratie ist, so
haben wir doch ein spezielles Kapitel an eigenem Know-
how und Wissen. Es steht uns durchaus zu, darüber nach-
zudenken, ob wir nicht den Mut haben, dies in eine Über-
legung einzubringen, Ländern zu helfen, in Strukturen zu
denken und zu empfinden, die uns dann, wenn es wieder
ernst wird, die Chance geben, an bestimmte Personen auf
bestimmte Werte bezogen zu appellieren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den
Beiträgen, die ich gehört habe, waren viele Gemeinsam-
keiten enthalten. Das finde ich sehr gut. Ich finde es wei-
terhin sehr gut, wenn sich die Koalitionsfraktionen künf-
tig bei der Produktion von weiteren Anträgen freundli-
cherweise mit uns in Verbindung setzen, wenn sie den
Verdacht haben, es sei gemeinsames Gedankengut der




Dr. Karl-Heinz Hornhues
10876


(C)



(D)



(A)



(B)


meisten Parteien in diesem Hause. Denn bezogen auf die
schönen Sätze des Außenministers und vieler anderer
habe ich ein Problem. Dies heißt: Zu vielem höre ich vie-
les gern. Die Rede des Kollegen Tappe habe ich in großen
Teilen sehr gern gehört. Allein mir fehlt der Glaube, dass
das, was dort gesagt wird, Wirklichkeit wird. Ich glaube,
wir brauchen weiterhin ein gewisses Maß an Gemein-
samkeit der „Afrikafans“, Herr Schuster, damit wir versu-
chen zu erreichen, dass Afrika im Bewusstsein von uns al-
len – der Bundesregierung und vielleicht auch des Volkes –
nicht die Gegend ist, wo am Ende nur noch die Antarktis
kommt. Ein bisschen mehr sollte es sein.

Ein allerletztes Wort.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411421200
Aber bitte ein aller-
letztes, Herr Kollege.


Dr. Karl-Heinz Hornhues (CDU):
Rede ID: ID1411421300
Herr Tappe,
Sie haben davon gesprochen, die Würde zurückzugeben.
In unseren Museen steckt manches, was aus Afrika
stammt, und für Afrika ein unersetzliches Kulturgut ist. Es
ist für uns auch interessant, aber eine Bundesregierung,
die sich aufmacht – ich habe das mit wenig Erfolg in der
Vergangenheit versucht; versuchen Sie es einmal –, einen
Kulturtransfer besonderer Art einzuleiten, um Afrika zu
helfen, ein Stück der eigenen Identität wiederzugewinnen,
wäre des Schweißes der Edlen wert. Bemühen Sie sich ein
wenig!

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der F.D.P. und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411421400
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich der Kollegin Dr. Uschi Eid, Bündnis 90/
Die Grünen, das Wort.


Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411421500
Frau
Präsidentin! Der Außenminister hat einige Konflikte auf
dem afrikanischen Kontinent angesprochen. Viele davon
wurden auch im Detail besprochen. Aus aktuellem Anlass
möchte ich aber einen Konflikt benennen, weil der Krieg
zwischen Eritrea und Äthiopien Gott sei Dank zu Ende
gegangen ist und die Verhandlungen in eine entschei-
dende Phase eingetreten sind.

Ich möchte gerne beiden Konfliktparteien etwas mit
auf den Weg geben: An Äthiopien möchte ich appellieren,
nicht im militärischen Siege triumphalistisch den Nach-
barn klein zu machen. An die Eritreer möchte ich appellie-
ren, nicht nur den Krieg als beendet anzusehen, sondern
auch der internationalen Öffentlichkeit klarzumachen,
welche demokratischen Schritte in der nächsten Zukunft
für dieses Land vorgesehen sind.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411421600
Frau Kollegin Eid,
entschuldigen Sie, aber ich muss Sie darauf aufmerksam
machen, dass Kurzinterventionen nur zu Beiträgen ge-
stattet sind. Mir wurde angekündigt, dass Sie eine Kurz-
intervention zu den Ausführungen des Kollegen

Hornhues machen wollen. Jetzt ist es zu spät, aber ich
möchte alle Kolleginnen und Kollegen an diese Spielre-
gel erinnern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die
Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/3701 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnis 90/Die Grünen mit
dem Titel „Friedensbemühungen am Horn von Afrika ver-
stärken“, Drucksache 14/3767. Wer stimmt für diesen An-
trag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist
bei Enthaltung der Fraktionen der CDU/CSU und der
F.D.P. angenommen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-
nen mit dem Titel „Demokratische und friedliche Kräfte
im Sudan unterstützen“, Drucksache 14/3768. Wer
stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Der Antrag ist bei Enthaltung der Fraktionen der
CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
mit dem Titel „Konflikt in der Region der großen Seen
eingedämmt – nicht gelöst“, Drucksache 14/3791. Wer
stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Der Antrag ist bei Enthaltung der CDU/CSU- und
der F.D.P.-Fraktion angenommen.

Die Beschlussfassung über den Antrag der Fraktion der
PDS „Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Äthiopien und
Eritrea“, Drucksache 14/3547, entfällt; denn die PDS hat,
wie der Kollege Hübner angekündigt hat, ihren Antrag
zurückgezogen, weil ihrer Forderung nach sofortiger Ab-
stimmung nicht stattgegeben wurde.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Dr. Hermann Otto Solms, Hildebrecht
Braun (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der F.D.P.
Ökosteuer zurücknehmen
– Drucksache 14/3519 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die




Dr. Karl-Heinz Hornhues

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(C)



(D)



(A)



(B)


F.D.P. sechs Minuten erhalten soll. Sind Sie damit einver-
standen? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so
beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die
F.D.P.-Fraktion ist der Kollege Rainer Brüderle.


(Detlev von Larcher [SPD]: Ihnen fällt nichts Neues ein! Geschlagene Schlachten schlagen Sie!)



Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1411421700
Hören Sie einmal genau zu,
Herr von Larcher! Das tut Ihnen gut.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die

F.D.P. tritt für die Abschaffung der staatlichen Zwangsbe-
glückungsmaßnahme Ökosteuer ein.


(Beifall bei der F.D.P.)

Deshalb fordern wir heute die Bundesregierung auf: Neh-
men Sie die bisherigen Schritte der Ökosteuer zurück!
Verzichten Sie auf weitere Schritte! Ersetzen Sie gleich-
zeitig Ihr Abkassiermodell durch eine wirkliche ökologi-
sche Steuerreform!

Wir zeigen Ihnen, wie es geht: Erstens. Schaffen Sie
die Kraftfahrzeugsteuer ab! Legen Sie sie auf die Mine-
ralölsteuer um! Zweitens. Wandeln Sie die Kilometerpau-
schale endlich in eine fahrzeugunabhängige Entfernungs-
pauschale um! Sie treiben mit einem gescheiterten Instru-
ment die Benzinpreise in die Höhe. Der Anteil, den die
Mineralölsteuer und die Mehrwertsteuer am Preis für ei-
nen Liter Normalbenzin haben, liegt bei 70 Prozent. Die
staatliche Ökosteuer ist somit entscheidender Preistreiber.
Dank der Steuererhöhungen müssen die Autofahrer allein
in diesem Jahr 4 Milliarden DM mehr für Kraftstoffe aus-
geben.

Ihre Ablenkungsmanöver bleiben zu durchsichtig.
Kaum kündigen die Rohölproduzenten eine Erhöhung ih-
rer Fördermengen an, jubilieren Sie schon und weisen da-
rauf hin, dass die Benzinpreise jetzt wieder sinken müss-
ten, um von der Ökosteuer abzulenken und sie aus der
Diskussion herauszuhalten. Das ist ein plumper Versuch,
den schwarzen Peter weiterzureichen. Ich habe den Ein-
druck, Sie wollen sich permanent aus der Verantwortung
stehlen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Plump sind Sie!)


– Wer dazwischenruft und -schreit, hat sowieso Unrecht,
Herr Kollege, weil er nicht in der Lage ist, kritische Ar-
gumente zu ertragen. Sie richten sich damit selbst.

Seien Sie doch wenigstens so ehrlich und sagen den
Leuten, denen Sie das Geld aus der Tasche ziehen, dass
Sie einen hohen Benzinpreis politisch gewollt haben! Be-
kennen Sie sich dazu, damit der berechtigte Zorn der
Menschen auch die trifft, die dafür die Verantwortung ha-
ben.

Wie wollen Sie den Rohölproduzenten erklären, dass
der Preis, den sie für das Rohöl verlangen, zu hoch ist,

wenn Sie selber für einen Steueranteil von 70 Prozent ver-
antwortlich sind? Das, was Sie machen, ist sozial unge-
recht. Gerade gering verdienende Arbeitnehmer, Rentner,
Pendler, Studenten, Auszubildende und Sozialhilfeemp-
fänger werden durch die Ökosteuer besonders geschröpft.
Das ist Ihre Sozialpolitik.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Es ist schon ein starkes Stück, dass Sie dem Zwangs-

instrument Ökosteuer das Etikett sozialer Gerechtigkeit
aufkleben. Sie wissen, dass große Teile der Bevölkerung
nicht von der bescheidenen Senkung der Rentenversi-
cherungsbeiträge profitieren. Rentner, Auszubildende,
Arbeitslose, Freiberufler, Landwirte und Beamte müssen
die Mehrbelastung ungeschmälert tragen. Das ist die Ur-
sache, warum immer mehr Sozialdemokraten öffentlich
die Anhebung der Kilometerpauschale oder gar das Aus-
teilen von Benzingutscheinen an Geringverdiener for-
dern. Das ist die Konsequenz aus der falschen Maßnahme
Ökosteuer. Im Grunde ist das eine Distanzierung von der
Ökosteuer.

Sie sollten es schon ernst nehmen, dass ein so renom-
mierter Umweltexperte wie Ernst Ulrich von Weizsäcker
für die Aussetzung der Ökosteuer plädiert. Spätestens da-
mit sollte auch der letzte Genosse kapiert haben, dass et-
was falsch gemacht wird.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich meine jetzt nicht die PDS-Genossen.

Lediglich die Grünen halten aufgrund ideologischer
Scheuklappen voller Inbrunst an der Ökosteuer fest. Herr
Schlauch und andere Grüne robben sich an das Auto
heran. Die grüne Hauspostille, die „taz“, spricht davon,
dass man „Gummi geben will“, dass man sich also in
Richtung Auto bewegt, weil man merkt, dass man völlig
falsch liegt. Wer die Rückführung der so genannten Öko-
steuer als „dummes Zeug“ bezeichnet, wie Herr Kuhn, der
muss doch endlich einräumen, dass das Lieblingsprojekt
gescheitert ist.

Ökologisch bringt die Ökosteuer nichts.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Stattdessen belasten Sie nur und erzielen keine ökologi-
schen Effekte. Eine ökologische Steuer müsste sich beim
Erreichen des Ziels selbst aufheben. In diesem Falle hät-
ten Sie aber gar kein Geld für das Stopfen der Löcher im
Haushalt und für die Rentenkasse. Die Weigerung, die
Ökosteuer abzuschaffen, ist unglaublich arrogant, gerade
gegenüber gering verdienenden Arbeitnehmern.


(Beifall bei der F.D.P. – Detlev von Larcher [SPD]: Das passt jetzt aber nicht zu sammen!)


Aber die haben Sie schon längst vergessen, auch bei Ihrer
Steuerreform. Sie machen lieber eine Politik für große
Konzerne und nicht mehr für kleine Leute. Das ist die Ver-
änderung Ihrer Politik.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Herr Brüderle, der Anwalt der Kleinen! Ich lache mich kaputt!)





Vizepräsidentin Petra Bläss
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(C)



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(A)



(B)


Inzwischen treten Herr Trittin und andere Grüne öf-
fentlich dafür ein, nicht mehr für die Rente zu rasen. Wenn
weniger Auto gefahren würde, dann hätten Sie noch we-
niger Geld in der Kasse, um alternative Energien zu sub-
ventionieren. Das ist eine Bankrotterklärung der Grünen
selbst. Man erkennt, dass es sich um eine Fehlkonstruk-
tion handelt und dass das Konzept von Abis Z nicht funk-
tioniert.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Sie treten auf die Innovationsbremse.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD – Monika Ganseforth [SPD]: Das ist ja peinlich, was Sie hier von sich geben!)


Indem Sie den Menschen das Geld durch höhere Benzin-
preise wegnehmen, kommt es eben nicht zu einer schnel-
leren Erneuerung der Fahrzeugflotte. Auch die Erfahrun-
gen aus den Ölkrisen von 1973 und 1980 zeigen, dass ge-
nau das Gegenteil erreicht wird.


(Detlev von Larcher [SPD]: Ach du liebe Zeit!)


Viele – gerade Geringverdiener – sind darauf angewie-
sen, weiter ihre alte Schleuder zu fahren, weil Sie ihnen
das Geld für ein neues Fahrzeug durch die Ökosteuer aus
der Tasche ziehen. Sie sollten sich hier dazu bekennen und
nicht darum herumreden.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Was ist denn das Wort des Kanzlers wert,


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Nichts!)

der vor der Wahl erklärt hat: einmal 6 Pfennig Mineralöl-
steuer, dann Schluss? Das gilt alles nicht mehr, weil die-
ses falsch konstruierte Konzept der Ökosteuer offenbar
der Kick ist, der die rot-grüne Koalition zusammenhält.
Man handelt partout gegen klaren Sachverstand. Wenigs-
tens die Sozialdemokraten sollten sich in dieser Frage von
den grünen Ideologen befreien und auch auf die Stimmen
ihrer Ministerpräsidenten hören,


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und auf Herrn Möllemann zugehen! Das wollten Sie doch sagen!)


die sagen, dass man das Projekt so nicht fortführen kann.
Sie zahlen den Preis dafür, dass Sie mit solchen Leuten
eine Koalition machen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Jetzt hat der die Katze aus dem Sack gelassen! Das war ein Koalitionsangebot!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411421800
Das Wort für die SPD-
Fraktion hat der Kollege Wolfgang Grotthaus.


Wolfgang Grotthaus (SPD):
Rede ID: ID1411421900
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag der
F.D.P., der bereits in der Aktuellen Stunde am 7. Juni 2000

in diesem Haus diskutiert und für schlecht befunden
wurde, ist heute erneut Thema. Herr Brüderle, mich freut,
dass ich Ihnen heute wieder antworten darf; denn ich habe
bei Ihrer Rede festgestellt, dass Sie keine neuen Inhalte,
sondern nur andere Worte gefunden haben. Von daher darf
ich Ihnen deutlich sagen: Anträge werden durch Wieder-
holungen nicht besser und dieser Antrag ist immer noch
schlecht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dieser Antrag ist deswegen schlecht, weil er weder ge-
wichtige Argumente gegen die Ökosteuer anführt noch in
seiner Verknüpfung von Benzinpreissteigerung und
Ökosteuer korrekt ist. Ich meine, die F.D.P. greift dieses
Thema vielmehr deswegen auf, um die Hoheit über die
Stammtische zu erringen. Das wird Ihnen vielleicht kurz-
fristig gelingen; aber mittelfristig werden Sie damit
Schiffbruch erleiden.

Es ist inzwischen beinahe unerträglich, immer wieder
die gleichen Aussagen nicht nur von der F.D.P., sondern
auch von der CDU zu hören. Ich will Ihnen sehr deutlich
sagen, dass diese Aussagen – ich habe es gerade schon er-
wähnt – in der Sache unrichtig sind. Ich will Ihnen – diese
Sicht ist mir auch aus der Bevölkerung heraus angetragen
worden – die Ursachen für die Preisentwicklung beim
Mineralöl nennen.

Es ist richtig, dass die Ökosteuer einen Teil der höhe-
ren Benzinpreise verursacht. Sie unterschlagen aber, dass
bei diesen Preiserhöhungen auch die Abschläge beim
Wechselkurs des Euros eine Rolle spielen; Sie unter-
schlagen, dass die Mineralölsteuer auch von anderen
Faktoren abhängig ist. So hat zum Beispiel das „Handels-
blatt“ geschrieben, dass

ein schwacher Euro, eine jährliche Ökosteuer von
6 Pfennig und eine starke Nachfrage in den USAund
Asien den Kraftstoff so teuer gemacht

haben. Auch die folgende Aussage des „Handelsblattes“
ist gültig, Herr Brüderle:

Doch wer bleibt schon kühl, wenn’s ums Auto geht
... die Oppositionsparteien ...

– damit sind Sie gemeint –
wettern gegen SPD und Grüne. Deren Ökosteuer sei
schuld an den hohen Preisen...

Lassen Sie sich dies mit auf den Weg geben: Die Öko-
steuer ist im letzten Jahr und in diesem Jahr jeweils um
6 Pfennig pro Jahr, also insgesamt um 12 Pfennig erhöht
worden. Dieses führte dann automatisch zu einem Anstieg
auch der Mehrwertsteuer um 2 Pfennig. Ihr Anteil an der
gesamten Benzinpreiserhöhung beträgt insgesamt nur
10 Prozent. Sie aber stellen sich hier hin und tun so, als
wenn die Ökosteuer den Benzinpreis insgesamt nach oben
getrieben hätte. Dies ist falsch und deswegen unlauter.


(Beifall des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Detlev von Larcher [SPD]: Haben Sie da zugehört, Herr Brüderle? Haben Sie das gehört?)





Rainer Brüderle

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(A)



(B)


Irgendwie bin ich davon überzeugt, dass Ihnen diese
Zahlen nicht fremd sind. Eigentlich sollten Sie bei einer
ernsthaften Analyse, Herr Brüderle, selbst zu diesen Er-
kenntnissen gelangt sein.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Alles falsch!)

Doch Sie wollen sich dies nicht eingestehen, weil Sie gar
nicht – das ist auch aufgrund Ihres Beitrages heute fest-
zuhalten – die sachliche Auseinandersetzung suchen, son-
dern hier einfach nur Stimmung machen wollen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zurück zur Sache! Die Debatte, ob die Ökosteuer den
Namen „Öko“ verdient hat, ist eigentlich ausgiebig ge-
führt worden. Alle politischen Lager waren sich darüber
einig, dass es noch ein weiter Weg hin zu einer echten
Ökosteuer ist. Allerdings, so muss man festhalten, ist es
durchaus ein erster Schritt, das ökologische Verhalten der
Bürgerinnen und Bürger zu stärken und einen spar-
sameren Umgang mit Energieträgern zu erreichen. Kriti-
ker beklagen, dass die Einnahmen der Steuer nicht für rein
ökologische Zwecke ausgegeben werden. Wir meinen,
das wäre ein erstrebenswertes Ziel. Doch die heute hier
auftretenden Kritiker der Ökosteuer wollen dies gar nicht.
Herr Brüderle, Ihr Kollege und unser früherer Kollege im
Bundestag, der Kollege Möllemann, will zum Beispiel die
Ökosteuer für Straßenbaumaßnahmen ausgeben.


(Zuruf von der F.D.P.: Das wäre genau die Alternative!)


Ich bezweifle, ob dieses dann ökologisch so wertvoll ist,
wie Sie bzw. der Kollege Möllemann es darstellen.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Da müssen Sie mit Herrn Möllemann reden, Herr Kollege, nicht mit mir!)


– Ich finde es Klasse, dass Sie hier Ihren Herrn
Möllemann in aller Deutlichkeit verleugnen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Insgeheim gehen Sie auf seine Vorschläge ein und wollen
gemeinsam mit dem Herrn Möllemann einen eigenen
Kanzlerkandidaten aufstellen. Das werden wir noch mit
Interesse beobachten. Wir werden noch des Öfteren bei
Ihrem Parteimitglied Möllemann den Finger auf die
Wunde legen.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Da brauchen Sie sich keine Sorgen machen!)


Die Bundesregierung hat sich als primäres Ziel die
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vorgenommen.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Deshalb Ökosteuer!)


Ein wichtiger Aspekt sind die Lohnnebenkosten, die in
der Bundesrepublik zu hoch liegen, weil sie während Ih-
rer Regierungszeit so stark gestiegen sind. Um hier eine
Veränderung zu erreichen, verwendet die Bundesregie-
rung die Erträge aus der Ökosteuer zur Senkung der Ren-
tenversicherungsbeiträge und reduziert so die Lohnne-
benkosten. Als Folge treten positive Effekte auf dem Ar-

beitsmarkt auf. Ich gehe davon aus, dass Sie heute in den
Nachrichten die Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit
gehört haben. Diese belegen das nämlich ganz aktuell:
Insgesamt gibt es 3,47 Millionen Arbeitslose.


(Peter Dreßen [SPD]: 3,74 Millionen!)

– 3,74 Millionen. Herzlichen Dank. Mir ist hier ein Zah-
lendreher passiert. – Wir meinen, dass das immer noch zu
viele sind, aber dieser Wert ist der niedrigste seit 1995.


(Peter Dreßen [SPD]: So ist es!)

Ich erinnere daran, worüber der Kollege Merz heute

Morgen in der Steuerdebatte geredet hat. Er sprach davon,
dass er auf dem Arbeitsmarkt keine Veränderungen fest-
stellen kann. Ich stelle fest: Das ist eine Aussage ohne
Sachverstand. Auch hier hätte sich Ihr Kollege Merz sach-
verständig machen müssen.


(Beifall bei der SPD)

Langfristig, Herr Fromme, hat die Ökosteuer auch einen
ökologischen Lenkungseffekt.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Wenn sie 5 DM beträgt!)


Industrie und Verbraucher orientieren sich um. Neben ei-
nem verantwortungsvolleren Umgang mit nicht erneuer-
baren Ressourcen schaffen die Entwicklung und Produk-
tion neuer Umwelttechnologien Arbeitsplätze und lassen
die deutsche Wirtschaft international gut dastehen.
Dies bestätigt auch eine Aussage des Rheinisch-Westfä-
lischen Instituts fürWirtschaftsforschung, wonach ein
Aussetzen der Ökosteuer in den nächsten drei Jahren ins-
gesamt 500 000Arbeitsplätze gefährden würde. Auch hier
stelle ich fest: Mehr und bessere Informationen Ihrerseits
könnten Sie des Öfteren davor bewahren, unsinnige An-
träge zu stellen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In der Aktuellen Stunde am 7. Juni haben wir Ihnen die
Aussagen der alten Regierungskoalition zur Ökosteuer
ins Gedächtnis gerufen, insbesondere jene der Kollegin
Merkel und der Kollegen Schäuble und Repnik, die er-
klärt haben: Die klare politische Zielsetzung einer steti-
gen Verteuerung des Umweltverbrauchs gibt Investoren
die notwendige Orientierung für langfristige Projekte.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411422000
Herr Kollege
Grotthaus, kommen Sie bitte zum Schluss.


Wolfgang Grotthaus (SPD):
Rede ID: ID1411422100
Ich komme zum
Schluss. – Ich will diese Aussage noch ergänzen: Sie sorgt
auch dafür, dass technologischer Fortschritt und Innova-
tion im Umweltbereich vorangetrieben werden. Heute
will die Opposition davon nichts mehr wissen. Sie fordert
die komplette Streichung der Ökosteuer, ohne darzustel-
len, wie sie die von mir genannten Ziele dann erreichen
will.

Ich sage Ihnen heute erneut – und damit zum dritten
Mal –: Die Ökosteuer bleibt. Sie erfüllt langfristig den




Wolfgang Grotthaus
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(C)



(D)



(A)



(B)


Zweck, Arbeit und Umwelt gleichrangig zu bewerten. Wir
sind mit der Einführung der Ökosteuer angetreten, dieses
Ziel zu erreichen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411422200
Nächster Redner ist
der Kollege Heinz Seiffert für die CDU/CSU-Fraktion.


Heinz Seiffert (CDU):
Rede ID: ID1411422300
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die Menschen in
Deutschland bewegt derzeit nichts mehr als die explodie-
renden Preise für Benzin und Heizöl.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Doch, Fußball!)


Längst reicht ein 100-Mark-Schein für eine Tankfüllung
nicht mehr aus. Viele Mieter werden demnächst aus allen
Wolken fallen, wenn sie ihre Nebenkostenabrechnung be-
kommen. Die Menschen in unserem Land sind sauer, weil
sie spüren, dass sie abkassiert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Kollege Grotthaus, wenn Sie sagen, es gehe uns

nur um die Lufthoheit über den Stammtischen, dann muss
ich Sie fragen: Wie weit sind Sie eigentlich von den Pro-
blemen der Menschen weg, seit Sie seit anderthalb Jahren
regieren?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Detlev von Larcher [SPD]: Aber Herr Seiffert! Erzählen Sie lieber einmal, warum das Kerosin teurer geworden ist!)


Natürlich wissen auch wir, dass es nicht allein die Öko-
steuer ist, die für die hohen Spritpreise verantwortlich ist.


(Peter Dreßen [SPD]: Das ist eine Einsicht!)

Hinzu kommt die Außenwirkung des Euro, die etwas
schwächer ist als erwartet.


(Wolfgang Grotthaus [SPD]: Sehr gut!)

Dazu zählen die gedrosselten Ölfördermengen und die da-
durch gestiegenen Preise. Klar ist aber: Die Initialzün-
dung für diese Preistreiberei an den Tankstellen geht auf
Sie zurück. Das hat die rot-grüne Regierung mit ihrer so
genannten Ökosteuer zu verantworten.


(Widerspruch bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Fünf Mark ist doch die Zielstellung, die ihr ausgegeben habt!)


Sie haben mit Ihrem Stufenplan für die nächsten fünf
Jahre gezeigt, dass Sie einen Erhöhungsspielraum von
35 Pfennig bei den Spritpreisen sehen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411422400
Herr Kollege Seiffert,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Heinz Seiffert (CDU):
Rede ID: ID1411422500
Lassen Sie mich diesen
Gedanken noch zu Ende führen. Sie gehen davon aus,
dass es einen Erhöhungsspielraum von 35 Pfennig gibt.
Jetzt wundern Sie sich, wenn der Markt nicht auf den Staat
wartet, wenn also andere versuchen, schneller diesen
Spielraum auszuschöpfen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411422600
Herr Kollege Dreßen,
bitte Ihre Zwischenfrage.


Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1411422700
Kollege Seiffert, nachdem Sie
schon mehrmals diese Mär wiederholt haben, möchte ich
Sie fragen: Können Sie mir einmal sagen, wie die
CDU/CSU die Rente in Ordnung gebracht hätte? Wir wis-
sen ja, dass wir im Rentenbereich Fremdleistungen in
Milliardenhöhe hatten.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das ist doch völliger Quatsch!)


Nach Durchsetzung Ihrer Vorstellung wären die Beiträge
auf 22 oder 23 Prozent angestiegen und hätten damit die
Lohnnebenkosten erhöht. Das konterkariert die Aussage
von Herrn Merz, die Lohnnebenkosten zu senken. Sagen
Sie mir bitte: Wie hätten Sie ohne die Ökosteuer die Rente
in Ordnung gebracht und die Fremdleistungen steuerfi-
nanziert?


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Die Rente war in Ordnung!)



Heinz Seiffert (CDU):
Rede ID: ID1411422800
Herr Kollege Dreßen, ich
frage zurück: Was hat die Ökosteuer im Ernst mit der
Rente zu tun?


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich sage es Ihnen: Rein gar nichts. Wir haben eine Ren-
tenreform durchgeführt, die Sie ohne jegliche Not
zurückgenommen haben.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Richtig!)

Jetzt müssen Sie Maßnahmen treffen, die für die alten
Menschen sehr viel schlimmere Folgen haben. Das ist die
Wahrheit. Mit der Ökosteuer hat das Ganze nichts zu tun.
Daraus wird deutlich, dass Sie nur abkassieren wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Peter Dreßen [SPD]: Sie haben doch die Arbeiter und Angestellten abgezockt!)


Wir haben es bei jeder Gelegenheit prophezeit: Sie tref-
fen mit der Ökosteuer besonders die Menschen – das sa-
gen wir Ihnen noch oft, auch wenn es Ihnen wehtut –, die
es sich am wenigsten leisten können.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das müssen Sie Herrn Schäuble und Herrn Merz sagen!)


Diese Ökosteuer wird keine ökologische Lenkungsfunk-
tion entwickeln und sie wird ganze Branchen in ihrer
Existenz gefährden. Diese Entwicklung haben wir kom-
men sehen. Wir haben es Ihnen gesagt und Sie haben es
nicht zur Kenntnis genommen.




Wolfgang Grotthaus

10881


(C)



(D)



(A)



(B)


Auch die Tourismusbranche wird dies spüren. Die
Menschen werden weniger mit dem Fahrzeug, mit ihrem
PKW, Urlaub in Deutschland machen – das gilt auch für
die Busreisen – und es wird alsbald die Tatsache zu be-
klagen sein, dass die Gastronomie einen Rückgang ver-
spürt.


(Zuruf von der SPD: In Frankreich zahlen die doch 15 Pfennig mehr pro Liter!)


Auch die Bahn mit ihren gestiegenen Preisen ist da leider
keine reizvolle Alternative.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die Bahn hat ihre Preise in diesem Jahr überhaupt nicht erhöht! Das ist das erste Jahr seit langem, wo die Bahn die Preise nicht erhöht hat!)


Es ist bereits jetzt, nach der zweiten Stufe Ihrer Öko-
steuerreform, überdeutlich: Diese Erhöhung der Energie-
preise entwickelt keinerlei Lenkungswirkung. Von dieser
Steuer geht keinerlei Anreiz zu Einsparungen von Energie
aus. Das haben Sie vermutlich auch gar nicht gewollt. Der
Kollege Brüderle hat es gesagt: Sie brauchen ja das Geld.


(Detlev von Larcher [SPD]: Sie wissen es doch besser!)


Die Autofahrer zahlen in den Jahren 1999 bis 2003 zu-
sätzlich 68,5 Milliarden DM Mineralöl- und Mehrwert-
steuer. Dies führt kaum zu einer weiteren Senkung der
Rentenbeiträge und von diesen Mitteln geht keine Mark
in zusätzliche Investitionen bei den Verkehrsanlagen. Das
ist besonders zu beklagen. Sie stopfen mit diesem Geld
nicht Löcher in den Straßen, sondern Sie stopfen damit
Löcher in der Rentenkasse, die Sie selbst gerissen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Die Ökosteuer ist das beste Beispiel für Ihre unausge-

wogene und unsoziale Politik; denn betroffen sind vor al-
lem die sozial Schwächeren. Rentner, Sozialhilfeempfän-
ger, Arbeitslose, Studenten, kinderreiche Familien, insbe-
sondere die Menschen im ländlichen Raum sind die
Leidtragenden der hohen Spritpreise.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wir im Sauerland! – Wolfgang Grotthaus [SPD]: Denen Sie früher etwas weggenommen haben!)


Sie können nicht auf den ÖPNV ausweichen und profitie-
ren oft auch nicht von der Absenkung der Rentenbeiträge.


(Detlev von Larcher [SPD]: Sie wollen denen das Kilometergeld wegnehmen!)


Sie haben immer angekündigt, dass mit Ihrer Öko-
steuer der Ausbau der erneuerbaren Energien gefördert
werden solle. In der Realität sieht es aber leider so aus,
dass erneuerbare Energien, insbesondere der Solarstrom,
voll besteuert werden, aber andere, begrenzt verfügbare
Energieträger, die unsere Umwelt belasten, von der Öko-
steuer ausgenommen werden. Also, wer das logisch fin-
det, muss mir das einmal erklären.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Brüderle [F.D.P.])


All die hehren Ziele, die Sie vorgegaukelt haben, wa-
ren Nebelkerzen. Die Ökosteuer dient in Wirklichkeit nur
einem: der Geldbeschaffung.


(Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: Das haben Steuern so an sich!)


