Gesamtes Protokol
Guten
Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist
eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die
heutige Tagesordnung um die Beratung des Antrags der
Fraktion der PDS „Eine nachhaltige demokratische und
soziale Entwicklung in Kolumbien unterstützen“, Druck-
sache 14/3782, erweitert werden. Sind Sie damit einver-
standen? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so be-
schlossen.
Es liegt eine Wortmeldung des Kollegen Claus zur Ge-
schäftsordnung vor. Bitte schön, Herr Claus.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Ich möchte eine Klarstellung zu der uns vor-
liegenden Tagesordnung vornehmen. Die Fraktion der
PDS hat fristgemäß eine Aktuelle Stunde zum Thema
„Bericht der Bundesregierung über die Nutzungsentgelt-
verordnung“ für den heutigen Mittwoch beantragt. Dabei
geht es bekanntlich um die Erholungsgrundstücke oder –
wie sich inzwischen auch die Bürgerinnen und Bürger der
alten Länder angewöhnt haben zu sagen – um die Dat-
schennutzung.
Nun gab es eine geschäftsübliche Vereinbarung über
die Verteilung der drei beantragten Aktuellen Stunden
zwischen den Parlamentarischen Geschäftsführern. Es
war vorgesehen, dass heute eine Aktuelle Stunde auf Ver-
langen der SPD, morgen eine auf Verlangen der
CDU/CSU und am Freitag eine auf Verlangen der PDS
stattfindet. Durch den Wegfall der von der SPD beantrag-
ten Aktuellen Stunde für heute hat es eine Veränderung
gegeben. Die CDU/CSU hat meines Wissens widerspro-
chen, dass die von uns beantragte und zunächst für Freitag
vorgesehene Aktuelle Stunde heute aufgesetzt wird.
Wir beantragen, dass diesem Verlangen durch eine Än-
derung der Tagesordnung entsprochen wird. Wir denken,
die Sache liegt auch nicht im Ermessensspielraum des
Parlamentes. Es ist ganz einfach so – um es Ihnen noch
einmal etwas deutlicher zu erklären –: Wenn eine solche
Vereinbarung, wie sie zwischen den Geschäftsführerin-
nen und Geschäftsführern getroffen wurde, in ihren
Grundlagen nicht mehr tragbar ist, dann kehrt die Situa-
tion natürlich an ihren Ausgangspunkt zurück.
Ich will es Ihnen noch einmal etwas einfacher erklären.
Stellen Sie sich einmal vor – Sie können es sich wahr-
scheinlich nicht vorstellen; ich mir auch nicht –: Ich will
mit einem Vertreter der CDU/CSU-Fraktion einen Auto-
kauf vereinbaren. Sie wollen mir ein Auto verkaufen und
ich will es kaufen.
– Aber es erklärt Ihnen vielleicht den Vorgang, Herr Kol-
lege Hintze.
Wir vereinbaren den Autokauf. Zum Zeitpunkt der Ver-
tragsrealisierung ist Ihr Auto weg, aber Sie verlangen von
mir trotzdem, dass ich den Kaufpreis zahle. Ich finde das
Verhalten der CDU/CSU-Fraktion bei diesem Vorgang
regelrecht absurd.
Bei dem, was bei Ihnen zurzeit alles durcheinander
läuft, kann ich ja verstehen, dass Sie nicht für alles einen
Blick haben. Das ist garantiert auch ein Punkt, den Sie
ausnahmsweise mit Dr. Kohl nicht besprochen haben.
Herr Kol-
lege Claus, ich bitte, zur Geschäftsordnung zu sprechen.
Keine politische Argumentation!
Ich wollte nur, dass es wirklich
verständlich wird, Herr Präsident. Ich möchte ausdrück-
lich darum bitten, dass dem Verlangen der PDS-Fraktion
zur Aufsetzung einer Aktuellen Stunde zum Thema „Be-
richt der Bundesregierung über die Nutzungsentgeltver-
ordnung“ auf die heutige Tagesordnung entsprochen wird,
und bitte in diesem Sinne um eine Erweiterung der Ta-
gesordnung. Der Platz für die Aktuelle Stunde wäre ver-
einbarungsgemäß nach der Fragestunde.
10663
113. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000
Beginn: 13.00 Uhr
Es hat
sich der Kollege Uwe Küster zu Wort gemeldet.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die PDS hat frist-
gemäß eine Aktuelle Stunde verlangt. Vereinbarungs-
gemäß sollte sie am Freitag stattfinden, weil die anderen
beiden Termine für Aktuelle Stunden in dieser Sitzungs-
woche belegt sind. Da der Mittwochstermin inzwischen
frei geworden ist, gibt es keinen Grund, diesem Verlangen
der PDS nicht stattzugeben.
Ich empfehle meiner Fraktion, dem Verlangen der PDS
auf „Änderung der Tagesordnung“, sodass wir statt
Freitag heute die Aktuelle Stunde der PDS aufsetzen, zu
folgen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Bitte
schön, Herr von Klaeden.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Es wurde von beiden Vorred-
nern richtigerweise gesagt, dass es eine interfraktionelle
Vereinbarung darüber gibt, dass die von der PDS bean-
tragte Aktuelle Stunde nicht heute, sondern am Freitag
stattfinden soll. Mich wundert nicht, dass die Kenntnisse
des Kollegen Claus im bürgerlichen Recht nicht so weit
gediehen sind, dass er vernünftige Ausführungen zu dem
von ihm angesprochenen Themenbereich, nämlich dem
Wegfall der Geschäftsgrundlage, machen konnte.
Die Geschäftsgrundlage ist keinesfalls entfallen, da
derartige Vereinbarungen zwischen den Fraktionen auch
den Zweck haben, den einzelnen Fraktionen die Gelegen-
heit zu geben, sich vernünftig auf die jeweiligen Aktuel-
len Stunden vorzubereiten. Schon gar nicht ist es Ihnen,
Herr Kollege Claus, unmöglich geworden – wie Sie es in
Ihrem Beispiel versucht haben zu suggerieren –, am
Freitag zu dieser Aktuellen Stunde zu sprechen.
Deshalb halten wir an der interfraktionellen Vereinba-
rung fest und werden Ihren Antrag ablehnen.
Herr
Koppelin, bitte.
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Es hat zwar eine Vereinbarung ge-
geben – das ist hier schon gesagt worden –, aber diese Ver-
einbarung ist natürlich dann hinfällig, wenn eine Fraktion
plötzlich ihren Antrag auf eine Aktuelle Stunde, wie heute
geschehen, zurückzieht. Die Aktuelle Stunde der PDS war
für Freitag, 17 Uhr vorgesehen. Ich glaube, es kann uns
nichts hindern, dem Verlangen der PDS, die Aktuelle
Stunde auf die heutige Tagesordnung zu setzen, nachzu-
kommen, wenn der heutige Platz frei wird.
Lieber Herr Kollege, wir brauchen dafür auch keine
Vorbereitung. Bei diesem Thema müsste man eigentlich
auch ohne lange Vorbereitungszeit im Stoff sein. Die
F.D.P. wird das Anliegen der PDS daher unterstützen.
Die Ge-
schäftsordnungslage ist die Folgende: Eine solche Verein-
barung kann jederzeit aufgekündigt werden. Die Frage
dabei ist, ob es im Hause ein Einvernehmen darüber gibt,
dem Wunsch der PDS Rechnung zu tragen. Aus den
Äußerungen des Kollegen von Klaeden entnehme ich,
dass kein Einvernehmen besteht. In diesem Fall hat der
Präsident des Deutschen Bundestages – nicht der amtie-
rende, sondern der gewählte – die Entscheidung zu tref-
fen. Wir werden ihn um seine Entscheidung bitten. In-
zwischen können wir mit der Sitzung fortfahren.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Bericht über die Entwicklung
der Konvergenz in der Europäischen Union im Jah-
re 1999. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Be-
richt hat die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bun-
desminister der Finanzen, Dr. Barbara Hendricks.
Frau Hendricks, bitte schön.
D
Herr Präsident! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat heuteden vom Bundesministerium der Finanzen erstellten Be-richt über die Entwicklung der Konvergenz in der Eu-ropäischen Union im Jahre 1999 gebilligt. Dies ist dersechste Bericht, den die Bundesregierung dem DeutschenBundestag und dem Bundesrat entsprechend ihren Ent-schließungen von 1992 bei der Ratifizierung des Vertra-ges von Maastricht vorlegt. Der Bericht wurde dem Bun-destag und dem Bundesrat unverzüglich zugeleitet.Der Bericht betrifft erstmalig ein Jahr, in dem die elfEU-Mitgliedstaaten, die den Euro eingeführt haben, ihreZuständigkeit für die Geld- und Wechselkurspolitik auf-gegeben haben. Dementsprechend beschränkt sich derBericht für das Jahr 1999 im Wesentlichen auf die Ent-wicklung der öffentlichen Finanzen aller Mitgliedstaatender EU und auf die Konvergenzentwicklung in den vierEU-Mitgliedstaaten, die den Euro noch nicht eingeführthaben.Als wichtigste Entwicklungen sind festzuhalten: In denelf Euro-Ländern haben sich die öffentlichen Finanzendeutlich verbessert. Diese Länder haben die in ihren Sta-bilitätsprogrammen für 1999 festgelegten Ziele erreicht.Sie sind damit auf gutem Wege, entsprechend den Ver-pflichtungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes mit-telfristig, das heißt spätestens im Jahre 2002, einen na-hezu ausgeglichenen Haushalt oder sogar einen Haus-haltsüberschuss zu erzielen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 200010664
Für die gesamte Euro-Zone ging das öffentliche Defi-zit von 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in 1998 auf1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zurück. Haus-haltsüberschüsse wurden von vier Ländern, nämlich Ir-land, Luxemburg, den Niederlanden und Finnland, erzielt.In den großen Euro-Ländern ging die Defizitquote deut-lich zurück: in Deutschland von 1,7 auf 1,1 Prozent, inFrankreich von 2,7 auf 1,8 Prozent und in Italien von 2,8auf 1,9 Prozent.Diese Verbesserung der Haushaltslage ist umso bemer-kenswerter, als sich das nominale Wirtschaftswachstum in1999 gegenüber dem Vorjahr um 0,8 Prozent abge-schwächt hatte. Allerdings haben auch geringere Zinszah-lungen auf die öffentlichen Schulden zur Verbesserungder Haushaltssituation beigetragen.Nach Berechnungen der Kommission ging die Zinsen-dienstquote um 0,5 Prozentpunkte des Bruttoinlandpro-duktes zurück, sodass der Primärsaldo nur um 0,3 Pro-zentpunkte angestiegen ist. Mit Recht stellt deshalb dieEU-Kommission fest: Aktive Konsolidierungsmaßnah-men dürften in 1999 nur unwesentlich zur Sanierung deröffentlichen Finanzen beigetragen haben. Deshalb undauch wegen der absehbaren demographischen Belastun-gen in den EU-Mitgliedstaaten sind weitere Konsolidie-rungsanstrengungen in den kommenden Jahren unver-zichtbar. Dies gilt insbesondere auch in Deutschland. Hierkommt es vor allem darauf an, die notwendigen Steuer-entlastungen durch Einsparungen zu begleiten und denimmer noch sehr hohen Schuldenstand kontinuierlich ab-zubauen.In den vier Ländern außerhalb der Euro-Zone hat sichdie Situation der öffentlichen Finanzen ebenfalls deutlichverbessert. Mit Ausnahme von Griechenland, das seinHaushaltsdefizit aber auch von 2,4 Prozent auf 1,6 Pro-zent in 1999 zurückführen konnte, verzeichneten die übri-gen drei Länder Haushaltsüberschüsse.Bei der Inflationsentwicklung im Euro-Raum ist dieanhaltende Preisstabilität in 1999 hervorzuheben. Im Jah-resdurchschnitt betrug die Inflationsrate wie in 1998 rund1 Prozent; jedoch war im Jahresverlauf eine deutliche Be-schleunigung des Preisauftriebs festzustellen. Dieser istvor allem auf die Entwicklung der Ölpreise und der sons-tigen Rohstoffpreise zurückzuführen, wobei diese insbe-sondere wegen der Abwertung des Euro in 1999 anzogen.Ohne Berücksichtigung der schwankungsanfälligen Prei-se für energie- und saisonabhängige Nahrungsmittel lagdie so genannte Kerninflationsrate in 1999 bei 1 Prozent,nach 1,4 Prozent in 1998. Sie blieb damit deutlich unterdem von der Europäischen Zentralbank mit Preisstabilitätfür vereinbar erklärten Preisanstieg von 2 Prozent.Griechenland wird aufgrund seiner bemerkenswertenKonvergenzerfolge in den letzten Jahren und auch in 1999ab dem nächsten Jahr zur Euro-Zone gehören. Der grie-chische Finanzminister wird bereits am nächsten Treffender Euro-11-Gruppe, die demnächst Euro-12-Gruppeheißen wird, am 16. Juli 2000 teilnehmen.Dies zeigt: Die Wirtschafts- und Währungsunion alsStabilitätsgemeinschaft hat erneut ihre Anziehungskraftbewiesen. Möglicherweise wird die Aufnahme Griechen-lands in die Euro-Zone die laufende Diskussion in Däne-mark und auch in Schweden über die Einführung des Europositiv beeinflussen.Herzlichen Dank.
Vielen
Dank, Frau Staatssekretärin. Gibt es Fragen zu dem Be-
richt? – Herr Kollege Hintze.
Herr Präsident! Frau Par-
lamentarische Staatssekretärin, wenn es gestattet ist, Herr
Präsident, habe ich als Erstes die Frage, ob Sie heute im
Kabinett dieses Thema vertreten haben.
D
Nein, Herr Kollege Hintze,
ich war nicht im Kabinett anwesend, sondern im Finanz-
ausschuss des Deutschen Bundestages.
Herr Präsident, die Frau
Parlamentarische Staatssekretärin hat gerade beantwortet,
dass sie zwar den Bericht des Kabinetts, wie es die Ge-
schäftsordnung des Bundestages vorsieht, hier vorgetra-
gen hat, dass sie aber an der Kabinettssitzung nicht teil-
genommen hat. Ich frage mich, wie eine Berichterstattung
aus einer Kabinettssitzung durch eine Parlamentarische
Staatssekretärin erfolgen kann, die gar nicht an der Bera-
tung teilgenommen hat. Das möchte ich hier rügen.
HerrKüster, bitte! Es ist die Sache der Bundesregierung, wiesie im Deutschen Bundestag auftritt. Wie man das bewer-tet, wenn so verfahren wird, obliegt den Fraktionen undden Mitgliedern des Hauses. Aber die Bundesregierungmuss auf ihre Fragen antworten. Sie kann dabei im Bun-destag so auftreten, wie sie es für angemessen hält.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks10665
D
Herr Präsident, darf ich
dazu eine Anmerkung machen?
Bitte
schön, Frau Staatssekretärin.
D
Herr Präsident! Herr Kol-
lege Hintze, ich habe sozusagen im ersten Satz meines Be-
richtes, den ich abgegeben habe, mitgeteilt, dass das
Bundeskabinett heute den Konvergenzbericht gebilligt
hat.
Im Übrigen habe ich Ihnen die Inhalte des Konver-
genzberichtes vorgetragen. Dies kann ich, auch wenn ich
ihn nur gelesen habe und nicht an den Beratungen des Ka-
binetts über den Konvergenzbericht teilgenommen habe.
Herr von
Klaeden, bitte.
Herr Präsident!
Das Thema der Regierungsbefragung wird nicht vom Par-
lament, sondern von der Regierung bestimmt. Deswegen
gehen wir von der CDU/CSU davon aus, dass das Thema,
das von der Regierung für die Regierungsbefragung be-
nannt wird, von einer derartigen Relevanz ist, dass es im
Kabinett auch diskutiert wird, und dass es nicht ausreicht,
den Konvergenzbericht nur zu lesen – das kann jeder an-
dere auch – und ihn nach der Kabinettssitzung hier vor-
zutragen. Wir erwarten von der Regierung, dass sie für die
Regierungsbefragung Themen aussucht, die auch für die
Kabinettssitzung so viel Relevanz haben, dass sie dort we-
nigstens kurz diskutiert worden sind.
Sinn der Regierungsbefragung ist es, dass über die Dis-
kussion im Kabinett berichtet wird. Wenn das nicht ge-
macht wird, dann brauchen wir keine Regierungsbefra-
gung. Deswegen beantrage ich im Namen meiner Frak-
tion nach § 42 unserer Geschäftsordnung, das Mitglied
der Bundesregierung, das an der Kabinettssitzung teilge-
nommene hat, herbeizuzitieren. Ich gehe davon aus, dass
es der Bundesfinanzminister ist.
Ich erteile
nun das Wort dem Kollegen Koppelin.
Herr Präsident! Die F.D.P.
wird den Antrag der CDU/CSU unterstützen; denn es kön-
nen durchaus Fragen gestellt werden, wie im Kabinett
über dieses oder jenes diskutiert worden ist. Da die Par-
lamentarische Staatssekretärin zum Beispiel die Diskus-
sion im dänischen Kabinett über die Einführung des Euro
angesprochen hat, muss man danach fragen können, wie
der Stand dieser Diskussion ist. Man kann keine Antwort
auf eine solche Frage erwarten, wenn sie selber nicht an
der Kabinettssitzung teilgenommen hat. Insofern unter-
stützen wir den Antrag der CDU/CSU.
Bitte
schön, Herr Küster.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Ich halte den Antrag der
Opposition für völlig neben der Sache. Die zuständige
Parlamentarische Staatssekretärin hat zum Sachverhalt
ausreichend Auskunft gegeben.
– Ich bezweifle, ob Sie den Konvergenzbericht lesen kön-
nen. – Es besteht überhaupt keine Notwendigkeit, den zu-
ständigen Minister herbeizurufen. Die Parlamentarische
Staatssekretärin hat, wie gesagt, ausreichend Auskunft ge-
geben. Ich plädiere dafür, den Antrag der Opposition ab-
zulehnen.
Frau
Lemke, ebenfalls zur Geschäftsordnung.
Ver-ehrter Herr von Klaeden, wenn Sie mir Ihr wertes Gehörleihen würden, dann könnte ich Ihnen gegenüber zumAusdruck bringen, dass Ihr Antrag keinen angemessenenUmgang mit dem Instrument der Regierungsbefragungwiderspiegelt. Ich weiß nicht, ob Sie mit diesem Antragdie eben geführte Debatte über die Tagesordnung im Ple-num fortführen wollen. Ich finde das jedenfalls unange-messen. Ich bin froh, dass eine Staatssekretärin bei derheutigen Sitzung des Finanzausschusses anwesend warund Auskunft gegeben hat.
Ich möchte, dass die Regierung die Parlamentsausschüssemit entsprechenden Informationen und Auskünften ver-sorgt. Deshalb halte ich Ihr Verhalten, das Sie gerade anden Tag legen, für absolut unangemessen. Ich finde, dassdie heutige Tagesordnung ausreichend viele wichtige Dis-kussionspunkte beinhaltet und dass die heutige Tagesord-nung genauso wie die morgige sehr lang ist.Ich empfinde Ihr Bemühen, den Bundesfinanzministerim Rahmen der Regierungsbefragung zu dem in der Redestehenden Thema zu befragen, als nicht besonders ernst-haft. Deswegen fordere ich Sie auf, sich einfach noch ein-mal zu überlegen, ob Ihr Antrag ein angemessener Um-gang mit dem parlamentarischen Instrument der Regie-rungsbefragung ist.Die Opposition würdigt die Regierungsbefragung unddie Fragestunde in der Regel mit sehr unterschiedlicherTeilnahme ihrer Abgeordneten. Es gibt sehr oft die Situa-tion, dass Fragen von Oppositionsabgeordneten einge-bracht werden, die dann jedoch aus verschiedenstenGründen gar nicht im Plenum anwesend sind, wenn ihreFragen beantwortet werden sollen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 200010666
Ich bitte,
zur Geschäftsordnung zu reden.
Ich
bitte deswegen darum, die Regierungsbefragung und die
Fragestunde nicht mit inszenierten Debatten über die Ge-
schäftsordnung zu belasten.
Als letz-
tem Redner zur Geschäftsordnung gebe ich das Wort dem
Kollegen Gehrcke von der PDS-Fraktion.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Obwohl ich das Verhalten der
Bundesregierung, für nicht besonders klug halte, muss ich
feststellen, dass sich die Kollegin Staatssekretärin in den
Debatten immer als außerordentlich kompetente Vertrete-
rin der Positionen der Bundesregierung erwiesen hat.
Auch wenn ich es kritisiere – es ist die Entscheidung der
Bundesregierung wer sie hier vertritt. Der Antrag der
CDU/CSU kommt mir so vor, als wenn man mit Kanonen
auf Spatzen schießt. Da ich a) gegen Kanonen und b) für
Spatzen bin, bitte ich, den Antrag abzulehnen.
Wir haben
über den Antrag nach § 42 der Geschäftsordnung – Her-
beirufung eines Mitgliedes der Bundesregierung – abzu-
stimmen. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das
Handzeichen? – Wer ist dagegen? – Entschuldigung, die
Stimmzahlen haben sich während der Abstimmung ver-
ändert; deswegen kann ich jetzt kein klares Votum erken-
nen. Ich wiederhole die Abstimmung. Wer für die Herbei-
rufung des zuständigen Regierungsmitgliedes ist, den
bitte ich um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Das
war die Minderheit; die Mehrheit war für die Herbeiru-
fung des Regierungsmitgliedes.
– Stellen Sie einen Antrag auf Feststellung der Beschluss-
fähigkeit?
– Die Antwort möchte ich gern von Herrn Küster hören.
Herr Präsident, ich hatte eben
den Eindruck, dass sich das Präsidium bei dieser Abstim-
mung in der Beurteilung der Mehrheitsverhältnisse nicht
einig war. Ich bitte, so zu verfahren, dass die Abstimmung
über den Antrag mit der entsprechenden Zählvorschrift
verbunden wird.
Damit
kommen wir zur Feststellung der Beschlussfähigkeit. Ich
bitte die Mitglieder des Hauses, den Plenarsaal zu verlas-
sen.
Ich unterbreche die Sitzung für einige Minuten.
Wir set-
zen die unterbrochene Sitzung fort.
Sind die Türen besetzt? – Das ist der Fall. Ich bitte, mit
der Abstimmung zu beginnen.
Haben alle Kolleginnen und Kollegen den Weg in den
Saal gefunden? – Dann beende ich die Abstimmung und
bitte, die Türen zu schließen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe Ihnen das
Ergebnis der Abstimmung bekannt: Mit Ja haben ge-
stimmt 182, mit Nein 213, eine Enthaltung.
Dann können wir mit der Befragung der Bundesregie-
rung fortfahren. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen,
die daran nicht teilnehmen wollen, möglichst bald den
Saal zu verlassen, damit wir, so gewünscht, die Befragung
der Bundesregierung fortsetzen können.
Herr Koppelin, gilt Ihre vorhin im Rahmen der Befra-
gung der Bundesregierung gemachte Wortmeldung
noch? – Herr Kollege Koppelin, Sie haben das Wort.
Frau Staatssekretärin, Sie
haben vorhin in Ihrem Bericht dargelegt, welche positiven
Auswirkungen es in nächster Zeit auf solche Länder, zum
Beispiel auf Dänemark, geben kann, in denen noch eine
Abstimmung über die Einführung des Euro bevorsteht.
Darf ich Sie fragen, ob man im Kabinett auch darüber ge-
sprochen hat, dass in Dänemark in den letzten Wochen die
Zustimmung zum Euro erheblich abgenommen hat?
Nachdem sich früher in entsprechenden Umfragen
60 Prozent der Bevölkerung für den Euro ausgesprochen
hatten, befürworten jetzt nur noch 35 bis 40 Prozent die
Einführung des Euro. Der Grund dafür ist – selbst die dä-
nische Regierung, die sozialdemokratisch geführt ist, kri-
tisiert das – das Verhalten der größeren Staaten in der Eu-
ropäischen Union, zum Beispiel das Deutschlands, ge-
genüber Österreich. Dieses Verhalten hat dazu geführt,
dass in Dänemark die Zustimmung zum Euro so stark ge-
sunken ist. Wurde darüber im Kabinett gesprochen und,
wenn ja, in welcher Art und Weise wurde dieses Thema
behandelt?
D
Herr Kollege Koppelin,Bundesminister Eichel hat im Kabinett den Konvergenz-bericht vorgelegt. Dieser ist ohne Debatte gebilligt wor-den.Im Übrigen darf ich Sie darauf hinweisen, dass dieStimmung gegenüber dem Euro natürlich davon abhängt,welche Reformanstrengungen gerade in den großen Län-dern der Europäischen Union vorgenommen werden. Esist jetzt an der Bundesregierung, wider die Blockade derUnion raschestmöglich die Steuerreform durchzusetzen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000 10667
Eine Zu-
satzfrage.
Frau Staatssekretärin, Sie
haben gesagt, es habe zu dieser Vorlage keine Diskussion
im Kabinett gegeben. Ich finde es schon sehr bedenklich,
wenn uns dann in der Befragung der Bundesregierung
dieses Thema angeboten wird. Vielleicht sollte einmal ein
Thema präsentiert werden, wozu es im Kabinett eine Dis-
kussion gegeben hat.
Ich darf Sie aber noch eines fragen: Wie schätzen Sie
es ein, dass in Dänemark die Stimmung bezüglich des
Euro aufgrund des Verhaltens zum Beispiel Deutschlands
gegenüber Österreich total umschlägt? Halten Sie es an-
gesichts dessen, dass wir es hinbekommen sollten, dass
die Bevölkerung Dänemarks der Einführung des Euro zu-
stimmt, nicht für notwendig, dass sich das Verhalten der
großen Staaten der EU gegenüber Österreich möglichst
schnell ändert?
D
Wie Sie wissen, Herr Kol-
lege Koppelin, hat die österreichische Bundesregierung
zugestimmt, drei Beobachter des Europarates in ihr Land
einzuladen. Dies wird die Voraussetzung dafür sein –
natürlich muss es ein positives Ergebnis geben, wovon ich
aber ausgehe –, dass die Europäische Union in ihrer Ge-
samtheit auf die Sanktionsmaßnahmen verzichtet.
Herr Kol-
lege Büttner.
Frau Staatssekretä-
rin, in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
heißt es:
Die Mitglieder des Bundestages können an die Bun-
desregierung Fragen von aktuellem Interesse im
Rahmen ihrer Verantwortlichkeit stellen, vorrangig
zur vorangegangenen Kabinettssitzung.
Nachdem die CDU keine Fragen von aktuellem Inte-
resse hatte und auch keine Fragen zur Kabinettssitzung,
möchte ich an Sie eine Frage stellen.
Die Bundesregierung bereitet ihre Kabinettssitzungen
sehr sorgfältig vor. In der Regel müssen die Unterlagen,
die vorbereiteten Papiere und Absprachen in der Sitzung
nicht erst ausführlich debattiert werden. Deswegen ver-
stehe ich auch, dass das Kabinett den Bericht ohne Aus-
sprache verabschiedet hat.
Mich aber interessiert im Zusammenhang mit dem
Konvergenzbericht: Ist die Bundesregierung auch im Ver-
gleich zu anderen Ländern in ihrer Einschätzung gestärkt
worden, bei ihren Konsolidierungsmaßnahmen zu blei-
ben? Wie wird, auch aufgrund der vorliegenden Unterla-
gen, von der Bundesregierung die politische Richtung be-
wertet – Sie hatten dies vorhin angeschnitten, ich möchte
aber nachfragen –, im Zuge der Steuerreform auf eine
Vereinheitlichung des europäischen Steuerrechts hinzu-
zielen?
D
Herr Kollege Büttner, Sie
haben selbstverständlich Recht: Die Unterlagen werden
in den Fachministerien sorgfältig vorbereitet, sodass die
Minister gut unterrichtet in die Kabinettssitzungen gehen
und sich selbstverständlich nicht immer Diskussionsbe-
darf ergibt, zumal man davon ausgehen kann, dass diese
Koalitionsregierung in einem guten Einvernehmen arbei-
tet.
Darüber hinaus möchte ich auf Ihre weitergehende
Frage antworten – ich hatte das schon bei meinen ein-
führenden Bemerkungen angesprochen –, dass im Hin-
blick auf die demographische Entwicklung in Westeuropa
allgemein, so auch in der Bundesrepublik Deutschland,
weitere Konsolidierungsanstrengungen dringend erfor-
derlich sind. Wir können die zukünftigen Generationen
nämlich nicht gleich zweimal belasten: zum einen mit den
steigenden Lasten aufgrund der immer älter werdenden
Bevölkerung und zum anderen mit den Lasten durch den
in der Vergangenheit von der alten Bundesregierung
aufgehäuften Schuldenstand.
Konsolidierungsanstrengungen sind also dringend not-
wendig, gerade auch für die Bundesrepublik Deutschland,
die ja in der Europäischen Union eine ökonomische
Führungsrolle übernehmen muss, und zwar allein auf-
grund ihrer Größe. Ihr bleibt letztlich überhaupt keine
Wahl, ob sie nun will oder nicht. Auch wenn sie die poli-
tische Führungsrolle nicht übernehmen wollte, sondern
dies alles gemeinschaftlich geregelt wird, so bleibt die
ökonomische Führungsrolle sozusagen gegeben. Es be-
steht also keine andere Möglichkeit: Die Bundesrepublik
Deutschland muss endlich wieder wie früher – das ist in
den vergangenen Jahren verloren gegangen – die Funk-
tion einer Lokomotive in der Europäischen Union über-
nehmen, und zwar durch reformerische Anstrengungen,
die den Aufschwung in ganz Europa festigen und stärken.
Dazu ist unbedingt die Verabschiedung der Steuer-
reform erforderlich, die ja leider bis jetzt aus nicht ein-
sehbaren Gründen von der Unionsseite blockiert worden
ist. Wir sind aber zuversichtlich, dass wir am Freitag
nächster Woche im Bundesrat eine Zustimmung erlangen
werden. Dies halten wir für unbedingt erforderlich, um
ein Scheitern der Reform zu verhindern.
Ich lasse
noch eine letzte Frage zu diesem Themenbereich zu. Herr
Kollege Hintze.
Frau Staatssekretärin, wirbedauern es, dass Sie die Tatsache Ihrer Abwesenheit imKabinett nun durch Polemik gegen die Opposition auszu-gleichen versuchen. Aber wir werden den Vorgang ja nochparlamentarisch nachbereiten.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 200010668
Nun zu meiner Frage: Können Sie mir sagen, welcheEuro-Mitgliedsländer derzeit noch Mittel aus dem Kohä-sionsfonds erhalten und welche Auffassung die Bundes-regierung zu diesen Zahlungen vertritt?D
Es erhalten zurzeit noch
die südeuropäischen Länder Mittel aus dem Kohäsions-
fonds. Dies war während der deutschen Präsidentschaft
im Januar 1999 verabredet worden. Es wäre sicherlich
auch nicht sachgerecht gewesen, beispielsweise Portugal
und Spanien nicht mehr mit Kohäsionsfondsmitteln zu
versorgen, weil diese Länder in der Tat einen Nachhol-
bedarf haben. Dies ist im Zusammenhang mit der Agen-
da 2000 aber als auslaufend festgelegt worden.
Die Zeit
für die Regierungsbefragung ist abgelaufen; es tut mir
Leid, Herr Kollege Hintze.
– Eine ganz kurze Nachfrage; aber dann müssen wir wirk-
lich zum Ende kommen.
Ist Ihrer Antwort zu ent-
nehmen, dass Irland keine Mittel mehr aus dem Kohäsi-
onsfonds bekommt?
D
Das dürfen Sie meiner Ant-
wort nicht entnehmen, weil ich „insbesondere die südeu-
ropäischen Länder“ gesagt habe.
Gibt es
Fragen zu einem anderen Themenbereich als dem von der
Bundesregierung angesprochenen? – Herr Kollege
Koppelin.
Ich frage die Bundesregie-
rung, ob Meldungen unter anderem im „Stern“, aber auch
von Agenturen zutreffen, dass die Bundesregierung eine
Genehmigung für den Export von Panzerfäusten nach
Saudi-Arabien erteilt hat. Falls die Bundesregierung er-
klären sollte, sie antworte darauf nicht, weil das eine
Frage zum Bundessicherheitsrat ist, möchte ich wissen,
ob die Bundesregierung endlich der Frage nachgeht, wie
so etwas – einschließlich Abstimmungsverhalten usw. –
an die Öffentlichkeit kommt. Das hatten wir ja früher
schon. Ich habe jetzt auch gelesen – für eine Aussage des
Herrn Staatsministers wäre ich dankbar –, dass man beim
letzten Mal, als solche Dinge an die Öffentlichkeit kamen,
Ermittlungen angestellt hat. Können Sie uns sagen, wann
wir mit einem Ergebnis der Ermittlungen rechnen kön-
nen?
Bitte
schön, Herr Staatsminister.
H
Herr Kollege Koppelin, Sie wissen, dass ich Presse-
berichte über Beratungen des geheim tagenden Bundes-
sicherheitsrates hier grundsätzlich nicht kommentiere
und dass ich auch zu laufenden Ermittlungen in diesem
Zusammenhang nicht Stellung nehmen kann.
Eine Zu-
satzfrage, Herr Kollege Koppelin.
Herr Staatsminister, auf-
grund Ihrer Antwort gehe ich davon aus, dass jetzt endlich
tatsächlich ermittelt wird. Ich möchte ja über die laufen-
den Ermittlungen nichts erfahren, hätte aber gern ge-
wusst, wann Sie mit einem Ende der Ermittlungen rech-
nen.
Herr
Staatsminister.
H
Herr Kollege Koppelin, angesichts der Gewaltentei-
lung liegt es nicht in der Hand der Bundesregierung, wann
Ermittlungsverfahren zu einem Abschluss oder Ergebnis
kommen.
Ich be-ende die Befragung der Bundesregierung.Bevor wir zum nächsten Tagesordnungspunkt kom-men, gebe ich Ihnen bekannt, dass der Präsident des Deut-schen Bundestages entschieden hat, dass die von der PDSbeantragte Aktuelle Stunde heute im Anschluss an dieFragestunde aufgerufen wird.Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 2:Fragestunde– Drucksache 14/3722 –Die dringlichen Fragen, Drucksache 14/3755, wurdenzurückgezogen.Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.Die Fragen 1 und 2 werden schriftlich beantwortet.Wir fahren fort mit dem Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung der Fra-gen steht die Parlamentarische Staatssekretärin ChristaNickels zur Verfügung.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000
Peter Hintze10669
Ich rufe Frage 3 des Abgeordneten Detlef Parr auf:Stimmt die Bundesregierung der Auffassung zu, dass die bis-her sehr geringe Zahl medikamentöser Schwangerschaftsab-brüche mit Mifegyne auf eine unsachgemäße Kostenregelungzurückzuführen ist und deshalb eine Wahlmöglichkeit zwischenmedikamentösem und instrumentellem Schwangerschaftsabbruchin Wirklichkeit nicht besteht?Frau Nickels, bitte schön.C
Herr Präsident! Lieber Kol-
lege Parr, die Bundesregierung hat Verständnis für die
Sorge, dass die tatsächliche Wahlmöglichkeit zwischen
medikamentösen und instrumentellen Schwangerschafts-
abbrüchen durch die Vergütungsregelungen für ärztliche
Leistungen beeinflusst werden könnte. Es ist Aufgabe der
Selbstverwaltung, und zwar hier des Bewertungsaus-
schusses, der aus Vertretern der Kassenärztlichen Bun-
desvereinigung und den Spitzenverbänden der Kranken-
kassen zusammengesetzt ist, Bewertungen von Leistun-
gen vorzunehmen.
Es ist immer wieder festzustellen, dass diese Bewer-
tungen aufgrund verschiedener Interessen von den Betei-
ligten kritisch gesehen werden. Zur Kostenregelung bei
Schwangerschaftsabbrüchen mittels Mifegyne hat sich
Pro Familia unter anderem an das Bundesministerium für
Gesundheit gewandt. Unser Haus hat hierzu den Bewer-
tungsausschuss um Stellungnahme gebeten.
Aufgrund der unserem Haus vorliegenden Stellung-
nahme des Bewertungsausschusses besteht Klärungsbe-
darf, und zwar vor allen Dingen im Hinblick auf die
Frage, inwieweit aufgrund der beim medikamentösen
Schwangerschaftsabbruch möglichen Komplikationen,
zum Beispiel Nachkürettagen, in den Einrichtungen, die
solche Schwangerschaftsabbrüche durchführen, Bau- und
Ausrüstungsinvestitionen getätigt werden müssen, die ge-
gebenenfalls bei der Bemessung der Vergütung der Leis-
tungen berücksichtigt werden müssen. Diese Fragen sol-
len in den weiteren Gesprächen mit den Beteiligten erör-
tert werden.
Im Übrigen wurden in einem Expertengespräch der
SPD-Bundestagesfraktion am 28. Juni, an dem auch ein
Vertreter unseres Hauses teilgenommen hat, Hinweise da-
rauf gegeben, dass bei der Kostenregelung für medika-
mentöse Abbrüche Klärungsbedarf besteht. Wir beziehen
diese Punkte in die Gespräche, die stattfinden werden, ein.
Eine Zu-
satzfrage, Kollege Parr.
Frau Staatssekretärin, die Bun-
desländer sind in dieses Verfahren involviert. Ich möchte
Sie fragen, für wie wichtig Sie es erachten, dass die Bun-
desländer für die medikamentösen Schwangerschaftsab-
brüche, deren Kosten sie nach dem Gesetz zur Hilfe für
Frauen bei Schwangerschaftsabbrüchen in besonderen
Fällen erstatten, zu einer angemessenen und möglichst
bundesweit einheitlichen Vergütungsregelung kommen.
C
Herr Kollege Parr, am
28./29. Juni fand in Schwerin die Gesundheitsminister-
konferenz statt. Dort hat es einen Beschluss mit dem
Stimmenverhältnis 10 Ja-Stimmen zu 5 Nein-Stimmen
bei einer Enthaltung gegeben. Die Gesundheitsminister-
konferenz hat aus den Gründen, die auch Ihrer Frage zu
entnehmen sind, den Bewertungsausschuss dringend auf-
gefordert – ich zitiere aus dem GMK-Beschluss –,
auch unter Berücksichtigung der europäischen Er-
fahrungen und Berechnungsgrundlagen eine Neube-
wertung der ärztlichen Leistungen vorzunehmen, die
eine Kostendeckung ermöglicht.
Eine wei-
tere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, wie be-
werten Sie den Sachverhalt, dass im einheitlichen Bewer-
tungsmaßstab beim medikamentösen Schwangerschafts-
abbruch keine Bewertung der Nachbeobachtungszeit
vorgesehen ist, obwohl sich die Frau beim zweiten Arzt-
termin drei bis sechs Stunden in der Arztpraxis aufhält
und der Arzt in dieser Zeit ständig erreichbar sein und
eventuell auftretende Schmerzen adäquat behandeln
muss?
C
Ich sagte bereits in der Be-
antwortung Ihrer Frage, dass hier Erörterungsbedarf be-
steht. Wir werden diese Erörterungen vornehmen.
Frau Kol-
legin Lenke hat noch eine Zusatzfrage.
Welche Möglichkeit einzugreifen
sieht die Bundesregierung, wenn der Bewertungsaus-
schuss der neuen Bewertung nicht folgt, um für eine
Gleichbehandlung zwischen chirurgischem und medika-
mentösem Eingriff zu sorgen, damit mehr der Wille der
Frau und des Arztes zum Tragen kommt und nicht auf der
Grundlage von Kosten und Kostenerstattungen ent-
schieden wird?
C
Frau Kollegin, wenn Sie
und der Herr Präsident das gestatten, würde ich jetzt die
Frage 4 des Kollegen Parr beantworten, denn die Zusatz-
frage beinhaltet im Grunde die Frage 4. Somit könnte ich
durch die Beantwortung der Frage 4 beide Fragen gleich-
zeitig behandeln.
Herr Präsident, darf ich das im Rahmen der Beantwor-
tung der Frage 4 tun?
Ja.
C
Danke schön.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms10670
Wir kom-
men damit zur Frage 4 des Kollegen Detlef Parr:
Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um eine
dem Aufwand entsprechende Bewertung des medikamentösen
Schwangerschaftsabbruchs sicherzustellen und dadurch die An-
wendung einer vom Gesetzgeber zugelassenen Methode zu er-
leichtern?
C
Ich beantworte die Frage 4
des Kollegen Parr und Ihre Zusatzfrage dahin gehend,
dass es, wie ich bereits in der Beantwortung der Frage 3
ausgeführt habe, Aufgabe der Selbstverwaltung ist, die
Bewertung von medizinischen Leistungen eigenverant-
wortlich vorzunehmen. Wenn sich in den noch zu führen-
den Gesprächen, die ich hier auch schon angekündigt
habe, zeigen sollte, dass die Bewertung des medika-
mentösen Schwangerschaftsabbruchs den für die Bemes-
sung der Vergütung geltenden Kriterien nicht entspricht,
wird unser Haus im Rahmen seiner aufsichtsrechtlichen
Befugnis diese Fragen mit den den Bewertungsausschuss
tragenden Institutionen – gegenüber dem Bewertungsaus-
schuss haben wir keine aufsichtsrechtliche Kompetenz –,
das heißt der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und
den Spitzenverbänden der Krankenkassen, erörtern.
Eine Zu-
satzfrage, Kollege Parr.
Ich kann also, Frau Staatssekre-
tärin, davon ausgehen, dass wir angesichts der Zahlen, die
uns jetzt vorliegen, nämlich dass in der Bundesrepublik
im Durchschnitt 6,1 Prozent aller Abbrüche mit Mifegyne
und zum Beispiel in Frankreich 35 Prozent der Schwan-
gerschaftsabbrüche medikamentös durchgeführt werden,
daran arbeiten werden, die Wahlmöglichkeiten der Frau
fair auszuweiten, sodass sie wirklich Wahlmöglichkeiten
hat und nicht aufgrund der Kostenregelung de facto eine
Einschränkung ihrer Wahlmöglichkeiten hinnehmen
muss?
C
Herr Kollege Parr, über Mi-
fegyne ist hier lange diskutiert worden. Es ist jetzt unter
besonders strikten Vertriebswegen als Medikament zuge-
lassen. Hier gibt es einen Sondervertriebsweg. Hinter-
grund ist der, dass bei entsprechender Indikation durch
den Arzt bei strafrechtlich nicht sanktionierten Abbrüchen
die geeignetere Abbruchmethode für die Frau zur Verfü-
gung stehen soll. Selbstverständlich ist es im Interesse un-
seres Hauses, dass wir das, was uns möglich ist, dazu leis-
ten. Ich habe Ihnen dargelegt, wie wir im Augenblick mit
dieser Problematik umgehen.
Weitere
Zusatzfragen? – Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundes-
kanzleramtes. Zur Beantwortung steht der Staatsminister
Dr. Michael Naumann zur Verfügung.
Ich rufe Frage 5 des Abgeordneten Jürgen Koppelin
auf:
Wie hoch schätzt die Bundesregierung zurzeit die Gesamtkos-
ten für die Baumaßnahme Stiftung Denkmal für die ermordeten
Juden Europas und wie schlüsseln sich die Kosten auf?
Herr Staatsminister.
D
Herr Abgeordneter Koppelin, die Frage nach der
haushaltsmäßigen Vorkehrung bzw. nach der Abschät-
zung der Kosten für das Denkmal für die ermordeten Ju-
den Europas überrascht mich insofern, als der Abgeord-
nete Ihrer Fraktion, Herr Otto, im Kuratorium bereits sehr
feste Vorstellungen darüber zu haben scheint, wie viel das
Denkmal kosten wird, und diese Vorstellungen auch der
Presse gegenüber – übrigens entgegen allen Vereinbarun-
gen des Kuratoriums – zum Besten gegeben hat. Er spricht
von 50 Millionen DM und mehr.
Tatsache ist, dass eine genaue Kostenkalkulation bis-
her nicht vorliegt. Die wirklichen Kosten werden von der
Gestalt des vom Bundestag mit überwältigender Mehrheit
beschlossenen Ortes der Information, aber auch von der
Untersuchung des Baugrundstücks, der Statik der Stelen
und Ähnlichem abhängen.
Der Architekt Peter Eisenman wird morgen eine erste
vorläufige Kostenanalyse vorlegen. Diese wird selbstver-
ständlich den in derlei Angelegenheiten normalen Gang
gehen. Wenn eine Unterlage Bau vorliegt, die von der hie-
sigen Baubehörde geprüft worden ist, werden wir schließ-
lich im Kuratorium für den Bau des Denkmals für die er-
mordeten Juden Deutschlands mit einer genauen Kosten-
analyse konfrontiert werden. Dann wird selbstverständ-
lich der Bundestag, der das gesamte Vorhaben beschlos-
sen hat, von der Stiftung mit den dann fälligen Kosten
konfrontiert werden.
Eine Zu-
satzfrage, Kollege Koppelin.
Herr Staatsminister, ersteinmal stelle ich fest, dass Sie meine Frage überhauptnicht beantwortet haben; aber wir können der Sache nunetwas nachgehen. Wenn Sie morgen eine Kuratoriumssit-zung haben und Sie eben sagten, dass der Architekt mor-gen die entsprechende Kostenanalyse vorlegen wird, darfich dann davon ausgehen, dass Sie bereits über diese Kos-tenanalyse durch den Architekten informiert worden sind,oder gehen Sie morgen völlig ahnungslos in diese Sit-zung, um dann zu erfahren, welche Kosten der Architektausgerechnet hat? Wollen Sie behaupten, dass die Zahlen,die mein Kollege Joachim Otto genannt hat und die Sie er-wähnt haben, die auch zum Beispiel heute in der „taz“wieder zu finden sind
– ich schätze es auch sehr und das sollten Sie vielleichtauch tun –, auf jeden Fall und eindeutig falsch sind?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000 10671
D
Herr Abgeordneter, diese Zahlen sind auf jeden
Fall und eindeutig nicht von mir und auch nicht von ir-
gendeinem anderen Mitglied der Regierung,
sondern dies ist eine rein aus der Luft gegriffene Kalkula-
tion. Diese Zahlen sind in dieser Form auch in keiner der
Kuratoriumssitzungen, an denen ich teilgenommen habe,
genannt worden.
Das heißt, die erste Kostenschätzung des Architekten
Eisenman wird womöglich morgen vorgelegt werden. Ich
kenne sie nicht; das sage ich mit aller Inbrunst. Es ist auch
nicht die Aufgabe irgendeines Mitglieds des Kuratoriums,
im Vorfeld dieser Entscheidungen, die das gesamte Kura-
torium zu treffen hat, Extrainformationen einzuholen.
Hierfür gibt es eine Geschäftsführerin der Stiftung, Frau
Sibylle Quack. Wenn überhaupt, dann verfügt sie über
diese Zahlen. Ich halte es nicht für meine Aufgabe, im
Vorfeld der Diskussion über dieses bekannterweise
schwierige Thema Spezialinformationen für mich selbst
oder für die Regierung einzuholen. Es handelt sich
schließlich um ein Gremium, in dem verschiedene Inte-
ressengruppen, das heißt das Parlament, die Initiative, das
Land und auch die jüdische Gemeinde, vertreten sind. Es
ist also keine Regierungskommission, sondern ein Stif-
tungskuratorium.
Ihre
zweite Zusatzfrage, Kollege Koppelin.
Herr Staatsminister, erin-
nere ich mich richtig, dass im Vorfeld der Entscheidung
des Parlaments über dieses Mahnmal von etwa 15 Milli-
onen DM gesprochen wurde? Wie kam man dann auf die
von Ihnen genannten Zahlen?
Sie sagen, die Zahlen würden morgen vorgelegt. Darf
ich Sie in diesem Zusammenhang fragen: Wann wird die
Entscheidung darüber getroffen? Wann werden wir also
wissen, wie viel es kostet? Wird die Entscheidung morgen
fallen? Das geht wahrscheinlich nicht; denn die Zahlen,
die morgen auf den Tisch gelegt werden, müssen erst ein-
mal geprüft werden. Es kann demnach erst viel später ent-
schieden werden. Das heißt, ich gehe davon aus: Morgen
findet keine Entscheidung statt.
D
Die Bundesregierung hat dafür in ihrem Haushalt
für das nächste Jahr, also 2001, einen Ansatz von 3 Milli-
onen DM und eine Verpflichtungsermächtigung von
12 Millionen DM vorgesehen, und zwar in Widerspiege-
lung einer auf keinerlei genauen Kostenanalysen beru-
henden ursprünglichen Kalkulation der vorherigen Regie-
rung. Diese Kalkulation in Höhe von insgesamt 15 Milli-
onen DM war gewissermaßen über den Daumen gepeilt.
Alle anderen Zahlen, ob sie tiefer oder höher liegen,
sind buchstäblich aus der Luft gegriffen. Zum Beispiel hat
niemand kalkuliert – auch der Architekt nicht – wie viel
eine der circa 2 700 Stelen kosten wird.
Morgen wird im Kuratorium die erste Kosteneinschät-
zung durch den Architekten vorgelegt. Das ist seine Auf-
gabe. Nachdem eine Unterlage Bau erstellt worden ist,
wird diese Kosteneinschätzung von der Bundesbau-
behörde respektive von der Baubehörde Berlins konkreti-
siert werden müssen. Diese Konkretisierung wird dem
Kuratorium vorgelegt. Aber die Entscheidung über die
Gesamthöhe der Denkmalskosten obliegt selbstverständ-
lich dem Souverän, also Ihnen.
Keine
weiteren Zusatzfragen.– Vielen Dank, Herr Staatsminis-
ter.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Zur
Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Siegfried Scheffler zur Verfügung.
Ich rufe Frage 6 des Kollegen Rudolf Kraus auf:
Wie erklärt die Bundesregierung die Ablehnung eines Fern-straßensonderbauprogramms „Europäische Einheit“ analog zumnoch laufenden Programm „Deutsche Einheit“, wo doch geradedas Programm „Deutsche Einheit“ einen allseits anerkannten Bei-trag zum Zusammenwachsen der alten und der neuen Bundeslän-der geleistet hat?
S
Lie-
ber Kollege Kraus, der Bundesregierung ist ein derartiges
europäisches Fernstraßensonderbauprogramm nicht be-
kannt. In der Entscheidung des Europäischen Parlaments
und des Rates Nr. 1692/96/EG vom 23. Juli 1996 über Ge-
meinschaftliche Leitlinien für den Aufbau eines transeu-
ropäischen Verkehrsnetzes, den so genannten TEN-Leitli-
nien, wird neben den Netzen anderer Verkehrsträger auch
ein transeuropäisches Straßennetz ausgewiesen. Es um-
fasst neben bestehenden Straßenverbindungen aus-
gewiesene Vorhaben von gemeinsamen Interessen, die auf
den jeweiligen Planungen in den Mitgliedstaaten beruhen.
Eine Zu-
satzfrage, Kollege Kraus.
Herr Staatssekretär, ich
sprach nicht von einem bestehenden Fernstraßenpro-
gramm „Europäische Einheit“, sondern von dem Antrag
der CDU/CSU zur Einführung eines derartigen Pro-
gramms und von der Unterstützung der Bundesregierung
für dieses Programm. Warum ist die Bundesregierung
nicht bereit – können Sie das bitte in wenigen Worten sa-
gen –, der Erstellung eines solchen Programms zuzu-
stimmen und es zu fördern?
S
Kol-lege Kraus, Sie wissen natürlich, dass die transeuropäi-schen Leitlinien vom 23. Juli 1996 als Orientierungsrah-men das transeuropäische Verkehrsnetz definieren, dasmit einem Gesamtinvestitionsvolumen von circa 400Mil-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 200010672
liarden Euro im Zeitraum bis 2010 ausgewiesen ist undschrittweise realisiert werden soll. Aber der damalige Pla-nungsstand in den Mitgliedstaaten – für Deutschland von1992 – wurde hier als Grundlage genommen.Ihre Regierung selbst hat diesen Planungsstand alsGrundlage für den Bundesverkehrswegeplan genommen,der eine Laufzeit nicht etwa bis 1998, sondern bis zumJahre 2012 hat. Insofern wäre es der alten Bundesregie-rung unbenommen gewesen, dieses europäische Fern-straßensonderbauprogramm einzuleiten.
Eine wei-
tere Zusatzfrage, Kollege Kraus.
Heißt das, Herr Staatsse-
kretär, Sie sind der Meinung, zurzeit der alten Regierung
wäre ein derartiges Programm ein gutes Programm gewe-
sen; die neue braucht das nicht?
S
Die
neue Bundesregierung hat das so genannte TEN-Zu-
schussprogramm 2000 beantragt. Sie wissen natürlich,
dass bezüglich der Straßenprojekte letztendlich nur we-
nige Abschnitte aufgenommen wurden. Ich erinnere noch
einmal an die A 11 – Berlin bis zur Bundesgrenze
Deutschland/Polen –, an die A 3 – Aschaffenburg–Hös-
bach – oder an die A8 – Zweibrücken–Besch. Weitere be-
antragte Maßnahmen wurden hier nicht aufgenommen.
Ich möchte Ihnen insofern Recht geben: Ich weiß, dass
die Belastung insbesondere hinsichtlich der EU-Erweite-
rung groß sein wird. Man denke an die A 6 oder die Euro-
pastraße von Paris bis Prag, obwohl Abgeordnete im
Haushaltsausschuss gesagt haben: Wer fährt da? Die Bun-
desregierung hat dahin gehend reagiert, dass bezüglich
des Anti-Stau-Programms ab 2003 insbesondere im Raum
Baden-Württemberg, wo planfestgestellte, also baureife
Abschnitte vorlagen, zusätzlich über 400 Millionen DM
bereitgestellt wurden. Damit trägt sie der Bedeutung die-
ser europäischen Straße Rechnung.
Eine wei-
tere Zusatzfrage, bitte schön, Herr Kollege Hofbauer.
Herr Staatssekretär,
Sie wissen um die Bedeutung der A 6, weil über sie schon
wiederholt diskutiert wurde. Tatsache ist, dass es neben
der deutschen Wiedervereinigung – hier sind finanzielle
Mittel gebunden worden; es war richtig und notwendig –
auch eine Öffnung der Grenze Deutschland/Tschechien
gegeben hat. Der Verkehr ist explodiert. Wir haben hier
nicht konsequent genug reagiert. Der Verkehr wird weiter
ansteigen, wenn die Osterweiterung der EU kommt.
Warum ist man von der Bundesregierung nicht bereit,
gerade im Hinblick auf die Osterweiterung zu sagen: Wir
brauchen ein ähnliches Programm wie die Verkehrspro-
jekte „Deutsche Einheit“, um mit den Ost-West-Verbin-
dungen voranzukommen? Wir kommen ansonsten mit
dem Verkehr nicht mehr zurecht. Es ist seit der Fertigstel-
lung der Autobahn in Tschechien auf der A 6 eine Zu-
nahme des Verkehrs um 60 Prozent innerhalb von drei
Jahren zu verzeichnen. Dieser Druck wird bei der Ost-
erweiterung noch wesentlich verstärkt. Warum will die
Bundesregierung nicht reagieren? Das sind Themen, die
sich erst in den letzten Jahren entwickelt haben.