Nach Angaben des Mineralölverbandes stiegen die
Steuereinnahmen im Jahr 1999 bei Benzin um knapp
5 Prozent, bei Diesel sogar um 12,5 Prozent. Da habe ich
auch Verständnis dafür, wenn die Mineralölwirtschaft
heute klagt, dass sie nicht mehr in erster Linie Mineralöl-
händler sei, sondern Steuereintreiber geworden sei.

Meine Damen und Herren, werfen wir einen Blick auf
die Wirtschaft in Deutschland. Diese ist geprägt von zahl-
reichen kleinen und mittleren Betrieben, die allesamt von
der Ökosteuer betroffen und durch sie belastet sind. Für
das produzierende Gewerbe haben Sie einen reduzierten
Steuersatz und – mit viel bürokratischem Aufwand – auch
eine Rückvergütungsmöglichkeit geschaffen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Hätten wir das nicht machen sollen?)


Der ganze Mittelstand aber, Handel, Handwerk, Ver-
kehrs- und Dienstleistungsunternehmen gehen leer aus.
Diese Betriebe haben doch gar keine andere Wahl, als die
Mehrkosten über die Preise weiterzugeben, und das
schlägt sich in der gestiegenen Inflationsrate nieder.

Oder es wird Personal eingespart. Es sind doch keine
Märchen, wenn die Kraftfahrzeuggewerbebetriebe – ein
Eckpfeiler unserer Wirtschaft – beklagen, dass sie 60 000
bis 100 000 Arbeitsplätze abbauen müssen. Nehmen Sie
eigentlich nicht zur Kenntnis, dass die Zulassungszahlen
für PKWs in Deutschland im ersten Quartal dieses Jahres
um 9 Prozent zurückgegangen sind? Die Ökosteuer hat
nach meiner festen Überzeugung dazu einen erheblichen
Beitrag geleistet.

Dem öffentlichen Nahverkehr, der ja nach grünen
Idealvorstellungen eigentlich als Alternative zum Auto
gelten sollte, entstehen durch die insgesamt fünf Stufen
der Ökosteuer fast eine halbe Milliarde DM an zusätzli-
chen Kosten. Dazu sagt der Hauptgeschäftsführer des
deutschen Städte- und Gemeindebundes:

Natürlich wird das über die Preise abgewälzt. Wer
soll es denn sonst bezahlen?

Die Auswirkungen der Ökosteuer machen auch dem
deutschen Güterkraftverkehrsgewerbe schwer zu
schaffen. Den im harten Wettbewerb innerhalb der EU
stehenden deutschen „Brummis“ haben Sie zusätzliche
Lasten aufgebürdet, die bei vielen kleinen und mittleren
Betrieben echt an die Existenz gehen. Viele Speditionen
leben derzeit nur noch von der Substanz, viele Arbeits-
plätze sind in Gefahr. Das kann Ihnen doch nicht egal
sein! Der Verband des Güterkraftverkehrsgewerbes hat
doch nicht aus Lust und Tollerei eine Klage beim Bun-
desverfassungsgericht eingereicht. Das ist doch ein Hilfe-
schrei dieser Unternehmen.

Besonders die neuen Bundesländer sind von der Öko-
steuer betroffen. Den dortigen Betrieben geht es vielfach
wirtschaftlich schlechter als denen in den alten Ländern,




Heinz Seiffert
10882


(C)



(D)



(A)



(B)


und die Strompreise sind dort ohnehin schon höher als im
Westen, ganz zu schweigen von den östlichen Nachbar-
ländern. Sie belasten mit der Ökosteuer die Konkurrenz-
fähigkeit der jungen Betriebe im Osten. Ist das Ihr Bei-
trag zum Aufbau Ost?


(Detlev von Larcher [SPD]: Herr Seiffert!)

– Ja, Herr von Larcher, das sind die praktischen Auswir-
kungen. Das muss man Ihnen sagen, da Sie sich nicht da-
rum kümmern.


(Detlev von Larcher [SPD]: Ach was, hören Sie doch auf! Das ist ein Schmarren!)


Auch die Finanzsituation der Kommunen ist durch die
Ökosteuer belastet. Die höheren Strompreise in Kinder-
gärten, Schulen, Sporthallen und Schwimmbädern stei-
gern die Kosten in diesen öffentlichen Einrichtungen.

Noch ein Wort zur Landwirtschaft. Viele Arbeits-
plätze können in diesem Bereich nicht mehr verloren ge-
hen. Doch der Strukturwandel wird durch die Ökosteuer
ebenso wie durch das Steuerbelastungsgesetz und die
Agenda 2000 weiter beschleunigt. In Süddeutschland
schließen zurzeit täglich zwölf Milchviehbetriebe.


(Detlev von Larcher [SPD]: Sprechen Sie mal mit Herrn Jagoda!)


Im Moment haben sie noch Pächter für ihre aufgegebenen
Flächen. Aber wenn die Entwicklung so fortschreitet, ha-
ben sie diese bald nicht mehr, weil dann auch die größe-
ren Betriebe nichts mehr verdienen. Was machen Sie dann
mit der viel gepriesenen Kulturlandschaft? Wollen Sie
dann staatliche Landschaftspfleger einstellen? Wir brau-
chen doch die Landwirtschaft!


(Detlev von Larcher [SPD]: Deshalb tun wir ja auch etwas für die Landwirtschaft!)


Es gibt also unendlich viele gute Gründe, die Öko-
steuer sofort abzuschaffen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Nein!)

Erste Zweifel an der Richtigkeit des beschrittenen Wegs
hat man, wie ich höre, sowohl in der SPD als auch bei den
Grünen. Vielleicht wird uns Herr Kollege Loske nachher
noch näher erläutern, wie er entsprechende Äußerungen
am 30. März 2000 gemeint hat.

Die Ökosteuer ist unsozial, sie nutzt der Umwelt nicht,
sie ist wirtschaftsfeindlich; deshalb ist sie unsinnig. Aus
diesem Grunde muss sie weg. Insofern unterstützen wir
mit Nachdruck den Antrag der F.D.P.

Falsch wäre nach unserer Überzeugung allerdings,
jetzt – wie dies auch im F.D.P.-Antrag gefordert wird – die
Kfz-Steuer abzuschaffen und auf die Mineralölsteuer
umzulegen. Damit würden Sie nur von dem rot-grünen
Ökosteuerunsinn ablenken.


(Detlev von Larcher [SPD]: Sehen Sie, Herr Brüderle!)


Herr Brüderle, im Gesetzblatt vom 18. April 1997
steht, dass wir nach fünf Jahren, also 2002, prüfen wollen,
ob eine solche Umlage sinnvoll wäre. Dabei sind aller-
dings die Auswirkungen einer solchen Maßnahme für die

schon jetzt gebeutelten Autofahrer, besonders im ländli-
chen Raum, zu bedenken. Es ist auch zu beachten, dass
wir dann aus der Mineralölsteuer eine weitere Ge-
meinschaftssteuer machen würden. Das halte ich nicht für
erstrebenswert.

Wir sehen also keine Veranlassung, in diesem Punkt
jetzt aktiv zu werden. Deshalb können wir die Ziffer 2 des
F.D.P.-Antrags nicht mittragen.

Wir legen unser Hauptaugenmerk weiterhin auf die
Ökosteuer. Die muss weg. Versenken Sie die Ökosteuer
im Sommerloch, rückwirkend und erst recht für die Zu-
kunft.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411422900
Nächster Redner ist
der Herr Kollege Reinhard Loske, Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.


Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411423000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
will heute nicht darüber reden, dass auch die CDU/CSU
und die F.D.P. früher einmal für die ökologische Steuerre-
form waren;


(Ina Albowitz [F.D.P.]: Das sind wir noch immer, Herr Loske!)


ich will auch nicht Herrn Repnik, Herrn Schäuble, Frau
Merkel und Herrn Töpfer zitieren. Ich will ebenso nicht
darüber reden, dass die Mineralölsteuer in den 90er-Jah-
ren um 50 Pfennig angestiegen ist,


(Zuruf von der CDU/CSU: Für die Bahnreform! Das war wirklich ökologisch!)


dass gleichzeitig die Rentenversicherungsbeiträge ange-
stiegen sind und dass im letzten Jahr Ihrer Regierung so-
gar die Mehrwertsteuer erhöht werden musste, damit die
Rentenversicherungsbeiträge stabil bleiben konnten. Da-
rüber möchte ich nicht reden,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


und zwar deshalb nicht, weil ich glaube, dass diese immer
gleiche Leier die politische Kultur in diesem Lande ver-
dirbt und die Politikverdrossenheit bei den Menschen er-
höht.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ich möchte stattdessen über den vorliegenden Antrag
der F.D.P. sprechen, Herr Brüderle. Der Antrag enthält
drei Punkte: Ökosteuer zurücknehmen, Kfz-Steuer ab-
schaffen und umlegen und Kilometerpauschale umwan-
deln – wobei Sie sich ein bisschen vor der Frage drücken,
wo denn die Freigrenzen liegen sollen usw.

Ich möchte zu dem ersten Punkt kommen, zur Ab-
schaffung der ökologischen Steuerreform. Dazu möch-
te ich die ersten beiden Sätze aus der Begründung Ihres
Antrags vorlesen. Sie lauten:




Heinz Seiffert

10883


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Steuererhöhungen im Rahmen der so genannten
ökologischen Steuerreform haben keine ökologi-
schen Wirkungen erzielt. Der Benzinverbrauch
steigt weiter an.

Dem will ich ein paar Fakten entgegenhalten: Erstes Bei-
spiel: Shell meldet für Januar bis April dieses Jahres – das
ist erst vor wenigen Tagen veröffentlicht worden – im Ver-
gleich zum Vorjahr einen Rückgang des Benzinabsatzes
um 4,5 Prozent. Das heißt, hier besteht eine Lenkungs-
wirkung.

Zweites Beispiel: Bei allen Automobilkonzernen, und
zwar durchweg, gibt es die Tendenz zum Sparauto. Das ist
eine sehr löbliche Aktivität.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich will einmal darstellen, wie man das bei Daimler-
Chrysler sieht. Der Umweltbevollmächtigte Werner
Pollmann hat gemäß „FAZ“ vom 13. Juni dieses Jahres
Folgendes gesagt: Er sei erstens kein Feind der Ökosteuer.
Man könne damit leben. Die öffentliche Diskussion halte
er zweitens für sehr populistisch. Drittens und letztens
könnten – jetzt passen Sie gut auf – hohe Kosten für Treib-
stoffe eine Quelle für Innovationen sein. Die deutschen
Hersteller arbeiteten daran, den Benzinverbrauch weiter
zu drücken. – Es gibt also eine ganz klare Tendenz zu
Energiesparautos.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Gregor Gysi [PDS]: Was kostet denn ein solches Auto für normale Leute?)


Drittes Beispiel – auch das fand ich sehr interessant –:
Wenn die These richtig wäre, dass nichts passiert, wie
kann es dann zu einer Meldung wie der vom 28. Juni die-
ses Jahres mit der Überschrift „ADAC will Autofahrern
Benzinsparen beibringen – Spritsparschule in München
eröffnet“ kommen? Landauf, landab sprießen solche
Fahrschulen aus dem Boden. Die zeigen nämlich, wie
man durch eine angepasste Fahrweise bis zu 25 Prozent
des Spritverbrauchs einsparen kann.


(Widerspruch bei der F.D.P.)

Beispielsweise die Heidelberger Firma Eco-Consult –
auch das ist der Presse zu entnehmen – hat 210 Beamte
der Bereitschaftspolizei Biberach im ökologischen Fahr-
stil trainiert. Das Ergebnis ist ein 20-prozentiger Rück-
gang des Verbrauchs. Genau das sind die Entwicklungen,
die wir haben wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jawohl! Das sind Innovationen!)


Vierter und letzter Punkt inhaltlicher Natur, den ich an-
führen möchte: Vor wenigen Wochen war in der „Berliner
Zeitung“ zu lesen, die Münchener Rückversicherung –
wahrlich kein unbedeutendes Unternehmen – plädiere
aufgrund der wachsenden Schäden durch Naturkatastro-
phen, durch Klimawandel und anderes – 1999 sei welt-
weit ein Schaden von über 100 Milliarden Dollar entstan-

den – für eine deutliche Anhebung der Ökosteuer und für
deren kontinuierliche Weiterentwicklung. Zitat: „Andern-
falls sind die Gefahren durch zukünftige Naturkatastro-
phen nicht mehr versicherbar.“

Ich weiß nicht, wie Sie auf die Idee kommen, dass
all das nichts bringen würde. Die Realität ist anders. Sie
haben keine Verbündeten mehr. Deswegen sprechen
Sie, Herr Brüderle, nur noch sehr allgemein. Bei Ihrem
Stammtischniveau glaubt Ihnen das sowieso keiner mehr.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Warum sollen wir hier in Deutschland – das ist mein
letzter Punkt zur Abschaffung der Ökosteuer; übrigens
sind wir in Europa immer noch auf Platz neun; das will ich
Ihnen vor Augen halten – mit dem Erfolgsmodell der
ökologischen Steuerreform aufhören, wenn andere, wie
Frankreich, Großbritannien und Italien, in die gleiche
Richtung marschieren? Sie wollen Deutschland in die
umweltpolitische Eiszeit zurückschießen.


(Peter Dreßen [SPD]: Steinzeit!)

Da wollen wir nicht hin. Da müssen Sie allein hingehen.
Das schaffen Sie aber nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zur Umwandlung der Kfz-Steuer. Es gibt Gründe
dafür, die Kfz-Steuer auf die Mineralölsteuer umzulegen.
Es gibt aber auch Gründe dagegen. Zwei möchte ich nen-
nen: Der erste Grund ist der, dass man bei der Kfz-Steuer
soziale Differenzierungsmöglichkeiten vornehmen kann,
dass zum Beispiel Behinderte auch in Zukunft von der
Kfz-Steuer befreit werden können. Das wäre bei einer
Umlegung der Kfz-Steuer auf die Mineralölsteuer nicht
möglich. – Das ist ein Grund, der dafür spricht.

Ein zweiter Grund, der dafür spricht: Wir können die
Kfz-Steuer durch eine ökologisch orientierte Spreizung,
indem wir sie nämlich am CO2-Ausstoß bzw. am Benzin-verbrauch orientieren, auch so einsetzen, dass bestimmte
Innovationen stimuliert werden bzw. Sparautos schneller
auf den Markt kommen.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Das haben wir gemacht!)


Immerhin ist der Antrag der F.D.P. insofern ein Fort-
schritt, als nicht zum wiederholten Male der Ladenhüter
der F.D.P., man wolle einen dritten Mehrwertsteuersatz
auf Energie einführen, herausgeholt wird. Nach soundso
vielen Jahren hat auch die F.D.P. kapiert, dass solche na-
tionalen Alleingänge, die wir nicht vorhaben, nichts brin-
gen und von der EU-Kommission nicht akzeptiert wür-
den.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411423100
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Dr. Gregor Gysi.




Dr. Reinhard Loske
10884


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411423200
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Ich habe eine Redezeit von drei
Minuten. Das ermöglicht es mir, das Problem in seiner ge-
samten philosophischen, religiösen, juristischen, ökono-
mischen, ökologischen, sozialen, sozial-kulturellen und
nicht zuletzt politisch-ideologischen Tiefe zu ergründen.


(Heiterkeit und Beifall bei der PDS, der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will Ihnen deshalb sagen: Das Auto ist weder eine
Schöpfung Gottes noch eine Erfindung des Satans.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Auch Schlauch hat es nicht erfunden!)


Wir müssen einfach versuchen, mit der berühmten Kirche
im Dorf zu bleiben. Deshalb betone ich: Die Ökosteuer,
so wie sie angelegt ist, ist falsch. Sie können über die be-
stehenden Probleme auch mit entsprechenden Reden
nicht hinwegtäuschen.


(Beifall bei der PDS, der CDU/CSU und der F.D.P. – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Brüderle und Gysi Arm in Arm!)


Das erste entscheidende Problem ist und bleibt: Sie
verwenden die Einnahmen aus der Ökosteuer nicht für
den ökologischen Umbau.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sonst wäre es ja eine Steuererhöhung!)


Sie bringen sich selber in Abhängigkeit, weil Sie damit et-
was Notwendiges finanzieren. Sie sind auf diese Finanzen
so angewiesen, dass Sie gar nicht hoffen dürfen, dass die
Ökosteuer je wirkt,


(Zuruf von der CDU/CSU: Wo er Recht hat, hat er Recht!)


weil Sie sonst gar nicht wüssten, woher Sie das Geld neh-
men sollten, um die Beiträge zur gesetzlichen Kranken-
versicherung stabil zu halten.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Man muss das Geld so verwenden, dass man jedes Jahr
weniger dafür verbraucht. Das heißt, dass man im ökolo-
gischen Umbau weiter ist.

Zweitens. Was die Energiesteuer betrifft, kommen Sie
aus der Ungerechtigkeit, dass das industrielle Gewerbe
gegenüber allen anderen Firmen deutlich bevorzugt wird,
nicht heraus.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Ich frage Sie noch einmal: Wer, wenn nicht die Industrie,
soll denn Energie sparen?


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat sie schon mehr getan als die kleinen Leute!)


Dadurch ist klar, dass die ökologische Wirkung gegen
Null tendiert.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Sie können den anderen Firmen auch nicht erklären,
warum diese den vollen Preis zahlen müssen. Damit ver-
wischen Sie auch Marktgesetze.

Der dritte Punkt ist, dass die sozial Schwächeren sowie
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch die ge-
samte Ökosteuer ganz deutlich zur Kasse gebeten werden.


(Widerspruch bei der SPD)

Wenn Sie hier immer große Reden halten, wie Sie ihnen
mit irgendwelchen Steuergesetzen entgegenkommen, ih-
nen das Geld hier aber wieder wegnehmen, dann sind
diese Reden zumindest hinsichtlich der sozialen Gerech-
tigkeit nichts wert. Ich sage Ihnen das ganz deutlich.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Sie dürfen doch nicht nur an die Energiesteuer im en-
geren Sinne und an die Mineralölsteuer denken. Sie müs-
sen auch einmal an die Heizkosten denken. In meine
Sprechstunde kommen Bürgerinnen und Bürger, die mir
nachweisen, dass sie aufgrund dieser Steuer jetzt 800 DM
pro Jahr mehr zahlen.


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Detlev von Larcher [SPD]: Jetzt lügen Sie! – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt hört es aber auf!)


– Ja, sie zahlen allein bei den Heizkosten 800 DM mehr.
Wenn Sie dies nicht zur Kenntnis nehmen, ist es Ihr Pro-
blem. Aber das sind die Realitäten. Die müssen Sie sich
einmal anschauen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Jetzt komme ich zum Thema Auto. Dass das Auto ein
Problem ist, ist doch unbestritten. Ich sage Ihnen auch
ganz klar: Ja, wir brauchen eine ökologische Steuer. Denn
Umweltverbrauch muss seinen Preis haben. Das ist ganz
klar. Aber diese Steuer brauchen wir nicht. Deshalb stim-
men wir Punkt 1 des Antrages der F.D.P. zu. Wir müssen
diese Steuer hinsichtlich der Verwendung der Mittel und
des sozialen Ausgleichs völlig anders anlegen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Ich sage Ihnen noch etwas zum Thema Auto. Darüber
kann und muss man ja diskutieren. Das ist ganz klar, und
zwar nicht nur wegen der Schadstoffe, sondern auch we-
gen der Staus etc. Nur frage ich Sie: Wo und wann haben
Sie je für eine Alternative gesorgt? Wie sieht es denn im
öffentlichen Nah- und Fernverkehr aus?


(Beifall bei der PDS)

Gerade durch die Ökosteuer werden Bahn und Bus noch
teurer. Gleichzeitig werden die Entfernungen zu den






(C)



(D)



(A)



(B)


Arbeitsplätzen immer weiter. So sieht die heutige Struk-
tur aus. Sie sagen den Menschen ja nicht, wie sie zu ihren
Arbeitsplätzen kommen sollen. Wissen Sie, das Motto
lautet hier: erst laufen, dann noch frieren. Das ist einfach
ein bisschen viel verlangt und so nicht machbar.


(Heiterkeit und Beifall bei der PDS, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Deshalb sage ich Ihnen: Die Idee der Ökosteuer geht in
Ordnung. Aber diese Ökosteuer ist ein völliger Griff da-
neben, und zwar in jeder Hinsicht. Deshalb sollten Sie sie
lieber aufgeben und mit uns eine vernünftige Variante fin-
den,


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die nichts kostet!)


die wirklich ökologisch ist, aber auch sozial gerecht ist
und dazu führt, dass wir endlich einen öffentlichen Perso-
nennah- und -fernverkehr bekommen, der eine Alterna-
tive zum Auto ist.


(Beifall bei der PDS)

Aber man kann die Menschen nicht ohne Alternative vom
Auto wegbringen. Das aber machen Sie. Gleichzeitig er-
zählen Sie ihnen, sie müssten bereit sein, 100 Kilometer
weit zu fahren, um einen Arbeitsplatz zu finden.

Auch Punkt 2 des Antrages geht in Ordnung. Eine Ent-
fernungspauschale ist viel besser als eine Kilometerpau-
schale.


(Beifall bei der PDS)

Stellen Sie sich einmal vor: Drei Leute, die in der gleichen
Straße wohnen und 50 Kilometer zu ihren Arbeitsplätzen
fahren, zwingen Sie dazu, dass alle drei getrennt mit
ihrem eigenen Auto fahren, damit sie die Kilometerpau-
schale erhalten. Bestünde jedoch eine Entfernungspau-
schale, könnten sie sich wenigstens in nur ein Auto setzen.
Das würde schon deutlich Benzin sparen. Aber nicht ein-
mal dazu sind Sie bereit. Deshalb sage ich: Nein, mit die-
ser Ökosteuer werden Sie niemals landen.


(Beifall bei der PDS, der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411423300
So wurden aus drei
Minuten viereinhalb Minuten.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das liegt an der geduldigen Präsidentin!)


Jetzt hat der Kollege Reinhard Schultz, SPD-Fraktion,
das Wort.


Reinhard Schultz (SPD):
Rede ID: ID1411423400
Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Die Ökosteuer ist eigentlich für
jede zweite Sitzungswoche ein schönes Thema – keine
Frage. Ich verstehe auch die Absicht, die damit verbunden
ist, dieses Thema in der Urlaubszeit zu besetzen. Das ist
aus Ihrer Sicht taktisch völlig in Ordnung, an der Sache
natürlich leider völlig vorbei.

Es kam ohne Frage zu erheblichen Benzinpreiser-
höhungen, und zwar aufgrund von Marktentwicklungen,

einer Verknappung der Rohölproduktion und aufgrund ei-
ner Euro-Dollar-Parität, die Importe außerordentlich be-
lastet,


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Sehr gefährlich!)

unsere Exporte dafür deutlich gefördert hat. Man kann
nicht beides – eine Import- und Exportförderung – haben,
sondern das eine geht immer zulasten des anderen.

Der Anteil der Ökosteuer an den Benzinpreiserhöhun-
gen – das ist eben schon dargelegt worden – macht nur ei-
nen kleinen Bruchteil aus. Aber wir haben zum Beispiel
beim Strompreis ebenfalls eine Ökosteuerkomponente.
Aber in diesem Bereich sinken aufgrund der Marktent-
wicklung die Preise. Das heißt, die Steuer beeinflusst im
Gegensatz zu Ihrer Aussage, Herr Kollege Seiffert, nicht
unbedingt die Preispolitik derjenigen, die die Energie lie-
fern. Dass es andere Faktoren gibt, wird gerade an diesem
Beispiel offensichtlich.

Schauen wir uns die Benzinpreise in Deutschland an,
stellen wir fest, dass wir immer noch im oberen Mittelfeld
und nicht etwa ganz oben liegen, da die Benzinpreise aus
den geschilderten Gründen auch in anderen Ländern stei-
gen. Wenn sich also Ihr berühmter Urlauber mit seinem
Auto vom Allgäu abwendet und stattdessen nach Frank-
reich fährt, zahlt er 10 Pfennig mehr für den Liter Sprit, in
Dänemark sogar 20 Pfennig.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Der fliegt nach Mallorca!)


– Vielleicht fliegt er auch nach Mallorca; es sei ihm
gegönnt. – Aber im europäischen Ausland findet er keine
„Billigbenzinoasen“, die er anfahren könnte. In vielen
Fällen ist das Benzin dort nach wie vor deutlich teurer als
bei uns, im Übrigen auch in Ländern ohne Ökosteuer.

Dass bei uns die Preise, auch wenn sie außerordentlich
hoch sind, im Vergleich zum europäischen Ausland noch
einigermaßen auf dem Teppich geblieben sind, liegt auch
daran, dass wir hier eine halbwegs vernünftige Wettbe-
werbsstruktur haben. Das Tankstellennetz verfügt – Sie
haben sich diesem Thema dankenswerter Weise bei ande-
rer Gelegenheit zugewandt – dem Umsatzvolumen nach
über 20 Prozent freie Tankstellen. Dadurch wird ohne
Frage im Vergleich zu Frankreich, wo es nur ganz wenige
Kraftstoffanbieter gibt, die Preisgestaltung korrigiert.

Wenn jemand wie Sie, Herr Brüderle, sich jetzt zum
wiederholten Male zum Schutzheiligen der Sozialhilfe-
empfänger aufschwingt, die mit ihren Dreiliterautos be-
sonders unter den Spritpreisen zu leiden haben


(Widerspruch des Abg. Rainer Brüderle [F.D.P.])


– natürlich haben Sie das wiederholt getan –, dann muss
man einmal vergleichen, wie sich in Europa die Benzin-
preise zu den Arbeitslöhnen verhalten. Wie lange muss
ein Arbeitnehmer eigentlich arbeiten, um einen Liter Sprit
bezahlen zu können? In Deutschland sind es gut fünf Mi-
nuten, in Großbritannien 6,5 Minuten, in Italien acht Mi-
nuten, in Griechenland mehr als neun Minuten und in Por-
tugal fast 15 Minuten. Obwohl die Preise völlig unter-
schiedlich sind, zeigt sich deutlich, dass die Preise und die




Dr. Gregor Gysi
10886


(C)



(D)



(A)



(B)


Einkommen in ein Verhältnis gesetzt werden müssen,
wenn man bewerten will, wie sich der Spritpreis auf das
soziale Gefüge auswirkt. Hier können wir uns mit einer
Arbeitszeit von fünf Minuten im Vergleich mit fast allen
europäischen Ländern gut sehen lassen. Das ist die ein-
zige Kenngröße, die unter sozialen Gesichtspunkten
zählt.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben die Ökosteuer bewusst so angelegt – dabei

folgten wir im Übrigen einer Empfehlung der Europä-
ischen Kommission –, dass wir eine Umwidmung errei-
chen: weg von der überhohen Belastung des Faktors Ar-
beit hin zur Belastung des Naturverbrauchs, ausgedrückt
durch Energieverbrauch. Diese Rechnung ist nach wie vor
richtig. Ginge aufgrund dieses Mechanismus der Energie-
verbrauch konsequent zurück – hier gebe ich Ihnen völlig
Recht –, würde sich irgendwann der Effekt aufheben.
Aber unsere Politik ist doch nicht, auf Dauer die Rente
über die Ökosteuer zu finanzieren. Vielmehr geht es da-
rum, bestimmte Verwerfungen aufgrund des demographi-
schen Altersaufbaus und aufgrund von Altlasten, die
mit versicherungsfremden Leistungen zusammenhängen,
zum Beispiel die Finanzierung von DDR-Renten oder von
Renten der Menschen, die aus Russland gekommen sind
und hier nichts eingezahlt haben, aus Steuermitteln zu fi-
nanzieren. Das ist ein endliches Problem. Irgendwann
wird der Bedarf an steuerfinanzierten Bestandteilen
zurückgehen, sodass die Ökosteuer für andere Aufgaben
verwandt werden kann.

Der Shell-Konzern stellt dar, dass es in etwa 14, 15 Jah-
ren einen riesigen Aha-Effekt geben wird, weil dann die
Mineralölvorräte der ganzen Welt zu mehr als der Hälfte
verbraucht sein werden. Dann werden Sie einmal sehen,
was wir für Preise haben werden. Wenn wir uns vorher
auch über die Steuerpolitik nicht darauf einstellen und da-
mit initiieren, dass Technologien entwickelt werden, die
mit deutlich weniger Energie auskommen, dann werden
wir unser blaues Wunder erleben, was das Thema mo-
derne Volkswirtschaft angeht. Dann stolpern wir nämlich
in eine Kostenfalle, aus der wir nicht herauskommen wer-
den.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist der Sinn, deswegen unterstützen uns aufgeklärte
Konzerne bei unserer Politik eines geplanten sanften An-
stiegs.

Dass im Augenblick Abzockerei eine Rolle spielt, dass
die Mineralölkonzerne, obwohl die Einstandspreise der
rohölproduzierenden Länder gesunken sind, noch einen
drauflegen, ist nun einmal unmittelbar vor der Ferienzeit
ein Mitnahmeeffekt, der sehr ärgerlich ist. Das Ganze hat
auch etwas mit der Wettbewerbspolitik der großen Ketten
gegenüber den kleinen freien Tankstellen zu tun. Dem ge-
hen wir nach, und das wird auch mit großer politischer
Aufmerksamkeit verfolgt werden.

Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der
F.D.P., haben in Ihrer Kleinen Anfrage, die ich im Übri-
gen gut finde – die Antwort darauf ist vom 14. Juni –, fol-
gende Eingangsbemerkung gemacht:

Mit einem Anteil von ca. 40 Prozent am
Primärenergieverbrauch in Deutschland nimmt das
Mineralöl eine Spitzenstellung ein. Die Entwick-
lung des Kraftstoffabsatzes ist daher auch in Zu-
kunft von hervorragender Bedeutung. Trotz steigen-
den Verkehrsaufkommens wird der Verbrauch von
Ottokraftstoff durch sparsame Fahrzeuge bis zum
Jahr 2010 um circa 18 Prozent ... sinken. Diesel-
kraftstoff ... (zeitversetzt ebenso).

Damit bestätigen Sie, dass es trotz mehr Mobilität Effekte
gibt, durch die deutlich weniger Primärenergie, sprich:
Mineralöl, verbraucht wird.


(Beifall des Abg. Detlev von Larcher [SPD])

Ihr wissenschaftlicher Mitarbeiter hat das gut erkannt.

Sie in Ihrer Weinfestlaune, Herr Brüderle, haben das nicht
gelesen. Das ist das Problem. Ich denke, Ihre eigenen Do-
kumente sind das beste Zeugnis dafür, welche Wider-
sprüche in Ihren Reihen auszutragen sind.

Ich finde es nicht schlecht – ich schließe mich hier aus-
drücklich dem Kollegen Loske an –,


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Das ist überraschend!)


wie sich der ADAC in letzter Zeit auf diese Diskussion
einlässt.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411423500
Denken Sie bitte auch
an Ihre Redezeit, Herr Kollege.


Reinhard Schultz (SPD):
Rede ID: ID1411423600
Ja, Frau Prä-
sidentin. Der ADAC setzt sich mit an die Spitze der Be-
wegung, die fordert, Benzin sparende Automobile, die
auch von den kleinen Leuten zu bezahlen sind, zu ent-
wickeln. Das ist eine wesentliche Forderung, die ich für
richtig halte. Wenn man hier breite politische Lobbyarbeit
betriebe, statt dem Spritverbrauch das Wort zu reden, und
dafür sorgen würde, dass intelligente Technik für jeden
verfügbar ist, dann hätte der ADAC eine Chance, eine
ökologisch ernst genommene Einrichtung zu werden, die
auch vom politischen Umfeld mehr Unterstützung be-
kommen könnte.

Ich bin fest davon überzeugt, dass uns, wenn wir uns in
wenigen Jahren wieder treffen und uns über das unterhal-
ten, was wir an Lenkungswirkungen, an sozialer Absiche-
rung der Rente und an Entlastung des Faktors Arbeit er-
reicht haben, der Rückblick auf zehn Jahre Ökosteuer
Recht geben wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411423700
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage
auf Drucksache 14/3519 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit




Reinhard Schultz (Everswinkel)


10887


(C)



(D)



(A)



(B)


einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b auf:
15. a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen

SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ächtung
der Gewalt in der Erziehung
– Drucksache 14/1247 –

(Erste Beratung 49. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/3781 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Margot von Renesse
Ronald Pofalla
Volker Beck (Köln)

Rainer Funke
Sabine Jünger

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem An-
trag der Abgeordneten Sabine Jünger, Rosel
Neuhäuser, Christina Schenk, Dr. Gregor Gysi und
der Fraktion der PDS
Ächtung der Gewalt in der Erziehung wir-
kungsvoll flankieren
– Drucksachen 14/2720, 14/3761 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Rolf Stöckel
Ingrid Fischbach
Irmingard Schewe-Gerigk
Klaus Haupt
Christina Schenk

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin
Margot von Renesse, SPD-Fraktion.


Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1411423800
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Vom liebsten Kind des Deut-
schen, dem Auto, zum Kind. Es gibt eine gute und eine
schlechte Nachricht. Die gute Nachricht: Heute werden
wir endlich das Züchtigungsrecht der Eltern ganz und gar
aus dem Gesetz vertreiben und damit einem alten Anlie-
gen, das alle Kindschaftsrechtler schon seit langem vor-
gebracht haben, entsprechen.


(Beifall bei der SPD)

Es wäre schön, wenn wir das gemeinsam in diesem Ho-

hen Hause beschließen könnten; denn die Botschaft, die
davon ausgeht, ist nicht, dass wir nun mit Knüppeln auf
die Eltern einschlagen, die ihrerseits, oft in ihrer Not, kei-
nen anderen Weg wissen, mit Kindern umzugehen, die ih-
nen Schwierigkeiten machen, als mit Gewalt. Wir haben
stattdessen in der Tat vor, mit Mitteln des Kinder- und Ju-

gendhilferechts ihnen dabei behilflich zu sein, andere
Wege gehen zu lernen.

Dies ist etwas, was wir gemeinsam machen müssten,
was wir als Botschaft aus diesem Hause in die Welt
schicken müssten, damit es die Menschen, die es immer
noch für richtig halten, dass man Kindern auch gelegent-
lich eine Ohrfeige oder gar eine Tracht Prügel verpasst,
damit sie funktionieren, irgendwann nicht mehr gibt. Herr
Pofalla, dies ist nicht Ihre Meinung; ich weiß das wohl.
Umso wichtiger wäre es gewesen, dass wir ein gemeinsa-
mes Ja zu diesem Gesetzentwurf aussprechen.


(Christel Hanewinckel [SPD]: Das ist wahr!)

Sie haben Bedenken. Sie hätten es lieber anders. Sie

hätten es lieber so, wie Sie es in der vergangenen Legis-
laturperiode hätten haben können. Damals war das, was
Sie jetzt akzeptieren würden, Inhalt unseres Beschluss-
vorschlags.

Es gibt noch einen Punkt, an dem eine Möglichkeit ver-
passt ist. Jetzt ist die Situation total anders.


(Peter Dreßen [SPD]: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!)


– Das ist genau das Richtige: Wer zu spät kommt, den be-
straft leider das Leben.

Wir haben das Problem, dass wir diese Botschaft nicht
an alle Eltern gleichermaßen richten können; nicht etwa,
dass sie ihren Kindern keine Grenzen setzen, nicht etwa,
dass sie strafbarer werden als strafbar. Dies war auch
schon in der letzten Legislaturperiode nicht unser Ziel.
Um die Strafbarkeit der Eltern ist es uns nie gegangen.
Dies sind Kanonen, die man auf Menschen richtet, die ei-
gentlich Hilfe brauchen. Dies war nie unser Ziel. Strafba-
rer als strafbar geht es nicht. Insofern kann man hier wirk-
lich sagen: Es geht nicht darum, dass die Familien mehr
mit der Staatsanwaltschaft oder dem Strafrecht konfron-
tiert werden. Darin sind wir uns einig. Leider gibt es dazu
nicht das gemeinsame Ja. Es wäre schön gewesen.

In diesem Gesetzentwurf ist noch ein zweiter Punkt
enthalten, der zur Folge hat, dass wir dazu nicht gemein-
sam Ja sagen können. Es wäre gut gewesen, wenn wir
gemeinsam an einem Unterhaltsrecht hätten arbeiten
können, das dann so sein wird, wie es sein soll, wenn wir
dieses Flickwerk, diesen gordischen Knoten, diesen
Scherbenhaufen von Unterhaltsrecht angehen, den wir
heute nur mit einem ersten Schritt verändern können.


(Beifall des Abg. Rainer Funke [F.D.P.])

Denn das, was Sie uns hinterlassen haben, ist grauenhaft.


(Beifall bei der SPD – Norbert Geis [CDU/ CSU]: Das kann man Ihnen ja gar nicht mehr abnehmen! Sie wiederholen es ständig! Das ist ja eine Gebetsmühle!)


– Herr Geis, kein Mensch, der eine Unterhaltsverpflich-
tung hat, kann mehr durch den Blick ins Gesetz et-
was über die schlichteste Verpflichtung erfahren, die ein
Mensch überhaupt hat, nämlich die Verantwortung ge-
genüber seinem Kind. Wir haben inzwischen ein Hexen-




Vizepräsidentin Anke Fuchs
10888


(C)



(D)



(A)



(B)


einmaleins, das nur noch Fachleute durchschauen kön-
nen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie können es nicht, das ist mir klar!)


Das Einfachste vom Einfachen, dass ein Vater und eine
Mutter ihrem Kind Unterhalt schulden, ist nur noch eine
Sache für Experten. Das Unterhaltsrecht ist wie ein Fahr-
radschlauch, der hundertmal geflickt worden ist und bei
dem inzwischen die Flicken geflickt werden. Die Arbeit,
hieraus wieder ein Ganzes zu machen, bei dem alles zu-
sammenpasst, ist in wenigen Wochen oder Monaten nicht
zu leisten. Hier muss eine saubere und intensive Arbeit ge-
leistet werden, um zu einem tragbaren Ergebnis zu kom-
men, das keine Bitterkeiten hinterlässt, weil niemand
mehr versteht, warum das Ganze im Ergebnis gerecht sein
soll.

Schauen Sie sich einmal die Rechenprogramme der
Anwälte und das an, was die Familienrichter – mitunter
sogar mit unterschiedlicher Rechtsprechung – überall in
diesem Land entscheiden. Dann fragen Sie sich, ob Sie
der Verantwortung für das Familienrecht in diesem Land
in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit gerecht geworden
sind. Hier werden wir viel Geröll wegräumen müssen, das
Sie uns hinterlassen haben.


(Beifall bei der SPD – Norbert Geis [CDU/ CSU]: Da sind wir sehr gespannt!)


Jetzt machen wir in der Tat nur einen ersten Schritt. Im
Augenblick ist es so, dass eine allein erziehende Mutter
dann, wenn sie Kindergeld und die Nettounterhaltszah-
lung des Vaters des Kindes bekommt, gerade so viel hat
wie das steuerrechtliche Existenzminimum, das das tat-
sächliche Existenzminimum nicht erreicht. Die Halbtei-
lung ist eine Theorie, die auf dem Papier steht. Sie ent-
spricht nicht der Realität. Das Ergebnis ist, dass Vater und
Mutter einander hassen, weil die Mutter sagt: „Er zahlt
nicht genug“ – sie schaut in den Kühlschrank und stellt
fest, dass es nicht reicht –, und der Vater in die Tabelle
schaut und sagt: Sie frisst mir die Haare vom Kopf.

Wir haben einen Anfang gemacht. Dies ist aber nicht
genug. Es muss weitergehen und das werden wir tun.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411423900
Ich erteile nun der
Kollegin Ingrid Fischbach, CDU/CSU-Fraktion, das
Wort.


Ingrid Fischbach (CDU):
Rede ID: ID1411424000
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Frau von Renesse, ich bin etwas enttäuscht. Ich kann
verstehen, dass Sie darüber enttäuscht sind, dass wir nicht
zustimmen, aber dass der Ton dann so wurde, hat mich
enttäuscht. Bisher haben wir immer sehr gut miteinander
geredet.


(Margot von Renesse [SPD]: Im Unterhaltsrecht haben Sie keinen Blumentopf zu gewinnen!)


Dies fand ich etwas überzogen. Das musste ich jetzt los-
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Kinder sind vor Gewalt zu schützen. Darin sind wir uns

alle einig. Wir alle haben zum Wohle des Kindes Sorge zu
tragen. Zum Wohle des Kindes gehören – auch da sind wir
uns alle einig – seine körperliche und seelische Unver-
sehrtheit. Kinder, die in ihrer Kindheit Gewalt seitens ih-
rer Eltern erfahren haben, sind eher bereit, später selbst
Gewalt anzuwenden. Studien belegen: Je häufiger bzw.
intensiver befragte Jugendliche in ihrer Kindheit Gewalt
seitens ihrer Eltern erfahren haben, desto positiver be-
werten sie selbst die Anwendung von Gewalt. Es gilt die-
sen Kreislauf zu durchbrechen. Die Frage ist aber, wie wir
diesem Anliegen näher kommen können. Reicht der heute
hier vorliegende Gesetzentwurf?

In der ersten Lesung des vorliegenden Gesetzentwurfs
habe ich für die CDU/CSU-Fraktion einige Fragen ange-
sprochen. Wir haben uns geeinigt, diese Fragen in einer
Sachverständigenanhörung beantworten zu lassen. Einige
sind auch beantwortet worden. Ich möchte jetzt nicht alle
Problemfelder wieder aufreißen; aber lassen Sie mich auf
zwei Aspekte eingehen: zum einen auf den Gewaltbegriff
und zum anderen auf die Justiziabilität des Rechtsan-
spruchs.

In der Anhörung ist klar geworden, wie schwer es ist,
den Begriff Gewalt zu definieren, vor allem die psychi-
sche Gewalt. Ich denke an psychische Misshandlungen
und auch an Kindesvernachlässigung. Hier fällt eine deut-
liche Abgrenzung schwer; auch die Zuordnung ist kaum
nachvollziehbar.

Es muss aber auch ein Unterschied zwischen der Ge-
walt allgemein und der Gewalt im Verhältnis zwischen El-
tern und Kindern gemacht werden. Mit dem Gewaltbe-
griff aus dem Strafrecht können wir nicht automatisch die
Beziehung zwischen Eltern und Kindern erfassen. Muss
Gewalt hier nicht anders definiert werden als im Straf-
recht? Oder muss das Gesetz in § 1626 des Bürgerlichen
Gesetzbuches angesiedelt und somit in den gesamten Pro-
zess der Gestaltung des elterlichen Sorgerechts einbezo-
gen werden? Dieses Problem ist meines Erachtens mit
dem heute vorliegenden Gesetzentwurf noch nicht zu-
friedenstellend gelöst.

Nun komme ich zu dem Aspekt der Justiziabilität. In
vielen Veranstaltungen mit Kindern und Jugendlichen bin
ich gefragt worden: Welche Möglichkeiten haben Kinder
eigentlich, sich auf dieses Recht zu berufen, dieses Recht
durchzusetzen? Auch hier war die Antwort der Sachver-
ständigen eindeutig und klar: Keine. Es gibt für Kinder
keine Möglichkeit, den Anspruch auf gewaltfreie Erzie-
hung durchzusetzen. Das Recht hat lediglich Appellcha-
rakter.

Ich persönlich meine, dass dieser Appellcharakter auch
in der Formulierung des Bundesrates deutlich wird: „Kin-
der sind gewaltfrei zu erziehen.“ Ich empfinde diese




Margot von Renesse

10889


(C)



(D)



(A)



(B)


Formulierung den Kindern und Jugendlichen gegenüber
ehrlicher.


(Beifall bei der CDU/CSU – Margot von Renesse [SPD]: Vor drei Jahren war es unmöglich für Sie zuzustimmen!)


– Ja, wir lernen ja auch dazu, Frau Kollegin. Sie können
Ihrem Anspruch – das war Ihre Formulierung – jetzt auch
nicht mehr zustimmen. Vor drei Jahren war das noch an-
ders. Es gab also auch bei Ihnen einen Sinneswandel. Das
kann schon mal passieren.

Wir sollten unsere Kinder und Jugendlichen ernst neh-
men. Die CDU/CSU-Fraktion hat in den Beratungen ver-
sucht zu erreichen, dass sich alle Fraktionen – auch uns,
Frau Kollegin, wäre es lieb gewesen, wir hätten uns ei-
nigen können – auf die Formulierung des Bundesrates ei-
nigen: „Kinder sind gewaltfrei zu erziehen.“ Das war aber
nicht möglich. Ich persönlich bedauere das sehr.

Da aber auch meine Fraktion die Bedeutung dieses Ge-
setzentwurfes in Bezug auf die gewaltfreie Erziehung
sieht, die Chance für Kinder anerkennt, den Bewusstseins-
prozess von Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen
weiterzubringen, das heißt, deutlich zu machen, dass wir
als Gesellschaft jede Form von erzieherischer Gewalt ge-
gen Kinder ablehnen, haben wir Ihren Vorschlag im Aus-
schuss nicht abgelehnt. Zustimmen konnten wir nicht; ich
habe gerade deutlich gemacht, warum. Wir haben uns ent-
halten. Allerdings gilt diese Enthaltung nur für den Teil
des Gesetzentwurfs, der die Ächtung der Gewalt in der Er-
ziehung behandelt. Wir unterstützen damit den Appell,
deutlich zu machen, dass jede Gewalt verkehrt ist.

Aber wir alle sind uns einig, dass dieses Gesetzes-
vorhaben allein nicht ausreicht. Vielfältige flankierende
Maßnahmen werden nötig sein, eine breite öffentliche
Diskussion über einen umfassenden gesellschaftlichen
Konsens in der Frage der Ächtung der Gewalt in der Er-
ziehung zu erreichen.
Hier sind konkrete Maßnahmen erforderlich wie eine
breit angelegte Informationskampagne, die das Gesetz
bekannt macht. Daneben gilt es, Aufklärungsarbeit zu
leisten. Wir müssen Eltern und Kindern in Konflikt- und
Krisensituationen Wege und Hilfen aufzeigen, wie sie
zukünftig Konflikte ohne Gewaltanwendung bewältigen
können. Deshalb sind unterstützende Regelungen unver-
zichtbar.

Es gilt, Bewusstsein zu verändern. Eine veränderte Ein-
stellung und ein verändertes Verhalten bei Eltern müssen
wachsen und Unterstützung erhalten. Es kann nicht nur
per Gesetz verordnet werden.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411424100
Nun erteile ich das
Wort der Kollegin Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411424200
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Per Gesetz
können wir sicherlich nicht alles bestimmen, aber wir

können per Gesetz Rahmenbedingungen setzen. Das zu
tun ist auch unsere Aufgabe.

Wir reden heute über einen Gesetzentwurf, der aus
zwei Bestandteilen besteht. Beide sind Meilensteine in
der Rechtsgeschichte. Beide sind für uns Grüne schon seit
langem wichtige Herzensanliegen.

Es geht um die Verbesserung des Unterhaltsrechts.
Die Entwicklung der Unterhaltssätze wird künftig an das
verfügbare Einkommen gekoppelt. Die Hälfte des Kin-
dergeldes erhalten Unterhaltzahlende in Zukunft nur,
wenn sie mehr als das Barexistenzminimum der Kinder
aufbringen, nämlich 135 Prozent. Das hört sich zwar erst
einmal nur formal an. In der Praxis heißt es aber, dass
Einelternfamilien nicht mehr sozialhilfeabhängig werden,
nur weil der Unterhaltszahler die Hälfte des Kindergeldes
erhält und das Kindergeld nicht bei den Familien an-
kommt. Das ist ein wichtiger Teil sozialer Gerechtigkeit
für Kinder.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das ist die Fortsetzung einer Reihe von familienfreundli-
chen Maßnahmen im Hinblick auf die Familien- und
Steuerpolitik. Denn für uns ist Familie dort, wo Kinder
sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein besonderer Grund zu feiern ist der Hauptteil des
Gesetzes. Das ist das Recht auf gewaltfreie Erziehung.
Wir wollen damit signalisieren, dass Deutschland ein kin-
derfreundliches Land wird. Wir wollen nicht die Eltern
kriminalisieren. Wir setzen auf Hilfe vor Strafe. Das
Recht von Kindern auf gewaltfreie Erziehung führt nach-
weislich nicht zu mehr Unfrieden in den Familien. Ganz
im Gegenteil: Es verbessert die Sensibilität füreinander,
es steigert die Bereitschaft, Konflikte nicht eskalieren zu
lassen, sondern frühzeitig Unterstützung zu suchen. Es
stärkt die Familien, hilft unseren Kindern und stärkt sie.
Wir wollen ja starke Kinder in der Gesellschaft. In den
skandinavischen Staaten ist die Gewalt gegen Kinder um
bis zu zwei Drittel zurückgegangen. Eine solche Ent-
wicklung wünsche ich mir auch hier in Deutschland.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieses Gesetz überzeugt auch die Skeptiker. Als das

Recht auf gewaltfreie Erziehung vor 20 Jahren in Schwe-
den eingeführt wurde, waren zunächst einmal 70 Prozent
der Bevölkerung dagegen. Heute sind 90 Prozent dafür.

Weniger Gewalt gegen Kinder heißt auch weniger Ge-
walt in der Gesellschaft. Eine der größten deutschen Stu-
dien zeigt: Es gibt viele Ursachen für eine Fehlentwick-
lung und Störung bei Kindern. Aber nur wenn Kinder Op-
fer von Gewalt waren, werden sie auch später gewalttätig.
Das wurde uns auch von den Experten in den Anhörungen
bestätigt.

Gewaltfreie Erziehung ist demnach nicht nur eine
Form der Erziehung. Sie ist auch vorbeugende Kriminal-
politik. Volkswirtschaftlich gesprochen ist gewaltfreie Er-




Ingrid Fischbach
10890


(C)



(D)



(A)



(B)


ziehung eine Investition in die Zukunft unserer Gesell-
schaft, in eine friedliche und demokratische Zukunft.

Dafür möchte ich noch einen weiteren Beleg anführen,
nämlich eine Studie, die aus den USA stammt. Von Pro-
fessor Pfeiffer wird häufig eine renommierte Untersu-
chung zitiert, die sich auf die Situation im Dritten Reich
bezieht. Es geht dabei um Personen, die Juden geholfen
haben, indem sie sie versteckt oder ihnen zur Flucht ver-
holfen haben. Das waren ganz unterschiedliche Leute.
Nur ein Merkmal teilen all diese unterschiedlichen Men-
schen: Das war die gewaltfreie Erziehung, das war die
Form der Kommunikation, die sie in den Familien mitbe-
kommen haben. Es waren in der Tat die Erfahrungen in ih-
rer Kindheit, die sie dazu gebracht haben, später den auf-
rechten Gang zu wählen und sich diesen Problemen zu
stellen.

Wenn wir über rechtsextreme Jugendliche im Osten
oder in anderen Teilen Deutschlands reden, wenn wir von
der Gewalt durch Kinder reden, ist dies ein wichtiger Tat-
bestand.

Mit diesem neuen Gesetz geht in der Tat eine Bewusst-
seinsfindung einher. Frau Fischbach, wenn Sie wissen
wollen, was wir mit diesem Gesetzentwurf erreichen wol-
len: Wir wollen die Gewalt gesellschaftlich ächten und
darüber debattieren, wie wir das erreichen können. Wir
wollen die Lücke zwischen der Strafbarkeit und dem
Wegschauen füllen und darüber eine Bewusstseinsbil-
dung in der Gesellschaft herbeiführen. Wir sagen: Jede
körperliche und seelische Gewalt gegen Kinder ist rechts-
widrig, und zwar auch dann, wenn versucht wird, diese
erzieherisch zu rechtfertigen. Für Gewalt gibt es keine
Rechtfertigung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Für uns kommt es in diesem Bereich auf das Erleben
der Kinder an; ihre Gefühle und Rechte zählen für uns.
Natürlich muss dieses Recht durch eine Aufklärungsar-
beit begleitet werden. Die Bundesregierung geht dieses
Problem bereits an und das Bundesministerium für Fami-
lie, Senioren, Frauen und Jugend hat dazu eine Kampagne
gestartet.

Lassen Sie mich zum Schluss noch auf diejenigen Be-
zug nehmen, für die unser Gesetz hauptsächlich gemacht
ist, nämlich auf die Kinder und Jugendlichen. Im vergan-
genen Jahr haben sich über 108 000 Kinder und Jugendli-
che an der ersten deutschen Kinderrechtswahl beteiligt.
Sie wurden gefragt, welche Rechte sie für die wichtigsten
halten und welche Kinderrechte aus ihrer Sicht am mei-
sten verletzt werden. Auf Platz eins landete jeweils das
Recht auf gewaltfreie Erziehung. Deshalb mein Appell
auch an alle Skeptiker: Lassen Sie uns mit diesem Gesetz
den Kindern eine Stimme geben.

Meinen letzten Satz möchte ich an die Kinder richten:
Liebe Kinder, dieses Kinder-nicht-Schlagen-Gesetz ist
euer Gesetz und das werden wir hier gemeinsam durch-
setzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411424300
Das Wort hat nun der
Kollege Klaus Haupt, F.D.P.-Fraktion.


Klaus Haupt (FDP):
Rede ID: ID1411424400
Frau Präsidentin! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Meine Vorrednerin hat eben
zum Schluss ihrer Rede die UN-Kinderrechtskonvention
und damit im Zusammenhang die deutschlandweite Kin-
derrechtswahl angeführt. Ich hatte das als Einstieg mei-
ner Rede geplant. Es ist schon beachtlich: 43 Prozent der
Kinder haben das Recht auf gewaltfreie Erziehung als das
wichtigste Kinderrecht in Deutschland formuliert.


(Beifall bei der F.D.P. und der SPD)

Kinder fühlen sich in ihrer Würde verletzt, wenn sie

Gewalt in der Erziehung erfahren. Wir sollten uns bewusst
werden, dass noch im 19. Jahrhundert die Gewalt des
Hausherrn auch gegen Erwachsene in seiner Familie legal
war und dass es noch im 20. Jahrhundert an den Schulen
die Prügelstrafe gab. Beides erscheint uns heute undenk-
bar.

Heute ist die Zeit reif, Gewalt in der Erziehung kom-
plett zu ächten und unseren Kindern das Recht auf Ge-
waltfreiheit zu garantieren.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Mit diesem Gesetz wird ein Signal dafür gegeben, dass
Erziehung und Gewalt nicht zusammengehören. Die Zeit
ist reif, das Verhältnis der Generationen zueinander neu zu
denken. Die Würde von Kindern und Erwachsenen ist
gleichwertig. Dem Schutz ihrer Persönlichkeit ist glei-
chermaßen Rechnung zu tragen. Kinder sind nicht Ob-
jekte, sondern Subjekte. Sie sind eigene Persönlichkeiten
und Träger von Rechten und Pflichten, die wir Erwach-
sene ernst nehmen müssen.

Dieses Gesetz hat eine klare Leitbildfunktion. Es wird
kein Erziehungsstil in der Erziehung vorgeschrieben, aber
ein Leitbild von Gewaltfreiheit vorgestellt, das die Würde
des Kindes in den Mittelpunkt stellt.


(Beifall bei der F.D.P.)

Kinder sind gegenüber jeder Gewalt, die ihnen ange-

tan wird, wehrlos. Gewalt hat gravierende Folgen für die
Persönlichkeitsentwicklung von Kindern. Seelische Ver-
letzungen und körperliche Strafen beeinträchtigen das
Selbstbewusstsein des Kindes, erhöhen die Aggressivität,
behindern das Einfühlungsvermögen und die Gewissens-
bildung. Sie hinterlassen seelische und soziale Verletzun-
gen, die die Entwicklung des Kindes beeinträchtigen.
Deshalb muss die gesellschaftliche Norm klar sein: Ge-
walt ist kein Erziehungsmittel.


(Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Denn die Erfahrung von Gewalt wird weitergegeben. Dies
führt zu einem Teufelskreis, in dem die Würde der jungen
Menschen mit Füßen getreten wird.

Der verhängnisvolle Kreislauf von erfahrener Gewalt
und weitergegebener Gewalt muss durchbrochen werden.




Ekin Deligöz

10891


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir alle wissen aber auch, dass sich mit keinem noch so
wohl ausformulierten Gesetzestext eine Veränderung in
der Einstellung, in dem Handeln der Eltern verordnen
lässt. Es ist richtig, Frau Fischbach: Das muss wachsen.
Deshalb sind flankierende Maßnahmen fast noch wichti-
ger als das Gesetz selbst. Zunächst gilt es, mit einer in-
telligenten, groß angelegten Informationskampagne
breite Bevölkerungsschichten mit der Botschaft zu errei-
chen. Es ist aber auch wichtig, dass mit der Änderung des
SGB VIII Jugendämter zur Hilfeleistung für Eltern und
Kinder zur gewaltfreien Konfliktlösung ermächtigt wer-
den. Kinder- und Jugendhilfe, Polizei, Justiz, Psychiatrie
und Schule können wesentliche Unterstützung leisten
und müssen dafür ausgestattet sein.

Die Deutschen geben jährlich 1,5 Milliarden DM für
Erziehungsliteratur aus. Es gibt also einen großen Infor-
mationsbedarf. Viele Eltern fühlen sich überfordert. Die
Verunsicherung ist groß. Wie können Kindern Grenzen
gesetzt werden? Welche Möglichkeiten haben Eltern bei
Konflikten? Oft resultiert ja Gewalt in der Erziehung aus
dieser Hilflosigkeit. Hilfe statt Strafe muss das Motto
sein, noch bevor es zum Konflikt kommt, noch vor der
Eskalation.

Das Thema dieses Gesetzes ist lange öffentlich disku-
tiert worden. Oft war es eine überzogene Debatte, von
heftigen emotionalen Auseinandersetzungen begleitet.
Die Angst, der Staatsanwalt wäre in Zukunft im Kinder-
zimmer häufiger gefragt als der Sozialarbeiter, ist völlig
unbegründet. Eine Kriminalisierung der Eltern ist ausge-
schlossen. Die Änderung des BGB verschafft Kindern be-
wusst keine unmittelbare Anspruchsgrundlage, sondern
steckt den konzeptionellen Rahmen der Erziehung zu-
gunsten der Kinder ab. Insofern hoffe ich, dass die heutige
Debatte auch zur Versachlichung der Diskussion beiträgt.

Die Frage nach dem Verhältnis von Familie, Erziehung
und Staat trifft einen Kernbereich freiheitlich-demokra-
tischer Grundordnung. Manche sehen in der öffentli-
chen Diskussion zur gewaltfreien Erziehung Risiken und
Gefahren. Ich sehe die Chance, grundlegende Werte un-
serer freiheitlich-demokratischen Grundordnung in der
Erziehung ins öffentliche Bewusstsein zu rücken.


(Beifall bei der F.D.P. und der SPD)

Ich sehe die Chance, einer kinderfreundlichen und fami-
lienfreundlicheren Gesellschaft und einer neuen Kultur
des Aufwachsens, wie sie der Zehnte Kinder- und Ju-
gendbericht gefordert hat, den Weg zu bahnen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, das ist eine reizvolle Her-

ausforderung im neuen Jahrtausend, für die sich jede
Mühe lohnt.

Danke.

(Beifall bei der F.D.P. und der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411424500
Nun erteile ich der
Kollegin Sabine Jünger, PDS-Fraktion, das Wort.


Sabine Jünger (PDS):
Rede ID: ID1411424600
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Da ich weder über die Fähigkeit des
Kollegen Gysi verfüge, alle Seiten einer Medaille in kur-
zer Zeit zu erläutern, noch aus meinen vier Minuten sechs-
einhalb Minuten machen will, will ich nur einen Satz zum
Kindesunterhalt sagen, der einen Teil des Gesetzent-
wurfes der Bundesregierung darstellt. Wir werden dem
Teil über den Kindesunterhalt zustimmen, auch wenn wir
dabei Bauchschmerzen haben. Denn dies ist ein Schritt in
die richtige Richtung, dem auch wir uns nicht ver-
schließen werden.

Der zweite Teil, dem ich die größere Aufmerksamkeit
widmen werde, betrifft die klare Normsetzung, die mit
dem Verbot der elterlichen Gewaltausübung endlich
erreicht wird. Wir begrüßen dies nachdrücklich. Ich hoffe
noch immer – das sage ich ganz ehrlich –, wir sind uns alle
in diesem Hohen Hause darüber einig, dass weder kör-
perliche noch seelische und auch nicht emotionale Gewalt
gegen Kinder und Jugendliche geeignete Erziehungsmaß-
nahmen sind und dass all diese Maßnahmen das Men-
schenrecht auf Unverletzlichkeit der Würde von Kindern
und Jugendlichen verletzen. Deshalb sind wir der Mei-
nung – ich hoffe wirklich, dass wir alle dieser Meinung
sind –, dass Kinder und Jugendliche ein Recht auf ge-
waltfreie Erziehung haben.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir werden heute – auch davon war schon die Rede –
ein Leitbild schaffen und für die notwendige Rechtssi-
cherheit sorgen. Ich denke – darüber bin ich mir mit mei-
ner Fraktion im Klaren –, dass ein Leitbild allein natürlich
nicht reicht. Der Kollege Haupt hat es eben angesprochen:
Eine normative Änderung ist zwar ein Schritt in die rich-
tige Richtung. Er muss aber durch verschiedenste Maß-
nahmen flankiert werden. Darüber ist schon viel geredet
worden.

Wir haben einen eigenen Antrag in den Deutschen
Bundestag eingebracht, der heute auch zur Abstimmung
steht. Ich möchte kurz auf seine wesentlichsten Punkte
eingehen, weil ein Leitbild und eine Normsetzung wich-
tig sind.

Wir müssen Kindern und Jugendlichen Rechte einräu-
men und ihre Stellung gegenüber den Sorgeberechtigten,
gegenüber den Institutionen der Jugendhilfe und in fami-
liären Auseinandersetzungen stärken. Dazu gehört für
mich ein effektiverer Schutz von Kindern und Jugendli-
chen und auch lebensweltliche Hilfestellung. Kinder und
Jugendliche brauchen eigene Rechte. Sie brauchen ein
Recht auf Entwicklung und Entfaltung ihrer Persönlich-
keit. Dazu gehört für mich auch eine Demokratisierung
der Jugendhilfe. Kinder und Jugendliche müssen auch
gegenüber dem Jugendamt eigene Rechte haben. Für uns
gehört auch dazu, dass Kindern und Jugendlichen eine
Anspruchsinhaberschaft auf Hilfen nach § 27 bis § 35
SGB VIII Anspruch auf Hilfe eingeräumt wird. Man muss
auch einen freiwilligen Zugang zur Inobhutnahme schaf-




Klaus Haupt
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(D)



(A)



(B)


fen und ihn erleichtern. Dazu gehört für uns auch ein ei-
genständiges Aufenthaltsbestimmungsrecht ab 12 Jahren


(Widerspruch der Abg. Margot von Renesse [SPD])


– lassen Sie mich diesen Satz zu Ende bringen, Frau von
Renesse –, mit Unterstützung der Jugendhilfe. Dazu
gehört für uns auch, dass man betreute Wohnformen für
Jugendliche unterstützt. Ab 16 Jahren sollten sie eine ei-
gene Wohnung anmieten können.