S
Ich
kann als Abgeordneter des Deutschen Bundestages – Sie
waren in der letzten Legislaturperiode ebenfalls mit dem
Problem der A 6 befasst – an sich nur konstatieren, dass
die alte Bundesregierung hier entsprechend mehr Druck
hätte machen können.
Ich darf Ihnen sagen, dass die neue Bundesregierung
im Rahmen der planfestgestellten Abschnitte zusätzliche
Mittel bereitgestellt hat. Ich denke zum Beispiel auch an
die hoch prioritären Maßnahmen in Liste 1 des IP 1999 bis
2003. Wir wollen dieser europäischen Transversale
durchaus zustimmen. In diesem Punkt sind wir überhaupt
nicht weit auseinander. Aber Sie wissen natürlich auch,
dass für einige Abschnitte der A 6 noch keine Bau-
reife vorliegt. Der ehemalige Bundesverkehrsminister
Wissmann hat versucht, entsprechende Mittel einzustel-
len. Auf dieser Grundlage werden wir die Mittel bis zum
Jahre 2004 verbauen.
Eine Zu-
satzfrage.
Herr Staatssekretär, be-
deutet dies, dass die Bundesregierung nach Abschluss der
Planfeststellung der gesamten Maßnahme bezüglich der
A 6 weitere Mittel zur Verfügung stellt?
S
Wir
können im Rahmen der klassischen Haushaltsfinanzie-
rung zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine zusätzlichen
Mittel zusagen. Ich erinnere daran, dass Minister Klimmt
schon zusätzliche Mittel in Höhe von über 400 Millio-
nen DM für die A 6 in Baden-Württemberg mobilisiert
hat. Wir werden uns aber bemühen – die Aussage ist nicht
anders als im vorigen Jahr –, im Laufe der nächsten zehn
Jahre entsprechend der mündlichen Vereinbarung mit der
tschechischen Regierung insbesondere östlich Pfreimd
bis zur Grenze Deutschland/Tschechien die Baumaßnah-
men abzuschließen.
Wir kom-
men zur Frage 7 des Kollegen Kraus:
Ist die Bundesregierung bereit, den Bau der Autobahn A6 zeit-nah zu realisieren und soll dies wesentlich schneller geschehen,als in den jetzigen Finanzplanungen vorgesehen, wie dies Aussa-gen von Abgeordneten der Koalitionsfraktionen nahe legen?
S
HerrKollege Kraus, entsprechend der Bedeutung, die die
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000
Parl. Staatssekretär Siegfried Scheffler10673
Bundesregierung der A 6 – das kam eben schon teilweisein den Zusatzfragen zum Ausdruck – im nationalen undim europäischen Autobahnnetz beimisst, verfolgt sie, wieihre Vorgängerin, ihren kontinuierlichen Ausbau. Prioritäthat dabei der Abschnitt Pfreimd–Waidhaus aufgrund derVereinbarung mit der tschechischen Regierung, die D 5Prag–Pilsen–Waidhaus baldmöglichst an das deutscheAutobahnnetz anzubinden. Hierfür wird die durchge-hende Fertigstellung innerhalb der nächsten zehn Jahreangestrebt.
Eine Zu-
satzfrage, Herr Kollege Kraus, bitte.
Habe ich Sie insofern
richtig verstanden, als letztlich die Baureife keine Rolle
spielt?
S
Die
Baureife spielt selbstverständlich eine große Rolle. Sie
spielt insbesondere eine große Rolle bei den Kriterien, die
bei der Aufnahme von Projekten in das Anti-Stau-Pro-
gramm und in das Investitionsprogramm für die Jahre
1999 bis 2002 zugrunde gelegt wurden. Die Baureife hat
sowohl eine rechtliche als auch eine finanzielle Bedeu-
tung.
Die rechtliche Bedeutung ist schon damals bei
den Ausführungen des damaligen Verkehrsministers
Wissmann – Ihnen ist seine Pressemitteilung bekannt –
zum Ausdruck gekommen: Auch er hat sich finanziell nur
für bestimmte Abschnitte festlegen können. Im Übrigen
hat er auch davon gesprochen, dass in einem Netz eine
Entlastung der Oberpfalz durch andere Strecken erfolgen
soll. Ich nenne hier die A6 Amberg/Ost, die B 85, die A93
bis Pfreimd, dann die A 6 zwischen Woppenhof und
Lohma unter Einbeziehung der D 15. Neben der A 6 wer-
den also auch Bundesstraßen zur Verbesserung der Ver-
kehrsverhältnisse herangezogen.
Eine wei-
tere Zusatzfrage, Herr Kollege Kraus.
Ich kann verstehen, dass
Sie mit allen möglichen Straßenbauprojekten herumeiern.
Danach wurde von mir nicht gefragt. Ich habe nach dem
Weiterbau der A 6 gefragt. Mir geht es insbesondere da-
rum: Ist diese Bundesregierung bereit und in der Lage, so
zu verfahren, wie es die alte Regierung vorgesehen hatte,
nämlich zu finanzieren, wenn Baureife besteht? Ich bitte
auch zu beachten, dass der alten Bundesregierung bedeu-
tend mehr Mittel für die bereits baureifen Bauabschnitte
zur Verfügung standen. Sie können diese Frage ganz ein-
fach beantworten: Ja oder nein? Wenn Sie ehrlich sind,
müssten Sie mit einem Nein antworten.
S
Das
weise ich erst einmal zurück. Insofern antworte ich weder
mit einem Ja noch mit einem Nein. Die alte Bundesregie-
rung – das wissen Sie ganz genau – hat im Januar 1997 zu-
sätzlich 100Millionen DM für den Zeitraum von 1997 bis
2001 zur Verfügung gestellt. Dies beinhaltete natürlich,
dass Streckenabschnitte ihre Baureife erreicht hatten oder
dass ein Streckenabschnitt planfestgestellt war. Sie wis-
sen, dass nicht nur 1998, als die neue Bundesregierung die
Verantwortung übernahm, sondern auch bis zum heutigen
Tag von Amberg/Ost bis Waidhaus einige Strecken-
abschnitte noch keine Baureife erlangt haben. Bei der Be-
antwortung der nächsten vier Fragen kommen wir darauf
konkret zurück. Insgesamt werden bis 2004 übrigens
nicht 100 Millionen DM, sondern insgesamt 280 Milli-
onen DM ausgegeben. Die 100 Millionen DM bis 2001 –
Herr Wissmann wies darauf hin – sind darin enthalten.
Wir kom-
men dann zur Frage 8 des Kollegen Georg Girisch:
Gilt die Zusicherung, die Bundesregierung verfolge den Aus-
bau des Bundesautobahnennetzes insbesondere auch unter
Berücksichtigung transeuropäischer Verbindungen, noch immer
für die A6, und würde die Bundesregierung im Falle eines raschen
Abschlusses der Planfeststellung des Autobahnabschnittes Am-
berg/Ost–Pfreimd der A6 bereit sein, zusätzliche Mittel – über den
vorliegenden Investitionsplan 1999 bis 2002 des Bundesministe-
riums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen hinaus – einzupla-
nen?
S
Kol-
lege Girisch, zunächst einmal: Ja. Für die Bundesregie-
rung zählt die A 6 unverändert zu den maßgebenden
Strecken im nationalen wie im europäischen Autobahn-
netz. Entsprechend der Vereinbarung mit der tschechi-
schen Regierung – ich komme auf meine Antwort auf die
ersten Frage zurück –, die D 5, Prag–Pilsen–Waidhaus,
möglichst bald an das deutsche Autobahnnetz anzu-
schließen, strebt die Bundesregierung die Fertigstellung
des Abschnitts Pfreimd –Waidhaus innerhalb der
nächsten zehn Jahre an. Dies hat Priorität vor dem
Lückenschluss Amberg/Ost–Pfreimd.
Zusatz-
frage, Herr Kollege Girisch.
Herr Staatssekretär, Sie
sprechen immer von „Planfeststellung“. Wir können da-
von ausgehen, dass in der nächsten Woche die Planfest-
stellung für die gesamte Strecke vorgelegt wird. Diese
planfestgestellte Trasse erfüllt dann alle Voraussetzungen
für das Anti-Stau-Programm. Sind Sie wenigstens dann
bereit, wenn die Voraussetzungen für das Anti-Stau-Pro-
gramm erfüllt sind, zusätzliche Mittel für die A 6 bereit-
zustellen?
S
DieBundesregierung hat dem deutschen Parlament ein Anti-Stau-Programm oder Engpassbeseitigungsprogramm vor-gestellt, das im Anschluss an unser Investitionsprogrammab dem Jahre 2003 realisiert wird. Es mussten im Rahmendes laufenden Bedarfsplans Kriterien festgelegt werden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000
Parl. Staatssekretär Siegfried Scheffler10674
In das Anti-Stau-Programm sollen die Streckenabschnitteaufgenommen werden, auf denen 65 000 Kfz innerhalbvon 24 Stunden fahren, bei denen die Planfeststellung ab-geschlossen ist bzw. die Baureife vorliegt. Solche Ab-schnitte wurden in das Anti-Stau-Programm in einer Höhevon 7,4 Milliarden DM – davon 50 Prozent für dieStraße – aufgenommen. Ich habe bereits festgestellt, dassdie Streckenabschnitte, bei denen die Kriterien, die dieBundesregierung festgelegt hat, vorlagen, in das Anti-Stau-Programm hineinkommen. Das ist zum Beispiel inBaden-Württemberg bei insgesamt sechs Streckenab-schnitten mit 491,6 Millionen DM der Fall. Insofern kön-nen Maßnahmen – das betrifft auch andere stark belasteteStreckenabschnitte, die in der Zwischenzeit vielleicht dieBaureife erlangt haben – nicht mehr zusätzlich aufge-nommen werden.
Eine wei-
tere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, bei
der alten Bundesregierung war es üblich, dass Mittel zur
Verfügung gestellt wurden, wenn planfestgestellt war. Ist
die Bundesregierung bereit, den Teilabschnitt der A 6, der
wahrscheinlich in der nächsten Woche planfestgestellt
wird, im nächsten Jahr zu finanzieren?
S
Herr
Kollege Girisch, Sie haben im Debattenverlauf bzw. bei
der Beantwortung Ihrer Fragen gemerkt, dass ich bisher
überhaupt nicht politisch argumentiert habe. An dieser
Stelle möchte ich es aber doch tun. Vor dem Hintergrund
der Haushaltskonsolidierung steht uns nicht unendlich
viel Geld zur Verfügung. Dies liegt auch an der Erblast der
alten Bundesregierung, die 1,5 Billionen DM Schulden
hinterlassen hat. Fast jede vierte Mark muss zur Tilgung
der Zinsen ausgegeben werden. Wir haben auf hohem Ni-
veau begrenzte Mittel im Haushalt 2001 für Fernstraßen,
für Autobahnen und für Ortsumgehungen zur Verfügung.
Aber das Bundesverkehrsministerium soll bis zu der im
Herbst turnusmäßig stattfindenden Besprechung zwi-
schen Bund und Straßenbauverwaltung des Freistaates
Bayern für Maßnahmen, die im Übrigen in Liste 2 des
Investitionsprogramms aufgenommen worden sind, zu-
sätzliche Mittel, die zum Beispiel durch Reduzierung der
globalen Minderausgaben freigesetzt werden sollen, mo-
bilisieren.
Eine Zu-
satzfrage, Kollege Kraus.
Herr Staatssekretär, Sie
sprachen bisher von „auf hohem Niveau“. Aber Sie wis-
sen, dass dieses so genannte hohe Niveau deutlich hinter
den Vorstellungen der alten Bundesregierung zurück-
bleibt. Können Sie mir vor diesem Hintergrund erklären,
warum Teilabschnitte der A 6 östlich von Amberg, die be-
reits jetzt baureif sind, nicht in das Anti-Stau-Programm
aufgenommen worden sind?
S
Das
betrifft – ich möchte mich eigentlich nicht wiederholen –
Streckenabschnitte östlich von Amberg – diese hatten Sie
angesprochen –, die noch nicht baureif sind.
Für die Abschnitte, die baureif sind, haben wir ent-
sprechende Mittel bereitgestellt, sodass sie in den nächs-
ten zehn Jahren, so wie es von der Bundesregierung im
vorigen Jahr zugesagt wurde, bis Waidhaus fertig gestellt
werden können.
Eine Zu-
satzfrage, Kollegin Ostrowski.
Herr Staatssekretär, er-
innere ich mich im Zusammenhang mit der Frage der Fi-
nanzierung richtig, dass die alte Bundesregierung einen
Bundesverkehrswegeplan hinterlassen hat, der zu 80 Mil-
liarden bis 90 Milliarden DM unterfinanziert war?
S
Ich
stimme Ihnen zu, Kollegin Ostrowski. Experten und un-
abhängige Sachverständige sprechen sogar von einer
Unterfinanzierung von bis zu 100 Milliarden DM. Das
Problem ist, dass nach den Planungen der alten Bundes-
regierung Projekte im Umfang von circa 25 Milliar-
den DM bis zum 31. Dezember 1998 eigentlich fertig ge-
stellt sein sollten. Insofern besteht natürlich ein enger
Zusammenhang zwischen Staatsverschuldung und unter-
finanziertem Bundesverkehrswegeplan. Trotz allem ist
die neue Bundesregierung bemüht, die entsprechenden
Abschnitte der A 6 bis zur tschechischen Grenze zügig –
die Zügigkeit ist natürlich von der Baureife und auch von
den Finanzen abhängig –, also in den nächsten zehn Jah-
ren, fertig stellen zu lassen.
Eine Zu-satzfrage, Kollege Fischer.Axel E. Fischer (CDU/CSU): HerrStaatssekretär, ich bin zuerst einmal beruhigt, dass Sie inzehn Jahren nicht mehr an der Regierung sein werden. In-sofern wird sich das Thema von alleine erledigen.Sie haben vorhin – das möchte ich vorwegschicken –dargestellt, was die Regierung alles für den Straßenbau tut.Ich möchte festhalten, dass Sie die Bürger durch die Öko-steuer massiv abzocken, gerade auch im Straßenbaube-reich, und dass Sie
– ich stelle gleich die Frage – die Mittel für den Straßen-bau kontinuierlich reduzieren, seit Sie an der Regierung
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000
Parl. Staatssekretär Siegfried Scheffler10675
sind. Ich möchte jetzt gar nicht von einem Steinbruchsprechen. Wären Sie bereit, sich dafür einzusetzen, dassdie Mittel, die Sie durch die Ökosteuer, die unter anderemauch auf Benzin erhoben wird, abkassieren, in denStraßenbau investiert werden?
S
Ich
denke, Sie kennen die Koalitionsvereinbarung. Wir wer-
den die zusätzlichen Mittel – unabhängig davon, ob sie
aus der Erhebung einer streckenbezogenen LKW-Gebühr
oder von woandersher stammen – für den Straßenbau und
für Schienenprojekte, aber auch für den Ausbau und Er-
halt unserer Bundeswasserstraßen einsetzen, um den Stra-
ßenverkehr mehr auf andere Verkehrsträger zu verlagern.
Ein solcher Zusammenhang besteht.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass die jet-
zige Bundesregierung die erste Bundesregierung ist, die
zum Beispiel ein zusätzliches EFRE-Programm für die
neuen Bundesländer aufgelegt hat, um den Ausbau der
Verkehrsinfrastruktur in den neuen Bundesländern durch
Bereitstellung von zusätzlichem Kapital zu beschleu-
nigen.
Das Wort Steinbruch wurde im Ausschuss schon einmal
verwendet. Sie sollten ruhig einmal anerkennen, dass – ich
sage das noch einmal – vor dem Hintergrund der schwieri-
gen Haushaltskonsolidierung, die Sie uns als Erblast hinter-
lassen haben, die in zähen Verhandlungen zustande ge-
kommene Reduktion der globalen Minderausgabe von
über 1 Milliarde DM auf bis zu 88 Millionen DM ein Er-
folg ist. Nach wie vor werden 54 Prozent der Mittel des
größten Haushaltes für investive Ausgaben in den Berei-
chen Verkehr und Bau eingesetzt.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Dehnel.
Herr Staatssekretär,
die Kollegin Ostrowski sprach gerade von einer Unterfi-
nanzierung des Bundesverkehrswegeplanes. Stimmen Sie
mir zu, dass der Bundesverkehrswegeplan kein Finanz-
plan, sondern ein Bedarfsplan war, in dem es in erster Li-
nie um die Planung prioritärer und hochprioritärer Maß-
nahmen ging?
S
Kol-
lege Dehnel, mehrere Verkehrsminister haben gemerkt,
dass die Bedürfnisse, die aus den Ländern angemeldet
wurden – ich sage das durchaus parteiübergreifend; es wa-
ren SPD-Bürgermeister, Landräte von CDU und CSU,
Politiker aus Baden-Württemberg, Bayern oder Mecklen-
burg-Vorpommern –, mit großen Begehrlichkeiten ver-
bunden waren, und es wurden Projekte angenommen. Ich
möchte nicht weiter auf die Wahlkampfzeiten eingehen.
Der damalige Verkehrsminister war gezwungen, die Lauf-
zeit des Bundesverkehrswegeplanes vom Jahr 2005 auf
das Jahr 2012 zu verlängern.
Ich gebe Ihnen darin Recht, dass der Bundesverkehrs-
wegeplan kein Finanzplan ist; aber wir haben einen ent-
sprechenden Bedarfsplan.
Aufgrund der Kostensteigerungen und anderer Finanz-
engpässe hat es auch die alte Bundesregierung nicht ge-
schafft, das Geld, das für die Umsetzung der Projekte not-
wendig gewesen wäre, zeitgleich mit dem Bedarfsplan
zur Verfügung zu stellen.
Herr
Dehnel, Sie haben kein weiteres Fragerecht.
Wir kommen jetzt zur Frage 9 des Abgeordneten Georg
Girisch:
Ist die Bundesregierung bereit, den enormen Steigerungsraten
im grenzüberschreitenden Schwerlastverkehr in der Region Ober-
pfalz, die bereits in den letzten Jahren teilweise zu einer Verdop-
pelung des Schwerverkehrsaufkommens geführt haben und die
sich durch den bevorstehenden EU-Beitritt der Tschechischen Re-
publik fortsetzen werden, dadurch Rechnung zu tragen, dass sie
einen klaren, kürzeren Zeitkorridor für die Fertigstellung des
Lückenschlusses der A6 zwischen Amberg/Ost und Lohma bei ih-
rer Finanzplanung zugrunde legt?
S
Kol-
lege Girisch, der Bundesregierung ist die insbesondere
seit der 1997 erfolgten Eröffnung der Autobahn Pil-
sen–Waidhaus eingetretene und fortdauernde erhebliche
Zunahme des grenzüberschreitenden Schwerlastverkehrs
bekannt. Sie hatte daher zugestimmt, dass zum Schutz der
betroffenen Anlieger an der B 14 das Planungskonzept der
A6 so geändert wird, dass auch im Abschnitt Woppenhof-
Lohma nicht mehr der Anbau einer zweiten Fahrbahn an
die vorhandene B 14, sondern der Neubau der vierstreifi-
gen A 6 parallel zur B 14 verfolgt wird und dass die damit
verbundenen Mehrkosten anerkannt werden.
Das wichtigste Ziel ist derzeit die Fertigstellung des
Abschnitts Pfreimd-Woppenhof im Jahr 2004 vor Inbe-
triebnahme der Umgehung Pilsen, mit der 2005 die D 5
Prag–Pilsen–Waidhaus komplettiert wird und wonach
eine weitere spürbare Zunahme des Verkehrs zu erwarten
ist.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Girisch, bitte.
Herr Staatssekretär, sind
Sie bereit, dafür zu sorgen, dass bei den nächsten Haus-
haltsberatungen die A 6 höchste Priorität haben wird?
S
Siewissen als Mitglied dieses Hohen Hauses, dass der Be-darfsplan immer von der Jährlichkeit der Haushalte ab-hängig ist. Ihnen als Parlamentarier bleibt es völlig unbe-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000
Axel E. Fischer
10676
nommen, eine Initiative – im Haushaltsausschuss oder imAusschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen – zustarten und entsprechende Mehrheiten zu organisieren,um die Prioritäten dann vielleicht neu zu setzen.Ich gestehe Ihnen zu – Sie wissen das –, dass die Bun-desregierung durchaus bereit ist, bei der Überarbeitungdes Bundesverkehrswegeplanes die A 6 in den vordringli-chen Bedarf zu stellen, um so ihrer politischen Bedeutunggerecht zu werden.
Eine wei-
tere Zusatzfrage? – Herr Girisch, bitte.
Herr Staatssekretär, ich
habe deshalb gefragt, weil der stellvertretende Fraktions-
vorsitzende der SPD vor zwei Jahren versprochen hat,
dafür zu sorgen, dass der A6 bei den Haushaltsberatungen
allererste Priorität eingeräumt wird. Ich möchte Sie daran
erinnern, damit die SPD-Fraktion bzw. das Kabinett die-
ses Versprechen einhalten.
S
Ich
hatte Ihnen ja gesagt, dass im Rahmen des Anti-Stau-Pro-
gramms zusätzliches Kapital bereitgestellt wird.
Ich bitte außerdem darum, bei Diskussionen über die
A6 nicht zwischen den Ländern Baden-Württemberg und
Bayern zu unterscheiden. Es handelt sich nämlich um ein
europäisches Verkehrsprojekt, für das die Bundesregie-
rung schon viel getan hat. Gerade zur Vervollständi-
gung der Lückenschlüsse in Baden-Württemberg werden
knapp 500 Millionen DM, also knapp eine halbe Milliar-
de DM, zusätzlich ab dem Jahre 2003 bereitgestellt.
Wir kom-
men dann zur Frage 10 des Abgeordneten Klaus
Hofbauer:
Bis wann rechnet die Bundesregierung mit der Fertigstellung
der A 6 von Amberg/Süd nach Waidhaus als Lückenschluss der
Autobahnverbindung zwischen Nürnberg und Pilsen?
Herr Staatssekretär, bitte schön.
S
Kol-
lege Hofbauer, die Bundesregierung strebt entsprechend
der Vereinbarung mit der tschechischen Regierung an,
den Anschluss der tschechischen Autobahn D 5 Prag–Pil-
sen–Waidhaus an das deutsche Autobahnnetz baldmög-
lichst zu verwirklichen, indem der Abschnitt der A 6 vom
Bereich Pfreimd, also dem Kreuzungsbereich mit der
A 93, bis nach Waidhaus innerhalb der nächsten zehn
Jahre fertig gestellt wird. Dieses hat Priorität vor dem
Lückenschluss Amberg/Ost–Pfreimd.
Zusatz-
frage, Kollege Hofbauer?
Herr Staatssekretär, er-
lauben Sie mir folgende allgemeine Bemerkung: Die
Osterweiterung steht vor der Tür.
Herr Kol-
lege Hofbauer, wir sind in der Fragestunde.
– Er hat eine Bemerkung machen wollen.
Ich frage, Herr Präsi-
dent, nach Folgen der Osterweiterung.
– Ich bin vom Herrn Präsidenten gerügt worden. Deswe-
gen darf ich hier eine Bemerkung machen.
Herr Kol-
lege Hofbauer, ich habe Sie nicht gerügt, ich habe nur da-
rauf hingewiesen, dass wir uns in der Fragestunde befin-
den, und Sie gebeten, eine Frage zu stellen.
Danke schön, Herr
Präsident. – Herr Staatssekretär, wir stehen vor der Ost-
erweiterung. Diese Osterweiterung – werden Sie mir zu-
stimmen – wird uns in den nächsten Jahren ganz gewaltig
beschäftigen. Ich frage Sie, Herr Staatssekretär: Hat diese
Bundesregierung ein Konzept, um die Probleme des Ver-
kehrs durch die Osterweiterung zu bewältigen? Ich habe
aufgrund Ihrer Ausführungen heute den Eindruck, dass
diese Bundesregierung kein Konzept hat.
Wenn ich es darf, schließe ich gleich eine zweite Frage
an: Können Sie den Baufortschritt in dem von Ihnen ge-
nannten Zeitraum von zehn Jahren etwas genauer be-
schreiben? Sie merken, dass wir Sie in der heutigen De-
batte festnageln wollen. In welchen Teilabschnitten wird
die Fertigstellung der A 6 von Amberg bis Waidhaus in
den nächsten zehn Jahren erfolgen?
S
Ichkann darüber jetzt nicht spekulieren. Es ist Ihnen ja be-kannt – um mit der zweiten Frage zu beginnen –, dass auf-grund der Situation, dass bisher für einzelne Strecken-abschnitte kein Baurecht vorlag, bei der Überarbeitungdes Bundesverkehrswegeplanes erst einmal entschiedenwerden muss – daran sind Sie als Parlamentarier und ins-besondere natürlich der entsprechende Ausschuss mitbe-teiligt –, ob diese Maßnahme zum vordringlichen Bedarfgezählt wird. Auf dieser Grundlage kann natürlich auchüber die Höhe der jährlichen Haushaltsmittel entschiedenwerden. Insofern kann ich Ihnen heute keine konkrete Zu-sage geben.Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang noch eineBemerkung: Es gab ja während Ihrer Regierungszeit zwi-schen 1996 und 1998 die Vereinbarung oder zumindestden Vermerk des damaligen Finanzministers Waigel, dass
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Parl. Staatssekretär Siegfried Scheffler10677
in Abstimmung mit Verkehrsminister Wissmann zusätzli-che Einnahmen aus der zeitbezogenen Vignette für denAusbau der Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung gestelltwerden könnten. Ich sage einmal ohne Häme: Wenn Ihnendieses Vorhaben damals schon so wichtig gewesen wäre,hätten Sie seit 1996 – unabhängig von planfestgestelltenAbschnitten – zusätzliche Mittel aus der zeitbezogenenVignette zur Verfügung stellen können. Aber Sie wissennatürlich, dass die Einnahmen aus dieser zeitbezogenenVignette zum Stopfen der damals vorhandenen Haus-haltslöcher verwandt worden sind.
Zusatz-
frage, Kollege Kraus.
Herr Staatssekretär, man
kann die Finanzierung natürlich nicht unabhängig von der
Baureife sehen. Das wissen Sie selber. Ich möchte Sie
deshalb zur Verdeutlichung fragen, ob ich Sie richtig ver-
standen habe, dass die Bundesregierung beim gegenwär-
tigen Planungsstand weder die Möglichkeit sieht noch be-
absichtigt, zusätzliche Haushaltsmittel – in welcher Form
auch immer – für den Aus- und Endausbau der A 6 östlich
von Amberg zur Verfügung zu stellen. Habe ich Sie kor-
rekt verstanden?
S
Lie-
ber Kollege Kraus, weil Ihnen offensichtlich das Hemd
näher als die Hose ist, möchte ich Ihnen antworten: Die
Bundesregierung stellt für den Ausbau dieser Strecke auf
dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, die nach
Tschechien führt, fast 1 Milliarde DM zur Verfügung.
Auch wenn Sie sagen, dass ein Beschluss in den nächsten
14 Tagen vorliegt, wissen Sie doch ganz genau, dass ge-
gen den erwarteten Planfeststellungsbeschluss geklagt
wird. Deshalb sollten wir im Rahmen dieser Fragestunde
nicht spekulieren, wann was geschieht.
Eine Zu-
satzfrage, Kollegin Blank.
Herr Staatssekretär, so-
weit ich mich erinnere – als Berichterstatterin fällt mir
dieser Punkt noch ein –, war im Bundesverkehrswegeplan
eine Summe von über 2 Milliarden DM für den Ausbau
von Bundesautobahnen und für länderübergreifende Bun-
desfernstraßen vorgesehen. Sie haben gerade eine ent-
sprechende Summe genannt. Meine Frage lautet: Sind Sie
bereit, aus diesem Topf noch mehr Gelder für den Ausbau
der A 6, die ja länderübergreifend ist, zur Verfügung zu
stellen?
S
Frau
Kollegin Blank, wir haben in der Bundesrepublik
Deutschland nicht nur die A 6.
Die von der Bundesregierung festgelegten Kriterien gel-
ten auch für die anderen Länder. Das betrifft das Investi-
tionsprogramm 1999 bis 2002 und das betrifft natürlich
auch das Anti-Stau-Programm.
Über diesen Rahmen hinaus hat Bundesminister
Klimmt versucht, jetzt noch zusätzliche Mittel zu reali-
sieren. Daher bemühen wir uns – ich hatte eben diesen
Punkt schon vorgetragen; ich weiß nicht, ob Sie zu diesem
Zeitpunkt schon anwesend waren –, zusammen mit der
bayerischen Auftragsverwaltung – ich nenne beispiels-
weise die Liste 2 der prioritären Maßnahmen – die Mittel
zusätzlich bereitzustellen.
Wir kom-
men zur Frage 11 des Kollegen Klaus Hofbauer:
Ist die Bundesregierung bereit, zum beschleunigten Ausbaudieser wichtigen europäischen Magistrale A 6 Sondermittel zurVerfügung zu stellen?
S
Die
Bundesregierung ist bereit, die A 6 im Rahmen des gel-
tenden Investitionsprogrammes 1999 bis 2002 und des
anschließenden nächsten Fünfjahresplanes so konsequent
wie möglich zu finanzieren. Sondermittel kommen allen-
falls in Form von Zuschüssen der EU in Betracht.
Hier hat die Bundesregierung bereits 1996 einen Zu-
schuss in Höhe von 6,5 Millionen ECU erhalten. Sie wird
auch in Zukunft Zuschüsse zum Bau weiterer Abschnitte
der zum transeuropäischen Netz gehörenden A 6 Am-
berg/Ost–Pfreimd–Waidhaus beantragen.
Eine Zu-
satzfrage.
Herr Staatssekretär,
nur eine Zusatzfrage. Diese Bundesregierung hat ver-
schiedene Programme aufgelegt: Anti-Stau-Programm,
Lückenschluss-Programm. Warum ist man nicht bereit,
im Rahmen der anstehenden Osterweiterung der EU, die
uns unter anderem viele Verkehrsprobleme bringen wird,
ein Programm speziell für den Straßenbau aufzulegen?
S
Siewissen natürlich – ich hatte darauf schon im Rahmen mei-ner Antwort auf eine Zusatzfrage geantwortet –, dasszusätzliche Programme eine Kofinanzierung der Bundes-regierung in Höhe von 90 Prozent verlangen, um Sonder-mittel der Europäischen Union zu erhalten. Der Haushaltder Bundesrepublik Deutschland ist natürlich begrenzt.Diese Feststellung gilt, auch wenn wir zusätzliche Mittelmobilisieren. Wir haben noch nicht die abschließendenErgebnisse der Pällmann-Kommission. Sicherlich werdenwir zusätzlich über andere Modelle der Finanzierung un-serer Verkehrsinfrastruktur nachdenken.In diesem Zusammenhang möchte ich auch daran erin-nern, dass schon in der Vergangenheit mindestens 50 Pro-zent der zur Verfügung stehenden Finanzmittel für den Er-halt unseres immensen Anlagevermögens hätten zur
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Parl. Staatssekretär Siegfried Scheffler10678
Verfügung gestellt werden müssen. Mit den Verkehrspro-jekten „Deutsche Einheit“ in den neuen Bundesländern,die übrigens auch Bayern betreffen, erhalten wir natürlichauch einen Zuwachs unseres Anlagevermögens, was wie-derum in den nächsten Jahren und Jahrzehnten mehr Mit-tel zur baulichen Unterhaltung erfordert. Insofern müssenwir uns alle gemeinsam in diesem Parlament Gedankenmachen, wie wir zusätzliches Kapital für die Finanzierungunserer Verkehrsinfrastruktur mobilisieren.
Eine Zu-
satzfrage der Kollegin Blank.
Herr Staatssekretär, Ih-
nen ist bekannt, dass das Anti-Stau-Programm erst ab dem
Jahr 2003 zum Tragen kommt? Halten Sie es für möglich,
dass der Bundeskanzler bei seinem Besuch in der Ober-
pfalz, der demnächst stattfinden wird, eine Zusage im
Gepäck haben könnte, um den Weiterbau der A6 schnells-
tens zu realisieren?
S
Da
ich heute mehrfach gesagt habe, dass ich nicht spekuliere,
kann ich nur sagen: Mir ist das nicht bekannt.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Girisch.
Herr Staatssekretär,
kann man aufgrund Ihrer Äußerungen davon ausgehen,
dass die jetzige Bundesregierung bis zur Fertigstellung
der A 6 zehn Jahre braucht?
S
Da
ich sehr korrekt antworten muss, antworte ich: Den Auto-
bahnabschnitt östlich des Autobahnkreuzes Pfreimd bis
Waidhaus werden wir in diesen zehn Jahren fertig stellen.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Kraus.
Diese Äußerung veran-
lasst mich zu der Frage, ob es zutrifft, dass damit gerech-
net werden muss, dass bis zur Fertigstellung des Auto-
bahnabschnitts zwischen Amberg/Ost und Pfreimd noch
mehr als zehn Jahre vergehen werden. Das ist der logische
Schluss aus Ihrer Äußerung. Ich hoffe, dass Sie darauf
konkret eingehen und nicht über Baden-Württemberg
sprechen.
S
Es
bleibt Ihnen unbenommen, derartige Schlussfolgerungen
zu ziehen. Ich spreche konkret über den Abschnitt östlich
von Pfreimd. Das ist korrekt. Über den Abschnitt Am-
berg/Ost bis Pfreimd werden wir sprechen, wenn wir Bau-
reife haben, wenn die Diskussion über den neuen Bun-
desverkehrswegeplan abgeschlossen ist. Ich sagte bereits,
dass ich mich persönlich politisch dafür einsetzen werde,
dass die A 6 als vordringlicher Bedarf in den neuen Ver-
kehrsbundeswegeplan und in den zukünftigen Bedarfs-
plan aufgenommen wird. Deshalb kann ich zum heutigen
Zeitpunkt dazu keine Aussage treffen.
Wir kom-
men jetzt zur Frage 12 des Abgeordneten Martin
Hohmann.
Warum verhindert die Bundesregierung den Baubeginn desAutobahnabschnittes der A66 zwischen Schlüchtern-Diestelrasenund Flieden-Schweben als Lückenschluss zwischen Gelnhausenund Fulda mit einem Sperrvermerk des Bundesministeriums derFinanzen, obwohl das Bundeskabinett den Bau als hochprioritäreMaßnahme beschlossen hat, das Planfeststellungsverfahren abge-schlossen ist, Ausschreibungsunterlagen für einen Brückenbauund eine Hangsicherung bereits erstellt und die erforderlichenHaushaltsmittel dem Bundesland Hessen für das Jahr 2000 zuge-wiesen sind?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
S
Das
ist eine Frage, mit deren Beantwortung Sie sicherlich zu-
frieden sein werden, Kollege Hohmann.
Die Bundesregierung verhindert den Baubeginn des
von Flieden-Schweben um rund 2 km nach Osten bis Neu-
hof-West verlängerten Abschnitts Schlüchtern-Nord bis
Neuhof-West der A 66 nicht, sondern fördert ihn, wie
seine Ausweisung im Investitionsprogramm 1999 bis
2002 zeigt. Die aus haushaltsrechtlichen Gründen noch
bestehende Sperre nach § 24 Abs. 3 der Bundeshaushalts-
ordnung wird in Kürze aufgehoben. Dann steht ausgehend
von den bereits erfolgten Vorbereitungen dem Baubeginn
dieses Abschnitts der A 66 noch im Sommer 2000 nichts
mehr im Wege.
Eine Zu-
satzfrage, Kollege Hohmann.
Herr Staatssekretär,
dass ist eine gute Nachricht. Könnten Sie die Worte „in
Kürze“ etwas konkretisieren?
S
Ich
biete Ihnen gerne an, dass wir mit den Verantwortlichen,
auch am Rande des Plenums oder in unserem Haus, kon-
krete Schritte abstimmen.
Jedenfalls in diesem
Sommer? Habe ich das jetzt richtig verstanden?
S
ImSommer 2000, wie ich es in der Antwort auf Ihre Fragegesagt habe.
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Parl. Staatssekretär Siegfried Scheffler10679
Wir kom-
men nun zur Frage 13 der Kollegin Ina Lenke:
An welchen Autobahn-Raststättenanlagen sind dem Bundes-
ministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ,
unter anderem durch Schriftwechsel, Fälle bekannt, in denen An-
lieger von Zufahrtsstraßen über die Verkehrsbelastung klagen, die
durch die den Vorschriften der § 18 Abs. 2 und § 10 der Straßen-
verkehrsordnung widersprechende Nutzung von Versorgungszu-
fahrten von Autobahnraststätten als Autobahnauf- und -abfahrten
durch ortskundige Verkehrsteilnehmer entsteht?
S
Die
Bundesautobahnen werden im Auftrag des Bundes von
den Ländern verwaltet. Das Bundesministerium für Ver-
kehr, Bau- und Wohnungswesen erhält daher nur in Ein-
zelfällen und im Wesentlichen durch Schriftwechsel
Kenntnis von den beschriebenen Problemen. Vor diesem
Hintergrund ist neben dem Fall der Rastanlage Grund-
bergsee an der Bundesautobahn A 1, die in Frage 14 an-
gesprochen wird, lediglich ein zweiter Fall bekannt. Da-
bei handelt es sich um die Rastanlage Hösel an der Bun-
desautobahn A 3.
Frau
Lenke, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich frage Sie,
weil Sie meine Frage nicht beantwortet haben, noch ein-
mal: Was unternimmt das Ministerium, um in den beiden
Fällen die Belastung der Anwohner von Zufahrtsstraßen,
welche widerrechtlich genutzt werden, um von der Auto-
bahn ab- oder auf die Autobahn aufzufahren, zu reduzie-
ren?
S
Dafür sind die Länder verantwortlich. Wir können hier
nicht Beschlüsse und Gesetze ändern. Wenn zum Beispiel
Schranken, die angeordnet wurden, beschädigt werden,
sind dafür die Länder in Abstimmung mit den Kommunen
verantwortlich.
Eine wei-
tere Zusatzfrage der Kollegin Lenke.
Wenn die Länder aber nicht zu un-
serer und Ihrer Zufriedenheit die Dinge regeln und die An-
wohner weiter den Lärm und das Verkehrsaufkommen er-
tragen müssen: Wie will der Bund dann gegenüber den
Ländern und den Kommunen einschreiten?
S
Ich
erspare mir, hier zu dem von Ihnen konkret angesproche-
nen Problem einen Brief des damaligen Parlamentari-
schen Staatssekretärs Dr. Norbert Lammert zu verlesen, in
dem diese Belastung als nicht so groß eingeschätzt wird,
dass der Bund gegenüber den Ländern einschreiten
müsste.
Sie kön-
nen leider keine Zusatzfrage mehr stellen, Frau Kollegin
Lenke; Sie hatten bereits zwei.
Nun kommen wir zur Frage 14 der Kollegin Lenke:
Was unternimmt das BMVBW, um die Belastung der Anwoh-
ner, beispielsweise der Raststätte Grundbergsee, zu verringern
und die widerrechtliche Nutzung einzuschränken?
S
Das
Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswe-
sen wirkt bei anstehenden Neu- und Ausbaumaßnahmen
im Bereich bewirtschafteter Rastanlagen auf die zustän-
digen Straßenbauverwaltungen der Länder ein, die rück-
wärtigen Anbindungen der Rastanlagen entsprechend den
„Vorläufigen Hinweisen zu den Richtlinien für Rastanla-
gen an Straßen bezüglich Autobahnrastanlagen“ in geeig-
neter Weise gegen unbefugte Nutzung als Zu- und Ab-
fahrten der Autobahn zu sichern.
Da die missbräuchliche Nutzung rückwärtiger Anbin-
dungen bewirtschafteter Rastanlagen, insbesondere durch
ortskundige Fahrer, mit dem Verkehrsanstieg an zahlrei-
chen Rastanlagen nach den Beobachtungen zwischen-
zeitlich zugenommen hat, soll noch in diesem Jahr ein Un-
tersuchungsauftrag erteilt werden, der unter anderem den
Umfang widerrechtlicher Nutzungen und deren Auswir-
kungen auf die Rastanlagen, besonders im Hinblick auf
die Verkehrssicherheit, aufzeigen soll. Die Ergebnisse
sind gegebenenfalls Grundlage für weiter gehende Über-
legungen und Maßnahmen.
Eine Zusatzbemerkung, da vorhin die Frage im Raum
stand, in wie vielen Fällen Verstöße bekannt seien: Bei
zwei Rastanlagen sind das im Verhältnis zur Gesamtzahl
der Rastanlagen – mir ist die genaue Zahl im Moment
nicht bekannt – nur etwas über 0,0 Prozent.
Eine Zu-
satzfrage, Kollegin Lenke.
Auch wenn der Anteil nur gering
ist, sind uns diese Bürger wichtig. Ich möchte Sie fragen,
ob Sie die beiden Rastanlagen, bei denen Schwierigkeiten
entstanden sind – Hösel und Grundbergsee –, in diese Un-
tersuchung aufnehmen.
S
Da
diese beiden Rastanlagen dem Bund bekannt sind und der
Bund die Untersuchung in Abstimmung mit den Ländern
veranlasst, werden wir sie aufnehmen.
Eine wei-
tere Zusatzfrage der Kollegin Lenke.
Werde ich von Ihnen dann unauf-gefordert die Ergebnisse dieser Untersuchung erhalten?
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S
Die
entsprechende Verwaltung wird sich, wenn das Untersu-
chungsergebnis vorliegt, mit Ihnen in Verbindung setzen.
Vielen
Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Zur Beantwortung steht Staatsminister Dr. Ludger
Volmer zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Leo
Dautzenberg auf:
Was hat die Bundesregierung bewogen, den Staatspräsidenten
des Iran, Mohammed Chatami, zu einem Besuch in die Bundesre-
publik Deutschland einzuladen, obwohl seit Amtsantritt Chatamis
Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierung von Frauen
weiter stattfinden, und ist die Einladung zum jetzigen Zeitpunkt
der Entwicklung der Menschenrechte im Iran dienlich?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
D
Herr Dautzenberg, der Iran ist ein entscheidender
und aktiv gestaltender Faktor der Politik im Zentrum des
Mittleren Ostens. Deutschland hat ein Eigeninteresse, mit
dem Iran in allen Bereichen konstruktiv zusammenzuar-
beiten und – nach zeitweiliger Belastung der Beziehun-
gen – auch auf der Ebene der Regierungschefs das Ge-
spräch mit der gewählten Regierung Chatami aufzuneh-
men. Deutschland verfolgt dabei die gleiche Linie wie
andere EU-Mitgliedstaaten.
Die Einladung gilt dem am 23. Mai 1997 vom irani-
schen Volk und insbesondere von der Jugend und den
Frauen mit überwältigender Mehrheit gewählten Staats-
mann, der mit einem klaren Reformprogramm, das aus-
drücklich eine substanzielle Verbesserung der Menschen-
rechtslage im Iran vorsieht, zur Wahl angetreten war. Die
Regierung Chatami hat sich auf diesem Gebiet kon-
sequent bemüht und kann trotz zeitweiliger Rückschläge
Erfolge vorweisen. Der Ausgang der diesjährigen Parla-
mentswahlen zeigt, dass die iranische Bevölkerung nach
wie vor fest hinter dem jetzigen Staatspräsidenten steht.
Eine außenpolitische Stärkung des iranischen Staatspräsi-
denten vergrößert dessen innenpolitischen Spielraum.
Zusatz-
frage, Herr Kollege Dautzenberg? – Bitte.
Herr Staatsminister,
meine Frage bezog sich darauf, was die Bundesregierung
gerade angesichts der jetzigen Menschenrechtssituation
bewogen hat, den iranischen Staatspräsidenten einzula-
den. Sie selber haben betont, dass es im Iran bei der Ver-
wirklichung der Menschenrechte Rückschläge gegeben
hat. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass insbesondere
Frauen sehr stark unterdrückt werden. Warum erfolgt ge-
rade zu diesem Zeitpunkt dieser Besuch?
D
Dieser Zeitpunkt ist möglich geworden, nachdem
unter anderem durch die Freilassung von Herrn Hofer ei-
ner der wichtigsten Hinderungsgründe weggefallen ist.
Wir beobachten die Politik von Herrn Chatami seit gerau-
mer Zeit und haben gesehen, wie intensiv er sich für eine
Demokratisierung und Öffnung eingesetzt hat.
Sie haben aber völlig richtig beschrieben, dass es im
Iran auch entgegengesetzte Tendenzen gibt. Es gibt dort
teilweise sehr erbittert geführte innenpolitische Auseinan-
dersetzungen. Wir meinen, dass es höchste Zeit ist, durch
eine Belebung der internationalen Kontakte die Kräfte im
Iran, die für eine Demokratisierung und Öffnung eintre-
ten, zu stärken.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Dautzenberg.
Herr Staatsminister,
wären Sie bereit, den Maßstab, den Sie jetzt gegenüber
dem Iran angelegt haben, auch für näher liegende Länder,
gerade auch für solche in der Europäischen Union, anzu-
legen, wenn es um die Legitimation von demokratischen
Wahlen geht?
D
Die Frage ist, in welche Richtung sich ein Land ent-
wickelt. Der Iran entwickelt sich zurzeit in die richtige
Richtung
und braucht unsere Unterstützung.
Ich rufe die Frage 16
des Kollegen Dautzenberg auf:
Sind die Vertreter der Bundesregierung bereit, sich bei den Ge-sprächen mit Präsident Mohammed Chatami für die Durchsetzungder Menschenrechte im Iran einzusetzen und darauf hinzuwirken,dass auch jeder Dialog zwischen der Bundesrepublik Deutschlandund der Europäischen Union mit der Islamischen Republik Iranvon der Respektierung der grundlegenden Menschenrechte ab-hängig ist?
D
Herr Dautzenberg, sowohl die Bundesregierung als
auch die Europäische Union haben in ihren Gesprächen
mit dem Iran stets die Frage der Menschenrechte themati-
siert. Dies wird auch weiterhin geschehen. Der Bundes-
minister des Auswärtigen hat anlässlich seines Iran-Besu-
ches im März 2000 deutlich gemacht, dass die Bundesre-
gierung unabhängig von allen anderen Erwägungen
menschenrechtliche Zielsetzungen verfolgt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister,aufgrund welcher Gegebenheiten und Grundlagen kom-men Sie zu Ihrer Einschätzung, dass diese Gespräche im
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000 10681
Hinblick auf die Verwirklichung von mehr Menschen-rechten erfolgbringend sind?D
Unsere Botschaft beobachtet die Menschenrechtssi-
tuation im Iran sehr genau. Wir beziehen die Berichte der
internationalen Menschenrechtsorganisationen, zum Bei-
spiel die von Amnesty International, ein. Das Auswärtige
Amt führt im Zusammenhang mit der asylrechtlichen
Bewertung der Situation im Iran sehr genaue Ana-
lysen zur Menschenrechtssituation durch. Von daher ha-
ben wir ein recht genaues Bild über die dort noch immer
herrschenden Missstände. Wir fühlen uns motiviert, mit
der iranischen Seite im Rahmen unseres politischen Dia-
logs sehr intensiv über die Menschenrechtslage zu reden,
und zwar wann immer ein Kontakt auf höherrangiger
Ebene stattfindet.
Die Fragen 17 und 18
des Kollegen Dr. Klaus Grehn werden schriftlich beant-
wortet. Dasselbe gilt für die Fragen 19 und 20 des Kolle-
gen Wolfgang Börnsen. – Ich danke Ihnen, Herr Staats-
minister.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
der Justiz auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentari-
sche Staatssekretär Dr. Eckhart Pick zur Verfügung.
Wir kommen zu Frage 21 der Kollegin Heidemarie
Ehlert:
Warum werden von der Bundesregierung die dringlichen Bit-
ten der Justizministerin und der Justizminister der neuen Länder
nach einem raschen Zusammentritt der Bund-Länder-Arbeits-
gruppe „Verbesserung der Zahlungsmoral“ abgelehnt, obwohl
diese Bitten von der 71. Konferenz der Justizministerinnen und
-minister, die am 24. und 25. Mai 2000 stattfand, noch einmal
ohne Gegenstimmen untermauert wurden?
D
Frau Kollegin Ehlert, das Bundes-
ministerium der Justiz wird die Bund-Länder-Arbeits-
gruppe „Verbesserung der Zahlungsmoral“ wieder einbe-
rufen, wenn die sachlichen Voraussetzungen für die
Prüfung der Fragen gegeben sind, denen diese Arbeits-
gruppe nachgehen soll.
Zu diesen Voraussetzungen habe ich in meiner Antwort
auf die schriftliche Frage der Kollegin Voßhoff vom April
dieses Jahres Stellung genommen. Ich habe seinerzeit
Folgendes ausgeführt: Nach Auffassung der Bundesregie-
rung setzt die Prüfung dieser Frage, nämlich ob ein ei-
genständiges Bauwerkvertragsrecht geschaffen werden
sollte, sinnvollerweise die Modernisierung des Leistungs-
störungsrechts im Werkvertragsrecht voraus. Diese Mo-
dernisierung soll im Zuge der Umsetzung der Richtli-
nie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 25.Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Ver-
brauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter
vorgenommen werden, weil diese Richtlinie auch das
Werkvertragsrecht erfasst. Da die Richtlinie bis zum Ab-
lauf des 31. Dezember 2001 umgesetzt werden muss, wird
die Bundesregierung den Entwurf eines Schuldrechtsmo-
dernisierungsgesetzes mit entsprechenden Vorschlägen
zur Umgestaltung auch des Gewährleistungsrechts im
Werkvertrag vorlegen.
Ich möchte die damalige Antwort um eine Bemerkung
ergänzen: Im Bundesministerium der Justiz wird derzeit
ein Diskussionsentwurf eines Schuldrechtsmodernisie-
rungsgesetzes ausgearbeitet. Er soll in nächster Zeit den
Bundesressorts, den Landesjustizverwaltungen und den
Verbänden zur Stellungnahme übersandt werden.
Eine Zusatzfrage der
Kollegin Ehlert.
Heißt das, dass wir damit
rechnen können, dass der Entwurf nach der Sommerpause
im Plenum und in den Ausschüssen beraten wird?
D
Das Bundesministerium der Justiz
wird sich bemühen, den schon sehr weit entwickelten Ent-
wurf fertig zu stellen, damit er den Ressorts und den
Verbänden zugeleitet werden kann und dann entsprechend
den Gepflogenheiten ein Kabinettsentwurf entstehen
kann.
Eine zweite Zusatz-
frage.
Wird dieser Entwurf, wie
immer wieder gefordert wird, die Lösung der Problema-
tik des Eigentumsvorbehalts bei nicht beweglichen oder
eingebauten Sachen beinhalten?
D
Über Einzelheiten dieses Entwurfs
vermag ich heute noch nichts zu sagen. Ich weiß, dass
diese Forderung insbesondere aus dem Kreis der Hand-
werker und Handwerkerinnen in den neuen Bundeslän-
dern gestellt wird. Wie Sie wissen, enthält das BGB aller-
dings schon seit 100 Jahren die Regelung, dass mit dem
Boden fest verbundene Sachen in das Eigentum des
Grundstückseigentümers übergehen. Ob wir uns von die-
ser – ich möchte fast sagen – Grundlage unseres BGB ver-
abschieden werden, wird noch einer sehr intensiven Prü-
fung bedürfen.
Ich rufe Frage 22 der
Kollegin Ehlert auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um die be-reits jetzt als notwendig erkannten Änderungen bzw. Ergänzungenzum vorliegenden Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungeneinzubringen, und wann soll dies geschehen?
D
Frau Kollegin Ehlert, das Gesetz zurBeschleunigung fälliger Zahlungen ist bekanntlich am1. Mai dieses Jahres in Kraft getreten, gilt also erst seitzwei Monaten. Nach so kurzer Zeit kann eigentlich nie-mand die Wirkungsweise eines Gesetzes verlässlich beur-teilen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000
Leo Dautzenberg10682
Bislang sind keine Mängel zutage getreten, die eineÄnderung des Gesetzes geboten erscheinen lassen. Wirsollten deshalb abwarten, wie sich das Gesetz bewährt,und dann, wenn sich wirklich Änderungsbedarf ergibt,überlegen, was zu tun ist. Vorher ist nach meiner Auffas-sung eine Einberufung der Arbeitsgruppe nicht zweck-mäßig.
Eine Zusatzfrage.
Kann ich davon ausgehen,
dass Sie zum Jahresende in der Lage sein werden, eine
Einschätzung über die Wirkung des neuen Gesetzes vor-
zunehmen?
D
Wir werden zum Ende dieses Jahres
ermitteln können, inwieweit sich das neue Gesetz bewährt
haben wird. Erfahrungsgemäß bedarf es einer gewissen
Anlaufzeit. Da es sich hier in der Tat um ein grundlegen-
des Problem insbesondere in den neuen Bundesländern,
aber nicht nur dort, handelt, was die Zahlungsmoral an-
geht, halte ich es für notwendig, dass wir über die neuen
Möglichkeiten informieren. Die Bundesregierung wird
dies tun. Sie wissen, dass bei uns von Zeit zu Zeit eine
Broschüre mit Hinweisen für die Handwerker überarbei-
tet wird. Dies werden wir in absehbarer Zeit erneut tun,
um von unserer Seite über das hinaus, was vor allem von
den Kammern geleistet werden sollte, zur Information der
Betroffenen beizutragen.
Wir kommen zur
Wann ist mit einer Ratifizierung des Haager Adoptionsab-
kommens, das bisher von 23 Staaten gezeichnet wurde – unter an-
derem von den USA, Frankreich, Schweiz, Brasilien, Uruguay –
seitens der Bundesrepublik Deutschland zu rechnen und wann
kann mit dem In-Kraft-Treten gerechnet werden?
D
Herr Kollege Schmitt, auch
Deutschland gehört bereits zu den Unterzeichnerstaaten
des Haager Adoptionsübereinkommens. Im Januar dieses
Jahres hat das Bundesministerium der Justiz die Referen-
tenentwürfe eines Ratifikations- und eines Ausführungs-
gesetzes zu dem Übereinkommen vorgelegt. Die derzeit
eingehenden Stellungnahmen der Länder und der betei-
ligten Fachkreise spiegeln erneut die Komplexität der
Fragen wider, die sich bei der Umsetzung der Überein-
kunft stellen.
In den kommenden Monaten werden die zuständigen
Ressorts die Regierungsentwürfe abstimmen, damit diese
zum Jahreswechsel den gesetzgebenden Körperschaften
zugeleitet werden können. Zu welchem Zeitpunkt die
Bundesrepublik Deutschland das Haager Übereinkom-
men ratifizieren kann, wird dann aber vom Verlauf der
parlamentarischen Beratungen abhängen. Über ihr In-
Kraft-Treten bestimmt die Übereinkunft, dass zwischen
der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde und dem
Wirksamwerden des Vertrags ein Zeitraum von minde-
stens drei Monaten liegen muss. Mit dem In-Kraft-Treten
des Adoptionsübereinkommens für Deutschland wird da-
her nicht vor dem 1. Januar 2002 gerechnet werden kön-
nen.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Schmitt.