Das Kinder- und Jugendhilfegesetz muss endlich Vor-
rang vor ausländerrechtlichen Bestimmungen haben.
Dazu gehört natürlich eine breite Aufklärungskampagne.
Darüber ist schon viel geredet worden und darüber wird
sicherlich auch noch viel geredet werden. Man muss dafür
sorgen, dass jedes Kind, jeder Jugendliche, aber auch je-
des Elternteil wissen, dass wir heute – zu dieser nicht
mehr ganz frühen Stunde – das vorliegende Gesetz verab-
schiedet haben, und dass jeder den Inhalt des Gesetzes
kennt.

Wichtig sind auch der Ausbau von Prävention und In-
tervention sowie ein flächendeckendes Netz von Kinder-
und Jugendschutzzentren. Dazu gehört, dass man Fami-
lien bei ihren Erziehungsaufgaben unterstützt und dass
man Formen gewaltfreier Konfliktlösung vermittelt.
Dazu gehört auch, dass man endlich die Prävention statt
die Folgekosten der Gewalt finanziert. Dafür werden wir
uns auch weiterhin einsetzen.

In diesem Sinne hoffe ich, dass das Gesetz ein Schritt
in die richtige Richtung ist und dass die Gewalt gegen
Kinder und Jugendliche deutlich zurückgeht.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411424700
Das Wort hat nun der
Kollege Rolf Stöckel, SPD-Fraktion.


Rolf Stöckel (SPD):
Rede ID: ID1411424800
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Ich hätte mich am Anfang meiner Rede auch
gerne an die Kinder gewandt. Aber um 21.44 Uhr sind –
hoffentlich – die meisten Kinder im Bett und schlafen.
Das, was die Kollegin Deligöz gesagt hat, nämlich dass
wir heute ein Kinder-nicht-Schlagen-Gesetz verabschie-
den, ist tatsächlich eine gute Botschaft für die Kinder in
unserem Land.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ich möchte aber auch aufgrund eigener Erfahrung an
die Adresse der Väter und Mütter sagen: Es gibt bei der
Erziehung von Kindern – das ist klar – immer wieder Si-
tuationen der Überforderung. Deswegen geht es uns nicht
um Strafverfolgung und Kriminalisierung. Es gibt beste-
hende Vorschriften, über die wir mit dem vorliegenden
Gesetz nicht hinausgehen.

Frau Fischbach, seit den Sonntagsreden im Internatio-
nalen Jahr des Kindes 1979 ist es nicht gelungen – auch

nicht in der letzten Wahlperiode, als wir eine Vorlage mit
der genauen Formulierung Ihres Vorschlags hier einge-
bracht haben –, das Recht der Kinder auf eine gewaltfreie
Erziehung in eine Reform des Kindschaftsrechts einzu-
binden.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Dann haben Sie nicht in das BGB geschaut!)


Das lag wohl in erster Linie daran, dass die CDU/CSU im-
mer wieder das Gespenst der Kriminalisierung der Fami-
lie an die Wand gemalt hat.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie müssen einmal lesen, was im BGB steht!)


Sie stehen mitten im Leben – ich weiß das, Herr Geis –;
aber ich frage mich, in welchem Jahrhundert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Norbert Geis [CDU/CSU]: Ich habe nicht den Eindruck, dass Sie überhaupt nachgelesen haben!)


Der Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen liegt auf
einer Linie mit der Entschließung des Bundestages zum
Zehnten Kinder- und Jugendbericht. Hierin ist auch die
Stellungnahme der alten Bundesregierung zur gewalt-
freien Erziehung eindeutig. Lesen Sie es nach! Nicht die
oft übertriebene öffentliche Debatte über die Gewalt, die
von Kindern und Jugendlichen ausgeht, sondern die De-
batte über die Gewalt gegen Kinder und Jugendliche
und vor allen Dingen die Ächtung und der Abbau dieser
Gewalt stehen heute im Mittelpunkt.


(Beifall bei der SPD)

Wenn es Erwachsenen mit der Bekämpfung von Ju-

gendkriminalität Ernst ist, dann müssen sie Vorbild sein,
Regeln aufstellen und Grenzen setzen. Erziehen: ja, aber
das Schlagen muss endlich ein Tabu werden.


(Beifall bei der SPD)

Alle Kinderorganisationen in Deutschland fordern das

seit Jahrzehnten: der Kinderschutzbund mit Aktionen wie
„Kinder brauchen Liebe, keine Hiebe“, die „National Co-
alition“ ebenso wie das Aktionsbündnis für Kinderrechte.
Ich bin stolz, dass diese Regierungskoalition und die
Mehrheit in diesem Hause – Herr Haupt, wir sind Ihnen
für Ihre Rede sehr dankbar – endlich das Versprechen er-
füllen, unser Land kinderfreundlicher zu machen. Wir
werden der Einlösung dieses Versprechens heute ein we-
sentliches Stück näher kommen.


(Beifall bei der SPD)

Ich finde es schade, dass der Bundestag dieses Zeichen
heute nicht einstimmig setzt.

Wir wissen, dass heute noch immer rund 57 Prozent
aller Eltern in Deutschland ihre Kinder mit Ohrfeigen
oder Schlimmerem bestrafen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Warum machen Sie denn nicht mit, was der Bundesrat vorgeschlagen hat?)


Wir wissen, dass Kinder, die Gewalt erleiden oder Gewalt
zwischen den Eltern miterleben müssen, später zwei- bis




Sabine Jünger

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(A)



(B)


dreimal so oft wie Kinder ohne solche Erfahrungen selbst
zu Gewalttätern werden. Wir wollen diesen Teufelskreis
durchbrechen.

Heute vollzieht der Bundestag wahrlich eine weitere
historische Zäsur im bürgerlichen Recht, die dem Leitbild
einer zivilisierten und demokratischen Gesellschaft
entspricht. Das ist das Gegenteil der Zucht von einge-
schüchterten Untertanen und Befehlsempfängern.

Die Kritiker sagen – das wissen wir –, das Gesetz sei
ein Papiertiger. Kinder, die erstmals neben dem Erzie-
hungsrecht der Eltern nicht nur Schutz vor schwerer Miss-
handlung, sondern auch ein eigenes Recht auf gewaltfreie
Erziehung bekommen, können nicht gegen den Klaps der
Eltern klagen. Aber sie können erfahren, dass es Unrecht
ist, sie zu schlagen, egal aus welchem Anlass. Es geht uns
um Grundwerte, um Orientierung, um eine Konsequenz,
die eine bedeutsame Leitbildfunktion für zukünftiges po-
litisches, aber auch gesellschaftliches Handeln haben
wird.

Ohne zu pauschalisieren, möchte ich auch diejenigen
Eltern ansprechen, die eingewandert sind und die auf-
grund kultureller Traditionen Gewalt in der Familie für
selbstverständlich halten. Man muss klar sagen: Diese
Traditionen sind mit den Grundrechten unvereinbar.
Wenn die Politik das verschweigt, dann ist das schlicht
unglaubwürdig.

Statt Kriminalisierung wollen wir Hilfen für die be-
troffenen Kinder und Eltern. Dazu gehören erreichbare
und aufsuchbare Hilfen, wie Nottelefone und Beratungs-
einrichtungen. Aber auch die sozialen Rahmenbedingun-
gen für gewaltfreie Erziehung in den Familien müssen
insgesamt verbessert werden. Durch die Ergänzung des
SGB VIII im Kinder- und Jugendhilfegesetz sollen nied-
rigschwellige und wirksame Hilfsangebote für Eltern ge-
schaffen werden.

Wir wissen, dass wir damit der kommunalen Ebene
und den Trägern der Jugend- und Familienhilfe eine wei-
tere große Verantwortung übertragen; aber es wird sich
lohnen. Wie viel Leiden, Gewalt und soziale Folgelasten
können durch zusätzliche Anstrengungen und Zusam-
menarbeit präventiv verhindert werden? Wie viel Lebens-
qualität und sozialer Frieden können dadurch gewonnen
werden?

Das wird nur gelingen, wenn wir es schaffen, dass die-
ses neue Recht der Kinder auf gewaltfreie Erziehung in
aller Munde ist, breite öffentliche Auseinandersetzungen
provoziert und nicht nur Eltern, Jugendämter und Pädago-
gen anregt. Wir begrüßen daher ausdrücklich, dass die
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
gend und auch die Bundesministerin der Justiz eine breit
angelegte Kampagne zur gewaltfreien Erziehung vorbe-
reitet haben, die in Kürze anläuft. Sie besteht aus einem
multimedialen Dach und aus Information, Fundierung
durch Praxisobjekte und Vor-Ort-Aktionen im ganzen
Land.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411424900
Herr Kollege, denken
Sie an Ihre Redezeit.


Rolf Stöckel (SPD):
Rede ID: ID1411425000
Ich komme zum Schluss. – Das
Konzept ist stimmig. Darum lehnen wir im Übrigen auch
den viel zu allgemeinen PDS-Antrag ab.

Wir alle können etwas tun, das Notwendige möglich zu
machen, nicht nur, indem wir mehr Zivilcourage zeigen
und nicht wegschauen, wenn zum Beispiel Stresssituatio-
nen an der „Quengelkasse“ des Supermarktes eskalieren,
sondern wir können auch in den Wahlkreisen dafür wer-
ben.

Wir fordern mehr Respekt für Kinder. Machen Sie mit!
Schaffen wir ein breites Bündnis für Kinderrechte. Es
liegt in unserer Hand, das neue Jahrhundert zum Jahrhun-
dert der Kinder zu machen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411425100
Jetzt hat das Wort der
Kollege Ronald Pofalla, CDU/CSU-Fraktion.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Jetzt hören wir endlich etwas Gescheites! – Gegenruf der Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin: Unverbesserlich!)



Ronald Pofalla (CDU):
Rede ID: ID1411425200
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Bei mancher Rede, die hier
gehalten wurde, musste man den Eindruck gewinnen, als
ob heute tatsächlich ein ganz besonderer historischer Tag


(Zurufe von der SPD: So ist es auch! – So ist es!)


– lassen Sie das doch einmal – sei, weil eine Regelung ge-
troffen wird, die längst ins Gesetz gehört hätte.

Eines bedaure ich dabei – das möchte ich gleich an den
Anfang meiner Rede stellen –: In der vergangenen Wahl-
periode haben wir bei anderen Mehrheitsverhältnissen
größten Wert darauf gelegt, große Reformen –
Kindschaftsrechtsreformgesetz, Kindesunterhaltsgesetz,
erbrechtliche Regelungen, Namensrecht – weitestgehend
einvernehmlich zu verabschieden. Auf diese Feststellung
lege ich deshalb großen Wert, weil uns das alle gemein-
sam sehr viel Mühe gekostet hat. Wir haben über Monate
Berichterstattergespräche geführt und haben am Schluss
weitestgehend Einvernehmen zwischen allen Fraktionen
hergestellt. Ich bedaure sehr – ich werde gleich versuchen,
das zu erklären –, dass dieses beim jetzt vorliegenden Ge-
setz nicht möglich gewesen ist.

In diesem Zusammenhang nehme ich die sozialdemo-
kratische Bundestagsfraktion ausdrücklich aus, weil mit
den Sozialdemokraten, vertreten durch Frau von Renesse,
aber auch durch den Staatssekretär Pick, am Anfang sehr
ernsthafte Gespräche geführt wurden, um auch hier zu ei-
ner einvernehmlichen Lösung zu kommen. Für diese Ge-
spräche will ich mich ausdrücklich bedanken.

Dann ist etwas innerhalb der Koalition passiert: Nach-
dem schon auf Veränderungen zum bestehenden Gesetz-
entwurf eingegangen worden war, sollten auf einmal




Rolf Stöckel
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Dinge, die schon angedacht waren, so nicht mehr umge-
setzt werden. Jetzt liegt ein Gesetzentwurf vor, der in der
Tat im Detail erhebliche Mängel aufweist, die wir im Er-
gebnis für so umfassend halten, dass wir heute dieses Ge-
setz ablehnen. Ich werde das gleich im Detail begründen.

Vorausschicken möchte ich auch noch, dass es keine
Fraktion im Deutschen Bundestag gibt – das sollten wir
doch auch einmal positiv zur Kenntnis nehmen –, die ge-
genüber dem zur Debatte stehenden Gesetzesziel ernst-
haft eine unterschiedliche Position bezogen hätte. Diese
gibt es nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD)


– Das gilt für alle Bundestagsfraktionen, Herr Kollege.
Das weiß auch Frau von Renesse, die genauso wie andere
Kolleginnen und Kollegen auch in der letzten Legislatur-
periode bei dem Versuch sehr hilfreich gewesen ist, für
dieses Problem gesetzliche Regelungen zu finden.

Ich möchte jetzt die nun gefundene Formulierung, die
zumindest von Einzelnen als historische Leistung darge-
stellt wird, verlesen:

Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung.
Über diesen Satz reden wir. Aber keiner von Ihnen, auch
niemand vonseiten der Sozialdemokraten, hat gesagt,
dass es sich dabei wirklich um einen einklagbaren
Rechtsanspruch handele. Ich frage mich da allen Erns-
tes, wie sich das zur bestehenden gesetzlichen Regelung,
die auch keinen Rechtsanspruch enthält, verhält. Wir un-
terhalten uns also über die verschiedene Wirkung unter-
schiedlich starker deklaratorischer Aussagen im Zivil-
recht. Das ist die eigentliche Streitfrage, über die wir hier
reden. Sehen Sie hier wirklich einen gravierenden Unter-
schied? Ich sage jedenfalls offen, dass ich es sehr bedaure,
dass Sie auf unser Angebot, von der Bundesratsformulie-
rung auszugehen, nicht eingegangen sind. Ich muss hier
namentlich die Grünen nennen.
Diese Koalition muss noch lernen, darauf zu achten, beim
Verfolgen wichtiger gesellschaftspolitischer Ziele ein
breites Einvernehmen im Parlament herzustellen. Diese
Einigung ist letztendlich an den Grünen gescheitert, was
ich bedaure. Dennoch sollte man hier diese Feststellung
treffen.

Ich komme jetzt zu den großen Beratungsangeboten,
die diese Bundesregierung im Gesetz verankert hat. Ich
will die entsprechende Stelle vorlesen, weil solche Rege-
lungen häufig untergehen. In § 16 Abs. 1 des Achten Bu-
ches SGB wird die Formulierung aufgenommen:

Sie
– damit sind die Jugendämter gemeint –

sollen auch Wege aufzeigen, wie Konfliktsituationen
in der Familie gewaltfrei gelöst werden können.

Wenn das Ihre Lösung bezüglich der praktischen Umset-
zung ist, dann wird Ihnen jeder, der mit Konfliktsituatio-
nen in Familien und mit Situationen zu tun hat, in denen
Familien scheidungsbedingt auseinander fallen und sie
unter den sich daraus ergebenen Konflikten leiden, sagen:

Das, was Sie hier machen, ist auf dem untersten Niveau
des wirklich Zumutbaren. Sie wissen das.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will Ihnen offen sagen, dass sich in diesem Punkt

sehr deutlich zeigt, wie ernst Sie es mit dem historischen
Tag der Umsetzung des § 1631 BGB meinen. Sie haben
im SGB eine Formulierung gefunden, die ich bezüglich
ihrer Umsetzung fast als Unverschämtheit empfinde.
Nach meiner festen Überzeugung verdeutlicht dies, wie
ernst Sie es mit den Beratungsangeboten meinen.

Ich komme zum Unterhaltsrecht. Sie haben dort Re-
gelungen gefunden, die wir teilen. In § 1612 a Abs. 4 BGB
haben Sie eine Regelung gefunden, die ich sprachlich
kompliziert finde. Dennoch sage ich, dass das Ziel richtig
ist. Sie haben in § 1612 a Abs. 5 BGB eine Regelung ge-
funden, die mit der Anpassung an die Nettolohnentwick-
lung von der Zielrichtung her ebenfalls richtig ist. Ich will
Ihnen aber ersparen, § 1612 a Abs. 5 BGB vorzulesen.
Wenn ich diesen Absatz hier vorlesen würde, dann würde
nur ein Bruchteil der hier Anwesenden verstehen, was da
eigentlich wie geregelt werden soll, auch wenn hier eine
Reihe von Juristen sitzen.


(Peter Dreßen [SPD]: Was wollen Sie denn?)

– Provozieren Sie mich nicht, ihn vorzulesen. Dann würde
wirklich deutlich werden, wohin der Weg führt.

Ich lese Ihnen jetzt aus der Beschlussempfehlung vor.
Dort heißt es – Zitat –:

Besonders schwer wiegen dabei folgende Probleme:
Das Unterhaltsrecht ist auf verschiedenen Gebieten
inzwischen so unübersichtlich geworden, dass seine
Ergebnisse für die Beteiligten oft nur schwer nach-
vollziehbar sind.

Ich sage zu der Regelung, die Sie gleich verabschieden
wollen: Die Unübersichtlichkeit nimmt zu und die sprach-
liche Art und Weise, mit Gesetzeszielen umzugehen, hat
nach meiner festen Überzeugung das Maß des Erträgli-
chen überschritten. Deshalb hatten wir in den Bericht-
erstattergesprächen darum gebeten, zu einfacheren For-
mulierungen zu kommen, die uns ursprünglich zugesagt
waren.

Im letzten Absatz der Beschlussempfehlung heißt es:
Die Bundesregierung wird gebeten, zügig und mit al-
lem Nachdruck das geltende Unterhaltsrecht, insbe-
sondere hinsichtlich seiner Abstimmung seiner In-
halte mit sozial- und steuerrechtlichen Parallelrege-
lungen sowie der Auswirkungen der in § 1612 b
Abs. 5 BGB vorgeschlagenen Änderungen in der
Praxis, gründlich zu überprüfen und Vorschläge zu
seiner Neuregelung einzubringen.

Das ist für mich das erste Mal, dass wir im Deutschen
Bundestag ein Gesetz verabschieden, wobei die, die die
Mehrheit haben, das Gesetz zu verabschieden, gleichzei-
tig beschließen, dass das, was sie gerade beschließen, so




Ronald Pofalla

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(C)



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(B)


falsch ist, dass die Bundesregierung gebeten wird, es
möglichst zügig wieder zu überarbeiten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh! – Margot von Renesse [SPD]: Das war beim Betreuungsrecht auch nicht anders!)


Das ist eine Form von Gesetzesflickerei, die Sie vorher
immer kritisiert haben und die Sie jetzt selber machen.

Ich gehe jetzt auf den § 1612 b Abs. 5 BGB ein. Dieje-
nigen, die an der Anhörung teilgenommen haben, wissen,
dass mit dieser Regelung des § 1612 b Abs. 5 BGB Be-
weislastprobleme entstehen,


(Peter Dreßen [SPD]: Paragraphenkackerei ist das, was Sie da machen!)


die wir in der Praxis bisher nicht hatten. Nach der bishe-
rigen Regelung, so unübersichtlich sie auch sein mag, wa-
ren die Beweislastprobleme gelöst. Nach der jetzigen
Regelung werden sie durcheinander gebracht, weil simple
Beweislastregelungen, die bisher galten – so mehrheitlich
die Auffassung der Sachverständigen, die vorgetragen ha-
ben –, auf den Kopf gestellt werden, übrigens mit der Aus-
wirkung, dass aus der Sicht derjenigen, die unterhaltsbe-
rechtigt sind, die Beweisführung in bestimmten Konstel-
lationen hinsichtlich der Unterhaltsmöglichkeiten und der
Unterhaltspflicht des Unterhaltsverpflichteten erschwert
wird. Das, was Sie im Gesetzesziel wollten, wird also auf
den Kopf gestellt.

Beim Unterhaltsvorschuss kommt es aufgrund Ihrer
gesetzlichen Regelung zu zwei Rückgriffverhältnissen;
bisher hatten wir nur eines. Wenn Sie das für eine Verein-
fachung im Gesetz halten, mag das, bitte schön, Ihre Sicht
der Dinge sein, aber de facto führt dies dazu, dass wir zu
einer komplizierteren Regelung kommen.

Dann kommt der Abschnitt betreffend das Unterhalts-
titelanpassungsgesetz. Bisher konnten solche Titel ein-
fach angepasst werden. Ihre Regelung des Unterhalts-
rechts führt dazu, dass Sie eine Titelanpassung nach
§ 655 ZPO vornehmen müssen mit all den formalen
Schwierigkeiten, die damit verbunden sind.

Diese wenigen Beispiele zeigen, dass die neuen Rege-
lungen, prozessual und praktisch gesehen, die Situation
der Unterhaltsberechtigten sogar erschweren. Wir haben
Ihnen angeboten, Regelungen zu erarbeiten, an denen wir
uns beteiligen, wofür wir aber in der Tat Zeit benötigt hät-
ten. Diese Zeit haben Sie nicht gesehen. Wir bedauern das
außerordentlich. Das, was Sie jetzt im Unterhaltsrecht
einführen, führt in der Praxis zu zusätzlichen Schwierig-
keiten, zu einem zusätzlichen Prozessaufwand.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Mein Gott, wie viel Prozessaufwand!)


Sie führen außerdem noch einen neuen Prozentsatz
ein. Für das beschleunigte Verfahren galt bisher der an-
derthalbfache Satz. Jetzt führen Sie im Unterhaltsrecht
den 1,35-fachen Satz ein. Ich will durchaus zugestehen,
dass Sie mit dieser kleinen Veränderung gegenüber dem
ursprünglichen Entwurf wenigstens Zwischentabellen in
der Düsseldorfer Tabelle verhindern. Nach dem ur-

sprünglichen Entwurf wäre es auch noch dazu gekom-
men.

Ich will am Schluss für Folgendes werben: Lassen Sie
uns im Bereich des Kindschaftsrechts und des Unterhalts-
rechts – ich biete das ausdrücklich an – in Zukunft mehr
Zeit nehmen. Lassen Sie uns den Versuch unternehmen,
zu einvernehmlichen Lösungen zu kommen, wie wir das
in der vergangenen Legislaturperiode auch geschafft ha-
ben. Nur, wenn Sie solche Vorlagen machen wie diese,
werden Sie von unserer Seite dafür keine Zustimmung
finden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411425300
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich jetzt der Kollegin Ekin Deligöz das
Wort.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1411425400
Herr
Kollege Pofalla, Sie haben ja namentlich die Grünen an-
gesprochen. Deshalb möchte ich Ihnen auch antworten.

In der Tat, als wir das letzte Mal eine Debatte zu die-
sem Gegenstand hatten – ich glaube, das war die letzte
Debatte, die in Bonn stattgefunden hat –, habe ich selber
den Kolleginnen und Kollegen, auch aus Ihrer Partei, an-
geboten, uns gemeinsam hinzusetzen, weil ich mir gesagt
habe: Wir senden Signale; deshalb müssen wir an diesem
Bereich gemeinsam arbeiten.

Wir haben gemeinsam eine Anhörung durchgeführt.
Ich habe immer gesagt – und dazu stehe ich auch –: Ich
will keine Wischiwaschiformulierung, ich will, dass Kin-
der als Rechtssubjekte gelten. Weiter habe ich gesagt: Ich
schlage nirgendwo ein, wo ich nicht die Sicherheit habe,
dass mir dann auch die Gegenseite entgegenkommt. –
Dies ist so nicht geschehen. Deshalb können Sie die Grü-
nen jetzt nicht als die Verhinderer hinstellen.

Wir Fachpolitiker haben uns untereinander sehr gut
und sehr lange darüber unterhalten – auch mit dem Mi-
nisterium, auch mit dem Staatssekretär – und sind dann zu
der Erkenntnis gekommen, dass die Form, die wir gewählt
haben, die richtige ist, wenn wir dieses Gesetz tatsächlich
ernst meinen.

Zum Schluss zum Kinderunterhaltsgesetz: Sie sagen,
das Ganze sei kompliziert und die Kompliziertheit nehme
zu. Das haben Sie gerade wiederholt. Ich sage Ihnen ei-
nes: Die Gerechtigkeit für Kinder von allein erziehenden
Müttern nimmt zu.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Aber das ist eine komplizierte Regelung!)


Wir stellen die Kinder in den Vordergrund und dazu stehe
ich auch; denn ich bin – das gebe ich zu – Sozialpolitike-
rin.

Wir haben mit dem Entschließungsantrag bekundet,
dass wir das Unterhaltsrecht reformieren wollen: Wir ha-
ben das heute Mittag im Zusammenhang mit der BAföG-
Reform angesprochen. Wir sprechen auch im Zusammen-




Ronald Pofalla
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(C)



(D)



(A)



(B)


hang mit dem Rentenrecht darüber, dass wir das Unter-
haltsrecht reformieren müssen, genauso wie in sehr vielen
anderen Bereichen, zum Beispiel in der Sozialhilfe. Und
wenn wir dann sagen, dass wir dazu stehen, dass das Un-
terhaltsrecht reformiert werden muss, was ist dann daran
verwerflich?

Wir haben hier einen wichtigen Schritt getan. Reden
Sie auch einmal mit dem Verband Alleinerziehender Müt-
ter und Väter und nicht nur mit den Unterhaltzahlenden
Vätern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411425500
Herr Kollege Pofalla,
Sie können darauf antworten. – Das wollen Sie nicht.

Dann erteile ich nun der Bundesjustizministerin
Dr. Herta Däubler-Gmelin das Wort.

Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der
Justiz: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der
Tat ist heute ein sehr guter Tag für die Kinder in Deutsch-
land, außerdem übrigens für alle, die sich für Recht und
gegen Gewalt aussprechen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich danke allen, die diesen Tag möglich gemacht haben.
Ich hätte Sie, Frau Fischbach, und Sie, Herr Pofalla,

gerne dabei gehabt. Ich finde es schade, dass Sie nicht
über diese Hürde gesprungen sind. Ich glaube auch, dass
das, was Sie uns vorgetragen haben, Ihr Nein nicht
rechtfertigt. Aber das werden Sie mit sich selbst ausma-
chen müssen.

Jeder Einsichtige unter uns weiß – auch Herr Haupt hat
es gesagt –, dass sich Erziehung und Gewalt ausschließen.
Deswegen ist das ganz klare Signal, das von dem Gesetz,
das wir heute beschließen, ausgeht: bessere Erziehung ja,
Gewalt nein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist eine sehr klare und deutliche Formulierung.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das steht doch schon im Gesetz!)

Wir wollen die bessere Erziehung, Herr Geis – das wis-

sen Sie eigentlich auch –, und wir müssen alle gemeinsam
Gewalt begrenzen. Das sagt uns der gesunde Menschen-
verstand und nicht nur ein Pädagoge oder Wissen-
schaftler. Das Ziel muss darin bestehen, mündige, verant-
wortungsbewusste Erwachsene und Staatsbürger zu erzie-
hen, die gelernt haben, Konflikte auszutragen, und zwar
mit Worten und Argumenten und nicht mit Gewalt, die
Situationen vernünftig einschätzen können und die vor al-
len Dingen wissen, was richtig und was falsch ist.

All das gehört zu den Grundlagen eines friedlichen
Zusammenlebens und muss in den Familien eingeübt
werden. Auch das muss durch Erziehung vermittelt wer-

den. Wer Prügel oder Schläge zulässt oder wer selbst prü-
gelt oder schlägt, macht das Gegenteil: Er lehrt Verhal-
tensmuster, nach denen der Stärkere und nicht der mit den
besseren Argumenten Recht hat. Das ist genau falsch.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Haupt [F.D.P.])


Wir wissen – lassen Sie mich das als Zweites sagen –:
Gewalt ist in unserer Gesellschaft ein Problem. Die Ag-
gressivität bei Kindern und jungen Menschen nimmt zu.
Das wird uns von Erzieherinnen und Erziehern und von
Lehrerinnen und Lehrern immer wieder gesagt. Das ist ei-
ner der Gründe, warum diese Bundesregierung – und zwar
nicht, indem sie geschmäcklerisch an diesem und jenem
herumkrittelt, um dann doch nicht zustimmen zu müssen –
auf den verschiedenen Gebieten, um die es geht, ganz
klare Signale gesetzt hat und auch weiterhin setzen wird.


(Beifall der Abg. Christa Lörcher [SPD])

Wir alle wissen auch: Kinder werden nicht gewalttätig

geboren, sondern Kinder werden gewalttätig durch
schlechte Vorbilder und schlechte Erziehung, kurz, weil
sie Gewalt lernen. Das wissen wir aus eigener Erfahrung
und das sagt uns der gesunde Menschenverstand. Jetzt
wissen wir es auch aus vielen Untersuchungen. Auch das
ist ein Grund, warum wir hier handeln.

Jetzt komme ich zu der Formulierung. Ich habe nicht
verstanden, warum Sie meinen, diese Formulierung kriti-
sieren zu müssen. Auch Ihre Formulierung bringt kein
einklagbares Recht. Unsere Formulierung dagegen drückt
aus, dass es ein moralisches Recht gibt. Diesen Rechtszu-
stand verbinden wir mit einem Appell, der außerdem den
Vorzug hat, dass er sich in der Formulierung der Kinder-
rechtskonvention annähert. Diesen völlig eindeutigen
Vorteil müssten Sie eigentlich erkennen.


(Wolfgang Dehnel [CDU/CSU]: Kann man Moral einklagen?)


Ansonsten müssen Sie den Leuten draußen Ihre Hal-
tung erklären. Sie können nicht einerseits sagen, Sie seien
der Meinung, dass Gewalt nicht zur Erziehung gehört,
wenn Sie andererseits sagen, dass Sie gegen diese Formu-
lierung sind. Das wird Ihnen niemand abnehmen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir stimmen da mit dem Bundesrat überein!)


Verehrter lieber Herr Geis, wir unterhalten uns schon
lange über dieses Thema. Schon Mitte der 70er-Jahre wa-
ren wir auf dieser Seite des Hauses der Auffassung, Sie
sollten sich bewegen. Wir haben es auch in den vergange-
nen 16 Jahren nie geschafft, Sie dazu zu bringen. Heute
werden wir es schaffen, unsere Vorstellungen durchzuset-
zen. Ich fordere Sie nochmals dazu auf, wenn Sie es ernst
meinen, mit uns zu stimmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist nämlich so: Wir wollen mit dieser Formulierung
zum Ausdruck bringen, dass Kinder nicht Objekte der Er-
ziehung sind, sondern dass sie Subjekte, Rechtsträger




Ekin Deligöz

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(D)



(A)



(B)


sind. Das sind sie nach unserer Verfassung, wie Sie alle
ganz genau wissen, schon heute.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das gibt doch Ihre Formulierung gar nicht her!)


Wir wollen das auch im Kindschaftsrecht und im Fami-
lienrecht deutlich zum Ausdruck bringen. „Kinder haben
ein Recht auf gewaltfreie Erziehung“ – das ist eine klare
Formulierung, die das alles hergibt und die vor allen Din-
gen den Ihnen, lieber Herr Geis, wahrscheinlich nicht
ganz geheuren Paradigmenwechsel, dass Kinder nicht
mehr Objekt von irgendetwas sind, sondern dass Kinder
eigene Rechte haben, sehr deutlich macht.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Auch nach unserer Formulierung sind sie keine Objekte!)


– Sie rufen jetzt irgendetwas dazwischen. Ich hoffe, dass
es wenigstens das Richtige ist.


(Zurufe von der SPD: Nein!)

Meine Damen und Herren, es gibt einige Oberschlaue,

die sagen, dies sei keine vernünftige Norm, weil die straf-
rechtliche Sanktion fehle. Sie habe keinen Wert. Wer so
etwas sagt, der muss sich gelegentlich fragen lassen, wie
zynisch man eigentlich noch werden muss, um hier sehr
klar zu unterscheiden, was Recht und was strafbewehrtes
Recht ist.

Es ist völlig richtig: Wir setzen nicht auf ein verstärk-
tes Wirken des Staatsanwaltes bzw. der Polizei. Wir set-
zen vielmehr auf Überzeugung und auf die Eltern bzw. Er-
wachsenen


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Auf leere Formulierungen setzen Sie!)