Herr Staatssekretär, ver-
fügt die Bundesregierung über Informationen, warum das
Haager Adoptionsabkommen von der Bundesrepublik
zwar unterzeichnet wurde, hier aber noch nicht Rechts-
kraft erlangt hat, während dies in vergleichbaren Staaten
wie den USA, der Schweiz und Frankreich bereits seit
Mitte der 90er-Jahre geschehen ist und das Übereinkom-
men dort einen wesentlichen Beitrag zur Erleichterung
von Auslandsadoptionen und zum besseren Verfahrensab-
lauf leistet?
D
Das Haager Adoptionsübereinkom-
men stammt in der Tat aus dem Jahre 1993. Ich möchte es
mir aber nicht so einfach machen, zu sagen, dass die Vor-
gängerregierung es schon hätte umsetzen können. Ange-
sichts der Kapazitäten in unserem Hause ist die Umset-
zung ein schwieriges Unterfangen. Zum anderen ist die
Materie äußerst kompliziert. Insbesondere bedarf es einer
intensiven Abstimmung mit den Bundesländern, die daran
ebenfalls beteiligt sind.
Wenn wir alle Kräfte, auch die personellen Ressour-
cen, zusammennehmen, werden wir das in dem von mir
angedeuteten Zeitraum schaffen. Ich wäre dann dem Par-
lament dankbar, wenn es dieses Vorhaben seiner besonde-
ren Fürsorge unterwürfe.
Eine zweite Zusatz-
frage.
Besteht angesichts einer
wachsenden Zahl von kinderlosen und adoptionswilligen
Paaren die Möglichkeit, diesem Gesetzgebungsverfahren
höhere Priorität einzuräumen und es zu beschleunigen,
damit die Übereinkunft in Deutschland vor 2002 in Kraft
treten kann?
D
Herr Kollege Schmitt, wir werdenuns bemühen, diesen Zeitraum möglichst nicht auszu-schöpfen; aber ich denke, Sie können erwarten, dass wirden Zeitraum realistisch abschätzen. Wir werden allestun, um so schnell wie möglich das von allen begrüßteÜbereinkommen zu ratifizieren. Ich hoffe, dass wir in derLage sind, das vor dem von mir bereits angedeuteten Zeit-raum zu bewerkstelligen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000
Parl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick10683
Wir kommen zur
Frage 24 des Abgeordneten Heinz Schmitt:
Beabsichtigt die Bundesregierung bis zum In-Kraft-Treten des
Haager Übereinkommens über internationale Adoptionen eine
Übergangsregelung für Adoptionsverfahren über Landesgrenzen
hinweg, um mehr Rechtssicherheit für Adoptiveltern und Adop-
tivkinder zu erreichen, und wann ist mit einer solchen Über-
gangsregelung zu rechnen?
D
Herr Kollege Schmitt, das geltende
deutsche Recht ermöglicht bereits die Adoption von Kin-
dern aus dem Ausland, ohne dass es dazu einer besonde-
ren Übergangsregelung oder zwischenstaatlichen Verein-
barung bedürfte. Insbesondere wird die im Herkunftsstaat
des Kindes auf rechtsstaatlicher Basis ergangene Adopti-
onsentscheidung in Deutschland kraft Gesetzes aner-
kannt.
Soweit einzelne Vertragsstaaten des Adoptionsüberein-
kommens nur noch Adoptionsbewerber aus Vertragsstaa-
ten des Adoptionsübereinkommens oder einer entspre-
chenden zwischenstaatlichen Übereinkunft zulassen, ist
die Bundesregierung nicht in der Lage, dieses Adoptions-
hindernis durch eine einseitige Übergangsregelung aus-
zuräumen. Dazu wäre vielmehr ein Interimsabkommen
mit jedem einzelnen dieser Staaten erforderlich. Verhand-
lungen über derartige bilaterale Vereinbarungen würden
aber wohl kaum früher zum Abschluss kommen als das
Verfahren zur Ratifikation des Haager Übereinkommens.
Die Bundesregierung konzentriert sich deshalb auf die
Fertigstellung der Gesetzgebungsvorschläge zur Umset-
zung der multilateralen Übereinkunft, die für die Adop-
tion von Kindern aus allen Vertragsstaaten verbesserte
Rahmenbedingungen schaffen wird.
Es gibt keine Zusatz-
frage.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums der Finanzen. Zur Beantwortung der Fragen steht
die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara
Hendricks zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 25 der Kollegin Ursula Heinen auf:
Welche Meinung vertritt die Bundesregierung zu den beiden
Vorschlägen der Europäischen Kommission vom 7. Juni 2000 –
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtli-
nie 77/388/EWG bezüglich der mehrwertsteuerlichen Behand-
lung bestimmter elektronisch erbrachter Dienstleistungen und
Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Ver-
ordnung Nr. 218/92 des Rates über die Zusammenarbeit
der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der indirekten Besteue-
rung – MwSt–, kurz Internetsteuer genannt?
D
Herr Präsident! Frau Kol-
legin Heinen, die Bundesregierung begrüßt die Vor-
schläge der Europäischen Kommission grundsätzlich und
hofft, dass die Beratungen im Rat zu einer baldigen Ver-
abschiedung führen. Wie die Europäische Kommission ist
auch die Bundesregierung der Auffassung, dass Wettbe-
werbsverzerrungen zulasten der EU-Unternehmen abge-
baut und das Mehrwertsteuersystem der EU dem elektro-
nischen Geschäftsverkehr gerecht werden müssen. Dabei
geht es nicht, wie der gelegentlich verwendete Begriff
„Internetsteuer“ suggeriert, um eine neue Steuer. Die im
elektronischen Geschäftsverkehr bewirkten Umsätze fal-
len bereits heute unbestritten in den Anwendungsbereich
der EU-Umsatzsteuer.
Es gilt, die derzeit geltenden Regelungen für die Orts-
bestimmung der Dienstleistungen anzupassen, die eine
Besteuerung der elektronisch erbrachten Dienstleistungen
im Verbrauchsland vielfach nicht sicherstellen. Im Rah-
men der Beratungen der Vorschläge wird darauf zu achten
sein, dass die Regelungen für die Unternehmen und Ver-
waltungen handhabbar und ausgewogen sind.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
Sie haben gerade schon angeschnitten, dass die Regelun-
gen handhabbar sein sollen. Alle einschlägigen Medien
haben sich mit der Frage befasst, inwieweit die Regelun-
gen handhabbar sind. Alle Experten sind zu dem Schluss
gekommen, dass der Vorschlag der EU-Kommission un-
praktikabel ist.
Welche Anstrengungen unternehmen Sie konkret, da-
mit dieser Vorschlag nicht zu einem bürokratischen
Monster für die Unternehmen wird und gerade die jungen
IT-Unternehmen in ihren Wachstumschancen bremst?
D
Der Bundesregierung ist
bewusst, dass der Vorschlag für eine Richtlinie des Rates
zur Änderung der 6. EG-Richtlinie bezüglich der mehr-
wertsteuerlichen Behandlung bestimmter elektronisch er-
brachter Dienstleistungen im Wesentlichen materiell-
rechtliche Lösungsansätze enthält. An der Lösung der
technischen Fragen und der Fragen der Kontrolle wird ge-
arbeitet. Hierzu bedarf es der Mitwirkung der Wirtschaft.
Diese ist in die Arbeiten auf OECD-Ebene, bei denen es
genau um diese Aspekte geht, eng eingebunden.
Ich glaube, Sie haben
meine Frage nicht ganz verstanden. Es geht hier nicht al-
lein um die Technik, sondern auch um die Anlage des Vor-
schlags. Halten Sie diesen Vorschlag tatsächlich für prak-
tikabel und für Unternehmen umsetzbar, oder wird er
dazu führen, dass die Unternehmen einen irren bürokrati-
schen Aufwand zu bewältigen haben?
D
Frau Kollegin, ich hatte Ih-nen schon geantwortet, dass der Vorschlag so, wie erbisher vorliegt, das materielle Recht betrifft und dass inden zuständigen Gremien, insbesondere denen derOECD, unter Beteiligung der Wirtschaft um die Hand-habbarkeit noch gerungen wird.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 200010684
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Fischer.
Axel E. Fischer (CDU/CSU): Frau
Staatssekretärin, gehen wir davon aus, dass dies umge-
setzt wird: Welchen zusätzlichen Aufwand muss die Bun-
desregierung betreiben, um hier eine Kontrolle bzw.
Überprüfung durchzuführen? Wie viel wird das Ihrer
Meinung nach ungefähr kosten?
D
Herr Kollege Fischer, diese
Frage ist heute sicherlich nicht zu beantworten. Aber Sie
müssen davon ausgehen, dass es sich um steuerbare Vor-
gänge, also um Dienstleistungen handelt, die über das In-
ternet erbracht werden und umsatzsteuerpflichtig sind. Es
wird uns bei der Ausgestaltung der Richtlinie darauf an-
kommen, diese möglichst handhabbar und das Ganze kos-
tengünstig zu machen, dass die Regelung sowohl für die
Wirtschaftsunternehmen als auch für die Verbraucher und
die Verwaltung tragbar ist.
Eine Zusatzfrage der
Kollegin Widmann-Mauz.
Frau Staats-
sekretärin, in welchem Zeitraum soll die Richtlinie in der
Bundesrepublik umgesetzt werden und ab wann werden
wir dann in Deutschland mit einer Besteuerung der elek-
tronischen Dienstleistungen zu rechnen haben?
D
Frau Kollegin Widmann-
Mauz, die EU-Richtlinie liegt erst im Entwurf vor. Sie
muss erst auf europäischer Ebene verabschiedet werden.
Natürlich muss auch die Handhabbarkeit ins Auge gefasst
werden; ich hatte schon darauf hingewiesen. Erst wenn
die EU-Richtlinie vorliegt, werden wir diese in der Bun-
desrepublik Deutschland umsetzen können. Es ist im Mo-
ment noch nicht genau zu sagen, wann dies der Fall sein
wird.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Aribert Wolf.
Frau Staatssekretärin, teilt
die Bundesregierung die Bedenken der Experten und der
Wirtschaft, die bis jetzt zu diesem Entwurf geäußert wor-
den sind?
D
Die Bundesregierung
nimmt diese Bedenken ernst und ist im weiteren Verfah-
ren mit all ihren Kräften darum bemüht, diese Bedenken
nicht Realität werden zu lassen.
Dann kommen wir
zur Frage 26 des Kollegen Klaus Holetschek:
Hält die Bundesregierung es für sinnvoll und durchführbar,
wenn die Internetanbieter im Zusammenhang mit ihrer Veranla-
gung zur Umsatzsteuer zwischen Privat- und Geschäftskunden
unterscheiden müssen, und wie sollen sie dies umsetzen?
D
Die Bundesregierung hält
die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene
Unterscheidung für sinnvoll und durchführbar. Der An-
satz ist nicht neu. Er entspricht dem, was bereits heute für
eine Vielzahl anderer Dienstleistungen gilt. Die Differen-
zierung ermöglicht es, die steuerlichen Verpflichtungen
des Anbieters zu reduzieren, da der Leistungsempfänger,
soweit er Unternehmer ist, die steuerlichen Pflichten des
Leistungserbringers übernimmt. Das ist die Umkehrung
der Steuerschuldnerschaft. Zur Unterscheidung zwischen
Privat- und Geschäftskunden könnte zum Beispiel die
Umsatzsteueridentifikationsnummer – wie im Übrigen
auch von der Kommission vorgeschlagen – geeignet sein.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretä-
rin, die betroffene Branche fürchtet bei dieser Unterschei-
dung zwischen Privat- und Geschäftskunden unüberseh-
bare Haftungsrisiken, weil oft weder das Land noch fest-
stellbar ist, wer Privat- und wer Geschäftskunde ist.
Können Sie diese Befürchtungen ausräumen?
D
Wir werden im weiteren
Verfahren diese Befürchtungen sicherlich minimieren.
Aber Privatkunden haben keine Umsatzsteueridentifika-
tionsnummer.
Dann kommen wir
zur Frage 27 des Kollegen Klaus Holetschek:
Hält die Bundesregierung es für sinnvoll, den Umsatzsteuer-
Normalsatz auch auf elektronisch verbreitete Bücher anzuwen-
den?
D
Werden Buchinhalte auf
elektronischem Wege heruntergeladen, handelt es sich
umsatzsteuerrechtlich um Dienstleistungen. Weder nach
den derzeit geltenden Regelungen der 6. EG-Richtlinie
noch nach den von der Europäischen Kommission vorge-
schlagenen Änderungen der 6. EG-Richtlinie im Hinblick
auf die mehrwertsteuerliche Behandlung bestimmter
elektronisch erbrachter Dienstleistungen ist es möglich,
auf diese Umsätze den ermäßigten Steuersatz anzuwen-
den. Vielmehr findet auf alle elektronisch erbrachten
Dienstleistungen der Normalsatz Anwendung. Dies ist
aus Sicht der Bundesregierung sinnvoll, da sonst die in
Aussicht genommene Regelung der elektronisch erbrach-
ten Dienstleistungen für den leistenden Unternehmer zu
kompliziert werden würde.
Zusatzfrage.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000 10685
Frau Staatssekretä-
rin, können Sie mir bezogen auf diesen Fall den Unter-
schied zwischen elektronischen und gedruckten Büchern
erklären, der zu dieser differenzierten Auffassung führt?
D
Ja, Herr Kollege
Holetschek. Aus Sicht der Bundesregierung stellt die phy-
sische Lieferung eines Buches qualitativ etwas anderes
dar als die Möglichkeit, einen Buchinhalt auf elektroni-
schem Wege herunterzuladen. Ungeachtet dessen recht-
fertigt die Notwendigkeit, möglichst einfach zu handha-
bende Regelungen zu schaffen, elektronisch erbrachte
Dienstleistungen insgesamt dem Normalsatz zu unterwer-
fen bzw. macht dies sogar um der Praktikabilität willen er-
forderlich.
Eine Zusatzfrage der
Kollegin Ursula Heinen.
Frau Staatssekretärin,
können Sie mir vielleicht noch einmal erklären, was ge-
rade bei Büchern besonders schützenswert bzw. förde-
rungswürdig ist? Geht es dabei um den Inhalt der Bücher
oder geht es dabei um die äußere Form, in der Bücher prä-
sentiert werden, sprich: dass sie auf Papier gedruckt sind?
D
Frau Kollegin Heinen, es
ist schon richtig, dass es eigentlich um den Inhalt von
Büchern geht. Menschen profitieren davon, den Inhalt
von Büchern zur Kenntnis zu nehmen. Ich persönlich pro-
fitiere zum Beispiel auch davon, ein schön gebundenes
Buch in Händen zu halten.
Aber dies alleine wäre noch kein Grund für eine steuerli-
che Unterscheidung.
Es ist zweifelsfrei so, dass das Herunterladen von
Buchinhalten zu den Dienstleistungen zu rechnen ist und
nicht den Vertrieb einer Ware darstellt, der mit einem
niedrigeren Umsatzsteuersatz begünstigt ist.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Aribert Wolf.
Frau Staatssekretärin, kön-
nen Sie erläutern, warum der im gängigen Umsatzsteuer-
recht für Bücher vorgesehene niedrigere Mehrwertsteuer-
satz im Internet plötzlich nicht mehr gelten soll?
D
Herr Kollege Wolf, der
niedrigere Mehrwertsteuersatz betrifft eine ganze Reihe
von Produkten, insbesondere Bücher und Zeitschriften,
Lebensmittel, aber auch – das ist vielen Leuten nicht be-
kannt – Tiernahrung und andere Produkte. Den meisten
Menschen ist nur bekannt, dass der niedrigere Mehr-
wertsteuersatz für Bücher, Zeitschriften und Lebensmittel
gilt.
Der Hintergrund für die umsatzsteuerliche Begünsti-
gung von Büchern und Zeitschriften ist letztlich der
Schutz des Kulturgutes. Von der Bundesregierung ist si-
cherlich nicht beabsichtigt, daran etwas zu ändern. Der
reduzierte Mehrwertsteuersatz soll da auf Dauer erhalten
bleiben. Aber ich habe gerade schon Ihrer Kollegin ge-
sagt: Das Herunterladen von Buchinhalten ist eine Dienst-
leistung und nicht das Handeln mit einem Produkt. Es
handelt sich in diesem Fall also nicht um ein begünstigtes
Produkt, sondern um die Bereitstellung einer Dienstleis-
tung, die allgemein mit dem Normalsteuersatz belegt
wird.
Dies gilt im Übrigen auch für das Herunterladen von
Musikstücken. Soweit ich weiß, drückt sich die Unter-
scheidung zwischen E- und U-Musik auch in unter-
schiedlichen Mehrwertsteuersätzen aus.
Eine Zusatzfrage,
Frau Kollegin Widmann-Mauz.
Frau Staats-
sekretärin, wie gedenkt die Bundesregierung den Schutz
des Kulturgutes, das über elektronische Medien verbreitet
wird, sicherzustellen?
D
Frau Kollegin, wir gehen
davon aus, dass das Herunterladen von Büchern und auch
von Musik auf Dauer nicht die einzige Möglichkeit sein
wird, um mit diesem Kulturgut zu kommunizieren.
Wir sind im Übrigen der Auffassung, dass das handel-
bare Produkt Buch auch in Zukunft mit dem reduzierten
Mehrwertsteuersatz belegt werden soll. Aber wir kommen
nicht um die Definition herum, dass es sich beim
elektronischen Herunterladen um eine Dienstleistung
handelt.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatsse-
kretärin, habe ich Sie eben richtig verstanden, dass Sie die
Vertriebswege schützen und nicht das Kulturgut?
D
Nein, Frau Kollegin, Siehaben mich nicht richtig verstanden; denn es handelt sichin diesem Fall, wie ich sagte, um eine Dienstleistung undnicht um ein handelbares Produkt. Es ist ein Unterschied,ob man mit einem physischen Produkt handelt oder obman eine Dienstleistung erbringt. Es geht nicht um dieFrage „Was hat mehr Kultur zum Inhalt?“, sondern um dieDefinition, ob es ein handelbares Produkt oder eineDienstleistung ist.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 200010686
Ich rufe Frage 28 der
Kollegin Widmann-Mauz auf:
Hält die Bundesregierung die im Vorschlag der Europäischen
Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der
Richtlinie 77/388/EWG enthaltene Registrierungspflicht von
Drittlandsunternehmen für kontrollierbar?
D
Der Bundesregierung ist
bewusst, dass der Vorschlag für eine Richtlinie des Rates
zur Änderung der 6. EG-Richtlinie bezüglich der mehr-
wertsteuerlichen Behandlung bestimmter elektronisch er-
brachter Dienstleistungen im Wesentlichen materiell-
rechtliche Lösungsansätze enthält. An der Lösung der
technischen Fragen und der Fragen der Kontrolle wird
weiter gearbeitet. Hierzu bedarf es – ich durfte das vorhin
schon einmal sagen – der Mitwirkung der Wirtschaft.
Diese ist in die Arbeiten auf der OECD-Ebene, bei denen
es genau um diese Aspekte geht, eng eingebunden.
Zusatzfrage.
Zunächst
stelle ich fest, Frau Staatssekretärin, dass Sie mir die glei-
che Antwort gegeben haben wie einem Kollegen auf seine
Frage, deren Wortlaut jedoch anders war und die einen
deutlich anderen Sachverhalt betraf.
Deshalb beziehe ich mich auf die Frage, die ich bereits
gestellt habe, nämlich ob die Bundesregierung den Richt-
linienvorschlag für die Registrierungspflicht von Dritt-
landsunternehmen für kontrollierbar hält, und frage wei-
ter: Wenn diese Richtlinie umgesetzt wird, wie kann eine
solche Kontrolle dann nach Auffassung der Bundesregie-
rung erfolgen? Denn nur mit einer solchen Abschätzung
kann die Bundesregierung zu dieser Richtlinie sachge-
recht Stellung beziehen.
D
Frau Kollegin Widmann-
Mauz, ich habe vorhin in der Tat eine fast wortgleiche
Antwort auf eine Zusatzfrage einer Kollegin und nicht auf
eine zunächst originär gestellte Frage gegeben. Die Zu-
satzfrage der Kollegin richtete sich auf die Handhabbar-
keit. Ihre Frage bezieht sich auf die Kontrollierbarkeit.
Ich kann auf beide Fragen, auf die der Handhabbarkeit
und die der Kontrollierbarkeit, nur die Antwort wiederho-
len, die ich gerade eben habe geben müssen. Denn es ist
in Vorbereitung der 6. EG-Richtlinie noch nicht endgültig
zu den notwendigen Umsetzungsschritten gekommen.
Wir haben bisher den materiellrechtlichen Entwurf. Wir
werden aber natürlich auf der europäischen Ebene und in
der OECD mit den uns zur Verfügung stehenden Mög-
lichkeiten dafür sorgen, dass wir keinen zahnlosen Tiger
beschließen, was zur Folge hätte, dass das Gesetz nur im
Gesetzblatt stünde und weder handhabbar noch kontrol-
lierbar wäre.
Eine zweite Zusatz-
frage.
Frau Staats-
sekretärin, erwarten Sie bei der Registrierungspflicht für
Drittlandsunternehmen, dass es bei dieser Regelung zwi-
schen den EU-Ländern zu einem Standortwettbewerb um
den günstigsten Mehrwertsteuersatz kommen wird? Sind
Sie der Auffassung, dass es gerecht ist, dass Drittlandsun-
ternehmen den Ort der Registrierung und damit die Höhe
des Steuersatzes frei wählen können, während Unterneh-
men aus Mitgliedstaaten dieses nicht können?
D
Das ist natürlich angesichts
der Harmonisierung, die wir auf der europäischen Ebene
im Bereich der Umsatzsteuer bisher haben – die Har-
monisierung bewegt sich in einer Spanne zwischen 15
und 25 Prozent –, eine notwendige Folge der Tatsache,
dass wir keinen einheitlichen Mehrwertsteuersatz haben.
Sollte es zu der von Ihnen angenommenen Wettbewerbs-
situation kommen, so wird die Bundesrepublik Deutsch-
land sicherlich für Drittlandsunternehmen interessant
sein, weil wir neben Luxemburg den niedrigsten Mehr-
wertsteuersatz in der gesamten Europäischen Union ha-
ben.
Die Kollegin Ursula
Heinen hat eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
insbesondere die USAbzw. die Unternehmen aus den Ver-
einigten Staaten protestieren gegen diese Registrierungs-
pflicht. Haben die Bundesregierung bzw. die Europäische
Kommission ihrer Kenntnis nach bereits Gespräche mit
den Vereinigten Staaten darüber geführt? Oder wird darü-
ber im allgemeinen Rahmen der OECD verhandelt? Kon-
kret: Sprechen Sie mit den Vereinigten Staaten über diese
Regelung?
D
Die Bundesregierung hat
bisher keine Gespräche zu diesem Zweck geführt, weil es
sich bisher um einen Entwurf der Europäischen Kommis-
sion handelt. Ich bin aber sicher, dass die Europäische
Kommission darüber natürlich mit den Verantwortlichen
in den Vereinigten Staaten spricht. Der richtige Ort für die
Verhandlungen ist allerdings die OECD. Dort sind die
Vereinigten Staaten selbstverständlich Mitglied.
Eine Zusatzfrage der
Kollegin Dr. Martina Krogmann.
Frau Staatsse-
kretärin, müssen zur Kontrolle der Registrierungspflicht,
die ja ein sehr kompliziertes Verfahren darstellt, bei den
Finanzbehörden zusätzliche Stellen geschaffen werden?
D
Ich gehe nicht davon aus,dass es notwendig sein wird. Ich gehe davon aus, dass esfür die Bundesrepublik Deutschland zentral geschehen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000 10687
würde. Dies kann natürlich nur mit Zustimmung der Län-der auf den Weg gebracht werden. Es stünde zum Beispieldas Bundesamt für Finanzen zur Verfügung.
Nun kommt zur Ab-
wechslung mal wieder ein männlicher Kollege.
Ich rufe die Frage 29 des Kollegen Axel E. Fischer,
auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die unterschiedliche Be-handlung im Stromhandel zwischen Online- und stationärem Han-del?
D
Herr Kollege Fischer, Ihre
Frage konnte in der zunächst vorgelegten Fassung nicht
sinnvoll beantwortet werden. Nach Rücksprache mit
Ihrem Büro wurde das Wort „Stromhandel“ durch „Han-
del“ ersetzt. Das konnte von der Bundestagsdruckerei lei-
der nicht mehr korrigiert werden.
Diese jetzt so formulierte Frage beantworte ich wie
folgt: Im Online-Handel können anders als im traditionel-
len Handel nur Dienstleistungen erbracht werden. Dem-
entsprechend sieht der Richtlinienvorschlag der Kommis-
sion Regelungen vor, wie sie für Dienstleistungen im tra-
ditionellen Handel bereits bestehen, zum Beispiel für
Telekommunikationsdienstleistungen. Ziel des Richtlini-
enentwurfs ist die Herstellung gleicher Wettbewerbsbe-
dingungen für EU- und Drittlandsanbieter.
Im Hinblick auf den Steuersatz für so genannte virtu-
elle Güter – also Buchinhalte oder Musik –, die auf
elektronischem Weg heruntergeladen werden, ist es weder
nach den derzeit geltenden Regelungen der 6. EG-Richt-
linie noch nach den von der Europäischen Kommission
vorgeschlagenen Änderungen der 6. EG-Richtlinie mög-
lich, auf diese Umsätze den ermäßigten Steuersatz anzu-
wenden. Vielmehr findet auf alle elektronisch erbrachten
Dienstleistungen der Normalsatz Anwendung.
Dies ist aus Sicht der Bundesregierung auch sinnvoll,
da ansonsten die in Aussicht genommene Regelung der
elektronisch erbrachten Dienstleistungen für die leisten-
den Unternehmer zu kompliziert werden würde.
Eine Zusatzfrage.
Axel E. Fischer (CDU/CSU): Frau
Staatssekretärin, wie soll dies nach der Vorstellung der
Bundesregierung überprüft werden und wer soll das nach
Ihrer Ansicht tun?
D
Ich hatte dem Hohen Hau-
se bereits auf andere Fragen und Zusatzfragen aus Ihren
Reihen geantwortet, dass uns bisher nur eine materiell-
rechtliche Regelung vorliegt und dass wir zunächst an den
Kontrollmöglichkeiten und der Handhabbarkeit, sozusa-
gen parallel zur Umsetzung des Entwurfs der Änderung
der 6. EG-Richtlinie, sowohl auf der Ebene der Europä-
ischen Union als auch der der OECD arbeiten werden, um
dort jeweils Einvernehmen mit den Betroffenen zu erzie-
len.
Eine weitere Zusatz-
frage.
Axel E. Fischer (CDU/CSU): Frau
Staatssekretärin, Sie haben vorher auf die Frage einer
Kollegin geantwortet, das Finanzministerium stehe zur
Wahrnehmung der Kontrollaufgaben zur Verfügung.
Glauben Sie, dass das Finanzministerium für diese Auf-
gabe das geeignete Ministerium ist? Würde sich dafür
nicht besser das Justiz- oder das Innenministerium eig-
nen?
D
Herr Kollege, die Frage der
Kollegin richtete sich auf das Problem, wo die Drittlands-
anmeldungen erfolgen sollten und ob dafür zusätzliche
Stellen in der Finanzverwaltung geschaffen werden müss-
ten. Daraufhin habe ich gesagt, ich könnte mir vorstellen,
dass das Bundesamt für Finanzen eine geeignete Stelle
zur Entgegennahme der Anmeldungen sein könnte. Das
Bundesamt für Finanzen mit Sitz in Bonn ist eine Bundes-
oberbehörde, die nur im Einvernehmen mit den Län-
dern – weil nach unserer Verfassung die Länder für die
Ausführung der Steuergesetze zuständig sind – zentral
tätig werden könnte. Ich gehe aber davon aus, dass eine
zentrale Regelung des Problems im Interesse der Länder
liegen würde.
Ich rufe die Frage 30
des Kollegen Axel E. Fischer auf:
Hält die Bundesregierung die Durchsetzung einer nationalenUmsatzbesteuerung für elektronische Dienstleistungen im Inter-net für durchführbar?
D
Die Europäische Kommis-
sion hat am 7. Juni 2000 Vorschläge für eine Richtlinie des
Rates zur Änderung der 6. EG-Richtlinie bezüglich der
mehrwertsteuerlichen Behandlung bestimmter elektro-
nisch erbrachter Dienstleistungen sowie für eine Verord-
nung des Rates zur Änderung der Verordnung
Nr. 218/92 des Rates über die Zusammenarbeit der Ver-
waltungsbehörden auf dem Gebiet der indirekten Be-
steuerung vorgelegt.
Aus Sicht der Bundesregierung bieten diese Vor-
schläge grundsätzlich einen geeigneten Ansatzpunkt, um
eine nationale Umsatzbesteuerung der im Internet be-
wirkten elektronischen Dienstleistungen auf der Grund-
lage internationaler Vereinbarungen durchzuführen.
Eine Zusatzfrage.Axel E. Fischer (CDU/CSU): FrauStaatssekretärin, ich habe nach der nationalen Umsatzbe-steuerung bzw. danach gefragt, wie man dies national re-geln kann, und Sie haben entsprechend geantwortet. Kann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks10688
ich Ihrer Antwort entnehmen, dass die Bundesregierungnur im europäischen Rahmen tätig wird und keinen natio-nalen Alleingang machen wird?D
Ja, Herr Kollege. Die Vor-
arbeiten der Europäischen Kommission, die auch inhalt-
lich durchaus die Zustimmung der Bundesregierung fin-
den, sind so weit gediehen, dass wir selbstverständlich
zunächst an der weiteren Erarbeitung der Änderung der
6. Richtlinie teilhaben werden, um diese sodann in natio-
nales Recht umzusetzen.
Eine zweite Zusatz-
frage.
Axel E. Fischer (CDU/CSU):
Strebt die Bundesregierung eine europaweite Harmoni-
sierung der Umsatzsteuer an? Wenn ja: Welchen Zeitraum
hält sie für notwendig, um eine europaweite Harmonisie-
rung zu erreichen?
D
Herr Kollege Fischer, die
Umsatzsteuer ist in der Europäischen Union schon har-
monisiert – ich sagte Ihnen das eben schon –, aber in ei-
nem Rahmen von 15 bis 25 Prozent. Dies ist die einzige
Steuer, die in der Europäischen Union tatsächlich schon
als vollständig harmonisiert gilt. Nun mag man sagen,
eine Spanne von 10 Prozentpunkten stelle keine Harmo-
nisierung dar.
Es ist aber eher unwahrscheinlich, dass es gelingen
könnte, diese Spanne durch einen fixen Punkt, zum Bei-
spiel 20 Prozent für alle Länder, zu ersetzen. Die Bundes-
regierung ergreift deshalb keine Initiativen, die in dieser
Weise harmonisierte Steuer auf die europäische Agenda
zu setzen, weil nicht zu erwarten ist, dass eine solche
Regelung in der Europäischen Union mehrheitsfähig
wäre oder überhaupt angegangen würde.
Die Kollegin Ursula
Heinen hat eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
Sie haben auf die vorletzte Frage des Kollegen Axel
Fischer geantwortet, dass es wenig Sinn macht, diese
Steuer nur im nationalen Bereich zu erheben. Es sollte
vielmehr europaweit geregelt werden. Darüber hinaus ha-
ben Sie auf eine Frage von mir gesagt, dass man das in-
ternational regeln muss und dass es auf OECD-Ebene
gehört. Darin stimmen wir Ihnen zu.
Meine Frage lautet: Wann haben die Verhandlungen
auf OECD-Ebene begonnen? Wann werden Sie voraus-
sichtlich abgeschlossen sein? Wird die Umsetzung der
EU-Richtlinie entsprechend angepasst oder plant man ei-
nen Alleingang in Europa?
D
Frau Kollegin Heinen,
zunächst einmal ist die Umsatzsteuer eine Steuer, die in
Europa bereits harmonisiert ist. Das habe ich schon ge-
sagt. Ohne die Genehmigung der Europäischen Union
können wir keine Änderung am nationalen Umsatzsteuer-
recht vornehmen. Insofern ist das, was wir in diesem Be-
reich tun, sinnvollerweise innerhalb der Europäischen
Union, wie es durch den Vorschlag zur Änderung der
Richtlinie geschehen ist, zu koordinieren und gleichzeitig
umzusetzen.
Ich habe wegen der Kontrollierbarkeit und Handhab-
barkeit auf die OECD hingewiesen. Dies gilt insbeson-
dere für die Verhältnisse zwischen der Europäischen
Union und Drittländern. Persönlich bin ich aber überfragt,
wenn ich sagen soll, wann die Verhandlungen begonnen
haben, schon gar bin ich überfragt, zu sagen, wann sie zu
einem Ende kommen können. Das ist in internationalen
Gremien nicht nur von der Arbeit der Bundesregierung
abhängig. Ich werde Ihnen aber den Termin nachliefern,
wann die Verhandlungen begonnen haben. Beamte des
Bundesfinanzministeriums sind von Anfang an engagiert
und sachkundig in diesen Gremien tätig.
Ich rufe die Frage 31
der Kollegin Martina Krogmann auf:
Was hält die Bundesregierung von dem in den USA prakti-zierten Vorgehen, elektronisch erbrachte Dienstleistungen für ei-nen Übergangszeitraum nicht zu besteuern, um die Expansion desIT-Sektors nicht zu gefährden?
D
Es besteht international
Einvernehmen darüber, dass der elektronische Geschäfts-
verkehr weder besser noch schlechter behandelt werden
soll als der traditionelle Handel. Mit Blick auf die Wett-
bewerbssituation gegenüber dem traditionellen Handel ist
es nicht möglich, elektronisch erbrachte Dienstleistungen
für eine Übergangszeit von der Umsatzsteuer zu befreien.
Dies wäre eine nicht zu rechtfertigende Diskriminierung
des traditionellen Handels. Die Bundesregierung hält zu-
dem das in den USA praktizierte Vorgehen für den EU-
Raum nicht für möglich. Die steuerlichen Verhältnisse in
der EU sind mit denen in den USA nicht vergleichbar. In
den USAsind die im elektronischen Geschäftsverkehr be-
wirkten Umsätze durch ein Moratorium weitestgehend
von den „sales taxes“ freigestellt. Zu beachten ist hierbei
aber, dass die „sales taxes“ auf die im elektronischen Ge-
schäftsverkehr bewirkten Umsätze in den Vereinigten
Staaten nach dem dort geltenden Recht bisher weitestge-
hend nicht anwendbar sind und in den Vereinigten Staaten
erst daraufhin anwendbar gemacht werden müssten. In
der EU unterliegen sämtliche Umsätze, auch die im elek-
tronischen Handel, bereits aufgrund der geltenden Rege-
lungen der EU-Umsatzsteuer.
Eine Zusatzfrage.
Rechnen Siedenn damit, dass die Richtlinie der EU keine negativenAuswirkungen für europäische Start-ups oder kleine
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000
Axel E. Fischer
10689
Unternehmen haben wird, die sich gerade in Konkurrenzmit entsprechenden Unternehmen in den VereinigtenStaaten befinden?D
Frau Kollegin, gerade die
notwendige Anmeldung von Drittlandsunternehmen in
der Europäischen Union, also zum Beispiel von amerika-
nischen Unternehmen, bedeutet, dass die Umsatzsteuer
auch von diesen Leistungserbringern gezahlt werden
muss bzw. von deren Kunden – je nachdem auf wen die
Besteuerungspflicht übergeht –, sodass innerhalb der Eu-
ropäischen Union keine Wettbewerbsnachteile für hier
tätige europäische Unternehmen bestehen. Umgekehrt:
Solange in den Vereinigten Staaten „sales taxes“ nicht an-
wendbar sind, haben auch europäische Unternehmen
keine Beschränkung dort. Insofern sehe ich das Problem
nicht.
Eine zweite Zusatz-
frage.
Frau Staatsse-
kretärin, hat sich die Bundesregierung eingehend mit der
Analyse befasst, die vom amerikanischen Kongress in
Auftrag gegeben wurde? Diese empfiehlt eindringlich,
das Moratorium bis 2006 zu verlängern, um neue Arbeits-
plätze, insbesondere in diesen Branchen, zu ermöglichen.
D
Ich habe bereits gesagt,
dass die steuerlichen Bedingungen in den Vereinigten
Staaten anders sind. Wenn ich es richtig in Erinnerung
habe, ist es so, dass in den Vereinigten Staaten Dienstleis-
tungen nicht mit Umsatzsteuer belegt sind, sondern nur
physische Produkte. Hier gibt es schon jetzt eine völlig
andere Voraussetzung in steuerlicher Hinsicht. Trotzdem
herrscht im Prinzip, auch innerhalb der OECD – mit Zu-
stimmung der Vereinigten Staaten –, internationale Einig-
keit darüber, dass Dienstleistungen mit Umsatzsteuer zu
belegen seien. Dazu gehören auch elektronische Dienst-
leistungen.
Das Moratorium, das es zurzeit in den Vereinigten
Staaten gibt und von dem wir im Moment nicht genau
wissen, wie lange es dauern wird, beruht letztlich auf gel-
tendem Recht. Wenn eine elektronische Dienstleistung er-
bracht wird, dann wird auf sie in den Vereinigten Staaten
keine Umsatzsteuer erhoben. Bei uns allerdings – das ist
nicht nur in Deutschland, sondern allgemein in der Euro-
päischen Union so – sind Dienstleistungen immer mit
Umsatzsteuer zu belegen. Das ist der prinzipielle Unter-
schied zwischen den beiden Besteuerungssystemen.
Des Weiteren möchte ich auch darauf hinweisen, dass
es einerseits natürlich richtig ist, junge Start-ups zu för-
dern, und dass die Bundesregierung alles für diese Förde-
rung tut. Andererseits halte ich es prinzipiell nicht für den
richtigen Weg, solche Start-ups über steuerliche Maßnah-
men zu fördern, schon gar nicht über die Umsatzsteuer;
denn eine solche Förderung würde letztlich nicht die Un-
ternehmen entlasten, seien es nun Start-ups oder nicht.
Vielmehr würde der Kunde entlastet, der bei einem Un-
ternehmen eine Dienstleistung nachfragt.
Sie müssen trotz aller gewünschter Förderung neuer
und junger Unternehmen die Wettbewerbsgleichheit be-
achten und dürfen bestehende Unternehmen, die zum Bei-
spiel auf traditionelle Art und Weise vergleichbare Dienst-
leistungen erbringen oder die eben angesprochenen Kul-
turgüter auf physische Art und Weise vertreiben, nicht
schlechter stellen. Wir können es nach meiner Meinung
nicht verantworten, dass unsere Städte nach einer Ände-
rung der Besteuerung zum Beispiel frei von Buchhand-
lungen sind.
Ich rufe die Frage 32
der Kollegin Martina Krogmann auf:
Welche Ansatzpunkte sieht die Bundesregierung für eine
multi- bzw. bilaterale Regelung der Besteuerung des Waren- und
Dienstleistungsverkehrs im Internet?
D
Die Bundesregierung un-
terstützt die unter ihrer Mitwirkung auf internationaler
Ebene vereinbarten Grundprinzipien, nach denen eine
Umsatzbesteuerung der elektronisch erbrachten Dienst-
leistungen im Verbrauchsland erfolgen soll. Der von der
Europäischen Kommission am 7. Juni 2000 vorgelegte
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Rates zur
Änderung der 6. EG-Richtlinie bezüglich der mehrwert-
steuerlichen Behandlung bestimmter elektronisch er-
brachter Dienstleistungen und der Vorschlag für eine Ver-
ordnung des Rates zur Änderung der Verordnung
Nr. 218/92 über die Zusammenarbeit der Verwaltungs-
behörden auf dem Gebiet der indirekten Besteuerung stel-
len aus Sicht der Bundesregierung einen geeigneten An-
satz dar, die international bereits vereinbarten Grundsätze
in EU-Recht bzw. in nationales Recht umzusetzen.
Es tut mir sehr Leid, wenn sich meine Antworten jetzt
etwas wiederholen. Aber Ihre Fragen liegen inhaltlich
auch sehr dicht beieinander.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatsse-
kretärin, erlauben Sie mir die Bemerkung, dass nach mei-
ner Einschätzung die Fragen nicht so sehr beieinander lie-
gen, dass Sie zu inhaltlich vergleichbaren Fragen viermal
die gleiche Antwort vortragen müssen.
D
Frau Kollegin, erlaubenSie mir die Bemerkung, dass durch die Vielzahl der hin-zugekommenen Zusatzfragen noch anstehende Fragenmöglicherweise schon mitbeantwortet waren.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000
Dr. Martina Krogmann10690
Frau Staatsse-
kretärin, darf ich trotzdem meine Zusatzfrage stellen?
D
Selbstverständlich.
Welche kon-
kreten Anstrengungen unternimmt die Bundesregierung
auf internationaler Ebene – die Antwort auf diese Frage
habe ich bis jetzt vermisst –, um beispielsweise auf
OECD-Ebene wirklich einen Gleichklang bezüglich der
Besteuerung zu erzielen? Diese Frage haben Sie bisher
nicht konkret beantwortet.
D
Frau Kollegin Krogmann,
es gibt auf der Ebene der OECD mehrere – ich sage das
jetzt untechnisch; ich glaube, sie heißen anders – Unter-
ausschüsse, zum Beispiel einen Steuerausschuss, die sich
mit unterschiedlichen Themen befassen. Allein zum
Thema – ich möchte das allgemein ausdrücken –
E-Commerce gibt es, glaube ich, drei verschiedene Un-
terarbeitsgruppen. In all diesen Unterarbeitsgruppen ist
das Bundesministerium der Finanzen, zum Teil durch
Landesbeamte unterstützt, sachkundig vertreten und ar-
beitet an der Erstellung aller Vorschläge mit.
Eine Zusatzfrage,
Frau Kollegin Heinen.
Frau Staatssekretärin,
fasse ich Ihre Ausführungen richtig zusammen, wenn ich
feststelle, dass Sie zwar ein großes Interesse daran haben,
elektronische Dienstleistungen zu besteuern, dass sie sich
aber bis heute im Grunde noch keine Gedanken darüber
gemacht haben, wie elektronische Dienstleistungen er-
fasst werden sollen und ob eine solche Besteuerung für
die Unternehmen wirklich handhabbar ist bzw. ob eine
solche Steuer überhaupt Sinn macht, wenn gleichzeitig
der Ausbau des Internets und die IT-Branche gefördert
werden sollen?
D
Frau Kollegin, Sie fassen
mich nicht richtig zusammen.
Keine Zusatz-
frage? –
Dann rufe ich die Frage 33 des Kollegen Wolfgang
Dehnel auf:
Ist der Bundesregierung die existenzgefährdende Mehrbelas-
tung der ostdeutschen Bundesunternehmen zur Sanierung der
Braunkohle- und Wismut-Bergbauschäden durch die drastisch ge-
stiegenen Dieselkraftstoffpreise bekannt?
D
Herr Kollege Dehnel, die
ostdeutschen Bundesunternehmen Lausitzer und Mittel-
deutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH, kurz
LMBV, und die Wismut GmbH sind durch die gestiege-
nen Dieselkraftstoffpreise in ihrer Existenz nicht bedroht;
allerdings haben die gestiegenen Kosten für Treibstoffe
bei einzelnen Auftragnehmern der bundeseigenen LMBV
im Bereich der Braunkohlesanierung zu Mehrbelastungen
gegenüber deren Angebotspreisen geführt. Hierbei han-
delt es sich um private Unternehmen, die sich im Rahmen
ordnungsgemäßer Ausschreibungen durch mehrjährige
Sanierungsaufträge vertraglich gebunden haben. Der
Bundesregierung ist bekannt, dass in einem Fall existenz-
bedrohende Mehrbelastungen geltend gemacht werden.
Das Unternehmen – nicht die Bundesregierung selbst – ist
dort im Gespräch.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretä-
rin, Sie haben gerade gesagt, dass dort Unternehmen be-
troffen seien. Sicherlich gehen auch Sie davon aus, dass
die Bundesregierung eine Aufsichts- und Fürsorgepflicht
gegenüber den bundeseigenen Unternehmen hat, die die-
sen Firmen Aufträge erteilen. Betroffen ist unter anderem
die BUL Sachsen GmbH, bei der 1 750 Mitarbeiter – un-
ter anderem mit der Auftragung von Material – beschäf-
tigt sind. Dort benötigt man enorm viel Diesel. Vor 1998
wurde er im Vertrag mit 0,80 DM angesetzt. Inzwischen
liegt sein Preis bei 1,22 DM. Damit würde jetzt ein Ver-
lust von insgesamt 3,4 Millionen DM eintreten. Ist Ihnen
diese Sachlage bekannt? Was unternehmen Sie, um diese
1 750 Mitarbeiter zu unterstützen, damit deren Arbeits-
plätze nicht den Bach runtergehen?
D
Herr Kollege Dehnel, der-
zeit finden Verhandlungen zwischen der LMBV und dem
von Ihnen genannten Unternehmen – ich selbst hätte den
Namen nicht genannt – statt. Das Ergebnis der Einzelfall-
prüfung ist auch hier abzuwarten. Ein Anspruch auf Nach-
besserung des Vertrags besteht nicht. Eine generelle Zu-
sage von Zugeständnissen seitens der LMBV, wie sie
übrigens auch vom Freistaat Sachsen gefordert wird, kann
deswegen nicht erfolgen. Eine Entscheidung muss sich
zunächst vielmehr ausschließlich an dem Interesse der
LMBV orientieren. Im Übrigen läge es primär in der Zu-
ständigkeit der Wirtschaftsförderung des Landes, einem
Not leidenden Unternehmen Unterstützung zu gewähren.
Eine zweite Zusatz-
frage.
Frau Staatssekretä-rin, auf die Antwort, das Land sei mit verantwortlich, habeich gewartet. Gehen Sie davon aus, dass der FreistaatSachsen seiner Verantwortung gerecht wird? Er hat schonzugesagt, den Betroffenen unter die Arme zu greifen. Istes nicht so, dass der Bund gegenüber diesen Mitarbeitern
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000 10691
in der Pflicht steht, dort unterstützend einzugreifen? Siebefinden sich seit Monaten in Verhandlungen und die Zeitdrängt, damit über 1 000 Beschäftigte bei einem Konkursnicht in Schwierigkeiten kommen.D
Herr Kollege, Unterneh-
men, die auf eine Ausschreibung hin ein Angebot abge-
ben, haben natürlich darauf zu achten, in ihr Angebot kos-
tendeckende Preise aufzunehmen. Obwohl weiterhin Ge-
spräche zwischen der LMBV und dem betroffenen
Unternehmen stattfinden, ist es deshalb nicht von vorn-
herein möglich, gestiegene Kosten durch eine nachträgli-
che Änderung der Vertragsgestaltung aufzufangen. Dies
würde nämlich eine Wettbewerbsverzerrung zulasten der-
jenigen Unternehmen bedeuten, die in ihren Angeboten
realistischere Preise eingesetzt haben.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Ulrich Klinkert.
Frau Staatssekretärin,
die Ökosteuer ist angeblich eingeführt worden, um Un-
ternehmen und Arbeitnehmer finanziell zu entlasten. Bei
dem Braunkohlesanierungsunternehmen tritt nun das
krasse Gegenteil ein. Sehen Sie es nicht als angebracht an,
dass dann, wenn solche Unternehmen unter anderem
durch die Ökosteuer in ihrer Existenz gefährdet sind, sei-
tens der Bundesregierung gewisse Ausgleichszahlungen
geleistet werden?
D
Herr Kollege Klinkert, die
Existenzgefährdung kann nicht mit der Ökosteuer, son-
dern nur mit den allgemein steigenden Treibstoffkosten
begründet werden.
Ich kann im Moment nicht genau sagen, welchen Cha-
rakter das in Rede stehende Unternehmen hat. Es gehört
höchstwahrscheinlich zum produzierenden Gewerbe.
– Gut, dann ist es ein Dienstleistungsunternehmen. – Es
wird aber, wenn es 1 700 Mitarbeiter hat, natürlich auch
entsprechend durch die Absenkung der Sozialversiche-
rungskosten entlastet.
Wenn wir die Kraftstoffpreise im Monat Juni dieses
Jahres mit denen im Monat Juni des vergangenen Jahres
vergleichen, so können wir feststellen, dass sie um durch-
schnittlich 50 Pfennig gestiegen sind. Wie viel es genau
bei Diesel war, habe ich nicht im Kopf, sondern ich rede
jetzt einmal von den Spritkosten im Allgemeinen. In die-
ser Zeit wurde die Ökosteuer aber nur um 6 Pfennig an-
gehoben.
– Nein, denn die Ökosteuer – ihre erste Stufe – wurde
schon im April des vergangenen Jahres eingeführt. Wenn
ich den Vergleich aber erst ab Juni des vergangenen Jah-
res anstelle, dann ist meine Feststellung richtig, dass die
Kraftstoffpreise nur mit 6 Pfennig zusätzlichen Steuern
belastet wurden. Diese sind dann in der Erhöhung der
Preise um 50 Pfennig enthalten. Von daher liegt es einfach
auf der Hand, dass die Steuererhöhung – es ist nicht zu be-
streiten, das die Ökosteuer daran einen gewissen Anteil
hat –,
wenn man diese 6 Pfennig in Relation zu den 50 Pfennig
setzt, gerade einmal einen Anteil von 5,5 Prozent an den
gestiegenen Kraftstoffpreisen hat.
Eine weitere Zusatz-
frage. Bitte schön.
Frau Staatssekretä-
rin, teilen Sie meine Auffassung, dass die Verfahrens-
weise des Bundeskanzlers bei der Firma Holzmann genau
dem widerspricht, was Sie eben auf die Frage des Kolle-
gen Dehnel ausgeführt haben?
D
Herr Kollege, ich hatte Ih-
nen gesagt, dass die LMBV weiterhin Gespräche mit
den betroffenen Unternehmen führt. Es ist ja nicht von
der Hand zu weisen, dass es möglicherweise auch zu ei-
ner nachträglichen Änderung der Angebotsbedingungen
kommt. Die Frage ist ja nicht entschieden, sondern beide
Seiten führen nach wie vor Gespräche miteinander. Dies
kann ich aber von hier aus nicht entscheiden, weil es in der
Verantwortung der LMBV liegt, diese Verhandlungen zu
führen. Der Bund hat natürlich dafür Sorge zu tragen, dass
die LMBV als Unternehmen nicht leichtfertig mit unge-
fähr 1Milliarde DM an öffentlichen Zuschüssen, die es je-
des Jahr bekommt, umgeht.
Ich rufe die Frage 34
des Kollegen Dehnel auf:
Wenn ja, plant die Bundesregierung gegebenenfalls Vertrags-
anpassungen mit den Sanierungsgesellschaften bzw. was unter-
nimmt sie sonst, um die Wirtschaftskraft und die Arbeitsplätze
dieser Bundesunternehmen in den strukturell benachteiligten
Bergbaurevieren Ostdeutschlands zu erhalten?
D
Bund und Länder stellenderzeit mehr als 1 Milliarde DM jährlich im Bereich derBraunkohlesanierung zur Verfügung. Dadurch wird dendortigen Sanierungsgesellschaften ein ganz erheblichesMarktvolumen eröffnet. Die Vergangenheit hat gezeigt,dass diese Unternehmen auch im Wettbewerb bestehenkönnen. Wettbewerb heißt aber auch, negative Konse-quenzen von Markt- und Preisentwicklungen zu tragen.Vertragspartner der Sanierungsgesellschaften ist die bun-
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Wolfgang Dehnel10692
deseigene LMBV. Sie hat als Empfänger staatlicher Zu-wendungen diese sparsam und wirtschaftlich zu verwen-den. Es bedarf daher in jedem Fall einer Einzelfallent-scheidung, ob eine Vertragsanpassung für die LMBV diewirtschaftlichste Alternative darstellt. Dies wird zurzeiterörtert.Es trifft zu, dass einzelne Unternehmen durch gestie-gene Kosten für Dieselkraftstoffe erheblich belastet wer-den. Ein generelles Problem liegt hier aber nicht vor. Esist auch nicht Aufgabe der LMBV oder des Bundes,unvorhergesehene Risiken oder kaufmännische Fehlkal-kulationen abzudecken. Noch weniger ist es möglich, dieExistenz einzelner Unternehmen in diesem Bereich zu si-chern. Eine Nachbesserung würde zudem diejenigenWettbewerber massiv benachteiligen, die bei der Kalku-lation ihrer Angebote möglichen Preissteigerungen aus-reichend Beachtung geschenkt haben.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretä-
rin, Sie haben die Antwort gegeben, dass der Bund prak-
tisch keine Möglichkeit sieht, irgendwelche zusätzlichen
Maßnahmen zu ergreifen. Gehen Sie davon aus, dass man
nicht nachbessern muss, wenn sich Maßnahmen, die auf
einem bestimmten Konzept basieren und dazu dienen sol-
len, Bergbauschäden zu beheben bzw. zu sanieren – was
ja letzten Endes auch der Auftrag der Bundesregierung
ist –, derartig verteuern?
D
Herr Kollege, ich hatte Ih-
nen ja schon gesagt, dass die Gespräche zwischen dem be-
troffenen Unternehmen, das Sie ansprechen, und der
LMBV noch im Gange sind. Selbstverständlich ist damit
auch der Abwägungsprozess verbunden, ob, wenn ein be-
deutenderes Sanierungsunternehmen in Zukunft nicht
mehr tätig sein könnte, dies möglicherweise Verzöge-
rungen im Sanierungsprozess zur Folge hätte, die dann
auch wieder Kosten verursachen könnten. Insofern ist
dies Gegenstand eines Abwägungsprozesses, den die
LMBV vollziehen muss.
Kollege Klinkert.
Frau Staatssekretärin,
ich darf bitte noch einmal auf die Ökosteuer zu sprechen
kommen. Als die Bergbausanierungsmaßnahmen in den
Jahren 1997/98 geplant waren, ging man von 80 Pfennig
für den Liter Diesel aus. Das haben Sie korrekt ausge-
führt. In der Zwischenzeit gab es zweimal eine Erhöhung
um je 6 Pfennig aufgrund der Ökosteuer. Drei weitere Er-
höhungen im Rahmen der Ökosteuer à 6 Pfennig sind ge-
plant. Das heißt: Es wird zu Kosten in einer Größenord-
nung von Millionen DM kommen, die 1997/98 wirklich
noch nicht absehbar waren.
Können Sie sich vorstellen, dass die Bundesregierung
vor diesem Hintergrund wenigstens auf die vertragsbrü-
chige Kürzung der Braunkohlesanierungsmittel um je
50 Millionen DM in den Jahren 2001 und 2002 verzich-
tet?
D
Herr Kollege, ich vermag
den Zusammenhang nicht zu erkennen; denn die LMBV
ist ja nicht etwa zahlungsunfähig geworden. Zwei Jahre
lang stehen jedes Jahr immerhin noch 1 Milliarde DM zur
Verfügung. Die Tatsache, dass in zwei Jahren etwa
50 Millionen DM weniger bereitgestellt werden, hat aber
nicht dazu geführt, dass die LMBVVertragsunternehmen
nicht bezahlt hätte. Dies kann also selbstverständlich
nicht die Ursache der Probleme von auftragnehmenden
Unternehmen in der Region sein.
Die von Ihnen angesprochene Ökosteuer ist natürlich –
ich habe es eben eingeräumt – zum Teil an dem Anstieg
der Kraftstoffpreise, also auch an dem Anstieg der Die-
selpreise, beteiligt. Aber wie Sie wissen: nicht allein. Dass
in der Tat seit 1997 die Kraftstoffpreise erheblich gestie-
gen sind, beruhend nur zu einem ganz geringen Teil auf
der Ökosteuer, ist nicht von der Hand zu weisen. Deshalb
steht die LMBV mit den betroffenen Unternehmen wei-
terhin in Verhandlungen.
Mit Blick auf die Zeit
möchte ich nur noch die beiden nächsten Fragen aufrufen.
Ich weise aber darauf hin, dass ich nur von den beiden be-
treffenden Kollegen Zusatzfragen zulassen kann.
Ich rufe zunächst die Frage 35 des Kollegen Hartmut
Koschyk auf:
Welche Gespräche haben bisher zwischen der Bundesregie-
rung und den Kirchen über Möglichkeiten der Kompensation für
die Einbußen beim Kirchensteueraufkommen durch das Steuer-
entlastungsgesetz 1999/2000/2002, durch die Änderungen der
Besteuerung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse und
durch künftige Änderungen wie die Neuregelung der Unterneh-
mensbesteuerung stattgefunden und zu welchen Ergebnissen führ-
ten diese Gespräche?
D
Herr Kollege Koschyk,zwischen der Bundesregierung und den Kirchen haben imZusammenhang mit den genannten Gesetzesvorhaben aufverschiedenen Ebenen Gespräche stattgefunden, in derenRahmen die Kirchen über den Inhalt der geplanten Steu-errechtsänderungen sowie deren Auswirkungen auf dasKirchensteueraufkommen informiert wurden. Dabei wur-den die Kirchen darauf hingewiesen, dass die Bundesre-gierung zwar bei der Ausgestaltung der Steuerrechtsände-rung im Rahmen des Möglichen versuchen wird, auf ihreBelange Rücksicht zu nehmen. Es darf aber nicht überse-hen werden, dass Maßnahmen zur Kompensation derdurch die staatliche Steuergesetzgebung entstehendenKirchensteuerausfälle unmittelbar durch den Bund nichtmöglich sind.Nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzesliegt die Zuständigkeit für die Kirchensteuergesetzgebungbei den Ländern. Dementsprechend wurde von der Fi-nanzministerkonferenz eine aus Vertretern der Länder undder Kirchen bestehende Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks10693
mit den Auswirkungen der staatlichen Steuergesetzge-bung auf das Kirchensteueraufkommen sowie mit ent-sprechenden Reaktionsmöglichkeiten befasst. An den Sit-zungen der Arbeitsgruppe nimmt ein Angehöriger desBMF als Beobachter teil.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretä-
rin, können Sie Zahlen angeben, die zeigen, mit welchen
Ausfällen die Kirchen durch die bereits beschlosse-
nen Steuerentscheidungen der Bundesregierung und der
Bundestagsmehrheit, aber auch mit welchen Ausfällen die
Kirchen durch Änderungen der Besteuerung im Bereich
der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse rechnen
müssen?
D
Herr Kollege Koschyk, die
durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 be-
dingten Einnahmeausfälle der Kirchen sind für das Jahr
2000 auf circa 370 Millionen DM, für das Jahr 2001 auf
circa 250 Millionen DM und für das Jahr 2002 auf circa
1 500 Millionen DM zu beziffern. Auf dem Niveau von
circa 1 500 Millionen DM verharren die Ausfälle voraus-
sichtlich auch in den Folgejahren.
Das Gesetz zur Neuregelung der geringfügigen Be-
schäftigungsverhältnisse wird mit Mindereinnahmen von
jährlich circa 50 Millionen DM zu Buche schlagen.
Nach In-Kraft-Treten des Steuersenkungsgesetzes ist
allerdings mittel- und langfristig mit einem weiteren
Wachstum des Kirchensteueraufkommens zu rechnen.
Das Kirchensteueraufkommen wird im Jahre 2006 mit gut
20 Milliarden DM um 2,9 Milliarden DM höher als heute
ausfallen.
Ich darf ergänzend darauf hinweisen, dass beide Kir-
chen natürlich Verständnis dafür haben, dass sich eine all-
gemeine Senkung der Steuersätze bei der Lohn- und Ein-
kommensteuer notwendigerweise auf die Kirchensteuer
auswirken muss. Wie Sie wissen, knüpfen die Kirchen-
steuergesetze der Länder daran an. Die Sätze sind mit
8 bis 9 Prozent der Lohnsteuerschuld leicht unter-
schiedlich.
Sie sehen an den Einnahmeausfällen, die die Kirchen
in diesem Zusammenhang zu verkraften haben, unter
Berücksichtigung der Tatsache, dass nicht alle Lohn- und
Einkommensteuerzahler zugleich auch Kirchenmitglie-
der sind, in welchem Umfang die Bundesregierung die
Lohn- und Einkommensteuerzahler schon bisher entlastet
hat.
Eine zweite Zusatz-
frage.
Habe ich Sie richtig
verstanden, Frau Staatssekretärin, dass Sie insgesamt da-
mit rechnen, dass die Mehreinnahmen im Kirchensteuer-
bereich den von Ihnen im Einzelfall vorhin genannten
Mindereinnahmen gegenüberstehen werden, dass es also
einen positiven Saldo gibt?
D
Jedenfalls mittelfristig. Ich
hatte eben das Jahr 2006 genannt. Allerdings ist das für
das Jahr 2001 überhaupt nicht denkbar. Wir haben für das
Jahr 2001 durch das Steuersenkungsgesetz, welches im
Moment noch nicht so recht vorankommt – ich hoffe aber,
dass uns das am Freitag nächster Woche abschließend ge-
lingen wird –, eine Nettosteuerentlastung von 44 Milliar-
den DM vorgesehen. Diese Entlastung wird sich nur zum
geringsten Teil bei der Körperschaftsteuer und zum aller-
größten Teil bei der Lohn- und Einkommensteuer erge-
ben. Dies muss sich notwendigerweise nicht nur auf die
Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden auswirken,
sondern führt auch zu Einnahmeverlusten der Kirchen.
Allerdings ist in einem mittelfristigen Zeitraum – anders
wäre es auch für die öffentliche Hand nicht zu verantwor-
ten – wieder mit steigendem Kirchensteueraufkommen zu
rechnen.
Die Fragen 36 und 37
des Kollegen Hans Michelbach, die Frage 38 der Kolle-
gin Gerda Hasselfeldt und die Frage 41 des Kollegen
Martin Hohmann werden schriftlich beantwortet.
Es bleiben die beiden Fragen des Kollegen Christian
Lange . Ich rufe zunächst die Frage 39 des Ab-
geordneten Christian Lange auf:
Hat sich die seit dem 1. Januar 2000 geltende Regelung des
§ 12 a Abs. 4 des Finanzverwaltungsgesetzes , die die Wei-
tergabe von im Rahmen von Überwachungsmaßnahmen des
grenzüberschreitenden Bargeldverkehrs gefun-
denen Unterlagen an
die zuständige Steuerfahndung/Finanzämter ermöglicht, bewährt
und wie hoch beziffert die Bundesregierung in DM den durch
diese „Schwarzgeldkonten“ nacherhobenen Mehrwert an Steuer-
einnahmen?
D
Herr Kollege Lange, mitder Änderung des § 12 a Abs. 4 Satz 3 des Finanzverwal-tungsgesetzes durch Artikel 23 des Steuerbereinigungsge-setzes 1999 mit Wirkung vom 1. Januar 2000 wurde aufdas Vorliegen von Anhaltspunkten für Geldwäsche als Vo-raussetzung für eine Datenübermittlung an andere Fi-nanzbehörden verzichtet. Es genügt nunmehr, wenn beimEmpfänger die Kenntnis der Daten für ein Besteuerungs-,Steuerstraf- oder Steuerordnungswidrigkeitenverfahrenvon Bedeutung sein kann.Um konkrete Aussagen darüber treffen zu können, obsich die neue Regelung bewährt hat, ist der Zeitraum seitEinführung noch zu kurz. Erste Auswertungen zeigen je-doch, dass die den Finanzbehörden auf der Grundlage desgeänderten § 12 a Abs. 4 des Finanzverwaltungsgesetzesübermittelten Beträge bedeutend gestiegen sind. So wur-den im vierten Quartal 1999 vor Einführung der neuenRegelung in 19 Fällen insgesamt 2 624 761 DM denFinanzämtern beziehungsweise den Steuerfahndungs-dienststellen übermittelt. Im ersten Quartal 2000 stieg dieAnzahl der übermittelten Fälle auf 197 mit einem über-mittelten Betrag von 28 070 917 DM an.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks10694
Die Höhe der nacherhobenen Mehrsteuern mit Bezugzur Bargeldkontrolle nach § 12 a Abs. 4 des Finanzver-waltungsgesetzes kann mangels gesonderter statistischerErhebungen nicht beziffert werden. Die Arbeitsergebnisseder Steuerfahndungsdienste der Länder, die jährlich in ei-ner Bundesstatistik zusammengefasst werden, enthaltenlediglich die Gesamtsumme der Mehrsteuern aus Straf-verfahren, in denen Informationen nach §§ 10 Abs. 2,11 Abs. 5 des Geldwäschegesetzes und § 12 a des Finanz-verwaltungsgesetzes Eingang in die Ermittlungen gefun-den haben. Nach dem dem Bundesministerium der Finan-zen bis jetzt gemeldeten Zahlenmaterial beträgt die vor-läufige Gesamtsumme für das Jahr 1999 gut 45 MillionenDM.
War das die Beant-
wortung beider Fragen?
D
Das war die Beantwortung
der ersten Frage. Aber ich kann die Beantwortung der
zweiten Frage anschließen, wenn der Fragesteller einver-
standen ist.
Einverstanden? –
Gut.
Ich rufe die Frage 40 des Abgeordneten Christian
Lange auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die gesetzliche Regelung
des § 12 a Abs. 4 Satz 3 FVG durch restriktive Auslegung dahin
gehend einzuschränken, dass zum Beispiel Kontrollmitteilungen
mit Übersendung entsprechender Unterlagen zwischen Zollver-
waltung und Finanzämtern erheblich eingeschränkt werden, da
sich in letzter Zeit Beschwerden über Bargeldkontrollen im Be-
reich von Drittlandsgrenzen, insbesondere durch Einsichtnahme
in persönliche Unterlagen wie Notizbücher und Kontounterlagen,
gehäuft hätten, oder wird im Vorgriff auf einen durch das Bun-
desministerium der Finanzen angekündigten Erlass bereits heute
auf Weisung restriktiv verfahren?
D
Bargeldkontrollen be-
rühren – wie jede Art von Kontrollen – den Persönlich-
keitsbereich des Reisenden. Die erweiterten Befugnisse
der Zollverwaltung zur Datenübermittlung personenbezo-
gener Daten an die Steuerbehörden durch die Änderung
des § 12 a Abs. 4 Satz 3 des Finanzverwaltungsgesetzes
haben in letzter Zeit zu kritischen Reaktionen von kon-
trollierten Personen geführt. Einzelne Kontrollbeamte an
der Drittlandsgrenze sind nach In-Kraft-Treten des Steu-
erbereinigungsgesetzes 1999 dazu übergegangen, steuer-
lich möglicherweise relevante Fragen selbst dann zu stel-
len, wenn der Reisende keine höheren Geldbeträge mit
sich führt. Darüber hinaus scheinen Reisende häufig den
Eindruck zu haben, es werde nach steuerlich möglicher-
weise interessanten Unterlagen – unabhängig von dem
Mitführen größerer Geldbeträge – gezielt gesucht.
Derartiges Verhalten geht über die gesetzliche Aufga-
benstellung hinaus. Eine Datenerhebung auf der Grund-
lage des § 12 a Abs. 4 des Finanzverwaltungsgesetzes ist
nur in den Fällen zulässig, in denen auch Zahlungsmittel
gefunden werden. Werden keine Zahlungsmittel im Wert
von 30 000 DM oder mehr gefunden, fehlt es an dem Be-
zugspunkt für die Erhebung personenbezogener Daten
nach § 12 a Abs. 2 des Finanzverwaltungsgesetzes. Eine
Rechtsgrundlage für die Erhebung anderer, nicht auf Zah-
lungsmittel bezogener Daten enthalten die Vorschriften
über die Bargeldkontrollen nicht. § 12 a Abs. 4 Satz 3 des
Finanzverwaltungsgesetzes gibt insoweit lediglich die
Befugnis, die zulässigerweise im Rahmen einer Bargeld-
kontrolle erhobenen Daten an andere Finanzbehörden zu
übermitteln. Die Übermittlungsbefugnis nach Maßgabe
von § 30 Abs. 4 der Abgabenordnung – also einer schon
seit sehr langer Zeit bestehenden Regelung – bei so ge-
nannten Zufallsfunden im Rahmen allgemeiner Zollkon-
trollen bleibt natürlich unberührt.
Das Bundesministerium der Finanzen hat die Be-
schwerden über Bargeldkontrollen zum Anlass genom-
men, die Rechtslage gegenüber den Oberfinanzdirektio-
nen im Erlasswege klarzustellen. Eine Einschränkung der
Übermittlungsbefugnis durch eine restriktive Rechtsaus-
legung des § 12 a Abs. 4 des Finanzverwaltungsgesetzes
ist nicht sachgerecht und deshalb auch nicht beabsichtigt.
Allerdings sorgen wir in Fortbildungsveranstaltungen für
die Beamten des Grenzaufsichtsdienstes dafür, dass das
jeweils angemessene Verhalten eingeübt wird.
Es gibt keine Zusatz-
frage.
Damit sind Sie erlöst, Frau Parlamentarische Staatsse-
kretärin; Sie wurden heute sehr in Anspruch genommen.
Ich danke Ihnen.
Die noch ausstehenden Fragen aus den Geschäftsbe-
reichen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Tech-
nologie, des Bundesministeriums für Arbeit und Sozial-
ordnung und des Bundesministeriums der Verteidigung1)
werden nach der Geschäftsordnung schriftlich beantwor-
tet.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der PDS
Haltung der Bundesregierung zur öffentlichen
Kritik am Bericht der Bundesregierung über
die Wirkungen der Nutzungsentgeltverord-
nung
Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst für den
Antragsteller der Kollegin Dr. Evelyn Kenzler das Wort.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Unsere Kritik beginnt schondamit, dass die Bundesregierung ein Jahr Terminüber-schreitung in Anspruch nahm, um einer Aufforderung desBundestages vom Juni 1998 nachzukommen, dem Bun-destag bis zum 30. Juni 1999 den Bericht über die Wir-kungen der Nutzungsentgeltverordnung vorzulegen. Nun
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks10695
1) Die Antworten auf die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bun-desministeriums der Verteidigung lagen bei Redaktionsschlussnoch nicht vor.wird dem Parlament ein „Bericht über die Wirkungen derNutzungsentgeltverordnung sowie zu notwendigen Ände-rungen“ zugemutet, der zu dem Ergebnis kommt, dass beider Anwendung der Nutzungsentgeltverordnung alles inOrdnung sei und kein gesetzgeberischer Handlungsbedarfbestehe. Das stößt zu Recht auf einhellige Ablehnung undEmpörung bei den Betroffenen und ihren Verbänden.Die Bundesregierung verlässt mit der UnterrichtungPositionen, die die SPD als Opposition in der 13. Wahl-periode hochgehalten hat.
Ich erinnere an die wunderschönen Anträge der SPD-Fraktion zugunsten der Nutzer, die allesamt Hoffnungenbei den Betroffenen auf eine Verbesserung ihrer Lage er-weckt haben.
Ich erinnere auch an die lobenswerten Bundesratsinitiati-ven der sozialdemokratisch geführten Regierungen vonBrandenburg und Sachsen-Anhalt.Jetzt lässt die Regierung jedoch in den Schlussfolge-rungen des Berichts erklären, es gebe keinen zwingendengesetzgeberischen Änderungsbedarf bei der Nutzungsent-geltverordnung und „die Prämissen für die Forderungennach einer Begrenzung des Entgeltniveaus, die von einerdurch ständige Entgelterhöhungen ausgelösten hohen fi-nanziellen Belastung der Nutzer ausgehen“ seien „nichtzutreffend“.Unverständlich ist, wie diese Wende zustande kam, dievom Präsidenten des VDGN als ein „Meisterstück vontrickreichem Parlamentarismus“ bezeichnet wird.
Nun zu einzelnen Kritikpunkten bezüglich des Gut-achtens. Aus 9 000 Haushalten wurden per Telefon500 Nutzer herausgefiltert und intensiver befragt. Ich be-zweifle, dass diese Fallzahl ausreichend ist, um zu sol-chen Schlussfolgerungen zu kommen, wie sie die Bun-desregierung zieht. Die Umfrage wurde im Juni und An-fang Juli 1999 durchgeführt, also zu einer Zeit, da diemeisten Nutzer auf ihrem Grundstück saßen und nicht zuHause am Telefon. Das gilt vor allem für die vielen ar-beitslosen Nutzer und die Rentner, die dort zum Teil garkein Telefon haben. Diese Personengruppe ist in dem Gut-achten offenbar völlig unzureichend erfasst.Deshalb kommt der Bericht zu dem falschen Ergebnis,dass die Nutzer zu den „Besserverdienenden“ unter denOssis gehören und dass nur 38 Prozent von ihnen das60. Lebensjahr vollendet haben – nach Angabe der Ver-bände sind es 70 Prozent. So erklärt sich vielleicht auchdie allen Erfahrungen widersprechende Feststellung, dassdie Haushaltseinkommen der Nutzer durch das Entgeltsehr gering belastet werden.Die Hochrechnung der Umfrage bei den 500 Nut-zern ergibt meines Erachtens schlicht falsche Zahlen.320 000 Nutzungsverhältnisse und 430 000 Kleingärtnersoll es danach geben. Die Verbände gehen von einer Zahlder Nutzungsverhältnisse in der Größenordnung von un-gefähr 1 Million aus, also mehr als dem Dreifachen. Dasist eine doch sehr deutliche Divergenz. Die statistischeAusgangsbasis dieses Gutachtens ist deshalb unzu-treffend. Damit sind alle anderen Ergebnisse ebenfalls in-frage zu stellen. Fachleute sagen, dass mindestens 1 000Nutzer hätten gefragt werden müssen, um repräsentativeErgebnisse zu erhalten. Bei länderspezifischen Angabenhätten es entsprechend viele Nutzer sein müssen.Ich möchte wissen, von einer wie geringen Fallzahl –bei insgesamt 500 Nutzern – ein so exakt daherkommen-des Entgelt der Altnutzer wie das in Thüringen in Höhevon 94 Pfennig pro Quadratmeter abgeleitet wurde. Dieempirischen Materialien und die Erfahrungen der Ver-bände der Betroffenen, die weit mehr als die befragten500 Nutzer erfassen, blieben unbeachtet, obwohl sie demInstitut und dem BMJ zur Auswertung zur Verfügungstanden.Die Regierung hat das Gutachten unbesehen in ihrenBericht übernommen, ohne dass sie den Verbänden dieGelegenheit gegeben hat, ihre Meinung zu äußern. Ichkann der Regierung deshalb nur raten, diesen Berichtzurückzuziehen und ein neues Gutachten ausarbeiten zulassen. Die Regierung wird darauf wahrscheinlich nichthören. Deshalb muss der Bundestag den von ihm ange-forderten und an ihn gerichteten Bericht als ungenügendzurückweisen,
die Regierung zu erneuter, besser begründeter Berichter-stattung auffordern und inzwischen – entsprechend demAntrag unserer Fraktion – ein Moratorium im Hinblickauf die Erhöhung der Nutzungsentgelte beschließen.
Für die SPD-Frak-
tion spricht der Kollege Hans-Joachim Hacker.
Herr Präsident!Meine sehr verehrten Damen und Herren! FrauDr. Kenzler, gerade Ihre letzte Forderung, ein Morato-rium, also eine Nutzungsentgeltbegrenzung, einzuführen,widerspricht der Realität in den neuen Ländern. Dies wirdnicht nur in dem vorliegenden Gutachten bzw. von derBundesregierung so beurteilt, die ein Gutachten zitiert –sie hat es nicht selber geschrieben –, sondern dies ist auchnach Einschätzung von Verbänden so, die in der Vergan-genheit natürlich gehört worden sind und nicht, wie Sie esdargestellt haben, draußen vor der Tür gestanden haben.Ich erinnere nur an die entsprechende Anhörung, die aufInitiative der Bund-Länder-Arbeitsgruppe, bei der dasBundesjustizministerium und das Land Brandenburg fe-derführend waren, im September des vorigen Jahres hierin Berlin durchgeführt worden ist.Frau Dr. Kenzler, in einem haben Sie Recht: Die Frageder Nutzungsentgelte, der Schuldrechtsanpassung ist einhochsensibles Thema, eine Thematik, die uns jahrelangbeschäftigt hat. Sie haben richtig herausgestellt, dass sichdie SPD gerade in den letzten Jahren sehr intensiv mit die-ser Thematik beschäftigt hat. Wir haben uns dafür einge-setzt, dass in den neuen Ländern beim Nutzerschutz einhohes Niveau erreicht wurde. Im Schuldrechtsanpas-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000
Dr. Evelyn Kenzler10696
sungsgesetz wurde für die neuen Länder ein Schutzrah-men gestaltet, der weit über das hinausgeht, was nach demBGB möglich gewesen wäre. Auch das gehört zur Rea-lität.
Zur Realität gehört natürlich auch – das führt in diesemZusammenhang zu heftigen Emotionen –, dass die Nutzervon Datschengrundstücken mit ihrem Nutzungsrechtviele Jahre eigener Tätigkeit verbinden, zum Teil ihre Le-bensleistungen damit verknüpfen, verbunden mit der Er-innerung, dass natürlich zu DDR-Zeiten sehr aufwendigeBemühungen erforderlich waren, um an Baumaterialienheranzukommen. Auch das wissen wir alle.Diese Tatsachen sind aber nicht dazu geeignet, heutedie Verfassung der Bundesrepublik Deutschland neu zuschreiben und Rechtspositionen der Grundstückseigentü-mer infrage zu stellen. Das haben wir natürlich – dazu be-kenne ich mich – bei der Gesetzesfassung und der Novel-lierung immer im Blick gehabt und das war ein Grunddafür, dass die SPD-Bundestagsfraktion gesagt hat: Wirmüssen prüfen, was wir im Bereich des Nutzerschutzesnoch tun können.Auch ich lese sehr aufmerksam die Zeitschrift „DasGrundstück“ vom VDGN. Frau Dr. Kenzler, auch Sieschreiben in dieser Zeitschrift hin und wieder Artikel.Nicht alle Ausführungen, die Sie dort machen, sind für diebetroffenen Nutzer hilfreich, weil nur das hilft,
was weiterführt. Nicht Steine in der Hand helfen, sondernnur Brot in der Hand.Ich will mich hier nicht bei denjenigen einreihen, diebei jeder in diesem Zusammenhang zu treffenden gesetz-lichen Regelung sofort Art. 14 des Grundgesetzes zitierenund sagen: Wenn wir so oder so vorgehen, dann landet dasGesetz in Karlsruhe, weil es nicht verfassungskonformist. Das ist oft ein Schutzargument. Herr Funke, auch Siekennen das. Ich finde schon, dass es einen gewissen Spiel-raum gibt. Aber dieser Spielraum ist durch die Verfas-sung, durch den in Art. 14 des Grundgesetzes garantiertenSchutz des Eigentums, begrenzt.Damit bin ich bei einem Punkt, mit dem wir es – abge-sehen vom Inhalt des betreffenden Gutachtens – in dennächsten Monaten zu tun haben werden. In einem Urteildes Bundesverfassungsgerichts vom November 1999wird festgestellt, das Schuldrechtsanpassungsgesetz sei ineinigen Punkten korrekturbedürftig. So ist ja die Schutz-regelung für die Nutzer von Garagengrundstücken zum1. Januar 2000 aufgehoben worden, was ich persönlichbedaure. Ich möchte daher an die Kommunen, die ja imWesentlichen die Eigentümer dieser Grundstücke sind,appellieren, jetzt keine Kündigungen auszusprechen, son-dern diese Nutzungsverhältnisse in einem privatrechtli-chen Rahmen weiterzuführen. Mir ist nicht bekannt – we-der aus meiner Stadt noch aus anderen Städten –, dass jetztein Tohuwabohu ausgebrochen ist. Ganz im Gegenteil:Hier sind Kommunalpolitiker gefragt, die verantwor-tungsvoll sind und sich vernünftig verhalten. Damit willich sagen, dass wir hier nicht alleine stehen und nach Be-lieben Gesetze stricken können. Wir stehen vielmehr inder Kontinuität dessen, was wir im Schuldrechtsanpas-sungsgesetz geregelt haben.In diesem Zusammenhang möchte ich das Gutachtenals eine analytische Aussage, basierend auf einer erhebli-chen Befragungsbreite, ausdrücklich verteidigen. WennSie sich einmal mit der Thematik der Nutzungsent-gelterhöhung befassen, Frau Dr. Kenzler, dann werden Siefeststellen, dass die Nutzungsentgeltverordnung schonjetzt mehr als Hilfereichungen enthält. Es gibt keine Will-kür bei der Nutzungsentgelterhöhung. Wir haben gegen-wärtig festzustellen – zum Glück –, dass sich das, wasman als marktwirtschaftliche Elemente bezeichnet, in denneuen Ländern einspielt. Und dies ist nicht zum Schadender Nutzer. Vielmehr installiert sich dort ein Grund-stücksmarkt, mithilfe dessen die Nutzer die Chance ha-ben, gegen Preistreiber, ob privat oder vonseiten derKommunen, besser zu bestehen. Das ist angesichts derexorbitant hohen Entgelterhöhungen in den vergangenenJahren auch richtig so. Auch das gehört zur Lebensrea-lität: Es hat sich ein Markt herausgebildet und es findenMarktkorrekturen statt.Ich bleibe trotzdem dabei, dass wir prüfen müssen – dieBund-Länder-Arbeitsgruppe wird ihre Tätigkeit in dennächsten Monaten weiterführen –, wo noch Handlungs-spielraum besteht. Auch die Problematik der Ortsüblich-keit, was vor Ort oftmals zu Streit führt, muss auf dieMöglichkeit einer Klarstellung hin überprüft werden.Mein letzter Appell: Wir können bezüglich des Schuld-rechtsanpassungsgesetzes nur das tun, was vor dem Hin-tergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts Be-stand hat und am Ende auch die Lebensrealität wi-derspiegelt. Frau Dr. Kenzler, ich lade Sie herzlich ein:Bringen Sie Botschaften, die helfen, nicht Botschaften,die die Köpfe der Betroffenen verwirren. Das hilft den Be-troffenen überhaupt nicht.Ich danke Ihnen.
Ich gebe der Abge-
ordneten Andrea Voßhoff für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Verehrter Herr Kollege Hacker, Siesind seit 1998 in der Bundesregierung. Wie lange wollenSie noch prüfen?
– Gut, Sie stellen die Bundesregierung, Herr Hacker.
Die Chronik des uns nun vorliegenden Berichts überdie Wirkungen der Nutzungsentgeltverordnung wirft einbedauerliches Licht auf die rot-grüne Bundesregierung:
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Hans-Joachim Hacker10697
Im Juli des Jahres 1998 – noch unter Führung derCDU/CSU und F.D.P. – entschloss sich dieses Hohe Hausdazu, von der Bundesregierung einen Bericht über dieWirkungen der Nutzungsentgeltverordnung anzufordern.Sowohl der erste für die Vorlage des Berichts angekün-digte Termin im Juni 1999 als auch der daraufhin in Aus-sicht gestellte Termin im Jahr 2000 verstrich, ohne dassRot-Grün seiner parlamentarischen Verpflichtung nach-gekommen wäre.
Nun endlich, im Juni des Jahres 2000, das heißt mit ein-jähriger Verspätung, sah sich die Bundesregierung inder Lage, die angeforderten Unterlagen vorzulegen. DieChronik von Rot-Grün lässt mich zu Recht die Frage stel-len, ob Ihnen eigentlich ernsthaft an einer Erfüllung dervom Parlament erteilten Aufträge gelegen ist. Ich be-fürchte fast, dem ist nicht so.
Aber damit nicht genug. Nicht nur, dass Sie sich mitder Vorlage dieses Berichts über Gebühr Zeit gelassen ha-ben – nein, Sie haben es zudem nicht lassen können,während dieser Wartezeit insbesondere den Nutzern diegroßartigsten Ankündigungen hinsichtlich einer Verbes-serung ihrer Situation zu unterbreiten. Dies ist, wie ichmeine, ein eklatanter Verstoß gegen das gebotene Verhal-ten, doch bitte zunächst die entsprechende Untersuchungabzuwarten und nicht im Vorfeld Erwartungen zu wecken,die dann gegebenenfalls enttäuscht werden müssen.
Dies, meine Damen und Herren, ist das zweite unrühmli-che Licht, das im Zusammenhang mit der Geschichte desBerichts über die Nutzungsentgeltverordnung auf dieFraktionen von Rot und Grün fällt.So ist es nun auch gekommen. Nach allem, was der Be-richt gegenwärtig an Informationen zur Verfügung stellt,ist die rot-grüne Kritik hinsichtlich der Wirkungen der un-ter Regierungsbeteiligung von CDU und CSU erlassenenRegelungen unberechtigt. Das Gegenteil ist der Fall: DerBericht kommt so, wie er nun vorliegt, ganz überwiegendzu dem Ergebnis, dass sich die zugrunde liegenden Ge-setzesregelungen bewährt haben, dass ihnen eine hohe be-friedende Wirkung zukommt und dass regelmäßig die In-tentionen der Gesetzesbestimmungen bezüglich einer An-gleichung der Nutzungsverhältnisse erreicht wurden.Gleichwohl zieht die Veröffentlichung des Berichtseinschließlich der Untersuchung gegenwärtig Kritik aufsich. Jeder Abgeordnete wird zwischenzeitlich entspre-chende Schreiben erhalten haben. Das Gutachten zeichnesich – so heißt es in einem der Schreiben, das uns erreichthat – durch „offensichtlich erkennbare Missachtung derprimitivsten Grundregeln statistischer Analysen, Wider-sprüchlichkeit und fehlende Tiefgründigkeit aus“. Zu die-ser Bewertung kommt jedenfalls der Autor einer der unsin den letzten Tagen zugesandten Kritiken. Dem Vorwurf,dem Gutachten und dem auf ihm basierenden Bericht lä-gen fehlerhafte Ermittlungen zugrunde, muss natürlichnachgegangen werden. Deshalb nehme ich die heutigeAktuelle Stunde zum Anlass, diese Kritik an die Bundes-regierung weiterzureichen.
Es kann beispielsweise nicht sein, dass der Bericht zueiner Anzahl von insgesamt 430 000 Kleingärten kommt,der Absender besagter Kritik – meines Wissens war dasSchreiben vom VGN – aber eine Zahl von über 780 000in den Raum stellt. Ferner kann und darf der Vorwurf die-ses Kritikers nicht lauten, der Regierung sei „das Gefühl,was die Menschen hier im Osten bewege, verloren ge-gangen“.Meine Damen und Herren von Rot-Grün, erledigen Siedeshalb hier Ihre Hausaufgaben und überprüfen Sie dieGrundlagen und Ermittlungsformen des Gutachtens.
Aber bitte verspäten Sie sich nicht wieder in so ungehöri-ger Weise, sondern legen Sie uns die Ergebnisse dieserkritischen Überprüfung diesmal zügig und pünktlich vor.An die Adresse der PDS sei mir noch folgende Anmer-kung erlaubt: Es gibt in diesem Lande gerichtliche Insti-tutionen. Eine dieser gerichtlichen Institutionen ist dasBundesverfassungsgericht mit seinem Sitz in Karlsruhe.Ich kann Sie nur ermahnen, das, was dieses höchste Ge-richt für Recht erachtet, auch als solches anzuerkennen.Wenn das Bundesverfassungsgericht in seiner im Novem-ber des vergangenen Jahres veröffentlichten Entschei-dung zu dem Ergebnis kommt, dass die Nutzungsentgelt-verordnung, was die Rechte der Nutzer betrifft, verfas-sungsgemäß ist, so gilt dieses Ergebnis auch für dieDamen und Herren der PDS.Sie wissen sehr genau, dass mit diesem Beschluss desBundesverfassungsgerichts der Rahmen für weitere Än-derungen zugunsten der Nutzer eher eingeschränkt dennerweitert wurde. Das Bundesverfassungsgericht hat ei-nige Vorschriften des geltenden Rechts, die den Nutzerbegünstigen, als zu einseitige und daher die Grundstücks-eigentümer in verfassungsrechtlicher Weise belastendeInhalts- und Schrankenbestimmungen nach Art. 14Grundgesetz beanstandet. Hören Sie also damit auf,meine Damen und Herren von der PDS, Forderungen zustellen, die rechtlich nicht erfüllbar sind.Wir von der CDU/CSU haben immer die Auffassungvertreten, dass zwischen Nutzern und Eigentümern einesozial ausgewogene und verfassungsgemäße Interessen-lage geschaffen werden muss. Dies zu erreichen war In-tention der von der CDU/CSU geführten Bundesregie-rung bei der Schaffung des Schuldrechtsanpassungsgeset-zes und der Nutzungsentgeltverordnung. Beides ist unssowohl nach dem Ergebnis des nun vorliegenden Berichtsals auch nach der zitierten Entscheidung des Bundesver-fassungsgerichts in weiten Teilbereichen gelungen. Obund inwieweit allerdings der vorliegende Bericht auf re-präsentativen Umfragen beruht und deshalb verwertbarist oder nicht, werden wir im zuständigen Rechtsaus-schuss diskutieren und entscheiden müssen. Entsprechen-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000
Andrea Voßhoff10698
des habe ich bereits in der heutigen Ausschusssitzung an-gekündigt.Vielen Dank.
Für Bündnis 90/DieGrünen spricht der Abgeordnete Christian Ströbele.
gen! Frau Voßhoff, Sie müssen sich schon entscheiden, obSie dieses Gutachten zur Grundlage machen wollen odernicht. Zunächst sagten Sie, die Politik der alten Regierungsei bei der Bemessung der Nutzungsentgeltverordnungdurch das Gutachten bestätigt worden, und danach erklär-ten Sie, Sie hielten das Gutachten für zweifelhaft undwollten es erst einmal überprüfen.Das Problem ist hier, dass seit Jahren immer wiederBeschwerden von Grundstückspächtern kommen. DieGebäude auf diesen Grundstücken werden zumeist Dat-schen genannt – ein Ausdruck, der nicht aus der deutschenSprache kommt. Die Datschen hatten in der DDR eineähnliche Funktion wie in der früheren UdSSR: Das Pri-vatleben vieler Bürgerinnen und Bürger hat sich auf Dat-schengrundstücken, also auf Kleingarten- oder ähnlichenGrundstücken, abgespielt. Dies sollten wir achten. Hiergeht es nicht um ein paar Hundert oder ein paar TausendMenschen; davon sind mehr als eine Million Personen be-troffen.Es gab immer wieder Klagen darüber, dass dieseDatschengrundstücke nicht gehalten werden können, weildie alten Eigentümer, die jetzt wieder Eigentümer gewor-den sind – es sind übrigens immer noch überwiegendKommunen, die die Datschen vergeben –, die Entgelte soerhöht haben, dass die Leute die Grundstücke verlassenund dadurch einen Teil ihres mühsam aufgebauten Privat-lebens aufgeben müssen.In dieser Situation hat man das Richtige beschlossen,und eine Bestandsaufnahme gemacht. Die Bundesre-gierung hat ein Gutachten in Auftrag gegeben. Sie hat alsodie Bestandsaufnahme nicht selber vorgenommen, son-dern ein Gutachten in Auftrag gegeben, um zu prüfen, wasan diesen Beschwerden dran ist. Sie wollte klären, ob mander Sache nachgehen und möglicherweise zu neuen Über-legungen kommen und Gesetze ändern muss. Das Gut-achten des unabhängigen Instituts liegt uns, glaube ich,seit Februar dieses Jahres vor.Nun kann man sagen – das wird von den Vertretern derGrundstücksnutzer auch vorgetragen –, dass das Gutach-ten nicht in Ordnung ist, dass es auf einer unzureichendenGrundlage basiert und dass man daher die Schlussfolge-rung nicht teilen kann. Solche Äußerungen sind von den-jenigen verständlich, die dem Ergebnis dieses Gutachtensletztlich ausgesetzt sind.Das nimmt aber uns und die Bundesregierung nicht ausder Pflicht, trotzdem ganz genau zu prüfen, ob Fehler inden Gutachten vorhanden sind, ob die Statistiken auf ei-ner ausreichenden Grundlage beruhen oder ob man nocheiniges gründlicher und gezielter hätte untersuchen müs-sen. Das werden wir auch tun, und zwar in den Ausschüs-sen. Wir werden das Ergebnis dem Plenum zur Kenntnisbringen.Schon jetzt ist aber klar – darauf hat der KollegeHacker bereits hingewiesen; insofern haben auch SieRecht –: Es gibt nicht eine Entscheidung, es gibt mehrereEntscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die be-sagen, dass das Recht des Grundstückseigentümers nichtüber die Maßen eingeschränkt werden darf. Da heißt eszum Beispiel: Die öffentlichen Lasten müssen – andersals es der Gesetzgeber bisher vorgesehen hatte – bei derBemessung der Entgelte, die die Nutzer der Grundstückezu zahlen haben, berücksichtigt werden. Es gibt dazu in-zwischen insgesamt, wenn ich es richtig sehe, vier Ent-scheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die alle indie Richtung gehen, die Rechte der Eigentümer stärker zubetonen und die Rechte der Nutzer auf Entrichtung einesgeringen Entgelts und auf Bestandsschutz geringer zu be-werten.Diese Abwägung müssen wir berücksichtigen; denndas Bundesverfassungsgericht würde ein anderes, noch soschönes Gesetz in ein, zwei Jahren wieder rückgängig ma-chen. Damit wäre den Nutzern überhaupt nicht geholfen.Deshalb ist es fahrlässig, den Nutzern heute zu sagen: DieBundesregierung und die Koalition versäumen das unddeshalb steht ihr ganz schlecht da; ihr könntet, wenn eshier eine andere Regierung oder eine andere Mehrheitgäbe, mit euren Entgelten viel günstiger dastehen. – Esstellt sich die große Frage, ob das, wenn es einfach um-gesetzt würde, vor dem Bundesverfassungsgericht Be-stand haben würde.Deshalb sagt die rot-grüne Koalition: Wir prüfen dasGutachten genau. Wir alle erhalten auch Beschwerde-briefe, denen wir selbstverständlich nachgehen werden.Möglicherweise muss eine neue Entscheidung aufgrundeiner veränderten Grundlage getroffen werden.Eines ist ganz sicher: Wir werden die Rechte der Nut-zer und das legitime emotionale Festhalten an solchenGrundstücken und dem Leben auf den Grundstücken be-sonders im Auge haben, und zwar gerade deshalb, weilsehr viele Grundstücksnutzer offenbar ältere Menschensind. Über 70 Prozent der Grundstücksnutzer sind über60 Jahre alt und wollen das, was sie zu DDR-Zeiten häu-fig sehr mühsam aufgebaut haben, jetzt noch einige Jahregenießen. Wir wollen ihnen den Lebensabend nicht ka-puttmachen, indem wir zulassen, dass sie ohne Not vondiesen Grundstücken vertrieben werden.Wir werden das Gutachten prüfen, Überlegungen an-stellen und Änderungsvorschläge vorlegen. Wir werdendabei genau hinsehen, ob wir den Nutzern wirklich helfenoder ob wir ihnen nur Steine statt Brot geben, indem wirihnen etwas geben, von dem das Bundesverfassungsge-richt anschließend sagt: Das haut nicht hin; hier werdendie Rechte der Eigentümer zu gering bewertet. Davon ha-ben sie nichts.Hören Sie also auf mit Versprechungen! Schließen Siesich uns an! Lassen Sie uns das ganz genau überprüfenund dann im Interesse dieser über 1 Million Menschen in
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000
Andrea Voßhoff10699
den neuen Bundesländern zu einer vernünftigen und ge-rechten Regelung kommen!
Für die FDP-Frak-
tion spricht der Kollege Rainer Funke.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Der Bericht der Bundesregierung vom
9. Juni 2000, der in der Tat verspätet gekommen ist, kann
kein Grund für Aufgeregtheiten sein. Vielmehr zeigt die-
ser Bericht, dass die bisherigen Regelungen zur Nut-
zungsentgeltverordnung richtig gewesen sind und insbe-
sondere zu einem vernünftigen Ausgleich zwischen Ei-
gentümern und Nutzern geführt haben. Schon die alte
Bundesregierung hat mit der Nutzungsentgeltverordnung
eine Regelung für einen vernünftigen Ausgleich zwischen
den berechtigten Interessen von Eigentümern und Nut-
zern getroffen. Ich freue mich natürlich, dass dies in dem
ausführlichen Bericht der Bundesregierung anerkannt
wird.
Die Nutzungsentgeltverordnung hatte unter anderem
die Aufgabe, erst einmal einen Markt für derartige Grund-
stücke zu entwickeln und eine differenzierte Preisent-
wicklung bei den Nutzungsentgelten zu fördern. Dies ist
nach dem Bericht und auch nach unseren Erfahrungen im
Großen und Ganzen gelungen. Herr Hacker hat bereits da-
rauf hingewiesen, dass sich gewisse Marktpreise einge-
pendelt haben. Darüber bin ich sehr froh. Insbesondere ist
es durch die Gutachterausschüsse gelungen, mehr Markt-
transparenz zu erreichen. Hierfür bin ich den vielen Mit-
arbeitern der Gutachterausschüsse sehr dankbar.
Wo Licht ist, gibt es natürlich auch Schatten, insbe-
sondere dort, wo wegen eines geringen Angebots an ent-
sprechenden Grundstücken – zum Beispiel wegen der ge-
ringen Größe oder einer besonders schönen Lage – es
noch nicht möglich gewesen ist, einen Markt mit Angebot
und Nachfrage entstehen zu lassen. Hier fehlt es noch an
richtigen Marktverhältnissen. Man muss die weitere Ent-
wicklung abwarten. Zusätzliche staatliche Regulative
würden eher schaden als nutzen.
All die Horrorszenarien, die noch bei der Verabschie-
dung der Nutzungsentgeltverordnung 1997 hier in diesem
Hause zum Beispiel von der jetzigen Bundesjustizminis-
terin an die Wand gemalt worden sind, sind Gott sei Dank
nicht Realität geworden.
– Ich will Herrn Hacker gar nicht erwähnen; denn wir
wollen keine Schärfe in die Debatte bringen. Es reicht
doch, wenn ich die Justizministerin nenne.
Die Übergänge von Nutzungsverhältnissen insbeson-
dere von der älteren auf die jüngere Generation sind – das
zeigt auch der Bericht – weitgehend konfliktfrei abge-
wickelt worden. Die Preiserhöhungen sind moderat, wenn
ich bedenke, dass sich die Entgelte für die vor dem 3. Ok-
tober 1990 abgeschlossenen Nutzungsverhältnisse bei
durchschnittlich 673 DM im Jahr bewegen – das sind
1,17 DM pro Quadratmeter – und die Nutzer nur 1,6 Pro-
zent ihres Haushaltseinkommens aufwenden müssen.
Dass die Entgelte nach der Nutzungsentgeltverord-
nung deutlich niedriger als die frei vereinbarten Nut-
zungsentgelte sind, ergibt sich aus den Marktverhältnis-
sen. Dies ist eine ganz natürliche Entwicklung. Wir alle
haben dies damals gewollt. Es hat sich herausgestellt, dass
diese Entwicklung auch eingetreten ist. Aber auch diese
Entgelte sind mit 2,12DM pro Quadratmeter durchaus an-
gemessen.
Ich bin auch froh darüber, dass bei einem Wechsel von
einem Nutzer eines Grundstücks auf den anderen weder
unter den Nutzern – Altnutzern und Neunutzern – noch
zwischen Nutzern und Eigentümern wesentliche Pro-
bleme entstanden sind, insbesondere auch nicht hinsicht-
lich der früher einmal sehr streitigen Frage der Entschä-
digung bei einem Abriss von Gebäuden. Auch dort gibt es
praktisch kaum größere Auseinandersetzungen.
Lassen Sie mich deswegen sagen, dass sich die Nut-
zungsentgeltverordnung insgesamt bewährt hat. Dies
kommt auch im Bericht der Bundesregierung zum Aus-
druck. Wenn sich im weiteren Verlauf, insbesondere bei
der Überprüfung dieses Gutachtens, herausstellen sollte,
dass zwischen Nutzern und Eigentümern Regelungsbe-
darf besteht, werden wir im Parlament konstruktiv an Lö-
sungen mitwirken. Der Bericht der Bundesregierung zeigt
jedoch, dass kein wesentlicher Regelungsbedarf vorliegt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Wir kommen nun
zum ersten Redebeitrag der Kollegin Lucyga.
Herr Präsident! Meinelieben Kolleginnen und Kollegen! Meine beiden Vorred-ner wie auch mein Kollege Hacker haben dieses Themasehr solide und seriös dargestellt. Ich kann allerdingsnicht verhehlen, dass ich bei der Ankündigung dieser Ak-tuellen Stunde den Eindruck hatte: Hier eröffnet die PDSdas Sommertheater. Das Thema dieser Aktuellen Stundelautet nämlich: „Haltung der Bundesregierung zur öffent-lichen Kritik am Bericht der Bundesregierung über dieWirkungen der Nutzungsentgeltverordnung“. Ich hoffe,dass solche Satzungetüme nicht stilprägend für diesesHaus werden.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000
Hans-Christian Ströbele10700
Ich möchte ungern ein Wörterbuch für schlechtes Deutschmit Beispielen aus dem deutschen Parlament in Händenhalten.Aber nun will ich zur Sache selbst kommen. Was hierso wortgewaltig, so verbal aufgebauscht daherkommt, dasstellt sich bei näherem Hinsehen als ein ganz alltäglicherVorgang heraus, zu dem das letzte Wort übrigens noch garnicht gesprochen wurde. Die öffentliche Kritik bestehtvorerst in der Stellungnahme eines Verbandes, des Ver-bandes Deutscher Grundstücksnutzer, der das tut, was je-der Lobbyist in vergleichbaren Fällen macht: die Positionseiner Klientel in eigener Sache darstellen. Das ist legitimund gehört zum demokratischen Selbstverständnis.Zur Demokratie gehört aber genauso, dass die Positionder übrigen Betroffenen in dieser Angelegenheit ebenfallszur Sprache kommt und in die Abwägung der Interessenaller Seiten mit einbezogen wird; denn nur so kann es zueiner ausgewogenen Regelung kommen, die weder, wie indiesem Falle, die Grundstücksnutzer noch die Verpächter,zu denen übrigens überwiegend Kommunen und kommu-nale Einrichtungen in den neuen Ländern zählen, über-fordert.Um diesen Interessenausgleich bemüht sich die Bun-desregierung. Sie hat sich dabei zunächst an den Be-schlüssen und Maßgaben der Justizminister der neuenLänder orientiert. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe unterder gemeinsamen Leitung des BMJ und des Justizminis-teriums Brandenburg hat dazu seit Mai 1999 Daten zu-sammengetragen und Änderungsvorschläge erarbeitet.Um die absehbaren Wirkungen solcher auch von uns ge-wollten und beabsichtigten Änderungen an der Nutzungs-entgeltverordnung bewerten zu können, wurden Faktengesammelt und aufbereitet. Dies geschah durch das nunvorliegende Gutachten eines renommierten Forschungs-instituts.Die SPD-Fraktion ist von jeher vehement für die Ver-besserung der Rechtsstellung der Nutzer eingetreten undhat dies in zahlreiche parlamentarische Aktivitäten umge-setzt. Dankenswerterweise haben Sie dies auch erwähnt,Frau Kenzler. Wir haben keinen Grund, unsere Positioninfrage zu stellen. Deshalb haben wir uns Anfang 1999mit der Zielrichtung einer nutzerfreundlichen Verbesse-rung von Bundesrecht an ein Gesamtpaket gemacht, dasdem Thema „Nutzerschutz in den neuen Ländern“ gerechtwird und dazu den Ausgleich zwischen konkurrierendenInteressen von Nutzern und Eigentümern schafft, was garnicht so einfach ist. Es geht immerhin um Gerechtigkeitfür beide Seiten.Ich möchte noch einmal ins Gedächtnis rufen, wasmanchmal unter den Tisch fällt oder nicht so ganz wahr-genommen wird: Es geht eben nicht um einen Ost-West-Konflikt – das wird ja oft unterstellt –, sondern es geht zu-nehmend um den Konflikt ostdeutscher Eigentümer, ins-besondere um den von Städten und Gemeinden, mitostdeutschen Nutzern. Das sind konkurrierende Interes-sen, die in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander ge-bracht werden müssen.Daher kann die Diskussion über die Wirkung derNutzungsentgeltverordnung sowie über notwendige Än-derungen sachgerecht nur unter Berücksichtigung dereinschlägigen tatsächlichen Verhältnisse sowie des ver-fassungsrechtlichen Rahmens für einen gerechten Inte-ressenausgleich zwischen Eigentümern und Nutzern ge-führt werden. Genau das hat das Gutachten, das hierGegenstand der Debatte ist, wohl geleistet. Hier wurdegründlich und korrekt gearbeitet.Wenn Sie, Frau Voßhoff, anmerken, dass das Ganze solange gedauert hat, bin ich fast in Versuchung zu sagen:Man musste ja auch so lange nach den Akten suchen;
aber das werde ich mir lieber verkneifen, denn es wirddem Ernst der Sache nicht gerecht.Alles Weitere, so beispielsweise die von den Nutzer-verbänden angemeldete Kritik an der Qualität der Daten-sammlung, werden wir selbstverständlich ebenfallsnochmals prüfen. Das entspricht unserem parlamentari-schen Selbstverständnis.Fortsetzung folgt.Danke, Herr Präsident.
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht der Kollege Dr. Michael Luther.
Sehr geehrter HerrPräsident! Meine Damen und Herren! Die PDS stimmtheute wieder einmal ein großes Geschrei um die Nut-zungsentgeltverordnung an.
– Dafür sind Sie ja da, um das Ganze zu verstärken. Michhätte es auch gewundert, wenn Sie es nicht gemacht hät-ten; denn das liegt in Ihrer Tradition. Sie verunsichern seitJahren Nutzer und Grundstückseigentümer, indem Sie ih-nen einfach nicht die Wahrheit erzählen.Es ist auch nicht einfach; das will ich zugeben. Wir ha-ben hier ein sehr schwieriges Problem vor uns liegen.Nach Herstellung der deutschen Einheit war es dem Ge-setzgeber aufgegeben, zwei unterschiedliche Rechtssys-teme zusammenzuführen. Dabei war natürlich klar zu se-hen, dass hier völlig gegenläufige Interessen aufeinanderstoßen, nämlich die der Grundstückseigentümer und dieder Nutzer.Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben uns da-mals in der Koalition mit der F.D.P. gemeinsam darumbemüht, einen Interessenausgleich zu schaffen,
gerechte Lösungen zu suchen, den Schutz der Interessenganz besonders der Grundstücksnutzer zu sichern. Ich er-innere daran, dass die Wochenendgrundstücksnutzer
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Dr. Christine Lucyga10701
25 Jahre nach der deutschen Einheit noch einem beson-deren Schutz unterliegen, also bis 2015. Damit wurdeschon sehr weit gehend in das Recht des Grundstücksei-gentümers eingegriffen. Das ist aber im Interesse des Nut-zers richtig. Wir haben durch unsere Redebeiträge hier imDeutschen Bundestag oder außerhalb des Deutschen Bun-destages versucht, für die rechtliche Situation zu werbenund uns um Befriedung zu kümmern.Die PDS hat – das habe ich schon gesagt – stets zurVerunsicherung beigetragen. Anstatt die innere Einheit zufördern, hat sie das Ganze auf einen Ost-West-Konfliktzurückgeführt, der letztendlich kein Ost-West-Konfliktist. Aber das sei einmal dahingestellt.Zur SPD ist allerdings zu sagen – Herr Hacker, ichschaue Sie an; mich hat Ihre Rede heute schon sehr ver-wundert –: Sie sind der PDS auf den Leim gegangen. Dasmuss man deutlich sagen. Ich habe nicht vergessen, wasdie SPD am 15. Mai 1997 – es war ein Donnerstag – imBundestag zur Nutzungsentgeltverordnung gesagt hat.Sie wollten damals die Nutzungsrechte sozialverträgli-cher ausgestalten und meinten, dass die Nutzer durch dasSchuldrechtsanpassungsgesetz und durch die Nutzungs-entgeltverordnung ungerecht behandelt worden sind.
Sie haben eine weitere Verbesserung der Rechtsstel-lung der Nutzer gegenüber den Grundstückseigentümerangemahnt. Ich erinnere mich an Veranstaltungen, die ichgemeinsam mit der Bundestagskollegin Frau Däubler-Gmelin beim VDGN hier in Berlin absolviert habe. Dorthat sie genau diese Forderungen laut verkündet.Ich erinnere mich auch daran, dass der Kollege RolfSchwanitz bei einer Veranstaltung desselben Verbandes inChemnitz 1998 – nicht etwa wie Sie, Herr Hacker, der Sieheute für die Rechtsstaatlichkeit geworben haben – vollgegen das Schuldrechtsanpassungsgesetz und die Nut-zungsentgeltverordnung votiert und Versprechungen ab-gegeben hat.
– Ich kann bloß sagen, was Herr Schwanitz und FrauDäubler-Gmelin auf öffentlichen Veranstaltungen außer-halb des Deutschen Bundestages gesagt haben.
Manchmal würden sich Frau Däubler-Gmelin, HerrHacker und Herr Schwanitz, glaube ich, wünschen, dieRede gehalten zu haben, die ich am 15. Juli 1997 hier ge-halten habe. Ich empfehle sie zur nachträglichen Lektüre.Lesen und lernen!