– Herr Geis, ich weiß, es ist schwer –, die dies hören wol-
len und die sich dann auch entsprechend verhalten.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Alles leere Formulierungen!)


Aber in der Tat setzen wir auf mehr Hilfe durch die Ju-
gendämter.

Herr Pofalla, was Sie in diesem Zusammenhang gesagt
haben, hat mir sehr gut gefallen. Dass wir bei dieser Norm
nicht ein Mehr an Beratung vorgesehen haben, hat einen
ganz einfachen Grund: Es gibt bereits eine Erziehungs-
und Familienberatung. Sie wissen ganz genau, dass dieses
Mosaiksteinchen gefehlt hat. Deswegen haben wir es ein-
gefügt. Stimmen Sie also unserem Gesetzentwurf zu.
Dann wird Ihre Haltung in diesem Bereich glaubwürdig.

Lassen Sie mich noch eines sagen: Ich bedanke mich
bei all denen, die in der Öffentlichkeit mit uns dafür ge-
stritten haben – seien das nun die Elternverbände, die Kin-
derschutzverbände oder, Herr Pofalla, der Familienge-
richtstag, auf dem wir beide gemeinsam waren und wo ge-
sagt wurde, dass diese Formulierung die richtige sei –,
diese klare Formulierung in den vorliegenden Gesetzent-
wurf hineinzuschreiben.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist Schall und Rauch!)


Ich bedanke mich bei der Öffentlichkeit, damit sie weiß,
wie wichtig das ist, was sie begonnen hat und was ich jetzt
weiterführen muss.

Jeder, der dafür sorgt, dass Erziehung ohne Gewalt
durch ein gutes Vorbild oder dadurch, dass er andere da,
wo er dies kann, in die Pflicht nimmt, realisiert wird, tut
sehr viel mehr gegen Gewalt in unserer Gesellschaft als
jemand, der sich dann, wenn eine Gewalttat passiert ist,
furchtbar aufbläst, entrüstet und nach geschlossenen Hei-
men ruft.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Das muss uns sehr deutlich sein. Dann ist auch klar,
warum dies heute ein guter Tag für die Kinder und für die-
jenigen ist, die gegen Gewalt in Deutschland sind.

Lassen Sie mich noch etwas zum Unterhaltsrecht sa-
gen. Ich habe Sie, Herr Pofalla, nahezu bewundert, wie
viele Worte Sie gebraucht haben, um deutlich zu machen,
dass Sie nicht wollen, dass Alleinerziehende ein bisschen
mehr Kindergeld bekommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Pofalla, es ist überhaupt nicht zu bestreiten, dass die
in diesem Zusammenhang erforderliche technische Rege-
lung sehr schwierig ist. Dass in dieser Beziehung bisher
nichts getan worden ist, ist übrigens nicht nur unsere
Schuld, sondern auch die derjenigen, die in den letzten
16 Jahren die Verantwortung getragen haben. Es ist unsere
gemeinsame Schuld.

Deswegen halte ich den in diesem Zusammenhang ein-
gebrachten Entschließungsantrag für ausgesprochen rich-
tig und für sehr ehrlich. Jeder weiß, dass bei uns die Sys-
tematik und die Bestimmungen des zivilen Unterhalts-
rechts, des sozialen Unterhaltsrechts und des steuerlichen
Unterhaltsrechts nur noch schwer miteinander vereinbart
werden können und dass wir gemeinsam auf diesem Ge-
biet etwas tun müssen. Nur, wir sprechen nicht nur darü-
ber, sondern wir werden auch etwas tun. Ich werde auf
Ihre Worte zurückkommen. Vielleicht können Sie als
CDU/CSU ja wenigstens bei diesem Punkt zustimmen.

Ein Herz für Kinder ist nicht nur ein gutes Motto für ei-
nen Autoaufkleber.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Man muss auch klare Signale geben, wenn es um die For-
mulierung von Rechten im Kindschaftsrecht, um Rechte
für Kinder, geht. Man muss Farbe bekennen, wenn es da-
rum geht, allein erziehenden Müttern oder Vätern ein
bisschen mehr Kindergeld zu übertragen. Das tun wir
jetzt. Deswegen ist heute ein guter Tag für die Kinder.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bedanke mich bei meiner Kollegin, bei der Bun-
desministerin für Familien, Senioren, Frauen und Jugend,
dass – hoffentlich von uns allen – in den nächsten Mona-
ten im Rahmen einer Aufklärungskampagne Überzeu-




Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
10898


(C)



(D)



(A)



(B)


gungsarbeit geleistet werden kann, um eine Veränderung
im Denken bzw. in den Köpfen hinzubekommen.

Herzlichen Dank und gute Nacht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411425600
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen eingebrach-
ten Gesetzentwurf zur Ächtung der Gewalt in der Erzie-
hung, Drucksachen 14/1247 und 14/3781. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist da-
mit in zweiter Beratung gegen die Stimmen der
CDU/CSU-Fraktion angenommen worden.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf
ist gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen wor-
den.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 14/3781 die An-
nahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Bei Enthaltung von CDU/CSU und F.D.P. ist die Be-
schlussempfehlung angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem
Titel „Ächtung der Gewalt in der Erziehung wirkungsvoll
flankieren“, Drucksache 14/3761. Der Ausschuss emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/2720 abzulehnen.
Wer folgt dieser Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung ge-
gen die Stimmen der PDS angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Norbert Hauser (Bonn),
Norbert Röttgen, Dr. Norbert Blüm, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der CDU/CSU
„Wort halten“ Umsetzung der Bonn/Berlin-Be-
schlüsse
– Drucksachen 14/1004, 14/2699 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Wiefelspütz
Wolfgang Bosbach
Cem Özdemir
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Petra Pau

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Norbert Hauser, CDU/CSU-Fraktion.


Norbert Hauser (CDU):
Rede ID: ID1411425700
Frau Präsiden-
tin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenn es
noch einer Begründung bedurft hätte, warum wir uns
heute mit dem Thema Bonn-Berlin, dem Berlin/Bonn-
Gesetz und seiner Einhaltung befassen, dann muss man
sich nur den „Express“ von heute ansehen, in dem ein
Brief des Landwirtschaftsministers Funke wiedergegeben
ist, aus dem ich mit Genehmigung der Präsidentin zitieren
möchte.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411425800
Herr Kollege, dazu
brauchen Sie nicht meine Genehmigung.


Norbert Hauser (CDU):
Rede ID: ID1411425900
Herzlichen
Dank.

Hier heißt es:
Wie es ab 2002 weitergeht, bleibt abzuwarten. Ich
schließe nicht aus, dass der Umzugsbeschluss und
damit die Aufgabenteilung Bonn/Berlin dann auf den
Prüfstand kommen.

Weiter äußerte sich der Bundeslandwirtschaftsminister
dazu, was dies konkret für das Ministerium bedeutet:

Darüber kann man nur spekulieren. Warten wir es
also ab!

Dann hat die Sprecherin des Ministeriums noch einen
draufgesetzt und gesagt:

Bonn geht es doch besser als je zuvor. Die Stadt hat
überhaupt nicht mit den nachteiligen Folgen des Um-
zugs zu kämpfen. Vor diesem Hintergrund verstehe
ich nicht, was es da für Sorgen gibt.

Ob man ein Gesetz einhält oder es bricht, wird also
mittlerweile davon abhängig gemacht, ob es demjenigen,
dem Rechte aus dem Gesetz zustehen, gut oder nicht gut
geht. Hier muss man den Eindruck haben, dass Sie sich
längst von dem Berlin/Bonn-Gesetz verabschiedet haben
und dass es Ihnen nicht mehr um seine Einhaltung geht,
sondern dass Sie bereit sind, dieses Berlin/Bonn-Gesetz
zu brechen.


(Zuruf von der SPD: Ihre einsamen Schlachten!)


Meine Damen und Herren, es geht hier darum, dass der
Deutsche Bundestag unmissverständlich erklärt, dass er
zu seinen eigenen Gesetzen steht und dass er bereit ist, an
der Umsetzung dieser Gesetze nicht nur mitzuwirken,
sondern auch darauf zu achten, dass diese Gesetze nach
Buchstaben und Sinn eingehalten werden.

Die Kollegen des Haushaltsausschusses sind ja eigent-
lich sozusagen die Creme des Parlamentes


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Na, na!)





Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin

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(C)



(D)



(A)



(B)


und der Haushaltsausschuss ist der Ausschuss, in dem die
vernünftigen Leute sitzen, die wissen, wie es mit dem
Geld steht und wie man mit Geld umzugehen hat.
Der Haushaltsausschuss hat diesem Antrag zugestimmt.
Daran sieht man, dass das Anliegen durchaus berechtigt
ist.

Ich komme jetzt zu den Gründen, die genannt werden,
warum alles geändert werden müsse.

Zum einen nennt man das Kostenargument. Man
sagt: Das ist alles viel zu teuer. – All diejenigen, die die-
ses Argument anführen, möchte ich fragen: Haben Sie am
20. Juni 1991 nicht gewusst, dass es mit Ministerien an
zwei Sitzen teurer sein könnte als in einem Zentrum? Die-
jenigen, die einwenden, 1991 habe man noch überhaupt
keine Erfahrung mit den Dingen gehabt, frage ich: Wie
war es denn am 26. April 1994, als das Berlin/Bonn-Ge-
setz verabschiedet wurde? Haben Sie es da immer noch
nicht gemerkt? Oder haben Sie am 20. Juni 1991 nur ge-
dacht, man könne ruhig eine faire Arbeitsteilung zwischen
Berlin und Bonn versprechen, um die Zustimmung zum
Umzug zu bekommen? Oder haben Sie vielleicht am
26.April 1994 gedacht, man solle die Leute in Bonn noch
ein bisschen ruhig stellen?

Ein zweites Argument ist, es gebe zu viele Reibungs-
verluste. – Staatssekretär Großmann, der heute Abend
hier ist, hat auf eine Frage von mir im Januar 2000 fest-
gestellt, dass es durch die Arbeitsteilung zwischen den
beiden Dienstsitzen Berlin und Bonn zu keinen nennens-
werten Schwierigkeiten komme und dass die Arbeitstei-
lung sehr gut funktioniere. Das ist sicherlich auch ein Ver-
dienst des Hauses von Herrn Großmann.

Dann gibt es eine Reihe von Kollegen, die sagen, in
den Ausschüssen mangele es manchmal an Informatio-
nen; wir hätten nicht immer die Damen und Herren sofort
vor Ort, die wir in der Ausschusssitzung bräuchten. –
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie daran erinnern,
dass dieses Problem mit dem Gesetz und der Aufteilung
zwischen Berlin und Bonn überhaupt nichts zu tun hat.
Wenn beim Haushaltsausschuss oder beim Rechnungs-
prüfungsausschuss manchmal 40, 50 oder 60 Beamte auf
den Fluren warten, mit der Aussicht, vielleicht einmal für
fünf Minuten in den Raum gelassen zu werden, dann muss
man sich fragen, a) ob dies den Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeitern gegenüber zumutbar ist und b) ob dies nicht eine
Verschleuderung von Humankapital ist. Hier geht die
Frage an uns selber, welche Ansprüche wir stellen. Wenn
wir permanent im Munde führen, dass wir eine moderne
Dienstleistungsgesellschaft schaffen wollen und dass man
für Multimedia und IT mehr tun müsse, aber uns anson-
sten so verhalten, als wären wir noch in der Paulskirche
und als wäre E-Mail so weit entfernt wie der Andromeda-
nebel, dann müssen wir uns selber fragen, ob es nicht an
uns ist, etwas zu ändern.

Der Umzug von Bonn nach Berlin würde, wenn denn
alle Ministerien nach Berlin kommen sollten, für Bonn
den Verlust von etwa 30 000 Arbeitsplätzen bedeuten.
Diesen Arbeitsplatzverlust kann die Region nicht ver-
kraften. Dies ist auch für die betroffenen Familien nicht
zumutbar. Die Stadt Bonn braucht Planungssicherheit für

den weiteren Strukturwandel. Sie tragen Verantwortung
für die Familien, denen Sie mit dem Berlin/Bonn-Gesetz
versprochen haben, dass sie in Bonn bleiben können, und
denen Sie noch beim Abschied von Bonn versprochen ha-
ben, dass Sie zu den Zusagen und zu dem Inhalt des Ge-
setzes stehen.

Deshalb fordere ich Sie als Kollegen und auch die Bun-
desregierung auf, diesen Diskussionen endlich ein Ende
zu bereiten, für Planungssicherheit zu sorgen und den
Menschen in Bonn deutlich zu machen, dass Sie zu Sinn
und Buchstaben des Gesetzes noch heute stehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411426000
Das Wort hat nun der
Kollege Hans-Peter Kemper, SPD-Fraktion.


Hans-Peter Kemper (SPD):
Rede ID: ID1411426100
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Seit der denkbar knappen Entscheidung, den Parlaments-
und Regierungssitz nach Berlin zu verlegen, sind nun gut
neun Jahre vergangen. Herr Dr. Schäuble, damals noch
starker Mann in der CDU/CSU-Fraktion – das hat sich in-
zwischen gründlich geändert –, hielt eine flammende
Rede für den Umzug nach Berlin und für die Hauptstadt
Berlin. Man sagt ihm sogar nach, in der CDU/CSU-Frak-
tion sei seine Rede das Zünglein an der Waage zugunsten
Berlins gewesen.

Heute reden wir über einen Antrag, den er im vergan-
genen Jahr als Noch-Fraktionsvorsitzender gestellt hat
und in dem er die schleppende Umsetzung des Bonn/
Berlin-Beschlusses bejammert. Haben Sie, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion, eigentlich
vergessen, dass Sie schon 1991 und bis 1998 an der Re-
gierung waren – Sie hatten nach dem Beschluss alle Mög-
lichkeiten, einen vernünftigen Umzug vorzubereiten –
und wir, als Sie uns Ihren Antrag auf den Tisch gelegt
haben, gerade einmal anderthalb Jahre an der Regierung
waren?


(Beifall bei der SPD)

Sie waren doch geradezu Berlin-süchtig. Schauen Sie

sich doch einmal den Kanzleramtsbau an, den wir am
Platz der Republik stehen haben und von Ihnen überneh-
men mussten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich denke, mit diesem scheinheiligen Antrag wollen
Sie von den vielen dringenden Problemen ablenken, bei
deren Lösung Sie sich heute verweigern. Ihr Antrag
stammt vom Juni 1999; zu dem Zeitpunkt waren wir noch
gar nicht umgezogen und konnten überhaupt noch nicht
wissen, wie die Arbeitsbedingungen in Berlin aussehen
würden. Dass nicht alles fristgerecht fertig werden würde,
war damals schon klar; aber das hat nicht diese Regierung
zu verantworten, sondern das haben wir als Altlast von
Ihnen übernommen.


(Beifall bei der SPD)





Norbert Hauser (Bonn)

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(C)



(D)



(A)



(B)


Die Ausgleichszahlungen für Bonn waren längst ange-
laufen. Alles lief reibungslos und von daher war Ihr An-
trag genauso überflüssig wie entlarvend.


(Norbert Hauser [Bonn] [CDU/CSU]: Sie sind im Moment beim Antrag und nicht beim Gesetz, Herr Kollege!)


Meine Damen und Herren von der Opposition, was
bemängeln Sie eigentlich? Wir sind im Juli/August nach
Berlin umgezogen. Ich will Ihnen deutlich sagen: Ich habe
nicht zu denen gehört, die sich über den Berlin-Beschluss
gefreut haben. Ich habe auch nicht zu denjenigen gehört,
die sich über den Berlin-Umzug gefreut haben. Ich habe
zu denen gehört, die einen Antrag unterschrieben haben,
den Umzug nach Berlin so lange zu verschieben, bis dort
alles fertig ist – gegen einen Umzug in Provisorien! Als
Nordrhein-Westfale habe ich ganz erhebliche Sorgen
gehabt, was aus der Region Bonn werden würde und wie
wir in Berlin ankommen würden.

Nach den Anfangsschwierigkeiten, die bei einem Um-
zug dieser Größenordnung immer vorkommen, haben wir
hier recht gute Arbeitsbedingungen vorgefunden, auch
wenn sich diese verbessern lassen und auch noch verbes-
sern werden, wenn wir in den endgültigen Liegenschaften
untergebracht sind. Die Bedingungen sind aber annehm-
bar und das Leben hier hat sich normalisiert.

Viele von uns, die damals mit großen Bauchschmerzen
nach Berlin umgezogen sind, fühlen sich inzwischen
wohl,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


trotz der Unzulänglichkeiten und gelegentlichen Ärger-
nisse, auf die ich gleich zu sprechen komme.

In Bonn hat es keine dramatischen strukturellen Ein-
brüche gegeben. Die Arbeitslosenzahlen sind nicht ge-
stiegen. Die Mieten und Immobilienpreise sind nicht ge-
sunken, ganz im Gegenteil: Die durch den Verlust der
Hauptstadtfunktion für die Region Bonn entstandenen
Veränderungen werden strukturell recht gut abgefangen.

Das Eisenbahn-Bundesamt, das Bundeszentralregister,
das Bundeskartellamt, der Bundesrechnungshof, das Sta-
tistische Bundesamt, das Bundesamt für Arzneimittel-
kunde, das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswe-
sen und diverse Entwicklungshilfeeinrichtungen waren
früher nicht in Bonn, wohl aber jetzt: Dort haben viele
ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nicht mit
nach Berlin umziehen wollten, einen sicheren dauerhaften
Arbeitsplatz gefunden. Die vereinbarten Ministerien sind
in Bonn geblieben, mit Kopfstellen in Berlin.

Herr Hauser, da ich natürlich wusste, dass Sie den Ar-
tikel des „Express“ anführen würden, in dem von konspi-
rativen Unternehmungen des Bauernministers und einem
Geheimpapier die Rede ist, habe ich mir den Brief von
Herrn Funke besorgt. Es handelt sich keinesfalls um ein
Geheimpapier, sondern um einen Brief des Landwirt-
schaftsministers Karl-Heinz Funke an die Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeiter – also völlig öffentlich –, weil er zu
einer Personalversammlung nicht kommen konnte. Wenn
Sie etwas zitieren, gebietet es die Fairness, dass Sie auch

komplett zitieren. Der Hauptsatz in diesem Schreiben von
Landwirtschaftsminister Funke lautet:

Es gibt das Bonn/Berlin-Gesetz und damit eine klare
Rechtslage. Und daran halten wir uns.

Es wäre einfach nur fair gewesen, wenn Sie diesen Satz
ebenfalls zitiert hätten, denn dieser gibt die Wirklichkeit
wieder.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So weit zur Demagogie von Herrn Hauser!)


– Jawohl.
Die Arbeitsfähigkeit – daran gibt es zwischen uns

wohl keinen Zweifel – muss sowohl in Bonn als auch in
Berlin gewährleistet sein. Sie muss immer wieder über-
prüft und auch verbessert werden. Ich möchte nicht erle-
ben, dass unsere Arbeit aufgrund falscher Personalge-
wichtungen in Bonn oder Berlin hier behindert würde
oder Sie nicht genügend Informationen bekämen. Dann
möchte ich mal sehen, welchen Zirkus Sie veranstalten
würden! Daher müssen wir das ständig überprüfen.

Es werden weitere europäische und internationale Ein-
richtungen folgen. Die vereinbarten Ausgleichsmaßnah-
men haben doch ihre Wirkung nicht verfehlt. Bis
Juni 1999 waren von den zugesagten 2,81 Milliarden DM
bereits 2,68 Milliarden DM für konkrete Maßnahmen im
Bereich der Wissenschaft, der Kultur und der Wirt-
schaftsförderung ausgegeben bzw. fest verplant. Nord-
rhein-Westfalens hervorragender Ministerpräsident
Wolfgang Clement,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

der die nordrhein-westfälischen Interessen wirklich mit
großem Einsatz vertritt, hat mehrfach darauf hingewiesen


(Zuruf des Abg. Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.])


– Herr Westerwelle, vielleicht werden Sie irgendwann
auch einmal daran beteiligt, wenn Sie brav sind –


(Heiterkeit bei der SPD – Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das sollten Sie hier einmal vormittags sagen!)


dass die Region Bonn inzwischen brummt. In der Region
sind inzwischen mehr Arbeitsplätze als vor dem Berlin-
umzug vorhanden.

Wir debattieren hier über einen Antrag der Opposition,
der von der Sache her längst erledigt ist. Sie schlagen mit
Ihrem Antrag die Schlachten von gestern. Er ist nicht
mehr als eine Luftnummer.


(Beifall bei der SPD)

Haben Sie den Bericht, den die Bundesregierung am

13. September 1999 vorgelegt hat, nicht gelesen? Darin
steht doch haarklein, was als Ausgleich für den struktu-
rellen Verlust für Bonn inzwischen geleistet wurde. Ich
will Sie hier nicht mit Zahlen langweilen, aber wenn Sie
den Bericht selbst nicht gelesen haben und die Zahlen
nicht kennen, muss ich vielleicht stichpunktartig einige




Hans-Peter Kemper

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(A)



(B)


nennen. Es wurden geleistet: für den Bereich Wissen-
schaft 1,6 Milliarden DM, für den Bereich Kultur
100 Millionen DM, für den Bereich Wirtschaft 300 Milli-
onenDM, für den Bereich Verkehr 500MillionenDM und
an Soforthilfe 210 Millionen DM. Außerdem haben wir
Grundstücke bereitgestellt, um die Ansiedlung von Ein-
richtungen zu erleichtern. Ich denke, dies ist eine ganze
Menge und kann sich sehen lassen.

Sie versuchen mit Ihrem Antrag vergebens, den Ein-
druck zu erwecken, als ob es einen Niedergang in der Re-
gion Bonn und Umgebung gäbe. Ich frage die beiden
Norberts aus Bonn – eigentlich sind es drei, die in der Kopf-
leiste des Antrags stehen, und eben habe ich einen vierten
Norbert aus Nordrhein-Westfalen ausgemacht, der die
Kleine Anfrage gestellt hat; das Umzugsproblem scheint
also in erster Linie ein Problem der Norberts zu sein –:


(Norbert Hauser [Bonn] [CDU/CSU]: Das ist ein starkes Argument, Herr Kollege!)


Warum verunsichern Sie die Menschen, die in Bonn und
Umgebung leben, völlig grundlos? Dies würden Sie si-
cher nicht tun, wenn Sie nicht am 27. September 1998 –
völlig zu Recht – in der Opposition gelandet wären.


(Beifall der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Und Berlin? Die Stadt hat sicher von dem Hauptstadt-
beschluss profitiert. Nachdem sie zunächst alles daran ge-
setzt hat, Hauptstadt und Regierungssitz zu werden, emp-
fing sie uns dann, als wir hierher kamen – sozusagen als
kleines Dankeschön –, mit der Zweitwohnungssteuer. Die
Berliner Kollegen müssen schon ertragen, dass ich das
hier erwähne. Die ständige Sperrung des Brandenburger
Tors durch Demonstranten ist gelegentlich lästig. Ganz
besonders geärgert hat uns aber der Marsch der Neonazis
durch das Brandenburger Tor. Das war beschämend.


(Beifall im ganzen Hause – Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das hätte es in Bonn nicht gegeben!)


Diese Bilder sind mit verheerender Wirkung um die Welt
gegangen. So etwas darf sich nicht wiederholen; hier gibt
es klare Verantwortlichkeiten.

Berlin hat mit dem Hauptstadtbeschluss Verpflichtun-
gen übernommen, die eingehalten werden müssen. Uns
aus Nordrhein-Westfalen war klar, welche Mehrbelastung
ständige Staatsbesuche und Objektschutz für die Sicher-
heitskräfte bedeuten. Das musste auch den Berliner Ver-
antwortlichen klar sein. Von daher sind Klagen und immer
neue Forderungen an den Bund in diesem Bereich unver-
ständlich.

Die Unterbringung der Polizeibeamten, die letztlich
auch für unsere Sicherheit verantwortlich sind, war im
letzten Winter derart katastrophal, dass mein Kollege
Günter Graf hier im Plenum in einer Kurzintervention die
Verbesserung dieser Unterbringung gefordert hat und
beim Berliner Innenminister Werthebach massiv vorstel-
lig geworden ist mit dem Ziel, die Situation der Polizei-
beamten hier zu verbessern.

Ich denke aber, dass der Umzug angesichts des gewal-
tigen Volumens und der gewaltigen Schwierigkeiten, die

mit ihm verbunden waren, recht gut gelaufen ist. Berlin ist
auf gutem Weg, eine Hauptstadt mit Charme und ein guter
Gastgeber zu werden. Bonn ist auf gutem Weg, eine
Bundesstadt mit hervorragenden Perspektiven zu werden.
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
sind auf gutem Weg, die Fraktion der Nörgler zu werden.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411426200
Jetzt hat der Kollege
Guido Westerwelle von der F.D.P.-Fraktion das Wort.


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1411426300
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen
und Kollegen! Ich will vorab zwei Punkte ansprechen.
Der Antrag ist in der Sache nicht zu beanstanden. Dieje-
nigen, die sich dem Berlin/Bonn-Gesetz und den entspre-
chenden Vereinbarungen verpflichtet fühlen, werden,
wenn sie den Antrag gelesen haben, nicht gegen ihn spre-
chen können.

Die Frage ist – das muss man der CDU/CSU-Fraktion
sagen –, ob es klug war, diesen Antrag als Fraktion in den
Deutschen Bundestag einzubringen – entgegen der Pra-
xis, die wir als Abgeordnete der Region immer geübt ha-
ben, nämlich gemeinsam überparteiliche Initiativen ein-
zubringen, um den Anliegen unserer Region mehr Nach-
druck zu verleihen. Ob dieses Vorgehen klug gewesen ist,
müssen wir dahingestellt sein lassen.


(Zustimmung bei der F.D.P.)

Herr Kollege Kemper, ich will Ihnen aber auch aus-

drücklich sagen: Das, was heute als Brief des Landwirt-
schaftsministers zitiert wurde, reiht sich auch aus meiner
Sicht in die traurige Reihe von Vorkommnissen seitens
der Bundesregierung ein.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Das ist eine grobe Unverschämtheit!)


Das hat jetzt gar nichts mit irgendwelchen parteipoliti-
schen „Kartereien“ zu tun. Es geht ganz einfach darum, ob
das, was wir in der Abschiedssitzung im Deutschen Bun-
destag in Bonn alle heftig beklatscht haben, nämlich dass
wir uns auch noch in Berlin Bonn verpflichtet fühlen,
Realität bleibt oder ob wir hier nach der Devise handeln:
Aus den Augen aus dem Sinn.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das ist die eigentliche Sorge, die wir haben müssen. Das
hat nichts mit irgendwelchen parteipolitischen „Karte-
reien“ zu tun.

Ich stelle fest: Wir haben ein Gesetz. Das Gesetz bin-
det alle. Es bindet selbstverständlich auch die Bundesre-
gierung. Schon wie der Bundesumweltminister mit den
Nachfolgebehörden des Bundesgesundheitsamtes umge-
gangen ist, ist aus meiner Sicht eine Strapazierung der
Vereinbarung und des Gesetzes. Ich weiß, dass es bei SPD




Hans-Peter Kemper
10902


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(D)



(A)



(B)


und Grünen viele Kolleginnen und Kollegen gibt, die das
ganz genauso sehen.

Meine Damen und Herren, wenn hier jetzt Zitate von
Herrn Funke gebracht werden: Es ist Ihr berechtigtes
Bemühen, Ihren Parteikollegen in Schutz zu nehmen. Es
bleibt aber ein befremdliches Zitat. Nicht der Antrag, über
dessen taktische Klugheit wir reden können, ist die Ursa-
che der Verunsicherung. Die Ursache der Verunsiche-
rung sind solche Äußerungen, zumal wenn sie schriftlich
gemacht werden.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Sehr richtig!)

Es ist ein echtes Problem, wenn Sie in Bonn Anrufe

von Betroffenen bekommen, die auch Planungssicherheit
brauchen – Anrufe, wie wir alle sie in vergleichbaren Fäl-
len in unseren Wahlkreisen bekämen; Bonn ist auch mein
Wahlkreis –: Was ist denn jetzt da? Was passiert denn jetzt
dort? Wer das Berlin/Bonn-Gesetz jetzt für die Zeit nach
2002 öffentlich schriftlich infrage stellt, der macht meiner
Meinung nach einen ganz großen, einen historischen Feh-
ler.


(Beifall der Abg. Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.])


Wir sind von Bonn nach Berlin umgezogen, nicht weil
Bonn gescheitert ist, sondern weil wir hier die Vollendung
der deutschen Einheit bewältigen konnten. Das ist ein
riesiger Unterschied. Das gilt auch für die Diskussion
Bonner Republik/Berliner Republik, Weimarer Repu-
blik/Bonner Republik. Hier wird etwas fortgesetzt und
nicht etwas beendet. Das ist auch meiner Meinung nach
ein ganz großer Unterschied im Denken, meine sehr ge-
ehrten Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Dass dieser Antrag notwendig ist, können Sie – bei

allem Respekt vor der imposanten Präsenz des Bundes-
kabinetts – auch daran erkennen, dass der Umzugsbeauf-
tragte der Bundesregierung nicht hier ist.


(Achim Großmann, Parl. Staatssekretär: Er ist da!)


– Der Umzugsbeauftragte ist nicht hier!

(Achim Großmann, Parl. Staatssekretär: Natürlich!)

– Wo ist er denn? Sie sind der Umzugsbeauftragte? Ich
dachte, das ist Herr Klimmt.


(Achim Großmann, Parl. Staatssekretär: Ich vertrete ihn!)


– Sie vertreten ihn? Ich bin begeistert darüber, dass Sie da
sind. Aber bei allem Respekt vor der Funktion eines
Staatssekretärs: Die Anwesenheit des Ministers, des Um-
zugsbeauftragten ist schon eine Frage der Achtung vor
diesem Parlament.


(Beifall bei der F.D.P.)

Auch das Bundeskanzleramt ist hier heute nicht ver-

treten.

(Zurufe von der SPD: Oh!)


– Ich weiß gar nicht, was ihr wollt. Wenn wir da sein kön-
nen, kann doch von denen auch jemand da sein, oder
nicht?


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411426400
Herr Kollege, trotz-
dem ist Ihre Redezeit jetzt abgelaufen.


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1411426500
Ich danke Ihnen,
Frau Präsidentin, für diesen Hinweis.

Ich möchte noch eines sagen, was mir, meine Damen
und Herren, Kolleginnen und Kollegen, ein ernstes Anlie-
gen ist.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411426600
Herr Kollege, denken
Sie bitte an Ihre Redezeit.


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1411426700
Darf ich noch einen
letzten Satz sagen, Frau Präsidentin?

Für Sie ist das Ganze vielleicht Jux. Ich sage Ihnen:
Wenn führende Minister des Bundeskabinetts – der Land-
wirtschaftsminister sitzt ja in der ersten Reihe des Kabi-
netts – derartige Erklärungen abgeben, dann, meine ich,
wäre es auch Aufgabe des Bundeskanzlers – oder seines
Vertreters –, hier Klartext zu reden


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Nun bauschen Sie das doch nicht so auf!)


und solche Äußerungen richtig zu stellen. Das ist eine
Chance, die er verpasst hat.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411426800
Nun hat das Wort die
Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig, Bündnis 90/Die
Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollegen! Zunächst zu dem, was ich an dem Antrag kor-
rekt finde: Der Bundestag soll bekräftigen, dass die be-
schlossenen Ausgleichsmaßnahmen in vollem Umfang
realisiert werden – das werden sie –, dass die für Bonn
vorgesehenen Bundesbehörden gemäß der geltenden Ge-
setzes- und Beschlusslage umziehen werden – das tun sie –,
und dass sich der Bund weiterhin um die Ansiedelung zu-
sätzlicher Institutionen, insbesondere internationaler Or-
ganisationen, nach Bonn bemüht – das tut der Bund. Von
daher glaube ich, dass man nicht sagen kann, dass sich die
rot-grüne Bundesregierung nicht für den Ausgleich der
Bonner Interessen einsetzt.

Trotzdem muss ich, nachdem wir nun ein Jahr hier sind –
Ihr Antrag ist ja schon ein Jahr alt – deutlich sagen: Es hilft
nicht, wenn wir nur Schaufensterreden halten. Wir haben
als Parlament Verantwortung auch da


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Dann werden Sie einmal konkret!)





Dr. Guido Westerwelle

10903


(C)



(D)



(A)



(B)


– ja, das werde ich –, wo wir Probleme mit dem Ber-
lin/Bonn-Gesetz haben. Wir wollen sie zumindest schritt-
weise in die Diskussion einbringen, uns ihnen stellen und
sie nicht verdrängen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Wieso „schrittweise“? Der Beschluss ist gefasst!)


– Moment, lassen Sie mich doch reden, liebe Frau Kolle-
gin, dann werden Sie verstehen, was ich meine.

Es geht darum, dass wir mit der Vorgabe des Gesetzes
zunehmend Schwierigkeiten mit der Effektivität des
Verwaltungshandelns haben: Auf der einen Seite
müssen wir die Funktionsfähigkeit der Regierung in Ber-
lin und die Zusammenarbeit mit Bundestag und – ab
Herbst – Bundesrat gewährleisten und auf der anderen
Seite über die Hälfte der Arbeitsplätze in Bonn belassen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Aha! Sie wollen die Rutschbahn!)


– Nein, hören Sie doch einmal zu, Frau Kollegin.
Wir haben einen enormen Zeit-, Kosten- und Kraftauf-

wand. Ich möchte, dass wir uns diesem Thema ehrlich
stellen.


(Beifall bei der SPD)

Wir können es unserer Verwaltung, unseren Ministerin-
nen und Ministern sowie den Führungskräften nicht stän-
dig zumuten, dass wir vor diesem Problem praktisch die
Augen verschließen und so tun, als gäbe es das Problem
nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Tatsache ist: Wir haben derzeit 11 400 Arbeitsplätze

der Regierung – ohne die nachgeordneten Behörden – in
Bonn, 8 200 in Berlin, also knapp 60 Prozent in Bonn,
42 Prozent in Berlin. Die Ministerien mit dem ersten
Dienstsitz in Bonn – das sind beispielsweise das Ministe-
rium für Gesundheit und das Ministerium für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten, aber auch das Ministerium
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – haben
rund 25 Prozent ihrer Arbeitsplätze in Berlin. Die Minis-
terien, die ihren ersten Dienstsitz in Berlin haben, weisen
ganz unterschiedliche Quoten auf. Ich will einmal ein paar
Beispiele nennen – ich denke, es ist schon wichtig, dass
wir in dem Punkte Klarheit haben –: Das Bundesministe-
rium des Innern hat beispielsweise 30 Prozent aller
Arbeitsplätze in Bonn, das der Finanzen 46 Prozent und
das Arbeitsministerium schließlich 76 Prozent.

Ich denke, wir müssen nach einem Jahr Regierungs-
tätigkeit ehrlich Bilanz ziehen: Wir betreiben insbeson-
dere für die Führungskräfte unserer Ministerien einen un-
zumutbaren Aufwand, der sich zu verfestigen droht. Die-
ser Diskussion müssen wir uns bei aller Sympathie für die
Region Bonn stellen. Wir erwarten gerade von der Füh-
rungsebene, dass sie auf der einen Seite die Koordination
der Ressorts mit dem Bundestag und künftig auch mit
dem Bundesrat leistet und auf der anderen Seite nach in-
nen in effizienter Weise bis in die unteren Arbeitsebenen
hineinwirkt. Ich sage Ihnen: Das wird auf Dauer nicht gut
gehen. Ich weiß, dass das ein sehr schwieriges Thema ist,

aber wir als Parlament können nicht einfach so tun, als
könnten wir dieses Problem verdrängen.

Von daher gilt meiner Meinung nach: Auf der einen
Seite dürfen wir die Augen vor den Problemen nicht ver-
schließen, in dem wir mit Schaufensteranträgen so tun, als
bräuchten wir uns dem Thema nicht zu stellen, und auf der
anderen Seite gilt es – das möchte ich sehr deutlich sagen –,
das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten. Es ist wich-
tig, dass die einzelnen Ministerien nunmehr prüfen – das
erfordert auch Zeit, die man den Ministerien lassen sollte,
zumal die Arbeitsfähigkeit nach dem Umzug bei den mei-
sten betroffenen Ministerien noch nicht oder erst seit
kurzem hergestellt ist –, ob sie mit der letztlich Anfang der
90er-Jahre vereinbarten Arbeitsteilung klarkommen oder
ob sie Nachbesserungsbedarf sehen. Insofern sollten wir
erst in der nächsten Legislaturperiode Bilanz ziehen und
ehrlich prüfen, was in diesem Bereich gemacht werden
muss. Ich wünsche mir dabei, dass wir die Ehrlichkeit ha-
ben, diese Probleme auch dann anzusprechen, wenn sie
angesprochen werden müssen. Ich werde mich dabei je-
derzeit dafür einsetzen, dass bei eventuellen weiteren
Umzügen auf Regierungsebene ein angemessener Aus-
gleich für Bonn vorgenommen wird. Wir müssen dann das
Thema aktiv angehen und diskutieren, aber nicht weiter in
einer Form der Vogel-Strauß-Politik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411426900
Nun erteile ich das
Wort der Kollegin Petra Pau, PDS-Fraktion.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411427000
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Der Antrag „Wort halten – Umsetzung
der Bonn/Berlin-Beschlüsse“, über den heute abgestimmt
werden soll, hat sich inzwischen ein Jahr durch das Parla-
ment bewegt. Er zielt richtigerweise darauf, der Bundes-
stadt Bonn und der Region einen fairen Ausgleich für den
Weggang von Bundestag und Ministerien zu sichern.
Aber er hat aus meiner Sicht auch eine falsche Zielrich-
tung. Er zielt nämlich darauf ab, Anfang der 90er-Jahre
getroffene Vereinbarungen für unabänderlich und auf
ewig festgeschrieben zu erklären. Ich meine, dass daher
nicht nur der federführende Innenausschuss zu Recht mit
Mehrheit empfohlen hat, den Antrag heute abzulehnen.


(Beifall bei der PDS)

Die Bundesregierung hat im September des vergange-

nen Jahres eine Bilanz über den Umzug nach Berlin und
über Ausgleichsleistungen für die Region Bonn vorgelegt.
Ich sehe in dieser Bilanz keinen Grund für die Unterstel-
lung, die Region Bonn könnte unfair behandelt werden.
Vielmehr registriere ich mit sehr viel Achtung, dass es im
Zusammenspiel von Bund und Bonn gelungen ist, einen
wirksamen Strukturwandel einzuleiten und der Bonner
Region ein neues und auch international bedeutsames Re-
nommee zu sichern.

Sinnvollerweise sind zahlreiche Ämter, Institutionen
und Unternehmen in die Region Bonn gerutscht – um den
heute aktuellen Begriff zu benutzen – und weitere werden
folgen. Ich habe nicht gehört, dass das irgendjemand in-




Franziska Eichstädt-Bohlig
10904


(C)



(D)



(A)



(B)


frage gestellt hätte. Wenn heute registriert wird, dass die
Region Bonn die niedrigste Arbeitslosenquote der Bun-
desrepublik aufweist, dann ist das nach meiner Meinung
ein weiteres Indiz für einen grundsätzlich engagierten und
fairen Umgang mit den angesprochenen Problemen.

Jetzt komme ich zum Wermutstropfen: Ein solches En-
gagement und eine solche Fairness der Bundesregierung
würde ich mir endlich auch gegenüber Berlin wünschen.


(Beifall bei der PDS)

Dieses Engagement wünsche ich mir gerade vor dem Hin-
tergrund der immer noch ausstehenden Vereinbarung des
Bundes mit dem Land Berlin über die Finanzierung der
zusätzlichen Leistungen, zum Beispiel im Bereich der
Sicherheit.

Einer heute eingegangenen taufrischen Antwort der
Bundesregierung auf eine kleine Anfrage entnehme ich
sogar puren Hohn in dieser Frage. So teilt das Bundesfi-
nanzministerium zum Beispiel mit, man werde sich fi-
nanziell beteiligen, wenn man beim Land Berlin zusätzli-
che Leistungen bestelle. Ich wünsche mir, dass der Bun-
desfinanzminister und der Bundesinnenminister am
Montag auf die Straße gehen und den Polizisten, die zur
Sicherung der Staatsaufgaben Überstunden leisten, erklä-
ren, dass sie angeblich nicht bestellt wurden. Auch das
gehört zum fairen Umgang und zu einem fairen Ausgleich
zwischen Berlin und Bonn.


(Beifall bei der PDS)

Ein letzter Punkt: Im Kern geht es in dem vorliegenden

Antrag um etwas ganz anderes. Knapp zehn Jahre nach
der Beschlussfassung und ein Jahr nach dem vollzogenen
Umzug ist es legitim und geboten, zu prüfen, ob die einst
gedachte Verteilung der Ministerien zwischen Bonn und
Berlin wirklich effektiv ist. Man sollte sich nicht wie der
Landwirtschaftsminister heute verhalten. Auf der Grund-
lage einer ehrlichen Bestandsaufnahme sollte 2002 nicht
nur eine Bilanz, sondern ein sinnvoller Vorschlag vorge-
legt werden, der wiederum den Ausgleich zwischen Ber-
lin und Bonn zum Ziel hat. Vielleicht kommen wir zu dem
Ergebnis, dass wir die Rutschbahn in beide Richtungen
schmieren müssen, damit am Ende Berlin wie Bonn nicht
nur einen fairen Ausgleich haben, sondern sowohl das Re-
gieren als auch das Leben in beiden Regionen funktioniert
und vielleicht auch Spaß macht.

Danke schön.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411427100
Jetzt hat der Kollege
Norbert Röttgen, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Noch eine „General-Anzeiger“-Rede! Die Rede ist doch sowieso schon beim „General-Anzeiger“!)



Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1411427200
Das kann der „Gene-
ral-Anzeiger“ nicht lesen, Herr Kollege Schmidt.


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Der „General-Anzeiger“ kann alles lesen!)


– Sie haben offenbar gute Kontakte.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fra-

ge, die sich am Ende dieser Debatte stellt, lautet: Warum
können SPD und Grüne diesem Antrag nicht zustimmen?
Warum können Sie einem Antrag nicht zustimmen, des-
sen Inhalt es ist, die Bundesregierung aufzufordern, sich
an die geltende Beschluss- und Gesetzeslage zu halten?


(Rudolf Bindig [SPD]: Weil Sie offene Türen einrennen!)


Darauf sagen Sie offensichtlich: Das ist ja eine Selbstver-
ständlichkeit. Dann muss ich Ihnen sagen – das werden
wir übrigens auch den Menschen in dieser Region sagen,
verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD –, dass
diese Region Sie offensichtlich so wenig interessiert, dass
Sie die Probleme nicht einmal kennen.


(Beifall bei der CDU/CSU Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Die nehmen das nicht ernst, Frau Präsidentin!)


– Ja, die nehmen das nicht ernst. Aber die Menschen in der
Region Bonn, Rhein-Sieg und Ahrweiler nehmen es ernst.
Sie haben offensichtlich noch nicht zur Kenntnis genom-
men, dass es akute Gesetzesverletzungen dieser Bundes-
regierung gibt. Das nehmen Sie nicht zur Kenntnis. Die
Menschen in der Region jedoch nehmen das zur Kenntnis.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch Unsinn!)


– Herr Schmidt, Sie sagen: „Das ist doch Unsinn!“ Ich
sage Ihnen Folgendes: Wenn im Berlin Bonn-Gesetz fest-
geschrieben ist, dass das Bundesamt für Strahlenschutz
von Berlin nach Bonn umzieht und der Bundesumwelt-
minister die Entscheidung trifft, dass dieser Umzug nicht
stattfindet, dann ist das eine Verletzung des Berlin/Bonn-
Gesetzes, die das Parlament als Ganzes nicht hinnehmen
kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich stelle fest, Sie sind von dieser Tatsache überrascht.
Das bestätigt aber nur meine These, dass Sie sich nicht für
den Sachverhalt interessieren.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Nein, das Bundesamt für Strahlenschutz liegt in meinem Wahlkreis!)


Das ist der Vorwurf, den ich Ihnen mache, nicht allen: Es
gibt auch in Ihrer Fraktion Mitglieder, die sich für diese
Region einsetzen. In dieser Debatte wird deutlich, dass
Sie diese Region abgeschrieben haben. Auch der Kollege
Kemper hat das in seiner Rede deutlich gemacht. Es in-
teressiert Sie nicht mehr, was dort läuft. Sie nehmen sogar
Gesetzesverstöße in Kauf. Das Beispiel des Bundesamtes
für Strahlenschutz ist ein eindeutiger Gesetzesverstoß.
Das kritisieren wir.

Meine Damen und Herren, dies ist nicht nur ein regio-
nales Anliegen. Es ist auch eine Frage des parlamentari-
schen Selbstverständnisses, ob wir es als Parlament hin-
nehmen, dass eine Bundesregierung erklärt, dass sie sich
über Gesetze, die dieser Bundestag beschlossen hat,




Petra Pau

10905


(C)



(D)



(A)



(B)


einfach hinwegsetzt. Das darf der Bundestag nicht hin-
nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir verlangen vom Bundesumweltminister, dass er den
Anstand und den Mut hat, in das Parlament zu kommen,
und zu sagen: Ich möchte dieses Gesetz ändern und habe
diese oder jene Gründe dafür. Das müssen wir als Parla-
ment insgesamt erwarten, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das sollte keine Frage von Parteien sein.


(Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411427300
Um diese Zeit lasse
ich keine Zwischenfragen mehr zu, meine Damen und
Herren.
Ich bitte um Nachsicht, dass wir dieses so durchziehen.
Ich möchte nicht, dass die Frage gestellt wird, ob die Be-
schlussfähigkeit gegeben ist oder nicht. Lassen Sie uns
das ordentlich zu Ende bringen.

Die Bemerkung, die ich gemacht habe, Herr Kollege
Röttgen, wird nicht von Ihrer Redezeit abgezogen.

Sie haben das Wort.


Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1411427400
Danke sehr.
Das Bundesamt für Strahlenschutz ist kein Einzelfall.

Auch andere Bundesämter sind bisher nicht umgezogen.
Zurzeit besteht in der Bonner Region die akute Sorge,
dass der Politikbereich Gesundheit, dessen Erhalt eben-
falls gesetzlich festgelegt ist, mit der Entscheidung, die
Kassenärztliche Bundesvereinigung von Köln nach Ber-
lin zu verlagern, ausgehöhlt wird. Es ist ebenfalls eine
Pflicht dieser Bundesregierung, die Politikbereiche in die-
ser Region zu halten und zu fördern. Wenn die Kas-
senärztliche Bundesvereinigung als öffentlich-rechtliche
Körperschaft so beschließen würde, wie sie es vorhat,
dann wäre das rechtswidrig. Auch dies ist gutachtlich
nachgewiesen. Wenn die Bundesgesundheitsministerin
diesen rechtswidrigen Beschluss – sie hat angedeutet,
dass sie es tun will – genehmigen würde


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Wenn sie denn da wäre!)


– richtig, „wenn sie denn da wäre“; die Bundesregierung
ist an dieser Thematik nicht sehr interessiert; das können
wir auch heute Abend in dieser Debatte konstatieren; Herr
Kollege Westerwelle hat es bereits festgestellt –, dann
verhält sich diese Bundesregierung erneut rechtswidrig.
Das würde die Aushöhlung eines Politikbereiches bedeu-
ten, von der 3 000 Arbeitnehmer mit ihren Familien be-
troffen wären. Das ist Ihre Politik.


(Zurufe von der SPD: Fünf CDU/CSU-Leute sind anwesend!)


Aber die Sorgen der Menschen interessieren Sie nicht. Sie
wissen gar nicht, dass davon 3 000 Menschen betroffen

wären. Ich stelle bei Ihnen eine große Gleichgültigkeit
gegenüber der Bonner Region, den dort betroffenen Men-
schen und Familien fest, die unsicher sind. Wir werden
das den Menschen auch mitteilen. Darauf können Sie sich
verlassen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Im „General-Anzeiger“!)


– Ja, wir werden dafür sorgen, dass die örtlichen Medien
über die Arroganz der Mehrheitsfraktionen berichten wer-
den, die sich nicht darum kümmern, ob sich die Bundes-
regierung an geltendes Recht hält oder nicht. Das werden
wir den Bürgerinnen und Bürgern der Region mitteilen.
Das verspreche ich Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Bundesregierung und das Parlament sind ver-

pflichtet, die Politikbereiche in der Bonner Region nicht
nur zu erhalten, sondern auch zu fördern. Wir appellieren
an Sie: Zwingen Sie die Städte und Kreise nicht in ein
Kleinklein der Verteidigung! Seien Sie gesetzestreu! Das
ist unsere Forderung an Sie. Sehen Sie auch die Chancen
der Beschlusslage. Sie bietet auch die Chance, eine effizi-
ente, politikorientierte Regierung und Verwaltung in der
Bundeshauptstadt Berlin anzusiedeln. Kehren Sie zum
früheren Dialog mit der Bonner Region zurück. Reden
Sie mit den Menschen in dieser Region. Suchen Sie das
konzeptionelle Gespräch. Versuchen Sie die Politikberei-
che, deren Ausbau zugesagt worden ist, zu fördern. Unser
Appell lautet – er richtet sich an alle Parlamentarier –:
Alle Bürgerinnen und Bürger in diesem Land haben das
Recht auf gesetzestreues Verhalten der Bundesregierung.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was sagen Sie denn zu Herrn Kohl?)


Das sollten die Bürgerinnen und Bürger auch einfordern.
Die Menschen in der Regionen Bonn, Rhein-Sieg und

Ahrweiler haben Anspruch auf Verlässlichkeit und Pla-
nungssicherheit. Sie befinden sich in einem schwierigen
Umstrukturierungsprozess. Sie brauchen Verlässlichkeit
wie die Luft zum Atmen. Sie nehmen ihnen diese Luft.
Darüber bin ich sehr enttäuscht. Aber wir werden die Bür-
gerinnen und Bürger darüber informieren. Darauf können
Sie sich verlassen. Sie werden die Quittung für Ihr Ver-
halten schon noch bekommen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411427500
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich möchte darauf hinweisen, dass als Ver-
treterin der Bundesgesundheitsministerin die Parlamenta-
rische Staatssekretärin, Frau Nickels, anwesend ist. Ich
mache nur deshalb darauf aufmerksam, weil eben be-
hauptet wurde, die Regierung sei nicht vertreten.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Es ist nur gesagt worden, die Ministerin sei nicht vertreten!)


Ich schließe die Aussprache
Wir stimmen jetzt über die Beschlussempfehlung des

Innenausschusses zum Antrag der Fraktion der CDU/




Norbert Röttgen
10906


(C)



(D)



(A)



(B)


CSU zur Umsetzung der Bonn/Berlin-Beschlüsse auf
Drucksache 14/2699 ab. Der Ausschuss empfiehlt, den
Antrag auf Drucksache 14/1004 abzulehnen. Wer folgt
dieser Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist bei Ablehnung
von CDU/CSU und F.D.P. angenommen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17 g
auf:

a) Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
Straffreiheit für Spionage zugunsten der
Deutschen Demokratischen Republik
– Drucksache 14/3065 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 144 zu Petitionen

(Amnestie für Bundesbürger, die für die Auslandsnachrichtendienste der DDR tätig waren)

– Drucksache 14/3002 –

c) Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
Bereinigung von politischen Ungerechtigkei-
ten im Kalten Krieg
– Drucksache 14/3066 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss

d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 128 zu Petitionen

(Das vom Bundesverfassungsgericht verfügte Verbot der KPD aufheben)

– Drucksache 14/2716 –

e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 129 zu Petitionen

(Novellierung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes)

– Drucksache 14/2717 –

f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 130 zu Petitionen

(Aufhebung der Urteile der „politischen Sonderkammern“)

– Drucksache 14/2718 –

g) Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
Beendigung der Strafverfolgung für hoheitli-
ches Handeln in der DDR
– Drucksache 14/3067 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

Zu den Beschlussempfehlungen liegt jeweils ein Än-
derungsantrag der Fraktion der PDS vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung werden die
Reden der Kollegen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grü-
nen und der F.D.P. zu Protokoll gegeben1). Die Kollegin
Vera Lengsfeld und der Kollege Wolfgang Gehrcke be-
kommen zehn Minuten Redezeit. Sind Sie damit einver-
standen? – Dann ist das so vereinbart.

Ich erteile der Kollegin Vera Lengsfeld das Wort.

(Widerspruch bei der PDS – Zuruf von der PDS: Es ist ein PDS-Antrag! Wir fangen mit der PDS an!)


– Ich bitte um Entschuldigung; jetzt habe ich schon auf-
gerufen.


(Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Ich lasse der PDS gerne den Vortritt!)


Wer von Ihnen will zuerst sprechen? – Frau Kollegin, Sie
können anfangen, bitte sehr.


Vera Wollenberger (CDU):
Rede ID: ID1411427600
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die politischen Maßstäbe in
Deutschland haben sich in den vergangenen Jahren be-
denklich verschoben. Ein bisschen Stasispitzelei wird
mittlerweile wie ein Kavaliersdelikt behandelt. Linksra-
dikalismus ist beinahe normal und soll nach dem Willen
der PDS heute legalisiert werden. Landesverrat soll nun
als eine Art Ehrensache für die Weltrevolution vom Deut-
schen Bundestag sanktioniert werden.

Die PDS unternimmt mit ihrem heutigen Antrag auf
Straffreiheit für DDR-Spione einen neuen und – ihr Sinn
für Utopien ist ja wesentlich – besonders bizarren Ver-
such, endlich die ersehnte Westausdehnung zu erreichen.
Sie macht sich zum Fürsprecher derjenigen, die im Wes-
ten mit dem DDR-Ministerium für Staatssicherheit zu-
sammengearbeitet haben. Das ist insofern konsequent, als
sich die PDS ihrer Rolle als „Partei der Spitzel“ schon
lange bewusst ist und sie überzeugend spielt.


(Lachen bei der PDS)

– Spitzel, die wesentliche Verantwortung hatten, sitzen ja
auch zwischen Ihnen in diesem Saal.

Wenn im Westen sonst keine Wähler zu gewinnen sind,
dann hofft man wenigstens auf die Spione als Klientel.


(Unruhe bei der PDS – Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Bravo!)


– Es ist schön, dass Sie das freut. Sie sehen, ich verstehe
Sie.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411427700
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, wir sollten auch diesen Teil der Debatte or-
dentlich miteinander führen, deswegen bitte ich um ein
bisschen Ruhe.


Vera Wollenberger (CDU):
Rede ID: ID1411427800
Wie sehr der PDS Lan-
desverrat am Herzen liegt, hat sie mehrfach unter Beweis
gestellt. Ich erinnere an das peinliche Vorhaben, einen




Vizepräsidentin Anke Fuchs

10907


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 25

noch im Strafvollzug befindlichen DDR-Spion, Rainer
Rupp, der für eine halbe Million Mark die gesamte
NATO-Militärplanung der Stasi verraten hatte, bei der
PDS-Fraktion anzustellen.

Ich nenne weiterhin die Tatsache, dass zwei ebenfalls
rechtskräftig verurteilte Spione, das Ehepaar George und
Doris Pumphrey, die die Grünen-Fraktion ausspioniert
hatten, nach der Wende von der PDS-Fraktion eingestellt
wurden. Frau Pumphrey betätigte sich dort bezeichnen-
derweise als Koordinatorin einer Arbeitsgemeinschaft
„Kundschafter des Friedens“. Im Bundesvorstand der
PDS sind mit Diether Dehm, der Wolf Biermann im Wes-
ten bespitzelte, die West-IM angemessen vertreten. Viel-
leicht dürfen wir bald auf einen Antrag der PDS hoffen
und über ein „Mahnmal für den unbekannten Stasispion“
diskutieren.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte aber heute diskutieren, welche Folgen es

hat, wenn Straftaten und politisches Unrecht nicht geahn-
det werden. Wer dafür eintritt, Spionage für eine verbre-
cherische Diktatur straffrei zu stellen, der lädt dazu ein,
dies auch in Zukunft so zu halten. Dabei ist der Rechts-
staat mit seinen Verrätern ausgesprochen milde umgegan-
gen, so milde, dass Spione, die 200 000 Mark Agenten-
lohn von der Staatssicherheit erhalten hatten, nur zu einer
Geldstrafe von 8 000 DM verurteilt worden sind. Sie
konnten sich also 192 000 DM steuerfrei in die Tasche
stecken.

In deutschen Gefängnissen gibt es heute keine ehema-
ligen DDR-Spione, zumindest nicht als Gefangene. Der
Spionagechef Wolf spaziert quietschvergnügt durch die
Talkshows und das nennt die PDS dann Siegerjustiz.

Etwa 20 000 bis 30 000 Westdeutsche haben, so schätzt
der beste Kenner der Materie, Hubertus Knabe, für die
HVA, also für die Hauptverwaltung Aufklärung, gearbei-
tet. Laut Bundesanwaltschaft wurden nach der Vereini-
gung gegen nur knapp 3 000 von ihnen Ermittlungsver-
fahren eingeleitet. Etwa 2 750 Verfahren wurden wieder
eingestellt. Nur 253 Angeklagte wurden verurteilt, der
größte Teil auf Bewährung. Nur 59 Westdeutsche wurden
nach 1990 zu Gefängnisstrafen von mehr als zwei Jahren
verurteilt.

Zum Vergleich: In den USA wird Spionage mit bis zu
20 Jahren Haft geahndet. Die Richter in Deutschland zei-
gen – dazu bedurfte es der PDS-Propaganda leider nicht –
meist sehr großes Verständnis für die ehemaligen DDR-
Spione. Regelmäßig heißt es in den Urteilen, es bestehe
keine Wiederholungsgefahr – Gott sei Dank, möchte ich
hinzufügen –,


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wiederholungsmöglichkeit!)


oder die Richter sprechen vom Resozialisierungsgebot.
Anschließend engagieren sich die zu Resozialisierenden
in der PDS.

Der PDS geht es in ihrem Antrag keineswegs um eine
humanitäre Geste, sondern um eine Botschaft: Spitzel-
tätigkeit von Bundesbürgern für das Ministerium für
Staatssicherheit soll eine vollkommen legitime, womög-

lich ehrenhafte und dem Fortschritt verpflichtete Aufgabe
gewesen sein. Nichts lag aber der DDR-Diktatur ferner als
der Frieden. Die Phrasen sollen dazu dienen, das gesamte
System der SED-Herrschaft zu amnestieren und politisch
zu rehabilitieren. Spionage für einen demokratischen
Rechtsstaat wird frech moralisch und politisch mit der
Spionage für ein untergegangenes Regime gleichgesetzt.
Wir werden aber nicht zulassen, dass sich dieses
geschichtsrevisionistische Verständnis durchsetzt,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

vor allen Dingen nicht im Deutschen Bundestag.

Sehr geehrte Damen und Herren, es ist – zumindest auf
den ersten Blick – verwunderlich, dass die relativistischen
und revisionistischen Forderungen der PDS immer wie-
der auf naives Wohlwollen im Westen hoffen dürfen. Wo
liegen eigentlich die Motive dafür? Dem Westen wurde es
leicht gemacht, seine eigenen Verstrickungen nicht auf-
zulösen. Lange konnten Bundesbürger, die für die Stasi
gearbeitet hatten, unentdeckt bleiben, weil die Akten als
vernichtet galten. Tatsächlich lag die Agentenkartei von
Markus Wolf in den Vereinigten Staaten.

Als im vergangenen Jahr die spät in Gang gekomme-
nen Verhandlungen über eine Rückführung abgeschlossen
wurden, erklärte der Geheimdienstkoordinator der Bun-
desregierung, Ernst Uhrlau, die Daten kämen in die
Gauck-Behörde und wären dort genauso zugänglich wie
alle anderen Stasiakten. Um ihre eigenen Sicherheitsin-
teressen zu schützen, würden die Amerikaner eigens eine
gefilterte Datenkopie für Deutschland anfertigen. Im Ja-
nuar dieses Jahres wurde uns von der Parlamentarischen
Staatssekretärin beim Bundesminister des Inneren, Frau
Sonntag-Wolgast, noch einmal ausdrücklich versichert:
Eine Einschränkung der Verwertungshoheit über die Da-
ten durch die USAsei weder vereinbart noch beabsichtigt.
Als dann jedoch die ersten CDs mit den Kartei-
kartenkopien aus Amerika im Bundeskanzleramt eintra-
fen, verkündete Herr Uhrlau plötzlich, die Daten seien
streng geheim.

Der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf
Körper erklärte, die Bundesregierung beabsichtige auch
nicht, die Amerikaner um Aufhebung der Geheimhaltung
zu bitten. Da fällt es schwer, sich des Eindrucks zu er-
wehren, dass die Bundesregierung gar nicht wissen will –
oder genauer: es allein wissen will –, wer in diesem Land
für die Stasi als Agent gearbeitet hat. Erst die Proteste der
Union haben der Bundesregierung die Zusicherung abge-
rungen, die Agentenkartei der Gauck-Behörde zu überge-
ben. Doch dort soll sie als geheime Kommandosache un-
ter Verschluss genommen werden. Eine Auswertung soll,
wenn überhaupt, nur durch zur Geheimhaltung verpflich-
tete Wissenschaftler möglich sein.

Mindestens zwei Jahre, so sagte Ernst Uhrlau kürzlich
in einem Zeitungsinterview, würde es dauern, bis das Ma-
terial gesichtet worden sei. Wesentliches Material sei von
den Amerikanern klassifiziert worden und die Bun-
desregierung sei im Rahmen des Geheimschutzabkom-
mens verpflichtet, solches Material unter Verschluss zu
halten. Hier wird offenbar bewusst gebremst, boykottiert
und auf Zeit gespielt.




Vera Lengsfeld
10908


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(D)



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(B)


In den letzten Wochen war überdies zu erfahren, dass
Abschriften der nach Amerika entführten Agentenkartei
bereits seit Jahren in den Panzerschränken der Gauck-
Behörde liegen. Niemand hat dort hineingeschaut, wenn
Westdeutsche auf eine Stasizusammenarbeit überprüft
wurden. Nicht einmal Wissenschaftler wurden an das Ma-
terial herangelassen, um das Agentennetz im Westen
transparent zu machen. Das ist ein Unding! Die Akten
westdeutscher Spitzel müssen gemäß Stasi-Unterlagen-
Gesetz genauso zugänglich gemacht werden wie die ehe-
maliger DDR-Bürger. Die Westdeutschen, die sich – im
Gegensatz zu vielen Spitzeln in der DDR – meist ohne
äußeren Druck und fast immer aus Geldgier auf die Stasi
eingelassen haben und genau wussten, was sie taten, und
genau wussten, dass dies strafbar ist, sind meist gut weg-
gekommen. Die Handlanger der DDR nutzten die Libera-
lität der Bundesrepublik.

Die Versuchung, die Stasiaufarbeitung auf den Osten
zu beschränken, ist offenbar groß. Wir erinnern uns: Als
ein Mitarbeiter der Gauck-Behörde im vergangenen Jahr
ein Buch zu diesem Thema ankündigte, wurde er aufge-
fordert, die Arbeit daran einzustellen. Schon damals
drängte sich der Eindruck auf, die Gauck-Behörde werde
immer dann von der Regierung ans Gängelband ge-
nommen, wenn es um westdeutsche Stasiverstrickungen
geht, insbesondere um die der SPD.