Ich brauche mich nicht zu verbessern, weil ich heute dasgleiche wie damals sage.Damals bestand ein gewisser Änderungsbedarf, dersich auf eine IFS-Studie bezog. Nach den ersten Erfah-rungen im Umgang mit der Nutzungsentgeltverordnunghaben wir diese damals entsprechend angepasst. Dabeibrauchten wir keine grundsätzlichen Prinzipien über Bordzu werfen, wie zum Beispiel das Prinzip der Ortsüblich-keit. Wir haben allerdings Verbesserungen in den Fragenerreicht, wie Ortsüblichkeit festgestellt werden kann, so-wie dadurch, dass der Grundstückseigentümer Er-höhungsverlangen schriftlich erläutern und begründenmuss. Eine Verbesserung stellte auch dar, dass die Be-weispflicht beim Grundstückseigentümer und die Aus-kunftspflicht bei den Gutachterausschüssen liegt.Die heutige IFS-Studie stellt fest, dass die Verbesse-rungen, die nach der damaligen IFS-Studie vorgenommenwurden, ausreichend sind und kein weiterer Änderungs-bedarf besteht. Damit wird die Politik bestätigt, die dieCDU/CSU und die F.D.P. im Deutschen Bundestag in derletzten und vorletzten Legislaturperiode gemacht haben.Deswegen können wir die Studie insgesamt nur begrüßen.Nachdem das Bundesverfassungsgericht auf die Not-wendigkeit der Rechtsstaatlichkeit der Gesetzgebung hin-gewiesen hat, haben Sie, meine Damen und Herren vonder SPD, jetzt aber die Schwierigkeit, dass Sie die Ver-sprechen, die Sie den Menschen vor der Wahl gegeben ha-ben, wieder einsammeln müssen, weil Sie sie nicht haltenkönnen. Sie sind angehalten, das Urteil des Bundesver-fassungsgerichts umzusetzen. Dabei wünsche ich Ihnenviel Spaß.
Für die FraktionBündnis 90/Die Grünen spricht die Kollegin FranziskaEichstädt-Bohlig.
legen! Als Erstes möchte ich dem VDGN und seinem Prä-sidenten Beleites ein Kompliment für die engagierte Lob-byarbeit dieses Verbandes im Interesse der ostdeutschenKleingärtner und Datschennutzer machen.
Ich finde, diesen Respekt soll man dem Verband durchauszollen.Als Zweites möchte ich aber sehr deutlich sagen: Ichfinde es nicht sehr gut, dass die PDS wieder meint, siemüsse einseitig ostdeutsche Regionalpolitik betreibenund Ost gegen West ausspielen.
Ich denke, Sie sollten überlegen, inwieweit es in Ihre po-litische Verantwortung fällt, die Ausgewogenheit beiRechtsinstrumenten, denen widerstreitende Interessen zu-grunde liegen, zum Politikprinzip zu machen und nichteinfach nur in eine Richtung draufzuhauen und in der an-deren Richtung Lobbyarbeit zu machen.
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Dr. Michael Luther10702
Ich sage das auch im Hinblick auf einige Briefe aus West-deutschland, die wir bekommen haben, in denen eine ArtGegenbedürfnis, West gegen Ost bzw. Ost gegen Westauszuspielen, zum Ausdruck kommt. Es wird erklärt, mitDatschen und Kleingärten hätten sich alte Garden irgend-welche Privilegien verschafft. Ich wünsche mir, dass wirendlich eine Politik betreiben, die dieses Gegeneinander-Ausspielen nicht mehr zum Gegenstand hat, und zwar inbeide Richtungen, und setze mich dafür auch ein.Ich möchte zu dem vom BMJ vorgelegten Gutachtennoch Folgendes sagen: Ich kann nicht beurteilen, ob dieMethode richtig und angemessen ist. Ich möchte in die-sem Zusammenhang das Ministerium bitten, darüber ent-weder heute oder in Kürze Auskunft zu geben. Mir wärewichtig, dass die zu Recht oder zu Unrecht betriebene Le-gendenbildung aus der Welt geschafft wird und keine wei-tere Kritik mehr im Raum stehen bleibt.Das Gutachten deutet an einigen Stellen gesetzgeberi-schen Handlungsbedarf an. Probleme bereitet offenbardie Frage der Ortsüblichkeit als Bewertungskriterium fürdie Höhe des Nutzungsentgelts und das Fehlen gesetzli-cher Schutzvorschriften wie im Mietrecht. Von daher wer-den einige Punkte angemahnt. Es wird auch dargestellt,dass es sehr viel stärkere Brüche auf dem Markt gibt unddass Erhöhungsverlangen oft nicht erläutert werden. In-sofern sollten wir nicht vorschnell urteilen, sondern zuersteine abschließende Bewertung vornehmen.Die Luft ist aus dem Thema aber auch deswegen raus,weil die Bodenpreisentwicklung anders verlaufen ist, alswir es in der letzten Legislaturperiode – durchaus strittigzwischen damaliger Koalition und jetziger Koalition –vorausgesehen haben. Deswegen liegen die Interessen an-gesichts der moderaten Weiterentwicklung der Verkehrs-werte nicht mehr so weit auseinander. Man kann weitge-hend – vielleicht nicht in allen Punkten – mit der gelten-den Nutzungsentgeltverordnung leben. Hier bitte ich dasMinisterium, das noch einmal zu prüfen.Egal wie die Entscheidung ausfällt – entweder mussnoch nachgearbeitet werden oder man kann weitgehenddamit leben –, mir ist es wichtig – das habe ich auch beiden Diskussionsbeiträgen so verstanden –, dass es einausgewogenes Instrument wird oder sogar bleibt, wobeiauf der einen Seite die Interessen der ostdeutschen Dat-schennutzer und Kleingärtner vertreten und auf der ande-ren Seite die Interessen der Eigentümer angemessen aus-tariert werden. Darauf hat Frau Kollegin Lucyga völlig zuRecht hingewiesen. Es geht nicht nur um westdeutscheEigentümer, sondern auch um ostdeutsche. Glücklicher-weise mischt sich zehn Jahre nach der Vereinigung unsergemeinsames Land.In diesem Sinne wird sich unsere Fraktion für die Lö-sung von Problemen im Zusammenhang mit der Nut-zungsentgeltverordnung einsetzen.
Für die Fraktion der
PDS gebe ich der Kollegin Christine Ostrowski das Wort.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Fakt eins. Die Bundesregierung warzweifelsohne lange Zeit untätig. Sie war nach ihrer eige-nen Meinung deshalb untätig, weil die empirische Basisfehlt, um zu beurteilen, ob die Nutzungsentgeltverord-nung weiterhin Bestand haben kann oder nicht. Wir mer-ken uns einmal: empirische Basis.
Sie hat dann ein Gutachten erstellen lassen. Dieses lagerst einmal ein wenig auf Eis. Dann ging es holterdiepol-ter und ganz schnell wurde ein Kabinettsbeschluss ge-fasst. Im Bericht können wir lesen, dass alles so bleibensoll, wie es ist. Grundlage hierfür ist das Gutachten undsind nicht die Urteile des Bundesverfassungsgerichtes.Fakt zwei. Wir stehen hier vor zwei völlig konträrenAuffassungen. Auf der einen Seite gibt es ein Gutachten,das unter anderem besagt, dass die Durchschnittsein-kommen der Nutzer über dem Durchschnitt liegen. Es be-sagt, dass das durchschnittliche Nutzungsentgelt 1,47 DMbeträgt und dass bei einer Aufgabe des Grundstückes diefinanziellen Gründe nachrangig sind. Auf der anderenSeite gibt es die Auffassung des VDGN, der alles heftigbestreitet und faktisch auch nachweist. Wir stehen mit-tendrin und fragen: Wem glauben wir nun? Man kann al-len möglichen glauben. Ich habe Vertrauen zum VDGN.Man kann doch keinen Verband, der 300 Mitgliederver-bände und 60 000 Mitglieder hat, einfach vom Tisch wi-schen.
Mich wundert es, dass die Bundesregierung, da sie dieseeklatanten Widersprüche kennt, nicht von selbst sagt: Lie-ber VDGN, lieber Herr Beleites – das ist doch Ihr Partei-freund –, kommt an unseren Tisch und lasst uns die Sacheklären. Ich habe voller Freude gehört – Herr Hacker, HerrStröbele –, dass Sie nachdenklicher geworden sind undversprochen haben, dass Sie dieses Gespräch suchen. Dashalte ich für richtig.Fakt drei. Man kann die Methode, die in dem Gutach-ten angewendet wurde, entweder kritisieren – das machtder VDGN – oder bestätigen. Wie auch immer, eines stehtfest: Eine empirische Basis liefert das Gutachten nicht.
Genau das war die Begründung der Bundesregierung.Denn die Gutachter haben nichts anderes als eine telefo-nische Befragung gemacht. Aus den anfangs 9 000 Men-schen, die angerufen worden sind, sind letzten Endes284 Grundstücksnutzer geworden – mehr nicht. Diesewurden angerufen und haben eine Aussage gemacht. Esist keine empirische Datensammlung vonstatten gegan-gen.Fakt vier. Apropos Empirik. Es gibt – das wissen Sieauch; denn Sie haben die Briefe bekommen – von öffent-lich bestellten und vereidigten Sachverständigen Ermitt-lungen des Nutzungsentgelts. Hiervon gibt es Hunderte.Das ist Empirik. Man kann einige Beispiele anführen: InBerlin-Grünau liegt es bei 9,36 DM, in Dolgenbrodt liegtes bei 7 DM; es gibt Orte, bei denen es sogar bei 5 DMliegt. Gut: Der Teich war einen Meter tief und die Kuh istdarin ersoffen.
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Franziska Eichstädt-Bohlig10703
Das heißt, wir wissen es nicht genau. Deshalb müssen wires prüfen.
Auf alle Fälle sind Zweifel daran anzumelden, ob das sta-tistische Mittel tatsächlich bei 1,47 DM liegt.
Fakt fünf. Sie hatten im Wahlkampf tatsächlichGroßartiges versprochen. Ich habe das selber miterlebt.Der jetzige Parlamentarische Staatssekretär Scheffler hatin seiner Eigenschaft als stellvertretender Vorsitzenderdes VDGN heftige pseudorevolutionäre Leitartikel dar-über geschrieben, wie die Bundesregierung bezüglich derFrage der Nutzungsentgelte zukünftig handeln werde.Das sei alles dahingestellt; denn mich hat vorhin einer Ih-rer Zwischenrufe, Herr Hacker, stutzig gemacht. Als Kri-tik geäußert wurde, haben Sie gerufen: „Solide Politik!“Nun frage ich Sie: Wo bleibt denn da die Logik? Wenn Siebehaupten, eine solide Politik könne man nur auf einerempirischen Basis machen – ich folge einmal Ihrer Logik;das Gutachten ist zwar keine empirische Basis, aber wirnehmen einmal an, dass es so wäre –, dann muss ich Siefragen: Was haben Sie dann im Wahlkampf gemacht?
Die Tatsache, dass Sie im Wahlkampf trotz fehlender em-pirischer Basis viel versprochen haben, lässt nur den logi-schen Schluss zu, dass Sie damals keine solide Politik ge-macht haben.
– In der Aktuellen Stunde sind keine Zwischenfragenzulässig; das bedauere ich sehr.Zum Schluss möchte ich aus einem Brief zitieren, derdem Herrn Bundeskanzler geschickt worden ist. Er fängtan mit:Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, lieber GenosseSchröder! Vor der letzten Bundestagswahl anlässlicheiner Großveranstaltung des VDGN am Soundso-vielten in der Berliner Kongresshalle hatte sich FrauDäubler-Gmelin vehement gegen eine weitere Er-höhung der Nutzungsentgelte und für die Wahrungder Vermögensrechte der Grundstücksnutzer ausge-sprochen. Vor allem aber hatte sie die Hoffnung derostdeutschen Grundstücksnutzer geweckt, eine SPD-geführte Regierung würde die Dinge rasch zum Bes-seren wenden, was sich auch im konkreten Wahlver-halten vieler ostdeutscher Grundstücksnutzer wider-spiegelt.Meine Befürchtung ist, dass Sie die Vertretung der Inte-ressen wechseln wie Ihre Hemden:
Im Wahlkampf haben Sie Lobbyarbeit gemacht, umWählerstimmen zu gewinnen. Aber jetzt, nachdem Sie ander Regierung sind, sind Sie vielleicht doch ein bisschenmehr auf der Seite der Alteigentümer. Wenn dem so wäre,dann würde ich das für sehr bedauerlich halten. Es hättemit einer soliden Politik jedenfalls nichts zu tun.
Als nächs-
te Rednerin hat das Wort die Kollegin Christine Lucyga
von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Da ich in der ersten Runde nicht diegesamte Redezeit meiner Arbeitsgruppe für meine Redein Anspruch nehmen konnte, setze ich nun meine ange-fangene Rede fort und bringe sie zu Ende.Zuvor möchte ich Ihnen, Frau Ostrowski, sagen, dassSie etwas vorsichtiger sein müssen, wenn Sie IhremFeindbild SPD, das Sie neuerdings haben, zu sehr die Zü-gel schießen lassen. Wir haben im Wahlkampf vor allenDingen zugesagt, die Verhältnisse zu prüfen und notfallsdie notwendigen Angleichungen vorzunehmen. Genaudas ist geschehen.Ich möchte darauf hinweisen, dass wir prüfen werden,ob die Kritik der Nutzerverbände an der Qualität der Da-tensammlung angebracht ist. Für Datensammlungen ist estypisch, dass die statistischen Ausrutscher nach oben undunten herausfallen und dass sie nur einen Querschnitt dar-stellen. Wir werden – das entspricht unserem parlamenta-rischen Selbstverständnis – die Vorwürfe sehr sorgsamprüfen. Allerdings stehen uns schon jetzt ausreichend Da-ten zur Verfügung, die darauf hinweisen, dass korrekteMaßstäbe angelegt wurden, und die empirisch die An-schauung vor Ort bestätigen, dass sich die Situation seit1992/93 eben doch verändert hat. Das lässt sich letztend-lich nicht leugnen. Die Situation der Grundstücksnutzer inden neuen Bundesländern ist nicht mehr so wie im Jahre1992. Das Gutachten belegt, dass sich die Rahmenbedin-gungen geändert haben. Das nunmehr vorliegende Urteildes Bundesverfassungsgerichts hat deutlich gemacht,dass der verfassungsrechtliche Rahmen ausgeschöpft ist.Die Fakten haben sich geändert.Ich möchte noch einmal auf den vom Verband Deut-scher Grundstücksnutzer angeführten Antrag der StadtBernau vom 11. August 1998 hinweisen, mit dem dieStadt Bernau auf eine weitere Erhöhung der Nutzungs-entgelte verzichtet, weil sie befürchtet, dass anderenfallsder Grundstücksmarkt aus dem Gleichgewicht geratenkönnte, was negative Folgen für die gesamte Gemeindehätte. Es passiert also im wohlverstandenen Eigeninter-esse, dass schon an dieser Stelle regulierende Mechanis-men greifen.Wir werden uns weiterhin – Frau Eichstädt-Bohlig undauch andere haben darauf hingewiesen – mit dem Begriffder Ortsüblichkeit auseinander zu setzen haben. Wir mei-nen aber, dass mit den befürchteten weiteren sprunghaftenAnstiegen beim Nutzungsentgelt nicht mehr zu rechnensein wird, eben weil niemand ein Interesse daran habenkann, den Nutzer zu überfordern, den Grundstücksmarktaus der Balance zu bringen und – vor allen Dingen – ei-nen einmal erreichten Konsens zu gefährden. Im Gegen-teil: Das, was uns das Verfassungsgerichtsurteil vom
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Christine Ostrowski10704
Herbst vergangenen Jahres aufgetragen hat, ist und bleibtder Ausgleich der Interessen beider Seiten. Diesen Auf-trag werden wir in nutzerfreundlicher Form und vor allemimmer im Konsens mit den neuen Ländern, die ganz starkmit im Boot sitzen, auszugestalten haben.Ich danke Ihnen.
Als nächs-
ter Redner hat der Kollege Rainer Eppelmann von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!Meine sehr verehrten Damen und Herren! DiesesThema – es hat uns, zumindest in diesem Bereich, schonmehrmals beschäftigt und tut das heute sicherlich nichtzum letzten Mal – beinhaltet ein Stück Last von Teilungs-geschichte. Auch bei anderen Fragen – Rückgabe vorEntschädigung, Lohn- und Rentenangleichung, gleicheLebenschancen und Lebensmöglichkeiten – ist das so. Beiall diesen Themen erleben wir immer wieder, dass selbstbei bestem Willen des Gesetzgebers nicht immer eineChance besteht, das Problem für alle gleichermaßenzufrieden stellend zu regeln. Diese Grundsatzbemerkunghalte ich für wichtig.Denjenigen, die die Verhältnisse in den neuen Bundes-ländern an dieser Stelle nicht so genau kennen, muss deut-lich gesagt werden, dass in weit mehr als 90 Prozent derFälle der Eigentümer von Boden nicht identisch mit demEigentümer dessen ist, was auf diesem Boden steht. Nachmeiner Kenntnis ist das in den alten Bundesländern er-heblich anders. Damit möchte ich klar machen, dass dasein großes Problemfeld ist.Wie so oft im Leben konnten sich die Betroffenen lei-der nicht gütlich einigen; das wäre wahrscheinlich dasGescheiteste gewesen. Nach der Entscheidung von Karls-ruhe hat der Gesetzgeber daraufhin eingegriffen. Er hatversucht zu regeln; dies hat er zumindest grundgesetz-konform getan. Die in Auftrag gegebene Expertise sollden Eindruck vermitteln – das ist meine Befürchtung –, al-les sei in Ordnung, man könne es beim Status quo belas-sen und die Bücher zumachen, weil Karlsruhe gesagt hat:Das ist grundgesetzkonform. – Dies darf nicht passieren.
Beide Seiten – diejenigen, denen der Boden gehört,und diejenigen, denen das Häuschen gehört – haben mei-ner Meinung nach für ihre Position verständliche Gründe.Jeder will sein Recht und das ist eben nicht in jedem Fallkonfliktfrei zu vereinbaren. Ich hoffe, dass wenigstensheute deutlich werden kann: Dieses Thema ist noch nichtabgeschlossen. Es wird uns noch so lange beschäftigen,wie der Eigentümer oder der Nutzer mit der heutigen Si-tuation noch nicht einverstanden ist. Ich befürchte, eswird auch weiterhin in den allermeisten Fällen nicht sosein, dass sich beide Seiten einvernehmlich persönlich ei-nigen können. Der Gesetzgeber wird an dieser Stelle alsoweitermachen müssen.
– Ja, so ist das. Darauf bin ich sogar stolz.Die Praxis zeigt meiner Meinung nach – dafür gibt eseine Fülle von Beispielen; ich denke auch an Zeitungsbe-richte vom Juni dieses Jahres –, dass das selbstständigeGebäudeeigentum auf fremden Grund und Boden dengleichen dinglichen Schutz wie das Grundeigentum er-halten müsste, zumindest dann, wenn es zum Konfliktkommt. Nach dem gegenwärtigen Rechtsstand ist derNutzer eines Grundstücks, der davon keinen Gebrauchmehr machen kann, sehr viel schwächer als der Eigentü-mer des Bodens. In einem solchen Fall kann der Nutzereigentlich nur noch verlieren oder er ist auf die Gnade deranderen angewiesen.Ich frage auch: Wie ist es mit dem Kündigungsschutz?Kann der so bestehen bleiben oder muss er aufgehobenwerden, damit deutlich wird, dass es nicht nur um denSchutz und die Rechte der Nutzer geht, sondern auch umdas Recht der Eigentümer?Eine letzte Frage möchte ich noch stellen. In diesemZusammenhang denke ich an Vergleichbares, das ich sel-ber schon erlebt habe. Müsste das Nutzungsentgelt nichtnach dem Zustand berechnet werden, in dem der Nutzerein Grundstück ursprünglich einmal übernommen hat? ImMietrecht zumindest ist es so.
Ich kann mich daran erinnern, dass wir in eine Wohnungeingezogen sind, in der nur Kachelöfen standen.
– Nein, erst nach der deutschen Einheit bin ich in dieseWohnung gezogen. Sie müssen mich die Geschichte ersteinmal zu Ende erzählen lassen. Sie sollten jetzt nicht da-zwischenreden und den Redner stören.Ich erzähle jetzt bloß, was ich selber – darauf lege ichWert – in den 90er-Jahren erlebt habe. Wir zogen also ineine Wohnung, in der bloß Kachelöfen waren. Das warmir angesichts von sechs Zimmern ein bisschen zu vielArbeit.
– Bei einer Familie mit fünf Kindern ist das ja wohl er-laubt, nicht?
– Die lassen mich meine schöne Geschichte nicht zu Endeerzählen. Das ist einfach ärgerlich.Wir haben also die Kachelöfen auf eigene Kosten he-rausreißen lassen und eine zentrale Heizungsanlage einge-baut. Solange wir in dieser Wohnung gewohnt haben – wirwürden dort heute noch wohnen, aber da wir inzwischen
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Dr. Christine Lucyga10705
weniger Kinder zu Hause haben, sind wir ausgezogen –,wurde uns immer die Miete für eine Kachelofenwohnungberechnet. Unser Nachmieter hat logischerweise dieMiete für eine Wohnung mit Zentralheizung bezahlenmüssen.Dieses Beispiel verdeutlicht, was ich damit meinte,dass sich das Nutzungsentgelt nach dem Zustand, in demeiner das Grundstück erworben hat, richten sollte. Man-che haben ja auf eigene Kosten eine Hütte darauf gesetztund werden jetzt noch dafür bestraft, indem sie mehrMiete bezahlen müssen.Ich wollte an diesem konkreten Beispiel nur deutlichmachen, dass auch innerhalb einer grundgesetzkonfor-men Regelung an dieser Stelle noch Handlungsbedarfnötig und auch möglich ist.Ich danke Ihnen.
Als nächs-
ter Redner hat der Parlamentarische Staatssekretär
Dr. Eckhart Pick das Wort.
D
Herr Präsident! Meine Damenund Herren! Herr Kollege Eppelmann, das neue Mietrechtder Bundesregierung wird alle diese Fragen lösen.
Nach dieser Abschweifung zum Thema: Mich hat inder heutigen Diskussion einiges gewundert. Zunächsteinmal hatten wir uns heute im Rechtsausschuss verstän-digt, die Diskussion über den Bericht der Bundesre-gierung zu verschieben. Frau Dr. Kenzler, Sie waren an-wesend.
– Aber eine Ihrer Kolleginnen war doch hoffentlich an-wesend. – Da ist einmütig Ihrer Forderung entsprochenworden, vorher noch eine Genese des Gutachtens und desBerichts der Bundesregierung zu erstellen. Wir nehmenjetzt einiges vorweg.Bei der Diskussion wunderte mich ein Weiteres: Manmacht der Politik häufig zum Vorwurf, dass sie nur Lö-sungen aus dem Bauch bringt. Wir haben einmal einen an-deren Weg beschritten, indem wir versucht haben,rechtstatsächliche Grundlagen zu finden. Wir haben einGutachten erstellen lassen, – auf das ich gleich noch zusprechen komme – und dies vorbehaltlos – nämlich alsAnhang zu unserem Bericht, der öffentlichen Diskussionüberantwortet. Jeder und jede mag daraus seine oder ihreSchlüsse ziehen, genauso wie das die Bundesregierungund jede Fraktion macht. So sollte man eigentlich öftervorgehen.Dass das Verfahren so lange gedauert hat – FrauVoßhoff ist jetzt leider nicht mehr da –, hängt natürlichzum einen auch damit zusammen, dass wir das in derBund-Länder-Arbeitsgruppe beraten haben. Im Septem-ber letzten Jahres haben wir eine Anhörung durchgeführt,bei der auch die Verbände zu Wort gekommen sind, auchder Verband, dessen Name heute mehrfach genanntwurde. Zum anderen haben wir ein Gutachten in Auftraggegeben, um die Debatte zu versachlichen. Dieses Gut-achten wurde zwar von uns in Auftrag gegeben, aber dieErgebnisse waren mit Sicherheit nicht bestellt. Deswegennehmen wir es ganz vorbehaltlos hin und ziehen darausunsere Schlüsse. Ich finde, dass das zum richtigen Um-gang mit einem Gutachten gehört, an dessen Seriosität zuzweifeln ich keinen Grund habe.
Nach meinem Eindruck beschränkt sich die Kritik bis-lang auf die Äußerungen von Interessenvertretungen. DiePDS-Fraktion hat sich das heute zu Eigen gemacht. Natür-lich ist es ihre Sache, sich mit dem Verband DeutscherGrundstücksnutzer in allen Punkten und vorbehaltlos zusolidarisieren. Aber ich denke, wir als Politikerinnen undPolitiker haben die Aufgabe, zu versuchen, möglichst vielzur Wahrheitsfindung beizutragen und dementsprechendFakten zu gewinnen. Dies kann uns niemand vorwerfen.Ich habe die Verlautbarungen dieses Verbandes mit In-teresse zur Kenntnis genommen. Sie sind übrigens schonerschienen, als der Verband den Bericht noch gar nichtkennen konnte. Er hat also auf Verdacht und vielleichtauch aufgrund der Erfahrung im Zusammenhang mit derAnhörung sein Urteil gefällt. Auch darüber sollte man dis-kutieren.Der Verband ist der Meinung, das von der Bundesre-gierung in Auftrag gegebene rechtstatsächliche Gutach-ten, das in der Tat eine wesentliche Grundlage für den Be-richt darstellt, sei sehr mangelhaft. Zumindest 80 Prozentdes Inhalts seien fehlerhaft. Natürlich handele es sich umein Gefälligkeitsgutachten für die Bundesregierung. –Nichts davon ist wahr. Wir haben dieses Gutachten bei ei-nem renommierten Institut in Auftrag gegeben. Ich habebisher noch nicht gehört, dass seine Methodik und seineErgebnisse angreifbar gewesen wären.Ich glaube, dass diese Debatte den Grundstücksnut-zern, denen Sie ja angeblich zur Seite stehen wollen, imGrunde nicht viel hilft; denn diese Debatte ist geeignet,wieder Hoffnungen zu wecken, die später nur enttäuschtwerden können. Insofern stellt das Gutachten trotz allerunterschiedlicher Bewertung eine fundierte Grundlage fürdie Beurteilung der Rechtsvorschriften zum so genanntenDatschenrecht in den neuen Ländern dar.Mit seinen Aussagen – übrigens nicht nur zurNutzungsentgeltverordnung, sondern auch zum Schuld-rechtsanpassungsgesetz – bietet dieses Gutachten eineausgesprochen gute Grundlage für weitere Überlegungenzu möglichen Änderungen dieser Vorschriften. Auch dasist vielleicht ein Missverständnis: Ein Gutachten ist eineEmpfehlung. Es kann eine Entscheidungsgrundlage sein.Aber es ist nicht das Muss für entsprechende gesetzgebe-rische Vorhaben. Insofern sind wir frei in der Bewertungdieses Gutachtens und hinsichtlich der Überlegung, in-wieweit weitere Vorschriften zu ändern sind.Dass wir Vorschriften zu ändern haben, haben wir ge-rade heute im Rechtsausschuss festgestellt, als wir die
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Rainer Eppelmann10706
Konsequenz aus einem der Urteile des Bundesverfas-sungsgerichts gezogen haben, nämlich, dass in einem be-stimmten Zeitraum ein Nutzungsentgelt vorzusehen ist.Dies ist eine Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, derwir alle zu entsprechen haben.Ganz überraschend ist die Reaktion der Interessenver-treter der Nutzer indes nicht. Das Ergebnis der Untersu-chung zeigt in der Tat, dass sich die Situation der Nutzerin vielerlei Hinsicht entspannter darstellt, als dies vonden Nutzerverbänden seit Jahren vorgetragen wird. Ichmöchte nicht in Abrede stellen, dass es in Einzelfällen an-ders sein kann, aber hier müssen wir die durchschnittlicheEntwicklung sehen.Im Übrigen haben Sie bei Ihrer Kritik an der Methodikvergessen, dass auch die Gutachterausschüsse zu Wortgekommen sind. Insofern ist aus meiner Sicht die Breiteder Untersuchung durchaus sichergestellt.Das Verhalten der Interessenvertreter der Nutzer istauch nicht widerspruchsfrei. Ich erinnere mich an dieBund-Länder-Arbeitsgruppe und deren Anhörung imSeptember letzten Jahres. In dieser Anhörung ist von denVerbänden selbst vorgetragen worden, dass relevanteSteigerungen des Nutzungsentgeltniveaus künftig nichtsehr wahrscheinlich seien. Auch diese Feststellung gehörtzur Wahrheit. Auf eine entsprechende konkrete Frage ha-ben sie geantwortet, dass sie mit einer Erhöhung des Nut-zungsentgeltes um rund 3 Prozent rechnen. Im Übrigenkommt das von uns vorgelegte Gutachten genau zu die-sem Ergebnis. Ich frage mich daher, wieso dieses Ergeb-nis und die Aussage des Verbandes so diametral entge-gengesetzt sein sollen.Es ist auch nicht erstaunlich, dass die Bundesregierungin ihrem Bericht zu dem Ergebnis kommt, dass das vor-liegende Gutachten keinen gesetzgeberischen Ände-rungsbedarf in Bezug auf die Nutzungsentgeltverordnungaufzeigt. Diesen Punkt möchte ich besonders hervorhe-ben. Andere Entscheidungen, andere gesetzliche Festle-gungen hat die Bundesregierung bislang auch nicht ge-troffen. Wir werden – ich habe schon darauf hingewie-sen – die infolge der Entscheidung des Bundesverfas-sungsgerichts vom 14. Juli letzten Jahres erforderlichenÄnderungen der Nutzungsentgeltverordnung und desSchuldrechtsanpassungsgesetzes erarbeiten. Ich nennedas Stichwort „Beteiligung der Nutzer an den öffentlichenLasten“.Das Bundesverfassungsgericht hat im Übrigen den Ge-setzgeber beauftragt, dem Eigentümer eines großenGrundstücks ein Teilflächenkündigungsrecht des Nutzerseinzuräumen und eine Regelung zur angemessenen Be-teiligung des Nutzers an den öffentlichen Lasten desGrundstücks zu schaffen. Bei der Umsetzung des erteiltenGesetzgebungsauftrages, der ebenfalls im Rahmen derBund-Länder-Arbeitsgruppe vorbereitet werden soll,werden wir – ich glaube, das ist selbstverständlich – dieschützenswerten Interessen der Grundstücksnutzer zu be-achten haben. Ich denke, das ist eine Aufgabe, der wir unsalle stellen sollten.Vielen Dank.
Als letzter
Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kollege
Günter Nooke von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Sehrverehrte Damen und Herren! Herr Staatssekretär Pick, wirstellen uns alle diesem Anliegen. Es geht in der Tat da-rum – darüber sind wir uns alle einig –, einen Ausgleichzwischen Nutzern und Eigentümern zu finden. Allerdingshat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gezeigt,dass noch Handlungsbedarf besteht; jedoch – das ist dasProblem – nicht in der Richtung, wie sich das die PDSvorstellt, bei den Nutzungsentgelten noch etwas „zu tun“und die Nutzer besser zu stellen, sondern aus rechtlichsicherlich einwandfreier Position heraus eher im Interesseder Eigentümer.
Das ist das Problem, über das wir hier die ganze Zeitfreundlich gestritten, eigentlich nur gesprochen haben.Es ist – das sollte man noch einmal festhalten – in derVergangenheit viel im Interesse der Nutzer geregelt wor-den: Kündigungsschutz für die Nutzer bis zum Jahre2015 – 25 Jahre nach der Herstellung der deutschen Ein-heit –, das ist eine lange Zeit. Prinzipiell unkündbar sinddiejenigen, die am 3. Oktober 1990 mindestens 60 Jahrealt waren. Wir wollen also nicht vergessen, dass es garnicht so einfach ist, überhaupt jemanden von einemGrundstück zu verjagen.Wenn die PDS allerdings jetzt glaubt, dass die Mög-lichkeiten des Anstiegs des Pachtzinses noch weiter ex-trem eingeschränkt werden müssten, dann sage ich: Estrifft nicht zu, dass das ein so großes Problem ist und dassdas Niveau schon über dem der alten Länder liegt. Es gibtnatürlich Einzelfälle. Sie wissen, wo hier in Berlin solcheGrundstücke sind. Wenn Sie heute Ihren Garten in besterLage haben, ist natürlich auch das Grundstück nicht ganzumsonst zu haben. Das ist nun einmal so, weil die Stadtdurch Mauer und Stacheldraht getrennt war und es eineWiedervereinigung gab.Aber noch ein anderes Problem: Es muss klar sein, dasses auf Dauer keine Lösung sein kann, relativ niedrigePachtzinse richtig festzuschreiben, während den Eigentü-mern zum Beispiel die stetig steigenden Nebenkosten al-lein aufgebürdet werden. Das ist vonseiten der Bundesre-gierung gerade noch einmal gesagt worden.Es sollte nicht übersehen werden, dass auch die Inte-ressen der Eigentümer in den Blick genommen werdenmüssen. Mir geht es dabei nicht so sehr darum, eine recht-liche Position für die Eigentümer festzuklopfen, sonderndarum, darauf hinzuweisen, dass es aufgrund der Ge-schichte zu DDR-Zeiten Sonderregelungen geben musste.Mit dem Schuldrechtsanpassungsgesetz hat man ver-sucht, dem Rechnung zu tragen. Aber wenn ein Eigentü-mer Pachteinnahmen von zum Beispiel 900 DM hat, ihmaber Kosten für Abwasser und Straßengebühren von7 000 DM pro Jahr entstehen, dann ist das natürlich einMissverhältnis, bei dem wir sagen müssen: So geht esnicht.
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Parl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick10707
Es ist eben auch ein Problem zwischen Ostdeutschenund nicht ein Ost-West-Problem, wie Sie uns so gernweismachen wollen. Das Beispiel betrifft, glaube ich, imkonkreten Fall eine 80-jährige Dame, die als Eigentüme-rin eben auch nicht in der Lage ist, das erforderliche Geldaufzubringen. Deshalb sollten wir schon versuchen, die-sen Ausgleich hinzubekommen. Also, eine ausschließli-che Deckelung des Pachtzinses kann es nicht sein. Eskann auch nicht darum gehen, allein über die Interessender Pächter zu sprechen.Lassen Sie mich, weil ich gesagt habe, es gehe um denAusgleich, noch einmal das andere Problem nennen. EinThema, das nicht angesprochen wurde, ist, was geschieht,wenn sich Pächter und Eigentümer lösen wollen, wenn siealso das Pachtverhältnis beenden wollen. Soweit ich dasverstehe, gibt es auch hier offene Fragen. Beispielsweisekann der Eigentümer sagen: Ich möchte das Grundstückso haben, wie es war; die Datsche aus DDR-Zeiten istnichts wert; der Abriss kostet 30 000 DM. – Für manchenÄlteren ist es ein Problem, diesen Abriss zu bezahlen. Aufder anderen Seite gibt es den einen oder anderen, der – auswelchen Gründen auch immer; vielleicht weil er einenguten Arbeitsplatz angeboten bekommt und deshalb weg-zieht – das Grundstück und die Datsche nicht mehr haltenkann. Er muss die Datsche zurücklassen, obwohl er mög-licherweise vor fünf Jahren mit gutem Material aus West-zeiten in die Datsche investiert hat und diese vielleicht30 000 DM wert ist. Auch er bekommt nichts.Wir haben also wirklich ein Problem, auch wenn mansich gütlich einigen will. Ich glaube schon, dass es not-wendig ist, dass man hier Regelungen trifft. Am besten –da möchte ich unterstützen, was mein Kollege RainerEppelmann gesagt hat – wäre es, die Probleme vor Ort zulösen.
Das ist also vielleicht nicht nur ein Thema der Bundespo-litik und des Bundesgesetzgebers. Aber wenn Sie dieFreiräume schaffen, könnten wir möglicherweise den not-wendigen Schritt gehen. Die Zeiten der Privilegierungsind zwar vorbei, aber die unrechtsstaatlichen Systemeund Regelungen der DDR wirken in unserer Zeit fort.Manchmal wurden rechtsfreie Räume geschaffen, die ei-nigen ganz angenehm waren. Nun müssen wir damit le-ben, dass diese langsam abgeschafft werden.Mein Vorschlag wäre, hier nicht auf einer Position desRechtspositivismus zu verharren und nur nach Bundes-verfassungsgerichtsurteilen zu schauen, um zu sehen, wieman die Angelegenheiten regeln könnte, sondern sich zufragen, wie man das gütlich zwischen Nutzern und Ei-gentümern vor Ort lösen kann. Meine Aufforderung an dieostdeutschen Kommunen wäre, ihren Beitrag zu leistenund nicht alles auf die Bundesebene zu delegieren. Dasgilt dann übrigens auch für die Kommunen, in denen derBürgermeister oder Finanzdezernent von der PDS gestelltwird.Danke schön.
Die Ak-
tuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Peter Paziorek, Cajus Caesar, Marie-Luise
Dött, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Reduzierung von Ozonvorläufersubstanzen
zur Bekämpfung des so genannten Sommer-
smogs
– Drucksache 14/3671 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Sofortprogramm der Bundesregierung zur
Verminderung der Ozonbelastung
– Drucksache 14/3609 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich darauf
hinweisen, dass wir weit hinter dem Zeitplan zurück sind.
Ich bitte deswegen, in der folgenden Debatte von Zwi-
schenfragen und Kurzinterventionen abzusehen, damit
nicht noch weitere Verzögerungen entstehen. Die Redner
bitte ich, sich möglichst kurz zu fassen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die
Kollegin Marie-Luise Dött von der CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
Herr Präsident!Meine sehr verehrten Damen und Herren!Das menschliche Gesundheitsrisiko durch negativeUmwelteinflüsse steigt weiter. Deshalb wird sich dieUmweltpolitik nach Angaben des Bundesumweltmi-nisters künftig stärker dem Zusammenhang zwi-schen Umweltschäden und Gesundheit widmen müs-sen.Dieses Zitat aus der „FAZ“ vom 23. Juni 2000 unter-streicht, wie notwendig das politische Handeln im Um-weltbereich ist, und wirft gleichzeitig Fragen auf: Waswird momentan von Rot-Grün für die Reinhaltung derLuft und für den Klimaschutz getan?
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Günter Nooke10708
Gibt es ein neues, taugliches Konzept der Regierung zurBekämpfung des Sommersmogs? Eines steht fest: An diekonsequent erfolgreiche Umweltpolitik der unionsgeführ-ten Bundesregierung ist nicht angeknüpft worden.
Die Tatsache, dass in den letzten Jahren in Deutschlandein abnehmender Trend bei den Ozonspitzenkonzentra-tionen erkennbar ist, zeigt, wie erfolgreich das Konzeptder vorherigen Bundesregierung angeschlagen hat.
Von 1990 bis 1998 war ein Ausstoßrückgang bei Stick-stoff um 35 Prozent und bei flüchtigen Kohlenwasser-stoffen um fast 50 Prozent zu verzeichnen. Dieses positiveErgebnis fordert auf, den einst richtig eingeschlagenenWeg zügig und nachhaltig weiterzuverfolgen.Deutschland hat, wie die letzten Klimaschutzkonferen-zen in Bonn und Buenos Aires gezeigt haben, seine Vor-reiterrolle in der internationalen Klimapolitik längst ver-loren.
Auch die Bekämpfung des Sommersmogs findet nichtstatt.
Vor über einem Jahr hat der Umweltminister sein erstesStrategiepapier vorgelegt. Damit wollte er, damals nochvoller Elan und mit Ideen zu Tempolimits und Verboten,den Sommersmog bekämpfen.Wie sieht es denn jetzt mit der Umsetzung Ihrer Ideenaus, Herr Trittin? Im Mai dieses Jahres kam vom Um-weltministerium erneut ein abrupter Strategiewechsel.Dabei wurden nun ganz einfach die Strategien und An-träge der Länder Bayern und Baden-Württemberg in Tei-len kopiert und übernommen.Ich stelle fest: bisher ein deutlicher Zickzackkurs desBundesumweltministers. Zwar war schon im Oktober1998 in den Koalitionsverhandlungen der rot-grünen Re-gierung die Rede von einer Novellierung der bis Ende1999 befristeten Sommersmogverordnung;
aber bis zum jetzigen Zeitpunkt haben Sie, Herr Trittin,nichts Konkretes auf die Beine gestellt.
Kurz: Sie haben offenkundig ein halbes Jahr verschlafen,
und das, obwohl Sie sich vorher, also zu Oppositionszei-ten, bei Umweltforderungen sehr weit aus dem Fenstergelehnt haben.
Aber so ist es natürlich, wenn man den Kopf nur vollerAtomausstiegsszenarien hat. Dann müssen eben in dennächsten 30 Jahren alle anderen wichtigen Bereiche derUmweltpolitik etwas kürzer treten.
Wenn Sie jetzt Ihr so genanntes Sofortprogramm prä-sentieren, dann ist das nichts anderes als Aktionismus auseinem schlechten Gewissen heraus. Es spricht nicht nurfür das Fehlen eines umweltpolitischen Gesamtkonzepts,dass Sie die bisherige Sommersmogverordnung vor ei-nem halben Jahr so sang- und klanglos haben auslaufenlassen. Das, was Sie mit Ihrem jetzigen Notfallprogramman den Tag legen, ist auch Flickschusterei.
Das lässt weitere Fragen bezüglich Ihrer fachlichen Kom-petenz aufkommen. Man könnte es auch als Desinteressean einer guten Umweltpolitik werten.
Es handelt sich bei diesem – wie Sie es nennen – So-fortprogramm um eine Anhäufung einzelner Maßnahmen,die fast ausschließlich kurz- oder mittelfristig angelegtsind. Mit einem Sofort haben die unter Punkt I in IhremProgramm angeführten Maßnahmen nicht viel zu tun. Ihrpopulistisch ausgelegtes Papier entpuppt sich schon beimersten Anblick als typisch grünes Windei. Die einzelnenPunkte entbehren aller notwendigen Details und sind imgeplanten Zeitraum nicht zu realisieren.Was hier letztlich als „Sofortmaßnahmen“ angeführtwird, ist für eine kritische, akute Situation im Rahmen derOzon- und Sommersmogbelastung nicht zu gebrauchen.Es fehlen Maßnahmen, die eingesetzt werden können, so-bald eine kritische Situation entsteht. Die von Ihnen be-schlossenen Instrumente, zum Beispiel die Spreizung deremissionsbezogenen Kraftfahrzeugsteuer, sind in ihrerAusrichtung zwar in Ordnung und längst überfällig.
Sie werden aber erst im Laufe der nächsten Jahre ihre Wir-kung entfalten können – wenn überhaupt.Was wir jetzt brauchen, ist ein langfristiges, an neue-sten Möglichkeiten und technischen Erkenntnissen orien-tiertes Gesamtkonzept, das über den nationalen Teller-rand hinausreicht. Diese Feststellung wird auch im„Umweltgutachten 2000“ bestätigt, das der Rat vonSachverständigen für Umweltfragen erarbeitet hat. Darinwird ausgeführt, dass es weniger darum geht, die „so ge-nannten Ozonspitzen, also temporäre Höchstwerte, zukappen“, sondern vielmehr darum, den Ausstoß der so ge-nannten Ozonvorläufersubstanzen dauerhaft zu mindern.Diese Substanzen, vor allem Stickoxide und flüchtigeKohlenwasserstoffe, sind die Hauptverursacher des Som-mersmogs.Das erfolgreiche Gesamtkonzept im Hinblick auf eineinternationale, nachhaltige Umweltpolitik, das wir in denvergangenen Legislaturperioden verfolgt haben, setzenwir auch in der Opposition fort. Mit unserem Antrag zurReduzierung von Ozonvorläufersubstanzen legt die
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Marie-Luise Dött10709
CDU/CSU-Fraktion ein detailliertes, durchdachtes Pro-gramm vor, das der komplexen Problematik gerecht wird.In unserem Antrag wird die verpflichtende Umsetzungder in diesem Zusammenhang bestehenden EG-Richtli-nien konkret berücksichtigt. Wir können hier mit einemrechtlich durchdachten Konzept aufwarten. Es reichtnicht, einfach nur festzustellen, dass beispielsweise eineemissionsbezogene Kraftfahrzeugsteuer eingeführt wer-den soll. Diesen Satz höre ich von den Grünen schon seitmindestens zehn Jahren und von Herrn Trittin noch viellänger.
Dieser Satz ist im Ansatz gut; aber bis heute ist um keinenDeut weitergedacht worden. Sie stehen auf der Stelle!
Es geht hier doch vielmehr darum – siehe Punkt IINr. 1 ff. des CDU/CSU-Antrags –, genaue Vorschläge zurEmissionsreduzierung zu machen und die Anpassung anden technischen Stand zu fordern. Schwerpunkt der er-forderlichen Maßnahmen ist die Emissionsminderung inden Bereichen des Verkehrs, der Industrie und der löse-mittelhaltigen Produkte. Zur Reduzierung der erhöhtenOzonkonzentrationen müssen ganzjährige und groß-flächige Maßnahmen ergriffen werden, da sie den zeitlichbefristeten und örtlich begrenzten Maßnahmen überlegensind.In diesem Fall muss ich Sie fragen, warum die bereitsim März 1999 vom EG-Rat beschlossene Begrenzung vonflüchtigen organischen Verbindungen erst beinahe zweiJahre später, nämlich im Januar 2001, umgesetzt werdensoll. Diese Frage stellt sich umso dringlicher, zumal dietechnischen Möglichkeiten schon seit längerer Zeit er-probt und verfügbar sind. Es fehlt hier, wie man immerwieder feststellen muss, am politischen Impuls.In Anbetracht der ständig fortschreitenden technischenEntwicklung fordere ich Sie auf, neue angepasste Grenz-werte für Emissionen auch auf europäischer Ebene in dieDiskussion zu bringen und deren internationale Durch-setzung zu forcieren.
Die politischen Möglichkeiten reichen dabei vom Anreizeiner vorzeitigen Stilllegung schadstoffintensiver Perso-nenkraftwagen über eine emissionsabhängige Besteue-rung für schwere Nutzfahrzeuge bis hin zur Emissionsbe-grenzung bei Kleinmotoren wie zum Beispiel Rasen-mähern.Verschiedene Fragen und Zweifel drängen sich mir beider Betrachtung Ihrer widersprüchlichen Umweltpolitikauf. Es ist richtig, wenn der Umweltminister den öffent-lichen Personennahverkehr, wie im Sofortprogrammbeschlossen, stärken will. Das kann zur Vermeidung desSommersmogs beitragen. Aber wie soll die Ökosteuer Er-folg haben, wenn durch sie gleichzeitig der öffentlichePersonennahverkehr finanziell belastet wird?
Zudem stellt sich natürlich die alte Frage, wie die rot-grüne Bundesregierung den Klimaschutz mit dem jetzteingeleiteten Atomausstieg vereinbaren will. Der Atom-ausstieg bedeutet gleichzeitig einen Anstieg der CO2-Emissionen, wenn als Ersatz für Atomstrom auf fossileBrennstoffe zurückgegriffen werden muss. Auch der Um-weltsachverständigenrat bezweifelt die Erreichbarkeit derdeutschen CO2-Reduktionsziele ohne die Nutzung derAtomkraft. Es zeigt sich immer deutlicher, dass ein ge-schlossenes Energiekonzept, das den Erfordernissen desKlimaschutzes und dem bisherigen besonderen AnspruchDeutschlands Rechnung trägt, nicht vorliegt.Die Bundesregierung muss endlich den Weg in eintragbares umweltpolitisches Gesamtkonzept finden. DieNotwendigkeit einer Sommersmogverordnung ist für denoffensichtlichen Handlungsbedarf nur ein Beispiel. Ichfordere Sie auf, sich um ein ausgereifteres Konzept gegenden Sommersmog zu bemühen.In diesem Sinne biete ich Ihnen an, unserem Antrag zu-zustimmen. Damit ist schließlich der Natur und auch denMenschen am schnellsten gedient.
Als
nächster Redner hat der Kollege Rainer Brinkmann von
der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dem Wortbeitragder Kollegin Dött könnte man ernsthaft das Gefühl haben,sie sei eine engagierte Umweltpolitikerin.
Sie hat zumindest versucht, diesen Eindruck zu vermit-teln.Nach einer konkreten Analyse stellt man jedoch Fol-gendes fest: Die Enttäuschung ist Ihnen, meine Damenund Herren von der CDU/CSU-Fraktion, doch förmlichins Gesicht geschrieben. Sie sind enttäuscht, weil Sie ge-meinsam mit dem ADAC und den anderen üblichen Ver-dächtigen anderthalb Jahre darauf gewartet haben, der rot-grünen Regierung vorwerfen zu können, wieder die Fol-terinstrumente der Umweltpolitik auszupacken. Undgenau dies nicht eingetreten ist. Stattdessen loben Sie dieSommersmogverordnung von Frau Merkel, die nachge-wiesenermaßen überhaupt keine Wirkungen hatte. Daswar eine Placebo-Verordnung,
die nicht in einer einzigen Situation die Ozonbelastung fürdie Menschen bzw. die Hintergrundbelastung durch dieOzonvorläufersubstanzen reduziert hat.Es war in der Tat richtig, dass wir uns noch einmal sehrausführlich mit den wissenschaftlichen Untersuchungenbeschäftigt und uns gefragt haben, wie wir die Ozonhin-tergrundbelastung reduzieren können; denn das mussdoch das Ziel sein. Darum hat die Bundesregierung nuneinen sehr umfangreichen Maßnahmenkatalog vorgelegt.
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Wenn man sich hingegen Ihren Antrag ansieht, meine Da-men und Herren von der CDU/CSU – das ist ganz beson-ders enttäuschend –, der einen halben Monat nach Be-kanntwerden des Maßnahmenkataloges der Bundesregie-rung geschrieben worden ist, dann stellt man fest, dass Sieabgeschrieben und dabei noch die Hälfte vergessen ha-ben. Das ist natürlich ganz besonders peinlich und zeugtauch von einer „besonderen“ Gründlichkeit im Bereichder Umweltpolitik.Ich will Ihnen aber die Maßnahmen, die die Bundesre-gierung ergreift, noch einmal im Einzelnen darlegen, ob-wohl Sie sie der Drucksache 14/3609 selbst hätten ent-nehmen können.Selbstverständlich ist es notwendig, zu versuchen, mitMaßnahmen zur Spreizung der Kfz-Steuer den Altbe-stand an Kraftfahrzeugen zu reduzieren, die noch keinengeregelten Katalysator haben. Im Maßnahmenkatalog derBundesregierung ist dies enthalten. Selbstverständlich istes auch notwendig, dass wir für Nutzfahrzeuge und Mo-torkrafträder eine emissionsabhängige Kfz-Steuer ein-führen. Auch das steht im Maßnahmenkatalog der Bun-desregierung. Ich sehe gerade eine Kollegin aus dem Ver-kehrsausschuss. Wir haben schon vor Monaten mit denInteressenverbänden der Motorradfahrerinnen und -fahrerGespräche geführt und dies angekündigt.Dazu gehört auch eine Abgasuntersuchung für Mo-torräder, die in der Vergangenheit auch nicht den Stellen-wert gehabt hat, den sie verdient. Ihre Bundesregierung,Ihre ehemalige Umweltministerin
– Frau Merkel hieß sie, glaube ich –,
hat doch gar nicht erkannt, was eigentlich getan werdenmuss. Sie hat den gesamten Bereich der Kleinmotoren –der Rasenmäher, Motorsägen, Kräne usw. – ignoriert. Siehat die Bedeutung der Lösemittel und der VOC für dasOzon nicht erkannt und überhaupt nichts unternommen.Hier geht der Maßnahmenkatalog der Bundesregierungebenfalls wesentlich weiter.Auch sind in diesem Katalog endlich einmal langfris-tige Überlegungen angestellt worden, wie wir es schaffenkönnen, Gütertransporte von der Straße auf Wasser-straße und Schiene zu verlagern. Auch das ist ganz ent-scheidend, um wirklich nachhaltig die Ozonvorläufersub-stanzen reduzieren zu können.Ich verhehle nicht, dass wir, die Regierungsfraktionen,an einer Stelle enttäuscht sind: Wir sind von der Reaktiondes Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen wirklichenttäuscht, der das Angebot der Bundesregierung abge-lehnt hat, ein Ozonticket einzuführen. Dieses Ozonticketwar ein ganz wesentliches Instrument, um in Zeiten derOzonspitzenbelastung den Menschen zu helfen, ihre Mo-bilität zu erhalten, ohne mit dem eigenen PKW zur Er-höhung der Ozonkonzentration beizutragen. Dieses An-gebot hat der VDV leider in den Wind geschlagen. Dazugibt es auch eine Presseerklärung, auf die sich jeder sei-nen Reim machen kann.Wir haben das Gefühl, dass der Spitzenverband desÖPNV an dieser Stelle wesentlich einfallsloser, infle-xibler und Subventionen erheischender ist als die ÖPNV-Betriebe selbst. Zwischenzeitlich gibt es nämlich Gott seiDank eine Reihe von ÖPNV-Trägern – Stadtwerke, Ver-kehrsverbünde –, die das Angebot der Bundesregierungangenommen haben, in Einzelverhandlungen zu tretenund eine Vereinbarung mit der Bundesregierung abzu-schließen. An dieser Stelle sollten wir den Mitarbeiterin-nen und Mitarbeitern des Verkehrsministeriums rechtherzlich dafür danken, dass sie sich die Mühe machen, inEinzelverhandlungen mit ÖPNV-Unternehmen solcheMaßnahmen zu entwickeln.
An dieser Stelle schlage ich vor, darüber hinaus einmalzu überlegen, wie besonders attraktive Pilotmodelle aus-gestaltet sein könnten. Hierfür gibt es ja bereits Vorbilder:Schon in den frühen 80er-Jahren hat die damalige Bun-desregierung unter Helmut Schmidt einen Modellversuchfür den ländlichen Raum angeregt; verantwortlich dafürwar der damalige Parlamentarische Staatssekretär im Ver-kehrsministerium, Erhard Mahne. Dieser Modellversuchist im Kreis Lippe Anfang der 90er-Jahre durchgeführtworden. Man kann ihm eine Reihe von Erfahrungen ent-nehmen und lernen, wie man einen attraktiven, also kom-fortablen und preisgünstigen ÖPNV im ländlichen Raumanbieten kann. Den ÖPNV in Ballungsgebieten anzubie-ten, ist keine große Kunst; im ländlichen Raum ist es we-sentlich schwieriger.Eine weitere Anregung an die Bundesregierung: Viel-leicht ließen sich im ÖPNV auch die so genannten Null-emissionsbusse, die über alternative Antriebstechniken –Wasserstoff, Brennstoffzelle oder Ähnliches – verfügen,besonders fördern. Ich glaube, auch das wäre ein zusätz-licher Beitrag zur Reduzierung der Ozonvorläufersub-stanzen.Lassen Sie mich an dieser Stelle noch zwei Punkte nen-nen. Selbstverständlich ist es das Ziel der Regierungs-fraktionen, langfristig eine Ozonkonzentration unter demWert von 120Mikrogramm, das heißt unter dem Wert derWHO, zu erreichen. Das muss unser Ziel sein, weil wirdie Verantwortung für die Gesundheit der Menschen inunserem Land übernehmen.Dieses Ziel können wir nicht erreichen, wenn wir unsauf kurzfristige Maßnahmen, die nur an wenigen Tagenim Jahr Gültigkeit haben, konzentrieren. Wir können esnur dann erreichen, wenn wir eine Reihe von langfristigenMaßnahmen ergreifen, die eine nachhaltige Reduzierungbedeuten.Nichtsdestotrotz wird es aufgrund der besonderen geo-graphischen Lage der Bundesrepublik Deutschland undaufgrund der Hintergrundbelastungen, über die ich schongesprochen habe, nicht ausbleiben, dass wir immer wie-der einmal im Bereich der Spitzenwerte von 180 Mikro-gramm liegen.An dieser Stelle sind zwei Maßnahmen notwendig:Erstens ist eine breit angelegte Informationskampagneder Bundesregierung notwendig, weil wir die Menschen
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Rainer Brinkmann
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rechtzeitig warnen und sie darüber aufklären müssen,welche Möglichkeiten sie selbst haben, um die Ozonbelas-tung zu reduzieren. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wirmüssen ihnen zweitens ganz konkrete Umsteigemög-lichkeiten bieten. Wenn wir diese wichtigen Punkte be-achten, können wir erfolgreich sein.Die SPD-Fraktion hat – das will ich gar nicht verheh-len – das Maßnahmenpaket der Bundesregierung begrüßt.Wir haben es durch unsere Initiative um das Ozonticketergänzt und wir werden das Programm und seine Auswir-kungen überprüfen. Wenn an der einen oder anderenStelle noch Ergänzungsbedarf besteht, werden wir diesemdurch weitere Anträge Rechnung tragen.