(Bernd Reuter [SPD]: Das nehmen Sie sofort zurück!)


So erreichen wir mit Sicherheit keine innere Einheit, erst
recht nicht, wenn westdeutschen DDR-Spitzeln nun im
Nachhinein vom Deutschen Bundestag ihre Lauterkeit
bescheinigt würde, wie es die PDS wünscht.

Die Aufarbeitung der Stasiakten wird erfolgreiche
Emanzipationsgeschichte. Millionen Menschen haben
aus diesen Stasiakten neue Erkenntnisse über die DDR-
Diktatur gewonnen. Unzählige Inoffizielle Mitarbeiter
und zufälligerweise auch einige Westspione sind enttarnt,
die verbrecherischen Praktiken der Stasi sind offen gelegt
worden. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die
Zersetzungspläne. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz hat nicht
für alle Spitzel Führungspositionen verhindern können,
aber einige Leute sind glücklicherweise von der politi-
schen Bühne verschwunden.

Spionage ist bereits verjährt. Allenfalls schwerer Lan-
desverrat kann noch bestraft werden. Doch das Stasipro-
blem im Westen kann kein bloß juristisches oder histori-
sches sein. Parteien und Verbände, Kirchen und Gewerk-
schaften, Medien und Universitäten müssen sich dieser
ihrer Geschichte stellen. Es geht um politische, um ideo-
logische Affinitäten, die heute allzu gern vertuscht wer-
den.

Das Rosenholz-Material muss der gesellschaftlichen
Diskussion in Deutschland zur Verfügung gestellt wer-
den. Wir wollen wissen, wer die Geschichte der Bundes-
republik im Hintergrund wie mitgesteuert hat und warum,
auch, aus welchen Motiven gemeinsame Sache mit der
SED gemacht wurde und von wem. Die Kollaboration mit
dem Geheimdienst der SED sagt viel über Verfas-
sungstreue und auch viel über den politischen Charakter

desjenigen aus, der kollaboriert hat. Wer an maßgeblicher
Stelle in der Bundesrepublik Deutschland freiwillig oder
für Geld mit dem MfS zusammengearbeitet hat, wer beim
gemeinsamen Jagen oder beim Prosecco mit den netten
Genossen von drüben Informationen ausgetauscht und
dabei vielleicht ideologische Nestwärme gespürt hat, ist
politisch belasteter und moralisch unmöglicher als ein
kleiner IM in der geschlossenen DDR.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411427900
Frau Kollegin, den-
ken Sie bitte an Ihre Redezeit.


Vera Wollenberger (CDU):
Rede ID: ID1411428000
Die Rosenholz-Akten
können zeigen, dass die DDR nicht nur ein Regime von
Gnaden der Sowjetunion war, sondern dass sie auch von
Leuten im Westen gestützt wurde. Um der historischen
Wahrheit willen müssen wir wissen, wer diese Leute ge-
wesen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Tief beeindruckend! – Zuruf von der PDS: Eine peinliche Rede!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411428100
Jetzt erteile ich das
Wort dem Kollegen Gehrcke von der PDS-Fraktion.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411428200
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Werte Frau Lengsfeld, ehrlich
gesagt: Für die Weltrevolution ist es mir heute Abend ein
bisschen spät. Außerdem ist mir das Wetter zu gut. Ich will
es also unterlassen.


(Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Das dürfte einem Genossen aber nicht passieren! Er muss immer einsatzbereit sein!)


Ich werde aber versuchen, diesen späten Abend zu nutzen,
Sie davon zu überzeugen, dass die Vorschläge meiner
Fraktion Sinn machen und berechtigt sind.


(Beifall bei der PDS)

An den Anfang meiner Rede will ich ein paar Zeilen

von Bertolt Brecht stellen; das überzeugt meistens. Im
Zusammenhang mit diesem Thema habe ich nämlich sehr
viel an ein Gedicht von ihm gedacht, aus dem ich Ihnen
vorlesen möchte:

Auch der Hass gegen die Niedrigkeit verzerrt die
Züge. Auch der Zorn über das Unrecht macht die
Stimme heiser. Ach wir, die wir den Boden bereiten
wollten für Freundlichkeit, konnten selbst nicht
freundlich sein.


(Beifall bei der PDS)

Dies gab uns Bertolt Brecht in seinem Gedicht „An die
Nachgeborenen“ zu bedenken.
Dass der Hass die Züge verzerrt, auch wenn man freund-
lich sein wollte, erkennt man zuerst beim Gegenüber,
beim politischen Konkurrenten und beim politischen
Gegner. Die verzerrten und deformierten Züge erkannten
wir jeweils beim konkurrierenden System in Ost und




Vera Lengsfeld

10909


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(D)



(A)



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West, aber selten im eigenen System. Auch den so oft zi-
tierten Satz von Rosa Luxemburg


(Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Ausgerechnet!)

über die Freiheit als Freiheit des Andersdenkenden ver-
standen wir oft nur als einen Anspruch auf die eigene Frei-
heit, solange wir anders dachten, als eine Freiheit der
Minderheit und nicht als eine Verpflichtung der Mehrheit.
Ich glaube, das sollten wir uns sagen.


(Beifall bei der PDS)

Die Andersdenkenden der 50er- und 60er-Jahre in der

Alt-BRD waren Kommunistinnen und Kommunisten und
andere Linke. Das Verbot der KPD, die Verfolgung von
Gesinnung, die strafrechtliche Auseinandersetzung über
hoheitliches Handeln in der DDR, Strafverfahren betref-
fend Spionage Ost, soweit sie von Bürgern West began-
gen wurden – all das ist aus meiner Sicht nicht nur mora-
lisch inakzeptabel und politisch falsch, es bedrückt auch
nicht nur die direkt Betroffenen, sondern es deformiert in
diesem Sinne, wie Brecht es formuliert hat, auch Demo-
kratie und Rechtsstaatlichkeit.


(Beifall des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])

Unsere Anträge und die vorliegenden Petitionen haben

eine Grundbotschaft: Es mus nicht nur der Kalte Krieg
zwischen den Staaten beendet werden, sondern auch der
Kalte Krieg in der Gesellschaft, in unser aller Köpfen, ge-
rade zehn Jahre nach der deutschen Vereinigung.


(Beifall bei der PDS)

Nehmen Sie sich also bitte die geistige Freiheit, aus

dem Rückblick auf die Geschichte festzustellen, dass das
KPD-Verbot von 1956 und die Verfolgung Andersden-
kender, die politisch falsch waren, Menschen Unrecht
zugefügt und der Demokratie geschadet haben. Bis zum
In-Kraft-Treten des Achten Strafrechtsänderungsgeset-
zes im Jahr 1968 wurden in der alten Bundesrepublik
etwa 200 000 Ermittlungsverfahren wegen Gefährdung
des demokratischen Rechtsstaates oder anderer Delikte
eingeleitet. Rund 10 000 Bürgerinnen und Bürger wur-
den mit Untersuchungshaft, Freiheits- und Nebenstrafen
beschwert.

Erinnern wir uns: In den 50er-Jahren drohte der Kalte
Krieg in einen heißen, in einen Atomkrieg umzuschlagen.
Die Gräben zwischen Ost und West waren tief. Im Zuge
des Ost-West-Konfliktes, der jeweiligen Systemanbin-
dung beider Staaten, verschwand die Wiedervereinigung
mehr und mehr von der Tagesordnung und bildete sich die
Zweistaatlichkeit heraus. Hier liegen die tieferen Ursa-
chen des KPD-Verbotes.

Betrachten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, die
damalige Situation doch bitte einen Moment aus einem
anderen Blickwinkel: 1945 kehrten die Überlebenden des
Widerstandes gegen die Nazidiktatur aus den KZs und aus
der Emigration zurück, unter ihnen auch viele Kommuni-
stinnen und Kommunisten. Diesen Menschen war unvor-
stellbar Schreckliches angetan worden. Sie waren für
mich – das war prägend für meine Biografie – das Wert-
vollste, was ich in meinem politischen Leben kennen ge-
lernt habe.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)


Und nun, sechs Jahre nach ihrer Befreiung aus der Hölle
der KZs und der Zuchthäuser, mussten sie erneut erleben,
dass ihre Partei verboten wurde und sie aus politischen
Gründen verfolgt wurden. Sie wurden erneut inhaftiert
oder mussten das Land, weil sie an ihrer Partei festhielten,
verlassen. Welch anderer Begriff als Unrecht wäre dem
angemessen?


(Beifall bei der PDS)

Unrecht waren zweifellos auch die Berufsverbote in

den 70er-Jahren. Es gab 11 000 Berufsverbotsverfahren,
3,5 Millionen Überprüfungen, 2 200 Disziplinarverfah-
ren, 256 Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst und
1 250 Ablehnungen von Bewerbungen.


(Dr. Eberhard Brecht [SPD]: Und was war im Osten?)


Davon waren auch die Kinder eben der KZ-Häftlinge be-
troffen, die in den 50er-Jahren inhaftiert wurden und nun
wiederum die politische Verfolgung ihrer Kinder erlebten.


(Monika Brudlewsky [CDU/CSU]: Es geht doch um die DDR!)


Was ich Ihnen schildere, ist erlebte, auch deutsche Ge-
schichte. Sie darf nicht länger verdrängt werden.

Üblicherweise – Gott sei Dank haben Sie so reagiert;
dann können wir das nämlich direkt austragen – kommt
bei diesem Thema der Hinweis, eine Demokratie müsse
wehrhaft sein und das Unrecht sei doch im Osten gesche-
hen und nicht im Westen. Wehrhaft aber, liebe Kollegin-
nen und Kollegen, ist eine Demokratie dann, wenn sie auf
der Überzeugung und dem Wunsch der Bürgerinnen und
Bürger beruht, sie verteidigen zu wollen.


(Beifall bei der PDS)

Wehrhaft ist eine Demokratie, die für alle Teile der Ge-
sellschaft sozialen Wohlstand, Teilhabe an der Willensbil-
dung und Transparenz der Entscheidung bietet, formal
wie auch real. Das KPD-Verbot, die politischen Prozesse,
die Berufsverbote waren nicht Ausdruck von Stärke der
Demokratie, sondern Ausdruck ihrer Schwäche.


(Beifall bei der PDS)

Sie haben die Demokratie nicht gefestigt, sondern ihr ge-
schadet. Das zu erkennen und zu korrigieren haben wir
mit unseren Vorschlägen die Chance.

Auch der Hinweis auf das Unrecht Ost, für das die SED
die Verantwortung trägt, kann das Unrecht West nicht
rechtfertigen. Unrecht bleibt Unrecht, Herr Dr. Brecht,
egal wer es begeht. Ich lehne eine Aufrechnung Unrecht
West gegen Unrecht Ost und Unrecht Ost gegen Unrecht
West ab. Unrecht bleibt Unrecht, egal wo es passiert.


(Beifall bei der PDS)

Kommen wir in diesem Zusammenhang zu der Frage

der Ungleichbehandlung der deutsch-deutschen Spio-
nage, aus der der Umstand herrührte, dass Bürgerinnen
und Bürger aus den alten Bundesländern, die sich dem
Nachrichtendienst der DDR verpflichtet hatten, unter
Strafe gestellt werden konnten, ihre Auftraggeber, soweit
sie ihrer Tätigkeit von der DDR aus nachgingen, jedoch




Wolfgang Gehrcke
10910


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(A)



(B)


nicht. Mitarbeiter der westlichen Geheimdienste, die in
der DDR verurteilt wurden, wurden dagegen finanziell
entschädigt und beruflich gefördert – eine moralisch, po-
litisch und juristisch unhaltbare Situation.

Das wird nicht nur von der PDS so gesehen. Ich möchte
Ihnen ein Zitat vom Kollegen Schäuble vorlesen, der 1990
vor dem Bundestagsausschuss Deutsche Einheit sagte:

Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir im vereinten
Deutschland die jeweiligen Agenten der anderen
Seite ins Gefängnis stecken. Was ich mir auch nicht
vorstellen kann, ist, dass wir die Mitarbeiter der DDR
ins Gefängnis stecken und das umgekehrt nicht tun.

(Monika Brudlewsky [CDU/CSU]: Wo sitzt denn einer?)

Es handelt sich um teilungsbedingte Straftaten, die
außer Verfolgung gestellt werden müssen.

So weit Herr Schäuble.

(Monika Brudlewsky [CDU/CSU]: Es sitzt doch keiner! Es hat nie jemand gesessen! – Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Sagen Sie doch einmal, welche Agenten im Gefängnis sitzen!)


Ich könnte Ihnen hier ähnliche Zitate von Herrn Thierse
oder von Altbundespräsident Richard von Weizsäcker
vortragen.

Ich glaube, dass ungeachtet der Motive der Betroffe-
nen, die sich für eine solche nachrichtendienstliche Tätig-
keit entschieden haben, gilt, dass ihre Tat teilungsbedingt
war und schwerwiegende Folgen für die Betroffenen
hatte: hohe Freiheitsstrafen und soziale Belastungen, Ar-
beitslosigkeit, Geldstrafen und Gerichtskosten, also die
Vernichtung sozialer Existenzen.

Auch das können wir, weil es teilungsbedingt war, mit
unseren Vorschlägen korrigieren. Oder machen Sie an-
dere, bessere Vorschläge, wie dieses Unrecht korrigiert
werden kann.

Auch bei unserem dritten Vorschlag bitte ich Sie, vor-
gefasste Meinungen für einen Augenblick zu vergessen.
Hätten Sie sich zum Beispiel vorstellen können, dass Alt-
Kanzler Kohl nebenbei,


(Monika Brudlewsky [CDU/CSU]: Jetzt wird der noch ins Spiel gebracht! Das kann doch nicht wahr sein!)


bei einem seiner vielen Gespräche mit Herrn Egon Krenz –
ich weiß nicht, ob sie sich geduzt haben –, diesem mitge-
teilt hätte: Und nach der Vereinigung, mein Lieber, kom-
men Sie vor Gericht?


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Was sind denn das für Fieberfantasien?)


Oder erinnern wir uns an die Festsitzung des Bundes-
tages zum zehnten Jahrestag des Mauerfalls, bei der an
dieser Stelle Michail Gorbatschow sagte: Ein ehemali-
ger Generalsekretär, der Chef, wird gewürdigt, ein ande-
rer sitzt? Auch das ist Realität. Rufen Sie sich einmal in
Erinnerung, was Gorbatschow hier ausgeführt hat. Er
sagte damals:

Es ist doch sonderbar, dass heute ausgerechnet die
Personen der DDR-Staatsführung vor Gericht ste-
hen, die vor zehn Jahren den Beschluss fassten, die
Mauer durchlässig zu machen, die Personen, die kei-
nen anderen Weg eingeschlagen und keinen anderen
Beschluss gefasst haben.

Viele Persönlichkeiten unseres Landes, der Bürger-
rechtler Friedrich Schorlemmer, Lothar de Maizière, die
Ministerpräsidenten Stolpe und Höppner und andere ha-
ben öffentlich über Amnestie nachgedacht. Ihnen wie uns
wurde entgegengehalten, eine Beendigung der Strafver-
folgung und eine Amnestie könne von den Opfern nicht
akzeptiert werden. Lothar de Maizière hat sich mit diesem
Problem auseinander gesetzt. Ich darf ihn zitieren:

Zu den großen zivilisatorischen Kulturleistungen der
Menschheit gehört es, dass sie die Ahndung straf-
rechtlich relevanten Verhaltens aus der Täter-Opfer-
Beziehung herausgenommen und auf den Staat dele-
giert hat, um so die Opferbefindlichkeit nicht zum
Richter werden zu lassen.

(Monika Brudlewsky [CDU/CSU]: Ein Glück, dass Sie nicht in der DDR gelebt haben!)

Das sind, glaube ich, sehr weise, durchdachte Worte.

Bleibt zum Schluss die Frage, ob es vernünftig ist, dass
gerade die PDS diese Probleme aufgegriffen hat. Unab-
hängig davon, dass andere das nicht gemacht haben, finde
ich, dass gerade unsere geschichtliche Erfahrung das er-
fordert.


(Beifall bei der PDS)

Günter Gaus – das ist mein letzter Satz – hat das in ei-

nem Zeitungsartikel sehr zu Recht und sehr gut darge-
stellt:

Soll Anpassung, das gute Recht des schwachen
Einzelnen, der sich nicht anders zu helfen weiß, zum
kategorischen Imperativ aus Parteiinteresse werden?

Gerade eine Partei mit Mitgliedern, die sich zu oft und zu
unkritisch angepasst haben – dazu zähle auch ich mich –,
hat sich entschlossen, sich nicht mehr anzupassen und –
auch in dieser Frage – gegen den Strom zu schwimmen.


(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411428300
Die Reden der SPD-
Fraktion, der F.D.P.-Fraktion und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen sind zu Protokoll gegeben worden und
dort nachlesbar.1)

Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen. Abstimmung

über Tagesordnungspunkt 17 a. Interfraktionell wird
Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/3065 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.




Wolfgang Gehrcke

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1) Anlage 25

Abstimmung über Sammelübersicht 144, Druck-
sache 14/3002. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion der PDS auf Drucksache 14/3807 vor, über den
wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsan-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist
der Änderungsantrag abgelehnt.

Wir stimmen nun über die Sammelübersicht 144,
Drucksache 14/3002, ab. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Sammelü-
bersicht 144 angenommen.

Wir kommen zum Antrag der Fraktion der PDS,
Drucksache 14/3066. Interfraktionell wird Überweisung
dieser Vorlage an den in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschuss vorgeschlagen. – Damit sind Sie einverstan-
den. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Jetzt kommen wir zu weiteren Beschlussempfehlungen
des Petitionsausschusses. Abstimmung über Sammelü-
bersicht 128, Drucksache 14/2716. Hierzu liegt ein Ände-
rungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-
che 14/3804 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer
stimmt für diesen Änderungsantrag? –Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Damit ist der Änderungsantrag abge-
lehnt.

Wir stimmen nun über die Sammelübersicht 128,
Drucksache 14/2716, ab. Wer stimmt für diese Sammelü-
bersicht? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Damit ist die Sammelübersicht 128 angenommen.

Wir stimmen über die Sammelübersicht 129, Drucksa-
che 14/2717, ab. Es liegt ein Änderungsantrag der Frak-
tion der PDS auf Drucksache 14/3805 vor. Wer stimmt für
diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Der
Änderungsantrag ist abgelehnt.

Wir stimmen über die Sammelübersicht 129, Drucksa-
che 14/2717, ab. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dage-
gen? – Die Sammelübersicht 129 ist angenommen.

Wir kommen zur Sammelübersicht 130, Drucksa-
che 14/2718. Auch hierzu liegt ein Änderungsantrag der
PDS, Drucksache 14/3806, vor. Wer stimmt für diesen
Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über die Sammelüber-
sicht 130, Drucksache 14/2718. Wer stimmt für diese
Sammelübersicht? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 130 ist angenommen.

Wir kommen zum Antrag der Fraktion der PDS auf
Drucksache 14/3067. Interfraktionell wird Überweisung
dieser Vorlage an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan-
den? – Das ist der Fall.

Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Antrags des Abgeordneten
Dr. Christian Schwarz-Schilling und weiteren Ab-
geordneten der Fraktion der CDU/CSU, der Abge-
ordneten Heide Mattischeck und weiteren Abge-
ordneten der Fraktion der SPD, der Abgeordneten
Claudia Roth (Augsburg) und weiteren Abgeord-
neten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

sowie der Abgeordneten Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger und weiteren Abgeordneten der
Fraktion der F.D.P.
Humanitäre Grundsätze in der Flüchtlingspoli-
tik beachten
– Drucksache 14/3729 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist trotz der
späten Stunde eine Aussprache von einer halben Stunde
vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das
so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Herrn
Dr. Christian Schwarz-Schilling, CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Christian Schwarz-Schilling (CDU):
Rede ID: ID1411428400
Frau
Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Wir hatten heute Morgen hier in diesem Saal eine sehr zu
Herzen und zum Verstand gehende Aussprache über das
Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verant-
wortung und Zukunft“. Wir haben dabei lernen können,
was es bedeutet, wenn in einer Generation die Grundsätze
der Menschenwürde und des Rechtsstaates weggescho-
ben werden und wie viele Generationen es braucht, um
Leid, Unrecht und Schmerzen, die dadurch angerichtet
wurden, wieder zu beseitigen, wobei wir alle wissen: Be-
seitigt werden können sie nie mehr. Das ist ein ganz kom-
plexer Zusammenhang.

Damals, nach dem Zweiten Weltkrieg, haben wir alle
gesagt: Wir wollen dafür sorgen, dass so etwas nie wieder
vorkommt – nie wieder Konzentrationslager, nie wieder
Unrecht und Ähnliches mehr. 50 Jahre später brannte es
in Europa wieder. Europa tat so, als ginge es das gar nichts
an. Denn es handelte sich um eine Randregion Europas,
den Balkan. Wir schauten weg; wir waren unbeteiligt, bis
die Dinge so schlimm wurden und sich auch die Verei-
nigten Staaten entsprechend involvierten, dass wir dann
begannen, uns damit zu beschäftigen.

Milosevic hat eine ganze Region mit einem Krieg
überzogen und in einen Abgrund gestürzt. Nun sprachen
wir alle vom „Bürgerkrieg“. Zunächst einmal eine Fest-
stellung: Das war kein normaler Krieg, das war kein Bür-
gerkrieg, sondern das war ein Krieg einer hoch gerüsteten
Armee gegen die Zivilbevölkerung; nicht Bürger gegen
Bürger, sondern die einen standen unter dem Befehl eines
Diktators und die anderen waren wehrlose Bürger. Dies ist
nach landläufiger Meinung kein Bürgerkrieg.

Männer wurden umgebracht und Frauen vergewaltigt –
im Übrigen nicht nur aus Spaß, sondern aus ideologi-
schem Axiom: Die Maxime – man kann die Gründe dafür
schriftlich nachlesen – war, dass auf bosnischem Boden
serbische Kinder geboren werden sollten. Es kam zu Fol-
ter und Tod. Es gab Lager, die man sich heute kaum
schlimmer vorstellen kann. Es handelte sich um eiskalt
geplanten Völkermord.

700 000 bis 800 000 Menschen flohen ins Ausland, da-
von circa 350 000 nach Deutschland. Circa 300 000 sind
allein in Bosnien umgebracht worden. 1 Million Men-
schen wurde in Jugoslawien aus ihren Häusern gejagt, be-
vor sie gesprengt wurden. Da hatten sie dann noch Glück;




Vizepräsidentin Anke Fuchs
10912


(C)



(D)



(A)



(B)


denn bei vielen Menschen war es so, dass sie mit in die
Luft gesprengt worden sind.

Heute vor fünf Jahren, am 6. Juli 1995, begann der An-
griff auf die UN-Friedenszone Srebrenica. In diesen Ta-
gen, vor genau fünf Jahren, war die Jagd auf 30 000 Men-
schen, auch Frauen mit Kindern, eröffnet. 8 000 bis
10 000 Männer wurden verschleppt und auf freiem Feld
ermordet. Alle, die ermordet wurden, waren unbewaffnet.
Denn die UN hatte ihnen in der so genannten Frie-
denszone alle Waffen abgenommen. Als es dann ernst
wurde, ist die UN getürmt und einige, die noch da waren,
guckten hilflos zu.

Dieses Gemetzel war für diese Menschen die Hölle.
Die Aufnahme der 350 000 Flüchtlinge bei uns in
Deutschland war eine großartige Tat und vorbildlich für
die ganze Welt. Bund und Länder haben sich daran betei-
ligt und alle Hilfe geleistet, die man leisten konnte. Vor al-
len Dingen unsere Bevölkerung war unglaublich ergrif-
fen, spendete und half, wo es nur irgend möglich war. Spä-
ter kam auch unsere Bundeswehr dazu und leistete
Vorbildliches. Von daher können wir nur alle sagen, dass
wir auch stolz sein können auf das, was Deutschland in
diesen Jahren getan hat.

Dann kam der Friedensvertrag von Dayton, der in
Paris unterschrieben worden ist. Er war zwar unvollkom-
men, aber sicherlich damals kaum anders zu machen.
Denn die Mörder und Kriegsbrandstifter saßen mit am
Tisch. Ein Friedensvertrag dieser Art ist meistens etwas
schwierig und schief. Für manche deutsche Politiker war
dies dennoch der Zeitpunkt, zu sagen, der Frieden sei da
und nun sollten alle Flüchtlinge so schnell wie möglich hi-
naus. Die Abmachungen von Dayton sagten etwas ande-
res: Der UNHCR ist diejenige Organisation, die die Rück-
kehr der Flüchtlinge führend zu organisieren hat. Über die
Rückkehr der Flüchtlinge wurde das Recht auf Heimat
und auf Freiwilligkeit festgeschrieben. Es heißt dort im
Artikel I des Annex 7:

All refugees and displaced persons have the right
freely to return in their homes of origin.

Obwohl auch wir diesen Vertrag unterzeichnet haben,
wurden diese Rechte der Flüchtlinge schon sehr bald nach
Dayton einseitig außer Kraft gesetzt.

Wir sind uns dennoch einig gewesen, dass der größte
Teil dieser Flüchtlinge nicht auf Dauer bei uns bleiben
soll. Darüber gibt es gar keinen Dissens. Wir waren auch
darüber einig, dass eine friedliche, gestaffelte Rückkehr in
mehreren Phasen stattfinden soll. Auch darüber gab es
keinen Dissens.

Aber jetzt kommt der dritte Punkt: Eine sensible Ein-
zelfallprüfung bei Problemgruppen wie zum Beispiel
Traumatisierten, Behinderten, Lagerinsassen, Jugendli-
chen, die hier aufgewachsen sind, wurde vom Innen-
minister, mit dem ich allein darüber seit anderthalb Jahren
korrespondiere, zugesichert. Die Innenministerkonferenz
sagte das Gleiche. Meine Damen und Herren, ich sage
hier ganz klar: Zusagen dieser Art sind nicht eingehalten
worden. Im Gegenteil: Seit Februar, März dieses Jahres
erhalten diese Problemgruppen pauschal und ohne Dif-
ferenzierung dieselben Ausreiseaufforderungen mit der

Androhung von Zwangsmaßnahmen für den Fall, dass
man Deutschland nicht bis zum angegebenen Zeitpunkt
verlassen hat.

Meine Damen und Herren, so haben wir nicht gewet-
tet. Ich muss ganz offen sagen: Wer für diese Problem-
gruppen nur eine Verzögerung der Ausreise vorgesehen
hat und nicht bereit ist, für diese 8 Prozent der einstmals
350 000 Flüchtlinge eine sensible Einzelfallregelung zu
treffen, wer meint, diese Flüchtlinge seien nun lange ge-
nug bei uns gewesen und sollten nun genauso wie die an-
deren nach Hause geschickt werden, der hält seine Zusa-
gen nicht ein.


(Beifall im ganzen Hause)

Aus diesen Gründen liegen sehr viele geradezu tragi-

sche Einzelfälle auf den Tischen der Kolleginnen und
Kollegen des Deutschen Bundestages. Ich möchte nur
zwei Fälle nennen. Ich könnte Ihnen hundert Fälle nen-
nen; bei mir kommen jeden Tag ungefähr fünf Fälle auf
den Schreibtisch – eine Aufgabe, die ich fast nicht mehr
lösen kann.

Die Familie Isovic aus Bosanski Brod, Republika
Srpska, kam 1993 nach Deutschland und lebt jetzt in
München. Eine Tochter ist in der Zwischenzeit in die USA
ausgewandert. Herr Isovic hat sich in Deutschland nur
wegen schwerer Verletzungen als Soldat in der Armee be-
handeln lassen. Seine Frau und die Tochter – sie war da-
mals 14 Jahre alt – waren im KZ Bosanski Brod, einem
berüchtigten Lager in der Heimatstadt dieser Familie. Sie
wurden dort mehrere Wochen vergewaltigt und gefoltert.
Sie haben sich in Deutschland nicht als traumatisierte Per-
sonen behandeln lassen, weil sie, wie sie mir später gesagt
haben, gehofft und gedacht haben, dass sie die schreckli-
chen Erinnerungen durch Arbeit und Beschäftigung – die
Eltern waren beide in Lohn und Brot – besser vergessen
könnten.

Erst nach der Abschiebungsdrohung im Februar dieses
Jahres hat das nicht behandelte Trauma eine schlimme
Entwicklung genommen. Es gab einen Selbstmordver-
such der Mutter. Herr Isovic, der selber in eine furchtbare
Situation geraten ist, erzählte mir, wie er, als er in seine
damals noch unbeschädigte Wohnung kam, den Kopf sei-
ner Mutter in einer Tüte im Kühlschrank gefunden hat.
Das ist für sie die Heimatstadt Bosanski Brod.

Diese Familie ist jetzt hier. Das Ehepaar hat natürlich
den Fehler begangen, sein Trauma nicht sofort behandeln
zu lassen. Es ist jetzt in psychotherapeutischer Behand-
lung. Der Vater hat gesagt: Er wird nur tot zurück nach
Bosnien gehen. Er wird niemals zu den Tätern nach Bo-
sanski Brod zurückkehren.

Wir kennen die Situation aus dem Zweiten Weltkrieg
und wissen, dass Menschen, die die Konzentrationslager
überlebt haben, über Jahrzehnte hinweg gesagt haben:
Wir werden nie wieder nach Deutschland kommen. Man-
che haben das bis heute so gehalten, bei anderen hat sich
das gelöst. Eigentlich müsste so etwas bei uns bekannt
sein. Wir müssten doch wissen, was in diesen Menschen
vor sich geht.




Dr. Christian Schwarz-Schilling

10913


(C)



(D)



(A)



(B)


Nein, diese Menschen werden vorgeführt, manchmal
sogar in Handschellen zu Polizeiordnungsdiensten, die
eine ärztliche Beurteilung abgeben sollen. So etwas hat es
nach dem Zweiten Weltkrieg nicht gegeben. In keinem
Land wurden ehemalige Emigranten in irgendeiner Weise
vorgeführt und wieder zurückgeschickt.

Meine Damen und Herren, es gibt noch einen zweiten
Fall, den ich kurz erwähnen will. Eine fünfzehnjährige
Stumme lebt in Sachsen-Anhalt in Möckern, im Land-
kreis Jerichower Land, und lernt dort seit sechs Jahren in
der Taubstummenschule deutsch. Was konnte sie denn
sonst lernen? Sie kann nur kommunizieren, wenn sie die
Mundstellungen des Gegenübers beobachten kann. Ganz
abgesehen davon, dass die Eltern nicht aus Sarajewo
stammen, wurde gesagt, es gibt auch in Sarajewo eine
Taubstummenschule, dorthin kann sie gehen. Es wurde
überhaupt nicht darüber nachgedacht, dass die Sprach-
kenntnis notwendig ist, um an dieser Schule jemals kom-
munizieren zu können. Jetzt müssen wir auf Ministerprä-
sident Höppner, der gerade in den USAweilt, warten, um
das Schlimmste zu verhindern. „Wir müssen eine politi-
sche Lösung finden.“

Damit komme ich zu einem wichtigen Punkt, den ich
am Schluss ansprechen möchte. Es gibt jetzt nicht mehr
viele Flüchtlinge bei uns und wir sollten denjenigen, die
jetzt noch hier sind, das Leben nicht so erschweren und sie
nicht in Angst und Panik versetzen. Diese Menschen ha-
ben aufgrund dessen, was ihnen passiert ist, ein Recht, in
Frieden zu leben, wie auch wir.