Unter dem Strich ist das, was die Bundesregierung anMaßnahmen ergriffen hat, ein sehr ambitioniertes Pro-gramm. Es ist ambitionierter, als viele in diesem Hausglauben.
Das, was Sie, Herr Paziorek, vorgeschlagen haben, gehtweit hinter das zurück, was die Bundesregierung schon anMaßnahmen ergriffen hat. Von daher ist Ihr Antrag über-flüssig.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Birgit Homburger von
der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Das Thema ist längst bekannt undMinister Trittin hat im Wahlkampf darüber geredet. Da-rum konnten wir davon ausgehen, dass er das Themakennt. Im Wahlkampf hat er immer gesagt, was er tun will,seit er aber das Amt angetreten hat, hört man von Maß-nahmen und Plänen nichts mehr. Im Gegenteil: Die Fristwurde verschlafen, die gesetzliche Regelung ist ausgelau-fen und bisher ist nichts weiter passiert als eine „Unter-richtung durch die Bundesregierung“. Von wegen, HerrBrinkmann, „es wurden Maßnahmen ergriffen“. Sie ha-ben bisher nur Maßnahmen angekündigt, ergriffen habenSie noch keine.
Das zeigt sich auch daran: Die F.D.P. hatte eine KleineAnfrage an die Bundesregierung gestellt, in der dasThema Ozonvorläufersubstanzen angesprochen wurde.Da musste man eine Verlängerung der Frist beantragen,weil man nicht in der Lage war, diese in der vorgegebe-nen Zeit zu beantworten. Gestern Abend – wen überraschtes – haben wir die Antwort auf den Tisch bekommen, weilwahrscheinlich bemerkt wurde, dass die Debatte darüberheute geführt wird und es ziemlich schlecht ausgesehenhätte, wenn die Antwort nicht vorgelegen hätte. HättenSie aber tatsächlich ein Konzept im Kopf, wüssten Sie,wie Sie mit diesem Problem umgehen wollen. Dann hät-ten Sie die Anfrage aus der Lamäng beantworten können.Dass Sie das nicht konnten, zeigt, dass Sie überhaupt nichtwissen, wie Sie mit der Sache umgehen wollen.
Vor einem Jahr hatten Sie großspurig angekündigt,dass Sie die Sommersmogverordnung verschärfen wol-len. Herr Brinkmann, ob Sie das jetzt als eine Sache emp-finden, die sowieso nichts gebracht hätte oder nicht: DerMinister hat sie gefordert und großspurige Erklärungenabgegeben. Auch aufgrund europarechtlicher Vorgabenbefinden Sie sich im Übrigen schon längst in Zugzwang.Aber jeder akute Handlungsbedarf wurde von Ihnen malwieder ignoriert, was jetzt mit diesem hilflosen Sofort-programm kaschiert werden soll.
Was jetzt dem Bürger zugemutet wird, ist ein Sofort-programm, dessen Maßnahmen erst im nächsten Jahrgreifen sollen. Offen bleibt dabei natürlich, ob es tatsäch-lich zu weiteren Aktivitäten kommt, denn bisher ist vondem Angekündigten überhaupt nichts im Deutschen Bun-destag beantragt worden. Ab September wird das Ozon-problem witterungsbedingt wieder ein bisschen in denHintergrund treten. Daran, ob sich der Herr Umweltminis-ter Trittin dann noch an den bestehenden Handlungsbe-darf erinnert, darf man gemessen an dem Interesse, dasSie dem Thema bisher entgegengebracht haben, wohlzweifeln.Tatsächlich handelt es sich also um eine Mogel-packung. In der „Unterrichtung durch die Bundesregie-rung“ werden Maßnahmen aufgelistet, die seit zehn Jah-ren alte Bekannte sind. Jedenfalls enthält dieses sogenannte Sofortprogramm zur Minderung von Spitzen-belastungen überhaupt nichts. In den alten Regelungenwaren klare Maßnahmen vorgesehen, die der Herr Minis-ter bislang verschärfen wollte: Wieder einmal großspurigeAnkündigungen und nichts dahinter. Erneut präsentiertsich also die Bundesregierung ohne ein wirksames undtragfähiges Konzept.Die Kerosinabgabe, die jetzt gefordert wird, ist längstInhalt eines Beschlusses des Deutschen Bundestages.
Herr Trittin, Sie haben bisher nichts unternommen, umauf europäischer Ebene konkrete Fortschritte zu erzielen.Dies gilt im Übrigen für alles, was Sie unter Punkt II Ih-rer Unterrichtung aufgeschrieben haben. Zu jedem Punktwie zum Beispiel zur „Initiative zur EU-weiten Ein-führung des Kat zur Entstickung ...“, zur „Initiative zurEU-weiten ...“ muss man fragen, Herr Minister: Warumhaben Sie das eigentlich nicht schon gemacht? Das ist dieeigentliche Frage, die Sie beantworten müssen.Weiterhin führen Sie steuerliche Anreize zur umwelt-schonenden Erneuerung des Fahrzeugbestandes odereine ökologische Spreizung der Kfz-Steuer auf. HerrBrinkmann, tun Sie nicht so, als ob man hier wirklich et-was Neues eingebracht hätte. Das sind alles alte Hüte. Dasgeltende Kraftfahrzeugsteuergesetz sieht bereits weitereStufen, sieht eine Spreizung vor. Das haben wir doch
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Rainer Brinkmann
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schon eingeführt. Das ist nichts Neues.
Im Übrigen haben Sie erst vor wenigen Monaten dieEuro-III- und Euro-IV-Norm hinsichtlich der techni-schen Fragen ins Gesetz übernommen. Hier frage ichmich wirklich: Warum haben Sie zu diesem Zeitpunkt dieChance nicht ergriffen und daran entsprechende Bedin-gungen geknüpft, um gleichzeitig etwas für die Senkungder Ozonbelastung zu tun? Diese Chance haben Sie über-haupt nicht genutzt. Dies gilt auch für die Spreizung derSteuer für schwere Nutzfahrzeuge unter Einbeziehung derStufen Euro III, IV und V. Die F.D.P. hatte vor kurzem hierim Deutschen Bundestag beantragt, die Kfz-Steuer fürFahrzeuge nach der Euro-III- und Euro-IV-Norm zu sen-ken, um Anreize für schadstoffärmere Technik zu schaf-fen. Dies haben Sie abgelehnt.
Jetzt fordern Sie genau dies in Ihrem so genannten So-fortprogramm. Dazu kann ich nur sagen: Wir sind auf dieGesetzesvorlage gespannt.Auch die Verbesserung der Saugrüssel an Tankstellenist wirkungslos. Auch das, was Sie zum ÖPNV aufge-schrieben haben, grenzt an Lächerlichkeit, Herr Minister.Wenn ich hier lese:... stärkere Nutzung moderner Informations- und
muss ich sagen: Dies gibt es längst bei der DB und denVerkehrsverbünden. Wenn Sie den Leuten weismachenwollen, dass dadurch das Ozonproblem gelöst wird, sindSie wirklich fehl am Platze.
Abschließend möchte ich nur feststellen: Die F.D.P. hatmehrfach mitgeteilt, was sie für notwendig hält. DerSchlüssel zur dauerhaften Lösung des Problems derOzonbelastungen liegt in der Senkung der Grundlast derOzonvorläufersubstanzen. Wir fordern von Ihnen weiter-hin ein klares Konzept zur Verringerung dieser Ozonvor-läufersubstanzen, denn für die Behebung des Problemsdes bodennahen Ozons, Herr Minister, brauchen wir einschlüssiges Gesamtkonzept statt zahnlosem Aktionismus.Danke.
Alsnächster Redner hat der Bundesminister Jürgen Trittin dasWort.Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! Meine Da-men und Herren! Wenn wir heute über diese Fragen dis-kutieren, ist es vielleicht angemessen, sich einmal daranzu erinnern, was Bestandteil der bisherigen gesetzlichenRegelung zum Ozon gewesen ist. Da, wo „Fahrverbot“draufstand, war nämlich in Wahrheit „Freie Fahrt für alle“gemeint. Wenn es dazu noch eines Beweises bedurft hätte,dann ist er 1998 mit dem so genannten Ozonalarm er-bracht worden. Damals ging es nach dem Motto: Stellteuch vor, es herrscht Fahrverbot, und alle fahren einfachweiter. – Die Ausnahmen von den Regeln, die von Ihnenzu verantworten waren, waren nämlich so großzügig, dassman sich schon ziemlich doof anstellen musste, um nichtfahren zu dürfen. Und die Voraussetzungen warenschlicht und ergreifend so gestrickt, dass es faktisch zukeinem Ozonalarm und den damit auszulösenden Maß-nahmen kommen konnte.Wenn Sie sich die Voraussetzungen in Erinnerung ru-fen: Sie brauchten drei Messstationen, die mehr als 50 Ki-lometer, aber weniger als 250 Kilometer auseinander la-gen. Bei manchen Bundesländern musste man noch einanderes Bundesland einbeziehen. Niemand konnte daskontrollieren.Meine Damen und Herren, bei Ihren Ozonregelungenhandelt es sich um nichts anderes als um symbolischeMaßnahmen.
Diese Regeln waren so symbolisch, dass sie auch in die-sem Sommer nicht an einem einzigen Tag Ozonalarm hät-ten auslösen können. Es ist ein Witz der Geschichte, dassSie für diese Verhohnepipelung der Bevölkerung heute,da die Regeln nicht mehr gelten, Lob ausgerechnet vonGreenpeace bekommen. Wir werden uns diesem postfu-neralen Lob für eine bloß symbolische Regelung nicht an-schließen.
Wir haben die alte Sommersmogregelungmit Absichtauslaufen lassen, unter anderem weil alle Länder, vonBayern bis Schleswig-Holstein, ob Schwarz, ob Rot, obGrün, gesagt haben: Diese Verordnung wollen wir nichtmehr; sie lässt sich nicht praktizieren. Wir befinden unsmit dieser Position in Übereinstimmung mit dem Rat vonSachverständigen für Umweltfragen – Sie, liebe FrauDöpp, haben ihn vorhin schon zitiert –, der ausdrücklichgesagt hat: Die Sofortmaßnahmen halten wir für ungeeig-net und überwiegend wirkungslos. Stattdessen müssenStickoxid- und Kohlenwasserstoffemissionen dauerhaftverringert werden. Solche Maßnahmen müssen auch überEuropa hinweg ergriffen werden.Diesem Gebot kommen wir mit dem Sofortprogrammzur Verminderung der Ozonbelastung nach.
Wir haben wirksame und dauerhafte Senkungen der Vor-läufersubstanzen im Auge. Es sind 17 Einzelmaßnah-men. Sie erfassen präzise jene Bereiche, in denen dieOzon bildenden Substanzen heute noch in großen Men-gen entstehen, insbesondere im Bereich des Verkehrs undim Bereich der Lösemittelverwendung.Dazu gehört auch eine stärkere Spreizung der Kfz-Steuer. Wir haben ein konkretes Ziel: Wir wollen imnächsten Jahr die Hälfte der 6 Millionen alten Stinker aus
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Birgit Homburger10713
dem Verkehr ziehen. Diese hoch emittierenden PKWsemittieren allein 50 Prozent der VOC-Emissionen allerPKWs in Deutschland. Wir könnten mit den erzielten Mehr-einnahmen umweltgerechtes Verhalten belohnen undkünftig beispielsweise Besitzern eines Dreiliterautos – ichgreife jetzt einfach einmal eine Zahl – zu den 1 000 DM,die sie schon heute erhalten, eine Vergünstigung von wei-teren 750 DM zahlen.
Selbstverständlich brauchen wir eine gespreizte Be-steuerung bei Motorrädern. Durch eine solche Spreizungkann sich umweltgerechtes Verhalten lohnen. Aufgrundder dortigen Tarife ist es, wenn man eine entsprechendeStaffelung einführt, selbstverständlich möglich, beispiels-weise denjenigen, die ein Motorrad mit Katalysator an-schaffen oder einen Katalysator an ihrem Motorradnachrüsten, wie es auch prominente Motorradfahrer und-fahrerinnen getan haben, eine Vergünstigung von500 DM für vier Jahre zu gewähren.Sie haben sich ein paar Beispiele ausgesucht, liebeFrau Homburger. Ich nenne Ihnen eines, zu dem Sie viel-leicht konkret Stellung nehmen sollten. Wir wollen einestreckenbezogene Autobahngebühr. Wir haben inner-halb der EU unter deutscher, also meiner Präsidentschaft,bei den schweren LKWs den DeNOx-Katalysator durch-gesetzt, und wir wollen für die LKW eine streckenbezo-gene und auch emissionsabhängige Autobahngebühr.Wenn Sie hier erzählen, das sei alles nichts, dann neh-men Sie doch einmal konkret zu der Frage Stellung: Ist dieF.D.P. für diese Autobahngebühr? Oder wollen Sie unshier nur Untätigkeit vorwerfen?
Ich muss sagen, das ist Umweltpolitik ohne Biss, gnädigeFrau.Das Gleiche gilt für die Lösemittelrichtlinie. Ich freuemich schon auf die vielen Schreiben, die aus Ihrer Klien-tel kommen werden – in Hamburg haben Sie ja einmal alsdie Malerpartei gegolten –, wenn wir darangehen, bei-spielsweise den Anteil von Lösemitteln in Lacken undÄhnlichem europaweit zu begrenzen. Das ist nunmehr –im Wesentlichen auf deutsches Drängen hin – von derKommission zugesagt worden.Meine Damen und Herren, sicherlich ist es richtig, dassbei der Ozonkonzentration nicht alles durch nationaleMaßnahmen erreicht werden kann. Ein Drittel der Immis-sionen in diesem Bereich entstehen außerhalb der Bun-desrepublik Deutschland. Das macht manche Maßnah-men natürlich nur sehr beschränkt wirkungsvoll.Aber mit diesem Ansatz wird es bis zum Jahre 2005nach einer ersten groben Abschätzung zu einer zusätzli-chen Reduzierung der Vorläufersubstanzen – Stickoxideund flüchtige organische Verbindungen – von insgesamtweiteren 150 Kilotonnen kommen. Wir erzielen also einenochmalige Reduzierung um 30 Prozent.Wenn wir heute an 40 Tagen im Jahr über dem Wertvon 120 Mikrogramm liegen und wenn die EU sagt, imJahre 2010 sollen es nur noch 20 Tage sein, dann sage ichIhnen: Mit diesem Programm werden wir diesen ange-strebten Wert der EU etliche Jahre früher erreichen.
Unser Programm zielt darauf, dass der Alarmwert von180Mikrogramm – Ihre Aktion begann ja erst bei 240Mi-krogramm – im Jahre 2005 nicht mehr überschritten wird.Aber was ist bis dahin? Ich finde es nicht richtig, wennbei solchen Wetterlagen in erster Linie die Botschaft ver-mittelt wird: Kinder sollen nicht draußen spielen undSportler sollen sich draußen möglichst nicht viel bewe-gen. Ich finde, an solchen Tagen muss man eine klare an-dere Botschaft geben: Leute, nutzt den öffentlichen Nah-verkehr, verzichtet auf euer Auto!
Das ist der Grund, warum die Koalition gesagt hat: Wirwollen ein Ozonticket, wir wollen unter dem Motto: Kin-der zahlen gar nichts, Erwachsene die Hälfte, einen Um-stieg auf den öffentlichen Nahverkehr fördern.
Wir haben für die betroffenen Verkehrsbetriebe an dieserStelle sogar eine finanzielle Erstattung vorgesehen.
Nun kommen wir zu einem ganz komischen Phäno-men: Wir erleben, dass man Verbänden Geld anbietet undsie es nicht haben wollen, und das noch nicht einmal mitden intelligentesten Argumenten. Da wird gesagt, wennwir ein paar Tage im Jahr Gelegenheitsfahrer billiger fah-ren lassen, dann ist das eine Benachteiligung von Besit-zern von Dauerkarten, die dann einen nicht mehr ganz sogroßen Preisvorteil haben. Ich kann das ehrlich gesagtnicht nachvollziehen.Begreifen diese Verbände nicht, dass aus gelegentli-chen Ozonticketbenutzern schnell Dauerkunden werdenkönnen, wenn sich das Angebot als attraktiv erweist?
Ich behaupte, mit dieser Haltung des Verbandes verschläftder öffentliche Nahverkehr eine einmalige Werbechance.
Ich sage mit aller Deutlichkeit: Wir bieten unabhängigvon der Haltung der Verbände noch einmal an, mit unsdiesen Versuch zu wagen. Sie sehen daran, meine Damenund Herren: Wir setzen hier nicht wie Sie auf Symbolik,auf Simulieren, sondern auf Handeln.
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Bundesminister Jürgen Trittin10714
Als nächste Red-
nerin hat Kollegin Eva Bulling-Schröter von der PDS-
Fraktion das Wort.
Sehr geehrter
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit
Recht haben Grüne und SPD in der vergangenen Wahlpe-
riode die Sommersmogverordnung der Regierung Kohl
als völlig wirkungslos bezeichnet. Kollege Brinkmann hat
sie jetzt gerade als Placeboverordnung betitelt. Die Vor-
warn- und Fahrverbotswerte waren zu hoch. Zahlreiche
Ausnahmeregelungen durchlöcherten die Verordnung, die
Ende letzten Jahres auslief.
Es hätte also die Chance bestanden, nun endlich eine
wirksame, weil scharfe Verordnung zu erlassen und
gleichzeitig ein Paket zu schnüren, welches mittel- bis
langfristig die Ursachen dieses Smogs bekämpft. Die
Verordnung fiel aber völlig unter den Tisch; das Paket ist
trotz begrüßenswerter Ansätze nur mangelhaft geschnürt.
Nunmehr versucht Herr Trittin – wir haben es gerade
gehört –, eine weitere Niederlage des Umweltministeri-
ums gegen das Verkehrsressort als Fortschritt zu verkau-
fen: Nicht die Merkelsche Verordnung sei schlecht gewe-
sen, sondern Sommersmogverordnungen seien überhaupt
Unsinn! Deshalb gebe es in diesem Jahr gar keine. Im
Übrigen zweifelt er auch Greenpeace-Studien an.
Es ist vergessen, dass die Grünen damals – wie die
PDS – Fahrverbote und Geschwindigkeitsbegrenzungen
ab 180 Mikrogramm statt 240 Mikrogramm pro Kubik-
meter Luft und eine Streichung der meisten Ausnahmere-
gelungen verlangten. Es ist auch vergessen, dass damals
mit der akuten Gesundheitsgefährdung der Bürgerinnen
und Bürger argumentiert wurde. Es ist ebenso vergessen,
dass selbst der grüne MdB Winfried Hermann – leider ist
er nicht da – hinsichtlich des Erlasses von entsprechenden
Grenzwerten vor zwei Monaten aktiv wurde, nachdem
klar war, die Bundesregierung würde die Neufassung der
Sommersmogverordnung schlichtweg verpennen.
Für dieses Jahr sollen nun also so messerscharfe In-
strumente wie Selbstverpflichtungen der Industrie und
Appelle an die lieben Autofahrerinnen und Autofahrer,
doch das geliebte Stück mal stehen zu lassen, sowie die
Bitte an die Verkehrsbetriebe, vielleicht ein Ozonticket
einzuführen, eine Sommersmogverordnung ersetzen. Und
selbst diese Spaßnummern kommen zu spät, denn die al-
ten Grenzwerte wurden in diesem Frühjahr schon mehr-
fach überschritten.
Damit ich nicht falsch verstanden werde: Dass die vom
Kabinett längerfristig angelegten Maßnahmen zur Sen-
kung der Ozonvorläufersubstanzen beschlossen wurden,
ist grundsätzlich begrüßenswert. Doch sie ersetzen kei-
nesfalls Regelungen zum akuten Sommersmog. Brand-
schutz ersetzt im Ernstfall weder Feueralarm noch Lösch-
zug. Dies gilt im Übrigen auch für die kommenden Jahre.
Außerdem sind im Maßnahmepaket der Bundesregie-
rung mit dem irreführenden Namen „Sofortmaßnahmen“
die seit langem von Umweltverbänden – und einstmals
auch von den Grünen – geforderten generellen Tempo-
limits nicht enthalten. Da wird anscheinend herumgemo-
gelt. Der deutsche Sonderweg in Fragen Geschwindigkeit
soll auch von Rot-Grün behütet und gepflegt werden. Da-
für streitet man sich im Kabinett ersatzweise leiden-
schaftlich über die Emissionen von Rasenmähern. Das
Ganze scheint mir allerdings für eine nachhaltige Um-
welt- und Verkehrspolitik nicht wirklich überzeugend.
Jetzt zum Sofortprogramm: Da fehlt etwas! Ich
würde in Nr. 8 bei der Förderung des öffentlichen Perso-
nennahverkehrs nicht nur die Fahrplanauskünfte per In-
ternet – meistens schaut man nicht ins Internet, wenn man
mit dem Bus fahren will –, sondern zum Beispiel auch
bessere Taktzeiten aufnehmen. Das wäre ein wirklicher
Effekt.
In Nr. 9 des Sofortprogramms, Förderung des Gütertrans-
ports mit Schiff und Bahn, würde ich den Verzicht auf
Streckenstilllegungen aufnehmen. Das wäre ein gutes So-
fortprogramm, denn hier wäre wirklich etwas zu tun, und
das hätte Effekt.
Danke.
Als
nächster Redner hat der Parlamentarische Staatssekretär
Kurt Bodewig das Wort.
K
Herr Präsi-dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das vorgelegteProgramm zur Verminderung der Belastung durchSommersmog enthält ein Paket von 17 dauerhaften Maß-nahmen, die zu einer deutlichen und – sehr viel wichti-ger – nachhaltigen Reduzierung der Ozonvorläufersub-stanzen führen werden. Damit ist klar, dass wir konkrethandeln und das Problem an der Wurzel anpacken.Ich möchte gerne darauf hinweisen, was wir vorgefun-den haben: Unter der Regierung Kohl mit seiner Umwelt-ministerin Merkel gab es eine Rechtsvorschrift, die manmehr als Schein statt Sein bezeichnen konnte. Das Ozon-gesetz enthielt Geschwindigkeitsbegrenzungen und Fahr-verbote. Allerdings enthielt das Ozongesetz mehr Aus-nahmen als Regelungen. Wegen der vielen Aus-nahmetatbestände war bei dem einzigen verhängtenFahrverbot im Jahre 1998 keine Wirkung festzustellen.Frau Dött, ich denke, dass der Begriff „Placeboregelung“wirklich zu Recht zutrifft.
– Doch, wir haben einiges. Bleiben Sie mal dran!Damit machen wir jetzt Schluss. In dem Maßnahme-programm wollen wir wirksam und dauerhaft zur Ver-minderung beitragen. Ich unterstütze ausdrücklich dieAusführungen des Bundesumweltministers, sage aberauch, dass der Verkehrsbereich seine Beiträge dazu leis-ten muss. Dies machen wir im Kontext mit unserer Poli-tik. Denn wir vertreten das Leitbild einer dauerhaften Po-litik. Dauerhafte Mobilität muss aber ökologisch sein. Wir
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müssen alles unternehmen, wofür wir ein Bündel ver-kehrspolitischer Maßnahmen anbieten.Wir fordern eine weitere Spreizung der Kfz-Steuer fürFahrzeuge ohne geregelten Katalysator.
– Doch, wir machen es.
– Frau Homburger, gemach, gemach! – Es ist das Ziel, denBestand der Altfahrzeuge bis zum Jahr 2002 zu hal-bieren. Das sind 6,5 Millionen Fahrzeuge. Das ist einwirksames und ehrgeiziges Ziel.
– Gemach, gemach Herr Friedrich! Das werden wir Zugum Zug tun. Sie wissen das doch.Die Spreizung der Steuern für schwere Nutzfahrzeugeist bereits angesprochen worden. Wir wollen die Ein-führung einer emissionsbezogenen Kfz-Steuer fürleichte Nutzfahrzeuge. Außerdem wollen wir die Abga-suntersuchung und eine emissionsbezogene Kfz-Steuerfür Motorräder einführen. Ich denke, dass der Sommer-smog etwas mit der Nutzung von Motorrädern im Som-mer zu tun hat. Gleichzeitig sind wir für eine Verminde-rung der VOC-Emissionen beim Betanken von Kfz.Weiterhin sind wir – dieses Projekt wird wesentlicheAuswirkungen haben – für die Einführung einerstreckenbezogenen Autobahngebühr für schwere LKWmit emissionsabhängiger Komponente;
Ich bestätige noch einmal: Wir werden zudem in derEU unsere Forderung nach einer Kerosinsteuer nach wievor massiv vertreten. Dies muss europäisch geregelt sein.Das Gleiche gilt auch für die Initiativen für emis-sionsbezogene Landegebühren.Wir sollten eines noch deutlich machen: Mit der steu-erlichen Förderung von schwefelarmen und schwefel-freien Kraftstoffen nimmt Deutschland eine Vorreiterrollein Europa ein und leistet einen weiteren Beitrag zur Sen-kung der Schadstoffemissionen. Das sollten wir nicht ver-gessen. Dies vertreten wir ganz wirksam.Der Bundesumweltminister hat bereits angesprochen,dass der Einsatz von erdgasbetriebenen Fahrzeugeneine große Chance bietet. Bei den Nahverkehrsbetriebenwird dieses Angebot angenommen.Ich denke, Frau Homburger, wenn Sie alles lesen, wasin dem Programm steht, werden Sie Ihre Vorwürfe über-denken.
– Ihre Ausführungen haben deutlich gemacht, dass Sie dasProgramm nicht gelesen haben. Das ist der eigentlichePunkt.
Der ÖPNV wird hier eine Schlüsselrolle spielen. Täg-lich werden 26 Millionen Fahrgäste mit Bussen und Bah-nen befördert. Das entspricht rund 18,5 Millionen einge-sparten PKW-Fahrten. Daran wird sehr deutlich, FrauBulling-Schröter, dass wir den ÖPNV ernst nehmen. Daskönnen Sie auch daran sehen, dass wir ihn mit jährlich15 Milliarden DM fördern. Wir entlassen aber nicht dieVerkehrsunternehmen aus ihrer Verantwortung, die sinn-vollsten Takte und das beste Engagement vor Ort zu zei-gen. Aber eine Unterstützung des Bundes mit 15 Milliar-den DM ist meiner Meinung nach ein deutliches Zeichen.
Ich komme noch einmal auf das Ozonticket zu spre-chen. Das ist doch ärgerlich. Wenn die Idee, bei Ozon Er-wachsene zur Hälfte und Kinder zum Nulltarif zu trans-portieren, von den Nahverkehrsunternehmen nicht aufge-nommen wird, dann wird daran eine besondere Form derKurzsichtigkeit deutlich. Man könnte das als Chance fürImagewerbung des ÖPNV betrachten. Das hätte betriebs-wirtschaftliche Auswirkungen, weil sich die Anzahl mög-licher Kunden erhöhen würde. Wenn die Forderung nachmehr Geld die einzige Reaktion von Verbandsvertreternist, zeigt dies, wie borniert und kurzsichtig eine solcheVorgehensweise ist. Ich sage Ihnen: Die Basis ist weiterals die Funktionäre und ihre Verbände.
Wir haben einige gute Signale erhalten, dass über einOzonticket im Modellversuch gesprochen wird. Dies istin Berlin und Osnabrück der Fall. Straßburg beispiels-weise zeigt, dass eine konkrete Umsetzung des Ozon-tickets auf die spezifischen Verhältnisse vor Ort machbarist.Ich frage mich, warum das bei uns nicht machbar ist.Warum sind bundesdeutsche Nahverkehrsunternehmennicht in der Lage, intelligente, kreative Lösungen zu su-chen, die das Ziel haben, Menschen dazu zu bewegen, denWagen stehen zu lassen und eine ökologisch sinnvolleTransportart, nämlich den ÖPNV, zu nutzen?
Ich finde das borniert.Ich glaube, dass die Debatte fortgesetzt wird und dassdie Nahverkehrsunternehmen die Chance, die wir mit derDiskussion über das Ozonticket eröffnen, nutzen werden.Sie brauchen etwas Nachhilfe und ein bisschen Druck vonden Menschen, die den ÖPNV vor Ort nutzen wollen.Zusammenfassend möchte ich feststellen: Die Bundes-regierung nimmt ihre Verpflichtungen ernst. Wir handelnwirksam, kosteneffizient und setzen vor allem auf nach-haltige Wirkungen. Statt auf eine Placebopolitik setzen
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Parl. Staatssekretär Kurt Bodewig10716
wir auf eine Änderung mit langfristiger Wirkung. Das istein gutes Programm, das man mit Freude und Stolz ver-treten kann.Vielen Dank.
Als letz-
ter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat das Wort
der Kollege Georg Girisch von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Das Sofortprogramm
der Bundesregierung zur Verminderung der Ozonbelas-
tung trägt seinen Namen zu Unrecht.
Es ist – wenn Sie so wollen – kein Sofortprogramm. Es
werden Maßnahmen in die Wege geleitet, die eigentlich
nur auf lange Sicht wirken können. Es ist zu begrüßen,
dass von Schnellschüssen wie zum Beispiel vom Fahr-
verbot – Gott sei Dank – nicht mehr die Rede ist; denn von
zeitlich beschränkten Maßnahmen kann keine Wirkung
ausgehen, wie es das Umweltgutachten 2000 des Rates
von Sachverständigen für Umweltfragen belegt. Dies hat
inzwischen – Gott sei Dank – auch der Bundesumweltmi-
nister erkannt.
In der Sache wird eine Spreizung der Kraftfahrzeug-
steuer geplant, deren Höhe von der Abgasbelastung, die
durch das jeweilige Fahrzeug verursacht wird, abhän-
gig sein soll. Damit wird zumindest der Wortlaut der
Bundesratsinitiative von Bayern und Baden-Württemberg
zum Verkehrsbereich vom 12. Mai übernommen. Zur Er-
innerung: Die Verminderung der erhöhten Konzentration
von bodennahem Ozon wird darin als notwendig angese-
hen. Vorgeschlagen wurden neben einer Verstärkung steu-
erlicher Anreize auch eine Verschärfung der Abgasvor-
schriften und deren strenge Überwachung. Auf europä-
ischer Ebene käme dann der Vorsprung der deutschen
Automobiltechnik noch besser zum Tragen. Eine Ver-
schärfung der betreffenden Richtlinien ist in Arbeit. Aber
wie sich diese Änderung der Kfz-Steuer und die Umset-
zung der EU-Lösungsmittelrichtlinie zum 1. Januar
2000 noch auf diesen Sommer auswirken sollen, bleibt für
mich ein Rätsel.
Es ist festzuhalten, dass der Ausstoß der Vorläufersub-
stanzen des Ozons seit mehreren Jahren rückläufig ist:
Von 1990 bis 1997 – ich beziehe mich auf die Zahlen des
Bundesumweltamtes – ging unter einer unionsgeführten
Bundesregierung der Ausstoß von insgesamt rund
5,9 Millionen auf 3,6 Millionen Tonnen zurück. Dazu hat
besonders der Rückgang des Ausstoßes im Straßenver-
kehr von insgesamt rund 2,7 Millionen auf 1,3 Millionen
Tonnen beigetragen. Das ist eine Halbierung.
Um die EU-weit vorgesehene Senkung der Ozon-
belastung der Bevölkerung auf ein Drittel des jetzigen
Stands bis 2010 zu erreichen, schlägt die CDU/CSU-
Fraktion eine einkommensneutrale Spreizung der Kfz-
Steuer vor.
Dadurch und durch weitere Anreize sollen vor allen Din-
gen die alten Dreckschleudern stillgelegt werden. Anders
ausgedrückt: Schadstoffarme Kraftfahrzeuge sollen noch
mehr als bisher begünstigt werden. In diese Regelung sol-
len auch, soweit dies möglich ist, Zweiräder und leichte
Nutzfahrzeuge, also LKWs unter 3,5 Tonnen, einbezogen
werden.
Herr Kol-
lege Girisch, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Matschie zu?
Herr Präsident, Sie ha-
ben selbst gesagt, dass die Redner keine Zwischenfragen
mehr zulassen sollten.
Gut, ich
bedanke mich.
Ja, das hat er doch ge-sagt – oder?Die Überführung der bislang ausschließlich gewichts-abhängigen Besteuerung der Nutzfahrzeuge unter3,5 Tonnen in eine emissionsabhängige Kfz-Steuer wäreein weiterer richtiger Schritt.In der Unterrichtung der Bundesregierung vermisse icheine Aussage zu den Großfeuerungsanlagen und zu densonstigen großen Abgasproduzenten in der Industrie.Hierzu weise ich ausdrücklich auf Punkt II.2 unseres An-trages hin. Immerhin tragen diese Anlagen bei derWärme- und Stromgewinnung mit weiteren 6 000 Tonnenzu den Vorläufersubstanzen bei. Wir jedenfalls haben diesnicht übersehen. Wir fordern in unserer Drucksache dieBundesregierung daher auf, den Stand der Technik fürGroßanlagen bei der Umsetzung der IVU-Richtlinie derEU neu festzulegen.Ich möchte noch auf die so genannten mobilen Geräteund Maschinen, also Kräne, Bagger und land- und forst-wirtschaftliche Zugmaschinen, hinweisen. Sie werdenzurzeit anders als „normale“ Nutzfahrzeuge vergleichba-rer Größe behandelt. Da die Technik zur Abgasverminde-rung zur Verfügung steht, sollte man deren Einsatz för-dern. Hierzu müsste die Bundesregierung auf euro-päischer Ebene tätig werden.
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Parl. Staatssekretär Kurt Bodewig10717
Ein weiteres Problem – das ist richtig erkannt worden –stellt die Verwendung von Lösungsmitteln, zum Beispielin Lacken, dar. Sie trug 1997 mit 1 Million Tonnen zu denVorläufersubstanzen des Ozons bei. Teil der Gegen-maßnahmen muss es sein, die Anteile an Lösungsmittelnbei den einzelnen Produkten kenntlich zu machen unddiese Anteile dann durch technischen Fortschritt zu ver-ringern. Dies wird ebenfalls im Antrag der CDU/CSU-Fraktion deutlich, der mit Blick auf die ferne Zukunft for-muliert ist.Wir brauchen also auch auf diesem Gebiet kein so ge-nanntes Sofortprogramm, sondern eine auf lange Frist an-gelegte Strategie, wie sie zum Beispiel im Antrag des Lan-des Baden-Württemberg im Bundesrat angeregt wurde.Dabei muss auf eine rasche Umrüstung der betroffenenIndustrien, also insbesondere der chemischen Industrie,hingewirkt werden.Wenn sich die Bundesregierung jetzt beim ThemaOzon Gedanken über die Förderung des kombiniertenGüterverkehrs machen will, dann kann ich nur fragen:Ist Ihnen der vor Monaten eingebrachte Antrag derCDU/CSU-Fraktion zur Bahnreform entgangen? Oderhaben Sie dies aus anderen Gründen nicht bemerkt?
Mit der von Ihnen gelieferten halbherzigen Formulierungbekommen Sie den kombinierten Güterverkehr nicht ausder Krise.
– Das werde ich Ihnen zum Schluss noch sagen.
Es ist trotz aller Unterschiede gut, dass die Bundesre-gierung mit den zunächst von Bayern und Baden-Würt-temberg genannten, von der CDU/CSU-Fraktion unter-stützten Zielen bei der Abgasverminderung überein-stimmt. Wie man sehen kann, stellen Schutz derGesundheit und technische Fortschritte keinen Wider-spruch dar.Ich möchte noch auf die besondere Bedeutung einesfesten Eintretens für die deutschen Positionen im Rahmender Europäischen Union hinweisen, um Wettbewerbsver-zerrungen durch niedrige Standards in anderen Mitglied-staaten zu vermeiden.Meine Damen und Herren, nachdem große Teile IhrerVorlage vom Antrag der CDU/CSU-Fraktion und von denAnträgen Bayerns und Baden-Württembergs abgeschrie-ben wurden, bitte ich um Zustimmung.
Ich
schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
Drucksache 14/3671 und 14/3609 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich , Hans-Michael Goldmann,
Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der F.D.P.
Anti-Stau-Programm für Europas Luftverkehr
– Drucksache 14/3188 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
F.D.P.-Fraktion fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Horst Friedrich von der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das Ih-nen vorliegende Anti-Stau-Programm für Europas Luft-verkehr kommt zu einem idealen Zeitpunkt: Zum einenkönnen wir unmittelbar vor Beginn der Reisewelle überdas Thema „Verspätungen in der Luft durch nicht ausrei-chende Luftsicherungskapazitäten“ in diesem Hause dis-kutieren. Zum anderen geschieht es zeitgleich zum Be-mühen der Verkehrspolitiker in den Parlamenten Europas,neben der Kommission und neben den Regierungen aufParlamentsebene eine Lösung des Problems zu finden,dass mehr als 60 Prozent aller Verspätungen im Luftraumvon sechs Flugsicherungszentralen in Europa ausgehen;dies muss in Zukunft anders werden.Weiterhin muss in Europa darüber diskutiert werden,dass es keinen Sinn macht, Luftraumbeschränkungendurch Trennung von militärischem und zivilem Luft-verkehr vorzunehmen. Das gilt insbesondere für dieSchweiz, die, weil sie von Feinden umzingelt ist,
auf der einen Seite 50 Prozent ihres kompletten Luftrau-mes aus Gründen des militärischen Vorrangs sperrt, aufder anderen Seite aber erstaunt ist, wenn es auf den An-flugsrouten zum einzigen großen Flughafen, nämlichZürich-Kloten, die über Deutschland führen, zu Engpäs-sen kommt.
Vor diesem Hintergrund und aufgrund der Annahme,dass nach Vorausberechnungen der Luftverkehr wahr-scheinlich jährlich um 5 bis 6 Prozent zunehmen wird, ha-ben wir vier wesentliche Punkte in unseren Antrag, derIhnen heute vorliegt, aufgenommen. Zum einen geht esum die Schaffung eines europaweit gültigen Rahmens fürleistungsorientierte und nach Wettbewerbsgrundsätzenarbeitende Flugsicherungsdienste. Diese sollten, wenn
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Georg Girisch10718
es nach uns geht, vorzugsweise privatwirtschaftlich ge-führte Organisationsformen aufweisen, deren Effizienzdie deutsche Flugsicherung seit 1992 in Deutschland hin-länglich beweist.
Das Zweite – das ist mindestens genauso wichtig – istdie Schaffung eines gemeinsamen europäischen Luft-raummanagements neben der militärischen und der zi-vilen Flugsicherung. Durch eine solche Planung könntesichergestellt werden, dass keine Vorranggebiete mehraus übergeordneten Gründen gesperrt werden und keinekünstlichen Barrieren für einen welt- bzw. europaweitwichtigen Verkehr aufgestellt werden.Weiterhin sind wir, weil das in nationalem Interesseliegt, sehr daran interessiert, dass auf die von allen Ver-kehrsministern einvernehmlich festgestellte Situation,dass in Deutschland in absehbarer Zeit vier zusätzlicheStart- und Landebahnen notwendig sind,
um das Angebot an Flugverkehr umzusetzen, sinnvoller-weise auch zeitgerecht reagiert wird. Es liegt ja dankens-werterweise seit Juni dieses Jahres ein Flughafen-konzept der Bundesregierung vor. Darin wird zwar nichtdezidiert auf diese vier Bahnen eingegangen – logischer-weise finanziert ja auch nicht der Bund diese Bahnen –,aber ein in sich schlüssiges Gesamtverkehrsangebot, dasSie immer für die Fortschreibung des Bundesverkehrswe-geplanes fordern, muss natürlich auch diese Überlegun-gen implementieren, zumindest dann, wenn es um die An-bindung der Flughäfen geht. Es ist ja mittlerweile aucheine unstrittige Tatsache – das steht sogar im Konzept derBundesregierung –, dass die Schadstoffbelastung durchdie Flugzeuge 3 Prozent der Gesamtschadstoffbelastungim Umfeld eines Großflughafens ausmacht. Der Rest er-gibt sich aus dem übrigen Verkehr, vorzugsweise aus demauf der Straße abgewickelten Zubringerverkehr.Gleichzeitig halten wir an unserer Bitte fest, die Flug-hafenkapazitäten in Deutschland durch ein in sich schlüs-siges, dezentrales Flughafensystem – das hat die F.D.P.bereits in der letzten Wahlperiode beantragt – so zu ma-nagen – auch hier sind unsere Forderungen mit den Vor-schlägen des Hauses deckungsgleich –, dass die Nach-frage nach Luftverkehr, die in Deutschland besteht, auchin Deutschland befriedigt werden kann.Welche Bedeutung funktionierender Luftverkehr fürdie Exportnation Deutschland hat, mögen Sie daraus er-sehen, dass der wertmäßige Anteil der Luftfracht, dieDeutschland verlässt, 15 Prozent der Gesamtfracht aus-macht, während der mengenmäßige Anteil der Luftfrachtnur 0,4 Prozent an der gesamten Fracht ausmacht.Ich freue mich auf eine sehr intensive Beratung in denAusschüssen. Ich gehe davon aus, dass sich die Parla-mentsfraktionen von Rot und Grün über das Flughafen-konzept der Bundesregierung einig sind. Ich glaube, dannhaben wir die ideale Kombination aus unserem Antragund dem, was Sie vorgelegt haben.Herzlichen Dank.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Reinhard Weis von der SPD-Frak-
tion.
Herr Präsident! Sehrgeehrte Kolleginnen und Kollegen! Wer hätte das ge-dacht! Wir debattieren heute über ein zweites Anti-Stau-Programm.
Aber diesmal hat die F.D.P. die Autorenschaft. Uns zeigtdieser Vorgang immerhin, dass unsere Idee mit dem Anti-Stau-Programm für Straße und Schiene offensichtlich sogut war, dass man diese Idee aufgreifen und nachahmenkann.
Über die Urheberschaft will ich aber keinen Streit be-ginnen; denn das Thema „Verspätungen im Luftverkehr“,das die F.D.P. in ihrem Antrag aufgreift, ist leider seit Jah-ren aktuell. Die Verspätungen sind nicht nur für Flug-gäste und Luftfrachtspediteure ärgerlich, sondern auch fürdie Luftverkehrsgesellschaften. Experten der Luftfahrt-branche beziffern nämlich die jährlichen Verluste auf-grund der Verspätungen auf 20 Milliarden DM. DieseSumme ist kein Pappenstiel.Nun wissen wir aus Diskussionen untereinander, ausDiskussionen mit Luftverkehrsunternehmen und derDeutschen Flugsicherung, dass sowohl über die Ursachendieser ärgerlichen Situation als auch über die Lösungs-ansätze kaum Diskrepanzen zwischen den Fraktionen be-stehen. Die Rede von Herrn Friedrich hat dies im We-sentlichen deutlich gemacht.Ich will die drei wesentlichen Ursachen nennen: Da istzum Ersten die nicht optimierte Luftraumplanung undLuftraumnutzung in Europa. Das bezieht die Frage dermilitärischen und zivilen Nutzung ein. Da gibt es zumZweiten einen eklatanten Fluglotsenmangel. Nach Schät-zungen fehlen circa 1 600 Fluglotsen in Europa. DiesesProblem muss allerdings jeweils in nationaler Zu-ständigkeit gelöst werden. Es gibt zum Dritten uneinheit-liche technische Flugsicherungssysteme und zu geringe,den Fluglotsen in seiner Tätigkeit unterstützende System-funktionalität.Da wir in der Einschätzung der Situation so nahe bei-einander sind, verwundert uns als SPD-Fraktion aller-dings der isolierte Vorstoß der F.D.P. schon etwas. Daserste Verwundern ergibt sich aus der Tatsache, dass es inder Vergangenheit bei der Organisationsprivatisierung derDeutschen Flugsicherung die äußerst positive Erfahrunggab, dass der Deutsche Bundestag mit allen Fraktionenauch gegen den Widerstand innerhalb des Fachministeri-ums eine deutsche Erfolgsstory mit der Privatisierung der
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Horst Friedrich
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Flugsicherung und Zusammenfassung der militärischenund zivilen Luftraumüberwachung auf den Weg brachte.An solche Erfahrungen der koordinierten Arbeit sollte ge-rade bei dem sensiblen Problem der Schaffung eines ein-heitlichen europäischen Flugraumes angeknüpft werden.
Wenn wir in überschaubar kurzen Zeiträumen hier Er-folge erzielen wollen, dann wird jeder von uns mit seinenjeweiligen europäischen Partnern der SchwesterparteienÜberzeugungsarbeit leisten müssen.Das zweite Verwundern ist damit verbunden, dass dieF.D.P. – wie ich meine: wider besseres Wissen – in ihremAntrag der Bundesregierung Kompetenzen zumisst, dieihr in der EU im Verhältnis zu souveränen Nationalstaa-ten gar nicht zustehen. Außerdem wird das Thema fälsch-licherweise mit Problemkreisen in ursächliche Zusam-menhänge gebracht, die gar nicht gegeben sind. Daraufmöchte ich im Folgenden eingehen.Zuvor möchte ich aber ganz klar sagen, dass meineFraktion ebenfalls Handlungsbedarf sieht, für ein abge-stimmtes europäisches Vorgehen einzutreten, auch wennausweislich der Statistiken von Eurocontrol gegenüberMai 1999 im Mai 2000 infolge koordinierter, kurzfristigernationaler Maßnahmen die Pünktlichkeit im europä-ischen Flugverkehr erhöht wurde. So stieg trotz einer Ver-kehrssteigerungsrate von 6,3 Prozent der Anteil derpünktlich abgewickelten Flüge von 82,4 auf 87,9 Prozent.Hochgerechnet auf alle Flüge bedeutet dies fast eine Hal-bierung der Verspätung pro Flugzeug. Aber wir wissen,dass sich der Flugverkehr bis 2015 mindestens verdop-peln wird. Die Luftsicherungskapazitäten müssen dieserPrognose angepasst werden.
Nun zu den Bestandteilen des F.D.P.-Antrages. Ein Ak-tionsplan für Europa kann nicht von der Bundesregie-rung durchgeführt werden. Dazu bedarf es der Abstim-mung und Entwicklung auf europäischer Ebene. Sie, HerrFriedrich, wissen doch durch die Berichterstattung in un-serem Ausschuss, dass die Bundesregierung in der Zeit ih-rer Ratspräsidentschaft im vergangenen Jahr genau diesangestoßen hat.
Kommissarin de Palacio hat nach der Tagung des Ver-kehrsministerrates im Juni des vergangenen Jahres einehochrangige zivil-militärische Arbeitsgruppe eingesetzt.Da deren Abschlussbericht erst im Oktober vorgelegt wer-den wird, werden sowohl wir als Mitglieder des Ver-kehrsausschusses als auch die Bundesregierung diesenZeitpunkt abwarten müssen, um konkrete Konsequenzenbesprechen zu können. Ich gehe davon aus, dass wir diesdann gemeinsam machen, und wir können dabei an guteErfahrungen anknüpfen.Wir können aber auch schon vor diesem Termin durchGespräche zum Beispiel mit Parlamentariern der EU-Staaten oder des Europäischen Parlaments diesen Prozessvorbereiten. Einen Kontakt von Mitgliedern des Ver-kehrsausschusses gab es dazu auch schon. Da sind die je-weiligen grünen, liberalen, christlichen bzw. konservati-ven, sozialdemokratischen, sozialistischen und in Frank-reich sogar die kommunistischen Partnerparteien von Par-teien unseres Parlamentes in den unterschiedlichstenParlaments- oder Regierungspositionen, und diese Kon-taktebenen müssen wir nutzen. Das ist nicht Aufgabe derBundesregierung. Wir haben hier eine Verpflichtung. HerrFriedrich sprach auch davon, dass wir sie wahrnehmenwollen.In Richtung F.D.P. sage ich deshalb: Fordern und ver-urteilen Sie nicht nur, sondern machen Sie bei diesemThema mit! Nur mit einer gemeinsamen Kraftanstren-gung werden wir dieses Thema packen.Ein zweiter Forderungskomplex des Antrages ist dieVerknüpfung mit dem dezentralen deutschen Flughafen-konzept. Sie wissen genau, liebe Kolleginnen und Kolle-gen der F.D.P., dass hier gar keine Bundeskompetenz vor-liegt. Für uns auf der Bundesebene gibt es allenfalls einemittelbare Verknüpfung dieser Themenbereiche. Für Pla-nung und Genehmigung von Flugplätzen sind die Bun-desländer zuständig.Ich gehe davon aus, dass darüber Konsens besteht, dassin der heutigen Zeit Bau und Betriebsführung der Flug-plätze eigentlich nicht mehr Sache der öffentlichen Handsind, sondern mindestens privatrechtlich geführten Ge-sellschaften obliegen.Die Bundesländer haben die Bundesregierung beauf-tragt, federführend das genannte gesamtdeutsche Flugha-fenkonzept zu erstellen. Es liegt in einem Entwurf vor, dermit den auftraggebenden Ländern, den Fachverbändenund der Luftfahrtindustrie beraten wurde. Nicht ohne Kri-tik, wie wir wissen, aber die Einwände werden ja bei derErarbeitung der Endfassung noch berücksichtigt. Ichhoffe, dass uns als Ausschuss im Herbst ein akzeptablesKonzept vorliegen wird.Die Beseitigung der Engpässe am Boden ist leidernicht Bundesaufgabe. „Leider“ sage ich, weil wir als Bun-destag aus gesamtstaatlicher Verantwortung möglicher-weise anders zum Beispiel mit der Entscheidung über dieEntwicklung der Berliner Flughäfen umgegangen wären.Leider wurde aus meiner Sicht in diesem Zusammenhangeben nicht ernsthaft darüber diskutiert, welche Potenzialefür den Luftverkehr und damit auch für die wirtschaftli-che Entwicklung in Nordostdeutschland zu binden wären,wenn wir im Raum Berlin einen entwicklungsfähigenStandort mit möglichem 24-Stunden-Betrieb entwickelnwürden. Aus meiner Sicht ist kein einziger der jetzigenBerliner Flughäfen dafür geeignet. Und an welchem an-deren Standort sind Entwicklungs- und Ausbaureservenfür einen internationalen Großflughafen gegeben?Mit dieser persönlichen Bemerkung habe ich den Be-zug zum Antrag etwas verloren – ich gebe das zu –, aberdieses Beispiel soll zeigen, dass die Kritik im Zusam-menhang mit dem dezentralen Flughafenkonzept jeden-falls in die falsche Richtung geht.Bleibt der dritte Komplex, die Anmahnung der Priva-tisierung bundeseigener Anteile an Flughäfen. Wir glau-ben nicht, dass es Privatisierung um der Privatisierungwillen geben sollte. Sie wissen, dass es ganz konkrete Pri-
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vatisierungspläne für die Berliner Flughäfen gab und gibt,und diese sind nicht an der Haltung der Bundesregierunggescheitert. Beim Flughafen Hamburg steht die Privati-sierung der Bundesanteile bevor.Ich denke, es ist gerechtfertigt, in konkreten Einzelfäl-len aus übergeordneten verkehrspolitischen Überlegun-gen abzuwägen, ob der Bund nicht als Mitgesellschafterdirekten Einfluss auf einer Ebene behalten sollte, die sonstseiner Entscheidung entzogen ist. Zum anderen kann manwohl auch abwägen, ob mit dem Verkauf von Bundesan-teilen Einmalerlöse erzielt werden sollen oder ob man mitdem beschriebenen Mitspracherecht auch Anteil an denGewinnausschüttungen erhält bzw. behält.Alles in allem ist die Frage der Privatisierung von Flug-hafenanteilen nicht relevant für die Beseitigung der Eng-pässe in der Luft. Und nur hier haben wir als Bundespoli-tiker direkte Verantwortung und Zuständigkeit.
Wir werden als Plenum diesen Antrag zur Beratung indie Ausschüsse überweisen. Ich möchte die F.D.P. bitten,nicht, wie bei der Organisationsprivatisierung der Deut-schen Flugsicherung, einen Einzelweg zu beschreiten.Wir sollten uns gemeinsam auf einen Katalog von Maß-nahmen verständigen, die uns dem Ziel eines einheitli-chen europäischen Luftraumes möglichst schnell näherbringen.
Außerdem gibt es Handlungsbedarf für die DeutscheFlugsicherung und in ihrem Sinne, um ihr eine eigenstän-dige Rolle im internationalen Raum zu ermöglichen. Die-ser Aspekt fehlt im F.D.P.-Antrag ganz.Also nehmen wir den Vorstoß der F.D.P. – bei aller Kri-tik, die ich geäußert habe – als Anstoß, das zu tun, was wirzur Erreichung eines einheitlichen europäischen Luftrau-mes tun können.Danke.