(Beifall im ganzen Hause)

Wir verscherzen jetzt unsere gute Reputation; denn

wir hatten 350 000 Flüchtlinge aufgenommen. Jetzt leben
noch 35 000 bei uns. In Österreich haben 67 000 ein Blei-
berecht bekommen. In Schweden sind es 53 000 Men-
schen, die ein Bleiberecht bekommen haben. Die USAha-
ben bis zu 140 000 aufgenommen. Im Vergleich mit der
Bevölkerungszahl sind das mehr, als die Bundesrepublik
Deutschland aufgenommen hat. Wir können jetzt nicht
mehr sagen, wir haben die meisten, denn das hat sich
geändert. Auch die Stimmung der Welt gegenüber
Deutschland hat sich geändert.

Lassen Sie mich zwei Dinge ganz klar sagen. Unser
Grundgesetz sagt:

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu ach-
ten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen
Gewalt. ... Alle Menschen sind vor dem Gesetz
gleich. ... Niemand darf wegen seines Geschlechts,
seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache,
seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner
religiösen oder politischen Anschauungen benachtei-
ligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen sei-
ner Behinderung benachteiligt werden.

Gilt so etwas für einen Menschen, der seit acht Jahren
hier lebt, nur deshalb nicht, weil er einer anderen Heimat,
einem anderen Volk entstammt? Nach dem Grundgesetz
gilt es für jeden und nicht nur für einen Deutschen. Das
muss man endlich wissen.

Das Zweite: Das Ausländergesetz nennt durchaus
Möglichkeiten. Warum werden diese nicht genutzt? Das
Ausländergesetz sagt in § 54, Aussetzungen von Abschie-
bungen:

Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtli-
chen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung
politischer Interessen der Bundesrepublik Deutsch-
land anordnen, dass die Abschiebung von Auslän-
dern aus bestimmten Staaten ... für die Dauer von
längstens sechs Monaten ausgesetzt wird. Zur Wah-
rung der Bundeseinheitlichkeit bedarf die Anord-
nung des Einvernehmens mit dem Bundesministe-
rium des Innern, wenn die Abschiebung länger als
sechs Monate ausgesetzt werden soll.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411428500
Herr Kollege, ich
muss jetzt doch auf die Redezeit achten.


Dr. Christian Schwarz-Schilling (CDU):
Rede ID: ID1411428600

Warum macht der Innenminister nicht von sich aus das
Angebot an die Länder? Wir haben ein Einvernehmen,
wenn wir bei diesen Problemfällen weit über sechs Mo-
nate hinaus bis zu dem Zeitpunkt, zu dem wir eine Blei-
beregelung getroffen haben, nicht abschieben. Das wäre
eine Initiative. Sie fällt auch in seinen Zuständigkeitsbe-
reich. Er hat sich ebenso wie die Länder in der letzten Zeit
sehr bewegt.

Ich möchte nur sagen: Es nützt alles nichts, wenn wir
im Dezember eine Regelung haben und Hunderte oder
Tausende vorher in die jetzt dort vorherrschenden Ver-
hältnisse abgeschoben werden. Ich könnte Ihnen zig Fälle
nennen, die so dramatisch sind wie die gerade geschilder-
ten. Wenn sie ausreisen müssen, wird ihr Leben, ihre Fa-
milie zerstört. Das sollten wir verhindern, denn unsere
Generation sollte das Recht, die Menschenwürde und all
das, wofür unsere Vorfahren jahrhundertelang gekämpft
haben, verteidigen. Genauso müssen wir uns auch gegen-
über anderen Ländern verhalten, wenn es nötig ist. Denn
Menschenrechte durchbrechen auch Landesgrenzen; wie
wir auch gegenüber den Nationen sagen, dass dies keine
innere Angelegenheit der Nationen ist.

Menschenrechte sind für die ganze Bundesrepublik
Deutschland da.


(Beifall im ganzen Hause)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411428700
Sie sind damit einver-
standen gewesen, dass ich die Redezeit in diesem Fall ver-
längert habe,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

denn wir wollten Ihre eindrucksvolle Rede gern hören.
Wir sind stolz darauf, dass wir dieses Thema heute
Abend noch in dieser eindrucksvollen Weise behandeln
können.

Auch die nachfolgenden Redner würden wahrschein-
lich gern noch länger reden, als es die Redezeit erlaubt,
aber ich bitte Sie, sich daran zu halten. In diesem Sinne
hat die Kollegin Heide Mattischeck das Wort.




Dr. Christian Schwarz-Schilling
10914


(C)



(D)



(A)



(B)



Heide Mattischeck (SPD):
Rede ID: ID1411428800
Frau Präsidentin! Liebe
Kollegen, liebe Kolleginnen! Ich möchte meinen kurzen –
ich werde mich an die Redezeit halten – Redebeitrag da-
mit beginnen, noch einmal all denen Dank zu sagen, die
in den letzten Jahren den 350 000 Flüchtlingen und Ver-
triebenen aus Bosnien und Herzegowina in unserem Land
Zuflucht und Aufnahme gewährt haben: dem Bund, den
Ländern, den Kommunen, vor allen Dingen aber den vie-
len Menschen, die sich zum Teil in vorbildlicher Weise
ganz persönlich um diese Menschen gekümmert haben,
die vor dem schrecklichen Krieg und dem Genozid in ih-
rer Heimat fliehen mussten oder vertrieben worden sind.


(Beifall im ganzen Hause)

Der Dank gilt auch den vielen Flüchtlingsorganisationen
und Wohlfahrtsverbänden, die sich dieser Not leidenden
und gequälten Menschen angenommen und diese vielfäl-
tig unterstützt haben.

300 000 Flüchtlinge sind inzwischen in ihre Heimat
zurückgekehrt. Sie sind dabei, die Trümmer wegzuräu-
men, sich eine neue Existenz aufzubauen, ihr Land wie-
der in Ordnung zu bringen. Welch schwere Aufgabe das
ist, wissen wir, wenn wir es wollen. Sie brauchen aber
noch lange internationale Unterstützung. Auch dies wis-
sen wir.

Die noch verbliebenen Flüchtlinge gehören weitge-
hend den Problemgruppen an, die wir in unserem Antrag
beschrieben haben, die zunächst von einer Rückführung
ausgenommen werden sollten. Seit dem Frühjahr dieses
Jahres – dies war auch der Grund für unsere Initiative –
werden diese Personen weitgehend unterschiedslos auf-
gefordert, Deutschland kurzfristig zu verlassen. Wer ist
nicht schon in seinem oder ihrem Wahlkreis von solchen
Personen angesprochen oder angeschrieben worden? Wir
wissen, wie hilflos wir dann oft reagieren müssen.

Wir wissen allerdings auch – dies haben wir in der letz-
ten Woche auch von dem UNHCR-Vertreter bei einer Po-
diumsdiskussion gehört –, dass es in den Bundesländern
durchaus unterschiedliche Herangehensweisen gibt. Hier
nenne ich Nordrhein-Westfalen und auch Schleswig-Hol-
stein, die mit Flüchtlingen unterschiedlich umgehen, die
zum Kreis der im Antrag genannten gehören.

Mit unserem Osterappell, den zu unserer Freude und
Überraschung ganz spontan 100 Abgeordnete unter-
schrieben haben, wollten wir einen neuen Denkanstoß ge-
ben, die begonnene Zwangsrückführung von Traumati-
sierten, von Alten und Kranken, von Müttern mit kleinen
Kindern, von ethnisch gemischten Ehepaaren einzustel-
len.

An dieser Stelle erlaube ich mir, auf die besondere
Hartnäckigkeit des Kollegen Schwarz-Schilling in dieser
Sache hinzuweisen und mich dafür auch zu bedanken.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Das öffentliche Echo auf den Osterappell – das haben
Sie sicher alle zur Kenntnis genommen – war durchweg
positiv. Dies hat uns ermutigt, diesen Gruppenantrag ein-
zubringen. Ermutigt hat uns – das will ich an dieser Stelle
auch sagen – die Unterstützung von Hans Koschnick und

auch die Rede vom Bundespräsidenten Johannes Rau.
Johannes Rau sagte in seiner viel beachteten Rede über
Einwanderung und Asyl, dass es zum einen Menschen
gibt, die wir hier bei uns brauchen und brauchen werden,
die wir einladen, zu uns zu kommen, und solche, die uns
brauchen. Zu der letzten Kategorie gehören weitgehend
jene, von denen wir heute sprechen. Einige, wenn auch
wenige, gehören allerdings durchaus auch zu denen, die
wir dringend brauchen. Ich denke da zum Beispiel an eine
Frau aus Bosnien, um deren Verbleib in Deutschland sich
der Inhaber einer Änderungsschneiderei in meinem Wahl-
kreis händeringend bemüht; denn er findet sonst nieman-
den.

Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, dass circa 225 Ab-
geordnete den Antrag unterschrieben haben, macht deut-
lich, dass es für dieses Anliegen eine breite Unterstützung
im Deutschen Bundestag gibt. Ich bin sehr froh darüber,
dass Innenminister Schily sich eindeutig dafür ausgespro-
chen hat, für den Personenkreis der Traumatisierten den
gesetzlichen Rahmen voll auszuschöpfen.

So viel Deutschland für die Flüchtlinge getan hat, so
großherzig sollten wir jetzt mit denen umgehen, die die-
ser schreckliche Krieg am stärksten und wohl auch dau-
erhaft betroffen und beschädigt hat.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


Wir sollten zur Kenntnis nehmen – der Kollege Schwarz-
Schilling hat schon darauf hingewiesen –, dass Österreich
65 000, Schweden 53 000 und Dänemark 27 000 Bosnier
und Bosnierinnen dauerhaft aufnimmt. In den USA– auch
das wurde gesagt – haben bereits 140 000 Männer und
Frauen aus Bosnien Aufnahme gefunden. Ich denke, wir
sollten uns davon nicht beschämen lassen.

Wir fordern in unserem Antrag mit den vielen Unter-
schriften kein neues Gesetz; wir fordern auch keine Ge-
setzesänderung. Wir bringen darin unsere Erwartung
zum Ausdruck, im Rahmen bestehender Gesetze und un-
ter Berücksichtigung auch der Genfer Konvention alles zu
unternehmen, damit dem betroffenen Personenkreis keine
Ausreiseaufforderung, verbunden mit Abschiebungsdro-
hung, ausgesprochen wird. Sollte dies schon geschehen
sein, dann sollte sie widerrufen werden.

Ich möchte auch die Hoffnung zum Ausdruck bringen,
dass die ausführenden Ausländerbehörden das Votum des
höchsten Souveräns in unserem Lande – ich gehe davon
aus, dass die Abstimmung heute positiv verlaufen wird –
zur Kenntnis nehmen, respektieren und danach handeln.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wir fordern die Bundesregierung auf, sich dafür einzu-
setzen, dass im Rahmen von Einzelfallprüfungen Mini-
malkriterien angewendet werden und dass für diesen Per-
sonenkreis, von dem wir heute sprechen, Möglichkeiten
auch für einen längerfristigen Aufenthalt mit einem gesi-
cherten Rechtsstatus in Deutschland geschaffen werden.
Ich bin fest davon überzeugt, dass uns das gelingen wird,
und bitte deshalb um Zustimmung. Ich bedanke mich






(C)



(D)



(A)



(B)


dafür, dass wir hier heute Abend eine so breite Unterstüt-
zung finden.

Danke schön.

(Beifall im ganzen Hause)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411428900
Nun erteile ich der
Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, F.D.P.-
Fraktion, das Wort.


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1411429000

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kollegin-
nen! Herr Schwarz-Schilling, Sie haben als Kenner der
Region wirklich treffend, überzeugend und ergreifend die
Entwicklung und auch die Situation der derzeit noch in
Deutschland verbleibenden Flüchtlinge geschildert. Des-
halb darf für uns in dieser Debatte nicht der Satz gelten,
der die Ausländerpolitik derzeit mitbestimmt, nämlich:
Wir wollen die Menschen aufnehmen, die uns nützen, und
nicht die Menschen, die uns ausnutzen. – Dieser Satz galt
für uns, die Initiatoren dieses Antrages, nicht, denn wir
wollen gerade, dass es in der Flüchtlingspolitik einen an-
deren Tenor gibt.

Wir wollen erreichen – niemand besser als Herr
Schwarz-Schilling hat uns das mit zwei Beispielen vor
Augen geführt –, dass die zum Teil völlig perspektivlose
Situation von einer bestimmten Gruppe von Bürger-
kriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien ernst
genommen wird. Es handelt sich um Einzelschicksale.

Wir wollen erreichen, dass sich nicht nur Bürgermeis-
ter aller Parteien vor Ort an uns als Parlamentarier wen-
den mit dem Ziel einer Aufschiebung der gesetzten Aus-
reisefrist, einer Verlängerung der Duldung für eine Fami-
lie mit Kindern, sondern dass dies hier, wo es hingehört,
im Bundestag debattiert und auch von der Bundesregie-
rung aufgegriffen wird.

Wir wollen, dass die Möglichkeiten des Ausländer-
rechtes für die traumatisierten Flüchtlinge, für die Lager-
insassen, für die Kriegsdienstverweigerer und für die De-
serteure, für Mütter oder Väter allein mit Kleinkindern
und für unbegleitete Minderjährige ausgeschöpft werden.

So wie es innerhalb kürzester Zeit möglich gewesen
ist, mit der Blue Card in Bayern die Einwanderung von
Facharbeitskräften aus einem bestimmten Bereich auslän-
derrechtlich großzügig zu regeln, so ist es auch ohne
Problem möglich, diesen Personengruppen, die zudem
zahlenmäßig gar nicht mehr ins Gewicht fallen, einen ver-
festigten Aufenthaltsstatus nach dem geltenden Auslän-
derrecht zu geben. Dadurch kann ihnen Sicherheit gege-
ben werden, sodass sie nicht von einer Fristsetzung zur
nächsten leben müssen und möglicherweise Familien aus-
einander gerissen werden müssen.


(Beifall bei der F.D.P., der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Grup-
penantrages beantragen ausdrücklich keine Änderung des
Ausländergesetzes. Es ist kein Gesetzentwurf. Wir wollen

die politische Entscheidung, dass das Ausländerrecht aus-
geschöpft wird, dass nach dem Ausländerrecht nicht nur
eine befristete Duldung erteilt wird, sondern ein verfes-
tigter Aufenthaltsstatus. Dass das möglich ist, zeigt schon
die von uns zu begrüßende Bewegung des Bundesinnen-
ministers, was die traumatisierten Flüchtlinge angeht.

In diesem Zusammenhang erlauben Sie mir ein Wort zu
der speziellen Berliner Situation. Nach der Praxis des
Berliner Innensenates werden fast alle Kriegsflüchtlinge
aus Bosnien, denen anerkannte Fachärzte in Deutschland
eine Traumatisierung bescheinigt haben, seit dem Früh-
jahr 1999 pauschal aufgrund von Anweisungen von Poli-
zeiärzten noch einmal begutachtet. Diese Gutachten und
auch ärztliche Bewertungen stehen häufig nicht in Über-
einstimmung mit internationalen Qualitätsstandards. Dies
ist – so haben es auch Verwaltungsgerichte in Berlin fest-
gestellt – eine rechtswidrige Praxis. Sie traumatisiert
diese Flüchtlinge zusätzlich.

Wir wollen, dass hiervon ein Signal ausgeht, dass diese
Praxis beendet wird. Die Innenministerkonferenz wird
diese Beendigung auf ihrer nächsten Tagung beraten und
hoffentlich beschließen.


(Beifall bei der F.D.P., der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb – ich habe nur eine sehr kurze Redezeit – bitte
ich Sie, diesen Gruppenantrag zu unterstützen; denn er
enthält nur Selbstverständliches zum geltenden Auslän-
derrecht.

Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411429100
Jetzt hat das Wort die
Kollegin Claudia Roth, Bündnis 90/Die Grünen.

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Der Osterappell und der jetzt von 230 Kolleginnen
und Kollegen unterschriebene Gruppenantrag ist für mich
ein ganz außergewöhnliches Ereignis. Dieses Ereignis be-
wegt mich tief, weil es für die Menschenrechte in unse-
rem Land enorm wichtig ist.

Unsere Debatte heute Abend hat etwas von einer Stern-
stunde, nicht weil es schon so entsetzlich spät ist.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411429200
Gleich ist es wieder
ganz früh.

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Vielmehr ist diese politisch parlamentarische Ini-
tiative, die, wie ich erwarte, positive Änderungen mit sich
bringen wird, für unsere Glaubwürdigkeit wichtig. Glaub-
würdigkeit bemisst sich am Umgang mit denen, die ver-
folgt, die vertrieben, die Opfer von ganz schrecklichen
Verbrechen geworden sind und die bei uns Hilfe und Zu-
flucht gesucht und vielerorts gefunden haben. Denen soll




Heide Mattischeck
10916


(C)



(D)



(A)



(B)


jetzt genau dieser für ihr Leben und für ihre Zukunft
nötige Schutz entzogen oder verweigert werden.

Die 230 Abgeordneten sind vielleicht die bisher größte
überparteiliche parlamentarische Menschenrechtsgruppe
für die Beachtung humanitärer Grundsätze in der Flücht-
lingspolitik. 230 Abgeordnete mischen sich im allerbesten
Sinne ein und formulieren mit diesem Antrag deutliche
Kritik an der menschenrechtlichen Realität in unserm
Land. Sie schließen nicht die Augen, sie schauen nicht
weg, sie schweigen nicht, sondern sie leisten damit de-
mokratischen Widerstand gegen die Entrechtung des
Rechts von Flüchtlingen, gegen Ruck-zuck-Abschiebun-
gen in eine völlig unsichere Zukunft. Bayern geht übri-
gens mit besonders gnadenlosem Beispiel voran. Denn
jetzt werden in Bayern selbst ehemalige Lagerhäftlinge in
einer wahren Abschiebewut von Abschiebungen nicht
ausgenommen. 230 Kolleginnen und Kollegen formulie-
ren ihren Widerspruch gegen rigorose und unzumutbare
Härte und einen unmenschlichen Umgang mit Schutzbe-
dürftigen. Als Beispiel möchte ich nennen, dass in Berlin,
wie Frau Leutheusser-Schnarrenberger ausgeführt hat,
traumatisierte Flüchtlinge in Berlin in Handschellen zu
polizeiärztlichen Gutachtern geführt werden.

Ich bin froh und stolz, dass es gelungen ist, über Par-
teigrenzen hinweg ein Bündnis für mehr Humanität zu
schließen und als Deutscher Bundestag die Bundesregie-
rung aufzufordern, von den Bundesländern das einzu-
fordern, was seit langem und zu Recht von Kirchen, von
Wohlfahrtsverbänden, von vielen Unternehmen, von
Flüchtlingsorganisationen und von Mitbürgern, die uns in
unzähligen Briefen um Unterstützung in Einzelschicksa-
len bitten, eingefordert wird.

Wir fordern die politisch Verantwortlichen auf, die Lo-
gik der Debatte endlich umzudrehen und die Schutzge-
währung wieder in den Vordergrund zu stellen,


(Beifall im ganzen Hause)

anstatt bürokratische und kalte Erlasse zu exerzieren,
ohne Rücksicht auf die tatsächliche Situation in den
Herkunftsländern oder auf die Realität, die Angst und die
Sorgen der Betroffenen zu nehmen.

Es braucht einen differenzierten Umgang mit spezifi-
schen Gruppen, die nicht oder noch nicht zurückkehren
können. Dabei handelt es sich, wie schon angesprochen
worden ist, um allein stehende, alte, traumatisierte und be-
hinderte Menschen sowie um ethnische Minderheiten wie
Roma und Askali. Es handelt sich um Menschen, deren
Häuser zerstört sind und die beim besten Willen nicht ins
Nichts zurückkehren können.

Wir brauchen eine gewissenhafte Einzelfallprüfung
und wir brauchen die Gewährung von Bleiberecht für zum
Beispiel junge Menschen, die faktisch in unsere Gesell-
schaft integriert sind. Problemfälle – das sind die etwa
50 000 noch verbliebenen Bosnier – sind kein Problem für
unsere Gesellschaft. Sie haben existenzielle Probleme,
bei deren Lösung wir ihnen helfen müssen.

Würden zum Beispiel traumatisierte Frauen jetzt
zwangsweise abgeschoben werden, würde ihnen eine Re-
traumatisierung drohen. Ganz abgesehen davon gibt es in

Bosnien keine Möglichkeit, die Behandlung adäquat fort-
zusetzen. Von einer freiwilligen Rückkehr zu sprechen ist
daher purer Hohn.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Tatsache ist, dass massiver Ausreisedruck ausgeübt
wird, ohne die Kritik von allen Hilfsorganisationen ernst
zu nehmen. Im Menschenrechtsausschuss haben alle
Hilfsorganisationen auf die Situation im Herkunftsland
hingewiesen. Es wird keine Rücksicht auf die Bitten von
UNMIK und UNHCR genommen, die ernsthaft davor
warnen, dass eine unkoordinierte und überstürzte Rück-
führung von Menschen zum Beispiel in den Kosovo eine
Destabilisierung mit sich bringen würde.

Ich erwarte, dass unser Beschluss etwas bewirken wird
und nicht einfach zu den Akten gelegt wird. Ich erwarte,
dass die Abgestumpftheit der Politik beendet wird und
dass sich mancher Innenminister darauf besinnt – wie es
unser Kollege Schwarz-Schilling gesagt hat –, was unser
Grundgesetz zum Ausdruck bringt: Die Würde des Men-
schen ist unantastbar. Das ist unser moralischer Imperativ,
das ist unsere historische Verantwortung, die sich im Um-
gang mit den Menschenrechten zeigen muss.

Es geht nicht nur um das Schicksal von Flüchtlingen
und Vertriebenen, es geht vor allem um die Stärke unserer
Demokratie. Stark ist ein starker Staat nur dann, wenn er
die Schwachen schützt und ihnen das gewährt, was sie
brauchen, nämlich Leben und Zukunft. Unsere Initiative
ist also auch ein Beitrag für eine wehrhafte Demokratie in
Deutschland.


(Beifall im ganzen Hause)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411429300
Jetzt hat das Wort die
Kollegin Ulla Jelpke, PDS-Fraktion.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1411429400
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Als mir dieser Antrag von einigen meiner
Kollegen zur Unterschrift vorgelegt wurde, dachte ich,
dieser Antrag hätte etwas Besonderes sein können. Ich
dachte, Abgeordnete aus allen Parteien des Deutschen
Bundestages hätten sich für Menschen eingesetzt, die in
einer Notsituation stehen. Damit wäre der Antrag gera-
dezu ein Lichtblick in der aktuellen Einwanderungsdis-
kussion geworden. Es geht hier nämlich nicht um die
Frage der Nützlichkeit von Menschen, sondern um die be-
drohliche Lage von Menschen.

Herr Schwarz-Schilling, ich habe großen Respekt vor
Ihnen bezüglich der Rede, die Sie heute gehalten haben.
Wenn ich mich hier umschaue, so sehe ich keinen einzi-
gen Kollegen Ihrer Fraktion, der dem Innenausschuss an-
gehört. Denn sie sind diejenigen, die in den letzten Mo-
naten und Jahren immer wieder blockiert haben. Dadurch
ist es zu der Abschiebepolitik gekommen, die Sie heute
kritisiert haben.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)





Claudia Roth (Augsburg)


10917


(C)



(D)



(A)



(B)


Diese Debatte beschämt mich deshalb, weil ich in den
letzten Wochen und Monaten viele Anträge und Anfragen
zu diesen Problemen gestellt habe. Ich möchte hier deut-
lich sagen, dass ich es nicht gut finde, dass man bei einer
solchen Frage nicht in der Lage war, PDS-Abgeordnete
bei diesem Antrag einzubeziehen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dies ist ein wichtiger Antrag, der in die richtige Rich-
tung geht. Auch ich bin der Meinung, dass Behinderte,
Kranke, alte Menschen, Traumatisierte und Angehörige
bestimmter Ethnien nicht abgeschoben werden dürfen
und dass eine sorgfältige Einzelfallprüfung stattfinden
muss. Mit diesem Appell würde der Bundestag ein Zei-
chen setzen, dass die gegenwärtige Abschiebepolitik so
nicht fortgesetzt werden kann.

Auch ich nenne das Beispiel einer kurdischen Familie,
die gerade in das Kirchenasyl gegangen ist. Die Frau
wurde vergewaltigt. Sie war schwanger und verlor ihr
Kind. Die Ausländerbehörde verlangt trotzdem, obwohl
die Frau traumatisiert ist, dass sie das Land verlässt.

Dieser Antrag kann nur ein Appell sein. Wir sind der
Meinung, dass der Schutz von Kranken und Traumati-
sierten vor Abschiebung nicht im Belieben der Auslän-
derbehörde liegen darf. Wir müssen – das hat auch Herr
Schwarz-Schilling angesprochen – § 53 Abs. 4 des Aus-
ländergesetzes neu formulieren, und zwar so, dass die Eu-
ropäische Menschenrechtskonvention entsprechend der
Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Men-
schenrechte bei der Entscheidung über eine Abschiebung
beachtet werden muss. Wir werden einen solchen Antrag
erarbeiten und vorlegen, damit das Abschieben nicht im
Belieben der Ausländerbehörde liegt.

Wir werden diesem Appell zustimmen. Ich wünsche
mir aber einen anderen Umgang mit Abgeordneten, die
sich gerade bei solchen Fragen engagiert eingesetzt ha-
ben.

Danke.

(Beifall bei der PDS, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411429500
Jetzt hat die Parla-
mentarische Staatssekretärin Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast das Wort.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1411429600
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein bisschen
schade, dass am Schluss dieser Debatte noch ein partei-
politisches Gegeneinander aufgekommen ist, die eigent-
lich so wohltuend ungewöhnlich verlaufen ist.

Ich finde es schon eindrucksvoll, dass so viele Namen
aus den unterschiedlichen politischen Lagern vereint auf
einem Antrag zu finden sind. Fraktionsübergreifende Ini-
tiativen sind nach wie vor eine parlamentarische Rarität.
Sie kommen am ehesten zustande, wenn es um Fragen der
Menschenrechte geht. Ich erinnere mich noch – das liegt

schon einige Jahre zurück – an die Große Anfrage von
weiblichen Abgeordneten. Es handelte sich hier um den
internationalen Frauenhandel. Ich erinnere mich auch an
die übergreifende Initiative zu dem Vorstoß, die genitale
Verstümmelung schärfer zu ahnden.

Die Initiative, über die wir heute sprechen, verlangt für
bestimmte Flüchtlingsgruppen aus Bosnien und Herzego-
wina und aus dem Kosovo bis auf weiteres das Blei-
berecht in Deutschland. Das entspricht einer breiten
Stimmung in der Bevölkerung der Bundesrepublik. Ich
weiß aus der täglichen Praxis, wie viele solcher Bitten uns
mündlich und schriftlich erreichen. Gerade Flüchtlinge
aus Bosnien und Herzegowina haben in Deutschland eine
hohe Akzeptanz.

Es wird einige von Ihnen überraschen, wenn ich Ihnen
sage: Die Bundesregierung fühlt sich durch diesen Antrag
keineswegs auf die Armesünderbank gedrängt, sondern
sie fühlt sich in mehreren Punkten bestätigt. Sie ist sich
der Tatsache bewusst, dass bestimmte Personengruppen
besonderen Schutz brauchen.

So sind zum Beispiel ethnische Minderheiten aus dem
Kosovo nach wie vor von dem, was wir „zwangsweise
Rückführung“ nennen, ausgenommen. Das Bundesinnen-
ministerium hat die zuständigen Landesbehörden schon
vor einem halben Jahr ausdrücklich gebeten, die freiwil-
lige Rückkehr dieser Menschen äußerst behutsam anzu-
gehen. Ebenso setzt sich das Bundesinnenministerium
dafür ein, dass Menschen, die als Zeugen vom Internatio-
nalen Strafgerichtshof für das frühere Jugoslawien be-
nannt worden sind, mit ihren Familien einen Auf-
enthaltstitel in Deutschland bekommen.

Minister Schily hat sich auch – das wurde schon er-
wähnt – für die schwer Traumatisierten, vor allem
Frauen, und für ehemalige Lagerhäftlinge aus Bosnien-
Herzegowina und aus dem Kosovo eingesetzt mit dem
Ziel, dass die Behörden den gesetzlichen Rahmen voll
ausschöpfen und von den auf drei Monate beschränkten
Duldungen absehen, schon um diesen Menschen eine
gründliche medizinische und psychotherapeutische Be-
handlung zu ermöglichen.

Chronisch Traumatisierte sollen eine Aufenthaltsbe-
fugnis erhalten, so geht es aus dem Schreiben an die In-
nenminister und Senatoren der Länder hervor. Ich nutze
die Gelegenheit, um die zuständigen Behörden ausdrück-
lich zu bitten, auch entsprechend zu verfahren. Sensibi-
lität und der Wille, Ermessensspielräume wirklich und
entschieden auszunutzen, sollten auch vor den Türen der
örtlichen Ausländerämter nicht Halt machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch wer schon im Rentenalter ist und keine Angehöri-
gen in Bosnien-Herzegowina hat, ist gegenwärtig eben-
falls von der Rückführung ausgenommen.

Schließlich möchte ich darauf hinweisen, dass wir im
Dialog mit dem Bundesministerium für Arbeit und So-
zialordnung über eine Lockerung des Arbeitsverbotes
mit Blick auf Flüchtlinge und Asylbewerber beraten und
dass wir, so hoffe ich, in allernächster Zeit zu einer Lö-




Ulla Jelpke
10918


(C)



(D)



(A)



(B)


sung kommen werden, die den Gegebenheiten auf dem
Arbeitsmarkt ebenso gerecht wird wie den berechtigten
Interessen der Betroffenen.

Das Prinzip Freiwilligkeit – hier unterscheiden wir
uns vielleicht in Nuancen, Frau Kollegin Roth – hat sich
bei der Rückkehr doch bewährt. Wer hätte schon vor zwei
oder drei Jahren gedacht, dass sich von den fast 350 000
Flüchtlingen der allergrößte Anteil aus freien Stücken
wieder in die Heimat begeben würde? Jetzt sind noch et-
was mehr als 38 000 Menschen in Deutschland, die ei-
gentlich ausreisen müssten. Ende des Jahres, so schätzt
der UNHCR, werden es voraussichtlich noch 21 000 sein.
Den entsprechenden politischen Willen der Länder vo-
rausgesetzt, könnte zu diesem Zeitpunkt im Rahmen der
Innenministerkonferenz eine Altfallregelung für diese
Menschen vereinbart werden.

Ich muss genauso deutlich darauf hinweisen, dass wir
nicht generell auf das Mittel der zwangsweisen Rück-
führung verzichten können. Außerdem haben wir es – das
wissen alle, die den Antrag unterzeichnet haben – mit der
Kompetenz der Länder zu tun.

Ich möchte trotzdem klar unterstreichen: Die Bundes-
regierung versteht diesen Antrag als eindringlichen Ap-
pell vieler, die sich aus großer Verantwortung für das
Schicksal der betroffenen Menschen zu Wort melden.
Dass dieser Aufruf von so vielen Abgeordneten unter-
schiedlicher politischer Lager getragen wird, stellt unse-
rer parlamentarischen Demokratie, glaube ich, ein gutes
Zeugnis aus.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1411429700
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag mit
dem Titel „Humanitäre Grundsätze in der Flüchtlingspo-
litik beachten“, Drucksache 14/3729. Wer stimmt für die-
sen Antrag? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Damit ist
der Antrag einstimmig angenommen.


(Beifall im ganzen Hause)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 c auf:

Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Zu-
sammenarbeit von Arbeitsämtern und Trägern
der Sozialhilfe
– Drucksache 14/3765 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung

Ich eröffne die Aussprache. Alle Reden zu diesem Ta-
gesordnungspunkt sind zu Protokoll gegeben.1) Deshalb
schließe ich die Aussprache wieder.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 14/3765 an den in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschuss vorgeschlagen. Gibt es anderweitige
Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf heute, Freitag, den 7. Juli 2000, 9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.