Als
nächster Redner hat der Kollege Norbert Königshofen
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im letzten Jahr hattenwir bei rund 30,3 Prozent der Flüge im innereuropäischenGebiet Verspätungen, das heißt, fast ein Drittel allerFlugzeuge starteten laut Atkins-Bericht mindestens15Minuten später als zur im Flugplan angegebenen Start-zeit. 1991 waren es nur 12,7 Prozent.Die Jets der Lufthansa zum Beispiel zogen allein imJuli 1999 rund 3 000 Stunden Warteschleifen und warte-ten über 3 600 Stunden auf ihre Startfreigabe. Der volks-wirtschaftliche Schaden für Fluggäste, Frachtverladerund die übrigen am Luftverkehr Beteiligten bewegte sichin zweistelliger Milliardenhöhe – das ist vorhin schon ge-sagt worden –; allein der Schaden für die Flugge-sellschaften betrug im letzten Jahr rund 8 Milliarden DM.Darüber hinaus führten die Warteschleifen zu massivenMehrbelastungen für die Umwelt. So verursachten siezum Beispiel 320 000 Tonnen Kohlendioxid zusätzlich.Wenn nichts geschieht, werden die Verspätungen unddie damit verbundenen Schäden weiter zunehmen; denndie Nachfrage im Luftverkehr steigt weiter. Das wach-sende Mobilitätsbedürfnis und der zunehmende Wohl-stand machen das Reisen mit dem Flugzeug erstrebens-wert und für viele erschwinglich. Die Globalisierung tutein Übriges.Eurocontrol schätzt das durchschnittliche Wachstumder Flugbewegungen in Europa auf jährlich 4 bis 5 Pro-zent; weltweit wird sich die Nachfrage nach Transport-leistungen im Luftverkehr in den nächsten zehn Jahrenvoraussichtlich verdoppeln.Nun könnte man, wie viele Grüne, sagen, Luftverkehrsei Teufelswerk, und alles tun, um ihn einzuschränken.Aber der Luftverkehr wird immer mehr zu einer Schlüs-selindustrie, auch bei uns in Deutschland. Schon heutearbeiten rund 250 000 Menschen direkt im Luftverkehr,weitere 500 000 Arbeitsplätze hängen indirekt vom Luft-verkehr ab und noch einmal 100 000 Arbeitsplätze kom-men in den nächsten zehn Jahren hinzu. Allein die imFrankfurter Flughafen tätigen Unternehmen erzielen einejährliche Bruttowertschöpfung von 5 Milliarden DM.Umso mehr sind wir, ist vor allem die Regierung – dienicht an ihrem Platz, sondern irgendwo im Parlamentist – gefordert, gegen den Dauerstau im europäischenLuftverkehr etwas zu unternehmen. Hier herrscht großerund aktueller Handlungsbedarf. Ich gehe einmal davonaus, dass Minister Klimmt in dieser Angelegenheit unter-wegs ist; denn ich sehe ihn leider nicht auf der Re-gierungsbank.
– Aber sein Staatssekretär, ja. Für den Luftverkehr ist auchder Staatssekretär ausreichend.Wo liegen nun die Ursachen für die Verspätungen?Eine Ursache liegt sicher in den beschränkten Kapazitä-ten unserer Flughäfen. Deswegen begrüßen wir die Ver-einbarung zwischen Deutscher Bahn AG und DeutscherLufthansa AG vom 13. Juli 1998, die eine verstärkte Ein-bindung von Flughäfen in das Streckennetz der Bahn unddamit eine Vernetzung zum Ziel hat. Dadurch könnenviele Kurzstreckenflüge überflüssig und Kapazitäten freiwerden.Umso unverständlicher ist vor diesem Hintergrundaber, dass das Transrapidprojekt für die Strecke zwischenHamburg und Berlin eingestellt wurde. Diese Verbindungzwischen den beiden größten deutschen Städten hätte si-cherlich viele Kurzstreckenflüge ersetzt.
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Meine Damen und Herren, wenn man dann im „Han-delsblatt“ liest, dass Herr Klimmt gesagt hat, die Transra-pidtechnologie schreie förmlich danach, endlich in derPraxis eingesetzt zu werden – dies soll nun in China ge-schehen –, dann fragt man sich natürlich, warum das nichtin Deutschland passiert.
Die Hochgeschwindigkeitsstrecken der Bahn könnenjedoch das Kapazitätsproblem auf Deutschlands Flughä-fen nur mildern und nicht lösen. Nach Untersuchungender Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule inAachen brauchen wir drei bis vier weitere Start- undLandebahnen, um die rund 700 000 zusätzlichen Flügeabzufertigen, die im Jahr 2010 erwartet werden. Dahermuss in Frankfurt eine dritte Landebahn gebaut werden.Auch der Bau des Flughafens Berlin Brandenburg Inter-national verträgt keine Verzögerung.
Dass in Düsseldorf eine Startbahn nicht vollständig ge-nutzt wird, ist einer der Schildbürgerstreiche deutscherPolitik, worüber man sich in Amsterdam, wo bis 2003 diefünfte Startbahn gebaut wird, sicherlich nur lustig machenkann.Wir brauchen dringend ein Luftverkehrskonzept desBundes und der Länder. Ob der jetzt vorliegende Entwurfein tragfähiges Konzept darstellt, bleibt abzuwarten.Die ersten Stellungnahmen aus der Wirtschaft sind aller-dings – Herr Weis, Sie haben es angesprochen – außeror-dentlich kritisch.Die Hauptursache für den Stau am europäischen Him-mel sind die unzureichenden Leistungen im Flugsiche-rungsbereich. Nach wie vor orientiert sich die Flugsiche-rung an den Landesgrenzen, wird der Luftraum für mi-litärische Zwecke gesperrt, gibt es keine optimierteLuftraumplanung und Luftraumnutzung in Europa undsind die technischen Flugsicherungssysteme uneinheit-lich und ihre Funktionalität zu gering. Darüber hinausherrscht, wie schon gesagt, Fluglotsenmangel. So konnten17 der 68 Kontrollzentralen in Europa die erforderlicheKapazitätserhöhung nicht erbringen und rund 90 Prozentder flugsicherungsbedingten Verspätungen sind auf Eng-pässe in etwa 25 Prozent des europäischen Luftraumeszurückzuführen.Hier muss dringend etwas geschehen. Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt das „Sechs-Punkte-Programm derLuftverkehrspartner im Deutschen Verkehrsforum“,das einen einheitlichen europäischen Luftraum zum Zielhat. Wichtige Teile dieses Programms finden wir auch imBericht von Sir Robert Atkins, der am 26. Mai 2000 vonder Europäischen Union veröffentlicht wurde und densich der Ausschuss für Regionalpolitik, Verkehr undFremdenverkehr des Europäischen Parlaments zu Eigengemacht hat.So unterstützen wir erstens die Forderung, die Regu-lierungsfunktion von Eurocontrol zu stärken. Zweitenssollten Regulierungsfunktion und Betreiberfunktion ge-trennt werden. Drittens brauchen wir eine gemeinsameeuropäische Luftraumplanung. Viertens muss eine ge-meinsame europäische Kapazitätenplanung aufgestelltwerden. Fünftens benötigen wir in Europa leistungs-orientierte und wettbewerbsfähige Flugsicherungs-dienste. Sechstens und letztens muss es leistungsbezo-gene Gebührensysteme geben.Wir bedauern, dass die Europäische Kommission aufder Tagung des EU-Rates am 26. Juni 2000 in Luxemburgin ihrem Zwischenbericht über die Arbeit der von ihr ein-berufenen hochrangigen zivil-militärischen Experten-gruppe feststellt, dass eine Privatisierung der Flugsiche-rungsdienste nicht notwendig sei.
Die CDU/CSU-Fraktion ist demgegenüber der Auffas-sung, dass gerade hierin ein wichtiger Schlüssel zur Ver-besserung der Flugsicherungsdienste liegt. Wir forderndaher Minister Klimmt auf, sich nicht auf diese angebli-che Konsenslinie der Kommission einzulassen.Hier muss gegengehalten werden. Wir halten es fürrichtig, dass die Regierungen der europäischen Staatenihre Flugsicherungsdienste privatrechtlich organisieren.
Unsere Erfahrungen zeigen doch, dass dadurch die Leis-tungsfähigkeit und die Reaktionsfähigkeit der Flugsiche-rungsdienste erheblich erhöht werden.Wir freuen uns, dass die DFS, die Deutsche Flugsiche-rung, vom Internationalen Verband der Fluggesellschaf-ten zur besten Flugsicherungsorganisation der Welt ge-wählt worden ist und den „Eagle Award“ verliehen be-kommen hat. Wir sind stolz darauf und gratulierenherzlich.
Das ist natürlich ein Ergebnis der von uns betriebenenPrivatisierung. Es hat sich gezeigt, dass sie richtig undzukunftsweisend war.
Unsere Nachbarn, insbesondere unsere französischenPartner, wollen wir freundschaftlich darauf hinweisen,dass die feste Einbindung einer Flugsicherungsorganisa-tion in staatliche Strukturen schnelle Anpassungen an dieErfordernisse des Luftverkehrsmarktes erschwert. Auchhier ist der Minister gefordert, im Gespräch mit den so-zialistischen Freunden in Frankreich zu einer Lösung zukommen.
– Ja, den Verkehrsminister stellen die Kommunisten. Aberes war die Wahl Ihrer Freunde, die Kommunisten zumPartner zu nehmen.Meine Damen und Herren, der Antrag der F.D.P.spricht viele Punkte an, die auch wir von der CDU/CSU-
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Fraktion für eine Verbesserung des Luftverkehrs für wich-tig halten. Deswegen werden wir ihn in den Ausschussbe-ratungen positiv begleiten.
Alsnächster Redner hat das Wort der Kollege Albert Schmidtvom Bündnis 90/Die Grünen.Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Auch ich bin dankbar, dass der Antrag der F.D.P.die Gelegenheit gibt, hier im Bundestag und in den Aus-schüssen einmal das Thema Luftverkehr, insbesonderedie Kapazitätenausnutzung und -entwicklung inklusiveFlugsicherung zu behandeln. Allerdings leuchtet mir dieAusgangsthese in der Begründung des F.D.P.-Antragsnicht ein. Dort heißt es, der LuftverkehrsstandortDeutschland verliere massiv an Bedeutung, weil dieFlughäfen rings um Deutschland überproportional wüch-sen, wogegen die deutschen Flughäfen – so ist die Be-gründung – nur moderat wüchsen bzw. sogar stagnierten.Ich will Ihnen einfach einmal die schlichten Faktenentgegenhalten, verehrter Herr Kollege Friedrich. DasFluggastaufkommen hat sich entsprechend der Statistikder Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfenvon 1997 – damals gab es einen Zuwachs von 6,5 Pro-zent – bis 1999 nochmals verstärkt: 1999 hatten wir einenZuwachs von 7,6 Prozent, bei der Luftfracht sogar um8,2 Prozent. Die Fluggastzahlen werden, ausgehend von133 Millionen im Jahre 1999, nach diesen Prognosen biszum Jahr 2010 auf 204 Millionen Passagiere anwachsen.Angesichts solcher Zahlen von Stagnation oder von einemnur moderaten Wachstum zu reden ist einfach barer Un-sinn. Herr Kollege Friedrich von der F.D.P., ich muss Siefragen: Welches Wachstum hätten Sie denn gern, wie vielProzent wollen Sie denn noch oben draufsatteln?
Oder will sich die F.D.P. jetzt als Partei der Flieger undFallschirmspringer definieren und kann gar nicht mehrgenug davon bekommen?Vor allem vermisse ich in Ihrem Antrag eines: die The-matisierung, dass jedes Verkehrswachstum, auch dieses,eine Kehrseite hat. Die Kehrseite ist die Umweltproble-matik. Natürlich ist das Klimaproblem im Luftverkehrnicht hauptsächlich in der CO2-Emission begründet, son-dern in der sehr langen Verweildauer von bestimmtenSchadstoffen in sensiblen atmosphärischen Schichten.Natürlich haben wir ein Problem durch startende und lan-dende Flugzeuge in Ballungsräumen im Zusammenhangmit der Bildung von Ozon. Natürlich gibt es ein massivesProblem im Flughafenbereich selbst: dort, wo die Men-schen wohnen, und zwar durch Lärm. Dies muss ganznüchtern und auch ganz ehrlich thematisiert werden.Da kann ich dem Kollegen Dirk Fischer – jetzt ist erleider nicht mehr da – Kritik nicht ersparen. Er hat gesternim „Handelsblatt“ in einer Kommentierung des erstenEntwurfes eines Flughafenkonzeptes der Bundes-regierung gesagt – ich zitiere –:Alle ideologischen Ladenhüter, wie etwa dieKerosinbesteuerung oder Emissionsabgaben unddeutlich verschärfte Grenzwerte für die Schutzzonegegen Fluglärm, sind in diesem Konzept vollständigenthalten.Wenn jemand das Bedürfnis von Menschen im Umkreisvon Flughäfen nach Nachtruhe als „ideologische Laden-hüter“ abqualifiziert, dann verabschiedet er sich aus jederernsthaften Diskussion.
Denn darin besteht doch die Aufgabe: einen fairen Aus-gleich zwischen den Ansprüchen der wirtschaftlichenEntwicklung und der Bewältigung eines unbestreitbarenWachstums einerseits sowie dem legitimen Interesse anGesundheit, an ungestörter Nachtruhe und an Schutz derAnrainerinnen und Anrainer vor übertriebenem Lärm an-dererseits herzustellen. Dabei sind Modelle wie das Mo-derationsmodell in Frankfurt zielführend, die eine inten-sivere Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern realisie-ren, anstatt zu polarisieren. Die Bundesregierung istlängst tätig geworden, während der F.D.P.-Antrag einenanderen Eindruck zu erwecken versucht.Hier besteht die Aufgabe erstens darin, dafür zu sorgen,dass Kapazitäten möglichst effizient und optimal genutztwerden. Das bedeutet zweitens eine Optimierung auch derFlugsicherung. Hier im Saal sitzt jemand, der in der Ver-gangenheit für dieses Thema zuständig war und nochheute zuständig ist, der Kollege Lothar Ibrügger; er weiß,wovon ich spreche. Natürlich besteht bei der Flugsiche-rung Handlungsbedarf. In diesem Punkt sind wir uns übri-gens völlig einig. Das bedeutet aber drittens, dass wirauch die Kooperation zwischen den Standorten verstärkenmüssen. Eine gnadenlose Konkurrenz der Standorte un-tereinander ist doch nicht zielführend. Ein Luftfahrtkon-zept muss doch im Grunde nicht nur national, sondern eu-ropäisch ausgerichtet sein, mindestens aber unter Einbe-ziehung der Benelux-Staaten und von Flughäfen wie zumBeispiel Zürich.
Viertens ist zielführend, die Belastungen zu minimie-ren und zugleich die Leistungen zu optimieren. DiesenAnsatz verfolgt die Bundesregierung mit dem ersten Ent-wurf eines Flughafenkonzeptes.Wir sind uns also in dem Bedürfnis einig, liebe Kolle-ginnen und Kollegen von der F.D.P., dass die europäischeZusammenarbeit und die Effizienz in Sachen Flugsiche-rung sehr verstärkt werden muss. Ich bin ziemlich fas-sungslos, welche Kirchturmspolitik manchmal noch herr-scht; das gilt gerade für Frankreich. Aber wir müssen auchdafür sorgen, dass nicht der Flughafenausbau um seinerselbst willen betrieben wird, sondern dass die Standorte so
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Norbert Königshofen10723
zusammenarbeiten, dass mit den vorhandenen Ressour-cen optimal gearbeitet wird, die Belastungen für die Men-schen aber gleichzeitig verringert werden.Ich danke Ihnen.
Als letz-
tem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt gebe ich dem
Kollegen Dr. Winfried Wolf von der PDS-Fraktion das
Wort.
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege
Weis hat schon angedeutet, dass nicht allein der Satz „Je-
dem Tierchen sein Pläsierchen“, sondern auch die Parole
„Jeder Partei ihr Staubeseitigungsprogramm“ gilt. Der
SPD-Verkehrsminister hat uns ein Antistraßenstaupro-
gramm vorgestellt, das ab 2002 mit dem Geld, das dann
vielleicht eingenommen wird, umgesetzt werden soll.
Die Grünen erblickten in dieser Steilvorlage für den
ADAC zum Erstaunen der Fachwelt sogar Maßnahmen
gegen Schienenverkehrsstaus.
Der CDU-Kanzler erkannte einen Aktenstau, den er am
Ende seiner Amtszeit „gigabytemäßig“ beseitigen ließ.
Nun stellt die F.D.P. fest, dass über den Wolken die Frei-
heit nicht mehr grenzenlos, sondern voller Flugverkehrs-
staus sei.
Dabei sind Gut und Böse für die F.D.P. schnell ausge-
macht: Gut ist die „Liberalisierung“, da sie den Verkehrs-
träger Luftfahrt „leistungsfähiger“ mache. Böse dagegen
sind die nationalen Strukturen der Luftsicherung und
natürlich die fehlenden Pisten in Europa. Damit wird
gleich die Lösung nahe gelegt: Wir brauchen zunächst
„vier zusätzliche Start- und Landebahnen“ und sodann ei-
nen europaweit gültigen Rahmen für leistungsorientierte,
möglichst privatwirtschaftlich organisierte Flugsiche-
rungsdienste. Dazu gab es Beifall von der F.D.P.
Schließlich darf ein bisschen grüner Lack nicht fehlen.
Luftverkehrsstaus bedeuten laut F.D.P. „eine zusätzliche
Belastung der Atmosphäre durch den erhöhten Treibstoff-
verbrauch“. Im Übrigen gehe es um die „Substitution des
Kurz- und Mittelstreckenflugverkehrs durch ein ... Hoch-
geschwindigkeitsnetz“. Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich sehe darin einen Luftikus-Antrag.
– Nein, Herr Friedrich.
Ich halte drei Dinge fest: Erstens. Der Luftverkehr ist,
wie Sie wissen, die umweltschädlichste aller Verkehrs-
und Transportformen. Er trägt mehr zum Treibhauseffekt
bei als der Straßenverkehr.
Zweitens. Dennoch lassen die alte und die so genannte
neue Verkehrspolitik ausgerechnet diese Verkehrsart am
schnellsten wachsen. In den letzten zwölf Jahren gab es
eine Verdopplung; in den nächsten 15 Jahren soll es
nochmals zu einer Verdopplung kommen. Herr Kollege
Weis, es geht nicht nur um eine Verdopplung des Flug-
verkehrs, sondern auch um eine Verdopplung der Schad-
stoffemissionen.
Drittens. Es wächst auch der Binnenflugverkehr. In
der Gesamtbilanz wurde nichts von der Luft auf die
Schiene verlagert. Die nackten Zahlen lauten, dass die
zurückgelegten Personenkilometer in der Binnenluftfahrt
in den letzten fünf Jahren um 47 Prozent gesteigert wur-
den. Der Binnengüterverkehr in der Luft hat sich sogar
verdoppelt. Bei der absurdesten Transportform, dem Bin-
nengüterverkehr, lag das Wachstum sogar über dem des
Auslandsflugverkehrs.
Der F.D.P.-Antrag plädiert faktisch für ein „Weiter so“.
Er enthält kein Wort zur realen Verkehrsentwicklung, kein
Wort zur Klimabelastung. Es ist keine Rede von einer
Marktordnung, die zum Beispiel durch das Fehlen einer
Kerosinbesteuerung den Luftverkehr begünstigt. Nicht
einmal die drei Zeichen CO2 tauchen auf.
Summa summarum: Hier wird für die Fortsetzung,
wenn nicht für eine Steigerung einer absolut verantwor-
tungslosen Verkehrspolitik plädiert. Hier wird ein spezifi-
sches Sankt-Florians-Prinzip verkündet und hinsichtlich
der Natur, des Klimas und der späteren Generationen zur
Anwendung gebracht. Es lautet: Oh, heiliger Sankt
Florian, schütz „Miles & more“, heiz das Klima an. Diese
liberale Verkehrswelt ist eine verkehrte Verkehrswelt. Wir
sagen dazu Nein und werden weiterhin Nein sagen.
Ichschließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufder Drucksache 14/3188 an die in der Tagesordnung auf-geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 sowie Zusatzpunkt 1auf:5. Beratung des Antrags der Fraktionen SPD,BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.Unterstützung des Friedensprozesses in Ko-lumbien– Drucksache 14/3766 –ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten CarstenHübner, Fred Gebhardt, Wolfgang Gehrcke-Reymann, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder PDS
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Albert Schmidt
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Eine nachhaltige demokratische und sozialeEntwicklung in Kolumbien unterstützen– Drucksache 14/3782 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-lung
Auswärtiger AusschussAusschuss für Menschenrechte und humanitäre HilfeNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat derKollege Lothar Mark von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine liebenKolleginnen und Kollegen! Kolumbien ist ein Land, dasdreimal so groß ist wie die Bundesrepublik. Ich sage das,damit wir verstehen, von welchen Dimensionen wir re-den. Kolumbien wurde 1810 unabhängig. 1819 wurde dieRepublik Groß-Kolumbien gegründet und bereits zehnJahre später trennte sich Venezuela ab und wurde selbst-ständig. Ein Jahr später trennte sich Ecuador ab und 1903Panama. Ich erwähne das, damit wir etwas von der Histo-rie wissen.1948 bis 1958 war in Kolumbien Bürgerkrieg und esherrschte überwiegend ein Militärregime. Die erste offenePräsidentenwahl erfolgte 1974 und der derzeitige Präsi-dent Pastrana trat sein Amt 1998 an.Mit einer siebenköpfigen Parlamentariererdelega-tion weilte ich vom 25. März bis zum 3. April in Kolum-bien und Ecuador und habe dabei wie die Kolleginnen undKollegen, die mich begleitet haben, sehr interessante Ein-drücke gewonnen.Wir haben Gespräche mit dem Präsidenten selbst, demAußenminister, dem Umweltminister, den Präsidentendes Abgeordnetenhauses und des Senats, den Gewerk-schaften, mit Vertretern der katholischen Bischofskonfe-renz, mit der Friedensverhandlungsdelegation und mitNGOs, insbesondere mit den Stiftungen, geführt. Es waralso ein sehr breites Spektrum.Ich möchte jetzt einiges zur wirtschaftlichen Lage inKolumbien sagen. Kolumbien ist ein marktwirtschaftlichgeprägtes Land, das sehr stark liberalisiert ist. Trotzdemhat dieses Land in den Jahren 1998 und 1999 eine Rezes-sion durchgemacht und ein um 5 Prozent niedrigeresBruttosozialprodukt gehabt als vorher. Die Arbeitslosen-quote liegt bei 20 Prozent, die Zinssätze lagen im Jahr1998 zum Teil bei 34 Prozent und die Importe sackten um40 Prozent ab. Damit wird die wirtschaftliche Situationdeutlich.Man kann sagen, dass die Bundesrepublik Deutschlandein wichtiger Partner Kolumbiens ist, und zwar sowohlbeim Import als auch beim Export. In erster Linie sind al-lerdings die USAund Venezuela Kolumbiens Partner. Wirliegen beim Wirtschaftsvergleich an dritter Stelle.Das Land gehört zu den armen Ländern, obwohl es un-wahrscheinlich reich an Ressourcen ist. Es gibt großeKohle- und Erdölvorkommen und Nickel- und Goldab-bau.Die innenpolitische Lage in Kolumbien ist sehrschlimm und nur schwer zu beschreiben. Es gibt die so-ziale Frage in diesem Land, es gibt eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Eine kleine Oberschicht bestimmt alles dort.Die Binnenkriege, die es seit fast 40 Jahren gibt, und dieökonomische Entwicklung tragen mit dazu bei, dass dieArmut immer größer wird und der Reichtum der Wohlha-benden immer weiter zunimmt.Die indianische oder indigene Bevölkerung lebt in die-sem Land am Rande der Gesellschaft, ohne aber stärkerunterdrückt zu sein als die anderen benachteiligten Eth-nien.Die Kernprobleme der Innenpolitik in Kolumbien sindalso neben der ungleichen Verteilung insbesondere der ge-walttätige innere Konflikt, verursacht durch die Guerilla,die paramilitärischen Kräfte, die im Laufe der Zeit ent-standen sind und massiv in das Geschehen eingreifen, dieDrogenmafia und – insgesamt gesehen – die allgemeineKriminalität. Dazu gehört aber auch, dass häufig keineStrafen verhängt werden und dass die Menschenrechts-verletzer nicht intensiv genug oder gar nicht verfolgt wer-den.Präsident Pastrana ist angetreten, Frieden nach Ko-lumbien zu bringen. Er hat mit den Guerillaorganisatio-nen, mit der FARC und der ELN, Kontakt aufgenommenund verhandelt. Er ist sogar so weit gegangen, dass er einedemilitarisierte Zone von der Größe der Schweiz ge-schaffen hat, damit die Verhandlungen mit der FARC dortstattfinden können. Die Bevölkerung Kolumbiens ist mitder derzeitigen Situation nicht einverstanden. Sie will,dass der Friedensprozess beschleunigt und dass es ein ehr-licher Friedensprozess wird.An der Tagesordnung sind Zusammenstöße zwischenGuerillagruppen sowie zwischen Guerillagruppen und derBevölkerung. Die Bevölkerung hat dies zum Anlass ge-nommen, um in einer Massendemonstration im Okto-ber 1999 zu zeigen, dass der Wunsch nach Frieden großund man mit den Entwicklungen nicht einverstanden ist.Pro Jahr gibt es aufgrund der inneren Auseinanderset-zungen in Kolumbien circa 3 000 Tote und 1 500 Ent-führungen. Es wurden über 400 Massaker gezählt. Insge-samt sind fast 2 Millionen in diesem Land vertrieben undauf der Flucht. Während unseres Besuches gab es einMassaker, bei dem 36 Menschen ums Leben kamen: InBogota ist eine Autobombe explodiert. Wir haben dortselbst erfahren und gespürt: Man kann die Stadt nicht ver-lassen, weil sonst das Leben gefährdet ist.Die Guerillaorganisationen beherrschen große Teiledes Landes. Die FARC beherrscht ein Gebiet, das doppeltso groß ist wie Israel. Sie führt ein autoritäres Regimenach dem Prinzip: Wir sind das Gesetz. Das heißt, sonstgibt es keine Grundlage dafür. Die Guerilla ist in circa derHälfte der Kommunen ansässig. Die FARC hat fast30 000 Mann unter Waffen, die ELN circa 6 000 und diesonstigen Guerillagruppen circa 1 000.
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms10725
Problematisch wird die gesamte Situation dadurch,dass es die Paramilitärs noch gibt, die aber nicht gegendie Guerillas, sondern gegen angenommene Sympathi-santen, gegen Informanten und Unterstützer in der Zivil-gesellschaft, kämpfen. Die Paramilitärs begehen nachverschiedenen Aussagen 75 Prozent der Menschenrechts-verletzungen.Die politische Situation und die Strukturprobleme imLand zeigen, dass die Justiz nicht funktioniert, dass dieKammern nicht funktionieren und dass die von Pastranaeingeschlagenen Reformen nicht umgesetzt werden, weilsie nicht verabschiedet werden können.Das Drogenproblem ist das Hauptproblem. Ich willnicht im Einzelnen auf Kokain und all diese Rauschgifteeingehen, sondern nur darauf hinweisen, dass die damiterzielten Einnahmen die Grundlage für die Finanzausstat-tung der Guerilla und der Paramilitärs bilden und mandeswegen nicht isoliert von einem Drogen- oder einemGuerillaproblem sprechen kann, sondern dass diese Dingezusammengehören. Hier wird ganz deutlich, dass nicht al-lein der Anbau der Drogen in Kolumbien, sondern auchdie Nachfrage durch die Konsumenten Bestandteil desProblems sind. Denn wenn keine Abnehmer da sind, dannwird es auch keinen Anbau geben.Die Menschenrechte werden in Kolumbien immer wie-der auf das Tiefste verletzt. Ich habe die Massenvertrei-bungen angesprochen. Ich habe darauf hingewiesen, dassdie Gerichte nicht in der Lage sind, Verfolgungsmaßnah-men durchzuführen, und fast keine Urteile fällen. Die sogenannte Aufklärungs- und Aburteilungsrate beträgt inKolumbien 3 Prozent. Damit wird deutlich, was in diesemLand passiert.In diesem Zusammenhang möchte ich ein Anliegenvon Anke Hartnagel vorbringen. Sie will deutlich ma-chen, worin das Kernproblem in diesem Bereich liegt,dass nämlich der kolumbianische Kongress keine Gesetzeverabschiedet, die gegen das Verschwindenlassen, denGenozid, gewaltsame Vertreibung und Folter Stellungnehmen und sie unmöglich machen. All diese Gesetzehängen noch im kolumbianischen Senat und Kongress.
Die Europäer sind aufgerufen, sich an dem Prozess„Plan Colombia“ zu beteiligen. Es gibt hier sehr viele Pro-bleme. Der erste Plan wurde in der Zwischenzeit revidiert,weil er sehr allgemein gehalten war und weil in ihm mi-litärische Aktionen klar dominierten. Die Europäer habensehr früh signalisiert, dass sie damit nicht einverstandensind. Der Druck aus Europa und Kanada hat zuge-nommen, soziale Aspekte in den Vordergrund zu stellen,für Dezentralisierung, Demokratisierung, gerechte Land-verteilung usw. zu sorgen.Die Forderung der Europäer – somit auch der Bundes-republik – lautet, Zivilgesellschaften und NGOs stärkereinzubinden.
Präsident Pastrana hat in der Zwischenzeit in Zeitungsin-terviews erklärt, dass er seine Auffassung ändern und dieZivilgesellschaften stärker integrieren wird. Aber das istmeiner Überzeugung und der der SPD-Fraktion nachnicht genügend; denn das Militär dominiert noch immerund die sozialen Aspekte werden nicht genug berücksich-tigt. Insbesondere die Vereinigten Staaten sollten auf-gefordert werden, mehr zur sozialen Befriedung in Ko-lumbien beizutragen. Militärisch sind diese Problemenicht lösbar. Dafür gibt es viele Beispiele in der gesamtenWelt.Es kann auch nicht sein, dass ein Plan ausgehandeltwird, der festlegt, wie groß die Anteile der Europäer sindund welche Teile sie zu übernehmen haben.Die Substitution des Drogenanbaus muss eine domi-nierende Stellung einnehmen. Es muss sichergestellt wer-den, dass Bauern Gewinne erzielen und nicht erneut vonder Guerilla oder von den Paramilitärs unter Druck ge-setzt werden.Pastrana hat in der Zwischenzeit eine Auflistung dervorgesehenen Projekte verschickt. Meine Redezeit er-laubt mir nicht, jetzt auf diese Projekte einzugehen. Ichmöchte aber sagen: Wenn diese Projekte umgesetzt wer-den, befinden wir uns auf dem richtigen Weg. Es sind ins-gesamt etwa 90 Projekte vorgesehen.Ich möchte noch darauf hinweisen, dass es sehr vieleEinrichtungen gibt, die nach wie vor ganz klar gegen dieKonzeption des „Plan Colombia“ sind: die katholischeBischofskonferenz in Kolumbien, die Missionszentraleder Franziskaner, Amnesty International. Wir, AnkeHartnagel, Karin Kortmann und ich, hatten kürzlich Be-such von kolumbianischen Bischöfen, die ebenfalls sehrdeutlich die Ablehnung dieses Konzepts signalisiert ha-ben.Wir müssen solche Forderungen stellen, die es ermög-lichen, dass der Plan doch noch umgesetzt werden kann.Insbesondere die sozialen Aspekte müssen in den Vor-dergrund gestellt werden. Ohne den militärischen Stand-punkt zu übernehmen, muss die Gesellschaft in die Lageversetzt werden, mit diesem „Plan Colombia“ um-zugehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Mark,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Ein Satz zum PDS-Antrag: Ichdenke, wir müssen trotz der vielen Probleme im Zusam-menhang mit dem „Plan Colombia“ irgendwo beginnen,Kolumbien zu befrieden. Ich zitiere Mao Tse-tung: Dielängste Strecke fängt mit dem ersten Schritt an. Wirbemühen uns, diesen zu tun, und sind bereit, auch aufAmerika einzuwirken, sodass die militärische Kompo-nente stärker reduziert wird.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000
Lothar Mark10726
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort für die Frak-
tion der CDU/CSU hat der Kollege Klaus-Jürgen
Hedrich.
Frau Präsiden-tin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!Kolumbien kann es nicht alleine schaffen. Die Auf-gabe, der wir uns heute als Nation und als Teil der in-ternationalen Gemeinschaft gegenübersehen, stelltvielleicht die größte Herausforderung in unserer Ge-schichte dar. Wir sind dem Schicksal jedoch nichthilflos ausgeliefert. Im Gegenteil. Wir sehen unsererZukunft optimistisch entgegen; denn wir kennen un-sere Fähigkeiten, unsere Entschlossenheit und dengroßen Reichtum unseres Landes. Darüber hinausschöpfen wir Kraft aus der Unterstützung vieler an-derer Länder dieser Welt, die unseren Kampf als Na-tion verstehen und schätzen.Dies sind die einleitenden Worte eines Artikels des ko-lumbianischen Präsidenten mit der Überschrift „Alles,was wir wollen, ist eine zweite Chance auf dieser Erde“.Das ist auch der Hintergrund des „Plans Colombia“. Mitdiesem Plan soll versucht werden, noch einmal die Pro-bleme des Landes in ihrer Komplexität anzugehen und zubewältigen. Ich begrüße es auch, dass der Antrag der Ko-alition und der F.D.P. in diese Richtung zielt. Einige An-merkungen zu diesem Antrag mache ich noch zumSchluss.In der Tat ist es richtig, dass Kolumbien gegenwärtigwohl eine der schwierigsten Phasen seiner Geschichtedurchläuft. Während das Land über Jahrzehnte von Jahrzu Jahr zum Teil erhebliche wirtschaftliche Zuwachsratenzu verzeichnen hatte, sind jetzt zum ersten Mal Rezessi-onserscheinungen deutlich erkennbar. Ich befürchte, dassdieses Faktum weitestgehend auf die Verschärfung derBürgerkriegssituation im Lande zurückzuführen ist. DieInvestitionsneigung sowohl des Auslandes als auch desInlandes geht zurück.Pastrana hat in der Zeit, als er zwar gewählter Präsi-dent, aber noch nicht im Amt war, versucht, mit den Gue-rillaorganisationen ins Gespräch zu kommen. Darauf hatKollege Mark schon hingewiesen. Wir müssen heute al-lerdings feststellen, dass dieses nicht zu einer Beendigungdes Terrors – und zwar auf allen Seiten – geführt hat. Am-nesty International und andere Menschenrechtsorganisa-tionen bescheinigen zwar der kolumbianischen Regie-rung, dass es ihr gelungen ist, die Menschenrechtsverlet-zungen der Armee zu reduzieren. Aber auch die sind iminternationalen Kontext gesehen immer noch zu hoch.Es ist wohl tatsächlich zutreffend, dass ein Großteil die-ser Menschenrechtsverletzungen auf die paramilitärischenOrganisationen zurückzuführen ist, die im wahrsten Sinnedes Wortes einen Staat im Staate bilden und weitestgehendauch zur Absicherung der Verdienste der Drogenmafia ge-nutzt werden.Ich möchte trotzdem darauf hinweisen, dass wir denAntrag tendenziell für richtig halten. Deswegen werdenwir uns bei diesem Antrag der Stimme enthalten. Ich bitteum Nachsicht, wenn ich die Kollegen der F.D.P. in diesemZusammenhang nicht immer erwähne. Die Initiative zudiesem Antrag ging ja von der rot-grünen Koalition aus.Ich mache allerdings darauf aufmerksam, dass wir unsschon vor mehreren Wochen bezüglich dieser Problema-tik mit einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung ge-wandt haben. Sie hat diese ja auch inzwischen, wie ichglaube, zufrieden stellend und umfangreich beantwortet.Der Koalitionsantrag hat bei ein oder zwei Punktendoch noch erhebliche Schwächen. Es ist bedauerlich, dassSie zum Beispiel die schwierige Problematik der Indige-nas weitestgehend ausgeblendet haben. Für die innenpo-litische Situation im Lande spielt diese Problematik einegroße Rolle. Man muss sich noch einmal ins Gedächtnisrufen, dass 28 Prozent des Landes per Gesetz – die Wirk-lichkeit sieht immer anders aus – der indigenen Bevölke-rung zugewiesen worden ist. Wenn man weiß, dass einGroßteil der Großprojekte wie zum Beispiel Staudamm-oder Erdölprojekte in Regionen, die den Indigenas zuge-wiesen sind, durchgeführt wird bzw. durchgeführt werdensoll, kann man über diese Problematik nicht hinwegge-hen. Ich hätte es daher begrüßt, wenn der Koalitionsantragdiese Problematik berücksichtigt hätte.Ich glaube, dass Sie mit Ihrem Antrag zu wenig auf dieRolle der USA eingehen. Sie haben in Ihrer Rede auf die-sen Punkt hingewiesen. Man kann sich durchaus darüberunterhalten, ob nicht der „Plan Colombia“ die militäri-sche Komponente überbetont. Man muss aber durchausfeststellen: Ohne eine militärische Bekämpfung der Dro-genkriminalität wird es in Kolumbien mittelfristig keinezufrieden stellende Lösung geben. Vor diesem Hinter-grund hätte die Problematik der Einbindung der USAundder Abstimmung der Europäischen Union mit den Verei-nigten Staaten bei der Bewältigung der Probleme in die-sem Lande Berücksichtigung finden müssen.Ich will aber auch nicht verhehlen, dass der Antrag dereigentlichen Bedeutung der bilateralen Zusammenar-beit so gut wie keine Aufmerksamkeit schenkt. Ich darfSie darauf hinweisen, dass wir in drei Schwerpunktsekto-ren tätig sind: Schutz der Menschenrechte und Förderungvon Friedensbemühungen, Modernisierung der öffentli-chen Verwaltung und des Rechtssystems sowie Umwelt-und Ressourcenschutz.Ich glaube, dass sich diese drei Sektoren, die auch imzuständigen Fachausschuss nicht strittig sind, gut in den„Plan Colombia“ einfügen. Man muss aber darauf hin-weisen, dass in Ihrem Antrag auf die Wirklichkeit der po-litischen Entscheidungen der Bundesregierung nicht im-mer Bezug genommen wird. Die Mittel für Kolumbienwerden zurückgefahren und Kolumbien ist in der bilatera-len Hilfe auf ein so genanntes einfaches Partnerlandzurückgestuft worden. Ich glaube nicht, dass dies der Be-deutung Ihres Antrags gerecht wird.Ich würde – wenn Sie mir diesen Hinweis gestatten –den Koalitionsfraktionen raten, mit der Bundesregierungnoch einmal darüber zu reden, wie man generell mit derentwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit Kolumbienumgehen will. Ich glaube, dieses Land hat eine gewisseSchlüsselfunktion in Lateinamerika. Wir müssen aufpas-sen, dass wir dort nicht Entwicklungen provozieren, die –vielleicht nach der Regierungszeit von Pastrana –
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000 10727
autokratische oder populistische Tendenzen heraufbe-schwören. Das Nachbarland Venezuela und auch HerrFujimori in Peru bieten kein gutes Beispiel. Wir müssenim Rahmen unserer bilateralen und multilateralen Zu-sammenarbeit mit Kolumbien daran interessiert sein, dorteinen Prozess zu stützen, der nicht die Demokratie und diedemokratischen Strukturen dieses Landes endgültig aus-hebelt.In diesem Zusammenhang würde ich uns gemeinsam –Herr Kollege Volmer ist ja hier – empfehlen, auch im Rah-men der Europäischen Union darauf hinzuwirken, in derZusammenarbeit mit lateinamerikanischen Ländern wiemit Kolumbien die Kohärenz von Politikbereichen zu un-terstreichen. Dies ist notwendig, wenn wir es mit der Sub-stitution des Drogenanbaus ernst meinen. Ich komme miretwas komisch vor, immer auf dieser Bananengeschichteherumreiten zu müssen, muss aber betonen: Die Abstim-mungsprozesse innerhalb der Europäischen Union müs-sen verändert werden. Es passt nicht zueinander, auf dereinen Seite dafür zu plädieren und die notwendigenSchritte einzuleiten, damit die Bauern zum Anbau Drogensubstituierender Produkte angehalten werden, und es ih-nen auf der anderen Seite durch Entscheidungen dieserEuropäischen Union weitestgehend unmöglich zu ma-chen, entsprechende Produkte auf dem europäischenMarkt zu verkaufen. Hier sollte auch das deutsche Parla-ment die entsprechende Unterstützung leisten.
Wenn ich eine abschließende Bewertung vornehmensoll, würde ich sagen: Kolumbien befindet sich in der Tatin einer sehr schwierigen Phase. Wer Pastrana kennt,weiß, dass er nicht zuletzt auf deutsche Unterstützungrechnet. Insofern hat er es verdient, dass gerade wir Deut-schen – und alle Europäer – alle Bemühungen unterstüt-zen, den Friedensprozess im Lande voranzutreiben.Insbesondere sollten wir Deutsche im Rahmen unsererEZ darauf achten, dass nicht nur die militärische Kompo-nente, sondern die sozialen, die ökologischen und die ent-wicklungspolitischen Aspekte eine ausreichende Berück-sichtigung finden. Vor diesem Hintergrund finde ich esgut, dass wir aufgrund des vorliegenden Antrages dieMöglichkeit haben, uns einmal mit der Problematik inKolumbien auseinander zu setzen.Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Monika Knoche, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen undKollegen! Herr Hedrich, ich darf mich ausdrücklich aufIhre Rede beziehen und freue mich, dass Sie in einigenPunkten Anregungen gegeben haben, wie man die Pro-blematik noch umfassender beleuchten kann. Ich stimmeIhren Anmerkungen zu dem Problem der indigenen Be-völkerung und der ihnen zugewiesenen Gebiete zu.Der Antrag, den wir formuliert haben, bezieht sich aufden jetzt anstehenden Entscheidungsprozess der Geber-länder. Er hat sich darauf konzentriert und ist darauf re-duziert, was seine Aussage aber nicht schmälert. Ich wün-sche der Bevölkerung von Kolumbien auch, dass es end-lich zu einem Friedensprozess kommt. Wir habenbewusst gesagt: Wir wollen den Friedensprozess unter-stützen. Dies beinhaltet, dass wir ein großes Fragezeichendahinter setzen, ob der „Plan Colombia“ das geeigneteund umfassende Instrument ist, diesen Frieden herbeizu-führen und diesen Bürgerkrieg zu entschärfen.
Ich bezweifle das sehr, weil vor Ort unverkennbar ist,wie verwoben der Krieg gegen die Drogen und den ille-galen Anbau mit den politischen Interessen des Machter-halts, der Verweigerung der sozialen Gerechtigkeit undder Verteilungsgerechtigkeit ist. Dies ist ein Problem indiesem Land, das über Jahrzehnte die Gewalt in den All-tag der Familien und der Menschen hineinträgt. Es ist einfurchtbares Schicksal für die Menschen, nicht in einerFriedenskultur leben zu können. Ich bin auch der Auffas-sung, dass die Tatsache, dass der illegale Drogenanbaudort mit militärischen und nicht mit polizeilichen und indiesem Sinne rechtlichen und zivilgesellschaftlichen Mit-teln bekämpft wird, ursächlich für die hochkomplizierteNichtauflösbarkeit des Problems ist.Ich bin der Meinung, dass wir uns als Konsumländernicht von den innenpolitischen Problemen der Hersteller-länder dieser illegalen Drogen frei machen können. Wirmüssen uns mit dem Zusammenhang zwischen dem Kon-sum und der Illegalität dieser Drogen in Europa und welt-weit und dem völkerrechtlichen und nahezu dogmati-schen Ansatz des Krieges gegen die Drogen befassen. Wirmüssen unsere Anstrengungen, auch finanziell, daraufkonzentrieren, dass die Friedenszonen dort erweitert wer-den, dass eine Substitution stattfindet und Subventionenfür die so angebauten alternativen, nachhaltigen Produktegewährt werden, die die Bevölkerung in die Lage verset-zen, mehr und mehr politische Probleme von ökonomi-schen und mit den Drogen zusammenhängenden Proble-men zu trennen, damit sie mehr Klarheit über die Kräfteverhält-nisse bei den politischen,gesellschaftlichen, wirtschaftlichenProblemen bekommen.Der Anspruch, der mit dem „Plan Colombia“ formu-liert wird, ist in seiner Dimension kaum zu übertreffen.Denn es soll sozialer Friede, wirtschaftliche Verteilungs-gerechtigkeit und eine endgültige Beendigung des Dro-genanbaus erreicht werden. Das ist ein zu anspruchsvol-les Ziel. Ich wünsche mir sehr, dass wir auch selber dieFolgen des illegalen Drogenanbaus reflektieren und allunsere Mittel darauf verwenden, die Substitution im An-bau zu fördern und dafür auch Subventionen zu gewähren.Das ist der Beitrag, den wir als Europäerinnen und Eu-ropäer guten Gewissens leisten können.Danke.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000
Klaus-Jürgen Hedrich10728
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat der Kollege Dr. Werner Hoyer.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wie soll man eigentlich die-
sem komplexen und dramatischen Thema in dreieinhalb
Minuten gerecht werden, wenn einem das Herz voll ist
und wenn man aus eigener Anschauung ahnt, dass die
Quadratur des Kreises, verglichen mit der Lösung der
Probleme Kolumbiens, ein Kinderspiel ist. Deswegen be-
schränke ich mich in meiner Rede auf wenige Punkte.
Erstens. Natürlich muss alles getan werden, um das
Leiden des kolumbianischen Volkes zumindest zu lindern,
wenn nicht sogar zu beenden. Jeder Versuch, aus dem
Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt herauszukom-
men, verdient eine ernsthafte Prüfung. Das gilt auch für
den vorgelegten Plan.
Zweitens. Kritiklos zujubeln kann man dem „Plan Co-
lombia“ ganz gewiss nicht; denn seine Geburtsfehler sind
zu evident. Präsident Pastrana wäre gut beraten gewesen,
die europäischen Partner früher in seine Überlegungen
einzubeziehen. Es bleibt abzuwarten, ob die amerika-
nische Hilfe im erwarteten und erwünschten Maße
kommt. Wenn sie kommt, werden die Amerikaner insbe-
sondere bei der Drogenbekämpfung Instrumente durch-
setzen, deren Einsatz die Europäer nicht unterstützen kön-
nen, insbesondere wenn es um massive Sprühaktionen im
Putumayo-Gebiet geht.
Andererseits muss man sich die Frage stellen, ob die
Europäer einschließlich der Bundesregierung hier ge-
schlafen haben. Ich kann ja verstehen, dass sich die Bun-
desrepublik Deutschland nicht in die erste Reihe drängen
will und deshalb auf Europa setzt. Aber dann hätte man
die Europäische Union auch frühzeitig mobilisieren müs-
sen, um auf den „Plan Colombia“ Einfluss zu nehmen,
den man schließlich weitgehend mitfinanzieren soll. Für
die GASP ist der „Plan Colombia“ kein Ruhmesblatt.
Drittens. Dass die Europäer und auch die Deutschen
gefordert sind, mitzuwirken, wenn erstmals für eine junge
kolumbianische Generation die Aussicht geschaffen wer-
den soll, ein Leben ohne Gewalt und Terror zu verbrin-
gen, erscheint mir unabweisbar. Übrigens haben auch die
Deutschen, die in Kolumbien leben, einen Anspruch da-
rauf, ohne Angst vor ständiger Gewalt und Terror leben zu
können. Meine Sympathie gilt den Deutschen, die dort le-
ben, sei es als Angehörige des Auswärtigen Amtes, sei es
als Angestellte eines Wirtschaftsunternehmens, sei es als
Angehörige der NGOs oder anderer Organisationen, die
sich bemühen, dort einen Beitrag zu leisten. Diese Men-
schen sind in höchstem Maße gefährdet und bedürfen un-
serer Solidarität. Wir sollten sie ihnen deutlich zeigen.
Wir sind als Länder, in denen Drogen in enormem Aus-
maß konsumiert werden und aus denen die „precursor
products“ stammen – es gibt auch noch andere Gründe –,
gefordert, unseren Beitrag für Kolumbien zu leisten.
Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf, Präsident
Pastrana im Grundsatz zu unterstützen und ihm flankie-
rende Hilfe zur Verbesserung der sozialen und wirtschaft-
lichen Lage der Bevölkerung anzubieten. Anstatt die
Entwicklungszusammenarbeit mit Kolumbien zurückzu-
fahren, sollte die Bundesregierung ihrer Rhetorik Taten
folgen lassen und Kolumbien in seinem schweren Kampf
unterstützen.
Es ist geradezu grotesk, dass für den stalinistischen Dino-
saurier Castro trotz Haushaltsnotstands noch 12 Milli-
onen DM flottgemacht werden, während die Unterstüt-
zung für Kolumbien auf Sparflamme gefahren wird.
Viertens. Präsident Pastrana würde an Glaubwürdig-
keit gewinnen, wenn er uns von der Abwegigkeit des Ver-
dachts überzeugen könnte, dass Paramilitärs, angeheuerte
Killer und auch Angehörige einiger Armeebrigaden
kollaborieren, um Menschenrechtsaktivisten, Journalis-
ten, Polizisten und andere systematisch unter Druck zu
setzen oder sogar umzubringen.
Fünftens. Wer die „eradicación“, also die brutale nord-
amerikanische Methode der Drogenzerstörung, nicht
will, muss sagen, welche anderen Maßnahmen er für ziel-
führend hält. Zwar hat die Förderung von Alternativkul-
turen prioritäre Bedeutung, aber Fakt ist, dass der Ko-
kaanbau natürlich höhere Erträge bringt. Wir müssen si-
cherstellen, dass die Produktion nicht nur räumlich
verlagert wird und dass es nicht zu entsprechenden Mit-
nahmeeffekten kommt. Unter diesem Gesichtspunkt wird
auch die repressive Seite der Drogenbekämpfung unver-
zichtbar bleiben. Hier sollte die Bundesregierung nicht
einseitig werden. Es ist nach meiner Auffassung unver-
tretbar, dass die Bundesregierung ihre Hilfe für die Aus-
bildung und Ausstattung der Polizei immer weiter redu-
ziert. Das wird sich rächen.
Es gibt in Kolumbien sehr ernsthafte Bemühungen, ef-
fiziente Kräfte der inneren Sicherheit, die sich Recht und
Gesetz verpflichtet fühlen, zu stärken. Das wird noch ein
langer Weg sein; aber er muss unterstützt werden. Denn
wenn es im Rahmen der Wiederherstellung der vollen
Staatlichkeit Kolumbiens nicht gelingt, Fragen der Auf-
wertung, der Ausbildung und der Ausstattung der jeweils
zuständigen Polizeibehörden einzubeziehen, dann wer-
den sehr viel gut gemeinte Ansätze in einem Wolken-
kuckucksheim entwicklungspolitischer und drogenpoliti-
scher Naivität hängen bleiben. Das wird zwar dem „feel
good factor“ vieler Menschen in Europa gut tun, aber
nicht den Menschen in Kolumbien.
Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es spricht jetzt derKollege Carsten Hübner, PDS-Fraktion.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000 10729
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Ich will es gleich vorneweg sa-
gen: Wir werden dem Antrag der Regierungskoalition und
der F.D.P. nicht zustimmen; wir werden uns enthalten. Der
Antrag ist aber deutlich besser geworden als die Vorlage,
die zunächst einmal interfraktionell die Runde gemacht
hat. Gleichzeitig will ich sagen, dass wir es bedauern, in
die Beratungen nicht einbezogen worden zu sein, zumal
die CDU/CSU, die ansonsten immer darauf besteht, dass
wir nicht dabei sind, in dem Fall ebenfalls nicht dabei war.
Trotz der Kürze der noch zur Verfügung stehenden Zeit
hätte es zumindest den Versuch eines gemeinsamen An-
trags geben können.
Ich will aber auch deutlich machen, warum wir nicht
zustimmen, sondern uns enthalten werden. Ich werde auf
die grundsätzlichen Differenzen hinweisen.
Eine Differenz betrifft eine Formulierung des Feststel-
lungsteils Ihres Antrags. Ich denke, sie geht an der Rea-
lität vorbei. Nachdem „Guerilla“ und „Drogenhändler“
erwähnt worden sind, steht dort:
Auch staatlichen Sicherheitsorganen werden Menschen-
rechtsverletzungen zugeschrieben.
Das spiegelt weder in der Reihenfolge noch in der Di-
mension die reale gegenwärtige Situation in Kolumbien
wider. In einer Erklärung der Missionszentrale der Fran-
ziskaner wird die Situation ganz anders bewertet – para-
militärische Aktivitäten und die Aktivitäten des Militärs
werden zusammengerechnet –: 78 Prozent der Gewaltakte
in Kolumbien seien vom Staat zu verantworten, 22 Pro-
zent entfielen auf die Guerilla und andere Akteure.
Ich will nur darauf hinweisen: Im Antrag der Regie-
rungskoalition und der F.D.P. ist eine Gewichtung vorge-
nommen worden, die die Realität aus meiner Sicht nicht
widerspiegelt. Ich erkenne in dieser Gewichtung den Ver-
such, den kolumbianischen Staat und die kolumbianische
Regierung aus ihrer Verantwortung zu entlassen und sie
als quasi neutralen Akteur in diesem Konflikt zu installie-
ren. Das ist der Situation dort nicht angemessen.
Aus dieser Sichtweise resultiert die Formulierung un-
ter Punkt 8 des Feststellungsteils Ihres Antrags:
Es ist zu begrüßen, dass die kolumbianische Regie-
rung mit dem „Plan Colombia“ eine umfassende Lö-
sung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen
Probleme Kolumbiens anstrebt.
Das spiegelt den Plan als solchen kaum wider. Damit ist
zwar eine Relativierung vorgenommen; aber es ist eben
nur eine Relativierung und keine entgegenlautende Klas-
sifizierung. Auch in dieser Hinsicht sind die NGOs ganz
anderer Meinung. Die EKD, das Diakonische Werk und
alle anderen charakterisieren diesen Plan als einen
Kriegsplan, bei dem man einzelne positive Aspekte und
das, was abzulehnen ist – repressive Maßnahmen, das Set-
zen auf Militär –, nicht auseinander halten kann.
Ich finde es ganz beeindruckend, dass die USA in
Ihrem Antrag kein einziges Mal erwähnt worden sind,
obwohl alle wissen, dass der „Plan Colombia“ in einer
direkten Kooperation zwischen den USA und Kolumbien
entstanden ist. Im Wesentlichen ist darin das zu einem Pa-
ket geschnürt worden, was die amerikanischen Vorstel-
lungen zur zukünftigen Politik in Kolumbien ausmacht:
militärisches Agieren zur Lösung der Drogenprobleme
und zur Bekämpfung der Guerilla bzw. der sozialen Be-
wegungen, die dort aktiv sind. Das muss man einfach auf
den Punkt bringen.
Bereits in diesem Plan ist festgeschrieben worden – ich
kann mir das Lächeln der amerikanischen Verhandlungs-
delegation lebhaft vorstellen –: Für die soziale Abfede-
rung dieser repressiven Maßnahmen sollen dann wieder
die Europäer herhalten. Auf die Spitze getrieben heißt das:
Wir vertreiben mit unseren Versuchen zur militärischen
Lösung von Drogenproblemen – mit Besprühungen, mit
Militäraktionen und mit Hubschraubereinsätzen – die
Bevölkerung und die Europäer können dann dafür sorgen,
dass sie sich an einem neuen Ort möglichst wieder hei-
misch fühlen.
Eine solche Politik lehnt meine Fraktion ab; deswegen
haben wir trotz der Kürze der Zeit einen eigenständigen
Antrag eingebracht. Wir haben gesagt: Die europäische
Politik in Kolumbien muss eine selbstständige sein; sie
muss denjenigen Eckwerten verpflichtet sein, von denen
wir immer sprechen, wenn es um Nachhaltigkeit, Ökolo-
gie und soziale Fragen geht. Stimmen Sie unserem Antrag
zu!
Es geht darum, als Alternative zum „Plan Colombia“ ein
selbsttragendes Konzept sozialer Sicherung und eine de-
mokratische Reform in Kolumbien umzusetzen. Das wird
mit diesem Plan nicht passieren. Wir sollten die europä-
ische Politik nicht zu einem Feigenblatt in dieser Frage
machen lassen.
Danke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzter Redner in die-
ser Debatte ist der Staatsminister im Auswärtigen Amt,
Dr. Ludger Volmer.
D
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DieBundesregierung verfolgt den von StaatspräsidentPastrana vor zwei Jahren begonnenen Friedensprozessmit großer Sympathie. Sie begrüßt es, dass die kolumbia-nische Regierung inzwischen mit beiden Guerillaorgani-sationen, der FARC und der ELN, Gespräche über einenmöglichen Frieden führt. Die Bundesregierung fordert zu-dem, dass die Paramilitärs entschieden bekämpft werden.Das Klima der Gewalt in Kolumbien ist eng mit demAnbau und dem Handel mit illegalen Drogen verbunden.Hier tragen die Produzentenländer, aber auch die Konsu-mentenländer, also wir selber, eine gemeinsame Verant-wortung. Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen,den auf dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs derEU, Lateinamerikas und der Karibik vor einem Jahr be-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 200010730
schlossenen Drogenaktionsplan zügig umzusetzen. Frie-den in Kolumbien wird nur möglich werden, wenn derDrogenhandel wirksam bekämpft wird.Die kolumbianische Regierung hat mit ihrem „PlanColombia“ einen umfassenden und integralen Entwick-lungsplan für Kolumbien vorgelegt. Präsident Pastranahat in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ von Mon-tag dessen Zielsetzung folgendermaßen beschrieben:Kampf gegen den Rauschgifthandel, Schaffung eines mo-dernen Justizsystems, Verbesserung der Achtung derMenschenrechte sowie Verwirklichung von Sozialpro-grammen und damit Schaffung von Frieden. Die Bundes-regierung unterstützt alle diese Ziele nachdrücklich. Diepolitische Bedeutung dieses Planes ist auf einer Konfe-renz in London am 19. Juni mit den EU-Staaten, den USA,Kanada und Japan ausführlich diskutiert worden. Am6. und 7. Juli, also morgen und übermorgen, wird aufEinladung der Interamerikanischen Entwicklungsbankein weiteres Treffen zu diesem Plan in Madrid stattfinden.Die Bundesregierung will sich in enger Absprache vonAuswärtigem Amt und BMZ gemeinsam mit den europä-ischen Partnern der kritischen Lage in Kolumbien stellenund zu Konfliktprävention und -bewältigung beitragen.Der „Plan Colombia“ wirft für uns in Deutschland und fürviele unserer europäischen Partner allerdings noch einigeFragen auf, die in partnerschaftlicher Diskussion mit Ko-lumbien gelöst werden müssen.Die Strategie der Drogenbekämpfung in Kolumbiensetzt auf massive Sprühaktionen mit Herbiziden und mög-licherweise auch biologischen Bekämpfungsmitteln ausder Luft. Die Bundesregierung hält solche Maßnahmenfür schädlich und unwirksam zugleich.
Dabei werden Anbauflächen auch für alternative Produkteunbrauchbar gemacht. Die dort lebende Bevölkerung ver-mehrt entweder die große Zahl der Binnenflüchtlingeoder sie zieht immer tiefer in die tropischen Wälder undlegt dort neue Anbauflächen an. Es ist im Übrigen geradedie ohnehin in ihrer Existenz gefährdete indigene Bevöl-kerung dieser Region, die dabei erheblich in Mitleiden-schaft gezogen wird.
Dies habe ich übrigens bei meinem Besuch im letzten JahrStaatspräsident Pastrana genauso deutlich mitgeteilt.Die Bundesregierung ist überhaupt davon überzeugt,dass militärische Gewalt kein geeignetes Mittel zurBekämpfung des Drogenanbaus ist. Auf polizeiliche Re-pression kann zwar nicht verzichtet werden – das stelltauch der Entschließungsantrag klar –, dabei müssen aberdie Regeln des Rechtsstaates und die Menschenrechtestrikt beachtet werden.
Es darf nicht der Eindruck entstehen, als ginge es nur da-rum, die repressive Komponente des „Plan Colombia“durch zivile Maßnahmen zu ergänzen. Dafür darf sich dieBundesregierung nicht vereinnahmen lassen.
Wir werden vielmehr darauf achten, dass die notwendigeUnterstützung des Friedensprozesses und die flankieren-den Maßnahmen dazu auf der Grundlage einer eigenstän-digen deutschen und europäischen Konzeption erfolgen,die schon heute unsere Zusammenarbeit mit Kolumbienbestimmt. Wichtig ist auch, dass die sehr lebendige unddynamische kolumbianische Zivilgesellschaft an der For-mulierung und Durchführung der Projekte stärker betei-ligt wird.
Die Europäische Union, meine Damen und Herren –damit komme ich zum Schluss –, führt sowohl mit derAndengemeinschaft als auch mit der Rio-Gruppe regel-mäßig einen Dialog auf hoher Ebene. Dabei werden wiruns dafür einsetzen, dass die Frage des Friedens in Ko-lumbien verstärkt auf die Tagesordnung dieser Dialogegesetzt wird.Was unsere bilaterale Entwicklungszusammenar-beit angeht, Herr Hoyer und Herr Hedrich, ist Ihnen be-züglich der Rahmenplanung ein Irrtum unterlaufen: Fürdas Jahr 2001 hat die Bundesregierung nämlich geplant,die Mittel für Kolumbien um 50 Prozent zu erhöhen, alsoum 10 Millionen DM zusätzlich zu den schon jetztbereitgestellten 20 Millionen DM. Ich hoffe, dass wir da-mit unseren und den europäischen Beitrag zur Drogen-substitutionspolitik, zum alternativen Anbau, zur Ge-meinde- und zur Demokratieentwicklung finanzierenkönnen.Der vorgelegte Antrag von Bündnis 90/Die Grünen,SPD und F.D.P. bietet dafür eine gute Grundlage.Ich danke Ihnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-sprache.Wir kommen zum Antrag der Fraktionen der SPD, desBündnisses 90/Die Grünen und der F.D.P. zur Unterstüt-zung des Friedensprozesses in Kolumbien. Die Fraktionder PDS hat beantragt, den Antrag zur federführenden Be-ratung an den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammen-arbeit und Entwicklung und zur Mitberatung an denAuswärtigen Ausschuss und den Ausschuss für Men-schenrechte und humanitäre Hilfe zu überweisen. DieFraktionen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen undder F.D.P. verlangen hingegen sofortige Abstimmung.Nach ständiger Übung geht die Abstimmung über denÜberweisungsvorschlag vor. Ich bitte also diejenigen, diedem Überweisungsvorschlag der Fraktion der PDS zuzu-stimmen wünschen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000
Staatsminister Dr. Ludger Volmer10731
dagegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlagist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei einer Enthal-tung aus den Reihen der SPD-Fraktion abgelehnt.Wir stimmen nun über den Antrag in der Sache ab. Werstimmt für den Antrag auf Drucksache 14/3766? – Werstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist beiEnthaltung der CDU/CSU-Fraktion und der PDS-Frak-tion angenommen.Wir kommen nun zum Antrag der Fraktion der PDS mitdem Titel „Eine nachhaltige demokratische und sozialeEntwicklung in Kolumbien unterstützen“. Die Fraktion derPDS hat beantragt, den Antrag zur federführenden Bera-tung an den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeitund Entwicklung und zur Mitberatung an den AuswärtigenAusschuss und den Ausschuss für Menschenrechte und hu-manitäre Hilfe zu überweisen. Die Fraktionen der SPD, desBündnisses 90/Die Grünen und der F.D.P. verlangen hin-gegen sofortige Abstimmung.Wir stimmen zunächst wieder über den Überweisungs-vorschlag ab. Ich bitte diejenigen, die dem Überwei-sungsvorschlag der Fraktion der PDS zuzustimmen wün-schen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist gegendie Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.Wir stimmen nun über den Antrag in der Sache ab. Werstimmt für den Antrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-che 14/3782? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Der Antrag ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion beiEnthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und beieinigen Enthaltungen aus der SPD-Fraktion abgelehnt.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. IljaSeifert, Sabine Jünger, Monika Balt, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der PDSSoziale Arbeit stärken – Alternativen zumZivildienst entwickeln– Drucksache 14/3563 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Arbeit und SozialordnungVerteidigungsausschussAusschuss für GesundheitAusschuss für Bildung, Forschung und Technik-folgenabschätzungHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die PDSfünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wider-spruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wortzunächst dem Kollegen Dr. Ilja Seifert, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine liebenKolleginnen und Kollegen! Ich begrüße auch die wenigenGäste auf der Besuchertribüne ganz herzlich zu dieserspäten Zeit.Zivildienstleistende verrichten eine unheimlich wich-tige, eine unheimlich gute und eine sehr humane Arbeit.Dennoch ist der Zivildienst ein Zwangsdienst. Er gehörtalso abgeschafft, aber nicht auf die kalte Art, wie es dieBundesregierung im vergangenen Jahr mit ihren durchdas Haushaltssanierungsgesetz erzwungenen Einsparzie-len angefangen hat. Dieses Gesetz führt im Sommer die-ses Jahres dazu, dass eine große Lücke von Zivildienst-leistenden genau in den Bereichen entsteht, in denen siezurzeit nicht ersetzbar sind; die Zivildienstleistendenwerden missbraucht.Der Zivildienst hat eindeutig keinen sozialen Sicher-stellungsauftrag. Die Zivis stützen aber ganz massiv diesoziale Infrastruktur in diesem Lande. Zum Teil gilt diesauch für Fragen der Kultur und des Umweltschutzes. Daswill ich überhaupt nicht unter den Tisch kehren. Ich redejetzt aber insbesondere über die sozialen Aspekte.Was Not tut, ist, den Zivildienst in dauerhafteArbeitsplätze zu konvertieren,
und zwar in Arbeitsplätze, die nach Tarif bezahlt werdenund bei denen diejenigen, die die Arbeit leisten, davonausgehen können, dass ihre wichtige und der Gesellschaftdienende Arbeit auch in jeder Hinsicht anerkannt wird.Ich meine damit sowohl das Geld als auch das Prestige,das damit verbunden ist.Die PDS-Fraktion hat einen Antrag eingebracht, dervor allem zwei Dinge beinhaltet: Erstens geht es darum,kurzfristig Maßnahmen zu ergreifen, damit die Lücke, diejetzt durch Ihr Haushaltssanierungsgesetz entstanden ist,wenigstens so geschlossen wird, dass keine Engpässe beiden Menschen entstehen, die zurzeit unbedingt auf dieHilfe der Zivis angewiesen sind. Das sind schwerbehin-derte Menschen, insbesondere schwerbehinderte Kinder,das sind aber natürlich auch Menschen in Altenheimenund dergleichen. Dort sind Zivis zurzeit nicht zu ersetzen,weil es momentan keine anderen Möglichkeiten gibt.
– Völlig richtig, aber, wie gesagt, jetzt werden die Kür-zungen massiv wirksam.Damit eine Möglichkeit besteht, das überhaupt zu er-fassen, schlagen wir vor, eine Ombudsstelle einzurichten,bei der sich von Kürzungen Betroffene, ihre Angehörigen,die Einsatzstellen für die Zivis und natürlich auch dieSelbsthilfeorganisationen melden können, damit die Pro-bleme rasch und unkonventionell gelöst werden.Das ist der erste, kurzfristig wichtige Teil unseres An-trags. Ich finde, das sollte geschehen. Die bereits einge-tretenen Engpässe dürfen sich nicht zuungunsten der be-troffenen Menschen, die Hilfe brauchen, auswirken.
Zweitens – das ist der mittel- und langfristig wichtigeTeil unseres Antrages – müssen wir das Auslaufmodell Zi-vildienst jetzt konvertieren, und zwar so, dass in keinerPhase der Konversion, an keinem einzigen Tag, zu keiner
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Vizepräsidentin Petra Bläss10732
Stunde eine Lücke entsteht. Es gibt nämlich Menschen,die auf die Assistenz der Zivis angewiesen sind und nichteinmal eine Stunde ohne eine begleitende Assistenz seinkönnen. Wer, bitte schön, möchte das verantworten?Deswegen, meine Damen und Herren von den Grünen:Die Forderung, anstelle des Zivildienstes 90 000 Ar-beitsplätze zu schaffen, unterstütze ich ja gern; aber wirbrauchen erst die Arbeitsplätze und dann kann man denZivildienst abschaffen, nicht erst den Zivildienst abschaf-fen und dann sehen, ob wir die Arbeitsplätze bekommen.
Wir sehen in diesem Bereich eine hervorragende Mög-lichkeit, auf Dauer Arbeitsplätze von großer Wichtigkeit,demzufolge auch von hohem sozialem Prestige zu schaf-fen, die sich aber – das räumen wir gern ein – betriebs-wirtschaftlich nicht rechnen werden. Das sind Arbeits-plätze, die von Selbsthilfegruppen gestaltet werden. Dassind Arbeitsplätze, die von anderen kleinen Hilfsorgani-sationen ausgestaltet werden können. Diese Arbeitsplätzekönnen sich zwar betriebswirtschaftlich nicht rechnen,aber volkswirtschaftlich und vor allem humanitär gesehenbringen sie einen gewaltigen Gewinn für die ganzeMenschheit. Das, finde ich, sollten wir nicht unterschät-zen.
Unter diesem Aspekt ist es ein Gebot volkswirtschaftli-cher und humanitärer Vernunft, solche Arbeitsplätze dau-erhaft und sicher auszugestalten. Das kann durch regel-mäßige Zuschüsse geschehen. Wir nennen das „öffentlichgeförderter, dauerhafter Beschäftigungssektor“.Bitte, meine Damen und Herren, geben Sie den Men-schen eine Chance, das auszuprobieren. Geben Sie denMenschen eine Chance, Arbeitsplätze in Bereichen zu fin-den, in denen sie sich auf Dauer gut fühlen können! Aufdiesem Wege müssen die Selbsthilfegruppen, die Institu-tionen, die diese Arbeitsplätze bereithalten, natürlichebenfalls institutionell gefördert werden; denn ohne festeArbeitsplätze geht so etwas nicht.Ich bitte Sie, wenn Sie unseren Antrag in den Aus-schüssen prüfen und darüber diskutieren: Lassen Sie unszu einer Lösung kommen, die langfristig nützt, und lassenSie uns die Lücke, die jetzt durch die Regierung gerissenworden ist, schnell schließen.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Dieter Dzewas.
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Leider kommt der PDS-Antrag zu
den Alternativen zum Zivildienst reichlich spät; denn die
Bundesregierung hat bereits gehandelt. Zum einen hat
sich seit der Vorlage des Berichts der Wehrstrukturkom-
mission im Mai gezeigt, dass es in diesem Hause eine
breite Mehrheit für die Beibehaltung der Wehrpflicht und
damit für den Fortbestand des Zivildienstes gibt. Das
heißt, dass die Konversion, jedenfalls in dem Umfang,
wie im Antrag gefordert, zurzeit und auch auf absehbare
Zeit nicht auf der Tagesordnung steht. Zum anderen kön-
nen wir am Ende der Sommerpause mit dem Bericht der
speziell eingerichteten Arbeitsgruppe „Zukunft des Zivil-
dienstes“ rechnen. Ich erwarte mir von dieser Ar-
beitsgruppe selbstverständlich Anregungen für die
zukünftige Ausgestaltung dieses Dienstes.
Der Zivildienst – da möchte ich Herrn Dr. Seifert un-
bedingt zustimmen – hat keinerlei Sicherstellungsauf-
trag für soziale Dienstleistungen. Er ist untrennbar mit
der Wehrpflicht verknüpft. Er sollte und kann nicht die
Aufgabe übernehmen, ein umfassendes Netz sozialer Si-
cherheit zu bieten. Denn es handelt sich um junge Män-
ner, die einen gesetzlich geforderten Dienst, nicht aber ei-
nen hoch qualifizierten Dienst an behinderten, alten und
kranken Menschen zu leisten haben. Ihnen die Last der
Verantwortung für die Sicherung des Systems sozialer
Dienstleistungen aufzubürden widerspräche aus meiner
Sicht nicht nur dem Geist des Zivildienstes als Ersatz-
dienst, sondern würde auch die Zivildienstleistenden sel-
ber hoffnungslos überfordern.
Immer wieder werden – wie auch zurzeit – Beschwer-
den laut, dass gerade bei der individuellen Schwerstbe-
hindertenbetreuung Zivildienstleistende fehlen. Das ist
jedoch keine Folge von Kürzungen von Dienstzeiten oder
Stellen, sondern wir haben seit vielen Jahren, insbeson-
dere seit 1995, die Entwicklung, dass die Zahl der Frei-
willigen in diesem Bereich zurückgeht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Dzewas,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Dr. Seifert?
Wenn ich diesen Gedanken-
gang erst zu Ende führen darf, dann gerne.
Es gab im Jahre 1995 noch 5 300 Zivildienstleistende
im Bereich der individuellen Schwerstbehindertenbetreu-
ung; zu Beginn dieses Jahres waren es lediglich noch
3 859. Das hat überhaupt nichts mit Kürzungen von
Dienstzeiten oder Stellen zu tun, sondern hängt lediglich
mit der Tatsache zusammen, dass viele junge Männer die-
sen schweren und verantwortungsvollen Dienst heute
nicht mehr in dem erforderlichen Umfang zu leisten be-
reit sind.
Bitte schön, Herr Dr. Seifert.
Ich hatte mich zu Ihrem vor-hergehenden Gedanken zu Wort gemeldet, Herr Kollege,aber lassen Sie mich zu dem, was Sie eben ausgeführt ha-ben, einen Satz sagen. Der Zivildienst im Bereich der in-dividuellen Schwerstbehindertenbetreuung ist in den letz-ten Jahren unattraktiver gemacht worden. Er wirdschlechter bezahlt als noch vor einiger Zeit und es gibtweniger Zuschüsse. Auch das muss man hier erwähnen.
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Dr. Ilja Seifert10733
Aber meine Frage ist eine andere. Sie sprachen vorhinim Konjunktiv davon, dass der soziale Sicherstellungs-auftrag diesen Menschen nicht zugemutet werden sollte.Wollen Sie zumindest einräumen, dass diese jungen Män-ner in der Praxis fast die Einzigen sind, die diesen Sicher-stellungsauftrag noch erfüllen? Wollen Sie nicht einräu-men, dass der Konjunktiv hier nicht angebracht ist?
Herr Dr. Seifert, bei allem Ver-ständnis für die Situation: Sie können doch nicht behaup-ten, dass in diesen Institutionen nicht verantwortlichehauptbeschäftigte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihreAufgaben im Rahmen der gesetzlichen Leistungen wahr-nehmen. Unstreitig ist sicher auch, dass es darüber hinausin diesen Institutionen noch ehrenamtliche Mitarbeitergibt. Insofern würde ich es keinesfalls so sehen, dass denZivildienstleistenden da ein Monopol zugemutet werdenmuss.Ich möchte Ihnen versichern, dass wir über die Konso-lidierungsnotwendigkeiten in den Haushalten 2000 und2001 keineswegs glücklich sind. Aber auch das Familien-ministerium war gezwungen, zur Haushaltssanierungbeizutragen.Da gerade die Kolleginnen und Kollegen der ehemali-gen Regierungsfraktionen mit ihrer Kritik an den Maß-nahmen nie hinter dem Berg halten, möchte ich kurz nocheinmal auf die Gründe für diese Konsolidierung hinwei-sen.
Warum waren wir denn zu diesen Einsparungen gezwun-gen? – Sie sind die Folge Ihrer langjährig verfehltenHaushaltspolitik mit falscher Prioritätensetzung und skru-pelloser Schuldenaufnahme auf Kosten der nachfolgen-den Generationen.
Nur wenn wir uns als Staat in die Lage versetzen, zukünf-tig schuldenfrei zu agieren, können wir überhaupt wiederSozialstaatsgarantien übernehmen.
Die Konsolidierungsmaßnahmen, die den Wegfall vonZivildienststellen zur Folge hatten, sind, Herr Dr. Seifert,genau in dem Bereich anzusetzen, in dem in der Vergan-genheit gegen die Arbeitsmarktneutralität des Zivil-dienstes verstoßen wurde. An dieser Stelle ist es zumut-bar, den Zivildienst zu ersetzen.Die vorgenommenen Kürzungen haben aus meinerSicht nicht zu irgendwelchen eklatanten Unterversor-gungssituationen geführt. Denn es gibt in der Arbeits-marktpolitik durchaus bewährte Instrumente. Lassen Siemich ein Beispiel nennen: 1990 wurde in Bremen die sogenannte „Assistenzgenossenschaft Bremen“ mit demZiel geschaffen, Zivildienstplätze in reguläre Arbeits-plätze umzuwandeln. Dieses Ziel ist erreicht worden. DieMitglieder dieser Genossenschaft können entscheiden,wie viele Stunden und wann sie Hilfe bekommen. Siekönnen sich bewusst für eine männliche oder weiblichePflegeperson entscheiden und – ganz nach Wahl – be-stimmte Leistungen in Anspruch nehmen.Im Laufe von zehn Jahren hat diese Genossenschaftden ehemals erheblichen Anteil an Zivildienstleistendenauf nur noch vier reduziert. Im Übrigen beschäftigen die60 Genossenschaftsmitglieder heute 250 Assistentinnenund Assistenten in Teilzeit- und Vollzeitarbeit. So konntenin Bremen zahlreiche Arbeitslose wieder in ein reguläresArbeitsverhältnis gelangen. Gleichzeitig wurden die So-zialversicherungen durch neue Beitragszahler entlastet.Neben ehemaligen Arbeitslosen finden hier auch Studen-tinnen und Studenten sowie ältere Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer einen Arbeitsplatz. Im Vergleich zum Zi-vildienst verfügt dieses Modell über den Vorteil, dass diemeisten Pflegekräfte länger mit den Personen, die sie zupflegen haben, zu tun haben. Das liegt in der Natur der Sa-che. Außerdem können die Assistenznehmer – ganz nachihren Vorstellungen – entweder auf jüngere oder auf ältereBetreuer zurückgreifen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen allein andiesem Beispiel, dass viele Diskussionen über die Kür-zungen beim Zivildienst an der eigentlichen Problematikvorbeigehen. Das Modell von Bremen zeigt, dass man dieAnforderungen an die Konversion von Zivildienstplätzenmit einer durchdachten Herangehensweise und der Schaf-fung regulärer Arbeitsplätze bereits heute im Sinne vielerlösen könnte. Ein ganzes Spektrum an Vorteilen wird hiersichtbar: die wesentlich größere Selbstbestimmung derAssistenznehmer, die Einbindung der Assistenten in einedemokratisch strukturierte Genossenschaft mit einer fürdie Belegschaft wichtigen Interessenvertretung durchBetriebsratsarbeit und nicht zuletzt der enorm positive Ar-beitsmarkteffekt, der entsprechende Auswirkungen aufdie sozialen Sicherungssysteme hat.Das Potenzial für die Schaffung vieler neuer haupt-amtlicher Stellen in diesem Bereich ist durchaus vorhan-den. Gerade Langzeitarbeitslose oder geringer Qualifi-zierte bekommen durch die vorhandenen Instrumente imRahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik Chancen, wiederin Beschäftigung zu kommen. Die Mittel für diese aktiveArbeitsmarktpolitik werden wir im Bundeshaushalt deskommenden Jahres stabil halten. Wir werden mit der Fort-setzung des Programms JUMP die Jugendarbeitslosigkeitweiter bekämpfen. Wir sollten das Programm JUMPverstärkt dazu nutzen, jungen Menschen die im sozialenBereich bestehenden Perspektiven auf Beschäftigung auf-zuzeigen.Zu diesen Arbeitsmarktmöglichkeiten kommen darü-ber hinaus die im Rahmen des Bündnisses für Arbeitvereinbarten Modellvorhaben. Ich nenne in diesem Zu-sammenhang die Stichworte „Saar-Modell“ und „Main-zer Modell“. Mit diesen Modellen soll versucht wer-den, geringer Qualifizierten und Langzeitarbeitslosen dieChance zu geben, wieder in den Arbeitsmarkt eingeglie-dert zu werden.Vor dem Hintergrund all dessen, was ich vorgetragenhabe, werden Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen vonder PDS, verstehen, dass ich und damit auch die SPD-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000
Dr. Ilja Seifert10734
Bundestagsfraktion zurzeit keinerlei sachliche Notwen-digkeit für weitere zusätzliche Leistungen des Bundes
sehen und deshalb wird die SPD-Fraktion Ihren Antragnicht unterstützen.Schönen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es spricht jetzt für die
Fraktion der CDU/CSU der Kollege Thomas Dörflinger.
Frau Präsidentin!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist gut, dasswir heute, vier Tage nachdem das Haushaltssanierungs-gesetz in Kraft gesetzt wurde und die Kürzungen, von de-nen soeben die Rede war, ihre Wirkung entfalten, dieseDebatte führen. Die aktuelle Diskussion über die Zukunftdes Zivildienstes zeigt in erster Linie eines, nämlich breiteVerunsicherung bei den Verbänden, den freien Trägern ander Basis und bei den jungen Männern, die sich fragen, obsie Wehrpflicht oder Zivildienst leisten sollen. Die Ver-antwortung für diese Verunsicherung – das kann ich Ihnennicht ersparen – trägt die Bundesregierung.
Es ist schon angesprochen worden: Nachdem durchdas so genannte Haushaltssanierungsgesetz beim Zivil-dienst Kürzungen in Kraft gesetzt wurden und noch bevorsich durch die Reform der Bundeswehr möglicherweiseerneut Handlungsbedarf ergibt, wurde nun eine Arbeits-gruppe eingesetzt mit dem Auftrag, sich mit der Zukunftdes Zivildienstes zu befassen.Wolfgang Schäuble pflegt zu sagen: Der Regierungfehlt die Substanz.
Das zeigt sich auch in dieser Frage. Erst wird gehandelt,dann wird gedacht und dann wird eine Kommission oderArbeitsgruppe beauftragt, die durch die Regierung ge-schaffenen Probleme zu lösen. Das ist schon eine reifeLeistung. Normalerweise verfährt man genau anders-herum: Man holt sich externen Sachverstand, sucht ge-meinsam nach Lösungen und erarbeitet dann einen Vor-schlag, den man in die Beratung gibt.
Breite Verunsicherung scheint es aber nicht nur bei denBetroffenen, sondern auch innerhalb der Koalition zu ge-ben. Vor wenigen Wochen erklärte der geschätzte KollegeChristian Simmert als Zivildienstberichterstatter vomBündnis 90/Die Grünen, seine Fraktion wolle die Wehr-pflicht abschaffen – und damit logischerweise auch denZivildienst. Dieter Dzewas, mein Vorredner und Kollegebei den Sozialdemokraten, möchte jedoch, wie er auf ei-ner Veranstaltung beim Diakonischen Werk hier in Berlin,an der wir beide teilgenommen haben, sagte, an der Wehr-pflicht festhalten. Und jeder – so scheint es wenigstens –spricht für die Mehrheit seiner Fraktion. Das gibt nocheine sehr spannende Debatte. Sie können sich darauf ver-lassen, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dieseAuseinandersetzung mit größtem Interesse verfolgenwird.
– Ich bin ja noch nicht am Ende, Herr Kollege.
Im September soll die erwähnte Arbeitsgruppe desMinisteriums ihre Empfehlungen vorlegen, wie uns derBundesbeauftragte für den Zivildienst und auch die Mi-nisterin heute Morgen im Ausschuss haben wissen lassen.Das heißt also, die Regierungsfraktionen haben noch rundzwei Monate Zeit, ihre Positionen zu klären. Ich wünscheihnen, dass schlussendlich eine Position pro Wehrdienstund damit auch pro Zivildienst gefunden wird; denn sonsthätte die erwähnte Arbeitsgruppe ihre Arbeit umsonst ge-macht. Aber das soll ja anderen Kommissionen und Ar-beitsgruppen dieser Regierung auch schon so gegangensein.
Eines ist allerdings schon heute klar: Ab dem nächstenJahr steht uns, bedingt durch die Bundeswehrreform, eineweitere Verkürzung des Zivildienstes – dann auf zehnMonate – ins Haus. Wenn aber der Deutsche Caritasver-band am vergangenen Freitag verlauten ließ: „Die Men-schen, die am dringendsten darauf angewiesen sind, wer-den versorgt“, dann heißt das nicht nur, dass es vermutlichnicht so schlimm gekommen ist, wie ursprünglich be-fürchtet, sondern auch, dass diejenigen, die nicht ganz sodringend auf die Hilfe angewiesen sind, möglicherweisemit Folgen zu rechnen haben, die sie dann am eigenenLeib spüren können. Hinzu kommt – wir haben heuteMorgen im Ausschuss darüber diskutiert –: Die Verfüg-barkeit des einzelnen Zivildienstleistenden für die Zivil-dienststelle und auch für den zu Betreuenden wird immerkürzer; denn die Einarbeitungszeit bleibt gleich, egal wielange der Zivildienst dauert. Auch die mögliche Weiter-bildung und der Aufenthalt in der Zivildienstschule blei-ben in ihrer Dauer gleich, egal wie lange der Zivildienstdauert. Angesichts der Tatsache, dass der Zivildienstleis-tende natürlich einen Bezug zu der Person, die er betreut,haben sollte, fragt man sich schon, wann der Punkt er-reicht ist, an dem der Zivildienst keinen Sinn mehr macht.Der uns vorliegende Antrag der PDS, über den wirheute beraten, zeigt – das sei konzediert – wenigstens inder Bestandsaufnahme der aktuellen Situation im Zivil-dienst durchaus einzelne Ansätze, die den Tatsachenentsprechen. Das gilt etwa für die beschriebenen Folgender Kürzungen im Zuge des Haushaltssanierungsgesetzes
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Dieter Dzewas10735
und für den erhöhten Kostendruck bei den Dienststellen.Was allerdings im Forderungskatalog folgt, ist eine rechtwillkürliche Aneinanderreihung von Postulaten, die mirnicht nur recht wenig durchdacht, sondern durchaus auchideologisch vorbelastet erscheint.
Lassen Sie mich exemplarisch zwei Punkte nennen.Erstens. Ich zitiere aus dem Antrag:Als grundlegende Komponente der Alternativen zumZivildienst ist der öffentlich geförderte Beschäf-tigungssektor zu entwickeln und auszubauen.Seit Jahren debattieren wir in diesem Hohen Hause überdie Notwendigkeit der Senkung der Staatsquote. Wir sinduns in der Forderung weitgehend einig; in der Durchset-zung hat die eine oder andere Bundesregierung bislangdurchaus unterschiedliche Ergebnisse erzielt. Ausgerech-net die Partei, deren Vorgängerin 40 Jahre den Staatsmo-nopolkapitalismus predigte und zum Erfolg zu führen ver-suchte, legt uns heute einen solchen Antrag unter demStichwort ÖBS – öffentlicher Beschäftigungssektor –vor. Daher ist klar – Sie haben das auch selbst ausge-führt –: Die prognostizierten 70 000 bis 100 000 Arbeits-plätze, die durch den Wegfall von Wehr- und Zivildienstentstehen sollen, müsste der Staat schaffen.
– Ein bisschen? Ein bisschen viel! Ich stelle fest: Sie ha-ben aus 40 Jahren DDR reichlich wenig gelernt.
Eine funktionierende Volkswirtschaft, meine Damenund Herren, entsteht nicht dadurch, dass möglichst vieleLeute beim Staat beschäftigt sind, sondern dadurch, dassmöglichst wenige beim Staat beschäftigt sind.Ein zweites Beispiel. Sie schreiben in Ihrem Antrag:Einige der Arbeiten, die zum Beispiel in der indivi-duellen Schwerbehindertenbetreuung heute von Zi-vildienstleistenden erbracht werden, könnten auchvon Freiwilligendiensten als Assistenzleistungen an-geboten werden.Nun kennen Sie vielleicht die Meinung von JoachimHagelskamp vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrts-verband, der vor wenigen Tagen in einem Interview mit„AP“ gesagt hat:Freiwilligkeit und Planungssicherheit sind ein Wi-derspruch in sich.Dem ist eigentlich gar nichts hinzuzufügen.
Wie wollen Sie denn eine notwendige Versorgung durchFreiwillige im Hinblick auf Planungssicherheit gewähr-leisten? Wir können gerne darüber diskutieren, wie wirdie Freiwilligendienste in Deutschland ausbauen undmöglicherweise rechtlich auf eine neue, bessere Grund-lage stellen.
Wir haben dazu intensive Gespräche in der Arbeitsgruppeder Fraktion geführt und werden das nach der Sommer-pause fortsetzen. Sehr gespannt sind wir darauf, wann dieBundesregierung ihre Verpflichtung aus dem Koalitions-vertrag in dieser Frage umsetzt und uns mit konkretenVorschlägen überrascht. Aber, wir sollten uns nicht selbstSand in die Augen streuen und uns einbilden, die Lücke,die durch den möglichen Wegfall des Zivildienstes ent-steht – darauf zielen Sie ja letztlich ab –, durch den wei-teren Auf- und Ausbau von Freiwilligendiensten kompen-sieren zu können.
– Genau darauf wollte ich hinaus, Herr Kollege Seifert:Wer soll professionelle, hauptberufliche Beschäftigte, dieder Staat zu finanzieren hat, bezahlen?Wir sollten keine Gespensterdiskussion führen. Es gehtdarum, den Zivildienst zukunftsfähig zu machen. Ich binsehr gespannt, wann die Bundesregierung und die sie tra-genden Fraktionen hierzu ein schlüssiges Konzept vorle-gen werden. Es geht nicht darum, den Zivildienst und dieWehrpflicht so elegant wie möglich abzuschaffen. Letzt-lich wollen Sie das und deshalb werden wir Ihren Antragauch nicht mittragen.
Ich stelle fest: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion istdie einzige politische Kraft in diesem Hause, die in Zu-kunft ohne Wenn und Aber an Wehrpflicht und zivilem Er-satzdienst festhält, wie das Grundgesetz es vorsieht.
Dabei ist uns durchaus klar – das sei konzediert –, dass wirdurch die sich verändernden und schon veränderten Rah-menbedingungen in der Sicherheitspolitik in beiden Fel-dern Handlungsbedarf haben.
Aber, meine Damen und Herren der Regierungsfraktio-nen, bei sensiblen Themen sollte man auch mit der not-wendigen Sensibilität zu Werke gehen.Lassen Sie uns beispielsweise darüber diskutieren, obder Zivildienst Zug um Zug besser als heute auf den so-zialen Kernbereich konzentriert werden kann. Aber bitteschön Zug um Zug und nicht unter dem Diktat des Fi-nanzministeriums!
Sieben von zehn Zivis arbeiten im engeren sozialen Be-reich. Genau da sollten die Sparmaßnahmen eben nichtansetzen.
Oder lassen Sie uns darüber nachdenken, ob wir die Si-tuation von Zivildienstleistenden dadurch verbessern,dass wir die Aus- und Weiterbildung der Vertrauens-
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Thomas Dörflinger10736
leute bei den Zivis ähnlich wie bei den Wehrpflichtigenregeln, insbesondere was den Sonderurlaub angeht. Wirhaben als Unionsfraktion im Ausschuss diesen Vorschlagunterbreitet, als wir die Änderung des Zivildienstvertrau-ensmann-Gesetzes beraten haben. Jetzt warten wir auch indieser Frage sehr gespannt auf Ihre Vorschläge.Meine Damen und Herren, Zivildienstleistende erfül-len eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe, diedeutlich über die direkten Aufgaben innerhalb ihrerDienstzeit und im Rahmen ihrer Dienstpflicht hinausge-hen. Dem sollten wir auch beim Setzen der politischenRahmenbedingungen Rechnung tragen. Daher, FrauStaatssekretärin, Frau Ministerin: Die Federführung liegtbei Ihnen, nicht beim Bundesfinanzminister, schon garnicht bei der Opposition. Wir laden Sie herzlich ein, IhreArbeit zu tun.Schönen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner ist
der Kollege Christian Simmert, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie-ber Kollege Dörflinger, ich hätte von Ihnen etwas Kon-zeptionelles erwartet.
Ich bin das ja von den Ausschusssitzungen gewohnt. Ichmöchte von Ihnen endlich einmal hören, was Sie konzep-tionell zu bieten haben. Die Frage nach dem Umbau dersozialen Sicherungssysteme spielt in dieser Diskussioneine Rolle. Auch die Frage nach sozialer Sicherung undSicherheit spielt eine Rolle.Dass Zivildienstleistende seit vergangenem Samstageine kürzere Dienstzeit haben, begrüße ich, und zwarnicht aufgrund des finanziellen Aspekts, sondern weil esum eine Gleichbehandlung der Dienste geht.
In Ihrer Regierungszeit sind die Dienste ungleich behan-delt worden. In unserer Regierungszeit haben wir erstensdie Besoldung für Zivildienstleistende mit der Besoldungder Wehrpflichtigen gleichgestellt und zweitens dieDienstzeit verkürzt. Ich finde, wir haben einen gutenSchritt für die Zivildienstleistenden getan, der zugleich –das ist richtig – Einspareffekte mit sich bringt. Wichtigaber ist das Signal und ich glaube, dass es draußen ver-standen wird.Ich komme nun auf die Ausfälle im sozialen Bereichzu sprechen. Herr Dörflinger, Sie haben vorhin die AWOzitiert. Ich beziehe mich auf den Caritasverband und denDPWV, die am Freitag gesagt haben: Es gibt keinewesentlichen, keine dramatischen Ausfälle im sozialenBereich. Ich glaube, hier sollten wir genauer hinsehen.Die Verbände arbeiten nicht nur in der Arbeitsgruppe un-ter Führung des BMFSFJ; sie sind im Bereich des Zivil-dienstes auch an der Steuerung – sie bezieht sich auf dieLeistungsbeteiligungen und das Streichen von Zivil-dienstplätzen – beteiligt. Ich bin nicht der Auffassung,dass wir Zivildienstleistende als Hausmeister in Dienst-stellen brauchen. Ich bin der Meinung, dass wir Zivil-dienstleistende noch im sozialen Bereich brauchen.
Die Betonung liegt auf „noch“. Ich bin in der Tat mitmeiner Fraktion der Auffassung, dass der Zivildienst unddie Wehrpflicht ein Auslaufmodell sind.An die PDS gerichtet sage ich: Wir haben nie gesagt, dasswir ein Auslaufen von heute auf morgen wollen. Wir wol-len es konzeptionell, wir wollen eine Umwandlung mitPerspektive, was Arbeitsplätze und Freiwilligendiensteangeht. Ich glaube, dass wir eine viel stärkere Förderungder Freiwilligendienste in der Bundesrepublik – auch in-ternationaler Art – brauchen.
– Wir brauchen sie nicht als Ersatz, sondern als freiwilli-ges Engagement im sozialen Bereich.Wenn wir das mit einer intelligenten Arbeitsmarktpoli-tik kombinieren, können wir hier einen Umbau erreichen,der sich wirklich Umbau nennen kann und der letztlichden Zivildienst und die Wehrpflicht überflüssig macht.Richtig ist, dass man damit beginnen muss. Meine Frak-tion hat deshalb beschlossen, die Sache konzeptionell an-zugehen. Das werden wir auch in die Bundesregierungtragen.Es braucht aber Zeit, eine solche Diskussion vernünf-tig zu führen, also ohne Ängste und Hysterie zu schüren.Es bringt uns wenig, wenn wir die Angst heraufbe-schwören, dass es im sozialen Bereich zu exorbitantenAusfällen kommt, noch bringt es etwas, strukturkon-servativ an dem Bestehenden festzuhalten. Wir brauchenInnovationen im Bereich der Freiwilligendienste und derArbeitsplätze in einem vernünftigen Mix. Dazu kann manbereits vorhandene Haushaltsmittel verwenden. Die Aus-wirkungen, über die wir heute diskutieren und die Anlassdes Antrags der PDS sind, muss man davon trennen, dennsie sind nicht so, wie sie seit Samstag teilweise heraufbe-schworen werden.Wenn wir darüber in den nächsten Sitzungswochen imAusschuss diskutieren, werden wir Vorschläge der Bun-desregierung und der Arbeitsgruppe, an der die Träger undverschiedene Ministerien beteiligt sind, auf dem Tisch ha-ben, über die wir diskutieren müssen und werden. Ichglaube, dass dann auch die CDU/CSU-Bundestagsfrak-tion gefragt ist, endlich zu sagen, wie sie sich diesen Be-reich konzeptionell vorstellt, statt darauf zu warten, bisdie Bundesregierung ihre Vorstellungen mitteilt.
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Thomas Dörflinger10737
Ich finde, das ist eine etwas schlappe Opposition. Das sindwir aber teilweise gewohnt; deshalb muss man dies nichtmehr groß hinzufügen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Ina Lenke, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damenund Herren! Es sind tolle Steilvorlagen, die mir die ande-ren Fraktionen bieten. Ich habe aber leider nur drei Minu-ten Redezeit. Von daher sollten wir das im Ausschuss be-sprechen.Herr Dr. Seifert, Sie haben hier meines Erachtens auchin der Sache in scheinheiliger Form gesprochen; denn Siehaben nicht den Ausdruck „öffentlicher Beschäftigungs-sektor“ benutzt. Sie haben dies verbrämt und gesagt: Dortkönnte ein bisschen zugezahlt werden. Es ist ganz deut-lich, dass Sie einen öffentlichen Beschäftigungssektorwollen, der im Grunde gar nicht zu ordentlichen Arbeits-plätzen führt.
Dies ist eine ideologische Festlegung. Sie haben uns hierLösungen von vor 1990 vorgeschlagen. Herr Dörflingerhat dies beschrieben; deshalb kann ich es mir ersparen,dies zu wiederholen.
Es geht hier um eine grundlegende Komponente der Al-ternative zum Zivildienst und das ist der öffentlich geför-derte Beschäftigungssektor. Das hätten Sie hier genauersagen können, aber das haben Sie nicht gemacht. Sie ha-ben dies verschwiegen.
Ich möchte noch etwas zur Bundesregierung sagen, dasich auch schon im Ausschuss gesagt habe: Sie arbeitenhinter verschlossenen Türen. Ist das eine demokratischeAuseinandersetzung? Statt offener Türen und der Ausei-nandersetzung mit dem Parlament gibt es eine Arbeits-gruppe. Im Ausschuss höre ich: Nein, Sie kriegen keineErgebnisse. Wir werden das zuerst im September der Mi-nisterin vorlegen. – Sollen wir erst einmal drei Monatewarten, während Sie hinter verschlossenen Türen irgend-etwas machen, ohne dass wir wissen, was herauskommtund wie die Ergebnisse zustande kommen?
Herr Simmert, ich hätte Sie als grünen Koalitionspartnerganz anders eingeschätzt. Ich hätte erwartet, dass Sie derMinisterin eine ganz andere Vorgehensweise vorschlagen.Sie sollten diese Geheimakte Zivildienst an die Öffent-lichkeit bringen und diese nicht drei Monate lang hinterverschlossenen Türen halten.
Meine Damen und Herren, vor zwei Tagen hat unsereFraktion eine Expertenanhörung zum Zivildienst ge-macht. Dort ist gesagt worden, dass vieles von dem, washier gesagt worden ist, in die falsche Richtung geht.Herr Dzewas, Sie müssen noch einmal darüber nach-denken, ob Sie die Jugendlichen, die am JUMP-Pro-gramm teilnehmen, wirklich auf die Leute loslassen wol-len, die eine qualitativ gute Pflege, eine Pflege mit vielMotivation brauchen.
Ich halte das für völlig verkehrt.Es wurde auch das freiwillige soziale Jahr erwähnt.Ich glaube, das waren Sie, Herr Simmert. Sie wollen alsoden preiswerten Zivildienst in das halb so preiswerte frei-willige soziale Jahr umwandeln.
Sie müssen sich einmal mit den Experten auseinander set-zen. Die werden Ihnen sagen, dass das freiwillige sozialeJahr entwertet wird, wenn Sie dies durchsetzen.
Herr Simmert, Sie tun gerade so, als wäre die Verkür-zung auf unter ein Jahr alles andere als schlecht. HabenSie hier eigentlich einmal von der Unterjährigkeit, vondem Leerlauf gesprochen, den die jungen Leute haben,wenn sie die zwei Semester nicht voll Zivildienst leisten?
Dazu sagen Sie überhaupt nichts. Ich muss schon sagen:Die Grünen und die Jugend sind ziemlich weit auseinan-der. Ich bin sehr gespannt, was Sie für Vorschläge ma-chen.
– Das brauchen Sie auch nicht. Ich kenne aber die Sorgen;ich kann ja für Sie mitdenken.
Meine Damen und Herren, wir fordern – das hat auchdie Expertenanhörung ergeben –, erst einmal eine Be-standsaufnahme zu machen: Welche Arbeiten werdenwirklich von Zivildienstleistenden erledigt? Keiner weißdas.
Es gibt keine empirischen Untersuchungen. Es ist auch so,dass ein Zivildienstleistender manchmal ganz andere Auf-gaben wahrnimmt als die, die in seinem oder in dem An-trag der Beschäftigungsstelle stehen. Daher enthalten dieAkten keine zuverlässigen Angaben dazu. Wir müssen
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000
Christian Simmert10738
also zunächst feststellen, was die einzelnen Gruppen vonZivildienstleistenden machen. Danach müssen wir maß-geschneiderte Lösungen für die alten und schwachenLeute in unserer Gesellschaft finden. Ich finde, dies soll-ten wir ernsthaft tun.Ich kann Ihrer Koalition nur raten, nicht nur eine Ex-pertenanhörung hinter verschlossenen Türen durchzu-führen, sondern auch einmal Leute von außen zu holen,Leute, die nichts mit dem Thema zu tun haben und diesenZivildienst auf den Prüfstand stellen.Es geht nicht nur um die Abschaffung des Zivildienstesund den Ersatz durch ordentliche Arbeitsplätze, sondernum eine nachhaltige Neubestimmung von sozialen Arbei-ten in unserer Gesellschaft. Wir müssen uns fragen: Wiewollen wir die bezahlen? Wie viel wollen wir ausgeben?Wer soll die machen? Das heißt, wir sollten die Chance ei-nes zurückgehenden Zivildienstes nutzen, um über so-ziale Dienstleistungen in unserer Gesellschaft nachzuden-ken. Dazu gehören ordentliche Arbeitsplätze; dazu gehö-ren vielleicht noch die nächsten fünf oder zehn JahreZivildienstleistende, auch länger dienende Zivildienstlei-stende. Wir sollten überlegen, welche Möglichkeiten wirhaben, das freiwillige soziale Jahr anders auszugestalten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Lenke,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss. – Wir ha-
ben eine Enquete-Kommission „Demographischer Wan-
del“, die sich damit beschäftigen kann. Wir haben eine
Enquete-Kommission „Bürgerliches Engagement“ und
wir haben auch noch die Parlamentarier und Parlamenta-
rierinnen. Ich denke, wir sollten gemeinsam daran arbei-
ten; denn dieses Thema eignet sich nicht zur parteipoliti-
schen Auseinandersetzung.
Die F.D.P.-Bundestagsfraktion wird es jedenfalls nicht
der Regierung überlassen, Konzepte zu erarbeiten. Wir
werden selber die Verantwortung wahrnehmen und an
guten Lösungen für die Schwachen in unserer Gesell-
schaft mitarbeiten; denn die fordern unsere Solidarität ein
und die wollen wir ihnen allen geben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Parlamentarische Staatssekretärin
im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend, Dr. Edith Niehuis.
D
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ichhabe den Eindruck, dieser PDS-Antrag wurde geschrie-ben, als die PDS noch hoffte, dass die Wehrpflicht abge-schafft würde. Dies ist aber nicht der Fall.
Insofern geht vieles von dem, was Sie in Ihrem Antrag ge-schrieben haben, vollkommen ins Leere.Dennoch glaube ich, dass die Diskussion in den letztenMonaten darüber, ob die Wehrpflicht abgeschafft wirdoder nicht, zumindest eines bewirkt hat: Die Wertschät-zung für den Zivildienst ist enorm gestiegen. DieseDiskussion hat meines Erachtens schon Erstaunliches be-wirkt: Auch die Parteien, in deren Reihen Zivildienstleis-tende lange Zeit als Drückeberger bezeichnet wurden,sind jetzt voll des Lobes für den Zivildienst.
Das sollten wir alle begrüßen; denn die Zivildienstleis-tenden verdienen Dank.Allerdings – um auf den Kern dieses Antrags zu kom-men – muss man in diesem Zusammenhang auch daran er-innern, dass CDU/CSU und F.D.P., als sie die Regierungstellten, immer darauf bestanden haben, dass der Zivil-dienst erheblich länger dauert als der Wehrdienst. Durchdiese übermäßige Dauer haben Sie den Zivildienstleisten-den faktisch immer Geringschätzung entgegengebracht.
Wir sind angetreten, Herr Seifert, um für Gleichbe-handlung und Belastungsgerechtigkeit zwischen Zivil-dienstleistenden und Wehrdienstleistenden zu sorgen. Dasist der Grund, warum wir die Zivildienstdauer um zweiMonate verkürzt haben. Nicht nur das – Herr Simmert hates schon gesagt –: Wir haben auch endlich den Wehrsoldangepasst. Damit haben wir im Grunde die Hausaufgabengemacht, die unsere Vorgängerregierung längst hätte ma-chen müssen.
Der PDS-Antrag geht meines Erachtens von einemganz falschen Ansatz aus. Sie kritisieren die Verkürzungder Zivildienstdauer und sagen, damit würden die sozia-len Dienstleistungen ausgehöhlt. Diese Behauptung istaus zwei Gründen falsch.Erstens. Auch wenn Sie sagen, der Zivildienst habekeinen Sicherstellungsauftrag, beweisen Sie mit IhremAntrag, dass Sie meinen, der Zivildienst habe einen Si-cherstellungsauftrag.
– Nein, Herr Seifert, der Zivildienst ist nicht dazu da,staatliche Pflichtaufgaben zu erfüllen. Vielmehr werden
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000
Ina Lenke10739
Zivildienstleistende bewusst zusätzlich im sozialen Be-reich eingesetzt.Man kann auch nicht das quantitative Niveau von 1999als Maßstab nehmen, wie Sie es in Ihrem Antrag empfeh-len. Warum ist es so wichtig, dass der Zivildienst keinenSicherstellungsauftrag für den sozialen Bereich habendarf? Weil die Zahl der Zivildienstleistenden nicht kon-stant und verlässlich ist.
– Das ist eine andere Geschichte. Nun lassen Sie michdoch einmal ausreden! Ich setze mich im Moment mitdem Gedankengang des PDS-Antrags auseinander.1991 gab es 79 091 Zivildienstleistende, 1999 waren es138 364 Zivildienstleistende. Diesen großen Unter-schied – ohne jede Gesetzesänderung – muss man sich im-mer klarmachen. Dann weiß man, dass Zivildienst nie undnimmer dafür da sein darf, den Personalbedarf im so-zialen Bereich zu sichern, weil man nicht mit konstantenZahlen rechnen kann.
Nun haben wir am 1. Juli 2000 die grundgesetzlichnotwendige Verkürzung in Kraft gesetzt. Der von einigenbefürchtete Engpass im Sommer aufgrund der Kontin-gentierung, der Verkürzung des Zivildienstes und der Ent-lassungen von Zivildienstleistenden zum 30. Juni ist aus-geblieben. Die Spitzenverbände der freien Wohlfahrts-pflege, mit denen wir verabredet haben, dass sie für ihrenBereich die Einberufungen steuern, haben durch dieseselbstverwaltete Steuerung dafür gesorgt, dass jetzt imJuli 97 855 Zivildienstleistende im Dienst sind; im Sep-tember wird die Zahl wieder auf 111 000 ansteigen.Wir wissen alle, dass im sozialen Bereich in etwa90 000 Zivildienstleistende tätig sind, im Juli sind esüber 97 000. Das heißt, die Wohlfahrtsverbände haben dieschwierige Aufgabe, den Veränderungen im Bereich desZivildienstes Rechnung zu tragen, erfolgreich gelöst. Dasist auch der Grund, warum die Wohlfahrtsverbände imEinvernehmen mit dem Ministerium sagen, dass sie dieseselbstverwaltete Steuerung über den September 2000 hi-naus weiterführen wollen. Auf diese Art und Weise kön-nen sie Zivildienst in ihren Organisationen einplanen.
Wenn gesellschaftliche Gruppen von sich aus diese Fragesteuern möchten, sollten wir – und mit uns insbesonderedie F.D.P. – diese Aufgabe um Gottes willen den gesell-schaftlichen Gruppen überlassen und uns als Staat nichteinmischen.
Sie haben hier die ganze Zeit von der Zukunft des Zi-vildienstes geredet. Ich glaube, es ist Ihnen nicht entgan-gen, dass das Bundeskabinett zur Bundeswehrreformmittlerweile einen Beschluss gefasst hat, der den Fortbe-stand der Wehrpflicht beinhaltet.Nun gibt es – darauf haben Sie zu Recht hingewiesen –seit Mai im Ministerium die Arbeitsgruppe „Zukunft desZivildienstes“.
Dieser Arbeitsgruppe gehören 17 Vertreterinnen und Ver-treter von Verbänden und Organisationen an, die Zivil-dienst durchführen oder ihn im Beirat ständig begleiten.Ich glaube, dass diese Arbeitsgruppe „Zukunft des Zi-vildienstes“ mittlerweile eine leichte Aufgabenverände-rung erfahren hat. Wir hatten diese Gruppe zunächst da-mit beauftragt, mit allen Eventualitäten – wie einer er-heblichen Verkürzung oder der Aussetzung derWehrpflicht – zu rechnen. Jetzt nimmt diese Arbeits-gruppe die Chance wahr, darüber nachzudenken, wie manden Zivildienst optimal, sinnvoller und effektiver, gestal-ten kann.Dazu, Frau Lenke, gehört mit Sicherheit auch das, wasSie gesagt haben. Es lohnt sich schon, sich die Einsatzfel-der des Zivildienstes genauer anzusehen. Dieses tun dieWohlfahrtsverbände mittlerweile, auch aufgrund der Dis-kussionen über den Zivildienst, die in diesem Jahr statt-gefunden haben.
– Warum dürfen sie das nicht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, ich
gehe davon aus, dass Sie im Einvernehmen mit den Kol-
leginnen und Kollegen kein Interesse daran haben, die
Debatte noch weiter zu verlängern. Deshalb bitte ich Sie,
zum Schluss zu kommen.
Die unterhalten sich alle sonett mit mir, sodass ich gerne darauf antworten möchte.Es ist ein spannendes Thema. Es geht in der Tat um dieFrage: Was sind die klassischen Tätigkeitsfelder des Zi-vildienstes, welche Felder kann man viel besser durchfreiwilliges Engagement ersetzen – denn auch dieses hateine demokratische Qualität in unserer Gesellschaft – undwelche Tätigkeitsfelder kann man viel besser mit voll-wertigen, tariflich abgesicherten Arbeitsplätzen besetzen?Das ist eine spannende Diskussion. Die sollte nicht alleinder Staat führen. Vielmehr sollte man sie mit denenführen, die überwiegend Zivildienstleistende einsetzen.Danke schön.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juli 2000
Parl. Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis10740
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/3563 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung. Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestags auf
morgen, Donnerstag, den 6. Juli 2000, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.